Kiparsky V Uber die Behandlung der ъ und ь in einigen slav Suffixen 1973

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Valentin Kiparsky: Uber die Behandlung der s und & in einigen slav. Suffixen

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VALENTIN KIPARSKY:

Über die Behandlung der & und & in einigen slav. Suffixen

N ach einer ganz allgemeinen, bisher nicht widerlegten Ansicht folgen die

m it der Vokalisierung der starken und dem Ausfall der schwachen & und

b zusammenhängenden Erscheinungen in den slav. Sprachen dem sogenann­

ten “jerové pravidlo”, einer vom Tschechen A ntonín Havlík im J. 1889

entdeckten Regel, gemäß welcher die (vom W ortende oder dem letzten

Vollvokal gerechnet) ungeraden &, & schwinden, die geraden zu V oll vokalen

(o, e, a, a, d) werden, z.B. urslav. SbVbCb - * švec ‘Schneider, Schuster’, aber

šbvbca -*■ ševca Gen.Sg. Bekanntlich gibt es von dieser Regel viele A us­

nahmen, die man meistens durch analogische Ausgleichungen zu erklären

versuchte, wie z.B. poln. szew c/szew ca ‘Schuster’ m it der Verallgemeinerung

der Form der Kasus obliqui, aber russ. dial. švecjšveca ‘Schneider’ m it der

Ausrichtung nach dem N om .S g.; das “lautgesetzliche” Paradigma ist da­

gegen im Ukr. svec’/sevcja und tsch. švec/ševce ‘Schuster’ bewahrt. Es gibt

jedoch Abweichungen, die sich nicht ohne weiteres durch analogische A us­

gleichungen erklären lassen, sondern andere Ursachen haben dürften. So

glaubt Shevelov gemerkt zu haben, daß im Serbokr. schwache & und b in

der Anfangssilbe von drei- und mehrsilbigen Wörtern stets, in zweisilbigen

dagegen nur unter gewissen, nicht ganz eindeutigen Bedingungen schwan­

den, z.B. skr. p sa < pbsa, sna < sbna, zla < zbla, aber dana < dbn'a,

maha < mbcha, lava < Ibva, lasti < Ibsti u.a

.1

Mirčev führt ähnliche Beispiele aus dem Bulg. an und vermutet, daß in

gewissen Fällen die Tendenz, eine H om onym ie zu vermeiden, im Spiele

gewesen sei, wie z.B. bei bulg. vesi ‘des D orfes’ ■

—■

vsi ‘alle’ (beides < v tsi),

sävet ‘Rat(schlag)’ ^ svet ‘Licht’ (beides < sbvetb).2

Im Polab. und den anderen ehemals in Deutschland gesprochenen, heute

ausgestorbenen slav. Dialekten gibt es noch mehr solche Fälle m it bewahr­

tem schwachem &,

6

. Es heißt polab. nicht nur stacia — stb ja (skr. staza,

sloven, stezd), gam a = tbma (skr. tama, sloven, tema), miogla = mbgla (skr.

1

George Y. Shevelov, “Weak jers in Serbo-Croatian and South Slavic: Developments

in the Word Initial Syllable”, Zbornik za filoIogi]u i lingvistiku, knj. VII, 23-43, Novi
Sad 1965.

5 Kiril Mirčev, Istoriieska gramatika na bälgarskija ezik, Sofija 1963, 110—111.

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m agla, sloven, m egla), sondern auch ssape = sbpi (skr., sloven., bulg. spi

‘schlaf’), katü = kbto (skr. ко, tko, sloven, kdo ‘wer?’), т аге = тьге(1ъ)

(skr. mre, sloven, m re, bulg. m re ‘stirbt’) u.a., ohne daß man zu einer be­

friedigenden Erklärung dieser Erscheinung gekom m en ist

.1

M an kann nicht

umhin, an ein “A bebben” der Havlikschen Regel an der Peripherie des slav.

Sprachgebietes zu denken.

,

.

Lange bekannt sind auch die Wörter kirchlichen Ursprungs im Skr. und

Russ., die unerwartete Vokalisierung eines schwachen ъ, ь aufweisen, z.B.

skr. satvoriti neben stvoriti ‘(er)schaffen’, savršiti neben svršiti ‘beenden’

u.a. Im Skr. sind es meistens bloße lautliche Varianten, im Russ. gibt es

gewöhnlich semantische Differenzierung, wie z.B. sobör ‘K onzil, Kathe­

drale’ neben sbor ‘(V ersam m lung’ (beides aus sbborb), sod erža ť ‘enthalten,

unterhalten (z.B. eine Maitresse), halten (in Ordnung, im G efängnis)’ neben

sd erža ť ‘festhalten, zügeln, zurückhalten’ (beides aus Sbdbrzati). W ie wir

sehen, handelt es sich in sämtlichen Fällen um “unregelmäßige” V okali­

sierung eines schwachen, nicht um “unregelmäßigen” Schwund eines star­

ken bi ь.

Neuerdings versucht A . Isačenko einige Fälle der “unregelmäßigen” V o­

kalisierung eines schwachen ъ, ъ im Russ. auf eine ganz andere Weise zu

erklären: er glaubt, daß Havlíks jerové pravidlo im Russ. nur während

einer relativ kurzen Zeit, von dem endgültigen Ausfall der schwachen ъ, ь,

also etwa von 1150, bis zum Ende des 15. Jhs. galt, eine Epoche, die Isa-

čenko “period of trial and error” nennt, während der alle theoretisch denk­

baren Form en, wie z.B . rpotjroptu < гърЫъ/гъръШ ‘Murren’, Vorkommen

konnten. U m 1500 trat, nach Isačenko, eine Periode ein, in der nicht mehr

die phonetische Regel Havlíks, sondern eine “m orphonem atische” Regel

galt, die die verschiedenen scheinbaren Abweichungen von derjenigen H av­

líks bewirkte. D ie H auptabweichungen waren, nach Isačenko, die folgen­

den: 1) die Beseitigung des Stellungswechsels des vokalisierten ъ, ъ, w ie z.B.

das obenerwähnte rpotjroptu, und 2) die Stabilisierung des aus ъ, ь ent­

wickelten V ollvokals о bzw. e, falls dieser letztere durch mehr als e in e n

K onsonanten vom Stammauslaut getrennt war, z.B. m esti ‘der R ache’, lest і

‘der Schmeichelei’, doski ‘des Brettes’ statt der im 14.-15. Jh. begegnenden

m sti, lsti, d sk i < m bsti, h sti, dbski.3 Natürlich gibt es auch von Isačenkos

“m orphonem atischen” Regel viele Ausnahmen.

Hier werde ich nur das Schicksal des schwachen ъ in zwei slav. Suffixen,

5 A. V. Isačenko, “East Slavic Morphophonemics and the Treatment of the Jers in

Russian: A Revision of Havlik’s Law”, International Journal o f Slavic Linguistics and

Poetics XIII, 1971, 73-124. Vgl. auch Valentin Kiparsky, Russische Historische Gram­

matik II, Heidelberg 1967, 114 f.

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Uber

die Behandlung der & und & in einigen slav. Suffixen

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-bskr> und -bstvo, behandeln, denen Isaöenko in seiner Arbeit nur einige

Zeilen widmet.

.

. D as slav. -bskb ist idg. Ursprungs und entspricht lautlich genau dem lett.

-isks, dem lit. -iskas und dem germ. -isk (d. -isch), wahrscheinlich auch dem

im rum. -escu bewahrten thrak. *.-isk-, D ie von Brugmann angenom m ene

Entlehnung des balt. und slav. Suffixes aus dem Germ, ist völlig unbe­

gründet

.4

Es ist eines der gewöhnlichsten slav. W ortbildungssuffixe und bil­

det vor allem Adjektive, die häufig als Ortsnamen substantiviert werden,

vgl. z.B. noch die neuen N am en der von den Russen im zweiten W eltkriege

eroberten Städte: Zelenogorsk (finn. T erijoki) und Tsernjachovsk (Inster­

burg in Ostpreußen). D er A usgang -sk in Ortsnamen wird als so typisch

“russisch” empfunden, daß ich in einem amerikan. Bildstreifen (com ic

strip), der ‘‘Abenteuer, in R ußland” schilderte, eine “russische Stadt” Im sk

fand.

.

.

Dieses Suffix entwickelt sich im allgemeinen gemäß Havliks Regel, unter

Beachtung der Entpalatalisierungsregeln

5

des Russ.: selbskb/selbska.‘D orf-’

müßte zu *selesk/selska werden; da die Formen ohne Vokalisierung des

b in der Überzahl waren, wurden sie verallgemeinert, so daß ein *selesk

nicht vorkommt, obgleich es in Ortsnamen durchaus berechtigt wäre. Eine

Ausnahme bilden die von auf Velar oder Zischlaut ausgehenden Stämmen

abgeleiteten Adjektive, bei denen manchmal (aber bei weitem nicht immer!)

-eskij, -eskoj, m it Vokalisierung des -b- erscheint. D ie Sowjetrussin Zemskaja,

die diese Erscheinung zu erklären versuchte, meinte, daß die Variante -esk-

zunächst hinter Velaren und Zischlauten auftrat, daß es jedoch in der

gleichen Stellung auch die Variante -sk- (ohne Vokalisierung des schwachen

b) gegeben habe, wie russ. m u zeskij neben m uzskoj ‘männlich, m askulin’

beweise. Zemskaja ist uns jedenfalls eine Erklärung der Tatsache, daß in

der gleichen. Stellung mal -esk- mal -sk- erscheint, schuldig geblieben

. 6

Einen anderen Versuch d ie Schwankungen -esk-f-sk- zu erklären, haben

ohne Zemskajas Arbeiten zu kennen die amerikanischen Linguisten N oam

4 K. Brugmann und B. Delbrück, Grundriss der vergleichenden Grammatik der indo­

germanischen Sprachen, Straßburg 1897-1916, II, 1,. 501-502; A. Meillet, Etudes sur
l ’étymologie et la vocabulaire du vieux slave, Paris 1902-1905, 332; J. Endzelin, Lettische

Grammatik, Riga 1922, § 190.

·

5 Zu den Entpalatalisierungsregeln vgl. V. Kiparsky, Phonetische Motivierung eines

altrussischen Lautgesetzes, Helsinki-Helsingfors 1964.

.

. .

*

E. A. Zemskaja, Oäerki po istoriieskoj grammatike russkogo literatumogo jazyka

X IX veka. Izmenenija v slovoobrazovanii i formach suscestvitel'nogo i prilagatel'nogo v

russkom literaturnom jazyke X IX veka, Moskva 1964, 277-555, und E. A. Zemskaja,

“Interfiksacija v sovremennom russkom slovoobrazovanii”, Razvitie grammatiki i lek-

siki sovremennogo russkogo jazyka, Moskva 1964, 36-62.

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Chom sky und Morris Halle unternom m en

.7

Sie stellten Havliks Regel durch

eine etwas kom plizierte Form el dar, betrachteten die Fälle m it Vokalisierung

des schwachen ь nach Velaren oder Zischlauten (Variante m uzeskij) als

“regelmäßige Ausnahm en” und die Fälle ohne Vokalisierung des ь in dieser

Stellung (Variante m uzskoj) als “Ausnahm en aus den Ausnahm en”, die

m it einer “special diacritic feature [ + D ] ” bezeichnet und besonders kata­

logisiert werden sollten. W a r u m es aber solche Ausnahmen zweiten Grades

gebe, bleibt auch hier unklar und wir wollen im folgenden einen weiteren

Versuch ihrer M otivierung unternehmen.

Bekanntlich ist der durch die 1. Palatalisierung hervorgerufene Lautwech­

sel k :c , g : z , ch :s in der russ. Form bildung z.T. bis heute lebendig, vgl. z.B.

pekii'.pecot ‘backen’, m ogü im özet ‘können’, suchoj:suse ‘trocken’ u.a. Im

Mittelalter war dieser Lautwechsel auch vor dem Suffix -bskb lebendig, denn

wir haben im 9. Jh. varjazbskyj von varjagb ‘Varäger’, im 10. pecenezbskyj

von pecenegb ‘Petschenege’, im 11. Ijasbskyj von Ijachb ‘P ole’ und noch

1229 ist rizk ii ( < r iz b s k y j) belegt, das sich auf das im J. 1203 gegründete

Riga bezieht. Prof. Velta R üke-Dravina glaubt zwar, der Ortsname R iga

sei den Russen vielleicht schon vor der Gründung der deutschen Burg be­

kannt geworden, aber 1229 handelte es sich um den Bischof von Riga, den

es vor der A nkunft der D eutschen nicht gab, und auch sonst ist R iga den

russ. Chroniken fremd. Jedenfalls hörte der Lautwechsel g : z im 18. Jh. auf

lebendig zu sein, denn von Peterburg (gegründet 1703) heißt es nur p eter-

burgskij (Zemskaja I.e. behauptet, es habe einzelne Fälle von peterbu rzskij

gegeben, die mir aber unbekannt sind) und desgleichen bildet man von

deutschen Ortsnamen auf -bürg und -berg ausschließlich -burgskij, -bergskij,

wie z.B. das 1946 ungemein häufige njurnbergskij.

D ieser Lautwechsel läßt sich auch in den Fällen beobachten, w o das

Suffix -bskb an solche Substantive tritt, die bereits mit dem Suffix -ьсь, -ica

oder -ікь, -укь, -акт,, -jakb erweitert sind, wie z .B .:

сгьпьсь ‘M önch’ : сгьпьсьїкь

devica ‘Jungfrau, M ädchen’ : deviebskb

mqcenikb ‘Märtyrer’ : mgcenicbskb

jf z y k b ‘V olk; Sprache, Zunge’ : jqzycbskb ‘heidnisch’

altruss. novakb ‘N ovize’ : novaebskyj

Suffixbildungen m it -осьзкь, -исьзкь habe ich weder im A ksl. noch im A lt­

russ. finden können, aber ich nehme an, daß sie ebenso gebildet worden

7

Noam Chomsky and Morris Halle, The Sound Pattern o f EngHsh, New York 1968,

379-380. Eine genaue K ritik dieses Erklärungsversuches habe ich in Voprosy Jazyko-

znanija 1972, N r. 2 gegeben.

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Valentin Kiparsky:

Uber

die Behandlung der » und

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in einigen slav. Suffixen

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wären, wie z.B. prorocbskb ‘prophetisch’ von proroka, w o -ok- zum Stamme

gehört.

D ie weitere Entwicklung der Formen auf -čbskb folgte Havliks Regel:

aus otbčbskb von otbcb ‘Vater’ wurde otcesk, aus otbčbska, oíbčbsku usw.

otečska, otečsku usw., woraus otecka, otecku usw. D a es Formen des letz­

teren Typs viel mehr gab (sämtliche Form en des bestimmten Adjektivs und

sämtliche Kasus obliqui, außer dem Gen.Pl., des unbestimmten!) als der­

jenigen des ersteren (Gen.Pl. und N om .Sg. M ask. des unbestimmten A d ­

jektivs), wurde der letztere Typ in den meisten slav. Sprachen verallgemei­

nert, z.B. poln. niemiecki ‘deutsch’, pro sta ck i ‘grob, roh’, katolicki ‘katho­

lisch’, heretycki ‘ketzerisch’, Familiennamen Czarnecki, P otocki u .a., tsch.

něm ecký ‘deutsch’, otecký (veralt.) ‘väterlich’, mučednický ‘Märtyrer-’,

prorocký ‘prophetisch’, skr. katolicki ‘katholisch’, junački ‘heldenhaft’,

proročki ‘prophetisch’ u.a. N ur das Russ. und, wie wir unten sehen werden,

das Bulg. bilden hierin eine Ausnahme, indem die Form auf -česk mit

Vokalisierung des -

6

-, wenn auch nicht durchweg, so dennoch in einer

großen Anzahl der Fälle obsiegte. Es heißt russ. eretičeskij, katoličeskij,

mučeničeskij, proročeskij, otečeskij, daneben jedoch nemeckij. In vielen

Fällen gibt es stilistische Varianten, bei denen die Form ohne Vokalisierung

auf -ck ij eine vulgäre Schattierung bedeutet, diejenige auf -českij der nor­

malen oder gar höheren Stilart angehört; z.B. polkovniceskij/polkovnickij

‘Obersten-’, činovničeskijjčinovnickij ‘Beamten-’, kulačeskijjkulackij ‘K ula­

ken-’ u.a. Eine große Anzahl solcher Bildungen aus dem 19. Jh., von denen

sich viele bis heute überhaupt nicht gehalten haben, führt Zemskaja I.e. an.

In den 20er und 30er Jahren gebrauchten russische Emigranten ausschließ­

lich bolsevickij, während die Sowjetrussen bolševistskij schrieben; ein

*bolševičeskij scheint überhaupt nicht im Gebrauch gewesen zu sein. In

einigen Fällen entstand semantische Differenzierung: dvoreckij ‘oberster

Lakai’ ~ caredvorčeskij ‘H öflings-’, B oreckij Familienname ~ ikonoborče-

sk ij ‘Bilderstürmer-’. Ähnliche Erscheinungen sollte m an auch bei -zesk-

und -Sesk- erwarten, mir ist aber kein anderer Fall, als das obenerwähnte

m užeskijlm uzskoj bekannt.

Es fragt sich nun, warum ausgerechnet im Russ. und im Bulg. die V oka­

lisierung des schwachen b im Suffix -bskb nach alten und den gem äß der

1. Palatalisierung entstandenen Zischlauten häufig vorkommt, während sie

den anderen Slavinen völlig unbekannt ist? M an vergleiche z.B.:

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Scando-Slavica · Tomus XIX

russ. ■

boleskij

druzeskij

monaseskij
tovarisceskij

bulg.

bozeski
druieski

monaseski

poln.

boski

mniski
towarzyski

tsch.

boisky

soudruzsky

mnissky
tovaryssky

skr.

weißr.

monaski

m anasski.

‘göttlich’
‘Freund-,
Genossen-’
‘Mönchs-’

‘kamerad­

schaftlich’

und anderseits:

volosskij

vlaski

wloski

m uzskoj.

m äzki

mgski

(muieskij)

greckij

gräcki

grecki

(greceskij)

'

vlaisky

vlaski

m uisky

muSki

fecky '

grcki

. ‘welsch, ru-

män., ital.’

‘männlich’

‘griechisch’

Es m uß sich offensichtlich um eine dem Rüss. u n d dem Bulg. gemeinsame

Ursache handeln, die den anderen Slavinen völlig unbekannt war. Eine

solche Ursache ist m. W. der Einfluß des Kircherislavischen, den in einem

solchen Ausm aße jedenfalls keine andere slav. Sprache erfahren hat. Schon

Sachm atov hatte richtig erkannt, daß es bei den unregelmäßigen Vokali-

sieriingen vom Typ sovet, sojuz, vozljubiti, soderzati u.a. (s. oben) um die

N achahm ung der kirchenslav. Aussprache bulgarischer Priester handelte, die

im 14.-15. Jh., nach der Eroberung K onstantinopels und der Balkanhalbinsel

durch die Türken in M oskau Zuflucht fanden

.8

Es liegt nahe anzunehmen,

daß es sich in den Fällen der Aussprache -eskij für -sk ij um die gleiche

Ursache handelte. Jedenfalls war diese Aussprache in Rußland nicht sehr

alt, denn wir finden noch bei K otosichin neben 11 Schreibungen m uzskoj

nur 3 m uzeskij,9 während im 18.-19. Jh. die letztere Form fast allein herrscht.

Erst seit 1917 beginnt wieder der Rückzug von m uzeskij, das heute bereits

als “veraltet” gilt. Überhaupt dominiert die Form -esk ij bei Ableitungen

von Wörtern kirchensl. Herkunft (wie vra zesk ij,ja zycesk ij) oder von solchen,

die zum höheren Stil gehören (wie supruzeskij, bozeskij, junoseskij ‘jugend­

lich’, tvörceskij ‘schöpferisch’ u.a.). In der kirchlichen Sphäre ungebräuch­

liche Ethnica bilden im allgemeinen keine Form en auf -eskij (cesskij, ne-

meckij', tureckij, volzskij, kaluzskij, rizskij, vazskij, sebezskij, pudozskij u.a.),

aber w enn sie auch eine gewisse Bedeutung für die Kirche hatten, entstan­

8

A. A. Sachmatov, Ocerk drevnejsego perioda istorii russkogo jazyka, Petrograd 1915,

§ 395.

• Nach freundlicher Mitteilung von D r. Anne Pennington (Oxford).

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Valentin Kiparsky: Über die Behandlung der 5 und 6 in einigen slav. Suffixen

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den Varianten: z.B. greck ij (orech) ‘W alnuß’, greckaja (gubka) ‘Bade­

schwamm’, aber sonst nur greceskij ‘griechisch’. ·

Wurde ein Adjektiv weniger gebräuchlich und geriet es aus der alltäg­

lichen Sphäre in eine höhere, abstrakte, so konnte das Suffix -sk ij durch

-eskij ersetzt werden, wie z.B . beim heutigen palaceskij ‘(grausam) wie ein

Henker’, das noch 1782 palacskij, also dreisilbig gesprochen wurde, und

einfach ‘Henkers-’ bedeutete.

.

·

A ls ich am 7. Oktober 1971 über dieses Them a an der U niversität Sofia

sprach, machte mich Prof. D r. Jordan Zaim ov darauf aufmerksam, daß es

in den bulg. Volksmundarten, besonders in Westbulgarien, einen Suffix

-eski gar nicht gibt; es werde dort, wie im Skr., durch -Ski ersetzt. D iese

Tatsache bestätigt meine oben geäußerte Vermutung, daß es sich bei der

Vokalisierung des b im Suffix -bskb nicht um den Einfluß der bulg. Sprache

aufs Russische, sondern um die bulg.-kirchensl. Aussprache der mittelbulg.

Priester handelte.

.

.

Es bleibt noch eine Frage: wenn die “unregelmäßige” Vokalisierung des

b im Suffix -bskb nicht durch lautliche Ursachen, sondern durch die kirch­

lich gefärbte Aussprache der mittelbulg. Priester hervorgerufen wurde,

warum blieb sie dennoch auf die lautlich definierte Stellung hinter Zisch­

lauten beschränkt? Es gibt nämlich weder im Russ. noch im Bulg. ein

*seleski(j"), *goreski(j), *skoteski(J) oder ähnl.

Eine Antwort darauf erhalten wir aus der Tatsache, daß die “unregel­

m äßige” Vokalisierung eines schwachen b sow ohl im Russ. als auch im

Bulg. fast ausnahmslos in dem Suffix -bstvo stattfindet, während sie anderen

slav. Sprachen in dieser Stellung völlig unbekannt ist. M an vergleiche z.B .:

russ.

bulg.

poln.

tsch.

mužestvo

mážestvo

mqstwo

mužstvo

‘Mannhaftigkeit’

suščestvo

sästestvo

‘Wesen’

soclružestvo

soudružstvi

‘Freundeskreis’

tovariščestvo

tovaryšstvo

‘Genossenschaft’

tož(d)estvo

táždestvo

‘Identität’

božestvo

božestvo

bóstwo

božstvo

‘Gottheit’

knjažestvo

ksifstwo

kněžstvo

‘Fürstentum’ (tsch.
‘Geistlichkeit’)

D ie einzigen mir bekannten Ausnahm en aus dieser R egel (skotolozstvo

‘Sodom ie’ und muzelozstvo ‘Päderastie’) wurden noch im 19. Jh. skoto-

lozestvo, m uzelozestvo geschrieben. D ie Graphie und Aussprache -estvo

dürften aber nicht sehr alt sein. K otosichin schreibt knjazstvo für ‘Fürsten­

tum = das von einem Fürsten regierte Gebiet (konkret)’, aber knjazestvo

für ‘Fürstentum = die Würde eines Fürsten (abstrakt

) ’9

und D in a Staniseva

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Scando-Slavica-Tomus XIX

zitiert aus der III. Pleskauer Chronik vom J. 1560 m uzstvo ‘M annhaftig­

keit, M ut

’.10

N och im 16.-17. Jh. galt also auch im Russ. die Aussprache

-stvo, jedenfalls in einigen Fällen. Im 18. Jh. war jedoch die Form -estvo

die einzig m ögliche. Wir kommen zum Schluß, daß die Vokalisierung des

schwachen b im Suffix -bstvo ebenso w ie im Suffix -bskb eine lautliche U r­

sache hat, daß aber diese Ursache in der mittelbulgarisch-kirchenslavischen

und nicht in der russ. Phonetik verankert war. W ahrscheinlich duldete das

M ittelbulg.-kirchensl. kein Zusammentreffen eines Zischlautes + /s / und

erforderte Trennung dieser Laute durch einen Vokal.

Paul Kiparsky, der sich m it dieser Erscheinung auf Grund der Arbeit

von Chom sky und H alle

7

auseinandergesetzt hatte, verglich sie m it der

Eigenart der engl. Pluralbildung: endet der Stamm eines engl. N om ens auf

/s/, /z/, Je/, /

3

/, /s/, so tritt statt der gewöhnlichen Pluralendung /s / oder

/z / ein /iz / ein, z.H. fishes, roses, churches, hedges, asses.11 D ie U nduldsam ­

keit gegenüber Spirantengruppen äußert sich also nicht nur in der gewöhn­

lichen Assimilation (vgl. z.B. poln. böstw o, boski < bozbstvo, bozbskbjb),

sondern auch in der Tendenz die Spirantengruppe zu zerschlagen.

10 Izvestija na instituta za bälgarski ezik, Kniga VIII, Sofija 1962, 598.

11 In seinen Vorlesungen in der First Scandinavian Summer School of Linguistics

(unweit Stockholm, Juli-August 1969).


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