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C1-Kurs Herr Löwenberger, WS 1994/95: "Epochen der Wirtschaftsgeschichte"
Quellen und Ziele der nationalsozialistischen
Ideologie auf dem Hintergrund der
zeitgenössischen sozialen und politischen
Verhältnisse
Marcel Eimerl, 1.Semester
10829 Berlin, Hochkirchstr.12
Inhaltsverzeichnis
2
1. Das Thema
2. Antiparlamentarismus
2.1. Geschichtliche Voraussetzungen
2.2. Die Basis nationalsozialistischen Antlparlamentarismus
3. Führerideologie
3.1. Hierarchie
3.2. Hitlers Stellung
4. Rassismus
4.1. historische Entwicklung
4.2. Erweiterung der Rassetheorien
4.3. Die Folgen
5. Antikommunismus
5.1. Die Parteiparole
5.2. Verbot der Linken
5.3. Fazit
6. Antikapitalismus
6.1. Gründe
6.2. Übernahme kommunistischer Forderungen
7. Erkenntnis
1. Das Thema
Der Zweite Weltkrieg liegt über 50 Jahre zurück. Die Folgen des Krieges sind in
seinen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereichen bis zum
heutigen Tag spürbar.
3
Hauptverantwortlicher für einen Krieg, der über 50 Millionen Menschenleben
gekostet hat, waren die Nationalsozialisten; an Ihrer Spitze: Adolf Hitler.
Der Nationalsozialismus war nach innen totalitär, anerkannte keine Grundrechte
des einzelnen und bekämpfte Kommunismus, Sozialismus, Liberalismus,
Menschen mosaischen Glaubens und auch die christlichen Kirchen; nach außen
war er aggressiv, expansiv mit nihilistischer Prägung.1)
Die hier angesprochene Thematik behandelt nicht das ganze schreckliche Ausmaß,
die der Nationalsozialismus über die Menschen gebracht hat, sondern gliedert den
Aufbau der Ideologie in seinen fünf wesentlichen Punkten.
2. Antiparlamentarismus
2.1. Geschichtliche Voraussetzungen
Die relativ junge Bewegung war ihrem Wesen und ihrer inneren Organisation nach
antiparlamentrisch.
Sie nützte dabei den Nährboden antidemokratischer Gesinnung der Bevölkerung,
die sich aus der deutschen Geschichte ergeben haben.
So fand im 19. Jahrhunder in den deutschen Staaten nicht die Übernahme der in
der französischen Revolution entstandenen Ideen von der Gleichheit der Menschen
und von der Würde des Einzelwesens statt.2)
Das Verlangen nach Demokratie wurde nachhaltig mit dem Scheitern der
Paulskirche 1849 gebremst. 1871 fand unter "Säbelrasseln" die Gründung des
Deutschen Reiches unter der Federführung von Reichskanzler Bismarck statt.
Die Bürger des Mittelstandes, der Industrie und der Aristokratie empfanden nichts
als Abneigung für das Streben der Sozialdemokratie nach Mitspracherecht. Kaiser
Wilhelm II. sah das Parlament nur als "Tollhaus".
Die wirtschaftliche Stärke Deutschlands mußte sich zu dieser Zeit mit Hilfe der
militärischen Stärke Ausdruck verleihen.
2.2. Die Basis des nationalsozialistischen Antiparlamentarismus
Die der nationalsozialistischen Ideologie zugrunde liegende Rassenlehre mit ihrem
darwinistischen Ausleseverfahren ließ nur die Ablehnung von
Majoritätsentscheidungen und des demokratische Parlamentarismus zu.
Hitler "entlarvte" diese Einrichtungen als Instrumente des Judentums, weil sich
dabei die eigentlichen Drahtzieher im Hintergrund halten könnten.
Dem Mehrheitsprinzlp stellte Hitler "die wahrhafte germanische Demokratie"
gegenüber, in der nur ein einziger zu bestimmen und die Gefolgschaft seinen
Befehlen zu gehorchen habe. Von dieser Gefolgschaft wurde nichts anderes
verlangt als disziplinierter Gehorsam. 4)
3. Führerideologie
3.1. Hierarchie
1)
Reinhard Kühnl: Faschismustheorien. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH Reinbeck bei
Hamburg 1979, S.9
2)
Wolfgang Scheffler: Judenverfolgung im Dritten Reich. Landeszentrale für politische
Bildungsarbeit Berlin in Verbindung mit dem Fachbereich Politische Wissenschaft der FU
Berlin, Colloquium Verlag Berlin, S.9
4)
Hrsg. Eberhard Aleff: Das 3.Reich. Fackelträger-Verlag, 17.Auflage, 1970 Hannover, S.61 ff.
4
Der Nationalsozialismus vertritt im kleinsten wie im größten den Grundsatz der
unbedingten Führerautorität.
Bereits die Art und Weise, wie Hitler innerhalb der Deutschen Arbeiterpartei die
Rolle des alleinigen Führeres an sich gezogen hatte, wie er sich von seinen
Anhängern zum Führer der NSDAP ausrufen ließ, wie er die Partei von da an
organisierte und auf sich zuordnete, wobei jeder Unterführer vom nächsthöheren
Verantwortlichen eingesetzt wurde und Hitler selbst die Spitze bildete, zeigte das
Ordnungsprinzip, das Hitler auch als Ziel für die Staatsordnung vorschwebte.
Die Reichsleitung wurde gebildet durch den "Führer" Hitler, seinen Stellvertreter
und die Reichsleiter mit besonderen Fachgebieten, vielfach zugleich Minister. Die
Gauleiter, häufig als Reichsstatthalter oder Oberpräsidenten gleichzeitig oberste
Regierungsbeamte, sicherten die Herrschaft der Partei innerhalb der staatlichen
Verwaltung.5)
Die "besten Köpfe", die "rassisch Wertvollsten" sollten unter Adolf Hitler als
Führer nachrangige Autorität über das in Gefolgschaftskader gegliederte Volk
erhalten.
3.2. Hitlers Stellung
In dieser pyramidenförmigen Führeranordnung war Hitler niemanden Rechenschaft
schuldig, auch nicht der nationalsozialistischen Weltanschauung, da diese
wiederum nur seine eigene Weltanschauung war; da es in dieser Ideologie weder
einen Gott gab, noch die Gefolgschaft, da sie niedriger stand, eine Rechenschaft
fordern konnte, bedeutete dies uneingeschränkte Herrschaft.
4. Rassismus
4.1. historische Entwicklung
Fast als Antwort auf die im 19.Jahrhundert vollzogene Emanzipation der Juden
entstand, vor allem in Deutschland, im selben Jahrhundert eine neue Richtung des
Judenhasses, auf die sich später die nationalsozialistische Lehre in erster Linie
stütze: der Rassenantisemitismus. Dieser unterschied sich wesentlich von dem aus
religiösen und wirtschaftlichen Motiven herrührenden historischen Judenhaß.
Joseph Arthur Graf deGobineau sah die Urheimat der arischen Rasse in Indien.
Von ihm stammte die Lehre von der Ungleichheit der menschlichen Rassen: "Essai
sur línegalite des races humaines".
Er verband die Sprachverwandtschaft mit der biologischen Rassenverwandtschaft.
Dabei entnahm er den Begriff arisch der Sprachwissenschaft, die unter diesem
Terminus damals eine Sprachgruppe zusammenfaßte. Die absolute Überlegenheit
der weißen Rasse, als deren Kern sich die arische Rasse rein erhalten habe. 6)
4.2. Erweiterung der Rassetheorien
Die Theorien von Gobineau, Houston S. Chamberlain und halbwahren
Erkenntnissen der Erbbiologie zugrundelegend, veranlasste zu der unhaltbaren
nationalsozialistischen These, daß die reinen Arier die Kulturbegründer und -träger
5)
Martin Broszat: Der Staat Hitlers, dtv-Weltgeschichte des 20.Jahrhunderts, Deutsche
Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG., 12.Auflage München 1989, S.52 ff.
6)
vgl. Scheffler, S.9
5
seien. Diese haben sie aus der natürlichen Auslese, die Darwinsche Lehre
zugrundelegend, als rassisch höherwertige über die minderwertigen Völker erlangt.
Durch das 25-Punkte-Programm, von Hitlers "Mein Kampf" sowie Rosenbergs "Der
Mythos des 20.Jahrhunderts
." wurde der Rassismus ergänzt; die angebliche Höherwertigkeit des deutschen
Volkes, aus einem verfälschten Rassenbegriff abgeleitet.und bildete mit der
Verherrlichung des nordischen Übermenschen den Antisemitismus der Partei. 7)
4.3. Die Folgen
Die Rassenideologie des Nationalsozialismus bedeutete für die Menschen
jüdischer Herkunft größte Gefährdung. Als Volksverderber, Rassenschänder,
Weltverschwörer gebrandmarkt, wurde der Wilkür Tür und Tor geöffnet. Am 1.
April 1933 - zwei Monate nach der Machtergreifung Hitlers - wurde ein organisierter
Boykott gegen alle jüdischen Kaufleute, Ärzte und Rechtsanwälte ausgerufen.
Gleichzeitig wurde auf Versammmlungen die Forderung nach
Berufsbeschränkungen für die Juden laut.
Hitler leugnete in seinem geradezu pathologischen Judenhaß, daß Juden
Tapferkeitsauszeichnungen im Ersten Weltkrieg ehrlich erworben hätten.
Die Züchtung zu einem rassisch-nordischen Schönheitsideal wurde gefordert:
blond, hochgewachsen, langschädelig, schmalgesichtig mit ausgesprochenem
Kinn, schmaler Nase mit hoher Nasenwurzel, weichem, hellem Haar,
zurückliegenden hellen Augen, rosig-weißer Hautfarbe.
Da die Rassenwissenschaft natürlich nicht in der Lage war, das deutsche Blut vom
nichtdeutschen zu unterscheiden, griff man bei der Feststellung des Judentums
auf die Religionszugehörigkeit zurück. Die Rassenideologen wußten das Fehlen
eines Blutsnachweises zu nützen, indem sie die Judenseele erfanden und damit
gleich diejenigen auzuschalten vermochten, die zwar arische Merkmale aufwiesen,
aber sich dennoch nicht für den Nationalsozialismus begeisterten. Umgekehrt bot
diese Methode auch den zahlreichen nicht nordisch aussehenden NS-
Spitzenfunktionären die Chance, sich auf ihre rassebewußte Gesinnung zu berufen.
8)
Beispielhaft ist Görings Ausspruch; "In meinem Ministerium bestimme ich, wer
Jude ist". 9)
5. Antikommunismus
5.1. Die Parteiparole
7)
Hrsg. Wolfgang Michalka: Das Dritte Reich. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG.,
München 1985, S.165, 172, 214
8)
vgl Aleff, S. 12
9)
Hrsg. von E. Gritzbach: Reden und Aufsätze. München 1958
6
Sowohl die Nationalsozialisten, als auch die Kommunisten hatten als ursprüngliche
Wählerschaft die Arbeiterklasse erkoren; die Wähler der NSDAP kamen später aber
zumeist aus den Schichten des alten Mittelstandes und der Bauern.
Die bürgerkriegsähnlichen Bedingungen in Berlin, Hamburg und dem Ruhrgebiet,
verschreckten Kleinbürgertum und Industrielle.
Somit verfehlten die Nationalsozialisten ihr ursprüngliches Ziel, die
Vormachtstellung der KPD und der SPD unter der Arbeiterklasse zu brechen;
nichtsdestotrotz wurde sie damit zum parasitären Nutznießer der massiven
politischen Reaktion gegen die Linke, welches als wesentlicher Grund für die
erfolgreiche Machtergreifung der NSDAP zu sehen ist; nämlich die parteipolitische
Wahlparole, die ausgegeben wurde: die Kampfansage gegen den Marxismus. 10)
Taktik war aber, die Kommunisten nicht vor der Wahl zu verbieten, um eine
Irritation des Zentrums, der Industriellen und des Militärs über den wahren totalen
Machtanspruch der NSDAP zu vermeiden.
5.2. Verbot der Linken
Am 30.01.1933 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt.
Der am 27.02.1993 folgende Reichtagsbrand wurde zu einem kommunistischen
Umsturzversuch deklariert, worauf der Reichspräsident Hindenburg sich zu dem
Erlaß "zum Schutz von Volk und Staat" veranlaßt sah. Es wurden zur Abwehr
kommunistischer staatgefährdender Gewaltakte basierend auf den Artikel 48, die
Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reiches
außer Kraft gesetzt. Das bedeutete Beschränkung der persönlichen Freiheit, das
Recht auf freihe Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit und das
Versammlungsverbot. Ebenfalls wird das Brief-, Post-, und Fernmeldegeheimnis
faktisch aufgehoben; also die Aufhebung wesentlicher Grundrechte.
Mit dem folgenden Ermächtigungsgesetz war sämtliche staatliche Gewalt auf Hitler
übergegangen, der sogleich die SPD und die KPD verbieten ließ. 11)
5.3. Fazit
Die großen Wahlerfolge der KPD zwischen 1930 und 1933 kamen lediglich der
nationalsozialistischen Partei zugute, die vom Bürgertum aus Angst vor einem Sieg
als Reichskanzler akzeptiert wurde.
Somit hat die Spaltung der Arbeiterbewegung, die über einen wesentlichen
Stimmanteil in der Bevölkerung verfügten, den Aufstieg der NSDAP mit ermöglicht.
12)
6. Antikapitalismus
6.1. Gründe
Das im vorigen Kapitel genannte Ziel der Nationalsozialisten, eine
Vormachtstellung unter der Arbeiterschaft zu erlangen, war natürlich auch nur mit
entsprechenden Thesen anzuvisieren, die allerdings meist dem Opportunismus der
10)
vgl. Kühnl, S. 90 ff.
11)
vgl. Broszat, S87 ff.
12)
vgl. Aleff, S.26 ff.
7
Partei entsprachen - diese Problematik bezieht sich eigentlich auf das gesamte
Programm der NSDAP.
Die Partei bediente sich der Weltwirtschaftskrise und des riesigen Pools von
Unzufriedenen, die einem industriellen Bereich gegenüberstanden, der durch
starke Konzentration der großen Unternehmen und Kapitalgesellschaften geprägt
wurde.
6.2. Übernahme kommunistischer Forderungen
Die NSDAP bediente sich meist kopierter Stilmittel der Kommunisten, wie auch
bereits der Parteiname zeigte, der sie als nationale sozialistische Arbeiterpartei
tarnen sollte.
Der kleinbürgerliche Antikapitalismus wurde bereits 1920 im Münchener
Parteiprogramm formuliert und beinhaltete nur antikapitalistische Tendenzen.
Demgegenüber stand ein kommunstischer Antrag von 1925 auf Enteignung von
Fürstenvermögen, welches von der NSDAP unterstützt wurde.
Der 1934 ermordetet Gregor Strasser und auch Joseph Goebbels traten sogar für
ein antikapitalistisches Bündnis mit der Sowjetunion ein. Natürlich kam es nicht
dazu, denn die Partei suchte und fand ihr Heil in der konservativen und nationalen
Rechten. 13)
7. Erkenntnis
Das Phänomen des Nationalsozialismus ist angesichts der vorhergehenden
Systematik nicht leicht zu erklären.
Es erscheint wenig tröstlich, daß der Faschismus eine weit über Deutschland
hinausreichende Epochenerscheinung darstellt.
Die faschischtische Bewegung beinhaltete eine Weltanschauung, die als
wissenschaftlich lächerlich einzustufen ist.
Sie schuf sich aus jedem Zeitalter ein romantisches Abbild und versuchte ihren
Totalitarismus geschickt zu verdecken.
Carl Joachim Friedrich hat eine gewisse Systematik in die Totalitarismustheorien
gebracht; zugrunde liegen sechs Merkmale:
1. Eine "offizielle Ideologie", die "einen Endzustand der Menschheit ein Paradies
auf Erden, proklamiert".
2. Eine "Massenpartei, die im alleinigen Besitz der formellen Herrschaft ist",
hierarchisch aufgebaut ist und in der Regel von seinem Diktator geführt wird.
3. Die "terroristische Geheimpolizei", die die nachweisbaren Feinde des Regimes,
aber auch eigenmächtig ausgewählte Bevölkerungsgruppen bekämpft.
4. "Das nahezu vollkommene Monopol aller Nachrichtenmittel in der Hand der
Partei und ihrer Kader."
5. Das "fast vollkommene Waffenmonopol" des Staates.
6. "Die zentrale Lenkung und Beherrschung der gesamten Wirtschaft...durch eine
bürokratische Gleichschaltung aller vorher unabhängigen Wirtschaftskörper." 14)
Durch eine Analyse und Systematisierung des Faschismus und totalitärer Systeme
kann die begrenzte zeitgeschichtliche Betrachtung überwunden werden.
13)
Timothy W. Mason: Sozialpolitik im Dritten Reich, Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft,
Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1977, S.48 ff.
14)
vgl. Kühnl, S.123
8
Literaturverzeichnis:
Hrsg. Friedrich Schultes: Das Abitur-Wissen Geschichte, Fischer Taschenbuch
Verlag GmbH, 2.Auflage, Frankfurt am Main 1979
Reinhard Kühnl: Faschismustheorien. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH
Reinbeck bei Hamburg 1979, S.9
Wolfgang Scheffler: Judenverfolgung im Dritten Reich. Landeszentrale für
politische Bildungsarbeit Berlin in Verbindung mit dem Fachbereich Politische
Wissenschaft der FU Berlin, Colloquium Verlag Berlin
Timothy W. Mason: Sozialpolitik im Dritten Reich, Arbeiterklasse und
Volksgemeinschaft, Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1977
Norbert Frei: Der Führerstaat, Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945.
Deutsche Taschenbuch Verlag Gmbh & Co. KG., 3.Auflage München 1993
Martin Broszat: Der Staat Hitlers, dtv-Weltgeschichte des 20.Jahrhunderts,
Deutsche Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG., 12.Auflage München 1989
Karl-Dietrich Bracher: Adolf Hitler. Archiv der Weltgeschichte, Scherz Verlag 1964,
Bern/München/Wien
Hrsg. Wolfgang Michalka: Das Dritte Reich. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH
& Co. KG., München 1985
Hrsg. Eberhard Aleff: Das 3.Reich. Fackelträger-Verlag, 17.Auflage, 1970 Hannover
9
totalitärer Staat (Knaurs Lexikon)
Staatsform, deren Wesensform die Allmacht des Staates ist; Herrschaft einer
Partei, einer einzigen pol. (Welt-Anschauung; intolerantes Wertesystem; Verbot und
Verfolgung anderer pol. Anschauungen; Polizeistaat anstatt Rechtsstaat; zentrale
Lenkung in Wirtschaft und Gesellschaft. Nationalsozialismus, Faschismus.pol. u.
soz. Bewegung, die sich auf die von Hitler geführte Nationalsozialistische Deutsche
Arbeiterpartei (NSDAP) stützte; Putschversuch 9. 11. 1923 in München. Verbot der
Partei in Bayern, Festsetzung Hitlers in Landsberg; Neugründung der Partei Febr.
1925 (1925: 27 000, 1933: 4 Millionen Mitglieder). - Reichstagssitze: 1928 = 12, 1930
= 107, Sommer 1932 = 230, aber 6. 11. 1932 nur 196. - durch d. Gesetz über die
Einheit von Partei u. Staat vom 29. 3. 1935 wurde der Staat völlig der Partei
ausgeliefert. - Aufbau u. Gliederung: Weitere Gliederung: Kreise, Ortsgruppen,
Zellen, Blocks. Gliederungen: SA, SS, Hitlerjugend (HJ), NS-Dt. Studentenbund, NS-
Frauenschaft, NS-Kraftfahrkorps (NSKK), NS-Betriebszellen-Organisation (NSBO),
Rassenpolititsches Amt u. a.; dazu die durch "Gleichschaltung" angeschlossenen
Verbände: Deutsche Arbeitsfront, DAF, m. NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude",
KdF, NS-Berufsverbände u. a.,
Faschismus als Totalitarismus (Kühnl S.122)
Mit dem faschistischen Herrschaftssystem befassen sich die
Totalitarismustheorien, die besonders in den fünfziger Jahren in der
wissenschaftlichen wie auch in der politischen Diskussion sehr einflußreich waren.
Der Begrifflichkeit nach knüpfen sie an das Selbstverständnis des Faschismus an,
der in Italien sein eigenes System als stato totalitario kennzeichnete; die deutsche
reaktionäre Staatsrechtslehre, die dann in den Faschismus mündete, entwickelte
seit 1932 in Anlehnung an dieses Konzept die Lehre vom "totalen Staat", der sich
als Abkehr vom liberalen Staat verstand. Inhaltlich aber nehmen die
Totalitarismustheorien ein Konzept auf, das schon nach 1917 als Kampfmittel
gegen die Russische Revolution entwickelt wurde, nämlich die Gegenüberstellung
von Demokratie und Diktatur, die heute noch sehr populär ist.
Demokratie sei gekennzeichnet durch eine Vielzahl miteinander konkurrierender
Meinungen, Interessen, Gruppen und Parteien, also durch Pluralismus, während
Diktatur durch die Herrschaft einer Partei oder Ideologie gekennzeichnet sei.
Besonders einflußreich für dies ideologische Strömung wurde die Schrift des
sozialdemokratischen Theoretikers Karl Kautsky über "Die Diktatur des
Proletariats" von 1918. In der Weimarer Republik wie auch nach 1933 wurde von
sozialdemokratischer Seite oft in dieser Weise argumentiert, und von liberalen und
konservativen Kräften wurde diese Argumentation aufgegriffen - und oft genug
gegen die Sozialdemokraten selbst gewandt: Die Kommunisten seien den
Faschisten im Prinzip wesensgleich, da auch sie die Abschaffung der
parlamentarischen Demokratie und die Errichtung einer Diktatur erstreben.


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