Der Text wird zweimal in normalem Lesetempo deutlich, aber ohne übertriebene Intonation vorgelesen. Danach erst dürfen die Prüflinge die Aufgaben zum Inhaltsverständnis bearbeiten.
100 Jahre Frauen bei der Polizei
Polizisten waren in Deutschland Jahrhunderte lang Männer. Polizistinnen galten früher als genauso wenig vorstellbar wie Männer als Krankenschwestern. Und wenn auch schon vor hundert Jahren Henriette Arendts als die erste Frau bei der Stadt Stuttgart ihren Dienst als Polizeiassistentin antrat, so waren doch bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein Frauen im Polizeidienst seltene Ausnahmen. „Als wir anfingen, gab es in jeder Polizeistation lediglich eine Frau“, erinnerte sich die ehemalige Polizistin und Schriftstellerin Annegret Held bei einer Tagung in Münster, die das Thema hatte: „100 Jahre Frauen in der deutschen Polizei“.
Inzwischen ist der Polizeidienst aber keine reine Männersache mehr. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen sind mehr als 40 Prozent der neuen Polizisten weiblich. „Die Integration der Frau in die Polizei ist gelungen“, sagte Ulrich Lepper, ein Vertreter des Innenministeriums, in Münster. „Und mehr noch: Die Atmosphäre in den Polizeistationen hat sich durch die Kolleginnen ganz wesentlich verbessert. Polizistinnen haben sehr dazu beigetragen, dass die Arbeit der Polizei in der Bevölkerung stärker anerkannt wird und dass sich Menschen gegenüber der Polizei weniger aggressiv verhalten. Vielleicht wenden sich auch viele Menschen mit Fragen oder Bitten lieber an eine Polizistin als an einen Polizisten.“
Nur einen Bereich haben sich die Männer in der Polizei bislang vorbehalten: Die Sondereinsatzkommandos (SEK), die die gefährlichsten polizeilichen Aufgaben durchführen. „Und in der Führung der Polizei sind auch nur selten Frauen zu finden“, musste Ministeriumssprecher Lepper zugeben.
Nachdem noch in den 20er Jahren weibliche Polizeibeamte in erster Linie Kinder, Jugendliche und Frauen betreuten, arbeiten Polizistinnen inzwischen in allen polizeilichen Tätigkeitsbereichen. Dazu gehören natürlich auch die eher langweiligen Arbeiten wie der Schutz von Personen und Gebäuden oder auch unangenehme Aufgaben wie das Entkleiden von hilflosen oder verletzten Personen. Auch der anstrengende Schichtdienst, also der von Woche zu Woche wechselnde Einsatz am Tag, am Abend oder in der Nacht, ist für die weiblichen Polizeibeamten ebenso selbstverständlich wie die vielen Überstunden. Aber trotzdem scheinen die meisten Polizistinnen mit ihrer Arbeit und mit ihren männlichen Kollegen ganz zufrieden zu sein. „Ich würde es wieder so machen“, sagte die Bielefelder Kriminalkommissarin Gudrun Arntzen, die nach jahrzehntelangem Dienst in den Ruhestand gegangen ist.
Natürlich habe es Probleme mit Männern gegeben, allerdings existierten die unter Frauen auch. „Man soll nicht immer nur die Einzelfälle erwähnen, um zu beweisen, dass die Zusammenarbeit von Frauen und Männern bei der Polizei schwierig ist“, fordert die Polizei-wachtmeisterin Sylvia Rehwoldt aus Greven. Und die frühere Beamtin Annegret Held gab den Kollegen und Kolleginnen diesen Rat mit auf den Weg: „Hört einfach auf, nächtelang im Polizeiauto darüber zu diskutieren, ob es gut oder schlecht ist, dass Frauen bei der Polizei sind. Wir leben nicht mehr im vorigen Jahrhundert!“
Dass sie die von vielen Kolleginnen als absolut unmodisch und unweiblich empfundene Polizeiuniform schließlich für immer ausgezogen habe, habe viele Gründe gehabt. „Böse Kollegen in der Dienstgruppe waren nicht der Grund“, sagte Annegret Held. „Die waren manchmal richtig nett gewesen.“ Das hätte Deutschlands erste Polizistin Henriette Arendts sicherlich auch gerne gesagt. Sie kündigte nämlich schon nach wenigen Jahren, weil sie damals von ihren männlichen Kollegen in ihrer Rolle als Polizistin noch nicht ernst genommen wurde.
(Quelle: Süddeutsche Zeitung, 12.2.2003 - zu Prüfungszwecken bearbeitet)
ARBEITSZEIT: 25 MINUTEN
Verstehendes Aufnehmen eines gehörten Textes (HV)
Deutsches Sprachdiplom der KMK, Stufe II, Frühjahr 2005, Seite 1 von 2