Obraz5 (34)

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Auge und Ohr aus einer Freude zur Qual verhexenden . Kopfweh, oder jene Tage des Seelensterbens, jene argen Tage der inneren Leere und Verzweiflung, an denen uns, inmitten der zerstórten und von Aktiengesellschaften aus-gesogencn Erde, die Menschenwelt sogenannte Kultur in ihrem verlogenen und gemeinen blecherncn Jahrmarkts-glanz auf Schritt und Tritt wie ein Brechmittel entgegen-grinst, konzentriert und zum Gipfel der Unleidlichkeit ge-trieben im eigenen kranken Ich - wer jene Hóllentage ge-schmeckt hat, der ist mit solchen Normal- und Halbund-halbtagen gleich dem heutigen sehr zufrieden, dankbar sitzt er am warmen Ofen, dankbar stellt er beim Lesen des Mor-genblattes fest, dafi auch heute wieder kein Krieg ausgebro-chen, keine neue Diktatur errichtet, keine besonders krasse Schweinerei in Politik und Wirtschaft aufgedeckt worden ist, dankbar stimmt er die Saiten seiner yerrosteten Leier zu einem gemafiigten, einem leidlich frohen, einem nahezu vergnugten Dankpsałm, mit dem er seinen stillen, sanften, etwas mit Brom betaubten Zufriedenheitshalbundhalbgott langweilt, und in der laudicken Luft dieser zufriedenen Langeweile, dieser sehr dankenswerten Schmerzlosigkeit sehen die beiden, der ode nickende Halbundhalbgott und der leicht angegraute, den gedampften Psalm singende Halbundhalbmensch, eirander wie Zwillinge ahnlich.

Es ist eine schóne Sache um die Zufriedenheit, um die Schmerzlosigkeit, um diese ertraglichen geduckten Tage, wo weder Schmerz noch Lust zu schreien wagt, wo alles nur flustert und auf Zehen schleicht. Nur steht es mit mir leider so, dafi ich gerade diese Zufriedenheit gar nicht gut ver-trage, dafi sie mir nach kurzer Dauer unausstehlich verhaflt und ekelhaft wird und ich mich verzweiflungsvoll in andre Temperaturen fluchten mufi, womóglich auf dem Wege der Lustgefuhle, nótigenfalls aber auch auf dem Wege der Schmerzen. Wenn ich eine Weile ohne Lust und ohne Schmerz war und die laue, fade Ertraglichkeit sogenannter guter Tage geatmet habe, dann wird mir in meiner kindi-schen Seele so windig weh und elend, dafi ich die verrostete Dankbarkeitsleier dem schlafrigen Zufriedenheitsgott ins zufriedene Gesicht schmeifie und lieber einen rechten teuf-lischen Schmerz in mir brennen fiihle ais diese bekómmli-che Zimmertemperatur. Es brennt alsdann in mir eine wildc

Bcgierde nach starken Gefiihlen, nach Sensationen, eine Wm auf dies abgetónte, flachę, normierte und sterilisierte la-bcn und eine rasende Lust, irgend etwas kaputt zu schla-gen, etwa ein Warenhaus oder eine Kathedrale oder mich selbst, verwegene Dummheiten zu begehen, ein paar ver-clirien Gotzen die Periicken abzureifien, ein paar rebelli-he Schulbuben mit der ersehnten Fahrkarte nach Hamburg auszuriisten, ein kleines Madchen zu verfiihren oder < Inigen Vertretern der biirgerlichen Weltordnung das Ge-sicht ins Genick zu drehen. Denn dies hafite, verabscheute und verfluchte ich von allem doch am innigsten: diese Zu-frlcdenheit, diese Gesundheit, Behaglichkeit, diesen ge-pllegten Optimismus des Biirgers, diese fette gedeihliche Zucht des Mittelmafiigen, Normalen, Durchschnittlichen.

In solcher Stimmung also beschloG ich diesen leidlichen Dutzendtag bei einbrechender Dunkelheit. Ich beschloG Ihn nicht auf die fur einen etwas leidenden Mann normale und bekómmliche Weise, indem ich mich von dem bereit-uchenden und mit einer Warmflasche ais Koder versehe-nen Bett einfangen heG, sondern indem ich unbefriedigt und angeekelt von meinem biGchen Tagwerk voll MiGmut ineine Schuhe anzog, in den Mantel schliipfte und mich bei l insternis und Nebel in die Stadt begab, um im Gasthaus /.um Stahlhelm das zu trinken, was trinkende Manner nach einer alten Konvention „ein Glaschen Wein“ nennen.

So stieg ich derm die Treppe von meiner Mansardę hinab, diese schwer zu steigenden Treppen der Fremde, diese durch und durch biirgerlichen, gebursteten, sauberen Treppen eines hochanstandigen Dreifamilienmiethauses, in des-Nen Dach ich meine Klause habe. Ich weiG nicht. wie das /.ugeht, aber ich, der heitnatlose Steppenwolf und einsame I iasser der kleinburgerlichen Welt, ich wohne immerzu in richtigen Biirgerhausern, das ist eine alte Sentimentalitat v< in mir. Ich wohne weder in Palasten noch in Proletarier-hausem, sondern ausgerechnet stets in diesen hochanstandigen, hochlangweiligen, tadellos gehaltenen Kleinburger-nestern, wo es nach etwas Terpentin und etwas Seife riecht und wo man erschrickt, wenn man einmal die Haustiir laut Ins SchloG hat fallen lassen oder mit schmutzigen Schuhen hereinkommt. Ich liebe diese Atmosphare ohne Zweifel aus meinen Kinderzeiten her, und meine heimliche Sehnsucht

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