73639 Obraz2 (12)

73639 Obraz2 (12)



ten, was ich iibrigens bestreite, durften Sie sich doch nicht so krafi ausdriicken."

„Da haben Sie recht“ gab ich zu. „Es ist leider eine Ge-wohnheit, ein Laster von mir, mich immer fur den móg-lichst krassen Ausdruck zu entscheiden, was iibrigens Goethe in seinen guten Stunden auch getan hat. Dieser siiGe spieBige Salongoethc freilich hatte nie einen krassen, einen echten, unmittelbaren Ausdruck gebraucht. Ich bitte Sie und Ihre Frau sehr um Entschuldigung - sagen Sie ihr bitte, daG ich Schizophrene bin. Und zugleich bitte ich um Erlaubnis, mich empfehlen zu diirfen.

Der betretene Herr erhob zwar noch einige Einwande, kam auch wieder darauf zu sprechen, wie schón und anregend unsre einstigen Unterredungen gewesen seien, ja, daG meine Vermutungen iiber Mithras und Krischna ihm da-mals tiefen Eindruck gemacht hatten und daG er gehofft habe, auch heute wieder . .. und so weiter. Ich dankte ihm und sagte, daG dies sehr freundliche Worte seien, daG aber leider mein Interesse fur Krischna ebenso wie meine Lust zu wissenschaftlichen Gesprachen ganz und gar geschwun-den sei, daG ich ihn heute mehrmals angelogen habe, so sei ich zum Beispiel nicht seit einigen Tagen hier in der Stadt, sondcrn seit vielen Monaten, lebe aber fur mich allein und sei nicht mehr fiir den Verkehr in besseren Hausem geeig-net, denn erstens sei ich stets sehr schlechter Laune und mit Gicht behaftet und zweitens meistens betrunken. Fer-ner, um reinen Tisch zu schaffen und wenigstens nicht ais Liigner wegzugehen, miisśe ich dem verehrten Herrn erkla-ren, daG er mich heute recht sehr beleidigt habe. Er habe sich jene dumme, stiernackige, eines beschaftigungslosen Offiziers, nicht aber eines Gelehrten wurdige Stellung eines reaktionaren Blattes zu Hallers Meinungen zu eigen gemacht. Dieser „Bursche" und vaterlandslose Geselle Haller aber sei ich selber, und es stiinde besser um unser Land und um die Welt, wenn wenigstens die paar dcnkfahigen Men-schen sich zur Vernunft und Friedensliebe bekennten, statt blind und besessen auf einen neuen Krieg loszusteuem. So, und damit Gott befohlen.

Und so erhob ich mich, nahm Abschied von Goethe und dem Professor, riG drauGcn meine Sachen vom Kleiderha-ken und lief davon. Laut heulte in meiner Seele der scha-denfrohe Wolf, ein gewaltiges Theater fand zwischen den heiden Harrys statt. Denn, das war mir sofort klar, diese un-erąuickliche Abendstunde hattc fur mich viel mehr Bedeu-tung ais fur den indignierten Professor; fur ihn war sie eine Enttauschung und ein kleines Argernis, fiir mich aber war sie ein letztes Mifilingcn und Davonlaufen, war mein Ab-schied von der biirgerlichen, der moralischen, der gelehrten Welt, war ein vollkommener Sieg des Steppenwolfes. Und es war ein Abschiednehmen ais Fluchtling und Besiegter, eine Bankrotterklarung vor mir selber, ein Abschied ohne Trost, ohne Humor. Ich hatte von meiner ehemaligen Welt und Heimat, von Biirgerlichkeit, Sitte, Gelehrsamkeit nicht anders Abschied genommen ais der Mann mit dem Magen-geschwiir vom Schweinebratcn. Wiitcnd lief ich unter den Laternen hin, wutend und todestraurig. Was war das fiir em trostloser, beschamender, boser Tag gewesen, vom Morgen bis zum Abend, vom Friedhof bis zur Szene beim Professor! Wozu? Warum? Hatte es einen Sinn, noch mehr solche Tage auf sich zu laden, noch mehr solche Suppen auszufres-sen? Nein! Und so wiirde ich denn heut nacht der Komódie ein Ende machen. Geh heim, Harry, und schneide dir die Kehle durch! Lang genug hast du damit gewartet.

Hin und her lief ich durch die Strafien, vom Elend geritten. Natiirlich war es dumm von mir gewesen, den guten Leuten ihren Salonschmuck zu bespucken, es war dumm und unar-tig, aber ich konnte und konnte nun einmal nicht anders, ich konnte dies zahme, verlogene, artige Leben nicht mehr ertragen. Und da ich, wie es schien, auch die Einsamkeit nicht mehr ertragen konnte, da auch meine eigene Gesell-, schaft mir so unsaglich verhafit und zum Ekel geworden war, da ich im luftleeren Raum meiner Hólle erstickend um mich schlug, was gab es da noch fiir einen Ausweg? Es gab keinen. O Vater und Mutter, o ferne heilige Feuer meiner Jugend, o ihr tausend Freuden, Arbeiten und Ziele meines Lebens! Nichts von allem war mir geblieben, nicht einmal Reue, nur Ekel und Schmerz. Nie, so schien mir, hatte das blofie Lebenmussen so weg getan wie in dieser Stunde.

In einer trostlosen Vorstadtkneipe ruhte ich einen Augen-blick aus, trank Wasser und Kognak, lief wieder weiter, vom Teufel gejagt, die stcilen krummen Gassen der Altstadt hin-auf und hinab, durch die Alleen, iiber den Bahnhofsplatz.

59


Wyszukiwarka

Podobne podstrony:
Nowy 12 (6) JU Sygnały i ich parametry Szum nazywa się białym, jeśli jego Pxx(f) jest stałe i nie za
Obraz0 (12) 76 LOSY PASIERBÓW W oczach obu czaiła się podejrzliwość i groźba. W pewnej chwili Anank
Obraz2 (12) LXVIII DZIEJE TWÓRCZOŚCI POETYCKIEJ i czarnego. Pojawiają się jednak teraz i inne układ
Obraz2 (6) „Ja", gab ich zu, „es ist mir seit Jahren nicht so gut gegan-gen. Das kommi alles v
75248 obraz1 (12) Drugie narodziny są oczywiście natury duchowej, a późniejsze teksty kTadą nacisk
Obraz (12) Integracja i syntonia w relacji rodzina-szkolą szkoły ze środowiskiem. Ten ostatni styl p

więcej podobnych podstron