Gloria Bevan
Zu jung für die Liebe?
Völlig verzweifelt ist die sanfte Maggie, als sie entdeckt, daß ihr Verlobter sie mit ihrer Freundin betrügt. In ihrem Kummer reist Maggie mit ihrem treuen Pferd Peter auf die weit entfernte neuseeländische Farm Te Rangi, um dort als Haushälterin zu arbeiten. Aber der Empfang durch ihren neuen Boss John ist frostig. Er macht ihr verletzend klar, daß er sie für viel zu jung hält, um den Job zu meistern. Maggie ist empört. Wie kann ein Mann nur so anmaßend sein! Spontan will sie abreisen. Doch da wird sie bei einem Erdbeben verletzt und braucht Hilfe. Erstmals zeigt John, daß er unter seiner rauhen Schale ein warmes Herz besitzt, denn er pflegt Maggie liebevoll. Schon bald sehnt er sich danach, das zauberhafte junge Mädchen mit seinen Küssen zu verwöhnen. Maggie genießt seine Zärtlichkeiten und träumt vom ganz großen Glück. Doch eines Tages steht ihr Ex-Verlobter vor der Tür und möchte sie zurückerobern! Zu jung für die Liebe?
1. KAPITEL
Als Maggies Blick auf den hochgewachsenen Mann fiel, der im Türrahmen des ländlichen Hotels lehnte und sie lässig beobachtete, fühlte sie sich beunruhigt. Ihr war, als erwachte sie nach einer langen Zeit wieder zum Leben. Doch schon im nächsten Moment sagte sie sich, daß die lange Autofahrt sie sicherlich überanstrengt hatte und ihre Gedanken sich deshalb verwirrten.
Als sich der Fremde ihrem Tisch mit langen Schritten näherte, drückte sie hastig ihre Zigarette aus und hob schnell die Kaffeetasse an die Lippen. Wenn er etwa dachte, daß sie sich einsam fühlte, und ihren Blick als Einladung auffaßte, dann ...
„Verzeihung." Er blieb vor ihr stehen, und sie blickte in sein markantes Gesicht: ein wohlgeformter Mund, ein tiefes Grübchen und ein Paar Augen, die faszinierend blau in seinem sonnengebräunten Gesicht leuchteten. Es waren die eisigsten Augen, denen ihr Blick je begegnet war. Der Mann starrte sie an. Was wollte er eigentlich von ihr?
Da überzog ein Grinsen sein Gesicht. Mit einem Schlage sah er sympathischer aus, weniger ernst und bedrohlich.
„Hier kommen selten Fremde her", sagte er mit tiefer Stimme. „Vermutlich gehört Ihnen der blaue Lieferwagen dort draußen?" Er wies mit seinem Kopf auf die offenstehende Tür.
„Ja, das ist meiner, aber ..." Ein Ausdruck der Bestürzung trat in Maggies große dunkle Augen. „Es ist doch nicht ..."
Der Bedford war doch nicht etwa kaputt? Alt und mitgenommen wirkte er ja schon, aber immerhin war es ihr einziges Transportmittel, und sie wollte heute abend noch Te Rangi erreichen. In spätestens zwei Stunden mußte sie bei Mrs. Barrington sein, sonst würde der Posten der Haushälterin, für den sie sich telefonisch angemeldet hatte, womöglich anderweitig vergeben. Die Gedanken überstürzten sich in Maggies Kopf.
„Machen Sie sich keine Sorgen!" Seine tiefe Stimme wirkte beruhigend. „Der Lieferwagen steht nur ein bißchen im Wege. Ich hätte Sie überhaupt nicht damit belästigt, aber ich muß mich unbedingt auf den Heimweg machen, weil ich noch eine Verabredung habe!" Damit setzte er sich Maggie gegenüber. Maggie spürte, daß ihr Herz schneller schlug.
„Geben Sie mir die Schlüssel, dann fahre ich ihn auf die Hauptstraße vors Hotel. Sie können inzwischen in Ruhe Ihren Kaffee zu Ende trinken."
„Ich bin schon fertig." Maggie war völlig durcheinander. Sie griff nach ihren Zigaretten, hängte sich die Wildledertasche über die Schulter und stand abrupt auf.
„Sind Sie sicher?" Auch er erhob sich. „Ich wollte Sie nicht belästigen."
Maggie wunderte sich über den Ausdruck der Bestürzung in seinen Augen. Dieser Fremde konnte also auch rücksichtsvoll sein. Und doch wurde sie in seiner Gegenwart unsicher. Dabei war sie so sicher gewesen, daß sie überhaupt nichts erschüttern konnte.
Maggie ging zur Kasse, um bei der freundlichen Maori-Kellnerin zu bezahlen. Dann traten sie vor das Hotel, und sogleich umfing sie die ländliche Stille und die abendliche Dämmerung. Scharf hoben sich die mit Sträuchern bewachsenen Hügel gegen die Glut des prachtvollen Sonnenunterganges ab. Die strahlenden Farben mischten sich mit dem klaren Blau des Himmels.
Jetzt erst entdeckte Maggie, daß ihr Lieferwagen tatsächlich so geparkt war, daß er jedem anderen Fahrzeug im Wege stehen mußte. Wie konnte sie den Bedford nur so gedankenlos abstellen? Zum Glück war es anderen Fahrern gelungen, mit einiger Mühe an dem Wagen vorbeizukommen. Nur einem Landrover, der mit einer dicken Staubschicht bedeckt war, hatte sie völlig den Weg verstellt. Wer wohl sein Eigentümer war?
Einige Lastwagen und Privatautos hatten dicht neben ihrem Bedford geparkt, und die Fahrer saßen jetzt bei einem Gläschen an der Bar. Es würde also nicht leicht für sie sein, den alten Lieferwagen aus diesem Labyrinth auf die Landstraße zu manövrieren. Aber sie mußte es einfach schaffen!
Der große, schlaksige Mann an ihrer Seite schien ihre Gedanken erraten zu haben.
„Die Schlüssel?" Er streckte seine schlanke Hand aus. „Ich werde ihn für Sie auf die Straße fahren."
Maggie hatte auf einmal das verrückte Bedürfnis, ihm widersprechen zu müssen. „Schon gut, ich kann es selbst tun, danke", sagte sie schnell.
Er schwieg, und sie bemerkte sehr wohl seinen zweifelnden Gesichtsausdruck. Sie würde es ihm schon zeigen, daß sie mit dem alten Lieferwagen genauso gut fertig werden würde wie ein Mann! Schließlich fuhr sie viel, und sie war schon oft in ähnlich verzwickten Situationen gewesen. So manches Mal hatte sie bei Pferdeturnieren auf dem Lande ihren Weg über steile, morastige Hänge finden müssen!
Heute schien jedoch etwas in sie gefahren zu sein, das ihre kühle Handlungsfähigkeit bremste. Lag das etwa an dem Fremden, der ihr amüsiert und zugleich spöttisch zusah? Oder hatte die lange Fahrt sie so sehr ermüdet? Jedenfalls schlug sie das Steuer zu weit ein und hatte große Mühe, wieder in die ursprüngliche Position zu gelangen. Sie versuchte es noch einmal. Sie mußte es doch schaffen, endlich an den verstaubten Rädern eines Studebakers und eines Chevrolets vorbeizukommen. Dabei wäre sie um ein Haar auf einen funkelnagelneuen Wagen aufgefahren!
Sie war einfach nervös. So kam sie immer weiter davon ab, endlich aus dieser Parklücke herauszufinden. In ihrer Verwirrung verlor sie völlig ihr Selbstbewußtsein und spürte, wie dumpfe Verzweiflung in ihr aufstieg. Sie bemühte sich noch einmal, den Lieferwagen wieder gerade hinzustellen, ehe sie einen neuen Versuch unternahm, aus der Enge herauszukommen. Bums! Krach! Sie wußte nur zu gut, was diese Geräusche bedeuteten.
Maggie wagte zunächst nicht, über die Schulter zurückzublicken. Als sie es doch tat, erblickte sie genau das, was sie befürchtet hatte: Sie war auf den Landrover aufgefahren! Ärgerlich stellte sie fest, daß ihr leichter Bedford den größten Schaden abbekommen hatte. Das war alles seine Schuld! Wenn er doch blpß nicht so dastehen und sie ungerührt betrachten wollte!
Warum tat er denn überhaupt nichts? In ihrer Aufregung vergaß Maggie ganz, daß sie ja seine Hilfe abgelehnt hatte.
Sie stieg aus ihrem Bedford und ging nach hinten. Am Lieferwagen war eine große Beule, und was noch schlimmer war, beim Zusammenstoß hatte sich ihre Stoßstange mit dem Landrover verkeilt! Das würde man nicht so leicht wieder auseinanderbringen können.
„So schlimm, wie es aussieht, ist es gar nicht", sagte in diesem Augenblick der Fremde, indem er sich den Schaden besah. Er wandte sich an Maggie: „Soll ich ..."
Sie hätte heulen mögen und drehte sich schnell um. Hoffentlich hatte er nicht ihr rotes Gesicht und die feuchten Augen bemerkt!
„Ich warte hier", sagte sie leise.
Es gelang ihm, die Fahrzeuge ohne sichtbare Anstrengung zu trennen. Ein kurzes Anspannen seiner muskulösen Arme, und schon war die Sache erledigt. Danach stieg er in den Lieferwagen, setzte ihn mehrfach vor und zurück, und kam so von den geparkten Wagen frei. Er fuhr den Bedford auf die Landstraße und kam zurück zu Maggie.
„Danke." Sie versuchte unbekümmert zu lächeln. „Es sah so leicht aus, den Wagen herauszubekommen. In Zukunft werde ich besser aufpassen", versprach sie. „Jetzt muß ich aber unbedingt weiter", fügte sie mit gequälter Höflichkeit hinzu. „Hoffentlich kommen Sie nicht zu spät zu Ihrer Verabredung!"
Er lehnte seinen Ellenbogen auf ihren Fensterrahmen und grinste sie an: „Vielleicht hab ich Glück, und sie wartet auf mich."
Maggie strich sich die dunklen Haarsträhnen aus ihrer feuchten Stirn und legte den Gang ein. Sie? Es war ja wohl ganz absurd, daß sie bei diesem Wort einen leisen Stich spürte! Als ob es für sie wichtig wäre, mit wem dieser Mensch verabredet war!
„Passen Sie gut auf sich auf!" Er blickte ihr nach, während sie die staubige Landstraße entlang durch die kleine Ortschaft fuhr. Im verschmutzten Rückspiegel sah sie ihn noch lange dort stehen.
Schließlich fuhr sie in eine Kurve, und er entschwand ihren Blicken. Seltsam, wie er sich in ihr Leben gedrängt hatte. Erst war sie auf ihn aufmerksam geworden, dann hatte er sie interessiert, und schließlich war es ihm sogar gelungen, sie so nervös zu machen, daß ihre ganze Geschicklichkeit im Autofahren flötenging. Dabei war sie seit zwei Jahren so sicher gewesen, daß derlei Unsinn sie gar nicht mehr verwirren konnte.
Zwei Jahre war es her, daß ihr damaliger Verlobter, Colin, und ihre beste Freundin zusammen bei ihr auftauchten. Ihre Enthüllungen machten die Ahnungen, die sie schon seit Wochen gehabt hatte, zur Gewißheit.
Colin war seit langem merkwürdig zurückhaltend, wenn Maggie von der bevorstehenden Hochzeit sprach, und ihre Freundin Andrea hatte plötzlich ganz dazu geschwiegen.
Plötzlich erinnerte sie sich an Colins gerötetes Gesicht. Er hatte immer sehr viel gelacht und Witze gemacht. Später fragte sie sich, ob diese Scherze vielleicht nur eine Art Abwehr gewesen waren, um seine innere Unsicherheit zu verbergen, wenn er mit den beiden Freundinnen zusammen war. Andrea war Australierin, damals nur auf Besuch in Neuseeland, dunkelhaarig, lebhaft und sehr hübsch. Andrea verschwieg so manches, was sie Maggie besser hätte anvertrauen sollen. Statt dessen wiegte sich Maggie noch in heiteren Zukunftsträumen und trug den Diamantring am Finger, der schon längst eine einzige glitzernde Lüge war.
Sobald die Situation dann geklärt war, hatten sich die Dinge fast überstürzt. Colin hatte sich längst ohne ihr Wissen eine Stellung bei einer Rechtsanwaltspraxis in Australien besorgt. In drei Wochen schon flogen Andrea und er nach Sydney. Sie wollten dort heiraten, wo Andrea geboren war. Maggie wußte nicht, wie sie das Ganze hätte ertragen sollen, wenn die beiden nicht abgereist wären.
Sie schaltete das Licht ein und folgte den Scheinwerferkegeln, die über die rauhe Oberfläche der Landstraße glitten. Ihre Gedanken waren weit weg. Nie mehr wollte sie einen Verlobungsring tragen! Sie hatte ihre Lektion bekommen, und die hatte ihr nur Leid und Elend gebracht. Weshalb sollte sie es noch einmal riskieren, so maßlos enttäuscht zu werden? Am schmerzlichsten war es für sie gewesen, so abgeschoben zu werden. Das hatte ihre Selbstachtung schwer angeschlagen!
Jetzt war sie jedoch endlich darüber hinweg. Sie hatte wieder Geschmack an den Freuden des Lebens gefunden. Wenn man nur aktiv genug war, konnte man so manches vergessen und überwinden. An Wochentagen arbeitete sie als Sekretärin in einem Rechtsanwaltsbüro. Die frühen Morgenstunden und die Wochenenden waren mit der Pflege und dem Training ihres kastanienbraunen Wallachs Pete ausgefüllt. Sie mußte für Petes Platz auf der Weide Miete bezahlen. Kraftfutter, der Tierarzt und die Gebühren bei den Pferdeschauen kosteten ebenfalls eine ganze Menge. Aber Pete war jeden Cent wert, den sie für ihn ausgab.
Pete stammte aus ihrer Heimatstadt, das letzte Bindeglied an ihr Elternhaus, eine große Schaffarm an der Ostküste, wo sie als Jüngste mit ihren Brüdern zusammen aufgewachsen war. Von Anfang an war er ein vielversprechendes Jagdpferd, ein richtiger Muskelprotz mit einer wirren, braunen Mähne und einem gutmütigen Charakter. Maggie gewann mit ihm eine ganze Reihe von Trophäen, Bändern und Silberpokalen.
Inzwischen hatten ihre Eltern die Schaffarm verkauft und sich zuletzt in Gisborne niedergelassen. Mit zwanzig Jahren konnte Maggie ja schließlich auch allein zurechtkommen, nicht wahr?
So war es auch, bis eines Tages ausgerechnet ein gewisser Colin Ames aus Australien zurückkam, um als Juniorpartner in die Rechtsanwaltspraxis einzutreten!
Maggie besprach sich mit ihrem Arbeitgeber, und sie einigten sich auf eine Woche Kündigungszeit. Maggie hatte Pete als Kündigungsgrund vorgeschoben. Sie hatte ihrem Chef erklärt, daß es für Pete besser wäre, wenn sie aufs Land gingen, und da er wußte, wie sehr sie an dem Pferd hing, hatte er sofort eingewilligt und ihr viel Glück gewünscht.
Als Maggie an jenem Abend nach Hause kam, hatte sie keinen Appetit. Mit ihrer Kündigung hatte sie alle Brücken hinter sich abgebrochen. Es gab kein Zurück mehr. Aber sie bereute ihren Entschluß nicht. Siefwollte ihrem Exverlobten auf keinen Fall begegnen. Vielleicht war es feige, so zu handeln. Doch die Aussicht, Andrea und Colin wiederzusehen, hatte sie in Panik versetzt und sie zu diesem Entschluß getrieben. Selbst wenn sie eine andere Stellung in der Stadt angenommen hätte, wären Begegnungen mit Andrea und Colin kaum zu vermeiden gewesen.
So machte sie sich an jenem Abend zu Hause daran, die Stellenangebote in der Zeitung zu studieren. Da boten sich ja allerhand Möglichkeiten!
Maggies Blick glitt eine Spalte entlang, die die Überschrift Haushälterinnen und Farmgehilfinnen trug. An so eine Beschäftigung hatte sie eigentlich nie ernsthaft gedacht. Und doch, warum eigentlich nicht? Das wäre doch gar keine schlechte Idee. Das Weideproblem für Pete wäre gelöst, und wen interessierte schon ihre Vergangenheit? Noch einmal prüfte sie diese Anzeigen sorgfältig. Es war eine lange Liste. Maggie gewann fast den Eindruck, daß Neuseeland voll von Farmen war, die sich alle verzweifelt um Haushaltshilfen bemühten.
Eine Anzeige fiel ihr sofort ins Auge. Die erste Zeile des Textes war zwar unleserlich, weil Maggie eine Zeitungsseite herausgerissen hatte, um Küchenabfall für Pete darin einzuwickeln, aber das, was sie entziffern konnte, war sehr interessant. Maggie las den Text ein zweites Mal.
... dringend benötigt für eine Schaff arm. Kinderlieb. Vorübergehend. Drei Monate. Allein. Guter Lohn, Kind kein Hindernis. Ab sofort. Telefon Te Rangi 165.
Kind kein Hindernis? Nun, ein Kind hatte Maggie nicht, aber Pete! Wo auch immer sie hingehen würde, Pete mußte mit! Darüber gab es keine Zweifel.
Te Rangi. Wo war das? Maggie kannte sich recht gut aus, besonders auf der nördlichen Insel, aber diesen Namen hatte sie noch nie gehört.
Maggie meldete ein Telefongespräch an. Sie mußte eine Weile warten, bis die Vermittlung zustande gekommen war.
Verschwommene Laute drangen an ihr Ohr. Es hörte sich an wie verhaltenes Lachen. Maggie sagte laut: „Ich rufe wegen der Stellung an, die im Herold annonciert war. Sie suchen eine Haushälterin ..."
„Nein. Das stimmt nicht." Das war eine Mädchenstimme, und Maggie hörte ein Kind kichern. Einen Augenblick später war eine Frau am Apparat: „Hier ist Mrs. Barrington. Rufen Sie wegen der Stellung hier an?"
„Ja!" Maggie schrie förmlich in den Apparat hinein. „Mein Name ist Sullivan, Margaret Sullivan ..."
Die andere Stimme wurde schwächer, doch Maggie konnte sie noch gut verstehen: „Ziemlich abgelegen, wissen Sie ..."
„Ja, ja!" rief sie laut. „Das macht nichts!"
Wieder war eine Störung in der Leitung. Dann sprach Mrs. Barrington wieder: „Also gut, wenn Sie es versuchen wollen ... Ich erwarte Sie bald. Ich kann sie vom Bus in Gisborne abholen."
„Nein!" rief Maggie schnell. „Ich habe ein eigenes Fahr- ' zeug, aber vor Freitag kann ich nicht kommen!"
„Gut. Wir sind fünf Meilen von Gisborne entfernt. Wissen Sie, wo das liegt?"
„Nein. Aber ich werde es schon finden!"
„Gut. Die Straße endet in Te Rangi. Unsere Farm heißt Amberley. Freitag, sagten Sie?"
„Es wird spät werden ..." Maggie merkte, daß die Verbindung unterbrochen war. Sie konnte nur hoffen, daß die Frau am anderen Ende der Leitung ihre letzten Worte noch verstanden hatte. Maggie hatte sich sogleich eine Straßenkarte hergeholt und sofort Gisborne entdeckt.
Es war ganz klein gedruckt. Offenbar ein Farmdistrikt, der an einem Meeresarm der Westküste lag. Te Rangi selbst mußte so klein sein, daß man es auf der Landkarte nicht mehr vermerkt hatte.
In den nächsten vier Tagen hatte Maggie vollauf mit den Vorbereitungen für die Reise zu tun. Mit Petes Transport hatte sie ausgesprochenes Glück. Ein Pferdetransporter brachte Rennpferde in den Norden, und der Fahrer versprach, Maggies Pferd in Te Rangi, das ihm bekannt war, abzuladen.
„Ein Ort, in dem es nur ein Pferd gibt", grinste er, „und jetzt verdoppelt sich die Zahl!"
Ja, es würde ihr ausgezeichnet passen, versicherte sie dem Fahrer des Pferdetransporters.
Die Landstraße schlängelte sich durch sonniges Weideland. Um die Gehöfte herum lagen Obstgärten mit Pfirsich-und Nektarinenbäumen. Auf den weiten grünen Wiesen weideten Schafe mit ihren winzigen Lämmchen. Die Berge verschwammen im fernen Blau. Verkehr gab es hier kaum. Ein paar silbern schimmernde Milchlastwagen fuhren zur Molkerei, die in der Ferne zu sehen war. Auf einmal sah Maggie zwischen den Hügeln einen silbrigen Streifen Meer. Ja, sie näherte sich ihrem Ziel.
Es war schon spät, als sie in Gisborne, einer kleinen Stadt mit einer sauberen breiten Hauptstraße und einer Reihe altmodischer Geschäfte, ankam.
Maggie war tief in Gedanken versunken, und sie hatte gar nicht darauf geachtet, wie viele Meilen sie schon von Gisborne aus zurückgelegt hatte. Nach einer scharfen Kurve tauchte plötzlich ein hölzernes Gatter vor ihr auf. Maggie hielt den Lieferwagen an und ging auf das weißgestrichene Gatter zu. Auf einem verwitterten Schild war Amberley zu lesen. Sie war also an ihrem Ziel!
Maggie öffnete das Gatter, fuhr ihr Fahrzeug hindurch und schloß es sorgfältig wieder. Sie folgte einer frischen Fahrspur auf dem staubigen Weg, und dann sah sie das hölzerne Gehöft, das fast ganz von immergrünen Pflanzen bedeckt war. Die Fenster waren erleuchtet. An der Stirnseite des Hauses brannte eine Laterne.
Maggie bemerkte Nebengebäude, einen Scherschuppen, Scheunen, Garagen. Sie hielt vor der Veranda des langen, niedrigen Hauses. Sie ging die Treppen hinauf und sog den betäubend süßen Jasminduft ein. Ganze Jasmingirlanden hingen von der Veranda herab.
Maggie drückte die Klingel neben der schäbigen Tür und mußte feststellen, daß sie nicht funktionierte. Wahrscheinlich hatten die Kinder dabei ihre Hand im Spiel gehabt. Maggie pochte laut an die Tür und hörte im selben Augenblick Stimmen und unterdrücktes Lachen.
Sie sah durch die Glasscheiben und entdeckte, daß sich jemand näherte, um zu öffnen. Dann stand ein großer Mann mit dunklem Haar in der Türöffnung. Sie konnte gegen das Licht nur seine Silhouette erkennen, doch die ganze Erscheinung kam ihr merkwürdig vertraut vor - der Mann mit dem Landrover!
Ausgerechnet! Maggie war so verwirrt, daß sie völlig idiotisch fragte: „Mrs. Barrington?"
Die erstaunten Augen des Mannes blickten sie belustigt an.
„Ich meine ..." begann sie, schwieg aber sogleich wieder und verwünschte ihre Verwirrung. Sie war doch sonst nicht auf den Mund gefallen! Nicht einmal der Besuch von prominenten Advokaten hatte sie aus dem Gleichgewicht zu bringen vermocht. Was war bloß heute abend mit ihr los? Gewiß brachte sie die Art, mit der er sie betrachtete, so durcheinander.
„Dangerfield", stellte er sich vor. „John Dangerfield. Schade, daß Mrs. Barrington nicht hier ist, aber kommen Sie doch herein!"
Er trat zur Seite, um Maggie in den langen, engen Korridor treten zu lassen. „So schnell hatte ich nicht geglaubt, Sie wiederzusehen." Mit einer Handbewegung forderte er sie auf, den Korridor entlangzugehen. „Pech mit dem Wagen, hm? Was ist denn jetzt damit los? Kein Benzin mehr? Keine Angst. Ich habe genügend Reserven. Bitte, hier geht's entlang..."
Er öffnete eine Tür, und Maggie trat in ein großes, schwach erleuchtetes Wohnzimmer. Sie schaute auf die schweren, altmodischen Möbel und den verblaßten Teppich. „Setzen Sie sich bitte!"
Als Maggie sich auf dem Sofa niederließ, bemerkte sie seinen fragenden Blick. Er schien sie überhaupt nicht erwartet zu haben. Wußte er denn nichts von ihrer Absprache mit Mrs. Barrington?
Und wo war Mrs. Barrington? Moment mal, hatte er nicht vorhin von einer Verabredung gesprochen? Er hatte sich inzwischen umgekleidet. Die schmutzige Khakikleidung hatte er mit einem offenen Hemd und [Bermudas vertauscht. Er trug hirschlederne Mokassins, und seine feuchten Locken ließen darauf schließen, daß er gerade geduscht haben mußte.
War es etwa möglich, daß er eine Verabredung mit einer gewissen Maggie Sullivan hatte, ohne sich dessen bewußt zu sein, daß sie selbst die Person war, auf die er wartete?
Diese Gedanken ließen sie schnell eine Erklärung hervorbringen: „Der Wagen ist es diesmal nicht. Bloß ..." Sie unterbrach sich und blickte ihn perplex an. „Das ist doch hier Amberley, oder?"
„Gewiß!" Er sah sie verwundert an.
„Aber", Maggie biß sich auf die Lippen, „ich dachte, daß Mrs. Barrington ..." „Kennen Sie sie?"
„Nein. Eigentlich nicht", sagte Maggie und wurde immer unsicherer. „Also, ich werde mal versuchen, es Ihnen zu erklären: Ich suche eine Stellung als Haushälterin. Verstehen Sie? Irgendwo auf dem Lande Kinder hüten und all das. Ich habe auf die Anzeige hin hier angerufen und mit Mrs. Barrington vereinbart, daß ich die Stellung annehmen würde. Verstehen Sie? Heute abend sollte ich hier mit ihr zusammentreffen ..." Maggie sprudelte die Worte förmlich heraus. „... ich dachte, der Posten sei mir so gut wie sicher."
Er antwortete nicht sogleich, sondern fischte erst einmal ein Paket Zigaretten aus seiner Hemdtasche heraus, bot ihr eine an und gab ihr Feuer.
Als er sich wieder zurücklehnte, sagte er: „Lassen Sie mich eines richtigstellen, Miss ...?"
„Margaret. Margaret Sullivan - meine Freunde", fügte sie schnell hinzu, „nennen mich Maggie."
„Aha, Miss Sullivan. Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen. Tatsache ist, daß sich hier so allerhand ereignet hat, seitdem die Anzeige in der Zeitung gestanden hat. Mrs. Barrington war nur wenige Wochen bei uns, sie ist ganz plötzlich abgereist. Sie hat mir zwar gesagt, daß heute abend jemand hierherkäme, um mit mir wegen der Stellung zu sprechen, aber ich habe Sie damit gar nicht in Verbindung gebracht! Falls ich es eher gewußt hätte", fügte er mit leichtem Bedauern hinzu, „hätte ich Ihnen gesagt, daß Sie sich diesen Weg sparen könnten. Das ist alles."
„Dann brauchen Sie also niemanden mehr?" „Niemanden brauchen?" Er blickte sie erstaunt an. „Das ist ja wohl ein Scherz, Miss Sullivan! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ..." Er brach abrupt ab.
Maggie meinte fröhlich: „Na, ich bin ja nun hier!" Er streifte schweigend seine Asche von der Zigarette. „Richtig." Ein feines, spöttisches Lächeln umspielte seine Lippen. „Sie sind hier! Ich glaube, ich muß Ihnen geradeheraus sagen, was eigentlich los ist. Sehen Sie, Miss Sullivan, Sie entsprechen ganz und gar nicht meinen Vorstellungen! Ich hätte niemals erwartet ..."
Er fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes dunkles Haar. „Sagen Sie mal, haben Sie die Anzeige richtig gelesen?"
Ihre Augen weiteten sich. „Natürlich, wenigstens ..." Mit einem Mal fiel ihr die fehlende erste Zeile der Anzeige wieder ein. Das hatte sie für nicht wichtig gehalten. Jetzt jedoch hätte sie viel drum gegeben, wenn sie den vollständigen Wortlaut der Anzeige wiedergeben könnte.
„Augenblick mal!" Er sprang auf und wühlte in einem Stapel alter Zeitungen. „Vielleicht habe ich sie noch. Ja. Hier ist sie!"
Triumphierend schlug er die Seite auf und wies auf die betreffende Anzeige.
Um Gottes willen! Kein Wunder, daß man hier so erstaunt war über ihr Auftreten. Dort stand: Dame mittleren Alters gesucht. Erfahren, Anpassungsfähig. Autofahren erwünscht
Und doch gab sich Maggie noch nicht geschlagen. Noch lange nicht! Er brauchte doch dringend jemanden. Ein Blick in das unordentliche Zimmer sprach Bände. Schmutz, wohin man blickte. Und doch wollte er ihr offenbar keine Chance geben. Was hatte er bloß an ihr auszusetzen? Warum lehnte er sie so energisch ab? Er kannte sie doch gar nicht.
„Wie die Dinge stehen, wäre es zuviel verlangt, einem so jungen Menschen, wie Sie es sind, die Last dieses Haushalts aufzubürden. Das wäre nicht fair. Drei Kinder und der Haushalt! Wenn Mrs. Barrington hiergeblieben wäre, sähe es ja noch anders aus. Sie wären voll damit ausgelastet gewesen, ihr zur Hand zu gehen und den Fernunterricht der Kinder zu beaufsichtigen. Aber wenn Mrs. Barrington es nicht einmal schaffte ..."
Das war es also! Die ältere Frau hatte verzweifelt aufgegeben und war einfach auf und davon gegangen. Die Kinder hatten ihr offensichtlich das Leben zur Hölle gemacht. Oder hatte es etwa an ihm gelegen? Sie blickte in sein ernstes, unerbittliches Gesicht.
„Es tut mir aufrichtig leid, Miss Sullivan, aber es kommt einfach nicht in Betracht."
„Wieso?" fragte Maggie hartnäckig. „Wenn es Ihnen um Erfahrung im Haushalt geht, dann brauchen Sie sich keinerlei Sorgen zu machen ..."
Er blickte interessiert hoch, und sie dachte: Gut, daß er mir wenigstens zuhört. Das ist schon immerhin ein Anfang. „Haben Sie denn Erfahrung in der Haushaltsführung?" Gern hätte sie ihm geantwortet, sie sei gelernte Hauswirtschaftsleiterin. Aber es half alles nichts, sie hatte nun einmal die Gewohnheit, sich an die Wahrheit zu halten. „Ich war bislang in einem Büro tätig. Aber kochen und auf Kinder aufpassen, das kann ich, wenn Ihnen damit gedient ist!" „Das können Sie?" fragte er skeptisch. „Meine Schuld ist es doch schließlich nicht, daß ich noch ein bißchen jung bin", meinte sie.
„Glauben Sie nur ja nicht, daß ich mich über Sie beklagen will, Miss Sullivan. Sie scheinen ja recht erpicht auf diesen Job hier zu sein ..."
„O ja, das bin ich auch!" rief Maggie impulsiv aus. „Wenn Sie sich nur vorstellen könnten, was diese Stellung für mich bedeutet..."
Er warf ihr einen seiner scharfen, forschenden Blicke zu. „Und doch kann ich Sie nicht verstehen. Weshalb haben Sie sich ausgerechnet diese Farm ausgesucht, die sozusagen am Ende der Welt liegt?"
„Aber gerade das ist es doch, was mir so gut gefällt!" Sie spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. „Sehen Sie", fuhr Maggie eifrig fort, „ich lebte in Hamilton, und dieses Fleckchen ist am weitesten von dort entfernt!"
„Laufen Sie eigentlich vor irgend etwas davon, Miss Sullivan?"
Da hatte er ja den Nagel direkt auf den Kopf getroffen! „Man - man könnte es so ausdrücken." Was tat sie eigentlich? Sie vertraute einem Fremden ihre geheimsten Gedanken an; aber was machte das schon? So wie die Dinge standen, würde sie ihn sicherlich niemals wiedersehen. Nervös zupfte sie an ihrem Seidenschal. „Es war so, daß ... Wissen Sie, Colin und ich waren verlobt, und dann heiratete er ... meine beste Freundin ..."
„Sie brauchen mir doch nichts aus Ihrem Privatleben zu berichten", unterbrach er sie brüsk. „Schade nur, daß Sie ..." „Daß ich zu jung bin, meinen Sie? Das macht doch nichts! Sie brauchen unbedingt jemanden, der Ihnen hilft, und nur aus dem Grunde bin ich gekommen. Kommt es denn dabei wirklich darauf an, wie alt ich bin? Weshalb eigentlich?" fuhr sie temperamentvoll fort. „Schließlich gibt es doch sogar genügend Anzeigen, in denen man nicht einmal etwas gegen ledige Mütter hat. Ich meine", erklärte sie ein wenig verwirrt, „Sie schrieben doch selbst im Herald, daß man nichts gegen ein Kind hätte ..."
Sein Kopf schoß hoch:" „Meinen Sie etwa ..." „O ja", erklärte Maggie entschieden. „Ich hätte es Ihnen schon vorher sagen sollen, aber Sie haben mich ja gar nicht zu Wort kommen lassen. Sehen Sie, ich habe Pete. Den muß ich unbedingt bei mir haben", sagte sie, während John Dan-gerfield sie aufmerksam musterte. „Er braucht nicht viel, um satt zu werden. Er macht überhaupt nicht viel Mühe. Ehrlich gesagt, man merkt kaum, daß er da ist. Und dabei ist er so intelligent. Ich hätte ihn gern schon heute mitgebracht, wissen Sie. Aber morgen kommt ein Transporter vorbei, und ich dachte mir, so ginge es eben auch. Ich weiß, daß es vielleicht dumm klingt, aber ich konnte ihn einfach nicht allein lassen ..."
„Wovon zum Teufel reden Sie eigentlich?"
Sie blickte ihn erstaunt an: „Das hab ich doch schon gesagt: Von meinem Pferd Pete."
„Das wollen Sie mir gesagt haben?" Weiße Zähne blitzten aus seinem straffen, sonnengebräunten Gesicht. Er lachte herzlich. Maggie konnte nicht anders, sie mußte mitlachen. Dabei dachte sie: Sicher hat er jetzt nichts mehr dagegen, wenn ich auf der Farm bleibe. Doch sie schien sich zu irren.
„Tut mir leid", sagte er, „aber mein Nein gilt für Sie beide!"
Sie war zu enttäuscht, um das unterdrückte Kichern hinter dem Fenstervorhang zu bemerken. Doch im nächsten Augenblick war ihr Gesprächspartner schon am Fenster. Er riß den Vorhang zur Seite, und Maggie blickte in drei verlegene Kindergesichter. Das zarte Mädchen mochte neun sein, ein sommersprossiger Junge etwa ein Jahr jünger, dann war noch ein kleiner wuscheliger Lockenkopf da.
„Raus! Alle miteinander!" donnerte John Dangerfield. „Schnell ins Bett, aber hopp! Und daß ich euch hier ja nicht wieder erwische!"
„Nein, Danger, nie wieder!"
Die Kinder stoben verschreckt davon und waren offenbar froh, daß die Fremde sie vor schärferen Erziehungsmaßnahmen bewahrt hatte.
„Kinder!" Er ließ sich erschöpft wieder nieder. „Die Kinder meiner Schwester", erklärte er dann. „Sie und mein Schwager sind zur Zeit in Neuguinea. Die Kinder blieben hier, um den Rest des Schuljahres hinter sich zu bringen. Mrs. Barrington bot sich an, mir den Haushalt zu führen. Sie kannte meine Schwester Chris schon als kleines Kind und hat ihr das Reiten beigebracht, beide sind Pferdenarren. Leider steht es nicht so besonders gut mit Mrs. Barringtons Gesundheit. Sie ist auch nicht mehr die Jüngste und wahrscheinlich nicht an den Umgang mit Kindern gewöhnt. Jedenfalls hatte sie bald die Nase voll und gab eine Anzeige in der Zeitung auf. Ich hatte jedoch nicht erwartet ..."
„... daß so ein hilfloses Wesen wie ich daherkommt!" beendete Maggie ein wenig bissig.
„Ich wollte sagen", fuhr er unbeirrt durch ihre Unterbrechung fort, „daß ich überhaupt keine Reaktion auf diese Anzeige erwartet hatte. Wer will schon am Ende der Welt leben?"
Und doch schien er entschlossen, sie nicht für diese Stellung in Betracht zu ziehen..«
„Dann wollen Sie mich wirklich nicht haben?" fragte sie leise.
„Nein, Miss Sullivan!" Er stand auf, durchquerte das Zimmer und öffnete eine kleine Schrankbar. Über seine Schulter hinweg sagte er: „Das ist aber kein Grund, nicht ein Gläschen miteinander zu trinken, nicht wahr? Was möchten Sie? Gin? Sherry? Es ist ein lokales Gebräu, schmeckt aber nicht schlecht."
„Danke." Sie ergriff das Glas, das er ihr reichte. „Sorry", er ließ sich in den Schaukelstuhl fallen, „doch es steht fest, daß Sie nicht hierbleiben. Es gibt sicherlich viele Farmer, die Ihr Angebot sofort und gern annehmen würden." „Aber Sie nicht!"
Sie bedauerte ihre Worte, sobald sie heraus waren. Wie kam sie bloß dazu, so aufdringlich zu werden?
„Richtig", stimmte er energisch zu, und sie wich dem Blick seiner Augen aus.
Maggie nippte an ihrem Wein und ließ dabei ihre Blicke durchs Zimmer gleiten. Merkwürdig blieb seine Ablehnung doch, vor allem, weil sie hier wirklich gebraucht wurde. Es fehlte überall die sorgende Hand einer Frau: die zerrissenen Vorhänge, die angeknabberte Brotrinde, die Kinder ...
„Wenn es deswegen sein sollte, weil... nun ja, weil nur Sie und die Kinder hier sind ...", stotterte sie, doch er unterbrach sie sogleich.
„Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, Miss Sullivan, denn in eine solche Lage werden wir ja nicht kommen. Leider nicht", fügte er lächelnd hinzu.
Sie setzte das Glas abrupt ab, griff nach ihrer Jacke. „Dann möchte ich Ihre Zeit auf keinen Fall länger in Anspruch nehmen. Hoffentlich haben Sie mit der nächsten Bewerberin mehr Glück ..."
„Augenblick mal!" Schon war er an ihrer Seite, besorgt ruhte sein Blick auf ihr. „So einfach können Sie doch nicht davonlaufen!" meinte er. „Wohin wollen Sie denn jetzt mitten in der Nacht? Das nächste Gasthaus liegt wenigstens hundert Meilen entfernt weit hinter den Bergen, und wir hätten genügend Platz ..."
Aha, jetzt konnte er also nett sein, wo er sie und ihre Kochkünste nicht drei lange Monate zu ertragen brauchte! „Woher kommen Sie denn heute?" „Aus Hamilton!"
Er pfiff leise vor sich hin. „Ein sehr weiter Weg. Bleiben Sie lieber hier. Ich kenne das Land. Es gibt allerhand tückische Fallen auf den Straßen. Es ist eine rauhe Gegend, egal, ob Sie weiter nach Norden reisen oder zurück nach Gisborne wollen. Warum ruhen Sie nicht ein wenig aus und fahren morgen früh weiter?"
Maggie zögerte. Sie war müde und enttäuscht. Ihr graute davor, die gewundene Landstraße im Dunkeln entlangfahren zu müssen. Und doch wollte sie nicht sein Gast sein. Gott sei Dank war sie nicht von ihm abhängig, denn sie hatte ja ihren Lieferwagen dabei.
„Vielleicht haben Sie recht", meinte sie. „Es ist nett, daß Sie mir anbieten hierzubleiben, aber ..." „Gut, ich hole Ihre Sachen herein."
Er hatte sich bereits zur Tür gewandt, als sie ihm nachlief und ihre Hand auf seinen Arm legte.
Die Berührung durchlief sie wie eine Verzauberung. Maggie riß sich gewaltsam zusammen: „Machen Sie sich keine Umstände. Ich kann gut und bequem im Wagen schlafen; ich bin darauf eingerichtet."
„Wenn Sie es gern wollen", stimmte er zu. „Dann also gute Nacht, Miss Sullivan."
Sie nickte. „Gute Nacht. Es stört Sie doch wohl nicht, wenn ich meinen Wagen vor der Veranda abstelle?" „Ganz und gar nicht, Miss Sullivan." Seine Stimme klang angenehm und vertrauenerweckend. Sie konnte ihn einfach nicht verstehen. Er brauchte ihre Hilfe, und doch lehnte er sie ab, weil sie nicht fünfzig Jahre alt war. Das war unfair!
Nun, vielleicht war es tatsächlich besser, wenn sie nicht auf Amberley bliebe. Es ging etwas Verwirrendes von ihm aus, das sie beunruhigte. Er sah außerordentlich männlich aus, dieser John Dangerfield. Danger bedeutete Gefahr!
Ihr letzter Wunsch vor dem Einschlafen war, daß seine Probleme schlimmer wurden. Wenn die Kinder beispielsweise die Masern bekämen. Hoffentlich gleich alle drei auf einmal! Oder, noch besser, alle nacheinander, immer mit einer Woche Abstand dazwischen, damit sie einzeln gepflegt werden mußten!
Als Maggie erwachte, hatte sie ein eigenartiges Gefühl. Ihr Wagen wurde gewaltsam hin und her geschüttelt. Verschlafen erhob sie sich und machte Licht. Im nächsten Augenblick neigte sich der Wagen so stark zur Seite, daß alle Teller und Schüsseln aus dem Regal purzelten. Sie stürzte zur Tür. Doch ehe sie hinkam, traf sie ein harter Gegenstand am Kopf. Vor ihr explodierte eine Lichtbombe, und gleich darauf wurde es um sie herum pechrabenschwarz, während sie fiel und fiel und fiel ...
2. KAPITEL
Maggie riß die Augen auf, aber ihre Blicke verschwammen. Wo war sie? Wie kam sie in dieses Bett, in dieses Zimmer? Mühsam hob sie den Kopf.
In einem großen Wandspiegel erblickte sie ihr Gesicht. Verwundert griff sie sich an die Stirn, um die ein großer, weißer Verband lag. Was war denn eigentlich passiert?
Dann fiel ihr der schwankende Wagen ein. Sie hatte geschlafen, als das Erdbeben gekommen war. Das war es! Etwas Hartes hatte sie am Kopf getroffen. Ja. Aber wie war sie hierhergekommen?
Sie konnte sich nicht erinnern. Sollte dieser Danger sie in sein Haus gebracht haben? Sie schob die bunte Wolldecke zurück und wollte aufstehen, doch sofort begann sich alles um sie zu drehen, und ihr Kopf sank schwer auf das Kissen zurück. Gleich würde sie ihre Schwäche und Benommenheit überwunden haben, und dann ...
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre wirren Gedanken. Da stand er. Sein Gesichtsausdruck verriet Besorgnis, aber sie konnte sich nicht erklären, weshalb ihn dieser dumme Zwischenfall beunruhigen sollte.
„Hallo! Sie sind ja wach!" Er trat an ihr Bett und betrachtete sie. „Na, wie fühlen Sie sich?"
„Mir geht's ganz gut, Mr. ..." brachte sie stockend hervor.
„Danger genügt."
„Es war ein Erdbeben, nicht wahr?" fragte sie zittrig.
„Richtig. Aber gar kein schlimmes." Er ließ sich am Fußende des Bettes nieder. „Nur, daß Ihnen ausgerechnet diese Bratpfanne auf den Kopf fallen mußte!"
Behutsam betastete sie die Stirn: „Ist die Haut aufgeplatzt?"
Er nickte. „Der Arzt war hier. Er hat die Wunde mit ein paar Stichen genäht."
Maggie verspürte plötzlich den verrückten Drang, laut loszukichern, doch sie beherrschte sich. Die alte Bratpfanne hatte sie also k.o. geschlagen!
„Keine Sorge", ließ sich Danger wieder vernehmen. „Der Doktor meint, in einigen Tagen sind Sie wieder auf den Beinen, wenn Sie sich gut ausruhen."
„Ausruhen!" Maggies braune Augen weiteten sich. „Aber ich kann doch nicht hierbleiben!"
„Weshalb denn nicht?" Er grinste sie an. „Außerdem haben Sie gar keine andere Wahl! Der Onkel Doktor hat es Ihnen verordnet, sonst lehnt er jegliche Verantwortung ab."
„Aber das ist doch lächerlich. Mir geht es schon sehr gut, ich kann aufstehen und ..."
„Tatsächlich?"
„Klar!" Impulsiv machte sie eine Bewegung, und schon hüllte sie eine rosarote Woge ein. Wie aus weiter Ferne hörte sie seine Stimme: „Gut. Sie haben es mir gezeigt." Kalt ruhte sein Blick auf ihr.
„Zwei Tage Bettruhe, und dann können Sie aufstehen, wenn Sie unbedingt wollen. Sie haben Glück im Unglück gehabt", fuhr er fort. „In zwei oder drei Tagen kommt der Arzt noch einmal vorbei."
„Aha." Maggie legte sich wieder zurück aufs Kissen. „Haben Sie mich ins Haus gebracht?" fragte sie.
„Richtig." Er wirkte jetzt sehr kühl. „Das war doch selbstverständlich", winkte er jeden Dank ab. „Oh, fast hätte ich vergessen, Ihnen zu sagen, daß Ihr Pferd hier ist. Vor einer Stunde wurde es gebracht. Häßlicher Kerl, was?"
„Häßlich! Ausgerechnet Pete! Ich finde ihn tadellos!" Aus ihrer Stimme klang ihre ganze Entrüstung, doch ein wenig verbindlicher fügte sie hinzu: „Schließlich kann man nicht beurteilen, wie gut ein Pferd ist, wenn man es nur ansieht..."
„Einstweilen hab ich ihn auf die Weide zu den anderen Pferden gebracht."
„Danke." Maggie fühlte sich total erschöpft, und der Gedanke, diesem Manne gegenüber immer mehr verpflichtet zu sein, beruhigte sie nicht gerade.
Was meinte er denn nun wieder mit einstweilen? Sobald ihre Füße sie trugen, würde sie Weiterreisen. Er sollte nur nicht glauben, daß sie ihn auch nur eine Minute länger belästigte, als unbedingt nötig war.
Er richtete sich zu seiner ganzen Größe auf und blickte auf sie herab. „Soll ich jemanden benachrichtigen?"
Sie schüttelte stumm ihren Kopf.
„Dann gehe ich jetzt. Schicken Sie die Kinder weg, falls sie Sie belästigen sollten. Später werde ich Ihnen Phil mit dem Abendessen schicken. Also, Kopf hoch, und machen Sie sich keine Sorgen."
Wieder lächelte er, und dabei vergaß sie all seine bissigen Bemerkungen.
Maggie lag still in ihrem Kissen und überdachte ihre Situation. Es war demütigend, so tief in der Schuld dieses Mannes zu sein. Aber bis morgen würde sie schließlich kaum etwas dagegen tun können.
Es pochte laut an der Tür, und herein kam ein Mädchen mit zerzausten Zöpfen, Philippa, die Neunjährige, die Phil gerufen wurde.
„Hier ist eine prima Suppe. Ann macht immer Supersup-pen", meinte Phil. „Sie hat sie uns gestern gebracht, und es ist noch genug für heute abend da. Danger hat dir seinen Anteil überlassen."
„Tatsächlich?"
„Ich werde es Ann nicht sagen, daß du die Suppe gekriegt hast", versprach Phil. „Sie würde sicherlich wütend werden! Sie bringt Danger öfters etwas zu essen. Ehe wir hierherkamen, lebte er ganz allein auf der Farm. Nur Mrs. Wahonga kam manchmal, um ihm etwas zu kochen."
„Paß auf, da kommt Mark. Er springt immer auf die Betten!" Doch die Warnung kam bereits zu spät. Der kleine Junge schoß durchs Zimmer und warf sich aufs Bett. Unter einem goldenen Haarschopf blickten sie ein Paar blaue Augen an.
„Tut dir dein Kopf noch weh?" fragte er und fügte im selben Atemzug hinzu: „Möchtest du Poss sehen?" Maggie lächelte. „Gern. Wo ist er denn?" „Ich zeig ihn dir!" Er sprang auf den Boden und lief schnell aus dem Zimmer. In wenigen Minuten war er wieder zurück. Ein kleines Bündel aus dunklem Fell mit einem buschigen Schwanz und wachsamen schwarzen Augen trabte hinter ihm her, ein junges Opossum, das offenbar zur Familie gehörte. Maggie fuhr mit der Hand durch das dichte Fell des Tieres, das ihr der Junge auf den Arm gelegt hatte. „Ich hatte auch mal so eins." „Wirklich?" Phil sah sie interessiert an. „Wie hieß deins
denn?"
„Genauso wie eures: Poss! Oh, da läuft er schon weg!"
Das winzige Knäuel hatte sich aus Maggies Arm befreit und floh durch die Tür.
„Hallo, wer ist denn das?"
In der Tür stand ein schüchterner Junge, das Gesicht voller Sommersprossen. Er lächelte zögernd, sein braunes Haar war sehr zerzaust.
„Ach, das ist bloß Jan", sagte das Mädchen gelangweilt. „Er will dir sicher sein Modellflugzeug zeigen." Maggie beugte sich vor. „Darf ich es sehen?"
Scheu hielt er das Modellflugzeug aus leichtem Balsaholz hoch. Maggie wußte noch von ihren Brüdern, wieviel Arbeit und Mühe es erforderte, so ein Flugzeug zu basteln. Sie betrachtete es bewundernd. „Was für ein schönes Modell!"
„Laß es ihn nicht erwischen!" Jan konnte das Flugzeug gerade noch fassen, ehe Marks dicke Händchen danach greifen konnten.
„Mark zerbricht Jans Flugzeuge immer", erklärte Phil und fuhr dann mit einem Blick auf den Bruder fort: „Und du hast selber schuld, wenn du sie ihm immer wieder zeigst."
„Woher sollte ich denn wissen, daß das kleine Scheusal hier im Zimmer ist?"
„Danger hat uns nämlich gesagt, wir sollten auf dich aufpassen", erklärte Phil wichtig. „Ich wollte heute Pfannkuchen machen, aber das brauche ich nun nicht, weil Mrs. Wahonga zurückkommt!"
Maggie war neugierig: „Wohnt Mrs. Wahonga denn hier?"
Die Kinder kicherten, und Phil meinte nach einer Weile: „Sie wohnt zusammen mit ihrem Sohn Hone in einer kleinen Hütte. Sie flicht Körbe und verkauft sie. Bevor wir hierherkamen, machte sie Danger jeden Tag das Essen ..."
„Aber als Mrs. Barrington dann kam, blieb Mrs. Wahonga weg", fuhr Jan fort.
„Na ja", murmelte Maggie, „vermutlich brauchte sie sie nicht."
„Doch. Mrs. Barrington wollte schon, daß sie kommen sollte, aber Mrs. Wahonga mochte die Alte nicht ... Da kommt sie ja ..."
Auf der Türschwelle waren ein Paar nackte braune Füße zu sehen, und einen Augenblick später blickte Maggie in ein strahlendes Maorigesicht mit glatter, kupferfarbener Haut und blendendweißen Zähnen. Mrs. Wahonga war eine große, plumpe Frau, die sehr gutmütig wirkte. Ihr langes schwarzes Haar trug sie zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden.
„Na, Miss?" wandte sie sich lachend an Maggie. „Bald sind Sie wieder gesund. Ruhen Sie sich nur gut aus!" Freundlich, aber bestimmt schob sie Mark vom Bett. „Los, Kinder, Miss Sullivan braucht Ruhe ..." Zögernd verschwanden die Kinder.
Sie brachte Maggie eine Schüssel mit warmem Wasser, Seife und ein Handtuch. „Das tut gut, was?"
„Und ob", stimmte Maggie begeistert zu.
Mrs. Wahonga lächelte verschmitzt. „Danger hat sicherlich einen Schock bekommen, als Sie ankamen, was?"
„Das kann man wohl sagen!"
„Er wollte Sie hier wohl nicht haben, was? Wegen der anderen. Wegen seiner Cathy?"
Maggie richtete sich steil auf. „Aber ich dachte doch, er sei gar nicht ... verheiratet oder so ..." meinte sie lahm.
„Danger und verheiratet? Keine Angst. Der hat seine Lektion auch so gelernt!" Mrs. Wahonga kicherte in sich hinein. „Ich hätte gern sein Gesicht gesehen, als Sie ins Haus kamen. Das muß ein richtiger Schock für ihn gewesen sein - Sie auf einmal hier zu sehen!"
Die dunklen Augen musterten Maggie aufmerksam. „Hat er Ihnen denn nichts gesagt?" „Was gesagt?"
Mrs. Wahonga zuckte ihre plumpen Schultern. „Na, wenn ich es nicht sage, würden Sie es sicher von jemand anderem erfahren." Ihre lebhaften Augen musterten Maggie. „Sie sind der anderen, die er fast geheiratet hätte, wie aus dem Gesicht geschnitten! Wahrscheinlich hat er die ganze Sache niemals verwunden", fuhr sie in ihrem singenden Tonfall fort. „Zwei Jahre sind jetzt schon vergangen, aber er hat sich nie wieder ernsthaft für ein Mädchen interessiert. Sie sind ihr so ähnlich, daß ich zunächst dachte, Cathy sei zurückgekommen."
Maggie konnte ihre Neugierde kaum zügeln: „Hatte er sie denn gern?"
„Gern haben? Für ihn gab es kein anderes Mädchen mehr! Wenn sich ein Mann nicht verliebt hat, ehe er dreißig Jahre alt ist, dann packt es ihn wirklich! Cathy war Fernsehansa-gerin. Sie kam für einen Monat zur Erholung auf die Farm ihres Bruders, weil sie einen Nervenzusammenbruch gehabt hatte. Schließlich blieb sie ganze drei Monate hier. Danger und sie wurden unzertrennlich. Alle Leute rechneten mit einer baldigen Hochzeit und einer neuen Herrin auf Amberley, aber..."
Sie machte eine Pause, und Maggie fragte gespannt: „Und was geschah dann?"
Mrs. Wahonga zuckte enttäuscht mit den Schultern.
„Da fragen Sie mich zuviel. Eines Tages ritten sie fröhlich zusammen fort, und am nächsten Tag reiste Cathy ab." Sie breitete die Arme in einer ausdrucksvollen Geste aus.
„Niemand weiß, ob sich die zwei zerstritten haben oder was sonst geschehen ist. Wir wissen hier nur, daß Cathy nie zurückkam. Na ja, eine Schaff arm ist wohl auch kaum das richtige für sie. Heute ist sie in Übersee. Sie spielt zur Zeit an einem Theater in London. Neulich hab ich ein Bild von ihr in einer Londoner Zeitung entdeckt. Danger hat sich sehr verändert, seitdem Cathy fort ist. Er lacht nicht mehr so viel wie früher. Und wenn Sie jetzt hierblieben, dann könnte er Cathy nie vergessen, ehoa?"
Damit verließ die Maorifrau Maggie, um den Tisch zu decken.
Erst jetzt wurde Maggie so manches klar. Ihre auffallende Ähnlichkeit mit seiner Cathy erklärte allerdings so vieles. Deshalb also hatte er sie für die Stellung hier im Hause so kategorisch abgelehnt.
So war es also. Er liebte eine Frau, die sich offensichtlich nichts mehr aus ihm zu machen schien.
Maggie dachte noch immer über diese Frage nach, als Mrs. Wahonga mit einer Fischplatte, die appetitlich mit Petersilie und Zitrone verziert war, auftauchte.
„Das sieht ja verlockend aus." Maggie bekam trotz der Suppe Hunger, als sie das leckere Fischgericht sah.
Die dicke Maorifrau strahlte übers ganze Gesicht: „Mögen Sie Fisch gern? Gut. Hone fängt ihn immer jenseits der Brandung. Lassen Sie es sich schmecken!"
Maggie brauchte keine Aufforderung. Die frisch gebacke-nen, heißen Filets und das knusprige selbstgebackene Brot schmeckten köstlich. Sie schlürfte behaglich den würzigen Tee aus der irdenen Kanne.
„Ich werde die Kinder bis morgen von Ihnen fernhalten. Rufen Sie nur, wenn Sie etwas brauchen. Morgen werden Sie sich besser fühlen. Schlafen Sie gut. Ehoa."
Lächelnd verließ sie das Zimmer und schloß die Tür geräuschlos hinter sich.
Kurze Zeit darauf hörte Maggie Männerstimmen und Geschirrklappern. Ein herzliches Lachen klang durchs Haus.
Maggie dachte noch lange an John Dangerfield, ehe der Schlaf sie überkam.
3. KAPITEL
Maggie kehrte langsam aus den Nebeln des Schlafes, die sie noch umgaben, in die Wirklichkeit zurück. Sie vernahm ein leises Flüstern: „Miss Sullivan, Maggie. Bist du wach?" Eine kleine Gestalt im langen Nachthemd stand in der Tür.
„Darf ich zu dir kommen?"
„Philippa? Bist du es?"
„Bitte, laß mich hier!" Die kindliche Stimme war tränenschwer.
„Aber sicher. Komm her. Was ist denn los? Hast du schlecht geträumt?"
Maggie war selbst noch ganz schlaftrunken.
„Sag mir, was los ist, und dann gehst du wieder zu Bett. Hat dich was erschreckt?"
„Ach, es war ganz entsetzlich. Lachst du mich auch nicht aus?"
„Ich verspreche es dir."
„Ich hab immer wieder denselben Traum", flüsterte Phil angstvoll. „Saint, dieser schreckliche Gaul, kam direkt auf mich zu, hatte seine Zähne gebleckt, und blickte ganz wild ... Man konnte nur das Weiße in seinen Augen sehen. Er sprang auf mich zu, und ich ... ich kann dann überhaupt nicht weglaufen. Meine Beine sind ganz steif!"
„Aber es ist doch bloß ein Traum", beruhigte Maggie das erregte Kind. „Du hast gewiß zuviel gegessen. Daran liegt es."
Als Maggie das nächste Mal aufwachte, war Philippa wieder weg. Ob sie sich wohl wegen ihrer Träume vor ihren Brüdern schämte? Sicherlich hatte sie Angst vor den Hänseleien
der Jungen.
Heller Sonnenschein flutete ins Zimmer, und Maggie hörte ganz in ihrer Nähe Männer sprechen. Sie bewegte sich vorsichtig und setzte behutsam die Füße auf den Boden. Ihr Kopf blieb klar. Endlich fühlte sie sich besser!
Maggie trat langsam ans Fenster und sah hinaus. Auf den Hängen der kahlen Hügel weideten Schafe. Der blaue Himmel schien zu strahlen, und in den Tälern wuchs Gestrüpp. Ja, sie war auf einer zauberhaften Schaffarm auf dem Lande, wenn auch nur für kurze Zeit.
Während sie so aus dem Fenster schaute, löste sich aus dem Schatten des Stalles eine große, hagere Gestalt: Danger. Er warf ein Schaffell auf den Rücken eines rötlichbraunen Pferdes, das am Zaun festgebunden war, und beugte sich nieder, um das Fell am Bauch des Tieres festzugurten. Dann schwang er sich mühelos auf den Rücken des Pferdes. Zwei junge Männer auf stämmigen Ponys gesellten sich zu ihm. Zusammen ritten die drei den Hügel hinauf und waren bald Maggies Blicken entschwunden.
Der Arbeitstag auf Amberley war also schon in vollem Gange, während sie hier tatenlos herumlag.
Ein Pochen an der Tür trieb sie schnell zurück ins Bett; aber es war nur Jan, dessen Haarschopf noch zerzauster als gestern aussah.
„Danger hat gesagt, wir sollen dich nicht wecken. Er ist fort, um den Zaun der hinteren Weide zu reparieren. Aber wenn du willst, kann ich ihm eine Nachricht von dir bringen."
Maggie verzog den Mund.
„Jan, ich möchte nur eins wissen. Der Lieferwagen, ist er..."
„Er ist okay", sagte Jan. „Gavin hat den Reservereifen aufmontiert. Danger hat auch das zerbrochene Regal repariert. Man sieht kaum, daß es kaputt war!"
Immer wieder Danger! Und doch war es eine herrliche Beruhigung zu wissen, daß das Fahrzeug wieder fahrbereit war.
„Kann ich irgend etwas für dich tun?" fragte der Kleine eifrig.
„Ja, ich hätte gern meinen Koffer aus1 dem Wagen!"
„Ich hol ihn." Und fort war er, ehe sie noch ein weiteres Wort sagen konnte.
Maggie schlüpfte in ihr Baumwollkleid und suchte das Badezimmer, das sie am anderen Ende des langen Korridores fand.
Der Raum war groß und modern installiert. Sie drehte die Chromhähne unter dem Brausebad auf und spülte all den Kummer und die Verwirrungen der letzten Tage runter.
Sie zog eine leichte helle Bluse über die Shorts und band die langen dunklen Haare mit einem braunen Wollband nach hinten.
Als Maggie das Eßzimmer mit der hohen Decke und der dunklen Holztäfelung betrat, waren die Kinder gerade mit dem Frühstück fertig. Sie stritten sich heftig um ein Werbegeschenk, das aus Jans Corn-flakes-Packung herausgefallen war.
Es dauerte eine ganze Weile, bis alle Spuren der Mahlzeit beseitigt waren, denn Mark hatte seine Milch über Tisch und Boden verschüttet.
In der Küche entdeckte Maggie zu ihrer großen Freude einen stattlichen Kühlschrank voller Tiefkühlkost. Für das Mittagessen konnte sie also sorgen.
Die Kinder halfen begeistert beim Ausfegen und Staubwischen, und Maggie staunte selbst, wie schnell sich das Bild des unordentlichen Zimmers wandelte.
Philippa malte später mit Wasserfarben, und Maggie staunte, wie lebendig ihre schlichten Bilder waren. „Hast du noch mehr Bilder?"
„Und ob. Komm, ich zeig sie dir!" Philippa ging eifrig voraus in ihr Zimmer. Das Chaos hier schien ihr überhaupt nichts auszumachen. Sie trat auf einen Apfelrest und stolperte über ein Kleid, das auf dem Boden lag.
Maggie sah Bilder mit Schäferhunden, die an langen Leinen vor ihren Hütten lagen, und ein Porträt von Poss. Zweifellos hatte Phil Talent.
„Keine Pferde?" fragte Maggie lächelnd, als sie den Stapel Bilder durchblätterte. Sie war erschreckt durch das harte „Nein", das aus dem Mund des kleinen Mädchens kam. „Ich reite nicht, und ich zeichne sie auch nicht. Schon gar nicht den schrecklichen Saint! Mir ist ganz egal, was Mami sagt, wenn sie zurückkommt. Ich hasse ihn, und er weiß das auch. Er haßt mich ebenfalls. Das kann man schon daran sehen, wie er mich immer anschaut." Sie machte eine abscheuliche Fratze, um zu zeigen, wie das aussah.
„Weißt du, Phil, mich würde es gar nicht wundern, wenn du zu den wenigen zähltest, die immer genau das tun, was sie auch wirklich wollen."
Philippas schmales Gesicht leuchtete vor Freude auf: „Meinst du das wirklich? Sagst du das auch nicht bloß so ...?"
Maggie schüttelte ihren Kopf. „Ich wette, daß deine Mutter das gleiche sagen würde ..."
„Ach, Mutter möchte immer bloß, daß ich Pferde zeichne." Die Begeisterung des Kindes verlor sich.
„Ist Saint der große weiße Vollblüter, der auf den Sportveranstaltungen schon so viele Trophäen geholt hat?"
Das kleine Mädchen nickte: „Den meine ich."
„Dann ist deine Mutter Chris Erichson, die berühmte Springreiterin? Ich habe schon viel über sie in den Sportzeitungen gelesen. Saint muß ja ein Wunderpferd sein."
„Ist er aber nicht", beharrte Philippa. „Er ist richtig fürchterlich. Und ich habe solche Angst vor ihm."
„Dann vergiß ihn doch einfach", schlug Maggie vor. „Zwingt dich denn jemand zu reiten?"
„Doch. Wenn man Chris Erichson zur Mutter hat, ja!" meinte Philippa, und ihre kindliche Unterlippe zitterte leicht. „Dabei hat sie mein kleines Pony Dandy einfach verkauft, weil es zu fett wurde."
Maggie fragte sich, wieso Philippa eigentlich in die Fußstapfen ihrer Mutter treten sollte. Sie erinnerte sich an den nervösen Champion, den sie im Fernsehen gesehen hatte. Er schien ihr nicht das geeignete Pferd für eine kleine Anfängerin zu sein.
„Reitet dein Bruder Jan denn gern?" fragte Maggie ein wenig nachdenklich.
„Ja, aber er hat ja sein eigenes Pony. Der hat eben Schwein gehabt. Ihm gehört Poncho."
Der Morgen verging im Nu. Maggie beeilte sich mit dem Lunch. Danger konnte jeden Augenblick hier sein, und dann wollte sie alles fertig haben. Er sollte merken, was für eine tüchtige Haushälterin ihm wegen seiner dummen Vorurteile entging.
Brötchen? Na ja, sie hatte schon mal welche gemacht.
Wenn sie doch nur mit dem Elektroherd zurechtkommen würde.
Die Jungen sahen ihr zu, wie sie die verschiedenen Schalter ausprobierte. Schließlich holte Jan ihr einen Schaltplan vom Bord.
„Oh", rief Jan begeistert, als Maggie später die fertigen Brötchen aus dem Ofen zog. „So knusprig mag ich sie gern, Danger hat sie auch am liebsten recht kroß."
Mark saß die ganze Zeit über auf seinem Stuhl und trommelte mit den Fäusten auf den Tisch. Plötzlich schrie er: „Da kommt er ja! Da ist Danger!"
Maggie lief ans Fenster und sah einen Reiter auf einem braunen Pferd den steilen Hügel herabpreschen. Wenig später hörte sie vor dem Haus Bremsen quietschen, und gleich darauf trat Danger mit einem kleinen Mann, der ein Arztköfferchen in der Hand hielt, ins Haus. Der grauhaarige Doktor hatte ein sehr nettes Gesicht.
Danger übernahm die Vorstellung. „Hier ist Ihre Patientin, Doktor. Miss Sullivan, darf ich Sie mit Dr. Smith bekannt machen?"
Er ging hinaus, um sich frisch zu machen. Maggie blickte ein wenig verlegen und schuldbewußt in das freundliche Gesicht des Arztes.
„Ich fühlte mich schon so gut", entschuldigte sie sich, „daß ich einfach aufstehen mußte. Ich kam mir so faul im Bett vor." Und ihr Hang zur Wahrheit ließ sie dann doch noch hinzufügen: „Außerdem gab es hier doch soviel zu tun!"
Der Arzt lächelte. „Und doch möchte ich Sie gern noch einmal untersuchen." Dabei konnte er Maggies Selbstdiagnose nur bestätigen.
„Sehen Sie", triumphierte sie. „Mir geht es gut. Ich kann also Weiterreisen."
„Augenblick mal!" Der Arzt hob die Hand. „So eilig sollten Sie es nicht haben. Warten Sie lieber noch ein paar Tage, bevor Sie weiterfahren, damit wir kein Risiko eingehen." Er lächelte sie ein wenig verschmitzt an. „Es wird Ihnen doch sicherlich nicht so unangenehm sein, noch etwas hierzubleiben? Oder gehen Ihnen die Kinder auf die Nerven? Danger wird sie Ihnen sicher gern vom Leibe halten."
„Nein, nein", versicherte Maggie hastig. „Es ist schon alles okay." Sie hatte gerade noch bemerkt, daß Danger wieder zurückgekommen war und die letzten Worte des Arztes bestimmt noch mitbekommen hatte.
„Es ist nur - nun, ich bin eben eine Fremde hier." Dabei vermied sie es, Danger anzusehen. „Und ich muß auch wieder in die Stadt zurück."
Der Doktor ließ sich jedoch nicht beeindrucken. „Ein paar Tage müssen wir schon noch warten ... Es hat keinen Sinn, überstürzt aufzubrechen." Er blickte ihr fest in die Augen. „Geben Sie mir Ihr Wort?"
„Gut", zögernd gab Maggie nach.
„Fein. Das wäre also klar!" Der Doktor plauderte mit ihr und schilderte ihr seine Erlebnisse in dieser abgelegenen Gegend, in der er der einzige Arzt war.
„Wollen Sie zum Lunch bleiben?" fragte Maggie und hielt sofort erschrocken inne. Was tat sie eigentlich? Wie kam sie dazu, einen Gast einzuladen, da sie doch selber Gast auf Am-berley war?
Unwillkürlich sah sie zu Danger hinüber, in dessen Mundwinkeln es amüsiert zuckte.
„Ist doch klar, daß der Doktor bleibt", kam ihr Danger zu Hilfe. „Wieso käme er sonst ausgerechnet zur Lunchzeit zu uns?"
Die Familie setzte sich zu Tisch, Maggie schenkte Tee aus der großen Kanne ein und versuchte sich unablässig einzureden, daß ihre heißen Wangen überhaupt nichts mit Dangers leicht spöttischen Blicken zu tun hatten.
Gleich nach dem Lunch verabschiedete sich der Arzt, und Maggie schaute mit den Kindern noch lange dem staubbedeckten Chevrolet nach, der den gewundenen Pfad zwischen den grünen Feldern entlangfuhr.
Plötzlich bemerkte sie Danger an ihrer Seite. Er lud sie ein, sich die Farm anzusehen.
Maggie zögerte. Bisher hatte sie noch keine Zeit dafür gehabt. Sie hörte sich murmeln: „Aber das Geschirr ..."
„Stellen Sie es ruhig in den Ausguß. Phil und ich können später abwaschen. Kommt, Kinder", rief Danger, „heute braucht ihr keine Hausaufgaben zu machen."
Zu Maggie gewandt sagte er: „Warten Sie hier. Ich hole den Wagen."
In wenigen Minuten war er mit seinem grauen Chrysler zurück. Die Kinder warteten gespannt. „Steigt hinten ein", rief er ihnen zu.
Eine zweite Einladung war nicht nötig - die Kinder drängten sich begeistert in den Wagen. Danger hielt Maggie die Tür auf und setzte sich ans Steuer.
„Das sind Mike und Gavin", erklärte Philippa, als sie kurz darauf an zwei Hütten vorbeikamen. An einem Stacheldrahtzaun hingen Männersocken, Schaffelle waren auf Rahmen gespannt. „Mike wird mir das Gitarrespielen beibringen."
Sie fuhren an Ställen, Geräteschuppen und an der Scherstelle vorbei. Durch ein Gitter, das von herabhängenden Zweigen fast verdeckt war, kamen sie in eine Hügellandschaft, in der viele Schafe weideten.
Aus der Nähe betrachtet, sah alles viel attraktiver aus als vom Fenster ihres Schlafzimmers. Die unglaublich klare Frühlingsluft war voll von der erdigen Würze dieses Buschlandes. Sie fuhren einen Pfad entlang, der von überhängenden Farnen fast verdeckt war.
Maggie hätte vor Freude jubeln können. So ein Schlag auf den Kopf war also doch gar nicht so übel! Man konnte danach so froh werden, daß nichts auf der Welt mehr von Bedeutung schien - nicht einmal die Gesellschaft eines Mannes, den man ja eigentlich gar nicht ausstehen konnte.
Sie erreichten einen Hügel, und Danger hielt an. Sofort drängten die Kinder heraus. Die älteren liefen die steilen Hänge herab, ließen sich fallen und kullerten weiter. Mark warf sich aufjauchzend ins Gras.
„Von hier aus kann ich Ihnen die Grenzen der Farm zeigen", sagte Danger und beschattete seine Augen mit der Hand. Die Sonne war inzwischen hinter den Wolken hervorgekommen und blendete.
„Oh." Mehr konnte Maggie nicht sagen, als sie ihre Blicke über das weite Land schweifen ließ. Das Buschland der Hügel war gerodet worden. Zäune trennten die Weideflächen voneinander und liefen am Horizont wieder zusammen. Hier und dort entdeckte Maggie Wasserstellen, und unten im Tal war eine ebene Fläche zu sehen, die offensichtlich als Flugplatz benutzt wurde.
Zwischen den Hügeln hatte man den Baumbestand erhalten, um den Charakter der Landschaft nicht radikal zu verändern. Maggie spürte die ganze Abgeschiedenheit dieses wilden, freien Landes, und jetzt erst wurde ihr klar, wie sehr sie sich nach so einer Umgebung gesehnt hatte.
Sie hatte vergessen, wie frische Luft sein konnte, die man weitab der Städte atmete. An einem Tag wie diesem wirkte solche reine Luft fast betäubend. Maggie dachte daran, was sie hier alles tun könnte, wenn man sie nur auf Amberley hätte haben wollen.
Warum war Danger nur so schwierig? Warum konnte er sie nicht fair behandeln? Alles, was sie verlangte, war doch nur Fairneß!
„Gehört das alles Ihnen?"
„Es ist eigentlich viel zu groß. In den Schluchten zwischen den Hügeln gibt es viel Buschland, aber ich habe drei Viertel in Weideland für Schafe und Rinder umgewandelt. Vor zehn Jahren war dieser Grund nicht viel wert - überall gab es nur Busch. Wir mußten von der Luft aus düngen, um das Landschaftsbild zu verändern."
„Was bedeutet Te Rangi eigentlich?" wollte Maggie wissen.
„Danach sollten Sie besser Mrs. Wahonga fragen. Sie könnte Ihnen sogar die richtige Aussprache sagen. Der volle Name ist taepaepae tanga o te-rangi-."
„Um Gottes willen! Was bedeutet denn das alles?"
„Der Ort", erklärte Danger, „an dem die Sonne eben über dem Horizont steht. Die Maoris waren sehr poetisch und lyrisch, wenn es darum ging, Dingen einen Namen zu geben."
„Aha", sagte Maggie ziemlich geistesabwesend und suchte den Hügel mit ihren Blicken ab. „Wo ist denn Pete?"
„Da vorn im Tal muß er sein. Die Stuten sind mit ihren Fohlen auf der Weide hinterm Haus. Da draußen stehen jetzt nur drei Pferde."
„Wo?" Maggie folgte der Richtung seines Blickes.
„Da, unter den Eukalyptusbäumen neben Saint." Ein Arm legte sich um ihre Schultern, jährend sie seinem ausgestreckten Arm folgte. „Sehen Sie ihn jetzt?"
Aber Maggie konnte ihr Pferd nicht sehen. Dazu klopfte ihr Herz viel zu sehr und verwirrte sie vollkommen. Mit angehaltenem Atem versuchte sie, sich auf die ferne Weide mit den Pferden zu konzentrieren.
„Na, Pete, dann alles Gute", versuchte sie leichthin zu scherzen. „Das frische Gras, so viel Bewegungsfreiheit und die Gesellschaft anderer Pferde! Das alles ist viel zu schön, um von langer Dauer zu sein!"
„Wirklich?" Eine sanfte Hand strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, fast zärtlich. Maggie hielt ihren Blick weiterhin krampfhaft auf die ferne Weite gerichtet, doch sie war sich bewußt, daß er sie von der Seite her beobachtete. „Die Kinder sagen, daß Sie Land roden?" „Richtig. Sehen wir es uns doch mal an." Er legte zwei Finger an die Lippen und stieß einen schrillen Pfiff aus, der bewirkte, daß die Kinder im Sturmschritt zum Auto zurückkamen.
„Weiter geht's, Kinder!" Sie kletterten wieder hinten in den Wagen, und schon startete Danger.
Wieder ging es an den sonnigen Hügeln entlang. Maggie fiel auf, daß dieses Land erst vor kurzem gerodet worden war. Die Stämme lagen aufgeschichtet zum Trocknen und hatten eine dunkelbraune, fast schwarze Färbung angenommen.
Danger hielt. „Ein Arbeiter hat die Bäume mit einem Bulldozer umgefahren. Der Rest braucht nur in die Schlucht gekippt zu werden."
Maggie dachte daran, daß alles so wunderbar sein könnte, wenn man ihr erlaubte, mit Pete hierzubleiben. Alles wäre wunderbar, bis auf den Mann an ihrer Seite, der nach Rasierwasser duftete und sie so eigenartig beunruhigte.
Das Essen, zu dem sich auch die Farmhelfer einfanden, war ausgezeichnet: Lammkeule, frischer Kopfsalat und als Nachspeise gefrorene Sumpfbeeren mit Eis.
Mrs. Wahonga wandte sich zum Gehen: „Geht ihr morgen alle an den Strand?"
„Ja, alle", entgegnete Danger.
Mrs. Wahonga sah Maggie an: „Das wird ein schöner Tag für Sie. Es macht viel Spaß, Toheroas zu suchen." Sie kicherte in sich hinein. „Und die schmecken prima."
„Ich freue mich schon darauf", lächelte Maggie. „Wenn ich Glück habe, kann ich sicher ein paar mit auf die Reise nehmen. Glauben Sie ..."
Erstaunte Ausrufe der Kinder erstickten ihre Stimme. Große Augen blickten sie fassungslos an, und Mark brüllte los: „Bleib doch, Maggie! Geh nicht weg!" Sein Stuhl kippte gefährlich zur Seite, und er hielt sich an Maggie fest, dabei tropften seine Tränen auf ihren Arm. „Ich lasse dich nicht gehen! Nein, das tue ich nicht!"
„Da haben Sie's!" grinste Danger.
„Aber ich muß!"
„Warum denn?" schrie Philippa. „Ich dachte, du wärst hergekommen, um auf uns aufzupassen? Du hast doch selbst gesagt, daß es dir hier gefällt! Warum kannst du dann nicht bleiben?" Flehend fügte sie hinzu: „Ich möchte gern, daß du bleibst!"
„Ich auch!" mischte sich Jan mit seiner zarten Jungenstimme ein.
„Du machst so gute knusprige Brötchen."
„Magst du uns etwa nicht?" Philippa sah Maggie forschend an. „Wir helfen auch alle bei der Arbeit. Und wir werden ganz artig sein. Wenn du bleibst, waschen wir jeden Tag ab. Nicht wahr, Jan?"
Ihr Bruder nickte zustimmend. „Weshalb kannst du nicht bleiben?"
Maggie wurde es schwer ums Herz. Wie sollte sie den Kindern erklären, daß einzig und allein der Onkel hier die Entscheidungen traf und daß er sich klar genug dagegen ausgesprochen hatte, daß sie blieb?
„Es hat nichts mit euch zu tun, Kinder", sagte sie schließlich lahm.
„Aber warum denn ...?" erhoben sich sogleich die Kinderstimmen.
„Das genügt!" Danger schnitt jegliche weitere Diskussion ab. Zu Mark meinte er: „Mach nicht so ein Geschrei. Mrs. Wahonga kümmert sich doch wohl gut genug um euch, oder?"
„Mrs. Wahonga will ich nicht!" Mark schlug heftig mit dem Löffel auf den Tisch. „Sullivan will ich! Sullivan ...!" Als das Geschrei des Jungen immer lauter wurde, trug Danger ihn kurzerhand hinaus.
„Sie haben ja einen ernsthaften Bewunderer", meinte Danger trocken zu Maggie, als er sich wieder an den Tisch
setzte.
Aber nicht an Ihnen, dachte Maggie insgeheim. Sie ärgerte
sich über Danger, weil er Mark in sein Zimmer eingeschlossen hatte und sich nicht im geringsten darum kümmerte, daß der Kleine wie wild mit den Füßen gegen die Tür trat.
„Es wäre nett, wenn Sie morgen den Wagen an den Strand fahren", sagte Danger zu Maggie.
„Ich? Den Wagen?" Sie war völlig überrascht und starrte ihn verwundert an.
„Ja, es ist wegen der Toheroas", erklärte Mike mit einem Blick auf seinen Arbeitgeber. „Wir dürfen sie nur an zwei Wochenenden aus dem Sand graben, und dann können immer nur drei Leute pro Wagen dran teilnehmen. Da machen sich natürlich die Kinder bei der Suche bezahlt ..."
„Wie weit ist denn der Strand entfernt, wo wir die Toheroas suchen?" fragte sie.
„Nicht weit", entgegnete Danger in seiner lakonischen Art, „ein paar Meilen jenseits der Schlucht geht es etwa fünf Meilen an den Sanddünen entlang. Dort ist die Stelle."
„Genaues verraten wir Leuten aus der Stadt aber nicht", ließ sich Mike wieder vernehmen.
„Nur netten Leuten", warf sein Arbeitskollege ein und wandte sein sonnenverbranntes Gesicht Maggie zu.
Danger schwieg. Mit einem Male bemerkte Maggie, daß es in Marks Zimmer still geworden war. „Soll ich Mark holen?" wandte sie sich an Danger. „Er ist jetzt still."
„Ich hol ihn schon." Wenig später kehrte er mit einem Unglückshäufchen zurück, das nur noch gelegentlich heftig
schluckte.
Mit einem Schlag empfand Maggie, daß diese Kinder sie brauchten. Sie konnte sie doch nicht in den Händen eines Mannes zurücklassen, der keinerlei Erfahrungen mit Kindern und ihren Problemen hatte.
Philippa und Jan wuschen ab, ohne daß es ihnen jemand sagen mußte, und Maggie fiel auf, daß es nicht mal den üblichen Streit zwischen ihnen gab.
Als Maggie die Kinder zu Bett brachte, klingelte das Telefon, und Maggie nahm den Hörer ab. Eine erstaunte Mädchenstimme fragte betreten: „Verzeihung? Ich muß mich wohl verwählt haben. Ich wollte Mr. Dangerfields Farm."
„Ja", entgegnete Maggie, „die ist hier."
„Aber ..." Endlich schien sich die Anruferin gefangen zu haben. „Ist er da? Danger, meine ich. Würden Sie ihm wohl sagen, daß Ann hier ist?"
„Augenblick bitte. Ich hole ihn!"
Danger nahm den Hörer, und Maggie hörte gleich darauf seine tiefe Stimme, während sie neben Mark kniete und ihn abtrocknete.
„Ich muß gehen", sagte Danger vor der Tür. „Wenn mich jemand braucht, so bin ich auf Anns Farm. Jan kennt die Telefonnummer, okay?"
„Ja, okay." Maggie war recht benommen.
Die Anruferin mußte ihm ja viel bedeuten, wenn er so mir nichts dir nichts in die Nacht hinausfuhr, sobald sie nur anrief. Maggie hatte ja schon von Ann gehört. Sie war das Mädchen, das oft Essen nach Amberley schickte. Sie hatte auch die Suppe gekocht, die eigentlich für Danger bestimmt gewesen war.
Leicht bedrückt brachte Maggie die Kinder ins Bett, nähte Philippas zerrissenes Kleid und ging dann selbst schlafen.
Sie mußte sich eingestehen, daß das Haus ohne Danger einen sehr verlassenen und öden Eindruck machte.
4. KAPITEL
„Glauben Sie, daß Sie mit den Gängen zurechtkommen?" Danger stützte sich auf das heruntergekurbelte Fenster des Wagens.
„O ja!" Maggie hatte ein ganz gesundes Selbstvertrauen.
Ich weiß nur nicht, wie ich zum Strand komme."
„Das zeigen wir dir!" riefen die Kinder eifrig. Danger brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.
„Es wird schon alles klappen. Folgen Sie nur meinem Wagen. Die beiden Jungs sind schon vorweggefahren. An der Schlucht treffen wir uns."
Wenig später saß Danger in seinem Strandwagen. Das monströse Fahrzeug hatte riesige Reifen, die Karosserie war vom Salzwasser völlig zerfressen. Maggie legte den Gang ein, wandte sich aber noch einmal an die Kinder: „Ihr habt ja eure Spaten vergessen!"
„Nein. Spaten sind am Strand verboten. Nur mit Händen und Füßen dürfen wir Toheroas fangen,"
Danger fuhr los, und Maggie folgte in einigem Abstand. Auf gepflegten Landstraßen ging es durch liebliches, hügeliges Weideland bis hinunter ans Meer.
Maggie konnte das Rauschen der Brandung hören, während sie dem Strandwagen folgte, bis Danger auf einer Grasfläche anhielt. Unter bunten Sonnenschirmen hatte sich eine Gruppe zum Picknick versammelt.
„Mir nach!" rief Danger, und Maggie war froh, daß sie nicht allein gelassen wurde. Sie parkte den schweren Chrysler zwischen dem Strandwagen und einem Transporter. Sofort sprangen die Kinder heraus und liefen durch das hohe Gras, während Maggie an Dangers Seite auf die Gruppe zuging.
„Sie kennen hier wahrscheinlich jeden", sagte sie, um die spannungsvolle Stille zu brechen.
„So ungefähr."
Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis sie mitten unter den Farmern waren. Maggie war richtig erleichtert, als sie unter all den Fremden das freundliche Gesicht von Dr. Smith
entdeckte.
„Na, wie fühlen Sie sich? Geht's wieder besser?" fragte er.
Maggie nickte lächelnd.
Maggie sah am Kliff den Rauch eines Lagerfeuers aufsteigen. Etwas abseits stand eine Holzhütte, durch die Tür zwängte sich ein ständiger Strom von Besuchern hinein und heraus.
„Danger!" Aus dem Gras erhob sich ein großes, gutaussehendes Mädchen und kam auf Danger zu. „Ich dachte schon, du kämst überhaupt nicht mehr. Ich ..." Sie sah Maggie und verstummte.
„Hallo, Ann!" grüßte Danger in seiner burschikosen Art. „Das ist Miss Sullivan."
Das war also das Mädchen, das den Herrn von Amberley mit Essen versorgte! Während die beiden miteinander sprachen, betrachtete Maggie sie. Ann war groß und sehr kräftig. Ihre Haut war tiefbraun von Wind und Wetter, das Haar von der Sonne ausgebleicht. Die Unterhaltung der beiden drehte sich ausschließlich um Probleme mit der Farm und den Tieren, doch schienen beide vergessen zu haben, daß Maggie auch noch da war.
„Hallo, ihr beiden!" Eine hagere Gestalt trat zu ihnen. Ann schien erst jetzt zu bemerken, daß sie nicht allein mit Danger war. Sie wandte sich an Maggie: „Mein Bruder Tony - Miss Sullivan." Maggie sah seinen bewundernden Blick und stellte sich kurz mit Vornamen vor.
„Nett, Sie kennenzulernen, Maggie."
Er blieb an ihrer Seite stehen. „Danger hat mir nicht erzählt ..."
Als sie sich im Gras niederließen, schien Tony seine Blicke nicht mehr von Maggie wenden zu können. Seltsam, dachte sie, daß sich Menschen so ähnlich sein können, obgleich Ann so kräftig wirkte und ihr Bruder so schwach.
Tony schien ihre Gedanken erraten zu haben: „Sie brauchen sich nicht zu wundern. Ann und ich sind Zwillinge, aber die Muskelpakete sind vertauscht worden. Sind Sie auf Besuch in Amberley, Maggie?"
„So kann man es nennen." Maggie spürte, daß Ann sie neugierig betrachtete. Also hatte Danger Ann überhaupt nichts von ihr erzählt. Warum eigentlich nicht? Vielleicht weil Maggie ihm so wenig bedeutete.
Maggie stellte fest, daß die hohe, kräftige Gestalt von Ann sehr gut zu John Dangerfield paßte. Beide gehörten ja auch in dieses freie, ungebundene Leben. „Ja, bis morgen", beantwortete sie endlich Tonys Frage nach ihrem Aufenthalt. „Danger war eigentlich gar nicht auf mein Erscheinen vorbereitet, es beruht alles auf einem Irrtum!"
„Auf einem Irrtum?" Tony sah Maggie ungläubig an, und sie fragte sich, weshalb Tony eigentlich nicht so braun, war wie die meisten Leute hier.
„Ja", erwiderte sie. „Ich war hergekommen, um in Te Ran-gi den Haushalt zu führen ..."
Tonys erstaunter Ausruf: „Aber doch nicht Sie!" schmeichelte ihr.
„Weshalb denn nicht?"
„Na ja, ein Mädchen, das so aussieht wie Sie."
„Wie ich ...?" Maggie wies auf ihre schäbigen Jeans und die ausgetretenen Sandalen.
„Ziehen Sie sich Ihre ältesten Klamotten an", hatte Philippa ihr geraten.
„Leider konnten wir uns nicht einigen", ließ sich jetzt Danger vernehmen. „Der Job sagte ihr doch nicht zu."
„Ich fahre morgen wieder nach Haus", ergänzte Maggie und dachte bei sich: Wem der Job hier wohl nicht zusagte!
„Schade." Der blonde Mann an ihrer Seite sah sie mit Bedauern an.
„Da seid ihr ja!" riefen Gavin und Mike in diesem Augenblick. „Die Mädchen kochen haufenweise Toheroas am Strand! Gleich sind sie fertig. Junge, ich kann es kaum erwarten!"
Maggie sah sich nach den Kindern um. Sie saßen bei einer Familie unter einem bunten Sonnenschirm am Strand. Das Kliff war gefährlich steil, und Maggie nahm sich vor, besonders auf Mark achtzugeben.
Maggie begegnete vielen freundlichen Menschen, aber die verschiedenen Gesichter und Namen hatte sie bald wieder vergessen. Weshalb auch sollte sich Maggie ernsthaft für Menschen interessieren, die sie in ihrem Leben niemals wiedersehen würde?
Zu ihrem Erstaunen schien Tony für viele Leute hier ein Fremder zu sein. Sie wandte sich verwundert an ihn: „Sind Sie etwa auch nur zu Besuch hier?"
Ann antwortete an seiner Stelle: „Man könnte es so nennen!"
Tony lächelte: „Ich bin in Te Rangi geboren", erklärte er, „aber ich war jahrelang auf Internatsschulen in der Stadt und später auf der Uni. Ich studiere Architektur." Ein Schatten legte sich auf sein Gesicht. „Jedenfalls glaubte ich, es zu studieren!" Er versuchte krampfhaft zu lachen. „Ich habe meine Abschlußprüfung nicht bestanden, und jetzt muß ich noch ein Jahr pauken." Er blickte ziemlich nüchtern drein. „Es sei denn, ich gäbe das Studium auf und kehrte auf die Farm zurück!"
„Das muß doch nicht sein", warf Ann schnell ein, und zu Maggie gewandt sagte sie: „Hier wird er gar nicht so dringend gebraucht. Ich kann sehr gut allein zurechtkommen, und das weiß Tony auch!"
„Wirklich?" fragte Tony. „Meine Schwester glaubt jedenfalls, daß sie allein zurechtkommen kann. Solange Dad noch hier war, ging auch alles ganz gut, aber seitdem er tot ist, bildet sich Ann ein, die Farm ganz allein in Ordnung halten zu können."
„Ach was", wandte sich Ann an Maggie und entblößte lächelnd ihre weißen Zähne. „Tony wollte schon immer Architekt werden, und es wäre gewiß eine Schande, wenn er jetzt sein Studium abbräche."
„Hätten Sie denn Lust, auf einer Schaffarm zu leben?" fragte Maggie.
Er grinste zurück: „Oh, für Ann ist es gut so. Sie ist nie glücklicher, als wenn sie im Sattel sitzt und verirrtes Vieh wieder einsammelt. Sie würde nie hier weggehen, um in der Stadt zu leben."
„Aber ihn brauche ich dabei nicht!" beharrte Ann. „Jedenfalls nicht, solange Danger da ist und ich ihn jederzeit um Rat fragen kann, falls ich nicht zurechtkommen sollte. Erst neulich kam er abends wie ein geölter Blitz an, um meine Zuchtstute zu retten. Und übrigens", dabei spielte ein geheimnisvolles Lächeln um ihren Mund, „vielleicht bleibe ich nicht immer allein auf der Farm."
Maggies Herz setzte ein paar Takte aus. Danger und Ann? Nun, warum nicht? Wer könnte besser zueinander passen?
Offenbar war Tony jedoch anderer Meinung: „Willst du etwa einen Verwalter einstellen?" Er grinste: „Das würde uns eine schöne Stange Geld kosten."
Doch Ann beendete das Thema einfach mit der Bemerkung, daß er schon eines Tages noch eine Überraschung erleben würde.
„Lunch ist fertig", rief in diesem Augenblick eine Frauenstimme, und die ganze Gruppe setzte sich an einen soliden Holztisch vor dem kleinen Gebäude am Kliff. Aus der Küche drang verlockender Kaffeeduft, goldbraune Pommes frites wurden eben aus den Ofen geholt. Teller mit gekochten Eiern, Barbecuesteaks, Lammkoteletts und Bratwürstchen, Schinken, Brötchen und dicke Scheiben selbstgebackener Brote lagen auf den Tellern.
Noch nie hatte Maggie so viele selbstbereitete Köstlichkeiten gesehen. Für die Männer gab es Bier in Dosen und für die Frauen und Kinder Limonade. Über der ganzen Szene lag eine fröhliche Atmosphäre, von der auch Maggie angesteckt wurde.
Während des Picknicks wich Tony nicht von Maggies Seite. Er steckte ihr immer wieder Leckerbissen zu und neckte sie wegen ihrer Bescheidenheit. Danger hatte sich nicht die Mühe gemacht, bei ihr zu bleiben. Es sah fast so aus, als miede er Maggies Gesellschaft.
Nach dem Picknick besorgten viele schnelle Hände den Abwasch, und bald stiegen alle in die Fahrzeuge, um am Strand entlangzufahren.
Maggie wartete mit den Kindern im Wagen, bis Danger mit zwei ihr unbekannten Männern zurückkam und das Signal zum Abfahren gab. Auf dem glatten Sand brauchte sich Maggie nicht so sehr auf das Fahren zu konzentrieren. Als der Strandwagen endlich hielt, stellte Maggie den Chrysler daneben ab.
Danger sprang aus dem Wagen und hielt ihr die Tür auf. Einen Augenblick fühlte sich Maggie überwältigt von der Menschenmenge hier am Strand. Auch viele Maoris knieten bereits auf dem nassen Sand und suchten nach Muscheln.
„Passen Sie auf! Bald sind Sie genauso närrisch nach diesen Muscheln wie alle anderen!" meinte Danger mit einem amüsierten Grinsen. Maggie lachte ihn an, und auf einmal schien für sie der Tag ins rechte Lot zu kommen. Die See glitzerte, alles war aufregend und neu.
„Zeigen Sie's mir doch!"
„Hier!" rief Mark begeistert und grub hier und dort im Sand. „Nein, hier!"
Dangers Augen waren auf den Sand gerichtet. „Sehen Sie die kleinen Blasen dort? Das ist einen Versuch wert. Los, Maggie! Versuchen wir's!"
Sie knieten nebeneinander auf dem nassen Sand und gruben mit den Händen tief und immer tiefer, während die Wellen die sandige Fläche überspülten.
„Oh", rief Maggie enttäuscht, als sie ein Stück weißer Muschelschale im Sand verschwinden sah. „Sie entwischt uns." Maggie versuchte, die Muschel zu packen, erwischte aber statt dessen Dangers Hand. Vergeblich kämpfte sie gegen seine sie so verwirrende Ausstrahlung. „Sie ist weg", sagte sie matt und zugleich enttäuscht, als sie sich aufrichtete. Danger kniete noch immer auf dem Sand und blickte lachend zu ihr hoch.
„Ist das denn so schlimm?"
„Nein - eigentlich nicht." Die Worte schienen ihr tief in der Kehle zu stecken. Sie grub eilig an einer neuen Stelle und senkte dabei ihren Kopf tief auf den Sand, um sich vor seinen Blicken zu verbergen. Sie grub fieberhaft und zugleich ziellos, doch plötzlich hielt sie eine kleine Muschel in der Hand.
„Legen Sie sie wieder hin", riet Danger, „die ist viel zu klein."
Während Maggie beobachtete, wie sich die kleine Muschel schnell wieder in den Sand grub, gesellte sich Tony zu ihnen. Danger ging zusammen mit Ann am Strand entlang, während die Kinder aufgeregt von einer Stelle zur anderen liefen. Sogar Mark hatte eine Toheroa gefangen, und die Kinder stritten darum, ob diese Muschel zu klein oder gerade groß genug zum Essen sei.
Tony und Maggie folgten den Kindern, und Maggie versuchte verzweifelt, ihre Gedanken von Danger loszureißen, der in einiger Entfernung vor ihnen ging. Maggie beobachtete, wie schnell die Maoris ihre Muscheln aus dem Sand gruben. Sie wußten sicherlich viel mehr über die Toheroas als alle anderen. Maggie beschloß deshalb, ebenfalls in der Nähe der Maorigruppe zu graben, und bald hatten sie und Tony eine ganze Menge aus dem Sand gegraben.
Der goldene Nachmittag verrann, und Maggie war erstaunt, daß die Flut schon wieder zurückkehrte. Die Leute gingen zurück zu den Wagen, die unterhalb der Flutgrenze standen, und verabschiedeten sich herzlich voneinander.
Als Maggie abends Mark zu Bett brachte, fielen ihr seine glänzenden Augen auf. Die heißen roten Wangen konnten nicht nur von den Aufregungen des ereignisreichen Tages herrühren. Maggie legte ihm die Hand auf die Stirn und war entsetzt über die Hitze. Der Kleine hatte Fieber, da gab es keinen Zweifel. Sie gab ihm eine Aspirin, die er ohne Murren nahm.
„Ich glaube, Mark wird krank - er fiebert", sagte sie, als sie wieder ins Zimmer trat. „Ich habe ihm eine Aspirin gegeben, das wird sein Fieber senken, es sei denn ..." Sie hielt erschrocken inne: „... er würde wirklich krank. Aber das wäre
ja entsetzlich!"
„Das ist er doch schon", sagte Danger leise. „Vielleicht überlegen Sie sich's jetzt noch mal!" „Wegen meiner Abreise, meinen Sie?" Er schwieg und sah sie bloß kühl und fragend an. Sie schob ihre Gedanken an Danger beiseite. Jetzt ging es nur um das Wohl des Dreijährigen, dessen Aggressivität seine ganze innere Unsicherheit verbarg. Er sehnte sich so sehr nach seiner Mutter oder nach jemandem, der ihre Stelle einnehmen könnte.
„Gut", sagte sie langsam, „ich bleibe." Als Maggie zu Danger hinüberblickte, entdeckte sie in seinen Augen ein triumphierendes Blitzen. Hastig fügte sie deshalb hinzu: „Doch nur so lange, bis Sie eine andere Hilfe finden." Und doch behielt er wie immer das letzte Wort, und ihre guten Vorsätze schmolzen dahin, als er sagte: „ Wenn ich jemanden finde."
5. KAPITEL
Als Maggie am nächsten Morgen erwachte, blickte sie lange in den blaßblauen Himmel. Einen Augenblick lag sie ganz still und dachte nach. Sie konnte sich selbst nicht mehr verstehen. Warum nur war sie bei dem Gedanken so glücklich, vom Schicksal auf dieser riesigen Schaffarm festgehalten zu werden? Trotz all der Büro jähre war sie wohl ein Mensch geblieben, der sich auf dem Lande am wohlsten fühlte.
Dann fiel ihr Mark ein, und sie sprang hastig aus dem Bett. Ein Blick in Marks gerötetes Gesicht genügte, und sie wußte, wie es um ihn stand.
Seine Stirn glühte. „Ich hab solchen Durst." „Ich hol dir gleich was zu trinken, Mark. Du mußt heute im Bett bleiben."
„Ich wollte doch mit dir gehen!"
„Na, jetzt bleibe ich eben hier", sagte sie freundlich, „und ich werde auf dich aufpassen, daß du im Bett bleibst, bis du wieder gesund bist!"
„Haust du nicht ab? Prima!" Mark warf sich in Maggies Arme, und da entdeckte sie erst die vielen roten Punkte auf seinem Arm. Masern! Genau das, was sie Danger und den Kindern gewünscht hatte. Der Wunsch war also in Erfüllung gegangen. Sie mußte Mark pflegen. Jan würde gewiß auch noch drankommen. Die beiden Jungen schliefen ja zusammen in einem Zimmer. Ob die beiden älteren Kinder wohl dagegen geimpft worden waren? Vielleicht trugen sie die Krankheit längst in sich? Jetzt bemerkte auch Mark die Punkte auf seinen Armen. „Ich hab überall solche Punkte", sagte er. „Masern!"
Ein gewichtiger Ausdruck trat in seine Augen: „Wetten, daß Jan und Phil die noch nicht gehabt haben?"
„Warten wir's ab", beschwichtigte Maggie ihn mit nachdenklichem Gesicht.
Beim Essen fand Maggie ihre Vermutungen bestätigt. Die beiden größeren Kinder hatten noch keine Masern gehabt und waren auch nicht dagegen geimpft worden.
„Wetten, daß wir sie Weihnachten haben!" meinte Philippa herausfordernd und fügte noch hinzu: „Aber das macht nichts, solange du hierbleibst!" Sie strahlte Maggie glücklich an.
Jan stieß ein lautes Freudengeheul aus, und auch Mike und Gavin waren freudig überrascht, daß Maggie ihre Pläne nun doch geändert hatte.
Den ganzen Vormittag widmete sich Maggie dem Haushalt. Zwischendurch versuchte sie immer wieder, den Arzt zu erreichen, und sie sah oft in Marks Zimmer. Später mußte sie Jan und Philippa noch an ihre Schularbeiten erinnern. Du meine Güte, wie die Zeit verging!
Während die beiden Älteren arbeiteten und Mark schlief, hoffte Maggie, schnell noch eine Maschine voll Wäsche vor dem Lunch fertigzubekommen. Da klingelte das Telefon.
„Sind Sie es, Maggie?" Tonys freundliche Stimme drang an Maggies Ohr.
„Ja."
„Ich hatte schon befürchtet, Sie hätten Amberley verlassen", sagte er erleichtert. „Maggie, ich muß Sie unbedingt sehen. Wissen Sie eigentlich, daß ich nicht mal Ihre Anschrift habe?"
„Aber ich reise ja gar nicht ab."
„Nicht?" Sie spürte die unverhohlene Freude in seiner
Stimme.
„Ich hab es mir anders überlegt. Oder besser gesagt, jemand anders hat meine Pläne geändert", erklärte sie. „Mark hat seit gestern abend die Masern. Sind Sie sicher, daß Sie mich immer noch treffen möchten?"
„Ich bin dagegen immun. Und sonst wäre ich das Risiko gern eingegangen. Heute abend ist Tanz im Dorf. Ich dachte, wir könnten vielleicht ..."
„Tut mir leid", unterbrach Maggie ihn, „aber ich kann
nicht kommen."
„Warum nicht? Gibt Danger Ihnen nicht mal für einen Abend frei? Das kann ich mir gar nicht vorstellen."
„Nein, nein, nein!" Sie war einfach nicht bereit, mit einem Fremden über Danger zu sprechen. „Es ist wegen Mark. Er ist doch krank, und deswegen bleibe ich hier. Wenn der Arzt hiergewesen ist und ihn angesehen hat, wäre mir wohler."
„Gut, Schwester Sullivan! Wie war's, wenn Sie mich anriefen, wenn bei Ihnen auf der Farm wieder alles in Ordnung ist?"
„Das werde ich bestimmt." Sie unterbrach sich. „Sorry. Ich muß jetzt auflegen. Das wird hoffentlich Dr. Smith sein ..."
Der Arzt hatte ganz in der Nähe von Amberley zu tun gehabt und war so schnell wie möglich gekommen. Jetzt betrachtete er Maggie mit fachkundigem Blick: „Sie sehen viel besser aus."
Maggie lachte: „Ich fühle mich auch besser. Aber Mark macht uns Sorgen. Es sieht so aus, als hätte er die Masern."
„Dann wollen wir uns den jungen Mann mal ansehen."
Maggies Verdacht bestätigte sich, und der Arzt verordnete Bettruhe, solange die Flecken noch sichtbar waren. Er gab Maggie einige Ratschläge für die Pflege: „Viel zu trinken, leichte Kost und keine Zugluft." Dann nahm er eine Röhre mit Tabletten aus seinem Köfferchen. „Hier, das ist gegen das Fieber."
Sie ging mit ihm zur Haustür.
„Na, dann auf Wiedersehen, Miss Sullivan. Sie erweisen Amberley einen guten Dienst." Er stieg in seinen Wagen, winkte noch einmal mit der Hand und fuhr dann davon.
Hätte Tony nicht in den nächsten Tagen jeden Abend angerufen, Maggie hätte ihn sicherlich völlig vergessen. Zu vieles stürzte auf sie ein. Mark überstand die Masern sehr gut, doch mußte Maggie bald erfahren, daß ein genesendes Kind recht schwierig war. Mark langweilte sich im Bett und verlangte ständig nach Gesellschaft und Unterhaltung.
Immer wieder bedrängte er sie und seine Geschwister. Am fünften Tag war Maggie so verzweifelt, daß sie keinen Protest mehr erhob, als die älteren Kinder zu Mark ins Bett kletterten, um den schwierigen Patienten ein wenig aufzuheitern.
Während all dieser Tage erwies sich auch Danger als wunderbare Hilfe, wenn es darum ging, Mark ein wenig Gesellschaft zu leisten. Danger las dem Kleinen oft Comics vor, die ihn sehr amüsierten.
Maggie wünschte sich im stillen, daß Danger auch mal einen Abend mit ihr verbringen möchte, doch das tat er nicht. Wenn er nicht gerade bei Mark war, verschwand er in dem kleinen Zimmer, das er als sein Büro bezeichnete.
Maggie konnte das Licht durch die Türritzen sehen, wenn sie spät abends zu Bett ging. Sie fragte sich oft, wie lange er wohl dort noch über seiner Buchhaltung saß. Zweimal hatte er abends noch den Chrysler aus der Garage geholt und war fortgefahren.
Es schien, als brauchte Ann nur anzurufen, und schon war er auf dem Weg zu ihr, während Maggie ...
Endlich war das Wochenende da. Und tatsächlich, als Maggie gerade erschöpft in einen Sessel sank, kam Danger ins Wohnzimmer. Er ließ sich in den Schaukelstuhl fallen, der Maggie gegenüberstand, und bot ihr eine Zigarette an.
„Na, wie fühlen Sie sich nach dieser anstrengenden Woche?"
„Gut." Sie richtete sich auf und hoffte, daß in dem gedämpften Licht die Spuren ihrer Müdigkeit nicht allzu deutlich zu sehen waren.
„Pech, daß Mark ausgerechnet jetzt die Masern kriegen mußte."
„Pech für wen?" lachte Maggie.
„Für Sie, für Mark, für uns alle, Miss ..."
Aha, sie war also wieder Miss. Etwas verletzt fragte sie: „Weshalb reden Sie mich so an? Ist es nicht ein bißchen blöd, immer Miss Sullivan statt Maggie zu sagen?"
„Also Maggie. Sie haben Mark prima gepflegt. Er wird bald wieder ganz auf dem Damm sein. Jetzt brauchen wir eigentlich nur noch darauf zu warten, daß auch die zwei anderen die Masern bekommen ..."
„Vielleicht ist in drei Wochen Phil an der Reihe?" spekulierte Maggie. „Oder Jan?"
Sie konnte kaum ihr Lachen unterdrücken, und zu ihrem großen Erstaunen lachte Danger mit.
„Ich habe eine Idee", sagte er schließlich. „Wie war's, wenn wir morgen einen freien Tag nähmen ...?"
Eine Sekunde lang leuchtete ihr Gesicht erwartungsvoll auf. „Oh, aber ich kann doch gar nicht weg. Wegen Mark."
„Vergessen Sie Mark einmal. Mrs. Wahonga kommt morgen früh, und wir reiten zusammen aus, damit Sie auch einmal rauskommen.”
„Oh, das wäre ja prima!" Sie freute sich und war zugleich erstaunt und auch irgendwie gerührt. Frei von dieser Kran-Snatmosphare, frei mit Pete ... Aus ihren Augen strahlte Freud? Der Boß nahm sich tatsächlich Zeit, um sich ihr zu widmen. Endlich bemerkte er also, daß sie existierte!
Jetzt ruft mich aber wieder die Pflicht", damit erhob er sich Ann hatte Pech. Einige Stiere sind ausgebrochen. Wenn wir sie nicht erwischen, dann gehen sie im Buschland verloren Dabei hat sie ohnehin genügend zu tun. Wenn wir morgen ausreiten, dann könnten wir ihr ein wenig helfen, die Stiere wieder einzufangen."
Maggies Freude schmolz dahin. Ann! Daher wehte also der Wind. Deshalb hatte er sie zu einem Ausritt eingeladen! Das hätte sie sich doch denken können. Es ging ihm nur um Ann, damit sie ihre Stiere wiederbekam. Maggie konnte ihre Enttäuschung kaum verbergen.
„Ist sie denn ganz allein auf der Farm?"
„Sie hat einen jungen Mann zur Hilfe, aber der lernt noch."
„Kann Tony denn nicht helfen?" fragte sie, nur um nicht stumm dazusitzen.
„Tony? Auf einem Pferd? Können Sie sich das vorstellen? Er meint es wohl gut, aber er ist nicht dafür geschaffen."
Maggie war froh, daß in diesem Augenblick Philippa und Jan ins Zimmer kamen, um ihr Lieblingsprogramm im Fernsehen nicht zu versäumen.
Das schnitt wenigstens jegliche weitere Unterhaltung ab.
6. KAPITEL
Maggie konnte den versprochenen Ausritt kaum erwarten. Jetzt war es soweit!
Heute morgen war Maggie außergewöhnlich früh aufgestanden. Ganz leise war sie den langen Flur entlanggeschlichen und vor das Haus getreten, um die graue Stille des jungen Morgens zu genießen.
Gavin und Mike waren bereits draußen. Sicherlich würden sie noch eine ganze Weile auf den Weiden bleiben, ehe sie zum Frühstück wieder auf der Farm erschienen. Während Maggie barfuß durch das noch taufrische hohe Gras zur Weide hinunterging, war weit und breit keine Menschenseele zu sehen.
Die Pferde standen, wie Maggie erwartet hatte, schon im Korral, der sich neben dem Stall befand. Dangers großer brauner Hengst trabte rastlos vor dem Gatter auf und ab. Als sie nähertrat, hörte sie ein verhaltenes Wiehern, und im nächsten Augenblick kam Pete hinter einem Strauch hervor und trabte auf den Zaun zu.
Maggie klopfte Pete liebevoll auf den Hals und lehnte sich gegen ihn. Erst nach einer geraumen Weile bemerkte sie, daß sie nicht mehr allein war. Mit einem Lächeln wandte sie sich um und sah Philippa, die in ihrem kurzen Nachthemdchen neben ihr am Zaun stand.
Ihr Gesicht verriet unfaßbares Erstaunen und auch ein wenig Eifersucht, als sie beobachtete, wie zärtlich Maggie mit dem Pferd umging.
„Wessen Pferd ist das eigentlich?" fragte sie argwöhnisch.
„Das gehört mir", sagte Maggie, und aus ihrer Stimme klang verhaltener Stolz über diesen Besitz. „Ich hab ihn mitgebracht. Na ja, genauer gesagt, er kam einen Tag nach mir mit dem Pferdetransporter an. Und seitdem habe ich fast überhaupt keine Zeit gefunden, mich ihm einmal richtig zu widmen. Armer Pete", wandte sich Maggie wieder an das Pferd, „für ihn muß die Zeit hier sehr lang geworden sein. Gott sei Dank hat er wenigstens einen phantastischen Auslauf auf dieser Weide und dann noch das herrliche Gras!"
Sie zog eine Karotte aus der Hosentasche und schob sie ihm mit der flachen Hand ins Maul. „Er ist schon ein bißchen alt", meinte sie, „aber seine wirklichen Jahre sieht man ihm überhaupt nicht an, und ich verrate es auch keinem! Ich habe Pete schon als kleines Fohlen bekommen, und er springt heute noch so leicht und gut wie früher. Jedenfalls fast so gut wie damals", schränkte sie dann doch ein.
Maggies Lächeln erlosch, als sie das Mißtrauen in Philippas Gesicht bemerkte. Das Gesicht des Mädchens hatte alles Kindliche verloren und sah kalt und abweisend aus.
„Was ist denn los?" fragte Maggie erschrocken.
„Davon hast du mir ja niemals ein Wort erzählt!" platzte Philippa ärgerlich heraus. „Ich dachte, daß du dir nichts aus der Reiterei und aus Pferden machst!" Ihre Lippen verzogen sich, Tränen traten in ihre Augen, und ein Aufschluchzen unterbrach ihren zornigen Redefluß. „Du bist genau wie alle anderen, nur die haben gar nicht erst versucht, mich zu täuschen! Oh, ich hasse dich!" Unvermittelt drehte sich Philippa um und rannte zurück ins Haus. Das dünne Haar flatterte ihr um den Kopf. Ein Reiter kam näher, und das Kind stürzte auf ihn zu. „Danger! Danger!" Maggie hielt sich zurück, denn sie spürte, daß Philippa ihren Zorn und ihre große Enttäuschung erst einmal bei ihrem Onkel loswerden mußte.
Doch Danger hielt sich nicht lange mit seiner kleinen Nichte auf. Er schickte Philippa kurzerhand ins Haus, damit sie sich anzog. Dann sattelte er sein Pferd ab und kam auf Maggie zu.
„Jetzt ist es wohl aus mit der Freundschaft?" stellte er grinsend fest, und Maggie fühlte bei seinen Worten einen feinen Stich in ihrem Herzen. „Phil ist davon überzeugt, daß Sie ihr etwas vormachen wollten! Sie hat Sie dabei beobachtet, wie liebevoll Sie mit Ihrem Pferd umgegangen sind. Und sie hegt nun mal einen heftige Abneigung gegen Pferde ..."
„Wie kommt sie dazu?" wagte sie die Frage zu stellen, die ihr oft durch den Kopf gegangen war. „Was hat es denn mit dem Pferd ihrer Mutter für eine Bewandtnis? Das Kind ist ja jedesmal stocksteif vor Angst, wenn es in Saints Nähe kommt oder wenn es darauf angesprochen wird, Saint zu reiten. Ist der Schimmel eigentlich wirklich so gefährlich?"
„Ach ..." Danger lächelte vage. „Chris hat sehr hochgesteckte Ziele, und es ist bestimmt nicht leicht, sich an einen Vollblüter zu gewöhnen, wenn man vorher ein gemütliches, zottiges Pony gehabt hat. Das hat Mutter und Tochter ziemlich entfremdet. Der Mutter will es eben nicht in den Kopf, daß ihre Tochter nicht eine genauso begeisterte und mutige Reiterin werden wird wie sie selbst."
„Vielleicht ist Philippa nicht immer so ängstlich und nervös gewesen, wenn es um Pferde ging? Sie hat doch sicher ihr kleines Pony sehr gern gehabt?"
Danger nickte. „Mrs. Barrington ist ein wenig schuld daran, daß die ganze Sache so verfahren ist. Sie hat Phil immerzu bedrängt, Saint zu reiten. Und prompt hat Saint ihr auf den Fuß getreten. Aber so wichtig ist das Ganze schließlich gar nicht."
Danger maß Maggie abschätzend. Sie hielt einen langen Grashalm in ihrer gepflegten zarten Hand, die bislang nur Büroarbeit gewohnt gewesen war, und sah Danger an.
„Wenn Mrs. Barrington ihre ganze Energie aufbieten mußte, um bei den Kindern die Oberhand zu behalten, was können Sie dann schon erwarten?"
Maggie fühlte, wie ihr bei diesen herausfordernden Worten das Blut in die Wangen stieg. Sie würde ihm schon zeigen, was man erwarten konnte! Die alte Barry, wie Maggies Vorgängerin von den Kindern heimlich genannt wurde, hatte das Vertrauen des kleinen Mädchens arg erschüttert, weil sie gegen Philippas Willen versucht hatte, das unsichere und ängstliche Kind auf ein so großes Pferd zu setzen, zu dem Philippa nicht das geringste Vertrauen hatte.
Maggie hätte sich ganz anders verhalten, und das würde sie auch jetzt noch tun. Sie würde es langsam angehen lassen. Schritt für Schritt wollte sie Philippas Vertrauen gewinnen, und erst dann ...
Ihr Gesicht mußte wohl ihre Gedanken verraten haben. Sie spürte, wie Dangers Blick amüsiert und ein wenig herablassend auf ihr ruhte. Sie wurde langsam wütend. „Meinen Sie nicht auch, daß Sie es ziemlich schwerhaben werden, sich bei diesen Kindern durchzusetzen?"
Mit einem Schlag spürte Maggie, daß sie es fertiggebracht hatte, Danger aus seiner Reserve zu locken. Endlich war es ihr gelungen, seine Aufmerksamkeit zu erregen, und das gab ihr eine Genugtuung. Jetzt konnte seine herablassende Art sie nicht mehr verwirren.
„Was wollen Sie damit eigentlich sagen?" fragte Maggie gelassen. „Ich würde sogar darum wetten, daß ich Phil eines Tages dazu bringe, Saint zu reiten. Natürlich nur dann", fügte sie mit einem verschmitzten Lächeln hinzu, „wenn man mir viel Zeit und freie Hand läßt."
„Bitte, Miss Sullivan! Tun Sie, was Sie für richtig halten! Wenn Sie es schaffen sollten, daß Phil und Saint sich gut miteinander vertragen, dann sind Sie nicht nur eine gerngesehene Haushälterin, sondern dann hätten Sie sogar ein kleines Wunder vollbracht."
Das amüsierte Flackern in seinen Augen reizte sie nur noch mehr. „Warum nicht?" fragte sie aggressiv. „Schließlich mag das Kind mich", und etwas weniger erregt setzte sie hinzu: „Jedenfalls war es bislang so, und das wird sich nach einer gewissen Zeit auch wieder einrenken lassen!"
Bald darauf trabten Maggie und Danger die engen, verschlungenen Pfade entlang, die auf die Hügel führten. Pete ließ sich natürlich nicht mit Dangers kraftvollem Hengst vergleichen, aber er hielt doch gut mit. Bald kamen sie ins Buschland, wo die Luft nach Farnen und Moos roch. Trockenes Laub raschelte unter den Pferdehufen. Dann ritten sie wieder durchs freie Land. Maggie hätte unentwegt so weiterreiten mögen. Die frische Brise umspielte ihr Gesicht und fing sich in ihren Haaren. In der Ferne hörte sie das Rauschen der Meeresbrandung.
Auf dem Hügel blieben sie stehen und blickten über das bewegte Meer unter sich. Hinter einer Dünenkette glänzte es wie geschmolzenes Silber. Der Horizont lag hinter einem Dunstschleier.
„Da führt ein Pfad durch den Busch", sagte Danger, während er seinen Hengst wieder antrieb. „Im vergangenen Sommer habe ich dort einen Weg mit dem Bulldozer vorbereitet, aber jetzt hat der Busch schon fast alles wieder überwachsen. Ich muß wohl noch mal mit dem Bulldozer durch. Seien Sie vorsichtig mit Pete. Es ist hier ziemlich steil. Ich werde vorausreiten, um die Schlingpflanzen fortzuräumen."
Der überwachsene Weg führte tatsächlich steil hinab, aber die Pferde hatten einen sicheren Tritt. Nach einer Weile umflutete sie wieder der helle Sonnenschein, und die Hufe der Pferde versanken im trockenen sandigen Boden.
„Wir wollen lieber im feuchten Sand am Strand reiten", schlug Danger vor.
Während Pete einen Hügel hinaufgaloppierte, legte sich Maggie im Sattel nach vorn. Dann ging es wieder steil hinab an den Strand, wo noch der Schaum der großen Wellen auf dem Sand glitzerte. Während Maggie am Strand entlangritt, erfüllte sie eine Woge unendlicher Freude. Sie war eins mit dieser wilden, ungezähmten Welt, in der die Möwen dicht über den Wellen hinweghuschten. Die einsame Küste schien unendlich zu sein.
Als eine große Welle Pete naß spritzte, lachte Maggie auf. Auch Danger war naß geworden. „Dann können wir sie auch gleich ganz ins Wasser treiben", meinte er.
„Warum nicht?" rief Maggie, und schon wandten sie ihre Pferde den gewaltigen Brechern zu. Bald hielt sie sich an Pe-tes Mähne fest und schwamm neben ihm her. Maggie jauchzte laut auf vor Freude, als sie wieder ans Ufer kam.
Ein zauberhafter Tag, dachte sie, voller Leben und Bewegung. Lange ruhte ihr Blick auf den schaumgekrönten Wellen.
Sie ritten wieder am Strand entlang, und in der warmen Sonne trocknete der Wind ihren Sweater und die Jeans. Dann wandte Danger sein Pferd wieder landeinwärts. „Hier reiten wir in den Busch zurück", rief er Maggie zu, und sie folgte mit Pete. Sie ritt so lange hinter Danger her, bis er anhielt, um auf sie zu warten.
Er blickte in eine Schlucht hinab, und sie folgte seinem Blick. Ihr Atem stockte. Gegen den dunklen Hintergrund des Busches standen Bäume in gelber Blüte. Die gesamte Schlucht schien von diesem Gold übersät zu sein. Fragend wandte sich Maggie an Danger: „Warum haben Sie mir nie etwas von dieser Schönheit erzählt?"
„Ich hab's als Überraschung aufbewahrt", grinste er.
„Noch nie in meinem Leben habe ich etwas so Schönes gesehen!"
„Ich auch nicht", bekannte Danger schlicht und blickte auf ihre geröteten Wangen und strahlenden Augen. Sein abgrundtiefer Blick weckte eine bisher unbekannte Erregung in ihr. Dieses Gefühl erschütterte sie so stark, daß sie kaum noch die goldene Schlucht vor sich erkennen konnte. Was geschah mit ihr? Ausgerechnet bei Danger mußte sie so etwas empfinden!
„Sehen Sie mich bitte nicht so an." Erschrocken fragte sie sich, ob sie diese Worte wirklich laut ausgesprochen hatte.
Eine Ewigkeit schien zu vergehen. Dann holte sie Dangers tiefe Stimme in die Wirklichkeit zurück.
„Da drüben ist Anns Farm." Er wies mit seinem ausgestreckten Arm in die Ferne.
Sie zwang ihren Blick in die angezeigte Richtung und sah ein Holzhaus hinter Eukalyptusbäumen. Mechanisch fragte sie in einem leichten Unterhaltungston: „Wie weit erstreckt sich denn ihr Land?"
„Weit genug." Seine Handbewegung schloß die umliegenden Hügel ein. „In all dem Buschland hier wird es nicht leicht sein, die Rinder wieder einzufangen, wenn sie erst einmal ausgebrochen sind. Sehen Sie die Pfade?"
Maggie nickte. Auf einmal schien der Tag nicht mehr so strahlend wie zuvor!
Sie waren eine Weile schweigend durch das Halbdunkel des Busches geritten, als Danger plötzlich zurückrief: „Da ist ja einer!" Er spornte sein Pferd zur Eile an, und Maggie, die in einiger Entfernung folgte, sah jetzt auch den schwarzen Stier. „Passen Sie auf. Er kommt auf uns zu!"
Im nächsten Augenblick preschte der Stier dicht an Maggie vorbei, und Danger war ihm unmittelbar auf den Fersen.
Es folgten noch mehr Stiere, die Danger bald alle auf dem Pfad vor sich her durch den Busch trieb.
Maggie ritt auf dem gerodeten Land voraus und öffnete ein großes Gatter. Danger trieb die Stiere hindurch und band dann das Gatter fest mit einem Draht zu.
Er lächelte sie wieder so erregend an, daß Maggie ganz schwach in den Knien wurde, und meinte: „Ann wird froh sein, daß die Tiere wieder auf ihrer Weide sind."
Sie ritten zurück nach Amberley. Die Landschaft zeigte sich recht eintönig. Gerodete grüne Berghänge reihten sich aneinander und führten ziemlich steil in die mit Sträuchern bewachsenen Einschnitte und Schluchten hinab.
Schließlich erreichten sie die Farm, die friedlich und geborgen vor ihnen lag.
Maggie trieb ihr Pferd an, während Danger hinter ihnen die Gatter schloß. Sie wandte sich nach ihm um und rief ihm übermütig über die Schulter zu:
„Los! Machen wir ein Wettreiten bis zum Grenzzaun! Wer zuerst dort ist, hat gewonnen!"
Es war ein wildes, kindliches Vorhaben, und sie kam sich eigentlich recht albern dabei vor. Wie sollte Pete jemals Dangers kräftigem Vollbluthengst gewachsen sein? Aber nun, wo die Sache einmal eingefädelt worden war, mußte sie auch mitmachen. Ein Zurück gab es jetzt nicht mehr!
Maggie konzentrierte sich voll und ganz auf ihr Pferd und das Ziel. Sie trieb Pete zu größerer Eile an. Was für eine Freude war es, auf dem offenen Gelände so ungehindert dahinzufliegen. Pete galoppierte ohne sichtbare Anstrengung dahin. Er schien überhaupt nicht müde zu werden.
„Los, Pete, schneller!" schrie Maggie ihm ins Ohr. „Zeig doch mal, was du wirklich kannst!"
Ihr Haar flatterte hinter ihr her, so schnell ging der Wettlauf. Maggie hörte Danger, der ihr dicht auf den Fersen war. Trotz des rasenden Galopps und obwohl ein heftiger Wind ihr um die Ohren sauste, konnte Maggie deutlich Dangers angstvolle Rufe hören: „Maggie! Aufpassen! Maggie! Ma..."
Der Wind trug den Rest seines Warnrufes davon. Plötzlich tauchte ein drohendes schwarzes Etwas vor Maggie auf, ein dicker Baumstamm, der schon seit langem dort gelegen haben mußte. In ihrem blinden Eifer hatte Maggie ihn bei dem ungestümen Galopp überhaupt nicht bemerkt. Aber das war doch für sie kein Grund zur Besorgnis. Pete war schon über ganz andere, viel höhere Hindernisse gesprungen.
Sie dachte kaum noch an Dangers Warnung, als sie sich an den Pferdehals preßte und mit Pete zum Sprung ansetzte. Im Bruchteil der nächsten Sekunde sah sie den zweiten Baumstamm, der ein Stück hinter dem ersten lag und von diesem verdeckt wurde. Dann spürte Maggie, wie sich das Pferd unter ihr zur Seite drehte. Himmel und Erde schienen sich zu einem undeutlichen Durcheinander zu vermengen. Um sie herum drehte sich alles. Sie hörte Hufe auf Holz schlagen, und dann wurde sie in hohem Bogen aus dem Sattel und durch die Luft geschleudert.
Maggie wagte zunächst überhaupt nicht, sich zu bewegen. Sie war vollkommen zufrieden in der Lage, in der sie sich befand. Ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit durchströmte sie und erfüllte sie mit einem tiefen Behagen. Und doch zwang etwas in ihr sie, sich zu bewegen. Benommen und verwirrt fragte sie sich, was ihr so unendliches Wohlbehagen vermittelte. War es der starke Arm, der sie umspannt hielt? Vielleicht kam es auch von der kräftigen Schulter, an der ihr Kopf lehnte?
Als sie langsam und zögernd die Augen öffnete, blickte sie geradewegs in Dangers unergründliches Augenpaar. Trotz ihres umnebelten Zustandes bemerkte sie deutlich die Besorgnis, die aus seinem Blick sprach. War das überhaupt Danger, wie sie ihn bislang kennengelernt hatte? In seinem Blick lag soviel Angst um sie, und sein Gesichtsausdruck war eine einzige Liebkosung. Das war doch nicht John Danger-field!
„Maggie! Maggie, Darling!" Wie schön konnte ihr Name klingen, wenn er so liebevoll aus dem Mund dieses Mannes kam! Dangers Stimme drückte soviel Besorgnis um Maggie aus, und ihr Name kam wie eine heißersehnte Liebkosung von seinen Lippen.
Doch alles schien nur eine Einbildung ihrer umnebelten Sinne gewesen zu sein. Es konnte doch nicht wahr sein, daß er sie eben Liebling genannt hatte; denn als sie die Augen wiederum und dieses Mal endgültig weit öffnete, rief er laut: „Wachen Sie auf! Maggie! Aufwachen!"
Sie richtete sich in seinen Armen so weit auf, daß sie neben ihm im Gras zu sitzen kam. Und schon begann sie zu bedauern, daß sie nicht in ihrer bisherigen Lage geblieben war. Als sie endlich klar sehen konnte, brüllte er sie laut an, so daß sie schmerzhaft die Augen schloß. Sein Blick drückte nur noch Erschöpfung und Ärger aus.
„Sie alberne Gans! Haben Sie denn nicht gehört, daß ich Sie bat, den Sprung nicht zu wagen? Konnten Sie denn nicht sehen, wie weit der Abstand zwischen den beiden Baumstämmen war?"
Einen Augenblick lang glaubte sie schon, er würde sie gleich an den Schultern packen und tüchtig hin und her schütteln, damit sie mit Gewalt wieder in die nüchterne Wirklichkeit zurückkehrte.
Benommen schüttelte sie auf seine Fragen den Kopf.
„Teufel auch!" fuhr er wütend fort. „Ich dachte schon, Sie würden sich bei diesem Sprung das Genick brechen!" Er stieß die aufgestaute Luft pfeifend durch die Lungen und blickte ins Gras.
„Was ist denn eigentlich passiert?" fragte Maggie und sah sich verwirrt um. „Ich weiß nur noch, daß Pete ..." Eine entsetzliche Furcht kroch in ihr hoch, und ihre Augen wurden weit und dunkel vor lauter Angst. „Er ist sicher ebenfalls gestürzt! Ich weiß genau, daß er gestürzt ist. Es ist doch nichts ... er hat doch nicht ..." Es gelang Maggie nicht, ihre schrecklichen Gedanken in Worte zu kleiden, so sehr schnürte die Angst ihr die Kehle zusammen.
„Ihm ist nichts weiter geschehen", beruhigte Danger sie und wies mit dem Kopf zu einigen Bäumen, unter denen Pete friedlich graste.
„Er war viel eher wieder auf den Beinen als Sie!"
„Gott sei Dank!" Jetzt hatte Maggie den friedlich grasenden Pete unter den Bäumen entdeckt. Langsam kam sie wieder auf die Beine. „Na, meine Knochen sind jedenfalls noch alle heil", lächelte sie zaghaft.
„Das habe ich schon vor Ihnen festgestellt."
„Wie?" Sie nahm diese Erklärung mit recht gemischten Gefühlen entgegen. Aber sicher hatte er nur das getan, was er bei jedem anderen gestürzten Reiter auch gemacht hätte. Um ihre Verlegenheit und Bestürzung zu verbergen, fragte sie schnell: „Wie lange war ich denn eigentlich bewußtlos?"
„Vielleicht fünf Minuten. Als Sie mit Pete über den Baumstamm schwebten und Ihr Pferd das zweite Hindernis entdeckte, versuchte es noch auszuweichen, und bei der plötzlichen Bewegung sausten Sie ins Gras. Ich hätte niemals gedacht, daß Sie so glimpflich davonkämen."
Maggie riß einen langen Grashalm aus und knabberte zerstreut darauf herum. „Ich kann bloß nicht verstehen, weshalb ich bei einem so lächerlichen Sturz ohnmächtig geworden bin!"
„Wieso nicht?" Er erhob sich und blickte in seiner ganzen Länge von oben her auf sie herab. „Wenn man erst einmal tüchtig eins auf den Kopf bekommen hat, dann verliert man die Besinnung viel eher, als man denkt." Sein Ton war jetzt so kühl und unpersönlich wie immer.
Maggie seufzte. Jetzt ist es also wieder soweit. Alles ist so wie zuvor, dachte sie bei sich. Schade, daß sie sich nur eingebildet hatte, er habe sie zärtlich und besorgt angeblickt und Darling geflüstert!
7. KAPITEL
Am nächsten Morgen tummelte sich Maggie emsig im Haushalt, während die beiden älteren Kinder an ihren Schulaufgaben saßen, die sie für den Fernunterricht zu machen hatten.
Als Maggie später in eine Wochenzeitschrift sah, entdeckte sie, daß eine Firma in der Stadt einen Kinderwettbewerb im Malen ausgeschrieben hatte. Eine Landschaft sollte in Wasserfarben oder in Kohle gezeichnet werden. Binnen zehn Tagen mußten die Zeichnungen eingeschickt werden. Maggie schnitt den Artikel aus und suchte Philippa.
Sie fand das Mädchen mit einem Buch im Bett.
„Sieh mal", sagte Maggie und hielt Phil den Zeitungsausschnitt unter die Nase. „Wäre das nicht was für dich? Ein Zeichenwettbewerb für Kinder mit Geldpreisen! Viel Zeit bleibt dir nicht mehr, aber es wird noch reichen. Na, was meinst du dazu?"
„Bei so vielen Stadtkindern hab ich doch gar keine Chance", sagte Philippa abweisend, streckte aber doch die Hand nach dem Zeitungsausschnitt aus. „Ich könnte ja gar nicht..."
„Und ob du kannst! Warum versuchst du es nicht einfach? Du kannst doch prima mit Wasserfarben umgehen. Hast du dickes Papier?"
Philippa nickte. Schon zeigte sich Begeisterung in ihren Augen. „Ich hab von Onkel Danger zum Geburtstag Superfarben in Tuben bekommen!"
„Na also, worauf wartest du dann noch?" fragte Maggie und wandte sich wieder zur Tür.
„Aber Pferde male ich nicht!" entschied Philippa kategorisch. Seitdem sie herausgefunden hatte, daß Pete Maggie gehörte, verhielt sie sich Maggie gegenüber sehr skeptisch.
„Gut, keine Pferde", stimmte Maggie sofort zu und drehte sich schnell um, um ihr Lächeln zu verbergen.
Abends, als die Kinder im Bett lagen und Mrs. Wahonga zu ihrem Jungen Hone gegangen war, saß Maggie - wie gewöhnlich - allein im gedämpften Licht des großen Wohnzimmers.
Danger hatte sich wieder nur die Nachrichten im Fernsehen angesehen und war dann verschwunden. Maggie hatte wieder einmal feststellen müssen, wie gut er aussah. Er hatte ein goldbraunes Hemd und eine rehbraune Hose dazu angezogen. Sein Gesichtsausdruck strahlte eine Wärme aus, bei der ihr ganz eigenartig zumute wurde. Obgleich er sie zu meiden schien, konnte sie sich vorstellen, daß ...
Mit Entsetzen bemerkte Maggie, wohin sich ihre Gedanken verirrten. Sie schalt sich selbst: Bedenke doch, Maggie, du bist hier nur vorübergehend als Haushälterin engagiert. Nichts weiter! Danger war für sie lediglich der Boß. Oder?
Wenn Ann ihn abends besuchen würde, ließe er seine Buchhaltung sicherlich liegen. Als ob sich ihre Gedanken bestätigen sollten, läutete in diesem Augenblick die Glocke, und Maggie sprang auf.
Offenbar war auch Danger das Klingeln nicht entgangen. Sie traf ihn auf den Flur, und so gingen beide gemeinsam zur Tür.
„Hallo, Danger, wie geht's? Hallo, Maggie!"
Sie erkannte Tonys sympathische Stimme, erblickte Ann und einen kräftig gebauten jungen Mann mit breiten Schultern, der schüchtern lächelte.
Ann ging sofort ins Wohnzimmer und ließ sich dort in einen bequemen Sessel fallen. Sie wirkte sehr fremd, weil sie nicht in Reithosen war. Maggie konnte nicht umhin, festzustellen, daß der gelbe Leinenrock, den Ann trug, uncharmant lang war, und daß das ärmellose Oberteil nicht günstig für ihre sehr muskulösen Arme war.
Nun, die Frau eines Schaffarmers braucht eben gutentwickelte Muskeln, sagte sich Maggie. Sie muß kräftig genug sein, um immer zupacken zu können, wenn es nötig ist.
„O Maggie", schien Ann sich zu erinnern, daß sie den zweiten Mann noch nicht vorgestellt hatte, „bald hätte ich's vergessen: das ist Jim - Jim Blakey. Er kommt manchmal zu uns herüber, wenn ihm seine Farm zu einsam wird und ihm die Decke auf den Kopf fällt. Wir haben ihn einfach mitgebracht. Jim - Maggie."
Der Mann streckte ihr eine kräftige, schwielige Hand entgegen. Maggie gefiel dieser junge Mann, der mit seinen grauen Augen ruhig und gelassen dreinblickte. Sie lächelte ihn an.
„Sind Sie wirklich ganz allein auf Ihrer Farm?"
Er lächelte scheu zurück: „Sicher."
„Und manchmal fühlen Sie sich einsam?" fragte Maggie weiter und bereute sogleich, eine derart persönliche Frage gestellt zu haben, die den jungen Mann offensichtlich in Verlegenheit brachte. „Mir - mir macht das nichts aus." Maggie mußte sich richtig anstrengen, um die leise gesprochenen Worte verstehen zu können.
„Verschwenden Sie nicht Ihr Mitgefühl an ihn", meinte Tony, während er den Drink entgegennahm, den Danger ihm reichte. „Er muß ja nicht allein bleiben. Er könnte doch beispielsweise ein nettes Mädchen bitten, ihn zu heiraten. Dazu fehlt ihm bloß der Mut!"
Dem jungen Farmer stand der Schweiß auf der Stirn, und er hatte Mühe, seiner Verlegenheit Herr zu werden: „Ich ... ich ..." stotterte er.
„Ach, laß ihn doch in Frieden, Tony!" Ann setzte sich in Positur und ließ die nackten Beine baumeln. Ein einfaches Mädchen, stellte Maggie bei sich fest. Ihre Nase ist etwas zu groß, sie könnte dünner sein.
Und doch ging von Ann so viel Ehrlichkeit und Echtheit aus, daß man sie gern haben mußte. Sie gehörte zu den Mädchen, die ausgezeichnet zu einem Mann wie Danger paßten. Sie konnte verstehen, daß er mit ihr so gern Farmangelegenheiten besprach.
Dieser Gedanke bedrückte Maggie ein wenig. Sie bemühte sich verzweifelt, ihre Gedanken zusammenzuhalten, die immer wieder abirrten. Sie wandte sich an Tony, der neben ihr saß und sie mit seinen blassen Augen interessiert betrachtete.
„Mir geht es in letzter Zeit ganz eigenartig", bekannte Tony, während die anderen sich laut und lachend unterhielten. „Ich kann mich gegen dieses seltsame Gefühl nicht wehren. Und Sie, Maggie, sind der Grund dafür. Seit dem Tag, an dem ich Sie zum ersten Mal unten am Strand sah, gehen Sie mir nicht mehr aus dem Sinn ..."
Er unterbrach sich, als Gavin und Mike frisch rasiert und in weißen Hemden und Leinenshorts ins Wohnzimmer traten.
Mike hatte seine Gitarre mitgebracht und ließ schon seine Finger über die Saiten gleiten. „Ich hab ein bißchen geübt", sagte er, „eine Melodie ganz allein für Sie, Maggie."
„Es ist ein Liebeslied der Maoris", fügte Gavin noch hinzu, „aber ein weniger bekanntes. Wahrscheinlich haben Sie es noch nie gehört, Maggie."
„Woher sollte sie es auch kennen?" fragte Ann etwas ungeschickt.
„Wir wollen nicht vergessen, daß Maggie ein Mädchen aus der Stadt ist", erinnerte Danger. „Oder wenigstens war sie es bisher", ergänzte er lächelnd.
Maggie warf ihm einen kurzen Blick zu. Wie kam er nur dazu, sie so zu klassifizieren, als sei sie Ware in einem Supermarkt? Was wußte er schon von ihr? Und Ann, die in vertrauter Intimität neben Danger saß, lachte mit ihm zusammen über Maggie!
Die melancholische Weise auf der Gitarre kam Maggie gleich bekannt vor. Ja, sie selbst hatte diese Maorimelodie schon oft gesungen. Sie kannte den englischen und den Originaltext, und sie wußte sogar, welcher Tanz dazu paßte.
Ein altes Volk ohne Schriftsprache hatte seine Sitten und Gebräuche durch uralte Lieder und Tänze weitergegeben, und bei den rhythmischen Weisen öffnete sich einem das Herz, ob man wollte oder nicht.
Wie wenig doch all diese Leute von ihr wußten. Auf der Farm ihrer Eltern an der Ostküste waren viele Maorif amilien aus der Nachbarschaft ihre Freunde gewesen. Maggie hatte sogar einmal einer Musikgruppe von Maoris angehört. Als diese Truppe auf Tournee ging, war sie für jemanden eingesprungen, der plötzlich erkrankt war. Sie hatte eine Tracht angehabt, in üblichen Mustern aus Flachs gewebt, in den Farben Rot, Weiß und Schwarz. Am Hals hatte sie ein kleines Jadeamulett getragen, und niemals würde sie die traurigen Melodien und die Tänze vergessen, mit denen sie damals aufgetreten war.
„Das Lied kenne ich sehr gut", sagte Maggie und bemerkte, daß Danger überrascht zu ihr herübersah. Er war voller Aufmerksamkeit: „Wirklich?"
„Ja. Ich habe es bei meinen Maorifreunden an der Ostküste vor langer Zeit gelernt. Sie haben mir auch gezeigt, wie man dazu tanzt!"
Jetzt zeigte Dangers Gesicht unverhohlenes Erstaunen, und Maggie triumphierte ein wenig. Endlich war es ihr gelungen, einen kleinen Sieg zu erzielen und ihn einmal aus dem Gleichgewicht zu bringen. Es stieg ihr fast zu Kopf, und ohne sich recht zu besinnen, hatte sie schon die Schuhe abgestreift und stand mit ausgestreckten Armen bewegungslos da.
In ihren dunklen Augen blitzte es auf. Ein Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen, und sie bewegte langsam die Hüften. Dazu sang sie mit leiser, aber klarer Stimme die einschmeichelnde Maorimelodie. In ihrem Rock mit dem Ethnomuster, mit der gebräunten Haut und dem langen dunklen Haar, das ihr ins Gesicht fiel, hätte sie gut und gern selbst ein Maori-mädchen sein können, so selbstverständlich und mühelos schienen ihre tänzerischen Bewegungen. Als die Gitarrenmusik endlich verklang, lächelte sie und freute sich über den begeisterten Beifall.
„Das war ja großartig!" rief Tony und klatschte laut. „Noch mal, Maggie, noch mal!"
Aber ihre Augen suchten nur Danger, und diesmal hielt sie seinen rätselhaften Blick lange aus. War er erstaunt? Hatte ihm ihre Darbietung gefallen? Sie konnte nicht erkennen, was er dachte.
„Gut, Maggie", sagte er schließlich. „Aber ich wette, daß Sie die Bedeutung der Maoriworte nicht kennen."
Und gerade darin irren Sie, Mr. Dangerfield, dachte Maggie triumphierend. Laut sagte sie: „Aber sicher verstehe ich den Text!"
Sein Blick forderte sie heraus, und als Mikes rauhe Finger noch einmal die Melodie auf der Gitarre spielten, übersetzte sie den Text:
Ich werde dir meine Hand nicht mehr reichen, denn du kehrst mir den Rücken und lachst mich heimlich aus. Wenn ich dich anschaue, wendest du dein Gesicht von mir ab. Aber in meinem Herzen, Liebster, weiß ich, daß du mich liebst.
Als das Lied verklungen war, wich Maggie Dangers Blicken aus. Alle Bitten, doch noch etwas vorzusingen, lehnte sie ab.
Jemand legte eine Beatplatte auf, und Tony bat Maggie zum Tanz. Doch Danger ging mit entschlossenen Schritten auf sie zu und nahm sie einfach wortlos in seine starken Arme, und schon tanzte er mit ihr durch den Raum, bevor sie überhaupt merkte, wie ihr geschah. Sie sah nur, wie Tony mit offenem Mund dastand und vor Staunen stumm blieb. Dann vergaß sie alles um sich herum.
Sie konnte später nie sagen, wie lange dieser Tanz gedauert hatte. Sie wußte nur, daß sie ihn niemals in ihrem Leben vergessen würde. Dangers Nähe, sein Tabakduft und der feine Hauch von Rasierwasser, dazu seine starken Arme, die sie hielten und sicher führten, all das nahm sie völlig gefangen.
Als der Tanz zu Ende war, schien plötzlich alles so wie vorher zu sein. Danger unterhielt sich wieder mit Ann. Wahrscheinlich ging es wieder um dringende Farmprobleme. Bisher hatte Maggie immer geglaubt, sie sei frei von Eifersucht. Doch sie konnte sich kaum auf das konzentrieren, was Tony sagte. Ihr Blick war auf Danger gerichtet, dessen dunkler Kopf sich aufmerksam Ann zugewandt hatte. Maggie war froh, als sie das Zimmer verlassen konnte, um Kaffee zu machen.
Tony folgte ihr in die Küche und half, das Geschirr zusammenzustellen. „Sehen Sie, Maggie", grinste er, „ich bin schon ziemlich häuslich geworden."
Das Telefon läutete, und während Maggie mit dem Kaffee den Flur entlangging, nahm Danger den Hörer auf. „Sorry", Maggie mußte seine tiefe Stimme vernehmen, „aber die Stellung ist inzwischen leider besetzt." Damit legte er den Hörer auf und nahm ihr das Tablett ab.
Tony legte die neuesten Schallplatten auf, die er aus der Stadt mitgebracht hatte. Endlich drängte Ann zum Aufbruch: „Wir müssen morgen früh aus den Federn."
Maggie und Danger verabschiedeten sich von den Gästen auf der Veranda. Tony ergriff Maggies Hand: „Maggie, was tun Sie am Wochenende?"
Sie lächelte: „Ich hab Ihnen doch schon gesagt, daß ich hier arbeite."
„Aber Danger muß Ihnen doch auch mal freigeben!" Er schwieg, als Danger auf ihn zukam. „Auf Wiedersehen, Tony!" sagte er, und dem Jungen blieb nichts anderes übrig, als sich mit einem süßsauren Lächeln zurückzuziehen.
Jim, der bescheiden im Hintergrund gewartet hatte, ging auf Danger zu. „Vielen Dank!" Erst jetzt merkte Maggie, daß sie diesen großen, starken, ruhigen Mann völlig vergessen hatte. Armer Jim! Aber er schien nun einmal vom Schicksal dazu bestimmt, übersehen zu werden.
Dangers unmittelbare Nähe spürte sie hingegen deutlich, während sie den Rücklichtern des Autos nachsah. Danger rauchte schweigend seine Pfeife. Maggie wehrte sich gegen das immer stärker werdende Gefühl der Intimität zwischen ihr und Danger, und deshalb fragte sie jetzt, was ihr schon lange auf der Zunge gelegen hatte:
„Dieser Anruf vorhin - ich konnte nicht umhin, ihn mitzubekommen - war da nicht jemand, der die Stellung hier haben wollte?" Und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie nervös fort: „Warum haben Sie denn gesagt, die Stellung sei inzwischen besetzt?"
Er schwieg weiterhin, und sie wandte sich ihm zu und blickte auf sein Profil. Er wandte sich ihr zu: „Na, ist sie denn nicht besetzt?"
„Ich - ich dachte ..." Maggies Stimme war sehr leise. „... daß ich nur hierbleibe, bis jemand anders den Job übernehmen könnte."
„Sie wollen aber doch hierbleiben, oder?"
Er nahm ihr Kinn in seine Hand und hob es an, bis sie gezwungen war, seinem Blick standzuhalten. „Habe ich nicht recht?"
Ehe sie seine Absicht durchschauen konnte, hatten seine starken Arme sie umfaßt. Sie sah seine glänzenden dunklen Augen unmittelbar über sich. Dann löschte sein Kuß alles um sie herum aus. Sie geriet in einen Taumel von Gefühlen, die all ihre Sinne ausfüllten.
Nach einer Weile erst bemerkte sie, daß sie sich wie eine Ertrinkende an ihn klammerte. Seine tiefe, vibrierende Stimme drang ihr ins Herz: „Wollen Sie immer noch fortgehen?"
Sie konnte kaum sprechen, so erregt war sie. Der Pulsschlag war in ihrer Kehle zu spüren. „Ich ..." Der Zauber des Augenblicks war gebrochen, als sie eine kindliche Stimme hörte.
„Maggie - Maggie!" Sie befreite sich aus Dangers Armen, als ein kleines Wesen im Pyjama durch die offene Haustür auf sie zugerannt kam. „Ich konnte dich nirgends finden! Ich dachte schon, du seist abgereist und kämst nie wieder!" Mark schluchzte laut, und Danger nahm den kleinen Jungen auf seinen Arm und brachte ihn zurück ins Bett.
Maggie war völlig durcheinander. Der Kuß hatte all ihre Sinne entfacht, und sie brannte lichterloh. Sie versuchte, sich selbst zur Ordnung zu rufen: Ein schlichter Kuß, Maggie, das ist doch nichts weiter! Aber sei aufrichtig gegen dich selbst, Maggie! Du weißt sehr wohl, daß Amberley jetzt nicht mehr dasselbe wie früher für dich sein wird. Und dabei kannst du die Kinder nicht allein lassen! Sie brauchen dich, Maggie, jedenfalls der kleine hilflose Mark!
Sicher war sein Kuß ganz berechnet gewesen! Es entsprach Dangers egoistischer Art, weil er sie hierbehalten wollte. Und am schlimmsten war, daß sie auch gar nicht weg nicht der wirkliche Grund, aus dem sie auf Amberley blieb!
Sie mußte sich endlich die Wahrheit eingestehen: Sie hatte sich hoffnungslos in John Dangerfield verliebt. Sie liebte seine Stärke und Zärtlichkeit, das herausfordernde, ironische Glitzern in seinen blauen Augen, diese Augen, die so unerwartet ganz weich und dunkel werden konnten, die sinnlichen Lippen ... Lust und Schmerz zugleich vermischten sich zu einem unendlichen Sehnen ...
8. KAPITEL
Am nächsten Morgen brachte Maggie den Männern zur Frühstückspause Tee auf die Weide. Danger dankte kurz angebunden und ziemlich unpersönlich: „Danke, Maggie."
Offenbar hatte er die nächtliche Szene auf der mondbeschienenen Veranda längst vergessen. Auf dem Rückweg zur Farm blieb Maggie am Scherschuppen stehen und warf einen Blick zurück auf die schlanke, sonnengebräunte Figur, die inmitten der Schafe stand. Sie seufzte und dachte, sie könne doch eigentlich froh darüber sein, wie Danger die Sache mit dem Kuß betrachtete - es war eben eine spontane Regung gewesen.
An den kommenden Tagen gab es auf der Farm so viel zu tun, daß sie Danger nur beim Abendessen sah.
„Wißt ihr was, Kinder", meinte Danger am Ende der Woche, „dies ist das letzte Wochenende der Toheroa-Saison. Ich werde Gavin und Mike einen Tag freigeben, und dann suchen wir alle Muscheln am Strand. Wie sieht's mit Ihnen aus, Maggie?"
Als er sie lächelnd ansah, klopfte ihr Herz doppelt so schnell wie sonst. „Ich komme gern mit zum Strand."
„Also abgemacht."
Fröhlich vor sich hinpfeifend ging Danger davon, während Maggie das Geschirr abspülte und sich schon auf den Ausflug freute.
Doch am Sonntag morgen kam ein Anruf von Ann. Sie hatte ein dringendes Problem mit den Schafen und nur Danger, der sich so gut damit auskannte, könnte ihr helfen.
Maggie versprach, daß Danger zurückrufen würde, sobald er käme, und sie war ganz sicher, daß er nicht mit an den Strand kommen würde.
Und sie behielt recht. Er rief sofort bei Ann an und versprach, mit dem Impfstoff, der vom vergangenen Jahr noch übrig war, am nächsten Morgen zu ihr auf die Farm zu kommen. Danach wollte er bei ihr bleiben, um die Tiere zu beobachten.
Maggie konnte nur mit Mühe ihre Enttäuschung verbergen.
„Es tut mir so leid wegen morgen, Maggie." Danger stand dicht neben ihr. „Aber die Schafe gehen nun einmal vor."
„Schon gut", murmelte Maggie und vermied es, ihm in die Augen zu sehen.
„Dürfen wir denn an den Strand?" wollte Philippa wissen, und ihr Gesichtsausdruck verriet, daß auch sie auf eine Enttäuschung vorbereitet war.
„Könnte ich die Kinder nicht hinfahren?" bot sich Maggie impulsiv an.
Danger sah sie an. „Keine schlechte Idee. Glauben Sie, daß Sie mit dem Strandwagen zurechtkommen werden?"
„Weshalb nicht?"
Sie lächelte ihn an. „Es ist ja die letzte Gelegenheit", fügte sie hinzu, „noch einmal Toheroas zu bekommen."
„Die letzte Gelegenheit", betonte Danger. „Ebbe ist nachmittags um drei Uhr. Sie müssen nur darauf achten, daß Sie mit dem Strandwagen immer auf dem nassen Sand fahren. Achten Sie auch auf Priele. So mancher Wagen ist dort stek-kengeblieben, und wir mußten ihn wieder herausziehen." Plötzlich wurde seine Stimme kühl: „Fast hätte ich's vergessen. Tony hat angerufen. Er läßt Ihnen sagen, daß er Sie morgen abend besuchen will."
Sie spürte seinen aufmerksamen Blick. Was erwartete er jetzt eigentlich, daß sie aufgeregt wurde oder gar errötete?
„Er erwartet Ihren Rückruf."
„Danke." Wenn er an Ann interessiert war, so mußte sie sich doch nicht für den Bruder interessieren, oder? „Ich werde ihn später anrufen."
Am nächsten .Morgen zeigte Danger Maggie, wie sie den Strandwagen schalten mußte.
„Versuchen Sie's doch bitte mal!" Danger stand da und beobachtete, wie sich Maggie ans Steuer setzte. Maggie legte den ersten Gang ein und gab Gas. Mit einem Hopser setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Wo war nur der zweite Gang? Aber sie hatte Glück, sie fand die Gänge, kehrte um und blieb vor Danger stehen.
„Das geht ja schon ganz gut", meinte er. „Fahren Sie bloß am Kliff vorsichtig, am besten im zweiten Gang. Der Motor ist sehr stark. Also, ich reite jetzt erst mal zu Ann, und heute abend gibt's gebratene Toheroas, okay?"
„Darauf würde ich mich nicht unbedingt verlassen", sagte Maggie. „Eigentlich sollte der Koch kein Jäger sein, sondern eben nur Koch!"
Danger grinste und machte sich leise vor sich hinpfeifend auf den Weg. Die Worte der Maorimelodie kamen Maggie in den Sinn, und es wurde ihr schwer ums Herz.
Wenn ich dich anschaue, wendest du dein Gesicht von mir ab, aber in meinem Herzen, Liebster, weiß ich, daß du mich liebst.
Wenig später fuhr Maggie den schweren Strandwagen über die Landstraße. Am Strand folgte sie den Wagenspuren, die sich durch die Dünenlandschaft schlängelten. Sie dachte an Dangers Warnung und war an den Stellen, wo sich Bäche von den Hügeln herab ins Meer ergossen, besonders vorsichtig.
Nach einigen Meilen erreichte Maggie die Stelle, an der sie damals mit Danger im Meer geschwommen war. Sie hielt an, und gleich quollen die Kinder aufgeregt aus dem Wagen. Schon tummelten sie sich im Sand. Ganz in der Nähe war eine Gruppe von Maoris, die in kurzen Abständen immer wieder Toheroas aus dem Sand holten.
Maggie dagegen hatte nicht soviel Glück. Wenn sie wirklich einmal eine Toheroa erwischte, dann war sie meistens zu klein. Sie wanderte mit den Kindern am Strand entlang, und endlich kamen sie an eine Stelle, wo sie genügend Muscheln fanden, um ihren Plastikeimer schnell zu füllen.
„Maggie!" Der erstaunte Ausruf eines Mannes schreckte sie auf. Sie kniete im nassen Sand, strich sich ihr Haar aus dem Gesicht, und wandte ihr Gesicht in die salzige Brise, die vom Meer herwehte.
Ihre Augen suchten den Mann. Fast hätte Maggie ihr Gleichgewicht verloren, als sie so unerwartet in Colins rundes, lachendes Gesicht blickte. Er trug eine Sonnenbrille, schien sich aber ansonsten nicht verändert zu haben.
Verwundert fragte sich Maggie im stillen, weshalb diese plötzliche Begegnung sie so gar nicht zu berühren schien. Sie mußte sich sogar anstrengen, um ihrer Stimme einen warmen Klang zu geben.
„Wo kommst du denn her?" fragte sie.
„Das wollte ich dich gerade fragen!" lachte Colin. Er stieg aus seinem schicken, brandneuen Sportwagen und lief auf sie zu: „Ich kann's noch gar nicht glauben. Bist du's wirklich? Wenn du wüßtest, wie viele Leute ich in Hamilton schon nach dir gefragt habe ..."
„Nach mir?" Maggie war völlig verdutzt und fuhr sich verwirrt mit der sandigen Hand über die Augen.
Das war ja ein ganz anderer Colin als der, den sie noch so deutlich in Erinnerung hatte. Er war ganz aus dem Häuschen. Seine Augen funkelten so begeistert, wie sie es nicht mehr an ihm gesehen hatte, seitdem ..."
„Gehen wir doch ein bißchen spazieren", schlug er vor. „Ich werde dir alles erzählen. Maggie, wenn du wüßtest ..." Er unterbrach sich und betrachtete sie in ihrer mimosengelben Shorts und dem dazu passenden Top, das im Wind um ihren schlanken Körper flatterte, dann blieb sein Blick auf ihren nackten sonnengebräunten Füßen hängen.
„Das ist mein Glückstag!" jubelte er. „Komm, Maggie, laß uns am Strand entlanggehen!" Sein Blick fiel auf die drei Kinder, die ihn neugierig musterten. „Hier sind viel zu viele Leute für meinen Geschmack!"
„Aber was wird mit den Toheroas? Deshalb bist du doch sicherlich hergekommen?" fragte Maggie zögernd.
„Ach, vergiß doch die dummen Toheroas! Dich möchte ich sehen, Maggie! Verstehst du denn das nicht?"
Maggie zog ihre Hand zurück, als er danach greifen wollte. Sie wies mit dem Kopf auf die Kinder: „Wir müssen sie mitnehmen."
„Weshalb?" Colin blickte erstaunt. „Kannst du nicht sehen, daß ich mit dir allein sein möchte?"
„Aber das geht nicht. Ich muß auf die Kinder aufpassen."
„Wie bitte?" Unglauben klang aus Colins Stimme, und in diesem Augenblick stellte Maggie bei sich fest, daß Colin eigentlich recht rundlich geworden war. In Australien hatte er offensichtlich ganz schön Fett angesetzt.
Erstaunlich, daß sie ihn einmal geliebt hatte. Wie lange lag das jetzt alles zurück! Sie konnte nicht anders, sie mußte über sein erstauntes Gesicht lachen! „Das kann ich dir ganz einfach erklären. Ich hab auf dem Lande einen Job angenommen, um endlich einmal vom Büro loszukommen."
„Du?" fragte er verblüfft.
„Was ist denn daran so absonderlich?" wollte Maggie wissen. „Es hat mir schon immer gut gefallen auf dem Lande. Und ich kann sogar kochen, wenn ich will", fügte sie hinzu.
„Wo arbeitest du denn?" wollte er jetzt wissen.
Maggie deutete mit einer vagen Handbewegung auf die Hügel. „Auf einer Schaff arm." Sie vermied es, Colin zu sagen, daß sie in Amberley beschäftigt war. Weshalb war er eigentlich so begierig darauf gewesen, sie aufzuspüren? Ob seine Ehe mit Andrea nicht gutging?
Sie wanderten am Strand entlang, und die Kinder liefen voraus, spielten mit den Wellen und freuten sich über die bunten Steine, Muscheln und Seesterne, die sie fanden.
Maggie blickte von der Seite her auf Colin. „Wie geht es l eigentlich Andrea? Ich habe seit ... seit eurer Hochzeit nichts mehr von ihr gehört."
Colin schüttelte den Kopf. „Das ist einer der Gründe, weshalb ich dich unbedingt sehen wollte. Du mußt wissen: Andrea ist tot, Maggie. Sie starb vor drei Monaten bei einem Verkehrsunfall."
„Tot? Aber das ist ja schrecklich! Hast du den Wagen gefahren?"
„Nein, jemand anders. Unsere Ehe ging nicht sehr gut." Seine Stimme war leiser geworden, und Maggie hatte Mühe, ihn zu verstehen, zumal die Brandung ziemlich laut war. „Sicher lag die Schuld nicht allein bei Andrea. Wir mußten eben beide einsehen, daß wir einen Fehler gemacht hatten. Jedenfalls hatte sie einen Zusammenstoß mit einem Lastwagen, bei dem sie sofort tot war."
„Aha", sagte Maggie betreten. Arme Andrea! Maggie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß ihre lebenslustige, immer fröhliche Freundin nicht mehr am Leben war.
„Ich war deshalb froh", fuhr Colin fort, „als sich die Möglichkeit ergab, als Partner in das Unternehmen deines Chefs einzusteigen. Glaub mir, ich konnte gar nicht schnell genug wieder herüberkommen, Maggie. Ich habe gleich das erste beste Flugzeug von Sydney aus genommen und lief zu deiner Wohnung. Es war für mich wie ein Schlag ins Gesicht, als mir niemand sagen konnte, wohin du gegangen warst! Nicht mal dein alter Boß wußte deine neue Anschrift! Falls er sie gewußt hätte, würde er dich längst zurückgeholt haben; denn er hat noch immer keine Sekretärin gefunden, mit der er auch nur annähernd zufrieden wäre. Nicht einmal bei der Post hast du deine Adresse angegeben, damit man dir Briefe nachschicken könnte!"
Maggie schüttelte den Kopf: „Ich wußte noch gar nicht, wohin ich gehen würde. Ich hatte eigentlich gar kein festes Ziel ..."
Sie unterhielten sich eine ganze Weile miteinander, wobei Maggie immer wieder seinen Umarmungen ausweichen mußte. Sie war froh, als Philippa, Jan und Mark endlich wieder zurückgelaufen kamen.
„Sag mal, Maggie", sagte Colin, noch ehe die Kinder sie erreicht hatten, „können wir die Kinder nicht irgendwie loswerden? Ich muß mit dir etwas ganz Wichtiges besprechen!"
Maggie verstand ihn nur allzu gut, und gerade deshalb wollte sie nicht! Wenn Colin nur deshalb zurückgekommen war, um die Scherben einer zerbrochenen Liebe wieder zu kitten, dann hatte er sich gründlich geirrt.
Wenn sie ihm nur klarmachen könnte, wie sehr sich ihre Empfindungen ihm gegenüber gewandelt hatten! Aber sie mußte es ihm sagen und zwar gleich. Sonst würde Colin sie sicher in Amberley aufstöbern, und dieser Gedanke mißfiel ihr sehr. Sie wollte nicht, daß er mit Danger zusammentraf.
„Also gut", meinte sie deshalb, „gehen wir zum Wagen zurück, von dort aus kann ich die Kinder leichter im Auge behalten."
Als sie beim Wagen waren, ließ Colin den Motor an und bat Maggie einzusteigen. Die Kinder folgten dem Wagen in einigem Abstand, und Maggie bat Colin, nicht vom nassen Sandstreifen abzuweichen.
Colin jedoch wollte jetzt nicht auf Maggie hören, er hing viel zu sehr seinen eigenen Interessen nach.
„Es ist so ein tolles Auto", versuchte Maggie es noch einmal, „und es wäre doch schade, wenn es im Sand steckenbliebe!"
„Ich weiß selbst am besten, wo ich fahren kann!" Colin drehte das Steuer mit einem ärgerlichen Ruck herum.
Maggie hätte sich die Warnung sparen können. Schon versanken die Räder des Sportwagens im weichen Sand und drehten durch. Colin fluchte laut und gab immer wieder Gas, vergebens.
„Das ist zwecklos", sagte Maggie. „Du mußt warten, bis jemand kommt und dir heraushilft!" Maggie sah sich um, doch nur in weiter Ferne entdeckte sie am Strand eine Gruppe Muschelsammler. Dieser Ort hier war fast menschenleer. Plötzlich bemerkte Maggie, daß die Flut eingesetzt hatte. Sie mußten unbedingt etwas unternehmen.
Colin war verzweifelt. Je mehr er sich darum bemühte, den Wagen aus dem Sand zu fahren, desto tiefer versanken die Räder.
Auf einmal hörte Maggie die Kinder, und gleichzeitig entdeckte sie, daß von der anderen Seite ein Landrover kam. Danger saß am Steuer: „Na, gibt's hier Schwierigkeiten?"
Erst jetzt entdeckte er Maggie neben dem Fahrer. Erstaunen und Enttäuschung zeigten sich auf seinem Gesicht. Maggie konnte sich nicht erklären, weshalb.
Er sprang aus dem Rover und trat neben das steckengebliebene Fahrzeug: „Ein Freund von Ihnen, Maggie?" Seine Stimme klang so angenehm und höflich, und doch ...
„Colin", stellte sie vor, „und Mr. Dangerfield." Sie hütete sich davor zu erwähnen, daß er ihr Arbeitgeber war. „Haben Sie ein Abschleppseil dabei?"
„Ich fahre nie ohne", erklärte Danger fröhlich. „Keine Angst. Sie werden gleich wieder auf festem Boden sein!"
Danger fuhr seinen Landrover hinter den Sportwagen und befestigte das Abschleppseil. Im Nu stand Colins Wagen wieder auf sicherem Boden.
„Vielen Dank!" Colin beobachtete, wie Danger das Seil wieder löste und in seinem Auto verstaute.
„Das kommt hier häufiger vor", erklärte Danger. „Ich wollte bloß mal sehen, ob alles in Ordnung ist. Haben Sie To-heroas erwischt, Maggie?"
„Ja, sicher." Maggie war völlig durcheinander.
„Gut. Ich nehme sie mit und fahre mit den Kindern schon nach Haus. Also, auf Wiedersehen."
„Noch mal vielen Dank!" rief Colin ihm nach.
Nachdem Danger mit den Kindern weg war, wandte sich Colin gefühlvoll an Maggie und versuchte, sie zu küssen. Sie entwand sich seinem festen Griff: „Es hat keinen Zweck, Colin. Es ist vorbei zwischen uns. Einfach aus! Ich kann für dich nie wieder so empfinden wie damals."
Einen Augenblick lang schwieg er. Dann fragte er argwöhnisch: „Gibt es einen anderen in deinem Leben?"
Maggie hielt vor Schreck den Atem an: „Nein! Nein ..."
„Doch!" widersprach er in scharfem Ton. „Es ist der Farmer mit dem Landrover! Ich hab doch genau gesehen, wie er dich angeguckt hat. Er hat die Kinder mitgenommen, und er nannte dich Maggie!" Unvermittelt packte er sie an den Schultern: „Auf seiner Farm bist du also! Und sicher wolltest du nicht, daß ich dort auftauche!"
„Du tust mir weh", keuchte sie, als sie sich endlich seinem Griff entwunden hatte.
„So! Ich tue dir weh! Und was ist mit mir? Immer hab ich an dich gedacht. Ich hab an dich geglaubt! Aber", fügte er bitter hinzu, „seine Frau hat sicher keine Ahnung davon, wie es um euch steht!"
„Colin ..."
„Klar, daß du nicht von hier fort willst!" Selbstmitleid schlich sich in seine Stimme. „Du hättest es mir sagen sollen, Maggie, bevor ich anfing, Luftschlösser zu bauen. Du hättest mir sagen müssen, daß es nicht mehr so sein kann, wie es war."
Maggie rieb sich die Haut dort, wo seine groben Finger Spuren hinterlassen hatten.
„Du hast alles falsch verstanden! Warum hast du nicht gewartet, bis ich dir alles erklärt hatte?"
„Was denn noch erklären? Hör doch auf mit deinen Lügen, Maggie! Du liebst den Mann, und das weißt du selbst sehr gut!"
Sie lachte auf und versuchte so, sich aus dieser unangenehmen Situation zu befreien. „Du bist ja wohl ganz verrückt geworden!" Sie war furchtbar wütend auf ihn.
„Meinst du?"
„Bitte, bring mich jetzt zum Strandwagen zurück. Es ist schon spät."
„Laß deinen Boß doch ruhig mal warten. Ich habe so lange warten müssen, um dich wiederzusehen."
„Bitte, Colin, bring mich zurück."
Widerstrebend legte er den Gang ein und fuhr sie auf dem nassen Strand zurück zu ihrem Wagen. Kaum hatte er angehalten, als sie schon zum Strandwagen lief. Sie hatte Mühe, die Gänge zu finden, weil vor ihrem Blick ein dichter Schleier lag, so erregt hatte sie die ganze Szene. Endlich gelang es ihr, den Wagen in Gang zu setzen, und mit einem letzten Blick auf Colins verärgertes Gesicht fuhr sie davon.
Glücklicherweise führte ihr Weg sie weitab von der großen Hauptstraße. Der Gedanke, daß er ihr folgen könnte, machte sie ganz nervös. Vielleicht würde er dann noch Danger nach ihr ausfragen.
Warum mußte sie bloß immer wieder an Danger denken? Es machte ihr gar keinen Spaß, so dicht bei ihm zu sein und gleichzeitig so weit von ihm entfernt - gar keinen Spaß!
Maggie fuhr den Wagen gleich in die Garage und ging ins Haus. Auf dem Korridor begegnete ihr Danger, er warf ihr einen eiskalten Blick zu. Sie hatte sich ja angeboten, die Kinder allein an den Strand zu fahren. Er mußte annehmen, daß diese Begegnung mit Colin geplant war. Wie sollte sie auch erklären, daß alles reiner Zufall war?
„Danger", begann sie und wandte sich ihm zu. „Es ist wegen heute ..." Sie mußte sich zwingen fortzufahren. „Es war wirklich eine Überraschung für mich, Colin am Strand zu begegnen. Er ..."
„Sie brauchen mir nichts zu erklären, Maggie", sagte er freundlich, und doch spürte sie deutlich die Kälte in seinen Worten.
„Übrigens, Tony hat angerufen und sich darüber beklagt, daß Sie immer noch nicht zurückgerufen haben. Tun Sie das • lieber, damit er nicht noch länger leiden muß!"
„Ach, das hab ich ganz vergessen. Ich rufe ihn gleich an."
„Sie scheinen sich ja vor Verehrern nicht retten zu können, Maggie", murmelte Danger grinsend.
Sie hätte heulen können. Ja, andere! Nur er nicht!
Dangers Augen waren kühl und abweisend in die Ferne gerichtet.
Verlegenes, drückendes Schweigen herrschte zwischen ihnen, als sie die Stube betraten.
9. KAPITEL
Maggie seufzte tief. Wie seltsam das war. Entweder man war ganz allein und von aller Welt verlassen, oder man hatte gleich zwei Verehrer auf einmal und konnte sich vor ihren Aufmerksamkeiten gar nicht retten. Aber der Mann, den man wirklich liebte, hielt sich zurück. So großzügig war das Schicksal nun auch wieder nicht.
Je mehr sie versuchte, Danger aus ihren Gedanken zu verbannen, um so weniger gelang es ihr. Wie sollte sie nur gegen ihre Empfindungen ankämpfen? Immer wieder sagte sie zu sich selbst: Vergiß ihn doch einfach, Maggie! Aber gerade das wollte ihr nicht gelingen.
Sie versuchte, sich durch die Arbeit im Haushalt abzulenken und verhielt sich allen gegenüber freundlich. Zwar rief Tony auch weiterhin täglich an, aber Maggie nahm diese Anrufe kaum zur Kenntnis. Es war nicht leicht für sie, Dangers ausgesuchte Höflichkeit und seine eisige Verachtung zu ertragen.
Eines Morgens kam Philippa zu ihr. Sie hielt eine Zeichnung in der Hand und bat um eine Briefmarke.
„Oh", Maggie legte gerade die Tagesdecke über Marks Bett, „dann machst du also mit beim Zeichenwettbewerb?"
Das kleine Mädchen tat sehr verlegen: „Ach, es wird ja doch nichts."
So kindlich die Zeichnung auch sein mochte, sie sprach Maggie doch an. Von den Farben ging eine herzerquickende Frische aus. Man spürte förmlich die klare, frische Luft, und der Himmel wölbte sich in einem leuchtenden Blau über den weiten Hügeln. Dennoch wollte Maggie in der kleinen Künstlerin keine falschen Hoffnungen erwecken und meinte deshalb nur: „Es ist schon einen Versuch wert. Ich werde es zwischen Pappe in einen großen Umschlag tun, damit es nicht geknickt wird!"
Maggie hörte, daß Danger zurückgekommen war. Er pfiff draußen auf dem Hof, und ihr Herz schlug schneller.
„Danger fährt am Wochenende mit dem Pferdetransporter zur Landwirtschaftsausstellung, und du sollst uns und Mrs. Wahonga mit ihrem Sohn mitnehmen", sagte Jan zu Maggie, und sie nickte. Maggie dachte daran, daß der Tag durch Dangers Nähe bittersüß werden könnte. Seit der Begegnung mit Colin am Strand hatte sich Danger ganz zurückgezogen und betont neutral verhalten. Es war seltsam, warum konnte sie sich ausgerechnet mit Danger nicht verstehen? Dabei liebte sie ihn, und das gestand sie sich auch selbst ein.
„Für welchen Wettbewerb hast du dich denn eintragen lassen?"
„Für das Hindernisrennen und für das gepflegteste Pony."
„Für die Wahl des gepflegtesten Ponys? Das soll doch wohl ein Witz sein, was?"
Jan sah beschämt zu Boden, um Maggies spöttischem Lächeln auszuweichen.
„Ich werde Pancho heute ein paar Stunden lang bürsten und ihm tüchtig die Hufe einfetten ..." Er brach ab, denn Philippa kam eben mit dem Opossum auf dem Arm herein.
„Wie war's denn mit dir, Phil?" Maggie lächelte das Mädchen herausfordernd an. „Du könntest deinem Pferd doch auch ein bißchen Pflege gönnen, selbst wenn du es nicht mitnehmen willst. Komm mit und bürste es!"
„Nein. Das Tier haßt mich."
„Und wenn ich ihn dir halte?"
„Er läßt mich gar nicht erst rankommen. Jedesmal wenn ich näher komme, guckt er mich so böse an. Er spürt, daß ich Angst vor ihm habe."
Maggie wandte sich mit einem Seufzer von Philippa ab und widmete sich ihrer Arbeit.
Maggie erwachte, als die ersten rosaroten und goldenen Sonnenstrahlen sich am östlichen Himmel ausbreiteten. Sie stand auf und trat ans Fenster. Dieser zauberhafte frühe Morgen versprach einen wunderbaren Tag. Am Himmel trieben viele weiße Wolken, die Reise nach Tamona würde also nicht zu heiß werden. Außerdem wehte ein erfrischendes Lüftchen.
Wenn nur die Dinge zwischen Danger und ihr nicht so verzwickt wären! Doch trotz allem war Maggie voll freudiger Erwartung, während sie sich ankleidete. Sie freute sich an ihrem goldbraunen Teint, als sie sich im Spiegel betrachtete. Sie hatte gar nicht bemerkt, daß die Sonne sie so gebräunt hatte.
Er würde sie wohl sicherlich kaum bemerken, wo Ann doch mitkam!
Doch dann trieb sie sich zur Eile an. Schnell packte sie den Picknickkorb und eine Kühltasche mit Getränken. Sie legte den großen Fruchtkuchen, den sie selbst gebacken hatte, in eine bunte Blechschachtel.
Philippa sah heute richtig glücklich aus. Aus den grauen Augen des Mädchens funkelte freudige Erwartung. Sie trug leichte Sandalen und dazu ein frisch gebügeltes, buntgemustertes Kleid mit stilisierten Blumen, das ihr großartig stand.
Jan war in seinen knappen Reithosen, einem kanariengelben Pullover und der schwarzen Reitkappe kaum wiederzuerkennen.
Nur der pausbackige Mark war heute genauso liebenswert und aggressiv wie sonst auch. Der blaue Pullover, den er heute trug, unterstrich noch das strahlende Blau seiner Augen.
Als alles bereit war, fuhr Danger den Pferdetransporter zur Weide. Pancho war schon an solche Transporte gewöhnt und ließ sich willig in das Fahrzeug führen. Pete wieherte freudig auf, als er Maggie sah. Sie bedauerte jetzt fast, daß sie Dangers Angebot, Pete mit auf die Ausstellung zu nehmen, abgelehnt hatte. Sie hätte doch gut mit ihm an einem Hindernisrennen teilnehmen können.
Aber jetzt war es zu spät, und sie hätte doch nicht mit Ann konkurrieren können, die an einer ganzen Reihe von Disziplinen teilnehmen wollte!
„Okay?" fragte Danger, und Maggie nickte. „Versuchen Sie, sich in Sichtweite hinter mir zu halten. Wenn es unterwegs Schwierigkeiten geben sollte, fahren Sie einfach an den Straßenrand, damit ich es wieder in Ordnung bringen kann. Okay?"
„Ja."
„Dann kann's ja losgehen."
Maggie hatte auf den Nebenstraßen keine Schwierigkeiten, Danger zu folgen. Doch als sie später auf die Hauptstraße kamen, schien es für alle Transporter, Jeeps und Landrover nur ein einziges Ziel zu geben. Die Landwirtschaftsausstellung lockte Besucher aus allen Teilen des Landes an. Maggie fuhr hinter Danger her durch einen kleinen Ort, in dem die hölzernen Bungalows in Regenbogenfarben bemalt waren. Schließlich erreichten sie das Ausstellungsgelände. Überall standen Wagen, Traktoren und Pferde.
„Da ist ja ein Karussell!" schrie Mark, als Maggie gerade den Flaggensignalen eines Mannes in einem weißen Kittel folgte, der ihren Wagen neben den Landrover winkte.
Danger hatte bereits den Wagen geöffnet, um Pancho herauszulassen. Er half Jan, sein Pony zu satteln und gab dem Tier dann einen freundschaftlichen Klaps. „Na, ihr beiden, dann amüsiert euch schön bisrheute nachmittag! Versäumt euren Einsatz nicht. Hier, Philippa", er langte in seine Hosentasche und holte ein paar Münzen heraus, „geh mit Mark zum Karussell, paß gut auf ihn auf. In einer Stunde treffen wir uns wieder hier. Hast du eine Uhr mit?"
„Ja", rief Philippa und strahlte übers ganze Gesicht.
„Kommen Sie", wandte er sich dann mit einem Lächeln an Maggie, und sogleich schlug ihr Herz schneller. „Sie haben ja noch gar nicht gesehen, was hier alles geboten wird."
Gemeinsam gingen sie über eine Weide, auf der ein Riesenrad aufgebaut worden war. Vor dem strahlendblauen Himmel drehten sich die bunten Räder.
Es gab viele Buden, vor denen die Ansager ihre Attraktionen priesen. Dies war die vergnügliche Seite der Ausstellung.
Wenn es doch immer so wunderschön und fröhlich sein könnte, dachte Maggie, während sie an Dangers Seite ging und alles um sich her vergaß.
Vor einer Schießbude stand eine Schlange. Zwei Schützen zielten gerade auf die endlos vorbeihoppelnde Hasenreihe.
„Warum versuchen Sie's nicht auch mal?" drängte Maggie. Lachend sah sie Danger an und konnte den strahlenden Glanz seiner Augen nicht deuten.
„Soll ich?"
Maggie genoß das zerbrechliche Glück des Augenblicks. „Warum nicht?" fragte sie übermütig zurück. „Vielleicht bekommen Sie einen Preis."
„Was ich gewinnen möchte, ist wohl nicht erreichbar", sagte er lächelnd. Seine ernste Zurückhaltung schien er vergessen zu haben. „Wenn ich gewinnen sollte, würden Sie dann den Preis annehmen?"
„Ich weiß nicht. Versuchen Sie's doch mal!"
Maggie wußte ganz genau, daß sie jeden Preis, den er ihr geben würde, in Ehren halten wollte, und sei es auch nur ein Gipsindianer oder eine Papierblume, wenn es nur von ihm kam!
Er nahm ihre Hand und sagte: „Bleiben Sie bei mir stehen, damit Sie mir Glück bringen!"
„Na, wollen Sie einen Preis für Ihre kleine Freundin gewinnen?" fragte ein dickbäuchiger Mann und reichte Danger das Gewehr.
„Genau!" stimmte Danger zu, und Maggies Herz klopfte so laut, daß sie die Karussellmusik kaum noch hören konnte.
„Sechs Schuß für nur einen Dollar, Sir!"
Maggie beobachtete, wie Danger konzentriert zielte.
Peng! Peng! Peng! Drei Schüsse trafen in rascher Folge die Papphasen, und aus dem herablassenden Lächeln den Schießbudenbesitzers wurde ein anerkennendes Grinsen.
„Sie haben gewonnen!" flüsterte Maggie ihm zu.
„Das ist nur Ihr Verdienst! Ich habe ja gesagt, daß Sie mir Glück bringen!"
Noch einmal knallten drei Schüsse, zwei Hasen waren getroffen.
„Bitte schön!" Der Budenbesitzer nahm einen vergoldeten Wecker aus dem Regal. „Genau das, was zur Gründung eines eigenen Hausstandes noch fehlt!"
„Hier, Maggie!" grinste Danger. „Jedenfalls ist das Ding nicht so häßlich wie die lila Glasvase oder der gestreifte Gipstiger dort."
„Für mich?" lachte Maggie. „Dabei dachte ich immer, ich sei morgens so pünktlich."
Eine Woge des Glücks überflutete sie. Mit Mühe konnte sie die Tränen zurückhalten, die ihr in die Augen kamen. „Danke, Danger."
„Verstauen wir das Ding lieber gleich im Wagen", schlug Danger vor.
Sie schlenderten zurück zum Parkplatz und warfen einen Blick auf die gefärbten Schaffelle.
„Bei uns färbt man die Felle mit Pflanzensaft ... Sehen Sie nur, Maggie, da ist ja ein bekanntes Gesicht!"
„Aber ich kenne hier doch keinen Menschen!"
„Doch!" Er nahm ihren Arm, und diese flüchtige Berührung ließ abermals eine Glückswelle über sie hinwegrauschen.
„Maggie!" Mrs. Wahongas melodiöse Stimme ließ sich vernehmen. Sie saß auf einer Plattform und strickte aus grober Schafswolle einen Pulli. Neben ihr saßen zwei Engländerinnen, die das gleiche taten. Doch unter den scheinbar so plumpen Händen der Maorifrau wuchs der Pulli viel schneller.
„Na, so was!" rief Maggie verwundert. „Mrs. Wahonga strickt ja mit zwei Stücken Weidezaundraht!"
„Richtig. Das war früher auch so üblich. Und ich möchte wetten, daß sie im Kiwiwettbewerb - so nennt man das, was sie dort tun - den ersten Preis gewinnt."
Die beiden Engländerinnen strengten sich mächtig an. Ihre Hände zitterten, sie wirkten nervös und schon leicht erschöpft. Wie ganz anders war es da um die Maorifrau bestellt, die gemütlich dasaß und ganz entspannt war. Sie lächelte Maggie strahlend zu und winkte einem jungen, kräftig gebauten Maorimann zu, der unter den Zuschauern stand und dem Strickwettbewerb zusah.
„Hallo, Maggie!" rief Mrs. Wahonga stolz. „Da ist Hone, mein Junge!"
Der gutaussehende junge Mann nickte grüßend zu Maggie hinüber, und sie war erstaunt, daß Mrs. Wahonga schon so einen großen Sohn hatte. Maggie hatte bislang immer geglaubt, Mrs. Wahongas Sohn müßte noch ein Kind sein.
„Weiter so, Mrs. Wahonga!" rief Danger ihr zu und wandte sich ab. „Ein bißchen größer ist ihr Junge schon, als man es sich zunächst vorstellt, ehoa?" fragte er lächelnd Maggie. „Ja, ein bißchen", lächelte Maggie zurück. Alles um sie herum war voller Leben, Farben und Bewegung. Maggie wünschte sich, daß dieser Tag nie ein Ende haben möge. Doch diese Hochstimmung wurde jäh unterbrochen, als Danger auf die Uhr blickte und sagte: „Jetzt ist Ann mit dem Springen dran. Kommen Sie, Maggie, wir wollen mal sehen, was da los ist!"
Maggie empfand, wie das Glück des Augenblicks verflog, während sie an seiner Seite ging. Er hatte mit ihr wohl nur die Zeit totschlagen wollen, bis Ann mit ihren Reitkünsten aufwartete. Das ist für Danger der wirkliche Höhepunkt des Tages, dachte Maggie.
Sie schluckte und versuchte ihre Traurigkeit zu verbergen. Danger sollte nicht merken, wie verletzt sie war. Während sie durchs Gras gingen, beobachteten sie die Reiter, die in ihren grünen Jacken bereits über die Hindernisse setzten.
„Jetzt kommt die Endrunde!" informierte der Ansager über einen Lautsprecher. „Ann Macklow auf Rotfuchs."
Die Zuschauer beugten sich gespannt vor, und Maggie warf Danger einen forschenden Seitenblick zu. Sie stellte fest, daß Pferd und Reiterin ihn völlig gefangennahmen. Leicht und behende sprang Ann über die Hürden, als sei alles nur Spiel. Als das Pferd näher kam, warf Maggie einen Blick in Anns Gesicht, es wirkte gespannt und konzentriert. Maggie konnte nicht umhin, die perfekte Haltung des Mädchens zu bewundern. Es war, als wäre sie eins mit ihrem Pferd.
„Bis jetzt fehlerlos", sagte Danger neben ihr, ohne den Blick von Ann und ihrem Rotfuchs zu wenden. „Und eine ausgezeichnete Zeit. Jetzt kommt der letzte Sprung!"
Ann hatte es geschafft. Der Ansager nannte die Zeit, und damit war es klar, daß Ann diesen Wettbewerb gewonnen hatte. Sie grüßte die Schiedsrichter und verließ das Feld.
„Herzlichen Glückwunsch, Ann! Das war ganz große Klasse!" Dangers Augen leuchteten vor Begeisterung. Maggie beobachtete ihn genau und mußte sich sagen, daß er sie noch nie so angesehen hatte, und es auch sicher niemals tun würde. Aber lächelnd überwand sie den leichten Anflug von Traurigkeit und gratulierte Ann zu ihrem Sieg.
„Tony hat Sie schon den ganzen Morgen gesucht, Maggie", sagte Ann, und Maggie stellte fest, daß Dangers Gesicht wieder ernst geworden war. Das Lachen und die fröhlichen Nek-kereien des Morgens waren plötzlich verschwunden.
„Wie war's, wenn Sie jetzt die Kinder holten, Maggie? Ich bringe inzwischen das Picknick zu den Bäumen dort drüben. Oder wollen Sie lieber zusammen mit Tony essen?"
„Nein", sagte Maggie und wandte sich schnell ab. Warum legte Tony es nur so sehr darauf an, bei ihr zu sein, und Danger nie? Es sei denn, er benutzte sie als Lückenbüßerin!
In Gegenwart der Kinder mußte sich Tony ziemlich zurückhalten und konnte seine Bewunderung für Maggie nicht allzu deutlich zeigen. Doch Maggie spürte genau, daß Danger, der sich ein wenig abseits gesetzt hatte, Tonys unentwegt auf sie gerichtete Blicke wahrnahm.
Jim trat zu ihnen und schloß sich der Picknickgesellschaft an. Von ihm ging so etwas Vertrauenerweckendes aus, und
Maggie bedauerte ihn wegen seines einsamen Lebens auf der Schaffarm.
Gewiß, auch Danger war Junggeselle, aber er hatte doch wenigstens eine Braut. Für Tony wäre es auch gut, wenn Ann und Danger zusammenkämen, dann könnte er sich wieder seinem Studium widmen und brauchte wegen der Schaffarm kein schlechtes Gewissen mehr zu haben. Danger könnte beide Farmen bewirtschaften, und Ann wäre auf Amberley eine willkommene Herrin.
Ann hatte gerade ihren Preis in Empfang genommen - eine Geldsumme und eine Trophäe. Jetzt setzte sie sich neben Danger, und bald waren die beiden im Gespräch vertieft. Maggie freute sich, daß es wenigstens den Kindern so gut zu schmecken schien. Ihr war der Appetit vergangen.
Später half Jim Maggie beim Zusammenpacken der Picknicksachen, während Danger Zigaretten herumreichte. Er mahnte Jan, sich zu beeilen, wenn er rechtzeitig zu den Ponywettbewerben kommen wollte. Sie gingen alle mit zum Ponyring.
Pancho gewann eine grüne Schleife für seine Leistungen, und Jan kam strahlend mit ihm zurück, um einen ganzen Chor von Glückwünschen zu hören. Maggie war froh, daß der Tag für Jan so einen schönen Erfolg gebracht hatte. Obwohl alle Aussichten dagegen sprachen, daß Jan noch einen Gewinn holen konnte, nahm der Junge auch noch an dem Wettbewerb um das am besten gepflegte Pony teil. Es spielte für ihn jetzt keine Rolle mehr, was dabei herauskommen mochte. Er hatte sein Ziel ja schon erreicht: Pancho hatte eine grüne Schleife gewonnen!
Danger ging mit Ann zu den preisgekrönten Rindern. „Sie interessieren sich wohl nicht dafür", hatte er zu Maggie gesagt, wohl nur aus reiner Höflichkeit. Jedenfalls mußte sie das zugeben. So ging sie allein mit den Kindern auf der Ausstellung umher, und Tony blieb ihr immer dicht auf den Fersen. Er schien beschlossen zu haben, sie nicht aus den Augen zu lassen.
Sie spürte, daß es ihm nicht recht war, sie immer in Begleitung der Kinder zu sehen. Aber ihre Begeisterung für seine Gesellschaft war erloschen. Warum sollte sie sich zu etwas zwingen, das ihr doch gar keine Freude machte? Sie schlenderten zur Ausstellung der Kinderzeichnungen hinüber. Philippa wollte sich gern die Bilder ansehen. Als die Kinder zu den Zeichnungen hinüberliefen, fand Tony endlich eine Gelegenheit, Maggie zu fragen: „Warum haben Sie mich gestern nicht angerufen? Den ganzen Tag habe ich darauf gewartet und so fest damit gerechnet, daß Sie sich melden würden. Ich wäre gern mit Ihnen zusammen zu dieser Ausstellung gegangen!"
„Wie bitte?" fragte Maggie zerstreut. „Ach so, ja. Das hab ich ganz vergessen."
„Vergessen", stöhnte Tony, wobei er verzweifelt aufseufzte. „Das ist ja fast so schlimm, als wären Sie mit einem anderen Mann ausgegangen, Maggie! Na, zum Glück gibt's in Te Rangi keinen, der mir da gefährlich werden könnte!"
Maggie spürte einen unerwarteten Schmerz. Also wußte bereits jeder, wie es um Ann und Danger stand? Deshalb war Danger auch nicht gefährlich für Maggie, er kam ja gar nicht als Partner für sie in Frage.
„Kommen Sie, Maggie", drängte Tony, um an einer Gruppe junger Männer vorbeizukommen, die sich zu einem Wettholzhacken versammelt hatten.
Doch Maggie hatte unter den Holzhackern Danger entdeckt.
„Danger!" rief sie aufgeregt. „Ich wußte ja gar nicht, daß er dabei mitmacht ..."
„Das war auch gar nicht vorgesehen", knurrte Tony verdrießlich. „Wahrscheinlich hat einer der Teilnehmer in letzter Minute abgesagt, und man hat deshalb Danger überredet mitzumachen."
„Kommt, Kinder, laßt uns zusehen!" rief Maggie, während Tony vergeblich versuchte, Maggie zurückzuhalten. Sie lief bereits auf den Platz zu, auf dem die Männer mit Äxten in den Händen an den Baumstämmen standen, die alle gleich dick waren. Der Ansager gab gerade einige Daten durch. Danger trat vor und ließ seinen Daumen prüfend über die Schneide seiner Axt gleiten.
„Auf die Plätze! Fertig! Los!" Danger trieb seine Axt tief in den Stamm hinein. Rechts und links flogen die Holzspäne.
Die Axt blitzte unter den Sonnenstrahlen auf. Ängstlich betrachtete Maggie Dangers Konkurrenten, noch schien Danger zu führen. Er hatte seine Kerbe schon tief in den Baumstamm geschlagen. Mit kräftigen, rhythmischen Schlägen trieb er die Axt immer tiefer in das Holz.
„Schneller! Schneller!" Maggie war so aufgeregt, daß sie gar nicht bemerkte, daß Ann neben sie getreten war. Ein Maorijüngling, der sich offenbar jahrelang im Holzhacken geübt hatte, schien Dangers Vorsprung aufzuholen. Wenn er nun Danger überholte und gar schlüge? Wie konnte Danger nur so entspannt und unbeteiligt Holz hacken?
Jetzt hatte er den Stamm fast durchgeschlagen! Da! Der Stamm fiel zu Boden. Leichtfüßig sprang Danger zur Seite. Bald hatten es auch die anderen geschafft.
Dann nannte der Ansager den Sieger: „John Dangerfield!" Sofort stürzte Ann auf Danger zu, sie schien es kaum erwarten zu können, bis er seinen Silberpokal in Empfang genommen hatte: „Jetzt bin ich aber an der Reihe, dir zu gratulieren, Danger! Du hast es mal wieder geschafft."
Gemeinsam gingen sie zu den Wagen.
„Danke, Ann. Willst du nicht meinen Pokal haben? Das ist doch eher was für dich!"
Maggie spürte, daß Danger zu ihr herübersah.
„Herzlichen Glückwunsch!" Ihre Worte kamen ihr wie das Krächzen einer Krähe vor.
„Danke, Maggie."
Maggie mußte immer nur daran denken, daß Danger den Silberpokal Ann geschenkt hatte, während sie selbst nur einen Wecker mit einer imitierten Goldauflage bekommen hatte. Sie wandte sich jetzt viel freundlicher an Tony, als sie es sonst getan hätte, und schon fragte Tony: „Du hast doch sicherlich nichts dagegen, wenn ich ein wenig mit Maggie spazierengehe, Danger? Paßt ihr dann auf die Kinder auf?"
„Das machen wir schon", entgegnete Ann.
Maggie wünschte sich, sie wäre niemals hergekommen. Tony lud sie zum Tee in einem großen schattigen Zelt ein.
Er war jetzt in glänzender Stimmung, und so hatte Maggie das Gefühl, daß wenigstens einer darüber glücklich war, daß sie sich auf dieser Ausstellung befand.
Bis zum Ende der Ausstellung sah sie Ann, Danger und die Kinder nicht wieder. Als sich der Tag neigte, wurden die preisgekrönten Rinder in einem großen Halbkreis vorgestellt. Man hatte den Herefordrindern ihre Siegerschleifen um die kräftigen Nacken gehängt.
Die Siegerbullen wurden von ihren stolzen Besitzern an den Nasenringen herumgeführt, während die Schaffarmer inzwischen ihre Böcke und Zuchtschafe mit den blökenden Lämmern wieder zu den Wagen trieben. Die Kinder führten ihre Ponys an der Trense neben feurigen Arabern und Springpferden dem Ausgang zu. Alles drängte zum Aufbruch.
Als die Pferdetransporter beladen waren und die ersten Fahrzeuge bereits den Parkplatz verließen, trat Danger auf Maggie zu: „Na, hat's Ihnen Spaß gemacht?"
Sie nickte stumm.
„Dann fahren wir am besten schnell los, ehe der Verkehr so dicht geworden ist, daß wir auf der Hauptstraße nur noch Schritt fahren können. Jetzt brechen alle auf einmal auf! Die Kinder warten schon im Wagen."
Als Maggie in diesem Augenblick hinter sich Tony sagen hörte: „Moment mal ..." fühlte sie in sich einen unwiderstehlichen Zwang zu kichern. Doch sie beherrschte sich, und ehe sie noch etwas sagen konnte, hatte Danger sie bereits zum Auto geführt.
„Ich rufe an!" rief Tony noch hinter Maggie her. Doch sie hörte ihn kaum, denn wie konnte sie an einen anderen denken, wenn Danger dicht neben ihr ging und sie sicher und schnell durch die Menschenmenge führte?
Als Maggie am nächsten Morgen in die Küche kam, strahlte Mrs. Wahonga sie an: „Na, Maggie, haben Sie sich gestern gut amüsiert?"
„Ja, und wie ist es Ihnen ergangen, Mrs. Wahonga? Sie haben doch sicher den ersten Preis fürs Pulloverstricken bekommen, nicht wahr?"
„Ach, nicht der Rede wert!" winkte Mrs. Wahonga ab, doch ihr Gesicht strahlte. „Aber Hone, mein Junge, hat jetzt jedenfalls einen wunderbar dicken warmen Pullover!"
„Haben Sie etwa so einen großen Pullover gestrickt und dennoch gewonnen?" Maggie war sehr erstaunt.
„Hm. Mein Sohn kann ihn gut gebrauchen, wenn er nachts auf Fischfang geht", erklärte Mrs. Wahonga, als sei es das Natürlichste von der Welt, so etwas zu schaffen. „Übrigens, da war ein Mann am Telefon, der Sie unbedingt zu sprechen wünschte. Ich habe ihm gesagt, Sie seien nicht hier, aber er hat trotzdem immer wieder angerufen. Colin - so hieß er, glaube ich. Der mag Sie sicher sehr gern."
Maggies Gedanken waren völlig durcheinander. In ihrem Kopf herrschte ein einziges Chaos. Colin hatte sie auf Amberley angerufen! Na, ja, so schwierig war es ja wohl auch nicht, die Leute am Strand danach auszufragen, bei wem sie arbeitete.
In diesem Augenblick schrillte wieder das Telefon, und Mrs. Wahonga hielt ihr verschmitzt lächelnd den Hörer hin. Maggie mußte das Gespräch annehmen; sie konnte jetzt nicht mehr zurück. Wie hätte sie sich auch herausreden sollen?
Sie konnte sich kaum auf das konzentrieren, was Colin sagte, und so verstand sie auch nur die Hälfte. Ausgerechnet in diesem Moment mußte Danger ins Zimmer kommen, und er konnte gar nicht umhin, jedes Wort mitzuhören. So erregt und verwirrt Maggie auch war, sie erfaßte doch, daß Colin am Wochenende nach Amberley kommen wollte. Du meine Güte!
Plötzlich fiel ihr ein, daß Tony sie schon seit langem gebeten hatte, mit ihm und Ann zusammen einen Ausflug zu machen. Er wollte ihr das Strandhäuschen der Familie zeigen. Immer wieder hatte sie bisher eine Ausrede gefunden und sich immer dahinter verschanzt, daß Danger ihr nicht freigeben würde. Schließlich war sie auf Amberley, um dort den Haushalt zu führen und auf die Kinder aufzupassen! Doch jetzt war mit einem Mal alles ganz anders.
„Das geht nicht. Ich bin schon eingeladen", hörte sie sich selbst sagen. „Am nächsten Wochenende wollen Bekannte mit mir zum Meer fahren, sie haben dort ein Häuschen. Ich weiß noch nicht genau, an welchem Tag es sein wird, aber leider habe ich dann bestimmt keine Zeit." Damit legte Maggie einfach auf. Colin mußte sich mit ihrer Absage abfinden.
„Wenn Sie am Wochenende freihaben wollen, dann wird Mrs. Wahonga gern herüberkommen", sagte Danger.
Eigentlich will ich ja gar nicht weg ... dachte Maggie bei sich. Doch Dangers Haltung war so kalt und abweisend, daß sie ihm nur noch sagen konnte, daß Ann und Tony sie eingeladen hätten, mit ihnen in ihr Strandhäuschen zu kommen.
„Haben Sie etwas dagegen?" fragte sie noch gereizt.
„Aber nein, natürlich nicht. Mrs. Wahonga wird sich schon um die Kinder kümmern!"
Bis zu diesem Augenblick hatte Maggie eigentlich niemals die ernsthafte Absicht gehabt, mit Ann und Tony zum Meer zu fahren. Die Geschwister interessierten sie überhaupt nicht. Es hätte ihr gar nichts ausgemacht, den beiden nie wieder zu begegnen. Jetzt aber war sie gezwungen, das Beste aus der Situation zu machen.
„Vielen Dank", sagte sie zu Danger.
„Sie brauchen mir doch nicht zu danken", entgegnete Danger mit eisiger Höflichkeit. „Wir haben ohnehin einiges gutzumachen, weil Sie uns doch so geholfen haben!"
Was das nun wieder bedeuten sollte? fragte sich Maggie. Weshalb verstand sie sich eigentlich nie mit Danger? Wie war es nur möglich, daß sie jemanden so hassen und gleichzeitig so über alles lieben konnte?
10. KAPITEL
Maggie freute sich überhaupt nicht auf den Ausflug, dafür war Tony ganz außer sich vor Freude. Zweimal rief er während der Woche bei Maggie an, um mit ihr Einzelheiten zu besprechen.
„Machen Sie sich nur keine Gedanken wegen des Essens", sagte er. „Ann wird sich darum kümmern. Seit Wochen ist sie schon hinter mir her, damit ich im Häuschen saubermache."
Wenn Ann mitkam, würde dann nicht auch Danger mitkommen? Das war doch eigentlich zu erwarten, so wie es um die beiden stand. Maggie wünschte sich, Danger würde dort sein - oder lieber nicht! Es wäre unerträglich, wenn er käme. Dangers beharrliches kaltes Schweigen war nur deshalb zu ertragen, weil er schon am frühen Morgen ausritt, noch bevor Maggie aufstand.
Den ganzen Tag über kümmerte er sich um die Schafe auf den Hügeln, und erst spät abends pflegte er zum Essen zurückzukommen. Aber wenn er mit an den Strand käme, wäre er immer um sie herum, und dann könnte Maggie seine abweisende Haltung nicht so leicht ertragen.
Vor Danger ließ sich nichts verbergen. Seinen aufmerksamen blauen Augen entging nicht die geringste Kleinigkeit. Wenn Maggie sich auch nicht dagegen wehren konnte, ihn liebzuhaben, so hatte sie sich doch dazu bringen können, ihre Stimme und Blicke unter Kontrolle zu behalten, wenn Danger da war.
Auf jeden Fall vermied sie jegliche körperliche Berührung mit ihm.
Als Tony sie schließlich abholte, befand sich Danger weit draußen auf einer Weide und reparierte Zäune. Maggie war sehr froh darüber. Tonys junges bärtiges Gesicht strahlte vor Freude.
„Wo ist denn Ann? Kommt sie nicht mit?" fragte Maggie, als sie sich neben Tony in den Wagen gesetzt hatte. Er warf ihr einen vielsagenden Blick zu: „Maggie, Sie wollen doch damit nicht sagen, daß Sie heute unbedingt Ann in Ihrer Nähe haben wollen, oder?"
Er startete und fuhr langsam an. „Sie wird später mit Danger nachkommen - viel später, hoffe ich!"
Eine leichte Erregung durchzuckte Maggie. Danger kam also doch zum Strandhäuschen! Nicht mit Maggie - aber er kam. In diesem Augenblick empfand Maggie deutlich, wie hilflos die Liebe alle macht, die von ihr befallen waren. Die ganze Welt schien sich nur um eine einzige Person zu drehen. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust. Er galt dem Mann, den sie nur noch wenige Wochen um sich haben und dann nie wiedersehen würde. Seltsam, wie sehr ein einziger Kuß das Leben veränderte, so daß es nicht mehr so war wie zuvor. Aber sie konnte nichts dagegen tun.
Sie versuchte sich gewaltsam auf andere Gedanken zu bringen, während Tony lustig vor sich hinsang.
„Sie sind ja bester Laune", sagte Maggie.
„Ist das denn ein Wunder, wo wir endlich einmal so einen wundervollen Tag allein erleben dürfen?"
Er hatte recht. Der Tag war wunderschön. Das mußte auch Maggie zugeben. Die Luft war kristallklar, und an dem strahlendblauen Himmel jagten sich unzählige weiße Wölkchen. Sobald sie die Hauptstraße verlassen hatten, kam Maggie die Umgebung nicht mehr so vertraut vor. Sie lehnte sich weit in den Sitz zurück und blickte hinaus auf die Landschaft.
Smaragdgrüne Weiden voll saftigem grünem Gras erstreckten sich zu beiden Seiten der Landstraße so weit das Auge reichte. Man hatte viele Entwässerungsgräben gezogen, an denen Bambusstauden wuchsen. Bisweilen fanden sich am Straßenrand hölzerne Podeste, auf denen Milchkannen standen.
Man konnte ein Sägewerk sehen, und Maggie sog begierig den Duft der frisch zersägten Baumstämme ein. Dann! fuhren sie an ausgedehnten Mangrovensümpfen entlang, zwischen deren Wurzelwerk sumpfige kleine Rinnsale ins Meer flössen.
An den Hängen der Hügel waren weit und breit nur Schafe zu sehen. Auf einer kleinen Anhöhe stand eine einsame kleine Kirche. Maggie begann zu träumen. Wie schön wäre es doch, wenn Danger und sie in so einem Kirchlein getraut werden würden ...
„Haben Sie Ihr Badezeug mitgenommen?"
Maggie schreckte aus ihren Träumereien hoch. „Aber sicher!" Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Sie fuhren jetzt über eine schmale Brücke.
„Wir sind bald da", sagte Tony. „Dort kann man schon das Meer sehen." Er wies mit dem ausgestreckten Arm nach vorn.
Zwischen den grünen Hügeln konnte Maggie den diesigen blaugrauen Horizont über dem Meer erkennen.
„Fahren Sie oft zum Strandhäuschen?"
„Nein. Jetzt nicht mehr. Früher, als wir Kinder waren, hielten wir es für das Paradies auf Erden. Der Strand ist sehr abgelegen. Rundherum ist alles grün, und man kann hier ausgezeichnet fischen - wenn man sich dafür interessiert." Dabei grinste er ein wenig abfällig und zeigte damit, daß .er offensichtlich kein begeisterter Fischer war.
„Ich würde es gern mal probieren", lächelte Maggie.
„Sagen Sie mal, Maggie, wird Ihnen die viele Arbeit und das eintönige Leben auf Te Rangi eigentlich niemals zuviel?"
„Das ist ja nur vorübergehend", wich Maggie aus. Sie wollte mit Tony nicht über ihr Leben sprechen.
Tony reagierte nur mit einem kurzen: „Na, Gott sei Dank!"
„Sie werden doch sicher auch nicht mehr lange hierbleiben, wenn Sie meinen, nicht für das Leben auf einer Schaffarm geschaffen zu sein", stellte Maggie fest.
„Als ich fünf Jahre alt war, wollte ich schon immer fort von der Farm. Wenn die Sache mit Ann klappt und sie endlich einen Mann bekommt, der sich auf diese Arbeit versteht und mit dem Ann glücklich wird, was soll ich dann noch hier? Da bleibt mir doch gar nichts anderes übrig, als mein Studium zu beenden. - Was ist denn los, Maggie? Ist Ihnen schlecht von der Fahrerei?"
„Nein, nein! Mir ist ganz wohl." Immer wieder mußte Maggie es erleben, daß sie ihre Gefühle nicht unter Kontrolle halten konnte. Auf ihrem Gesicht standen immer gleich ihre Gedanken und Empfindungen geschrieben. Es war entsetzlich mit ihr. Sie schalt sich selber aus.
„Dann ist es ja gut. Sie haben eben einen so niedergeschlagenen Eindruck gemacht." Tony war immer noch nicht ganz beruhigt.
„Das sieht nur so aus."
Maggie zwang sich jetzt, mit Tony zu plaudern, bis sie das Häuschen erreicht hatten. Sie war angenehm überrascht, als sie an den Strand kamen; hier gab es Kieselsteine in den verschiedensten Farben und Schattierungen.
Tony folgte ihren Blicken: „Eine ideale Stelle für Steinsammler", meinte er. „Hellgrüner Beryll, roter Jaspis und dann noch das glasartige schwarze Zeug - Onyx - heißt es wohl. Als wir Kinder waren, haben Ann und ich gern Steine gesammelt."
Und dann gingen sie zum Strandhaus hinüber. Es lag versteckt hinter Hibiskussträuchern und anderen tropischen Gewächsen. Eine breite Veranda umgab das Haus. Tony schloß die Tür auf, und Maggie sah in einen großen Wohnraum mit gemütlichen alten Holzmöbeln, daneben gab es noch einen Schlafraum, in dem mehrere Betten übereinan-derstanden.
Die Luft war muffig. Offensichtlich war lange Zeit niemand hiergewesen. Tony öffnete das Fenster, um die frische, köstliche, nach Blüten duftende Luft ins Haus zu lassen.
„Gleich kommt die Ebbe. Wollen wir noch schnell schwimmen gehen?"
„Und ob." Maggie verschwand im Schlafzimmer und kam gleich darauf wieder zurück. Sie trug einen einteiligen weißen Badeanzug, der den goldenen Teint ihrer Haut voll zur Geltung brachte.
Sie war überrascht, wie zierlich Tony in seiner Badehose wirkte. Mit so einem zarten Körper1 war man sicherlich kaum für die Aufgaben eines Schaffarmers geeignet.
„Los, ins Wasser!" Er packte Maggie an der Hand, und sie liefen gemeinsam den engen mit Gras und Krautern überwucherten Pfad hinunter zum Strand. Als sie die Straße überquerten, taten Maggies Füße weh, sie war es einfach nicht gewohnt, barfuß zu laufen. Auch Tony verlangsamte sein Tempo. Jenseits der Straße wand sich der Pfad weiter durch das hohe Gras, in dem blaue und rote Lupinen wuchsen, bis hinunter an den Strand.
Auf den Kieselsteinen ging Maggie besonders vorsichtig, sie tastete sich Schritt für Schritt langsam vor. Doch es war jetzt nicht mehr weit bis ins Wasser. Bei Flut war der Strand an dieser Stelle ziemlich schmal.
Das kristallklare Wasser wirkte im ersten Augenblick eiskalt. Maggie prustete und hatte Mühe, Luft zu bekommen, doch schon nach wenigen Stößen empfand sie das Wasser als angenehm erfrischend. Eine milde Brise warf kleine Wellen auf. Tony und Maggie schwammen Seite an Seite ins Meer hinaus, und Maggie hielt auf ein weißes Segelboot zu, das in einiger Entfernung vor Anker lag.
Gerade tauchte Tony wieder laut prustend vor ihr aus dem
Wasser auf. Obwohl ein Stück weiter noch einige Leute badeten, schienen sie dieses Stückchen Strand ganz für sich allein zu haben.
„Maggie!" Lachend legte Tony den Arm um sie, doch sie entzog sich seiner Umarmung und schwamm mit kräftigen Stößen weiter hinaus. „Kommen Sie zurück!" rief er ihr nach. „Sonst hole ich Sie!"
Doch sie wandte sich nur lachend um und schwamm weiter. Als sie sich endlich treiben ließ und zurückblickte, stellte sie fest, daß Tony schon wieder zurück zum Strand schwamm. Da kehrte auch sie um.
Als sie ihn wieder erreichte, war sie erstaunt, daß sein Gesicht blau angelaufen war, seine Zähne schlugen vor Kälte aufeinander.
„Ich ziehe mich an!" Obwohl er sich redlich Mühe gab, es zu verbergen, merkte Maggie doch, daß es ihm nicht besonders gutging. Sie wollte ihn jedoch nicht dadurch verletzen, daß er als Schwächling vor ihr erscheinen mußte und meinte deshalb schnell: „Mir reicht es ebenfalls!"
„Möchten Sie nicht in der Sonne liegen?"
„Nicht auf diesen Kieselsteinen!"
„Okay. Dann gehen wir doch zurück zum Haus!"
Während Tony sich umzog, schaltete Maggie den Kocher ein, damit Tony so schnell wie möglich etwas Heißes zu trinken bekam. Auf einem Regal fand Maggie ein Glas voll Pulverkaffee, sie nahm Tassen aus dem Schrank und tat den Kaffee hinein. Gerade wollte sie das Wasser aufgießen, als draußen Bremsen quietschten, und gleich darauf Ann und Danger ins Haus kamen. Beide hatten die Hände voller Pakete, für Essen und Trinken war also gesorgt.
„Hallo, Maggie!" grüßte Ann fröhlich. „Haben Sie den Kaffee schon gefunden? Wo ist denn Tony?"
„Da drinnen ..." Maggie wies mit dem Kopf zum Schlafzimmer hinüber und spürte sehr wohl, daß Danger sie forschend ansah. Sie mußte ja einen entsetzlichen Anblick bieten, in dem tropfnassen Badeanzug und mit den offenen Haaren.
Maggie wagte überhaupt nicht, zu Danger hinüberzusehen. „Tony war das Wasser zu kalt", versuchte sie zu erklären, um überhaupt etwas zu sagen.
Arm nickte. „Das war bei ihm schon immer so, wenn er aus dem Wasser kam. Wahrscheinlich hat er einfach zu wenig Fleisch auf den Rippen. Deshalb erkältet er sich auch so leicht. Jedenfalls bekommt er immer viel eher einen Schnupfen als alle anderen!"
„Wer sagt denn das?" fragte Tony ziemlich ungnädig, während er sich einen wollenen Pullover überzog. Seine Wangen hatten inzwischen wieder etwas Farbe bekommen. Sein Haar war fast trocken und ordentlich gekämmt.
„Ich", erklärte seine Schwester freundlich, aber bestimmt. „Weißt du nicht mehr, daß du dir vor ein paar Jahren sogar eine Lungenentzündung geholt hast?"
„Mußt du das denn so breittreten?" Tony machte ein recht säuerliches Gesicht und warf wütend seine nasse Badehose durch das offene Fenster in den Garten. Sie blieb verloren an einem Hibiskusstrauch hängen und würde dort in der Sonne bald trocknen.
„Hallo, Danger", wandte er sich um. „Na, gibt's Kaffee?"
Sie setzten sich auf die bunten Klappstühle und schlürften genüßlich den heißen Kaffee. Ann plauderte vergnügt und völlig unbeschwert, und auch Tony schien sich wieder gefangen zu haben. Maggie hingegen schwieg und wich Dangers Blicken aus. Sie war sich die ganze Zeit über bewußt, daß sie kaum etwas zur allgemeinen Unterhaltung beitrug.
Warum ist Danger nur hergekommen? fragte sie sich immer wieder. Wollte er bloß aller Welt zeigen, wie unzufrieden er mit seiner Haushälterin war? Sein Gesicht sprach jedenfalls Bände.
„Wir haben auf dem Herweg bei den Stenbergs vorbeigeschaut", sagte Ann. „Das sind unsere nächsten Nachbarn", fügte sie mit einem erklärenden Seitenblick auf Maggie hinzu. „Die Stenbergs wollen übers Wochenende hierbleiben. Das Segelboot da draußen gehört ihnen. Na, jedenfalls habe ich sie für heute abend zu einer kleinen Barbecueparty eingeladen!"
Noch immer blickte Maggie stumm vor sich hin. „Wir haben Wayne und Denise schon als Kinder gekannt", fuhr Ann fort. „Wie oft haben wir miteinander am Strand gespielt.
Jetzt sind die beiden verheiratet. Aber ans Meer kommen sie doch immer wieder. An so einen alten Spielplatz aus der Kinderzeit kehrt wohl jeder gern wieder zurück. Heute nachmittag wollen sie segeln. Wer Lust hat mitzukommen, ist herzlich eingeladen. Wie steht's mit Ihnen, Maggie?"
Maggie starrte in ihre Kaffeetasse, als sähe sie dort auf dem Grund der Weisheit letzten Schluß. Ob Danger mit zum Segeln ging? Dann würde sie lieber hierbleiben. Sie fürchtete sich vor seinen kalten, verächtlichen Blicken, die sie auf dem engen Raum eines Segelbootes nur noch mehr spüren würde.
Tony ersparte ihr jedoch die Entscheidung, denn er antwortete prompt: „Maggie und ich segeln nicht. Wir werden ein bißchen in der Bucht Spazierengehen. Ist doch recht so?" vergewisserte er sich nachträglich bei Maggie, und sie nickte lächelnd.
Sie spürte sehr wohl Dangers ärgerlichen Blick. Aha, die Sache war also wieder mal nicht nach seinem Geschmack? Vielleicht war er überhaupt nur hergekommen, damit er ein wachsames Auge auf seine Angestellte werfen konnte? Und dabei konnte er gleich das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden und mit Ann Zusammensein. Es war also alles in bester Ordnung.
Nimm dich zusammen, Sullivan! rief sie sich selbst zur Ordnung. Sie würde mit Tony Spazierengehen, je länger, desto besser. Danger würde gewiß nicht mitkommen.
„Ich gehe auch nicht segeln", sagte Danger. „Ich werde dir dabei helfen, das Gras rund um das Häuschen zu schneiden, Ann. Das steht ja schon viel zu hoch. Hast du eine Sichel da?"
„Und ob!" Ann nickte erfreut. Ihre Augen strahlten. „Das ist ja prima!"
Klar ist es das, sagte sich Maggie, wenn sie dabei nur mit Danger allein sein kann.
Maggie und Tony machten sich also auf ihren Spaziergang.
Tony schien jetzt besonders guter Laune zu sein. Während er Maggie erklärte, wer die Besitzer der verschiedenen Segelboote und Katamarane waren, schien er nicht einmal zu bemerken, daß Maggie ihm kaum zuhörte. Seltsam, jetzt bedauerte Maggie, daß sie sich auf diesen Spaziergang überhaupt eingelassen hatte und nicht beim Häuschen geblieben war. Sie nahm ihre Umgebung kaum wahr, als sie an den gepflegten Strandhäuschen vorbeikamen.
Die weiten Rasenflächen waren kurz geschnitten, und meist lag in einem überdachten Unterstand ein Segel- oder Ruderboot. Maggies Gedanken waren weit weg.
Sie gingen auf einen hölzernen Bootssteg hinaus, und der Wind spielte mit Maggies feuchten Haaren und ließ ihren kurzen Rock um die braunen Beine flattern. Tony warf ihr bewundernde Blicke zu, aber Maggie bemerkte es nicht.
Dann kehrten sie zurück an den Strand. Mit Sandalen ging es sich angenehm auf dem feuchten Kies. Die Ebbe hatte eingesetzt, und der Streifen Strand war deutlich breiter geworden. Die Nässe ließ die bunten Kieselsteine besonders intensiv leuchten. Hin und wieder begegneten ihnen Steinsammler, die nur Augen für ihre im Sonnenlicht glitzernden steinernen Schätze hatten und keine Notiz von dem dunkelhaarigen Mädchen und dem blonden, bärtigen jungen Mann nahmen.
Jetzt konnte man Körbe entdecken, die an Korkstücken befestigt waren - für den Langustenfang. Als sie an eine Felsengruppe kamen, die eine Art Halbinsel bildete, sahen sie dort mehrere Fischer sitzen, die ihre Angeln weit ins Meer hinausgeworfen hatten. Obwohl sie nahe am Strand waren, hatte das Wasser an den Felsen doch eine beachtliche Tiefe.
Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre Maggie von so einer fesselnden Szene beeindruckt gewesen. Aber heute kehrten ihre Gedanken immer wieder zurück zu Danger und Ann ... Sie mußte sich zusammennehmen, damit sie überhaupt Tonys Worten folgen konnte.
Als sie dann endlich zum Strandhäuschen zurückkamen, wurde es auch nicht leichter für Maggie. Ann und Danger scherzten und lachten miteinander, während sie das Gras schnitten. Maggie war immer mehr davon überzeugt, etwas völlig Unerreichbares zu ersehnen, wenn sie an Danger dachte, und ihre Hoffnungslosigkeit nahm immer mehr zu. In so einer Stimmung blieb einem nur übrig, sich einer praktischen Tätigkeit zu widmen, und so machte sie sich daran, den Salat für die Barbecueparty vorzubereiten. Tony bot sich an, ihr zu helfen. Während sie die Tomaten und den Kopfsalat wusch und Dosen öffnete, holte Tony schon eine Flasche Brennspiritus und tränkte damit die Holzkohle, die auf dem Grill lag.
„So, jetzt kann's losgehen. Haben Sie ein Streichholz, Maggie?"
Sie reichte ihm eine Schachtel mit Streichhölzern und wandte sich wieder ihrem Salat zu. Plötzlich hörte sie Tony aufschreien. Die noch offene Flasche mit dem Brennspiritus war ihm aus der Hand geglitten und ins Feuer gefallen. Eine hohe Stichflamme schoß auf und griff auf Tonys Hände.
Geistesgegenwärtig stürzte Maggie ins Haus, riß die Tischdecke herunter und wickelte sie um Tonys Hände.
„Tony hat sich die Hände verbrannt!" keuchte sie Danger zu, der sofort ins Haus lief.
Während Maggie die Flammen erstickte, bestrich Danger Tonys Brandwunden mit einer Salbe, die er aus einem Erste-Hilfe-Kasten geholt hatte. „Hoffentlich ist der Arzt heute zu erreichen. Das ist unbedingt ein Fall für ihn."
„Er ist hier unten am Strand!" rief Ann aufgeregt. „Ich habe vorhin seinen Wagen gesehen."
Schon waren die beiden Männer und Ann im Auto verschwunden und fuhren davon. Maggie warf noch einen Blick auf Tonys blasses, von Schmerz verzerrtes Gesicht, und sie zwang ein Lächeln auf ihre Lippen.
„Es tut mir furchtbar leid", sagte kurze Zeit darauf die weißhaarige Frau des Arztes zu Danger und hob bedauernd die Schultern, „aber mein Mann wurde vor einer halben Stunde zu einer Operation ins Krankenhaus gerufen."
Als sie einen Blick auf Tonys Verbrennungen warf, hielt sie entsetzt den Atem an. „Fahren Sie doch auch gleich ins Krankenhaus! Das wird auf jeden Fall das beste sein!"
„Richtig", stimmte Ann erleichtert zu.
„Ach, das ist doch nicht nötig", protestierte Tony, doch seine Schwester kümmerte sich nicht um seine Worte. Sie ließ Danger einsteigen, setzte sich selbst ans Steuer und fuhr los. Nachdem sie Danger in der Nähe des Strandhäuschens abgesetzt hatte, fuhr sie Tony ins Krankenhaus.
Maggie sah Danger allein zurückkommen. Ach, du meine Güte, in was für eine Situation kam sie nun schon wieder? Jetzt mußte sie auch noch allein mit Danger zurück zur Farm fahren!
Danger hingegen deutete ihr besorgtes Gesicht falsch: „Keine Angst, Maggie, in wenigen Tagen wird Tony das Schlimmste überstanden haben", versuchte er sie zu beruhigen. „Kommen Sie jetzt, Maggie, mit der Barbecueparty wird es heute nichts mehr."
Trotz des bedauerlichen Zwischenfalles konnte sich Maggie nicht gegen die Erregung wehren, die jetzt in ihr aufstieg. Sie saß in dieser Dämmerung neben Danger im Wagen und konnte sein eindrucksvolles dunkles Profil nur noch undeutlich im schwächer werdenden Tageslicht erkennen.
Die Nachbarn waren entsetzt, als Danger ihnen von dem Unglück erzählte. Sie bestanden darauf, daß Maggie und Danger erst einmal einen kleinen Beruhigungstrunk nahmen, dann fuhren sie mit hinüber zum Strandhäuschen, um dort beim Aufräumen zu helfen.
„Wahrscheinlich hat Tony inzwischen schon eine schmerzstillende Spritze bekommen", sagte Danger mit einem Blick auf die Uhr. „Jedenfalls ist er jetzt in besten Händen."
Obwohl die vier tüchtig zupackten, dauerte es doch eine geraume Weile, bis das Häuschen aufgeräumt war. Endlich konnten sie die Tür hinter sich zuschließen und sich auf den Heimweg machen.
In der klaren, würzigen Abendluft flimmerte deutlich das Kreuz des Südens über ihnen. Alles könnte so anders sein, wenn ... dachte Maggie wehmütig.
Die Nacht hüllte sie beide ein, und Maggie spürte, daß die Dunkelheit ihr Feind war. Die ganze Atmosphäre im Wagen war viel zu intim, als daß sie sich hätte dagegen wehren können. Wie ernst Danger aussah. Unbewußt seufzte sie auf. Wahrscheinlich dachte er jetzt an Ann. Sie hätte ihm die lange Rückfahrt nach Te Rangi mit fröhlichem Geplauder verkürzt.
Als die Stille im Wagen so drückend wurde, daß man es kaum noch ertragen konnte, schaltete er das Radio ein, und leise Musik entspannte die Atmosphäre.
Maggie zwang sich, aus dem Fenster zu sehen. Doch sie konnte nur die Umrisse der dunklen Hügel erkennen, und so kehrte ihr Blick immer wieder zurück zu dem Mann an ihrer Seite. Hin und wieder tauchte im Scheinwerferlicht kurz eine Farm oder der Schatten eines Baumes auf, und gleich verschwand alles wieder. Sie kamen durch einen kleinen Ort. Das mußte Dargaville sein.
Nach Sonnenuntergang war die Fähre außer Betrieb, und Danger mußte auf einsamen Landstraßen einen Umweg nach Te Rangi fahren. Auf den Nebenstraßen begegnete ihnen kein einziges Fahrzeug. Endlich kam Te Rangi in Sicht, und Maggie atmete erleichtert auf. Danger hielt vor einem Gatter kurz vor Amberley.
„Soll ich aufmachen?" erbot sich Maggie und öffnete die Tür.
„Okay, danke", Danger nickte. Er schien tief in Gedanken versunken zu sein.
Als sie auf das alte Farmhaus zufuhren, leuchteten die Lichter hell und gastlich, und Maggie freute sich, endlich wieder daheim zu sein.
Danger stellte den Motor ab und wandte sich Maggie zu. Erstaunt blickte Maggie ihn an. „Ich muß Ihnen etwas sagen, Maggie."
Ihr Herz begann aufgeregt zu klopfen; doch gleichzeitig sagte ihr Verstand, daß sie nicht aufgeregt zu sein brauchte, wenn Danger ihr etwas zu sagen hatte.
„Ja?" fragte sie leise.
„Chris hat mich aus Neuguinea angerufen", sagte er in seiner ruhigen, beherrschten Art. „Maggie ..."
Sie sah ihn ruhig mit ihren großen Augen an. „Kommen Ihre Schwester und Ihr Schwager eher zurück, als sie geplant hatten? Wollten Sie mir das sagen?"
„So ungefähr. Nächste Woche kommen sie. Sie haben ihre Arbeit früher abschließen können, und sie brennen darauf, wieder nach Hause zu kommen ..."
„Dann soll ich also gehen?" Ihre Stimme war jetzt sehr leise. Ihre Finger spielten nervös mit einer Haarsträhne.
„Das habe ich nicht gesagt. Sie wissen doch genau, daß Sie so lange auf Te Rangi bleiben können, wie Sie wollen. Sie sind hier herzlich willkommen."
„Aber das haben Sie mir nie gesagt!" Eine Woge bitteren Schmerzes überflutete sie. Sie wußte sehr wohl, wie es wirklich um ihn stand, was er wirklich meinte, auch wenn er es nicht in Worte kleidete.
Ohne Zweifel paßte die Rückkehr seiner Schwester und seines Schwagers sehr gut in seine eigenen Pläne. Wie konnte er ihr gegenüber nur so unfair sein! Er wollte sie nicht wegen der Rückkehr seiner Verwandten aus dem Wege haben, das war nicht der wirkliche Grund. Er war enttäuscht von ihr. Das ließ er sie ja auch deutlich genug spüren!
Besonders schlimm war es seit jenem Tag, an dem sie zufällig Colin am Strand getroffen hatte. Seitdem verhielt er sich ihr gegenüber so kühl und distanziert, daß sie es manchmal kaum noch ertragen konnte. Seit jenem Tag war sein Gesicht noch häufiger als sonst von ernsten, fast finsteren Furchen durchzogen gewesen.
Deshalb hatte er auch jetzt endlich beschlossen, daß sie gehen sollte. Seine Worte von hierbleiben und willkommen waren reine Höflichkeitsfloskeln. Sie seufzte auf.
„Ich weiß, daß Sie mich los sein wollen", sagte sie und hatte große Mühe, ihre unsichere Stimme in die Gewalt zu bekommen, „aber meine Schuld ist es doch schließlich nicht, daß ich der anderen so ähnlich bin ... der anderen ... die Sie lieben ..."
„Das ist nicht wahr!" Sie war über sein unerwartetes Aufbrausen erschreckt. „Wer hat Ihnen denn das erzählt?" Sie spürte, wie er ihren Arm so festhielt, als umspanne ihn ein Schraubstock.
„Ich weiß es nicht mehr", wollte Maggie ausweichen. „Was spielt das auch für eine Rolle? Das ist doch ganz unwichtig."
Maggie spürte, daß diese Unterhaltung allmählich über ihre Kräfte ging, sie zitterte bereits am ganzen Körper. Jetzt sah sie ein, daß sie viel zu weit gegangen war. Aber was tat es jetzt noch, da sie Amberley sowieso verlassen mußte?
Mit einem Ruck befreite sie sich von seinem Griff und fuhr fort: „Für den Haushalt völlig ungeeignet! So lautet doch sicher Ihr Urteil über mich, oder?" Noch ehe er dazu Stellung nehmen konnte fuhr sie unbeirrt fort: „Jedesmal, wenn sich ein Mann für mich interessierte - wie Tony oder Colin - dann haben Sie immer gleich Ihre Abneigung gezeigt. Sie sagen es zwar nicht so direkt, aber immer ... immer ..."
Die Stimme versagte ihr, und sie machte nur noch eine Geste, die all ihre Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit ausdrückte. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Sie machen sich ja nichts daraus, wie ..." Sie fühlte, wie die Tränen in ihr aufstiegen.
„Woraus mache ich mir nichts?" Mit einem Ruck riß Danger Maggie in seine Arme. Dann löschte sein Kuß die ganze Welt aus. Doch dieser Zustand hielt nur für einen kurzen Augenblick an.
Dann war alles vorüber, und Maggie hätte nicht einmal sagen können, ob sie geträumt hatte oder nicht. Verdattert und erschüttert zugleich blickte sie Danger in die Augen. Was konnte sie dort lesen? Sie konnte ihn nicht verstehen. Doch, es bestand kein Zweifel, um seine Lippen zuckte ein spöttisches Lächeln.
Er machte sich über sie lustig, wie schon so oft!
„Ach, lassen Sie mich doch in Frieden! Was wissen Sie schon über mich!" Damit öffnete sie die Wagentür und stieg aus. „Sie brauchen keine Angst zu haben, lange bin ich ja nicht mehr hier auf Ihrer Farm. Ich kann sofort gehen, wenn Sie es wünschen!" Maggie eilte auf das Haus zu, ohne sich noch ein einziges Mal umzuwenden.
„Maggie!" Wie ein Schuß knallte seine Stimme durch die nächtliche Stille. Er schien seiner wieder so unglaublich sicher zu sein. Aber diesmal hatte Maggie sich vorgenommen, ihn einfach zu ignorieren. Sollte er ruhig rufen. Sie würde ihm jedenfalls keine Beachtung schenken.
„Kommen Sie sofort her zu mir, Maggie!"
„Das fällt mir doch nicht im Traum ein!" rief sie ärgerlich zurück. Sie hörte, wie die Wagentür zuschlug und eilte auf dem dunklen Pfad auf das Haus zu. Sie mußte vor ihm dort ankommen. Doch das war ein vergebliches Unterfangen. Sie wußte es. Nach wenigen Schritten hatte er sie eingeholt und ging jetzt neben ihr durch das Gras.
„Maggie, verzeihen Sie mir, und seien Sie nicht mehr so böse. Wir können uns doch als Freunde trennen, wenn es unbedingt sein muß!"
O nein! Von Freundschaft hielt sie überhaupt nichts! Jedenfalls nicht von einer Freundschaft mit John Dangerfield!
„Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe!" Sie lief ins Haus und war froh, daß Mrs. Wahonga die Tür offengelassen hatte. Erst in ihrem Zimmer holte Maggie wieder Atem.
Sie hätte gar nicht so schnell zu laufen brauchen, denn Danger folgte ihr schon längst nicht mehr. Dabei hätte sie gerade das so sehr gewünscht. Sie war so verwirrt, daß sie schon selbst nicht mehr wußte, was sie eigentlich wollte und was nicht.
Zum Teufel mit den Männern! dachte sie bei sich und wünschte sich weit fort, und gleichzeitig wünschte sie sich, für immer hierbleiben zu dürfen.
11. KAPITEL
Irgendwie nahm auch diese lange Nacht ein Ende. Stundenlang waren Maggie die Tränen über die Wangen gelaufen, und ihr Kopfkissen war ganz naß. Ach, was machte das schon?
Doch am Morgen mußte sich Maggie vor dem Spiegel eingestehen, daß es doch etwas machte. Die großen braunen Augen sahen verquollen aus dem blassen, verweinten Gesicht
Was auch immer geschehen mochte, so durfte Danger sie nicht zu Gesicht bekommen! Er sollte niemals erfahren, wie es in ihr aussah. Hoffentlich war er schon draußen bei der Arbeit, wie in der letzten Zeit so häufig. Dann würde er erst am Abend spät zurückkehren, und sie hätte noch einen ganzen langen Tag Zeit, ihre Fassung wiederzugewinnen.
Maggie legte sich für alle Fälle ein bißchen Rouge auf die Wangen und malte sich die Lippen an. Sie war froh, nur die Kinder am Frühstückstisch zu finden. Danger hatte ihnen bereits erzählt, daß Maggie in einer Woche etwa abreisen würde. Diese unangenehme Aufgabe hatte er ihr also Gott sei Dank erspart.
Wie sehr die Nachricht von der vorzeitigen Rückkehr ihrer Eltern die Kinder doch beschäftigte! Sie sprachen von nichts anderem, und Maggie kam sich vor, als sei sie gar nicht mehr vorhanden.
Aber was durfte sie denn auch erwarten? Seufzend stellte sich Maggie diese Frage. Sie war doch nur eine Aushilfskraft hier auf Amberley. Das galt für die Kinder und für Danger. Sie war da, um für die Kinder zu sorgen und zu kochen, und sie war auch gut genug für eine oberflächliche Liebelei mit dem Herrn des Hauses, bis dann die wirkliche Liebe wieder ihr Recht verlangte. Damit wurde Maggie Sullivan überflüssig.
Nur Mark schien noch an Maggie zu denken. Sein Löffel, der mit Puffreis vollgehäuft war, blieb auf halbem Wege zu seinem Mund in der Luft stehen, während er aufgeregt fragte: „Wenn Mutti wieder da ist, dann besuchst du uns doch mal wieder, oder?"
Maggie schüttelte lächelnd den Kopf.
„Nie wieder?" fragte Mark ein wenig traurig.
„Nie wieder", bestätigte Maggie, und ein plötzlicher Schmerz durchzuckte sie.
„Hast du deshalb keinen Appetit?" wollte Mark wissen.
„Ach, was", versuchte Maggie zu lachen, „ich habe einfach keinen Hunger."
„Ich will aber nicht, daß du weggehst!" schrie Mark jetzt auf einmal und schlug wild mit dem Löffel auf die Schüssel, so daß der Puffreis nach allen Seiten stob. „Ich lasse dich einfach nicht weg!" Tränen rannen dem kleinen Kerl über die Backen, und Maggie nahm ihn unter Lachen und Weinen auf den Arm.
„Man kann eben nicht alles zur gleichen Zeit haben", versuchte Jan weise zu erklären, während Maggie den kleinen Mark tröstend an sich drückte.
„Das ist richtig", bestätigte Maggie und ging zum Telefon. „Ich will mal eben bei Tony anrufen, damit wir wissen, wie es ihm heute morgen geht ..."
„Das ist schon erledigt", sagte Jan. „Danger hat im Krankenhaus angerufen. Tony geht es inzwischen wieder viel besser. Wir sollten dir bestellen, daß er heute nachmittag Besuch haben kann."
„Gott sei Dank, daß es so ausgegangen ist!" Maggie sank erleichtert auf einen Stuhl, und es wurde ihr klar, daß Danger offensichtlich glaubte, sie sei in Tony verliebt.
Na ja, warum auch nicht? Sollte er ruhig in dem Glauben bleiben, dann erfuhr er wenigstens niemals die Wahrheit. Er sollte nicht wissen, wie sehr Maggie ihn liebte.
„Übrigens", wandte sie sich an Philippa, „gestern ist für dich ein Brief angekommen, Phil. Ich hab ganz vergessen, es dir zu sagen."
„Post? Für mich?" Philippa war mit einem Satz an der Tür. Als sie zurückkam, strahlte sie übers ganze Gesicht. In dem Brief stand, daß sie im Kinderzeichenwettbewerb einen Preis gewonnen hatte.
„Ich hab gewonnen!" jubelte sie gleich darauf laut. „Hier!" Stolz hielt sie den anderen ihren Brief hin. „Die Schiedsrichter schreiben es!"
„Die müssen ja blind sein!" stellte Jan kopfschüttelnd fest, doch Philippa ließ sich nicht beirren und reichte Maggie den Brief.
„Da, lies selbst! Ist das nicht toll?" Das Kind war voller Freude und Stolz. „Und du hast mir den Rat gegeben, dabei mitzumachen, Maggie! Ohne dich hätte ich es niemals gewagt, meine Zeichnung einzuschicken."
Maggie überflog schnell die Zeilen. „Sie schreiben, ein Scheck sei beigelegt? Der muß wohl noch im Umschlag stekken."
„Was ist das? Ein Scheck?" wollte Philippa wissen.
„Geld, du Dummkopf!" belehrte ihr Bruder Jan sie großspurig. „Kannst es ruhig mir geben, wenn du es nicht haben willst!"
Schon fischte Philippa einen Scheck aus dem Briefumschlag.
„Zehn Dollar!" rief sie verwundert. „Alles für mich?" Mit leuchtenden Augen wandte sie sich nach Maggie um: „Du darfst dir was wünschen, Maggie! Ich möchte etwas für dich tun, irgend etwas, das du besonders gern hättest, bevor du weggehst ..."
Maggie tauchte mit ihren Gedanken wie von weither wieder auf: „Das einzige, was ich mir von dir wünschen könnte, wäre, daß du einmal auf Saint reitest, aber dagegen wirst du dich sicher sträuben, und deshalb wüßte ich nicht, was ..."
„Doch!" rief Philippa aufgeregt. „Jetzt tue ich es, ehe du weggehst! Nur für dich!"
Philippa war vor Freude ganz aus dem Häuschen. In diesem Augenblick hätte sie alles getan, was sie sonst niemals gewagt hätte.
Maggie nickte, doch sie konnte sich jetzt nicht mehr so recht über ihren Triumph freuen. Warum, so fragte sie sich im stillen, ergaben sich solche Erfolge dann erst, wenn man nicht mehr so wild darauf war? Erst jetzt, da sie ging, schien sich das Blatt zu wenden. Maggie mußte diese Gedanken verscheuchen und sich wieder auf das aufgeregte kleine Mädchen konzentrieren.
„Bist du auch ganz sicher, daß du es wirklich willst, Phil?"
„Ja. Aber nur einmal. Dann kann ich wenigstens Mutti sagen, daß ich es getan habe. Sie hatte mich so sehr darum gebeten!" rief Philippa.
Das war ja eine ganz neue, begeisterungsfähige, aufgeregte Philippa, die auch gern anderen eine Freude machen wollte. Maggie erkannte das Kind, das sich in den vergangenen Tagen oft sehr launisch gezeigt hatte, kaum wieder.
Während Jan sein Pony sattelte, legte sich Maggie ein Schaffell über den Arm, und zu dritt gingen sie hinaus auf die Weide, wo die Pferde friedlich nebeneinander grasten. Jan führte die ganze Zeit über sein Pony am Zügel neben sich her.
Pete blickte der kleinen Gesellschaft entgegen. Maggie dachte traurig daran, daß er bald wieder auf die Geselligkeit der anderen Tiere und auf das saftige Gras verzichten mußte.
Maggie öffnete das Gatter, und schon kam Saint auf sie zugetrabt. Vorsichtig legte Maggie ihm das Schaffell über den Rücken und zog den Bauchgurt an. Saint verhielt sich ganz still und verscheuchte mit seinem langen Schweif die Fliegen.
Obwohl er jetzt so friedlich war, konnte Maggie Phil verstehen, wenn sie sagte, Saint gucke sie immer so böse an. Für ein Kind ihres Alters mußte dieser Vollblüter ungeheuerlich wirken.
„Ich werde ihn an die Leine nehmen, wenn du es möchtest", erbot sich Maggie.
„Nein, danke. Mutti würde das auch nicht tun. Ich muß allein mit ihm fertig werden."
Maggie spürte leichte Besorgnis in sich aufsteigen, als Phil auf dem Pferd saß, und sie bereute ihren Wunsch fast. Sie sah dem stattlichen Schimmel nach, der mit tänzelnden Bewegungen langsam den mit hohem Gras bewachsenen Hang hinauf trabte.
Triumphierend wandte sich Philippa jetzt um: „Sehen Sie, Maggie, ich reite ihn ganz allein!" rief sie über die Schultern zurück.
Und in diesem Moment geschah es. Das Pferd trabte an, stolperte und bäumte sich hoch auf. Philippa wurde wie eine Puppe hoch durch die Luft geschleudert. Das Pferd wieherte laut auf und galoppierte in den Busch hinein.
Wie ein Häufchen Unglück lag die kleine Reiterin im Gras.
Maggie rannte zu ihr und kniete neben dem Kind: „Wach auf, Phil! So wach doch auf!" Philippa war bewußtlos. Doch endlich stellte Maggie erleichtert fest, daß sich die Augenlider bewegten. Phil öffnete die Augen, während ein leises Stöhnen über ihre bleichen Lippen kam: „Mein Arm ..."
Als Maggie sie vorsichtig hochnehmen wollte, schrie das Mädchen laut auf. Endlich stand sie aber wieder auf' ihren Beinen.
„Aber geritten habe ich Saint ganz allein, nicht wahr, Maggie?" In den Augen des Kindes standen Furcht und Schmerz, doch gleichzeitig war auch eine gewisse Befriedigung darin zu lesen. „Ich hab Saint ganz allein geritten! So sagen wir es Mutti, nicht wahr? Ich hatte überhaupt keine Angst. Nicht ein bißchen."
„Hierüber muß Saint gestolpert sein", sagte Jan und hob ein langes Stück Draht auf. „Er hat es in dem dichten Gras nicht gesehen. Kein Wunder, daß Saint durchgegangen ist!"
Jan band sein Pony am Zaun fest und ging mit Maggie und Philippa zurück.
Obwohl Maggie Dangers Rückkehr mit recht gemischten Gefühlen entgegensah, war sie doch froh, als endlich sein roter Traktor vor dem Haus hielt. Sie hatte Philippa aufs Sofa gelegt und sich immer wieder gefragt, ob der Arzt benachrichtigt werden sollte oder nicht, denn Maggie wußte, wie vielbeschäftigt der alte Doktor war.
„Heute brauche ich doch keine Schulaufgaben zu machen, nicht, Maggie?" bat Philippa.
Maggie war froh, als die Kinder alle gleichzeitig auf Danger losstürmten, um ihm von Philippas Unfall, ihrem Erfolg mit Saint und dem Gewinn aus dem Zeichenwettbewerb zu erzählen. Alle redeten laut durcheinander. So blieb wenigstens Maggie die unangenehme Aufgabe erspart, Danger Bericht erstatten zu müssen.
„Hast du Saint tatsächlich geritten?" grinste Danger. „Gut, Philippa!" Er setzte sich zu dem Kind aufs Sofa. Zeig mal her. Was ist nun mit deinem Arm? Tut es weh, wenn ich ihn so bewege?"
„Nicht sehr."
„Und so?"
„Ein bißchen."
„Na, dann wird es nicht so schlimm sein." Danger schien ziemlich beruhigt.
„Ich wußte nicht", sagte Maggie mit gedämpfter Stimme, „ob ich Dr. Smith anrufen sollte oder nicht."
„Ja, das ist auch manchmal nicht so leicht zu entscheiden", stimmte er in seinem höflichen Ton kühl zu, „aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Phil wird bald wieder auf den Beinen sein." Er unterbrach sich kurz: „O Maggie ..."
Jetzt folgte sicher eine Strafpredigt. Das mußte ja wohl so kommen! Im Geiste wappnete sich Maggie gegen das, was Danger sagen würde.
„Maggie - Sie haben es geschafft!"
„Was geschafft? Daß Philippa den Saint geritten hat? Das war eigentlich gar nicht mein Verdienst", sagte sie mit leiser Stimme.
„Wessen denn?"
Sie hob ihren Blick zu Danger. „Es war mehr Phils Idee.
Ich - ich hatte so einen Schreck bekommen, weil ich schon dachte, Phil hätte sich vielleicht den Arm gebrochen", lenkte sie ab.
„Nein. So schlimm ist es Gott sei Dank nicht. Wir legen ihn nur lieber in eine Schlinge, damit er ein bißchen ruhen kann. Das ist alles."
„Ihr werdet es doch Mutti sagen, daß ich den häßlichen alten Saint geritten habe, ja?" fragte Philippa ängstlich.
„Aber natürlich. Nur für heute mußt du ein bißchen stillr liegen, ja?"
Dann wandte sich Danger an Maggie und fuhr fort: „Die Kinder haben Ihnen sicher von Tony erzählt? Es ist oft schwierig, mit dem Krankenhaus eine Telefonverbindung herzustellen, heute ging es."
„Vielen Dank", sagte Maggie schlicht. Weshalb sah er sie nur so ernst und besorgt an? So schlimm konnte sie doch eigentlich nicht mehr aussehen, nachdem sie an der frischen Luft gewesen war. Und dann diese Aufregung mit Phil!
„Wollen Sie ihn heute nachmittag besuchen?"
„Ja, ich..."
„Das hab ich mir gedacht. Ich werde nachmittags im Schuppen arbeiten, und die Jungs können auch hin und wieder ein Auge auf Philippa werfen. Nehmen Sie ruhig den Wagen. Das Krankenhaus ist leicht zu finden. Es liegt fünf Meilen hinter der Hauptstraße, die zum Strand hinunterführt, auf der linken Seite. Es ist ein ganz schönes Stück, aber das macht Ihnen ja wohl nichts aus, oder?"
Niedergeschlagen wandte sich Maggie ab. Glaubte er etwa, daß sie so verliebt in Tony war, daß sie gar nicht schnell genug zu ihm kommen konnte? Na, es war für sie ja schließlich nicht von Bedeutung, was er dachte.
„Das Essen ist fertig." Sie zwang sich, recht gleichgültig zu erscheinen.
Diese letzte Woche auf Amberley würde gewiß sehr lang für sie werden. Maggie spielte während des Mittagessens mit dem Gedanken, eine Ausrede zu erfinden, damit sie früher abreisen konnte. Es müßte ihr doch etwas einfallen?
Mrs. Wahonga konnte schließlich gut und gern ein paar Tage nach den Kindern sehen, bis Dangers Verwandte wieder da waren. Und doch wußte Maggie ganz genau, daß sie sich nicht von Amberley würde losreißen können, egal wie Danger auch immer über sie denken mochte.
Die lange Fahrt zum Krankenhaus tat Maggie wohl. Endlich war sie für sich allein und brauchte sich keine Mühe zu geben, glücklich zu scheinen. Sie brauchte keinen Appetit vorzutäuschen, den sie gar nicht hatte, und sie mußte nicht zitternd auf Dangers Schritte lauschen.
Das moderne Krankenhaus lag inmitten herrlicher Rasenflächen und Blumenbeete. Von weitem schon war der Bau zu erkennen, der sich aus dem weiten Weideland erhob.
Eine freundliche Schwester führte sie den langen Korridor entlang in ein sonnenbeschienenes Zimmer. Tonys Hände waren weiß bandagiert, und er strahlte Maggie freudig überrascht entgegen: „Den weiten Weg haben Sie gemacht? Allerhand, Maggie! Das finde ich einfach toll! Ich dachte, Sie machen sich gar nichts aus mir. Aber wenn man Sie so vor sich sieht, bleich wie der Tod, könnte man ja denken ..."
„Es geht doch gar nicht um mich, sondern um Sie." Maggie sah auf seine Verbände. „Tut es sehr weh?"
„Jetzt ist es nicht mehr so schlimm. Das war ja eine ganz dummp Sache. Ich dachte mir schon, daß es alles viel zu schön war, um lange zu dauern. Ich werde Sie wohl nie für mich allein haben können ..."
„Keine Angst", lächelte Maggie, „ich komme Sie noch mal besuchen, ehe ich gehe."
Seine hellen Augen weiteten sich vor Staunen und Schrek-ken zugleich. „So schnell schon? Wieso denn das auf einmal, Maggie?"
Maggie zuckte die Schultern: „Chris und ihr Mann kehren eher nach Amberley zurück als ursprünglich geplant. Sie kommen Ende der Woche aus Neuguinea zurück."
„Dann gehen wir also beide weg, Maggie?"
Maggie blickte ihn völlig verdattert an. Ein trostloses Empfinden stieg in ihr auf. Meinte Tony etwa tatsächlich, daß ... Laut sagte sie: „Weisen Sie denn ebenfalls wieder ab?"
„Ich denke schon. Jedenfalls möchte ich zum kommenden Semester wieder an der Uni sein."
„Dann haben Sie sich also entschlossen ..."
„Ja, heute morgen habe ich den Entschluß gefaßt. Ich ... also, ich hab mir die Sache noch einmal richtig durch den Kopf gehen lassen. Die Verbrennungen haben auch ihre guten Seiten gehabt. Sie haben mich zum Nachdenken gebracht. Wo auch immer ich landen werde, auf einer Schaffarm jedenfalls nicht! Das ist sicher. Und jetzt, wo Ann heiratet ..."
„Heiratet?" Maggies Herz schien einen Augenblick stillzustehen.
„Sicher. Jetzt haben sie sich endlich entschlossen. Ich dachte schon, er würde sich nie erklären."
Maggie zwang sich zum Sprechen: „Wollen Sie damit sagen, daß Ihre Schwester Ann ..." Doch die Worte blieben ihr in der Kehle stecken.
Er lachte: „Und ob. Genau das! Endlich ist sie sich mit ihrem Schaffarmer einig geworden. Gestern hat er sie vor dem Krankenhaus erwartet, und dann kamen sie beide zu mir. und gestanden mir strahlend die Neuigkeit. Sie wollen die andere Farm verkaufen und auf unserer Farm wohnen."
Maggie hörte gar nicht mehr zu. In ihrem Kopf war ein einziges wirres Chaos! Sie hatte Mühe, ein wenig Ordnung in dieses fürchterliche Durcheinander zu bringen.
Gestern abend hatte sich Danger in seinem Büro eingeschlossen, nachdem sie vom Strandhäuschen zurückgekehrt waren. Und heute morgen hatte sie ihn nicht in der Nähe der Farm entdecken können.
„Meinen Sie ..." Maggie richtete ihre fragenden braunen Augen voll auf Tony. „Ich frage mich bloß, wann er um ihre Hand angehalten hat!"
„Sie meinen wohl, wie er um ihre Hand angehalten hat!" lachte Tony. „Wahrscheinlich hatte Ann alles so eingefädelt, denn Jim hätte von sich aus niemals den Mut dazu aufgebracht. Oder können Sie sich das vorstellen?"
„Wollen Sie damit sagen, daß ..." Maßlos erstaunt blickte sie in sein belustigt dreinblickendes Augenpaar.
Tony grinste und seufzte: „Ach, ich gäbe viel darum, wenn ich dabeigewesen wäre. Wer hier wohl den Heiratsantrag gemacht hat. Wahrscheinlich hat Ann schon dafür gesorgt, daß Jim nichts verkehrt machen konnte ..."
„Jim? Ann und Jim heiraten?" fragte Maggie mit einer Stimme, die ihr selbst fremd vorkam.
Er blickte sie erstaunt an: „Wer denn sonst? Sie haben endlich die große Frage entschieden. Sie heiraten im kommenden Monat. Wieso?" fragte er bestürzt, „was freut Sie denn daran so sehr?"
„Mich?" fragte Maggie und versuchte, sich zusammenzunehmen. Doch immer wieder flackerte in ihr eine unsinnige, wilde Hoffnung auf, die allmählich ganz von ihr Besitz ergriff.
Sie hatte doch geglaubt, alles sei so ganz anders. Jetzt erst verstand sie, daß Dangers Besuche auf Anns Farm tatsächlich nur reine Hilfsbereitschaft waren. Es steckte nicht mehr dahinter als die freundschaftliche Geste eines freundlichen Nachbarn, der genau wußte, daß er helfen mußte, wenn eine junge Frau ganz allein mit schier unüberwindlich scheinenden Hindernissen und Problemen, die das Leben auf einer Schaffarm nun einmal mit sich brachte, zu kämpfen hatte.
Mit Gewalt rief sich Maggie in die Wirklichkeit zurück. Sie befand sich hier an Tonys Krankenbett. Das Klingeln zeigte gerade an, daß die Besuchszeit zu Ende war. Sie stand auf, lächelte Tony an und sagte: „Ich muß mich jetzt auf den Heimweg machen ..."
„Ja, der Weg ist lang", stimmte er zu. „Aber es war sehr nett von Ihnen, Maggie, sich so viel Mühe zu machen und herzukommen. Jetzt können wir wohl einander nur noch auf Wiedersehen sagen und viel Glück wünschen, nicht?"
„Viel Glück? Wieso?" fragte sie zerstreut. „Was heißt das?"
„Das wissen Sie doch selbst am besten, Maggie, und mir war es eigentlich auch schon immer klar. Ich wollte es bloß einfach nicht wahrhaben. Wenn es um Schafe geht, Maggie, da weiß ich nicht besonders gut Bescheid. Aber ich kann sehr gut erkennen, wenn sich ein Mann und ein Mädchen ineinander verlieben."
Ein Lächeln umspielte seine Lippen, das gleichzeitig traurig wirkte. „Danger ..."
„Sie tippen völlig falsch, Tony!"
„Wirklich?"
Wieder schrillte die Glocke, und Maggie war froh, daß sie sich mit einem letzten Winken von Tony losreißen konnte. Im Besucherstrom strebte Maggie benommen dem Ausgang zu.
Auf dem langen Rückweg brauchte Maggie ihre widerstrebenden Gefühle nicht mehr mühsam im Zaum zu halten. Nur durch einen Nebel von Tränen nahm sie die saftigen grünen Weiden im hellen Nachmittagssonnenschein wahr.
Wie wenig Tony doch von den Dingen um Danger und sie wußte. Danger wäre in sie verliebt! Ha! Ihm war es doch ganz egal, ob sie Te Rangi auf Nimmerwiedersehen den Rük-ken kehrte. Und mit den anderen auf der Farm war es nicht anders.
Doch während sie sich Amberley näherte, konnte sie an nichts anderes denken als an einen einzigen Mann. Und dabei mußte sie lernen, diesen Mann zu vergessen. Sie ließ sich Zeit, als sie den Wagen in der Garage abstellte. Nichts drängte sie, sie hatte ja alle Zeit der Welt.
Langsam stieg sie die Stufen zur Veranda empor und legte ihr Ledertäschchen auf den Tisch. Die Sonne des Spätnachmittags blendete sie sehr, und so entdeckte sie auch die Gestalt nicht gleich, die neben dem Fenster stand.
Jetzt wandte sie sich ihr zu, und ihre braunen Augen begegneten unvermittelt dem unergründlichen Blick Dangers. Hätte sie eine Ahnung davon gehabt, daß er hier stünde, wäre sie nicht hier hereingekommen.
„Es geht ihm doch nicht schlechter, oder?"
„Tony meinen Sie? Nein. Es geht ihm schon viel besser."
„Weshalb haben Sie dann geweint?"
„Geweint?" Sie konnte seinen Blick nicht mehr aushalten. Schnell wandte sie sich ab. „Ich - ich koche ein bißchen Tee."
„Nein, Maggie! Das werden Sie nicht tun!"
Er vertrat ihr den Weg. Groß und schlank, blickte er auf sie hinab. „Sie und ich haben noch etwas miteinander in Ordnung zu bringen!"
„Ich wüßte nicht, Was das sein könnte!" Sie versuchte, ungnädig zu wirken. Aber das war nicht so leicht, wenn Danger sie so ansah, als gäbe es zwischen ihnen keinerlei Mißverständnisse mehr.
Aus einem Grunde, den sie offenbar noch nicht kannte, schien er völlig erschüttert. In seinen dunkelblauen Augen brannte ein Licht, wie sie es schon lange Zeit nicht mehr gesehen hatte.
Was war nur geschehen? Warum betrachtete er sie so eigenartig? Und weshalb zitterte sie plötzlich und fühlte sich so entsetzlich schwach?
„Nachdem Sie heute abgefahren waren, hatte ich unerwarteten Besuch. Dieser Colin."
„Colin?" Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an.
„Genau. Wir haben miteinander gesprochen und dabei beide so allerhand entdeckt, was wir vorher noch nicht wußten."
„Was - worum ging es denn?"
„Um Sie und mich ging es, Maggie. Warum haben Sie mir nie gesagt, daß Colin Ihnen nichts mehr bedeutet, Maggie? Ich hatte den Eindruck gewonnen, daß ... na ja, schon erledigt."
„Viel Gelegenheit hatte ich ja nicht, etwas zu erklären", protestierte sie schwach und versuchte, Herr über ihre Gefühle zu bleiben, was ihr aber mehr und mehr mißlang.
„Wenn Sie geweint haben, weil Sie lieber hierbleiben würden, Maggie ..."
Die unerwartete Zärtlichkeit in seiner tiefen Stimme ließ mit einem Mal alle Lügen und Verstellungen von ihr abfallen. Sie nickte, als befände sie sich im Traum.
„Geht Ihnen die Farm auf die Nerven, Maggie?"
Wie unter einem Bann schüttelte sie den Kopf.
„Oder die Kinder?"
„Nein."
„Dann ..." lachte er triumphierend auf und nahm sie in die Arme, „dann bleibst du einfach hier!"
Er hielt sie fest an sich gepreßt mit seinen starken Händen, die zugleich so zärtlich sein konnten. „Bleib doch einfach für immer hier bei mir! Würde dir das wohl zusagen?"
Strahlend vor Glück und Geborgenheit lachte sie leise in seinen Armen: „Etwas Schöneres könnte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen!"
„Aber ich!" Seine Lippen suchten die ihren, und Maggie spürte, wie ihr Pulsschlag schneller ging.
Nach einer langen Umarmung befreite sie sich. Ihre Augen leuchteten vor Erregung.
„Soll das etwa dein Heiratsantrag sein, John Danger-field?" fragte sie lachend, als sie nebeneinander auf dem Sofa saßen.
„Was glaubst du denn sonst, Miss Sullivan?" fragte er zurück. Er strich wieder über ihr dunkles Haar, und keiner von ihnen merkte, daß sich leise die Tür öffnete und Mrs. Wahon-ga hereinkam.
Mit breitem, glücklichem Lächeln setzte sie ein kleines Beistelltischchen neben den beiden Liebenden ab. Eine Flasche Champagner und drei Gläser standen darauf.
Maggie blickte in Dangers Gesicht. Ein verschmitzter Ausdruck lag in ihren Augen: „Wie hat Mrs. Wahonga denn das gewußt?"
„Das bleibt wohl ein Maorigeheimnis", lächelte Danger und öffnete die Flasche.
„Das war überhaupt kein Geheimnis", bemerkte Mrs. Wahonga, „das konnte doch jeder merken. Schon am ersten Tag, als ich Maggie sah, wußte ich, daß es so kommen würde. Das war doch klar! Ihr beide ... ihr seid doch füreinander geschaffen."
Perlende Bläschen stiegen in den Kristallgläsern auf, als Danger sein Glas hob. Stolz und Zärtlichkeit lagen in seiner Stimme, und voller Glück dachte Maggie, daß es jetzt keinen Zweifel mehr gab, was er wirklich für sie empfand, während sich der Blick seiner tiefblauen Augen in ihren dunklen Augen verlor. Zärtlich prostete er ihr zu: „Auf unser Glück!"
-ENDE -
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