Heimatschutz und Baugestaltung - eine Skizze Überblickt man die Aktivitäten der deutschen Heimatpflege und ihrer Vereine und Organisationen, so fällt auf, daß sie sich, im Unterschied zu verwandten Organisation etwa in der Schweiz oder in den Niederlanden, zu Fragen der Gestaltung neuer zeitgenössischer Architektur heute nur noch sehr selten äußert - und wenn, dann nur im Zusammenhang konkreter „übergeordneter" Probleme von Städtebau und Denkmalpflege. Allenfalls das traditionsreiche Wirken des Bayerischen Heimatbundes mit seinem Fachblatt „Der Bauberater" läßt noch erahnen, daß während der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts die zunächst „Heimatschutz" genannte Bewegung hierin durchaus ein zentrales, ja zuweilen ihr wichtigstes Aufgabenfeld gesehen hat. Warum dies heute nicht mehr so ist, erhellt ein Blick auf die Dreißiger und Fünfziger Jahre, die für die „Heimatschutzarchitektur" in Deutschland einen letzten Höhepunkt und das Ende ihres Einflusses auf das zeitgenössische Bauen bezeichnen. „Die Verunstaltung und Schädigung der hervorragendsten Landschaftsbilder zu verhüten, für die Erhaltung der rheinischen Ortsbilder einzutreten und für eine Weiterbildung der rheinischen Bauweise zu wirken" - so definierte der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz in § 2 (3) seiner Gründungssatzung 1906, was Paul Clemen ein Jahr später in seinem Aufsatz „Die überlieferte heimische Bauweise und ihr Wert für die heutige Architektur" so konkretisierte: „Anzustreben ist an Stelle der sklavischen und direkten Wiederholungen viel mehr eine freie künstlerische Ausbildung und Weiterführung der in der heimischen Bauweise vergangener Jahrhunderte enthaltenen Gedanken, Motive und Keime und die Anpassung der Formen der Vergangenheit an unsere heutigen praktischen Bedürfnisse." Der Heimatschutz reihte sich damit in die breite Front derer ein, die das Bauschaffen seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts als Niedergang auffaßten, gipfelnd in der aus ihrer Sicht „Talmiarchitektur" des Historismus, der ungeordneten Expansion der Städte sowie der Überformung bislang von der Modernisierung unberührter Dörfer und Landschaften mit ungestalten Bauwerken. Innerhalb und außerhalb des Heimatschutzes war die Bandbreite des daraufhin positiv dem entgegen gestellten sehr breit, was nach dem Ersten Weltkrieg in einer immer stärkeren Auseinanderdifferenzierung der Reformer in verschiedene, zunehmend unversöhnlicher sich gebärende „Lager" mündete. Zuvor jedoch war es dem Heimatschutz erstaunlich schnell gelungen, den traditionalistischen Teil der Reformbewegung unter dem Banner des Heimatbegriffs einen gemeinsamen Nenner zu geben. Hier zeigte sich die vielseitige Attraktivität des Heimatgedankens, mit dem um die Jahrhundertwende das verbreitete Unbehagen an einer als zu schnell und zu unkontrolliert empfundenen Modernisierung zum Ausdruck kam. Für weite Kreise des gebildeten und durch die seinerzeit populären kulturpessimistischen Gedanken sowie Milieu- und Gestalttheorien hierfür sensibilisierten Bürgertums war dies in der baulich gestalteten Umwelt unmittelbar erfahrbar. Nicht zufällig stand daher mit Paul Schultze-Naumburg zunächst einer der seinerzeit prominentesten und mit seinen „Kulturarbeiten" einflußreichsten Architekten an der Spitze des 1904 gegründeten Deutschen Bundes Heimatschutz, der dann als Dachorganisation der regionalen Heimatvereine bis 1945, immer wieder neu angestoßen von seinem langjährigen Geschäftsführer Werner Lindner (auch er Architekt ! ), eine architektonische Grundlagenarbeit betrieb, die ungezählte Publikationen bis hin zu ausgefeilten Entwurfslehren ebenso umfaßte wie die Vorantreibung einer Bauberatung und Baugesetzgebung in seinem Sinne. Das nicht gerade bescheiden anmutende Ziel war dabei eine „ganzheitliche" Erneuerung der allgemeinen Baukultur auf der Basis regionaler, handwerklicher und allgemeiner gestalterischer Traditionen und Konventionen, was im Verlauf der kommenden Jahrzehnte bemerkenswert vielgestaltige Ergebnisse zeitigte.
“Bergische Bauweise”: Entwurf von Peter Klotzbach für eine Volksschule in Hilden. So waren die Anfänge vor dem Ersten Weltkrieg zumeist noch stark regionalistisch geprägt; im Rheinland stechen die „Wiederbelebung" der an die Patrizierhäuser des 18. und 19. Jahrhunderts angelehnten „bergischen Bauweise" und des am einfachen Bürger- bzw. Bauernhaus orientierten niederrheinischen Backsteinbaus hervor. Sie wichen unter dem Einfluß der süddeutschen Architekturschulen in den Zehner und vor allem Zwanziger Jahren dann aber einem neusachlich-neutralen Traditionalismus, der die Alltagsarchitektur der Weimarer Republik weit mehr prägte als dies das „Neue Bauen" der funktionalistischen Moderne selbst in seinen Hochburgen je vermochte. Wichtig war dabei, daß der Heimatgedanke zu einem solcherart selbstverständlichen Bestandteil traditionalistischen Architekturverständnisses wurde, daß er auch die einschneidende Krise und Orientierungslosigkeit des Heimatschutzes in der Weimarer Republik einschließlich des fast völligen Zusammenbruchs der Organisation der Bauberatung überlebte. Auch weite Teile der Alltagsarchitektur des Dritten Reiches, vor allem Wohnungsbauten, Schulen, Heimbauten, die meisten Militärbauten und Verwaltungsgebäude blieben diesem Traditionalismus heimatschützerischer Prägung, nun „landschaftsgebundenes Bauen" genannt und vielfach mit der zeittypischen volkstümlichen „Bodenständigkeit" versehen, vorbehalten - allerdings auch nur diese, was den inzwischen neu erstarkten, staatlich geförderten und vereinnahmten Heimatschutz zunehmend irritierte, hatte der doch an den Nationalsozialismus gerade im Hinblick auf eine nunmehr wirklich durchgreifende Erneuerung des Bauwesens in seinem Sinne große Erwartungen geknüpft. Je geringer vor allem nach Einsetzen der vorbereitenden Kriegswirtschaft 1936 sein Einfluß auf das durchaus heterogene Bauschaffen im Dritten Reich wurde, desto mehr verstärkte der Heimatschutz einerseits wieder seine diesbezügliche theoretische Programmarbeit, mit Vorlagenwerken, Schulungen, „Baufibeln" und anderem mehr, begleitet von einer bis zur Selbstaufgabe reichenden Anbiederung an die nationalsozialistischen Machthaber, desto mehr wuchs aber andererseits auch die durch die eigene wertkonservative und antizentralistische Grundhaltung bestärkte Distanz zum sich zunehmend technokratisch verhaltenden Regime. Die wechselvolle Geschichte des Heimatschutzes als „architektonische Interessenvereingung" war jedoch 1945 zu Ende. Nachdem sich die Heimatvereine Anfang der Fünfziger Jahre wiederbegründet hatten, klammerten sie fortan bewußt Fragen zeitgenössischer Baugestaltung aus ihrer Arbeit fast völlig aus, nahmen in der eingangs angesprochenen Weise nur noch zu allgemeinen städtebaulichen und speziellen denkmalpflegerischen Problemen Stellung. Es galt nun als nicht mehr opportun, von amtlicher oder auch nur halbamtlicher Seite allgemeine ästhetische Vorschriften zu machen. Gegenteilige Versuche auch im Rheinland, wo Justinus Bendermacher immer wieder zumindest für eine Baupflege nach westfälischem Vorbild eintrat, blieben im Ansatz, d.h. wie vor dem Krieg üblich an die Denkmalpflege gebunden, stecken. Dies kam auch im allgemeinen Baurecht zum Tragen, wurde doch die ganz wesentlich auf heimatschützerischen Gedanken fußende „Baugestaltungsverordnung" von 1936, die für alle Neubauten „anständige Baugesinnung", „werkgerechte Durchbildung" und Einfügung in die Umgebung vorgeschrieben hatte, durch das Bundesverwaltungsgericht 1955 de facto wieder auf die alte Gefahrenabwehrmaxime beschränkt, wonach Gestaltungsvorschriften nur in besonders zu begründenden Einzelfällen zulässig waren. Aber wie bereits nach dem Ersten Weltkrieg bedurfte es der organisierten Heimatpflege gar nicht, um ein Fortleben nicht allein traditionalistischen, sondern sogar explizit auf den Heimatbegriff bezogenen Bauens zu ermöglichen. Vordergründig war das Konzept „Heimat" zwar als ernstzunehmender Bezugspunkt kulturellen Schaffens und gesellschaftlicher Entwicklung durch seine nationalsozialistische Dienstbarmachung und Überspitzung zur „Blut-und-Boden"-Propaganda auf Jahrzehnte hinaus desavouriert. Doch wie in anderen Bereichen zeigte sich auch in der Architektur, daß unterhalb einer gewissen gesellschaftlich „akzeptierten", veröffentlichten Meinungs- und Diskussionsebene, die wie die architektonischen Fachzeitschriften und -bücher den Begriff geflissentlich vermied, „Heimat" nach wie vor geeignet war, bestimmte bauliche Bedürfnisse und Qualitäten zu artikulieren und zu begründen. Schon die Zahl des unter diesen Vorzeichen Gebauten verbietet es, hier von einem vernachlässigbaren bloßen „Nachleben" zu sprechen; vielmehr handelt es sich um ein eigenständiges Phänomen, das Einblick in die frühen Jahre des Wiederaufbaus und ihre Suche nach Leitbildern nach dem moralischen und wirtschaftlichen Zusammenbruch 1945 gewährt. Selbstverständlich lebte diese Art der Architektur zunächst auch deshalb weiter, weil Architekten, freischaffende wie behördliche, nach dem Krieg so weiterbauten, wie sie es gelernt und bis dahin auch für „richtig" befunden hatten. So naheliegend und verständlich dies ist, wird darin auch ein Stück konservativer Vergangenheitsbewältigung deutlich: man führte ja lediglich weiter, was bereits vor 1933 vorhanden gewesen und vom Nationalsozialismus zwar übernommen, aber nicht korrumpiert worden sei. Es habe sich vielmehr um ein „richtiges Bauen im falschen System" gehandelt, vom engeren Machtapparat und dessen als eigentlich nationalsozialistische Staatsarchitektur bezeichneten Monumentalklassizismus deutlich unterschieden. Mit dem heutigen Abstand betrachtet, war in dieser Interpretation mehr Wahres enthalten, als es die oft kolportierte, pauschale Etikettierung allen Bauens zwischen 1933 und 1945 als „nationalsozialistisch", dem die reine Lehre der (funktionalistischen) „Moderne" unbeschadet gegenüber gestanden habe, glauben machen wollte; nur diente sie vielfach einer kritiklosen Apologie, die Fragwürdiges der eigenen Haltung überdeckte.
Düsseldorf, städtisches Verwaltungsgebäude Marktplatz (1993) Überregional öffentlich diskutiert wurde diese Kontinuitätsproblematik in, mißt man es an der Schärfe der Auseinandersetzung von Progressiven und Traditionalisten vor 1933, erstaunlich wenig Fällen. Die Heimatschutzarchitektur betraf in erster Linie der in der Forschung mittlerweile gut bekannte „Düsseldorfer Architektenstreit" von 1952, war doch der Architekt Julius Schulte-Frohlinde, an dessen Berufung zum Leiter des Düsseldorfer Hochbauamtes sich der Streit entzündete, in den Dreißiger Jahren dem Baubüro der Deutschen Arbeitsfront vorgestanden und hatte dabei auf das Engste mit dem Deutschen Heimatbund an der Weiterentwicklung des „landschaftsgebundenen Bauens" zusammengearbeitet. Als Schüler von Paul Bonatz ein prominenter Vertreter der „Stuttgarter Schule", vertrat Schulte-Frohlinde auch nach 1945 konsequent traditionalistische und auf den Heimatschutz bezogene Positionen, was in seinem Entwurf für ein städtisches Verwaltungsgebäude am Düsseldorfer Marktplatz in Reinform zum Ausdruck kam. So heftig, wie der Streit kurze Zeit geführt wurde, so rasch und so ergebnislos wurde er beendet: Schulte-Frohlinde blieb bis zu seiner Pensionierung 1959 auf seinem neuen Posten und das Gebäude wurde wie geplant errichtet und steht heute als das vielleicht prominenteste Zeugnis jener Richtung des Wiederaufbaus gut erhalten unter Denkmalschutz.
Wipperfürth, Rathaus (1993) Neben dem Düsseldorfer Beispiel entstanden noch eine ganze Reihe weiterer öffentliche Verwaltungsgebäude und Rathäuser in der Tradition der Heimatschutzarchitektur, so zum Beispiel der neue Spanische Bau in Köln, das Alte Rathaus in Jülich, die Rathäuser in Wipperfürth, Rees und andere mehr, die sämtlich weit weniger Aufsehen erregten. Die Verwendung einer „ortstypischen", traditioneller Architektur angepaßten Formensprache war ja auch in der Tat bei dieser Bauaufgabe durchaus naheliegend, angesichts eines oftmals in zentraler Altstadtlage befindlichen Bauplatzes und dem mit ihr verbundenen Anspruch, so etwas wie „lokale Identität" gestalterisch darzustellen.
Wegberg, Echterstr., ehem. kath. Volksschule (1993) Etwas weiter hergeholt mutet da schon die Integration des Heimatgedankens in den Schulbau an. Doch bereits in den Zwanziger Jahren hatte sich die Heimatbewegung mit an die Spitze jener pädagogischen Reformbewegung gesetzt, die die „wilhelminische Schulkaserne" mit zeitgemäßeren Inhalten und Methoden ablösen wollte. Vor allem in der Volksschule sollte dabei an die Stelle „abstrakten Kathederwissens" die unmittelbare, vertraute und damit „faßbare" Lebensumwelt des Kindes, eben seine engere „Heimat", treten und Mittel- und Bezugspunkt der Lehrinhalte sein, und dies wollte nicht zuletzt auch in der Architektur des Schulgebäudes zum Ausdruck gebracht sein: es sollte sich in den Ort einfügen, „kindgerecht", d.h. kleinteilig, hell und freundlich gestaltet sein, möglichst mit grüner Umgebung und Möglichkeiten zum Freiluftunterricht (Schulgarten, Ortsrandlage), im Idealfall einem kleinen, (arche-)typischen Wohnhaus im Grünen nahekommend. Pestalozzis Gedanke von der „Schulwohnstube" stand hier eindeutig Pate. Auf die ein oder andere Weise bemühten sich die meisten Schulneubauten schon der Weimarer Republik, „funktionalistische" wie „traditionalistische", diesem Ideal möglichst nahe zu kommen, doch in der Regel zwangen knappes Geld, begrenzter Bauplatz oder andere Sachzwänge zu Kompromissen. Auch das Dritte Reich orientierte sich formal (die Lehrinhalte waren natürlich ein anderes Thema) an diesen Maximen, jetzt aber ausschließlich in der traditionalistischen Ausführung, und mehr als im zahlenmäßig nicht sehr bedeutenden Schulbau im von der Funktion her vergleichbaren HJ-Heimbau. Nach der traumatischen Erfahrung des Dritten Reiches, für dessen Entstehen und Massenpopularität auch immer wieder ein Versagen des bis dahin üblichen Schulunterrichts verantwortlich gemacht wurde, erlangte nach 1945 die Erziehung zum demokratischen Staatsbürger eine solche Bedeutung, daß der daraus resultierende Idealismus für kurze Zeit über finanzielle Zwänge siegte und der Schulbau vielleicht die qualitätvollste Bauaufgabe im deutschen Wiederaufbau überhaupt werden konnte. Und wieder bot sich der Heimatbegriff als Bezugspunkt an und rückte vorübergehend noch einmal in den Mittelpunkt vor allem des Volksschulwesens; so formulierte das nordrhein-westfälische Kultusministerium 1955: „Als Stätte der volkstümlichen Bildung und als Muttersprachschule ist die Volksschule Heimatschule. (...) Heimatbezogenheit muß Unterrichtsgrundsatz auf allen Stufen der Volksschule sein." Auf den zahlreichen Schulbautagungen und -ausstellungen der unmittelbaren Nachkriegszeit war das „landschaftsgebundene Bauen" folglich immer präsent, zumal unter den beamteten Architekten, die dort anfangs noch die Mehrheit innehatten. Die für Nordrhein-Westfalen maßgeblichen „Fredeburger Richtlinien" machten da keine Ausnahme, und so entstanden ab 1949 zunächst noch einmal eine Fülle von Neubauten in diesem Sinne: sei es tatsächlich als Dorfschule, wie sie allenthalben, so in besonderer Dichte in den kleinen Eifelgemeinden des Kreises Schleiden, entstand, sei es als Pavillonsystem, mittels dessen größere Einheiten gebildet werden konnten, ohne die Grundform des kleinen Hauses für die einzelnen Klassen aufzugeben. Doch so ansprechend und qualitätvoll viele dieser frühen Schulbauten waren, so sehr machten sich ihre vergleichsweise hohen Bau- und Unterhaltskosten bemerkbar. Hinzu kam der Erfolg des Wirtschaftswunders und der mit ihm identifizierten Werte Mitte der Fünfziger Jahre, in dessen Zuge eine Architektur für „die Jugend" leicht, transparent, „modern" sein mußte, „international", nicht heimattümelnd, „schwerelos", nicht bodenständig. Pädagogische Inhalte änderten sich natürlich ebenfalls. Daß der Umschlag im Schulbau der Fünfziger Jahre im monströsen Schulzentrum der Sechziger und Siebziger Jahre endete und schließlich einem Buch wie Hugo Kükelhaus` „Unmenschliche Architektur" zum Anlaß gereichte, war sicher nicht zwangsläufig. Dennoch macht vielleicht keine andere Baugattung im Hinblick auf eine Geschichte der Architektur im 20. Jahrhundert so nachdenklich wie diese. Heimatschutz und Baugestaltung - eine Skizze (Fortsetzung) Eine andere jugendbezogene Bauaufgabe der Nachkriegszeit waren die Jugendherbergen. Ohnehin dem Heimatschutz aufgrund der gemeinsamen Wurzeln in der Reformbewegung der Jahrhundertwende verbunden und im Ziel der Vermittlung von Heimat durch ein direktes In-Beziehung-setzen von Architektur und Landschaft gleichgesinnt, war es selbstverständlich, daß die jeweils aktuellen Gestaltungsvorstellungen der Heimatschutzarchitektur hier wie in einem Musterbuch zur Anwendung kamen. Auch im Rheinland hatte sich dies in den Dreißiger Jahren noch einmal verfestigt, als eine ganze Reihe von Neubauten entstanden, deren Architekten auch nach 1945 wieder Jugendherbergen wiederauf- und neu bauten, etwas weniger plakativ bodenständig als zuvor, aber eindeutig das „landschaftsgebundene Bauen" so bruchlos und selbstbewußt wie nirgends sonst fortführend. Erst bei der Errichtung der Jugendherberge auf dem Bonner Venusberg, bei der, da sie gleichzeitig Jugendgästehaus des Bundestages sein sollte, das Jugendherbergswerk widerwillig einen vom Bundestag favorisierten avantgardistischen Entwurf ausführen mußte, wurden dessen zum Teil noch aus den Anfängen der Bewegung stammenden Funktionäre damit konfrontiert, daß inzwischen das Thema Jugend mit einer ganz anderen Architektur verbunden wurde. Die sich um den Bau der Bonner Hauses mehrere Jahre hinziehende Kontroverse innerhalb und außerhalb des Jugendherbergswesens beendete hier eine noch unberührt gebliebene Tradition. Den danach errichteten Häusern ist das nicht immer geglückte Bemühen, sich behutsam und dennoch deutlich vom „landschaftsgebundenen Bauen" zu lösen, gemeinsam, zumal Änderungen im Selbstverständnis der Jugendherbergen, weg von der einfachen Wandererherberge mit pädagogischem Anspruch, hin zum hotelähnlichen Angebot, hinzukamen, was ebenfalls auf Gestaltung und Raumprogramm Einfluß haben mußte.
Kamp-Lintfort, Jugendherberge (um 1938) Die vierte große Gruppe von Bauaufgaben schließlich, in der der Heimatbegriff nach 1945 noch einmal eine richtungsweisende Leitbildfunktion innehatte, war der Wohnungsbau. Gerade im öffentlich geförderten Siedlungswesen umschrieb er seit langem jene Verwurzelungsmetapher, in der den „Entwurzelten" der Moderne eine „Heimstatt" gegeben und damit letztlich der soziale Frieden gewährleistet werden sollte. Er war derart allgemeiner selbstverständlicher Bestandteil jedweder Siedlungs- und Wohnungsbauförderungspolitik, daß es schwerfällt, einen spezifischen Beitrag der eigentlichen Heimatschutzbewegung auszumachen. Und doch läßt sich dieser in einer gerade nach 1945 zum Tragen kommenden Ausprägung benennen.
Verantwortlich hierfür war die Siedlungsbewegung um den Lehrer und katholischen Sozialreformer Nikolaus Ehlen in Velbert. Sie hatte ihre Anfänge wie so viele andere auch in den Kleinsiedlungsunternehmen der Weltwirtschaftskrise nach 1930, als einfachste, zumeist von Arbeitslosen in Selbsthilfe erstellte Bauten mit für den Nebenerwerb ausreichender Gartenzulage bevorzugt staatlich gefördert wurden. Der Einfluß dieser Praxis auf die nationalsozialistische Wohnungsbaupolitik ist seit langem bekannt. Auch die von Ehlen 1934 initiierte Siedlung Langenhorst in Velbert steht in diesem Kontext, weist jedoch über diesen hinaus durch ihre zeitgenössische ideologische Überhöhung und Vorbildfunktion für die katholische Sozialethik und für die Handwerkspflege. Letztere stand im Dritten Reich natürlich im Vordergrund und wurde weniger von Ehlen als von dem ihm bekannten Philosophen Hugo Kükelhaus eingebracht, der in den Dreißiger Jahren einer der führenden Denker und Praktiker der „Handwerkspflege" war und die „heimatstiftende" Kraft der handwerklichen Erstellung von Haus und Möbel auch im Siedlungswesen vertrat. Langenhorst und mehr noch die von den gleichen Personen initiierte Siedlung Kaldenberg im benachbarten Mettmann mit ihrem zentralen „Handwerkerhaus" wurden durch Kükelhaus, der enge Beziehungen zum Deutschen Heimatbund in Berlin unterhielt, oft publizierte Mustersiedlungen des Heimatschutzes, dem sie auch in ihrer dezidiert „landschaftsgebundenen" Gestaltung von Grundriß und Haustypen entsprachen. Nach dem Krieg trat dieser Aspekt bedingt durch das Ausscheiden Kükelhaus` in den Hintergrund, doch behielten Langenhorst und Ehlen nun aus anderen Gründen ihre Bedeutung. Mit einfachsten Mitteln und in Selbsthilfe wurde hier nämlich schon im Juli 1945 (!) wieder gebaut, was zusammen mit dem gleichzeitigen unermüdlichen Werben Ehlens für seine Vorstellungen von Siedlungspolitik für eine große Bekanntheit und Attraktivität Langenhorsts in ganz Deutschland sorgte, zumal die Selbsthilfe-Kleinsiedlung in den ersten Nachkriegsjahren die einzige wirklich in nennenswertem Umfang praktikable Form des Wohnungsneubaus war. Allerdings rückte Ehlen nun die katholische Soziallehre in den Vordergrund. „Heimat" war für ihn das „familiengerechte Heim", welches nur das kleine freistehende Häuschen mit Garten sein konnte, von einer Familie bewohnt und durch Anrechnung von Eigenleistung bei seiner Errichtung und großzügige Finanzierungsmodelle als Eigentum vorgesehen. Durch seine enge Freundschaft mit Paul Lücke, dem wichtigsten Wohnungsbaupolitiker der CDU in den Fünfziger Jahren und ab 1957 Wohnungsbauminister, hatte Ehlen nachweislich großen Einfluß auf die diesbezügliche Politik der Bundesregierung, die nach einigen Orientierungsschwierigkeiten nicht ohne Grund schließlich auf die Förderung des als „Familienheim" bezeichneten Einfamilienhauses ausgerichtet wurde. Der Triumph war für Ehlen jedoch ein zwiespältiger. denn das sich durchsetzende Wirtschaftswunder bedeutete gleichzeitig das Ende aller Selbsthilfe- und Bescheidenheitsideale, welche Ehlen für entscheidend hielt, so daß er bis zuletzt (er starb 1965) kompromißlos seinen boden- und sozialreformerischen Zielen treu blieb und sich zum Beispiel gegen die Anlage einer Kanalisation in „seinen" Siedlungen wehrte, da hierdurch wertvoller Dünger vernichtet würde. Mit wachsendem Lebensstandard wurden aus Langenhorst und Kaldenberg normale vorstädtische Einfamilienhaussiedlungen, deren Charakter als ehemalige Mustersiedlungen des Heimatschutzes nur noch im Grundriß und vereinzelten Gebäudedetails ahnbar ist.
Mettmann, Siedlung Kaldenberg, Haus des Architekten Hans Voss (1993) Der Heimatbegriff war inhaltlich offen und damit vielseitig interpretierbar und auch potentiell wandlungsfähig. In der Architektur wie anderswo diente er primär dazu, Defizite einer als ungeordnet und überstürzt empfundenen Modernisierung zu artikulieren und zu kompensieren. Ihn im Nachhinein lediglich mit der plakativen Verwendung einiger volkstümlicher oder regionaler Motive am Bau (die sprichwörtliche Vorortvilla im „Schweizerhausstil") zu identifizieren, ist das Ergebnis gründlicher Verdrängung im historischen Bewußtsein deutscher Architektur und Architekturgeschichte, das lange Jahre nur die Fortschritts- und Erfolgsgeschichte der funktionalistischen Moderne rezipierte und wiedergab. Dabei wird nicht nur die ehemals zentrale Rolle des Heimatbegriffs in der traditionalistischen Architektur übersehen, der dabei auch mit anderen Werten (Familie, Landschaftsbindung, örtliche Identität, Kindgerechtigkeit) synonym gesetzt wurde. Es gilt auch die formale Entwicklung und Bandbreite der vom Heimatschutz vertretenen Architektur zu bedenken; von ihren regionalistischen Anfängen bis hin zu einem neusachlichen Traditionalismus, dessen Grenzen zum Funktionalismus nicht nur im Formalen durchaus fließender waren als die hitzige, politisierte Architekturdebatte der Zwanziger Jahre es vorgab. Erst die Kompromittierung durch den Nationalsozialismus führte nach 1945 zu einer Verdrängung des Begriffs aus der zeitgenössischen Architektur. Dies vollzog sich als Prozeß und je nach Bauaufgabe mit unterschiedlicher Intensität, zumal die mit ihm verbundenen Inhalte zunächst noch einmal eine gewisse staats- und gesellschaftspolitische Relevanz erlangen konnten. Etwa Mitte der Fünfziger Jahre jedoch ließen das „Wirtschaftswunder" mit seiner Verabsolutierung der internationalen Modernität in allen Lebensbereichen und die Industrialisierung der Bauwirtschaft, die eine handwerkliche, gar auf lokale Traditionen Bezug nehmende Bauerstellung unvertretbar kostspielig machte, semantisch, ästhetisch und technisch dem als rückständig belächelbaren oder als faschistisch denunzierbaren Heimatbegriff keinen Raum mehr.
Nettetal-Hinsbeck, Jugendherberge, Entwurf von Peter Dierichsweiler (um 1952) Natürlich brachte der Heimatschutz neben qualitätvollen auch viele banale Ergebnisse hervor - vielleicht sogar mehr als andere, da man ja ganz bewußt „banal" im Sinne eines unspektakulären, schlichten, durchschnittlichen Bauens tätig sein wollte. In Fragen der Anpassung an vorgegebene Situationen, nicht ausschließlich im formalen, sondern auch im abstrakten Sinne, mittels Material, Maß, Proportion, hatte er dabei durchaus tragfähige Antworten. Hieraus bezog die „Heimatschutzarchitektur“ lange Zeit ihre Stärke und Daseinsberechtigung gegenüber dem selbstbewußt gegen alle Tradition auftretenden Funktionalismus. Andererseits zwingen die unweigerlich mit ihr transportierten Inhalte, die untrennbar mit ihrer Entstehungszeit verbunden sind und bleiben werden, zu der Einsicht in die Zeitgebundenheit dieses Phänomens. Die „Revision der Moderne" hat ihre Erforschung zwar sicher befördert, jedoch mancherorts auch dazu verleitet, in ihr ein Vorbild zu sehen, an daß die „Reparaturgesellschaft" des ausgehenden 20. Jahrhunderts anknüpfen kann. Doch Befürworter eines solchen Vorgehens handeln dabei ebenso ahistorisch wie jene, die wie jüngst im „Berliner Architektenstreit" jede Äußerung zugunsten einer Neuen Einfachheit im Bauen als reaktionäre Wende denunzieren. Erstveröffentlichung: Rheinische Heimatpflege N.F. 34 (1997), S.288-296. Ausführlich zum Thema: Marco Kieser: Heimatschutzarchitektur im Wiederaufbau des Rheinlandes. (= Beiträge zur Heimatpflege im Rheinland; 4), Köln: Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1998. - ISBN 3-88094-840-2 Literaturverzeichnis zur Heimatschutzarchitektur
|
|||
|
Zettelkasten: Architekten im 20. Jahrhundert
Wolfgang Bangert (1901-1973) |
||
|
|||
|
|