Sprachgrenzen im Landkreis Tuttlingen
Durch
das Donaubergland laufen verschieden Lautgrenzen.
Das
"Alemannische" im Südwesten Deutschlands wird (nach
Steger/Jakob 1983) in vier Sprachlandschaften eingeteilt: Das
Schwäbische, Oberrhein-Alemannische, Bodensee- Alemannische und
Süd-Alemannische. Die wichtigsten Sprachgrenzen, auf denen diese
Einteilung basiert, werden im Folgenden erläutert.
Die Grenze zwischen dem Oberrhein-Alemannischen und dem Schwäbischen bildet die „Schwarzwaldschranke“. Hier treffen zahlreiche Gegensätze aufeinander, darunter die Aussprache der mittelhochdeutschen (mdh.) langen Hochzungenvokale î, iu, û und der langen mittelzungenvokale ê, oe, ô. Die Hochzungenvokale sind im Oberrhein-Alemannischen als ii (lis >Eis<, Miis >Mäuse<) und uu (Muus >Maus<), die Mittelzungenvokale als ee/ää (Schnee/Schnää >Schnee<, bees/bääs >böse<) und oo/ôô (rood/rood >rot<) erhalten, während sie sich im Schwäbischen zu den Diphthongen ei, ou (Eis, Meis, Mous) und ae, ao (Schnae, baes, raod) entwickelt haben. Ein weiterer Lautgegensatz ist durch die „schwäbische Senkung“ der Vokale i, ü, u vor den Nasalen m, n, ng entstanden, die zur Folge hatte , dass Wörter wie >Kind, Strümpfe, Hunger< im Schwäbischen heute als Kend, Strempf, Honger gesprochen werden. Im Oberrheinischen ist diese Senkung nicht eingetreten.
Die Schwarzwaldschranke verzweigt sich in ihrem letzten Drittel. Die o. g. Sprachlinien drehen nach Südosten in Richtung Tuttlingen ab und trennen das schwäbische vom bodensee-alemannischen Sprachgebiet.
Einige Grenzlinien der Schwarzwaldschranke verlaufen geradlinig weiter nach Süden. Sie bilden die Grenzen zwischen dem Oberrhein- Alemannischen und dem Bodensee-Alemannischen. Von besonderer Wichtigkeit sind hierbei die unterschiedlichen Aussprachen von mhd. ei und mhd. ë (germanisch e): mdh. Ei wird westlich der Grenze als ai gesprochen, so in Glaider >Kleider<, braid >breit<, Waid >Weide<, östlich davon als oa: Gloader, broa, Woad; mhd. ë wird vor Leniskonsonanten (Weichlaute: mhd. b, d, g) im Westen als ää (lääbe >leben<, Läääder >Leder<, Wääg >Weg<) im östlichen Teil dagegen als ää gesprochen (läabe, Läader, Wäag).
Das Linienbündel, das das Oberrhein-Alemannische zusammen mit dem Bodensee-Alemannischen vom Süd-Alemannischen trennt, wird als „Sundgau-Bodensee-Schranke“ bezeichnet.
Folgende Lautungen stehen sich hier gegenüber:
die unterschiedlichen Entsprechungen für anlautendes germanisches k, das im Oberrein- und Bodensee-Alemannischen als Verschlusslaut gesprochen wird (Kind >Kind<, kalt >kalt<), während es im Südalemannischen zum Reibelaut ch wurde (Chind, chaalt);
die Aussprache der mhd. Vokale iu (>Mäuse, Häuser<), ü (>Strümpfe, Mühle<), ö (>Löcher<), œ (>böse<), öu (>Freude, Heu<),die im Südalemannischen als ü und ö erhalten sind (Müüs, Hüüser, Strümpf, Müüli, Löcher, böös, Fröid, Höi), im Bodensee- und Oberrhein-Alemannischen jedoch zu i, e und ai entrundet wurden (Miis, Hiiser, Strimpf, Miili, Lecher, bees, Fraid, Hai);
die Aussprache von westgermanisch kk und nk im nördlichen Sprachgebiet als g oder k (druge/drke >drücken<, dringge/tringke >trinken<), im südlichen Teil dagegen als kch (drukche, trinkche); auf dem westlichen Grenzabschnitt die im Oberrhein-Alemannischen eingetretene Erweichung von mhd. b zu w (heewe >heben<, Hoowel >Hobel<) und
die im Süd-Alemannischen bewahrte Verschlusslaut-aussprache (heebe, Hoobel); auf dem östlichen Abschnitt die nördliche Aus-sprache sagge >Sagen< gegenüber südlicher Form sägge.
Neben den Lautunterschieden gibt es zusätzliche, nicht minder wichtige Unterschiede in Lautlehre, Grammatik und Wortschatz, die bei einem Überblick über die Sprach-landschaft des Landkreises Tuttlingen unbedingt erwähnt werden sollten.
Dialektale Gegensätze entstehen nicht nur durch laut- und formengeographische Varianten, sondern auch im Wort-schatz, wenn für denselben Begriff regional verschiedene Ausdrücke verwendet werden. Diese Vielfalt war in den alten Mundarten größer als heute. Vor allem im landwirt-schaftlichen und handwerklichen Fachwortschatz sind dann Wörter in Vergessenheit geraten, wenn die dazugehörigen Gegenstände durch moderne Geräte ersetzt oder manuelle Arbeitsabläufe durch maschinelle abgelöst wurden.
Die
folgende Auswahl aus dem alten bäuerlichen Wortschatz aus Balgheim
verdeutlicht dies Entwicklung:
Kaalbin:
>trächtiges Rind<
Hagge: >Hagen< (Stier)
oosnig:
>brünstig von der Kuh<
Riati: >Richte< (Nachgeburt
der Kuh)
Briastermilch: >die erste Milch nach dem
Kalben<
Briaster: >das aus dieser Milch zubereitete
Gericht<
d’Kua stood drucke: >die Kuh steht
trocken<
(wenn die Kuh vor dem Kalben keine Milch
gibt)
deibe: >wiederkäuen<
Bollen: >verkrusteter
Kot an den Schenkeln der Kuh<
Kuapflatter:
>Kuhfladen<
draesse: >stöhnen<
Strich: >Zitzen
des Euters<
Waddel: >Kuhschwanz<
wäddle: >mit
dem Kuhschwanz wedeln<
Heiliacher: >Instrument, mit dem
das Heu aus dem Heustock gerupft wurde<
schwitze: >gären<
(vom Heu im Heustock)
Ousrummete: >Futterreste in der
Krippe<
Grisch: >Kleie<
herb mälke: >herb
melken< (wenn die Kuh sich nur schwer melken lässt)
Hamm:
>mittlerer Sensengriff<
Fuatterfass:
>Wetzsteinbehälter
Maad: >eine Reihe frisch gemähtes
Gras<
Kimmerling: >Ferkel, das nicht richtig
wächst
Laefer: >Ferkel<
Barg: >verschnittenes
männliches Schwein<
Laos: >Zuchtsau<
Guller:
>Hahn<
Pfiffes: >Hühnerkrankheit< (krankhafte
Verhärtung der Zunge)
Gaezing: >Gänserich<
Koud:
>Täuberich<
Gurre: > altes, unbrauchbares
Pferd<
Ralli: >Kater<
goukle: >spielen< (von
Kätzchen)