Terra Astra 001 Marion Zimmer Bradley Das Weltraumtor(2)

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Das Weltraumtor

THE DOOR THROUGH SPACE

TERRA ASTRA- Band 1

Freunde werden zu Todfeinden - der „Spielzeugmacher“ will es so

von MARION ZIMMER BRADLEY

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TERRA ASTRA

1.

Jenseits der Raumhafentore jagten die Männer von Kharsa einen Dieb. Ich hörte die schril-

len Schreie und das Trampeln zahlloser Füße; beides klang ein wenig anders als bei Men-
schen, und das Echo in den dunklen, staubigen Straßen unterstrich diesen Eindruck noch.

Der Platz selbst lag verlassen da im Licht der roten Mittagssonne des Planeten Wolf.

Die alte, sterbende Sonne Phi Coronis gab nur blasses Licht, das kaum wärmte. Die bei-
den schwarzgekleideten Posten am Raumhafentor dösten unter dem hohen Bogen mit dem
Emblem Terras. Einer der beiden, ein junger, stupsnäsiger Bursche, der erst seit ein paar
Wochen hier war, spitzte die Ohren und drehte sich dann zu mir um.

„He, Mr. Cargill, Sie sprechen doch ihre Sprache?“ rief er. „Was ist dort draußen los?“

Ich ging vor das Tor und lauschte. Der Platz war noch immer eine weite Leere. Auf der

einen Seite lag der Raumhafen mit dem weißen Wolkenkratzer des terranischen Hauptquar-
tiers, auf der anderen Seite ein Nest aus niedrigen Hütten und Straßenschreinen. Aus dem
kleinen Raumhafencafe roch es nach Jaco, und die dunklen Sträßchen führten hinunter nach
Kharsa, in die Altstadt, wo die Einheimischen wohnten. Während ich lauschte, kamen die
Schreie näher und hallten über den Platz.

Und dann sah ich ihn. Er rannte geduckt, und ein Steinhagel flog um seinen Kopf. Er oder

es war klein, behend und trug einen weiten Mantel. Der Mob hinter ihm ließ noch keine
Gesichter erkennen, und auch das, was sie schrien, verstand ich noch nicht. Aber ich wußte,
daß seine Verfolger nach seinem Blut dürsteten.

„Es gibt Ärger“, sagte ich, und da ergoß sich auch schon die Menge über den Platz. Der

fliehende Zwerg sah so rasch nach allen Seiten, daß auch jetzt sein Gesicht noch nicht zu
erkennen war, und dann rannte er wie von einer Schleuder abgeschossen direkt in Richtung
Raumhafentor.

Heulend und kreischend folgte ihm die Menge. Sie kam nur bis zur Platzhälfte und blieb

dann anscheinend in einem Anfall wiederkehrender Vernunft unvermittelt stehen. Die Köpfe
wandten sich von einer Seite zur anderen.

Ich trat ein paar Schritte zurück, bis ich auf den unteren Stufen des Raumhafengebäudes

stand, und sah über die Menge. Die meisten waren Chaks, die pelzigen, mannsgroßen Nicht-
menschen von Kharsa, und sie gehörten nicht den besseren Klassen an. Ihre Felle waren
ungepflegt, und die schmutzigen Schwänze sahen aus, als seien sie von Motten zerfressen.
Die Lederschürzen hingen in Fetzen an ihnen herunter.

Ein paar Menschen erkannte ich nun auch, aber die waren der Abschaum von Kharsa. Das

Emblem Terras dämpfte den Blutdurst des Mobs ein wenig; da und dort war auch ein bißchen
Unbehagen zu spüren.

Einen Augenblick lang hatte ich den kleinen Kerl aus den Augen verloren, doch dann sah

ich ihn wieder. Nur ein paar Schritte von mir entfernt hatte er sich in einen schattigen Winkel
geduckt. Auch der Mob entdeckte ihn nun wieder; ein Heulen der Wut und Enttäuschung
erhob sich, und jemand schleuderte einen Stein, der mich fast am Kopf streifte und vor den
Füßen des in schwarzes Leder gekleideten Postens niedersauste. Er riß den Kopf in die Höhe,
und plötzlich hatte er seinen Schocker in der Hand.

Das hätte eigentlich reichen müssen. Auf Wolf hatten Feuer und zerfetzte Atome die Ge-

setze Terras geschrieben, und die damit gezogene Linie war von Anfang an eindeutig. Die
Männer der Spaceforce mischten sich nicht in die Angelegenheiten der Altstadt oder in die
der Eingeborenenstädte. Wenn aber die Gewalt vor dem strahlenden Emblem Terras nicht

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Das Weltraumtor

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haltmacht, dann ist die Strafe hart und erfolgt schlagartig. Im allgemeinen reicht allein deren
Drohung.

Terranan!“ brüllte jemand, und „Affensohn!“

Die Posten standen nun Schulter an Schulter hinter mir. Der stupsnasige Junge war blaß

geworden. „Schnell, Cargill!“ rief er mir zu. „Schnell, kommen Sie hinter das Tor! Wenn ich
schießen muß...“

Sein älterer Kamerad winkte ihm, er solle schweigen. „Warte, Cargill!“ sagte er, und ich

nickte zum Zeichen, daß ich verstanden hatte. „Du sprichst doch ihre Sprache. Sage ihnen,
sie sollen sich schnellstens verziehen. Verdammt, ich will doch nicht schießen müssen!“

Ich ging die Stufen hinab und auf den Platz hinaus, direkt auf die wütende Menge zu.

Selbst mit zwei schwerbewaffneten Posten hinter mir war das keine angenehme Sache, und
mich überlief auch eine Gänsehaut, aber ich hob meine Hände zu einer Friedensgeste.

„Zieht euren Mob vom Platz zurück!“ rief ich ihnen im Kharsa-Dialekt zu. „Er unterliegt

dem Friedensabkommen! Eure Streitigkeiten könnt ihr anderswo fortsetzen!“

Da und dort bemerkte ich eine Bewegung in der Menge. Sie staunten darüber, in ihrer

Sprache und nicht in Terra-Standard angesprochen zu werden. Vor langer Zeit hatte ich die
Erfahrung gemacht, daß ich wenigstens den Vorteil des Überraschungseffektes hatte, wenn
ich sie in ihrer Sprache anredete, und wenn es auch nur eine Minute war.

Dann brüllte einer aus der Menge: „Wir gehen sofort, wenn ihr ihn ausliefert! Er hat kein

Recht auf terranischen Schutz!“

Ich ging auf den Verfolgten zu, der sich noch mehr zusammenkauerte, und ich stieß ihn

leicht mit dem Fuß an. „Steh auf. Wer bist du?“

Die Kapuze fiel von seinem Kopf, als er langsam auf die Füße kam. Er zitterte heftig.

Ich sah ein pelziges Gesicht, eine samtige, zuckende Schnauze und große, weiche, goldene
Augen, die Intelligenz und wahnsinnige Angst ausdrückten. „Was hast du angestellt? Kannst
du nicht reden?“

Er zeigte ein Körbchen vor, das er unter dem Mantel versteckt hatte; es war ein ganz

gewöhnliches Hausiererkörbchen. „Verkaufe Spielzeug. Für Kinder. Hast du Kinder?“

Ich schüttelte den Kopf, schob das Wesen weg und warf nur einen raschen Blick in das

Körbchen; was ich sah, waren wunderschön gearbeitete Püppchen, Tiere, Prismen und Kri-
stallkreisel. „Schau, daß du verschwindest“, riet ich dem Zwerg, „aber schnell! Die Straße
hinunter!“

Wieder vernahm ich einen Schrei aus der Menge, und er klang sehr drohend: „Er ist ein

Spion von Nebran!“

Nebran...“ Der kleine Nichtmensch brabbelte etwas und duckte sich hinter mich. Ich sah,

wie er gebückt in die Richtung der großen Tore lief und dann, als die Menge ebenfalls dorthin
drängte, plötzlich einen Haken schlug und zum Straßenschrein jenseits des Platzes rannte.
Er benützte jede Mauernische als Deckung, denn immer wieder prasselten Steine hinter ihm
her. Und dann verschwand der kleine Spielzeugverkäufer im Schrein.

„Aaah!“ schrie die Menge vor Wut, aber sie zog sich zurück und löste sich schließlich auf.

Innerhalb von drei Minuten lag der Platz wieder leer unter der blaßroten Mittagssonne.

Der junge Posten atmete erleichtert auf, fluchte kräftig und schob seinen Schocker in das

Gürtelhalfter. „Wohin ist nun der Zwerg eigentlich verschwunden?“ fragte er verblüfft.

Die anderen zuckten die Achseln. „Wer weiß das schon? Hast du’s gesehen, Cargill?“

Mir war es so vorgekommen, als habe er sich in den Straßenschrein geflüchtet und sich

dann in Luft aufgelöst, aber ich war ja schon lange genug auf Wolf und wußte daher, daß

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TERRA ASTRA

man auf diesem Planeten seinen Augen besser nicht traute. Das sagte ich ihnen auch, und
der Junge fluchte erneut. Der Vorfall schien ihn geärgert oder aufgeregt zu haben. „Passiert
das hier oft?“ fragte er.

„Ständig“, versicherten ihm seine Kameraden und blinzelten mir zu.

Der Junge gab sich noch nicht zufrieden. „Wo haben Sie denn die Sprache gelernt, Mr.

Cargill?“ fragte er.

„Ich bin schon ziemlich lange auf Wolf“, erklärte ich ihm kurz, drehte mich auf dem

Absatz um und ging zum Hauptquartier. Unwillkürlich hörte ich trotzdem noch, was sie
redeten.

„Kleiner, weißt du denn nicht, wer er ist? Das ist Cargill vom Secret Service. Vor sechs

Jahren war er der beste der Abwehr, aber dann...“ Der Posten flüsterte nun, so daß ich seine
folgenden Worte nicht mehr verstand.

„Was, zum Teufel, ist mit seinem Gesicht passiert?“ hörte ich den Jungen noch fragen.

Daran hätte ich ja nun wirklich gewöhnt sein müssen. Seit sechs Jahren hörte ich solche

Bemerkungen immer und überall. Nun ja, wenn ich ein bißchen Glück hatte, dann brauchte
ich sie nicht mehr lange zu hören. Ich ging die weißen Stufen zum Wolkenkratzer hinauf,
um die letzten Formalitäten zu erledigen, die mich für immer von Wolf wegführen würden.
Vielleicht ans andere Ende der Galaxis - irgendwohin. Es war mir egal, wo ich dann landete,
wenn ich nur nicht meine Vergangenheit wie ein Medaillon um meinen Hals zu tragen hatte.
Sie stand mir sowieso ins narbige, geschundene Gesicht geschrieben.

2.

Terra hatte ihren Fuß auf mehr als vierhundert Planeten gesetzt, die um dreihundert Son-

nen kreisten. Die Farbe der jeweiligen Sonne und die Anzahl der Planetenmonde wurden
unwichtig, wenn man das Gebäude eines Hauptquartiers betrat, denn dann war man immer
und überall auf der Erde. Vielen Erdenmännern war die Erde schon fremd geworden - wie
mir, um nur ein Beispiel zu nennen. Meine Schritte hallten in den hohen Marmorkorridoren,
und vor dem grellen, kaltgelben Licht mußte ich die Augen zusammenkneifen.

Die Abteilung Verkehr herrschte zwischen Glas, Chrom, poliertem Stahl, Spiegeln, Fen-

stern und riesigen elektronischen Büromaschinen. Ein TV-Monitor, der den gesamten Raum-
hafen überwachte, nahm fast eine ganze lange Wand ein. Der Raumhafen war ein riesiges
von Quecksilberlampen blau-weiß erhelltes Areal, und an einem wolkenkratzerhohen Ster-
nenschiff schwärmten die Ameisenheere der Bodenmannschaften, die das auf der Rampe
stehende Schiff für den nächsten Tag startfertig machten. Den Raumkreuzer sah ich mir ein
wenig genauer an, denn auf dem sollte ich abreisen.

Ich ging weiter. In den zahllosen spiegelnden Flächen sah ich mich als großen, mage-

ren, von den Jahren unter einer blassen Sonne gebleichten Mann, der auf beiden Wangen
und um den Mund tiefe Narben hatte. Noch nach sechs Schreibtischjahren schienen mir die
sauberen Kleider eines Geschäftsmannes von der Erde nicht recht zu passen, und ohne mir
dessen bewußt zu werden, ging ich noch immer in der ein wenig vorgebeugten Haltung der
Trockenstädter von den Coronisebenen.

Der Beamte hinter dem Schild TRANSPORTE war ein kleiner, rattengesichtiger Mann

mit Sonnenlampenbräune.

„Kann ich etwas für Sie tun?“ fragte er mich.

„Ich bin Cargill. Haben Sie einen Paß für mich?“

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Das Weltraumtor

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Er starrte mich an, denn ein Paß für ein Sternenschiff ist eine Rarität, die sonst nur profes-

sionellen Raumfahrern zusteht, und ich sah gar nicht so aus, als gehöre ich zur Zunft. „Ich
muß erst mal meine Unterlagen nachsehen“, antwortete er und drückte verschiedene Knöpfe
auf der glänzenden Schreibtischplatte. Schatten kamen und verschwanden, und ich sah mich
selbst halb reflektiert als wackeligen Schatten in einem Wasserfall rasender Farben. Endlich
beruhigten sich die Bilder, und der Beamte konnte Namen ablesen.

„Brill, Cameron... ah. Cargill, Race Andrew, Department 38, Transfer. Sind Sie das?“
Ich bejahte, und er drückte noch weitere Knöpfe, bis plötzlich sein Gehirn eine Verbindung

herzustellen schien. Er ließ seine Hand über den Knöpfen schweben. „Sind Sie Race Cargill
vom Secret Service, Sir? Der Race Cargill?“

„Da sehen Sie’s ja“, erwiderte ich und deutete auf das projizierte Muster unter der Glaso-

berfläche.

„Wissen Sie, ich dachte... das heißt, jeder hielt es für selbstverständlich... ich meinte, ich

hörte...“

„Sie meinten, Cargill sei vor langer Zeit ermordet worden, weil sein Name nirgends mehr

auftauchte?“ Ich lachte säuerlich, sah mein Bild, das sich allmählich in Schatten auflöste,
und spürte die seit langem geheilte Narbe an meinem Mund, die mein Lachen zu einem
Grinsen verzerrte. „Ja, ich bin dieser Cargill. Seit sechs Jahren war ich im 38. Stock und
verwaltete einen Schreibtisch, mit dem jeder andere auch hätte fertig werden können. Sie
zum Beispiel.“

Er riß vor Staunen den Mund auf. Dieses Hasenherz von einem Mann hatte nie den Mut

gehabt, die sicheren, vertrauten Grenzen der Handelsstadt zu überschreiten. „Wollen Sie
vielleicht sagen, daß Sie der Mann sind, der verkleidet nach Charin ging und den Lisse
erforschte? Der die Schwarzen Berge und Shainsa ausgekundschaftet hat? Und Sie haben
dann sechs Jahre an einem Schreibtisch gesessen? Das ist doch kaum zu glauben, Sir.“

Mein Mund verkniff sich unwillkürlich. Das hatte ich ja selbst kaum für möglich gehalten,

solange ich an diesem Schreibtisch saß. „Der Paß?“

„Jawohl, Sir. Sofort, Sir.“ Er drückte mehrere Knöpfe, und dann glitt eine Plastikkarte

auf den Tisch. „Ihre Fingerabdrücke, bitte?“ Er drückte meine Finger auf die noch weiche
Plastikoberfläche, so daß der Abdruck unauslöschbar für immer festgehalten war, und schob
das Kärtchen anschließend in den Schlitz einer Pneumoröhre.

„Wenn Sie an Bord des Schiffes gehen, werden Ihre Fingerabdrücke mit diesen hier vergli-

chen“, erklärte er mir. „Sie können an Bord gehen, sobald die Bodenmannschaft das Schiff
für startfertig erklärt. Eine Stunde, vielleicht auch zwei wird es schon noch dauern. Und
wohin gehen Sie von hier aus, Mr. Cargil?“

„Zu irgendeinem Planeten im Hyadesnebel. Vainwal, glaube ich.“
„Und wie ist es dort?“
„Woher soll ich das wissen? Ich war auch noch nicht dort. Ich weiß nur, daß Vainwal eine

rote Sonne hat und daß der terranische Legat einen erfahrenen Abwehrbeamten braucht, den
er aber sicher nicht an einen Schreibtisch nagelt.“

Ein wenig Neid und sehr viel Respekt klangen in der Stimme des kleinen Mannes mit:

„Darf ich... Ihnen einen Drink anbieten, Mr. Cargill, ehe Sie an Bord gehen?“

„Oh, vielen Dank, aber ich habe noch einiges zu erledigen.“ Das stimmte zwar nicht, aber

ich wollte, verdammt noch mal, meine letzten Stunden auf Wolf nicht mit einem hasenherzi-
gen Schreibtischterraner verbringen, der seine Abenteuer aus zweiter Hand bezog.

Als ich jedoch das Büro und den Wolkenkratzer verlassen hatte, wünschte ich fast, ich

hätte seine Einladung angenommen. Es dauerte ja doch noch mindestens eine Stunde, bis das

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TERRA ASTRA

Schiff freigegeben wurde, und in dieser Stunde konnte ich nichts tun, als nur Erinnerungen
nachzuhängen, die ich besser vergessen würde.

Die Sonne stand nun schon etwas tiefer. Phi Coronis ist eine sterbende Sonne, und hat

sie um die Mittagszeit den Zenit überschritten, wirft sie lange, blaßrötliche Zwielichtschat-
ten. Vier von den fünf Wolf-Monden drängten sich am Himmel eng aneinander und warfen
violettes Licht in die blaßrote Dämmerung.

Ich ging durch blaue und purpurrote Schatten über den leeren Platz und sah in die eine oder

andere Seitenstraße hinein. Ein paar Schritte noch, und ich befand mich in einem schmutzi-
gen Slum, den eine ganze Welt von der strahlenden Handelsstadt trennte. Kharsa barst nahe
zu vor menschlicher und nichtmenschlicher Aktivität. Ein winziges, nacktes, goldpelziges
Kind schoß zwischen zwei Kieshäusern heraus, verschwand wieder, und sein Lachen klang
wie brechendes Glas.

Ein kleines Tier, ein Zwischending zwischen Schlange und Katze, kroch über ein Dach,

breitete lederhäutige Schwingen aus und flatterte auf den Boden. Aus dem offenen Straßen-
schrein kam ein Schwall säuerlicher, scharfer Gerüche, und eine plumpe, nichtmenschliche
Gestalt warf mir von innen her einen mißmutigen Blick aus grünen Augen zu.

Ich kehrte um. So nahe an der Handelsstadt war es nicht gefährlich. Selbst auf wilden

Planeten wie Wolf respektierte man die Gesetze Terras in Hör- und Sichtweite ihres Haupt-
quartiers. Aber seit einem Monat gab es hier und in Charin immer wieder Aufstände. Ein
einzelner, unbewaffnerter Terraner mußte also damit rechnen, als Leiche auf die Stufen des
Wolkenkratzers gelegt zu werden.

Es hatte eine Zeit gegeben, da ich ganz allein von Shainsa zur Polarkolonie gewandert war.

Ich hatte es verstanden, in der Nacht aufzugehen, schäbig und unverdächtig auszusehen; ich
trug um die Schultern einen zerschlissenen Hemdmantel und als Waffe nur einen rasiermes-
serscharfen Dolch unter der Mantelschnalle. Ich hatte es gelernt, ebenso auf den Fußballen
zu gehen wie jeder Trockenstädter, und ich sah weder so aus, noch roch oder sprach ich wie
ein Terraner.

Dieser rattengesichtige Bursche aus der Abteilung Verkehr hatte Erinnerungen in mir

geweckt, die ich besser vergessen hätte. Sechs Jahre eines langsamen Todes hinter einem
Schreibtisch seit dem Tag, da Rakhal Sensar mich gezeichnet hatte; die Narben in meinem
Gesicht bedeuteten überall außerhalb der Sicherheit terranischer Gesetze auf Wolf mein To-
desurteil.

Rakhal Sensar - in hilflosem Haß ballte ich meine Hände zu Fäusten. Könnte ich nur Hand

an ihn legen!

Rakhal war es gewesen, der mich zum erstenmal durch die Gäßchen und Winkel von

Kharsa geführt hatte und mich die Dialekte von einem Dutzend verschiedener Stämme lehrte;
von ihm lernte ich den zirpenden Schrei der Ya-Männer, die Wege der Katzenmänner aus den
Regenwäldern, das Argot der Diebesmärkte, den Schritt der Trockenstädter von Shainsa und
Daillon und Ardcarran, dieser ausgedörrten Städte aus Salzstein, die sich auf dem Grunde
von Wolfs verschwundenen Ozeanen ausgebreitet hatten. Rakhal stammte aus Shainsa, war
ein Mensch mit einem von Salz und Sonne gegerbtem Gesicht und hatte, seit wir Kinder
waren, für die Abwehr beim terranischen Nachrichtendienst gearbeitet. Gemeinsam hatten
wir diese ganze Welt durchwandert, und wir waren glücklich gewesen.

Ich weiß nicht, weshalb unsere uralte Freundschaft dann plötzlich zerbrach. Noch heute

ist mir nicht klar, warum es an diesem Tag zu einer Explosion zwischen uns kam. Er war
verschwunden und hatte mich als gezeichneten Mann zurückgelassen. Und einsam war ich
auch, denn Juli war mit ihm gegangen.

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Das Weltraumtor

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Meine Gedanken liefen die alten Bahnen zurück. Juli, meine kleine Schwester, klammerte

sich an Rakhals Hals, und ihre grauen Augen sprühten Haß. Seit damals hatte ich sie nicht
mehr gesehen.

Das war nun sechs Jahre her. Ein weiterer Vorfall hatte mir bewiesen, wie wenig ich dem

Secret Service noch von Nutzen sein konnte. Rakhal war verschwunden, aber er hatte mir
etwas hinterlassen: mein Name stand überall außerhalb der Reichweite terranischer Gesetze
auf den Todeslisten. Als gezeichneter Mann verschwand ich hinter dem Schreibtisch. Das
hatte ich dann solange wie möglich ertragen.

Magnusson hatte Verständnis gezeigt, als es nicht mehr ging. Er war der Chef des gesam-

ten Secret Service auf Wolf, und ich hätte eigentlich sein Nachfolger werden sollen, aber er
verstand mich, als ich um meine Entlassung bat. Er hatte für meine Versetzung und für den
Paß gesorgt, und heute noch sollte ich also den Planeten verlassen.

Ich war nun wieder an jenem Straßenschrein angelangt, in dem der kleine Spielzeugver-

käufer verschwunden war. Er sah aber ebenso aus wie viele tausend anderer schmutziger,
stinkender Schreine des Gottes Nebran, jenes Krötengottes, dessen Gesicht und Symbol auf
Wolf allgegenwärtig ist. Langsam ging ich weiter.

Das Licht hinter den Vorhängen des Raumhafencafes zog mich an, und ich ging hinein.

Ein paar Raumhafenleute in Bereitschaftsausrüstung tranken Kaffee, und neben den Spiegeln
am anderen Ende hockten einige pelzige Chaks. Drei große, wettergebräunte Trockenstädter
in blau-roten Hemdmänteln standen an einem Wandregal und aßen mit unnachahmlicher
Würde eine terranische Mahlzeit.

In meiner Geschäftskleidung fühlte ich mich fehl am Platz. Was hatte ein Zivilist hier zwi-

schen den Uniformen der Raumleute und dem bunten Glanz der Trockenstädter zu suchen?

Ein stupsnäsiges Mädchen mit alabasterfarbenem Haar brachte mir Jaco und süßes Ge-

bäck, und ich ließ mich damit in der Nähe der Trockenstädter nieder. Ihr Dialekt klang mir
weich und vertraut in den Ohren. Einer machte, ohne seine Stimme zu heben, Bemerkungen
über mein Aussehen, meine vermutliche Abstammung und persönlichen Gewohnheiten, und
das alles in der bildhaften, obszönen Ausdrucksweise von Shainsa.

Das war an der Tagesordnung. Der Humor auf Wolf ist kaum mit dem menschlichen zu

vergleichen. Der beste Witz ist der, wenn man einen Fremden, vorzugsweise einen Terraner,
kritisiert und beleidigt, am besten so, daß er es auch hören, wenn auch nicht verstehen kann.
Ich war in meiner Zivilkleidung ein erwünschtes Witzobjekt.

Die leiseste Mißbilligung in Blick oder Geste hätte einen dauernden Verlust an Würde

bedeutet, das, was die Trockenstädter kihar nennen.

Ich beugte mich ihnen also nur entgegen und erklärte in deren Dialekt, daß ich hoffte,

eines Tages die Gelegenheit zu haben, ihre Liebenswürdigkeit zu erwidern. Nun hätten sie
lachen und eine boshafte Bemerkung über meine Kenntnis ihrer Sprache machen müssen,
um dann die Hände zu kreuzen; mit dieser Geste hätten sie ihre Anzüglichkeiten auf sich
selbst bezogen. Dann lud man sich zu einem Drink ein, und die Sache war mit einem Lachen
aus der Welt geschafft.

Nicht so hier und heute. Der größte von ihnen wirbelte herum und schüttete dabei sein

Getränk um. Das alabasterhaarige Mädchen kreischte, und ein Stuhl polterte zu Boden. Alle
drei standen mir gegenüber und griffen nach ihren Mantelschnallen.

Ich trat einen Schritt zurück und griff ebenfalls nach meinem Dolch. So nahe am Haupt-

quartier würden sie mich wohl nicht umbringen, aber meine Lage war unangenehm. Mit drei
Männern konnte ich wohl kaum fertig werden. In Kharsa hatte man den Dolch sehr schnell
in der Hand, und war ich tot oder schwer verletzt, dann war es eben ein Unfall.

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TERRA ASTRA

Die Chaks stöhnten und plapperten aufgeregt; die Trockenstädter funkelten mich wütend

an, und ich wartete auf den Moment der Explosion. Aber dann wurde mir plötzlich klar, daß
sie nicht mich anfunkelten, sondern etwas, das hinter mir stand. Die Dolche verschwanden
hinter den Mantelschnallen.

Und dann rannten sie, ließen umgestürzte Tische und Stühle und zerbrochenes Geschirr

hinter sich, so eilig hatten sie es. Ich atmete erleichtert auf. Etwas hatte diesen Rauhbeinen
Gottesfurcht beigebracht, aber es war nicht mein Narbengesicht, sondern - ein Mädchen.

Sie war schlank, und ihr Haar glänzte wie schwarzes gesponnenes Glas, in dem Ster-

nenglanz zu schimmern schien. Ein schwarzer Glasgürtel umspannte ihre schmale Taille, und
das grellweiße Kleid war über der Brust mit einer groben Stickerei verziert, die das Symbol
des Krötengottes Nebran darstellte. Das Gesicht des Mädchens war marmorblaß und fein
gezeichnet; es war das Gesicht einer Trockenstädterin, ganz menschlich und ganz weiblich,
aber von fremdartiger Ruhe. Die großen Augen glühten rot, und um ihre roten Lippen lag
ein fast unmenschliches, boshaftes Lächeln.

Sie sah mich an, als wundere sie sich, weshalb ich nicht mit den anderen davongerannt

war. Dann verschwand das Lächeln und machte einem fast bestürzten Ausdruck Platz. Dem
des Wiedererkennens?

Jedenfalls hatte sie mich, egal, wer oder was sie war, vor einer üblen Rauferei bewahrt. Ich

wollte ihr danken, doch dann bemerkte ich, daß sich das Café geleert hatte. Selbst die Chaks
waren durch die Fenster geflüchtet; ich sah gerade noch einen verschwindenden Schwanz.

Dann trat ich einen Schritt vorwärts, sie einen zurück; plötzlich stand sie draußen auf

der dunklen Straße. Ich folgte ihr sofort, doch ich bemerkte nur noch einen Luftwirbel. Der
Straßenschrein war leer, und von dem Mädchen konnte ich keine Spur entdecken.

Und ich wußte genau, daß dieses Mädchen den Schrein betreten hatte und sich dann in

Rauch aufgelöst haben mußte. Wie der kleine Spielzeugverkäufer, den sie gejagt hatten.

Augen glommen durch das Dunkel, und ich ging weiter. Niemand schien auf der Straße

zu sein, doch die kleinen Geräusche des Lebens waren da. Man beobachtete mich also. Es
konnte gefährlich werden, wenn man sich allzu nachdrücklich mit einem Straßenschrein
beschäftigte.

Ich wandte mich also um und überquerte zum letzten Mal den Platz. Vor mir hatte ich die

wolkenkratzerhohe Realität des Sternenschiffes, und das verschwundene Mädchen reihte ich
in die endlose Fülle der Rätsel auf Wolf ein, die ich niemals mehr lösen würde.

Wie sehr irrte ich mich!

3.

Unter dem Tor zum Raumhafen blieb ich noch einmal stehen und warf einen letzten Blick

zurück auf die Altstadt von Kharsa. Ein paar Sekunden lang spielte ich mit dem Gedanken,
in einer dieser dunklen Gassen zu verschwinden. Wenn man weiß, wie man es anzustellen
hat, kann man auf Wolf leicht untertauchen. Ich hatte es einmal ganz genau gewußt.

Wenn ein Erdenmensch sehr viel Glück hat und vorsichtig ist, bleiben ihm äußerstenfalls

zehn Jahre im Nachrichtendienst, und ich hatte sogar zwei Jahre darüber. Ich wußte genug,
um meine terranische Identität wie einen abgetragenen Mantel zurücklassen zu können. Ich
konnte Rakhal suchen, unsere Blutfehde bereinigen, Juli wiedersehen...

Aber wie? Wie sollte ich Juli gegenübertreten? Als der Mörder ihres Mannes? Die Blut-

fehde auf Wolf ist ein entsetzliches, grausames Ritual, das in einem Duell endet. Verließ ich

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Das Weltraumtor

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die Sicherheit terranischer Gesetze, dann mußte ich irgendwann und irgendwo auf Rakhal
treffen. Einer von uns beiden hatte dann zu sterben.

Nur einmal blickte ich zurück auf die dunklen, winkeligen Straßen, die vom Platz ausgin-

gen. Dann drehte ich mich um. Das harte Licht tat meinen Augen weh, und das Sternenschiff
ragte drohend vor mir auf.

Ein weißgekleideter Steward nahm meine Fingerabdrücke und führte mich zu einer sarg-

großen Zelle. Er brachte mir Kaffee und belegte Brote. Nachdem ich gegessen hatte, schnall-
te er mich geschickt und fest auf die Beschleunigungscouch. Die Gurte schnitten mir ins
Fleisch. Eine lange Nadel stach in meinen Arm; das Narkosemittel hielt mich dann in einem
Dämmerschlaf, denn sonst war der unheimliche Beschleunigungsdruck nicht zu ertragen.

Türen schlugen zu, Summer vibrierten durch das Schiff, Männer trampelten durch die

Korridore und riefen einander in der Raumfahrersprache Befehle oder Grüße zu. Von vier
Worten verstand ich eines. Das war mir auch egal, und ich schloß die Augen. Am Ende
meiner Reise gab es einen anderen Planeten, eine andere Welt, eine andere Sprache, ein
anderes Leben.

Mein Leben als Erwachsener hatte ich auf Wolf verbracht. Juli war als Kind unter einer

roten, sterbenden Sonne aufgewachsen. Aber ich nahm ein Paar großer, rotglühender Augen
und gelocktes, schwarzes Haar, das wie gesponnenes Glas glänzte, in die unergründliche
Tiefe meines Schlafes mit.

Jemand rüttelte mich wach.

„Cargill, he, aufwachen! Aufwachen, Mensch!“

Ich mußte aus meinem Dämmerschlaf heraus nach Worten tasten. „Was ist denn los? Was

wollt ihr?“ Meine Augen schmerzten. Zwei Männer in schwarzer Lederkleidung beugten
sich über mich. Wir waren also noch innerhalb der Schwerkraftgrenzen.

„’raus aus der Beschleunigungscouch! Schnell, du mußt mit uns kommen!“

„Was...“ Eine Einsicht durchstieß die Mauer des Sedativs. Nur ein Krimineller wird auf

diese Art aus einem startbereiten Schiff geholt, einer, der gegen interstellare Gesetze versto-
ßen hat. Gesetzlich gesehen war ich ja noch auf dem Planeten.

„Ich weiß von keiner Anklage...“

„Habe ich ein Wort von Anklage gesagt?“ fauchte der eine.

„Halte die Klappe, er hat doch schon die Spritze“, sagte der andere. „Schau mal“, wandte

er sich an mich und sprach jedes Wort betont deutlich aus. „du mußt jetzt aufstehen und mit
uns kommen. In drei Minuten müssen wir vom Schiff sein, sonst schlägt der Koordinator
Krach. Bitte, komm mit uns.“

Ich taumelte durch den hellen, leeren Korridor, und die beiden Männer mußten mich fest-

halten. Wer mich sah, konnte denken, ich sei ein Flüchtling, der illegal den Planeten zu
verlassen versuchte.

Die Druckschleusen taten sich auf. Ein uniformierter Raummann stand mit der Uhr. „Die

Startabteilung...“

„Wir tun doch, was wir können“, unterbrach ihn der eine.

„Cargill, kannst du laufen?“

Als ich auf der Leiter war, zitterten mir die Beine. Das violette Mondlicht hatte sich zu

einer düsteren Malvenfarbe vertieft, und ein scharfer Wind blies mir Sand ins Gesicht. „Was,
zum Teufel, ist nun eigentlich los?“ fragte ich die beiden Männer, die mir halfen. „Ist mit
meinem Paß etwas nicht in Ordnung?“

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TERRA ASTRA

Der eine schüttelte den Kopf. „Wie soll ich das wissen? Wende dich an Magnusson. Von

ihm kommt der Befehl.“

„Das werde ich auch“, murmelte ich, „verlaßt euch drauf.“

Sie sahen einander an. „Verdammt, unter Arrest steht er ja nicht“, meinte einer. Ich konnte

die beiden in meinem Zustand nicht auseinanderhalten. „Warum sollen wir ihn wie einen
Verurteilten herumschleifen? Cargill, kannst du jetzt allein laufen? Du weißt doch, wo das
Büro des Secret Service ist. Der Chef braucht dich ganz dringend.“

Obwohl ich ganz genau wußte, daß es jetzt keinen Sinn hatte, Fragen zu stellen, wollte ich

etwas wissen. „Wird das Schiff für mich aufgehalten? Ich sollte damit abreisen.“

„Das nicht“, antwortete der Mann und machte eine Kopfbewegung zum Raumhafen. Ich

schaute mich um und sah gerade noch, wie das Schiff sich auf einem Feuerkissen abhob und
in den Wolken verschwand.

In meinem Kopf wurde es rasch klarer, und gleichzeitig kam der Zorn. Schließlich ar-

beitete ich nicht mehr für Magnusson, und welches Recht hatte er dann, mich von einem
Sternenschiff herunterzuholen, als sei ich ein Verbrecher? Ich kochte vor Wut, als ich in sein
Büro platzte.

Das Büro des Secret Service war voll rosa-grauem Morgenlicht und dem gelben Lam-

penschein. Magnusson saß an seinem Schreibtisch und sah aus, als habe er in der Uniform
geschlafen. Er war ein Bulle von einem Mann.

„Tut mir unendlich leid, daß ich dich in allerletzter Minute herunterholen mußte, Race.

Für Erklärungen blieb keine Zeit mehr“, sagte er.

Ich funkelte ihn wütend an. „Es scheint, als könnte ich nicht einmal unbehelligt den Pla-

neten verlassen! Die ganze Zeit, als ich hier war, hast du gemeckert, und jetzt, wo ich weg
will... Allmählich habe ich es gründlich satt, ständig herumgeschoben zu werden!“

Magnusson machte eine Geste der Beruhigung. „Höre erst einmal zu...“ Vor seinem Schreib-

tisch saß eine Gestalt in einem Sessel, den Rücken mir zugewandt. Plötzlich drehte sie sich
um; ich stand wie erstarrt da und glaubte an eine Halluzination.

Dann schrie die Frau: „Race! Race! Kennst du mich denn nicht mehr?“

Ich tat einen taumelnden Schritt vorwärts, dann noch einen. Und sie rannte auf mich zu;

ich fing sie auf, und sie warf die Arme um meinen Hals.

„Juli! Du?“

„Oh, Race, ich dachte, ich müsse sterben, als Mack sagte, du seist schon auf dem Schiff.

Nur der Gedanke an ein Wiedersehen mit dir hat mich am Leben gehalten.“ Sie weinte und
lachte zugleich und drückte ihr Gesicht an meine Schulter.

Ich ließ sie ein wenig weinen, und dann hielt ich meine Schwester auf Armlänge von mir.

Einen Augenblick lang hatte ich die sechs Jahre, die zwischen uns lagen, vergessen. Aber
dann sah ich sie doch, denn sie waren in Julis Gesicht eingegraben. In ihren grauen Augen
hockte ein Entsetzen, das ich nicht kannte.

Unter den weiten Falten ihres Pelzmantels sah sie zerbrechlich aus. Sie war gekleidet wie

eine Frau aus den Trockenstädten, und um ihre Handgelenke lagen die juwelenbesetzten
Fesseln jener Frauen. Die silbernen Ketten zwischen den Armbändern ihrer Fesseln klirrten
leise, als sie ihre Hände von meinem Hals nahm.

„Was ist denn los, Juli? Wo ist Rakhal?“

Sie zitterte, und erst jetzt bemerkte ich, daß sie sich in einem Schockzustand befand. „Er

ist fort. Ich weiß nicht, wo er ist. Und oh, Race, Race, er hat Rindy mitgenommen!“

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Das Weltraumtor

14

Ihre Stimme klang, als weine sie, doch ihre Augen waren trocken. Sie schien schon zu

viele Tränen vergossen zu haben. Sanft drückte ich sie in den Sessel zurück, und dort saß
sie wie eine Puppe. Ihre Hände fielen an den Seiten herab, und die Ketten klirrten. „Wer ist
Rindy?“ fragte ich.

Juli bewegte sich nicht. „Meine Tochter, Race“, flüsterte sie, „unser kleines Mädchen.“

„Nun, Cargill“, fragte Magnusson, und seine Stimme klang hart, „hätte ich dich abreisen

lassen sollen?“

„Rede keinen Unsinn!“ fuhr ich ihn an.

„Ich fürchtete, du würdest dem armen Kind erzählen, sie solle gefälligst selbst mit ihren

Fehler leben. Fähig dazu wärst du ja“, knurrte Magnusson.

„Mack“, sagte Juli, „ich habe mich vor dir gefürchtet. Dir war es ja auch nicht recht, als

ich Rakhal heiratete.“

„Alles vergessen“, grunzte Magnusson, „und ich habe fünf eigene Kinder, Miss Cargill...

Mrs....“ Er schwieg irgendwie bedrückt, denn er wußte, daß es in den Trockenstädten eine
tödliche Beleidigung ist, wählt man eine unpassende Anrede.

Sie erriet den Grund seines Zögerns. „Bitte, Mack, nenne mich Juli, wie früher. Das ist

jetzt ganz in Ordnung.“

„Du hast dich verändert“, bemerkte er ruhig. „Gut denn, Juli. Erzähle nun Race, was du

mir gesagt hast. Alles.“

Sie wandte sich an mich. „Ich hätte nicht für mich selbst...“

Das wußte ich, denn Juli war stolz, und sie hatte immer den Mut gehabt, mit ihren eigenen

Fehlern zu leben. Aber nun wußte ich, daß es nicht nur um die Klage einer verlassenen Frau
oder um die ihres Kindes beraubte Mutter ging. Ich setzte mich, beobachtete sie und hörte
ihr zu.

„Du hast einen Fehler gemacht, Mack, als du Rakhal aus dem Service entließest“, begann

sie. „Auf seine Art war er der loyalste Mann, den du je auf Wolf hattest.“

Magnusson schien nicht damit gerechnet zu haben, daß sie darauf anspielte. Er sah finster

drein und rutschte unbehaglich in seinem Sessel herum. Doch Julie schien auf seine Antwort
zu warten, denn sie sprach nicht weiter. „Juli“, erwiderte er deshalb, „er ließ mir keine Wahl.
Ich wußte doch nie, wie es in seinem Kopf aussah. Hast du eine Ahnung, was sein letzter
Handel den Service gekostet hat? Und hast du das Gesicht deines Bruders genau angesehen,
Juli?“

Langsam hob sie die Augen zu mir auf, und ich sah, wie sie zusammenzuckte. Ich wußte,

wie ihr zumute war. Seit drei Jahren hatte ich mich geweigert, in einen Spiegel zu schauen,
und mein Drahtverhau von einem Bart diente nur dem einen Zweck - meine Narben zu
verdecken und mir die Tortur des täglichen Rasierens zu ersparen.

„Rakhal sieht auch nicht besser aus. Sogar schlimmer“, flüsterte sie.

„Das ist eine gewisse Genugtuung“, antwortete ich, und Mack starrte uns verblüfft an.

„Aber selbst jetzt ahne ich noch nicht einmal, worum es eigentlich geht“, fiel er mir ins

Wort.

„Das wirst du auch nie begreifen.“ Wie oft hatte ich ihm das schon gesagt! „Nur einer, der

lange genug in den Trockenstädten gelebt hat, versteht es. Aber warum darüber reden? Juli,
erzähle weiter. Was führt dich nun eigentlich hierher? Und was ist mit dem Kind?“

„Ich muß ganz von vorne anfangen, sonst könnt ihr gar nichts verstehen“, meinte sie ver-

nünftig. „Zuerst arbeitete Rakhal als Händler in Shainsa.“

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TERRA ASTRA

Das überraschte mich nicht. Die Trockenstädter waren praktisch die Träger des gesamten

Handels zwischen Wolf und Terra, und es war eigentlich ihr Verdienst, wenn die Terraner
auf einer Welt, die nicht einmal zur Hälfte menschliches Leben aufwies, im allgemeinen
friedlich leben konnten.

Die Menschen der Trockenstädte lebten praktisch zwischen diesen beiden Welten. Sie hat-

ten mit den ersten Schiffen von Terra gehandelt und auf diese Art den Weg für ein Imperium
freigemacht. Trotzdem behielten sie ihren Stolz und ihre abweisende Haltung bei. Sie hat-
ten sich niemals dazu hergegeben, sich terranisieren zu lassen, wie es auf anderen Planeten
üblich war.

Handelsviertel gab es aber in den Trockenstädten nicht. Ein Erdenmensch, der sich un-

geschützt in eine dieser Trockenstädte begab, sah sich tausend Toden gegenüber. Einige be-
haupteten, die Männer von Shainsa, Daillon und Ardcarran hätten den Rest des Planeten
Wolf an die Terraner verkauft, um diese von ihren eigenen Stadttoren fernzuhalten.

Selbst Rakhal, der doch mit den Terranern seit seiner Jugendzeit zusammengearbeitet hat-

te, war schließlich zu eigenen Entscheidungen gekommen und seine eigenen Wege gegangen.
Es waren nicht die Wege Terras.

Und das war es, was Juli nun sagte. „Ihm gefiel nicht, was Terra auf Wolf tat. Ich weiß

nicht recht, ob es mir gefällt...“

„Hast du eine Ahnung, wie Wolf ausgesehen hat, als wir kamen?“ unterbrach Magnusson

sie. „Hast du die Sklavenkolonie, das Dorf der Idioten gesehen? Dein eigener Bruder ging
nach Shainsa und erforschte den Lisse.“

„Und Rakhal half ihm dabei“, erinnerte ihn Juli. „Er versuchte sich auch nach seinem

Ausscheiden aus gewissen Dingen herauszuhalten. Er hätte einiges verraten können, was
euch zum Schaden gereicht hätte, denn zehn Jahre im Dienste Terras...“

Das wußte ich, aber auf keinen Fall wollte ich Juli erzählen, daß ich ihn während sei-

nes jedem Terraner unerklärlichen Wutausbruches zu töten versucht hatte. Beide hatten wir
gewußt, daß dann der Planet Wolf für uns beide zu klein war. Wir konnten einander nicht
ewig ausweichen. Ich war in der Terranerzone einen langsamen Tod gestorben. Der Rest des
Planeten gehörte ihm.

„Aber er hat ihnen niemals etwas erzählt! Er war einer der loyalsten Menschen...“

„Ja, ja“, grunzte Mack, „ich weiß, er ist ein Engel. Nun, weiter...“

Aber sie erzählte nicht, sondern stellte eine Frage, die anscheinend vom Thema wegführte.

„Stimmt es, daß das Imperium eine Belohnung ausgesetzt hat für einen funktionierenden
Materietransmitter?“

„Das Angebot steht seit mehr als dreihundert Jahren terranischer Zeitrechnung. Eine Mil-

lion Credits. In bar. Aber behaupte jetzt nur nicht, er habe vorgehabt, einen zu erfinden.“

„Das glaube ich nicht, aber ich meine, er hat von einem gehört, den es schon geben soll.

Mit diesem Geld, meinte er, könnte man ja glatt die Terraner aus Shainsa hinauskaufen. Und
damals fing alles an. Er ging und kam zu den seltsamsten Zeiten, und nie sagte er etwas
darüber. Er sprach überhaupt nicht mehr mit mir.“

„Wann war das ungefähr?“

„Vor vier Monaten etwa.“

„Das heißt also, um die Zeit der Aufstände in Charin.“

Sie nickte. „Ja, zur Zeit des Geisterwindes war er dort. Mit Messerstichen in den Ober-

schenkeln kehrte er zurück. Er wollte mir nichts erzählen. Race, du weißt, von Politik verste-
he ich nichts, und ich will auch nichts davon wissen. Aber um diese Zeit kam das Große Haus

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Das Weltraumtor

16

in Shainsa in andere Hände. Ich bin überzeugt, Rakhal hatte damit etwas zu tun. Und dann...“
Sie verschränkte ihre zusammengeketteten Hände. „Dann versuchte er Rindy mit hineinzu-
ziehen. Das war heller Wahnsinn! Er brachte ihr Spielzeug aus den Städten des Tieflandes
mit, ich denke aus Charin. Nichtmenschliches Spielzeug. Das Zeug ängstigte mich. Aber er
setzte sich mit Rindy in die Sonne und ließ sie hineinschauen. Das Kind babbelte allerhand
wirres Zeug von kleinen Menschen, Vögeln und einem Spielzeugmacher.“

Die Ketten an ihren Händen klirrten leise. Ich starrte sie düster an. Sie beschränkten sie

kaum in ihrer Bewegungsfreiheit, denn sie waren lang. Sie waren ein symbolischer Schmuck,
und die meisten Frauen in den Trockenstädten trugen sie ihr Leben lang. Trotzdem war mir
dieser Anblick unbehaglich.

„Wir hatten einen schrecklichen Streit“, fuhr Juli fort, „und damals drohte ich ihm auch,

ihn zu verlassen und Rindy mitzunehmen, weil ich Angst vor diesem Spielzeug hatte. Ich
warf das Zeug weg, und am nächsten Tag...“ Sie vermochte nicht mehr weiterzusprechen
und schluchzte herzzerbrechend. Ich versuchte sie zu beruhigen. „Er nahm mir Rindy weg!“
fuhr sie endlich fort. „Oh, Race, er ist verrückt, wahnsinnig! Ich glaube, er haßt Rindy. Race,
er hat all ihr Spielzeug zerbrochen!“

„Bitte, Juli, bitte“, flehte Magnusson erschüttert. „Wenn wir es mit einem Irren zu tun

haben...“

„Ich darf gar nicht daran denken, daß er ihr etwas zuleide tun könnte! Er drohte mir, wenn

ich je hierher ginge, würde ich sie niemals wiedersehen. Ich mußte aber kommen, und wenn
es einen Krieg zur Folge hätte. Bitte, Mack, bitte, unternimm nichts gegen ihn. Er hat mein
Kind, meine kleine Rindy...“ Sie schlug ihre Hände vor das Gesicht.

Mack nahm einen Würfel mit dem dreidimensionalen Bild seines ältesten, fünfjährigen

Jungen in die Hand und spielte nervös damit. „Juli, wir werden sehr vorsichtig sein. Aber
du mußt verstehen, daß wir ihn finden müssen. Wenn es nur die Möglichkeit eines Materie-
transmitters in den Händen von Terrafeinden gibt...“

Das verstand ich zwar auch, aber Julis verängstigtes Gesicht stellte sich bei mir zwischen

dieses Bild und ihr Unglück. Ich umklammerte die Armlehne des Sessels mit solcher Kraft,
daß das Plastik splitterte. Wäre es Rakhals Hals gewesen...

„Mack“, sagte ich, „laß mich das erledigen. Juli, soll ich Rindy suchen?“

Ein Hoffnungsschimmer flog über ihr Gesicht, doch er starb fast im gleichen Moment.

„Race, er wird dich töten. Oder dich töten lassen.“

„Versuchen wird er es jedenfalls“, gab ich zu. Sobald Rakhal erfuhr, daß ich mich außer-

halb der Terranerzone aufhielt, drohte mir der Tod. Seit meinen Jahren in Shainsa wußte ich
das. Doch jetzt war ich ein Erdenmensch und hegte nur Rachegefühle.

„Verstehst du denn nicht? Sobald er weiß, daß ich mich außerhalb der terranischen Zo-

ne befinde, wird er sich gegen mich wenden und an keinen anderen Zwist mehr denken.
Wir erreichen damit zweierlei: Er kommt aus seinem Versteck heraus, und falls er in einer
Verschwörung steckt, wird er sie vergessen.“

Ich musterte die zitternde Juli, und plötzlich schnappte etwas in meinem Gehirn. Meine

Hände krallten sich in ihre Schultern. „Und ich werde ihn nicht töten, verstehst du? Ich werde
die ganze Hölle aus ihm herausprügeln. Ich werde wie ein Erdenmensch mit ihm umgehen.
Nein, töten werde ich ihn nicht. Hast du gehört, Juli? Denn es ist viel, viel schlimmer für ihn,
wenn ich ihn einfange und ihn dann am Leben lasse.“

Magnusson kam auf mich zu und löste meine verkrampften Finger von Julis Schultern.

„Das kannst du nicht tun, Cargill“, sagte er. „Weiter als bis Daillon würdest du niemals kom-
men. Seit sechs Jahren warst du nicht mehr außerhalb der Zone. Und außerdem...“ Er sah

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17

TERRA ASTRA

mich voll an. „Race, das sage ich nicht gerne, aber Menschenskind, gehe doch zu einem
Spiegel und sieh dich an! Glaubst du, ich hätte dich sonst je aus dem Secret Service zurück-
gezogen? Wie, zum Teufel, willst du diese Narben verbergen?“

„In den Trockenstädten gibt es viele Männer mit Narbengesichtern. Rakhal wird sich an

das meine wohl gut erinnern, aber sonst wird keiner mir einen zweiten Blick zuwerfen.“

Magnusson trat zum Fenster. Unter ihm breitete sich die helle Handelsstadt aus und da-

hinter die endlose Wildnis. Ich hörte fast, wie das Getriebe in seinem Gehirn arbeitete. Un-
vermittelt drehte er sich um.

„Race, ich habe schon früher solche Gerüchte gehört, aber du bist der einzige Mensch, der

sie bis zu ihrem Ursprung verfolgen kann. Früher hätte ich dich kaltblütig hinausgeschickt
und damit gerechnet, daß du dabei umkommst. Jetzt kann ich es nicht mehr. Die Spaceforce
wird ihn aufstöbern.“

Ich spürte, wie Juli den Atem anhielt. „Nein, das wirst du nicht“, erwiderte ich. „Dein

erster Schritt...“

Rindy war in seiner Hand, und wie ich Rakhal kannte, lagen ihm leere Drohungen nicht.

Wir drei wußten nur allzu genau, was er tun würde, wenn der lange Arm Terras sich nach
ihm ausstreckte. „Laß, um Himmels willen, die Spaceforce aus dem Spiel. Es soll aussehen
wie eine persönliche Angelegenheit zwischen Rakhal und mir, und so wollen wir’s halten.
Denke daran, er hat das Kind.“

Magnusson seufzte. „Ja, ich weiß. Und außerdem... Wie viele Terraner sind nach all diesen

Aufständen noch auf dem Planeten? Ein paar tausend, das ist alles. Wenn wir eine Rebellion
riskieren, haben wir verspielt. Ein Blutbad wollen wir ja schließlich nicht anrichten. Klar,
Bomben, Strahlengewehre und Lähmungswaffen haben wir genug, aber würden wir auch
wagen, sie einzusetzen? Und nachher, was dann? Wir sind hier, damit der Topf nicht über-
kocht, und um planetare Zwischenfälle zu vermeiden, nicht sie auf die Spitze zu treiben.
Und deshalb müssen wir Rakhal in die Hände bekommen.“ „Gib mir einen Monat Zeit“,
bat ich. „Dann kannst du dich hineinknien, falls es nötig sein sollte. In einem Monat kann
Rakhal nicht viel gegen Terra unternehmen. Und mir könnte es gelingen, Rindy aus allem
herauszuhalten.“

Magnussons Augen wurden hart. „Wenn du meinem Rat zuwiderhandelst, kann ich dich,

falls du in einen Schlamassel gerätst, nicht herausholen. Und Gott sei dir gnädig, wenn du
Maschinen in Gang bringst, die du dann nicht mehr aufhalten kannst.“

Das wußte ich. Ein Monat ist kurz, und Wolf hat einen Durchmesser von vierzigtausend

Meilen. Die Hälfte davon ist unerforscht. Berge und Wälder sind durchsetzt mit Städten der
Nicht- und Halbmenschen, in denen noch niemals ein Terraner war.

Rakhal suchen, das hieß einen Stern im Andromedanebel herauspicken wollen. Ganz un-

möglich war es jedoch nicht.

„Okay, Cargill“, sagte Mack schließlich langsam. „Wir sind also alle verrückt, ich ebenso

wie du. Versuche es auf deine Art.“

4.

Zur Zeit des Sonnenunterganges war ich reisefertig. In der Handelsstadt hatte ich nichts

mehr zu erledigen, denn meine ganze Ausrüstung hatte ich schon veräußert, ehe ich an Bord
des Sternenschiffes gegangen war. Ich war also völlig unbeschwert von materiellen Gütern.

Mack hatte noch immer Bedenken, aber ich hatte fast den ganzen Tag in den Archiven des

Nachrichtendienstes verbracht, um mein Gedächtnis aufzufrischen. Meine alten Berichte aus

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Das Weltraumtor

18

Shaina und Daillon waren meine aufschlußreichsten Quellen. Einer der für uns arbeitenden
Nichtmenschen war ausgeschickt worden, irgendwo in der Altstadt die Ausstattung eines
Trockenstädters zu kaufen oder sonstwie zu erwerben und auch die übrigen Dinge, die ich
mitzunehmen gedachte. Am liebsten wäre ich selbst gegangen, denn ich brauchte ein wenig
Übung. Allmählich wurde mir nämlich klar, wieviel ich inzwischen vergessen haben mußte,
aber niemand sollte wissen, daß Race Cargill Wolf nicht verlassen hatte, ehe es mir in den
Kram paßte.

In Kharsa durfte mich auch niemand sehen; erst mußte ich mich als Trockenstädter ver-

kleidet haben, denn diese Verkleidung war mir vor Jahren zur zweiten Natur geworden.

Gegen Sonnenuntergang ging ich durch die sauberen Sträßchen der Terranerstadt zum

Hause Magnussons, wo Juli auf mich wartete.

Die meisten Männer des Zivildienstes und auch die, welche im Dienst des Imperiums

stehen, kommen von der Erde oder ihr naheliegenden Planeten wie Proxima und Alpha Cen-
taurus. Sie sind ledig, wenn sie abreisen, und bleiben es auch, oder sie heiraten Mädchen aus
den Planetenvölkern. Joanna Magnusson war eine der wenigen Erdenfrauen, die zusammen
mit ihrem Mann vor zwanzig Jahren gekommen war. Unter ihnen gibt es wieder zwei Arten.
Sie machen ihr Quartier zu einem Heim - oder zur Hölle. Joanna hatte aus ihrem Haus eine
Erdenecke gemacht.

Ich wurde mir niemals klar darüber, was ich vom Haushalt der Magnussons halten sollte.

Unter einer roten Sonne leben und ins gelbe Licht kommen, auf einer Welt von Wolfs wilder
Schönheit leben und so leben wie auf dem Heimatplaneten - ich verstand es nicht. Aber
vielleicht war ich einen Schritt hinter ihnen zurückgeblieben. Ich hatte mich angepaßt, und
das war irgendwie verdammenswert. Damit hatte ich aber auch die Fähigkeit verloren, mich
in die alte Welt einzufügen.

Joanna, eine gemütliche, ein bißchen rundliche Frau von etwa vierzig, öffnete die Tür und

gab mir die Hand. „Komm herein, Race. Juli wartet schon auf dich.“

„Es ist reizend von dir...“ Wie sollte ich meine Dankbarkeit ausdrücken? Ich war mit Juli

von der Erde gekommen, als sie noch ein Kind war. Mein Vater war Offizier auf dem alten
Sternenschiff Landfall und kam bei einem Unglück auf Prokyon ums Leben. Mack Magnus-
son hatte mir eine Stelle im Nachrichtendienst besorgt, weil ich vier auf Wolf heimische
Sprachen fließend sprach und zusammen mit Rakhal in Kharsa herumstreifte, wann immer
es mir möglich war.

Sie hatten Juli in ihr Haus aufgenommen und sie wie eine jüngere Schwester gehalten. Sie

hatten auch Rakhal gern gehabt und also nicht viel gesagt, als damals der Bruch erfolgte. Die
schreckliche Nacht, als Rakhal und ich einander fast umgebracht hätten und er mit bluten-
dem Gesicht gekommen war, um Juli mit sich zu nehmen, hatte sie zutiefst verletzt. Zu mir
wurden sie nur um so freundlicher.

„Unsinn, Race!“ unterbrach mich Joanna sofort. „Was sollten wir denn sonst tun?“ Sie zog

mich die Halle entlang. „Hier kannst du mit ihr reden.“

Ich zögerte. „Wie geht es Juli?“ fragte ich.
„Besser, glaube ich. Ich habe sie in Metas Zimmer zu Bett gebracht, und sie hat seither fast

ständig geschlafen. Sie kommt wieder in Ordnung. Ich gehe, damit du mit ihr reden kannst.“
Sie öffnete die Tür und verschwand.

Juli war wach und schon angekleidet, und ihr Gesicht zeigte nicht mehr die Versteinerung

des alten Schmerzes. Sie war traurig und hatte Angst, aber sie war nicht mehr hysterisch.

Das Zimmer war klein. Auch der Chef des Secret Service bezog kein großes Gehalt, denn

ein Cop lebt nirgends üppig, besonders nicht mit fünf Kindern. Deshalb sah das Zimmer
auch aus, als habe jeder von den Fünfen ein Stück davon zerlegt.

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TERRA ASTRA

Ich setzte mich auf einen viel zu niedrigen Stuhl. „Juli“, sagte ich, „viel Zeit haben wir

nicht. Ehe es dunkel ist, muß ich in der Stadt sein. Ich will wissen, was Rakhal tut, wie er
jetzt ist. Denke daran, daß ich ihn seit Jahren nicht gesehen habe. Erzähle mir alles, was du
weißt, von seinen Freunden, seinen Vergnügungen - einfach alles.“

„Und ich glaubte immer, du kennst ihn besser als ich.“ Juli wickelte ständig ihre Ketten

um die Finger, und das machte mich nervös.

„Es ist Routine, Juli. Polizeiarbeit. Ich möchte methodisch vorgehen.“

Sie konnte mir nicht sehr viel sagen. Es ist ziemlich einfach, auf Wolf zu verschwinden.

Juli wußte, daß er mit den neuen Herren des Großen Hauses Shainsa auf freundschaftlichem
Fuß stand, aber sie kannte nicht einmal deren Namen.

Joanna klopfte an die Zimmertür und kam herein. „Ein Chak ist draußen, der dich sehen

will, Race“, meldete sie mir.

Ich nickte. „Wahrscheinlich bringt er mir meine Kleider. Kann ich mich hier umziehen,

Joanna? Und würdest du mir diese Sachen hier aufheben, bis ich zurückkomme?“

An der Tür sprach ich mit dem pelzigen Nichtmenschen im Jargon von Kharsa, und er

händigte mir ein Bündel Lumpen, wie mir schien, aus. Es hatte innen einen harten Kern.
„Ich höre Gerüchte in Kharsa“, sagte der Chak leise, „vielleicht wird es nützen, Raiss. Drei
Männer von Shainsa sind in der Stadt. Suchen eine Frau, die verschwunden ist, und einen
Spielzeugmacher. Kommen bei Sonnenaufgang wieder. Vielleicht kannst du mit ihrer Kara-
wane reisen.“

Ich dankte ihm und nahm das Bündel mit ins Haus. Im leeren Hinterzimmer zog ich mich

völlig aus und wickelte das Bündel auf. Ich fand weite, gestreifte Kniehosen, einen schäbi-
gen, abgetragenen Hemdmantel mit riesigen Taschen und einen Gürtel mit Schlingen, von
dem die Goldverzierungen längst abgerieben waren, so daß das Grundmetall durchschien.
Dazu gehörten knöchelhohe Stiefel mit zusammengeknoteten Schnürsenkeln in verschiede-
nen Farben. Auch eine Handvoll Amulette war dabei. Ich wählte die gebräuchlichsten aus
und hängte sie mir um den Hals.

Ein kleiner Krug aus dem Bündel enthielt die Gewürze, mit denen der Trockenstädter

seine Nahrung zu würzen pflegt. Ich rieb mit einem der Pulver meinen Körper ein, steckte
eine Prise davon in die Manteltasche und kaute ein paar getrocknete Beeren. Die Gerüche
waren scharf, und früher hatte ich sie gut gekannt.

Ich fand auch einen Dolch, der im Gegensatz zu den abgetragenen Kleidern nagelneu war,

und seine Klinge glich der eines Rasiermessers.

Ich schob ihn hinter die Mantelschnalle und fühlte mich sofort sicherer. Es war die einzige

Waffe, die ich mit mir zu führen wagte.

Der letzte harte Gegenstand war ein flaches Holzkästchen mit Deckel. Innen war es in viele

schaumgummigefütterte Fächer geteilt, von denen jedes winzige Linsen enthielt. Auf Wolf
waren optische Gläser ebenso kostbar wie Juwelen. Es waren Kamera- und Mikroskoplinsen,
sogar etliche Brillengläser. Es mußten mindestens hundert Stück sein.

Sie waren mein Vorwand für meine Reise nach Shainsa. Einige terranische Erzeugnisse

wie Vakuumröhren, Transistoren, Linsen, Alkohol und kleine, feinmechanische Werkzeuge
sind ihr Gewicht in Platin wert. Selbst in Städten, die noch kein Terraner betreten hatte,
wurden sie zu exorbitanten Preisen gehandelt, und der Handel damit ist ein Privileg der
Trockenstädte. Rakhal handelte mit feinen Drähten und chirurgischen Instrumenten, wie Juli
mir erzählt hatte. Wolf ist ein nichtmechanisierter Planet und hat nie eine entsprechende
Industrie oder wenigstens die Ansätze dazu entwickelt.

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Das Weltraumtor

20

Ich ging wieder in Julis Zimmer. In einem Spiegel betrachtete ich mich. Jede Spur der

terranischen Zivilbediensteten war in den schäbigen, schlechtsitzenden Kleidern unterge-
gangen. Ich war ein großer, narbiger Trockenstädter.

Joanna wurde blaß, als sie mich sah. „Du meine Güte, Race, fast hätte ich dich nicht

erkannt!“ Sie lächelte nervös.

„Ja“, flüsterte Juli, „so erinnerst du mich mehr an... an...“

Die Tür wurde aufgerissen, und Mickey Magnusson stampfte herein. Er war ein kleiner,

kräftiger Bursche, der von einer Sonnenlampe braungebrannt war und vor Gesundheit strotz-
te. In seiner Hand hielt er einen kleinen Gegenstand, von dem bunte Blitze ausgingen.

Ich lachte den Kleinen an, und erst dann fiel mir ein, daß ich ja fremd aussah und er mich

wohl kaum in meiner Verkleidung erkannte. Er zog sich vorsichtig zurück, und Joanna legte
ihm beruhigend eine Hand auf die kleine Schulter.

Mickey wackelte auf Juli zu und hielt ihr das glänzende Ding entgegen, das er sehr zu

lieben schien. Juli bückte sich zu ihm hinunter und breitete die Arme aus, aber dann verzerrte
sich ihr Gesicht, und sie versuchte, ihm das Spielzeug wegzunehmen.

„Mickey, was ist das?“ fragte sie.

„Gehört mir!“ sagte er und versteckte es hinter dem Rücken.

„Bitte, zeige es mir!“ bat Juli, und langsam brachte der Junge seine Hand hinter dem

Rücken hervor. Es war ein Kristallprisma in Sternform, das in einem Rahmen hing. Der
Stern schwang frei, und man konnte ihn zum Tanzen bringen, und dann erschienen immer
wieder neue komische Gesichter.

Mickey war begeistert, weil er im Mittelpunkt des Interesses stand, und mit jeder Drehung

erschien ein neues, bejubeltes Gesicht, manchmal menschlich, manchmal nichtmenschlich,
immer aber ein wenig verzerrt. Auch mein Gesicht und das Joannas und Julis kamen als
Karikaturen heraus.

Juli war auf den Boden geglitten, stützte sich mit beiden Händen auf und war leichenblaß.

„Race!“ rief sie „Race, du mußt zu erfahren versuchen, woher er dieses... dieses Ding hat!“

Ich bückte mich und schüttelte sie. „Was ist denn los mit dir?“ Sie war wieder in den

schlafwandlerischen Zustand des Entsetzens zurückgeglitten, in dem ich sie heute früh gese-
hen hatte. „Das ist kein Spielzeug“, flüsterte sie. „Rindy hatte auch eines. Joanna, woher hat
Mickey dieses Ding?“ Entsetzt deutete sie auf den schwingenden Stern.

Joanna überlegte. „Nun, das weiß ich selbst nicht. Vielleicht hat einer der Chaks es ihm

gegeben. Es wird aus dem Basar stammen. Er liebt es sehr. Juli, stehe vom Boden auf!“

Juli zog sich auf die Beine. „Rindy hat auch eines. Es... erschreckte mich. Stundenlang saß

sie da und schaute hinein. Ich habe dir davon erzählt, Race. Einmal warf ich das Ding weg,
und als sie aufwachte, brüllte sie stundenlang und suchte es schließlich im Abfallhaufen, auf
den ich es geworfen hatte. Dabei hat sie sich alle Fingernägel abgebrochen, bis sie es fand.“

„Du sollst dich darüber nicht so aufregen“, meinte Joanna mit leisem Tadel in der Stimme.

„So sehr hängt Mickey auch wieder nicht daran, und ich werde es sowieso wegwerfen.“ Sie
drehte den kleinen Burschen zur Tür um und gab ihm einen auffordernden Klaps. „Du wirst
sicher mit Race noch allein sprechen wollen, ehe er abreist. Viel Glück, Race, wohin du
auch immer gehen willst.“ Sie hielt mir ihre Hand entgegen. „Und wegen Juli mache dir
keine Sorgen“, fügte sie hinzu. „Wir passen auf sie auf.“

Juli stand am Fenster und sah hinaus in die rote Sonne. „Joanna hält mich für verrückt,

Race“, sagte sie.

„Nein, nur für erregt.“

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TERRA ASTRA

„Rindy ist ein eigenartiges Kind, eine richtige Trockenstädterin. Aber ich bilde es mir

nicht nur ein, Race. Es gibt da etwas...“ Sie begann wieder zu schluchzen.

„Hattest du Heimweh, Juli?“

„Ein bißchen. Wenigstens in den ersten Jahren. Aber ich war glücklich, Race, glaube es

mir.“ Tränen glänzten auf ihrem Gesicht. „Bitte, glaube mir, daß ich es nie auch nur eine
Minute lang bereut habe.“

„Darüber bin ich froh“, bemerkte ich düster.

„Nur dieses Spielzeug...“

„Vielleicht ist es der Schlüssel zu irgend etwas.“ Auch mich hatte das Ding an etwas

erinnert, und ich versuchte, es in meinem Gedächtnis zu finden. Ich hatte nichtmenschliches
Spielzeug in Kharsa gesehen, es sogar für Macks Kinder gekauft.

Nur einmal hatte ich so etwas gesehen, und das war gestern gewesen. Der Spielzeugver-

käufer hatte in seinem Korb eine Anzahl dieser Prismen gehabt; jener, der im Straßenschrein
verschwunden war.

Wie hatte er ausgesehen? Ich konnte mich nicht recht erinnern. „Juli“, fragte ich, „hast du

je einen kleinen Mann gesehen, vielleicht einem Chak ähnlich, nur ein wenig kleiner und
bucklig? Er verkauft Spielzeug...“

Sie sah mich verständnislos an. „Nein, das glaube ich nicht. In den Polarstädten gibt es

allerdings Zwergchaks, ich kann mich aber nicht erinnern, je einen gesehen zu haben.“

„Ach, es war nur eine Idee.“ Aber ich mußte darüber nachdenken. Ein Spielzeugverkäufer

war verschwunden. Rakhal hatte, ehe er verschwand, alle Spielsachen von Rindy zerschla-
gen. Und der Anblick eines Spielzeugs aus geschnittenem Kristall hatte bei Juli fast einen
hysterischen Anfall ausgelöst.

„Ich glaube, ich sollte gehen, ehe es ganz dunkel ist“, sagte ich, schloß meinen Mantel,

prüfte den Sitz meines Dolches und zählte das Geld, das mir Mack als Vorschuß ausgezahlt
hatte. „Ich will nach Kharsa gehen und mich einer Karawane nach Shainsa anschließen.“

„Gehst du zuerst nach Shainsa?“

„Wohin denn sonst?“

Juli lehnte sich an die Wand. Sie sah sehr zerbrechlich und Jahre älter aus, als sie war.

Dann warf sie Arme um meinen Hals. Die Kette an ihren Händen schlug mir schmerzhaft ins
Gesicht. „Race, Race, er wird dich töten!“ schrie sie. „Wie soll ich damit leben können?“

„Du kannst mit einer ganzen Menge auf deinem Gewissen leben“, antwortete ich und

nahm ihre Arme von meinem Hals. Ein Kettenglied blieb an der Schnalle meines Mantels
hängen, und wieder schnappte etwas in mir. Ich nahm die Kette, riß mit aller Kraft daran und
zerbrach sie. Ein Ende traf Juli unter dem Auge. Ich zerrte an den Armfesseln, bis ich sie
geöffnet hatte. Dann warf ich das ganze Zeug in eine Ecke.

„Verdammt!“ brüllte ich, „damit ist es jetzt vorbei! Du wirst nie mehr dieses widerliche

Zeug tragen!“ Vielleicht verstand Juli nach sechs Jahren Trockenstadt, was sechs Schreib-
tischjahre für mich gewesen waren.

„Juli, ich werde deine Rindy finden, und ich bringe dir deinen Rakhal lebend. Aber frage

mich nicht, wie ich das mache. Lebend. Mehr weiß ich selbst nicht.“

Er würde leben, wenn ich mit ihm fertig war. Gerade noch leben.

5.

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Das Weltraumtor

22

Es dämmerte schon, als ich schäbig und unverdächtig durch eine Seitentür auf den Raum-

hafenplatz schlüpfte. Dort, wo die gelben Lampen aufhörten, begann die Altstadt, in der es
erst nachts richtig lebendig wurde. Aus den Kieselhäusern eilten Männer und Frauen, Men-
schen und Nichtmenschen auf die mondbeschienenen Straßen hinaus.

Ich glaube nicht, daß man mich bemerkte, aber wenn, dann hielt man mich sicher für einen

Vagabunden aus den Trockenstädten, der ein wenig neugierig war, wie es in der Welt der
Fremden von den anderen Sternen zuging. Nun kehrte er dorthin zurück, wohin er gehörte.
Ich bog in eines der kleinen Hintergäßchen ein.

Kharsa kannte ich, doch in den vergangenen sechs Jahren hatte ich es nur gelegentlich bei

Tag gesehen.

Die Straße stieg an. Bei einer Kehre sah ich zurück; unter mir lag der hellerleuchtete

Raumhafen, und wie ein schwarzer, vielfenstriger Riesenschatten stand der Wolkenkratzer
im rot-violetten Licht der Monde da. Ich drehte ihm den Rücken zu und ging weiter.

Am Rand des Diebesmarktes blieb ich vor einem Weinhaus stehen, in dem Trockenstädter

gern gesehen waren. Ein goldfarbenes Nichtmenschenkind murmelte etwas, als es an mir
vorbeiging, und fast bekam ich nun Lampenfieber. War der Dialekt von Shainsa auf meiner
Zunge eingerostet? Mit Spionen machte man auf Wolf kurzen Prozeß, und eine Meile vom
Raumhafen entfernt bot mir das Gesetz Terras ebensowenig Schutz wie auf einem der Mon-
de. Ich hatte ja auch keinen Schocker mehr auf dem Rücken. Und jemand mochte sich der
Geschichte eines Erdenmannes erinnern, der verkleidet nach Shainsa gegangen war...

Ich zog den Hemdmantel fester um meine Schultern und ging hinein. Rakhal wartete ja auf

mich, wenn auch nicht hinter dieser Tür. Irgendwo. Und in Shainsa gibt es ein Sprichwort:
Ein Weg ohne Anfang hat kein Ende.

Was mochte Rakhal tun, wenn er wirklich zum Renegaten geworden war? Unwillkürlich

strich mein Finger über die Narbe an meinem Mund. In diesem Augenblick dachte ich nur
an Rakhal und an die Blutfehde zwischen uns; an meine Rache.

Drinnen brannten rote Lampen. Ein paar Männer lümmelten auf schmutzigen Sofas. Ich

fand einen leeren Platz, ließ mich nieder und benahm mich automatisch so ungeniert, wie
sich jeder Trockenstädter innerhalb eines Hauses benimmt. In der Öffentlichkeit sind sie
formell, halten sich stocksteif, unter sich sind sie mehr als zwanglos. Nur einer, der einen
Mörder zu fürchten hat, ist auf der Hut.

Ein Mädchen mit einem auf den Rücken baumelnden Zopf kam zu mir. Sie war eine

Angehörige der untersten Klasse, denn sie trug keine Kettenfesseln. Ihr Pelzrock war schäbig
und schmutzig. Ich bestellte Wein. Als er kam, fand ich ihn erstaunlich gut, denn es war
der süße, trügerische und verführerische Wein von Ardcarran. Ich trank ihn langsam und
schluckweise.

Falls eine Karawane nach Shainsa morgen aufbräche, wüßte man es hier. Dann brauchte

ich nur ein Wort fallenzulassen, daß ich dorthin zurückzukehren gedachte. Eine Einladung
war selbstverständlich. Das war eine Sitte, die sich nicht umgehen ließ.

Ich schickte das Mädchen ein zweites Mal nach Wein. Da stand einer der Männer in meiner

Nachbarschaft auf und kam zu mir herüber. Er war selbst für einen Trockenstädter groß, und
irgendwie kam er mir ein wenig bekannt vor. Sein Hemdmantel war aus Seide, die dick mit
metallischen Fäden durchwoben und mit schweren Stickereien geschmückt war. Der Griff
seines Dolches war aus einem einzigen grünen Stein geschnitten. Er blickte mich lange an.

„Eine Stimme vergesse ich nie“, sagte er, „doch an dein Gesicht erinnere ich mich nicht.

Bin ich dir irgendwie verpflichtet?“

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23

TERRA ASTRA

Ich hatte mit dem Mädchen den Jargon von Kharsa gesprochen, doch dieser Mann redete

mit mir im Singsang von Shainsa. Ich gab keine Antwort, sondern ließ ihn durch eine Geste
verstehen, er möge sich doch setzen. Auf Wolf ist die formelle Höflichkeit eine komplizierte
Angelegenheit; eine direkte Frage wird als Grobheit betrachtet, eine direkte Antwort als
Zeichen von Dummheit. „Einen Drink?“

„Ich habe mich unaufgefordert zu dir gesetzt“, erwiderte er und winkte dem Zopfmädchen.

„Bring uns besseren Wein als dieses Spülwasser!“ befahl er.

Nun erkannte ich ihn, und ich biß mir auf die Lippen. Das war doch dieses Großmaul aus

dem Raumhafencafe, und der Bursche rannte beim Anblick des Mädchens mit dem gestick-
ten Krötengott auf der Brust davon. Aber er hatte mich im dürftigen Licht nicht erkannt.
Deshalb rückte ich nun absichtlich in den helleren Lampenschein. Erkannte er mich auch
jetzt nicht als den Terraner, den er erst in der vergangenen Nacht herausgefordert hatte, dann
würde mich niemand erkennen. Er starrte mich nachdenklich an, zuckte die Achseln und goß
Wein in die Gläser.

Wenig später wußte ich, daß er Kyral hieß und als Händler mit Draht und feinen Werk-

zeugen durch die nichtmenschlichen Städte zog. Ich hatte ihm den Namen gesagt, den ich
gewählt hatte: Rascar.

„Du denkst daran, nach Shainsa zurückzukehren?“ fragte er.

Das konnte eine Falle sein, und ich zögerte ein wenig, doch die Frage erschien mir harm-

los. Ich antwortete daher mit einer Gegenfrage. „Warst du lange in Kharsa?“ „Einige Wo-
chen.“ „Hast du Handel getrieben?“ „Nein. Ich suchte nach einem Mitglied meiner Familie.“

„Hast du ihn gefunden?“

„Sie“, sagte Kyral und spuckte zeremoniös. „Nein, ich habe sie nicht gefunden. Welche

Geschäfte hast du in Shainsa?“

„Ich“, sagte ich lachend, „suche dort nach einem Mitglied meiner Familie.“

Er kniff die Augen zusammen, als vermute er, daß ich ihn verspotten wolle, aber die

Trockenstädter halten sich bedingungslos an die Sitte, sich nicht in die Angelegenheiten
von Fremden zu mischen. Er stellte daher keine Fragen mehr.

„Ich könnte noch einen Mann brauchen, der mir bei den Ladungen hilft“, sagte er. „Kennst

du dich mit Packtieren aus? Wenn ja, dann kannst du im Schutz meiner Karawane reisen.“

Ich sagte ihm zu, und dann überlegte ich mir, daß er doch eigentlich Juli und Rakhal

kennen mußte. „Kennst du einen Händler, der sich Sensar nennt?“ fragte ich ihn.

Seine Augen musterten meine Narben, doch dann schien ein Vorhang über sein Gesicht

zu fallen, aber ich sah noch ein zufriedenes Aufleuchten in seinen Augen. „Nein“, log er und
stand auf. „Wir reisen beim ersten Morgenlicht. Richte deine Sachen her.“ Er warf mir etwas
zu, und ich fing es im Flug auf. Es war ein Stein mit Kyrals eingraviertem Namen in den
Schriftzeichen von Shainsa. „Wenn du willst, kannst du bei der Karawane schlafen. Zeige
Cuinn dieses Ding.“

*

Kyrals Karawane lagerte auf einem Brachfeld jenseits der Stadtgrenzen von Kharsa. Un-

gefähr ein Dutzend Männer war mit den Packtieren beschäftigt. Es waren Pferde, die größ-
tenteils aus Darkover stammten. Den ersten Mann, der mir begegnete, fragte ich nach Cuinn.
Er deutete auf einen stämmigen Burschen in einem glänzenden roten Hemdmantel, der auf
einen jungen Mann einschimpfte, weil er den Sattel bei seinem Tier falsch aufgelegt hatte.

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Das Weltraumtor

24

Die Sprache von Shainsa ist gut, wenn man fluchen will, aber Cuinn hatte ein Spezialtalent

dafür. Ich blinzelte bewundernd, während ich wartete, bis er wieder Atem holen mußte, so
daß ich ihm Kyrals Siegel zeigen konnte.

Ich hatte damit gerechnet, und im Licht seiner Laterne erkannte ich ihn als den zweiten

Trockenstädter, der mich im Café angerempelt hatte. Cuinn besah sich kaum den Stein und
deutete auf eines der Packpferde. „Da kannst du deine Habe aufladen“, sagte er, „und dann
erklärst du diesem schwammhirnigen Sandalenträger“ - das war eine besonders schlimme
Beleidigung für einen Trockenstädter -, „wie er einen Packsattel festziehen muß.“

Auch er schien mich nicht erkannt zu haben. Ich nahm den Sattelriemen und führte ihn

durch die Schlaufe. „So geht es“, erklärte ich dem Jungen, und Cuinn hörte nur so lange zu
fluchen auf, um mir anerkennend zunicken zu können. Dann deutete er auf einen Haufen
Kisten und andere Packstücke.

„Hilf ihm, das Zeug da aufzuladen. Bei Tagesanbruch brechen wir auf.“ Damit ging er

weiter, um einen anderen anzufluchen.

Kyral kam in der Morgendämmerung, und wenige Minuten später war das Lager nur noch

ein kleiner Berg Abfall. Wir waren unterwegs.

Trotz Cuinns Fluchen war Kyrals Karawane gut geführt und ebenso gut ausgestattet. Elf

Männer waren Trockenstädter, sehr tüchtig und schweigsam, die meisten auch sehr jung.
Mit den Tieren gingen sie geschickt um, und nachts saßen sie an den Feuern und würfelten
schweigend.

Drei Tage später begann ich mir Cuinns wegen Sorgen zu machen.

Natürlich war es ausgesprochenes Pech, alle drei Männer vom Raumhafencafe in dieser

Karawane zu finden, aber er schien mich nicht einmal bei Tageslicht zu erkennen. Der zweite
war ein Junge, der mich überhaupt nicht beachtete.

Anders war es mit Cuinn. Er stand etwa im gleichen Alter mit mir, und seine zornigen,

scharfen Augen waren von einer Schlauheit, der ich nicht ganz traute. Er beobachtete mich
immer wieder, und wenn er sich mit mir unterhielt, stellte er mir ziemlich direkte Fragen, die
einem Trockenstädter sonst nicht erlaubt waren. Ich rechnete schon mit der Notwendigkeit,
ihn zu töten, ehe wir Shainsa erreichten.

Wir überquerten die Vorberge und zogen den Bergen entgegen. In den ersten paar Tagen

war ich immer ein wenig kurzatmig, doch dann gewöhnte ich mich rasch an die dünnere
Luft, und ich fügte mich leicht in die Gemeinschaft der Karawane ein.

Gelegentlich wurde der Pfad so steil und schmal, daß die Männer absteigen mußten, um

die Tiere allein ihren Weg finden zu lassen. In diesen Höhen war die Sonne um die Mit-
tagszeit heller und röter als in der Ebene, und die Trockenstädter, die aus dem Tiefland der
Seegründe kamen, zogen sich Sonnenbrand und Blasen zu. Ich war ja unter der gleißenden
Erdensonne aufgewachsen, und die rote Sonne von Wolf tat mir nichts zuleide. Schon das
hätte mich verdächtig machen können, und Cuinns mißtrauische Augen beobachteten mich.

Dann überquerten wir die Pässe und begannen den langen Abstieg durch die Wälder. Jetzt

waren wir im Gebiet der Nichtmenschen. Wir stemmten uns gegen den Geisterwind und
umgingen das Land um Charin, denn die Wälder waren von den schrecklichen Ya-Männern
bewohnt, vogelähnlichen Kreaturen, die zu Kannibalen werden, wenn der Geisterwind weht.

Später wand sich der Pfad durch dicke Wälder aus indigofarbenen Bäumen und grau-

purpurnen Büschen, und nachts hörten wir das Heulen der Katzenmänner. Nachts stellten
wir Wachen auf, und die Dunkelheit war voll huschender Schatten, seltsamer Geräusche und
Gerüche.

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25

TERRA ASTRA

. Trotzdem vergingen die Tage ziemlich ereignislos - bis zu jener Nacht, da ich zusammen

mit Cuinn Wache hatte. Ich stand am Rand des Lagers, und hinter mir loderte das Wachfeuer.
Die Männer schliefen und schnarchten am Feuer. Die Packtiere lagen an Hoppelleinen und
schnaubten unbehaglich.

Hinter mir hörte ich Cuinns Schritt. Am Waldrand raschelte und wisperte etwas, und ich

drehte mich zu ihm um, da ich ihn darauf aufmerksam machen wollte. Doch ich sah ihn an
den Rand der Lichtung huschen.

Zuerst dachte ich mir nichts dabei und ging ein paar Schritte auf die Stelle zu, wo er

verschwunden war. Aber dann sah ich zwischen den Bäumen ein Licht flackern. Es war die
Laterne, die Cuinn in der Hand hielt, und er signalisierte damit!

Ich nahm meinen Dolch aus der Mantelschnalle und folgte ihm. Im schwächer werdenden

Licht des Wachfeuers glaubte ich glühende Augen zu sehen, die mich beobachteten. Ich
tat einen Satz, und da wälzten wir uns auch schon auf dem Boden. Ich griff nach seinem
Handgelenk, um den Dolch in seiner Hand von meinem Hals wegzudrücken. „Sei doch kein
Narr!“ keuchte ich. „Ein Schrei, und das ganze Lager ist wach. Wem hast du signalisiert?“

Im Licht der zu Boden gefallenen Laterne sah er fast nichtmenschlich aus. Er ließ seinen

Dolch fallen. „Laß mich los“, sagte er.

Ich stand auf und versetzte seinem Dolch einen Tritt. „Steck das Ding weg“, fauchte ich

ihn an. „Was, zum Teufel, hast du dir dabei gedacht. Willst du uns die Katzenmänner auf den
Hals schicken?“

Einen Augenblick lang schien er verwirrt zu sein, doch dann verschloß sich sein Gesicht

wieder. „Kann ein Mann nicht einmal ein paar Schritte zur Seite gehen, ohne gleich ermordet
zu werden?“ murrte er.

Ich sah ihn wütend an, doch ich war mir klar, daß ich nichts Handfestes gegen ihn vor-

bringen konnte. Ich hätte auch mein Messer gezückt, wenn mich jemand von rückwärts an-
gesprungen hätte. „Das machst du besser nicht noch einmal“, sagte ich daher nur. „Wir sind
schließlich alle ziemlich nervös.“

Weitere Zwischenfälle gab es in dieser und der nächsten Nacht nicht. In der übernächsten

jedoch lag ich in Mantel und Decke gewickelt am Feuer und sah Cuinn aus seiner Bettrolle
schlüpfen und davonhuschen. Einen Moment später bemerkte ich in der Dunkelheit einen
Lichtschein, aber ehe ich aufstehen und den Burschen zur Rede stellen konnte, kehrte er
zurück, musterte vorsichtig die schnarchenden Männer und kroch in seine Decken.

Als wir im nächsten Lager abluden, kam Kyral zu mir. „Hast du in letzter Zeit etwas

Ungewöhnliches bemerkt?“ fragte er. „Ich habe das Gefühl, wir werden verfolgt. Morgen
werden wir endlich diese Wälder hinter uns haben, und dann liegt eine offene Straße bis
Shainsa vor uns. Falls etwas passiert, dann diese Nacht.“

Ich überlegte mir, ob ich ihm von Cuinns Signalen sagen sollte, doch dann verwarf ich den

Gedanken. Ich hatte in Shainsa meine eigenen Geschäfte, und warum sollte ich mich in die
Intrigen anderer Leute mischen?

„Heute wirst du wieder mit Cuinn Wache halten. Die alten Männer dösen, und die jungen

träumen. Sonst können sie das ruhig tun, aber diese Nacht will ich jemanden auf Wache
haben, der die Augen offenhält. Kennst du Cuinn von früher her?“

„Nie gesehen.“

„Komisch. Ich hatte doch das Gefühl...“ Er zuckte die Achseln, drehte sich um und blieb

stehen. „Überlege dir’s nicht zweimal, das Lager zu alarmieren, falls du etwas bemerkst.
Besser ein falscher Alarm als ein Überfall, der uns im Schlaf überrascht. Das wäre schlecht,

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Das Weltraumtor

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wenn es zum Kampf käme. Wir haben zwar alle Dolche, aber ich glaube, im ganzen Lager
ist nicht ein einziger Schocker zu finden. Hast du vielleicht zufällig einen?“

Nachdem die Männer sich zum Schlaf um das Feuer gelegt hatten, kam Cuinn, der die

Lagergrenzen abschritt, zu mir. „Weißt du“, fragte er, „was dort im Wald los ist?“

„Keine Ahnung. Vielleicht Katzenmänner auf Beutegang. Sie könnten der

Meinung sein, Pferde seien eine gute Mahlzeit - oder wir.“

„Meinst du, es könnte zu einem Kampf kommen?“

„Das kann ich nicht sagen.“ Er musterte mich einen Augenblick. „Und wenn es dazu

kommt?“

„Dann kämpfen wir.“ Aber sofort hielt ich den Atem an, denn Cuinn hatte in der Stan-

dardsprache der Erde mit mir gesprochen, und ich hatte automatisch in der gleichen Sprache
geantwortet. Er grinste. „Das dachte ich mir!“ „Und was willst du dagegen tun?“ fragte ich
und packte ihn grob an der Schulter.

„Das hängt von dir ab und von dem, was du in Shainsa willst. Sage mir die Wahrheit. Was

hast du in der Terrazone getan?“ Er gab mir keine Zeit zu einer Antwort. „Du weißt doch,
wer Kyral ist, oder?“

„Ein Händler“, erwiderte ich, „der mir einen Lohn zahlt und sich im übrigen um seine

eigenen Angelegenheiten kümmert.“ Ich zog mich zurück, hatte die Hand an meinem Dolch
und machte mich auf einen Angriff gefaßt. Doch er machte keine verdächtige Bewegung.

„Kyral hat mir gesagt, daß du nach Rakhal Sensar gefragt hast“, sagte er. „Sehr klug. Aber

ich hätte dir sagen können, daß er Rakhal nie gesehen hat. Ich...“

Er brach ab, denn aus dem Wald ertönte ein langes, schauriges Heulen. „Wenn du sie

hergezogen hast...“ knirschte ich.

Er schüttelte den Kopf. „Ich mußte versuchen, den anderen Bescheid zukommen zu lassen,

aber es geht nicht. Wo ist das Mädchen?“

Ich hörte kaum, was er sagte, denn ich vernahm das leise Splittern von Zweigen und einen

schleichenden Schritt. Ich drehte mich um, da ich das Lager alarmieren wollte. Cuinn packte
mich am Arm. „Schnell! Sage erst, wo das Mädchen ist. Gehe zurück und sage ihr, daß es
nicht geht! Wenn Kyral Verdacht schöpft...“ Den Satz beendete er nie. Hinter uns ertönte
wieder dieses schauerliche Heulen. Ich stieß Quinn weg, und dann war plötzlich die ganze
Nacht erfüllt von geduckten Gestalten, die wie ein Wirbelwind über uns herfielen.

Ich brüllte das Lager wach. Jeder hatte um sein Leben zu kämpfen. Ich rannte, noch immer

brüllend, auf die Lichtung zu, wo wir die Pferde angebunden hatten. Ein schlanker, schwarz-
pelziger Katzenmann schnitt eben die Hoppelleine eines Pferdes durch. Ich warf mich auf
ihn, doch er hieb mir seine nadelspitzen Krallen in die Schulter. Ich stieß mit meinem Dolch
zu und riß ihn aufwärts. Die Krallen zogen sich in meiner Haut zusammen, und ich stöhnte
vor Schmerz. Und dann fiel das Wesen heulend von mir ab und schlug mit den Tatzen in die
Luft. Dann lag es still.

Vier Schüsse pfiffen in kurzer Folge über die Lichtung. Es mußte also doch jemand eine

Pistole haben, obwohl Kyral nicht damit gerechnet hatte. Eines von diesen Katzenwesen
kreischte. Etwas packte mich am Arm, doch ich stieß mit dem Dolch zu; als Krallen in
meinen Rücken schlugen, ging ich zu Boden und rollte mich herum.

Das Ding fiel schlaff von mir ab.

„Rascar“, hörte ich ein keuchendes Stöhnen. Ich wirbelte herum und sah Kyral zu Boden

gehen unter mindestens einem halben Dutzend wütender Nichtmenschen. Ich warf mich auf
einen, riß ihn weg, stieß das Messer in seine Kehle...

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27

TERRA ASTRA

Ich hörte einen miauenden Warnschrei. Dann tauchten die pelzigen Wesen so leise, wie

sie gekommen waren, im Wald unter. Kyral saß benommen auf dem Boden. Von seiner Stirn
floß Blut, und sein Arm war bis auf den Knochen aufgerissen.

Nun mußte jemand das Kommando übernehmen. „Licht machen!“ schrie ich. „Wenn wir

genug Licht haben, kommen sie nicht wieder. Sie sehen nur in der Dunkelheit!“

Jemand schürte das Feuer. Die dürren Zweige brannten hell. Einen von den Jungen schick-

te ich davon, damit er jede verfügbare Laterne anzünde. Vier tote Pelzwesen lagen in der
Lichtung; die ließ ich fortschaffen. Dann sah ich nach Kyral. Er blutete aus einer flachen
Wunde am Kopf, doch die Armverletzung war bedenklicher. Trotzdem bestand er darauf,
sich um die Verletzungen der anderen kümmern zu wollen.

Alle hatten Wunden, doch sie waren nicht schwer. Das stellten wir ziemlich erleichtert

fest, bis plötzlich jemand fragte: „Wo ist denn Cuinn?“

Er war nirgends. Kyral wollte ihn suchen lassen, doch ich hatte das Gefühl, wir würden

ihn ja doch nicht finden. „Vielleicht ist er mit seinen Freunden verschwunden“, knurrte ich
und erzählte ihm von den Signalen. Kyral blickte sehr ernst drein.

„Das hättest du mir sofort sagen sollen“, begann er, aber vom anderen Ende der Lichtung

hörten wir Rufe. Wir eilten hinüber und stolperten fast über eine am Boden liegende Gestalt,
deren blinde Augen zu den Monden hinaufstarrten.

Es war Cuinn.

6.

Nachdem wir den Wald verlassen hatten, lag die Straße zu den Trockenstädten frei vor uns.

Ein paar Männer hinkten noch einige Tage, andere hatten Armwunden davongetragen, aber
ich glaubte es Kyral, als er sagte, eine Karawane, die nur einen einzigen Überfall abzuwehren
habe, sei besonders glücklich.

Der Gedanke an Cuinn verfolgte mich. Den Katzenmännern hatte er nicht signalisiert,

dessen war er sicher; seine Frage nach dem Mädchen bewies das und ließ mich nicht mehr
los. Für wen hatte er mich gehalten? Er mußte glauben, ich sei in eine Sache verstrickt, die
ich nicht kannte. Aber wer waren „die anderen“, denen er Signale gab, egal, ob er damit einen
Angriff der Katzenmänner heraufbeschwor, bei dem er schließlich das Leben einbüßte?

Da Kyral davon überzeugt war, daß ich ihm das Leben gerettet hatte, fiel der größte Teil der

Verantwortung für die Karawane nun mir zu. Das machte mir sogar Spaß, denn es lenkte mich
ein wenig von meinen eigenen Sorgen ab. In den Tagen und Nächten der Karawanenreise
wurde ich langsam wieder zu dem Trockenstädter, der ich einst gewesen war. Ich wußte
genau, wie leid es mir tun würde, schlossen sich erst einmal die Stadttore von Shainsa hinter
mir, denn dann gab es für mich nur wieder die Blutfehde und meine eigenen Schwierigkeiten.

Wir verließen die direkte Straße nach Shainsa, da Kyral die Absicht hatte, einen halben

Tag in Canarsa zu bleiben, denn diese ummauerte Stadt der Nichtmenschen versprach gute
Geschäfte.

„Einen Ruhetag haben wir dringend nötig, und die Schweigenden kaufen von mir, obwohl

sie wenig Handel treiben mit Menschen. Und dir bin ich etwas schuldig. Du hast doch Linsen
bei dir? In Canarsa kannst du bessere Preise dafür erzielen als in Ardcarran oder Shainsa.
Begleite mich, dann will ich für dich sprechen.“

Kyral war seit jener Nacht immer ungemein freundlich zu mir, und wollte ich mich nicht

selbst verraten, mußte ich auf seinen Vorschlag eingehen. Viel Lust hatte ich dazu allerdings
nicht. Selbst mit Rakhal hatte ich niemals eine Stadt der Nichtmenschen betreten.

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Das Weltraumtor

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Auf Wolf leben Menschen und Nichtmenschen schon seit undenklichen Zeiten nebenein-

ander, und nicht immer ist der Mensch der Überlegene. Menschen und die relativ dummen
humanoiden Chaks konnten mich jederzeit für einen Trockenstädter halten, aber die Nicht-
menschen ließen sich nicht so leicht täuschen.

Trotzdem begleitete ich Kyral und nahm die Linsen mit, die in den Trockenstädten ein

kleines Vermögen wert waren.

Canarsa schien innerhalb der Mauern eine Stadt wie jede andere zu sein. Die Häuser waren

rund wie Bienenstöcke, die Straßen leer. Nur eine einzige Gestalt im Kapuzenmantel begrüß-
te uns und gab uns Zeichen, daß wir folgen sollten. Das Material, aus dem seine Kleidung
bestand, war sehr glänzend und grob wie Sackleinwand.

Das, was unter der Kapuze war, erschien mir schrecklich. Das Wesen hatte weder die Ge-

stalt noch den Gang von etwas Menschenähnlichem, und mein Primatenbewußtsein kauerte
sich zitternd in einen Winkel. „Kein Außenstehender darf je die Schweigenden in ihrer wirk-
lichen Gestalt sehen“, flüsterte Kyral mir ins Ohr. „Ich glaube, sie sind taubstumm, aber sei
jedenfalls äußerst vorsichtig.“

„Und ob ich das sein werde!“ wisperte ich zurück und war heilfroh, daß die Straßen so

leer waren. Ich wagte es nicht einmal, das vor uns dahingleitende Wesen von hinten genauer
zu beobachten.

Der Handel wurde in einer offenen Binsenhütte abgewickelt, die aussah, als habe man

sie ganz schnell errichtet. „Wenn wir gegangen sind, reißen sie die Hütte wieder ein und
verbrennen das Material“, flüsterte mir Kyral zu. „Für die Schweigenden haben wir sie all-
zusehr vergiftet. Meine Familie handelte seit Jahrhunderten mit ihnen, und wir sind fast die
einzigen, die je ihre Stadt betreten haben.“

Dann schwebten zwei Schweigende, ebenfalls in Kapuzenmäntel gehüllt, in die Hütte. Es

war der seltsamste Handel, den ich je erlebt hatte.

Kyral legte seine kleinen Stahlwerkzeuge und die Rollen dünnen Drahtes aus, und ich

packte meine Linsen aus. Die Schweigenden sprachen weder ein Wort, noch bewegten sie
sich, aber durch einen dünneren Fleck im grauen Schleier sah ich einen Schimmer, der durch-
aus ein phosphoreszierendes Auge sein konnte; dieser Schimmer bewegte sich, als mustere
er die ausgelegten Waren.

Mir verschlug es fast den Atem, als plötzlich da und dort, wo vorher noch etwas gele-

gen hatte, nichts mehr war. Drahtscheren, chirurgische Instrumente und Meßgeräte und fast
sämtliche Drahtrollen waren verschwunden, und auch in den Reihen meiner Linsen gab es
Lücken. Sämtliche Mikroskoplinsen waren verschwunden. Kyral schien darüber nicht er-
staunt zu sein. Mir fiel ein, was ich gelegentlich über die Schweigenden gehört hatte, und
mir wurde klar, daß sie eben auf diese Art ihre Geschäfte machten.

Kyral deutete auf ein Werkzeug, auf einen besonders schönen Satz Linsen und die letzte

Drahtrolle; nur das Werkzeug blieb übrig, alles andere verschwand. Dann ließ Kyral die
Hand fallen.

Ich blieb bewegungslos sitzen und wartete auf das, was kommen sollte. Ich irrte mich

auch nicht, denn an den leeren Stellen erschienen kleine Lichtpunkte, die zu blauen, roten
und grünen Edelsteinen wurden. Ich weiß wenig über deren Wert, aber mir schien, daß dieses
Geschäft fair sein mußte.

Kyral runzelte die Brauen und deutete auf einen der grünen Steine. Er verschwand, und ein

blauer erschien an seiner Stelle. Wo ein Satz feinster chirurgischer Instrumente gelegen hatte,
zeigte Kyral auf den blauen Stein, schüttelte den Kopf und hob drei Finger. Einen Augenblick

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TERRA ASTRA

später lag ein zweiter blauer Stein dort. Doch Kyral hielt seine drei Finger unbeweglich in
die Höhe; die blauen Steine verschwanden, und dann lagen wieder die Instrumente da.

Doch Kyral gab nicht nach und hielt eine volle Minute lang seine drei Finger hoch. End-

lich schickte er sich an, die Instrumente wegzunehmen. Ein kleiner Luftwirbel, und sie ver-
schwanden. Drei blaue Steine lagen da. Die Prozedur amüsierte mich ein wenig, denn sie
unterschied sich kaum von jedem anderen Handelsgeschäft. Jedenfalls hatte ich aber keine
Lust, die von ihnen gebotenen Preise anzuzweifeln.

Ich packte also die von ihnen nicht akzeptierten Linsen wieder ein und half Kyral, seine

Waren zu verstauen, welche die Schweigenden nicht gewünscht hatten. Ich konnte mir je-
doch nicht recht vorstellen, was die Schweigenden mit den zahlreichen Rollen feinen Drahtes
anfangen wollten.

Unseren Rückweg durch die Straßen legten wir ohne Begleitung zurück. Kyral schien

ziemlich erleichtert zu sein und war recht gesprächig. „Es sind Psychokinetiker“, erklärte er
mir, „wie viele der nichtmenschlichen Rassen. Ich glaube, das müssen sie auch sein, denn
sie haben weder Hände noch Augen. Manchmal überlege ich mir allerdings, ob wir Trocken-
städter mit ihnen handeln sollten.“

„Was meinst du damit?“ fragte ich, obwohl ich ihm gar nicht recht zugehört hatte, denn

ich dachte nur immer wieder darüber nach, wie die Gegenstände verschwunden und plötzlich
wieder da waren. Dieser Anblick hatte etwas in mir aufgerührt; vielleicht war es irgendeine
Erinnerung, ein vages Gefühl drohender Gefahr. Faßbar war dieses Gefühl nicht; eher war es
ein unbestimmtes Unbehagen, das mich quälte.

„Wir von Shainsa leben zwischen Feuer und Flut“, fuhr Kyral fort. „Auf der einen Seite

die Erde, auf der anderen etwas, das vielleicht noch schlimmer ist. Wir wissen so wenig
von den Schweigenden und denen, die ihnen ähnlich sind. Wer weiß, ob wir ihnen nicht die
Waffen liefern, mit denen sie uns einmal zerstören werden.“ Plötzlich schwieg er und starrte
in eine der Straßen hinein.

Sie führte zwischen zwei Reihen von Bienenkorbhäusern hindurch; in einem der Häuser

hatte sich eine Tür geöffnet, die Kyral gebannt anstarrte. Da sah ich das Mädchen.

Haare wie gesponnenes schwarzes Glas fielen ihr in harten Wellen um die Schultern, und

in den roten Augen glitzerte eine seltsame Bosheit. Über den weißen Falten an ihrer Brust
glitzerte eine Stickerei mit dem Zeichen des Gottes Nebran, der häßlichen Kröte.

Kyral schluckte heftig. Seine Hand fuhr an die Kette mit den Amuletten um seinen Hals.

Mechanisch vollzog ich dieselbe Bewegung und beobachtete Kyral, ob er nun wieder davon-
rennen würde. Wie versteinert stand er eine volle Minute da und tat dann mit ausgebreiteten
Armen einen Schritt auf das Mädchen zu.

„Miellyn!“ rief er, und seine Stimme klang herzbewegend eindringlich. „Miellyn! Miel-

lyn!“

Diesmal drehte sich das Mädchen um und floh. Die weißen Gewänder wehten hinter ihr

drein, und darunter sah ich ihre rennenden Füße. Dann verschwand sie zwischen zwei Häu-
sern.

Ehe Kyral ihr nachlaufen konnte, hatte ich seinen Arm gepackt. „Mensch, bist du verrückt

geworden? In einer Stadt der Nichtmenschen rennen?“ fauchte ich ihn an.

Er wehrte sich nur einen Augenblick lang und seufzte. „Schon gut. Ich werde nicht...“

Dann schüttelte er meine Hand ab.

Er schwieg, bis wir die Stadttore von Canarsa hinter uns hatten. Ich dachte nicht mehr an

die Stadt, denn in meinem Kopf war nur noch Platz für dieses Mädchen, dessen Gesicht ich

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nicht vergessen hatte, seit es mich damals gerettet hatte. Was steckte hinter dem erneuten
Auftauchen der Schwarzhaarigen?

„Kennst du dieses Mädchen?“ fragte ich Kyral, als wir weitergingen. Ich wußte allerdings

genau, daß die Frage überflüssig war. Kyrals Gesicht sah verschlossen aus, und von seiner
Freundlichkeit war nichts mehr zu bemerken.

„Jetzt kenne ich dich“, sagte er. „Du hast mich vor den Katzenmännern gerettet und jetzt

wieder in Canarsa, so daß meine Hände gebunden sind. Doch es ist von Übel, mit jenen zu
tun zu haben, die der Krötengott berührt hat.“ Er spuckte geräuschvoll auf den Boden. „In
drei Tagen werden wir in Shainsa sein. Halte dich fern von mir.“

7.

Shainsa ist die erste aus einer ganzen Reihe von Trockenstädten im Bett eines seit langem

ausgetrockneten Ozeans. Sie liegt im Mittelpunkt einer riesigen Alkaliwüste. Die Sonne von
Millionen Jahren hat sie gebleicht und ausgedörrt. Die Häuser sind hoch und weitläufig und
haben breite Fenster. Die einfacheren bestehen aus sonnengetrockneten Ziegeln, die elegan-
teren aus dem Salzstein der Klippen, die sich hinter der Stadt erheben.

In den Trockenstädten machen Nachrichten schnell die Runde. War Rakhal in der Stadt,

dann würde er bald erfahren, daß ich angekommen war, und er würde auch wissen oder ver-
muten, weshalb. Meine Verkleidung hätte meine eigene Schwester getäuscht, aber ich wußte
nur allzu genau, wie vermessen es gewesen wäre, hätte ich auch nur eine Sekunde damit
gerechnet, Rakhal täuschen zu können. Er hatte ja schließlich jene Verkleidung geschaffen,
die nun ich selbst war.

Am folgenden Tag wußte ich, daß er sich nicht in Shainsa aufhielt. Doch ich blieb in der

Stadt, um auf etwas zu warten, was geschehen mußte. Nachts schlief ich in einem Kämmer-
chen neben einem Weinladen und bezahlte für dieses Vorrecht einen Preis, der einem Palast
wohl angestanden hätte. Täglich um die Mittagszeit überquerte ich den unter der roten Sonne
schläfrig daliegenden öffentlichen Platz von Shainsa.

Vier Tage ging das so weiter. Niemand nahm auch nur Notiz von dem schäbig gekleideten

Mann ohne Namen, von dessen Geschäften man nichts wußte. Nur ein paar schmutzige Kin-
der mit fahlem, verfilztem Haar schienen mich zu bemerken, wenn sie ihre Spiele auf dem
windverblasenen Platz spielten. Sie sahen mir ohne Neugier und ohne Angst in das vernarbte
Gesicht, und mir kam der Gedanke, daß Rindy unter ihnen sein könnte.

Hätte ich noch als Erdenmensch empfunden, dann hätte ich sicher eines der Kinder ge-

fragt, oder dessen Vertrauen zu gewinnen versucht. Doch mein Spiel ging um größere Dinge.

Am fünften Tag beachteten mich nicht einmal mehr die Kinder, so alltäglich war ich ihnen

geworden. Auf dem grauen Moos des Platzes dösten ein paar alte Männer mit Pergamentge-
sichtern. Ich ging gerade zum gepflasterten Ende des Platzes, als plötzlich einem Herbststurm
gleich die Frau erschien.

Sie war groß, hatte einen stolzen, schwingenden Gang, und ein rhythmisches, metallisches

Klirren begleitete ihre raschen Schritte. Ihre Arme waren mit einer langen, silbernen Kette
verbunden, die durch eine Schlaufe an ihrem Gürtel lief und an beiden Armgelenken an
juwelenbesetzten Reifen endeten. An der Gürtelschlaufe hing ein winziges goldenes Schloß,
doch in diesem Schloß steckte ein noch winzigerer goldener Schlüssel, der besagte, daß sie
von höherer Kaste war als ihr Mann oder Gefährte, so daß ihre Fesselung keinem Zwang,
sondern ihrem freien Willen zuzuschreiben war.

Sie blieb unmittelbar vor mir stehen und hob ihre Arme wie ein Mann zu einem formellen

Gruß. Die Kette klirrte leise, als sie eine Hand an die Seidenschlaufe an ihrem Gürtel legte.

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TERRA ASTRA

Sie musterte mich angelegentlich, so daß ich den Kopf hob und ihrem Blick begegnete. Ich
weiß nicht, weshalb ich dessen so sicher war, daß sie Haare wie schwarzes gesponnenes Glas
haben müsse und Augen, die in der Farbe der roten Sonne glühten.

Die Augen dieser Frau waren dunkler als die Giftbeeren der Salzklippen, und ihr roter

Mund sah mindestens ebenso gefährlich aus wie diese. Sie war jung, sehr jung sogar, denn
ihre Schultern waren schmal, und ihre Handgelenke sahen unglaublich zierlich aus. Ihr Ge-
sicht jedoch hatte Sturm und Wetter gesehen, und ihre dunklen Augen sprachen von noch
wilderen psychischen Stürmen. Beim Anblick meiner Narben blinzelte sie nicht einmal. Sie
sah mich fest an.

„Du bist ein Fremder“, stellte sie fest. „Welche Geschäfte führen dich nach Shainsa?“

Diese direkte Frage war eine Frechheit, die ich gebührend beantwortete. „Ich kam, um

Frauen für die Bordelle von Ardcarran zu kaufen. Wenn du sauber gewaschen bist, könntest
du angehen. Wer könnte dich mir verkaufen?“

Diese Beleidigung nahm sie gleichmütig hin, obwohl ein Zucken um ihren Mund Bosheit

oder Zorn verriet. Ich wußte nun, dieser Kampf zwischen uns würde bis zu einem Ende
ausgefochten werden.

Etwas fiel aus den Falten ihrer Kleidung klingelnd zu Boden. Diesen Trick kannte ich, und

ich bewegte mich nicht. Schließlich ging sie weg, ohne auch nur den Versuch zu machen, das
Ding aufzuheben. Als ich mich umsah, bemerkte ich, daß die Kinder verschwunden waren
und ihr Spielzeug zurückgelassen hatten. Ein paar der alten Männer beobachteten mich mit
unverhüllter Neugier.

Ich hätte sie vielleicht nach dem Namen dieser Frau fragen können, aber ich wußte, daß

diese Frage mich jenes Ansehen gekostet hätte, das ich mir bei diesem Zwischenfall er-
worben hatte. Ich sah unauffällig hinunter. Auf der Rückseite des winzigen Spiegels war
vielleicht der Name dieser Frau eingraviert.

Doch ich ließ das Ding liegen und kehrte zu meinem Kämmerchen hinter dem Weinladen

zurück. Ich konnte meinen ersten Erfolg verbuchen. Kann man nicht unverdächtig bleiben,
so hat man dafür zu sorgen, sich so verdächtig zu machen, daß man nicht übersehen werden
kann. Das ist in sich selbst eine gewisse Unauffälligkeit. Wie viele Menschen können schon
einen Streit beschreiben, der sich auf einer Straße abspielt?

Ich beendete eben ein einfaches Mahl mit einem schlechten Wein, als der Chak kam,

sich gar nicht erst an den Ladenbesitzer wandte, sondern direkt auf mich zusteuerte. Sein
Pelz war makellos weiß. Sein samtenes Schnäuzchen schien von den Gerüchen belästigt zu
werden, und er streckte zierlich eine Hand aus, um ja nicht an einen der schmutzigen Tische
oder die Wandbekleidungen zu stoßen. Sein Pelz war parfümiert, und um seinen Hals lag
ein Kragen aus bestickter Seide. Er war offensichtlich ein verwöhnter Günstling, der mit der
unschuldigen Bosheit eines Nichtmenschen die Intrigen der Menschen beobachtete.

„Du wirst im Großen Haus von Shanita gewünscht, Narbenmann“, erklärte er mir mit

einem affektierten Lispeln im Shainsdialekt. „Willst du bitte mitkommen?“

Ich war verblüfft, denn ich hatte nicht damit gerechnet, daß sich das Große Haus mit

diesem Konflikt befassen würde. Seit meinem letzten Aufenthalt in Shainsa war es durch
vier verschiedene Hände gegangen. Besonders eilig hatte ich es nicht, dort zu erscheinen.

Der weiße Chak führte mich mit unnachahmlicher Arroganz durch die Straßen der Innen-

stadt zu einem Außenbezirk. Für eine Unterhaltung mit mir zeigte er kein Interesse, und ich
gewann allmählich den Eindruck, er fühle sich mir weit überlegen. Dieser Einfaltspinsel!

Das Große Haus war aus großen, rohbehauenen rosa Basaltblöcken erbaut, und zwei riesi-

ge Karyatiden in Ketten aus graviertem Metall bewachten den Eingang. Die Vergoldung war

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Das Weltraumtor

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an vielen Stellen abgewetzt, und die Jewelenaugen der Karyatiden schienen schon lange zu
fehlen.

Die Eingangshalle war so riesig groß, daß ein terranisches Sternenschiff aufrecht dort ste-

hen konnte; doch diesen Gedanken schob ich schnell von mir, denn jeder Terranergedanke
konnte mich verraten. Die Haupthalle war noch riesiger und kälter als die legendäre Hölle
der Chaks. Der kleine Sonnenheizer in der Decke nützte nichts. Ich sah ein glühendes Me-
tallöfchen, doch das nützte ebensowenig. Der Chak verschwand in den Schatten, und ich
ging allein und vorsichtig die Stufen hinab. Eine gewisse Nachtblindheit ist das einzige, was
mich tatsächlich von einem richtigen Wolfianer unterscheidet.

Im Raum befanden sich drei Männer, zwei Frauen und ein Kind. Alle waren Trockenstäd-

ter und einander sehr ähnlich; alle trugen kostbare Kleidung aus gefärbtem Pelz in mehreren
kräftigen Farben. Ein alter, gebückter Mann beschäftigte sich mit dem Öfchen, und ein ma-
gerer etwa vierzehnjähriger Junge. hockte mit gekreuzten Beinen auf einem Kissenstapel in
einer Ecke. Mit seinen Beinen schien etwas nicht zu stimmen.

Ein ungefähr zehnjähriges Mädchen in einem zu kurzen Röckchen, aus dem lange Spin-

nenbeine in Lederstiefeln hervorsahen, spielte mit einem schimmernden Kristall, der selt-
same Muster auf den mit rauhem Stein ausgelegten Fußboden warf. Eine der Frauen war
faltig und fett, und selbst ihre Juwelen und gefärbten Pelze konnten über ihr schwammiges
Aussehen nicht hinwegtäuschen.

Ihre Hände waren nicht gefesselt, und sie biß in eine Frucht, aus der roter Saft auf den

blauen Pelz ihres Kleides tropfte. Der alte Mann warf ihr, als ich eintrat, einen mörderischen
Blick zu, und sie nahm eine etwas aufrechtere Haltung an, doch die Frucht legte sie nicht
weg. Der ganze Raum sah nach würdiger Armut aus, in die nur die fette Frau nicht paßte.

Der andere Mann und die zweite Frau verdienten meine ganze Aufmerksamkeit, so daß

ich die übrigen Gestalten mehr als Randfiguren bemerkte. Der Mann war Kyral, stand am
Fuß einer Estrade und funkelte mich an. Die Frau war jene Dunkeläugige, die ich auf dem
Platz heute beleidigt hatte.

„So, du bist es also“, sagte Kyral, aber seine Stimme klang ausdruckslos, ohne Beleidi-

gung, ohne Freundlichkeit, sogar ohne Haß.

Für mich gab es nur eine Möglichkeit. Ich sah diese Frau an, die auf einem thronähnlichen

Sessel neben der Dicken saß. „Ich nehme an“, wandte ich mich an sie, „daß du deine Sippe
von meinem Angebot unterrichtet hast.“

Sie wurde rot, und das war ein Triumph für mich. Den verbarg ich, so gut ich konnte.

Der alte Mann kicherte belustigt, und Kyral lachte mit, doch ärgerlich und scharf. Daraus
war zu schließen, daß meine Bemerkung tatsächlich wiederholt worden war und dabei nichts
von ihrem Saft verloren hatte. Doch nur die Linie um seinen Mund verriet seinen Zorn. „Sei
ruhig, Dallisa“, sagte er bestimmt. „Wo hast du den hier aufgegabelt?“

„Das Große Haus hat den Herrn gewechselt, seit ich zum letztenmal den Geruch der Salz-

klippen in mich aufnahm“, sagte ich unverblümt. „Neuankömmlinge kennen daher meinen
Namen nicht, und ihrer ist mir ebenso unbekannt.“

„Unser Name hat kihar verloren“, sagte der Greis. „Unsere Tochter hat der Spielzeug-

macher weggelockt, die andere plappert mit Fremden auf dem Platz, und ein heimatloser
Taugenichts kennt nicht einmal unseren Namen.“

Kyral biß sich auf die Lippen und sah finster drein. Er deutete auf einen Tisch mit Gläsern,

und der weiße Chak kam lautlos herbei und goß Wein ein.

„Willst du mit mir trinken, wenn du keine Blutfehde mit meiner Familie hast?“ fragte er.

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TERRA ASTRA

„Das will ich“, erklärte ich erleichtert. Er scheint vergessen zu wollen, daß er mich als

den narbengesichtigen Terraner aus dem Raumhafencafe erkannt hatte. Aber er war offen-
sichtlich verblüfft. Ich hob mein Glas und nippte daran. In diesem Augenblick sprang er
blitzschnell auf und schlug mir das Glas von den Lippen.

Ich taumelte zurück, strich mit der Hand über meinen verletzten Mund und erwog blitz-

schnell einige Möglichkeiten. Die Beleidigung war tödlich. Nun mußte ich kämpfen. In
Shainsa ermordete man Menschen unter fadenscheinigeren Vorwänden. Ich war gekommen,
eine Blutfehde zu erledigen, nicht aber eine neue heraufzubeschwören. Trotz dieser Überle-
gungen hatte ich ganz automatisch meinen Dolch gezückt.

„Du beleidigst einen Mann unter deinem eigenen Dach!“ rief ich, und meine Stimme klang

schrill.

„Spion und Renegat!“ brüllte Kyral, der nach einer Peitsche griff, die auf dem Tisch lag.

Er ließ sie durch die Luft sausen. Das Kind mit den langen Beinen taumelte rückwärts. Ich
tat einen Schritt zurück und versuchte meine Verwirrung zu verbergen. Was hatte Kyral zu
seinem Angriff bewogen? Ich mußte einen schlimmen Fehler gemacht haben, und nur wenn
ich sehr viel Glück hatte, kam ich lebend hier heraus.

Kyrals Stimme zitterte vor Wut. „Du wagst mein Haus zu betreten, nachdem ich blinder

Narr dir bis nach Kharsa gefolgt war? Aber jetzt wirst du dafür bezahlen!“

Die Peitsche zischte an meiner Schulter vorbei, doch ich wich aus, aber der nächste Schlag

traf mich am Oberarm. Mein Dolch entfiel meinen tauben Fingern.

„Hebe ihn auf“, befahl mir Kyral. „Wenn du es wagst.“

Die fette Frau schrie. Ich stand hochaufgerichtet da und berechnete die Chance eines blitz-

schnellen Sprunges. Plötzlich sprang das Mädchen Dallisa auf.

„Kyral, nein! Nein!“ schrie sie. „Geh zurück, Dallisa!“ befahl er, ließ aber die Augen nicht

von mir.

„Warte, warte!“ rief sie, lief auf ihn zu und riß den Arm mit der Peitsche herunter. Sie re-

dete schnell und drängend auf ihn ein. Kyrals Gesichtsausdruck veränderte sich augenfällig.
Er holte tief Atem und warf die Peitsche auf den Boden.

„Antworte mir ehrlich“, fuhr er fort. „Was tust du hier in Shainsa?“

Ich konnte es nicht recht fassen, daß ich plötzlich vor einem langsamen, bitteren Tod ge-

rettet war. Dallisa kehrte zu ihrem Thronstuhl zurück. Nun mußte ich entweder die Wahrheit
sagen oder eine überzeugende Lüge finden, denn ich schien in ein Spiel verstrickt zu sein,
dessen Regeln ich nicht kannte. Eine Erklärung konnte mir ebensogut die Freiheit wie den
Tod bringen. Plötzlich wünschte ich, Rakhal stünde an meiner Seite. Aber ich mußte den
Bluff allein schaffen.

Hatten sie mich als Race Cargill, den terranischen Spion erkannt? Dann ließen sie mich,

falls sie mit Terra sympathisierten, unbehelligt gehen. Kyrals Schrei „Spion, Renegat“ sprach
dagegen.

Mein Arm schmerzte und blutete, doch ich achtete nicht darauf. „Ich kam einer Blutfehde

wegen“, sagte ich.

Kyrals Lippen verzogen sich zu einem, wie mir schien, dünnen Lächeln. „Selbstverständ-

lich. Nur mit wem, bleibt noch offen.“

Nun wußte ich, daß ich nichts mehr zu verlieren hatte. „Mit Rakhal Sensar, dem Renega-

ten.“

„Rakhal Sensar?“ wiederholte der alte Mann.

Ich war also noch nicht tot. „Ich habe geschworen, ihn zu töten“, erklärte ich.

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Das Weltraumtor

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Kyral klatschte unvermittelt in die Hände und rief dem weißen Chak, er solle die Scherben

wegräumen. „Du bist nicht selbst Rakhal Sensar?“ Er starrte mich verblüfft an.

„Ich sagte dir doch, daß er es nicht ist“, rief Dallisa hysterisch.

„Ein Mann mit Narben im Gesicht - nun, wie sollte ich es nicht vermuten?“ Kyral sah

tatsächlich erschüttert drein. Er füllte ein Glas mit Wein und reichte es mir. „Ich konnte es
nicht fassen, daß ein Renegat wie Rakhal mit mir zu trinken wagte.“

„Das würde er auch nicht.“ Das wußte ich mit aller Bestimmtheit. Wenn Rakhal mit diesen

Leuten in Blutfehde stand und aufgefordert wurde, ihren Wein zu trinken, dann ließe er sich
lieber in Stücke reißen, als der Aufforderung zu folgen.

Ich nahm das Glas und trank es leer. „Rakhals Leben gehört mir“, sagte ich. „Aber ich

schwöre beim roten Stern und bei den ewigen Bergen, daß ich mit keinem unter diesem
Dach in Blutfehde stehe.“ Ich warf das Glas auf den Boden, wo es zerschellte.

Kyral zögerte, doch unter den blitzenden Augen des Mädchens goß er für sich selbst ein

Glas Wein ein, trank es aus und warf es ebenfalls auf den Boden. Dann legte er mir die
Hände auf die Schultern. Ich zuckte zusammen, als er die Stelle berührte, die seine Peitsche
getroffen hatte, und konnte daher die Zeremonie nicht zu Ende führen.

Er trat einen Schritt zurück und zuckte die Achseln. „Soll eine der Frauen die Wunde

ansehen?“ fragte er.

„Es ist nicht so schlimm“, log ich, „aber ich erwarte von dir, da wir nun durch das un-

ter deinem Dach vergossene Blut verbunden sind, daß du mir alles berichtest, was du von
Rakhal, dem Spion und Renegaten, weißt.“

„Wenn ich es wüßte, bliebe ich dann unter meinem eigenen Dach?“ entgegnete er heftig.

Der alte Mann brach in schrilles Gelächter aus. „Du hast mit ihm getrunken, Kyral, und

kannst ihm nun keinen Schaden zufügen. Ich kenne Rakhals Geschichte! Zwölf Jahre lang
war er Spion für Terra. Und dann hat er ihnen ihr dreckiges Geld ins Gesicht geworfen
und sie verlassen. Sein Partner war ein Trockenstädter-Bastard oder ein Terraner-Spion. Die
brachten einander fast um, hätten die Terraner sie nicht getrennt. Sieh doch die Male des
kifirgh auf seinem Gesicht!“

„Bei Sharra!“ rief Kyral und brachte ein Lächeln zustande. „Du bist, das muß ich zugeben,

ein kluger Mann. Und was bist du noch? Ein Spion, ein Bastard, oder was sonst?“

„Was ich bin, ist unwichtig“, erwiderte ich. „Du hast eine Blutfehde mit Rakhal, doch die

meine ist älter als die deine, und sein Leben gehört mir. Du bist gebunden, ihn zu töten“ - der
formelle Ausdruck floß wie von selbst über meine Zunge - „und durch die Ehre gebunden,
mir zu helfen, ihn zu töten. Wenn jemand unter deinem Dach etwas...“

Kyral lächelte. „Rakhals Wort gegen das des Affensohnes“, sagte er. Dieser Ausdruck war

eine Beleidigung und wurde auf Wolf auf Terraner angewandt. „Er ist ein Stachel in der
Flanke der Terraner. Sie sollen ihre eigene Kraft vergeuden, indem sie ihn herausziehen.
Und ich glaube, du selbst bist ein Terraner.“ Er hob eine Hand. „Du hast kein Recht auf die
Höflichkeit der Söhne des Himmels. Doch du hast Wein mit mir getrunken, und mit dir habe
ich keinen Streit. Verlasse mein Dach in Sicherheit und meine Stadt in Ehren.“

Dagegen konnte ich nicht protestieren. In Shainsa ist die persönliche Würde eines Mannes

ungemein kostbar. Aber wenn ich nun sein Haus verließ, dann verlor ich kihar, meine Würde.
Also mußte ich das verzweifelte Spiel fortsetzen.

„Ein Wort noch“, sagte ich und hob die Hand. „Ich will dir shegri bieten.“

Er sah verstört drein. Wie konnte ein Erdenmann von shegri wissen? Es war doch das alte,

gefährliche Spiel der Trockenstädte.

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TERRA ASTRA

Ein Mann, der shegri bietet, setzt sein Leben ein. Er hat also nichts mehr zu verlieren.

Es ist ein grausames, vielleicht auch dekadentes Spiel, das mit keinem anderen im ganzen
Universum verglichen werden kann.

Doch mir blieb keine Wahl. In Shainsa schien Rakhal nicht zu sein, und der mir von

Magnusson gewährte Monat war zur Hälfte um. Ich mußte Kyral zwingen, mir alles zu sagen,
was er wußte, oder abreisen.

Und so ist shegri:

Der shegrin stellt sich für eine Folter zur Verfügung, die vom Morgengrauen bis zur

Abenddämmerung dauert. Hält er sie aus, dann gewinnt er. So einfach ist das. Er kann mit
einem einzigen Wort die Folter abbrechen, aber dann hat er verloren.

Eine unerläßliche Bedingung dabei ist für den Gegner, daß dem Gefolterten kein bleiben-

der Schaden zugefügt wird, also keine Verletzung, die nicht innerhalb von drei Sonnenläufen
heilte. Es mußte aber jede Folter, die halbmenschliche Grausamkeit ersinnen konnte, ertra-
gen werden. Erträgt der Gefolterte sie, hat der Gegner seine Bedingungen zu erfüllen.

Gespanntes Schweigen herrschte in der Halle. Dallisa beobachtete mich unausgesetzt, und

ihre rote Zungenspitze erschien zwischen den Lippen. Die dicke Frau knackte Nüsse und
warf die Schalen in das Öfchen. Das kleine Mädchen spielte nicht länger mehr mit den Kri-
stallwürfeln und sah mich offenen Mundes an. Endlich sprach Kyral. „Deine Bedingungen?“

„Erzähle mir alles, was du von Rakhal Sensar weißt und schweige über meine Anwesen-

heit in Shainsa.“

„Bei allen roten Schatten, Rascar, du hast Mut!“ rief Kyral.

„Ja - oder nein?“

Er hob die Hand. „Nein, sage ich. Meine Blutfehde mit Rakhal verkaufe ich an keinen

anderen. Außerdem glaube ich, daß du Terraner bist, und mit denen will ich nichts zu tun
haben. Überdies hast du mir zweimal das Leben gerettet, und daher will ich dich nicht foltern.
Nein, sage ich. Trink mit mir, und wir scheiden ohne Groll.“

Ich wandte mich zum Gehen.

„Warte!“ rief Dallisa. Sie stand auf und kam von der Estrade herunter. „Ich habe einen

Streit mit diesem Mann.“

Ich wollte ihr sagen, daß ich mit Frauen nicht zu streiten pflege, doch dann fiel mir ein,

daß terranische Ritterlichkeit auf Wolf nichts bedeutet.

Sie sah mich mit ihren giftbeerenschwarzen Augen an. „Ich biete dir shegri, Rascar, außer

du fürchtest mich.“

Verlor ich, dann hätte ich mich wohl besser Kyrals Peitsche überlassen oder sogar den

wilden Tieren der Bergwälder. Das wußte ich.

8.

In der folgenden Nacht schlief ich kaum.

Mit dem ersten Schimmer Tageslicht kam Dallisa mit dem weißen Chak. Sie brachten

mich in ein Verlies, in den kaum ein Strahl des Sonnenlichtes fiel. „Die Sonne ist aufgegan-
gen“, sagte Dallisa.

Ich antwortete nichts, denn jedes Wort konnte man zu meinem Nachteil auslegen. Aber

Schauer rannen über meine Haut, und die Haare standen mir vor Spannung und Angst zu
Berge.

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Das Weltraumtor

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„Man hat seine Sachen nicht durchsucht“, wandte sich Dallisa an den Chak. „Überzeuge

dich davon, daß er keine Betäubungsmittel geschluckt hat.“

Warum hatte ich eigentlich nicht selbst daran gedacht? Der weißpelzige Nichtmensch

packte mich am Arm und zwang mir die Kiefer auseinander. Seine pelzigen Finger in meiner
Kehle machten mich würgen, und schließlich gab ich alles von mir, was ich im Magen hatte.
Dallisa sah ungerührt zu. Ich war schrecklich wütend und fühlte mich gedemütigt, doch ich
wußte, daß sie damit gerechnet hatte, ich könnte meinem Zorn die Zügel schießen lassen.
Damit hätte ich verloren gehabt.

„Verbinde ihm die Augen“, befahl Dallisa. „Nein, zuerst fesselst du ihn.“

Der Chak nahm mir alle Kleider ab, und ich erlebte meinen ersten Triumph, als die Nar-

ben an meinem Körper freilagen, die vielleicht noch schlimmer aussahen als die in meinem
Gesicht. Vor Entsetzen rümpfte der Chak seine Schnauze, und Dallisa sah betroffen drein.
Ich konnte geradezu ihre Gedanken lesen: Wenn er das ertragen hat, wie soll ich dann damit
rechnen können, daß er um Gnade fleht?

Mir fielen die Monate ein, die ich fiebernd und todkrank lag an den Wunden, die Rakhal

mir geschlagen hatte. Am schlimmsten aber waren die seelischen Wunden gewesen.

Dallisa nahm zwei kleine Messer in die Hand und wog sie ab. Dann gab sie dem Chak ein

Zeichen, der mich an die Wand zurückschob. „Stich die Messer durch seine Hände“, befahl
sie, „und an die Wand!“

Das war gegen die Gepflogenheiten, denn solche Verletzungen durften in der Folter nicht

vorkommen. Am ganzen Körper brach mir der Schweiß aus, und meine Hände krampften
sich zu Fäusten zusammen. Doch dann wurde mir klar, daß dies ein Trick war, der mich zum
Aufgeben zwingen sollte.

„Aber gib acht“, fuhr sie fort, „daß seine Sehnen nicht verletzt werden, sonst wird er lahm,

und er kann mit Recht sagen, wir hätten gegen die Regeln verstoßen.“

Ehe ich noch den Schmerz spürte, rann schon das Blut über meine Hände. Aber ich zog

sie nicht zurück. Dallisa machte eine Handbewegung; der Chak ließ die Messer fallen. Zwei
dünne Stiche in meinen Händen - hatte ich sie wirklich wirksam geblufft?

Dann wurden mir die Arme über den Kopf gerissen und mit dünnen Kordeln gebunden,

die tief in mein Fleisch schnitten.

„Und jetzt verbindest du ihm die Augen“, befahl Dallisa, „damit er den Stand der Sonne

nicht verfolgen kann und nicht sieht, was nun kommt.“

Eine weiche Dunkelheit legte sich um meine Augen. Nach kurzer Zeit hörte ich, wie ih-

re Schritte sich entfernten. Die Schnüre schnitten immer tiefer in mein Fleisch, und das
schmerzte allmählich. Sicher war es nicht alles... Ich versuchte meine Gedanken fest am Zü-
gel zu halten. Ich mußte alles, was kam, annehmen, ohne vorauszudenken. Zuerst einmal
mußte ich versuchen, mit den Füßen auf den Boden zu kommen, so daß sich der Schmerz in
meinen Schultern ein wenig verminderte.

Nach einiger Zeit trugen meine Fußspitzen mein Gewicht nicht mehr. Nun wurde der

Schmerz in Armen und Schultern so unerträglich, daß ich fast geschrien hätte. Neben mir
glaubte ich einen leisen Atem zu hören.

Ich weiß nicht, wie lange ich mein Gewicht zu verlagern versuchte und damit den Schmerz.

Mein Hals wurde unerträglich trocken. Allmählich verfiel ich in eine Art Delirium aus Hun-
ger, Durst und Schmerz.

Und dann verlor ich das Bewußtsein, wenigstens für ein paar Augenblicke. Als ich wieder

zu mir kam, ruhten meine Zehen sicher auf kaltem Stein.

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TERRA ASTRA

„Ich will deine Füße nicht verletzen“, murmelte Dallisa neben mir, „denn das wäre gegen

unseren Handel. Ich will dich nur wachhalten.“

Nach einer, wie mir schien, Ewigkeit des Deliriums vermeinte ich Dallisas Stimme zu

vernehmen: Flehe mich an. Ein Wort, und ich will dich erlösen. Ein wenig Platz in deinen
Armen - mehr will ich nicht. Vielleicht lasse ich dich dann frei, damit du Rakhal suchen
kannst, schon um Kyral damit zu ärgern. Nur ein Wort, ein einziges Wort.

Meine trockene Zunge spielte zwischen trockenen Lippen. Warum sollte ich eigentlich

weiterhin leiden? Vielleicht konnte ich Dallisa bewußtlos schlagen und entkommen... Warum
sollte ich mich den Gesetzen des Planeten Wolf unterwerfen? Meine Gedanken rasten.

Dann rettete mich ein leiser Atem. Auch das konnte ein Trick sein. Ich war nicht Race

Cargill, sondern ein Toter, der an Ketten schwang, und die Geier hackten ihre Schnäbel in
meine Füße. Ich war...

Schritte näherten sich. „Was hast du mit ihm getan?“ hörte ich Kyrals vorwurfsvolle Stim-

me.

Sie antwortete nicht, nur ihre Ketten klirrten. „Frauen haben doch keinen Sinn für eine

Folter, außer...“ Seine Stimme verklang in weiter Ferne. Aber dann hörte ich ein Heulen wie
von Menschen, die in einem Schneesturm in den Bergen dem Tod entgegengehen.

„Rede! Jetzt kann er dich nicht hören!“

„Du bist dumm, wenn du ihn ohnmächtig werden läßt!“

„Du mußt reden!“ Das war Dallisas Stimme. „Vielleicht soll ich ihn freilassen, damit er

Rakhal suchen kann. Du hast ihn ja nicht gefunden. Auch die Terraner haben auf Rakhals
Kopf einen Preis gesetzt.“

„Wenn du glaubst, ich ließe es zu, daß du mit Terranern verhandelst...“ „Du handelst ja

selbst mit ihnen! Wie willst du mich daran hindern?“

„Ich muß mit ihnen handeln, aber die Ehre des Großen Hauses...“

„Dessen Stufen du nie erstiegen hättest, wäre Rakhal nicht gewesen!“ Dallisa schien diese

Worte zu genießen. „Oder wußtest du nicht, daß du es Rakhal zu verdanken hattest? Nun,
dann hasse doch die Terraner! Genieße deinen Haß, wälze dich in deinem Haß, bis ganz
Shainsa eine Beute des Spielzeugmachers wird - wie Miellyn.“

„Wenn du diesen Namen noch einmal aussprichst, töte ich dich“, knirschte Kyral.

„Wie Miellyn, Miellyn, Miellyn“, wiederholte Dallisa boshaft. „Du Narr! Rakhal wußte

nichts von Miellyn!“ „Man hat ihn gesehen...“ „Mit mir, du Idiot, mit mir! Kannst du mich
nicht mehr von meinem Zwilling unterscheiden? Rakhal kam zu mir, um nach ihr zu fragen.“

„Warum hast du mir das nicht gesagt?“

„Hattest du ein Recht, zu fragen, Kyral?“

„Du gemeines Luder!“ Ich hörte einen Schlag. Dann riß Kyral mir die Binde von den Au-

gen, und ich blinzelte in das helle Licht. Meine Arme waren nun vollständig taub, aber als er
mich berührte, spürte ich einen rasenden Schmerz. Kyrals Gesicht schwamm vor mir in ei-
nem höllischen Licht. „Wenn das wahr ist, Dallisa, dann ist das hier eine höllische Komödie.
Und du hast keine Möglichkeit zu erfahren, was er von Miellyn weiß.“ „Was er weiß?“

„Miellyn ist zweimal aufgetaucht, als ich mit ihm beisammen war. Ich würde an deiner

Stelle mit ihm verhandeln. Unser Wissen von Rakhal gegen seines von Miellyn.“

„Du Schwächling! Das hier ist meine Sache! Du Narr, die anderen von der Karawane

werden mir sagen, was ich wissen will. Wo ist Cuinn?“

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Das Weltraumtor

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Kyrals Lachen kam aus unendlicher Ferne. „Dallisa, du hast auf das falsche Pferd gesetzt.

Die Katzenmänner haben ihn getötet.“ Er nahm seinen Dolch heraus und schnitt die Schnüre
an meinen Handgelenken durch. „Verhandle mit mir, Rascar!“

Ich hustete, denn ich konnte nicht sprechen. „Willst du mit mir verhandeln?“ drängte Ky-

ral.

Ein Sonnenstrahl sagte mir, daß der Abend noch fern war. Endlich fand ich meine Stimme

wieder. Ich staunte über mich selbst, als ich mich sagen hörte: „Das ist zwischen Dallisa und
mir.“

Kyral rannte wütend davon. „Ich hoffe, ihr bringt euch gegenseitig um!“ schrie er und

schmetterte die Tür zu.

Ich wußte nun, daß der Kampf bis zum bitteren Ende weitergehen würde. Sie berührte

leicht meine Brust, aber der Schmerz war fast unerträglich.

„Hast du Cuinn getötet?“ fragte sie. „Antworte!“ herrschte sie mich an. Sie schlug mich.

„Er hat... den... Katzenmännern... signalisiert... sie auf... uns gehetzt...“, gelang es mir

endlich zu flüstern.

„Nein!“ Ihr weißes Gesicht sah plötzlich aus wie eine Totenmaske. Sie kreischte, bis der

riesige Chak gerannt kam. „Schneide ihn ab!“ brüllte sie. „Abschneiden!“

Ein Messer zuckte, und ich fiel. Ich stöhnte vor Schmerz, als das Blut wieder durch meine

tauben Glieder zu rinnen begann. Und dann verlor ich das Bewußtsein für sehr lange Zeit.

9.

Als ich schließlich wieder zu mir kam, lag mein Kopf in Dallisas Schoß, und der Raum

war rot von der Farbe des Sonnenunterganges. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich
sie um Gnade angefleht haben könnte. „Die Sonne... noch nicht... untergegangen“, murmelte
ich.

Sie beugte sich über mich. „Seht, still sein.“

Ich fühlte mich wie im Himmel und ließ mich wieder in eine halbe Bewußtlosigkeit trei-

ben. Dann spürte ich eine Tasse an meinem Mund.

„Kannst du schlucken?“ fragte sie.

Ich konnte es. Die Flüssigkeit rann kalt meine Kehle hinab. Dallisa sah mir in die Augen,

und mir war, als falle ich in rötliche, stürmische Tiefen. Ein leichter Finger strich über meinen
narbigen Mund. Plötzlich wurde es klar in meinem Kopf, und ich setzte mich auf.

„Ist das ein Trick, der mich um meine Wette betrügen soll?“

Sie zuckte zusammen, als habe ich sie geschlagen, und dann glitt ein Lächeln um ihren

Mund. „Du hast wahrscheinlich recht, wenn du mir mißtraust“, sagte sie. „Wirst du mir
vertrauen, wenn ich dir sage, was ich über Rakhal weiß?“

Ich sah sie fest an. „Nein.“

Die Reaktion überraschte mich, denn sie lachte schallend. Ich spannte vorsichtig meine

Muskeln an. Sie schmerzten noch höllisch.

„Nun ja“, meinte sie, „bis Sonnenuntergang habe ich kein Recht auf dein Vertrauen. Da

du aber bis zum letzten Sonnenstrahl meinem Befehl unterstehst, befehle ich dir, mit deinem
Kopf auf meinen Knien liegenzubleiben.“

„Du willst mich wohl zum Narren machen?“

„Weigerst du dich? Es ist doch mein Recht!“

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TERRA ASTRA

„Mich weigern?“ Ich wußte, daß sie mit mir spielte wie eine Katze mit der Maus, aber ich

ließ meinen Kopf wieder auf ihre Knie fallen.

„Ist es denn so unerträglich?“ flüsterte sie.

Ich sagte nichts. Nie kann ich vergessen, wie menschlich, wie ganz und gar Frau sie war,

und Dallisas Rasse war schon alt und verbraucht, als die Terraner ihren heimatlichen Stern
noch nicht verlassen hatten. Die enge Nachbarschaft der Menschen auf Wolf mit den Nicht-
menschen machte sie zu Wesen, die unauslotbar waren für einen Terraner. Ich kannte sie
zwar besser als alle anderen, aber auch mir blieben viele Tiefen unverständlich.

Sie waren von einer irrationalen Logik, deren wesentlicher Teil eine gewisse Bosheit dar-

stellte. Selbst die tödlichste Blutfehde mit Rakhal hatte mit einem übersteigerten Witz begon-
nen, der den Secret Service ein Raumschiff im Wert von etlichen tausend Credits gekostet
hatte.

Deshalb konnte ich Dallisa nicht trauen, obwohl es beseligend war, meinen Kopf in ihren

Schoß zu legen. Dann griffen plötzlich ihre Arme nach mir, hungrig und besitzergreifend,
und ihre Augen flammten heiß und wild. „Ist das eine Qual für dich?“ forschte sie.

Ihre Arme unter dem Pelz waren weiß und weich, und der Duft ihres Haares nahm mich

gefangen. Sie schien unsagbar zart zu sein, doch ihre Arme hielten mich fest wie Stahl-
klammern. Meine Schultern schmerzten, und Pein bohrte in meinen Gelenken. Doch dann
vergaß ich allen Schmerz. Ich sah den letzten Schimmer der Sonne verschwinden, und die
Dämmerung tauchte den Raum in grauviolettes Zwielicht.

Ich fing ihre Handgelenke auf und bog sie ihr über den Kopf. „Die Sonne ist untergegan-

gen“, sagte ich, und dann verschloß ich ihren Mund mit dem meinen.

Der Kampf zwischen uns war Sieg und Niederlage zugleich. Jede Frage,

wer ihn gewonnen hatte, war blasse Theorie.

*

Irgendwann im Laufe der Nacht erwachte ich und spürte ihren Kopf an meiner Schulter.

Ich starrte in die Dunkelheit und gedachte eines anderen mit Ketten gefesselten Mädchens
aus den Trockenstädten, dessen Küsse sich in die von Dallisa blendeten.

Nur einer der Monde war zu sehen. Ich dachte an meine Wohnung in der Handelsstadt, die

sauber, hell und warm gewesen war, und an die vielen Nächte, in denen ich voll Bitterkeit und
Sehnsucht nach den windverblasenen Salzebenen der Trockenstädte wie ein Tier im Käfig
herumgelaufen war.

Mit einemmal fiel mir Juli ein. Ich hatte sie fast vergessen, und das bedrückte mich sehr.

Aber ich hatte erfahren, was ich wissen wollte: Rakhal war in Charin.

Es war keine große Überraschung gewesen, das zu erfahren. Charin ist die einzige Stadt

auf Wolf außer Kharsa, in der die Terraner Fuß gefaßt und ein Handelsviertel mit einem
kleineren Raumhafen errichtet hatten. Auch Charin unterliegt dem terranischen Recht - und
ist gleichzeitig Millionen Meilen von ihm entfernt.

Diese nichtmenschliche Stadt ist größtenteils von Chaks bewohnt und das Zentrum jeder

Widerstandsbewegung - eine lärmende Stadt, die einem ständigen Wirbel ausgesetzt ist. Für
einen Renegaten war sie der richtige Platz. „Und warum gerade Charin?“ flüsterte ich vor
mich hin.

Dallisa wachte davon auf. Sie stützte sich auf die Ellbogen und antwortete schlaftrunken:

„Das Wild ist am sichersten an des Jägers Tür.“

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Das Weltraumtor

40

Ich versuchte alle Stücke dieses Puzzlespiels aneinanderzureihen. „Wer ist das Wild, und

wer sind die Jäger?“ fragte ich halblaut.

Dallisa antwortete nicht, und das hatte ich auch gar nicht erwartet. Im Geist stellte ich mir

folgende Frage: Warum haßt Kyral Rakhal Sensar, wenn er ihn doch nicht einmal vom Sehen
her kennt?

„Dafür gibt es Gründe“, erwiderte sie düster. „Einer davon ist Miellyn, meine Zwillings-

schwester. Kyral erklomm die Stufen des Großen Hauses, weil er uns beide als Gefährten
verlangte. Er ist der Sohn unseres Vaters von einer anderen Frau.“

Das erklärte vieles. Geschwisterehen, die in den Trockenstädten nicht gerade selten sind,

gründen sich meistens auf Zweckmäßigkeit und Verdacht, aber sie sind nicht immer liebeleer.
Dallisas Sticheleien waren mir nun verständlicher, auch die Tatsache, daß sie in meinen
Armen lag. Aber Rakhals Rolle in diesem geheimnisvollen Intrigenspiel war damit nicht
erklärt, auch nicht die Tatsache, daß Kyral mich für. Rakhal gehalten hatte, wenn auch nur
deshalb, weil er sich erinnerte, mich in Terranerkleidung gesehen zu haben.

Warum war mir eigentlich nicht schon früher eingefallen, daß man mich für Rakhal halten

konnte? Wir waren einander nicht sehr ähnlich, aber eine ungenaue Beschreibung konnte
ebensogut auf ihn wie auf mich passen. Meine Größe ist für einen Terraner ungewöhnlich,
und sie entsprach fast genau der Rakhals, ebenso meine Gestalt und meine Farben. Ich hat-
te seinen Gang imitiert und seine Gewohnheiten angenommen, seit wir unsere Jugendzeit
zusammen verbrachten.

Außerdem hatten wir beide diese Narben im Gesicht und an den Schultern, die die Form

der Gesichtszüge stellenweise sehr verwischten. Jemand, der uns nur der Beschreibung nach
kannte und wußte, daß wir in den Trockenstädten zusammengearbeitet hatten, konnte uns
verwechseln.

Aber die Einzelteile wollten sich nicht zu einem Bild zusammenfügen. Das Verschwinden

eines Spielzeughändlers; Julis hysterisches Geplapper; die Art wie jenes Mädchen - Miellyn?
- im Schrein des Gottes Nebran verschwunden war; und Dallisas Sticheleien. Und was hatte
der alte Mann von einem geheimnisvollen Spielzeugmacher gesagt? Eine Erinnerung an den
spukhaften Handel in der Stadt der Schweigenden konnte ich noch nicht ganz fassen, doch
ich wußte, daß sie dazugehörte. Ob Dallisa mir helfen konnte, das Bild abzurunden?

„Miellyn ist nur die Entschuldigung und Ausrede“, sagte sie mit einer Heftigkeit, die mich

überraschte. „Kyral haßt Rakhal, denn Rakhal möchte Kompromisse schließen, während Ky-
ral kämpfen will!“

Sie drehte sich zu mir um und drückte sich fest an mich. „Race“, fuhr sie mit zitternder

Stimme fort, „unsere Welt stirbt. Wir kommen gegen die Macht Terras nicht an. Und es gibt
noch andere, viel schlimmere Dinge.“

Erstaunt setzte ich mich auf, erstaunt über mich selbst, weil ich vor diesem Mädchen als

Terras Verteidiger auftrat. „Die Terraner beuten Wolf nicht aus. Wir haben das Abkommen
von Shainsa nicht verletzt. Nichts hat sich geändert.“

Und das stimmte. Zwischen den beiden Welten gab es einen Vertrag, und die Terraner

herrschten nicht als Eroberer. Sie bezahlten großzügig für das Land, das sie gepachtet hatten,
um ihre Handelsstätte bauen zu können, und diese Städte verließen sie nur dann, wenn sie
dazu aufgefordert wurden.

„Wir lassen jeder Stadt und jedem Staat die volle Selbständigkeit. Sie können sich selbst

regieren, bis sie in sich zusammenfallen, Dallisa. Und nach einer Generation ungefähr fallen
sie zusammen. Primitive Planeten können sich gegen uns nicht behaupten. Die Bevölkerung
hat es satt, unter einem theokratischen System oder einem Feudalsystem leben zu müssen,

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41

TERRA ASTRA

und früher oder später bitten alle Völker um Aufnahme in das Imperium. Mehr ist nicht
dahinter.“

„Aber das ist es ja!“ erwiderte Dallisa. „Ihr gebt den Leuten all das, was sie früher von

uns erhielten, und ihr macht eure Sache besser als wir. Allein durch eure Anwesenheit tötet
ihr die Trockenstädte. Sie wenden sich euch zu und verlassen uns, und ihr laßt es zu.“

Ich schüttelte den Kopf. „Terra hat seit Jahrhunderten Frieden gehalten. Was willst du

denn? Erwartet ihr von uns Waffen, Flugzeuge, Bomben und sonstige Hilfe, um eure Sklaven
zu unterdrücken?“

„Ja!“ rief sie wütend. „Die Trockenstädter haben seit... seit... ich weiß gar nicht wie lange

den Planeten regiert, und wir haben mit euch einen Pakt geschlossen, um euren Handel...“

„Dafür haben wir euch in Frieden gelassen“, antwortete ich ruhig. „Wir haben es den

Trockenstädten jedoch nicht verboten, sich dem Imperium zu nähern und mit Terra zu arbei-
ten.“

„Männer wie Kyral werden die ersten sein, die sterben“, entgegnete sie voll Bitterkeit.

„Und ich will mit ihnen sterben. Miellyn ist ausgebrochen, aber ich bringe es nicht über
mich! Unsere Welt ist verrottet, Race, durch und durch verrottet, und ich bin es auch bis ins
Mark hinein. Ich hätte dich heute töten können, und jetzt liege ich in deinen Armen. Unsere
Welt taugt nichts mehr, aber ich glaube nicht daran, daß eine neue Welt besser wäre.“

Ich legte meine Hand unter ihr Kinn und sah ihr ernst ins Gesicht. Es war ein blasses Oval,

das durch die Dunkelheit schimmerte. Was konnte ich sagen? Sie hatte alles gesagt, und es
war richtig. Dafür hatte ich gehaßt, gehungert und danach hatte ich mich gesehnt; als ich es
dann fand, wurde es zu Salz auf meinen Lippen - wie Dallisas Küsse. Ihre Finger zogen die
Narben in meinem Gesicht nach, und dann griffen ihre Hände so fest um meine Gelenke, daß
ich stöhnte.

„Du wirst mich nicht vergessen“, sagte sie mit ihrer merkwürdig singenden Stimme.

„Nein, du wirst mich nicht vergessen, und wenn du auch der Sieger warst.“ Ihre Augen
glommen düster durch die Dunkelheit. Ich wußte, daß sie mich so klar sah wie bei Tag.
„Aber ich glaube, Race Cargill, es war mein Sieg, nicht der deine.“

Ich wußte nicht, weshalb ich es tat, aber ich nahm ganz zart erst die eine ihrer gefesselten

Hände, dann die andere und öffnete die schweren, juwelenbesetzten Reifen. Sie tat einen
entsetzten Schrei. Ich warf die Ketten in eine Ecke und zog Dallisa leidenschaftlich in meine
Arme.

*

Auf dem rötlichen, windverblasenen Platz vor dem Großen Haus verabschiedete ich mich

von ihr. Sie drückte ihren Kopf an meine Schulter. „Race“, flehte sie, „nimm mich mit!“

Statt einer Antwort nahm ich ihre schmalen Gelenke und hob sie an mein Gesicht. Die

kostbaren Armfesseln lagen wieder fest um die dünnen Arme, und aus dem Gefühl heraus,
sich selbst bestrafen zu müssen, hatte sie die Ketten verkürzt. Nicht einmal die Arme konnte
sie mir um den Hals legen. Ich küßte die geschundenen, zarten Gelenke.

„Du willst ja gar nicht weg von hier, Dallisa“, sagte ich.

Sie tat mir unendlich leid. Stolz und kalt würde sie mit ihrer Welt untergehen, denn die

neue hatte keinen Platz für sie. Sie küßte mich wild und leidenschaftlich und klammerte
sich, von Schluchzen geschüttelt, an mich. Dann ließ sie mich los und floh in den Schatten
des großen, dunklen Hauses.

Ich sah sie niemals wieder.

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Das Weltraumtor

42

10.

Wenige Tage später näherte ich mich dem Ende meines Weges.

In Charin herrschte Zwielicht, und am Ende der Straße der Sechs Schäfer brannten rau-

chende Zigeunerfeuer. Ich duckte mich in den Schatten einer Mauer und wartete.

Die Straße schien verlassen zu sein. Nur ein paar armselige Gestalten lungerten in den

Bogengängen. Ich machte meinen Dolch griffbereit. Charin ist auch für einen Trockenstädter
relativ unsicher, und ein Terraner hatte dort ganz und gar nichts Gutes zu erwarten.

Selbst mit dem, was Dallisa mir erzählt hatte, war die Suche schwierig gewesen. Charin

ist nicht Shainsa. In Charin leben Menschen und Nichtmenschen in enger Gemeinschaft, und
Informationen über Leute wie Rakhal sind käuflich, aber man macht einen großen Bogen um
die Käufer. Das ist ziemlich fair, denn auch das Leben des Verkäufers ist nachher kaum mehr
etwas wert.

Ein scharfer Wind trug seltsame Gerüche und ziemlich viel Staub in die Straße, und ich

roch deutlich den beißenden Rauch aus dem Straßenschrein.

Dieser Geruch jagte Schauer über meinen Rücken. In den Hügeln hinter Charin begann

sich der Geisterwind zu regen.

Mit diesem Wind würden die Ya-Männer von den Bergen herabkommen, und Mensch wie

Nichtmensch fielen dem Wind und damit den Ya-Männern zum Opfer. Die Nacht gehörte
ihnen, und wenn der Morgen graute, verschwanden sie wieder, bis der Geisterwind erneut
erwachte. Ich glaubte schon das weitentfernte Bellen und Heulen zu hören und die gefieder-
ten Gestalten mit den langen Krallen in weitausgreifenden Sprüngen nahen zu sehen.

In diesem Moment brach die Stille der Straße auf.

Irgendwo schrie ein Mädchen vor Angst oder Schmerz. Dann sah ich das magere, barfüßi-

ge Kind, das zwischen den Kieselhäusern kauerte. Langes, schwarzes Haar flog, als die Klei-
ne dem Kerl zu entkommen versuchte, der sie verfolgte und mit seiner Pranke ein schmales
Gelenk umfaßt hielt.

Die Kleine schrie und versuchte sich von ihm loszureißen und warf sich mit der Heftigkeit

eines Sturmwindes an meine Brust.

„Oh, hilf mir!“ flehte sie weinend. „Er darf mich nicht kriegen, bitte, hilf mir!“ Das kleine

Ding sprach nicht den Dialekt dieses Armenviertels, sondern reinsten Shainsa-Jargon.

Meine Reaktion war ganz automatisch. Ich schob das Kind hinter meinen Rücken. Dem

brutalen Kerl, der sich mir nun näherte, schickte ich wütende Blicke entgegen. „Verziehe
dich“, befahl ich ihm. „Bei uns jagt man keine kleinen Mädchen. Verschwinde!“

Der Kerl streckte eine schmutzige Hand nach der Kleinen aus. Ich stellte mich gegen ihn

und legte die Hand auf den Griff meines Dolches.

„Du... du Trockenstädter.“ Der Kerl begann ein Geheul, und ich hielt den Atem an. Woll-

te ich nicht alles aufs Spiel setzen, was ich bis jetzt erreicht hatte, mußte ich schnellstens
verschwinden.

Aber ich war nicht vernünftig, sondern zog meinen Dolch und holte drohend aus. „Ver-

schwinde!“ fauchte ich den Kerl an.

„Trockenstädter!“ Das klang aus seinem Mund wie eine Beleidigung, und seine Augen

wurden zu Schlitzen. „Sohn des Affen! Erdling!“

„Terraner!“ Jemand nahm den Ruf auf. Die Straße war plötzlich belebt. Menschliche und

nichtmenschliche Gestalten huschten von allen Seiten heran.

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43

TERRA ASTRA

Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich konnte es nicht glauben, daß ich mich als

Terraner verraten hatte. Der große Kerl bediente sich nur der Taktik, eiligst einen Aufruhr zu
entfesseln, aber ich sah mich schnell nach einem Fluchtweg um.

„Hai-ai! Erdlang! Hai-ai!“

Dieser Ruf versetzte mich in Angst, denn am Ende der Straße erkannte ich die federnden

Gestalten von Ya-Männern, die aus Rauchwänden heraustraten. Die Menge verzog sich.

Ich durfte mich nicht bei der Überlegung aufhalten, daß Rakhal also doch nicht bei den

Feuern sein konnte, wie mein Informant mir berichtet hatte. Ich mußte eine rasche Entschei-
dung treffen. Ich wirbelte herum, klemmte mir das Mädchen unter den Arm und rannte direkt
auf die Ya-Männer los.

Niemand folgte mir. Ich hörte das bellende, schrille Heulen der Ya-Männer, und ich tauch-

te, als ihre Federn nur noch wenige Schritte von mir entfernt waren, in ein Seitengäßchen,
stolperte über irgendwelches Gerümpel und ließ das Kind fallen. „Lauf, Kleine!“ rief ich.

Sie schüttelte sich wie ein aus dem Wasser gezogenes Hündchen, und ihre dünnen Finger-

chen schlössen sich wie eine Stahlfessel um mein Handgelenk. „Hierher“, flüsterte sie mir
zu und zog mich zum Ende des Gäßchens in den Schutz des Straßenschreines.

„Stelle dich ganz nahe zu mir auf diesen Stein...“ Erschreckt wich ich zurück. „Nicht

streiten!“ drängte sie. „Komm hierher!“

„Hai-ai! Erdung! Da ist er!“

Die Arme der Kleinen flogen um meinen Hals, und ich spürte ihr zartes Körperchen, das

sich an mich drängte und mich buchstäblich auf die Steine im Mittelpunkt des Schreines
schob.

Die ganze Welt schien sich um mich zu drehen, ich schwebte hinunter in ein immer weiter

werdendes Loch. Ich flog, überschlug mich und stürzte durch wirre Muster aus Licht und
Schatten. Der bellende Schrei der Ya-Männer verklang in unvorstellbaren Fernen, und für
eine Sekunde fühlte ich eine erbarmungslose Leere. Aus meiner Nase strömte das Blut.

11.

Licht blendete mich.

Ich stand fest auf meinen Füßen im Straßenschrein, aber die Straße war nicht mehr da.

Weihrauchwolken hingen in der Luft. Der Krötengott hockte in seiner Nische. Das Mädchen
hing schlaff in meinem Arm. Ich taumelte, als der Boden unter meinen Füßen zur Wirklich-
keit wurde, und nun spürte ich auch das Gewicht des Mädchens.

„Gib sie mir“, sagte eine Stimme, und jemand hob die Kleine von meinen Armen. Eine

starke Hand griff nach meinem Ellbogen. Unter meinen Knien fühlte ich einen Stuhl. Dank-
bar ließ ich mich darauf fallen.

„Bei diesen Entfernungen ist die Transmission noch ein wenig mangelhaft“, bemerkte die

Stimme. „Ich sehe schon, Miellyn ist wieder ohnmächtig geworden. Ein Schwächling, dieses
Mädchen, aber sehr nützlich.“

Ich war in einem Raum, dessen Wände aus durchscheinendem Material bestanden, aber

er hatte keine Fenster. Über mir war ein Glasdach, durch das rosafarbenes Tageslicht fiel.
Tageslicht? In Charin war es Mitternacht gewesen! Ich war also in Sekunden um den halben
Planeten gekommen.

Von irgendwoher hörte ich feines Hämmern. Ich sah auf und bemerkte, daß ein Mann - ein

Mann? - mich beobachtete.

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Das Weltraumtor

44

Er oder es war groß und mager, von menschenähnlicher Gestalt, aber mit merkwürdigen

Muskeln und einer seltsam gebückten Haltung.

Ähnlich den Menschen trug er grüne, enge Hosen und ein Hemd aus grünem Pelz. Die

Schultern waren hoch, der Hals sah ungewöhnlich sehnig aus, und das Gesicht wirkte arro-
gant.

Er trug das Mädchen zu einem Diwan und hob die Hand. Sofort hörte das Hämmern auf.

„Jetzt können wir sprechen“, sagte der Nichtmensch.

Er sprach Shainsa mit besserem Akzent, als ich es je von einem Nichtmenschen gehört

hatte. Ich mußte noch einmal genauer hinsehen, um mich zu überzeugen, daß ich tatsächlich
einen Nichtmenschen vor mir hatte. Ich antwortete mit einigen Fragen:

„Was ist geschehen? Wer bist du? Und wo sind wir?“

Der Nichtmensch kreuzte seine Hände. „Du darfst Miellyn nicht tadeln“, sagte er. „Sie

hat nach Anweisung gehandelt. Es war dringend nötig, dich heute hierher zu bringen, und
wir hatten Grund zur Annahme, daß du unserem Ruf nicht folgen würdest. Du warst so
geschickt, für einige Zeit unserer Überwachung zu entschlüpfen. Aber in Charin gibt es
heute keine zwei Trockenstädter, die dem Geisterwind trotzen. Dein Ruf wird dir gerecht,
Rakhal Sensar.“

Schon wieder Rakhal! Erschüttert zog ich ein Tuch aus meiner Tasche und wischte das

Blut von meinem Mund. In Shainsa hatte ich begriffen, weshalb mein Fehler logisch war. In
Charin war ich Rakhals alten Spuren gefolgt. Und jetzt wurde ich wieder mit ihm verwech-
selt. Es erschien mir fast natürlich.

Und ich wollte es auch nicht leugnen. Waren dies Rakhals Feinde, dann konnte ich meine

wahre Identität als As im Ärmel behalten, so daß ich - vielleicht! - mit dem Leben davonkam.
Und waren es seine Freunde - nun, dann konnte ich nur hoffen, daß keiner, der ihn genau
kannte, mir über den Weg lief.

„Wir wissen“, fuhr der Nichtmensch fort, „daß der Terraner Cargill dich hätte verhaften

lassen, wärst du dort geblieben, wo du warst. Wir kennen deinen Zwist mit Cargill, aber wir
hielten es nicht für zweckmäßig, dich jetzt in seine Hände fallen zu lassen.“

Das war mir ein Rätsel. „Ich verstehe nicht recht“, sagte ich. „Wo bin ich nun eigentlich?“

„Das ist der Hauptschrein von Nebran.“

Der Krötengott...

Ein paar Teile des Puzzles fielen auf die richtigen Plätze. Kyral hatte mich gewarnt, obwohl

er nicht wußte, daß er es tat. Eiligst plapperte ich ein paar Worte eines uralten Zaubers.

Ich befand mich also im Hauptschrein des Gottes Nebran, und das Ding, das mich hier-

hergebracht hatte, war zweifellos das funktionierende Modell eines Materietransmitters.

Dieser Begriff löste Erinnerungen in mir aus. Rakhal war doch dahinter her. „Und wer bist

du, Lord?“ fragte ich. Das grüngekleidete Wesen hob zeremoniös die Schultern. „Ich heiße
Evarin und bin der demütige Diener Nebrans und der deine.“ Demütig war er aber bestimmt
nicht. „Man nennt mich den Spielzeugmacher.“

Evarin. Gerüchte gaben diesem Namen Gewicht. Ein wenig Klatsch am Diebesmarkt. Ein

auf schmutziges Papier gekritzeltes Wort. Ein leerer Ordner im terranischen Nachrichten-
dienst. Ein Stück des Puzzles, das auf seinen Platz gefallen war. Der Spielzeugmacher.

Plötzlich setzte sich das Mädchen auf dem Diwan auf und strich sich über das unordent-

liche Haar. „War ich ohnmächtig, Evarin?“ fragte sie. „Ich mußte mit ihm kämpfen, um ihn
in den Schrein zu bekommen, und das Muster war noch nicht gesetzt. Du mußt einen der

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TERRA ASTRA

Kleinen schicken, um es in Ordnung zu bringen. Spielzeugmacher, du hörst mir ja gar nicht
zu.“

„Höre auf zu plappern, Miellyn“, gebot ihr Evarin gleichgültig. „Du hast ihn gebracht, und

nur das ist wichtig. Du bist doch nicht verletzt?“

Miellyn zog eine Schnute und sah auf ihre nackten Füße herunter. „Meine armen Füße“,

klagte sie. „Ganz blau und schwarz sind sie von den groben Steinen, und mein Haar ist voll
Sand und Unrat! Spielzeugmacher, ist das eine Art, mich nach einem Mann zu schicken?
Sähe ich hübsch aus, käme jeder sofort mit mir, aber du hast mich in Lumpen weggeschickt!“

Sie stampfte mit dem Fuß auf. Mir wurde klar, daß sie durchaus nicht so jung war, wie

sie auf der Straße ausgesehen hatte. Nach terranischen Begriffen war sie unterentwickelt und
unreif, aber für eine Frau aus den Trockenstädten hatte sie eine hübsche Gestalt. Ihr Haar
war wie gesponnenes Glas, und nun sah ich, was die Verwirrung in der schäbigen Straße mir
verborgen hatte.

Sie war jenes Mädchen aus dem Raumhafencafe, jenes Mädchen, das in den Geisterstraßen

von Canarsa aufgetaucht und wieder verschwunden war. „Nun, lauf schon und mache dich
wieder schön, du kleiner Nichtsnutz!“ sagte Evarin.

Das Mädchen tanzte hinaus, und ich war darüber froh. Der Spielzeugmacher winkte mir

zu. „Hierher“, sagte er und führte mich durch eine andere Tür. Das klingelnde Hämmern,
das ich vorher gehört hatte, begann wieder, und wir gelangten in einen Werkraum, der mich
an halbvergessene Märchen aus meiner Kindheit erinnerte, denn die Arbeiter waren winzige,
knorrige Trolle!

Es waren Chaks von den Polarbergen, zwergenhaft, pelzig und halbmenschlich mit hexen-

haften Gesichtern und großen goldenen Augen. Mir war, als müsse ich den kleinen Spiel-
zeugverkäufer unter ihnen finden können, aber ich suchte ihn nicht, denn ich hatte das Ge-
fühl, meine Lage sei auch so schon heikel genug.

Ich konnte es mir nicht versagen, manchen verstohlenen Blick auf die Werkbänke der

Männchen zu werfen, als ich Evarin folgte. Ein verhutzelter Gnom setzte einem Miniatur-
hündchen Edelsteinaugen in den Kopf. Pelzige Fingerchen fertigten aus kostbaren Metallen
hauchzartes Filigran für den Kragen eines Tanzpüppchens. Metallische Federn wurden in die
Schwingen eines beweglichen Vögelchens eingesetzt, das nicht länger war als einer meiner
Fingernägel. Spielzeug? Daran zweifelte ich. „Hierher“, sagte Evarin, und hinter uns schloß
sich eine Tür. Er lächelte mich an, denn mein Gesicht mußte einige Neugier verraten. „Jetzt
weißt du, Rakhal, weshalb man mich den Spielzeugmacher nennt. Ist es nicht seltsam? Der
Oberpriester des Gottes Nebran - ein Spielzeugmacher? Der Schrein des Gottes eine Werk-
statt für Kinderspielzeug?“

Am liebsten hätte ich ihm gesagt, daß ich das Zeug nicht für Kinderspielzeug hielt, aber

ich ging ihm schließlich doch nicht in die Falle. Evarin schob eine Wandverkleidung zur
Seite und nahm ein Püppchen heraus.

Es war kaum länger als mein Mittelfinger und wies die genauesten Proportionen einer Frau

auf, die sich denken ließen. Es war in der bizarren Mode der Tanzmädchen von Ardcarran
gekleidet. Er setzte das Figürchen auf die Füßchen, und ohne daß er einen Knopf drückte
oder sonst etwas Sichtbares tat, begann das Püppchen sich in einem raschen, wirbelnden
Tanz zu drehen.

„Ich bin, in einem gewissen Sinn wenigstens, ein Wohltäter“, murmelte Evarin. Er schnipp-

te mit den Fingern, und das Püppchen sank zu einem tiefen Knicks auf die Knie. „Und, was
noch wichtiger ist, ich habe die Möglichkeit, meine Phantasie spielen zu lassen.

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Das Weltraumtor

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Die kleine Tochter des Präsidenten der Handelsstädte auf Samarra erhielt vor kurzem eine

solche Puppe. Wie schade, daß Paolo Arimengo plötzlich angeklagt und verbannt wurde!“
Der Spielzeugmacher schnalzte mit der Zunge. „Vielleicht wird dieser kleine Spielzeugka-
merad die junge Carmela für ihre neue... Lage entschädigen.“ Er stellte das Tanzpüppchen
zurück und nahm ein Karussell heraus, das sich in einem Wirbel bunter Lichter und Schat-
ten drehte. Plötzlich wurde mir klar, was dieses Ding tat. Waren Sekunden oder Minuten
vergangen? Hatte Evarin gesprochen?

Er hielt mit einem Finger die Bewegung an. „Einige dieser Spielsachen sind für Kinder

wichtiger Männer bestimmt“, sagte er. „Ein kleiner Wertersatz für unsere ausgebeutete und
verarmte Welt. Leider sind sie vielleicht ein wenig... zu deutlich. Die nervösen Zusammen-
brüche mindern die Verkaufszahlen. Die Kinder sind davon natürlich nicht betroffen und
lieben sie sehr.“ Er setzte das hypnotische Rädchen wieder in Bewegung, warf mir einen
Blick aus den Augenwinkeln zu und stellte es weg.

„Und jetzt sprechen wir also über Geschäfte“, meinte er mit seidiger Stimme, die fast dem

Schnurren einer Katze glich.

Er hatte etwas in seiner Hand versteckt, doch ich glaubte nicht, daß es eine Waffe sein

könnte.

„Vielleicht möchtest du wissen, wie wir dich gefunden haben?“ fragte er. Eine Wandplatte

wurde plötzlich durchscheinend. Flackernde Lichter wurden zu einem normalen Fernsehbild
des Cafes zu den Drei Regenbogen in der Handelsstadt von Charin.

Allmählich war ich gar nicht mehr neugierig, und erst sehr viel später überlegte ich mir,

wie Fernsehbilder um die Planetenkrümmung übertragen werden konnten. Evarin stellte das
Bild schärfer ein, und nun sah ich einen großen Mann in Terranerkleidung, der mit einem
fahlhaarigen Mädchen sprach. „Race Cargill ist inzwischen zu der Ansicht gekommen, daß
du in seine Falle gegangen und in die Hände der Ya-Männer gefallen bist. Jetzt paßt er nicht
mehr auf.“

Und plötzlich erschien mir die ganze Sache so unerträglich und unlogisch spaßig, daß

ich alle Mühe hatte, ein unkontrollierbares, gefährliches Lachen zurückzuhalten. Seit ich
in Charin angekommen war, hatte ich mir die größte Mühe gegeben, die Handelsstadt zu
meiden. Und Rakhal, der das mindestens ahnen mußte, hatte die von mir hinterlassene Lücke
ganz passend aufgefüllt; er gab sich als Cargill aus.

Das war gar nicht so schwierig, wie es aussah. In Shainsa war mir das klargeworden.

Charin ist von Kharsa ziemlich weit entfernt, und ich hatte dort oder im Umkreis von etlichen
hundert Meilen keinen Freund, der mich so gut kannte, daß er meinen „Ersatz“ erkennen
konnte. Die paar, mit denen ich vor zehn Jähren gearbeitet oder auch gefeiert hatte, mußten
mich schon lange vergessen haben.

Rakhal konnte, wenn er wollte, die terranische Standardsprache perfekt sprechen. Bedien-

te er sich des Idioms der Trockenstädte, so tat er das auch auf meine Art, oder vielmehr, ich
hatte sie von ihm gelernt. Wahrscheinlich verkörperte er mich wesentlich besser als ich mich
selbst.

„Cargill hatte die Absicht, den Planeten zu verlassen“, fuhr Evarin fort. „Was hielt ihn

davon ab? Du könntest uns von Nutzen sein, Rakhal. Aber erst dann, wenn diese Blutfehde
aus der Welt geschafft wurde.“

Das war verständlich. Kein vernünftiger Wolfianer würde mit einem Trockenstädter han-

deln, von dem eine unerledigte Blutfehde bekannt ist.

„Wir wollen sie endgültig erledigen.“ Evarins Stimme war absolut ruhig und drückte keine

Eile aus. „Dieser Cargill kann als Trockenstädter gehen und hat es auch getan. Er wurde

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TERRA ASTRA

nicht entlarvt. Erdenmenschen, die das zu tun vermögen, lieben wir nicht. Wenn wir deine
Blutfehde beenden, so hilfst du uns, und wir schalten eine Gefahr aus. Wir wären... dankbar.“

Er öffnete seine Hand und zeigte mir ein kleines, zusammengerolltes Ding. „Jedes leben-

de Wesen sendet ein charakteristisches Muster elektrischer Nervenimpulse aus. Wir haben
eine Möglichkeit, diese Impulse zu registrieren, und wir hatten dich und Cargill lange Zeit
unter Beobachtung. Wir hatten viele Möglichkeiten, dieses Spielzeug mit Cargills Muster zu
verschlüsseln.“ Das Ding in seiner Hand bewegte sich und breitete Schwingen aus. Ein win-
ziger, atmender, geduckter Vogel lag da. Halb verborgen in einem flaumigen, metallischen
Federtuff erkannte ich einen langen Geierschnabel.

„Für dich ist das hier nicht gefährlich“, erklärte er. „Du brauchst nur das hier zu drücken“

- er zeigte es mir - „und wenn Race Cargill in der Nähe ist, wird der Vogel ihn finden und ihn
töten. Er läßt keine Spur zurück, und der Tod ist unausbleiblich und unauffällig. Die kritische
Entfernung brauchen wir dir gar nicht zu sagen. Drei Tage hast du Zeit.“

Mit einer Handbewegung schnitt er meinen Protest ab. „Natürlich ist das nur ein Test.

Innerhalb einer Stunde wird Cargill gewarnt. Wir wollen keine Dummköpfe, denen man
überall helfen muß, Feiglinge aber erst recht nicht. Hast du keinen Erfolg, oder wird der
Vogel in zu großer Entfernung freigelassen oder umgehst du den Test...“ - seine grünen,
nichtmenschlichen Augen waren voll Bosheit - „dann haben wir einen anderen Vogel bereit.“

Mein Gehirn schwamm allmählich, aber ich begann auch die nichtmenschliche Logik zu

begreifen, die hinter allem steckte. „Der andere Vogel ist dann also mit mir verschlüsselt?“
fragte ich. Fast verächtlich schüttelte Evarin den Kopf. „Mit dir? Nein! Du bist an die Gefahr
gewöhnt und ein Spieler. So einfach ist das alles nicht! Wir haben dir drei Tage Zeit gelassen.
Wenn innerhalb dieser Zeit dieser Vogel, den du bei dir hast, nicht getötet hat, dann lassen
wir den anderen fliegen. Und dieser wird töten, verlaß dich darauf. Rakhal, du hast eine
Frau.“

Ja, Rakhal hatte eine Frau. Natürlich konnten sie Rakhals Frau bedrohen. Sie war meine

Schwester Juli.

Alles, was dann kam, war schiere Liebenswürdigkeit. Ich mußte natürlich mit Evarin trin-

ken und jenes Ritual vollziehen, ohne das kein Geschäft auf Wolf abgeschlossen wird.

Miellyn tanzte in den Raum und störte das ein wenig düstere Ritual dadurch, indem sie

sich auf meine Knie setzte, aus meinem Glas trank und wie ein entzückendes Kind schmollte,
als ich ihr nicht genug Aufmerksamkeit schenkte, denn sie wisperte mir etwas von einem
Rendezvous in den Drei Regenbogen zu.

Endlich war alles vorüber, und ich trat durch eine Tür, die ins Nichts zu führen schien.

Ich fand mich wieder vor einer kahlen, fensterlosen Wand in Charin, und der Nachthimmel
über mir war kalt und lichtlos. Schließlich fand ich zurück zu jenem schäbigen Chak-Hotel,
in dem ich ein Zimmer gemietet hatte, und ließ mich auf das harte Bett fallen.

Man mag es glauben oder nicht - ich schlief.

12.

Eine Stunde vor Einbruch der Dämmerung wachte ich von einem Lärm in meinem Zim-

mer auf und griff sofort nach meinem Dolch. Jemand oder etwas machte sich unter meiner
Matratze zu schaffen, wo ich Evarins Vogel versteckt hatte. Ich schlug zu, traf etwas Warmes
und Atmendes und rang mit dem Wesen. Etwas Faulriechendes griff mir an den Mund. Ich
zerrte daran und stieß mit dem Dolch zu. Ein schriller Schrei, der Griff an meinem Mund
lockerte sich, und etwas starb auf dem Boden.

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Das Weltraumtor

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Ich machte Licht. Mich würgte es. Menschlich war dieses Wesen nicht gewesen.

Der Chak, dem das Hotel gehörte, kam schimpfend gerannt, er kündigte mir sofort. Strei-

ten nützte nichts, also fischte ich Evarins Spielzeug heraus.

Der Chak sah gerade noch die Stickerei an dem Seidenanzug, in das der Vogel gewickelt

war, und wich zurück. Ich suchte meine paar Habseligkeiten zusammen und wollte ihm im
Vorbeigehen ein paar Münzen in die haarige Hand drücken, doch er wollte sie nicht anrühren.
Ich legte sie auf eine Truhe, und als ich auf die Straße hinausging, flogen sie hinter mir drein.

Ich wickelte das Spielzeug aus; es lag ruhig und unschuldig aussehend auf meiner Hand-

fläche. Wenn ich das Knöpfchen drückte, ging die Komödie der Irrungen weiter, bis Rakhal
gefunden und erledigt war. Dann hatte ich vielleicht für eine Weile Ruhe, bis Evarin entdeck-
te, was geschehen war. Ich war mir schließlich darüber klar, daß weitere Verwechslungen in
Zukunft kaum mehr möglich waren.

Aber der Vogel konnte sich auch gegen mich wenden, wenn er in den falschen Rakhal

verschlüsselt war. Dann war ich aller Sorgen für immer ledig. Tat ich nichts und ließ ich die
Frist von drei Tagen verstreichen, dann ließ Evarin den anderen Vogel fliegen, der Juli einen
raschen, aber ziemlich schmerzhaften Tod bereiten würde.

Den größten Teil des Tages verbrachte ich in einer Chak-Kneipe und schmiedete Pläne.

Spielzeug und Spione - Spielzeug, das grausam tötete. Spielzeug, das vielleicht von einem
nichtsahnenden Kind gelenkt wurde; und viele Kinder hassen dann und wann einmal ihre
Eltern.

Wer war selbst in der Kolonie der Terraner sicher? Einer von Magnussons Kindern sogar

hatte so ein glänzendes Ding, das durchaus aus Evarins höllischer Werkstatt stammen konnte.
Oder dachte ich schon wie die abergläubischen Trockenstädter?

Verdammt, auch ein Evarin war nicht unfehlbar! Er hatte mich ja nicht einmal als Race

Cargill erkannt. Oder - mir brach bei diesem Gedanken der Schweiß aus - hatte er mich doch
erkannt? War die ganze Sache nur ein tödlicher, unverständlicher nichtmenschlicher Witz
gewesen?

Juli war jedenfalls in Gefahr, wenn auch eine halbe Welt von mir entfernt. Rakhal befand

sich hier in Charin. Und es ging auch um Julis Kind. Ich mußte zuerst einmal einen Zugang
zur Kolonie der Terraner finden und die Lage auskundschaften.

Die Stadt Charin hatte die Form eines Halbmondes, in dessen Biegung sich die kleine

Handelsstadt schmiegt. Sie kann man nur durch ein strengbewachtes Tor betreten, da Charin
von feindlichem Land umgeben ist. Aber die Tore standen weit offen, und die Posten sahen
gelangweilt drein.

Ich weiß, daß ich einen recht abgerissenen Eindruck machte, als ich zum Tor kam und

um Einlaß bat. Man fragte mich nach Namen und meinen Geschäften, und ich spielte schon
mit dem Gedanken, mich als Rakhal auszugeben. Doch dann beschloß ich, jenen Namen zu
verwenden, den ich seit Kharsa trug, und hängte noch ein Paßwort des Secret Service daran.

„Rascar, eh?“ meinte der eine Posten. „Das ist der Bursche.“ Er nahm mich in den Wach-

raum neben dem Tor mit, während der andere zur Sprechanlage ging. Wenig später führte
man mich ins Gebäude des Hauptquartiers und zu einem Büro, an dessen Tür LEGAT stand.

Es war nicht ganz einfach, ruhig zu bleiben. Mir schien, ich war schon wieder einmal in

eine Falle getappt. „Na schön“, fragte mich ein Posten, „und was hast du nun wirklich hier
zu suchen?“

„Verbinde mich sofort direkt mit Magnussons Büro im Zentralhauptquartier“, bat ich. „Vi-

deo.“ Kannte Mack den Namen, den ich in Shainsa benutzt hatte? Vielleicht nicht. „Mein
Name ist Race Cargill“, fügte ich daher hinzu.

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49

TERRA ASTRA

Der Posten grinste, rührte sich aber nicht. „Das ist er schon“, sagte er zu seinem Kamera-

den, legte mir die Hand auf die Schulter und drehte mich herum. „Verschwinde!“ rief er.

Die Leute von der Spaceforce werden nicht nach ihrem guten Aussehen herausgesucht,

die Posten schon gar nicht. Trotzdem erzählte ich dem Mann einiges, und schließlich wurde
eine Innentür aufgerissen, und eine wütende Stimme fragte, wozu denn dieser Lärm gut sein
solle.

„Dieser Tagedieb aus den Trockenstädten wollte, daß wir Magnusson, den Chef in der

Zentrale, dringend anrufen. Er kennt sogar ein paar Paßworte. Damit kam er durch das Tor.
Aber wir wissen ja, daß Cargill uns gewarnt hat, es würde einer kommen, der sich als Cargill
ausgibt.“

„Ja, das weiß ich“, erwiderte der andere, und seine Augen waren mißtrauisch und kalt.

„Du verdammter Idiot“, schrie ich. „Magnusson wird mich identifizieren. Ich bin der rich-

tige Race Cargill.“

Der mit den mißtrauischen Augen war der Legat, und er schüttelte den Kopf, als einer der

Posten vorschlug, man solle mich doch als verdächtig festhalten. „Nicht der Mühe wert“,
meinte er. „Cargill sagte doch, es sei eine Privatangelegenheit. Durchsucht ihn nach verbo-
tenen Waffen.“

Ich schrie, als sie begannen, die Seidenhülle des Spielzeuges abzuwickeln. Der Legat dreh-

te sich zu mir um und sagte zu den anderen: „Seht ihr denn nicht, daß es ein religiöses
Amulett des Krötengottes ist? Laßt das Zeug in Ruhe.“ Murrend gaben mir die Posten das
Päckchen zurück. „Gebt ihm sein Messer wieder und bringt ihn zum Tor“, befahl der Legat,
„aber vergewissert euch, daß er nicht noch einmal zurückkommt.“

Sie zerrten mich zum Tor, und ich flog in den Staub der Straße hinaus. Die erste Runde

konnte also Rakhal für sich buchen. Seine Falle war recht geschickt gesetzt gewesen.

Die Straße war schmal und wand sich zwischen Kieselhäusern hindurch, und der rote

Mittag war voll dunkler Schatten. Ziellos lief ich herum. Mindestens eine Tür hatte ich hinter
mir zugeschlagen.

Warum hatte ich nicht darauf bestanden, Race Cargill zu sehen und meine Fingerabdrücke

vergleichen zu lassen? Ich konnte meine Identität beweisen, aber Rakhal nicht. Ich hätte ihn
mindestens dazu herausfordern müssen. Aber sein Schachzug war so geschickt angelegt, daß
es mir kaum gelingen konnte, auf Beweisen zu bestehen.

Ich betrat eine Weinkneipe und ließ mir den grünlichen Bergbeerenlikör bringen, den ich

langsam trank. Ich hatte nur wenig Geld in den Taschen, und Juli konnte ich über Video nur
aus der Terranerzone warnen; also mußte ich den Gedanken aufgeben.

Miellyn. Sie hatte mit mir geflirtet und war vielleicht ansprechbar. Sie konnte zwar auch

eine Falle sein, aber das Risiko mußte ich eingehen. Ich konnte von ihr wenigstens etwas
über Evarin erfragen.

Das Päckchen in meiner Tasche mit dem Vogel quälte mich. Die Versuchung, diesen Knopf

zu drücken, war groß, denn damit würde wenigstens etwas in Gang kommen.

Nach einer Weile bemerkte ich, daß der Besitzer der Kneipe auf die seidene Hülle starrte.

Er zog sich ängstlich zurück. Ich hielt ihm eine Münze entgegen, doch er schüttelte den
Kopf. „Alles, was wir haben, steht zu deiner Verfügung“, sagte er. „Nur gehe weg, bitte.
Gehe schnell!“

Die Münze rührte er nicht an. Ich schob den Vogel wieder in die Tasche, fluchte und ging.

Als die Dämmerung begann, wußte ich, daß mir jemand folgte. Zuerst hatte ich mit einem

Blick aus dem Augenwinkel heraus festgestellt, daß mir der Zufall ein wenig zu häufig diesen

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Das Weltraumtor

50

Kopf über den Weg schickte. Dann hörte ich einen Schritt in unverkennbarem Rhythmus.
Tap-tap-tap.

Ich hatte meinen Dolch griffbereit, doch ich ahnte, daß sich das, was sich abzeichne-

te, nicht mit einem Dolch erledigen ließ. Ich duckte mich in eine Seitengasse und wartete.
Nichts.

Ich ging weiter und lachte mich selbst aus.

Dann war wieder der Schritt hinter mir.

In einem Seitengäßchen blieb ich schwer atmend stehen. „Bist du einer von uns, Bruder?“

hörte ich eine Stimme fragen.

Ich murmelte etwas im selben Dialekt, und eine beruhigend menschliche Hand legte sich

um meinen Ellbogen. „Hierher, bitte.“

Ich ließ mich führen. Sobald ich wieder zu Atem kam, wollte ich mich entschuldigen, weil

ich nicht derjenige war, den man in mir vermutete, aber dann hörte ich am Ende der Straße
wieder diesen Schritt. Tap-tap-tap, tap-tap-tap.

Ich zog eine Falte meines Hemdmantels über das Gesicht und folgte meinem unbekannten

Führer.

13.

Ich stolperte über Stufen und fand mich schließlich in einem Raum wieder, der mit dunklen

Gestalten, Menschen und Nichtmenschen, vollgestopft war. Sie schwankten hin und her und
sangen dazu in einem Dialekt, der mir nicht vertraut war, eine monotone, klagende Melodie,
in der nur immer ein Wort vorkam: „Kamaina! Kama-ainia!“

Ich prallte zurück, denn sogar die Trockenstädter verachteten die Riten des Kamaina-

Kults.

Mein Führer hielt mich am Arm fest, als er bemerkte, daß ich mich unauffällig zurückzie-

hen wollte. Ich konnte also meinen Rückzug nicht erzwingen, denn das hätte unliebsames
Aufsehen erregt.

Allmählich gewöhnten sich meine Augen an das trübe Licht, und ich stellte fest, daß der

größte Teil der Anwesenden Chaks und Menschen aus der Ebene von Charin waren. Alle
drängten sich um halbmondförmige Tische und starrten in ein Licht; ich sah auch einen
leeren Platz an einem der Tische, an dem der Boden sehr weich war, als sei er mit Kissen
ausgelegt.

Auf jedem Tisch brannte ein kleines Licht. Neben mir kniete ein sehr junges Chak-Mädchen,

dessen Hände gefesselt waren. Sie wisperte mir etwas zu, doch ich verstand den Dialekt
kaum. Andere Chaks grunzten mahnend, und das Mädchen schwieg.

Auf allen Tischen standen Becher und Krüge, und eine Frau goß eine blaßfarbene, phos-

phoreszierende Flüssigkeit in einen Becher, den sie mir reichte. Ich nippte daran; das Getränk
war kalt, angenehm und leicht süß. Erst beim zweiten Schluck wußte ich aber, was es war,
schluckte die Flüssigkeit nicht hinunter, sondern spuckte sie unauffällig aus. Es war shall a
van
, das auf allen von Terranern besetzten Planeten verboten war.

Der ganze Raum kam mir mit jeder Minute mehr wie ein Alptraum vor. Plötzlich flammte

ein purpurnes Licht auf, und jemand schrie in höchster Ekstase: „Na ki na Nebran n’hai
Kamaina!“

Im Chor schrien alle zur Antwort: „Kamayeeeena!“

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51

TERRA ASTRA

Im Strahlenglanz bunter Lichter sah ich Evarin stehen. Hinter ihm gähnte Dunkelheit. Ich

wartete, bis der Glanz ein wenig verblaßte, und versuchte an ihm vorbei im Dunkel etwas zu
erkennen. Es war ein schlimmer Schock.

Eine Frau stand da, die bis zur Taille nackt war. Ihre Hände waren mit Ketten gefesselt,

die musikalisch klirrten, als sie sich steifbeinig wie im Traum zu bewegen schien. Haar wie
schwarzes, gesponnenes Glas fiel ihr über Stirn und Schultern, und ihre Augen waren rot.

Nur sie lebten in dem toten Traumgesicht.

Es war Miellyn.

Evarin sprach in dem Dialekt, den ich kaum verstand. Er warf die Arme in die Höhe.

„Unsere Welt... eine alte Welt...“ Das verstand ich, und dazwischen kreischte der schrille
Chor wieder „Kamayeeeena!“ „... Menschen“, fuhr Evarin fort, „alle Menschen würden uns
zu Sklaven machen... Die Kinder des Affen...“

Ich rieb mir die Augen, um die Wirkung des Schluckes shallavan zu lindern. Ich wußte,

daß über dem Mädchen ein dunkles Verhängnis hing, aber ich hoffte gleichzeitig, daß das,
was ich sah, eine von der Droge herrührende Illusion sein möge. Miellyn stand ruhig da,
doch ihre Augen schienen sich wie in einem Krampf zu bewegen.

Und dann spürte ich, es war wie ein sechster Sinn, daß jemand vor der Tür Stand. Wahr-

scheinlich war ich außer Evarin das einzige Wesen hier im Raum, das nicht unter dem Einfluß
der Droge stand. Aber während meiner Tätigkeit beim Secret Service hatte ich sowieso ei-
ne ganze Anzahl sonstiger Sinne entwickelt. Fünf reichten nicht aus, wenn man überleben
wollte.

Ich wußte, daß jemand die Tür einschlagen wollte, und ich kannte auch den Grund da-

für. Im Auftrag des Legaten war mir jemand gefolgt, hatte mich hier eintreten gesehen und
Verstärkung geholt. Und schon hörte ich eine Stimme brüllen: „Aufmachen im Namen des
Imperiums!“

Der Gesang zerbrach in aufgeregtes Flüstern, und Evarin schwieg. Die Lichter gingen

aus, und ein entsetzliches Gedränge begann. Ich arbeitete mich mit Knien, Schultern und
Ellbogen vorwärts.

Und dann gähnte nur noch eine dämmrige Leere; ich sah einen Streifen Sonnenlicht, ein

Fleckchen Himmel und wußte, daß Evarin ins Irgendwohin verschwunden war. An der Tür
schien ein ganzes Regiment der Spaceforce zu rütteln. Ich kämpfte mich zu dem Schimmer
kleiner Sterne durch, der Miellyns Diadem war, und berührte sie. Ihre Haut war eiskalt.

Ich packte das Mädchen und zog es mit mir. Ich wußte, daß jedes Gebäude auf Wolf

geheime Ausgänge hat, und ich wußte auch, wo sie zu suchen waren. Und im nächsten
Augenblick stand ich, Miellyn in meinen Armen, in einem langen, düsteren Korridor.

Ich rannte vorwärts und kam zu einer Tür, die sich auf eine dunkle, friedliche Straße

öffnete. Ein einziger Mond hing über den Hausdächern. Ich stellte Miellyn auf die Beine,
doch sie stöhnte nur und fiel gegen mich. Ich legte meinen Mantel um ihre nackten Schultern.
Hinter uns gellte der Lärm. Wir waren offensichtlich gerade noch rechtzeitig entwischt.

Ich hob Miellyn auf meine Schulter. Sie war schwerer, als ich geglaubt hatte. Bald stöhnte

sie und begann um sich zu schlagen; sie schien zu Bewußtsein zu kommen. Ein Stück die
Straße entlang sah ich eine von Chaks geführte Kochstube, die ich früher ganz gut gekannt
hatte. Sie stand in üblem Ruf, und das Essen war miserabel, doch sie war ruhig und die ganze
Nacht hindurch offen.

Das Lokal roch faulig und war sehr rauchig. Ich ließ Miellyn auf eine Couch fallen und

bestellte bei dem schlampigen Kellner zwei Schüsseln Nudeln und Kaffee. Dann gab ich ihm

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Das Weltraumtor

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noch ein paar Münzen und bat ihn, uns allein zu lassen. Er zog die Rolläden herunter und
verschwand.

Ich begann zu essen; Miellyn war noch nicht wieder bei sich. Ich war noch ein wenig von

dem Schluck shallavan benommen, brauchte aber einen klaren Kopf. Noch wußte ich nicht
recht, was ich tun sollte, aber eines war sicher: Ich hatte Evarins rechte Hand, und ich wollte
mich ihrer bedienen.

Die Nudeln waren fett und schmeckten komisch, aber ich aß meine Schüssel leer, denn

sie waren heiß und sättigten. Endlich rührte sich Miellyn, stöhnte und streckte eine Hand
aus, die sie dann auf ihr Haar legte. Ihre Ketten klirrten leise dazu. Die Geste erinnerte mich
ungemein an Dallisa, und jetzt erkannte ich auch die Ähnlichkeit zwischen ihnen.

Sie bemerkte, daß sie sich frei bewegen konnte, setzte sich unvermittelt auf und sah sich

entsetzt und angewidert um.

„Es gab einen ziemlichen Aufruhr“, sagte ich. „Evarin ließ dich im Stich, aber ich brachte

dich heraus. Das, was du jetzt denkst, kannst du ruhig streichen. Ich habe meinen Mantel um
dich gelegt, weil du bis zur Taille nackt warst, und das sah nicht besonders gut aus.“

Zu meiner Überraschung kicherte sie und hielt mir ihre gefesselten Hände entgegen.

„Willst du?“ fragte sie.

Ich nahm ihr die Fesseln ab; sie rieb ihre Handgelenke, die sie zu schmerzen schienen.

Dann zog sie ihre Röcke nach oben, bis sie angemessen bedeckt war, und warf mir meinen
Mantel zu. Ihre Augen waren groß und weich im sanften Licht der flackernden Kerze.

„Oh, Rakhal“, seufzte sie, „als ich dich dort sah...“ Sie setzte sich plötzlich kerzengera-

de auf und schlug die Hände zusammen. Nun klang ihre Stimme merkwürdig kalt. Fast so
wie die Dallisas. „Wenn du von Hyral kommen solltest, dann sage ich dir, daß ich nicht
zurückkehre. Niemals! Das will ich dir jetzt sofort sagen.“

„Ich komme ja nicht von Kyral, und mir ist’s egal, ob du zurückgehst oder nicht. Mir ist

auch egal, was du tust.“ Das stimmt zwar nicht ganz, und ein bißchen verwirrt schob ich ihr
die Schüssel mit den Nudeln zu. „Iß das.“

Sie rümpfte die Nase. „Ich bin nicht hungrig.“

„Iß trotzdem. Du bist ziemlich kräftig gedopt, und das Essen klärt dir den Kopf.“ Ich trank

meinen Becher Kaffee aus. „Was hast du in dieser komischen Scheune getan?“

Unvermittelt warf sie mir die Arme um den Hals, aber ich nahm ihre Hände wieder weg.

„Ich bin einmal darauf hereingefallen, meine Liebe“, sagte ich, „und da landete ich mitten in
einem Dreckhaufen.“

Aber ihre Finger krallten sich in meine Schulter. „Rakhal, ich habe dich zu finden versucht.

Hast du noch den Vogel? Du hast ihn noch nicht fliegen lassen? Oh, bitte, tue es nicht! Du
ahnst ja nicht, was Evarin ist und was er tut. Rakhal, dich darf er nicht auch noch kriegen!
Man sagt, du seist ein ehrlicher Mann, und einmal hast du doch für Terra gearbeitet, nicht
wahr? Die Terraner werden dir glauben, wenn du zu ihnen gehst und ihnen sagst... Rakhal,
nimm mich mit zu den Terranern, damit sie mich vor Evarin schützen.“

Erst versuchte ich ihren Redefluß zu unterbrechen und sie ein wenig auszufragen, aber

dann ließ ich sie reden, bis sie erschöpft schwieg. Ruhig lag sie an meiner Schulter.

„Mädchen“, sagte ich schließlich, „du und dein Spielzeugmacher - ihr irrt euch beide. Ich

bin nicht Rakhal Sensar.“

„Was?“ Sie rückte ein Stück von mir ab und musterte mich angewidert. „Aber wer...“

„Ich bin Race Cargill. Nachrichtendienst von Terra.“

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TERRA ASTRA

Erst starrte sie mich offenen Mundes an, dann lachte sie. Sie schüttete sich förmlich vor

Lachen aus. Zuerst glaubte ich, sie sei hysterisch und starrte sie entgeistert an. Doch dann
erkannte ich in ihr die auf Wolf übliche Mischung von menschlicher und nichtmenschlicher
Bosheit und lachte ebenfalls.

„Cargill“, meinte sie schließlich ein wenig zögernd, „du kannst mich zu den Terranern

mitnehmen, wo Rakhal...“

„Nichts da, Mädchen!“ explodierte ich. „Rakhal muß ich finden, Rakhal!“ Und plötzlich

sah ich zum erstenmal richtig klar. „Ich werde dafür sorgen, daß du beschützt wirst, wenn
ich kann, aber ich fürchte, du bist von der Falle direkt in den Kochtopf marschiert. In Charin
gibt es nicht ein einziges Haus, das mich behalten will.“

Sie nickte. „Ich weiß auch nicht, wie sich die Gerüchte bei den Nichtmenschen so schnell

verbreiten, aber ich denke, sie lesen die Sorgen in einem menschlichen Gesicht, oder sie
können sie riechen.“ Sie legte müde ihr Gesicht in die Hände, und ihr Haar fiel wie ein
Vorhang darüber. Ich nahm eine Hand zwischen die meinen. Es war eine sehr feingliedrige
Hand.

„Was denkst du, Cargill?“ fragte sie, und erstaunt stellte ich fest, daß die frühere Koketterie

aus ihrer Stimme verschwunden war.

„Ich denke an Dallisa“, erwiderte ich wahrheitsgetreu. „Erst dachte ich, du seist ganz

anders als sie, aber jetzt sehe ich, daß ihr einander sehr ähnlich seid.“

„Ja, wir waren Zwillinge“, sagte sie nach einer Weile und fügte nach einer weiteren Pause

hinzu: „Aber sie war immer soviel älter als ich.“ Mehr erfuhr ich nicht darüber, was die
beiden Schwestern so verschieden geformt hatte.

Draußen brach die Dämmerung herein. Miellyn fröstelte. Ich warf einen Blick auf das

juwelenbesetzte Diadem in ihrem Haar. „Du würdest das Ding besser abnehmen und ver-
stecken“, riet ich ihr. „In diesem Viertel von Charin wäre es Grund genug, dich zu verschlep-
pen und zu erwürgen.“ Ich nahm den eingewickelten Vogel aus meiner Tasche und legte ihn
auf den fettigen Tisch. „Weißt du eigentlich, wen dieses Spielzeug da töten soll. Rakhal oder
mich?“

„Von den Spielzeugen weiß ich gar nichts.“
„Über den Spielzeugmacher aber eine ganze Menge, oder?“
„Das dachte ich auch - bis zur vergangenen Nacht.“ Ihr Mund sah nun fast hart aus. Sie

schlug mit der Hand auf den Tisch. „Es ist ja gar keine Religion. Es ist nur eine Tarnung
für Schmuggel, Drogenhandel und andere filzige Dinge. Glaube mir, als ich Shainsa verließ,
dachte ich, Nebran sei die Antwort auf die Art, wie die Terraner uns abwürgten. Aber jetzt
weiß ich, daß es auf Wolf viel schlimmere Dinge gibt als die Terraner. Ich habe von Rakhal
Sensar gehört, und du darfst mir glauben, er ist viel zu anständig, als daß er sich in solche
Dinge wie diese hineinziehen ließe.“

„Dann erzähle mir doch, was hier eigentlich gespielt wird“, schlug ich vor. Viel Neu-

es wußte sie nicht, aber einige der Stücke fielen wieder in meinem großen Puzzlespiel an
die richtigen Plätze. Rakhal suchte den Materietransmitter und einen Zugang zu den nicht-
menschlichen Wissenschaften auf Wolf. Jetzt wußte ich auch, woran mich die Stadt der
Schweigenden erinnert hatte! Und dem Spielzeugmacher war er rein zufällig über den Weg
gelaufen.

Nun begriff ich erst, was Evarin gemeint hatte, als er sagte, ich sei für eine Weile der Über-

wachung entkommen. Vielleicht hatte Cuinn mit je einem Fuß in beiden Lagern gestanden,
hatte für Kyral und Evarin gearbeitet. Der Spielzeugmacher, der Rakhals gegen Terra gerich-
tete Tätigkeit kannte, hatte geglaubt, ihn als wertvollen Verbündeten zu gewinnen, und hatte
Schritte getan, sich seiner Hilfe zu versichern.

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Das Weltraumtor

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Juli selbst hatte mir den Schlüssel geliefert: Er zerbrach Rindys Spielsachen. Aus dem

Zusammenhang gerissen klang das so, als sei ein Wahnsinniger am Werk gewesen, aber
jetzt, nachdem ich Evarins Werkstatt gesehen hatte, sah alles anders aus.

Ich glaubte von Anfang an gewußt zu haben, daß Rakhal Evarins Spiel nicht mitmachte.

Gegen Terra konnte er sich gewandt haben, obwohl ich allmählich auch daran zweifelte,
und umgebracht hätte er mich auch, falls er mich gefunden hätte. Er hätte es aber ohne
Bosheit getan. Töten ohne Bosheit - eine Unmöglichkeit nach terranischen Begriffen, doch
mir leuchtete es ein.

Miellyn hatte den Kopf auf den Tisch gelegt und döste vor sich hin. Mir fiel ein, daß drau-

ßen die Dämmerung des dritten Tages heraufzog, und ich mußte den Vogel fliegen lassen,
ehe der andere in Kharsa den Weg zu Juli fand.

„Dieser Vogel“, sagte ich, „ist in seiner Reichweite beschränkt. Also muß ich seinem Ziel

ziemlich nahe sein. Wenn ich ihn in eine Stahlkiste sperre und in die Wüste bringe, dann
wird er keinem schaden. Könntest du vielleicht den anderen Vogel für mich stehlen?“

Sie hob den Kopf und ihre Augen blitzten. „Was geht mich Rakhals Frau an?“ Sie schien

eifersüchtig zu sein. „Rakhals Frau, dieses Erdenweib... was geht sie dich an?“

Es erschien mir wichtig, ihr die Wahrheit zu sagen, und so erklärte ich ihr, Juli sei mei-

ne Schwester, und tatsächlich verschwand auch etwas von der alten Spannung aus ihrem
Gesicht. „Als ich von eurer Fehde hörte, da glaubte ich, es gehe um diese Frau“, sagte sie.

„Nicht so, wie du glaubst“, erwiderte ich. Sicher, Juli gehörte dazu. Wäre Rakhal ein

Freund Terras geblieben, hätte ich nichts gegen die Heirat einzuwenden gehabt, aber an
unsere eigene Welt hatte ich Juli nie zu fesseln versucht. Jene Jahre in den Trockenstädten
hatten Rakhal und mich fast zu Brüdern werden lassen. Und plötzlich erkannte ich meinen
geheimen Haß, meine geheime Angst. Der Streit ging nicht allein von Rakhal aus.

Ich selbst hatte auf mir unverständliche Weise alles getan, ihn von mir und Terra wegzu-

treiben. Als er ging, verbannte ich auch ein Stück von mir selbst und glaubte, ich könnte
mich damit beschwichtigen, indem ich sagte, es existiere nicht. Jetzt erkannte ich, was ich
uns allen angetan hatte, und wußte, daß ich meine Rachegedanken aufzugeben hatte.

„Es geht immer noch um den Vogel“, sagte ich. Natürlich konnte ich das Ding zerlegen

und meinem Glück vertrauen, daß man sonst auf Wolf mit einem Mechanismus nicht her-
umpfuschte. „Aber erst muß ich Rakhal finden. Lasse ich den Vogel fliegen, und er tötet
ihn, dann ist kein Problem gelöst.“ Nein, Rakhal konnte ich nicht töten; nicht jetzt, denn ich
wußte, daß das Leben für mich dann eine schlimmere Strafe wäre als der Tod. Starb Rakhal,
dann mußte auch Juli sterben, das war mir klar. Tötete ich ihn, dann tötete ich den besten
Teil von mir selbst. Rakhal und ich - wir beide mußten unsere Welten gegeneinander stellen,
sie abwägen und eine neue Basis finden.

„Ich habe jetzt keine Zeit mehr, dich...“ Da fiel mir das Raumhafencafe in Kharsa ein. Dort

war doch ein Straßenschrein, oder - anders ausgedrückt: ein Materietransmitter. Genau dort
vor dem Hauptquartier. All diese Jahre...

„Du weißt doch Bescheid mit diesen Transmittern. Du kannst dorthin gehen, in einer Se-

kunde, oder in zweien.“ Ja, sie konnte Juli warnen und es Magnusson sagen. Aber als ich
ihr das erklärte und ihr sagte, sie komme mit einem Paßwort ganz nach oben, da wurde sie
leichenblaß.

„Alle Wege“, entgegnete sie mir, „müssen über den Hauptschrein gemacht werden.“

Ich dachte eine Weile nach. „Wo wird Evarin jetzt sein?“

Sie zuckte nervös zusammen. „Er ist überall!“

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TERRA ASTRA

„Unsinn! Er ist nicht allgegenwärtig.“

Ich wußte, daß Miellyn ein wenig Aufmunterung und Sicherheit brauchte. „Oder kannst du

mich zum Hauptschrein bringen? Ich könnte Rakhal in Evarins Suchgerät finden.“ Von dem
Gedanken schien sie jedoch nicht begeistert zu sein. „Wenn Evarin dort ist, dann beweise
ich, wie sehr es mit seiner Unfehlbarkeit hapert! Mit einem Dolch in der Kehle... Und hier...“
Ich drückte ihr den eingewickelten Vogel in die Hand. „Hebe du’s auf, ja?“

Sie schob das Päckchen in ihr Kleid. „Das Ding macht mir nichts aus“, meinte sie, „aber

der Schrein...“ Ich stand auf und schob den Tisch weg.

„Gehen wir“, sagte ich. „Wo ist der nächste Schrein?“

„Nein, nein, ich wage es nicht!“

„Du mußt, Miellyn, und es hat keinen Sinn, darüber zu streiten.“

„Wenn du von Nebran wüßtest, was ich weiß, hättest du kein Verlangen, in die Nähe des

Hauptschreines zu kommen!“

„Verdammt, du wirst aber gehen!“ fuhr ich sie an. „Hast du vergessen, daß dich der rasende

Mob in Stücke gerissen hätte, wäre ich nicht gewesen?“

Das wirkte.

Ich schob sie vorwärts. „Komm. Wir gehen dorthin, ehe Evarin hinkommt.“

14.

Draußen auf den Straßen war es taghell, und das Leben in Charin war so trüb und lustlos

wie eh und je. Nur ein paar Männer lungerten herum und machten den Eindruck, als habe
die Sonne ihre Energie ausgedörrt.

Miellyn zitterte, als sie den Fuß auf die gemusterten Steine des Straßenschreines setzte.

„Hast du Angst, Miellyn?“ fragte ich.

„Ich kenne Evarin doch, du nicht. Aber...“ - ihr Mund verzog sich zu einer Karikatur ihrer

alten Bosheit - „ich bin ja in Begleitung eines großen und kräftigen Erdenmannes...“

„Laß das“, brummte ich, und sie kicherte.

„Du mußt dich ein wenig näher zu mir stellen“, meinte sie. „Die Transmitter sind immer

nur für eine Person gedacht.“

„So ungefähr?“ fragte ich, bückte mich und legte die Arme um sie.

„Ja, so ungefähr“, flüsterte sie und drückte sich noch fester an mich. Um meinen Kopf

wirbelte eine seltsame Dunkelheit. Die Straße verschwand. Nach einem Augenblick wurde
der Boden wieder fest, und wir traten in den Hauptschrein.

„Evarin ist nicht hier“, flüsterte Miellyn mir ins Ohr, „aber er kann natürlich jede Sekunde

ankommen.“ Ich hörte ihr nicht zu.

„Wo sind wir denn, Miellyn? Wo auf dem Planeten?“

„Das weiß, glaube ich, nur Evarin. Türen gibt es nicht. Wer hier kommt und geht, benützt

den Transmitter. Dort ist das Prüfgerät. Wir müssen durch die Werkstätte gehen.“

Sie zupfte ihre Kleider zurecht und strich über ihr Haar. „Hast du vielleicht einen Kamm

bei dir?“

Ich hatte ja gewußt, daß sie ein eitles und verwöhntes Ding war, aber das war mir denn

doch zuviel, und ich explodierte. Sie sah mich an, als sei ich nicht ganz bei Trost. „Die
Kleinen, mein Freund, bemerken alles. Du bist natürlich ein grober Kerl, aber wenn ich,

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Das Weltraumtor

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Nebrans Priesterin, so verwahrlost durch ihren Werkraum gehe und aussehe, als hätte ich
eine Orgie in Ardcarran hinter mir...“

Ein bißchen verlegen fummelte ich in meinen Taschen und reichte ihr einen Taschen-

kamm, der schon etliche Zähne eingebüßt hatte. Sie sah ihn ziemlich angewidert an, benützte
ihn aber doch und zog auch ihre Kleider zurecht. Sie befestigte das besternte Diadem wieder
auf ihren Locken, öffnete schließlich die Tür zum Werkraum, und wir gingen durch.

Seit Jahren hatte ich nicht mehr das Gefühl gehabt, daß sich viele tausend Augen in meinen

Rücken bohrten. Es gab hier genug Augen; die runden der nichtmenschlichen Zwerg-Chafcs
und die Juwelenaugen der Spielsachen.

Sie hatte mir vorher aufs Herz gebunden, so zu tun, als hätte ich jedes Recht, dort zu sein,

und ich ging hinter ihr drein mit der Sicherheit eines Menschen, der im nächsten Raum zu
einer geschäftlichen Unterredung verabredet ist. Als sich jedoch die Tür hinter uns schloß,
war ich am ganzen Körper schweißnaß. Auch Miellyn zitterte, und ich legte eine beruhigende
Hand auf ihren Arm.

„Ruhig, Kleine. Wo ist der Sucher?“ Sie berührte eine Wandplatte. „Ich weiß nicht sicher,

ob ich ihn scharf einstellen kann. Evarin hat mir nie erlaubt, ihn zu berühren.“

Das war ja aufmunternd. „Und wie arbeitet das Ding?“
„Es ist ein Adapter an das Transmitterprinzip. Du kannst überallhin sehen, mußt aber nicht

springen. Es ist derselbe Spurensuchermechanismus wie bei den Spielzeugen. Wenn Rakhals
Elektroimpulsmuster bekannt wäre... ah, Moment mal.“ Sie fischte den eingewickelten Vogel
aus ihren Kleidern und wickelte ihn aus. „So kriegen wir heraus, auf wen er verschlüsselt ist.“

Sie schob die Federn des Vögelchens ein wenig zur Seite, das so unschuldig und hübsch in

ihrer Hand lag. Ein winziger Kristall zeigte sich. „Wenn er auf dich verschlüsselt ist, siehst
du dich so darin, als wäre dieser Schirm ein Spiegel. Ist es aber Rakhal...“

Sie berührte den Kristall und brachte ihn an den Schirm. Schneeflockenlichter tanzten

darüber, und plötzlich sahen wir von oben herunter auf den mageren Rücken eines Mannes
in Lederjacke. Langsam drehte er sich um. Ich kannte die Schultern und die Profillinie, die
sich uns langsam zudrehte, und schließlich sah ich das ganze Gesicht, das ebenso von Narben
gezeichnet war wie mein eigenes.

„Rakhal“, murmelte ich. „Versuche das Bild ein wenig weiter einzustellen, Miellyn, damit

wir aus dem Fenster sehen können. Charin ist eine große Stadt. Wenn wir ein Gebäude sehen
könnten, ein Wahrzeichen...“

Rakhals Lippen bewegten sich so, als spreche er mit einer Person außerhalb unseres Su-

cherbildes. „Da“, sagte Miellyn. Ich sah einen großen Pfeiler und etliche Streben, und das
ähnelte einer Brücke. „Das ist die Brücke des Sommerschnees. Jetzt weiß ich, wo er ist,
Miellyn, du kannst abschalten. Wir werden ihn finden.“

Ich drehte mich um, als Miellyn schrie: „Schau!“
Rakhal hatte sich wieder abgewandt, und nun sah ich auch, mit wem er sprach. Eine hoch-

gezogene Schulter, ein sehniger Hals, ein stolzer, nicht ganz menschlicher Kopf...

„Evarin!“ Ich stieß einen Fluch aus. „Er weiß also, daß ich nicht Rakhal bin, wenn er es

nicht schon immer wußte! Komm, Mädchen, wir müssen hier verschwinden!“

Diesmal gaben wir gar nicht mehr vor, normale Besucher zu sein, als wir durch den Wer-

kraum rannten. Halbfertiges Spielzeug starrte hinter uns drein. Spielzeug! Am liebsten hätte
ich hier wie ein Berseker gewütet und alles zerschlagen. Aber wenn wir uns beeilten, konnten
wir Rakhal finden. Und - ein wenig Glück mußten wir dazu haben - Evarin.

Denen wollte ich die Köpfe zusammenstoßen! Mir reichten jetzt die ganzen Abenteuer.

Wir schlugen die Werkraumtür hinter uns zu und schoben einen schweren Diwan davor.

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TERRA ASTRA

Sie stand wieder in der Nische vor dem Krötengott. „Jenseits der Brücke des Sommer-

schnees ist ein Straßenschrein“, erklärte sie mir, „und wir können direkt dorthin kommen.“
Plötzlich drängte sie sich in den Schutz meiner Arme. „Evarin! Er kommt! Schnell!“

Um uns wirbelte der Raum, und dann...

Läßt sich ein Augenblick in Teile aufspalten? Das erscheint kaum möglich, aber so war

es, und alles, was geschah, ereignete sich in weniger als einer Sekunde. Wir landeten im
Straßenschrein. Ich sah die Brückenpfeiler und die über Charin aufgehende Sonne. Dann
umwehte uns die Eisluft der Polarberge. Miellyn klammerte sich an mich. „Bete zu deinen
Erdengöttern, wenn es dort Götter gibt!“ jammerte sie. Sie klammerte sich noch fester an
mich. Sie wußte ja, was sie im Transmitter zu tun hatte, und ich war eigentlich nur Fahrgast.
Der Gedanke, in diesem schwarzen Schrecken abgesetzt zu werden, paßte mir absolut nicht.

Und dann wirbelte wieder die Dunkelheit um uns, und ich sah hinaus auf eine schwarze

Straße mit funkelnden Sternen darüber. „Evarin jagt uns über den ganzen Planeten!“ jam-
merte sie. „Er kann die Kontrollen mit seinem Geist bedienen. Er ist Psychokinetiker. Ich
kenne mich ein bißchen damit aus, habe es aber nie gewagt... Halte dich an mir fest!“

Es war das bizarrste Duell, das man sich vorstellen kann. Wirklich, in einem Wirbel von

Sekunden lernte ich den mir noch unbekannten Rest des Planeten kennen und frischte alte
Kenntnisse auf. Aber endlich erhaschte ich wieder einen Blick auf die bekannten Brücken-
pfeiler; wir landeten in Charin, ich tat einen raschen Schritt hinaus und flog zusammen mit
Miellyn in den Staub der Brücke des Sommerschnees. Wir lebten noch, waren allerdings ein
bißchen angeschlagen. Und wir waren dort, wo wir hin wollten.

Ich stellte Miellyn auf die Beine. Der Boden unter uns schien zu schwanken, als wir über

die Brücke liefen. Am anderen Ende sah ich zum Pfeiler hinauf, um Richtung und Entfernung
des Fensters, an dem ich Rakhal gesehen hatte, abzuschätzen. In der Straße, in der es sein
mußte, gab es eine Weinkneipe, einen Seidenmarkt und ein kleines Privathaus. Ich ging hin
und klopfte an die Tür.

Nichts. Ich schlug mit der Faust daran. Dann hörte ich die Stimme eines Kindes und eine

tiefe, wohlvertraute Stimme, die das Kind beruhigte. Die Tür ging einen Spaltbreit auf, und
ein Teil des Narbengesichtes erschien.

Ich grinste breit.

„Ich dachte mir schon, daß du es bist, Cargill. Du hast drei Tage länger gebraucht, als ich

mir ausgerechnet habe. Komm herein“, sagte Rakhal Sensar.

15.

Der Raum war kahl und sah ziemlich unbewohnt aus; nur ein einziger grober Teppich lag

auf den Steinfliesen vor dem Öfchen. Auf dem Teppich saß ein kleines Mädchen und trank
aus einer Tasse mit zwei Henkeln, aber als wir hereinkamen, stand die Kleine auf und drückte
sich an die Wand.

„Rindy“, sagte Rakhal ruhig, „gehe hinüber in den anderen Raum.“

Rindy bewegte sich nicht, sondern starrte mich nur an. Dann ging sie auf Miellyn zu, um

die Stickerei auf deren Brust genau anzusehen. Es war sehr still, bis Rakhal freundlich und
fast ein bißchen neugierig fragte: „Trägst du noch immer einen Dolch mit dir herum, Race?“

Ich schüttelte den Kopf. „Bei uns auf Terra gibt es ein altes Sprichwort, das behauptet,

Blut sei dicker als Wasser“, antwortete ich. „Und das ist also Julis Tochter. Rakhal, ich wer-
de dich nicht vor Rindys Augen ermorden.“ Aber nun wurde ich doch allmählich wütend.

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Das Weltraumtor

58

„Zum Teufel mit all diesen verdammten Blutfehden eurer Trockenstädte, deinem filzigen
Krötengott und all dem übrigen Unsinn!“

„Rindy“, wiederholte Rakhal ein wenig strenger, „ich habe dir doch gesagt, du sollst hin-

ausgehen.“

„Nein, sie braucht nicht zu gehen.“ Ich trat einen Schritt auf das kleine Mädchen zu und

ließ Rakhal dabei nicht aus den Augen.

„Was du vorhast, kann ich mir denken“, sagte er, „aber ein kleines Mädchen soll da nicht

hineingezogen werden. Du kannst tun, was du willst, und mit dir werde ich noch immer
fertig.“ „Erstens wird Rindy von hier weggebracht. Sie gehört zu Juli, und dorthin kommt
sie auch.“ Ich breitete meine Arme aus. „Komm, Rindy, jetzt ist alles vorbei, egal, was er
dir getan hat. Deine Mutter hat mich geschickt, dich zu finden. Du willst doch zu deiner
Mutter?“

Rakhal machte eine drohende Geste, aber Miellyn sprang blitzschnell zwischen uns und

fing das Kind in ihren Armen auf. Rindy wehrte sich, aber Miellyn tat zwei Schritte und
riß eine Tür auf. Rakhal folgte ihr, aber Miellyn wirbelte herum, nahm das kleine Mädchen
fester in die Arme und fauchte: „Macht es zwischen euch aus, aber das Kind laßt ihr aus dem
Spiel!“

Durch die Tür sah ich ein Bettchen und eine Reihe von Kinderkleidchen, die an Haken

aufgehängt waren. Die Tür knallte zu, und ein Riegel wurde vorgeschoben. Ich hörte Rindy
schreien, aber ich lehnte mich mit dem Rücken an die Tür.

„Wenn du glaubst...“ Mitten im Satz unterbrach sich Rakhal und sah mich schweigend an.

Dann lachte er. „Du bist immer noch derselbe Narr, Race. Ich wußte doch, daß Juli schnur-
stracks zu dir rennen würde, wenn sie Angst hatte. Damit würde sie dich aus deinem Versteck
herauslocken. Du verdammter Narr!“ Aber in seinem Lachen lag etwas Verächtliches. „Du
Feigling! Sechs Jahre lang hast du dich in der Terranerzone versteckt. Wenn du ein bißchen
Mut gehabt hättest, dann hätten wir erst unsere Sache ausgekämpft, aber dann hätten wir
miteinander die größte Sache auf Wolf angehen können. Was hätten wir erreichen können!
Und jetzt habe ich dich endlich aus dem Versteck herausgelockt, damit du dich so schnell
wie möglich wieder in deine Höhle verziehen kannst. Ich dachte, du hättest mehr Mut!“

„Nicht für Evarins schmutzige Arbeit!“

Rakhal fluchte. „Evarin! Glaubst du wirklich... Nun, ich hätte es mir ja denken können,

daß er an dich kommt! Und dieses Mädchen... Es ist dir gelungen, all das zu vernichten,
was ich hier geschafft habe!“ So schnell, daß ich seinen Bewegungen gar nicht zu folgen
vermochte, riß er seinen Dolch heraus und trat auf mich zu. „Weg von der Tür!“

Ich rührte mich nicht. „Erst mußt du mich umbringen. Und gegen dich, Rakhal, kämpfe

ich nicht. Wir machen das aus, was zwischen uns steht, diesmal aber auf meine Art, auf die
von Erdenmenschen!“

„Du Sohn des Affen, ziehe deinen Dolch, du stinkender Feigling!“

„Nein, Rakhal.“ Ich sah ihn fest an. Und ich kannte Rakhal. Niemals würde er mit einem

Messer auf einen waffenlosen Mann losgehen. „Unser ganzer Kampf damals hat zu nichts
geführt, und jetzt machen wir das, was zwischen uns steht, auf meine Art aus. Ehe ich hier-
herkam, warf ich meinen Dolch weg. Ich kämpfe nicht.“

Er machte einen Ausfall, doch ich sah genau, daß es nur eine Finte war. Aber aus einem

Reflex heraus tat ich einen Satz vorwärts, um seine Messerhand zu fangen.

Ich spürte, wie der Dolch meine Jacke durchstieß und meine Haut berührte. Und dann

kam der Schmerz unter den Rippen, ich spürte heißes Blut, und nun verlangte mich danach,

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59

TERRA ASTRA

Rakhal zu töten. Doch gleichzeitig wußte ich, daß ich nicht gegen diesen Narren kämpfen
wollte.

Miellyn riß die Tür auf, und ganz plötzlich surrte das Spielzeug direkt auf Rakhals Augen

zu. Ich schrie. Aber mir blieb keine Zeit mehr für eine Warnung. Ich duckte mich und boxte
ihn in den Magen. Er grunzte, krümmte sich zusammen und entkam damit dem tödlichen
Spielzeug. Sirrend zog es einige Runden.

Ich war entsetzlich wütend auf Miellyn. Rakhal krümmte sich vor Schmerz. Heiser keuch-

te er: „Wollte nicht... benützen... Lieber sauber... kämpfen.“ Er öffnete seine Faust, und plötz-
lich waren zwei von diesen winzigen, surrenden Ungeheuern da. Eines ging auf mich los, und
ich warf mich auf den Boden. Wieder fiel ein Stückchen des Puzzles an die richtige Stelle:
Evarin hatte mit Rakhal den gleichen Handel gemacht wie mit mir.

Das Kind hinter mir kreischte: „Daddy! Daddy!“ Plötzlich erschlaffte einer der Vögel und

brach mitten in der Luft zusammen, dann auch der andere. Sie zuckten noch ein wenig auf
den Steinen. Rindy rannte quer durch den Raum und griff mit jeder Hand einen Vogel.

„Rindy!“ brüllte ich. „Nein!“

Tränen rannen über ihre Wangen und beide Händchen krampften sich um die Vögel. „Bit-

te, Daddy, mache sie kaputt! Bitte, ganz schnell, Daddy! Ich kann nicht mehr lange...“

Rakhal kam taumelnd auf die Beine, griff nach einem der Vögel und zertrat ihn. Er nahm

den zweiten aus der Hand des Kindes und preßte die Hand mit dem Spielzeug auf den Magen.
Der Vogel schrie wie ein lebendes Wesen.

Nun erwachte ich endlich wieder aus meiner Starre, tat einen Satz, riß den Vogel an mich

und zertrat ihn auf den Steinen.

Endlich konnte sich Rakhal wieder aufrichten. Er war leichenblaß, aber die Narben brann-

ten in seinem Gesicht, als seien sie frisch. „Das war ein unfairer Schlag“, keuchte er. „Du
hast... mir das Leben gerettet. Wußtest du das, als du mich schlugst?“

Ich nickte. Da ich es in diesem Wissen getan, war es das Ende unserer Blutfehde. Wir

waren quitt. Ich sprach die Worte, die es für immer und ewig bestätigten: „Zwischen uns
steht ein Leben. Es gilt für einen Tod.“

Miellyn stand unter der Tür und hatte ihre zitternden Hände vor Schreck auf ihren Mund

gelegt. „Du Narr“, sagte sie, und nun mußte sie sich festhalten. „Du rennst ja mit einem
Messer in den Rippen herum!“

Rakhal wirbelte herum und riß den Dolch heraus. Er hatte sich in einer Falte meines Hemd-

mantels verfangen, und nur die Spitze war vom Blut gerötet. Erleichtert atmete er auf. „Nicht
tief“, stellte er fest, doch dann wurde er zornig. „Du Affe! Du bist selbst daran schuld! Warum
mußtest du mich anspringen, wenn ich den Dolch wegwerfen wollte?“

Doch wir wußten es beide besser. Er hob Rindy hoch, die laut an seiner Schulter schluchz-

te. „Das andere Spielzeug hat dir Böses getan, als ich auf dich böse war“, weinte sie, „aber
so böse war ich doch gar nicht auf dich, auf keinen, nicht einmal auf den...“

Rakhal tätschelte des Kindes Haar. „Dieses Spielzeug“, erklärte er mir, „aktiviert eine

unbewußte Abneigung des Kindes gegen seine Eltern. Das habe ich inzwischen herausge-
funden. Ein Kind kann sie ein paar Sekunden lang im Zaum halten, aber ein Erwachsener
kann es nicht.“

„Juli sagt, du hättest Rindy bedroht.“

Er lachte und setzte das Kind ab. „Ich mußte ihr doch so sehr Angst machen, daß sie zu dir

rannte. Juli ist fast so stolz wie du, du steifnackiger Sohn eines Affen.“ In diesem Augenblick
klang das fast wie eine Schmeichelei.

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Das Weltraumtor

60

„Und jetzt setzen wir uns zusammen und überlegen, was zu tun ist“, fuhr er fort. Er sah

Miellyn an. „Bist du Dallisas Schwester? Ich weiß nicht recht, ob deine Talente auch zum
Kaffeekochen reichen.“

Mit Rindys Hilfe brachte Miellyn auch tatsächlich etwas zusammen, was entfernt nach

Kaffee roch und schmeckte. Als sie den Raum verlassen hatten, erklärte mir Rakhal kurz:
„Rindy hat Reste von übersinnlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten. Ich selbst hatte nie et-
was dergleichen, doch ich konnte ihr einiges darüber beibringen, wie sie anzuwenden sind;
es war nicht viel, aber ich war seit unserer Zeit am Lisse immer auf Evarins Spur.

Als Agent Terras konnte ich nichts tun, sonst wäre ich schon früher daraufgekommen. Ich

mußte mich so unauffällig hinauswerfen lassen, daß die anderen gar nicht mehr auf die Idee
kamen, ich könnte insgeheim für euch weiterarbeiten. Eine Zeitlang jagte ich nur Gerüchten
nach. Als aber Rindy groß genug war und in Nebrans Kristall sehen konnte, machte ich
einige Fortschritte.

Juli wollte ich davon nichts erzählen. Ihre Sicherheit hing daran, daß sie nichts wußte. In

den Trockenstädten blieb sie ja immer eine Fremde.“ Ein wenig zögernd fügte er hinzu: „Seit
ich den Secret Service verlassen hatte, war ich ja selbst auch ein Fremder.“

„Und was ist mit Dallisa?“ fragte ich. „Zwillinge haben untereinander diese übersinnlichen

Wahrnehmungsmöglichkeiten. Ich wußte, daß Miellyn zum Spielzeugmacher gegangen war.
Als ich über Dallisa herauszufinden suchte, wo Miellyn war, erfuhr ich einiges. Dallisa wollte
nichts riskieren, aber Kyral sah mich mit ihr, hielt sie jedoch für Miellyn. Dadurch setzte er
sich auf meine Spur, und ich mußte Shainsa verlassen. Vor Kyral habe ich mich gefürchtet;
das heißt, vor dem, was er tun konnte. Ich konnte ohne Rindy nichts tun; wenn Juli wußte,
was ich tat, dann nahm sie mir Rindy weg, um sie in die terranische Zone zu bringen. Damit
wäre ich so gut wie tot gewesen.“

Allmählich wurde mir klar, welches Spinnennetz Evarin gesponnen hatte und welche Un-

tergrundorganisation des Krötengottes er unseretwegen aufgebaut hatte. „Evarin war heute
hier“, sagte ich. „Warum?“

Rakhal lachte bitter. „Er wollte, daß wir beide einander umbringen, denn er wollte uns

beide loshaben. Er will Wolf den Nichtmenschen ausliefern. Ich weiß, daß er es ernst meint,
aber ich kann doch nicht einfach dabeisitzen und zuschauen?“

„Arbeitest du für die Terraner?“ fragte ich geradeheraus. „Oder für die Trockenstädte?

Oder für die Bewegung gegen die Terraner?“

„Für mich“, erwiderte er achselzuckend. „Vom Imperium halte ich nicht allzuviel, aber ein

Planet kann sich nicht gegen die ganze Galaxis stellen. Race, ich will nur eines erreichen:
die Trockenstädte und der Rest von Wolf sollten eine Stimme in ihrer eigenen Regierung
haben. Jedem Planeten, der zur galaktischen Wissenschaft beisteuert, werden gewisse Rechte
und Freiheiten zugestanden. Wenn ein Mann von den Trockenstädten so etwas wie einen
Materietransmitter entdeckt, bekommt Wolf doch den Status eines Dominions. Aber Evarin
und seine Banden wollen das Geheimnis für sich behalten und es an Plätzen wie Canarsa
einsperren. Man muß es ihnen entreißen. Wenn ich es bin, der es tut, bekomme ich einen
fetten Bonus und eine offizielle Stellung.“

Das war natürlich der Fall, aber es kam unerwartet.

„Du hast nun Miellyn dazu gebracht, dich durch den Transmitter zu bringen. Gehe zurück

zum Hauptschrein, Miellyn, und sage Evarin, Race Cargill sei tot. In der Handelsstadt halten
sie mich für Cargill, und ich kann kommen und gehen, wie ich will; das war die sicherste
Möglichkeit. Ich werde Magnusson über Video sagen, er soll die Straßenschreine von seinen
Soldaten bewachen lassen. Evarin könnte versuchen, durch einen zu entkommen.“

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61

TERRA ASTRA

Ich schüttelte den Kopf. „Terra hat nicht genug Leute, um sämtliche Straßenschreine auf

Wolf zu besetzen, nicht einmal in Charin. Und ich kann auch mit Miellyn zurückgehen.“ Ich
erklärte ihm den Grund dafür und erzählte von unserem Kampf im Transmitter.

„Du hast ja Glück gehabt, Cargill! Ich weiß nicht einmal genau, wie sie arbeiten, und du

hast, das wette ich, nicht einmal angefangen, sie zu verstehen. Wir müssen es also auf die
harte Art machen und Evarin in seinem eigenen Versteck aufstöbern. Wenn Rindy bei uns
ist, brauchen wir uns darüber keine Sorgen zu machen.“

Von mir aus konnte er natürlich das Kommando übernehmen, aber... „Willst du wirklich

das Kind in diese... diese...“

„Was sollen wir denn sonst tun? Rindy kann- im Gegensatz zu uns beiden - mit diesem

Spielzeug umgehen, und Evarin wird wahrscheinlich sein ganzes Arsenal gegen uns einset-
zen.“ Er rief Rindy und sprach leise mit ihr. Sie sah ihren Vater an, dann mich, und schließlich
lachte sie und streckte mir ihr Händchen entgegen.

Ehe wir auf die Straße hinausgingen, besah sich Rakhal finster die Stickereien auf Miellyns

Brust. „Du siehst aus wie ein Schneefall in Shinsa. Kannst du das Zeug nicht loskriegen?“

„Nein, kann ich nicht“, protestierte sie, „das ist doch der Schlüssel zum Transmitter!“

Als wir den Straßenschrein erreichten, mahnte uns Miellyn: „Ihr müßt ganz eng beisam-

menstehen. Ich weiß nicht, ob wir zu viert den Sprung wagen können, aber wir müssen es
versuchen.“

Rakhal hob Rindy auf seine Schulter, und Miellyn ließ den Mantel fallen, der die Sticke-

reien des Krötengottes bedeckt hatte. Wir drängten uns aneinander. Die Straße schwankte
und verschwand, und dann kam wieder der nun schon vertraute schwarze Wirbel, ehe die
Welt sich wieder beruhigte. Rindy wimmerte. „Daddy, meine Nase blutet!“

Miellyn wischte ihr hastig das Blut aus dem Gesicht, aber Rakhal drängte. „Die Werkstatt.

Alles zerschlagen, was du siehst. Rindy, wenn etwas auf uns zukommt, dann mußt du es
aufhalten. Aber ganz schnell, verstehst du? Und...“ er bückte sich und nahm ihr Gesichtchen
in seine Hände. „Und chiya, denke immer daran, daß diese Dinge keine Spielsachen sind,
und sehen sie auch noch so hübsch aus.“

Rindy nickte ernsthaft.

Rakhal riß die Tür zur Werkraum auf und brüllte. Das tingelnde Hämmern endete in tau-

send Dissonanzen. Ich warf eine Werkbank um, und halbfertiges Spielzeug wurde auf den
Boden geschleudert. Die Zwerge huschten wie Kaninchen davon. Ich zerstampfte Werkzeu-
ge, Filigran, Juwelen, alles, was mir unterkam, mit meinen schweren Stiefeln. Ich zerschmet-
terte Glas und zerschlug mit einem Hammer, den ich fand, Kristall.

Da kreischte Miellyn plötzlich; ich drehte mich um und sah Evarin unter der Tür stehen.

Seine grünen Katzenaugen funkelten vor Wut. Dann hob er beide Hände und rannte zum
Transmitter.

„Rindy“, keuchte Rakhal, „kannst du den Transmitter blockieren?“ Nun schrie Rindy.

„Wir müssen heraus! Das Dach fällt herunter! Schaut das Dach an!“

Mich packte Entsetzen, als ich hinaufsah. Das ganze Dach splitterte und brach, und Ta-

geslicht fiel durch klaffende Spalten in den Mauern. Rakhal packte Rindy, um sie vor den
fallenden Trümmern zu schützen, ich umfaßte Miellyns Taille, und dann rannten wir, was
wir konnten.

Wir waren gerade noch entkommen. Dann standen wir auf einem grasigen Hügel und

sahen entsetzt auf den offensichtlich eingebrochenen Fels hinunter.

„Lauft!“ schrie Miellyn. „Schnell!“

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Das Weltraumtor

62

Ich wußte zwar nicht, weshalb, aber ich rannte. Miellyn lief neben mir, und Rakhal tau-

melte mit Rindy hinter uns drein.

Eine Explosion erschütterte den Boden und warf mich nieder. Miellyn fiel auf mich,

Rakhal ging in die Knie. Rindy schrie und weinte. Als ich mich wieder einigermaßen aufge-
rappelt hatte, sah ich mich um.

Von Evarins Versteck und vom Hauptschrein des Gottes Nebran war nichts mehr zu sehen.

Aus einem riesigen, gähnenden Loch stiegen Rauch und dicker, schwarzer Staub. „So, das
hat er also vorgehabt“, sagte Miellyn noch halb betäubt.

Es paßte ganz genau zur nichtmenschlichen Logik des Spielzeugmachers. Er hatte seine

Spuren verwischt.

„Alles zerstört!“ knirschte Rakhal. „Unsere einzige Chance, zu erfahren...“
„Wir hatten das Glück, lebend herauszukommen“, bemerkte Miellyn ruhig. „Wo auf die-

sem Planeten sind wir nun eigentlich?“

Verblüfft starrte ich hügelabwärts. Unter uns lag Kharsa mit dem weißen Wolkenkratzer

des terranischen Hauptquartiers.

„Verdammt“, sagte ich, „da, wo wir hinwollten. Rakhal, wir sind zu Hause, du kannst hin-

untergehen und deinen Frieden mit den Terranern machen - und mit Juli. Und du, Miellyn...“
Vor den anderen konnte ich doch nicht sagen, was ich dachte, aber ich legte ihr die Hand auf
die Schulter und ließ sie dort. Sie lächelte noch ein wenig zittrig, aber schon mit einer Spur
ihrer alten Boshaftigkeit. „Kann ich so, wie ich aussehe, in die terranische Zone gehen?“
fragte sie mich. „Gib mir deinen Kamm noch einmal. Und du, Rakhal, kannst mir deinen
Hemdmantel geben. Meine Kleider sind nur noch Fetzen.“

„Du... du eitles, dummes Weib! Jetzt über solche Belanglosigkeiten reden!“ Rakhal sah

drein, als wolle er sie ermorden. Ich reichte ihr meinen Kamm, und ganz plötzlich sah ich
etwas in den gestickten Symbolen auf ihrer Brust. Vorher hatte ich immer nur die verschnör-
kelten Zeichen des Krötengottes gesehen. Aber jetzt...

Ich streckte die Hand aus und riß den Stoff ab.
„Cargill!“ protestierte sie empört und wurde rot.
Ich hörte gar nicht hin. „Schau, Rakhal!“ rief ich. „Schau dir diese gestickten Symbole im

Zeichen des Krötengottes an! Du kannst doch die Schriftzeichen der Nichtmenschen lesen,
nicht wahr? In der Stadt Lisse konntest du’s jedenfalls. Miellyn sagte, das sei der Schlüssel
zum Transmitter. Ich bin überzeugt, daß hier für den, der sie zu lesen versteht, die Formel zu
finden ist.“

Es konnte nicht anders sein. „Rakhal“, fuhr ich fort, „ich kann diese Schriftzeichen nicht

lesen, aber ich wette, die Gleichungen für den Transmitter sind in jedem Symbol des Krö-
tengottes auf Wolf versteckt. Alles ist klar. Es gibt zwei Möglichkeiten, etwas gründlich zu
verstecken. Entweder man sperrt es ein, oder versteckt es so, daß jeder es sehen könnte. Wer
macht sich schon die Mühe, einen stilisierten Krötengott zu betrachten? Es sind Millionen
davon überall...“

Er beugte sich über die Stickerei, und als er wieder aufsah, war sein Gesicht vor Erregung

gerötet. „Bei den Ketten von Sharra, ich glaube, du hast recht, Race! Es mag noch Jahre
dauern, bis wir die Hieroglyphen entziffert haben, aber ich werde es jedenfalls versuchen -
oder darüber sterben!“ Sein narbiges, zerschundenes Gesicht sah jetzt in der Erregung fast
wieder schön aus, und ich grinste ihn breit an.

„Falls Juli etwas von dir übrigläßt, mein Lieber! Du hast sie ja ganz schön an der Nase

herumgeführt. Schau mal, Rindy schläft hier auf dem Gras. Armes Kind! Ich glaube, wir
sollten die Kleine lieber zu ihrer Mutter bringen.“

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63

TERRA ASTRA

„Damit hast du sicher recht.“ Rakhal schob die kostbare Stickerei in seinen Hemdmantel

und nahm seine kleine, schlafende Tochter in die Arme.

Miellyn hinkte in ihren dünnen Sandalen und fröstelte. „Kalt?“ fragte ich.

„Nein. Aber ich glaube nicht, daß Evarin tot ist. Eher meine ich, er ist davongekommen.“

Der Gedanke verdunkelte für einen Augenblick den Schimmer des aufkommenden Mor-

gens. Dann zuckte ich die Achseln. „Vielleicht liegt er in diesem großen Loch dort.“ Aber
sicher wissen konnte ich es natürlich nicht.

Wir gingen weiter, und ich hatte meinen Arm schützend um die müde, taumelnde Frau

gelegt. „Wie in alten Zeiten“, bemerkte Rakhal leise.

Es waren nicht die alten Zeiten, und er selbst wußte das am besten. Ich war meiner ehe-

maligen Liebe zu Geheimnissen und Intrigen entwachsen, und auch für Rakhal mochte es
das letzte Abenteuer sein. Er brauchte sicher Jahre, um die Gleichungen für den Transmitter
herauszufinden, und ich hatte das Gefühl, mein alter, solider Schreibtisch müsse eigentlich
doch recht gut aussehen.

Gleichzeitig wußte ich, daß ich niemals mehr versuchen würde, von Wolf wegzulaufen.

Es war meine geliebte Sonne, die sich über den Horizont schob. Meine Schwester wartete
auf mich, und ich brachte ihr Kind zurück. Mein bester Freund ging an meiner Seite. Was
kann sich ein Mann mehr wünschen?

Die Erinnerung an die dunklen, giftbeerenfarbenen Augen mochten durch meine Träume

geistern, in meiner wachen Welt hatten sie keinen Platz. Ich nahm Miellyns schmale, un-
gefesselte Hand in die meine und lächelte ihr zu, als wir durch die Stadttore gingen. Jetzt
allmählich begriff ich, warum sie ihre Frauen fesselten und an Ketten schlössen, und ich
schwor mir, im nächsten Laden eines Feßlers die besten Stahlketten zu kaufen und die Hän-
de meiner Herzallerliebsten für ewig nur meinem Schlüssel zugänglich zu machen.

ENDE

Der Moewig-Verlag in München ist Mitglied der Selbstkontrolle deutscher

Romanheft-Verlage

TERRA-ASTRA - Science Fiction - erscheint wöchentlich im Moewig-Verlag, 8 München 2, Türkenstraße 5-7, Telephon 28 10
56-56, Postscheckkonto München 139 68. Erhältlich bei allen Zeltschriftenhandlungen. Titel des amerikanischen Originals:
THE DOOR THROUGH SPACE. Aus dem Amerikanischen von Leni Sobez. Copyright c

1961, by Ace Books, Inc. Printed

in Germany 1971. Gesamtherstellung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel KG, Rastatt. Verantwortlich für den Anzeigenteil:
Ch. Maier. Zur Zelt Ist Anzeigen Preisliste Nr. 19 gültig. Alleinvertrieb in Österreichs: Waldbaur Vertrieb, A-5020 Salzburg,
Franz-Josef-Straße 21. Der Verkaufspreis dieses Bandes enthält die gesetzliche Mehrwertsteuer.

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