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John Montana 

Das letzte Wasserloch 

Apache Cochise 

Band Nr. 14 

Version 1.0 

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Prolog 

Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder. 
Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder 
früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen.
 

Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von 

Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen 
erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete 
Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch 
veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine 
erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht 
begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten 
Rasse führten. Man kann sagen, die damaligen Weißen und 
Mexikaner waren alles andere als weitblickend, eher nur von 
einer hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines 
Panthers glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der 
Indianer eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für 
einen Apachen-Skalp.
 

Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer 

mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur 
und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder 
bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des 
Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«? Mitnichten. 
Zum Teil gab es vorausschauende und mitfühlende Männer in 
der Army, die aber wegen ihrer »Humanitätsduselei« nicht zu 
Wort gelangten, aber den Untergang der roten Rasse 
voraussagten und mit den Indianern fühlten.
 

Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuer- 

und beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest 
steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von 
vielen Amerikanern heutzutage bagatellisiert und, wenn die 
Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung 

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abgetan wird. 

Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden 

Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur 
schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen 
vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den 
Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische 
Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung 
trieb, nicht mit ansehen muß.
 

Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die 

Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft, 
ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos 
im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen 
Arizonas.
 

Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet? 

Sicherlich nicht, denn kein nomadisierendes Volk in Europa, 
Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden. 
Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren 
Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den 
Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen 
werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden 
in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum 
Leben brauchten. Zu allen Zeiten war daher für die Apachen 
die Welt noch in Ordnung. Erst ah der weiße Mann mit seinen 
überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten 
Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich 
das große graue Leichentuch über die Stämme und 
Sippenverbände.
 

Ganz bestimmt wäre vor WO und mehr Jahren 

möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den 
Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger 
Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments 
gegen die rote Rasse gewesen wäre. Es hat nicht an 
klardenkenden und verantwortungsbewußten Leuten 
gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im 

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Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu 
ihrem Recht zu verhelfen. Es ist nicht Aufgabe dieser 
Einleitung, anzuklagen und zu richten, denn niemand von uns 
kann sagen, daß er es womöglich hätte besser machen können. 
Sie alle in der damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren 
Kinder einer harten und erbarmungslosen Epoche, und sie 
waren Bewohner einer rauhen Umwelt.
 

Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen 

Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter 
authentische Aufzeichnung amerikanischer Geschichte, die in 
Romanform, für den deutschen Sprachraum noch nicht oder 
nur in Kurzform gebracht wurde. Die guten und schlechten 
Weißen, die anständigen Apachen und die grausamen, tauchen 
namentlich in der Story auf und geben der Geschichte einen 
dramatischen, wenn auch makabren Hintergrund.
 

Ihr Martin Kelter Verlag. 

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*** 

Als Corporal Critten seinem Zugführer, Lieutenant Braham, 
den Faustschlag an den Schädel versetzt hatte, wurde ihm 
bewußt, den größten Fehler seiner militärischen Laufbahn 
begangen zu haben, denn Braham war Offizier – wenn auch 
ohne Qualitäten – und er – Critten – ein simpler Kavallerist, 
natürlich mit den nötigen Kampferfahrungen. 

»Mist!« brummte er nur und rieb die Hand, als Braham wie 

ein gefällter Baum hinfiel. Diese Sache brachte ihn vors 
Kriegsgericht. 

Aber er hatte die ewigen Schikanen dieses Offiziers einfach 

satt. Wer seit Wochen durch flammende Hitze reiten und 
Brahams Querelen ertragen mußte, mußte einfach mal 
durchdrehen. Ihre Patrouille war vor einem Monat von Fort 
Thomas aus in Marsch gesetzt worden, um mit einer Einheit 
aus Fort Husache mexikanische Grenzdesperados aufzuspüren, 
die Gerüchten nach Waffen ins Territorium schmuggelten. 

Brahams wesentliche Aufgabe beschränkte sich darin, das 

Gesindel aufzuspüren und in sicherem Abstand zu verfolgen, 
um jene geheimnisvollen Stellen zu finden, wo diese Waffen 
verschwinden sollten. 

Das ganze Unternehmen war ein Fehlschlag. 
Das war wohl auch der Grund des ehrgeizigen Offiziers, 

seine schlechten Launen an den Soldaten abzureagieren. 
Während der ganzen Zeit war er gereizt und provozierend, 
zeigte eine Strenge, die nicht zu altgedienten Kämpfern im 
Grenzland paßte, denn schon die Wüste allein war eine 
Herausforderung, und der Feuerball, der von Sonnenauf- bis 
Sonnenuntergang unbarmherzig seine Strahlen zur Erde 
schickte, eine Qual. 

Crittens berechtigter Zorn verflog, während er den 

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niedergeschlagenen Lieutenant betrachtete, der sich zu regen 
begann. 

Braham sorgte bestimmt dafür, daß seine Ehre 

wiederhergestellt wurde. Das hieß im Klartext: Colonel 
Higgins beantragte ein Kriegsgerichtsverfahren, und der 
Corporal – Sam Critten – endete vor den Läufen eines 
Exekutionskommandos. 

Critten spie seine Verachtung in den Sand. Er hatte die 

Dienstvorschriften der Armee und ihre einzelnen Paragraphen 
bereits gekannt, ehe ihm eine Uniform verpaßt worden war. 
Das lag vier Jahre zurück. 

Nach dem Zorn kam nun die Angst. 
Critten wandte sich zur Flucht. Er sprang über das 

flackernde, niederbrennende Feuer und eilte zum Seilcorral 
zwischen vier Skelettbäumen. Mittendrin standen ihre Pferde. 

Während er dahinjagte, ging es Critten durch den Kopf: 

wenn Braham mich schon des Diebstahls von Wasservorräten 
und anderen bezichtigt, kann er mich auch einen Plünderer und 
Pferdedieb nennen. 

Im Laufen ergriff er einen von jenen Karabinern, die als 

»Pyramide« zusammenstanden, und erreichte fast den 
Seilcorral, als Brahams wütende Stimme hinter ihm her 
schallte und die ganze Mannschaft in Bewegung brachte. 

»Stoppt den Mann!« schrie der Offizier mit sich 

überschlagender Stimme. »Schießt ihn nieder!« 

Critten erreichte die Pferde, nahm in großer Hast sein 

Messer, das im Schaft des Stiefels steckte, um die Lassos zu 
durchschneiden. 

Da tauchten plötzlich seitlich aus der sandigen Böschung drei 

Gestalten auf, die ihre Springfields auf ihn richteten. 

»Du bist der dümmste Soldat, der mir je begegnet ist«, 

grollte Sergeant Harper wütend, weil er aus der Ferne die 
Auseinandersetzung zwischen Critten und seinem Vorgesetzten 
verfolgt hatte. 

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»Er könnte mich hundertmal des Diebstahls bezichtigen. Er 

würde es nicht schaffen, daß ich auch nur mit der Wimper 
zucke. Laß das Messer fallen, und dann die Flossen über 
deinen verdammten Strohkopf, Critten.« 

Der Corporal preßte die Lippen aufeinander. Er sah ihre 

Gesichter, in denen Mitleid stand, aber auch der Wille, 
Lieutenant Brahams Befehl nachzukommen. 

Er dachte aber auch an die Folgen seiner Handlung, die ihn 

vor das Füsilierkommando des Forts bringen mußte. 

Sergeant Harper merkte, wie Crittens Körper 

zusammensackte und seine Muskeln sich spannten. Er war ein 
erfahrener Soldat und Indianerkämpfer. 

Mit einer kurzen Bewegung schwenkte er seine Springfield 

und schlug mit der Mündung zielsicher zu. 

»Verdammter Idiot«, brummte der bärtige Sergeant, während 

er seine Begleiter anbrüllte: »Legt ihm Riemen an, ehe er 
wieder da ist!« 

Lieutenant Braham preschte heran. Er war ein junger 

Offizier, von West Point in die windigste Ecke des 
Territoriums versetzt, kaum reif für den Fronteinsatz und 
unerfahren im Umgang mit alten Kämpen, die den Drill der 
Rekrutenlager längst vergessen hatten, die aber wußten, wie 
man gegen rebellierende Chiricahua-Krieger sein Leben zu 
verteidigen hatte. 

Der alte Sergeant spürte, daß der Lieutenant den Gefangenen 

anspringen wollte. Breitbeinig versperrte er ihm den Weg. 

»Ich hoffe, Sir, Sie vergessen das Reglement nicht. Sie sind 

Offizier und sollten dem Soldaten als Vorbild dienen.« 

Das war eine deutliche Maßregelung, die Harper nicht 

zustand. 

Braham errötete, aber er beherrschte sich. 
»Sie stehen auf seiner Seite, Sergeant?« 
Spöttisches Leuchten stieg in Tom Harpers graue Augen. Er 

mochte diesen eingebildeten Typ aus West Point nicht. 

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»Ich bin seit zwanzig Jahren Soldat, Sir. Disziplin steckt tief 

verwurzelt in meinen Knochen. Deshalb verurteile ich Corporal 
Crittens Handlung.« 

Ein halbes Dutzend Soldaten stand nahe dem Feuer und hörte 

die Unterhaltung. Braham sah ihr verstecktes Grinsen und 
sagte sich, daß er der Diensterfahrung Sergeant Harpers nicht 
viel entgegensetzen konnte. 

»Sie sind mir für seinen Kopf verantwortlich, Sergeant«, 

fauchte Braham und wandte sich ab. 

Und für deinen Arsch, dachte Harper wütend, ehe er sich an 

die beiden Soldaten wandte. 

»Green, Hudson, bringt ihn rüber in den Schatten der 

Mesquitesträucher! Wir brechen bald auf.« 

John Haggerty, der einige Wochen die Dragoon Mountains 
durchstreift hatte, um Cochises versteckte Apacheria 
aufzuspüren, kehrte in General Howards Zeltbiwak zurück. 

Seine Kleidung war schmutzig vom roten Staub der Mesa, 

sein Gaul lahmte, und als er vor dem quadratischen 
Offizierszelt aus dem Sattel rutschte, spürte er seine Knochen 
nicht. 

General Howard schien ihn bereits erwartet zu haben, denn 

noch ehe sein Chiefscout eintreten konnte, schlug er die Plane 
zurück und trat aus dem Zelt. 

»Mr. Haggerty«, sagte Howard und strich sich über den 

Armstumpf. »Sie sehen aus wie ein abgehalfterter Dragoner. 
Nehmen Sie erst einmal ein Bad im Creek, und stecken Sie sich 
etwas Kräftigendes in die Rippen, dann kommen Sie zum 
Rapport. Ihren Gaul soll einer der Soldaten versorgen.« 

»Mein Pferd und ich, Sir, sind eins«, entgegnete Haggerty, 

während sein Lächeln die staubige Maske seines Gesichts 
aufriß. »Er hat ein Bad genauso nötig wie ich.« 

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General Howard, seit vielen Monaten auf verlorenem Posten 

im Territorium Arizona, blickte nachdenklich hinter seinem 
Scout her, der im Lieutenant-Rang stand. Er mochte den 
Burschen wegen seines Mutes und seiner Unbekümmertheit, 
und er war neugierig, was Haggerty da draußen erfahren hatte. 

Cochise machte ihm Sorgen. Und nicht nur der Häuptling 

allein, denn seitdem er wußte, daß sich die Chiricahuas und 
Cochise als deren Häuptling, mit dem Mimbrenjo-Jefe Victorio 
zusammengetan hatten, wurde ihm bewußt, daß seine 
Bemühungen um den Frieden zwischen weißen Siedlern und 
roten Ureinwohnern aussichtsloser denn je waren. 

John Haggerty kam nach einer Stunde, frisch rasiert und 

sauber gewaschen. Selbst sein Hirschlederhemd hatte er im 
Bad gereinigt. 

General Howard deutete zum Tisch, auf dem zwischen 

ausgebreiteten Stabskarten eine Whiskyflasche und Gläser 
standen. 

»Bedienen Sie sich, John. Und fangen Sie mit Ihrem Bericht 

an. Ich zerplatze vor Ungeduld.« 

John nahm einen großen Schluck, wischte die Tropfen aus 

den Mundwinkeln, ehe er zu sprechen begann. 

»Ich bringe weder gute noch schlechte Nachrichten von 

Cochise. Die Chiricahuas und die Mimbrenjos sind spurlos in 
den Dragoon Mountains untergetaucht. Nicht die geringste 
Spur konnte ich von ihnen finden, und ihre Ruhe beunruhigt 
mich, Sir, denn es ist nicht die Apachenart, sich wie 
Erdhörnchen zu verkriechen.« 

General Howard rauchte eine seiner schwarzen 

Lieblingszigarillos, während sein gesunder Arm über die Karte 
fuhr. 

»Zwei Stämme mit Kriegern, Greisen, Frauen und Kindern 

können sich nicht in Luft auflösen, John. Sie brauchen ein 
großes Tal, in dem sie leben. Vorräte, um überleben zu können, 
und Wasser.« 

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»Die Dragoons sind voll von versteckten Talkesseln, die 

Berge spenden unbeschränkt Wasser. Ihre Vorräte müssen sie 
vor langer Zeit angelegt haben. Ich habe ihre alte Bergfeste am 
Apachen-Paß aufgesucht, bin hoch in die Berge gestiegen, 
dorthin, wo sie mich im letzten Herbst gefangenhielten. Ich 
habe wochenlang allein und mit Colonel Brighams Patrouillen 
aus Fort Buchanan jeden Schlupfwinkel durchforscht – 
erfolglos. Selbst im San Carlos Reservat und in Fort Thomas 
habe ich Nachforschungen betrieben. Aber auch dort gibt es 
nichts zu berichten, das auf Cochises Bergfeste Schlüsse ziehen 
läßt. Das einzige, was Colonel Higgins zu berichten wußte, 
waren aktive Grenzbewegungen nach Mexiko und Gerüchte 
der Art, daß mexikanische Rebellen und Rurales-Einheiten 
miteinander konspirieren und auf verschwiegenen Pfaden 
Waffen und Munition in Arizona einfließen. Es ist schwer 
erkennbar, wo die Wahrheit beginnt und die Phantasie endet.« 

»Könnte es etwas mit Cochise zu tun haben?« fragte der 

Offizier. »Vielleicht kauft der Waffen für einen Aufstand.« 

»Kann ich mir nicht vorstellen.« John Haggerty schüttelte 

den Kopf. »Apachen und Mexikaner sind seit jeher Todfeinde. 
Ihr Haß und ihre Abneigung zeigen sich mit jeder Begegnung. 
Schon Colonel Terrazas Absicht, Chiricahuas und Mimbrenjos 
im Canyon der Gauner zu stellen und zu vernichten, beweist 
deutlich, wie abgrundtief die Gefühle eines Mexikaners sind.« 

General Howard schwieg lange. Sein Blick war starr auf das 

Kartenblatt gerichtet. Er studierte die Lage der Dragoon und 
der Chiricahua Mountains, Fort Buchanan unweit des 
Apachen-Passes, um das in den letzten Jahren stürmische 
Kämpfe getobt hatten, und auf Fort Thomas, tief im Süden, 
nahe der mexikanischen Grenze gelegen. 

»Man sollte diesen Gerüchten nachgehen, John«, sagte er 

schließlich zögernd. »Vielleicht steckt ein Funken Wahrheit 
darin, denn um seine Ziele zu verfolgen, John, könnte auch 
Cochise seine Urinstinkte vergessen.« 

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»Sie meinen, Sir...« 
Howard nickte. »Wir sollten in Fort Thomas mit weiteren 

Nachforschungen beginnen und herausfinden, was Gerücht und 
was Wahrheit ist. Vielleicht stoßen wir so auf Cochises Spur 
und können zu ihm Verbindung aufnehmen.« 

Haggerty lächelte. 
»Sie wollen nach all den zurückliegenden Vorgängen noch 

immer nicht von ihrer Friedensmission abgehen, Sir?« 

»Ich werde nie aufgeben, John, denn ich denke an all die 

unschuldigen Menschen und das Blut, das eine solche 
Erhebung mitbringt. Ich hoffe, Sie teilen meine Meinung.« 

Haggerty dachte an »Lion« Freeman und dessen Frontier 

Bataillon in Tombstone. Diese Männer hatten zur Verhärtung 
der Fronten einiges beigetragen und Häuptling Cochise 
möglicherweise veranlaßt, sich mit seinem Feind Victorio zu 
versöhnen. Cochise befehligte inzwischen eine Streitmacht, die 
nicht zu übersehen war. Sie auf die Siedler loszulassen, mußte 
im blutigen Chaos enden. 

»Wenn Sie gestatten, Sir, werde ich morgen früh 

aufbrechen.« 

General Howard nickte zufrieden. 
»Ich wußte, auf meinen Chiefscout ist Verlaß.« 

Der Pedlar Sinclair, ein undurchsichtiger Franzose, der mit 
seinem rollenden Kaufladen weit auseinanderliegende Ranches 
abklapperte, um mit den Siedlern Geschäfte zu machen, schien 
die Begegnung mit der Armeepatrouille unangenehm zu 
finden, denn als er die Reitertruppe in der Senke, die zwischen 
Trapplewhite, Husache und Organos lag, entdeckte, wollte er, 
einem inneren Impuls folgend, umkehren. Doch mit dem 
gleichen Gedanken bewegte sich der Reiterposten der 
Patrouille den Hang hoch und ritt ihm entgegen. 

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»Hallo!« rief Sinclair und schob seinen verknautschten 

Zylinder tiefer ins Gesicht. »Man trifft heute nur noch selten 
Uniformen in den Plains. Die meisten sind im Bürgerkrieg.« 

»Ebenso selten, wie man reisenden Kaufleuten begegnet«, 

sagte Soldat Green und deutete zum Feuer. »Wenn Sie für die 
Nacht Schutz suchen, kommen Sie ins Lager.« 

Der Pedlar lockerte die Zügel. Als er den Wagen in den 

Schutz der Organos abstellte und ächzend vom Bock stieg, sah 
er den jungen Mann in Uniform, der in der Nähe des Biwaks an 
einem Skelettbaum gefesselt war. 

Lieutenant Braham musterte den Fremden mißtrauisch, doch 

als Sinclair den Soldaten Tabak und eine Flasche Brandy anbot 
und sich als Kaufmann vorstellte, wich dieses Mißtrauen. 

»Ein Mann, der weit herumkommt, Mr. Sinclair«, begann der 

Offizier die Unterhaltung, als der Hausierer sich am Feuer 
niederließ, »wird manches Interessante sehen und hören. Und 
sicher kennt er auch die einsamen Wege durch die Sierra 
Madre.« 

»Sie meinen die Schmugglerpfade der Rebellen?« Sinclair 

lächelte. »Davon hörte ich, Lieutenant, aber so tief im Süden 
liegt nicht mein Gebiet, daß ich darüber Auskunft geben 
könnte. Ich versorge die Farmer im Land, die Behörden und 
auch kleinere Stammesgruppen der San Carlos Reservation mit 
Lebensmitteln und sonstigen Gütern.« Dabei deutete er auf 
seinen Trödlerwagen, der ringsum mit Pfannen, Kesseln und 
Tonnen behangen war. »Jetzt bin ich gerade auf dem Weg zur 
Reservation, um einige Geschäfte zu tätigen. Vielleicht haben 
wir dieselbe Richtung.« 

Braham erklärte dem späten Gast treuherzig von seiner 

Aufgabe und dem Mißerfolg, was Sinclair äußerst bedauerte. 
Er erfuhr nun auch, warum der Soldat gefesselt war. 

Bei Einbruch der Dunkelheit bestimmte Braham die 

Reihenfolge der Wachen und legte sich nieder. 

Sinclair suchte sich einen Platz nahe der ausgedörrten 

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Bäume. Die Sonne verlor mit letztem funkelndem Glanz ihre 
Kraft und verschwand hinter dem großen Gebirge. Dunkelheit 
zog aus den Plains und legte sich wie ein Tuch über das Land. 

Sinclair lag mit offenen Augen unter seinem Wagen. Er 

registrierte, daß es im Lager ruhig wurde. Nur noch die Schritte 
der Doppelposten waren zu hören. Der Lieutenant ist ein 
leichtsinniger Offizier oder unerfahren in einem Land, in dem 
Unruhen herrschen und ein Chiricahuapfeil oder die Kriegsaxt 
schneller sein kann als ein Atemzug, dachte Sinclair. 

Gegen Mitternacht, als er sicher war, daß alles schlief, 

näherte er sich lautlos dem Gefangenen. 

»Sie werden dich in Fort Thomas hängen, Soldat«, raunte er 

dem Bedauernswerten zu. »Ich kenne die Dienstvorschriften 
der Armee. Aber vielleicht könnte ich dir behilflich sein.« 

»Warum?« fragte Critten. Nur undeutlich sah er die 

Konturen des Hausierers. 

»Als Menschenfreund. Vielleicht auch, weil ich alles Tote 

hasse.« 

Corporal Sam Critten schüttelte den Kopf. 
»Wenn Sie mir helfen wollen, gleich aus welchen Motiven, 

schneiden Sie mir die verdammten Stricke durch. Zu den 
Pferden werde ich schon finden.« 

Der Pedlar schien zu lächeln. 
»Das wäre zu gefährlich für mich, Soldat, denn mich würden 

sie bestimmt zuerst verdächtigen, weil ich hier im Lager fremd 
bin. Ich werde dir ein Messer zustecken, wenn du mir 
versprichst, die Flucht auf morgen zu verlegen. Und als Beweis 
dafür, daß ich es gut mit dir meine, gebe ich dir noch einen 
Tip: versuche dein Glück in Nogales. In Tanners Saloon wirst 
du einen Mann namens Ramon Vaquence treffen. Ein Ladino. 
Er wird dir weiterhelfen, wenn du dich auf den Pedlar berufst.« 

Critten, als Soldat ständig auf der Hut und mißtrauisch, 

neigte den Kopf, als Sinclair ihm ein Messer mit schmaler 
Klinge zuspielte. »Warum tust du das?« fragte er deshalb noch 

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einmal. 

Er bekam keine Antwort. Sinclair hatte sich zurückgezogen, 

denn in der Nähe klangen Schritte auf. Einer der Posten 
kontrollierte den Gefangenen. 

Am Morgen brach der Franzose früh auf. Noch ehe die 
Blauröcke ihren Schlaf abschütteln konnten, hatte er sein Pferd 
vor den Karren gespannt und zog den Hang hinauf in die Mesa. 

Lieutenant Braham formierte seine Abteilung zum 

Abmarsch. Als sie über die Hügel ritten, sah er in der Ferne 
den grauen Schatten des Pedlarwagens zwischen den Caps der 
Chiricahua Mountains. 

Bald hatte er ihn vergessen. 
Gegen Mittag – sie rasteten im Schatten der Felsen – wagte 

Corporal Critten den Fluchtversuch. Er lag in einer Felsspalte 
und bemühte sich, die Messerschneide zwischen die starke 
Seilfesselung zu schieben. 

Seine ehemaligen Freunde saßen nicht weit von ihm auf 

ausgewaschenem Stein oder lagen erschöpft am Boden. 

Auf Crittens Haut vermischten sich Schweiß und Staub, und 

mehrmals drang die scharfe Spitze des Messers in seine Haut. 
Aber er gab nicht auf, denn in Fort Thomas erwartete ihn eine 
Kugel. Und bis dahin waren es noch zweieinhalb Tagesritte. 

Er spürte, wie Faser um Faser zerriß, und nach letzten 

Anstrengungen sprengte er die Fessel. 

Der Corporal blieb ruhig liegen. Er wußte, daß Ruhe und 

Beharrlichkeit Soldatentugenden waren und erst das Terrain 
sondiert werden mußte, ehe man zu Aktionen überging. 

Lieutenant Braham lag keine sieben Yards entfernt, abseits 

seines Kommandos. Die Pferde standen in einer Felskluft, 
geschützt vor den sengenden Sonnenstrahlen. 

Niemand beachtete Critten, der sich nun lautlos erhob und zu 

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Braham hinüberkroch. Lieutenant Braham bemerkte seinen 
Gefangenen erst, als der ihm die Klinge des Messers an die 
Kehle setzte. 

»Keinen Laut, Lieutenant!« zischelte Critten. »Eine dumme 

Bewegung, und Sie werden in die Hölle fahren! Wohin Sie 
übrigens die ganze Schwadron wünscht...«, fügte er hämisch 
hinzu. 

Der Offizier sah die Entschlossenheit in Crittens Gesicht. 
»Sie machen Ihre Sache immer schlimmer, Corporal«, 

flüsterte Braham heiser. 

»Schlimmer als die Kugel wäre nur der Strick, Lieutenant. 

Aber den verwendet die Armee nicht. Stehen Sie langsam auf. 
Wir gehen zu den Pferden.« 

Critten zog Brahams Armeerevolver aus dem Halfter. 
Braham juckte es in den Fäusten, doch bei aller 

Unerfahrenheit begriff er den Ernst der Lage. Es war nicht 
nötig, daß er sich in Gefahr brachte, denn seine Leute würden 
den Deserteur aus dem Sattel holen, bevor er außer Schußweite 
war. 

Sie erreichten die Pferde. Critten befahl: 
»Legen Sie dem Gescheckten den Sattel auf!« 
Es war ein struppiger Pinto, der Tom Harper gehörte, den er 

zur Flucht wählte. 

»Der Sergeant wird es Ihnen nicht vergessen, Critten«, sagte 

der Lieutenant und folgte Crittens Aufforderung. 

»Zur Meuterei kommt nun noch Desertation und Diebstahl 

von Armeegut hinzu. Lohnt es sich?« 

»Es lohnt sich immer zu leben.« 
Critten prüfte den Halt der Sattelgurte, und dann schwang er 

sich aufs Pferd, stieß dem Offizier die Stiefelspitze vor die 
Brust und durchtrennte mit einem einzigen Schnitt das Seil. 

»Jippee!« schrie er und drückte dem Gescheckten die Sporen 

in die Flanken, wedelte zugleich mit dem Hut, was wiederum 
die Pferde aufschreckte. Das ganze Rudel kam in Bewegung 

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und galoppierte ins Freie. 

Sam Critten war ein guter Reiter. Er hing seitlich im Bügel 

und bot dadurch kein Ziel und hörte trotz des Lärms Brahams 
gellende Stimme. 

Vereinzelte Schüsse fielen, die aber bald verstummten, weil 

die Pferdeleiber den Flüchtigen verdeckten. 

»Der Bastard!« fluchte Sergeant Tom Harper, als er sah, 

wessen Pferd Critten ritt. »Er hat den besten Gaul der Armee 
erwischt. Los, Leute, versucht eure Pferde einzufangen! Aber 
laßt euch Zeit.« 

Harper hegte noch immer Sympathien für den Mann, der sein 

Pferd gestohlen hatte, und ließ es auch erkennen. In Crittens 
schwieriger Lage hätte er nicht anders gehandelt. 

Als die Pferde zusammengetrieben waren und sie zu satteln 

begannen, brummte Lieutenant Braham etwas über die Zeit, die 
sie verloren hatten. 

Sergeant Harper aber sagte ruhig: 
»Das ist vergebliche Mühe, den Corporal zu verfolgen, Sir. 

Er hat einen Vorsprung, der nicht mehr einzuholen ist. 
Außerdem reitet er meinen Pinto.« 

Sam Critten war nur noch als winziger Punkt in der Wüste 

auszumachen. Sein Weg führte schnurgerade in südlicher 
Richtung, in die Berge. 

Flinke Gestalten krochen durch zerklüftete Felsen. Lautlos, 

mit behenden Bewegungen, näherten sie sich der 
Schluchtsohle, auf der einsam ein Planwagen stand. 

Hin und wieder blitzten ihre Tomahawks oder Lanzen in der 

Sonne. 

Beobachtungen, die Rene Sinclair mit gemischten Gefühlen 

machte, denn dies war seine zweite gefährliche Begegnung mit 
Apachen. 

Aber er kam nicht als ihr Feind. 
Sein Pferd schien das Fremde zu wittern. Die Ausdünstung 

des alten Mannes. Es stampfte unruhig mit den Hufen, wieherte 

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und prustete. 

Der Franzose hatte sich vom Lagerplatz erhoben und hielt 

nun als Geste der Freundschaft beide Arme über dem Kopf 
verschränkt. 

Noch sahen die Chiricahuas ihn nicht. Aber er verließ sich 

auf Chatos Wort, das der Häuptling ihm bei der ersten 
Begegnung gegeben hatte. Er kam nicht mit leeren Händen. 

Nun lösten sich ihre bronzefarbenen Körper vom rauhen 

Gestein, sprangen federnd vom Fels und umstellten Wagen und 
Reiter. Ihre Gesichter waren bunt bemalt, aber sie trugen keine 
geflochtenen Zöpfe, wie die Krieger, wenn sie kämpfen 
wollten, weit ausgeschnittene Kalicohemden, derbe Hosen und 
Wüstenmokassins. Ihre Hände waren in Bewegung, und ihre 
selbstgefertigten Waffen warfen Reflexe auf den kahlen Fels. 

Die lauernden Blicke der Indianer erzeugten in Sinclair 

Unbehagen. Als einige von ihnen auf den Wagen sprangen und 
die Plane zurückschlagen wollten, sah Sinclair Chato auf dem 
Fels stehen. Der Häuptling hatte seine Arme ausgebreitet und 
stieß kehlige Laute aus, die wohl Befehle sein mochten, denn 
die Krieger sprangen sofort vom Fahrzeug. 

Chato schritt über den kahlen Fels, bis er den weißen Mann 

erreichte. Er hob seine linke Hand zum Gruß, ohne Sinclairs 
Rechte zu drücken, die sich ihm entgegenstreckte. 

Ein stolzer, aufrechter Chiricahua. 
»Du hast gehalten dein Wort?« fragte Chato im 

Kauderwelsch und scheuchte zugleich einige Neugierige im 
Athabaskendialekt zurück. »Du Waffen, wie besprochen? 
Schnelle, gute Gewehre für Apachenkrieger?« 

Der Franzose nickte. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, 

und er wußte nicht, wie die Rothaut reagierte, wenn er die 
Gewehre übergeben hatte. 

»Und du, Chato, hast du das gelbe Metall?« 
Der Häuptling verzog das Gesicht. Er kannte die Bedeutung 

des Goldes für den weißen Eindringling, ohne darin einen Sinn 

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zu sehen. Chato wußte, daß die Bleichgesichter sich wegen 
dieses gelben Staubs gegenseitig umbrachten. 

Er nickte. 
»Cochise wird zeigen dir, wenn du ihm gezeigt hast die 

Waffen.« 

Cochise – ein Name, der wie das Unheil durch das Land zog, 

und jeden weißen Siedler zutiefst erschreckte. Selbst Sinclair 
war es dabei mulmig zumute. 

»Wir beide haben das Geschäft vereinbart, Chato«, 

protestierte der Franzose heftig. 

»Cochise ist unser oberster Häuptling. Er bestimmt, was 

deine Waffen wert sind. Komm jetzt!« 

Chato gab ein Zeichen, worauf drei Krieger die Pferde 

anspannten und sich auf den Bock setzten. Chato sah Sinclairs 
mißtrauischen Blick. 

»Sie lenken den Wagen sicher durch die Steilschluchten der 

Chiricahuas. Du nimmst dir eines ihrer Pferde.« 

In den folgenden Stunden bis zum Einbruch der Dämmerung, 

in denen Sinclair Chatos Pinto folgte, waren der Wagen und 
auch seine Krieger spurlos verschwunden. Aber er spürte, daß 
sie in der Nähe waren. 

Der Weg führte über Engpässe und Steilhänge, an 

schwindelnden Abgründen vorbei, immer tiefer in die Berge. 

Mit der Dunkelheit erreichten sie ein flaches Hochplateau am 
Fuß des Mammutornaments eines verwitterten Felsgebildes. 
Hier zügelte Chato seinen Pinto, nahm die Decke und breitete 
sie am Boden aus. 

»Wir wollen warten«, bestimmte der Häuptling. 
Auch Sinclair setzte sich nieder. »Wie lange?« 
Chato schwieg. 
Sein Blick berührte den blauen sternenbedeckten Zenit, und 

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er schien in ein Gebet versunken. Stunde um Stunde verging, 
bis Sinclair das ferne Knarren von Achsen hörte. Sein Wagen 
kam durch die Schlucht. 

Zur gleichen Zeit trabten von der Höhe des Felsens einige 

Reiter, deren Körper nur als undeutliche Konturen zu erkennen 
waren. Aber Sinclair ahnte, daß er bald dem mächtigen 
Kriegshäuptling der Apachen gegenübertreten würde. 

Chato hatte sich erhoben, sammelte dürre Äste einer 

Krüppelkiefer und begann mit einem gespannten Bogen und 
einem Stück Holz Funken zu schlagen. 

Als das Feuer aufflackerte, hatte die Reitergruppe im Osten 

das Plateau erreicht und scharte sich um die Flammen. Von 
Süden her trabte der vermißte Clan Chatos mit dem Planer 
heran. 

Der hochgewachsene, starkknochige Mann am Feuer, der 

ständig zu Sinclair herüberblickte, schien ihn zu beobachten. 
Auf ein Zeichen von ihm deutete Chato auf Sinclair. 

»Der Jefe möchte dich sprechen.« 
Flinke Hände hatten die Planen vom Wagen gezogen und die 

Planken geöffnet. Sie trugen in Felle gewickelte Bündel, die sie 
auf dem Platz vor dem Feuer ablegten. 

Sinclair erkannte seine Gewehre. 
Nun stand der Franzose vor dem Häuptling. Ein stattlicher 

und kräftiger Typ  mit kühner Adlernase und einem kalten, 
unpersönlichen Blick. 

»Zeig her!« befahl Cochise und deutete auf die 

Waffenbündel. 

Sinclairs Herz begann zu klopfen, als er sich niederbeugte. 

Er wußte, daß er alte Vorderlader mitführte, 
Steinschloßgewehre und einige rostige Sharps, aber er hoffte, 
daß Cochise mit dem Geschäft zufrieden war. Denn Waffen 
sind Waffen, gleich, ob sie schnell schießen oder umständlich 
geladen werden müssen. 

Vorsichtig schob er die Felle zurück. 

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Er merkte, wie ein Dutzend Mokassinstiefel ihn einengten, 

und richtete sich auf. 

Einer der Krieger reichte Cochise eine Fackel. 
Der Häuptling zeigte Unmut, als er die alten Waffen sah. 

Mißbilligend schüttelte er den Kopf. 

»Es sind nicht die Gewehre, die Chato gefordert hat.« 
»Aber es sind alle Gewehre, die ich bekommen konnte, 

Häuptling«, verteidigte sich der Franzose. 

Cochise machte eine herrische Bewegung. Er hielt ein 

Repetiergewehr, eine Henry 44, in der Faust, die er dem 
Händler hinhielt. 

»Das sind solche Gewehre, wie ich sie wünsche. Deine 

brechen meinen Kriegern beim ersten Schuß die Arme.« 

Sinclair betrachtete das Schnellfeuergewehr in Cochises 

Faust. 

»Es wird schwierig sein, sie zu beschaffen, Häuptling. Um 

sie zu kaufen, müßte ich sie mit gelbem Metall aufwiegen.« 

»Dann wirst du genügend gelbes Metall bekommen, um sie 

zu kaufen«, konterte der berühmte Apache. »Dies hier«, sein 
gestreckter Arm deutete auf Sinclairs Waffenarsenal, »ist keine 
Handvoll Goldstaub wert. Ich werde es dir trotzdem zahlen.« 

Cochise beugte sich vor und riß die Fellbündel auf. Er prüfte 

eine der rostigen Sharps, alte Trommelrevolver und 
Vorderlader. Erst der Anblick dreier Fässer Preßpulver schien 
ihn zu besänftigen, denn ein Lächeln huschte über die herben 
Züge. 

»Das ist es, was ich wünsche. Und Gewehre, viele gute 

Gewehre – zwanzig, fünfzig – und die dazugehörige Munition, 
Bleichgesicht.« 

Er zeigte auf die ausgebreitete Decke und deutete an, daß er 

über das Geschäft palavern wollte, wie es bei den Apachen 
üblich war. 

Cochise sprach fast eine Stunde, und Sinclair bekam 

schließlich klare Vorstellungen von dem Geschäft, das dem 

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Häuptling vorschwebte. 

Als Chato auf Cochises Ruf hin zwei Lederbeutel vor 

Sinclairs Füße warf, jubelte sein Herz. Er wog sie mit den 
Händen, als Cochise sagte: 

»Du wirst viermal so viel bekommen, wenn du meine 

Forderungen erfüllst: fünfzig Gewehre, tausend Schuß 
Munition für zehn Beutel Gold. Möge sich unser Handel in 
dieser Folge fortsetzen und gedeihen. Du siehst, Cochise 
spricht ohne gespaltene Zunge. Er macht dich zu einem reichen 
Mann.« 

Der Jefe stand auf, gab ein Zeichen, und seine Reiter 

formierten sich. Als sie in der Dunkelheit verschwanden, 
lagerte nur noch Chatos Anhang am Feuer. 

Sinclair hob einen der prallen Lederbeutel. Sie mochten 

etliche Unzen Gold enthalten, ein Vermögen. Aber Sinclairs 
Gier war geweckt. Die Macht des Goldes hatte ihn berauscht. 

»Dein großer Häuptling soll mit mir zufrieden sein.« 
Chato nickte. Er mochte den Händler nicht, aber die Apachen 

waren auf ihn angewiesen. 

»Nimm deine Decken und schlafe. Meine Krieger bringen 

dich morgen ins Tal zurück.« 

In dieser Nacht schlief Rene Sinclair unruhig. Der Traum 

vom Reichtum drang in sein Unterbewußtsein und ließ ihn 
nicht wieder los. 

John Haggertys Weg führte durch den Apachen-Paß. Wie 
immer, wenn er an Buchanan vorbeikam, blieb er Gast im Fort. 

Colonel Brigham hatte keine neuen Nachrichten. 
»Die Apachen scheinen sich aufgelöst zu haben wie ein 

Stück Eis in der Sonne, John«, berichtete der Kommandant 
sorgenvoll. »Es bedeutet nichts Gutes, wenn ich an den 
Aufruhr denke, den es im letzten Jahr gab. Niemand behindert 

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die Reisenden nach Tucson. Butterfields Kutschen erreichen 
ihr Ziel, und unsere Patrouillen stoßen in ein ödes fremdes 
Land. Bis zum Gila Bend keine Indianerfährten. Die erste 
Rothaut begegnet ihnen in der San Carlos Reservation. Haben 
Sie eine Erklärung dafür?« 

»Ich versuche, sie zu finden«, erwiderte der Chiefscout. 

»Cochises Zurückhaltung nach seinem blutigen Ausfall im 
letzten Sommer hat seine Bedeutung. Ich reite als General 
Howards Bevollmächtigter nach Fort Thomas.« 

»Und Sie werden keinen roten Hautfetzen auf der langen 

Strecke sehen. Dafür verwette ich eine Flasche besten 
Brandys.« 

Am Morgen verließ John das Fort und führte sein Pferd über 

den breiten Landweg ins Tal. An der Flanke erstreckten sich 
die mächtigen Bergsättel der Dragoon Mountains, wohin 
Cochise im letzten Herbst verschwunden war. 

Irgend etwas brütete dieser schlaue Fuchs aus. Doch sicher 

nichts, was dem Frieden diente. 

Etwa 20 Meilen westlich der Straße, am Rand der Gila, hörte 

John das ferne Echo von Karabinerfeuern. Es mußte von 
jenseits der Hügel kommen. Als Haggerty seinen Pinto mit 
einem Schnalzlaut antrieb, war es ihm fast eine Erleichterung, 
Geräusche einer Kampfhandlung zu vernehmen. 

Cochise schien sich doch zu rühren und brachte sich durch 

einen Überfall in Erinnerung. 

Als John über die Hügel galoppierte, sah er das weiße Dach 

eines Planwagens aus den Sanddünen ragen. Unweit davon, im 
blassen Grün eines Organosfeldes, zogen graue Rauchringe in 
den Himmel, die den Standort ihrer Schützen verrieten. 

John trieb mit den Schenkeln das Pferd vorwärts und zog 

seinen Karabiner aus dem Scabbard. Aus der Hüfte heraus 
jagte er einige Schüsse ins Grün der Kakteen, hoffend, 
irgendeinen Gegner zu treffen. 

Die wiederum nahmen sofort Haggerty aufs Korn, denn die 

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Geschosse flitzten ihm nur so um die Ohren. 

Das sind keine Rothäute, sondern gewöhnliche 

Straßenräuber, ging es Haggerty durch den Kopf, während er 
die Richtung änderte und im Zick-Zack-Kurs den 
Krämerwagen ansteuerte. 

Im vollen Lauf seines Pferdes schwang sich der Scout aus 

dem Sattel und landete im weichen Sand der Senke. Als er sich 
aufrichtete, sah er das grinsende Gesicht des Pedlars. 

»Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mister. Man nennt mich 

Sinclair, den Krämer«, sagte der Franzose, drückte den 
schweren Büffeltöter an die Schulter und schoß. 

Ein Funkenflug sprühte aus dem großkalibrigen Lauf, im 

nahen Gesträuch schrie jemand erbärmlich auf. 

In Haggertys Ohren dröhnte der Abschuß mit der Stärke 

eines Kanonenschlags. Er lächelte anerkennend, während 
Sinclair seine Flinte auflud. »Sie brauchen sicher keine Hilfe, 
Mr. Sinclair. Das war ein Meisterschuß.« 

Der Franzose schüttelte mit dem Kopf, als er die Kugel mit 

dem hölzernen Stößel in den Lauf pfropfte. »Sie streut wie eine 
alte Dame, deren Hände zittern. Das war ein Zufallstreffer. 
Aber es ist der zweite Kerl, den ich erwischen konnte. Drei 
lauern noch draußen.« 

»Wer sind sie?« Johns Blicke glitten über den Sandhügel. 

Irgendwo dort oben im Distelgestrüpp lagen ein paar Schurken, 
die es auf Sinclairs Kasse abgesehen hatten. John sah eine 
Bewegung und feuerte. 

Ein verhaltener Aufschrei folgte dem verwehendem Echo des 

Abschusses. 

»Sie sind ein Meisterschütze«, lobte der Franzose. Er hatte 

sein Monster mit Schrot geladen, um eine bessere 
Flächenstreuung zu erreichen. 

»Kennen Sie die Burschen?« wiederholte John seine Frage. 
Rene Sinclair zuckte verächtlich mit den Achseln. 
»Banditen aus Tucson, Gesindel vom Gila River. Wer 

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weiß?« 

Er schob den Flintenlauf über die Radnabe und drückte ab. 

Ein Pfund Buckshot zerfledderte das Disteldickicht, ohne daß 
einer der vielen Schrotkugeln ihr Ziel fand. 

John beobachtete den Mann. Für einen Pedlar hielt er sich 

prächtig. Angst schien er nicht zu haben. 

Warum war er dem Händler nie begegnet? 
»Sind Sie schon lange in dieser Gegend, Mr. Sinclair?« 
Der Franzose rutschte unter dem Wagenboden hervor und 

richtete sich auf. 

»Mein Geschäftsbereich liegt weiter südlich, zwischen 

Nogales, Bisbee, Sierra Vista. Manchmal komme ich bis zum 
Hochplateau zwischen den Dragoon- und den Whetstone-
Bergen. Aber dort gehen die Geschäfte schlecht, weshalb ich 
mein Unternehmen weiter nordwärts verlagern will, ins Tonto 
Basin vielleicht. Doch hier scheint ein heißer Wind zu wehen.« 

»Haben Sie keine Angst vor streunenden Rothäuten?« 
Auch John hatte sich aufgerichtet, denn dumpfer Hufschlag 

außerhalb der Senke verriet, daß die Banditen abzogen. 
Vielleicht wohl, weil der Pedlar Verstärkung erhalten hatte 
oder sie die Hosen voll hatten. 

Sinclair schob die Plane zurück und griff nach einer 

halbvollen Whiskyflasche. Er reichte sie Haggerty. 

»Einen Schluck für meinen Helfer.« 
Als John abwinkte, setzte Sinclair die Flasche an den Hals. 
»Rothäute«, sagte er dann und begann die Flasche sorgfältig 

zu verkorken. »Seit Wochen habe ich keine Nasenspitze von 
ihnen gesehen. Es ist ruhig geworden längs der Berge. Wenn 
dieses Gesindel nicht wäre, könnte man in Frieden hier seinen 
Geschäften nachgehen. Bleiben Sie über Nacht, Mister?« 

John blickte zum Himmel, der seine Farbe veränderte. 
»Es wird bald dunkel, Mr. Sinclair. Es ist wohl besser, wenn 

ich bleibe. Übrigens, ich heiße Haggerty.« 

Johns lässig hingeworfener Name ließ Sinclair kaum 

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merklich zusammenzucken. Aber Johns geschärfte Sinne 
nahmen es wahr, und er fragte sich, warum der Pedlar erschrak. 

»Sie kennen mich?« fragte er. 
Sinclair hatte sich gefangen. Er lächelte. 
»Ihr Name ist so bekannt wie der des Häuptlings Cochise. 

Jedes Kind weiß, wer General Howards bester Armeescout 
ist.« 

John pfiff seinem Pferd, schnallte die Bettrolle ab und warf 

sie in den Sand. Dann lockerte er die Zügel und ließ den Pinto 
frei laufen. 

»Ich werde mich ein wenig umsehen, Mr. Sinclair«, sagte 

John nach einigen Überlegungen. Dabei deutete er zu jener 
Stelle hoch, wo das Gesindel einen Hinterhalt gelegt hatte. 
»Sicher ist sicher.« 

John nahm seine Winchester, eilte den Hang hinauf und 

drang ins wuchernde Distelgesträuch ein. 

Seine Gedanken galten nicht dem Lumpenpack, denn er 

wußte, das hatte das Weite gesucht. Er kauerte nieder und 
beobachtete Sinclair, der seine Bettrolle im Sand ausrollte, zum 
Wagen zurückkehrte, zwei kleine, pralle Lederbeutel zu seinem 
Lager trug und sie vergrub. 

Sinclair suchte dann trockene Äste. Als er ein Feuer 

entzündet hatte, breitete er eine Decke aus und kramte im 
Wagen nach dem Abendbrot. 

John glitt nun am Buschwerk entlang, bis er überraschend 

auf einen Toten stieß, der scheußlich anzusehen war. Der 
Oberkörper war von Schrotkugeln durchsiebt, sein Halswirbel 
verrenkt. 

John packte den Toten am Stiefel und schleifte ihn in die 

Senke, wo der Pedlar gerade eine Wasserschüssel über das 
Feuer hängte. 

»Kennen Sie den Knaben, Mr. Sinclair?« John trat einen 

Schritt zur Seite, um dem Händler die Möglichkeit zu geben, 
den Toten näher zu betrachten. Er behielt ihn fest im Auge. 

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»Ihr Büffeltöter hat ihn übel zugerichtet.« 

Sinclair kam zögernd näher. 
John beobachtete ihn. 
Sinclair schien es zu spüren. Er beugte sich nieder, 

betrachtete das bärtige Gesicht des Mannes und sagte: 

»Er heißt Barabas und gehörte einmal zu Hank Doolins 

Banditen, Mr. Haggerty. Hat es für Sie eine Bedeutung?« Als 
John den Kopf schüttelte, richtete Sinclair sich auf. »Essen wir 
zu Abend und legen uns anschließend hin. Es war ein 
anstrengender Tag.« 

John stellte fest, daß der Pedlar außer der mächtigen Büchse 

nur noch einen Colt mitführte. Darauf angesprochen, sagte 
Sinclair mit saurem Lächeln: »Es ist das erste Mal, daß 
Banditen einen armen Händler überfallen. Meist ist bei Leuten 
meines Schlages nicht viel zu holen. Aber ich werde mich 
künftig umsehen und auch besser bewaffnen.« 

»Das könnte möglicherweise Ihr Leben verlängern, Mr. 

Sinclair.« John drehte sich mit geschickten Händen eine 
Zigarette und kroch unter die Decke. 

Es war Nacht geworden. Noch war die Erde warm. Aber 

nach Mitternacht kühlte sie ab, wurde empfindlich kalt. Das 
wußte John Haggerty. 

Er sah, daß Sinclair das Feuer löschte und zu seinem Lager 

ging. Prüfend blickte er zu seinem Schlafpartner hinüber, ehe 
seine Hände unter die Decke tasteten und die Säcke so 
zurechtlegten, um gut darauf schlafen zu können. 

Sie dienen ihm als Kissen, dachte John, während er den Kopf 

in die harte Sattelmulde drängte. Seine Kopfkissen sind 
weicher, und er schläft besser als ich. 

Mit dem ersten Sonnenstrahl war John auf den Beinen. Sinclair 
rollte gerade seine Decke zusammen und ließ dabei die Beutel 

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verschwinden. Trotzdem sah der Scout die Zeichen auf dem 
Leder. Es war Mimbrenjo-Malerei oder Chiricahua-Arbeit. Er 
erinnerte sich, daß der Pedlar aus dem Süden kam. Die 
Mimbrenjos hatten lange Zeit auf den Hängen der Sierra Madre 
gelebt. 

Unwillkürlich schüttelte John den Kopf. Weshalb mißtraute 

er eigentlich dem Mann, der auf sichtbar redliche Art sein Brot 
verdiente, und von dessen Existenz er bis vor einem Tag noch 
nicht einmal etwas wußte? 

Als John sein Pferd bestieg, warf er einen kurzen Blick auf 

den flachen Hügel, unter dem sie den Banditen begraben 
hatten. Dann lächelte er dem Händler zu, der seine Pferde 
einschirrte, und hob grüßend die Hand. 

»Wenn Sie so hoch im Norden Ihren Handel betreiben, Mr. 

Sinclair, werden wir uns vielleicht in irgendeiner Stadt 
begegnen. Ich werde mich dann für das gute Essen 
revanchieren.« 

Auch Rene Sinclair grüßte. Doch als John sein Pferd 

herumlenkte, lächelte er spöttisch. 

John Haggerty gilt als ein gefährlicher Mann, dachte er. Ich 

gehe ihm lieber aus dem Weg. 

»Rurales, maldito Canaille«, fluchte Domingo y Santos, seines 
Zeichens mexikanischer Rebell und Grenzbandit. »Irgendein 
Bastarde muß uns verraten haben.« 

Santos blickte zum schmalen Felsband hoch, das sich dicht 

an der Steilschlucht entlangzog, und spuckte in den Abgrund. 

Er verfolgte die Reiter, deren dunkles Lederzeug in der 

Sonne glänzte. Sie waren in der unteren Schleife der Serpentine 
in Deckung gegangen. Eine Gruppe konzentrierte ihr Feuer auf 
die Murros und erwischte eines der schwerbeladenen 
Maultiere, das über den Felsgrund in die Tiefe stürzte. 

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Eine zweite Gruppe beschäftigte sich mit der Nachhut der 

Desperados, die von Domingo y Santos geführt wurde. 

Steine und Dreck spritzten ihnen um die Ohren, und das helle 

Singen der Querschläger übertönte das Rattern der Gewehre. 

Santos wollte nach Arizona und führte kostbare 

Schmuggelware mit, bestehend aus guten Sharps-Gewehren 
und Karabinern, gestohlen in den Arsenalen der mexikanischen 
Armee in Janos. Es hatte ihn Mühe gekostet, den schlauen 
Fuchs, Colonel Terraza, zu überlisten und nun hingen ihm 
diese Rurales, die berittene Polizei, an den Fersen. 

»Worauf wartet ihr noch, ihr Schwachköpfe?« schrie Santos 

seine Leute an und fuchtelte erregt mit dem Revolver. »Sollen 
sie euch erst erschießen, ehe ihr aufwacht?« Noch immer 
häßliche Flüche ausstoßend, beugte der Mexikaner sich über 
den Abgrund. »Companeros, der Teufel möge euch holen.« 

»Der Teufel wird dich bald holen, Santos. Ergebt euch, und 

wir werden euch nur hängen. Müssen wir euch erst 
heranschleifen, kriegt ihr ein Feuer auf den Bauch gelegt, wie 
es die Mimbrenjos mit ihren Feinden machen«, rief ein Baß aus 
der Tiefe, und ein Hagel Geschosse zwang Domingo hinter den 
Steinwall zurück. 

»Kennst du seine Stimme, Ramon?« Der Guerilla grinste 

seinen Capo an, der den Körper fest gegen den Felsen gepreßt 
hielt. 

»Captain Yevaros, Amigo.« Ramon Martinez' Lachen klang 

verkrampft und verriet die Angst, die ihn beherrschte. »Er ist 
wirklich der Teufel in persona.« 

Noch immer fiel heftiges Gewehrfeuer. Aber die Murros 

waren hinter der Felsbiegung verschwunden. 

Domingo dachte über ihre Lage nach. Es sah nicht rosig aus 

für sie, denn Captain Yevaros war ein nicht zu 
unterschätzender Gegner, der ihnen schon des öfteren auf den 
Schmugglerpfaden aufgelauert und beträchtliche Verluste 
zugefügt hatte. Und er kannte die kompromißlose Bereitschaft 

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der Rurales, Feinde ihres Landes erbarmungslos zu töten. 

Yevaros' Drohung war durchaus ernst zu nehmen. Sicher war 

es nicht das erste Mal, daß er es nicht bei leeren Worten beließ. 

»Wir müssen sie aufhalten, wenigstens bis zum Einbruch der 

Nacht. Vielleicht gelingt es Juan Perez inzwischen, die 
Maultiere über die Grenze zu treiben. Unser ganzes Vermögen 
steckt in diesem Geschäft. Willst du es verlieren, Ramon?« 

Ramon Martinez gab keine Antwort. Aber er umklammerte 

seine Sharps fester und feuerte einige Kugeln in die Tiefe. 
Kurz darauf folgte dem Echo des Abschusses ein gellender 
Aufschrei. 

»Einen habe ich erwischt!« triumphierte er und lud seine 

Waffe nach. 

»Was bedeutet einer bei dreißig schwarzen Teufeln?« fluchte 

Domingo. 

Seine Blicke folgten den Gestalten, die von den Gipfeln der 

Berge talwärts zogen. Eine Stunde dauerte es bestimmt noch, 
bis es Nacht war und sie fliehen konnten, denn jede ihrer 
Bewegungen wurde mit einer Salve begleitet. 

Zu lange, um an einen Erfolg zu glauben. 
Zugleich hörte er die Geräusche aus dem Canyon. 

Herabfallendes Gestein zeigte, daß Captain Yevaros einen 
Angriff vorbereitete, um ihnen den Fluchtweg abzuschneiden. 

Domingo kroch die Rinne hoch, um freiere Sicht zu 

bekommen. Er sah flinke Gestalten mit Seilen und Haken den 
Steilhang an der nächsten Serpentinenbiegung hochklimmen 
und erkannte am pausenlosen Gewehrfeuer, das sich auf ihre 
Stellung konzentrierte, daß der Rurales-Anführer seine Leute 
zu decken versuchte. 

Domingo winkte zwei seiner Männer heran und schob sein 

Gewehr über die Felsbrüstung, als die sich neben ihn drängten. 

»Dort unten versuchen ein paar Diablos, uns den Weg nach 

Norden abzuschneiden. Janos, Carlos – nehmt sie euch aufs 
Korn.« 

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Domingos erste Kugel klatschte gegen den Fels. Doch die 

zweite holte einen Mann vom Felsband. Er warf mit spitzem 
Schrei die Arme hoch und versank im Dunkel des Abgrunds. 

Janos und Carlos trafen einen zweiten Mann, der im rissigen 

Fels verschwand. 

Sofort konzentrierte sich das Feuer der Gegner auf ihre 

Stellung. Gefährlich nahe zerplatzten die Bleigeschosse über 
ihren Köpfen in der Steilwand. 

»Wir müssen die nächste Wegbiegung erreichen!« rief der 

Desperado seinem Capo zu. »Ramon, Juan, ihr versucht es als 
erste!« 

Martinez kroch heran. Perez folgte ihm. Schweiß glänzte in 

ihren Gesichtern, die Angst kroch durch ihre Knochen. 

»Lieber tot als Captain Yevaros in die Hände fallen«, 

brummte Martinez, raffte allen Mut zusammen und hastete mit 
großen Sprüngen über das schmale Felsband. 

Juan Perez folgte ihm einige Schritte, ehe er kraftlos zu 

taumeln begann und hinschlug. Sein Körper zuckte im 
Schmerz, den zwei Kugeln verursachten. Er schrie und schlug 
um sich, dann stürzte er über das Felsband in die Tiefe. 

Sein Todesschrei klang allen in den Ohren. Aber Martinez 

hatte es geschafft, und Domingo y Santos war bereits auf 
halbem Weg zu ihm. 

Hinter sich hörte er den keuchenden Atem seines Freundes, 

die klatschenden Einschläge im Fels und die belfernden 
Schüsse von unten. 

Domingo warf sich neben seinem Capo in Deckung. Janos 

taumelte heran. Doch kurz vor dem Ziel wurde er von einer 
Kugel, die ihn aus der Richtung drängte, tödlich getroffen. Als 
er in den Abgrund fiel, humpelte Carlos heran. 

»Sie bringen uns alle um«, seufzte er verzweifelt. 
»Halt's Maul!« herrschte Domingo ihn an. »Wir müssen hoch 

zum Sattel der Serpentine. Bis zur Grenze ist es nicht mehr 
weit. Diese Nacht noch, und wir haben es geschafft.« 

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Domingos Worte gaben ihnen Mut und Hoffnung. 
Aus den tiefen Schrunden der Bergwelt krochen dunkle 

Schatten und hüllten die Gestalten ein. Aber sie hatten die 
Serpentine bereits verlassen und bewegten sich auf einer 
breiten, einsamen Paßstraße, die über den Bergsattel führte. 

Als die ersten blaßblauen Lichter am Himmel funkelten und 

die volle Scheibe des Mondes hinter dem Coronado Peak 
hervorkroch, erreichten sie den Troß. 

»Madre Sansissimo«, rief Paco, einer der Mulitreiber, als er 

den Boß erkannte. »Bei der heiligen Madonna, Domingo y 
Santos, als wir die Schüsse hörten, glaubten wir, daß El Diablo 
eure Seelen geholt habe.« 

»Spar dir deinen Atem, Paco«, rief Domingo lachend und 

zog sich auf den Rücken seines struppigen Pintos. »El Diablo 
sitzt uns im Nacken, Captain Yevaros.« 

»Ave Maria Purissma«, Paco bekreuzigte sich hastig und 

schwang wütend die Peitschen. »Adelante, ihr faulen, müden 
Stinktiere! Habt ihr's nicht gehört? Der Teufel ist euch auf den 
Hufen.« 

Im Beritt kamen sie schneller vorwärts. Domingo y Santos 

träumte von klingender Münze, die an der Grenze auf sie 
wartete. Von Zeit zu Zeit ließ er die Murros anhalten, um 
festzustellen, wie nahe ihre Verfolger waren. 

Aber seltsam, so sehr er sich anstrengte, nicht einmal war 

Hufgeräusch zu hören. 

»Er wird aufgegeben haben«, sagte Ramon. »Die Grenze ist 

keine fünf Meilen entfernt. Wenn die Sonne über die Berge 
steigt, sind wir im Territorium Arizona.« 

Domingo nickte. Nachdenklich strich er über den schmalen 

Lippenbart. Er wollte nicht glauben, daß er Captain Yevaros 
ein Schnippchen geschlagen hatte. 

»Grund zum Jubeln haben wir erst, wenn wir diese 

verdammten Waffen los sind.« 

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In den Tagen, wo Critten in der Einsamkeit nach Süden ritt, 
hatte er Zeit und Muße, über diesem seltsamen Pedlar 
nachzudenken, der ihm zur Flucht verholfen hatte. Doch 
Critten kam zu keinem Ergebnis. 

Er umritt in respektvoller Entfernung die befestigte Anlage 

von Fort Huachuca und erreichte am dritten Tag Nogales. 

Der Corporal brachte sein Pferd im Mietstall unter und 

machte sich unverzüglich auf die Suche nach Ramon 
Vaquence. Critten brauchte keine Stunde, um ihn zu finden, 
und als er dem hünenhaften Burschen in einem Saloon 
gegenüberstand, erkannte er, daß in Vaquence mehr 
indianisches Blut als das eines Weißen steckte. 

Seine ausgeprägten Wangenknochen, der schmale 

Nasenrücken und die dunklen Augen prägten die Merkmale der 
roten Rasse. Am Arm trug er eine schwarze Binde, die ihn als 
Halbblut auswies. 

Er schien ein stolzer und zugleich mißtrauischer Mensch zu 

sein. 

»Was will er, Dan?« fragte er den jungen Burschen, der 

Critten zu ihm geführt hatte. 

»Er bringt Grüße vom French. Er sagt, Sinclair sei sein 

Freund.« 

Ramons dunkle Augen musterten Critten so scharf, als 

blickten sie durch ihn hindurch, ehe er antwortete: »Wo bist du 
dem Franzosen begegnet?« 

»Drei Tagesreisen nordwärts. Er meinte, in Nogales würde 

ich Freunde treffen und nannte mir deinen Namen«, erwiderte 
Critten bereitwillig. 

Ramon Vaquence musterte ihn noch immer. Offenbar störte 

ihn Crittens Uniform. 

»Wozu braucht ein Soldat neue Freunde, Amigo? Er findet 

sie in der Armee.« 

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»Und wenn er die Armee verlassen hat?« Crittens Augen 

blitzten. 

Vaquence lächelte. »Er müßte einen Grund haben. Die 

Armee der Vereinigten Staaten ist ein sicherer Arbeitsplatz. Sie 
entläßt nur Veteranen. Du bist aber noch keiner. Also, was 
suchst du hier?« 

Critten nahm Vaquences vier Begleiter unter die Lupe. Keine 

vertrauenerweckenden Burschen. Sie stanken nach Knoblauch 
und schlechtem Whisky. Ihre Hemden mochten sie ein Jahr 
nicht mehr gewaschen haben, aber ihre Waffen blitzten wie 
eitler Sonnenschein. 

»Hast du Arbeit für mich oder nicht?« fragte Critten kalt. 

»Sonst gehe ich über die Grenze.« 

Der Ladino machte eine herrische Kopfbewegung. Seine 

Begleiter umstanden ihn. Ihre Hände lagen unmißverständlich 
auf den schweren Griffen ihrer Colts. 

»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Stranger«, 

sagte Ramon lächelnd. »Nach Sonora kannst du immer 
ziehen.« 

Critten überlegte nur einen Moment. Ihm wurde klar, daß er 

in eine Horde von Raufbolden und Revolverschwingern 
geraten war. Und er fragte sich unwillkürlich, was der 
Kaufmann Sinclair mit ihnen zu tun hatte, dann erwiderte er 
ruhig: »Der Kopf ist näher am Hals als der Hut, Amigo. Ich bin 
desertiert, weil ich einem verdammten Offizier die Visage 
poliert habe. Für solche Delikte gibt es gewisse Regeln in der 
Armee, die ich umgehen möchte. Kannst du das verstehen?« 

Ramon Vaquence lächelte. Auf seinen Wink hin traten die 

Revolvermänner zurück. 

»Ich kenne diese Regeln, Stranger. Komm morgen wieder. 

Wir wollen dann über deine Zukunft entscheiden.« 

»Warum nicht heute?« fragte Critten, als die Burschen sich 

abwandten und ihm den Rücken zeigten. 

»Weil ich es so entschieden habe«, gab Ramon Vaquence 

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zischelnd über die Schulter zurück. »Du mußt dich schon an 
unsere Regeln halten.« 

»Und wo treffe ich dich?« 
»Ich werde dich finden. Nun verschwinde. In Nogales gibt es 

'ne Menge Kneipen. Such dir eine aus, und laß uns hier 
zufrieden.« 

Critten verließ den Saloon. Er suchte eine schattige Ecke 

außerhalb von Nogales und legte sich ins Gebüsch. Er hatte 
eine Mordswut im Bauch und wollte am liebsten zurück in den 
Saloon, um dem hochnäsigen Ladino seine Meinung mit den 
Fäusten einzuhämmern. 

Aber Critten war klug genug, sich keine weiteren Feinde zu 

schaffen. Er hatte die Armee gegen sich, und die unternahm 
bestimmt bald was, um ihn zu finden. 

Am Abend kroch er im Mietstall ins Stroh. 
Im Morgengrauen erwachte Critten. Als er sich blinzelnd 

aufrichtete, stand Ramon Vaquence vor ihm. 

»Zieh das an und komm!« sagte er nur, warf Critten ein 

buntes Hemd und eine Weste zu und trat durch das offene Tor. 

Sam Critten sah Ramons Freunde auf der Straße. Sie saßen 

im Sattel und warteten. 

Also zog er sich um und führte Tom Harpers prächtigen 

Pinto aus der Box. Er warf ihm Decke und Sattel über und ging 
nach draußen. 

Sie wirkten verwegen. Critten erkannte, daß sie neben dem 

Halfter noch ein Schießeisen im Hosenbund stecken hatten. 

»Wohin?« fragte er und schwang sich aufs Pferd. 
»Deine Neugierde bringt dich noch mal um«, erwiderte 

Vaquence lakonisch. »Was willst du eigentlich? Geld 
verdienen oder uns mit Fragen bombardieren?« 

»Erwartest du darauf eine Antwort?« brummte Critten. 

»Also, zeige mir, was zu tun ist.« 

Sie ritten den breiten Fahrweg hoch, der durch die 

menschenleere Town führte, bewegten sich an aufgeschütteten 

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Hügeln entlang, und bald erkannte Critten, daß sie den 
Nordosthängen der Sierra Madre entgegenstrebten. 

Kaum einer sprach ein Wort. 
Critten wollte keine weiteren Fragen stellen. Hauptsache, er 

hatte einen Job, und der brachte etwas ein. 

Am späten Nachmittag durchfurteten sie einen Fluß, und 

Critten wußte plötzlich, wo sie sich befanden. 

Dies hier war Grenzgebiet, und irgendwo durch eine der 

tausend Schluchten der Sierra führte ein Schmugglerpfad von 
Mexiko nach Arizona. Es lag keine zwei Wochen zurück, daß 
seine Abteilung hier gewesen war. 

Unbewußt mußte er grinsen, als er an Lieutenant Braham 

dachte, was der wohl für ein Gesicht machen mochte, wenn er 
ihn hier hätte sehen können. 

Nachdem sie einige Arroyos durchquert hatten, schien es 

Critten, als suchte Vaquence die Richtung. Er rief seine Leute 
zusammen und fluchte lauthals. 

»Verdammt, wir sind doch an der richtigen Stelle. Wo 

stecken diese Fettköpfe?« 

»Versuch's mal mit einem Revolverschuß.« Tedd Lush zog 

den Colt aus dem Halfter. 

Vaquence stieß die Waffe beiseite. »Willst du die Blauröcke 

oder die Rurales herbeirufen? Wir wollen weiter suchen«, 
fauchte er wütend. 

Sie drangen tiefer ins Gebirge ein, wobei Vaquence und Lush 

ihnen vorausritten und den harten Fels nach Spuren absuchten. 

»Was sucht er in der Einöde?« fragte Critten einen der 

Männer. Er stellte fest, daß sie im Grenzbereich ritten. 

»Freunde«, sagte der Mann lakonisch. 
Der Arroyo verengte sich mit jedem Schritt, den sie vorwärts 

drangen. Sie mußten nun hintereinander reiten. Zunehmendes 
Dämmerlicht und auch der muffige Geruch der Schluchtsohle 
wirkten bedrückend. 

Als Critten einmal hochblickte, wo ein schmaler 

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Lichtstreifen des Himmels erkennbar war, erkannte er die 
senkrecht abfallenden Schluchtwände. 

Der Ladino und Lush waren seit einer Stunde außer 

Sichtweite. Doch als sie den scharfen Knick umritten, hinter 
dem sich ein Talkessel ausbreitete, sahen sie ihren Anführer 
wieder. 

Vaquence saß reglos im Sattel, während Lush neben seinem 

Pferd zu der einzelstehenden wuchtigen Kerzenkaktee 
hochstarrte, an der zwei Gestalten an gestrafften Leinen 
hingen. 

»Wer sind sie?« fragte Critten, als er heran war. Er sah die 

verzerrten Gesichter, wobei es ihm kalt über den Rücken lief. 

Sie hielten neben Ramon Vaquence, der seinen Karabiner in 

der Faust hielt und mißtrauisch die Umgebung musterte. 

Irgend etwas ging hier vor, denn auch Holmes, Tratten und 

die anderen hatten ihre Waffen ergriffen. 

Tedd Lush ging zu den Gehenkten. 
»Es sind Paco und Alfredo, Boß!« rief Lush dem Halbblut 

zu. »Santos' Leute. Dort drüben liegen Martinez und Perez...« 

Als Lush zu den Toten eilen wollte, die halb verdeckt in 

einer Felsspalte lagen, rief Vaquence warnend: »Komm 
zurück, Tedd, die Sache stinkt!« 

In dieser Sekunde rollte das Echo eines Abschusses durch 

den Talkessel. 

Tedd Lush warf die Arme hoch, drehte sich um die Achse 

und schlug tot auf den Fels. 

»Raus hier!« brüllte Vaquence und riß seinen Gaul herum. 

»Das ist ein Hinterhalt!« 

Die Männer erkannten es auch ohne Ramons Warnung, denn 

plötzlich war die Luft bleihaltig. Weitere peitschende Schüsse 
waren zu hören, die unheimlich nachhallten. 

Die Gruppe ergriff die Flucht. 
Vaquences Pferd stolperte, taumelte noch einige Schritte und 

brach zusammen. Im weiten Bogen flog der Ladino aus dem 

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Sattel, kam hinkend auf die Beine und stieß lästerliche Flüche 
aus. 

Niemand hatte den Vorfall bemerkt. Nur Sam Critten sah es. 

Trotz der umherschwirrenden Kugeln trieb er sein Pferd an 
Ramons Seite und streckte ihm einen Arm entgegen. 

»Komm!« brüllte er in den Lärm. 
Vaquence erfaßte instinktiv die dargebotene Hand, lief einige 

Schritte an der Seite des galoppierenden Tieres und schwang 
sich mit mächtigem Satz auf dessen Kruppe. 

Ramons Arme schlangen sich fest um Crittens Taille. Er trieb 

dem Pinto die großrädrigen Sporen in die Flanken und jagte 
hinter der flüchtenden Bande durch die schmale Felsschlucht. 

Noch eine Weile folgte ihnen das Echo der Abschüsse, dann 

wurde es still. 

»Was bedeutet das?« fragte Critten über die Schulter. 
»Verdammter Mist!« knurrte Vaquence hinter ihm. »Das 

sind Rurales, berittene mexikanische Staatspolizei. Sie haben 
Domingos Bande erwischt und mit ihnen unsere guten 
Gewehre. Bastarde, Fettköpfe«, schimpfte er unentwegt. »Sie 
hängen jeden, der sich auf dem Schmugglerpfad bewegt. Und 
sie tun es sogar schon auf amerikanischem Territorium. Die 
haben den Respekt vor ihrem mächtigen Nachbarn verloren.« 

Das also ist der Schmugglerpfad, dachte Sam Critten. 

Lieutenant Braham hatte ihn vergeblich gesucht, um sich einen 
Orden zu verdienen. 

Critten lachte lauthals. 
»Worüber lachst du Affe?« fauchte Vaquence zornig. 

»Versuche lieber, den Anschluß zu finden. Wir müssen raus 
aus dem Arroyo, bevor sie uns erwischen.« 

Nach einer Stunde sahen sie die flüchtenden Reiter, und 

Vaquence schrie: »Sie haben alle große Klappen. Wenn's aber 
mal knallt, machen sie in die Hosen.« 

Crittens Pinto war ein kräftiges, ausdauerndes Tier, das 

ständig an Boden gewann. Am Ende des schmalen 

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Durchganges, wo der Arroyo sich merklich verbreiterte, holten 
sie die anderen ein. Vaquence sammelte seine Leute um sich 
und machte sie nach Strich und Faden zur Sau. Er schimpfte sie 
Stinktiere, Kojoten, Waschweiber, Memmen und elende 
Feiglinge. 

»Wenn Critten nicht den Mut gehabt hätte, mir zu helfen, 

hinge ich jetzt neben Paco und Alfredo am Kaktus«, schrie er 
und zerrte Tratten wütend aus dem Sattel. »Du warst der erste, 
der es eilig hatte. Du wirst dafür bis Nogales laufen.« 

Vaquence schwang sich auf Trattens Gaul und schenkte 

Critten ein freundliches Lächeln. Sam spürte, daß er den 
Ladino für sich gewonnen hatte. 

Als sie die Wüstenregion erreichten, die sich vom Santa Cruz 

bis zum Gila River hinzog, legte sich die Dämmerung über das 
Land. Ihre Pferde waren total erschöpft, so daß der Ladino 
einen Rastplatz am Ufer des Flusses suchen mußte. 

Ramon hatte den Bauch voller Wut, und seine Leute merkten 

das. Sie suchten abseits ihres Bosses ihre Schlafstelle. 

Sam Critten, der seine Decke neben Vaquence ausrollte, 

hoffte, daß der Ladino ihm mittlerweile vertraute. 

»Wer waren die Toten, Ramon?« fragte er, als er unter der 

Decke lag. 

Vaquence blickte starr in den Himmel, an dem die ersten 

Sterne schimmerten. 

»Freunde, Schmuggler«, antwortete er nach einer Weile. »Sie 

lieferten uns aus Mexiko Waffen.« 

»Und wofür braucht ihr die? Wollt ihr etwa gegen die Armee 

ziehen?« 

»Sinclair will sie, und er zahlt einen guten Preis.« 
Mehr konnte Critten nicht erfahren. Aber er machte sich 

Gedanken darüber, weshalb ein fahrender Händler ein 
Waffenarsenal brauchte. 

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John Haggerty saß bei Colonel Higgins, als Lieutenant Braham 
ins Fort einritt. 

Braham formierte seinen erschöpften Haufen und ließ 

absitzen. Ein zweiter Befehl löste die Formation auf. Braham 
steuerte schnurgerade auf die Kommandantur zu. 

»Das ist Braham, einer meiner jungen Offiziere, John«, 

bemerkte Colonel Higgins. »Vielleicht erfahren wir mehr über 
die Dinge, die General Howard beschäftigen. Lieutenant 
Braham und seine Patrouille waren drei Wochen im 
Grenzgebiet, um diesen Gerüchten nachzugehen. Ich hoffe, er 
hatte Erfolg und konnte die Angelegenheit aufklären.« 

Es klopfte an der Tür, Lieutenant Braham trat ins 

Dienstzimmer und grüßte. 

Seine Kleidung war beschmutzt und von einer dicken 

Staubschicht bedeckt, was erkennen ließ, daß der Offizier lange 
in der Mesa geritten war. 

»Setzen Sie sich, Lieutenant, und berichten Sie!« forderte 

Colonel Higgins. Er deutete auf einen kleinen Tisch. »Nehmen 
Sie erst mal einen kräftigen Schluck.« 

Braham nickte und griff nach der Flasche. 
Als er sich niederließ, beugte Colonel Higgins sich neugierig 

über seinen Schreibtisch. »Schießen Sie los, Braham! Hatten 
Sie Erfolg?« 

Der junge Offizier schüttelte den Kopf. 
»In Nogales, Sierra Vista, im ganzen Grenzgebiet – überall, 

wo ich meine Nachforschungen betrieb, stieß ich auf eine 
Wand des Schweigens. Keiner schien etwas Konkretes über 
Schmugglerpfade in der Sierra Madre zu wissen. Nur 
Vermutungen, die zu nichts führten, waren hier und da zu 
hören. Entweder leben an der Grenze nur Dummköpfe, oder sie 
haben etwas zu verbergen. Wir haben mehrere Arroyos 
durchgekämmt und sind zeitweise auf mexikanischer Seite 
geritten. Keine Hinweise, die auf Menschen schließen ließen 
oder Tragtiere, die Konterbande führten, Sir. Ich muß 

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bekennen, das Unternehmen war ein Mißerfolg. Hinzu 
kommt...« 

Braham verstummte abrupt. Er nahm einen tiefen Schluck 

aus dem Glas. »Was kommt hinzu, Lieutenant?« 

Braham wischte über die Wange, wo noch die letzten Spuren 

von Crittens Faustschlag zu erkennen waren. 

»Ein Mann ist desertiert.« 
»Sein Name?« Higgins freundliches Lächeln war wie 

weggewischt. Desertation war etwas, was er als alter Soldat 
verabscheute. 

»Corporal Sam Critten.« 
»Critten?« Der Oberst schüttelte heftig den Kopf. Er kannte 

den Corporal, der sich im letzten Jahr bei den 
Auseinandersetzungen mit aufrührerischen Chiricahua-
Apachen mehrfach ausgezeichnet hatte, Critten war ein guter 
Soldat, und er – Higgins – hatte es längst in Erwägung 
gezogen, den Corporal zum Sergeant zu befördern. »Der 
Grund, Lieutenant?« fragte er mit schneidender Stimme. 

Braham wirkte nervös. 
»Die Einsamkeit, Sir, und der harte Dienst untergruben die 

Disziplin. Ich mußte einige harte Maßnahmen ergreifen, um sie 
wiederherzustellen. Corporal Critten griff mich in solch einer 
Situation tätlich an.« 

Der Colonel atmete tief ein, denn der tätliche Angriff auf 

einen Offizier war fast einer Desertation gleichzustellen. 

John Haggerty, der der Unterredung schweigend gefolgt war, 

stellte fest, daß Braham ein junger Offizier war, der den harten 
Dienst im Grenzland wenig kannte. Und sicher wußte er nicht 
mit Männern umzugehen, die eben dieses Land geformt hatte. 

»Ich werde Critten vor ein Disziplinargericht stellen«, sagte 

der Kommandant. »Lassen Sie den Corporal holen. Eh, Sie 
haben den Kerl doch wieder erwischt?« 

Lieutenant Braham lächelte säuerlich. »Nein, Sir, er ist 

entflohen.« 

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»Wie bitte?« Higgins schien nicht recht zu hören. 
»Jawohl, Sir. Nach seiner Inhaftierung konnte er sich von 

seinen Fesseln befreien und benutzte mich als Geisel, um eines 
der Pferde zu bekommen. Wir sind ihm eine Weile gefolgt, 
aber er benutzte das schnellste Pferd der Armee, Sergeant 
Harpers Pony.« 

Colonel Higgins hatte sich erhoben. Er ging zum Fenster und 

blickte auf die Palisaden, die das Fort umschlossen. Er wußte, 
daß die Disziplin seiner Soldaten mitunter nachließ, wenn sie 
lange draußen waren. Aber daß ein Soldat seinen Vorgesetzten 
niedergeschlagen und bedroht hatte, war während seiner 
Dienstzeit noch nicht passiert. 

»Wir werden Corporal Critten suchen lassen, Lieutenant. 

Schreiben Sie Ihren Bericht, und vergessen Sie nicht Ihre 
disziplinarischen Maßnahmen zu erwähnen, die zu dem Vorfall 
führten. Ich lege größten Wert darauf. – Danke.« 

Lieutenant Braham stand auf, grüßte zackig und verließ das 

Dienstzimmer. 

»Wer ist dieser Corporal, Sir?« fragte Haggerty, als der 

Lieutenant gegangen war. 

Higgins schob kurz seine Unterlippe vor. 
»Ein hervorragender Soldat und Einzelkämpfer, der mit den 

Verhältnissen in diesem Abschnitt bestens vertraut ist. Er kennt 
die Gepflogenheiten der Rothäute und kann denken wie ein 
Indianer. Unverständlich, unverständlich.« Er schien es nicht 
fassen zu können. 

»Vielleicht hat Lieutenant Braham ihn zu stark 

herausgefordert, Colonel. Braham ist jung, unerfahren. Er 
denkt noch wie die Kadetten in West Point. Das Leben im 
Grenzgebiet hat andere Gesetze und Maßstäbe.« 

Colonel Higgins nickte kurz. 
»Ich will mir erst ein Urteil erlauben, wenn ich Lieutenant 

Brahams Bericht gelesen und die Männer seiner Patrouille 
befragt habe. Was werden Sie nun tun, John?« 

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Haggerty zuckte grinsend mit den Achseln. 
»In den sauren Apfel beißen, Sir, und zur Grenze reiten. Es 

ist beunruhigend, wenn man solch schwerwiegenden 
Gerüchten nicht nachgeht. Wir leben in einem wilden Land. 
Cochise und auch Victorio verhalten sich merklich 
zurückhaltend. Es paßt nicht zu ihrem Temperament.« 

»Vielleicht wird ihnen der Deserteur dort unten begegnen. 

Womöglich ist er aber schon über die Grenze nach Mexiko 
geflüchtet. Ich will Ihnen trotzdem seine Personenbeschreibung 
mit auf den Weg geben.« 

Haggerty lächelte in Gedanken. Ein Mann wie Critten, den 

Colonel Higgins in allen positiven Varianten beschrieben hatte, 
war klug genug, um zu erkennen, daß ihm im Territorium nur 
die Flintenläufe eines Exekutionskommandos erwarteten. 

»Ich werde die Angelegenheit im Auge behalten, Sir«, 

versprach der Chiefscout und verabschiedete sich. 

Nach dem Frieden und der Vereinigung ihrer Stämme im 
Canyon de los Embudos und der eiligen Flucht aus der 
Umklammerung der mexikanischen Söldner unter Befehl 
Colonel Terrazas, hatten Chiricahua- und Mimbrenjo-Apachen 
sich tief in die Dragoon Mountains zurückgezogen. Sie lebten 
in ihren Apacherien der einsamen Bergwelt dicht unter der 
Schneegrenze der mächtigen Gipfel. 

Nur selten ließen Cochise oder Victorio kleine Spähertrupps 

talwärts ziehen, um das Terrain zu erkunden. Und sie hatten 
strikte Anweisungen, von sich aus nichts zu unternehmen und 
aus dem Verborgenen und in aller Stille ihre weißen Gegner zu 
beobachten. 

Im Lager selbst herrschte die Eintönigkeit des Alltags, den 

die Krieger mit Stockspielen, Weihe- oder Kriegstänzen 
ausfüllten, in denen sie, kraftvoll ihre Waffen schwingend, dem 

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imaginären Feind entgegentraten und ihre Geschicklichkeit im 
Töten demonstrierten. 

Aber es herrschte gewisse Unruhe in den Lagern, denn ein 

Volk, das die endlose Weite der Prärie als ihren Lebensraum 
betrachtet, konnte sich nur schwer an die enge Begrenzung der 
Bergfesten gewöhnen. 

An einer ihrer Zusammenkünfte am großen Feuer in 

Cochises Apacheria, zu der Victorio, Chato, Nana und Loco 
geladen waren, zeigte Geronimo, der junge Häuptling, offen 
seinen Unwillen über ihre Emigration. 

Während das Kalumet seine Runde machte, sprach Geronimo 

harte Worte. 

»Wir leben in unseren Dörfern wie in Gefängnissen, Cochise. 

Wir  dürfen weder zur Jagd in die offene Ebene ziehen noch 
unsere Feinde bekämpfen. Wir  sind stark, um sie mit Keulen, 
Lanzen, Bogen und Schleuder zu vertreiben. Statt dessen 
beherrschen Soldaten das Land, Siedler graben unsere 
Jagdgründe um und bepflanzen den Boden. Das Eisen unserer 
Tomahawks beginnt zu rosten. Das Ulmenholz der Bogen 
modert in der trockenen Sonne, und die Sehne verliert an 
Spannkraft.  Wir  leben hier wie unsere Weiber, faul und träge, 
eines stolzen Apachen nicht würdig.« 

Victorio nickte zustimmend. In seinen Augen funkelte es. 
»Unsere Stämme vereinen nun hundertfünfzig Krieger, die 

nur auf deine Befehle warten. Wann wird es soweit sein?« 

Der berühmte Häuptling saß auf seiner bunten Navajodecke. 

Er blickte Victorio fest an. 

»Ihr habt alle mich als obersten Kriegshäuptling gewählt. Ich 

werde den Tag des Aufstandes bestimmen. Bezähmt eure 
Ungeduld, die Würfel rollen noch. Chato hat die Verbindung 
gefunden, die uns stark und mächtig, unseren Feinden 
ebenbürtig machen wird.« 

Geronimo sprang unbeherrscht auf die Beine. 
»Wenn du von dem Händler sprichst, so sage ich dir, er will 

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uns betrügen. Er hat uns Gewehre geliefert, die nichts taugen, 
Pulver, das keine Kraft hat, zu explodieren. Revolver, die beim 
ersten Schuß auseinanderfallen wie ein Binsenrohr, das der 
gefiederte Pfeil spaltet. Du hast dem fremden Bleichgesicht 
mehr gezahlt, als dies alles wert ist. Wer weiß, ob wir ihn je 
wiedersehen.« 

Cochise zeigte sich der Würde eines Kriegshäuptlings 

bewußt. Er ließ die Anklagen über sich ergehen und wartete, 
bis Geronimo sich auf seiner Decke niederließ. 

»Der weiße Händler wird uns bald besuchen. Er ist dem 

Glanz des gelben Metalls verfallen. Hast du nicht die Gier in 
seinen Augen gesehen, Geronimo? Er wird uns Gewehre 
liefern. Gute Waffen, die denen der Soldaten ebenbürtig sind, 
denn er kennt den Lohn, der ihn erwartet.« 

Geronimo machte eine eindeutige Handbewegung zur Kehle. 
Der Häuptling sagte lächelnd: »Alles zu seiner Zeit, 

Geronimo. Wir müssen Geduld und Besonnenheit bewahren 
und uns eines Apachen würdig zeigen. Wir brauchen Gewehre 
und Munition, um ihre Forts zu stürmen. Wenn der Tag 
gekommen ist, wird ein Feuersturm über das Land fegen, der 
alle Fremdlinge vernichtet. Die Zeichen stehen sehr günstig. 
Der Schamane hat es in seinem Zauber gelesen.« 

»Auch daß der Händler uns nicht betrügt?« 
Cochise hob stolz den Kopf. 
»Das habe ich in seinen Augen gelesen, Bruder.« 
»Dann wollen wir warten«, bestimmte Victorio. 
Er schloß die Augen. Sein langes Haar fiel weit über die 

Schultern. Er träumte davon, diese Haarstränge zu Knoten zu 
flechten, mit seinen Amuletten zu verbinden, so wie es 
geschah, wenn ein Apachenkrieger den Feind angriff. 

Eine Woche verging, eine zweite. Chato war mit einigen 

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Kriegern in das einsame Tal am Fuß der Berge gezogen, das er 
als Treffpunkt mit dem weißen Mann bestimmt hatte. 

In diesen Tagen ritt er oft aus den schützenden Bergen, 

hoffend, in der weiten Ebene das weiße Dach des 
Pedlarwagens zu entdecken. 

Was Chato sah, waren die protzigen Kutschen der Butterfield 

Overland, die ungehindert durch die Plains nach Tucson 
rollten. Oder Soldaten. In kleineren Gruppen oder größeren 
Formationen bewegten sie sich durch den Apachen-Paß hinauf 
nach Fort Buchanan, dem Dorn im Auge eines Apachen. Sein 
Herz blutete. 

Eines Tages – Chato hatte sich weit hinaus in die Wüste 

gewagt – sah er aus dem Verborgenen einen Reiter 
vorüberziehen. 

John Haggerty, der Armeescout, der nach Süden ritt. 
Voller Unruhe kehrte er zurück zu seinen Brüdern und wagte 

in der Nacht den Aufstieg zur Apacheria. 

Cochise, dessen Späher die Ankunft Chatos meldeten, trat 

dem Häuptling entgegen. 

»Hat der Waffenhändler Wort gehalten, Chato?« fragte er 

hoffnungsvoll. 

Chato nahm ihm diese Hoffnung, denn er schüttelte den 

Kopf. 

»Wir werden in Geduld verharren, Cochise, denn Gewehre 

liegen nicht wie der gelbe Staub im Sand. Der Falke ist mir 
begegnet, ohne daß er meine Nähe spürte.« 

Cochise erinnerte sich seines Blutsbruders »Hellauge«, 

dessen Name wie ein Schnitt in seinem Herzen brannte. 

»Was sucht der Falke im Apachenland, Chato?« 
»Apachenspuren, Großer Häuptling.« 
»Hast du welche hinterlassen?« 
Chato winkte ab. 
»Dann komm ans Feuer und stärke dich. Wir  wollen über 

den Händler sprechen und hoffen, daß er sein Wort hält.« 

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»Er wird es halten, Cochise«, sagte Chato. 
Sie erreichten Cochises Wickiup und ließen sich auf den 

Decken nieder. »Seine Augen brannten voller Gier, seine 
Gedanken beherrschen das gelbe Metall, und sein Herz schlägt 
voller Ungeduld. Du hast es selbst erlebt!« 

»Dann wollen wir weiter hoffen.« Cochise schloß die Augen. 

Seine Gedanken sprachen mit den Göttern jenseits von Gut und 
Böse, und er erbat sich Hilfe und Kraft und ihr Orakel, das den 
weißen Händler schützen möge. 

Sinclairs Rückkehr nach Nogales war unauffällig wie der 
Alltag selbst in der Town. Er lenkte seinen Planwagen in den 
Hof des kleinen halbzerfallenen Anwesens, das er von der 
Minengesellschaft gepachtet hatte, schirrte sein Zugtier aus, 
hängte die lederne Falttasche über die Schulter und betrat die 
Hütte. 

Der Händler entzündete Feuer, hing den Wasserkessel über 

die Flammen und wartete. 

Es dauerte keine Stunde, als draußen Schritte aufhallten und 

sich der Hütte näherten. Rene Sinclair schob die Tasche unter 
den Stuhl, öffnete die Jacke und spannte den Hammer seines 
Revolvers. 

Sinclair war ein mißtrauischer Mensch, denn zwischen 

seinen Beinen lagen in der Tasche zwei Beutel mit je 1000 
Dollar an Gold. 

Erst als die Tür aufging und Vaquence über die Schwelle 

trat, schob er das Jackett wieder über den Leib. 

»Hallo, Ramon«, grüßte der Händler. 
»Tag, Boß«, brummte der Ladino, füllte seinen Becher mit 

Kaffee und setzte sich ans andere Ende des Tisches. 

Rene registrierte die Unruhe des Besuchers, die sich auch auf 

ihn übertrug. 

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»Ist was schiefgelaufen, Ramon?« fragte er lauernd. »Hat 

Santos uns im Stich gelassen?« 

»Rurales haben ihnen aufgelauert, Perez, Martinez, Paco und 

Alfredo sind tot. Und sicher hat auch Domingo y Santos und 
die anderen der Teufel geholt.« 

Vaquence berichtete, was sie in den Bergen erlebt hatten. 

Sinclair schwieg. Nur seine Gedanken arbeiteten schnell und 
präzise. 

Er hatte einen Vertrag mit Cochise und zwei Beutel Gold von 

ihm. Es war noch mehr von diesen roten Teufeln zu holen, 
wenn man es richtig anpackte, denn sicher hatten sie in den 
Dragoons eine Ader entdeckt. Aber ohne Santos keine 
Gewehre. Diese Verbindung war unterbrochen. 

Es galt, einen anderen Weg zu finden. 
Sinclair erinnerte sich an Critten. 
»Ist dir ein Blaurock zugelaufen, Ramon?« fragte er. 
Der Ladino nickte. »Einen Tag, bevor das in der Sierra 

Madre geschah. Er gab sich als dein Freund aus. Ist das nicht 
der Fall, Boß?« 

Der Pedlar lächelte. Er dachte an die flüchtige Begegnung 

mit dem Corporal. 

»Vielleicht wird er mein Freund. Es kommt darauf an, wie 

verläßlich er ist.« 

»Ich vertraue ihm. Critten hat mich vor einer Begegnung mit 

den Rurales bewahrt. Ich stehe in seiner Schuld.« 

Sinclair stand auf, nahm eine Brandyflasche vom Regal und 

füllte zwei Gläser. 

»Ich will offen mit dir über meine Pläne sprechen«, begann 

er und erzählte von seiner Begegnung mit dem Chiricahua-
Häuptling Cochise, dessen Forderungen und den eigenen 
Plänen. 

Ramon Vaquence verzog das Gesicht. Ihm war bewußt, daß 

Sinclair ihm etwas anvertraute, das den Tod bedeuten konnte, 
zugleich aber erkennen ließ, daß die Apachen den Aufstand 

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planten. 

»Weißt du, was es bedeutet? Moderne Gewehre in den 

Händen roter Krieger, Boß. Blutige Unruhen wären die Folgen. 
Keine Ranch wäre vor den Bestien sicher. Wir haben es im 
vergangenen Jahr schon einmal erlebt«, schloß Vaquence 
besorgt. 

»Sagtest du Bestien?« Sinclair betrachtete den Erregten mit 

herausforderndem Blick. »Hast du vergessen, daß du selbst ein 
Bastard bist, in dessen Blut ebensoviel rotes Blut fließt wie 
weißes? Vielleicht sogar noch mehr. Blick doch mal in einen 
Spiegel, Ramon.« 

Ramon fuhr wie von einer Tarantel gebissen hoch. Seine 

dunklen Augen funkelten zornig, und seine Rechte lag auf dem 
schweren Sechsschüsser. 

Sinclair schlug gelassen seine Rockschläge zurück, so daß 

Ramon den Silberbeschlag des Colts in Sinclairs Hosenbund 
sah. 

»Setz dich!« befahl der Franzose hart. »Wir reden vom 

Geschäft und fahren uns gegenseitig an die Kehle.« 

Ramon war aufs äußerste gereizt. 
»Sage nie wieder Bastard zu mir, Rene. Es könnte sein, daß 

ich dich mit den Fäusten zerquetsche. Und was das Geschäft 
mit Cochise angeht, da mache ich mir die Finger nicht 
schmutzig. Wenn die Armee davon erfährt oder dieser 
verdammte Captain Freeman aus Tombstone, hängen wir 
schneller am Galgen, als wir denken können. Und wenn 
Cochise hat, was er haben will, werden sie uns massakrieren. 
Ich kenne Chiricahua-Mentalität.« 

Ramon griff nach seinem Stetson. 
Rene Sinclair gab sich unbeeindruckt. 
»Setz dich!« wiederholte er herrisch. Dabei griff er unter den 

Tisch, erfaßte die Falttasche am Lederbügel und knallte sie hart 
auf den Tisch. 

Vaquence starrte ihn feindselig an. 

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»Was glaubst du, was hier drin ist, Ramon?« fragte Sinclair 

und zerrte an den Schlaufen. »Was wohl, Ramon?« wiederholte 
er und stülpte die Tasche um. 

Vaquences Blick war starr auf die prallen Lederbeutel 

gerichtet, die mit Chiricahua-Zeichen durchsetzt waren. 

»Greif zu, Ramon. Öffne einen der Beutel und gib mir dann 

deine Antwort.« 

Sinclair lächelte in Gedanken. Er hatte die Karten auf den 

Tisch gelegt. Für das Mischblut gab es nur eine Antwort: ein 
klares Ja, sonst würde er in die Hölle fahren, und Marshal 
Thombridge würde es als glatte Notwehr bezeichnen. 

Ramon zögerte. Er hatte Sinclairs Worte nicht vergessen, und 

er war empfindlich, wenn man ihn als Halbblut bezeichnete. 

Dennoch griff er zu und öffnete zögernd den dünnen 

Lederriemen. 

»Greif rein, Ramon. Oder soll ich dir helfen?« 
Sinclair riß ungeduldig dem Hünen den Beutel aus der Hand, 

kippte ihn um und schüttete den Inhalt auf die Tischplatte. 

»Gold!« flüsterte Vaquence verwirrt. 
»Reines Gold, Ramon. Cochises Gold. Die Anzahlung für 

zehn Gewehre. Er zahlt viermal so viel bei der Lieferung. Es 
brauchen keine Repetiergewehre zu sein. Armeekarabiner tun 
es auch. Der Häuptling wird für alles dankbar sein.« 

»Und schneidet uns vor Dankbarkeit die Kehle durch.« 

Vaquences Blick konnte sich nicht vom schillernden Glanz des 
Goldes lösen. Er wehrte sich, aber er spürte die Macht, die 
dieses Metall auf ihn ausübte. 

»Nein, Ramon«, widersprach Sinclair. »Cochise braucht 

Waffen. Er sinnt auf Rache für den schmählichen Verrat, der 
an ihm begangen wurde. Die Armee ist sein Feind, und 
Cochise weiß, daß die Militärposten durch den Krieg 
geschwächt sind und im Osten gegen ihre eigenen Leute 
kämpfen. Hier sieht er seine Chance, die Feinde aus seinen 
Jagdgründen zu vertreiben. Haß macht blind. Selbst wenn wir 

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ihm hundert Henry Rifles liefern würden und so alle seine 
Krieger mit modernen Schußwaffen ausrüsteten, würde sein 
Aufstand niedergeschlagen, noch ehe er recht begonnen hätte. 
Cochises blutrünstige Gedanken werden ihm unter den 
Schrapnells der Berghaubitzen und den Säbelhieben der 
Dragoner vergehen. Die einzigen Gewinner dieser Schlacht 
sind wir, Ramon, denn wir erkaufen uns mit Gewehren das 
Vertrauen des Kriegshäuptlings. Ist es erst soweit, können wir 
uns gefahrlos in ihren Bergen bewegen. Irgendwann werden 
wir auf ihre Goldmine stoßen.« 

»Du meinst, es gibt mehr davon?« 
Vaquence rieb die kleinen Staubkörner zwischen den 

Fingern. 

»Wo sie dieses Gold ausgebuddelt haben, ist noch mehr zu 

finden«, erwiderte Sinclair voller Überzeugung. 

Vaquence setzte sich auf den Stuhl. Er merkte, daß mit 

seinen Knien auch sein Wille schwach wurde. Ein Leben lang 
war er ein kleiner Gauner gewesen, der nicht mal vom großen 
Glück zu träumen gewagt hatte. Hier ein paar Pferde, dort eine 
Fuhre Brandy und dann die Dinge, die Domingo y Santos über 
die Grenze schmuggelte. Pulque, Tabak, Huren... 

Was hatte das alles eingebracht? 
In Sekunden lief sein Leben vor seinem geistigen Auge ab, 

es war offenbar, daß Sinclair ihn überzeugt hatte. 

Aber dann fragte Ramon: 
»Woher willst du die Gewehre holen, Boß? Santos' Bande ist 

hinüber. Santos selbst, sollte er das Massaker überlebt haben, 
wird sich vorerst nicht mehr auf den Schmugglerpfad trauen. 
Im Drugstore findest du ein paar rostige Flinten, die dir beim 
ersten Schuß um die Ohren fliegen. Also stecken wir unsere 
Träume auf und begnügen uns mit dem, was wir haben.« 

Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die beiden 

Lederbeutel. Sinclair schob sie in die Tasche zurück, stellte sie 
unter den Tisch und zog Flasche und Gläser heran. 

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»Wer hat wohl dieses Material im Überfluß?« fragte er und 

schenkte die Gläser randvoll. 

»Die Armee«, entfuhr es dem Halbblut, und er erschreckte 

vor seinen eigenen Gedanken. »Du meinst...« 

»Genau das meine ich, Ramon. Wir rüsten Cochise mit 

Waffenbeständen der Army aus. Wir holen sie aus den 
Magazinen der Forts, von ihren Materialzügen und wenn es 
sein muß, sogar aus General Howards Headquarters.« 

Ramon Vaquence lauschte dem Pedlar, der seine Pläne 

entwickelte, vom Reichtum und Glück sprach, wovon er ein 
Leben lang geträumt hatte. Irgendwie verlor Ramon Angst und 
Hemmungen, als der Boß sagte: 

»Wir brauchen nur tüchtige Leute, und alles klappt wie am 

Schnürchen.« 

»Geeignete Männer sind kein Problem. Es laufen genügend 

verkommene Existenzen in und um Nogales herum, die schon 
x-mal ihre Stiefelsohlen gekocht haben, weil der Kohldampf 
schmerzhaft in ihren Eingeweiden wühlt. Ich werde sie 
überzeugen.« 

»Und Critten?« fragte Sinclair lauernd. »Kann man ihm 

vertrauen?« 

»Was willst du mit Critten?« brauste Ramon auf. »Wenn der 

sein Glück nicht will, läßt er es bleiben.« 

»Er war Soldat und kennt die Gepflogenheiten der Armee. Er 

weiß, wie man an ihre Depots und Lager herankommt, wie sich 
eine Eskorte von Soldaten verhält, wenn ihr Munitionsdepot 
angegriffen wird, und viele andere Dinge. Du siehst, wofür ich 
ihn brauche.« 

Vaquence war aufgestanden. Er blickte durch die blinden 

Fensterscheiben auf den Hof, der voller Unrat war. 

»Critten ist Deserteur. Ich weiß nicht, wie verkommen er 

ist«, wandte Ramon ein. 

»Dann hole ihn, ich werde ihm seine Lage vor Augen 

führen.« 

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Aus Nogales kommend, durch das Brachland reitend und 
kleinere Ansiedlungen umgehend, näherten sich zwölf Reiter 
dem Fortposten Huachuca. Sie hielten sich zwischen flachen 
Hügeln und drangen unbemerkt in Dickicht ein, das Fort 
Huachuca im weiten Bogen umschloß. Auf einer kleinen 
Lichtung, die Vaquence für günstig hielt, stiegen sie von ihren 
Pferden, lösten die Sättel und rieben die schweißnassen Felle 
der Tiere mit Grasbüscheln trocken. 

»Hier wollen wir vorerst bleiben«, bestimmte der Ladino und 

winkte Sam Critten heran. 

»Du warst lange genug bei der Armee, um zu wissen, wie es 

in einem Fort aussieht.« Dabei deutete er durch das Gebüsch 
zum nahen Fort, dessen gespitzte Palisaden steil in den Himmel 
ragten. »Die Hülle kenne ich, nicht aber die Eingeweide.« 

Critten lächelte, denn Vaquences Worte zeigten, daß der 

Mann nie in der Armee gedient hatte. 

»Jedes Fort wird nach einem gewissen Maßstab gebaut. Es 

kommt auf die äußeren Bindungen an. Sie stehen in Tälern 
oder auf günstigen Höhen. Im Innern gleichen sie wie ein Ei 
dem anderen: Das große Tor im Vordergrund, die Palisaden, 
innen mit Wehrgang und einem Ausfall versehen. Beim 
rückliegenden Teil, zum Hof hin, liegen im Mittelteil 
Kommandantur und Offiziersbaracke. Im Anschluß die 
Mannschaftsunterkünfte. Neben den Mannschaftsräumen die 
offenen Pferdeställe, Geräteplatz und im äußersten Winkel das 
Depot.« 

»Das ist es, was uns interessiert. Steigen wir auf den Hügel.« 

Vaquence nickte zufrieden. 

Sie krochen durch dichtes Gesträuch den Hang hoch. Von 

oben aus lag das Blickfeld offen, und sie konnten einen Teil 
des Innenhofes übersehen. 

Critten hielt das Fernrohr an die Augen, mit dem Sinclair sie 

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ausgerüstet hatte, und betrachtete eingehend das Fort. 

»Es hat nur eine kleine Besatzung. Ich schätze die Stärke auf 

zwölf Mann. Wahrscheinlich ist eine Patrouille draußen.« 

»Das Depot!« 
Critten reichte seinem Begleiter das Glas. 
»Wenn du dem Schnittpunkt des Fahnenmastes folgst, links 

im Winkel, dort muß es sein. Du kannst es nicht erkennen, es 
liegt tiefer als die anderen Bauten und ist im unteren Teil 
eingegraben.« 

Vaquence registrierte jede Bewegung im Fort. 
»Wie viele Posten bei Nacht, Sam? Wann werden sie 

abgelöst?« 

»Mitternacht erscheint mir als günstigste Zeit. Du weißt, wie 

einem zumute ist, wenn man gewaltsam aus den schönsten 
Träumen gerissen wird. Du brauchst eine Zeitlang, um munter 
zu werden.« 

Vaquence nickte. 
»Also um Mitternacht.« 
Sie stiegen ins Tal zurück, wo die Bande faul auf ihren 

Decken lag. Vaquence setzte sich dazwischen, begann die Lage 
zu besprechen und die Rollen zu verteilen. 

Drei von ihnen sollten Critten begleiten und ihm dabei 

helfen, die Wachen unschädlich zu machen. Einer hatte dann 
die Aufgabe, das Tor zu besetzen und rechtzeitig zu öffnen, 
wenn das Gros der Bande auftauchte. 

»Wir anderen werden eine Stunde nach Crittens Aufbruch 

vor dem Tor erscheinen und die Waffen mitnehmen. Die Sache 
muß vorbei sein, ehe irgendwer Alarm schlagen kann. Noch 
eine Frage? Nein? Okay, dann legt euch ein paar Tücher 
zurecht, die ihr später den Gäulen um die Hufe wickelt.« 

Von nun an warteten sie auf die Nacht. 
Vom Fort her kamen Geräusche. Bei Sonnenuntergang blies 

der Hornist den Zapfenstreich. Die Armee holte ihr 
Sternenbanner ein. 

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Am Stand des Gestirns las Vaquence die Nachtzeit ab. Als es 

soweit war, weckte er die Leute. 

Critten, Holmes, Tratten und Holsten traten vor ihren 

Anführer. Vaquence reichte ihnen je ein Bündel langschäftiger 
Pfeile und sagte grinsend: 

»Chiricahua-Pfeile aus Sinclairs Bestand. Laßt sie so zurück, 

daß man sie später entdeckt. Vielleicht können wir ihnen 
glaubhaft machen, Apachen hätten ihr Depot ausgeraubt.« 

Critten drängte näher. 
»Wofür braucht Sinclair die vielen Gewehre?« wollte er 

wissen. 

»Er hat dir gesagt, um der Armee eins auszuwischen. Er wird 

die Karabiner an die Siedler verkaufen und den Gewinn mit 
uns teilen.« 

Critten schüttelte den Kopf. 
»Bringen sie so viel ein, daß sich der Umstand lohnt?« 
Vaquence lachte. »In diesen unsicheren Zeiten ist ein guter 

Karabiner nicht mit Gold aufzuwerten. Wir werden alle 
zufrieden sein. Und nun haut ab. Eure Pferde findet ihr später 
am Haupttor.« 

Critten führte seine Gruppe durch das Gebüsch. Tief geduckt, 

jede Mulde nutzend, näherten sie sich dem Fort. Als sie die 
Außenpalisaden erreichten, deutete Sam nach oben. 

»Wirf das Lasso um einen Pfahl, Tratten. Ich steige als erster 

hoch.« 

Sam preßte sich an die Wand. Oben erklangen Stiefelschritte 

des Nachtpostens auf den harten Bohlen des Laufganges. Sam 
hörte, wie der Mann die Leiter runterstieg. Also mußte die 
Ablösung bald kommen. 

»Beeil dich!« flüsterte Critten, als die Schritte sich 

entfernten. »Wir müssen im Turm sein, ehe er wieder besetzt 
wird.« 

Tratten schwang bereits das Lasso. Er ließ die Schlinge 

aufwärts schnellen. Mit schwachem Klatschen schlang sich die 

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Schlaufe um den Stamm. 

Sam prüfte die Sicherheit und hangelte sich katzengleich in 

die Höhe. 

In den Innenhof fiel ein Lichtstreifen. Er kam aus der 

Wachstube, aus der gerade zwei Männer traten und getrennt zu 
den Palisadengängen hochstiegen. 

Tratten und Holsten lagen flach auf dem Bauch. Critten 

spürte ihre Nähe und die Erregung, die sie beherrschte. 

Die Leitersprossen knarrten, der Schatten des Postens verfloß 

in seinen Konturen. 

Als der Soldat den Laufgang erreicht hatte, schnellte Sam 

Critten vor und schlug mit dem Revolverkolben zu. Noch im 
Niedersinken fing er den Körper des Bewußtlosen auf und ließ 
ihn geräuschlos auf die Dielen gleiten. 

»Ich hole den anderen«, wisperte Critten ohne Erregung. Er 

war kaltblütig und dachte daran, daß dies die Gelegenheit war, 
jener Armee eins auszuwischen, der er vier Jahre lang treu 
gedient hatte. »Holmes, Holsten – ihr folgt mir in zwei 
Minuten. Tratten, du besetzt das Innentor. Und trampelt nicht 
wie die Ochsen durch die Gegend!« 

Critten war in der Dunkelheit verschwunden. Er kannte die 

Palisadengänge und ihre Tücken aus vielen Nächten, wo er 
selbst darauf gewacht hatte. 

Der zweite Wachtposten schien es sich in einer Ecke bequem 

gemacht zu haben. Critten sah es am Glimmen seiner Zigarette, 
die ihm nun den Weg wies. 

Überraschend stand er vor dem Mann. Sein Revolver sauste 

nieder. Ohnmächtig fiel der Posten zur Seite. Das alles geschah 
fast lautlos und erinnerte Sam Critten an jene wilde Zeit, als er 
in der Unionsarmee geritten war. 

All right, dachte Sam und schob die Waffe ins Halfter 

zurück. Er hörte am leisen Knarren der Bohlen, daß Holmes 
und Holsten näher krochen. Als sie heran waren, mahnte er: 
»Hebt die Füße hoch, hier beginnen die Treppen! Wir müssen 

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an der Wachstube vorbei.« 

Sie erreichten den Innenhof – Tratten war bereits auf seinem 

Posten – robbten unter dem erleuchteten Fenster der 
Wachstube her und erreichten die spitzen Winkel im hinteren 
Teil des Forts. 

Critten arbeitete zielstrebig. Er brauchte keine Minute, und 

das Schloß ließ sich öffnen. Der Weg war frei. Hintereinander 
schoben sie sich an der offenen Tür vorbei ins Depot. 

Sorgfältig verschloß Sam die Tür und riß ein Zündholz an. Er 

sah die entsetzten Gesichter seiner Begleiter und grinste. 

»Im Arsenal gibt es aus Sicherheitsgründen keine Fenster. 

Soldaten klauen genau wie Zivilisten. Sie nennen es nur 
organisieren.« 

Sam nahm eine Stallaterne vom Haken, entzündete den 

Docht und schlich den beiden voran. 

In langen Reihen, säuberlich ausgerichtet, standen fast 80 

Gewehre im Ständer, und am Ende des Ganges entdeckten sie 
Munitionskästen und Pulverfässer. 

»Das gäbe ein prächtiges Feuerwerk«, bemerkte Holsten mit 

gemeinem Grinsen. 

»Schlag dir das aus dem Kopf«, zischelte Critten. »Packt so 

viele Karabiner in den Riemen, wie ihr tragen könnt, dann 
nichts wie raus. Unser Glück kann nicht ewig dauern.« 

Critten hängte sich an jeden Arm acht Springfield-Gewehre 

und wartete, bis seine Begleiter fertig waren. 

Lautlos überquerten sie den Hof und erreichten unbemerkt 

das Tor. Tratten hatte bereits den Riegel zurückgeschoben. Sie 
legten vorsichtig die Waffen ab. 

Sam lauschte nach draußen. Von Vaquence und der Bande 

war nichts zu hören. 

»Wir brauchen Munition. Ohne Patronen taugt der beste 

Karabiner nichts«, sagte der Corporal mit einem kritischen 
Blick zur Wachstube. 

»Und noch ein paar Schießprügel«, bemerkte Holsten. »Die 

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Herren Generäle werden sich totlachen, wenn sie erfahren, daß 
Fort Huachuca geknackt wurde.« 

»Die Armee wird uns wie räudige Köter jagen, um ihr 

Ansehen wieder aufzupolieren. Ich weiß nicht, wer zuletzt 
lacht. Kommt!« 

Die dunkle Nacht nahm sie auf. Als sie zurückkamen, stand 

das Tor weit offen. Vaquence war eingetroffen und dabei, die 
Gewehre auf ihren Pferden zu verstauen. 

»Vorwärts!« befahl Vaquence, als er Critten erkannte. »Holt 

eure Gäule, wir hauen ab!« Als Holmes an ihm vorübereilte, 
hielt er ihn an der Schulter fest. 

»Alles klar?« fragte er leise, so daß Critten es nicht hören 

konnte. 

»Alles klar.« 
Lautlos, wie sie in Fort Huachuca eingedrungen war, 

verschwand die Bande in der Finsternis. 

Als sie fünf Meilen südlich durch das Hügelland ritten, 

erhellten mächtige Flammenblitze sekundenlang den Himmel. 
Das Echo vieler Detonationen rollte in Intervallen über die 
Hügel. 

»Verdammt!« Sam Critten parierte aufgeschreckt sein Pferd 

und starrte auf den lodernden Feuerball, der in der Ferne 
zerfiel. »Das kommt vom Fort.« 

Vaquence tauchte an seiner Seite auf. »Der Donnerschlag 

wird die Besatzung eine Weile beschäftigen, Sam, und uns 
genügend Vorsprung geben, die Beute in Sicherheit zu bringen. 
Vorwärts!« 

Sam Critten preßte die Lippen zusammen. Er war Deserteur 

und bereit, der Armee Schaden zuzufügen. Aber gleich ein 
halbes Fort in die Luft zu sprengen, so tief saß sein Haß nicht. 

Und zum erstenmal spürte er, daß er an Sinclairs oder 

Vaquences Seite immer mehr auf die schiefe Ebene geriet. 

Im Morgengrauen zog die Bande durch die Steilschluchten 

des Santa Rita-Gebirges, ohne daß ihnen irgendein Mensch 

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begegnet war. 

Aber Vaquence wußte, daß es in und um Fort Huachuca bald 

von Soldaten, Aufgeboten, Bürgerwehren und sonstigen 
Jagdkommandos wimmeln würde. Er beschloß, die Beute in 
einer der vielen Höhlen des Miller Peak zu verstecken, ehe 
man sie wie blinde Hühner jagte. 

Stärkere Regsamkeit der Jagdgruppen im Santa Cruz County 

veranlaßten Ramon, die Bande in mehrere Gruppen 
aufzuteilen. 

Während vier Männer als Wachen bei der Beute 

zurückblieben, zog ein zweiter Trupp zur verlassenen Farm 
Dan Millers, nahe Harshaw. Vaquence kehrte auf 
Schleichwegen nach Nogales zurück, um dem Boß Bericht zu 
erstatten. 

Aber Sinclair war längst über die Geschehnisse im Fort 

Huachuca informiert und empfing den Ladino nicht gerade 
freundlich. 

»Du solltest Waffen aus dem Fort besorgen und nicht gleich 

ein ganzes Gebiet und die Bewohner in Aufruhr versetzen. In 
den Bergen und auf dem Flachland wimmelt es von 
Patrouillen. Huachuca City, Sierra Vista und Tombstone haben 
ihre Bürgerwehren zusammengerufen. Sie alle befürchten einen 
Aufstand der Apachen wie im vergangenen Jahr. Verdammt, 
Ramon, welcher Teufel hat dich geritten?« 

Sinclair wanderte unruhig in der alten Hütte am Stadtrand, 

die er vor einem Jahr von der Minengesellschaft gepachtet 
hatte, um seinen Geschäften einen soliden Aufhänger zu geben, 
hin und her. 

Ramon lächelte verkrampft. 
»Ich dachte, das wäre in deinem Sinn.« 
Sinclair wirbelte herum. 
»Ich sagte dir, wenn es nicht anders geht, macht ihr ein 

wenig Rabbatz, um die Truppe aus dem Fort zu locken. Aber 
Huachuca halb in die Luft zu sprengen, war glatter Wahnsinn. 

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Eine Herausforderung an die amerikanische Armee, Ramon. 
Sie ist trotz aller Schwächen noch verdammt stark im 
Territorium vertreten. Und hinter ihr stehen die Bürger und ihre 
Jagdkommandos, die den Schutz der Soldaten brauchen. Es 
werden Wochen vergehen, ehe sie sich beruhigen. Sag mir 
jetzt, wie der Erfolg war.« 

Ramon sprach von der Beute. 
»Sechzig nagelneue Springfield-Karabiner und tausend 

Schuß Munition. Das wird Cochise von deiner Aufrichtigkeit 
überzeugen, Boß. Er wird deine Bitte nicht ausschlagen können 
und dir gestatten, daß du mit deinen Freunden eine Weile in 
den Dragoons reiten kannst, ohne daß seine roten Teufel uns 
belästigen.« 

Er erklärte, wo sie die Beute hinterlassen hatten, und daß es 

ihm in Anbetracht des herrschenden Trubels im Cruz County 
ratsam erschienen war, den Großteil der Bande ins 
Wüstengebiet zu dirigieren. 

»Millers zerfallene Farm liegt so einsam, daß sie längst 

vergessen sein dürfte.« 

Sinclair kannte den Ort von früheren Zusammenkünften und 

stimmte Ramons Entscheidung nachträglich zu. 

»In einer Woche wird es ruhiger werden. Dann bringt ihr die 

Waffen an das trockene Wasserloch in den Ausläufern des 
Chiricahua Peak«, bestimmte der Franzose. »Und nun 
verschwinde! Ich möchte nicht, daß wir zusammen gesehen 
werden.« 

Sinclair nutzte den Morgen, um in Snatters Warenlager 

einige Bestellungen aufzugeben. Snatter warnte ihn, in diesen 
unruhigen Zeiten allein in die Plains zu ziehen. 

»Die Apachen sind auf dem Kriegspfad, Mr. Sinclair«, gab er 

zu bedenken. »Ein gefülltes Warenlager wäre nach ihrem 
Geschmack.« 

Doch Sinclair winkte gelassen ab. »Ohne Risiko kein 

Gewinn.« 

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Er suchte den Barbershop auf, wo es immer Neuigkeiten gab, 

und später Tanners Saloon. Vaquence hockte in der Ecke vor 
einem Glas Bier. 

Sinclair glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als er 

seinen Hof betrat. Am Hitchrack stand ein Pferd, und auf dem 
Kutschbock saß ein Mann, dem er nicht gern begegnen wollte. 

»Hallo, Mr. Haggerty!« grüßte er dennoch freundlich. »Das 

nenne ich eine Überraschung.« 

John schwang sich vom Bock. Sinclair rechnete damit, daß 

der Scout längst seinen Wagen durchwühlt hatte. 

»Ich wußte doch, daß es Ihr Fahrzeug ist.« John lächelte. 

»Die Welt ist klein. Man trifft überall Bekannte.« 

»Und Sie, Mr. Haggerty? Immer noch auf der Jagd nach 

Gerüchten?« Sinclair reichte ihm die Hand und deutete zum 
Haus. »Kommen Sie rein. Ich habe noch einen alten Kentucky, 
den ich mir für Freunde aufgehoben habe. Ich möchte mich 
erkenntlich zeigen, weil Sie mir einmal das Leben gerettet 
haben.« 

»Reden wir nicht davon.« John folgte dem Händler in dessen 

Behausung. 

Sinclair war Junggeselle. Er lächelte. 
»Stören Sie sich nicht an der Unordnung. Ich bin nur selten 

zu Hause. Sie wissen schon...« 

John nickte. 
Der Pedlar hatte eine staubige Flasche Whisky aus einem 

Schubfach genommen. 

»Sie handeln wohl mit Whisky?« fragte John nach dem 

ersten Schluck. 

Sinclair wußte, worauf der Mann hinauswollte. Diese Frage 

bestätigte seine Vermutung. Haggerty hatte in seinem Wagen 
geschnüffelt. 

»Durstige Kunden gibt es überall«, antwortete der Franzose 

lächelnd. 

»Auf den Farmen, die Sie besuchen?« 

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»Klar.« 
»Und nicht in den Dörfern der Chiricahuas, Mimbrenjos oder 

Tontos?« Auch John lächelte. 

Er kannte die Händler vom Schlag Sinclairs. Sie handelten 

mit allem und jedem. 

Sinclair tat entrüstet. 
»Sie wissen, daß ich Indianern keinen Schnaps verkaufen 

darf. Wollen Sie mich beleidigen, Mr. Haggerty?« 

»Es war nur ein Scherz.« 
Sie besprachen belanglose Dinge, und der Chiefscout 

verabschiedete sich bald. 

Sinclair hatte ihm noch einen Tip gegeben, wo der 

Schmugglerpfad nach Mexiko liegen könnte. Aber John hatte 
andere Dinge im Kopf. Der Überfall auf Fort Huachuca 
beschäftigte ihn, denn er war einen Tag nach der Zerstörung in 
Fort Huachuca eingetroffen. John wußte, was an Waffen 
gestohlen worden war, und der Kommandant hatte ihm die 
Chiricahua-Pfeile gezeigt, mit denen einer seiner Soldaten 
getötet worden war. Hier lag der Haken. 

John bestieg sein Pferd und ritt hinaus. Eine Reitergruppe 

trabte die Straße hinunter. Ungefähr 50 verwegene Burschen. 
An ihrer Spitze ein graubärtiger Mann in zerschlissener 
Armeeuniform. 

John erkannte ihn trotz der Entfernung. Unwillkürlich preßte 

er die Lippen zusammen, als der Graubart aus dem Verband 
schwenkte. 

»Hallo, Mr. Haggerty!« grüßte Captain Freeman und wischte 

sich den Schweiß von der Stirn. »Man findet Sie überall, wo 
Unruhen sind. Ich wußte, daß wir uns begegnen würden, 
nachdem man mir in Fort Huachuca von Ihrem Besuch 
berichtet hat. Sie haben wohl eine Nase für die Dinge. Na ja, 
als Howards bester Scout...« 

John blickte an Freeman vorbei. Die Miliz, die der Captain 

Frontier Bataillon nannte, bog in eine Seitenstraße. 

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»Sie sind auch schnell auf den Beinen, Captain, wenn es gilt, 

ein paar armen Chiricahuas den Skalp zu nehmen.« 

Es lag ein verächtlicher Ton in Haggertys Stimme, der 

Freeman aufbegehren ließ. 

»Ich weiß, daß Sie mit den Chiricahuas sympathisieren. Die 

haben Ihnen auch einen wohlklingenden Namen verpaßt: 
Falke. Sie sind wohl mächtig stolz darauf. Aber ich kenne diese 
tückischen Bastarde. Falsch bis in die Zehenspitzen, wild wie 
Raubtiere. Ich bin im letzten Jahr auf sie gestoßen, Scout, und 
es hat mich dreißig meiner besten Leute gekostet. Das werde 
ich Cochise nicht vergessen.« 

»Ihre Heldentaten gingen durch die gesamten 

Boulevardblätter des Territoriums«, sagte John. Er mochte 
»Lion« Freeman nicht, weil der und sein Frontier Bataillon ein 
Unruheherd im Territorium waren. John gab ihm die Schuld an 
den blutigen Zusammenstößen zwischen Cochise und der 
Bevölkerung im vergangenen Jahr. Freemans grausamer 
Vernichtungsfeldzug gegen Apachendörfer war der Anlaß, daß 
Cochise ebenso grausam zurückschlug. 

»Diese Heldentaten, wie Sie es zu nennen pflegen, Mr. 

Haggerty«, entgegnete Freeman scharf, »waren eine absolute 
Notwendigkeit. Der Beweis: Cochise hielt ein Jahr lang Ruhe. 
Aber er mußte wieder raus aus seiner Festung. Er fühlt sich 
belogen und betrogen, in seiner Ehre verletzt.« 

»Ist es nicht auch so, Captain Freeman?« John lächelte über 

Freemans Worte. 

»Ihre Sympathien sind offen auf Cochises Seite, Scout.« 
»Ich arbeite für General Howard, Freeman, dessen 

Friedensbemühungen von Leuten Ihrer Sorte durchkreuzt 
werden. Sie werden im Santa Cruz County weder auf einen 
Chiricahua noch auf einen Mimbrenjo-Krieger stoßen.« 

»Wir sind ihren Spuren bis in die Santa Rita Mountains 

gefolgt«, trumpfte der Captain auf. »Haben die aber leider in 
den Bergen verloren. Wir werden uns in Nogales neu ausrüsten 

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und die Jagd fortsetzen.« 

John lächelte. Auch er war der Fährte von Fort Huachuca bis 

ins Gebirge gefolgt, nur mit klareren Augen. 

»Ist Ihnen nicht aufgefallen, welchen Beschlag ihre Pferde 

trugen?« 

»Sie waren beschlagen. Aber was bedeutet das, Mr. 

Haggerty? Apachen stehlen, was nicht niet- und nagelfest ist. 
Warum also auch nicht beschlagene Gäule?« 

John betrachtete den erregten Mann. Der ehemalige Captain 

hatte in Tombstone einen ebenso berühmten wie berüchtigten 
Namen. Er war eine Autorität und Befehlshaber der Miliz von 
eigenen Gnaden. Er besaß die Macht und das Können, 100 oder 
200 aufrechte Männer für seine Sache zu begeistern. Und wie 
in Tombstone entstanden bereits in anderen Settlements 
Jagdkommandos, die sich Freeman unterstellt hatten. 

»Wir wollen die Sache in Ruhe besprechen, Captain«, lenkte 

der Chiefscout ein. »Ich komme heute nacht in Ihr Biwak.« 
John lockerte die Zügel seines Pintos und ritt an Freeman 
vorbei die Straße hoch. 

»Wenn Sie mich von der Harmlosigkeit Ihrer roten Freunde 

überzeugen wollen, legen Sie sich lieber schlafen, Haggerty«, 
rief Freeman ihm nach, ehe auch er sein Pferd in Trab setzte. 

John lächelte. 
Am Nachmittag ging er in eine kleine Pension. Bis zum 

Einbruch der Nacht lag er angezogen und mit wachen Augen 
auf dem Bett. Seine Gedanken waren unablässig in Bewegung 
und kehrten immer wieder zu der Frage zurück: wer hat 
Interesse an 60 Springfield-Gewehren? Und die Antwort war 
stets die gleiche: Cochise. 

Wenn man Cochise nur zu packen bekäme. Aber der schlaue 

Fuchs saß in seiner Bergfestung, ließ die Zeit für sich arbeiten 
und schmiedete gefährliche Pläne. 

Als John sich endlich erhob, ahnte er: jene Männer, die Fort 

Huachuca überfallen hatten, hielten Verbindung mit dem 

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Häuptling. 

Eine vage Vermutung, aber als Scout hatte er einen sicheren 

Instinkt. 

Auf dem Weg zu Freemans Lager war es John, als folgte ihm 

in der Dunkelheit jemand. Doch er mußte sich getäuscht haben, 
denn nach mehreren Finten, die er schlug, um den 
vermeintlichen Verfolger zu erwischen, gab er auf. 

Freeman saß auf dem ausgetrockneten Stamm eines 

Skelettbaumes. Er schien auf den Besucher gewartet zu haben, 
denn er blickte herausfordernd hoch, als John sich niedersetzte 
und ihm einen langschäftigen Pfeil reichte. 

»Nachdem beschlagene Pferdespuren Sie nicht überzeugen 

konnten, frage ich Sie, Captain, kennen Sie einen solchen 
Pfeil?« 

Freemans Hände glitten über den biegsamen Schaft, prüften 

das Gefieder. 

»Ohne Zweifel Chiricahua-Arbeit.« 
John nickte. »Ich habe ihn aus Fort Huachuca.« 
»Und was ist daran so auffällig, Mr. Haggerty?« 
»Suchen Sie nach Merkmalen, Sir.« 
»Er ist langschäftig wie ein Jagdpfeil«, erklärte Freeman 

nach eingehender Prüfung. 

»Es ist ein Jagdpfeil. Ein Apache würde ihn nie zum Angriff 

benutzen, weil er seine Bewegungsfreiheit einengt. Chiricahuas 
benutzen im Kampf kurzschäftige Pfeile, die sie im Köcher am 
Rücken tragen. Gerade so lang, daß sie das Federholz über die 
Schulter gut fassen können.« 

Captain Lion Freeman lächelte. 
»Sie versuchen alles, um Cochise zu rehabilitieren, Mr. 

Haggerty. Ihre Argumente aber reichen nicht. Cochise braucht 
gute Waffen, um sich aus seiner Bergfestung zu wagen. Er 
weiß, was ihn in den Plains erwartet.« 

John spürte Freemans Widerstand. 
»Cochise weiß, daß seine Apacheria die letzte sichere 

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Wasserstelle ist. Er wird sich zum Kampf stellen, wenn er sich 
stark genug glaubt. So schätze ich den Häuptling ein, Captain. 
Aber er wartet, bis er gerüstet ist.« 

»Dann sollte man die Militärposten verstärken, um derartige 

Übergriffe, wie sie in Fort Huachuca geschehen sind, 
unmöglich zu machen«, rief Freeman spontan. 

»Oder die Gauner zur Rechenschaft ziehen, die die 

Chiricahuas mit Kriegsmaterial versorgen.« 

»Cochises Stamm ist arm. Auf der Flucht ist ihm nichts 

geblieben«, widersprach Captain Freeman. »Womit sollte er 
Waffen bezahlen können?« 

John lächelte über Freemans Einwand. 
»Denken Sie an die San Pedro-Minen auf den Hügeln vor 

Tombstone. Oder die Gold- und Silberminen in Pies Altos. 
Überall in den Bergen Arizonas werden Digger fündig. Warum 
sollte Cochise, der dieses Land schon als Jüngling durchstreift 
hat, nicht auf Schätze gestoßen sein, die er – bisher unbeachtet, 
doch nun, wo er die Macht des gelben Metalls kennengelernt 
hat – zu seinem Vorteil ausnutzen?« 

Freeman zog seinen Mantel über die Schulter und blickte 

über das Feuer. Er fixierte den Scout scharf und lächelte 
plötzlich. 

»Cochise hat in Ihnen einen großartigen Fürsprecher, Mr. 

Haggerty. Es muß für den Häuptling ein erhabenes Gefühl sein, 
Sie als Freund zu besitzen.« Freeman gähnte und erhob sich. 
»Sie können mich nicht überzeugen, Mr. Haggerty. Wir 
brechen morgen zur Jagd auf.« 

»Vielleicht sollten Sie über meine Worte nachdenken, 

Captain«, sagte John. 

Freeman warf ihm einen letzten Blick zu, ehe er sich 

abwandte. 

»Und noch eins«, rief der Scout hinter Freeman her, der 

bereits sein Zelt erreicht hatte. »Ich bin nicht Cochises Freund. 
Der Häuptling betrachtet mich als Feind, wie alle Weißen, die 

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sein Land gestohlen haben.« 

Captain Freeman blieb stehen. Er hielt den Zeltverschlag in 

der Hand und blickte herüber. John sah sein spöttisches 
Lächeln und hörte die ironische Stimme. 

»Warum verteidigen Sie so leidenschaftlich Cochises 

Unschuld, wenn Sie sein Feind sind, Mr. Haggerty?« 

»Um das nächste Massaker zu verhindern, Captain 

Freeman«, kam es voller Bitterkeit zurück. »Und um den 
Frieden zu sichern, für den General Howard eintritt. Oder 
einfach, um ein Unrecht zu verhindern.« 

John sah, daß Captain Freeman den Zeltverschlag fallen ließ. 

Zornig wandte er sich ab. 

Rene Sinclair blickte noch einmal den Weg zurück, den er 
gefahren war. Stumm und reglos nahm er Abschied von 
Nogales, das irgendwo hinter einem der Hügel lag. 

Für Sekunden galten seine Gedanken dem verdammten 

Armeescout, dessen Neugierde ihn zum Aufbruch bewogen 
hatte, dann blickte er wieder nach vorn. 

Den ganzen Tag durchfuhr er die Einsamkeit, ohne eine Spur 

von Reitern zu entdecken. Sinclair wußte, daß Jagdkommandos 
der Bürgerwehren und Militärpatrouillen noch immer auf der 
Suche nach den roten Banditen waren, die Fort Huachuca 
überfallen hatten. Aber ihr Eifer begann zu erlöschen wie das 
Feuer, dem man die Nahrung entzog. 

Am zweiten Tag stieß er, weitab von der Normalroute 

Benson-Nogales, auf das verödete Brachland von Miners Farm, 
und schon hinter dem nächsten Hügel erkannte er die 
verfallene Hütte. 

Sie schien verlassen, doch als er auf Rufnähe herankam, trat 

ein Hüne vor die windschiefe Tür und ging auf den Hof. 

Ramon Vaquence. 

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Neben ihm tauchten vier Männer auf, die freudig ihre Arme 

hoben und dem Eintreffenden zuwinkten. 

Sinclair lenkte sein Gefährt in den Hof und hielt es an. Er 

stieg steif vom Bock und vertrat sich die Beine. 

»Alles in Ordnung?« fragte er den Hünen. 
Der Ladino nickte. »Wie du es befohlen hast. Die Ware ist 

auf dem Weg ins Versteck. Wir sind zurückgeblieben, um auf 
dich zu warten.« 

Sinclair betrachtete seine Leute. Holmes und Vaquence 

waren vom alten Stamm. Danz und Liberace waren erst vor 
einigen Wochen zur Bande gestoßen. Zwei üble Raufbolde aus 
dem Texas Panhandle. Brauchbar für gewisse Aufgaben. 
Critten konnte er nicht trauen. Dieser verdammte Deserteur 
dachte zu liberal. Von Ramon wußte er, daß Critten 
Schwierigkeiten machte, nachdem er erfahren hatte, daß Fort 
Huachuca in die Luft geflogen war. Aber er stufte ihn nicht als 
Gefahr ein, denn Critten war selbst ein Outsider, der sich 
niemandem anvertrauen konnte. 

Der Pedlar nickte zufrieden. 
»Dann kann die Sache bald laufen. Ramon, du wirst mich 

begleiten. Dir, Holmes, vertraue ich die Leute an. Ihr werdet 
zwei Tage auf Millers Farm bleiben und uns den Rücken 
decken. Sollte irgendeine Posse auftauchen, lenkt sie auf eine 
falsche Fährte. Nun holt euch Vorräte aus dem Wagen, es ist 
genügend vorhanden.« 

Noch ehe eine Stunde vergangen war, saß Sinclair wieder auf 

dem Bock. 

Holmes fragte: »Weshalb soll es Ärger geben, Boß? Die 

Armee sucht Indianer. Sehen wir so aus?« 

Der Pedlar grinste. 
»Der einzige Bursche, den ich fürchte, ist ein Armeescout. 

Ihm traue ich zu, daß er hinter mir herschnüffelt. Sollte er auf 
der Farm auftauchen, legt ihn um.« 

»Und wie erkenne ich den Gentleman?« 

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»Du riechst ihn schon, wenn er auf hundert Schritte heran ist. 

Sein Name ist John Haggerty. Also, bis auf bald.« Sinclair 
lockerte die Zügel. 

Als sie über den nächsten Hügel zogen, ritt Vaquence auf. 
»Fürchtest du wirklich einen einzelnen Mann?« 
»Haggerty ist eine halbe Armee, Ramon, klug und 

gefährlich. In Nogales schlich er eine Woche um mich herum, 
so, als habe er gespürt, daß ich ihm bei der Lösung seiner 
Aufgabe dienlich sein könnte. Wenn die Jungs und der Scout 
aufeinandertreffen, wird es hart, denn Haggerty dürfte sich 
einige aussuchen, die ihn auf dem höllischen Trail begleiten.« 

Bis zum Abend durchstießen sie den flachen Teil nördlich 

des Miller Peak, und drangen am Morgen in die Ebene 
zwischen Bisbee und Sierra Vista vor. Zweimal sahen sie in 
der Ferne größere Reitergruppen, ohne daß sie selbst entdeckt 
wurden. 

Fast schnurgerade führte die Strecke zu dem grauen 

Bergmassiv am Horizont. Ihr Richtungsweiser war der 
mächtige Chiricahua Peak. Am Nachmittag wurde das Land 
wellig und war von Diesteln und Organisfeldern durchsetzt. 

»Wir sind keine fünf Meilen vor dem Ziel, Ramon«, sagte 

der Franzose. »Reite voraus und melde meine Ankunft, damit 
es keine Mißverständnisse gibt.« 

Vaquance gab dem Pferd die Sporen. 
Im Abenddämmern schwenkte er zwischen die Caps des 

Chiricahua Peak und stieß, während es dunkelte, in eine 
Schlucht. 

Seine Leute warteten voller Ungeduld. 
Während sie nun die Waffen aus einer verborgenen Höhle 

zum Planwagen schleppten, rief Sinclair den Ladino heran. 

»Wir brechen noch in der Nacht auf, Ramon. Ihr werdet die 

Flanke sichern und eine Nachhut bilden. Morgen früh wirst du 
nach langer Zeit wieder einen der roten Teufel sehen. Es steht 
viel auf dem Spiel, Ramon. Verhaltet euch diszipliniert und 

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bleibt zurück, wenn Chato es fordert. Chato ist ein 
mißtrauischer Fuchs, dem ich erst erklären muß, warum ihr 
mich begleitet. Ich hoffe, Cochise gewährt uns einige Tage 
Gastfreundschaft.« 

»Damit wir seine Goldquelle finden.« Vaquence grinste 

niederträchtig. Seit vielen Tagen und Nächten träumte er vom 
gelben Metall, das irgendwo in den Bergen lag. 

»So ist es.« 
Die Waffen lagen verborgen unter Hausrat und Proviant, 

nicht sichtbar für den Uneingeweihten. Sinclair prüfte alles 
sehr gewissenhaft. 

»Okay«, sagte er schließlich, »wir können aufbrechen.« 
Die Nacht war hell und sternenklar. Hin und wieder 

entdeckte Sinclair seine Reiter in den Flanken. Als der Morgen 
zu grauen begann, spürte der Pedlar, daß sie nicht mehr allein 
ritten. Irgendwo in der Dämmerung folgten wachsame Augen 
dem Zug. 

Plötzlich waren sie da. 
Sechs, acht Reiter auf ungesattelten Pferden, mit Lanzen und 

Bogen bewaffnet, hatten unbemerkt die Ostflanke 
durchbrochen und versperrten den Weg. 

Sie hielten ihre Lanzen gesenkt. Rene Sinclair sah die kurzen 

Kriegspfeile an den gespannten Bogen. Für einen Augenblick 
spürte der Franzose die Kälte der Angst zwischen den 
Schulterblättern, doch dann erkannte er Chato, der an dem 
Zugpferd vorbei näher ritt. 

Stumm musterte er den Mann auf dem Bock, als suchte er 

eine Erklärung, warum der Pedlar nicht allein gekommen war. 

»Wer sind die fremden Reiter, die in deinem Schatten folgen, 

Händler?« fragte Chato voller Mißtrauen in der Stimme. Es lag 
lange zurück, daß sie sich das letzte Mal begegnet waren. 

»Freunde«, erwiderte Sinclair, während er mit dem Kopf zu 

den Chiricahuas deutete, die wachsam der Szene folgten. 
»Freunde, wie du sie auch in deiner Begleitung hast. Es ist 

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gefährlich, allein durch das weite Land zu reiten, besonders, 
wenn ich kostbare Fracht mitführe.« 

Chatos faltiges Gesicht blieb unbeweglich, aber in seine 

Augen sprang plötzlich ein Funke, der sein Interesse erkennen 
ließ. Er trieb sein geschecktes Pony bis zum Wagen und stieß 
mit der Lanze die Plane zurück. Weit beugte er sich über den 
Hals seines Pferdes und schüttelte den Kopf. 

»Wo sind die Gewehre?« 
Wieder dieses Mißtrauen. Chato stieg auf die Ladefläche, 

schob einige Getreidesäcke beiseite, bis glänzendes Metall 
sichtbar wurde. 

Da hellte Chatos Gesicht sich auf. 
»Folge mir, aber laß die Fremden zurück!« forderte er den 

Franzosen auf. 

Doch Sinclair winkte heftig ab. 
»Es war nicht leicht, die Feuerrohre zu besorgen, Chato. Sie 

liegen nicht wie Steine in der Gegend herum. Wir mußten sie 
aus einem Fort der Blauröcke stehlen. Dabei wurde ein Soldat 
getötet. Seitdem sind sie auf unserer Fährte. Wir müssen 
untertauchen, bis die Blauröcke die Suche aufgeben.« 

Chato hielt sein Pferd zurück. Er suchte in Sinclairs Gesicht 

lügnerische Worte. 

Als der Franzose jedoch seinem Blick standhielt, nickte er. 
»Enju. Ich werde deinen Freunden ein Versteck zeigen, wo 

sie deine Rückkehr abwarten können. Komm jetzt, Cochise ist 
sehr ungeduldig.« 

Chato streckte den rechten Arm, als der Händler den Wagen 

in Bewegung setzte. Folgsam wichen die Apachen zur Seite. 

Als John Haggerty die windschiefe Tür aufstieß, ahnte er, daß 
etwas Unvorhergesehenes geschehen würde, denn diese Farm, 
die er auf der Suche nach dem verschwundenen Rene Sinclair 

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berührte, war nicht verlassen. 

Die Mündung eines langläufigen Sechsschüssers war so dicht 

vor seinen Augen, daß er glaubte, die Patrone am Ende des 
Laufes zu erkennen. 

Ein breites, verwegenes Gesicht, das Haggerty schon mal in 

Nogales gesehen hatte, schimmerte hinter dem Revolver. Und 
John hörte die höhnische Stimme des Mannes, der seinen 
Namen nannte. 

»Willkommen, Mr. Haggerty! Wir haben bereits auf Sie 

gewartet.« Der Kerl trat einen Schritt zurück, so daß John die 
Männer erkennen konnte, die ihre Colts in den Fäusten hielten. 
Dabei grinsten sie unmißverständlich. »Tritt näher, du 
schnüffelnder Bastard. Der Boß hatte recht, wenn er sagte, daß 
es nur einen gäbe, der unsere Aufgabe gefährden könnte.« 

Als Haggerty sich zögernd in Bewegung setzte, bekam er 

einen schmerzhaften Faustschlag in die Rippen, der ihn bis zu 
dem Tisch schleuderte. John knickte in den Knien ein und 
konnte sich gerade noch an der Tischkante festhalten. 

Ein gemeiner Fußtritt traf seinen Rippenbogen und schnürte 

ihm fast die Luft ab. Für einige Sekunden war John wie 
gelähmt, und in dieser kurzen Zeit zog Holmes, der 
offensichtlich vor den Kumpanen seine Verwegenheit zeigen 
wollte, den 44er aus Haggertys offenem Halfter. 

Schwerfällig kam der Chiefscout auf die Beine. Jeder 

Atemzug war ein Martyrium, sein Brustkorb schien mit 
glühendem Eisen umspannt zu sein. 

Doch er sah ihre hämischen Mienen, die brutale Visage 

seines Peinigers, die schmutzigen, bärtigen Gestalten am 
Fenster und den jungen Burschen im bunten Hemd mit 
Armeehose und Armeestiefel. Für den Bruchteil einer Sekunde 
schoß ihm Colonel Higgins aus Fort Thomas in den Sinn, der 
einen Deserteur zu beklagen hatte. 

Der Typ in der Armeehose sah aus wie Critten. 
Der Corporal schien Haggertys Gedanken zu erraten. 

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»Ist was, Scout?« fragte er kalt. Sein Colt lag fest in der 

Faust, der Daumen hielt den Hammer. 

John zog eine verächtliche Grimasse. 
Sie schwiegen, bis Danz fragte: »Was machen wir mit ihm?« 
Liberace blickte aus dem Fenster. Draußen stand Johns Pferd 

angepflockt. 

»Er hat einen guten Gaul«, sagte Liberace grinsend, »eine 

moderne Henry und einen gepflegten Sattel. Spielen wir um 
seinen Nachlaß.« 

»Und wie?« Holmes hielt Haggertys Revolver umklammert. 

Er schloß aus der Ausgewogenheit, daß es eine treffsichere 
Waffe war. Mit ihr hatte er die besten Chancen. »Wie wäre es 
mit dem Hasenspiel? Er ist der Hase, und wir sind seine Jäger.« 
Holmes ließ grinsend den Colt um den Zeigefinger wirbeln. 
»Läuft er schneller über den Hügel, als wir schießen können, 
hat er gewonnen.« 

»Und wenn er es nicht schafft?« wollte Danz wissen. »Wer 

ist dann der Sieger?« 

»Hm.« Daran hatte Holmes wohl nicht gedacht. »Er hat 

recht, Liberace. Eine Kugel sieht aus wie die andere.« Einen 
Moment schien Holmes zu überlegen, dann strahlte er. 

»Wir hängen ihn mit den Füßen an den Deckenbalken und 

durchschießen den Strick.« 

Danz grinste blöd. »Und dann?« 
»Mann«, brummte Holmes, »der Scout hat bestes Material. 

Ein gutes Pferd mit Sattel, eine schnelle Büchse und einen 
verläßlichen Revolver mit Tasche. Der erste Sieger bekommt 
das Pferd, der zweite die Henry und der dritte den Colt.« 

»Wir sind vier«, maulte Danz. Seine Einfältigkeit war 

wirklich nicht zu unterbieten. 

»Richtig«, sagte Holmes. »Der Verlierer wird den Schnüffler 

dann ins Jenseits befördern, und wenn er es geschickt anfängt, 
kommt er an ein paar gute Klamotten.« 

John verfolgte mit wachsendem Grimm, wie sie einfach über 

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sein Leben verfügten. Er visierte den desertierten Corporal an. 

»Der dort«, sagte John mit einer Kopfbewegung, »wird der 

Verlierer sein.« 

»Du hast ein gutes Auge, Haggerty. Sam Critten ist kein 

Profi wie wir, sondern nur ein Deserteur. Fangen wir also an.« 

Fast gleichzeitig stürzten sich Holmes, Danz und Liberace 

auf den Scout, banden ihm trotz heftiger Gegenwehr Hände 
und Beine zusammen. Danz warf einen Strick über den 
Firstbalken, und dann hing John Haggerty hilflos wie eine 
kalifornische Traube kopfüber im Raum. 

»Wer hat den ersten Schuß?« fragte Holmes. 
»Ich«, antwortete Critten. Er hielt die kurzläufige 

Schrotflinte von Danz im Anschlag. 

»Nicht mit Schrot«, protestierte Holmes. Er sah, daß die 

Mündung der gefährlichen Waffe auf seine Brust gerichtet war. 
»Such dir eine andere Richtung, Critten.« 

»Weshalb?« entgegnete der Deserteur hart. »Ich habe etwas 

gegen deine Methoden. Schneide ihn vom Strick.« 

»Du – du...«, stotterte Holmes verwirrt, »du spielst nicht 

mit?« 

»Richtig. Solche Spiele mag ich nicht, Holmes. Ich habe 

überhaupt etwas gegen euch. Ihr seid allesamt stinkende, 
dreckige, feige Köter, die nur gemeinsam auftrumpfen können. 
Ich habe euch kennen- und hassengelernt. Aber jetzt ist es 
genug.« 

Holmes hatte sich gefangen. Er grinste heimtückisch. »Drei 

gegen einen Deserteur – das wagst du nicht.« 

Da sah er auch schon den feurigen Schwall auf sich 

zufliegen. Holmes flog bis zur Wand, und was von dort zu 
Boden rutschte, war nur noch ein lebloser Körper, die Seele 
war längst in der Hölle. 

»Ist jetzt noch einer überzeugt, daß ich es nicht wage?« 

fragte Critten fauchend. »Es ist noch ein Posten da. Der reicht 
für euch zwei.« 

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Liberace schluckte. Danz, der entsetzt auf den toten Kumpan 

starrte, spürte ein Würgen in der Kehle. 

»Mir wird schlecht«, krächzte er. »Mach keinen Quatsch, 

Critten.« 

»Dann schnallt eure Gurte ab und werft sie auf den Tisch. 

Nehmt eure Gäule und verduftet – so weit, daß wir uns nie 
wieder begegnen.« 

Critten behielt die Kerle scharf im Auge. 
Danz sprang als erster durch die Fensteröffnung, wohl weil 

es der kürzeste Weg zum Pferdeschuppen war. Liberace folgte 
mit eiligen Schritten. 

Als der Hufschlag ihrer Pferde aufhallte und nach einer 

Weile verstummte, durchtrennte Critten den Strick, so daß John 
hart auf dem Boden landete. 

»Das ist nicht die feine Art«, rief John unter Schmerzen. 
»Es ist gar keine Art. Ich wollte nur nicht, daß man einen 

wehrlosen Menschen tötet. Sie werden Mühe haben, um die 
Fesseln zu lösen. Aber diese Zeit brauche ich, um aus Ihrer 
Nähe zu verschwinden.« 

Sam Critten schob die leergeschossene Schrotflinte auf die 

Tischplatte und rollte seine Habe zusammen. 

Als er zur Tür ging, klang dumpfer Hufschlag auf, der ihn 

zurückschreckte. Critten blickte durch das Fenster. Draußen 
verteilte sich ein verwegener Reiterverband. Männer, denen er 
noch nie begegnet war. 

Aber John, der sich mühsam aufrichtete, erkannte ihren 

Anführer. 

»Das ist Captain Freeman mit seiner Geisterschwadron. Ich 

wette, er macht mit Ihnen nicht viel Umstände, Critten.« 

Der Deserteur trat zum Tisch. Er lud die Flinte mit Buckshot 

und brummte: 

»Durch Sie bekomme ich nur Ärger.« 
»Das läßt sich schnell ändern, Junge.« John streckte lächelnd 

die gefesselten Arme aus. »Schneide die Stricke durch.« 

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Draußen klangen feste Schritte auf. Freeman, der offenbar 

Johns Pferd erkannt hatte, rief: »Mr. Haggerty, wo stecken 
Sie?« 

John hielt Critten die Arme entgegen. Ihre Blicke kreuzten 

sich, und Sam Critten musterte den Scout nachdenklich. 

»Ich bin nicht wie deine letzten Freunde, Critten«, sagte John 

Haggerty, »aber wenn ich dir helfen soll, mußt du dich 
beeilen.« 

Sam Critten legte die Flinte auf den Tisch, griff nach dem 

scharfkantigen Messer, das Sinclair gehört hatte, und 
durchtrennte die Stricke. 

Sie fielen runter, als Freeman in den Raum gestürmt kam. 
»Verdammt, Haggerty. Sie machen ein Gesicht wie zehn 

Tage Regenwetter. Wir  sind seit achtundvierzig Stunden auf 
Ihrer Spur, denn ich sagte mir, wenn John Haggerty zielstrebig 
eine Fährte aufnimmt, wird es seinen Grund haben. Dann 
hörten wir einen Schuß, der uns auf diesen Hof aufmerksam 
machte. Und nun sind wir da.« Sein Blick streifte den Toten in 
der Ecke, und während er Critten eingehend musterte, sagte er: 
»Buckshot ist was Scheußliches, John. Wie können Sie so...« 

»Mein Scout war es«, unterbrach Haggerty schnell. »Ihm 

blieb keine andere Wahl, als die Büchse zu nehmen, denn er«, 
sein Daumen deutete auf Holmes, »und seine Freunde waren 
dabei, mich zu massakrieren.« 

»Ihr Scout, Mr. Haggerty? Hm – eh...« Freeman streifte die 

blaue Hose und die festen Dragonerstiefel. Und er dachte: 
Haggertys Scout hat eine verdammte Ähnlichkeit mit dem 
Konterfei auf dem Steckbrief, der in Tombstone am schwarzen 
Brett hängt. 

»Ja, wo sind die anderen Kerle?« 
John deutete durch das Fenster über die Hügel. 
»Das Raubgesindel ist in der Richtung entflohen, Captain. 

Vielleicht erwischen Sie es noch.« 

»Vielleicht.« Freeman lächelte seltsam, während er nach 

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draußen eilte und seine Fährtenleser in Trab setzte. Kurze Zeit 
später verabschiedete er sich und trabte mit seinen Leuten über 
die Hügel. 

»Den sind Sie los, Mr. Haggerty.« 
Critten hielt die Schrotflinte in der Hand. »In jedem Fall 

danke ich für Ihre Hilfe. Wir sind damit quitt.« 

John betrachtete den jungen Mann lächelnd. 
»Wer weiß, ob ich Freeman loswerde. Er ist ein ganz 

schlauer Fuchs. Du aber lege die Waffe weg. Mußt ziemlich 
blind sein, wenn du nicht erkennst, daß ich dir helfen will. Ich 
weiß, wer du bist und was du angestellt hast. Ich habe lange 
mit Colonel Higgins über den Fall gesprochen. Er wird ihn 
prüfen.« 

»Und ich würde diesem Bastard Braham immer wieder eins 

auf die Nase geben.« 

John lächelte, den Wunsch hatte er mitunter auch. »Wir 

wollen Sinclair suchen.« 

»Sie wissen?« Sam Critten sah den Scout erstaunt an. 
Haggerty nahm die Flinte auf. »Was?« 
»Daß Sinclair die Indianer beliefert.« 
»Sechzig Gewehre, tausend Schuß Munition?« Als Critten 

heftig nickte, lachte John hart. »Ich wußte es nicht, Critten, 
aber ich habe es geahnt. Führe mich zu dem Bastard.« 

»Ich kenne den Weg nicht, Mr. Haggerty.« 
»Aber die Richtung.« 
»Ja«, sagte Critten, und er glaubte nun wieder an eine 

Zukunft. 

Sinclair erkannte am Glanz seiner Augen, die im Widerspiel 
des Feuers leuchteten, daß Cochise mit den Waffen zufrieden 
war, denn der Häuptling sprach lange und eingehend mit 
Chato, wobei er immer wieder einzelne Gewehre aufnahm, den 

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Verschluß prüfte und die Metallpatronen in den Lauf schob. 

Sinclair prüfte indessen unauffällig seine nähere Umgebung. 

Er sah an den flachen Wicki-ups und den Holzgerüsten, die 
ohne Bespannung waren, daß Chato ihn nicht in die 
Bergfestung des Chiricahua-Fürsten geführt hatte, denn es 
fehlten die steinernen Außenwälle, mit denen diese Indianer 
ihre Apacherien zu umgehen pflegten. Es fehlte das tägliche 
Leben mit Frauen, Kindern, Bastardhunden. Es fehlten 
eigentlich alle Merkmale einer Befestigung. 

Er entdeckte die kleine Reitergruppe, die aus dem Felsband 

sprengte. Sie waren vor zwei Tagen im Talkessel 
zurückgeblieben und hatten seine Freunde zu einem Versteck 
geführt. 

Ihr Führer hatte starke Ähnlichkeit mit Cochise und war von 

kräftiger und sehniger Gestalt. Seine Hakennase drückte Kraft 
und Willen aus. 

»Wer ist er?« fragte Rene Sinclair, als der junge Krieger sich 

neben Cochise niederließ und im Athabaskendialekt zu 
sprechen begann. 

»Cochises Sohn Naiche«, erwiderte Chato und lauschte 

Naiches heftigen Worten. 

Der Pedlar bemerkte die steigende Unruhe in Cochises 

Gesicht und wandte sich abermals an Chato. 

»Hat Cochises Sohn Ärger mit meinen Leuten gehabt?« 
Chato schüttelte den Kopf. 
»Seine Späher haben am Fuß der Berge eine Reitergruppe 

ausgemacht, deren Anführer der Todfeind aller Apachen ist. Er 
kommt aus dem steinernen Häusern am San Pedro-Hügel, trägt 
die Uniform eines Soldaten und befehligt Zivilisten.« 

»Captain Lion Freeman.« 
»So nennen sie ihn.« Chato nickte. »Seine Krieger haben 

zwei Männer ihrer Hautfarbe zu Tode gehetzt und im Kampf 
erschossen.« 

Nun wurde Sinclair unruhig. Er wußte, daß Captain Freeman 

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mit seinem Frontier Bataillon seit Nogales durch die Gegend 
streunte, und es lag der Verdacht nahe, daß er ihm – Sinclair – 
gefolgt und dabei auf seine Nachhut bei Millers Farm gestoßen 
war. 

»Er ist hinter mir und meinen Freunden her, Chato, weil er 

diese Gewehre haben will.« 

Sinclair deutete auf den Waffenstapel, den Naiche gerade 

begutachtete. »Cochise hat uns seinen Schutz zugesichert. Ich 
hoffe, er steht zu seinem Wort.« 

»Ein Apache spricht nie mit gespaltener Zunge, Händler. Du 

und deine Leute haben nichts zu befürchten. Außerdem«, ein 
listiges Grinsen glitt über seine Züge, »du und deine Freunde 
werden den Apachenkriegern die Handhabung der neuen 
Gewehre beibringen, damit sie im Kampf gegen die Blauröcke 
nicht unterliegen.« 

Chatos Worte beruhigten den Franzosen. Er wußte, daß er 

Vaquence und die anderen bald wiedersehen würde. 

Zugleich aber beschäftigten sich seine Gedanken mit dem 

Häuptling. 

»Chato, du sprichst von den Waffen, nicht von der 

Bezahlung«, sagte er deshalb. 

Chatos listiges Grinsen war geblieben. Während er beide 

Hände hob und acht Finger zeigte, versicherte er: »So viele 
Beutel gelben Staub für zehn Gewehre und den Anteil der 
Munition. Chato hat es nicht vergessen. Cochise vergißt es 
auch nicht. Noch ehe du uns die Kriegskunst der Feuerrohre 
gezeigt hast, wirst du zufrieden mit dem Handel sein.« 

Naiche hatte sich erhoben. Stolz schritt er zu seinem Pferd 

und schwang sich auf dessen Rücken. Er gab seinen Kriegern 
ein Zeichen und sprengte in dem schmalen Durchschlupf, der 
über schwindelnde Pfade talwärts führte. 

Cochise war ebenfalls aufgestanden. Er sprach mit Chato, 

wobei er auf Sinclairs Wagen deutete. Chato nickte mehrmals, 
ehe er sich an den Pedlar wandte. 

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»Cochise vertraut dir, Händler. Er gewährt dir und deinen 

Leuten Schutz in den starken Steinwällen unserer Bergfestung. 
Nimm dir eines der Pferde. Der Wagen bleibt hier.« 

Sinclair sah, daß Apachenkrieger unter Cochises Anleitung 

die Waffen untereinander verteilten und ihre gescheckten 
Ponys bestiegen. 

»Der Wagen ist mein Kapital, Chato«, protestierte der 

Händler. 

Chato lächelte. »Der Paßweg ist zu eng für vier Räder. Du 

wirst ihn bei deiner Rückkehr hier wiederfinden.« 

»Und meine Leute?« 
»Verliere nicht die Geduld, Händler. Naiche ist auf dem Weg 

zu ihnen.« 

John Haggerty zügelte sein Pferd vor den beiden flachen 
Hügeln im Schatten des Felsgebirges und betrachtete die vielen 
Hufabdrücke im Sand. Er wußte, daß hier ein Kampf 
stattgefunden hatte. Als er sich seinem Begleiter zuwandte, 
sagte er ruhig: 

»Captain Freeman ist kein Mann großer Worte. Komm, wir 

reiten tiefer in die Berge. Ich möchte Freeman nicht 
begegnen.« 

Sie zogen schweigend über den Bergrücken. Critten 

bemerkte bald, daß Howards Chiefscout angespannt im Sattel 
saß und seine Blicke sich nicht vom kargen Boden lösten. 

Nach einer Stunde glitt John vom Pferd und beugte sich über 

den schwachen, für Critten nicht erkennbaren Abdruck eines 
Pferdehufes. 

Erst als John ihm zuwinkte und er neben dem Scout 

niederkniete, konnte er den flachen Eindruck erkennen. 

»Chiricahuas oder Mimbrenjos. Sie sind also in der Nähe.« 

Mit einem Ausdruck tiefster Befriedigung nickte John. Seit 

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Monaten sah er zum erstenmal wieder den Hufabdruck eines 
Apachenpferdes. »Die Spur ist keine fünf Stunden alt.« 

Critten dachte an Danz' und Liberaces Schicksal. Ob 

Freeman oder die Apachen... Er hing bis zum Hals in der 
Chose. 

»Woran erkennen Sie, daß die Fährte so jung ist?« 
Johns Hand formte den Abdruck nach. »Er ist keine Nacht 

alt, sonst könnte man die Kriechspuren von Insekten erkennen. 
Solche Merkmale bestimmen den Zeitpunkt, an der ein Reiter 
hier vorübergezogen ist.« 

Critten schüttelte nachdenklich den Kopf. Er wußte, daß man 

beim Saugen an einer Bleikugel den Durst überwinden konnte, 
daß Tabakkauen den Hunger vertreibt. Er wußte auch, daß 
nestbauende Schwalben die Nähe einer Wasserstelle verrieten. 
Aber eine Spur zu erkennen, deren Alter der Scout anhand 
gewisser Anzeichen bestimmen konnte, das schaffte er nicht. 

»Wir sollten verschwinden, Mr. Haggerty. Ich möchte nicht, 

daß mein Skalp den Gürtel eines Apachenkriegers schmückt.« 

»Angst, Critten?« Johns Blick glitt über die düsteren 

Steilschluchten, die tief ins Gebirge hineinführten. Irgendwo 
dort oben in der einsamen Wildnis lag Cochises Festung. Er 
spürte es mit dem Instinkt des Jägers. 

»Haben Sie keine Angst?« hörte er Crittens heisere Stimme. 
Sein Lächeln blieb. Aber es wirkte härter. John dachte an 

seine letzte Begegnung im Winter mit Cochise, die ihm fast 
den Tod gebracht hätte. Aber er war bereit, sich noch einmal 
einzusetzen, um den Großen Häuptling vor einer Torheit zu 
bewahren. 

»Sicher habe ich Angst. Aber ich möchte mit Cochise 

sprechen.« 

»Verdammt!« fluchte Critten und blickte sich scheu um. 

»Wegen dieser dreckigen sechzig Karabiner? Was könnte 
Cochise schon damit anrichten?« 

»Siedlungen überfallen, Farmer töten, schwache Patrouillen 

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niedermachen. Der Apache ist schon gefährlich mit seinen 
Primitivwaffen wie Keule, Lanze, Schleuder oder Bogen. Wie 
stark erst wird er sich fühlen mit einer Springfield in der Faust. 
Es gibt noch einen zweiten Grund für mich, in die Höhle des 
Löwen zu gehen: Sinclair, den Händler. Wenn dem nicht das 
Handwerk gelegt wird, versorgt er Cochise weiter mit neuen 
Waffen. So lange, bis der Häuptling sich stark genug fühlt, es 
selbst zu tun. Ich frage mich nur, womit Cochise das alles 
bezahlt.« 

»Mit Gold.« 
John sah ihn an und lächelte verächtlich. 
»Die Stämme sind arm wie Kirchenmäuse. Sie haben 

mitunter nicht mal genügend Mittel, um einen harten Winter zu 
überstehen.« 

»Cochise hat den Franzosen mit Gold bezahlt und ihm 

weiteres Gold für die Springfields versprochen.« 

»Hast du dieses Gold gesehen?« 
»Nein«, antwortete Critten, »aber Vaquence hat davon 

gesprochen.« 

John schwieg eine Weile, ehe er in die Schlucht deutete. 
»Wir wollen weiterreiten und die Augen offenhalten. 

Apachenpfeile sind lautlos, ihre Steinschleuder eine tödliche 
Gefahr, und ihre Lanzen reißen fürchterliche Wunden.« 

John Haggerty führte seinen Pinto am Zügel. Sam Critten 

vermutete, daß der Chiefscout verzweifelt nach neuen Spuren 
suchte. Der Teufel mochte diesen verdammten Kerl holen, in 
dessen Adern Wasser statt Blut zu fließen schien. 

Ramon Vaquence roch ihre stinkende Haut, sah ihre stupiden 
Gesichter. Und das nun schon fast seit einer Woche. Naiche 
hatte sie in das Hauptlager der Chiricahuas geführt, ihnen ihre 
Jacales zugeteilt und mit Vorräten aus Sinclairs Wagen 

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versorgt. Er wartete nun, daß von Sonnenauf- bis 
Sonnenuntergang sie ihnen den Umgang mit den Feuerrohren 
beibrachten. 

»Ich kann sie nicht mehr riechen, Boß, ich kann sie nicht 

mehr sehen«, fluchte der Ladino eines Abends, als sie vor 
ihrem Zelt saßen. »Ich würde jeden von ihnen am liebsten in 
die Hölle schicken. Dieser blöde Singsang macht mich 
verrückt.« 

Vaquence starrte wütend zum Hauptplatz vor Cochises 

Wicki-up, wo um das lodernde Feuer die Häuptlinge saßen. 

Sinclair schüttelte verärgert den Kopf. Er dachte: der Ladino 

riecht etwas, wo es nichts zu riechen gibt. Er haßt Rothäute, 
weil er selbst ein Halbblut ist. 

»Trag's mit Geduld und denke an unsere Aufgabe. Cochise 

hat die Häuptlinge zusammengerufen, um ihre Zukunft zu 
besprechen. Ich weiß, daß Cochise seine Bergfestung wie eine 
Fessel empfindet. Er will sie sprengen und in den Plains 
leben.« 

»Er spricht über alles, nur nicht über unseren Lohn«, warf 

Warren ein. Er rekelte sich auf der Decke und blickte zu den 
Zelten hinüber. »Sie verstecken ihre Weiber, als wenn wir die 
Pest am Leib hätten.« 

»Es sind andere Weiber als die Huren in Nogales, Tucson 

oder El Paso. Was den Lohn betrifft, Warren: wir haben Zeit, 
denn solange er seine Vereinbarung hinauszögert, leben wir 
unter seinem Schutz. Wir müssen ihre Goldader finden. Sie 
liegt irgendwo in dem nach Osten führenden Canyon. Naiche 
verschwindet oft in dieser Richtung.« 

Ramon Vaquence winkte fahrig ab. »Im flachen Talkessel 

am Ende der Schlucht stehen die Urnen ihrer Toten. Ich bin 
ihm einmal gefolgt.« 

Sinclair wußte es, denn auch er war mal hinter dem 

Häuptlingssohn hergeschlichen und hatte beobachtet, wie 
Naiche eines dieser Gräber pflegte. 

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»Es ist ihr Friedhof, Ramon. Eine heilige Stätte für die 

Apachen, denn sie sprechen dort mit den Seelen ihrer Ahnen. 
Es wäre also denkbar, daß dicht bei diesen Stätten auch ihre 
Schätze in der Erde liegen. Wir werden sie bei passender 
Gelegenheit näher besichtigen.« 

Sinclair schwieg. Er lauschte dem monotonen Rhythmus 

tiefer Trommelschläge und den hellen Tönen einiger Flöten. 
Ein breiter Ring Krieger umschloß nun das Feuer, und der 
Franzose sah, wie eine mit Kränzen geschmückte Frau in den 
Kreis geführt wurde. Der Trommelschlag wurde heftiger, der 
Gesang nahm an Lautstärke zu. Im Widerspiel der Flammen 
tanzte ein junger Krieger in ekstatischen Bewegungen. 

»Sie feiern irgend etwas, und ihr Gesang ist ein Teil der 

Zeremonie. Ich möchte sagen, der Stamm feiert die Hochzeit 
eines seiner Krieger.« 

Der Trommelwirbel nahm an Hektik zu. Gellende Schreie 

durchdrangen die Abenddämmerung. Vom nahen Hügel herab 
kam der Schamane geschritten. 

»Sie feiern eine Hochzeit, ohne ihre Gäste einzuladen«, 

maulte Kim durch seine Zahnlücke. »So gut sind wir gelitten.« 

»Sie hassen uns, wie wir sie hassen, Kim«, sagte der 

Franzose gelassen. »Sie würden uns liebend gern am 
Marterpfahl schmoren lassen, aber sie brauchen uns. Verhaltet 
euch also friedlich.« An Vaquence gewandt, deutete er zum 
Festplatz. Von den Hügeln herab bewegten sich tanzende 
Gestalten in wiegendem Gang und rhythmischen Bewegungen, 
in bunte Tücher gehüllt und unartikulierte Rufe ausstoßend. 

»Sie feiern die ganze Nacht und tanzen bis zur Erschöpfung, 

Ramon. Wir wollen uns bei ihren Gräbern umsehen.« 

Vaquence nickte grinsend. 
»Warum sollten wir nicht auch unser Vergnügen haben.« 
Im Schutz der Dämmerung krochen sie den Steinwall hoch, 

rutschten, fest an den Fels gepreßt, an den Wicki-ups vor und 
verschwanden unbemerkt in der Schlucht. 

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Aus dem Dämmerlicht wuchsen funkelnde Punkte, und als es 

dunkel wurde, stand die volle Scheibe des Mondes über der 
Schlucht und wies ihnen den Weg. 

Von weither hörten sie den Gesang, der allmählich leiser 

wurde. 

Nach etwa zehn Minuten erreichten sie die Flachgräber. 

Tonurnen schmückten die Hügel, buntes Papier, von kahlen 
Ästen getragen, flatterte im Wind. 

Sie stiegen zwischen den Grabhügeln hoch zu der dunklen 

Grotte, deren Eingang vom Mondlicht erhellt wurde. 
Modergeruch verbreitete sich, fernes Rauschen drang aus dem 
Berginnern. 

»Hier müßte ihre Goldmine liegen«, sagte Vaquence. Seine 

Stimme klang fast ehrfurchtsvoll. 

Sinclair sah ein paar dunkle Schächte, die sich vom Fels 

abzeichneten. 

»Es ist ein Labyrinth von Gängen, das in den Berg führt. Wir 

werden es ohne Hilfe nicht schaffen. Kehren wir um.« 

Nur zögernd folgte Vaquence dem Franzosen. Er spürte die 

Faszination seiner Umwelt und den Hauch von Reichtum. 

Armer Ladino. 
Unbemerkt gingen sie in das Lager zurück und verkrochen 

sich im Jacale. 

Sie sahen den Schatten nicht, der sich vom Steinwall löste 

und in der Nacht zerfloß. 

Im Unterbewußtsein seines Traumes nahm John das Knacken 
eines brechenden Astes wahr. Seine Rechte tastete sich unter 
die Sattelhaube und berührte den kalten Stahl des Colts, als 
eine Lanzenspitze gegen seine Kehle stieß. Er hörte in der 
Nähe heiseres Keuchen kämpfender Menschen, und er sah die 
große Gestalt im Vordergrund des samtblauen Nachthimmels. 

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Apachen! 
John mußte damit rechnen, daß bei der geringsten Bewegung 

die Rothaut mit der Lanzenspitze zustieß. 

Sam Critten, der Deserteur, kämpfte noch immer verzweifelt. 

Er war ein Narr, sich der Überzahl der Krieger zu widersetzen. 

Dann wurde es stumm um seinen Begleiter, John wußte, daß 

sie ihn überwältigt oder getötet hatten. 

Noch immer drückte die Lanzenspitze gegen seine Kehle. 

Indianer rutschten heran, ergriffen seine Arme und drehten ihn 
auf den Rücken. Die dünnen Riemen schnitten in seine Haut, 
als er brutal hochgerissen wurde. 

Die Lanzenspitze deutete auf seine Brust. Der Krieger sprach 

mit seinen Brüdern in ihrer Sprache, und John erkannte 
erleichtert am Dialekt, daß es Chiricahuas und keine von 
Victorios Mimbrenjos waren. 

Harte Fäuste rissen ihn aus dem Gebüsch auf die mondhelle 

Lichtung, wo ihre Pferde standen. Der Krieger, der ihn mit der 
Lanze bedroht hatte, stieß einen freudigen Ruf aus. 

»Der Falke!« 
»Der Falke?« Einer der Krieger sprang schnell heran. Ein 

Messer funkelte in seiner Faust, und für einen Augenblick 
glaubte John, Hankashi zu erkennen, ein Verwandter 
Wahashis, mit dem er mal eine tödliche Auseinandersetzung 
gehabt hatte. 

»Zastee!« schrie der Krieger. 
Doch der Lanzenträger stieß Hankashis zum Stoß erhobene 

Arme mit einer heftigen Bewegung zur Seite, so daß das 
Messer nur Johns Lederjacke streifte. 

»Der Große Häuptling soll sein Schicksal bestimmen«, sagte 

er zornig. »Du allein hast kein Recht auf Rache. Packt sie auf 
die Pferde!« 

John wurde vorwärts gestoßen und rücksichtslos quer über 

den Rücken seines Pferdes gezerrt. Unter dem Leib banden sie 
ihn mit einem Riemen zusammen. Da sah John, daß sie auch 

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Critten über den Pferdefücken zogen, was also bedeutete, daß 
der Soldat nicht tot war. 

Die vielen Stunden, die nun folgten, waren eine fürchterliche 

Qual, aber John sagte sich, daß ihn in Cochises Bergfestung 
weit größeres Übel erwartete. 

Den Rest der Nacht, den langen Tag und noch eine Nacht 

führte der Weg immer höher ins Gebirge. Oft an 
schwindelnden Abgründen und senkrecht hochsteigenden 
Felswänden vorbei und über eine schmale Serpentine. Er 
preßte die Zähne zusammen, wenn sein Körper gegen den Fels 
schrammte. 

Critten hatte längst das Bewußtsein wiedererlangt. Aber er 

sah vom vorausgegangenen Kampf zerschunden aus. 

An einem sonnigen Morgen stießen sie durch den Engpaß vor 
in die Bergapacheria. Der große Befestungsplatz war verwaist. 
Doch Unrat und Gerümpel zeugten davon, daß hier ein 
mehrtägiges Fest stattgefunden haben mußte. 

Die Krieger führten ihre Gefangenen vor das große Wicki-

up. Sie durchschnitten die Fesseln und stießen die Männer in 
den Sand. 

Cochise trat aus dem offenen Ausgang seines Zeltes. Er 

blickte auf die reglos am Boden liegenden Gefangenen, dann in 
Hankashis wutverzerrtes Gesicht und schließlich auf Yellow 
Bull, der die Spähergruppe führte. 

»Habt ihr ihn getötet, Gelber Büffel?« 
John regte sich. Jeder Körperteil schmerzte, jede Bewegung 

war eine Tortour. Er hob den Kopf und blickte Cochise offen 
an. 

»Yellow Bull überläßt es dir, die Art meines Todes zu 

bestimmen.« 

Ihre Blicke trafen sich, und John spürte die Feindschaft des 

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Großen Häuptlings, dessen Schwester er einst vom Biß einer 
Peitschenschlange gerettet hatte. Kein Zug von Mitleid, nur 
Haß. 

»Bringt sie zum Totem und bindet sie an den Fels!« befahl 

Cochise ohne Gemütsregung in der Stimme. 

Seit fast einem Jahr waren sie sich nicht begegnet. Ihre 

Freundschaft war erloschen. John verstand das alles nicht 
mehr. 

Cochise wandte sich ab. 

Am Nachmittag kamen Sinclairs Banditen mit ihren 
»Rekruten« aus dem Paß. Sie passierten den Hügel, und als sie 
ihre Jacales erreichten, sagte Vaquence: »Cochise hat zwei 
Gefangene gemacht.« 

Sinclair nickte. »Der eine ist der Deserteur Sam Critten, der 

andere der Scout Haggerty. Ich dachte, der Falke sei ein Freund 
des Häuptlings.« 

In den Jacales standen frische Vorräte und Wasser. Sie waren 

Isolierte in der Bergfeste – Bleichgesichter, Feinde, wie die 
armen Teufel auf dem Fels. Aber Cochise brauchte noch ihre 
Hilfe. 

Vor Sonnenaufgang trieb die Neugierde Sinclair auf die 

Kuppe. Als er sich auf zehn Yards der Marterstätte näherte, 
erhoben sich die beiden Wächter und senkten drohend die 
Lanzen. 

Rene Sinclair sah, daß der Scout und der Deserteur, an 

Armen und Beinen gekreuzt, an schweren Metallhaken 
gefesselt waren. 

Der Franzose kehrte um. 
»Und?« fragte Slim Tratten, als Sinclair das Fell 

zurückschlug. 

»Sie leben noch«, antwortete der Pedlar und grinste verzerrt. 

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»Aber ich möchte nicht in ihrer Haut stecken.« 

Noch ehe die Sonne versank, entstand im Lager Bewegung. 

Krieger eilten zu ihren Mustangs, führten sie zum 
Häuptlingszelt, wo Chato und Naiche Munition verteilten. 

Neben Cochise trat Victorio aus dem Zelt. Ihre Haare trugen 

sie in geflochtenen Zöpfen, in denen der Wind mit kleinen 
Hölzern spielte. 

»Der Chiricahua und der Mimbrenjo gehen auf den 

Kriegspfad«, sagte Sinclair. »Etwas hat ihn aus der Reserve 
gelockt.« 

Auch John sah die Ansammlung der Kriegsmacht und schloß 

daraus, daß Yellow Bull von den vielen Spuren zwischen den 
Caps berichtet hatte. Cochise hatte die Absicht, seinen 
Todfeind Freeman zu stellen. 

Aber das änderte nichts an ihrer scheußlichen Situation. 
Die Tage vergingen, ohne daß Cochise zurückkehrte. Die 

Gefangenen erlitten stumm ihr Leiden, und nur wenige Tropfen 
Wasser, das die Wächter ihnen über die aufgerissenen Lippen 
träufelten, hielten sie am Leben. 

»Wie lange wird das anhalten?« fragte Sam Critten mit 

matter Stimme. Zwei Tage hatte er kein Wort gesprochen, 
sondern den Schmerz wie ein Mann geduldig ertragen. 

»Cochise hat noch nicht über unser Leben entschieden.« 
»Der ist weggeritten. Wer weiß, wann er wieder hier 

auftaucht«, fluchte der Soldat. »Ich habe keine Kraft mehr in 
den Knochen und keinen Willen zum Leben.« 

»Sie werden es dir schon erhalten.« John lächelte verbittert. 

Sinclair und dessen Leute durften sich frei in der Apacheria 
bewegen. Doch dies verdankten sie nur den Waffen, die 
Cochise nun in die Ebene trug, um seinen Todfeind 
auszuschalten. 

»Vielleicht wird der Häuptling einen Sieg erringen, der ihn 

gnädig stimmt und uns einen schnellen Tod beschert.« 

Sam Critten lag auf der Seite. Seine Augen glänzten fiebrig. 

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»In allen Garnisonen erzählt man, daß John Haggerty ein 

Freund der Chiricahuas und Cochise ein Bruder des Falken 
sei.« 

John schloß die Augen. 
»Das liegt lange zurück, Junge, und ist eine andere 

Geschichte.« 

Die Bergfestung war entblößt von mutigen Chiricahua-
Kriegern. Sinclair erkannte es als eine Chance und handelte 
entsprechend. 

»Das ist ein Wink  des Schicksals«, sagte er zu seinen 

Kumpanen, als er Naiche, den jungen Häuptlingssohn, durch 
die hitzeflimmernde Luft die Schlucht hinuntersteigen sah. 
»Nehmt eure Waffen, wir werden ihm in kleinen Gruppen 
folgen.« 

Sinclair teilte seine Mannschaft in drei Gruppen ein, die je 

von ihm, von Vaquence und von Tratten geführt wurden. Er 
bestimmte, daß sie sich in drei Richtungen im Lager verteilten 
und dann unauffällig am Schluchteingang vereinten. 

Als sie sich wieder trafen, war Naiche weit voraus bei den 

Grabstätten angelangt. Er kniete im Gebet versunken, mit den 
Göttern jenseits der Holo in stummer Eintracht vereint und 
hörte ihre Schritte erst, als sie ihn fast erreicht hatten. 

Er öffnete die Augen und blickte vorwurfsvoll auf die 

Bleichgesichter, die mit ihren Stiefeln geweihten Boden 
entehrten. 

Zornig sprang er hoch. Eine scharfe Rüge lag auf seiner 

Zunge, als der Händler den Revolver auf ihn richtete. 

»Spare dir deine Vorwürfe, Häuptling. Wir wollen über 

wichtigere Dinge als über Tote reden. Dein Vater schuldet uns 
viele Säcke des gelben Staubes. Er scheint seine Schuld 
vergessen zu haben. Also müssen wir uns selbst holen, was uns 

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längst gehört.« 

Ein verwirrter Ausdruck lag in Naiches jungem Antlitz. 
»Er versteht nicht, was du meinst«, sagte Vaquence, trat 

einen Schritt näher und erfaßte Naiches Schultern. 

Naiche war jung und voller Wut. Er fürchtete diese 

Bleichgesichter nicht, deshalb stieß er Vaquences Hand 
beiseite. 

»Wage nicht, mich noch einmal zu berühren, Mischgeburt!« 

fauchte der Häuptling wie eine Raubkatze. »Mein Vater würde 
dir die tausend Qualen der Hölle zeigen.« 

Vaquences Fäuste zuckten, als er an sein Mischblut dachte. 

Aber er beherrschte sich und nickte. 

»Dein Vater ist auf dem Kriegspfad, und wer weiß, ob der 

Narr zurückkehrt. Dafür haben wir dich. Du führst uns zu den 
Schätzen der Chiricahuas, zu dem gelben Metall. Wir wollen, 
was uns längst gehört, schenken dir dafür dein Leben. Es ist ein 
guter Handel unter Partnern.« 

Erst in diesem Moment schien der junge Häuptlingssohn zu 

begreifen, was in den Köpfen der Weißen vorging – »Eure 
Ungeduld ist eurer Hautfarbe würdig. Sie bringt euch den Tod, 
denn der Große Häuptling hat euch vertraut, und es gibt keinen 
Tag in seinem Leben, an dem er sein Wort brach. Er wird sein 
Versprechen halten. Nur den Tag bestimmt er selbst. Nun 
verlaßt die Stätte unserer Toten. Ich will meinem Vater 
verschweigen, was hier geschehen ist.« 

Rene Sinclair war anderer Meinung. Sie hatten bis zu diesem 

Zeitpunkt schon zuviel riskiert, es gab kein Zurück. Er spannte 
den Revolver und deutete zum Eingang der Grotte. 

»Führe uns zu eurem Gold!« 
Naiche blickte, ohne die tödliche Gefahr zu beachten, den 

Franzosen starr an. 

»Seit der großen Flucht sind die Stämme der Apachen arm. 

Das, was sie noch besitzen, stammt von den Vätern unserer 
Väter, die frei als Jäger in diesem Land lebten, Freundschaft zu 

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den Weißen hegten und das Feuer mit ihnen teilten. Wonach 
ihr sucht, werdet ihr nicht finden, denn das gelbe Metall, das 
euch in Versuchung führte, bewahrt Cochise. Es ist so wenig, 
daß es dafür nicht zu sterben lohnt.« 

Sinclair wurde unsicher. Naiche sprach so entschieden, daß 

sich wohl kaum dahinter eine Lüge zu verbergen schien. Der 
Pedlar blickte an dem Chiricahua vorbei, in das klaffende 
Dunkel der Grotte. 

Vaquence gab Naiche einen heftigen Stoß, so daß der junge 

Indianer auf ein Grab fiel und einer der verwaschenen 
Tonkrüge zerbrach. 

Nur für Sekunden verharrte der Häuptlingssohn in dieser 

Stellung. Aus seinen dunklen Apachenaugen sprang ein Funke 
des Zorns. Während er wie ein Pfeil hochschnellte, fuhr die 
Breitklinge aus dem Schaft und dem Ladino entgegen. 

Slim Tratten drehte durch. Er schoß einfach aus der Hüfte 

und traf den Angreifer in der Schulter. Der Aufschlag der 
Kugel riß Naiche aus der Richtung. Er schlug lang hin. Noch 
ehe er sich aufrichten konnte, stand Vaquences rechter Fuß auf 
seiner bewehrten Hand, während er mit dem linken Naiche in 
die Seite trat. 

»Genug!« sagte Sinclair und lauschte mit mulmigen 

Gefühlen dem verhallenden Echo des Abschusses. »Willst du 
ihn umbringen?« Der Franzose beugte sich nieder. Er sah den 
blutenden Streifen an Naiches nackter Schulter und nickte 
zufrieden. »Es ist nur ein Kratzer. Schafft ihn in die Höhle! 
Gleich wird der Teufel los sein. Tratten, der Idiot, bringt das 
ganze Lager auf Trab!« 

»Wir haben ihn und kommen somit an die Beute.« Vaquence 

wuchtete die kräftige Gestalt des Bewußtlosen wie eine Feder 
hoch und warf ihn über die Schulter. »Cochise wird seinen 
Sohn nicht gefährden wollen.« 

Sinclair war bereits den Hügel hochgestiegen und im weiten 

Eingang der Grotte verschwunden. 

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Nun, wo es Tag war und mattes Licht das Innere füllte, 

erkannte Sinclair die gewaltigen Ausmaße der Kuppel, die 
einem Dom gleich die Grotte umwölbte. Mehrere Gänge 
führten von hier in die Tiefe des Berges. Das Rauschen 
unterirdisch fließenden Wassers ließ den Boden erzittern. 
Sinclair kannte solche Höhlengänge aus dem Norden, die 
einem Irrgarten gleich den harten Fels durchschnitten. 

»Fesselt ihn!« befahl der Franzose, als Naiche sich zu regen 

begann. »Und behandelt seine Schulter. Er ist unser kostbarstes 
Gut: das Faustpfand für unser Leben.« 

»Er wird uns zum Versteck des Goldes führen«, maulte 

Ramon Vaquence. Seine Gedanken drehten sich unablässig um 
diesen einen Punkt. 

Sinclair schüttelte den Kopf. 
»Ich glaube Naiche die Geschichte seiner Ahnen. Wenn es 

Gold in der Apacheria gibt, wird Cochise als ihr Häuptling es 
verwalten.« 

»Du hast uns Berge von Gold versprochen.« Hans Holsten 

ballte wütend die Hände. »Wo ist es geblieben?« 

»Mann, hör auf zu jammern, du wirst deinen Anteil 

bekommen«, rief Sinclair zornig über die Schulter und brachte 
seinen Karabiner in Anschlag. 

Am Eingang der Schlucht tauchten einige halbnackte, 

wieselflinke Gestalten auf. Sie trugen Bogen und schwangen 
ihre Schleudern. Sinclair feuerte einige Warnschüsse ab, die sie 
zurückdrängten, aber zugleich zeigten, wo sie ihren Gegner zu 
suchen hatten. 

Die mächtige Kuppel schien zu vibrieren, und das Echo 

klang wie das Geläut riesiger Glocken. Es dauerte eine Weile, 
bis sich der Nachhall verlor. 

Sinclair vernahm Chatos zornbebende Stimme. 
»Händler, was suchst du bei den Ruhestätten unserer Toten? 

Diesen Frevel wirst du teuer bezahlen.« 

Der Franzose dachte an den Scout, der seit Tagen, auf 

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nacktem Fels gefesselt, dahinvegetierte. 

»Drohe nicht, Chato. Wir haben Naiche, den Häuptlingssohn 

als Geisel. Cochise will uns betrügen. Wir haben ihm gute 
Waffen geliefert, und seine Krieger zu guten Schützen 
ausgebildet. Er ist losgezogen, ohne unseren Lohn zu bezahlen. 
Was glaubst du, wie lange die Geduld meiner Leute noch 
reicht?« 

Eine Weile blieb es still. Chato hatte Sinclairs Nachricht 

offenbar erschreckt, doch dann rief er zurück: »Wenn Naiche 
nur ein Haar gekrümmt wird, werdet ihr alle Qualen der Hölle 
erleiden.« 

»Dann bring' uns das gelbe Metall, wie es vereinbart war, 

und die gleiche Anzahl Beutel für Naiches Kopf.« 

Wieder herrschte Schweigen. Chato schien zu überlegen, wie 

er handeln mußte, um Naiche nicht zu gefährden. 

»Was wir an gelbem Metall haben, werdet ihr bekommen«, 

rief Chato, »aber ihr müßt Cochises Rückkehr abwarten! Er 
kennt den Schlüssel des Geheimnisses.« 

»Er will uns reinlegen«, flüsterte Vaquence mißtrauisch. 

»Laß dich nicht auf Verhandlungen ein. Jeder Tag, der 
verlorengeht, bringt Cochise näher an seine Bergfestung.« 

Rene Sinclair nickte. Nur allmählich wurde ihm bewußt, wie 

fatal ihre Lage war. Und einen Augenblick lang wünschte er 
sich tausend Meilen weg von den Dragoons. 

»In zwei Tagen erwarte ich deine Entscheidung. Entweder 

das Gold, oder Naiches Kopf liegt auf einem der Grabhügel.« 

Das waren forsche Worte, die nicht zu Sinclairs 

Stimmungsbild paßten. 

»Hast du gehört, Naiche?« 
»Ich bin nicht taub.« 
Der Franzose lehnte sich zurück. Er hatte Zeit, über ihre 

Lage nachzudenken. 

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Ein Schatten fiel über John Haggerty. Als er blinzelnd die 
Augen öffnete, kniete Chato vor ihm und ließ eiskaltes Wasser 
über sein zerschundenes Gesicht rieseln. 

»Gib's ihm!« sagte John mit belegter Stimme, und sein Kopf 

deutete auf Critten, der seit Stunden kein Lebenszeichen mehr 
von sich gegeben hatte. »Er hat es sicher nötiger.« Dann fiel 
General Howards Chiefscout in den erlösenden Abgrund einer 
Ohnmacht. 

Als er zum zweitenmal erwachte, spürte er die zarten Hände 

eines Mädchens, das mit Heilkräutern und Salben den Schmerz 
seiner verbrannten Haut linderte. Ihre dunklen, 
unergründlichen Augen lächelten ohne Feindschaft, und John 
dachte an Tla-ina, Cochises Schwester. Aber dieses Mädchen 
war jünger und seine Haut glatt wie ein Pfirsich. Die 
Bewegung ihrer Hände war voller Zärtlichkeit. 

»Wer bist du?« fragte John müde. 
Sie lächelte nur. 
In der Nähe hörte er schwaches Stöhnen. Als er den Kopf 

drehte, sah er den jungen Corporal nackt und bewußtlos auf der 
geflochtenen Matte liegen. Auch um ihn bemühten sich zarte 
Hände. 

Während sein Blick über das Felldach zum Ausgang 

wanderte, erkannte er Chato, dessen Gesicht noch faltiger 
geworden war. Er wirkte grau und hilflos wie ein Greis. 

»Verdanke ich dir den Edelmut, Chato?« rief er heiser. 

»Oder ist es eine neue Schikane, um uns Cochise zu erhalten?« 

Chato kam zögernd heran. Mit einer eindeutigen Geste 

scheuchte er die Mädchen aus dem Wicki-up, nahm einen 
groben Holzklotz und setzte sich nieder. 

Er brauchte lange, ehe er zu sprechen begann. 
»Ich handelte nach dem Gesetz der Vernunft, Falke, und 

suche deinen Rat.« 

John versuchte den Oberkörper zu heben. Aber der Schmerz 

hielt ihn nieder. 

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»Du, Chato, der stolze Häuptling der Chiricahua-Apachen, 

suchst bei deinem Feind Rat?« 

Der Häuptling nickte trotz Johns zynischer Worte. Er hatte 

lange gebraucht, um seinen Stolz zu überwinden, aber in seiner 
Hilflosigkeit war der Falke seine einzige Hoffnung. 

»Der weiße Händler und seine Brüder halten Naiche in der 

Höhle bei den Gräbern gefangen. Sie drohen ihn zu töten und 
mir Naiches Kopf zu schicken, wenn ich nicht ihre Wünsche 
erfülle.« 

»Welche Wünsche sind es, Chato?« 
Der brauchte einen Augenblick, ehe er antwortete: 
»Sie wollen gelbes Metall. Mehr, als wir besitzen«, und er 

sprach mit gepreßter Stimme von dem Handel mit dem Pedlar 
Sinclair, ihrer Vereinbarung und den Preis für die Waffen, 
Chato war sehr niedergeschlagen, weil Naiches Leben in seiner 
Hand lag, diese Hand aber gebunden war. 

»Es ist nicht viel, was unsere Ahnen uns hinterlassen haben, 

und es reichte für achtzig Gewehre. Aber der Händler will den 
gleichen Preis für Naiches Kopf und freies Geleit aus der 
Apacheria. Beides kann ich ihm nicht geben, denn nur der 
Große Häuptling weiß, wo unser Erbe verborgen liegt.« 

»Und was soll ich dabei tun?« John bemühte sich, die 

Holzkelle zu erreichen. Critten bewegte sich drüben. 

Armer Hund, dachte John, als Chato ihm die Kelle reichte. 
»Du bist Weißer wie sie, du denkst und handelst wie sie. 

Welche Möglichkeit gäbe es, Naiche zu befreien?« 

John Haggerty mußte unwillkürlich lächeln. Noch nie war er 

einem solch verzweifeltem Indianer begegnet wie dem alten 
Häuptling. 

»Ich denke nicht wie Sinclair. Der ist ein Verbrecher, und 

genauso mein Feind wie der eure. Er würde mich töten, wie er 
bedenkenlos deinem Stamm Waffen lieferte, damit er in den 
Tod reitet.« 

»Aber du bist ein weißer Mann, Falke.« 

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»Ich bin ein kranker Mann. Krank von der grausamen Folter 

der Chiricahuas.« 

Chato erhob sich. Ihm wurde klar, daß der Falke keinen 

Finger zu bewegen gedachte, um einem Apachen zu helfen. 

Sorgenvoll verließ er das Wicki-up. 
Critten regte sich. Scheinbar hatte er der Unterhaltung 

zugehört. 

»Wissen Sie wirklich keinen Weg, Sir?« rief er mit großer 

Anstrengung. 

»Wenn Sie Chato helfen, wird er uns vielleicht die Freiheit 

schenken.« 

»Dazu fehlt Chato die Macht. Nur Cochises Wort zählt in 

diesen Bergen. Er hat schon allerhand riskiert, als er uns von 
den Felsen schnitt. Er wird mit einem Verweis zu rechnen 
haben, wenn Cochise zurückkehrt. Ich kenne die Gesetze der 
Apachen.« 

Critten schwieg. Ihm schauderte bei dem Gedanken, wieder 

an den Fels gekettet zu werden. Er hatte Angst. Und dabei hatte 
er einmal geglaubt, ein mutiger Soldat zu sein. 

John lag mit offenen Augen auf der Pritsche. Er hörte die 

junge Indianerin leichtfüßig hereinkommen und spürte ihre 
zarten Hände, die wie Balsam den Schmerz linderten. 

Am Abend klang trauriger Gesang über den Platz. Der 
Schamane rief die Götter um Hilfe. Aber es waren Götter der 
roten und nicht der weißen Männer. Als das Mädchen ihm 
Früchte und Wein brachte, sagte John in ihrem Dialekt: 

»Hole Chato, ich will mit ihm reden.« 
Critten drehte sich hoffnungsvoll um. 
»Wissen Sie einen Ausweg, Mr. Haggerty?« 
»Nein«, erwiderte John. 
Chato betrat das Zelt. 

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»Du wünschst mich zu sprechen, Falke?« fragte er und 

zündete die Talgfackel an. 

»Ich möchte mit dem Franzosen Sinclair verhandeln, wenn 

ich auf die Beine komme.« 

Chatos dunkle Augen leuchteten im Widerspiel des 

Talglichtes wie Kaleidoskope. 

»Das wird morgen sein, denn unsere Medizin wirkt Wunder. 

Ich danke dir für dein Angebot, Falke.« 

»Spar dir den Dank, bis ich vor Cochise stehe, Chato. Ich 

möchte eine alte Feindschaft begraben und rechne dann mit 
deiner Fürsprache.« 

»So soll es sein.« 
Chato hob seine linke Hand an die Stirn und verließ das Zelt. 
John wurde zunehmend müder. Er bemühte sich vergebens, 

wach zu bleiben. Aber es war wohl der Heilungsprozeß der 
Salben und der süßliche Duft der Kräuter, die der Bergwind 
durch den Eingang wehte, und John in einen tiefen und 
traumlosen Schlaf sinken ließ. 

»Ich traue meinen Augen nicht.« Vaquence, der den Ausgang 
der Höhle bewachte, stieß Sinclair den Gewehrkolben in die 
Seite. »Da wankt dieser verdammte Armeescout auf den 
Indianerfriedhof. Es sieht aus, als wollte er sein eigenes Grab 
schaufeln. Soll ich ihm dabei helfen?« 

Sinclair kroch näher und schob dem Ladino die Waffe von 

der Schulter. 

»Laß uns hören, was er will. He, Haggerty, wer hat Sie vom 

Kreuz geholt?« 

John blieb stehen und blinzelte aus beträchtlicher Entfernung 

zum Höhleneingang. 

»Ihre Dummheit, Sinclair!« rief er dann zurück. »Sie hätten 

die Entwicklung Ihres Geschäftes abwarten sollen. Sicher hätte 

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Cochise zu seinem Wort gestanden. Aber er ist außerhalb der 
Apacheria. Ihr Glück, denn wäre er hier, würden Sie und Ihre 
Komplicen keine zwei Stunden mehr leben.« 

»Verdammter Bastard! Ich brenne ihm eins aufs Fell«, 

fluchte Vaquence. 

Sinclair beruhigte ihn. 
»Laß uns verhandeln. – He, Mr. Haggerty, Sie vergessen 

Naiche, Cochises Sohn!« 

»Und Sie vergessen die Mentalität der roten Rasse. Ein 

Chiricahua-Häuptling oder Krieger findet die Erfüllung jenseits 
unserer Vorstellungen, Sinclair. Auf den großen fruchtbaren 
Weiden ihrer Götter. Naiche würde als ein stolzer Mann 
sterben, denn er weiß, daß sein Mörder einen schrecklichen 
Tod erleidet. Je grausamer er stirbt, um so höher steigt das 
Ansehen seiner Seele. Cochise wird Ihnen auf dem Gebiet 
einiges zu bieten haben. Von Feuer auf dem Bauch bis zu den 
roten Ameisen in den Bergwäldern, die Stück für Stück Ihren 
Leib in tausend Fetzen reißen. Und alles erleben Sie bei vollem 
Bewußtsein. Zumindest zwei oder drei Tage lang, Sinclair.« 

John hatte bewußt dick aufgetragen, um ihn einzuschüchtern. 
»Er soll aufhören!« schrie Hans Holsten. »Ich kann den 

Sadisten nicht mehr hören.« 

»Ich halte Sie für einen klugen Menschen, Sinclair, und für 

einen guten Kaufmann. Geben Sie auf, gehen Sie auf Chatos 
Handel ein. Ein Leben für zehn Leben – das ist ein guter 
Preis.« 

»Und das Gold für die Gewehre?« 
Der Pedlar steckte merklich zurück. Er sah seine Felle 

davonschwimmen und wollte das rausholen, was in ihrer Lage 
noch zu holen war. 

»Gibst du auf?« hetzte Vaquence. »Machen seine Sprüche 

euch nervös? Dann bringe ich ihn zum Schweigen.« 

»Halt's Maul!« herrschte Sinclair ihn an. 
»Es gibt kein Gold, und das wenige, was die Apachen 

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besitzen, verwaltet Cochise selbst. Wollen Sie auf seine 
Rückkehr warten oder Chatos Angebot in Erwägung ziehen?« 

»Wer gibt mir sein Wort, daß wir nicht betrogen werden?« 
»Chato.« 
»Der ist ein hinterhältiger Schakal, wie alle roten Bastarde. 

Geben Sie mir Ihr Wort, Haggerty, und ich werde es mir 
überlegen.« 

John zögerte lange. Er war selbst Gefangener in Cochises 

Burg. 

»Wenn es Ihnen was bedeutet, Mr. Sinclair.« 
»Sehr viel.« 
»Dann will ich mit Chato sprechen. Ich bin jedoch sein 

Gefangener. Haben Sie das vergessen?« 

Sinclair zischte einen Fluch. 
»Trotzdem ist mir Ihr Wort mehr wert als das der ganzen 

Sippe.« 

»Okay, Mr. Sinclair, Sie hören von mir.« 
»Und stellen Sie Pferde auf dem Zeltplatz bereit, Haggerty. 

Ich möchte nicht in eine Falle laufen, Sie verstehen?« 

John hörte Sinclairs Worte noch, aber er durchwanderte 

bereits den Hohlweg. Gegen Mittag kam er zurück. 

»Sie haben mein Wort, Sinclair: Ihr Leben und Ihre Pferde 

für Naiches Leben. Die Gäule stehen wie vereinbart vor dem 
großen Zelt des Häuptlings.« 

»Und seine Krieger?« 
»Werden Sie auf dem Hügel beim Totem wiedersehen.« 
Vaquence begann zu schimpfen. Ihm wurde plötzlich 

bewußt, daß er ärmer aus den Bergen hinauszog, als er 
hereingekommen war. Da hatten sie noch die 
Springfieldgewehre, die auch anderweitig zu verkaufen 
gewesen waren. 

Slim Tratten schnappte über. Er fuchtelte mit dem Revolver 

vor Naiches Gesicht herum und drohte ihn zu erschießen. 

Da Sinclair die Gefahr erkannte, hob er vorsichtig seine 

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Sharps bis in Hüfthöhe und drückte ab. Der Bandit fiel tödlich 
getroffen vornüber auf das Gesicht. 

Sinclair fauchte: »Wer verrückt spielt wie Tratten, der kann 

ihn gleich in die Hölle begleiten. Vaquence, du übernimmst 
Naiche! Behandle ihn wie ein rohes Ei, er ist so etwas wie 
deine Lebensversicherung.« 

Der Ladino blickte nur verächtlich auf. Wie hoch hatte er auf 

Sinclair gesetzt. Und nun zeigte er sich als Feigling. 

»Wir kommen, Mr. Haggerty!« 
Sinclair stieg als erster aus der Höhle. Vaquence folgte. Er 

benutzte den Häuptlingssohn als Deckung und hielt ihm die 
Gewehrmündung unter das Kinn. 

John Haggerty wich langsam zurück. Er hoffte, daß Chato 

sein Wort hielt. 

Aber es war wie versprochen. Zehn frische Pferde standen 

auf dem weiten Platz. Mehrere Chiricahua-Krieger bewegten 
sich waffenlos bei den bunten Pfählen. Die Weiber und Kinder 
hatten sich bis zur äußersten Grenze der Apacheria 
zurückgezogen. Nur Chato stand im Eingang des Zeltes – 
stumm, abwartend, mit der stoischen Ruhe seiner Rasse. 

John trat neben ihn. 
Vorsichtig, nach allen Seiten lauernd, näherte sich die Bande. 

Sie suchten ihre Pferde und stiegen in die Sättel. 

Der Scout sah, daß Vaquence Naiche quer vor den Sattel 

legte und erst dann seinen Gaul bestieg. Er hielt sich dicht an 
der Seite des Indianers. Die Gewehrmündung zeigte auf 
Naiches Kopf. 

»Das ist gegen die Vereinbarung«, rief John dem Pedlar zu, 

als Zornesröte Chatos Wangen überzog. 

»Es dient dem Selbstzweck, Mr. Haggerty«, rief Sinclair. 

»Wir lassen ihn außerhalb der Festung frei.« 

»Er lügt«, murmelte Chato. 
Die Reiter setzten sich in Bewegung. 
»Ich weiß es«, sagte John enttäuscht, denn er hatte gehofft, 

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daß Sinclair in Anbetracht der brenzligen Situation vernünftig 
geworden wäre. Aber er wollte Naiche als seine Geisel 
benutzen, um Cochise später unter Druck zu setzen. 

»Gib mir ein Pferd, Chato.« 
Der schüttelte den Kopf. Er hatte so viel gegen die Gesetze 

des Stammes verstoßen, daß er die Bürde kaum noch tragen 
konnte. 

»Nein, du bist Cochises Gefangener. Nein, ich werde dich 

wieder in Fesseln legen.« 

Aber Chato hob keine Hand, um die Krieger von den Hügeln 

zu rufen. Selbst dann nicht, als Haggerty steifbeinig zum 
Seilcorral ging und sein Pferd einfing. John schwang sich auf 
den Rücken und ritt zu Chato. 

»Ich komme zurück, Chato. Darauf gebe ich dir mein Wort. 

Du hast als Pfand meinen Begleiter.« 

John kitzelte das Fell seines Praints und trabte zum Tor. 

In der Nacht, als Sinclairs Bande ihr Lager aufschlug, kam es 
zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen seinen Leuten und 
ihm. Aber Sinclair beendete den Streit, indem er auf seinen 
Gefangenen deutete. 

»Cochise wird unseren Preis zahlen, Leute, oder wir schicken 

ihm einen toten Naiche. Macht euch also keine Gedanken, und 
legt euch schlafen. Wir brechen früh auf.« 

Während der Pedlar sprach, lag kaum 15 Yards entfernt, 

zwischen einer Moosbank, John Haggerty und beobachtete das 
Lager. Er sah den Posten am Korkbaum lehnen und wartete 
geduldig, bis er glaubte, daß alles eingeschlafen war. Lautlos 
und flink wie ein Wiesel robbte er durch die Büsche und 
näherte sich der Wache. Ehe der Mann begriff, was geschehen 
war, lag er schon bewußtlos auf kahlem Gestein. 

John nahm dessen Karabiner, kroch zu dem Verschnürten 

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unter einem Mesquitestrauch und durchtrennte ihm die Fesseln. 

Wie eine stumme Absprache fiel kein Wort, als Naiche sich 

erhob. Sie hörten nur die Schnarchtöne der Outlaws, die 
ahnungslos ihrem Schicksal entgegenschliefen. 

Die Stille des Morgens war von dumpf dröhnenden 

Trommelschlägen erfüllt, die hohl und weithin durch die 
Bergwelt hallten. 

Sinclair erwachte, lauschte und erriet sofort die Bedeutung 

der Klänge. Sein Blick fiel auf die Stelle, an der sie in der 
Nacht den Gefangenen ans Gesträuch gebunden hatten. 

»Was bedeutet das?« Vaquence sprang schlaftrunken auf die 

Beine. Auch die anderen Mitglieder der Bande waren vom 
anhaltenden Lärm aufgewacht. 

Sinclair deutete mit einer laschen Handbewegung auf den 

leeren Platz und dann zur Korkeiche, wo Nick Warren, der 
Nachtposten, lag – niedergeschlagen. 

»Wir hatten Besuch«, sagte er ruhig. Die Trommelschläge 

wurden nun klarer, und Sinclair schien es, als erhielten die 
dumpfen Töne aus einer anderen Richtung Antwort. Aber das 
konnte auch das Echo sein, das durch die hohlen Schluchten 
zurückgeworfen wurde. 

»Unsere Geisel ist verschwunden.« 
Vaquence eilte mit Riesenschritten zu den Büschen. Als er 

zurückkehrte, hielt er die durchschnittenen Lederriemen in 
seinen mächtigen Fäusten. 

»John Haggerty?« 
Der Pedlar lächelte verkrampft. 
»Er mag es nicht, wenn er betrogen wird.« 
»Warum hat er nur Naiche befreit?« fragte Vaquence 

stirnrunzelnd. Das Trommeln ging ihm auf die Nerven. Es 
waren wohl Signale aus der Bergfestung, die durch die Wildnis 
drangen und von den Geschehnissen in der Apacheria 
berichteten. 

»Warum hat er nicht uns getötet? Er und Naiche hatten 

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Gelegenheit dazu, als wir schliefen.« 

Sinclairs Lächeln wurde grantig. 
»Das werden andere tun, Ramon. Hörst du nicht ihre 

Stimmen?« Sein gestreckter Arm deutete in die Tiefen der 
Schluchten, aus denen nun Schläge einer Trommel schallten. 
»Das sind die Trommeln der Mimbrenjos. Aber irgendwo in 
einem der zahllosen Canyons wird der Teufel auf uns warten.« 

»Cochise«, murmelte der Ladino. 
»Richtig.« Sinclair nickte gelassen, obwohl sein Inneres in 

Aufruhr war. »Hoffen wir nur, daß es eine Militärpatrouille 
hört oder dieser verdammte Captain aus Tombstone. Haltet 
eure Waffen schußbereit und sattelt die Pferde! Wir brechen 
auf.« 

Sinclairs Kaltblütigkeit war vorgetäuscht. In Wirklichkeit 

fürchtete er sich davor, Cochises Krieger in die Arme zu 
laufen. Er hatte den Rothäuten Waffen geliefert und ihnen 
gezeigt, wie man mit ihnen umgehen konnte. Aber er wußte, 
daß Cochise diesmal auf die einfache Art seiner Rache 
verzichtete. 

Wie nannte es Chato so treffend? Alle Qualen der Hölle. 

Cochise beherrschte diese Technik vollkommen, wie die 
Gazetten im Territorium zu berichten wußten. 

Der Gang über den schmalen Saumpfad, der längs der 

Steilwand in die Tiefe führte, wurde zur Tortur. Als Kim und 
sein Praint in den Abgrund stürzten, rief Vaquence mit irrem 
Lachen: 

»Der hat keine Sorgen mehr.« 
Das Grauen nagte an den Knochen. 
Als der Pfad breiter wurde, stießen sie auf den 

zurückgelassenen Planwagen. Aber Sinclair dachte an sein 
Leben, und er schenkte dem schweren Fahrzeug keinen Blick. 
Sie mußten raus aus den Bergen, denn nur auf dem Flachland 
sah Sinclair geringe Chancen, Cochises Horden zu entkommen. 

Noch war ihnen keiner der roten Teufel begegnet. Sie hörten 

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die Trommelschläge, die an den Nerven zerrten. 

Der abfallende Weg war nicht mehr so steil. Die engen 

Wände des Canyons erweiterten sich. Am Horizont stand ein 
heller Streifen – die Plains, die bis hinüber zu der Gila Bend 
führte. 

Nun, die Freiheit vor Augen, stieß Hans Holsten einen 

gellenden Laut aus. Sanft glitt er aus dem Sattel und fiel auf 
den rauhen Fels. Der gefiederte Schaft eines Pfeils steckte 
wippend in seinem Hals. 

»Raus hier!« schrie Vaquence und trieb wie von Sinnen 

seinem Pferd die großen Sporen in die Weichen. Er riß seinen 
Revolver aus dem Halfter und begann wild und planlos durch 
die Gegend zu ballern. 

Über den flachen Hügeln tauchten Reiter auf. Ihre 

bronzefarbenen Oberkörper glänzten in der Sonne. Zwei 
Wogen gleich schwemmte der Berg sie talwärts. Ihre 
Breitmesser blitzten, ihre Tomahawks wirbelten über ihren 
dunkel glänzenden Haaren, und ihre unheimlichen Schreie 
füllten den Talkessel. 

»Zastee, zastee!« Tötet sie, tötet sie! 

Sie kamen durch den Felsausschnitt am Ende des Steinwalls. 
Ein Heer von 60 Chiricahua-Kriegern. Sie trugen gräßliche 
Wunden am Körper, aber sie saßen stolz auf ihren Mustangs. 

Als Cochise den linken Arm hob, zügelten sie ihre Tiere. Der 

Häuptling schwenkte zum Hügel, wo die Jacales standen. Sein 
muskulöser Körper trug etliche Wunden, deren Schmerz ihn 
nicht kümmerte. Cochise parierte sein Pferd auf jenem Platz, 
an dem das ewige Feuer brannte. Mit einer wilden Bewegung 
schleuderte er ein Bündel blutbehafteter Skalps in den Staub. 

Sein Blick traf Chato, seinen Sohn Naiche. 
Er stieg vom Pferd und kam mit großen Schritten näher, bis 

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er vor John Haggerty stand. Sein Blick schien den Feind 
förmlich zu durchdringen, seine Mundwinkel zuckten, und die 
kräftigen Muskeln seiner Wangenknochen waren in Bewegung. 
Es schien ihm schwerzufallen, mit dem Mann zu sprechen, den 
er einst seinen Freund genannt hatte. 

»Naiche steht in deiner Schuld, Falke. Er mag über dein 

Leben bestimmen.« 

Cochises Sohn trat mit federnden Schritten an John 

Haggertys Seite. Stolz und selbstbewußt, eines jungen 
Häuptlings würdig, warf er den Kopf in den Nacken. Wie er so 
dastand, glich er seinem Vater wie ein Spiegelbild. 

»Der Falke hat gezeigt, daß er ein Freund der Chiricahuas ist, 

Vater. Ohne seinen Mut und sein selbstloses Eingreifen 
würdest du in Trauer heimkehren, denn Naiche wäre tot. Er 
und sein Begleiter mögen in Frieden ziehen.« 

Häuptling Cochises dunkle Augen waren auf den Scout 

gerichtet. 

»Mein Sohn hat gesprochen. Zieht in Frieden.« 
John sah den breiten Gurt und das wuchtige Halfter, aus dem 

der verzierte Griff von Sinclairs Revolver hervorlugte. Er sah 
die Skalps auf dem Platz, zwischen denen das helle Haupthaar 
des Händlers schimmerte. Ohne Furcht trat er dem Häuptling 
entgegen. 

»Ich bin gekommen, um dir den Frieden General Einarms 

anzubieten, mit dem du vor Monden viele Tage und Nächte 
Verhandlungen geführt hast. Er bedauert die schrecklichen 
Vorfälle, die zu neuer Feindschaft führten. General Howard 
möchte mit den Häuptlingen der Chiricahuas und Mimbrenjos 
einen neuen Vertrag schließen. Er garantiert...« 

Cochises wie abgehackt wirkende Handbewegung ließ John 

Haggerty verstummen. 

»Seine Garantien stehen nur auf dem Papier, Falke. Seine 

Worte kommen aus einer gespaltenen Zunge. Er kann dem 
Frieden dienen, wenn er seine Truppen von freiem 

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Apachenland abzieht. Mit den Siedlern, die unser Land stehlen, 
werden wir selbst fertig.« 

»Du weißt, daß dies nicht in der Macht General Einarms 

liegt, Cochise. Der Weiße Häuptling in Washington hat ihn ins 
Apachenland gesandt, damit sein Volk und dein Volk in 
friedlicher Eintracht miteinander leben. Das Land ist groß, so 
daß alle darin leben können.« 

»Das Land beherrschen Siedler. In den glitzernden Minen 

arbeiten sie wie Kulis. Den Chiricahuas und den Mimbrenjos, 
die dieses weite Land von ihren Vätern geerbt haben, ist nur 
ein letztes Wasserloch geblieben: die Dragoon Mountains. 
Sattle dein Pferd und reite. Es sind genug Worte gefallen.« 

John schloß die Augen. Er dachte, Cochise ist stur wie ein 

Muli. Sein Haß brennt immer tiefer in sein Herz. 

»Dein Groll blendet dich, Großer Häuptling. Du führst dein 

Volk in einen tiefen Abgrund. Was bedeuten sechzig Gewehre, 
Cochise, wo die Blauröcke sechstausend besitzen, Kugeln und 
den donnernden Blitz der Kartätschen? Du führst ein 
verlorenes Häuflein in den Tod.« 

Stolz reckte Cochise seine Waffe gen Himmel. 
»Es ist ein Anfang, Falke. Mit ihren eigenen Waffen werden 

wir sie schlagen. Geh jetzt, ehe ich Naiches Entscheidung 
zurücknehme!« 

Stolz schritt der Chiricahua an dem Chiefscout vorbei und 

verschwand in seinem Wicki-up. 

John Haggerty wußte, daß es völlig aussichtslos war, Cochise 

zur Umkehr zu bewegen. 

Vom Corral her kam Naiche mit zwei gesattelten Pferden 

heran. 

»Es wird Zeit für dich, Falke«, sagte er, während er Haggerty 

die Zügel reichte. »Du hast die letzten Worte meines Vaters 
vernommen.« 

John schwang sich in den Sattel. Sam Critten folgte diesem 

Beispiel. 

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John sah, daß Naiche seine Hände auf dem Rücken 

verschränkt hielt. Er wünschte keine Berührung mit dem 
weißen Mann. Haggerty trieb sein Pferd an und ritt am 
Steinwall entlang zum schmalen Ausgang der Apacheria. Er 
wußte, daß Cochise bald seine Bergfestung verlassen würde. 
Ein Gedanke, der ihn beunruhigte. 

Als sie aus dem Schatten der Berge waren, sah John Haggerty 
die flachen Grabhügel zwischen Yuca-Stauden und 
Mesquitebüschen, über die der Wind den Staub der Mesa trieb. 
Zwei primitive Astkreuze aus der nahestehenden Korkeiche 
erinnerten an Cochises Scharmützel mit Freemans Miliz. 

Sicher war es Captain »Lions« militärischer Erfahrung 

zuzuschreiben, daß der Zusammenstoß zwischen Apachen und 
Weißen glimpflich verlaufen war, denn Cochise besaß nun 
Waffen, die ihn an Feuerkraft und Verschlagenheit seinen 
Gegnern zumindest ebenbürtig machten. 

60 Springfield-Gewehre und 1000 Schuß Munition. Sinclair 

hatte für seinen Frevel, Rothäute mit Feuerwaffen auszustatten, 
teuer bezahlen müssen. 

Aber das war wohl nur ein Anfang. 
John stieg vom Pferd, faßte die Zügel und näherte sich 

zögernd den Gräbern. 

Sam Critten folgte befremdet und zugleich nervös seinem 

Begleiter. 

»Ihnen können wir nicht mehr helfen«, sagte der Corporal 

heiser, »wir sollten unsere eigene Haut retten. Wenn Cochise 
seine Großzügigkeit bereut, hängen unsere Skalps neben dem 
von Sinclair an seinem Gürtel. Er schickt uns seine Meute 
nach.« 

John kniete lächelnd nieder. 
»Cochise bricht nie sein Wort, es sei denn, er fühlt sich 

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betrogen oder verraten. Dann wird er zu einem gefährlichen 
Gegner. Du hast es erlebt, Critten.« 

Seine Hand tastete über das trockene Erdreich. Er wußte, daß 

die beiden Toten seit über einer Woche unter dem Hügel lagen. 

Langsam richtete John sich auf. Sein Blick verlor sich im 

grauen Bergmassiv, das düstere Gedanken in ihm weckte. Nach 
langem Suchen war es ihm gelungen, Cochises Bergfestung 
aufzuspüren. Er hatte erlebt, was dort oben geschehen war, und 
er ahnte Cochises Gedanken. Cochise brauchte Waffen, um 
einen neuen Indianeraufstand vorzubereiten. Der Jefe gab keine 
Ruhe. 

Wie tief hatte sich der Haß gegen die weißen Eindringlinge 

in seiner Brust verwurzelt. Johns Züge nahmen einen 
verbitterten Ausdruck an. 

Seit zwei Tagen wußte er, daß Chiricahua-Späher auf ihrer 

Fährte saßen und jeden ihrer Schritte kontrollierten. Cochise 
wollte sichergehen, daß seine Feinde die Berge verließen. 

»Wir wollen unser Lager aufschlagen«, bestimmte der Scout 

trotz der Gefahr, die sie unsichtbar umgab. »Das Buschwerk 
und die flachen Hügel bieten uns Schutz gegen den scharfen 
Wind.« 

Critten blickte verzweifelt zum Himmel. 
»Es wird erst in zwei Stunden dunkel«, wandte er ein. »Wir 

könnten noch zehn Meilen schaffen.« 

Er schüttelte sich bei dem Gedanken an die vergangenen 

Tage, die wie ein Trauma in ihm hafteten. Er sehnte sich bei 
Gott nicht wieder auf den kahlen Fels in Cochises Apacheria 
zurück. 

»Ich weiß es«, sagte John Haggerty. Er begann sein Pferd 

abzusatteln. »Du hast Angst.« 

»Klar, ich geb's ja zu. Wenn Sie es nicht anders wollen, reite 

ich allein weiter.« 

John betrachtete den Deserteur. Ein junger und 

kraftstrotzender Bursche, der etliche Indianerkämpfe hinter 

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sich hatte und einige Narben daraus am Körper trug, und dem 
nun die Furcht im Nacken saß. 

»Wohin willst du reiten, Sam?« Haggerty schwenkte den 

ausgestreckten Arm im Halbkreis. »Nach Süden, wo Freemans 
Miliz die Gegend durchstreift? Nach Fort Thomas, wo ein 
gekränkter Lieutenant darauf brennt, dich vor die Mündung 
eines Füsilierkommandos zu stellen? Nach Norden zum 
Apachen-Paß? Fort Bowie, Fort Buchanan – wohin du auch 
reitest, jeder Kommandant ist über deine Fahnenflucht 
informiert. Wenn du nach Osten reitest, wirst du Cochises 
Spähern in die Arme laufen. Wer weiß, was sie mit dir 
anstellen. Also, weshalb hast du es so eilig, in Schwierigkeiten 
zu kommen?« 

Critten sah, daß der Scout die Gurte löste, den Sattel einfach 

in den Sand warf und sein Pferd laufen ließ. »Schnall ab, 
Corporal, und setz dich. Ich will mit dir reden.« 

Nur zögernd löste Critten sich aus den Steigbügeln, äugte zu 

den Gräbern hinüber. 

»Sie hätten einen besseren Rastplatz wählen können, Mr. 

Haggerty.« 

Johns hartes Lachen blieb. 
»Es gibt keinen besseren Ort als einen Tombs, um über 

ernste Dinge zu sprechen. Diese armen Hunde sind die ersten 
Toten auf einer langen Liste Cochises. Der fühlt sich stark und 
mächtig. Seine Feuerrohre geben ihm diese Kraft, daß er 
glaubt, jeden Gegner niederzwingen zu können.« 

Critten grub eine Mulde in den Sand, die ihm besseren 

Schutz vor dem heißen Westwind gab. 

»Worüber wollen Sie sprechen, Sir? Sind wirklich Cochises 

Späher auf unserer Fährte?« 

John nickte, während er aus der Satteltasche Pemmikan 

nahm, den Reiseproviant aus dem Apachendorf. 

»Seit wir die Burg verlassen haben«, erwiderte er und reichte 

dem Begleiter seinen Teil. »Er ist ein Fuchs und traut mir 

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nicht, und zwar mit Recht.« 

Sam Critten kaute schwerfällig an dem tranigen, mit Fett, 

Fleisch und Kräutern durchsetzten Happen. Verständnislos sah 
er den Chiefscout an. 

»Was tut Cochise mit Recht?« 
»Er hat längst gelernt, wie ein Weißer zu denken und wie ein 

Roter zu handeln. Nun, wo ich seine Apacheria kenne und sein 
Vorhaben erahne, wird er die Zeit nutzen und für seinen 
Stamm einen neuen Platz suchen, während ich ins 
Hauptquartier reite, um General Howard zu informieren. Es 
könnten Monate vergehen, bis einer unserer Scouts sein Dorf 
wiederfände. Inzwischen könnte es zu spät sein, denn Victorio 
brennt darauf, es den Weißen heimzuzahlen. Old Vic zeigt 
nicht die Geduld, die der Jefe hat.« 

Critten konnte sich denken, was in Haggerty vorging. Dieser 

verdammte Armeescout hatte wohl noch immer nicht die Nase 
voll. 

»Wollen Sie etwa wieder in die Berge zurück?« fragte er 

entsetzt. »Etwa ins Apachendorf?« 

John nickte ernst. 
»Ich muß wissen, welche Pläne der Jefe ausbrütet, damit das 

Militär, das dieses Territorium nun mal verwaltet und die 
Siedler schützt, Maßnahmen ergreift, um schreckliches 
Blutvergießen zu verhindern. Du warst ein guter Soldat, Sam, 
und möchtest lieber heute als morgen wieder in der Armee 
dienen.« 

Critten nickte. 
»Aber du stehst in der Mitte, wirst gejagt von den eigenen 

Kameraden, von der Bürgerwehr, von Possen, bald auch von 
Apachen, Mimbrenjos oder Yaquis, die auf dem Kriegspfad 
reiten. Hast du überhaupt noch eine Zukunft, Sam Critten? 
Nein. Ich könnte ein Wort für dich bei General Howard 
einlegen. Möglicherweise wird er deine Verfehlungen mit 
anderen Augen sehen, wenn er erfährt, daß unsere Mission 

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vielleicht hundert oder gar tausend Menschen das Leben 
gerettet hat.« 

Verdammter kleinlicher Kommiß, dachte der Deserteur 

wütend. Da dreht man mal durch und schmiert einem Offizier 
eine, und schon ist das ganze Leben im Arsch. 

»Sie haben eine feine Art, einen Mann zu erpressen, Mr. 

Haggerty«, höhnte Critten gallig. Er spie seinen Pemmikan in 
den Sand, denn er hatte es satt, auf der tranigen Dauerkost 
herumzukauen. »Dort die Kugeln eines 
Exekutionskommandos, hier der Tomahawk oder die 
Lanzenspitze einer verrückten Rothaut. Welcher Weg bleibt 
mir überhaupt?« 

»Der ehrenwerte, Sam.« 
Critten schnaufte. »Der würde vor den Lanzen der 

Chiricahuas enden.« 

»Nichts ist endgültiger als der Tod, Sam. Er holt uns alle, den 

einen früher, den anderen später. Wie hast du dich 
entschieden?« 

Critten wischte das tranige Zeugs von den Lippen. 
»Verdammt, wo sind Cochises verfluchte Späher?« 
John deutete mit einer Kopfbewegung nach Osten. 
»Keine zweihundert Yards entfernt auf dem flachen Hügel 

zwischen Chollas und Distelgesträuch. Was kümmert es uns? 
Wir ziehen morgen früh in die offene Range, reiten in einer 
dunklen Nacht im weiten Bogen nach Norden und suchen die 
ungedeckte Flanke von Cochises Bergfestung.« 

»Und unsere Verfolger?« 
John lächelte belustigt. 
»Bin ich dümmer als ein lausiger Chiricahua, Sam? Cochises 

Späher sind wir schneller los, als sie es wahrhaben.« 

Sam Critten dachte an John Haggertys legendären Ruf in der 

Armee und an seine eigene bekümmerte Lage. 

»Ich bin ein verdammter Narr, Sir, aber ich will es riskieren. 

Wenn...« 

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»Ja?« 
»... wenn Sie mir einen Weg garantieren, der zurück zu 

meiner geliebten Siebenten führt.« Der Corporal räusperte sich. 
»Ich liebe die Armee. Sie ist so was wie meine Ziehmutter.« 

John Haggerty streckte die Rechte aus. 
»Mein Wort darauf, Sam. Du wirst deine zwei Streifen bald 

wieder in Ehren tragen. Deine eigenen Probleme werden in 
einem anderen Licht erscheinen, wenn General Howard erfährt, 
daß du als mein Scout reitest.« Während Critten seine Hand 
schüttelte, dachte John mit einem Anflug von Zynismus: der 
Weg, der vor uns liegt, führt über ein schwankendes Seil, und 
es ist nicht abzusehen, wann und wo es zerreißt. 

Aber er war gezwungen, ihn zu beschreiten, damit weiteres 

Blutvergießen vermieden wurde. 

»Nenne mich John, du verlauster Strauchdieb. Wenn wir am 

gleichen Leder ziehen, wollen wir es wenigstens als Freunde 
tun.« 

ENDE