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Die Blutbestie 

von Günther Herbst 

scanned b y : horseman 

kleser: Larentia 

Version 1.0 

Die Ballade vom hölzernen Pferd, dem die sagenhafte 
Stadt Troja zum Opfer fiel, ward schon von zahllosen 
Sängern vorgetragen. Die Ballade vom hölzernen Weinfaß 
hingegen ist weniger bekannt. Und doch handelt auch sie 
von Geschehnissen, die reich sind an Heldenmut und 
Heimtücke, an erbittertem Kampf und arger List, an hehrer 
Liebe und bitterstem Leid. Dem berühmten Minnesänger 
Volker vom Hohentwiel blieb es vorbehalten, diese 
Geschehnisse in Reime und Musik zu fassen ... 

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Die vier Männer paßten zusammen wie Feuer und Wasser. 

Der eine war ein feiner Herr von bestem Stande. Sein Wams aus 

edlem Linnen hatte Aufschläge aus Hermelin, die Reitstiefel wurden 
durch silberne Nieten verziert, und an seinem Hut prangten zwei 
herrliche Pfauenfedern. Die hochgewachsene Gestalt und die 
aristokratischen Gesichtszüge vervollkommneten das Bild eines 
Adligen, der geboren war, um zu befehlen und zu herrschen. 

Die drei anderen waren Männer von ganz anderem Schlage. Ihre 

grobe, schmucklose Kleidung wies Löcher und Flicken auf. Überall 
an ihnen nistete der Schmutz, an Wams und Hose, an den Händen, 
selbst in den rohen, grobschlächtigen Gesichtern. Wirre Haare und 
wildwuchernde Bärte ließen sie mehr Tieren als Menschen gleichen. 

Und doch waren sie ein Herz und eine Seele, der vornehme Adlige 

und die drei wüsten Gesellen, bei deren Anblick jeder anständige 
Christenmensch sofort die Beine in die Hand genommen hätte. 
Friedlich vereint lagerten sie am Waldrand unter dem schattigen 
Blätterdach einer mächtigen Buche und gaben sich 
gemeinschaftlichem Vergnügen hin. 

Der Würfelbecher und eine mit Wein gefüllte Lederflasche 

machten die Runde. 

Der blonde Riese, der auf den Namen Sven hörte, schüttelte den 

Becher und ließ die Würfel dann auf die Satteldecke rollen, die als 
Unterlage diente. 

»Hohoho«, lachte er dröhnend, »zweimal die Sechs und einmal die 

Fünf. Mach mir das erst einmal nach, Felix!« 

Derb und kumpelhaft schlug er dem Mann im Hermelinwams auf 

die Schulter, ganz so, als würde der augenfällige Standesunterschied 
mitnichten bestehen. 

Den mit Felix Angesprochenen schien es nicht im mindesten zu 

stören. Er erwiderte das Lachen und griff seinerseits nach den 
Würfeln. 

»Siebzehn ist ein guter Wurf«, sagte er. »Aber ich fürchte, es wird 

nicht reichen.« 

Er nahm sich Zeit, bevor er die Würfel aus dem Becher trudeln 

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ließ. 

»Was habe ich gesagt?« triumphierte er. »Dreimal die Sechs! 

Damit ist der Sieg wiederum mein, Sven.« 

Der Blonde stieß einen gotteslästerlichen Fluch aus, der die Vögel 

auf den Zweigen beim Singen innehalten ließ. »Du mußt mit dem 
Teufel im Bunde sein!« 

»Aber nein, aber nein. Ich habe lediglich das Glück gepachtet, das 

ist alles.« 

»Nicht umsonst heißt er Felix, was in der Sprache der geistlichen 

Herrn der >Glückliche< bedeutet«, knurrte der schwarzbärtige 
Friedrich ärgerlich. 

»Oder aber er versteht es, die Würfel nach seinem Belieben zu 

drehen und zu wenden«, warf der vierte Mann ein. Er hieß Waldemar 
und war ein kräftiger, untersetzter Bursche mit stetig rot 
angelaufenem Gesicht, das von einer dicken Knollennase verunziert 
wurde. 

Felix stemmte die Arme in die Hüften. »Willst du damit sagen, daß 

ich betrüge?« 

Waldemar hielt seinem bösen Blick stand. »Und wenn ich genau 

das meine, was ich sage?« 

»Dann sähe ich mich gezwungen, dich für dein beleidigendes 

Geschwätz gebührend zu bestrafen!« 

Noch während er sprach, sprang Felix auf die Füße und nahm eine 

drohende Haltung an. 

Dadurch ließ sich Waldemar nicht einschüchtern. Schon war er 

ebenfalls aufgesprungen. 

»Komm nur her, glücklicher Felix«, stieß er hervor. »Aber 

wundere dich nicht, wenn du nachher ziemlich unglücklich bist!« 

Der schwarzbärtige Friedrich gab einen Knurrlaut von sich. »Setzt 

euch hin, ihr Narren! Die Zeit, aufeinander loszugehen, ist noch nicht 
gekommen. Dazu habt ihr nachher noch reichlich Gelegenheit. Also 
zügelt euch gefälligst!« 

Die beiden Streithähne nahmen wieder Platz, nicht ohne vorher 

noch ein paar bitterböse Blicke auszutauschen. 

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»Gib mir den Wein«, sagte Felix. »Ich muß meinen Zorn 

hinunterspülen.« 

Der blonde Sven wollte ihm die Lederflasche reichen, aber das ließ 

der Schwarzbärtige nicht zu. 

»Genug des Weins«, sagte er entschieden. »Du hast schon viel 

zuviel getrunken, Felix. Was ist das für  ein Freigraf, der schwankend 
auf seinem Roß sitzt?« 

»Ich werde nicht im Sattel sitzen, sondern zerschunden am 

Wegesrand liegen«, erwiderte der Mann im Hermelinwams. »Wer 
also würde sich wundern, wenn ich schwanke?« 

»Auch ein Freigraf, der lallend seine Trunkenheit bekundet, ist 

gewiß nicht nach dem Geschmack des Güldenburgers!« 

»Pah«, machte Felix, »wissen wir denn, ob der Graf wirklich des 

Weges kommt? Seit zwei Tagen warten wir schon vergebens.« 

»Er muß hier entlangkommen, wenn nicht heute, dann spätestens 

morgen. Die Feierlichkeiten im Schloß des Herzogs sind zu Ende. 
Und vom Schloß zur Güldenburg führt nur dieser eine Weg.« 

Alle vier Männer blickten hoch zur Kuppe des gegenüberliegenden 

Hügels. Dort hatte ihr Gefährte Notker Posten bezogen. Wenn er den 
Güldenburger und seine Begleiter im Tal sah, würde er unverzüglich 
Zeichen geben. Aber Notker meldete sich nicht. Folglich konnte vom 
Nahen des Grafen auch noch keine Rede sein. 

»Würfeln wir weiter«, schlug Felix vor. »Dann wird uns die Zeit 

nicht gar so lang.« 

Aber den anderen dreien stand der Sinn nicht mehr nach dem 

Würfelbecher. Felix' nicht abreißende Glückssträhne hatte ihnen 
gründlich die Lust daran verdorben. 

Dennoch gerieten die vier Männer nun nicht in Gefahr, an 

Langeweile zu sterben. Der  Augenblick, auf den sie zwei Tage lang 
gewartet hatten, kam schließlich doch. 

Dreimal kurz hintereinander ertönte der Schrei des Eichelhähers. 
Das verabredete Zeichen! 
Notker hatte den Grafen von Güldenburg und seine Begleiter 

gesehen und Alarm geschlagen. 

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Die vier Männer sprangen unverzüglich auf die Füße. Keine 

Sekunde hatten sie jetzt zu verlieren. Es würde nicht lange dauern, 
bis der Güldenburger oben auf der Bergkuppe auftauchte. Dann 
mußten sie bereit sein, ihm das Schauspiel zu bieten, das er sehen 
sollte. 

Während Sven, Waldemar und Friedrich im Handumdrehen die 

Spuren des Rastlagers beseitigten, eilte Felix zwischen die Bäume, 
wo die Pferde angeleint waren. Er machte seinen schwarzen Rappen 
los und schwang sich auf den Rücken des Tieres. 

»Macht eure Sache gut«, rief er den drei anderen zu, als er wieder 

bei ihnen war. 

»Worauf Ihr Euch verlassen könnt, Herr Freigraf«, erwiderte 

Waldemar und grinste breit. 

Felix gab seinem Pferd die Sporen und  ritt den Waldweg in 

entgegengesetzter Richtung entlang. Als er sich noch einmal 
umblickte, war von den drei anderen schon nichts mehr zu sehen. 

Nach etwa hundert Ellen machte der Weg eine Biegung. Hier hielt 

Felix an und wendete seinen Rappen. Nun konnte  er die Kuppe oben 
auf dem Hügel wieder sehen. 

Er wartete. 
Nicht lange jedoch, denn kaum zwei Minuten später bereits 

erschien oben auf dem Berg eine Gruppe von Reitern. Acht bis zehn 
Männer mochten es sein. Ihre genaue Zahl konnte  Felix aus seinem 
Blickfeld nicht bestimmen, weil sie hintereinander ritten. Auch wer 
die Männer waren, konnte er noch nicht erkennen. Aber das betrübte 
ihn nicht. Notker, der nicht nur rufen konnte wie ein Eichelhäher, 
sondern auch die scharfen Augen eines Raubvogels sein eigen 
nannte, hatte sie erkannt. Das genügte vollauf. Die Männer dort 
waren der Graf von Güldenburg und seine Getreuen, da gab es für 
Felix gar keine Frage. 

Und gewiß hatten die Männer ihn ebenfalls gesehen. Der Waldweg 

führte in gerader Linie zur Bergkuppe empor. Kein Strauch, kein 
Baum standen dazwischen, die die Sicht verdecken konnten. 

Mit einem kräftigen Schenkeldruck setzte Felix seinen Rappen in 

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Bewegung, ritt dem Güldenburger und seinen Begleitern entgegen. 
Aber eine ganze Weile bevor es zur Begegnung auf halbem Wege 
kam, fand der Überfall statt. 

Ganz plötzlich brachen sie aus dem Gebüsch am Wegesrand hervor 

- drei wüst aussehende Gesellen, denen im Gesicht geschrieben 
stand, daß sie es ernst meinten. Zwei von ihnen hielten lange 
Jagdmesser in der Hand, der dritte einen Spieß, mit dem man drei 
Bären auf einmal durchbohren konnte. 

»Runter vom Pferd, hoher Herr, sonst geht es Euch schlecht!« 

brüllte der schwarzbärtige Friedrich mit einer Stimme, die selbst ein 
Murmeltier geweckt hätte. Dabei fuchtelte er so wild mit seinem 
Spieß in der Luft herum, daß auch dem Tapfersten angst und bange 
geworden wäre. 

Aber Felix, furchtlos, wie es sich für einen edlen Freigrafen 

geziemte, ließ sich nicht beeindrucken. 

»Aus dem Weg, räuberisches Gesindel«, herrschte er den 

Schwarzbart und seine Kumpane an. »Sonst reite ich euch über den 
Haufen wie ein paar tolle Hunde!« 

Die markigen Worte verfehlten ihre Wirkung. Die Räuber lachten 

nur laut und dröhnend. Dann gingen sie zu dritt gegen ihr Opfer vor. 
Friedrich packte die Zügel des Rappen, während Waldemar und der 
blonde Sven nach den Beinen des Ritters griffen. Felix wehrte sich 
aus Leibeskräften, aber den gemeinschaftlichen Anstrengungen 
seiner drei Gegner war er nicht gewachsen. Sie zerrten ihn aus  dem 
Sattel, so daß er schwer auf den zum Glück weichen Waldboden 
stürzte. 

Aber der tapfere Freigraf gab sich noch nicht geschlagen. 
»Hinterhältiges Pack«, ließ er wütend seine Stimme erschallen. 

»Nun sollt ihr erleben, wie ein wahrer Ritter zu kämpfen versteht!« 

Obwohl er am Boden lag, gelang es ihm, sein Schwert aus der 

Scheide zu ziehen. Auf die Füße kam er jedoch nicht wieder, und 
deshalb konnte er auch mit dem Schwert nicht viel anfangen. Einen 
Hieb, den er führte, parierte Waldemar mit seinem Jagdmesser, hatte 
aber große Mühe dabei. 

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»Bist du von Sinnen?« knurrte er halblaut. »Fast hättest du mir den 

Arm abgeschlagen!« 

»Ein Ritter verteidigt sich, so gut er kann«, gab Felix zurück, 

während er nur mit einiger Anstrengung ein schadenfrohes Lächeln 
unterdrückte. 

Waldemar zahlte es ihm heim. Gemeinsam mit Sven hielt er Felix' 

rechten Arm fest und entwand ihm das Schwert. Dann drosch er gar 
heftig auf den Gegner ein. 

»Aufhören!« keuchte Felix. »Wollt... Wollt ihr mich vielleicht 

umbringen?« 

»Ein Räuber ist nicht wählerisch in der Wahl seiner Mittel«, 

erklärte Waldemar heiter und versetzte Felix einen Hieb auf den 
Mund, durch den sich mindestens ein Zahn lockerte. Wahrscheinlich 
hatte er bei seiner Gemeinheit an drei Würfel gedacht, die stets so 
gefallen waren, wie Felix das wollte. 

»Das büßt du«, stieß der hervor. Er spürte den süßen Geschmack 

von Blut auf der Zunge. »Beim Herrgott, das wirst du noch bitterlich 
bereuen. Wenn ich wieder ...« 

Ein neuerlicher Schlag verschloß ihm den Mund. 
Der schwarzbärtige Friedrich hatte die ganze Zeit über den Weg im 

Auge behalten. Jetzt erkannte er, daß der Güldenburger und seine 
Gefolgschaft nicht mehr fern waren. Die Männer hatten ihren 
Reittieren die Sporen gegeben und kamen schnell näher. 

Er tat so, als sei er erst in diesem Augenblick auf die Reiter 

aufmerksam geworden. 

»Ritter«, rief er scheinbar erschrocken aus. »Wir müssen das Weite 

suchen!« 

Sven und Waldemar blickten auf. Auch sie gaben sich völlig 

überrascht. 

»Weg hier!« stieß der blonde Sven hervor und ließ sofort von dem 

am Boden Liegenden ab. 

»Laß es dir wohl ergehen auf der Güldenburg«, raunte Waldemar 

Felix zu. Er versetzte dem vermeintlichen Opfer noch schnell einen 
Fußtritt und hastete seinen beiden Gefährten nach, die bereits  mit 

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Felix' Pferd zwischen den Bäumen untergetaucht waren. 

Felix schickte den dreien noch eine böse Verwünschung hinterher. 

Dann streckte er sich lang im Buchenlaub aus. Er tat nicht nur so, als 
fühle er sich kraftlos und zerschunden. Er war es wirklich. 

* 

Seit mehreren Tagen weilte Roland auf Camelot, und es drängte ihn 
eigentlich gar nicht sonderlich, das Schloß so schnell wieder zu 
verlassen. Der Herrschaftssitz von König Artus war der Mittelpunkt 
des höfischen Lebens. Die edelsten Ritter, die schönsten Frauen 
gaben sich hier ein Stelldichein, und die Prachtentfaltung suchte 
ihresgleichen in allen Landen. Noch war Roland nicht in den erlese-
nen Kreis der Ritter der Tafelrunde aufgenommen worden. Fünfzig 
gefahrvolle Aufgaben mußte er im Auftrag des Königs erfüllen, dann 
würde ihm diese große Ehre zuteil werden. 

Aber der außerordentliche Mut und die Geschicklichkeit, die er bei 

der Bewältigung der bisherigen Aufgaben an den Tag gelegt hatte, 
machten ihn trotz seiner Jugend bereits jetzt zu einem Mann, der von 
den anderen Rittern hochgeschätzt und von den Frauen geliebt 
wurde. War es da verwunderlich, daß es Roland genoß, sich in der 
Sonne seines jungen Ruhms zu sonnen? 

Jetzt befand er sich auf dem Weg zum Zimmer einer 

Schloßschönen, die ihn eingeladen hatte. Roland wäre nicht Roland 
gewesen, hätte er diese Einladung ausgeschlagen. Einem galanten 
Abenteuer war er niemals abgeneigt. 

Hurtig eilte er durch die Wandelgänge des königlichen Schlosses. 

Schon der Gedanke an die Liebesfreuden, die ihn erwarteten, 
erhitzten sein ungestümes Blut. Bevor er jedoch das Zimmer des 
Fräuleins erreichte, wurde er aufgehalten. 

»Ritter Roland, auf ein Wort!« 
Roland blieb stehen, wandte sich um. Der Mißmut über die 

Störung stand ihm im Gesicht geschrieben. 

In der Tür des Zimmers, an dem er gerade vorbeigekommen war, 

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stand ein Mann, mit dem Roland bisher nur flüchtige Bekanntschaft 
geschlossen hatte. 

Sir Ector! Er war ein Jugendgefährte von Artus und besuchte ihn 

ab und zu. 

Roland hatte große Achtung vor Sir Ector. Die hochgewachsene 

Gestalt des Mannes, die edlen, würdigen Gesichtszüge, das weiße 
Haupthaar und der lange weiße Bart  - dies alles war schon dazu 
angetan, ein Gefühl der Ehrfurcht hervorzurufen. Selbst bei Roland, 
der normalerweise auch den Großen dieser Welt mit  der Unbeküm-
mertheit der Jugend gegenübertrat. 

»Ja, Sir Ector?« 
Der weißhaarige Mann lächelte. »Habt Ihr einen Augenblick Zeit 

für mich?« 

»Alle Zeit der Welt.« 
Das schöne Burgfräulein mußte warten. 
»Dann tretet näher, Roland.« 
Sir Ector machte eine einladende Handbewegung, der Roland 

unverzüglich Folge leistete. 

Er war leicht enttäuscht, als sich der Raum, in den ihn Sir Ector 

gebeten hatte, als gewöhnliches Gästezimmer entpuppte, das 
üblicherweise Besuchern von Camelot vorbehalten war. Insgeheim 
hatte er gehofft, in die Privatgemächer Sir Ectors geführt zu werden. 
Man munkelte am Hofe, daß sich der weißhaarige Mann insgeheim 
mit Alchimie beschäftigte, wovon Roland gerne etwas mehr gesehen 
hätte. Aber Sir Ector wollte ihm seine Geheimnisse wohl nicht 
offenbaren. 

Vor dem brennenden Kamin standen zwei hochlehnige Sessel, in 

denen die beiden Männer Platz nahmen. Als jeder von ihnen einen 
irdenen Becher mit köstlichem Honigwein vor sich stehen hatte, 
begann der Vertraute des Königs das Gespräch. 

»Artus gedenkt, Euch als nächstes ins Frankenland zu senden, wo 

ihr einen Aar zur Strecke bringen sollt.« 

»Einen Aar?« wunderte sich Roland. »Ist dazu nicht auch ein 

einfacher Bauernbursche mit einer Steinschleuder in der Lage?« 

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»So einfach dürfte die Aufgabe nicht sein. Dieser Aar hat es bisher 

verstanden, Steinen und Pfeilen zu widerstehen. Es geht das Gerücht 
um, daß seine Federn so fest gefügt sind, daß ihnen keine Waffe 
etwas anhaben kann.« 

»Und warum soll er getötet werden?« 
»Er ist ein Menschenräuber. Schon manches Kind packte er mit 

mächtigen Klauen und verschleppte es in seinen Horst.« 

Roland nickte. Er wußte noch nichts von seinem nächsten Auftrag. 

Aber wenn Sir Ector es sagte, würde es gewiß stimmen. 

»Wenn Ihr im Frankenland weilt  - würdet Ihr mir eine kleine 

Gefälligkeit erweisen?« 

»Alles, was in meiner Macht steht! Sagt mir nur, was ich tun soll, 

Sir Ector.« 

»Ihr wißt, daß ich mich ein wenig mit Alchimie beschäftige?« 

fragte der Vertraute des Königs. 

»Ich hörte davon, ja.« 
»Nun, dann wird Euch die Bitte, die ich an Euch richten möchte, 

nicht merkwürdig vorkommen.« 

»Äußert sie, Sir Ector.« 
»Kennt Ihr die Güldenburg?« 
»Nein«, mußte Roland gestehen. 
»Die Güldenburg liegt am Lauf des unteren Mains. Sie  hat keine 

besondere Bedeutung im großen Weltgeschehen, obwohl es Dinge 
gibt, die sie von den meisten anderen Burgen unterscheidet. Zum 
ersten gilt sie auf Grund ihrer Lage als völlig uneinnehmbar. Und 
zum zweiten dient sie einem Mann als Wohnstatt, der  mein Interesse 
erweckt hat. Ist Euch der Name Thegan ein Begriff?« 

»Es gab einst einen berühmten Bischof ...« 
»Den meine ich nicht«, unterbrach ihn Sir Ector lächelnd. »Ich 

spreche von Thegan, dem Goldmacher. Es heißt, er sei in der Lage, 
einfache Steine in Gold zu verwandeln. Ich würde Thegan gerne 
kennenlernen, um ein bißchen über die Kunst der Alchimie mit ihm 
zu plaudern. Würdet Ihr ihm meine Einladung überbringen?« 

Roland nickte eifrig. »Wenn es weiter nichts ist...« 

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»Unterschätzt die Aufgabe nicht«, sagte Sir Ector »Thegan gilt als 

sehr menschenscheu. Er soll sich hartnäckig weigern, seinen Fuß vor 
die Tore der Güldenburg zu setzen. Ihr braucht also gewiß Euer 
ganzes Geschick, um Thegan zu einer Reise nach Camelot zu 
bewegen.« 

»Der Mann ist schon so gut wie hier«, sagte Roland im Brustton 

der Überzeugung. 

Und was er sagte, das meinte er auch. 

* 

An der Spitze seiner Getreuen sprengte Graf Heribert von 
Güldenburg heran. Unmittelbar vor dem Überfallenen zügelte er sein 
Pferd. Er tat es so heftig, daß der Hengst in der Hinterhand hochging 
und laut wieherte. 

»Seid Ihr verletzt, Herr?« 
Der Mann am Wegesrand stöhnte zum Herzerweichen. Man sah 

ihm an, wie er sich mühte, tapfer und mannhaft zu sein. Aber die 
Schmerzen und die Verletzungen, die man ihm zugefügt hatte, ließen 
dies ganz offensichtlich nicht zu. Immerhin, er lebte noch. Graf 
Heribert schmeichelte sich, daß der Mann dies nur ihm verdanken 
konnte. Wenn er und seine Gefolgschaft nicht zufällig im rechten 
Augenblick des Weges gekommen wären, hätte es gewiß ein übles 
Ende mit ihm genommen. 

Graf Heribert wandte sich an seine Begleiter. »Ritter Lothar, nehmt 

ein paar Männer, und verfolgt die Meuchler!« 

»Wie Ihr befehlt, Graf Heribert!« 
Sogleich scharte der angesprochene Ritter vier, fünf Männer um 

sich und drang mit ihnen in den Wald ein. Unterdessen wies der Graf 
zwei andere Getreue an, sich um den am Boden Liegenden zu 
kümmern. Auch diese Weisung wurde sofort ausgeführt. 

Der Fremde schien es wert zu sein, daß man sich um ihn bemühte. 

Er war gewiß kein hergelaufener Kerl, wie sie in großer Zahl durch 
das Land zogen. Allein seine vornehme Kleidung, wiewohl jetzt arg 

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in Mitleidenschaft gezogen, wies ihn als einen Mann von Stande aus. 
Und auch die wilde Entschlossenheit, mit der er sich gegen die 
Übermacht seiner Gegner gewehrt hatte, ließ auf seine ritterliche 
Gesinnung schließen. Heribert zweifelte nicht im mindesten daran, 
daß adliges Blut in den Adern dieses tapferen Mannes floß. 

Mit Unterstützung der beiden Helfer konnte sich der Überfallene 

jetzt langsam in eine sitzende Stellung aufrichten. Seine verzerrten 
Züge gaben zu erkennen, daß er dabei große Schmerzen verspürte. 
Blut, das aus Mund und Nase hervorquoll, machte sein edel 
geschnittenes Gesicht zu einer Maske des Schreckens. 

»Könnt Ihr sprechen?« erkundigte sich Graf Heribert mit 

teilnahmsvoller Stimme. 

Der Fremde nickte, brachte die ersten Worte aber erst hervor, 

nachdem er einen Mund voll Blut ausgespuckt hatte. 

»Habt Dank dafür, daß Ihr mir das Leben gerettet habt«, sagte er 

mit einiger Mühe. »Wenn Ihr nicht gekommen wärt, hätte mich 
dieses Gesindel fraglos umgebracht.« 

»Wer waren die Kerle?« erkundigte sich der Graf. »Feinde von 

Euch, die Euch aus bestimmtem Grunde überfielen?« 

Der Fremde schüttelte den Kopf. »Ich habe die Hundsfotte nie in 

meinem Leben gesehen. Es waren gemeine Räuber, die  es  auf Leib 
und Gut abgesehen hatten. Sie nahmen mein edles Pferd, mein 
Schwert und mein Gold. Mögen sie für diese ruchlose Tat eines 
Tages im grellsten Höllenfeuer braten!« 

Der Graf lächelte.  Die Leidenschaft, die aus dem Überfallenen 

sprach, gefiel ihm. Und wie es schien, war er doch nicht so schwer 
verletzt, wie es zuerst ausgesehen hatte. 

»Wer seid Ihr, Herr?« fragte er. 
»Freigraf Felix von Leubus, wenn's beliebt.« 
Fragend runzelte Heribert die Stirn. »Von Leubus? Ich bedaure, 

aber das Geschlecht ist mir nicht bekannt. Ihr tragt mir dies nicht 
nach, hoffe ich.« 

»Gott bewahre! Hierzulande bedeutet mein Name nichts. In meiner 

Heimat jedoch, dem Herzogtum Schlesien, ist er wohlangesehen und 

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von jedermann gut gelitten.« 

»Aus Schlesien kommt Ihr? Dann liegt eine weite Reise hinter 

Euch!« 

»Das kann man sagen. Um so zorniger macht es mich, daß mir 

kurz vor dem Ziel meiner Reise dieses Mißgeschick widerfahren 
mußte.« 

»Und was war das Ziel Eurer Reise?« 
»Mir wurde die Ehre zuteil, dem Herzog dieses schönen Landes 

eine Freundesbotschaft meines Landesherrn zu überbringen. Aber 
natürlich kann ich in meinem Zustand kaum vor die Augen des 
Fürsten treten!« Betrübt blickte Felix von Leubus auf seine zerfetzte 
Kleidung und das Blut an seinen Händen. 

Bevor Graf Heribert etwas erwidern konnte, krachte und knackte 

es im Unterholz. Der Ritter Lothar und seine Begleiter kamen aus 
dem Wald zurück. 

Ohne die Räuber! 
Mit einem ungnädigen Stirnrunzeln nahm es der Graf zur 

Kenntnis. Aber Ritter Lothar hatte eine gute Rechtfertigung. Das 
unwegsame Waldgelände, in dem die Pferde kaum vorwärts kamen, 
begünstigte die Räuber so sehr, daß an eine sinnvolle Verfolgung 
nicht zu denken war, zumal Lothar und seinen Männern auch die 
erforderliche Ortskenntnis fehlte. 

»Ich bedaure dies sehr«, versicherte Graf Heribert dem Adligen 

aus Schlesien. »Zu gern hätte ich Euch die Genugtuung gegönnt, den 
Schurken eigenhändig das Henkerseil um den Hals zu  legen. Darf ich 
Euch zum Trost auf meine Burg einladen? Dort sollt Ihr Gelegenheit 
bekommen, zu gesunden und anschließend dem Herzog Eure 
Aufwartung in würdiger Art und Weise zu machen.« 

Dankend nahm Felix von Leubus die Einladung an. 

* 

Zum wiederholten Mal an diesem Tag trat Freiherr Ingolf von der 
Klosterburg ans Turmfenster und blickte erwartungsvoll in die Ferne. 

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Aber wieder einmal wurden seine Erwartungen enttäuscht. Weit und 
breit war von den Männern, die er so sehnlichst zurückerwartete, 
nichts zu sehen. 

Warum, beim Barte des Königs, kamen sie nicht? War irgend 

etwas dazwischengekommen? Hatten seine vier Getreuen am Ende 
sogar versagt? 

Der Gedanke an letzteres versetzte ihm einen Stich in die Brust. 

Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn sie den Männern 
des Grafen in die Hände gefallen waren und ein Geständnis abgelegt 
hatten. Dann war sein eigenes Leben keinen Pfifferling mehr wert. 
Heribert kannte keine Gnade mit denjenigen, die danach trachteten, 
ihm das zu nehmen, was er sein eigen nannte. 

Schnell verscheuchte Ingolf die düsteren Gedanken. Noch bestand 

ja Hoffnung. Noch durfte er davon ausgehen, daß alles nach Plan 
verlaufen war und sich zum Besten wenden würde. 

Und das war auch bitter nötig, denn Ingolf war mit seinen 

gegenwärtigen Lebensumständen alles andere als glücklich. Ein 
Mann wie er verdiente mehr, verdiente zumindest ebensoviel wie 
Graf Heribert von Güldenburg. Zumindest! 

Die Klosterburg gab nicht viel her. Im Grunde genommen war sie 

gar keine richtige Burg.  Sie war das, was der Name schon erkennen 
ließ: ein Kloster. Ein Kloster, das die Mönche während der Großen 
Pest verlassen hatten und in das sie niemals zurückgekehrt waren. 
Lange Jahre hatte es leergestanden. Dann aber war er, der Ritter 
Ingolf, gekommen  und hatte das Kloster in seinen Besitz genommen. 
Er hatte dem Grafen seine Dienste angeboten und war von ihm auch 
mit einigen Ländereien belehnt und mit dem Titel eines Freiherrn 
versehen worden. Die meisten Männer an seiner Stelle wären nun 
zufrieden gewesen mit dem, was sie erreicht hatten. Er jedoch nicht. 
Er strebte nach Höherem, nach Reichtum und Macht, die ja 
bekanntlich Hand in Hand gingen. Und nun hatte er die Maßnahmen 
ergriffen, die ihm den Reichtum sichern sollten. Wenn alles so ablief, 
wie es geplant war! 

Ungeduldig wartete Ingolf eine weitere Stunde. Dann endlich sah 

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er am Horizont eine Staubwolke. Die Staubwolke lichtete sich bald, 
gab die Gestalten von vier Reitern frei. 

Vier? 
Ingolf ballte die rechte Hand zur Faust. Wenn alle vier 

zurückkehrten, dann war das Unternehmen zu einem Fehlschlag 
geworden. Der so fein ersonnene Plan war nicht aufgegangen. 

Oder doch? 
Ingolf kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, um 

besser sehen zu können. Und dann erkannte er auch, daß er sich 
geirrt hatte. Nicht vier Reiter waren es, die dort kamen, sondern doch 
nur drei. Das vierte Pferd trug keinen Reiter, wurde von einem der 
anderen nur am Zügel mitgeführt. 

Heiß wie siedendes Wasser stieg der Triumph in Ingolf auf. Jetzt 

sah es doch danach aus, als hätten seine Getreuen die ihnen gestellte 
Aufgabe erfüllt. 

Es dauerte nicht mehr lange, bis die drei Männer heranwaren. Da 

es weder einen Schutzgraben noch eine Burgmauer gab, konnten sie 
gleich auf den Hof reiten. Dort standen nahezu alle Burgbewohner zu 
ihrem Empfang bereit  - die übrigen Getreuen Ingolfs, die 
Frauenzimmer und das Gesinde. Nur der Freiherr fehlte. Er zügelte 
seine Ungeduld und wartete in seinen Privatgemächern. 

Seine Geduld wurde auf die Probe gestellt. Es verging noch 

geraume Zeit, bis endlich an die Tür geklopft wurde. 

»Herein!« 
Friedrich Schwarzbart trat ein. Er machte eine Verbeugung, die 

gerade noch tief genug war, um nicht unehrerbietig zu erscheinen. 

»Ihr kommt spät«, sagte Ingolf rügend. 
Der Schwarzbärtige zuckte die Achseln. »Es war nicht unser 

Verschulden, Herr Baron. Graf Heribert hatte sich mehr Zeit auf dem 
herzoglichen Schloß gelassen, als wir ahnen konnten.« 

»Nun denn, so berichte! Wurde euer Vorhaben von Erfolg 

gekrönt?« 

Friedrich lachte laut und dröhnend. »Und ob, Herr  Baron! Wir 

haben den Gräflichen eine Posse vorgespielt, wie sie keine 

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Schaustellertruppe besser hätte bieten können. Felix wurde ehrenvoll 
in den persönlichen Schutz des Grafen genommen und dürfte sich 
jetzt längst auf der Güldenburg befinden.« 

Auch Ingolf lachte jetzt, erleichtert und mit sich und der ganzen 

Welt zufrieden. 

»Trefflich, trefflich«, sagte er. »Ich wußte doch, daß ich mich auf 

euch verlassen konnte. Euch drohte keine Gefahr?« 

»Mitnichten. Zwar versuchten die Gräflichen, uns zu verfolgen. 

Aber sie erkannten sehr schnell, daß es ihnen eher gelingen würde, 
die Strahlen der untergehenden Sonne einzufangen als uns.« 

Ingolf rieb sich die Hände. »So kommt nun alles auf Felix an! Aber 

ich glaube schon, daß wir ihm vertrauen dürfen.« 

»Das glaube ich  auch«, stimmte ihm der Schwarzbärtige zu. »Wer 

so viel Glück hat wie er, dem kann nichts mißlingen.« 

Alles stand also gar prächtig. Die Gefahr, daß man auf der 

Güldenburg herausfand, wer der Ritter Felix wirklich war, durfte als 
äußerst gering eingeschätzt werden. Felix, Friedrich, Sven und 
Waldemar waren erst vor wenigen Wochen in die Dienste Ingolfs 
getreten. Die Güldenburger kannten keinen von ihnen. Allenfalls 
bestand die Möglichkeit, daß einer der Getreuen Heriberts früher 
einmal eine Begegnung mit  Felix gehabt hatte, aber das wollte er 
nicht hoffen. Von der Vergangenheit seiner vier neuen Paladine 
wußte Ingolf wenig. Ihm war nicht einmal bekannt, ob sie wirklich 
fahrende Ritter waren, wie sie sagten. Vielleicht hatten sie auch als 
Räuber ihr Leben gefristet. Dies jedoch kümmerte den Freiherrn 
wenig. Für ihn galt nur, daß sie ihm treu ergeben waren. Nicht, weil 
sie ihn aufrechten Herzens liebten, sondern weil sie in seinen 
Diensten ihr eigenes Fortkommen zu fördern gedachten. Und diese 
Rechnung, davon war Ingolf jetzt vollkommen überzeugt, würde 
zweifellos aufgehen. 

Die Weinfässer für Graf Heribert standen schon bereit. 

* 

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Die Güldenburg klebte an den Felsen wie ein Schwalbennest an der 
Turmwand. Von drei Seiten war sie vollkommen unzugänglich, und 
der Weg, der zum Burgtor führte, war so schmal, daß ein normales 
Pferdefuhrwerk Mühe hatte, sich zwischen den Felsen 
hindurchzuwinden. Ein breiter, tiefer Burggraben sorgte für 
zusätzliche Sicherheit. 

Felix sah die Güldenburg zum ersten Mal in seinem Leben. Als die 

Zugbrücke nach unten gelassen wurde, wußte er, warum der Sitz 
Graf Heriberts als uneinnehmbar galt. Ein Sturmangriff war 
vollkommen ausgeschlossen. Allenfalls kam eine Belagerung in 
Frage. Diese aber würde so langwierig werden und so viel Zeit in 
Anspruch nehmen, daß selbst der mächtigste Heerführer 
Schwierigkeiten haben würde, seine Getreuen bei der Stange zu 
halten. Und so, wie niemand ohne das Einverständnis des Grafen in 
die Burg hineinkam, so kam auch niemand hinaus, wenn Heribert das 
nicht wollte. Felix, der bisher die Pläne seines Dienstherrn für 
reichlich umständlich gehalten hatte, sah nunmehr ein, daß der Baron 
wohl doch auf dem richtigen Weg war. 

»Eine gar prächtige Burg habt Ihr da, Graf«, sagte er, als er an der 

Seite Heriberts über die Zugbrücke ritt. 

Er saß etwas schief im Sattel des Pferdes, das ihm der Graf zur 

Verfügung gestellt hatte. Einmal gehörte das zu seiner Rolle. Und 
zum zweiten hatte er tatsächlich unangenehme Schmerzen in der 
rechten Seite, genau dort, wo ihn der  letzte Fußtritt Waldemars 
getroffen hatte. Bestimmt waren eine oder gar mehrere Rippen 
gebrochen. Waldemar würde dies noch bitterlich zu büßen haben. 

Graf Heribert fühlte sich geschmeichelt von den lobenden Worten. 

Lächelnd sagte er: »Wartet, bis Ihr die Burg von innen seht. Dort 
werden Euch die Augen übergehen.« 

Und die Augen gingen Felix in der Tat über. Bislang hatte er die 

Beschreibungen, die ihm Baron Ingolf vom Reichtum der 
Güldenburg gegeben hatte, für übertrieben gehalten. Und auch die 
Worte des Grafen selbst waren ihm mehr als Prahlerei erschienen. 
Aber von Prahlerei konnte gar keine Rede sein. Die Güldenburg 

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verdiente ihren Namen zu Recht. Sie war eine goldene Burg, im 
wahrsten Sinne des Wortes. Niemals zuvor hatte Felix soviel Gold 
gesehen. Goldene Standbilder, goldenen Bilderrahmen, goldene 
Kandelaber, goldene Becher und Teller. Selbst die Beschläge 
mancher Türen erstrahlten im matten rötlichen Glanz des Goldes. 
Und auch das übrige Interieur der Burg ließ kaum Wünsche offen. 
Da gab es feinen weißen Marmor aus den Landen jenseits der Alpen, 
erlesen geschliffene Glasarbeiten, die nur von begnadeter 
Künstlerhand stammen konnten, herrliche Teppiche, wie man sie 
sonst nur im Morgenland antreffen konnte. Felix konnte sich kaum 
ein herzogliches oder königliches Schloß vorstellen, das es an 
Prachtentfaltung mit der Güldenburg aufzunehmen vermochte. 

Felix war sich vollkommen im klaren darüber, wem Graf Heribert 

all diesen Reichtum und schwellenden Luxus verdankte: niemand 
anderem als Thegan, dem Goldmacher, natürlich. Solange sich 
Heribert der unermüdlichen Schaffenskraft des Alchimisten erfreute, 
konnte ihn niemand an Reichtum übertreffen. Wenn der Goldmacher 
aber dereinst nicht mehr in seinen Diensten stand ... Felix konnte 
nicht vermeiden, daß ihm bei diesem Gedanken ein sattes Lächeln 
über die Züge huschte. 

Das Gästezimmer, das ihm zugewiesen wurde, paßte voll und ganz 

in den Rahmen der Burg. Nie zuvor hatte sich Felix so wohl gefühlt, 
und er sah bereits jetzt mit Mißbehagen dem Augenblick entgegen, in 
dem er die Güldenburg wieder verlassen mußte. Allein die Aussicht 
darauf, daß er bald selbst im Luxus schwelgen konnte, machte ihm 
das Abschiednehmen etwas leichter. 

Noch nahm er aber keinen Abschied. Zunächst mußte er seine 

Verletzungen auskurieren, die ihm die vermeintlichen Räuber 
zugefügt hatten. Daß diese im Grunde genommen nicht der Rede 
wert waren, verstand er gekonnt zu verschleiern. Der Bader des 
Grafen hatte in der Tat eine gebrochene Rippe bei ihm festgestellt. 
Diesen Umstand  nahm er zum Anlaß, seinen Aufenthalt in der 
Güldenburg geziemend zu verlängern. 

Und er nutzte seine Zeit gut. Bald schon kannte er die Güldenburg 

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fast so gut wie die Klosterburg seines Dienst  -herrn Ingolf. Er kannte 
die Privatgemächer des Grafen, die Quartiere seiner bewaffneten 
Getreuen, das Gesindehaus. Er wußte Bescheid über die 
Kontrollgewohnheiten der Burgwächter, die Gepflogenheiten der 
Köche und Mundschenke, die ihn ganz besonders interessierten, kurz 
und gut, er wußte bis ins kleinste Bescheid, wie das Alltagsleben auf 
der Burg ablief. 

Nur eins war ihm nicht gelungen: die Bekanntschaft des 

Goldmachers Thegan zu machen. Thegan war ein Einzelgänger, war 
ein Mann, der sich offensichtlich ganz bewußt von den anderen 
Burgbewohnern absonderte und nicht an ihrem Leben teilnahm. Ein 
paarmal hatte Felix ihn gesehen, ohne die Möglichkeit zu erhalten, 
mit ihm ins Gespräch zu kommen. Der Goldmacher schien nur 
glücklich zu sein, wenn er sich in seiner Alchimistenküche aufhalten 
konnte. Wo sich diese befand, das hatte Felix bereits 
herausgefunden. 

Schließlich kam die Stunde, in der es dann doch hieß, Lebewohl zu 

sagen. Graf Heribert ließ es sich nicht nehmen, persönlich Abschied 
von ihm zu nehmen. 

»Es war mir ein großes Vergnügen, Euch in der Stunde der Not 

helfen zu können«, versicherte ihm der Burgherr. »Und ich will 
hoffen, Ihr haltet die Güldenburg in gutem Angedenken.« 

»Dies ist so gewiß wie das Amen in der Kirche«, erwiderte Felix. 

»Niemals werde ich vergessen, was Ihr für mich tatet. Und komme 
ich auch aus dem fernen Schlesien, so soll mich doch die Entfernung 
nicht daran hindern, Euch meinen Dank in gebührender Weise 
abzustatten. Wie ich feststellen konnte, seid Ihr ein großer Freund 
erlesener Tropfen.« 

»So ist es«, bestätigte der Graf. »Ein guter Wein ist nicht mit Gold 

aufzuwiegen.« 

Das kann nur jemand sagen, der genug von letzterem hat, dachte 

Felix nicht ohne Neid. Laut sagte er: »Wußtet Ihr schon, daß auch 
wir in Schlesien einen vorzüglichen Wein anbauen?« 

»Wirklich?« wunderte sich der Graf. »Ich dachte immer, in 

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Schlesien sei es so kalt, daß keine Rebe gedeihen kann.« 

»Ein Irrtum, Herr Graf, ein großer Irrtum. Herb ist er, unser Wein, 

bei Kennern jedoch hochbeliebt. Ich bin mir ganz sicher, daß ein 
Feinschmecker wie Ihr ihn zu schätzen wüßte.« 

»Gern würde ich eine Kostprobe nehmen.« 
Auf diese Worte hatte Felix gewartet. 
»Wenn es weiter nichts ist«, sagte er. »Es soll mir ein Vergnügen 

sein, Euch ein paar Fässer zu schicken. Und wer weiß, vielleicht 
bringe ich Sie Euch sogar selbst, denn ich muß gestehen, daß ich 
Eure schöne Burg liebgewonnen habe.« 

»Ihr seid mir stets willkommen, Freigraf Felix von Leubus. 

Überbringt dem Herzog Eure Botschaft. Und dann, wenn Ihr nichts 
Besseres zu tun habt...« 

Nach diesen einladenden Worten Heriberts zweifelte Felix nicht 

mehr daran, daß der Plan des Barons tatsächlich aufgehen würde. Er 
verabschiedete sich und verließ die Güldenburg. 

Schon sehr bald aber würde er wiederkommen. 

* 

Wie nicht anders erwartet, gab König Artus Roland tatsächlich den 
Auftrag, den mörderischen Aar im Frankenland zur Strecke zu 
bringen. Gemeinsam mit seinen beiden Knappen, dem dicken, 
gemütlichen Pierre und dem drahtigen, feurigen Louis, verließ 
Roland Camelot und machte sich auf den Weg zu dem fränkischen 
Bergdorf Mainsfeld, wo der Aar sein Unwesen trieb. 

Die Dorfbewohner empfingen den Ritter mit großer Freude. 

Rolands Ruhm war auch schon bis zu ihnen gedrungen, und sie 
waren nun voller Hoffnung, daß der geflügelten Bestie  endlich der 
Garaus gemacht wurde. 

Roland besprach sich zunächst mit dem Schultheiß von Mainsfeld, 

einem braven, alten Mann, der den Ankömmlingen auch gleich 
Quartier in seinem Haus anbot. Das jedoch lehnte der Ritter mit dem 
Löwenherzen von vornherein ab. 

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»Wir werden unsere Zeit im Freien verbringen«, machte er dem 

Alten klar. »Dort, wo das bevorzugte Jagdgebiet des Aars liegt.« 

»Da käme am ehesten die Voglerweide in Frage«, sagte der 

Schultheiß nach kurzem Nachdenken. »Dort selbst ist die Bestie 
schon mehrmals auf Raub ausgegangen.« 

»Die Voglerweide also«, nickte Roland. 
Mehrere Dorfbewohner brachten Roland und seine Knappen zu der 

Weide hinaus. Es war eine sanft abfallende, ziemlich hoch gelegene 
Wiese. 

Oben auf dem Kamm wuchs eine Gruppe von Haselnußsträuchern. 
»Besser hätten wir es nicht antreffen können«, sagte Roland 

befriedigt. »Zwischen den Sträuchern können wir uns verbergen.« 

Louis machte ein zweifelndes Gesicht. »Glaubt Ihr wirklich, der 

Vogel kommt vorbei, während wir hier warten, Ritter Roland?« 

»So ohne weiteres wohl kaum«, meinte der Ritter mit dem 

Löwenherzen. »Wir müssen ihn anlocken.« 

»Und wie?« 
Roland erkundigte sich bei den Dorfbewohnern, was den Aar in 

der Vergangenheit besonders gereizt hatte. Er erfuhr, daß es vor 
allem leuchtende Farben waren, für die der teuflische Vogel eine 
Vorliebe zu haben schien. Einmal hatte er einen kleinen Jungen mit 
flammendrotem Haar gepackt und in seinen Hort verschleppt. Ein 
anderes Mal war ihm ein junges Mädchen, das ein himmelblaues 
Kleid trug, zum Opfer gefallen. 

»Dann weiß ich, mit welchem Köder wir den Aar aufmerksam 

machen können«, sagte Roland. »Mit einer Puppe!« 

So geschah es. Eine Dörflerin, die sich besonders gut auf das 

Nähen und Schneidern verstand, fertigte aus Stroh und rosafarbenem 
Leinentuch eine kindsgroße Puppe an. Die Enkeltochter des 
Schultheiß opferte einen Teil ihres prächtigen flachsblonden Haars 
und dazu ein flammendrotes Kleidchen. Nun sah die Puppe einem 
echten Kind zum Verwechseln ähnlich. 

Dann machten sich Roland, Louis  und Pierre wieder auf zur 

Voglerweide. Sie legten die Puppe ein gutes Dutzend Schritte von 

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den Haselnußsträuchern entfernt ins Gras und zogen sich dann in das 
Unterholz zurück. Sie waren darauf vorbereitet, unter Umständen 
eine ganze Weile warten zu müssen. Deshalb schlugen sie ein kleines 
Zelt auf, in dem sie auch die Nacht verbringen konnten. 

Geduld war nun die höchste Tugend. Der erste Tag verging, ohne 

daß sich der Riesenvogel blicken ließ. Die Nacht brach an. 
Wechselweise hielten die drei Männer Wache, denn die 
Dorfbewohner hatten ihnen gesagt, daß der Aar gelegentlich auch 
des Nachts auf Raub auszog. Die erste Nacht verging jedoch 
ereignislos. 

Auch der nächste Morgen verlief nicht anders. Am Nachmittag 

jedoch sahen sie den Aar ... 

Ganz plötzlich war  er da. Stolz und majestätisch schwebte er am 

Himmel. Selbst aus der noch beträchtlichen Entfernung konnten 
Roland und seine Knappen erkennen, wie groß er war. Seine 
Flügelspannweite betrug mehrere Ellen, und seine Klauen hielten 
jeden Vergleich mit einer  starken Männerhand aus. Sein Gefieder 
war schwarz wie die Nacht. Es glänzte, als die Strahlen der Sonne 
darauf fielen. 

»Fürwahr ein prächtiges Tier«, stellte Louis fest. 
»Leider hat es  einen bösen Sinn«, gab Roland zurück. »Und 

deshalb ...« 

Die Hoffnungen der Männer, daß es sich auf die Puppe stürzen 

würde, erfüllten sich jedoch nicht. Zwar zog es seine Kreise über der 
Voglerweide, Kreise, die immer enger wurden. Kein Zweifel, es 
hatte die Puppe gesehen. Aber es schien argwöhnisch zu sein. Ganz 
plötzlich stieg es wieder in die Höhe und flog davon, ohne zurückzu-
kehren. 

Und am anderen Morgen war es tatsächlich wieder da. Ein 

schwarzer Punkt erschien am strahlend blauen Himmel, ein Punkt, 
der immer größer wurde und schließlich die mächtige Vogelgestalt 
erkennen ließ. Aber es schien nach wie vor mißtrauisch zu sein. Es 
zog seine Kreise, machte jedoch keine Anstalten, sich dem 
Wiesengrund zu nähern. 

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Roland und seine Getreuen verhielten sich ganz ruhig, wagten 

kaum zu atmen. Eine hastige Bewegung, ein unbedachter Laut 
konnten den Aar endgültig vertreiben. 

Und dann geschah etwas gänzlich Unerwartetes. Ein Schaf 

erschien plötzlich auf dem Kamm der Voglerweide, kurz darauf noch 
eins. Weitere folgten, und schließlich gesellte sich ein junges 
Mädchen mit blondem Haar zu den leise blökenden Tieren. 

Eine Schäferin mit ihrer Herde! 
Das Mädchen wußte wohl nichts von der Falle, die Roland 

errichtet hatte. Es sah die Puppe und trat neugierig näher. 

Roland murmelte eine Verwünschung und blickte zum Himmel 

empor. Der Aar war noch immer da. 

Das Mädchen ging neben der Puppe in die Knie, streckte die Hand 

danach aus. Verwunderung spiegelte sich in seinem hübschen 
Gesicht wider. 

Und da geschah es ... 
Einem Pfeil gleich schoß der Aar nach unten. Er kam so plötzlich, 

daß Roland und die Knappen völlig überrascht wurden. Niemals 
hätten sie es für möglich gehalten, daß ein Vogel so schnell fliegen 
konnte. 

Und der mächtige Vogel packte nicht die Puppe. Er packte das 

Mädchen. Gellend schrie die junge Frau auf. Der mörderische Aar 
hatte seine gewaltigen Fänge in die Schultern des Mädchens gekrallt, 
wo sie im Kleid festen Halt fanden. Er machte ein paar kräftige 
Flügelschläge und ... schwebte nach oben. Schon verloren die Füße 
der jungen Frau den Kontakt mit dem Boden. 

Erneut gellte ihr  Schrei durch die blaue Morgenluft. Ein Schrei des 

Entsetzens und der Angst. 

Alles war bisher so schnell gegangen, daß Roland und die Knappen 

gar nicht zum Eingreifen kamen. Nun aber faßte sich der Ritter mit 
dem Löwenherzen. Er sprang auf und stürzte aus dem Gesträuch 
hervor. Mit langen, mächtigen Sätzen jagte er auf die Weide. 

Wieder machte der Aar einen Flügelschlag. Das Mädchen 

schwebte jetzt bereits mehrere Ellen über dem Erdboden. 

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Da machte Roland einen verzweifelten Sprung. Er renkte sich fast 

die Arme aus den Gelenken. Aber es gelang ihm im allerletzten 
Augenblick, den Fuß des Mädchens zu packen. 

Für einen Moment schien es so, als würde der gewaltige 

Raubvogel nun auch ihn mit in die Luft zerren. Dann aber wurde ihm 
das Gewicht doch zu schwer. Er ließ das Mädchen los. 

Gemeinsam mit der jungen Frau stürzte der Ritter mit dem 

Löwenherzen zu Boden. 

Und nun geschah das Ungeheuerliche. Der Vogel flüchtete nicht. 

Er griff an! 

Mit gespreizten Flügeln schoß die Blutbestie auf Roland hinunter. 

Sein mächtiger, dunkler Schnabel sah aus wie eine Sichel. In seinen 
großen Augen glitzerte es teuflisch. 

Roland warf sich zur Seite. Keinen Augenblick zu früh. Der 

mörderische Schnabel hackte dorthin, wo der Ritter gerade noch 
gelegen hatte. 

Sofort war Roland wieder auf den Füßen. Und nun ging er zum 

Angriff über. Blitzschnell griff er zu und bekam den Hals des 
Raubvogels zu packen. Er hatte das Gefühl, eine Bohle aus 
Eichenholz zu umklammern. So hart, so unnachgiebig war der Hals 
des riesigen Tieres. 

Der Aar schüttelte sich, versuchte, den Griff zu lockern. Aber 

Roland hielt unerbittlich fest, gab seinem unheimlichen Gegner keine 
Gelegenheit, erneut mit dem mörderischen Schnabel zuzuhacken. 

Nun aber nahm die Blutbestie ihre Krallen zu Hilfe. Wie scharfe 

Messer bohrten sie sich in Rolands Rücken und fetzten ihm ein Stück 
Haut aus dem Nacken. 

Louis und Pierre waren herbeigeeilt. Aber sie wußten nicht  so 

recht, was sie machen sollten. Ritter und Aar waren zu einem 
scheinbar unentwirrbaren Knäuel verschlungen. 

Roland aber wußte, was er jetzt zu tun hatte. Mit der freien Hand 

griff er nach seinem Schwert und riß es aus dem Gehenk. Dann 
befreite er sich mit einem gewaltigen Ruck aus den Krallen des 
Vogels. Daß er dabei abermals mehrere Hautfetzen verlor, kümmerte 

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ihn nicht. 

Dann hieb er mit dem Schwert zu, einmal, zweimal, dreimal. 

Wieder hatte er das Gefühl, auf einen massiven Eisenklotz 
einzuschlagen. Aber dieser Eindruck täuschte. Der riesige Vogel 
zeigte Wirkung. Seine Flügelschläge wurden matter. Ein heiseres 
Krächzen kam aus seiner Kehle. 

Roland hatte den Hals des Tieres nach wie vor umklammert. Ganz 

plötzlich ließ er  jetzt los. Und schlug im gleichen Augenblick mit 
dem Schwert zu. 

Das war das Ende des Kampfes. Sein Streich hatte eine solche 

Wucht, daß der Blutbestie der Kopf vom Rumpf getrennt wurde. 
Entseelt stürzte das mächtige Tier ins Gras. 

Jubelnd eilte der Knappe Pierre auf ihn zu. 
»Ihr habt es geschafft, Ritter Roland, Ihr habt es geschafft. Nun 

wird man Euch landein, landaus nicht nur den Drachentöter, sondern 
auch noch den Adlertöter nennen!« 

* 

Das Mädchen Thilde zuckte zusammen, als sie das Kettenrasseln an 
der Tür hörte. Angstvoll richtete sie sich auf ihrem erbärmlichen 
Strohlager auf. 

Wer kam um diese Zeit in ihr düsteres Kellerverlies? Brot und 

Grütze hatte sie erst vor wenigen Stunden bekommen. Und auch der 
Wasserkrug war noch wohlgefüllt. Speis und Trank konnte man ihr 
also kaum bringen. Nur eins hatte der unerwartete Besuch demnach 
zu bedeuten ... 

Thilde konnte ein tiefes Aufstöhnen nicht vermeiden, als sie an das 

dachte, was ihr wahrscheinlich bevorstand. Gott gebe, daß es nicht 
wahr ist, flüsterte sie innig. Aber schon während sie die frommen 
Worte sagte, wußte sie, daß sie sinnlos waren. Gott würde ihr nicht 
helfen. Er hatte ihr nie geholfen, hatte vielmehr zugelassen, daß man 
ihr alles Üble antat, was man einer Frau nur antun konnte. Ihr Glaube 
an den gütigen, barmherzigen Gott war längst verloren gegangen. 

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Mit einem quietschenden Knarren öffnete sich die schwere 

Eichentür. Zitternd vor banger Erwartung und Furcht versuchte 
Thilde, die Dunkelheit ihres engen Verlieses mit ihren Augen zu 
durchdringen. Licht zeigte sich jetzt an der Tür, der flackernde 
Schein mehrerer Fackeln. 

Vier Männer traten ein. Drei der Folterknechte und ... ihr Vater. 
»Thilde, mein Kind!« 
Ihr Vater wollte auf sie zustürzen, wollte sie in seine Arme ziehen. 

Aber dazu ließen es die anderen nicht kommen. 

»Hiergeblieben, Alter«, sagte der eine und hielt ihn an beiden 

Armen fest. 

Der Mann war groß und stark. Ihr Vater konnte nicht das geringste 

gegen ihn ausrichten. Sosehr er auch versuchte, sich dem Griff zu 
entziehen, er schaffte es nicht. 

Thilde wollte etwas sagen, aber die Angst verschloß ihr den Mund. 

Sie wußte, warum die Männer gekommen waren, wußte, daß sich 
ihre Ahnungen bewahrheiteten. Sie preßte sich eng gegen die 
steinerne Wand in ihrem Rücken, versuchte regelrecht, in die Wand 
hineinzukriechen. Aber das war natürlich nicht möglich. 

Die anderen beiden Männer traten jetzt auf sie zu, blieben vor 

ihrem Strohlager stehen. Der eine leuchtete ihr mit seiner Fackel 
genau ins Gesicht. 

»Steh auf, Frauenzimmer!« 
Thilde hatte nicht die Kraft, der Aufforderung nachzukommen. Sie 

zitterte so sehr, daß sie kaum in der Lage gewesen wäre, auf ihren 
eigenen Füßen zu stehen. 

Die beiden Männer rührte das nicht. Der eine beugte sich zu ihr 

nieder, packte sie an den Schultern und riß sie hoch. Wütend 
schüttelte er sie hin und her. 

»Es zahlt sich nicht aus für dich, wenn du meinen Zorn erregst, 

Frauenzimmer«, fuhr er sie an. 

Dann schleifte er sie in die Mitte des Raums, wo in der niedrigen 

Decke ein eiserner Haken in die Decke eingelassen war. Mit einem 
Strick band er ihr die Hände zusammen und befestigte den Strick 

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anschließend an dem Deckenhaken. Er ließ das Mädchen los. Thilde 
konnte jetzt nicht mehr hinfallen. Mit hochgereckten Armen hing sie 
mehr da, als sie stand, gehalten durch den Strick. Sie bot ein Bild des 
Jammers und der Hilflosigkeit. 

Das harte Herz des Folterknechts ließ sich dadurch jedoch nicht 

erweichen. Eher war das Gegenteil der Fall. Mit einem genüßlichen 
Lachen fetzte ihr der Mann, der sie an den Haken gefesselt hatte, die 
Kleidung vom Leib: Vollkommen nackt war sie jetzt. Der 
Fackelschein zauberte verwirrende Muster auf ihre weiße Haut. 

Dann holte der Mann eine Peitsche mit dünnen, geflochtenen 

Lederriemen hervor. 

»Nein!« schrie Thildes Vater mit gellender, überschnappender 

Stimme. »Ich flehe Euch an, laßt meine Tochter in Ruhe. Schlagt 
mich statt dessen!« 

»Dich, Alter?« grinste der Mann mit der Peitsche. »Kommt 

überhaupt nicht in Frage! Du weißt recht gut, wie sehr uns dein 
Wohlergehen am Herzen liegt. Peitschenhiebe könnten deiner 
kostbaren Gesundheit Schaden zufügen.« 

»Bitte«, wiederholte der alte Mann, »schont meine Tochter. Ich tue 

doch alles, was in meinen Kräften steht.« 

»Das tust du eben nicht, Alter! Unser Herr führt Klage darüber, 

daß deine Arbeit sehr zu wünschen übrig läßt. Darum bedarfst du 
eines kleinen Ansporns!« 

Der Mann wandte sich wieder dem unglücklichen Mädchen zu. 

Schon zischten die Lederriemen durch die Luft. 

Die Schreie von Vater und Tochter kamen wie aus einem Mund. 

Der alte Mann wollte sich losreißen, wollte dem Folterknecht die 
grausame Peitsche entreißen. Aber der andere hielt ihn unerbittlich 
fest. Er gestattete auch nicht, daß der alte Mann den Kopf abwandte, 
um das Schreckliche nicht mit ansehen zu müssen. 

»Sieh hin, Alter«, sagte er roh, »sieh gut hin. Dies alles geschieht 

schließlich nur, um dir die Flausen der Unbotmäßigkeit gründlich 
auszutreiben!« 

Fast brach dem alten Mann das Herz. Aber ihm blieb nichts 

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anderes übrig, als dem grausamen Schauspiel bis zum bitteren Ende 
beizuwohnen. 

* 

Eigentlich hätte Roland nach Camelot zurückkehren können. Die 
Aufgabe, die ihm König Artus gestellt hatte, war erfüllt. Aber da war 
immer noch die Bitte, die Sir Ector geäußert hatte. Und diese Bitte 
nahm der Ritter mit dem Löwenherzen nicht weniger ernst ; als den 
Auftrag des Königs. Er würde dafür sorgen, daß der Goldmacher 
Thegan nach Camelot kam. 

Auf zur Güldenburg! 
Natürlich war der dickliche Knappe Pierre davon alles andere als 

begeistert. Er schätzte das Bequeme, das Gemütliche, schätzte ein 
Leben, in dem er seinen Magen füllen und seinen Körper auf 
weichem Lager lang ausstrecken konnte. All dies konnte er auf 
Schloß Camelot, während draußen in der Fremde Gefahr und Mühsal 
warteten. Aber was sollte er machen? Wo sein Herr hinzog, da mußte 
auch er hinziehen. 

Ganz anders Louis. Der ehemalige Räuber hielt nicht viel von 

Muße und süßem Nichtstun. Er liebte das Abenteuer, liebte den 
Kampf, bei dem er seine ganze Geschicklichkeit und 
Geschmeidigkeit einsetzen konnte. 

Die Reise zur Güldenburg war ganz nach dem Geschmack des 

Knappen Pierre. Gute und sichere Wege führten durch das Maintal. 
Überall gab es Herbergen, die für das leibliche Wohl der Reisenden 
sorgten. Und auch die Menschen, das einfache Volk und die Leute 
vom Stande gleichermaßen, waren freundlich und den Fremden 
wohlgesinnt. 

Ohne unterwegs irgendwelchen Mißhelligkeiten ausgesetzt worden 

zu sein, erreichten Roland und seine Knappen die Güldenburg. Der 
Empfang, der ihnen zunächst zuteil wurde, entsprach allerdings nicht 
so ganz ihren Erwartungen. 

Die Torwächter auf der Burg waren auch dann noch nicht bereit, 

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die Ankömmlinge einzulassen, nachdem sich Roland als Sendbote 
von König Artus zu erkennen gegeben hatte. 

»Wartet«, wurden sie kurz und knapp beschieden. 
Mindestens eine Viertelstunde verging, bis endlich die Zugbrücke 

hinuntergelassen und ihnen Einlaß gewährt wurde. 

Kaum waren sie auf dem Burghof angelangt, zogen die Wächter 

die Brücke auch schon wieder hoch. Gleichzeitig wurden Roland und 
seine Gefährten von mehreren anderen Getreuen des Grafen umringt. 

»Seid uns gegrüßt, Ritter!« 
Sie klangen nicht unfreundlich, diese Worte. Aber es mangelte 

ihnen doch an echter Herzlichkeit. Ein gewisser Argwohn sprach aus 
den Mienen der Burgbewohner. 

Roland, Pierre und Louis stiegen von ihren Pferden, die sofort vom 

gräflichen Gesinde in Obhut genommen und weggeführt wurden. Die 
Einladung, die eigentliche Burg zu betreten, blieb jedoch noch aus. 

»Gebt mir Euer Schwert, Ritter«, verlangte einer der Paladine Graf 

Heriberts. 

»Mein Schwert?« echote Roland verwundert. »Was, in des Königs 

Namen, wollt Ihr mit meinem Schwert?« Wie von selbst legte sich 
seine rechte Hand auf den Knauf der Waffe, so, als wolle er sie vor 
fremdem Zugriff schützen. 

»Es ist Sitte auf der Güldenburg, daß keine Waffen getragen 

werden«, bekam er Bescheid. 

Roland blickte die Männer an, einen nach dem anderen. Kein 

einziger von ihnen war unbewaffnet. Augenscheinlich galt die Sitte 
der Waffenlosigkeit nur für ihn. 

»Sie gilt für alle Fremden«, unterrichtete ihn der Sprecher der 

Gräflichen, nachdem ihm Roland entsprechende Vorhaltungen 
gemacht hatte. 

»Auch für Sendboten des Königs der Könige?« 
»Auch für die!« 
Noch immer hielt Roland den Knauf seines Schwertes 

umklammert. Einst hatte er sich vorgenommen, sich niemals von der 
Waffe zu trennen. Auch wenn er sich zum Schlafen niederlegte, 

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befand sich das Schwert stets in seiner Reichweite. Er war immer gut 
mit dieser Angewohnheit gefahren und sah keinen Grund, nun davon 
abzugehen. 

»Und wenn ich mich weigere?« fragte er. 
»Dann müssen wir Euch als einen Mann  ansehen, der es auf die 

Schätze unseres Herrn abgesehen hat. Und wer ein besitzergreifendes 
Auge auf diese wirft, ist des Todes!« 

Das waren unmißverständliche Worte, deutlich ausgesprochen. 

Roland zögerte. Wenn er sich jetzt hartnäckig weigerte, sein Schwert 
abzugeben, würde man ihn vielleicht nicht töten, ganz gewiß aber 
wieder vor die Burgtore setzen. Und das konnte auch nicht in seinem 
- und Sir Ectors - Sinne sein. 

»So sei es denn«, antwortete er, immer noch leicht widerstrebend. 

»Nehmt mein Schwert.« Er konnte es sich allerdings nicht 
verkneifen, noch hinzuzufügen: »Hoffen kann ich also nur, daß es 
nicht auch Sitte ist, waffenlose Gäste nächtens zu meucheln, auf daß 
ihre Schätze die Schätze der Güldenburg mehren.« 

Heiterkeit erhob sich darob unter den Getreuen des Grafen. Kein 

Ärger wegen seiner deutlichen Worte. 

»Macht Euch dieserhalb keine Sorgen, Ritter«, meinte der 

Sprecher, während das Vergnügen noch immer seine Lippen 
kräuselte. »Die Güldenburg hat andere Mittel, ihren Besitz zu 
mehren, als Gäste ihrer Habe zu berauben.« 

Da hatte er wohl recht, mußte Roland zugeben. Wer einen 

Alchimisten in seinen Diensten hatte, der es verstand, Dreck in Gold 
zu verwandeln, konnte getrost darauf verzichten, Raub und Diebstahl 
auf. sein Banner zu schreiben. 

Er übergab den Güldenburgern sein Schwert und bat auch Louis 

und Pierre, sich von ihren Waffen zu trennen. Louis war das gar 
nicht recht. Er bedachte Roland mit einem mißbilligenden Blick, 
erhob aber kein Wort des Widerspruchs. Nur zu gut wußte er, daß es 
sich nicht für einen Knappen geziemte, seinen Herrn mit herber 
Kritik zu behelligen, noch dazu in der Gegenwart Fremder. Glücklich 
fühlte er sich im Augenblick indes ganz bestimmt nicht. Roland 

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konnte es ihm nachempfinden. Auch er kam sich ohne sein Schwert 
geradezu nackt vor. 

Wie dem auch war, in jedem Fall hatte man sie als Gäste auf der 

Güldenburg aufgenommen. 

Und Heribert war auch gleich bereit, den Ritter mit dem 

Löwenherzen gebührend zu empfangen. 

* 

Mit mürrischem Gesicht saß der Knappe Justus auf seinem Schemel 
und starrte gelangweilt auf die eiserne Tür, die er hüten sollte wie 
seinen eigenen Augapfel. 

Die Aufgabe, die man ihm übertragen hatte, gefiel ihm ganz und 

gar nicht. Viel lieber hätte er sich mit den anderen im 
Schwerterkampf geübt oder  einem störrischen Gaul die Bockigkeit 
ausgetrieben. Dies waren Taten, bei denen sich ein angehender Ritter 
bewähren konnte. Aber was tat er? Er saß hier und hielt Maulaffen 
feil. 

Aber er hatte keine andere Wahl. Graf Heribert hatte ihm befohlen, 

hier Wache zu halten. Aus gutem Grunde wohl, denn hinter der 
eisernen Tür lag die Schatzkammer der Güldenburg. Und diese 
Schatzkammer war, wie der Graf sagte, bestohlen worden. Nun galt 
es, den frechen Dieb zu entlarven, falls dieser es abermals wagen 
sollte, sich am Besitz des Burgherrn zu vergreifen. 

Wie es der Übeltäter bewerkstelligt hatte, seinen dreisten Raub 

auszuführen, war bislang unerklärlich. Die Schatzkammertür wurde 
durch sieben Schlösser gesichert. Und die Schlüssel zu diesen 
Schlössern befanden sich im ausschließlichen Besitz des Grafen. 
Dennoch war die Tat geschehen, ohne daß der Dieb des Grafen 
Schlüssel an sich gebracht hatte. Dafür gab es eigentlich nur eine 
einzige Erklärung: Der Dieb mußte mit dem Teufel im Bunde sein. 

Allerdings hatte Justus nie so recht an den Teufel geglaubt. Und 

Graf Heribert auch nicht. Deshalb spielte er also nun den Aufpasser, 
gut verborgen hinter ein paar ausgemusterten Ritterrüstungen, durch 

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deren aufgeklappte Visiere er sehen konnte. 

Zwei Tage saß er nun schon in seinem Versteck. Der Dieb war 

nicht wiedergekommen. Und das würde er wohl auch in absehbarer 
Zeit nicht tun, denn gewiß hatte er sich bei seinem jüngsten Raubzug 
so reichlich eingedeckt, daß er sich eine Wiederholung des 
risikoreichen Bubenstücks sparen konnte. Da der Graf jedoch anderer 
Meinung gewesen war ... 

Justus gähnte. Der Knappe denkt, der Herr aber lenkt. Damit mußte 

er sich abfinden. 

Dann aber, Justus wollte es zuerst kaum glauben, kam doch 

jemand ... 

Der Graf selbst vielleicht, der sich davon überzeugen wollte, ob 

sein Getreuer auch wachsam genug war? 

Nein, der Mann, der dort näher und näher kam, konnte nicht Graf 

Heribert sein. Der Burgherr war hochgewachsen und breitschultrig. 
Der Ankömmling jedoch war nur mittelgroß und von schmaler 
Statur. Fast schlurfend bewegte er sich vorwärts. 

Die Beleuchtung im Gang war schwach. Lichtschein fiel nur von 

einer entfernten Wandfackel ein. Deshalb konnte Justus noch immer 
nicht mit Gewißheit bestimmen, wen er da vor sich hatte. Aber er 
hatte eine ganz bestimmte Ahnung. 

Und als der Mann dann unmittelbar vor der Schatzkammertür 

stehenblieb, bestätigte sich diese Ahnung. 

Ja, er war es! 
Justus hielt den Atem an, um seine Anwesenheit nicht vorzeitig zu 

verraten. Noch war nicht klar, ob der Ankömmling tatsächlich 
beabsichtigte, in die Schatzkammer einzudringen. 

Wenig später jedoch stand es fest. Der Mann blickte sich vorsichtig 

und sorgsam nach allen Seiten um. Bestimmt nahm er dabei die 
mehrere Klafter von ihm entfernten Ritterrüstungen wahr. Aber er 
maß ihnen  offensichtlich keinerlei Bedeutung zu. Jedenfalls griff er 
unter seine Kleidung und holte ein voluminöses Schlüsselbund 
hervor. 

Wieder warf er hastige Blicke nach links und rechts. Dann steckte 

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er den ersten Schlüssel in eins der Schlösser. 

Justus haderte mit sich. Sollte er eingreifen oder nicht? Eigentlich 

hatte ihm der Graf aufgetragen, nur zu beobachten. Vielleicht, weil er 
fürchtete, daß der Dieb ihn überwältigen und somit sein Geheimnis 
bewahren könne. 

Nach einigem Überlegen kam Justus zu einem Entschluß. Ja, er 

würde eingreifen! Die Gefahr, überwältigt zu werden, sah er nicht. 
Mit diesem Dieb würde er auch fertig werden, wenn er einen großen 
Krug Met ganz allein ausgetrunken hätte. Außerdem machte es auf 
den Grafen auch einen viel besseren Eindruck, wenn er ihm den 
Übeltäter am Schlawittchen gepackt vorführte  - am besten noch mit 
einem gestohlenen Kleinod in der Tasche. 

Sechs Schlösser hatte der Dieb jetzt bereits geöffnet. Gerade 

machte er sich am siebten und letzten zu schaffen. 

Justus ließ ihn gewähren. 
Jetzt hatte es der Dieb geschafft. Alle Schlösser waren für ihn kein 

Hindernis mehr. Schon machte er die Tür auf und schlüpfte flugs in 
die Schatzkammer. 

Nun hielt es Justus für angebracht, auf den Plan zu treten. Er gab 

seinen Beobachtungsposten auf und schlich auf leisen Sohlen zur 
Tür. Ruckartig riß er sie auf. 

Lichtschein drang ihm entgegen. Der Dieb schien sich sehr sicher 

zu fühlen, hatte eine Fackel entzündet. Justus blinzelte. 

Aber es war nicht allein das Licht, das ihn blendete. Dafür sorgte 

auch die einzigartige Pracht der Schatzkammer. Wo auch immer der 
Knappe hinblickte, glänzte und gleißte es, als würden in dem Raum 
tausend kleine Feuer lodern. Es fiel ihm schwer, den Blick von den 
Kostbarkeiten zu lösen und seine Aufmerksamkeit dem Dieb zu 
widmen. 

Dieser war völlig überrascht, starrte ihn mit großen Augen an. Die 

unvermutete Entdeckung war ihm sichtlich auf Herz und Magen 
geschlagen. In den Händen hielt er einen goldenen Stab, den er wohl 
gerade in dem mitgeführten Sack verschwinden lassen wollte. Dazu 
sollte er jedoch keine Gelegenheit mehr bekommen. 

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»Habe ich dich, Halunke«, sagte Justus triumphierend. »Wer hätte 

schon gedacht, daß ausgerechnet du der Schatzräuber bist?« 

Der ertappte Dieb antwortete nicht. Bleich und stocksteif stand er 

da, wie gelähmt. 

»Komm her«, befahl Justus. 
Der Dieb blieb, wo er war. 
Langsam wurde der Knappe ärgerlich. »Hast du nicht gehört, was 

ich gesagt habe? Herkommen sollst du!« 

Zögernd und zaudernd setzte sich der Dieb jetzt in Bewegung. Mit 

schleppenden Schritten trat er auf Justus zu, ein gebrochener Mann, 
der ganz genau wußte, welche Bestrafung er nun zu gegenwärtigen 
haben würde. Fast tat er dem Knappen ein bißchen leid. 

Eine Körperlänge waren die beiden Männer jetzt noch voneinander 

entfernt. 

Und plötzlich wurde der Dieb schnell. So schnell, wie es Justus 

niemals für möglich gehalten hätte. Die rechte Hand, die immer noch 
den goldenen Stab umklammert hielt, schoß nach vorne wie der Kopf 
einer zuschnappenden Kreuzotter. 

Justus hatte damit in keiner Weise gerechnet. Er kam nicht mehr 

dazu, zur Seite oder nach hinten auszuweichen. Und spät, viel zu spät 
erkannte er, daß es kein einfacher Stab war, den der Dieb in der Hand 
hatte. Erst als die Klinge siedendheiß in seine Brust eindrang wurde 
ihm klar, daß es sich um einen goldenen Dolch handelte. Aber diese 
Erkenntnis nutzte ihm jetzt nichts mehr. Entseelt sank er zu Boden. 
Sein Blut färbte die weißen Marmorplatten der Schatzkammer rot. 

»Tut mir leid, mein Junge«, murmelte der Dieb. 
Wenig später hatte er den Toten in eine leere Truhe gepackt und 

seinen Sack mit Gold gefüllt. Dann verließ er die Schatzkammer, 
schloß die Tür wieder sorgfältig ab und verschwand im Halbdunkel 
des Ganges. 

* 

Graf Heribert lachte. »Thegan soll die Güldenburg verlassen? 

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Schlagt Euch das aus dem Kopf, Ritter Roland!« 

Dem Ritter mit dem Löwenherzen wurde auf einmal klar, daß er 

den Herrn der Güldenburg eigentlich nicht so recht mochte. Sein 
erster Eindruck von dem breitschultrigen Mann mit dem kantigen 
Gesicht war durchaus vorteilhaft gewesen. Zweifellos strahlte 
Heribert eine gewisse männliche Freundlichkeit aus. Während des 
Gesprächs merkte  Roland jedoch immer deutlicher, daß diese 
Freundlichkeit mehr eine Gönnerhaftigkeit war, das Gehabe eines 
Mannes, der sich seiner Macht bewußt war und im Grunde 
genommen auf alle anderen Menschen herunterblickte wie Gottvater 
von seinem Himmelsthron. Da er dabei keineswegs die natürliche 
Würde ausstrahlte, wie das etwa bei König Artus der Fall war, fühlte 
man sich in seiner Gegenwart bald irgendwie unwohl. 

Roland ließ sich dadurch aber nicht verdrießen. Nach wie vor war 

es seine erklärte Absicht, den Alchimisten abzuwerben. Und wenn er 
dabei dem Grafen ein bißchen auf die Füße trat, dann konnte er es 
auch nicht ändern. 

»Wenn man Euch so reden hört, Graf Heribert, dann könnte man 

meinen, Ihr verwehrt Thegan das Verlassen der Güldenburg«, sagte 
er recht respektlos. 

Ein ärgerliches Funkeln, das Roland nicht entging, trat in die 

Augen des Burgherrn, verflüchtigte sich allerdings sofort wieder. 

Er lachte. »Ich will nicht leugnen, daß ich Thegan nur ungern 

scheiden sehen würde. Aber daß ich ihn gegen seinen  Willen 
hierbehalte ... Wirklich, Ritter Roland, Ihr unterstellt mir da Dinge, 
die geradezu ehrenrührig sind. Manchen anderen würde ich dafür 
unverzüglich aufs Rad flechten lassen. Ihr habt Glück, daß Ihr ein 
Paladin des Herrn von Camelot seid!« 

Zweifellos konnte man aus diesen Worten eine unterschwellige 

Drohung heraushören. Aber Roland hatte sich noch nie durch 
Drohungen einschüchtern lassen, ganz gleichgültig, ob diese nun 
versteckt oder ganz unverblümt daherkamen. 

»Würde es Euch etwas ausmachen, wenn  ich selbst mit Eurem 

Alchimisten spräche, um ihm die Einladung von Camelot 

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vorzutragen?« fragte er, ohne auf die vielsagenden Worte des Grafen 
einzugehen. 

Heribert zögerte zunächst, nickte dann. »Gewiß, warum auch 

nicht? Es ist ja wohl eine hohe Ehre für  Thegan, daß der 
hochberühmte Sir Ector das Gespräch mit ihm sucht. Dennoch, Ritter 
Roland, ich kann Euch schon jetzt versichern, daß Thegan die 
Einladung mit aller Entschiedenheit ablehnen wird.« 

»Wir werden sehen.« 
Graf Heribert zog an einer Schnur, worauf eine Glocke hell zu 

läuten begann. Eine goldene Glocke, verstand sich. Ein Bediensteter 
betrat den Empfangsraum. 

»Herr Graf befehlen?« 
»Bring mir den Goldmacher her!« 
Der Bedienstete machte eine tiefe, ehrerbietige Verbeugung und 

zog sich wieder zurück. 

Während der folgenden Minuten bemühte sich Roland, die leicht 

gereizte Atmosphäre wieder zu entkrampfen. Er tat dies, indem er 
lauter lobende Worte für die Güldenburg fand. Er ging dabei sogar so 
weit, daß er Vergleiche mit Schloß Camelot anstellte. Dies war zwar 
stark übertrieben, aber doch nicht ganz von der Hand zu weisen. 
Zumindest was die Präsenz puren Goldes anging, konnte man in der 
Tat von echten Parallelen sprechen. 

Seine launigen Worte verfehlten ihr Ziel nicht. Heribert fühlte sich 

sichtlich geschmeichelt und wurde wieder ausgesprochen freundlich. 
Selbst das Gönnerhafte trat jetzt nicht mehr so aufdringlich zutage, 
wie das vorhin der Fall gewesen war. 

Eine ganze Weile verging, bis der Bedienstete zurückkehrte  - mit 

dem Goldmacher. 

Die äußere  Erscheinung Thegans entsprach nicht so ganz den 

Vorstellungen, die sich Roland von ihm gemacht hatte. Thegan war 
ein recht kleiner Mann, der beinahe zerbrechlich wirkte. Von Würde 
und Macht keine Spur. Der Alchimist vermittelte vielmehr den 
Eindruck eines Wurms, der sich ständig krümmt, weil er getreten 
wird. In dem schmalen, fast ausgemergelten Gesicht saßen die Augen 

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tief in den Höhlen. Augen, die wie hilflos in die Welt blickten. 

Dies also war der Mann, von dem Sir Ector mit Achtung 

gesprochen hatte. .Roland vermochte es kaum zu glauben. Und doch 
war es so. 

Der Bedienstete verschwand wieder, ließ den alten Mann allein an 

der Tür stehen. 

»Tritt näher, Thegan«, forderte Heribert ihn auf. 
Der Alchimist tat es unsicheren Schrittes und zögernd. Der Graf 

bot ihm einen freien Lehnstuhl an und schob ihm auch noch einen 
Becher hinüber, den er eigenhändig aus dem bereitstehenden Krug 
füllte. 

»Trink, Thegan«, sagte er. »Es ist ein ganz ausgezeichneter 

Tropfen, der dir gewiß munden wird.« 

Zuerst sah es so aus, als ob der alte Mann den Wein ablehnen 

würde. Das tat er dann aber doch nicht. Er hob den Pokal, trank einen 
kleinen Schluck daraus und setzte ihn dann wieder auf die 
Tischplatte zurück. Dies alles tat er mit völlig ausdruckslosem 
Gesicht, ohne den Grafen oder Roland dabei anzusehen. 

Komischer Heiliger! fuhr es dem Ritter mit dem Löwenherzen 

durch den Kopf. 

Heribert räusperte sich, ergriff wieder das Wort. 
»Thegan, ich möchte dich mit dem edlen Ritter Roland bekannt 

machen. Du siehst in ihm einen Abgesandten von König Artus, der 
nur hierhergekommen ist, um mit dir zu sprechen.« 

Wenn der Alchimist beeindruckt war, dann verstand er es 

vorzüglich, dies zu verbergen. Nach wie vor zeigte er keine 
Gemütsregung, sondern fuhr fort, schweigend auf die Tischplatte zu 
starren. 

»Genauer gesagt«, erläuterte Roland, »komme ich nicht als 

Sendbote des Königs. Es war vielmehr Sir Ector, der mich zu Euch 
schickte. Er ist Euch ein Begriff, Meister Thegan?« 

Zum ersten Mal blickte der alte Mann auf. »Sir Ector?« 
»Ja«, bestätigte Roland. 
»Sir Ector ist mir ein Begriff!« 

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»Er bittet Euch, nach Camelot zu kommen«, sagte der Ritter mit 

dem Löwenherzen. 

»Er...« Thegan bekam ganz große Augen. Seine  Lippen zitterten. 

Keine Frage, er war so beeindruckt, daß ihm regelrecht die Stimme 
versagte. 

»... bittet Euch, nach Camelot zu kommen, ganz recht«, 

wiederholte Roland mit Nachdruck. »Ich kehre umgehend an den 
Hof König Artus' zurück. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich begleiten.« 

Ein Leuchten trat in die müden Augen des alten Mannes. 
»Ich ...« Er sprach nicht weiter, blickte statt dessen zu Graf 

Heribert hinüber. 

Der Burgherr lächelte. »Frage nicht mich, mein lieber Thegan. Du 

entscheidest ganz allein. Wenn du glaubst, auch außerhalb der 
Mauern von Güldenburg glücklich und zufrieden werden zu können, 
dann geh mit dem Ritter. Natürlich würde ich dein Scheiden zutiefst 
bedauern, denn du warst mir stets ein treuer Untertan. Aber wenn es 
dich wirklich von dannen zieht ... Ich wäre der letzte, der dich zum 
Bleiben auffordert. Sag selbst, wie könnte ich dich auch zwingen?« 

Sekundenlang sagte der Alchimist kein Wort, dann schüttelte er 

langsam den Kopf. Das Leuchten in seinen Augen erlosch wie eine 
Fackel, die der Wind ausgeblasen hat. 

»Ich kann nicht mit Euch gehen«, sagte er zu Roland. »Der Herr 

Graf hat vollkommen recht: Nur auf der Güldenburg fühle ich mich 
glücklich und zufrieden.« 

Tat er dies? Roland hatte nicht den Eindruck, daß er besonders 

glücklich und zufrieden war. Er spürte ganz deutlich, daß der alte 
Mann liebend gerne mit ihm nach Camelot kommen würde. Aber es 
mußte irgendwelche Gründe geben, die ihn gegen seine eigentliche 
Überzeugung handeln ließen. 

Welche Gründe? 
Roland wußte es nicht, hatte auch nicht die Möglichkeit, es jetzt an 

Ort und Stelle herauszufinden. Eins aber wußte er: Seine Mission 
drohte zu scheitern. Wie es aussah, würde er nicht imstande sein, das 
Sir Ector gegebene Versprechen einzulösen. Noch aber wollte er es 

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sich nicht eingestehen. 

»Die Trennung von der Güldenburg soll ja nicht für immer sein, 

Meister Thegan«, sagte er zu dem Alten. »Ihr stattet Sir Ector einen 
Besuch ab und kehrt dann zurück. Nun?« 

Wieder blickte der Alchimist den Burgherrn an. Und wieder 

schüttelte der den Kopf. 

»Nein«, antwortete Thegan. »Ich möchte die Güldenburg nicht 

verlassen. Auch nicht vorübergehend.« 

Roland ballte die Fäuste. Er mußte sich beherrschen, um nicht 

wütend auf den Tisch zu schlagen. Um seinen Zorn etwas 
abzukühlen, griff er nach dem Weinbecher und leerte ihn mit einem 
einzigen Schluck. 

Thegan erhob sich. »Werden meine Dienste noch benötigt?« fragte 

er mit einer Stimme, die dem Ritter mit dem Löwenherzen 
merkwürdig brüchig vorkam. 

»Ritter Roland?« lächelte der Graf. 
»Nein. Es ist wohl alles gesagt worden, was zu sagen wäre.« 
Heribert nickte dem Alchimisten zu. »Dann kannst du wieder 

gehen, mein lieber Thegan. Ich danke dir übrigens für die Treue, die 
du mir erwiesen hast. Und ich könnte mir vorstellen, daß ich nicht 
der einzige bin, der dir dafür dankt!« 

Da war ein Unterton in der Stimme des Grafen, der Roland zu 

denken gab. Seine abschließenden Worte hatten sicherlich mehr zu 
bedeuten, als er heraushören konnte. 

Der alte Mann drehte sich um und verließ den Raum. 
Graf Heribert war die Zufriedenheit in Person. »Nun, was habe ich 

Euch gesagt, Ritter Roland?« 

Der Ritter mit dem Löwenherzen zwang sich zu einem Lächeln. 

»Mir scheint, Ihr kennt Eure Getreuen eben doch besser als ich.« 

»So ist es«, nickte Heribert und wirkte jetzt wieder sehr, sehr 

gönnerhaft. 

* 

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Noch gab sich Roland nicht geschlagen. Wenn er herausfand, warum 
sich der Alchimist so hartnäckig weigerte, die Güldenburg zu 
verlassen... Vielleicht schaffte er es doch noch, Thegan mit zum Hof 
König Artus' zu nehmen. 

Graf Heribert hatte nichts dagegen, daß er noch blieb. Ein paar 

Schmeicheleien über die Einzigartigkeit der Güldenburg, und schon 
hatte er seine Einladung sicher. Daß diese auch für seine beiden 
Knappen galt, verstand sich nach ritterlicher Sitte von selbst. 

Roland blieb nicht lange der derzeit einzige Gast des Burgherrn. 

Als sich die Sonne langsam anschickte, jenseits des Mains 
unterzugehen, liefen oben auf der Burgmauer die Wächter 
zusammen. Ein Meldegänger eilte ins Innere der Burg und kehrte 
kurz darauf zurück. Daraufhin wurde die Zugbrücke 
hinuntergelassen und das Tor geöffnet. 

Roland, der sich gerade bei den Ställen aufgehalten hatte, um sich 

vom Wohlergehen der Pferde zu überzeugen, schlenderte herbei. 

Ein mit zwei Zugpferden bespanntes Fuhrwerk rollte auf den 

Burghof. Zwei Männer saßen auf dem Kutschbock. Der eine von 
ihnen war an seiner einfachen Kleidung leicht als Mann aus dem 
Volk zu erkennen. Der andere jedoch gehörte fraglos dem 
Adelsstand an. Hermelin, Pfauenfedern, elegante, fast stutzerhafte 
Beinkleider, der Mann stellte etwas dar, da gab es gar keine Frage. 

Er schien bekannt zu sein auf der Güldenburg, dieser Mann. So gut 

bekannt, daß es sich Graf Heribert nicht nehmen ließ, 
höchstpersönlich auf dem Burghof zu erscheinen. 

Der Ankömmling kletterte vom Kutschbock. 
Würde man ihn jetzt ebenfalls auffordern, sein Schwert 

abzugeben? fragte sich Roland. 

Dies erwies sich als überflüssig. Der Besucher zog seine Klinge 

ganz von selbst aus der Scheide und überreichte sie einem der 
gräflichen Getreuen. Wahrscheinlich war er damit der Peinlichkeit 
entgangen, sich gegen seinen Willen entwaffnen zu lassen. 

Graf Heribert trat herbei. »Freigraf Felix, welch eine freudige 

Überraschung!« 

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»Auch ich freue mich, wieder auf Eurer prächtigen Burg weilen zu 

dürfen, Graf Heribert.« 

Nach ritterlicher Sitte verbeugten sich die beiden Männer und 

legten ihre Unterarme aneinander. 

»Ich habe Euch das versprochene Gastgeschenk mitgebracht«, 

sagte der Ankömmling. »Köstlichen Wein aus meiner Heimat!« 

Mit einer großartig wirkenden Armbewegung deutete er auf die 

Ladefläche des Wagens, auf der fünf, sechs große Fässer festgezurrt 
waren. 

Der Burgherr freute sich sichtlich über das Gastgeschenk. 
»So ist der heutige Abend also gerettet«, sagte er heiter. »Wir 

werden  Euren Wein kosten. Und wenn er gar so köstlich mundet, wie 
Ihr sagt, dann soll uns erst der Schrei des Hahns aufs Lager treiben!« 

Während die Fässer unter Aufsicht des Gastes abgeladen und in 

den Weinkeller gebracht wurden, wandte sich Roland an einen der 
Güldenburger Ritter. 

»Sagt mir, wer ist der Besucher?« erkundigte er sich. »Euer Herr 

scheint ihn ja regelrecht in sein Herz geschlossen zu haben.« 

»Felix von Leubus«, bekam er zur Antwort. »Ein Freigraf aus den 

schlesischen Landen. Vor Wochen rettete Graf Heribert ihn aus der 
Hand einer mörderischen Räuberbande. Und nun ist der Freigraf 
gekommen, um seinen Dank abzustatten.« 

»Aus Schlesien?« wunderte sich Roland. »Ist der Weg nicht ein 

wenig weit, nur um ein paar Fässer Wein zu überbringen?« 

Der Ritter zuckte mit den Schultern. »Fragt nicht mich, fragt den 

Freigrafen.« 

So begierig war Roland nun auch wieder nicht darauf. Wenn er 

allerdings gewußt hätte, was es mit den Weinfässern tatsächlich auf 
sich hatte, wäre sein Interesse sicherlich größer gewesen. 

* 

Auch Roland als Gast der Güldenburg wurde zum Schlesischen 
Weinfest eingeladen, das am Abend stattfand. Er hatte nichts 

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dagegen, denn wenn es etwas Gutes zu trinken gab, war er stets gern 
dabei. Nach allem, was er gehört hatte, sollte es der Wein aus 
Schlesien ganz besonders in sich haben. Die Aussichten, einem 
zünftigen Gelage beiwohnen zu können, standen also gut. 

Das Besäufnis fand in der großen Festhalle der Güldenburg statt. 

Alle Ritter, die in den Diensten des Grafen standen, waren zugegen. 
Und auch die holde Weiblichkeit fehlte nicht. Die Burgdamen kamen 
zahlreich, und es waren ein paar darunter, die Roland sehr gut 
gefielen. Er war zuversichtlich, den Abend mit Wein und Gesang 
beginnen und mit Weib beenden zu können. 

Graf Heribert und seine Gemahlin, ein häßliches, mageres 

Frauenzimmer, das der Burgherr dem Vernehmen nach nur des 
Goldes wegen genommen hatte, saßen an der Stirnseite der großen 
Tafel. Die beiden Ehrenplätze waren an die Gäste vergeben worden. 
Rechts saß Felix von Leubus, links der Ritter Roland. Die anderen 
reihten sich ihrem Stande nach an. 

Auch an Unterhaltung würde es nicht mangeln. Ein Fiedelspieler 

war da, um Ohren und Tanzbeine mit seinen Weisen zu erfreuen. 

»Wohlan denn«, sagte Graf Heribert, als alle versammelt waren, 

»so wollen wir denn beginnen. Rollt das erste Faß herein!« 

Unter großem Hallo aller Anwesenden brachten zwei Bedienstete 

das Faß. Der Fiedler spielte und sang dazu ein Trinklied, bei dem 
Roland einen leichten Magenschmerz bekam. Was die Musik anging, 
war er durch seinen Freund, den berühmten Minnesänger Volker 
vom Hohentwiel, verwöhnt. Im Vergleich zu Volkers kunstvollen 
und melodiösen Balladen war das Spiel des Güldenburger Musikus 
die reinste Stümperei. 

»Schlagt das Faß an«, befahl Heribert launig. 
Der gräfliche Mundschenk waltete seines Amtes. Dann ging er hin 

und füllte reihum alle Gläser und Becher. 

Der Burgherr stand auf und prostete Felix von Leubus zu. »Trinken 

wir auf das Wohl unseres Gastes, der es sich nicht hat nehmen 
lassen, eine weite und beschwerliche Reise zu unternehmen, nur um 
uns diesen Abend zu bescheren!« 

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Von allen Seiten schallten dem Schlesier die Hochrufe der 

Tafelnden entgegen. Felix von Leubus nahm sie lächelnd hin und 
hob ebenfalls seinen Becher. 

»Genug der Worte«, ließ er sich vernehmen. »Genießen wir nun 

endlich den Wein!« 

Alle führten ihre Pokale zum Mund. Alle tranken und ließen den 

Rebensaft durch ihre Kehlen rinnen. Alle stutzten. 

Dann begann ein  Husten, Keuchen und Röcheln, wie man es wohl 

selten an einer festlichen Tafel erlebt hatte. Die Gesichter der 
Trinkenden verzerrten sich zu gequälten Grimassen. Münder 
öffneten sich und würgten und spuckten und schimpften und 
fluchten. 

»Der pure Essig!« 
»Elende Pferdepisse!« 
»Der Kerl will uns vergiften!« 
»Verdammt sei die Erde, die solchen Wein wachsen läßt!« 
Roland konnte all diesem nur voll und ganz zustimmen. Der Wein 

war eine einzigartige Zumutung für Zunge und Gaumen. Niemals in 
seinem Leben hatte er Übleres getrunken als diesen Wein aus den 
schlesischen Landen. 

Die Empörung an der Tafel war einhellig. 
Nein, nicht ganz! 
Ein Mann war nicht empört: Freigraf Felix von Leubus. 
Der Schlesier hatte seinen Wein mit sichtlichem Behagen 

getrunken  und war nun ob des allgemeinen Aufruhrs sichtlich 
verstört. 

Den Becher mit dem widerwärtigen Gebräu noch in der Hand, 

funkelte der Graf ihn an. »Sprecht, Freigraf, war es Eure Absicht, uns 
alle zu vergiften?« 

»Ich ... verstehe nicht, was diese Aufregung hervorgerufen hat«, 

gab der Schlesier zurück. »Der Wein doch nicht etwa?« 

»Wollt Ihr uns veralbern? Was sonst als Euer sogenannter Wein 

sollte uns den Ekel in den Leib gejagt haben?« 

»Noch immer weiß ich nicht, was Euch so verdrossen hat. Der 

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Wein ist doch köstlich!« 

»Köstlich?« Heribert lachte laut und böse. »Wie gerade jemand 

schon sehr trefflich bemerkte... Es ist Pferdepisse!« 

»Die Pisse eines kranken Pferdes«, pflichtete Roland dem 

Burgherrn bei. »Eines sehr, sehr kranken Pferdes!« 

»Aber nein, aber nein«, verwahrte sich der Schlesier gegen diesen 

Vorwurf. »Der Wein ist ganz vorzüglich.« Er griff wieder nach 
seinem Becher und leerte ihn bis zur Neige. Helles Entzücken 
spiegelte sich dabei in seinen Zügen wider. »Seht Ihr? Wirklich ganz 
vorzüglich! Probiert noch einmal, Graf Heribert. Nehmt einen tiefen 
Schluck, laßt ihn auf der Zunge zergehen und ...« 

»Schluß mit den Faxen!« fuhr ihm der Burgherr wütend über den 

Mund. »Zweifellos wollt Ihr uns veralbern. Oder aber Ihr leidet an 
Geschmacksverirrung und solltet Euch schnellstens bei einem Bader 
in Behandlung begeben. Am liebsten würde ich Euch in das Faß 
tauchen lassen und Euch zwingen, so viel von dem Zeug zu saufen, 
bis Euch Mund und Nase übergehen. Da Ihr aber mein Gast seid und 
ich die Gebote der Gastfreundschaft stets hochgehalten habe, sollt Ihr 
ungeschoren davonkommen. Packt Euren sogenannten Wein wieder 
auf den Wagen, und macht, daß Ihr davonkommt. Spätestens morgen 
mittag will ich Euch nicht mehr auf der Güldenburg sehen. Haben 
wir uns verstanden, Freigraf?« Der Schlesier hatte erkannt, daß es 
Heribert ernst meinte. Er nickte nur stumm und stellte ansonsten eine 
beleidigte Miene zur Schau. 

Das Trinkgelage war beendet, kaum daß es begonnen hatte. 

* 

Als Felix in seinem Gästezimmer anlangte, hatte er immer noch die 
größte Mühe, sich ein lautes Auflachen zu verbeißen. 

Diese Dummköpfe! 
Er hatte sie alle an der Nase herumgeführt. Kein einziger von ihnen 

ahnte, was tatsächlich hinter der lächerlichen Weinposse steckte. 
Und was den Wein selbst anging ... Wie gut, daß er auf der 

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Klosterburg seinen Gaumen schon an das scheußliche Gesöff 
gewöhnt hatte.. Bestimmt wäre es ihm sonst nicht gelungen, das 
Zeug mit scheinbarem Behagen in sich reinzuschlürfen. Wein 
durchsetzt mit Sauerampfersaft  - in der Tat, etwas Übleres konnte 
man sich kaum vorstellen. 

Glück hatte er trotzdem gehabt. Der Graf war so zornig gewesen, 

daß er ihn am liebsten sofort aus der Güldenburg gejagt hätte. Nun 
stand ihm aber doch die Frist zur Verfügung, die er brauchte, um 
auch den letzten Teil von Baron Ingolfs verwegenem Plan 
Wirklichkeit werden zu lassen. Morgen früh würde er die 
Güldenburg dann so schnell verlassen, wie es nur eben möglich war. 

Noch aber war es nicht soweit. Noch stand ihm ein schweres Stück 

Arbeit bevor. Zunächst jedoch konnte er sich ein paar Stunden aufs 
Ohr legen. Und wenn dann auf der Burg alles schlief ... 

Felix ließ sich auf seinem Nachtlager nieder. Er wußte die wohlige 

Wärme und Weichheit des Lagers zu schätzen. Wenn er daran 
dachte, daß man es auch viel, viel unbequemer haben konnte... 

Es dauerte nicht lange, dann war Felix tief und fest eingeschlafen. 

Gut vier Stunden verbrachte er im Land der Träume. Dann, ganz so, 
als habe ihn ein Alarmsignal in seinem Inneren geweckt, erwachte er 
wieder. 

Er erhob sich von seinem Lager und trat an das Fenster des 

Gästezimmers, das zur Hofseite hin lag. 

Es war stockdunkel draußen. Die Morgendämmerung würde noch 

eine Weile auf sich warten lassen. Ruhig und verlassen lag der 
Burghof da. Und dasselbe traf auch  auf alle Gebäude der Burg zu. 
Mit Fug und Recht durfte Felix davon ausgehen, daß alle Bewohner  - 
und Gäste  - noch im tiefen Schlaf lagen, mit Ausnahme der Wächter 
auf der Mauer. 

Er verlor jetzt keine Zeit mehr. Friedrich würde sonst vielleicht 

unruhig werden. 

Eilig kleidete er sich an und huschte zur Tür. Lautlos öffnete er sie 

und lauschte hinaus auf den Gang. 

Es gab nichts zu sehen und nichts zu hören. Die Gefahr, daß 

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jemand auf ihn aufmerksam wurde, bestand kaum. 

Vorsichtig schloß er die Zimmertür und  schlich den Gang entlang. 

An der nächsten Tür machte er kurz halt und legte das Ohr gegen die 
Tür. Tiefe Atemgeräusche, begleitet von regelmäßigen 
Schnarchtönen, waren deutlich zu hören. 

Felix grinste. Schlaf weiter, Ritter Roland, dachte er und setzte 

anschließend seinen Weg fort. Er huschte die Treppe hinunter und 
öffnete dann die Tür, die auf den Hof hinausführte. 

Wieder blieb er lauschend stehen und blickte aufmerksam zur 

Burgmauer hinüber. Die schattenhafte Silhouette eines Mannes, der 
dort oben auf und ab patroullierte, geriet in sein Blickfeld. Aber der 
Wächter nahm keine Notiz von ihm. Seine Aufmerksamkeit war auf 
das gerichtet, was außerhalb der Mauer vor sich ging. 

Trotzdem wartete Felix ab, bis der Wachtposten wieder aus seinem 

Blickfeld verschwand. Dann setzte er sich abermals in Bewegung 
und schlich zu dem Gebäude hinüber, in dem die Schlafräume des 
Gesindes lagen. 

Auch hier war alles ruhig. 
»Friedrich«, rief er im Flüsterton. 
Sofort löste sich aus der Dunkelheit eine Gestalt und trat an seine 

Seite. 

»Du kommst spät, Felix«, raunte ihm der Schwarzbart zu. »Ich 

warte schon länger als eine Stunde.« 

Den Beinamen »Schwarzbart« verdiente Friedrich gegenwärtig 

nicht. Um die Rolle des Pferdekutschers besser spielen zu können  - 
und um vor möglicher Wiedererkennung geschützt zu sein  -, hatte er 
sich seine Manneszierde abnehmen lassen. Er war alles andere als 
glücklich darüber, aber Baron Ingolf hatte darauf bestanden. 

Felix hatte jetzt wahrlich keine Lust, eine Rechtfertigung 

abzugeben. Es gab wichtigere Dinge zu tun. 

»Komm«, flüsterte er. 
Jetzt wurde es etwas schwieriger, weiterhin unentdeckt zu bleiben. 

Um zum Turm zu gelangen, mußte der ganze Burghof überquert 
werden. Und wenn der Wächter auf der Mauer seine 

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Aufmerksamkeit doch mal der anderen Seite zuwandte ... 

Felix und Friedrich blieb dennoch nichts anderes übrig, als es zu 

wagen. Und sie hatten Glück. Niemand sah oder hörte sie, niemand 
rief sie an. Unbemerkt erreichten sie den Turm und schlüpften 
hinein. 

Erleichtert atmete Felix auf. »Fürs  erste sind wir sicher. Hier wird 

uns kaum einer entdecken.« Er sprach lauter als bisher, fast im 
normalen Unterhaltungston. 

»Das weißt du genau?« raunte Friedrich zurück. »Und wenn uns 

doch jemand hört?« 

Felix lachte leise. »Bei meinem letzten Besuch habe ich mich 

gründlich mit allem vertraut gemacht. In diesem Turm haust niemand 
außer dem Alten. Und dessen Räume liegen unten im Keller.« 

»Worauf warten wir dann noch?« 
Im Turm selbst war Felix bisher noch nicht gewesen. Deshalb hatte 

er jetzt auch einige Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Und die 
abgrundtiefe Finsternis, die im Turm herrschte, begünstigte dieses 
Unterfangen auch nicht gerade. 

»Wir hätten eine Fackel mitnehmen sollen«, knurrte Friedrich. 
»Lichtschein ist verräterisch«, gab Felix zurück.  »Wir schaffen es 

auch so.« 

Die abwärts führende Treppe wurde schließlich gefunden. Die 

beiden Getreuen des Barons von der Klosterburg schritten sie 
hinunter. An ihrem Ende stießen sie auf eine massive Bohlentür. 

Die Tür war verschlossen! 
Felix stieß einen gemurmelten Fluch aus. »Hölle und Teufel, damit 

habe ich nicht gerechnet. Gewiß, Verliese und Schatzkammern 
schützt man durch Schlösser. Aber daß jemand seine Schlaf- und 
Arbeitsräume abschließt ...« 

»Die Hexenküche des Alchimisten ist eine Schatzkammer«, sagte 

Friedrich. »Außerdem ist es ja wohl nur zu verständlich, daß der Alte 
seine Geheimnisse bewahren will - auch vor den eigenen Leuten!« 

»Dann müssen wir die Tür eben aufbrechen. Hier unten können wir 

ruhig Lärm machen, ohne befürchten zu müssen, daß uns jemand 

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hört.« 

»Aufbrechen, aufbrechen! Womit? Mit der blanken Faust 

vielleicht? Wenn du so stark bist... Los, versuche dein Glück!« 

Felix nagte an der Unterlippe und dachte angestrengt nach. 
»Warum klopfen wir nicht an die Tür?« sagte er dann.  »Vielleicht 

öffnet er uns. Wenn wir behaupten, daß der Graf uns schickt...« 

»Eine andere Möglichkeit gibt es jawohl nicht, oder?« 
Friedrich ballte die Faust und hämmerte gegen die Tür. Das 

Klopfen, das dabei herauskam, war nicht gerade laut. Friedrich setzte 
deshalb zusätzlich seine Füße ein. So kräftig wie möglich trat er 
gegen die Tür. Dumpf hallten die Schläge durch den Turmkeller. 

Schon glaubten die beiden Männer, daß der Alte sie nicht gehört 

hatte. Das war aber doch der Fall, denn nach einer ganzen Weile 
wurde auf der anderen Seite der Tür eine Stimme laut. 

»Wer ist da?« 
»Sprich du mit ihm«, raunte Felix seinem Kumpan zu. »Er könnte 

meine Stimme erkennen.« 

Friedrich räusperte sich, sagte dann: »Öffne, Thegan! Der Graf hat 

mich geschickt.« 

»Jetzt mitten in der Nacht?« wunderte sich der alte Mann. »Zu 

welchem Behufe?« 

»Er will... äh ... mit dir sprechen.« 
»Das glaube ich nicht«, antwortete der Alchimist. »Sicher bist du 

einer von jenen, die sich am Gold vergreifen wollen!« 

Natürlich, dachte Felix, es war nur menschlich, daß mancher 

Getreue des Grafen versuchte, seinen eigenen Brei zu kochen und 
auch ein Stück des üppigen Goldkuchens in seinen Besitz zu bringen. 
In der Tat war es wenig verwunderlich, daß sich der alte Mann 
einzuschließen pflegte. 

»Was  soll ich sagen, verdammt?« raunte Friedrich ihm hinter 

vorgehaltener Hand zu. 

Felix überlegte fieberhaft. Und dabei kam ihm ein Gedanke, mit 

dem sich vielleicht etwas anfangen ließ. Während seines ersten 
Besuchs auf der Güldenburg war ihm zu Ohren gekommen, daß 

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Thegan eine Tochter sein eigen nannte. Wo sich diese Tochter 
aufhielt, hatte er nicht herausfinden können. Alle Güldenburger, die 
er danach gefragt hatte, waren in diesem Punkt merkwürdig 
zurückhaltend gewesen. Aus welchem Grund, das wußte er nicht. 
Aber im Augenblick war das auch belanglos. Es galt, den alten Mann 
aus der Reserve zu locken. Und wenn man ihm dabei einen Bären 
aufband... 

»Sag ihm, daß es um seine Tochter geht«, zischelte er. »Oder 

besser noch: Sag ihm, daß es um das Leben seiner Tochter geht!« 

Friedrich war klug genug, jetzt keine überflüssigen Fragen zu 

stellen. Er folgte der Empfehlung Felix', ohne zu zögern. 

»Gut, Thegan«, sagte er, »wenn dir das Wohlergehen deiner 

Tochter nicht am Herzen liegt...« Bedeutungsvoll ließ er die Worte in 
der Luft hängen. 

Er hatte genau den richtigen Nagel getroffen. 
»Was ist mit meiner Tochter?« fragte der Alchimist sofort. 

Aufregung und tiefe Besorgnis sprachen aus seiner Stimme. 

»Es steht schlecht um sie«, fuhr Friedrich mit Grabesstimme fort. 

»Sehr, sehr schlecht!« 

»Warte...« 
Felix und Friedrich hörten, wie sich ein Schlüssel im Schloß 

drehte. Im nächsten Augenblick wurde die Tür aufgestoßen. Im 
Rahmen stand der Alchimist, eine Fackel in der Hand. Ganz verstört 
sah er aus. Und auch noch leicht verschlafen. 

»Was ist mit meiner Tochter?« wiederholte er seine bange Frage. 
Erst jetzt nahm er zur Kenntnis, wen er da eigentlich vor sich hatte. 

Er kniff die Augen zusammen. »Wer seid ihr? Ich kenne euch nicht!« 

»Wirklich nicht, Alter?« lächelte Friedrich. 
Er hatte seinen Fuß zwischen die Tür gestellt, um Thegan daran zu 

hindern, sie überraschend wieder zuzuschlagen. 

»Doch, jetzt weiß ich es«, stieß der Alchimist hervor. »Ihr seid 

dieser Graf aus Schlesien und ...« Er fuhr zusammen. »Es geht gar 
nicht um meine Tochter! Ihr habt nur einen Vorwand gesucht...« 

»In der Tat«, bestätigte Felix seine Annahme. »Deine Tochter 

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kümmert uns einen feuchten Kehricht. Du bist der Mann, dem unser 
ganzes Interesse gilt!« 

Tatsächlich wollte der alte Mann die Tür jetzt ganz schnell wieder 

zumachen. Aber das gelang ihm natürlich nicht. Friedrich versetzte 
ihm einen Stoß, der ihn mehrere Ellen zurücktaumeln ließ. Dann 
drangen die beiden Klosterburger in die Behausung des Alchimisten 
ein. 

Zuerst kamen sie in einen Raum, der dem Alten offenbar als 

Schlafstatt diente. Von diesem Raum gingen weitere Türen ab. Die 
zweite, die Felix öffnete, führte in die Hexenküche Thegans. Selbst 
im Halbdunkel waren die Bottiche, Flaschen, Tiegel und sonstigen 
Gerätschaften zu erkennen, die zum Handwerkszeug eines jeden 
Alchimisten gehörten. 

»Gib mir doch mal die Fackel, Alter«, verlangte Felix. 
»Wozu?« fragte Friedrich scharf. 
»Das dürfte doch wohl klar sein. Ich will mir mal ansehen, was der 

Alte da so alles zu Gold gemacht hat. Wir nehmen soviel davon mit, 
wie wir tragen können...« 

»Nein!« 
»Nein?« Felix zog die Augenbrauen hoch. 
»Nichts nehmen wir mit«, sagte dieser entschieden. »Wir haben 

keine Zeit zu verlieren. Je schneller wir wieder in unseren Quartieren 
sind, desto besser. Meinst du, ich habe Lust, einem Frühaufsteher in 
die Arme zu laufen?« 

»Aber...« 
»Kein Aber! Wozu sollen wir jetzt auch Gold mitnehmen? Wenn 

wir ihn haben ...«, Friedrich deutete auf den Alchimisten, »... haben 
wir alles Gold der Welt.« 

Felix mußte zugeben, daß dieser Einwand berechtigt war. Wenn 

man den Goldesel im Stall hatte, brauchte man nicht seinen Mist 
aufzuklauben. 

»Also gut«, sagte er, »lassen wir den Güldenburgern ihre Schätze. 

Beschränken wir uns auf das Wesentliche!« Er trat entschlossen auf 
den alten Mann zu. 

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Thegan machte instinktiv zwei Schritte rückwärts. »Was ... was 

habt ihr mit mir vor?« 

»Du hast lange genug für Graf Heribert gearbeitet. Langsam ist es 

an der Zeit, daß du den Dienstherrn wechselst. Darum kommst du 
jetzt mit zu uns!« 

»Ihr wollt mich ... entführen?« 
»Du hast es erfaßt, alter Freund!« 
Heftig schüttelte Thegan den Kopf. »Nein, das geht nicht. Ich muß 

auf der Güldenburg bleiben, versteht ihr? Meine Tochter ...« 

»Sagten wir dir nicht, daß uns deine Tochter einen Dreck 

kümmert? Du kommst mit uns, und damit basta!« 

»Niemals werden euch die Torwächter passieren lassen«, sagte der 

Alte überzeugt. 

»Das laß nur unsere Sorge sein!« 
Der Alchimist wußte jetzt, was die Glocke geschlagen hatte. Aber 

er wollte sich noch nicht in sein Schicksal ergeben. Überraschend 
behende riß er den rechten Arm hoch und schleuderte die brennende 
Fackel auf Felix. Gleichzeitig drehte er sich um und versuchte, mit 
raschen Schritten die Tür zu erreichen. 

Es gelang ihm nicht. Genauso schnell wie Felix der  Fackel durch 

geschicktes Abducken auswich, handelte auch Friedrich. Mit einem 
langen Satz war er bei dem Alten und packte ihn an der linken 
Schulter. Er wirbelte den Alchimisten herum und versetzte ihm einen 
wuchtigen Fausthieb mitten ins Gesicht. Thegan  stürzte zu Boden, 
als sei er von einem Blitzschlag getroffen worden. 

»Hoffentlich hast du ihn nicht totgeschlagen«, sagte Felix, 

während er sich nach der Fackel bückte. 

Friedrich beugte sich über den Alten. »Keine Bange, er lebt. Aber 

er hat das Bewußtsein verloren.« 

»Um so besser! So bereitet er uns wenigstens keine 

Schwierigkeiten mehr.« 

Friedrich holte ein paar Lederriemen hervor, die zur Ausrüstung 

des Pferdegespanns gehörten. Im Handumdrehen hatte er den alten 
Mann an Händen und Füßen gefesselt.  Wenn Thegan aus der 

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Bewußtlosigkeit erwachte, würde er nicht in der Lage sein, ein Glied 
zu rühren. Zum Schluß stopfte Friedrich ihm ein grobes Tuch 
zwischen die Zähne, daß der Alchimist zu würgen begann. 

»So, das sollte genügen«, sagte er befriedigt. »Faß mit an!« 
»Warte noch«, erwiderte Felix. »Ich sehe zuerst mal nach, ob die 

Luft rein ist.« 

Er verließ die Räume Thegans und huschte die Treppe hinauf. 

Durch die spaltbreit geöffnete Turmtür blickte er hinaus auf den Hof. 

Erleichtert stellte er fest, daß die Lage unverändert war. Noch 

immer kündigte sich die Morgendämmerung nicht an. Die Wächter 
auf der Burgmauer machten ruhig ihre Kontrollgänge. Ansonsten 
regte sich nichts. Niemand ahnte auch nur im geringsten, was im 
Turm des Alchimisten geschehen war. 

Felix kehrte zu Friedrich und Thegan zurück. Der alte Mann war 

weiterhin ohne Bewußtsein und würde das wohl auch noch eine 
Weile bleiben. Wo Friedrich hinschlug, wuchs längere Zeit kein Gras 
mehr. 

Die beiden Klosterburger schlossen die Eingangstür von Thegans 

Behausung sorgfältig ab und löschten die Fackel. Dann packten sie 
den Gefesselten und trugen ihn die Treppe hinauf. Schwierigkeiten, 
ihn zu tragen, hatten sie nicht. Der alte Mann, klein und 
ausgemergelt wie er war, wog nicht allzuviel. 

Als der Patrouillengänger auf der Burgmauer gerade nicht in Sicht 

war, huschten Friedrich und Felix mit ihrer menschlichen Last über 
den Hof. Ihr Ziel war das niedrige, klobige Gebäude, in dem die 
Vorratskammern untergebracht waren. Auch der Weinkeller befand 
sich hier. 

Wiederum gab es keine Probleme. Da es auf der Güldenburg 

niemand nötig hatte, Mundraub zu begehen, gab es auch keine 
besonderen Sicherungsmaßnahmen. Bis in den Weinkeller 
vorzudringen, war für die beiden Klosterburger ein Kinderspiel. Sie 
konnten es jetzt sogar wieder wagen, die Fackel anzuzünden. 

Die Fässer mit dem »schlesischen« Wein standen gleich vornan. 

Und mit einem dieser Fässer hatte es eine ganz besondere 

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Bewandtnis. Es war nicht mit gesäuertem Wein, sondern mit 
einfachem Wasser gefüllt. Außerdem ließ sich der Boden des Fasses 
abnehmen. 

Felix und Friedrich stellten das Faß auf den Kopf und lösten mit 

geschickter Hand den Boden. Dann schleppten sie den Weinbehälter 
in die äußerste Ecke des Kellers und schütteten das Wasser aus. 
Zurück blieb nur das Stroh, mit dem die Wandung des Fasses 
ausgekleidet war. 

»So, nun rein mit unserem Freund«, sagte Friedrich. 
Felix leuchtete dem alten Mann mit der Fackel ins Gesicht. 
Thegans Lider zuckten, öffneten sich. Er hatte das Bewußtsein 

wiedererlangt. Seine Augen weiteten sich vor Angst. Krampfhaft 
versuchte er, sich zu bewegen, was ihm jedoch nicht gelang. Die 
Fesselung saß zu gut und zu fest. 

»Gib dir keine Mühe, Alter«, sagte Felix. »Je weniger zu 

strampelst, desto angenehmer hast du es. Sonst schneiden dir die 
Riemen immer tiefer ins Fleisch.« 

»Kein überflüssiges Geschwätz«, mischte sich Friedrich 

ungeduldig ein. »Rein mit ihm und dann weg hier!« 

Sie packten Thegan an den Schultern, hoben ihn hoch und steckten 

ihn dann in das Faß. Es schien wie gemacht für ihn zu sein. Arme 
und Beine waren zwar etwas unglücklich verwinkelt, aber das ließ 
sich leider nicht ändern. 

»Den Deckel drauf!« 
Thegan gab ein paar erstickte Töne von sich. Aber diese waren 

wegen des Knebels in seinem Mund so leise, daß sie kaum  zu hören 
waren. Die beiden Klosterburger kümmerten sich nicht um sein 
ohnmächtiges Lamentieren. Sie nahmen den Bodeneinsatz und 
drehten ihn wieder auf dem Faß fest. 

»Gehen wir«, drängte Friedrich. 
»Langsam, langsam. Willst du, daß er erstickt?« 
»O ja, natürlich, das Spundloch!« 
Mit Hilfe eines Holzpflocks sorgte Friedrich dafür, daß der 

Gefangene Luft bekam. 

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Felix rüttelte an dem Faß. 
»Hm«, machte er, »fühlt sich sehr leicht an. Gar nicht so, als ob es 

mit Wein gefüllt sei.« 

»Na und? Wir müssen eben zusehen, daß keiner der Güldenburger 

an das Faß herankommt. Wenn wir es morgen früh als erstes 
nehmen, um es auf den Wagen zu tragen, kann eigentlich nichts 
schiefgehen.« 

»Hoffen wir es«, sagte Felix. 
Er hielt noch einmal das Ohr ganz dicht an das Faß, konnte aber 

keinen Laut vernehmen. Die Strohverkleidung dämpfte die 
schwachen Töne, die Thegan von sich gab. 

Nun traten die beiden Männer den Rückzug an. Sie hofften, daß 

ihnen das Glück auch weiterhin treu blieb. 

Das Glück blieb ihnen treu. Unbemerkt erreichten Friedrich und 

Felix wieder ihr Quartier. 

* 

Roland war es  nicht gewohnt, lange zu schlafen. Meist war er schon 
auf den Beinen, wenn die ersten Sonnenstrahlen den Himmel am 
Horizont rosa färbten. 

An diesem Morgen war das nicht anders. Mit einem Bottich 

eiskalten Wassers, das die Güldenburg aus einem Ziehbrunnen 
bezog, vertrieb er die letzten Fetzen der Müdigkeit und machte sich 
dann auf den Weg, um auch den Magen an den neuen Tag zu 
gewöhnen. 

Es herrschte schon emsiger Betrieb auf dem Burghof. Bedienstete 

eilten hin und her, die Stallknechte kümmerten sich um ihre Tiere, 
und auch die ersten Ritter ließen sich bereits blicken. 

Und noch etwas tat sich auf dem Hof. Das Fuhrwerk des 

schlesischen Adligen stand mit eingespannten Pferden da und wurde 
gerade beladen. Roland konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht 
verkneifen, als er sah, daß Freigraf Felix gezwungen war, selbst mit 
Hand anzulegen. Keiner der Burgbewohner rührte einen Finger. So 

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hatte der Schlesier nur die Unterstützung seines Kutschers. Der 
vornehmen Kleidung des Mannes bekam das Fässerschleppen gar 
nicht. Und er tat sich sichtlich schwer, wenn es darum ging, die 
Fässer auf den Wagen zu wuchten. 

Mit einem Lächeln auf den Lippen schlenderte der Ritter mit dem 

Löwenherzen herbei. 

Gerade hatten die beiden Schlesier das dritte Faß auf die 

Ladefläche gehievt. Schweratmend stand Felix von Leubus da und 
betrachtete mißmutig seine Hände, die voll von unadeligem Schmutz 
waren. 

»Ihr tätet besser daran, den Wein auszuschütten und die Fässer 

dem Grafen zu überlassen«, sagte Roland spöttisch. »So hätte der 
Burgherr wenigstens ein Geschenk von Euch, mit dem er etwas 
anfangen kann.« 

Der Adlige aus den östlichen Landen bedachte ihn mit einem 

bösen, unfreundlichen Blick. 

»Kümmert Euch um Eure  Angelegenheiten, Ritter«, erwiderte er 

ausgesprochen unwirsch. 

Dann wandte er sich ab, um gemeinsam mit seinem Fuhrknecht das 

nächste Faß zu holen. 

Roland verlor das Interesse an dem Freigrafen, den er von Anfang 

an nicht gemocht hatte. Er ging zum Ritterhaus hinüber, wo er hoffte, 
ein kräftiges Frühstück zu ergattern. 

Seine Hoffnung war nicht trügerisch. Auf der Güldenburg ließ es 

sich gut leben. Entsprechend war die Verpflegung. Nicht Hafergrütze 
und geschmackloses Gemüse, sondern saftiges Fleisch und 
knuspriges Brot wurden gereicht. Dazu gab es süffigen Wein, den 
man selbst kelterte. Welche Wohltat war dieser doch im Vergleich zu 
dem niederträchtigen Gesöff, das der Schlesier zu präsentieren 
gewagt hatte. 

Roland nutzte die Gelegenheit, um mit den anwesenden Rittern des 

Grafen etwas zu plaudern. Wie von ungefähr brachte er das Gespräch 
auf Thegan, den Alchimisten. Aber er , mußte die Feststellung 
machen, daß die Güldenburger offenbar gar nicht so gerne über ihren 

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Goldmacher redeten. Jedenfalls legten sie sich eine geradezu 
merkwürdige Zurückhaltung auf, wenn der Name Thegan fiel. 
Roland konnte lediglich in Erfahrung bringen, daß der Alchimist in 
dem Turm hauste, der dem Burgtor schräg gegenüberlag. 

Immerhin, diese Auskunft war ja auch schon etwas wert. Roland 

beschloß, dem alten Mann einen Besuch abzustatten. Er 
beabsichtigte nicht, Graf Heribert vorher davon in Kenntnis zu 
setzen. Der Burgherr brachte es glatt fertig, ihm den Besuch bei 
Thegan zu untersagen. Und darauf wollte er es gar nicht erst 
ankommen lassen. 

Als er das Ritterhaus verließ, sah er gerade noch, wie der Wagen 

des schlesischen Freigrafen über die Zugbrücke rollte. Felix von 
Leubus schien es ziemlich eilig zu haben, die Burg verlassen zu 
können. Jedenfalls peitschte sein Kutscher geradezu wild auf die 
Zugpferde ein. 

Nun ja, dachte Roland flüchtig, verdenken kann man es ihm nicht. 

Die Behandlung, die dem Grafen während und nach dem 
mißglückten Gelage zuteil geworden war, hatte ihm die Güldenburg 
ganz gewiß gründlich verleidet. 

Roland vergaß den Schlesier und schlenderte scheinbar ziellos über 

den Burghof. Er blieb mal hier, mal dort stehen und gelangte auf 
diese Weise dicht an die Eingangstür des Turms heran. Und als er 
glaubte, daß niemand auf ihn achtete, schlüpfte er schnell durch diese 
Tür und befand sich im Inneren des Turms. 

So, das war erst einmal geschafft! 
Im Keller des Turms sollte der Alchimist hausen, hatte man ihn 

wissen lassen. Wohlan denn, sagte er zu sich selbst, steigen wir die 
Treppe hinab. 

Dies tat er dann auch. Viel sehen konnte er nicht, denn im 

Treppenhaus gab es kein Fenster. So war er auf das bißchen Licht 
angewiesen, das durch die halb offenstehende Hoftür einfiel. Sich an 
der Wand entlangtastend, ging er nach unten. Eine massive Tür gebot 
ihm schließlich Halt. 

Die Tür war verschlossen, sie ließ sich von außen nicht öffnen. 

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Roland klopfte an, rief dabei halblaut Thegans Namen. 
Er bekam keine Antwort. Und natürlich wurde die Tür auch nicht 

geöffnet. 

Auch alle weiteren Versuche, sich Gehör zu verschaffen, 

scheiterten. Der Alchimist meldete sich nicht. 

Achselzuckend gab Roland schließlich auf. Thegan war ein 

Sonderling, das hatte er längst begriffen. Er mochte die Menschen 
nicht, hielt sich am liebsten für sich. Wenn er partout nicht 
aufmachen wollte, dann war dagegen kein Kraut gewachsen. Wie es 
aussah, würde es sich Sir Ector wohl endgültig aus dem Kopf 
schlagen müssen, Bekanntschaft mit dem Güldenburger Goldmacher 
zu schließen. 

Ärgerlich schritt Roland die Treppe wieder hinauf. Seine Mission 

war gescheitert, und das verdroß ihn sehr. Er wußte gar nicht, was er 
Sir Ector sagen sollte, wenn er wieder nach Camelot kam. Ganz 
bestimmt würde der Vertraute des Königs enttäuscht von ihm sein. 
Und wenn dann auch noch König Artus davon erfuhr... 

Himmel, Arsch und Zwirn! 
Als Roland den Turm verließ und auf den Burghof hinaustrat, hatte 

er gleich noch einmal Grund zum Fluchen. Drei Güldenburger Ritter 
traten ihm entgegen. 

Mit gezückten Schwertern in der Hand... 

* 

Ein Graf einst hatte sich geschworen 

Zu enden des Herzogs Tyrannei 

Mächtig wollte selbst er sein - und frei 
Der Graf gab sich auch nicht verloren 

Als des Herzogs Knechte gerade ihn erkoren 

Sterbend auszustoßen den letzten Schrei 
Sie teilten den Leib ihm in der Teile drei 

Da ward des Grafen Sohn geboren 

Die Jahre vergingen 

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Der Jüngling reifte zum Mann 

Das Schwert packte er als Knabe schon an 

Endlich konnte er erringen 

Den Sieg, den der Vater erstrebte 

Der Herzog sein eigenes Ende nicht  mehr erlebte. 

 

Donnernder Applaus brach los, als der Sänger seine Ballade 

beendete und die Laute aus der Hand legte. 

»Fürwahr, Ihr seid ein großer Dichter«, sagte Freiherr Ingolf 

begeistert. »Ihr hättet es verdient, Eure Kunst am Hofe des Königs 
vorzutragen!« 

»Oder am Hofe des Herzogs«, sagte der blonde Ritter Sven 

anzüglich. 

Lob und Applaus beeindruckten Volker vom Hohentwiel nicht 

sonderlich. In der Tat hatte er seine Lieder schon an so manchem 
Königshof vorgetragen und war dafür stets überschwenglich gefeiert 
worden. Aber er war kein Mann, der viel Aufhebens von seinen 
Erfolgen machte. Er war zufrieden, wenn seine Weisen gefielen und 
er sich für die Gastfreundschaft, die man ihm erwies, erkenntlich 
zeigen konnte. 

So war es auch hier in der Klosterburg des Freiherrn Ingolf, wo er 

übernachtet hatte und nun noch die morgendliche Brotzeit zu sich 
nahm, bevor er weiterzog. 

Ziel seiner Reise war die Güldenburg, wo er seinen Freund Roland 

zu treffen hoffte, der dort gegenwärtig weilen sollte. 

»Kommt, Ritter Volker«, sagte Freiherr Ingolf, »für diese prächtige 

Weise gebührt insbesondere Eurer goldenen Kehle Dank. Darum 
trinkt noch einen Becher Wein.« 

Volker hatte nichts dagegen. Für einen guten Tropfen war er 

immer empfänglich. Und der Wein, der hier auf der Klosterburg 
ausgeschenkt wurde, war gut. 

Einer der Getreuen des Freiherrn wollte Volkers Becher füllen. 

Aber der große Krug auf dem Tisch war leer. 

»Einen neuen Krug«, befahl Ingolf. »Oder wollt Ihr, daß unser 

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Gast verdurstet?« 

Eine Schankmagd huschte davon und kehrte wenig später mit dem 

wieder gefüllten Krug zurück. Jetzt endlich konnte Volker seinen 
Becher zum Mund führen. 

»Auf Euer Wohl, Baron Ingolf!« 
Volker trank. 
Und spuckte sofort wieder aus, was er im Mund hatte! 
»Pfui, Teufel«, stieß er hervor, während sich Gaumen und Zunge 

angewidert zusammenzogen. »Seit wann ist es Sitte, seinen Gästen 
puren Essig zu kredenzen?« 

Der Freiherr blickte ihn verblüfft an. »Essig? Wie kommt Ihr auf 

diesen Gedanken, Ritter Volker?« 

»Probiert selbst«, entgegnete Volker und deutete auf den noch 

wohlgefüllten Krug. 

»Gewiß!« 
Ingolf winkte der Schankmagd und ließ sich seinen eigenen Becher 

füllen. Dann trank er. 

Und spuckte ebenfalls. 
Aber anstatt nun empört oder wenigstens doch peinlich berührt zu 

sein, brach er in lautes Lachen aus. Ja, er konnte sich gar nicht 
wieder beruhigen und klatschte sich vor Vergnügen auf die Schenkel. 

»Das ist gut«, japste er. »Der Fuchs hat sich in seiner eigenen Falle 

gefangen.« 

Und wieder wollte er sich vor Lachen schier ausschütteln. 
Volker war ein Mann, der durchaus Sinn für Scherz und Narretei 

hatte. Jetzt jedoch konnte er gar nicht lachen. Und das um so 
weniger, als sich nun auch die anderen Klosterburger von der 
Heiterkeit ihres Herrn anstecken ließen und in sein Gelächter 
einfielen. 

Der Freiherr erkannte, daß sein Gast überaus verärgert war. 
»Verzeiht, Ritter Volker«, sagte er. »Aber es war gewiß nicht 

unsere Absicht, uns auf Eure Kosten zu belustigen. Es liegt ein 
Versehen vor. Die Magd hat lediglich das Faß verwechselt, aus dem 
sie den Krug abfüllte. Dieser saure Wein war nicht für Euch, sondern 

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für jemand anderen bestimmt.« 

Volker rang sich jetzt doch ein Lächeln ab. Wenn es sich 

tatsächlich nur um ein Versehen handelte, sollte man nicht 
nachtragend sein. 

»Für wen war dieses abscheuliche Gebräu denn wirklich 

bestimmt?« erkundigte er sich. 

Ganz plötzlich wurde Ingolf ernst. »Darüber wollen wir nicht 

sprechen«, sagte er ziemlich kurz. Dann wies er die Magd an, einen 
neuen Krug Wein zu holen. Diesmal aber vom richtigen. 

Als Volker eine Weile später die Klosterburg verließ, hatte er den 

Vorfall mit dem sauren Wein fast schon wieder vergessen. 

Fast... 

* 

»Was tut Ihr hier, Ritter?« 

Drohend standen die drei Gräflichen vor Roland, die Spitzen ihrer 

Schwerter auf seine Brust gerichtet. 

Unwillkürlich fuhr Rolands Rechte zur Hüfte, verhielt jedoch auf 

halbem Wege. Er besaß ja gegenwärtig gar kein Schwert, konnte sich 
also nicht gebührend zur Wehr setzen. Eingeschüchtert fühlte er sich 
aber dennoch nicht. 

»Ich liebe es gar nicht, wenn mich einer mit der blanken Waffe 

bedroht«, sagte er scharf. 

»Und wir lieben es gar nicht, wenn einer den Weisungen unseres 

Herrn zuwiderhandelt«, bekam er zur Antwort. »Was habt Ihr bei 
Thegan gemacht?« 

»Nichts«, erwiderte Roland wahrheitsgemäß. 
»Nichts? Was heißt das?« 
»Ich habe Euren Goldmacher gar nicht gesprochen. Er hat mir 

nicht geöffnet. Vielleicht ist er auch gar nicht in seinem Bau.« 

Die drei Ritter glaubten ihm offenbar nicht. 
»Davon werden wir uns überzeugen«, sagte der eine. »Und Ihr 

kommt mit uns!« 

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»Ganz wie es Euch beliebt.« 
Eine Fackel wurde entzündet, dann betraten die vier Männer den 

Turm. Zu Rolands Mißfallen hatten die Güldenburger ihre Schwerter 
nicht wieder in die Scheiden zurückgesteckt. Ihr Argwohn ihm 
gegenüber schien sehr groß zu sein. 

Es stellte sich dann heraus, daß die drei nicht mehr Glück hatten 

als er. Der Alchimist gab keine Antwort auf ihr Klopfen. Und 
natürlich öffnete er auch die Tür nicht. 

»Das hätte ich Euch gleich sagen können«, meinte der Ritter mit 

dem Löwenherzen anzüglich. 

Die drei Ritter redeten leise miteinander und kamen zu der 

Auffassung, daß es ratsam sei, Graf Heribert zu holen. Einer von 
ihnen entfernte sich, während die beiden anderen gemeinsam mit 
Roland vor der verschlossenen Tür warteten. 

Es dauerte gar nicht lange, dann kam der Burgherr. In seiner 

Begleitung befanden sich noch zwei weitere seiner Getreuen. 

Wieder wurde an die Tür geklopft, wieder wurde Thegans Name 

laut gerufen. Aber der Alchimist meldete sich auch jetzt noch nicht, 
obwohl Graf Heribert höchstpersönlich seine Stimme erschallen ließ. 

Der Burgherr blickte Roland mit gefurchter Stirn an. »Was habt Ihr 

mit ihm gemacht - ihn umgebracht?« 

»Was?« Roland glaubte, nicht richtig gehört zu haben. 
»Ich meine, was ich sagte!« 
Roland lachte auf. »Ihr müßt scherzen, Graf Heribert! Warum 

sollte ich Thegan umgebracht haben?« 

»Ihr mißgönnt mir meinen Goldmacher!« 
»Ich mißgönne Euch ... ?« 
»Nicht Ihr persönlich vielleicht. Wohl aber der Herr von Camelot, 

in dessen Diensten Ihr steht. Artus kann es nicht ertragen, daß es 
jemanden gibt, der es an goldener Pracht mit ihm aufnehmen kann.« 

Wieder mußte Roland lachen. »Verzeiht, Graf Heribert, aber es 

fällt mir schwer, meine Erheiterung zu verbergen. König Artus ist ein 
Mann, der über Dinge wie Neid und kleine Eifersüchteleien erhaben 
ist. Es ist geradezu lächerlich ...« 

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»Lächerlich?« echote der Graf. »Ritter, Ihr wißt wohl nicht, wen 

Ihr vor Euch habt?! Was ich sage, ist niemals lächerlich!« 

Bevor Roland etwas erwidern konnte, wandte er sich an seine 

Getreuen: »Sucht  überall in der Burg nach Thegan. Und wenn ihr ihn 
nicht findet, dann brecht die Tür auf!« 

Die Suche, an der sich nahezu alle Burgbewohner beteiligten, war 

alsbald abgeschlossen. Das Ergebnis war nicht dazu angetan, 
Rolands Herz vor Freude hüpfen zu lassen. Nirgendwo hatte sich 
auch nur die kleinste Spur von dem Alchimisten finden lassen. 

Die Tür wurde aufgebrochen, die Räumlichkeiten des alten 

Mannes durchsucht. 

Und noch immer keine Spur von ihm! 
Drohend trat der Graf auf Roland zu. »Legt ein Geständnis ab, 

Ritter! Was habt Ihr mit Thegan gemacht? Ihn ebenfalls ermordet 
und heimlich verschwinden lassen?« 

»Ebenfalls?« 
»Noch ein zweiter Mann wird vermißt«, erklärte Heribert. »Ein 

Mann, der meine Schatzkammer bewachte!« 

Der Unmut wallte in Roland hoch wie siedendes Wasser. »Nun 

und, was ficht mich das an? Wie kommt Ihr ernstlich darauf, daß 
ausgerechnet ich... ?« 

»Das sagte ich Euch bereits. Ihr neidet mir meinen Reichtum! Und 

findet Ihr es nicht selbst merkwürdig, daß Thegan und der Wächter 
gerade in der kurzen Zeit verschwanden, die Ihr auf der Güldenburg 
weilt?« 

»Ein dummer Zufall, mehr nicht«, verwahrte sich der Ritter mit 

dem Löwenherzen gegen die grotesken Vorwürfe. 

»Dann war es auch ein Zufall, daß Euch meine Getreuen vor der 

Tür Thegans fanden? Heimlich und im Schutz der Dunkelheit hattet 
Ihr Euch an ihn herangemacht...« 

»Reden wollte ich mit ihm, nichts sonst! Und wer etwas anderes 

behauptet, ist ein Lügner. Eine Ehrabschneidung, wie sie mir hier 
zuteil wird, nehme ich nicht ungestraft hin.« 

»So, so«, sagte der Burgherr spöttisch, »wie stellt Ihr Euch denn 

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eine solche Bestrafung vor?« 

Der offenkundige Spott des Grafen reizte Rolands heißes Blut noch 

mehr, als es ohnehin schon der Fall war. 

»Wenn Ihr Eure ungeheuerlichen Anschuldigungen nicht 

zurücknehmt, fordere ich Euch zum ritterlichen Zweikampf!« sagte 
er entschlossen. 

Heribert lachte. 
»Ihr lacht?« stellte Roland erbost fest. »Das Lachen wird Euch 

vergehen, wenn Ihr vor mir im Staub liegt  und mich anfleht, Euer 
Leben zu schonen!« 

»Ihr müßt toll sein«, erwiderte Graf Heribert kopfschüttelnd. 

»Glaubt Ihr allen Ernstes, daß sich ein Mann wie ich mit einem 
hergelaufenen Ritter wie Euch duelliert?« 

»Hergelaufener ... ?« Vor Empörung versagte Roland die Stimme. 
»Hergelaufener Strauchritter, ganz recht!« 
Das war zuviel für den Ritter mit dem Löwenherzen. Als 

hergelaufenen Strauchritter hatte ihn noch niemand bezeichnet. Und 
das ließ er sich auch von einem Grafen nicht bieten. 

Bevor ihn irgend jemand daran hindern konnte, machte er zwei 

schnelle Schritte nach vorne, holte aus und versetzte dem Burgherrn 
eine schallende Ohrfeige. 

»So«, sagte er befriedigt. »Nun werdet Ihr vielleicht doch darauf 

brennen, Euch mit mir zu duellieren!« 

Eine Ohrfeige war die größte Beleidigung, die einem Mann von 

Stande widerfahren konnte. Für diese Schmach gab es nur eine 
Genugtuung, nur eine Sühne. 

Blut! 
Und danach stand jetzt auch der Sinn .des Grafen. Seine Augen 

funkelten wie glühende Holzkohlen, seine Hände zitterten vor 
innerer Erregung. 

»Das zahlt Ihr mit Eurem Blute«, zischte er. »Aber Euer Blut wird 

nicht im Sand des Gefechtsrings fließen, sondern auf dem Richtblock 
des Henkers!« 

Der Graf wandte sich an seine Getreuen, die sich bisher nicht 

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eingemischt hatten. 

»Packt ihn, und werft ihn ins Verlies!« 
Fünf Männer schlossen einen Ring um Roland, den der Ritter mit 

dem Löwenherzen nicht durchbrechen konnte. Hätte er sein Schwert 
besessen, wäre er dennoch versucht gewesen, sich mit der Klinge 
eine Gasse zu bahnen. So jedoch erstickten die Güldenburger seinen 
Widerstand im Keime. Binnen kürzester Zeit war er überwältigt. 

* 

Zwar war Volker vom Hohentwiel schon ein paarmal im 
Frankenland gewesen. Die Güldenburg hatte er aber noch nie 
aufgesucht. Deshalb war es ihm ganz recht, wenn er unterwegs 
jemanden traf, den er nach dem Weg fragen konnte. 

Ein Pferdefuhrwerk kam ihm entgegen. Der Wagen war mit 

Fässern beladen, und auf dem Bock saßen zwei Männer, der eine 
vornehm und würdig gekleidet, der andere in derber Kluft. Ein Herr 
vom Stande und sein Kutscher, wie es schien. 

Das Fuhrwerk preschte heran, als gelte es, ein Wagenrennen zu 

gewinnen. Den beiden Pferden stand der Schaum vor dem Maul. 
Dennoch drosch der Kutscher mit der Peitsche auf  die Tiere ein, um 
sie zu noch schnellerer Gangart zu bewegen. 

Als der Wagen fast heran war, zügelte Volker sein Reittier und hob 

die Hand. 

»Auf ein Wort ...« 
Die beiden Männer beachteten ihn gar nicht, jagten mit ihrem 

Wagen an ihm vorbei, als sei er gar nicht da. Eine Staubwolke hüllte 
Volker ein, und als sich diese wieder lichtete, war das Fuhrwerk 
bereits ein ganzes Stück entfernt. 

Kopfschüttelnd blickte Volker hinterher. Eine solche Unhöflichkeit 

war ihm höchst selten untergekommen. Eigentlich gab es  nur eine 
Erklärung für die wilde Hast der beiden Männer auf dem 
Kutschbock: Sie wurden von irgend jemandem verfolgt. 

Davon konnte jedoch keine Rede sein. Als Volker seinen Weg 

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fortsetzte, begegnete ihm niemand, der Jagd auf den Wagen machte. 
Mit einem abermaligen Kopfschütteln ritt er weiter. 

Bald traf er ein paar Bauern auf dem Feld, die weniger unhöflich 

waren. Bereitwillig und freundlich beschrieben sie ihm den weiteren 
Weg zu seinem Ziel. 

Es war Nachmittag, als Volker schließlich die Güldenburg vor sich 

sah. Er hatte schon mehr Burgen in seinem Leben gesehen als die 
meisten anderen Menschen. Der Herrschaftssitz des Grafen Heribert 
machte auf den ersten Blick keinen besonderen Eindruck auf ihn. Sie 
lag auf einem kleinen Hügel, der nicht einmal sonderlich steil 
anstieg. Dennoch konnte man sie mit Fug und Recht als 
uneinnehmbar bezeichnen. Von drei Seiten fielen die Felsen schroff 
ab, unmittelbar bis zum Ufer des Mains, der am Fuß des Hügels 
vorbeifloß. 

Volker lenkte sein Pferd den einzigen Weg hinauf, der zu der Burg 

führte. Vor dem breiten Wassergraben hielt er. 

Zwei Wächter auf der Burgmauer wandten sich ihm zu. »Wer seid 

Ihr? Und was ist Euer Begehr?« 

»Mein Name ist Volker vom Hohentwiel. Vielleicht habt Ihr schon 

einmal von mir gehört.« 

»Nein«, schallte es zurück. 
Hohle Tröpfe, dachte Volker. Vom Minnegesang schienen sie 

keine Ahnung zu haben. Hier im Frankenland hielt man es wohl 
mehr mit der Völlerei und dem Saufen als mit der hehren Kunst, zu 
deren hervorragendsten Vertretern er sich zählen durfte. 

»Euer Begehr?« wurde er abermals gefragt. 
»Ich suche einen Mann namens Roland, den man den Ritter mit 

dem Löwenherzen nennt.« 

»Roland?« 
»So ist es.« 
Die beiden Wächter tauschten einen Blick, der Volker gar nicht 

gefallen wollte. 

»Seid Ihr etwa ein Freund von diesem Roland?« wurde er gefragt. 
Etwas in der Stimme des Mannes und der Blick, den er soeben mit 

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dem anderen getauscht hatte, ließen eine Alarmglocke in Volkers 
Innerem anschlagen. Normalerweise hätte er keine Sekunde 
gezögert, Roland als seinen Freund zu bezeichnen, als seinen besten 
Freund sogar. Jetzt jedoch hielt er Zurückhaltung für das Gebot des 
Augenblicks. 

»Ein Freund?« wiederholte er deshalb gedehnt. »So würde ich es 

nicht nennen.« 

»Euer Glück, Ritter! Einen Freund dieses Hundsfotts  würden wir 

hier gar nicht gerne sehen.« 

»Hundsfott!« 
Das war hart. Wenn ein Ritter einen anderen als Hundsfott 

bezeichnete, mußten gewichtige Gründe vorliegen. Alles sprach 
dafür, daß sieh Roland auf der Güldenburg höchst unbeliebt gemacht 
hatte. 

Warum? 
Noch wußte es Volker nicht. Aber er würde alles daran setzen, es 

alsbald herauszufinden. 

»Ist jener Roland nun auf der Güldenburg, oder ist er es nicht?« 

erkundigte er sich. 

»Ja, er ist hier.« 
»Gut«, nickte Volker. »Ich habe nämlich noch ein Hühnchen mit 

dem Kerl zu rupfen.« 

Während er diese abfälligen Worte sagte, kam er sich ein bißchen 

wie Jünger Judas vor, der seinen Herrn verraten hatte. Aber in der 
gegenwärtigen Situation war Roland damit zweifellos am besten 
gedient. 

Ein rauhes Lachen der beiden Burgwächter war die Antwort auf 

seine Worte. 

»Zum Hühnchenrupfen werdet Ihr wohl nicht mehr kommen. Aber 

wenn es Euch Vergnügen bereitet, den Kopf Rolands rollen zu sehen, 
dann seid Ihr auf der Güldenburg gerade richtig!« 

Wenig später wurde die Zugbrücke heruntergelassen und Volker 

vom Hohentwiel eingelassen. 

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* 

»Macht Euch noch eine schöne Nacht, bevor Ihr zu den Engelein 
gerufen werdet!« 

Das waren die Worte der Güldenburger gewesen, als sie Roland in 

das Verlies hineinstießen. 

Zuerst hatte der Ritter mit dem Löwenherzen gar nicht gewußt, 

was die Worte bedeuten sollten. Sie waren ihm wie blanker, ätzender 
Hohn vorgekommen. Dann jedoch hatte er gemerkt, daß er nicht 
allein in seinem Gefängnis war. Es gab einen Leidensgefährten. 
Genauer gesagt, eine Leidensgefährtin. 

»Wer seid Ihr?« drang eine schwache weibliche Stimme an sein 

Ohr. 

Etwas mühsam richtete sich Roland auf. Die Güldenburger waren 

nicht sehr zart mit ihm umgegangen und hatten ihn recht roh auf die 
harten Steinplatten geschleudert. Alle seine Glieder schmerzten 
miteinander um die Wette. 

»Roland ist mein Name«, sagte er. »Und wer seid Ihr?« 
»Ich heiße Thilde.« 
»Thilde«, wiederholte der Ritter mit dem Löwenherzen. »Das ist 

ein sehr schöner Name. Er fragte sich, ob das  Mädchen genauso 
schön war, wie ihr Name versprach. Sehen konnte er seine 
Leidensgefährtin nicht, denn in dem fensterlosen Verlies war es 
stockfinster. »Was habt Ihr verbrochen, daß man Euch hier 
eingesperrt hat?« erkundigte er sich. 

»Nichts«, bekam er zur Antwort. 
»Hm«, brummte Roland, »dann geht es Euch wie mir. Fragen wir 

anders: Was wirft man Euch vor?« 

»Auch nichts!« 
»Auch nichts?« Roland runzelte die Stirn, was das Mädchen in der 

Dunkelheit natürlich nicht sehen konnte. 

»Mein einziges Verbrechen ist es, die Tochter eines Mannes zu 

sein, den Graf Heribert zwingt, ihm zu Willen zu sein. Wenn sich 
mein Vater unbotmäßig erweist, muß ich es... bitterlich .. . büßen.« 

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Die letzten Worte gingen in einem herzzerreißenden Schluchzen 

unter. 

Roland konnte es nicht ertragen, wenn eine Frau weinte. Er erhob 

sich aus seiner sitzenden Stellung und tastete sich in die Verliesecke 
vor, wo er das Mädchen vermutete. Das Schluchzen war wie ein 
Wegweiser. Er fand die junge Frau und ließ sich neben ihr nieder. 

»Nicht weinen«, sagte er leise und streckte die Hand aus. 
Er berührte den Oberarm des Mädchens und streichelte dann 

begütigend ihre Schulter. 

Schon nach wenigen Augenblicken stutzte er. 
Was war das? 
Unter dem dünnen Stoff spürte er zarte, samtweiche Haut. Auf 

dieser Haut jedoch... Rauhe, schorfige Stellen. 

»Was ist das?« fragte er mit belegter Stimme. 
»Striemen«, antwortete Thilde, die sich jetzt langsam wieder 

beruhigte. 

Genau das hatte Roland schon vermutet. 
»Woher kommen diese Striemen?« wollte er wissen. 
»Ich sagte Euch schon, daß der Graf mich als Druckmittel gegen 

meinen Vater einsetzt. Wenn er mit ihm unzufrieden ist, läßt er mich 
peitschen. Und mein Vater muß dabei zusehen.« 

Roland atmete schwer. Er hatte große Mühe, seine helle Empörung 

zu zügeln. »Das ist... schändlich«, stieß er hervor. »Niemals hörte ich 
von einer solchen Schurkerei!« 

»Ja«, sagte das Mädchen, »Heribert ist ein übler Schurke, auch 

wenn er in den Kreisen der Hochgestellten als ein Mann von 
vorbildlicher ritterlicher Gesinnung gilt.« 

Von vorbildlicher ritterlicher Gesinnung konnte wahrlich keine 

Rede sein. Das hatte Roland bereits am eigenen Leibe verspürt. Was 
der Graf jedoch diesem bedauernswerten Mädchen antat ... 

»Wer ist Euer Vater?« fragte er. 
»Mein Vater heißt Thegan.« 
»Thegan, der Goldmacher?« 
»Ja.« 

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Langsam begann Roland zu verstehen. Graf Heribert zwang den 

alten Mann, Gold herzustellen, wieder und immer wieder. Und wenn 
Thegan nicht genug von dem edlen Metall herbeischaffte, dann 
munterte er ihn auf, indem  er seine Tochter grausam quälte. 
Natürlich war dies auch der Grund, der Thegan veranlaßt hatte, die 
Einladung nach Camelot abzulehnen. 

Und nun war Thegan verschwunden! 
Würde Thilde dies büßen müssen? Wenn Heribert zu der 

Überzeugung kam, daß sein Goldmacher von der Güldenburg 
geflohen war, würde er sich gewiß an seiner Tochter rächen wollen. 
Aber nach Lage der Dinge konnte sich Roland eigentlich nicht 
vorstellen, daß Thegan wirklich die Flucht ergriffen hatte. Die Sorge 
um seine hilflose Tochter hätte ihn bestimmt daran gehindert. Roland 
konnte nur hoffen, daß auch der Graf diese Überlegungen anstellte. 

Um das Mädchen nicht zu beunruhigen, entschloß er sich, ihr 

nichts vom spurlosen Verschwinden ihres Vaters zu berichten. 
Wahrscheinlich würde sie es noch früh genug erfahren. Und zwar 
unter Umständen, die alles andere als erfreulich sein mußten. 

»Warum seid Ihr hier, Roland?« übernahm Thilde jetzt ihrerseits 

die Rolle der Fragenden. 

Roland sagte es ihr, wobei er es tunlichst vermied, die Person ihres 

Vaters zu erwähnen. 

»Oh, Ihr armer Mensch«, sagte Thilde, als er zum Abschluß 

gekommen war. »Dann seid Ihr ja dem Tode geweiht. Wie ich den 
Grafen kenne, wird er keine Gnade walten lassen.« 

Nun war es an ihr, Trost zu spenden. Sie legte den Arm um Roland 

und drückte ihn an sich. 

Roland spürte den warmen, weichen Frauenkörper, und trotz der 

widrigen Verhältnisse merkte er, wie die Erregung in ihm aufstieg. 
Er wußte nicht, wie Thilde aussah, wußte nicht, ob sie schön war wie 
eine blühende Rose oder häßlich wie ein Nachtschattengewächs, das 
das Licht des Tages scheute, aber das spielte jetzt keine Rolle. Sie 
war eine Frau, vielleicht die letzte Frau, die er in seinem Leben 
berühren konnte. 

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Er rückte noch ein Stückchen näher heran und zog Thilde in  seine 

starken Arme. Sie leistete keinen Widerstand, ließ es willig 
geschehen. Ihr Körper wurde noch weicher, noch nachgiebiger. 

Sanft strich Roland über ihr Haar. Es war lang und fühlte sich an 

wie Seide. Langsam wanderte seine Hand in ihren Nacken, fand  die 
Knöpfe ihres Kleides. Wie von selbst sprangen die Knöpfe auf, wie 
von selbst glitt das Kleid über ihre Schultern. 

Und noch immer leistete Thilde keinen Widerstand. 
»Oh, Roland«, flüsterte sie mit bebender Stimme. Aber diesmal 

bebte sie nicht vor Gram und Kummer. 

Roland zog sie noch näher an sich. Sein Mund fand ihren Mund. 

Die Lippen verschmolzen miteinander, und die Zungen begannen ihr 
erregendes Liebesspiel. 

Sanft glitten Rolands Hände über den Mädchenkörper, die glatten 

Schultern, die vollen, wohlgeformten Brüste, die vollendet 
geschwungenen Hüften, das weiche Lockenhaar zwischen ihren 
Beinen. 

Und auch Thildes Hände blieben nicht untätig. Mit einer 

Geschicklichkeit, die ihn erstaunte und entzückte, entkleidete sie ihn, 
bis er ebenso nackt war wie sie selbst. 

Dann fanden sich ihre Körper und vereinigten sich. Daß unter 

ihnen kein weiches Lager, sondern fauliges, granniges Stroh war, 
störte sie nicht im mindesten. Und auch die Nähe des Todes, der sie 
beide unerbittlich bedrohte, kümmerte sie nicht. Jetzt waren sie 
glücklich und fühlten sich wie im siebten Himmel. 

Wahrscheinlich zum letzten Mal in ihrem noch so jungen Leben ... 

* 

»Nein...«, sagte Graf Heribert, »...es wird nicht möglich sein, mit 
dem Ritter Roland zu reden. Morgen, wenn sein Kopf auf dem 
Richtblock liegt, sollt Ihr Gelegenheit bekommen, Euer Mütchen an 
ihm zu kühlen. Ich stelle es Euch frei, dem Kerl noch einmal gar 
kräftig in den Hintern zu treten!« 

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»Ich danke Euch für Eure Großzügigkeit«, sagte Volker vom 

Hohentwiel. Und da er freundlich dabei lächelte, hatte der Graf auch 
nicht das Gefühl, daß ihn sein Gast ein wenig verspottete. 

»Darf man fragen, warum Ihr einen solchen Haß auf den Ritter in 

Eurem Busen nährt?« erkundigte sich Heribert. 

»Gewiß, gewiß«, antwortete Volker. »Er hat mich zutiefst beleidigt 

- und das vor dem Angesicht einer hochstehenden Dame.« 

»Eine gemeine Tat, die ohne Frage Sühne verdient«, nickte Graf 

Heribert. 

Wieder kam sich Volker ein bißchen wie Judas vor. Er hatte aber 

keine Zeit, sein schlechtes Gewissen zu pflegen, denn es fiel ihm 
noch etwas ein. Bestimmt waren auch Louis und Pierre noch auf der 
Güldenburg. Und wenn der Burgherr beschlossen hatte, ihren Herrn 
töten zu lassen, so war nicht auszuschließen, daß er an Sippenhaft 
dachte und auch den beiden Getreuen Rolands ein böses Schicksal 
zudachte. 

»Außerdem«, fuhr Volker deshalb fort, »hat mich dieser Roland 

noch anderweitig schmählich hintergangen. Er nahm mir mein Pferd, 
entlistete mir mein Pferd beim betrügerischen Würfelspiel und preßte 
meine beiden Knappen Pierre und Louis in seine Dienste.« 

»Ein kleiner Dicker und ein schlanker Schwarzhaariger?« 
»Eben diese beiden. Sind sie hier auf der Güldenburg?« 
»Ja.« 
»Hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich die beiden wieder in meine 

Dienste nehme?« 

Er bemerkte des Grafen Zögern und fuhr schnell fort: »Nur 

ungerne sind sie dem Roland gefolgt, denn in Wahrheit waren sie mir 
stets treu ergeben. Allein wegen des verlorenen Würfelspiels mußte 
ich sie mit dem Betrüger ziehenlassen.« 

Zunächst zögerte Heribert wieder, dann jedoch nickte er langsam 

und bedächtig. 

»Wenn die Dinge so liegen, so sollt Ihr zurückbekommen, was 

Euch gehört. Ich habe nichts dagegen.« 

»Sehr großzügig von Euch«, erwiderte Volker, und diesmal meinte 

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er es in keiner Weise spöttisch. 

Anschließend erkundigte er sich dann noch, aus welchem Grund 

der Graf eigentlich entschieden hatte, daß Rolands Kopf rollen sollte. 

»Dieser Ritter, den man den mit dem Löwenherzen nennt, hat zwei 

meiner Getreuen ermordet«, bekam er zur Antwort. »Und darüber 
hinaus hatte er die Kühnheit, mir eine ... äh ... mich dreist zu 
beleidigen. Er hat den Tod mehrfach verdient!« 

Dies bezweifelte Volker vom Hohentwiel auf das entschiedenste. 

Er kannte Roland gut und wußte genau, daß der Freund gar nicht 
fähig war, einen Mord zu begehen. Wenn Roland einen Menschen 
tötete, dann geschah dies entweder im ritterlichen Kampf oder aber, 
um sein eigenes Leben zu schützen. Er hütete sich jedoch, diese 
Gedanken, die dem Grafen bestimmt nicht gefallen hätten, laut 
werden zu lassen. 

Er empfahl sich dem Grafen und machte sich dann auf die Suche 

nach Pierre und Louis. 

Die beiden hatten mittlerweile Kenntnis von seiner Ankunft 

bekommen und warteten bereits unten im Burghof auf ihn. Als er 
nach draußen trat, stürmten sie sofort auf ihn los. Der dicke Pierre 
war so aufgeregt, wie ihn Volker selten erlebt hatte. Von seiner 
sprichwörtlichen Ruhe und Gemütlichkeit konnte jetzt keine Rede 
sein. 

»Ritter Volker, Euch  schickt der Himmel«, stieß er hervor. »Habt 

Ihr schon gehört, daß unser Herr im Verlies schmachtet und morgen 
geköpft werden soll?« 

»Und ob ich das gehört habe«, bestätigte Volker. »Ich kann es 

kaum erwarten, den Kopf des Schmählichen rollen zu sehen!« 

Pierre wurde blaß. »Ihr könnt es kaum erwarten ... ?« 
Volker durchbohrte ihn förmlich mit seinen Blicken. Merkte der 

einfältige Bursche denn nicht, daß es jetzt vonnöten war, den 
Güldenburgern eine Posse vorzuspielen? 

Louis, der aufgeweckter und schneller mit den Gedanken war als 

sein träger Freund, merkte es. Unauffällig hieb er Pierre seinen 
Ellenbogen in die Rippen und brachte ihn dadurch zum Schweigen. 

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Schnell sprach Volker weiter. »Wenn der Ritter Roland nicht mehr 

unter den Lebenden weilt, braucht ihr  nicht länger Fronarbeit für ihn 
zu leisten. Wenn Ihr wollt, nehme ich Euch wieder in meine Dienste. 
Dann ist alles wieder so, wie es war, bevor mich der Arglistige mit 
seinen gezinkten Würfeln zwang, Euch in seine Obhut zu geben.« 

Louis verstand sofort, auf was er hinauswollte. Es gelang ihm 

sogar, ein hocherfreutes Lächeln auf seine Züge zu zaubern. 

»Läge der Kopf des Roland doch bereits auf dem Richtblock«, 

sagte er so laut, daß es jeder, der sich in Hörweite befand, deutlich 
hören konnte. »Ihr wißt gar  nicht, wie sehr wir den Tag bedauert 
haben, an dem wir aus Euren Diensten scheiden mußten. Wir würden 
uns glücklich schätzen, wenn wir wieder mit Euch ziehen dürften.« 

Braver Bursche, dachte Volker. Mit einem Mann wie ihm konnte 

man ein Herzogtum aus den Angeln heben. 

Auch Pierre hatte jetzt begriffen, wie die Dinge standen. 
»Möge der Ritter Roland in der tiefsten Hölle schmoren«, stieß er 

hervor. »Wenn ich daran denke, wie er mich geplagt hat, indem er 
mich von einem Abenteuer zum nächsten schleppte ...« Gequält 
verdrehte er die Augen. 

Und dabei brauchte er nicht einmal zu schauspielern, denn die 

Klage kam ihm wirklich aus tiefstem Herzen. 

* 

Die Begeisterung auf dem Hof der Klosterburg war groß, als ein 
ganz bestimmtes Faß vom Wagen gehoben und geöffnet  wurde. Der 
Freiherr Ingolf ließ es sich nicht nehmen, selbst mit Hand anzulegen, 
als das Faß »entleert« wurde. 

Thegan, der Goldmacher, nach wie vor geknebelt und an Händen 

und Füßen gefesselt, war ein erbarmungswürdiges Häuflein Mensch. 
Aber das nahmen der Burgherr und seine Getreuen gar nicht zur 
Kenntnis. Für sie zählte nur eins: Sie hatten es geschafft, Graf 
Heriberts Goldesel zu entführen. 

»Nehmt ihm den Knebel und die Stricke ab«, befahl der Freiherr. 

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Seine Anweisung  wurde unverzüglich ausgeführt. Aber obwohl der 

alte Mann jetzt seine Bewegungsfreiheit wiedergewonnen hatte, 
blieb er im Staub des Burghofs liegen. 

»Ihr habt ihn doch nicht etwa ersticken lassen?« fragte Ingolf mit 

einer Stimme, in der sich die schlimmsten Befürchtungen 
ausdrückten. 

Der blonde Sven, der die Fesseln des Goldmachers gelöst hatte, 

schüttelte den Kopf. 

»Macht Euch keine Sorgen, Herr Baron«, sagte er beruhigend. 

»Der Alte lebt. Er scheint nur völlig am Ende seiner Kräfte zu sein. 
Das sollte uns nicht weiter wundern. Wenn einer von uns eine halbe 
Nacht und einen halben Tag in diesem Faß gesteckt hätte . ..« 

»Ein Eimer Wasser wird ihn schnell wieder auf die Beine 

bringen«, schlug Waldemar vor. 

Sein Vorschlag fand den Beifall des Freiherrn. Er gab  Anweisung, 

einen Bottich zu holen. 

Der Bottich wurde gebracht und über dem alten Mann 

ausgeschüttet. 

Und der Erfolg der brachialen Behandlungsweise blieb nicht aus. 

Prustend und spuckend fuhr er hoch, blickte sich nach allen Seiten 
um. Verwirrung prägte  sein Mienenspiel. Er schien noch gar nicht 
richtig zu begreifen, was um ihn herum vor sich ging. Der Freiherr 
trat auf ihn zu, blieb vor ihm stehen. 

»Steh auf, Thegan«, befahl er. 
Mühsam rappelte sich der alte Mann auf. Er hatte große 

Schwierigkeiten mit den Beinen, die ihm mehrmals wegzuknicken 
drohten. Schließlich stand er aber doch auf seinen Füßen, wenn auch 
schwankend und voller Unsicherheit. 

»Kennst du mich, Thegan?« 
Der alte Mann schüttelte den Kopf. 
»Nun, dann will ich es dir sagen«, fuhr der Burgherr fort. »Ich bin 

Freiherr Ingolf von der Klosterburg, und du siehst in mir deinen 
neuen Dienstherrn. Hast du mich verstanden?« 

»Meinen neuen Dienst... ?« 

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»So ist es! Ich trete an die Stelle von Graf Heribert. Von nun an 

wirst du deine Kunst für  mich ausüben.«    Der alte Mann bekam 
große Augen. »Ich soll für Euch... Gold machen, Herr?« 

»Was sonst?« 
»Aber ...« Unruhig trat Thegan von einem Bein auf das andere. 
»Aber?« fragte Ingolf scharf. 
»Ich ... Ich kann doch gar kein Gold machen«, platzte es aus dem 

alten Mann heraus. 

Ingolf lachte. »Wirklich nicht? Ich glaube, daß Graf Heribert da 

ganz anderer Ansicht ist.« 

Die umstehenden Getreuen des Freiherrn nickten beifällig. 
»Graf Heribert ist ein ahnungsloser Tropf«, fuhr Thegan fort. »Ich 

habe ihn seit  Jahren getäuscht, habe ihm wieder und immer wieder 
Sand in die Augen gestreut. Er glaubt, daß er durch mich zu 
märchenhaftem Reichtum gekommen ist. Dabei hat er in all den 
Jahren nicht eine einzige Unze Gold von mir erhalten.« 

Ingolfs Augen verengten sich. »Willst du mich an der Nase 

herumführen, Alter? Sei gewarnt! Es mag ehrenvoll sein, deinem 
alten Dienstherrn auch jetzt noch die Treue zu bewahren. Aber du 
solltest wissen, daß ich auf Ehre pfeife. Du tust, was ich verlange, 
oder es geht dir schlecht.« 

»Sehr schlecht«, warf der blonde Sven ein. 
Und wieder nickten alle übrigen Klosterburger beifällig. 
Mit zuckenden Augenlidern blickte der Goldmacher von einem 

zum anderen. Er wollte etwas sagen, ließ es dann aber doch sein. 

»Gut, daß du keinen weiteren Widerspruch erhebst«, sagte der 

Freiherr befriedigt. »Alles, was du benötigst, steht bereit. Nur eins 
mußt du uns noch verraten: Woraus machst du das Gold? Aus 
Steinen, aus Dreck oder aus den Tautropfen des jungen Morgens, wie 
ich einst von einem anderen Vertreter deiner Zunft hörte?« 

»Alles falsch«, sagte Thegan und seufzte. »Ich mache mein Gold 

aus der Scheiße räudiger Hunde!« 

Sogleich gab Freiherr Ingolf seinen Getreuen den Befehl, auf 

Hundejagd zu gehen. 

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* 

Es war wieder Abend geworden auf der Güldenburg. 

Volker, von Pierre und Louis in alles eingeweiht, was sich 

abgespielt hatte, wartete geduldig darauf, daß sich die Burgbewohner 
zum Schlafen niederlegten. Er hatte sich in das Gästezimmer 
zurückgezogen, das ihm zugewiesen worden war, und dachte über 
die Launen des Schicksals nach. In der vergangenen Nacht noch 
hatte Roland auf diesem Lager gelegen. Und nun hockte sein Freund 
in einem finsteren Verlies und harrte dem Morgen, der ihm den Tod 
bringen sollte. 

Dazu jedoch wollte es Volker nicht kommen lassen. Soweit es in 

seiner Macht stand, hatte er alle Vorbereitungen getroffen, um den 
Ritter mit dem Löwenherzen zu retten. Wie alle, die die Güldenburg 
besuchten, war auch er seines Schwertes entledigt worden. Aber er 
hatte es geschafft, sich heimlich in den Besitz einer anderen Klinge 
zu bringen. Der betrunkene Güldenburger, dem er sie entwendet 
hatte, würde den Verlust wohl erst bemerken, wenn er aus seinem 
Rausch erwachte. 

Die Stunden vergingen. Langsam wurde es ruhig innerhalb der 

Mauern. Nach und nach  verlöschten die Lichter. Nur vereinzelt 
wurden noch Stimmen laut, dann ließen sich auch diese nicht mehr 
vernehmen. 

Volker wartete zur Sicherheit noch eine weitere halbe Stunde. 

Mitternacht war längst vorbei, als er sich schließlich von seinem 
Lager erhob. Er nahm das Schwert, das er unter den Decken 
verborgen hatte, und schob es in die leere Scheide. Dann verließ er 
auf leisen Sohlen das Zimmer und schlich hinunter auf den Burghof. 

Noch immer war und blieb alles ruhig. Bisher war niemand auf ihn 

aufmerksam geworden. Und so würde es hoffentlich auch bleiben. 

Volker legte beide Hände vor den Mund und ließ den Ruf eines 

Uhus erschallen  - zweimal kurz hintereinander, dann eine kleine 
Pause, schließlich noch ein Ruf. 

Wieder wartete er. 

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Auf eine große Probe  wurde seine Geduld allerdings nicht gestellt. 

Schon nach wenigen Augenblicken erschien eine schattenhafte 
Gestalt in seinem Blickfeld. 

»Ritter Volker?« 
»Hier bin ich«, antwortete Volker im Flüsterton. 
Louis, der treue Knappe Rolands, huschte an seine Seite. Auch er 

hatte sich bewaffnet  - mit einem dicken Knüppel, den er schlagbereit 
in der Faust hielt. 

Die beiden Männer verloren keine Worte. Sie hatten ihr Vorgehen 

längst vorher abgesprochen. Und bisher gab es keinerlei Anlaß, ihre 
Pläne zu ändern. 

Sie drückten sich eng an die Gebäudewände, um den Wächtern auf 

der Burgmauer nicht aufzufallen, und schlichen los. Ihr Ziel war der 
niedrige, wie geduckt dastehende Bau neben dem Gesindehaus. In 
diesem Bau waren die Verliese untergebracht. 

Fast hatten sie ihr  Ziel erreicht. Da jedoch traten zwei Gestalten 

aus der Tür des Gesindehauses. 

»Der Teufel hole sie«, knurrte Louis leise. 
Er und Volker preßten sich noch dichter gegen die Wand, 

versuchten regelrecht, mit dem Stein zu verschmelzen. 

Die beiden Gestalten aus dem Gesindehaus kamen genau auf sie 

zu. Auch sie bewegten sich vorsichtig und schleichend vorwärts. 
Was auch immer ihre Absichten sein mochten, ganz offensichtlich 
hatten sie ebenfalls das Licht zu scheuen. 

Wenige Körperlängen waren sie jetzt noch voneinander entfernt. 

Der Schein des Mondes, dessen blasses Gesicht von keinen Wolken 
verdeckt wurde, kam Volker auf einmal unerträglich hell vor. Wie es 
aussah, würde es sich kaum vermeiden lassen, daß die beiden 
anderen Männer sie entdeckten. 

Und da geschah es auch schon ... Ruckartig verhielten die beiden 

ihren Schritt. Wie gebannt standen sie da und starrten Volker und 
Louis an. Bevor sie aus ihrer Erstarrung erwachten, handelte der 
Knappe. Er machte einen Satz nach vorn, der jeder Katze zur Ehre 
gereicht hätte. Sein Knüppel schwang durch die Luft wie ein 

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Dreschflegel. 

Es gab ein dumpfes Geräusch, als der Knüppel den einen Mann 

traf. Dieser Güldenburger würde fürs erste nicht mehr in der Lage 
sein, Alarm zuschlagen. 

Wohl aber der andere. Schon öffnete er den Mund zum Schrei. 
Er kam aber nicht mehr dazu, ihn auszustoßen. Schnell wie der 

Wind war jetzt auch Volker heran. Mit der flachen Seite des 
Schwertes schlug er zu und traf den Mann seitlich am Kopf. Mit 
einem erstickten Aufstöhnen sackte der Güldenburger in sich 
zusammen und blieb neben seinem Begleiter liegen, der ebenfalls zu 
Boden gegangen war. 

Volker und Louis gefroren zu Statuen, als sie aufmerksam in die 

Nacht hineinlauschten. Laut war es nicht hergegangen in dem kurzen 
Handgemenge, aber auch nicht vollkommen geräuschlos. War 
jemand aufmerksam geworden  - die Wächter auf der Mauer 
vielleicht? 

Es sah nicht danach aus. Einer der Posten kam jetzt in Volkers 

Blickfeld. Er patrouillierte weiter, ohne sich um das Geschehen auf 
dem Hof zu kümmern. 

Erleichtert atmete Volker auf. 
»Das ist gerade noch mal gutgegangen«, sagte er leise. »Fragt sich 

nur, was wir jetzt mit diesen beiden Burschen hier anfangen.« 

Eine Falte erschien auf Louis' Stirn. »Ich bin ja kein Freund von 

unnötigem Blutvergießen. Aber wenn es um meinen Herrn geht, bin 
ich zu allem bereit. Sollen wir die beiden nicht einfach ... ?« Er 
sprach nicht weiter, deutete nur auf das Schwert in Volkers Hand. 

Der Ritter und Minnesänger schüttelte den Kopf. »Wir können  sie 

nicht abschlachten wie Tiere. Sie sind hilflos und ohne Bewußtsein 
und können sich nicht wehren. Wenn wir sie jetzt töten, wäre das 
schlimmer als ein gemeiner Meuchelmord.« 

»Ich gebe Euch recht, Ritter Volker, aber ...« 
»Wir nehmen sie einfach mit«, entschied Volker. »Dann können 

sie uns auch nicht verraten.« 

Gesagt, getan. Volker und Louis warfen sich die beiden 

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Güldenburger über die Schultern und schlichen dann weiter dem 
Verlies entgegen. 

Wenig später hatten sie ihr Ziel erreicht. 
Und noch immer hatten sie keine weitere Aufmerksamkeit erregt. 

Unbemerkt konnten sie mit ihren beiden Gefangenen in das 
Verliesgebäude schlüpfen. 

In dem Geschoß zu ebener Erde hielt sich nie jemand auf, das hatte 

Louis längst in Erfahrung gebracht. Unten jedoch, wo die Verliese 
untergebracht waren, gab es eine Wachstube, die auch ständig besetzt 
war. Weniger weil der Graf befürchtete, daß seine Opfer ausbrechen 
könnten. Er tat es mehr, um der guten alten Sitte zu genügen, daß ein 
Gefängnis nur dann ein Gefängnis war, wenn es bewacht wurde. 

Bevor sich Volker und Louis nach unten wagten, mußten sie sich 

ihrer Gefangenen entledigen. Beim Zusammentreffen mit den 
Wächtern würde es erforderlich sein, die Hände frei zu haben. So 
rissen sie aus der Kleidung der beiden Güldenburger  ein paar 
Streifen heraus und fesselten die Männer damit. Ein weiterer 
Stoffstreifen verschloß den beiden den Mund. 

»Wir lassen sie einfach hier oben liegen«, raunte Volker seinem 

Gefährten zu. »Nachher können wir uns immer noch überlegen, was 
wir mit ihnen machen.« 

»Einverstanden«, gab der Knappe zurück. 
Wenig später machten sich Rolands Freunde an den Abstieg zu den 

Verliesen. Tief ging es hinunter, so tief, daß oben niemand zu hören 
vermochte, was unten geschah. Die peinliche Befragung von Opfern 
konnte somit das alltägliche Burgleben nicht weiter stören. 

Schon als Volker und Louis die letzten Stufen noch nicht bewältigt 

hatten, hörten sie die Wächter. Laute und wütende Stimmen schallten 
ihnen entgegen. 

»Pasch? Das war kein Pasch! Das waren eine gottverdammte Sechs 

und eine gottverdammte Fünf!« 

»Bist du blind, Johann? Es waren zwei Fünfen! Und wenn du 

weiterhin das Gegenteil behauptest, dann schlage ich dir deinen 
hirnlosen Schädel ein!« 

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Die Wächter stritten sich beim Würfeln. Keine Frage, daß sie für 

etwas anderes jetzt weder Augen noch Ohren hatten. 

Volker und Louis sollte es recht sein, mehr als recht sogar. 

Gänzlich ohne Schwierigkeiten konnten sie sich der Tür der 
Wachstube nähern. 

Diese stand spaltbreit offen, ließ einen Streifen flackernden Lichts 

nach draußen fallen. 

»Kein Pasch, sage ich«, entrüstete sich die eine Stimme. 
»Und ich sage zwei Fünfen, sei's getrommelt oder gepfiffen«, 

lautete die Antwort. 

»Ich stopfe dir das gottverdammte Lügen ...« 
Weiter kam der Wächter nicht. Volker hatte ruckartig die Tür 

aufgestoßen. Schon standen er und Louis im Rahmen, Schwert und 
Knüppel drohend erhoben. 

Drei Wächter waren es, die an einem klobigen Holztisch saßen und 

die Würfel tanzen ließen. Jetzt starrten sie zur Tür, als seien dort 
zwei leibhaftige Gespenster erschienen. 

Volker und Louis waren in Sekundenschnelle am Tisch. 
»Wer Widerstand leistet, hat sein Leben verwirkt«, sagte der Ritter 

unmißverständlich. 

Einer der Güldenburger glaubte es nicht. Er sprang auf, versuchte, 

nach einem langen Messer zu greifen, das er an der Hüfte trug. 

Louis schlug zu, kurz und trocken. Der Wächter stürzte rücklings 

von seinem Stuhl und blieb reglos auf den Steinen liegen. 

Die beiden anderen hatten ihre Lehre bezogen. Sie machten keine 

Anstalten, sich ebenfalls zur Wehr zu setzen. 

»Was ... wollt ihr?« preßte der eine hervor. 
»Den Ritter Roland«, antwortete Volker ohne Umschweife. 
»Ihr wollt ihn befreien?« 
Volker lächelte. »Wollen wir das wirklich? Nimm einfach an, wir 

neiden dem Grafen das Vergnügen, dem Gefangenen den Schädel 
abzuschlagen. Nimm an, wir hätten selbst Freude daran, ihn einen 
Kopf kürzer zu machen.« Sein Lächeln verflüchtigte sich. »Kein 
langes Gerede! Wo steckt der Ritter?« 

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Als die Wächter zögerten, ließ er die Klinge auf den Tisch 

niederkrachen. Die Holzplatte zersprang in zwei Hälften, die 
langsam nach links und rechts wegkippten. 

»Wenn ich noch lange warten muß, kann dasselbe mit euren 

störrischen Köpfen passieren«, sagte er beinahe heiter. 

Diese freundliche Warnung genügte. Die Wächter beeilten sich 

jetzt, ihm gefällig sein zu dürfen. Augenblicke später standen die 
Männer zu viert vor einer Verliestür. 

»Hier ist es«, gab der eine Wächter bekannt. 
Volker war von Natur aus ein argwöhnischer Mensch. Bevor er 

etwas blind glaubte, überzeugte er sich lieber erst. Ganz dicht trat er 
an die Tür heran. 

»Roland?« rief er dann. »Roland, hörst du mich?« 
Mehrere Herzschläge lang blieb es auf der anderen Seite der Tür 

ganz ruhig. Dann wurden drinnen Schritte hörbar. 

»Volker, bist du es wirklich?« ertönte die Stimme des Ritters mit 

dem Löwenherzen. »Bist du es, oder spielen mir meine Sinne einen 
arglistigen Streich?« 

»Ich bin es«, gab Volker zurück. »Und Ritter Volker ist nicht 

allein, denn ich bin auch hier«, meldete sich Louis zu Wort. 

»Potztausend«, sagte Roland mit einem breiten Auflachen. »Wer 

hätte das gedacht? Thilde, komm schnell!« 

Volker wußte nicht, wer Thilde war. Aber das würde er wohl 

gleich erfahren. 

»Öffnet!« befahl er den beiden Wächtern. Zur Unterstützung seines 

Befehls hob er drohend das Schwert. 

Die Wächter bedurften der Drohung nicht. Der eine förderte ein 

Schlüsselbund zutage und ließ die Schlüssel durch seine Finger 
gleiten. 

»Ein bißchen Beeilung, wenn's beliebt!« 
Im nächsten Augenblick drehte sich ein Schlüssel im Schloß. Die 

Tür sprang auf. 

Im Schein der Fackel, die Louis aus der Wachstube mitgenommen 

hatte, trat Roland nach draußen. An seiner Seite war ein blondes 

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Mädchen. Die beiden blinzelten in das Licht, als sei es etwas, das 
ihren Augen Schmerzen bereitete. 

Schnell aber hatten sich Rolands Augen an das Licht gewöhnt. 

Bevor er Volker und Louis dankte, blickte er das Mädchen an seiner 
Seite an. Ein Lächeln zog über sein Gesicht. 

»Thilde, du bist noch viel schöner, als ich es mir vorgestellt hatte!« 

rief er aus. 

Volker wußte nicht, was er sich vorgestellt hatte, aber in jedem 

Fall hatte Roland recht, wenn er von einem schönen Mädchen 
sprach. Die junge Frau hatte lockige blonde Haare, die ihr bis weit 
über die Schultern fielen. Ihr ebenmäßiges Gesicht erinnerte an einen 
Engel. Unter dem einfachen Kleid, das sie trug, zeichnete sich ein 
Körper ab, der es jedem Mann heiß in den Lenden werden ließ. Bei 
ihrem Anblick vergaß man ganz, daß ihr ein Bad recht guttun würde. 

Auch das Mädchen lächelte. »Du hingegen siehst genauso aus, wie 

ich mir dich ausgemalt habe. Wenn man so lange wie ich im Dunkeln 
lebt, lernt man, mit den Händen zu sehen.« 

Die beiden schienen sich recht gut zu kennen, stellte Volker fest. 

Jedenfalls gingen sie sehr vertraut miteinander um. Fast sah es so 
aus, als ob sie die Absicht hatten, sich in die Arme zu sinken. Volker 
hätte es ihnen gegönnt, aber dazu war jetzt wahrlich keine Zeit. 

»Verzeiht die Trübung eures stillen Glücks«, sagte er. »Aber ihr 

vergeßt offenbar, wo ihr hier seid!« 

Roland war sofort bei der  Sache. »Recht hast du, mein Freund, 

dem ich das Leben verdanke.« 

»Noch ist dein Leben nicht gerettet, Roland.  Du mußt fort.  Und 

zwar auf der Stelle!« 

Ganz  ernst war Roland jetzt geworden. Kein Funken Heiterkeit 

spiegelte sich mehr in seinem Gesicht wider. 

»Fort?« echote er. »Weißt du auch, wie ich das anstellen soll, 

Freund Volker? Niemand kann die Güldenburg betreten oder 
verlassen, wenn es Graf Heribert nicht will. Es ist völlig unmöglich, 
die Mauern und den Graben zu überwinden.« 

»Ich weiß«, nickte Volker. »Und doch gibt es einen Weg. Einen 

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Weg, den allerdings nur ein todesmutiger Mann, wie du es bist, 
beschreiten kann.« 

»So zeige mir diesen Weg!« 
»Gleich, Roland, gleich. Zunächst aber müssen wir die hier 

versorgen!« 

Mit »die hier« meinte er die Wächter. Er deutete auf das Verlies, 

das Roland und das Mädchen gerade verlassen hatten. 

»Rein mit euch!« 
Die beiden kamen der Aufforderung unverzüglich nach. Vorher 

nahm ihnen Louis noch ihre Waffen ab. 

»Am besten dürfte es sein, wenn wir die anderen drei ebenfalls hier 

auf Nummer Sicher bringen«, meinte der Knappe. 

Diesem Vorschlag konnte sich Volker nur anschließen. Wenig 

später waren auch der dritte Wächter und die beiden auf dem Hof 
Niedergeschlagenen in dem Verlies untergebracht. Knirschend drehte 
Volker den Schlüssel herum und reichte ihn dann an Roland weiter. 

»Nimm du dieses Ding, Freund Roland«, sagte er. »Es wäre nicht 

gut, wenn irgend jemand den Schlüssel bei mir oder Louis fände.« 

Roland nahm den Schlüssel, blickte den Minnesänger dabei jedoch 

fragend an. »Du fliehst nicht mit mir auf dem Weg, den ich nehmen 
soll?« 

»Nein. Ich nicht und deine beiden Knappen auch nicht. Für Pierre 

wäre der Weg ohnehin nicht gehbar. Und außerdem ... Wollen wir 
unsere Pferde und sonstigen Utensilien im Stich lassen?« 

Eine Sorgenfalte furchte Rolands Stirn. »Du spielst ein 

gefährliches Spiel, Volker. Wenn Graf Heribert feststellt, daß ich 
geflohen bin ... Wird er nicht sofort wissen, daß du mir geholfen 
hast? Er braucht nur diese fünf Kerle da drinnen zu fragen ...« 

»Dazu wird es hoffentlich nicht kommen. Bevor das Verlies 

geöffnet wird, was ohne den Schlüssel seine Zeit in Anspruch 
nehmen dürfte, müssen Louis, Pierre und ich die Güldenburg bereits 
verlassen haben. Mir wird schon ein Grund einfallen, der uns zu 
frühmorgendlichem Aufbruch drängt.« 

»Ich hoffe es, mein Freund«, erwiderte der Ritter mit dem 

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Löwenherzen ernst. »Der Gedanke, daß ihr meinethalben zu Schaden 
kommt, wäre mir unerträglich. Zeige mir nun den Fluchtweg, den du 
dir ausgedacht hast. Komm, Thilde.« 

Volker blieb stehen, wo er gerade stand. »Du willst das Mädchen 

mitnehmen?« 

»Aber natürlich! Wenn sie auf der Güldenburg verbleibt, ist ihr 

Leben keinen abgewetzten Denar mehr wert.« 

Roland erzählte seinem Freund und dem Knappen, wer die blonde, 

junge Frau eigentlich war. 

»Gewiß«, sagte Volker, »auch mich dünkt es vernünftig, wenn sie 

schnellstens der Güldenburg den Rücken kehrt. Aber auf diesem 
Weg ...« 

»Wohin Roland geht, dahin gehe auch ich«, warf Thilde ein und 

sah Roland verliebt an. 

Volker verzog den Mund. »Von Geben kann leider keine Rede 

sein, eher vom Fliegen. Aber überzeugt euch doch selbst!« 

Die beiden Ritter, der Knappe und die Tochter des Goldmachers 

verließen den engen Verliesgang und stiegen die Treppe empor. Zur 
Überraschung Rolands traten sie jedoch nicht auf den Burghof 
hinaus. Statt dessen wandte sich Volker dem rückwärtigen Teil des 
Baus zu. Vor einem Fenster, das dort in die Mauer eingelassen war, 
machte er halt. Er öffnete das Fenster und machte eine einladende 
Handbewegung. 

»Dies ist dein Fluchtweg, Roland«, sagte er. 

* 

Der Ritter mit dem Löwenherzen trat an das Fenster heran und lehnte 
sich hinaus. 

Ein kühler Nachtwind wehte ihm entgegen und brachte seine Haare 

zum Fliegen. Die Dunkelheit ringsum war wie das Maul eines 
riesigen Tieres, das nach ihm zu schnappen schien. Tief unter ihm, so 
viele Klafter, daß er es gar nicht richtig abschätzen konnte, glänzte 
etwas schwach silbrig im Licht des Mondes. 

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Der Main! 
»Nun, Freund Roland?« fragte Volker vom Hohentwiel leise. »Ist 

es selbst für dich ein zu tollkühnes Unterfangen?« 

Roland brauchte nicht lange mit der Antwort. »Tollkühn mag es 

sein. Aber ich sehe ein, daß es der einzige Weg für mich ist, die 
Güldenburg lebend zu verlassen. Ob ich allerdings noch lebe, wenn 
ich sie verlassen habe ...?« 

Er blickte in die gähnende Tiefe und konnte ein unwillkürliches 

Schaudern nicht unterdrücken. Dann aber gab er sich einen Ruck. 

»Komm, Thilde«, sagte er. »Blick nicht nach unten, sondern 

schließ die Augen, und verlaß dich ganz auf mich.« 

Das Mädchen machte die Augen zu und lächelte. »Ja, mein Ritter, 

ich verlasse mich voll und ganz auf dich.« 

Roland nahm sie auf seine Arme und kletterte kurz entschlossen 

auf die Fensterbrüstung. 

»Wo sehen wir uns wieder, Freund Volker?« 
»Eine gute Meile entfernt. Wenn ihr dem Weg in Richtung Osten 

folgt, findet ihr ein mit Holundersträuchern bewachsenes Dickicht. 
Wartet dort auf uns.« 

Roland lächelte. »Es wird sich weisen, wer auf wen wartet. Und ob 

überhaupt jemand wartet!« 

Er wandte sich ab und blickte in die Tiefe. Für einen Augenblick 

tat er es dem Mädchen in seinen Armen nach und schloß ebenfalls 
die Augen. Dann aber öffnete er sie wieder und stieß sich wuchtig 
von der Fensterbrüstung ab. 

Wie ein Stein stürzte er nach unten. Der Wind zerrte an ihm wie 

die Klauen einer reißenden Bestie, und er hatte das Gefühl, zu einem 
Spielball der Naturgewalten geworden zu sein. 

Er fiel und fiel und fiel... 
Dann, ganz plötzlich, war die Mondsichel, die sich auf der 

Oberfläche des Flusses spiegelte, unmittelbar unter ihm. Ganz fest 
schlang er die Arme um Thilde und gab seinem Körper eine schnelle 
Drehung, um das Schlimmste von dem Mädchen abzuwenden. 

Im nächsten Augenblick kam der Aufschlag. Roland hatte das 

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Empfinden, auf eine massive Steinplatte gestürzt zu sein. Niemals 
hätte er gedacht, daß Wasser so hart sein konnte. Fest war er davon 
überzeugt, sich sämtliche Glieder gebrochen zu haben. 

Aber die Oberfläche des Mains war tatsächlich keine Steinplatte. 

Roland und Thilde sanken, sanken schneller, als ein Fisch 
schwimmen kann. Tiefer und tiefer ging es hinunter. Die geballte 
Wucht des Sturzes aus großer Höhe sorgte dafür. 

Endlich war der Grund des Flusses erreicht. Mit letzter Kraft stieß 

sich Roland ab, um wieder nach oben getragen zu werden. Nun aber 
ging es nicht so schnell wie zuvor. Quälend langsam trieb Roland mit 
dem Mädchen in seinen Armen der Mainoberfläche entgegen. Als er 
schon glaubte, daß ihm die Lungen platzen würden, durchstieß sein 
Kopf endlich den Wasserspiegel. Tief atmete er die frische Nachtluft 
ein, die ihm köstlicher vorkam als alle leiblichen Genüsse dieser 
Welt. 

»Thilde?« fragte er. »Thilde, wie geht es dir?« 
Das Mädchen fand nicht die Kraft, ihm mit Worten zu antworten. 

Aber der Druck ihrer Hand verriet ihm, daß auch sie den 
selbstmörderischen Sprung überlebt hatte. 

Die Flucht aus der Güldenburg, die jedermann für ausgeschlossen 

gehalten hätte, war gelungen. 

* 

Seit Stunden warteten Roland und des Goldmachers Tochter im 
Dickicht der Holundersträuche. Die Sonne war bereits aufgegangen 
und schickte sich an, ganz hinter dem Horizont hervorzukriechen. 
Nun mußten Volker und die beiden Knappen bald kommen. 

Und sie kamen so selbstverständlich, als sei es ein Kinderspiel 

gewesen, die Güldenburg zu verlassen. Sie brachten sogar Rolands 
edles Pferd mit. 

»Es war in der Tat ein Kinderspiel«, berichtete der Minnesänger. 

»Noch bevor die Vorbereitungen zu deiner Hinrichtung begannen, 
empfahlen wir uns. Graf Heribert ließ uns ohne Einwände ziehen. 

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Vielleicht  war er ganz froh darüber, daß wir davonritten. Er mochte 
sich überlegt haben, daß dein Kopf ohne die Anwesenheit fremder 
Zeugen leichter vom Richtblock rollen würde.« 

Roland lachte. »Ob er inzwischen bemerkt hat, daß mein Kopf gar 

nicht rollen wird?« 

»Dies steht zu befürchten. Deshalb sollten wir schnellstens dafür 

sorgen, möglichst viel Land zwischen uns und die Güldenburg zu 
legen.« 

Roland nahm Thilde zu sich auf sein Pferd. Dann ritten die 

Gefährten in flotter Gangart davon. 

»Wie glücklich wäre ich, wenn mein Vater jetzt bei uns sein 

könnte«, sagte Thilde sehnsüchtig. 

Fast hätte Roland den Goldmacher vergessen. So sehr war er mit 

seiner und des Mädchens Flucht beschäftigt gewesen. Nun aber 
dachte auch er wieder an den alten Mann und Sir Ectors Wunsch, ihn 
nach Camelot zu bringen. 

»Thegan ist während meiner Gefangenschaft im Verlies nicht 

wieder auf der Bildfläche erschienen?« fragte er den Minnesänger. 

»Nein«, sagte dieser. »Alle Burgbewohner stehen vor einem 

Rätsel, das bisher niemand zu lösen vermochte.« 

»Freiwillig hätte mein Vater die Güldenburg ganz bestimmt nicht 

verlassen«, warf das blonde Mädchen ein. »Es kann ihn also nur 
jemand getötet oder ... verschleppt haben.« 

»Verschleppt?« wiederholte Roland kopfschüttelnd. »Wer sollte 

das getan haben? Außer uns war kein Fremder auf der Burg.« 

»Doch«, bemerkte der Knappe Louis. »Ihr vergeßt den Schlesier 

mit dem essigsauren Wein, Ritter Roland.« 

Diese Worte veranlaßten Volker aufzuhorchen. »Essigsaurer 

Wein? Was war mit dem essigsauren Wein?« 

Roland erzählte ihm die gar lustige Geschichte von dem Freigrafen 

aus dem Schlesierland und seinem unmöglichen Wein. 

»Aus Schlesien soll dieser Wein stammen?« lachte Volker. »Das 

entspricht nicht den Tatsachen.« 

»Wieso nicht?« 

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»Weil ich selbst von diesem Wein getrunken habe. Auf einer Burg, 

die keinen halben Tagesritt entfernt liegt!« 

»Was sagst du da?« Kerzengerade saß Roland jetzt im Sattel. 

»Sollte der Schlesier gar kein Schlesier gewesen sein? Aber warum 
diese Komödie?« 

»Beschreibe mir das Äußere dieses dubiosen Freigrafen«, 

verlangte Volker. 

Roland tat es. 
Jetzt saß auch der Minnesänger ganz aufrecht auf seinem Pferd. 

»Diesen Mann habe ich gesehen! Auf einem mit Fässern beladenen 
Wagen  - ganz in der Nähe der Burg, wo man mir versehentlich den 
sauren  Wein in den Becher schüttete! Und wenn ich mir dies alles 
zusammenreime, wie es des Dichters Art ist.. .« 

»Dann?« drängte Roland. 
»... komme ich zu dem Schluß, daß dieser Freigraf dich und die 

Güldenburger ganz schön an der Nase herumgeführt hat. Die Sache 
mit dem sauren Wein war nur ein Vorwand, ohne Argwohn zu 
erwecken, in die Güldenburg hinein- und auch wieder 
hinauszugelangen. Nur, daß beim Verlassen der Burg nicht mehr alle 
Fässer mit Wein gefüllt waren!« 

»Du meinst... ?« 
»Ja, das meine ich«, nickte Volker. »In einem dieser Weinfässer 

steckte Thegan, der Goldmacher!« 

Roland gab seinem Pferd die Sporen, so daß es einen Satz nach 

vorne machte. 

»He, wo willst du plötzlich so eilig hin?« rief Volker vom 

Hohentwiel, der kaum zu folgen vermochte. 

»Zu der Burg, wo man den Gästen essigsauren Wein ausschenkt«, 

antwortete Roland grimmig. 

* 

Wie ein Sturmwind preschten Roland, Volker und die beiden 
Knappen auf den Hof der Klosterburg. Das Mädchen Thilde hatten 

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sie zurückgelassen. Der sonst so träge Knappe Pierre jedoch hatte 
ausdrücklich darauf bestanden, mit dabeizusein. 

Eine Reihe von Burgbewohnern hielten sich auf dem Hof auf, 

Männer und Frauen, gräfliche Getreue und einfaches Gesinde. 

Einen dieser Männer erkannte Roland auf Anhieb. Es war niemand 

anderer als der angebliche Freigraf Felix von Leubus, der die 
gleichnamige Burg in Schlesien gewiß niemals zu Gesicht 
bekommen hatte. 

Das Erkennen war gegenseitig. Auch Felix sah den Ritter, dem er 

zuletzt auf der Güldenburg begegnet war. Und er konnte sich 
offenbar denken, was dessen Auftauchen zu bedeuten hatte. Mit einer 
schnellen Bewegung griff er nach seinem Schwert. 

Da war Roland bereits heran. Unmittelbar vor dem falschen Grafen 

riß er an den Zügeln seines Pferdes so heftig, daß das edle Tier in der 
Hinterhand hochging. Roland war jedoch schon aus dem Sattel, das 
Schwert in der Faust. 

Ungestüm drang er auf Felix ein. Er deckte den Gegner mit einer 

Serie von Hieben ein, die dieser kaum parieren, geschweige denn mit 
einem Gegenangriff beantworten konnte. Innerhalb weniger 
Augenblicke hatte ihn Roland zu Boden gestreckt. 

Auch Volker und die beiden Knappen waren inzwischen in harte 

Kämpfe verwickelt. Sie schlugen sich so achtbar und mutig, wie es 
Roland von ihnen gewohnt war. 

Binnen kürzester Zeit hatten sich alle Klosterburger auf dem Hof 

eingefunden. Wie Volker wüßte, der die Verhältnisse auf dieser 
kleinen und recht armseligen Burg von seinem Besuch her kannte, 
waren nur wenige wehrfähige Männer darunter. Sechs, sieben an der 
Zahl, mehr nicht. Wäre es anders gewesen, hätten es Roland und 
seine Gefährten nicht wagen können, diese offene Attacke gegen die 
Klosterburger zu führen. 

Der Ritter mit dem Löwenherzen hatte nur einen Mann im Auge: 

den Freiherrn Ingolf selbst. 

Und da kam er auch schon aus dem Haus, genauso aussehend, wie 

Volker ihn beschrieben hatte. 

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Roland stürmte auf den Burgherrn los, wie nebenbei einen 

Klosterburger Getreuen niederschlagend, der sich ihm in den Weg 
stellen wollte. 

Ingolf kannte den Ritter mit dem Löwenherzen nicht. Aber er 

erkannte sofort, daß er hier einen Mann vor sich hatte, dem er in 
kämpferischer Hinsicht nicht das Wasser reichen konnte. Er wollte 
fliehen, wollte zurück ins Haus. 

Dazu jedoch ließ es Roland nicht kommen. Mit einem wahren 

Löwensatz war er bei dem Burgherrn. Ingolf konnte gerade noch sein 
Schwert hochreißen, um Rolands Hieb abzuwehren. 

So gewaltig aber war Rolands Streich, daß dem Freiherrn das 

Schwert aus der Hand fiel. Wehrlos stand er vor Roland, der seine 
Klinge zum nächsten Schlag hob. 

»Haltet ein«, schrie Ingolf. »Ich ergebe mich!« 
Roland war kein Mann, der das Blutvergießen liebte. Wenn der 

Herr der Klosterburg seine Sache verloren gab, dann sollte es ihm 
recht sein. 

»Befehlt Euren Leuten, ebenfalls die Waffen zu strecken«, forderte 

er Ingolf auf. 

Der Freiherr zögerte keine Sekunde, dieser Weisung 

nachzukommen. Sofort fanden alle Kämpfe ein Ende. Mit 
Genugtuung stellte Roland fest, daß keinem seiner Gefährten etwas 
zugestoßen war. 

Er zielte mit der Schwertspitze auf Ingolf s Brust. »Ihr könnt Euch 

denken, aus welchem Grund wir gekommen sind!« 

Der Freiherr verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ihr wollt 

den... Goldmacher.« 

»So ist es«, bestätigte er. Und mit einem Lächeln voller Spott fügte 

er hinzu: »Wie gewonnen, so zerronnen!« 

Ingolf sah ein, daß ihm keine andere Möglichkeit blieb, wenn er 

sein Leben retten wollte. Er wies zwei seiner Getreuen an, den alten 
Mann zu holen. 

Und Thegan kam. 
Seine Augen leuchteten, als er den Ritter sah, der ihm eine 

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Einladung nach Camelot überbracht hatte. Er lächelte. »Ihr seid sehr 
hartnäckig, wenn es um das Erreichen Eurer Ziele geht, nicht wahr, 
Herr Ritter?« 

»Sehr hartnäckig«, nickte Roland. 
Kurz darauf verließen Roland und seine Gefährten die Klosterburg 

wieder. Thegan saß mit auf Rolands Pferd. Die Getreuen des 
Freiherrn machten keine Anstalten, sie zu verfolgen. Ihre Gesinnung 
war nicht die von Rittern, sondern die von Räubern und Strauch-
dieben. 

»Ich habe eine Überraschung für Euch«, sagte Roland.  »Eure 

Tochter wartet auf Euch.« 

»Meine Tochter? Ihr habt sie aus der Gewalt Heriberts befreit?« 
»Ja.« 
Der alte Mann war außer sich vor Freude. Die Tränen rannen ihm 

über die eingefallenen Wangen, und er schluchzte aus vollem, aus 
übervollem Herzen. 

Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich beruhigt hatte. Dann sagte 

er mit einer Stimme, die fast kummervoll klang: »Ich habe auch eine 
Überraschung für Euch, Ritter Roland. Aber es ist eine 
Überraschung, die Euch wenig Freude bereiten wird.« 

Roland wußte nicht, was er meinte. »Laßt hören«, sagte er. 
»Ich kann gar kein... Gold machen!« sagte er mit Grabesstimme. 
Roland verschlug es die Sprache. »Ihr könnt kein Gold ... ?« 
»Nein.« 
Roland verstand es noch immer nicht. »Aber all die goldene Pracht 

auf der Güldenburg . ..« 

»Alles nur Schein«, antwortete der alte Mann. »Alles, was Ihr dort 

für pures Gold gehalten habt, ist nichts als einfaches Eisen mit einem 
goldenen Überzug. Und das Gold, das ich für diesen Überzug 
benötigte, habe ich gewonnen, indem ich des Grafen  echtes Gold 
entwendete und insgeheim einschmolz.« 

Rolands Verblüffung kannte keine Grenzen. »Warum, zum Teufel, 

habt Ihr Heribert nicht gesagt, daß Ihr gar kein Gold machen könnt? 
Eurer Tochter wäre vieles erspart geblieben.« 

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»Graf Heribert hätte mir nicht geglaubt. Deshalb mußte ich die 

Rolle, die ich spielte, weiter- und weiterspielen. Anderenfalls hätte er 
Thilde auf grausame Weise töten lassen.« 

Es dauerte eine ganze Weile, bis Roland so richtig begriffen hatte, 

was ihm da von dem alten Mann erzählt worden war. Dann lachte er, 
lachte er so laut, daß sein Pferd fast gescheut hätte. 

Eigentlich hatte er vorgehabt, Graf Heribert für das zur 

Rechenschaft zu ziehen, was er Thilde angetan hatte. Aber nun 
schien es ihm, daß der Güldenburger bereits genug gestraft war. 

Man mußte ihn nur wissen lassen, woraus seine ganze goldene 

Pracht in Wirklichkeit bestand ... 

ENDE 

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Ein Engel als Köder 

»Liebe mich, Roland!« 
Es klang wie das zärtliche Schnurren einer Katze, die vom 
Kater ihres Herzens in den Armen gehalten wird. 
Nun, es war keine Katze, wenn auch die grünen, funkelnden Augen 
und die geschmeidigen Bewegungen ihres schlanken Körpers an 
eine Katze erinnerten. 
Sie hieß Elisabeth Terciere, und sie war eine heißblütige Comteß 
aus Burgund, die den Ritter mit dem Löwenherzen um 
Schutz gebeten hatte - und jetzt um mehr. 
Roland brauchte keine weitere Aufforderung. 
Er spürte die Hitze ihres nackten Körpers, der sich verlangend an 
ihn schmiegte, die weichen, warmen Lippen, die unter seinem 
Kuß zu erbeben schienen, und ein süßes Prickeln erfaßte ihn ... 

Wenn Roland aus seinen Träumen aufwacht, wird er merken, 
daß er in der Falle sitzt. Ob und wie er sich daraus befreit, lesen 
Sie in 14 Tagen im Ritter-Roland-Band 23. DM 1,60