Ritter Roland 22 Günther Herbst Die Blutbestie

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Die Blutbestie

von Günther Herbst

scanned b y : horseman

kleser: Larentia

Version 1.0

Die Ballade vom hölzernen Pferd, dem die sagenhafte
Stadt Troja zum Opfer fiel, ward schon von zahllosen
Sängern vorgetragen. Die Ballade vom hölzernen Weinfaß
hingegen ist weniger bekannt. Und doch handelt auch sie
von Geschehnissen, die reich sind an Heldenmut und
Heimtücke, an erbittertem Kampf und arger List, an hehrer
Liebe und bitterstem Leid. Dem berühmten Minnesänger
Volker vom Hohentwiel blieb es vorbehalten, diese
Geschehnisse in Reime und Musik zu fassen ...

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Die vier Männer paßten zusammen wie Feuer und Wasser.

Der eine war ein feiner Herr von bestem Stande. Sein Wams aus

edlem Linnen hatte Aufschläge aus Hermelin, die Reitstiefel wurden
durch silberne Nieten verziert, und an seinem Hut prangten zwei
herrliche Pfauenfedern. Die hochgewachsene Gestalt und die
aristokratischen Gesichtszüge vervollkommneten das Bild eines
Adligen, der geboren war, um zu befehlen und zu herrschen.

Die drei anderen waren Männer von ganz anderem Schlage. Ihre

grobe, schmucklose Kleidung wies Löcher und Flicken auf. Überall
an ihnen nistete der Schmutz, an Wams und Hose, an den Händen,
selbst in den rohen, grobschlächtigen Gesichtern. Wirre Haare und
wildwuchernde Bärte ließen sie mehr Tieren als Menschen gleichen.

Und doch waren sie ein Herz und eine Seele, der vornehme Adlige

und die drei wüsten Gesellen, bei deren Anblick jeder anständige
Christenmensch sofort die Beine in die Hand genommen hätte.
Friedlich vereint lagerten sie am Waldrand unter dem schattigen
Blätterdach einer mächtigen Buche und gaben sich
gemeinschaftlichem Vergnügen hin.

Der Würfelbecher und eine mit Wein gefüllte Lederflasche

machten die Runde.

Der blonde Riese, der auf den Namen Sven hörte, schüttelte den

Becher und ließ die Würfel dann auf die Satteldecke rollen, die als
Unterlage diente.

»Hohoho«, lachte er dröhnend, »zweimal die Sechs und einmal die

Fünf. Mach mir das erst einmal nach, Felix!«

Derb und kumpelhaft schlug er dem Mann im Hermelinwams auf

die Schulter, ganz so, als würde der augenfällige Standesunterschied
mitnichten bestehen.

Den mit Felix Angesprochenen schien es nicht im mindesten zu

stören. Er erwiderte das Lachen und griff seinerseits nach den
Würfeln.

»Siebzehn ist ein guter Wurf«, sagte er. »Aber ich fürchte, es wird

nicht reichen.«

Er nahm sich Zeit, bevor er die Würfel aus dem Becher trudeln

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ließ.

»Was habe ich gesagt?« triumphierte er. »Dreimal die Sechs!

Damit ist der Sieg wiederum mein, Sven.«

Der Blonde stieß einen gotteslästerlichen Fluch aus, der die Vögel

auf den Zweigen beim Singen innehalten ließ. »Du mußt mit dem
Teufel im Bunde sein!«

»Aber nein, aber nein. Ich habe lediglich das Glück gepachtet, das

ist alles.«

»Nicht umsonst heißt er Felix, was in der Sprache der geistlichen

Herrn der >Glückliche< bedeutet«, knurrte der schwarzbärtige
Friedrich ärgerlich.

»Oder aber er versteht es, die Würfel nach seinem Belieben zu

drehen und zu wenden«, warf der vierte Mann ein. Er hieß Waldemar
und war ein kräftiger, untersetzter Bursche mit stetig rot
angelaufenem Gesicht, das von einer dicken Knollennase verunziert
wurde.

Felix stemmte die Arme in die Hüften. »Willst du damit sagen, daß

ich betrüge?«

Waldemar hielt seinem bösen Blick stand. »Und wenn ich genau

das meine, was ich sage?«

»Dann sähe ich mich gezwungen, dich für dein beleidigendes

Geschwätz gebührend zu bestrafen!«

Noch während er sprach, sprang Felix auf die Füße und nahm eine

drohende Haltung an.

Dadurch ließ sich Waldemar nicht einschüchtern. Schon war er

ebenfalls aufgesprungen.

»Komm nur her, glücklicher Felix«, stieß er hervor. »Aber

wundere dich nicht, wenn du nachher ziemlich unglücklich bist!«

Der schwarzbärtige Friedrich gab einen Knurrlaut von sich. »Setzt

euch hin, ihr Narren! Die Zeit, aufeinander loszugehen, ist noch nicht
gekommen. Dazu habt ihr nachher noch reichlich Gelegenheit. Also
zügelt euch gefälligst!«

Die beiden Streithähne nahmen wieder Platz, nicht ohne vorher

noch ein paar bitterböse Blicke auszutauschen.

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»Gib mir den Wein«, sagte Felix. »Ich muß meinen Zorn

hinunterspülen.«

Der blonde Sven wollte ihm die Lederflasche reichen, aber das ließ

der Schwarzbärtige nicht zu.

»Genug des Weins«, sagte er entschieden. »Du hast schon viel

zuviel getrunken, Felix. Was ist das für ein Freigraf, der schwankend
auf seinem Roß sitzt?«

»Ich werde nicht im Sattel sitzen, sondern zerschunden am

Wegesrand liegen«, erwiderte der Mann im Hermelinwams. »Wer
also würde sich wundern, wenn ich schwanke?«

»Auch ein Freigraf, der lallend seine Trunkenheit bekundet, ist

gewiß nicht nach dem Geschmack des Güldenburgers!«

»Pah«, machte Felix, »wissen wir denn, ob der Graf wirklich des

Weges kommt? Seit zwei Tagen warten wir schon vergebens.«

»Er muß hier entlangkommen, wenn nicht heute, dann spätestens

morgen. Die Feierlichkeiten im Schloß des Herzogs sind zu Ende.
Und vom Schloß zur Güldenburg führt nur dieser eine Weg.«

Alle vier Männer blickten hoch zur Kuppe des gegenüberliegenden

Hügels. Dort hatte ihr Gefährte Notker Posten bezogen. Wenn er den
Güldenburger und seine Begleiter im Tal sah, würde er unverzüglich
Zeichen geben. Aber Notker meldete sich nicht. Folglich konnte vom
Nahen des Grafen auch noch keine Rede sein.

»Würfeln wir weiter«, schlug Felix vor. »Dann wird uns die Zeit

nicht gar so lang.«

Aber den anderen dreien stand der Sinn nicht mehr nach dem

Würfelbecher. Felix' nicht abreißende Glückssträhne hatte ihnen
gründlich die Lust daran verdorben.

Dennoch gerieten die vier Männer nun nicht in Gefahr, an

Langeweile zu sterben. Der Augenblick, auf den sie zwei Tage lang
gewartet hatten, kam schließlich doch.

Dreimal kurz hintereinander ertönte der Schrei des Eichelhähers.
Das verabredete Zeichen!
Notker hatte den Grafen von Güldenburg und seine Begleiter

gesehen und Alarm geschlagen.

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Die vier Männer sprangen unverzüglich auf die Füße. Keine

Sekunde hatten sie jetzt zu verlieren. Es würde nicht lange dauern,
bis der Güldenburger oben auf der Bergkuppe auftauchte. Dann
mußten sie bereit sein, ihm das Schauspiel zu bieten, das er sehen
sollte.

Während Sven, Waldemar und Friedrich im Handumdrehen die

Spuren des Rastlagers beseitigten, eilte Felix zwischen die Bäume,
wo die Pferde angeleint waren. Er machte seinen schwarzen Rappen
los und schwang sich auf den Rücken des Tieres.

»Macht eure Sache gut«, rief er den drei anderen zu, als er wieder

bei ihnen war.

»Worauf Ihr Euch verlassen könnt, Herr Freigraf«, erwiderte

Waldemar und grinste breit.

Felix gab seinem Pferd die Sporen und ritt den Waldweg in

entgegengesetzter Richtung entlang. Als er sich noch einmal
umblickte, war von den drei anderen schon nichts mehr zu sehen.

Nach etwa hundert Ellen machte der Weg eine Biegung. Hier hielt

Felix an und wendete seinen Rappen. Nun konnte er die Kuppe oben
auf dem Hügel wieder sehen.

Er wartete.
Nicht lange jedoch, denn kaum zwei Minuten später bereits

erschien oben auf dem Berg eine Gruppe von Reitern. Acht bis zehn
Männer mochten es sein. Ihre genaue Zahl konnte Felix aus seinem
Blickfeld nicht bestimmen, weil sie hintereinander ritten. Auch wer
die Männer waren, konnte er noch nicht erkennen. Aber das betrübte
ihn nicht. Notker, der nicht nur rufen konnte wie ein Eichelhäher,
sondern auch die scharfen Augen eines Raubvogels sein eigen
nannte, hatte sie erkannt. Das genügte vollauf. Die Männer dort
waren der Graf von Güldenburg und seine Getreuen, da gab es für
Felix gar keine Frage.

Und gewiß hatten die Männer ihn ebenfalls gesehen. Der Waldweg

führte in gerader Linie zur Bergkuppe empor. Kein Strauch, kein
Baum standen dazwischen, die die Sicht verdecken konnten.

Mit einem kräftigen Schenkeldruck setzte Felix seinen Rappen in

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Bewegung, ritt dem Güldenburger und seinen Begleitern entgegen.
Aber eine ganze Weile bevor es zur Begegnung auf halbem Wege
kam, fand der Überfall statt.

Ganz plötzlich brachen sie aus dem Gebüsch am Wegesrand hervor

- drei wüst aussehende Gesellen, denen im Gesicht geschrieben
stand, daß sie es ernst meinten. Zwei von ihnen hielten lange
Jagdmesser in der Hand, der dritte einen Spieß, mit dem man drei
Bären auf einmal durchbohren konnte.

»Runter vom Pferd, hoher Herr, sonst geht es Euch schlecht!«

brüllte der schwarzbärtige Friedrich mit einer Stimme, die selbst ein
Murmeltier geweckt hätte. Dabei fuchtelte er so wild mit seinem
Spieß in der Luft herum, daß auch dem Tapfersten angst und bange
geworden wäre.

Aber Felix, furchtlos, wie es sich für einen edlen Freigrafen

geziemte, ließ sich nicht beeindrucken.

»Aus dem Weg, räuberisches Gesindel«, herrschte er den

Schwarzbart und seine Kumpane an. »Sonst reite ich euch über den
Haufen wie ein paar tolle Hunde!«

Die markigen Worte verfehlten ihre Wirkung. Die Räuber lachten

nur laut und dröhnend. Dann gingen sie zu dritt gegen ihr Opfer vor.
Friedrich packte die Zügel des Rappen, während Waldemar und der
blonde Sven nach den Beinen des Ritters griffen. Felix wehrte sich
aus Leibeskräften, aber den gemeinschaftlichen Anstrengungen
seiner drei Gegner war er nicht gewachsen. Sie zerrten ihn aus dem
Sattel, so daß er schwer auf den zum Glück weichen Waldboden
stürzte.

Aber der tapfere Freigraf gab sich noch nicht geschlagen.
»Hinterhältiges Pack«, ließ er wütend seine Stimme erschallen.

»Nun sollt ihr erleben, wie ein wahrer Ritter zu kämpfen versteht!«

Obwohl er am Boden lag, gelang es ihm, sein Schwert aus der

Scheide zu ziehen. Auf die Füße kam er jedoch nicht wieder, und
deshalb konnte er auch mit dem Schwert nicht viel anfangen. Einen
Hieb, den er führte, parierte Waldemar mit seinem Jagdmesser, hatte
aber große Mühe dabei.

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»Bist du von Sinnen?« knurrte er halblaut. »Fast hättest du mir den

Arm abgeschlagen!«

»Ein Ritter verteidigt sich, so gut er kann«, gab Felix zurück,

während er nur mit einiger Anstrengung ein schadenfrohes Lächeln
unterdrückte.

Waldemar zahlte es ihm heim. Gemeinsam mit Sven hielt er Felix'

rechten Arm fest und entwand ihm das Schwert. Dann drosch er gar
heftig auf den Gegner ein.

»Aufhören!« keuchte Felix. »Wollt... Wollt ihr mich vielleicht

umbringen?«

»Ein Räuber ist nicht wählerisch in der Wahl seiner Mittel«,

erklärte Waldemar heiter und versetzte Felix einen Hieb auf den
Mund, durch den sich mindestens ein Zahn lockerte. Wahrscheinlich
hatte er bei seiner Gemeinheit an drei Würfel gedacht, die stets so
gefallen waren, wie Felix das wollte.

»Das büßt du«, stieß der hervor. Er spürte den süßen Geschmack

von Blut auf der Zunge. »Beim Herrgott, das wirst du noch bitterlich
bereuen. Wenn ich wieder ...«

Ein neuerlicher Schlag verschloß ihm den Mund.
Der schwarzbärtige Friedrich hatte die ganze Zeit über den Weg im

Auge behalten. Jetzt erkannte er, daß der Güldenburger und seine
Gefolgschaft nicht mehr fern waren. Die Männer hatten ihren
Reittieren die Sporen gegeben und kamen schnell näher.

Er tat so, als sei er erst in diesem Augenblick auf die Reiter

aufmerksam geworden.

»Ritter«, rief er scheinbar erschrocken aus. »Wir müssen das Weite

suchen!«

Sven und Waldemar blickten auf. Auch sie gaben sich völlig

überrascht.

»Weg hier!« stieß der blonde Sven hervor und ließ sofort von dem

am Boden Liegenden ab.

»Laß es dir wohl ergehen auf der Güldenburg«, raunte Waldemar

Felix zu. Er versetzte dem vermeintlichen Opfer noch schnell einen
Fußtritt und hastete seinen beiden Gefährten nach, die bereits mit

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Felix' Pferd zwischen den Bäumen untergetaucht waren.

Felix schickte den dreien noch eine böse Verwünschung hinterher.

Dann streckte er sich lang im Buchenlaub aus. Er tat nicht nur so, als
fühle er sich kraftlos und zerschunden. Er war es wirklich.

*

Seit mehreren Tagen weilte Roland auf Camelot, und es drängte ihn
eigentlich gar nicht sonderlich, das Schloß so schnell wieder zu
verlassen. Der Herrschaftssitz von König Artus war der Mittelpunkt
des höfischen Lebens. Die edelsten Ritter, die schönsten Frauen
gaben sich hier ein Stelldichein, und die Prachtentfaltung suchte
ihresgleichen in allen Landen. Noch war Roland nicht in den erlese-
nen Kreis der Ritter der Tafelrunde aufgenommen worden. Fünfzig
gefahrvolle Aufgaben mußte er im Auftrag des Königs erfüllen, dann
würde ihm diese große Ehre zuteil werden.

Aber der außerordentliche Mut und die Geschicklichkeit, die er bei

der Bewältigung der bisherigen Aufgaben an den Tag gelegt hatte,
machten ihn trotz seiner Jugend bereits jetzt zu einem Mann, der von
den anderen Rittern hochgeschätzt und von den Frauen geliebt
wurde. War es da verwunderlich, daß es Roland genoß, sich in der
Sonne seines jungen Ruhms zu sonnen?

Jetzt befand er sich auf dem Weg zum Zimmer einer

Schloßschönen, die ihn eingeladen hatte. Roland wäre nicht Roland
gewesen, hätte er diese Einladung ausgeschlagen. Einem galanten
Abenteuer war er niemals abgeneigt.

Hurtig eilte er durch die Wandelgänge des königlichen Schlosses.

Schon der Gedanke an die Liebesfreuden, die ihn erwarteten,
erhitzten sein ungestümes Blut. Bevor er jedoch das Zimmer des
Fräuleins erreichte, wurde er aufgehalten.

»Ritter Roland, auf ein Wort!«
Roland blieb stehen, wandte sich um. Der Mißmut über die

Störung stand ihm im Gesicht geschrieben.

In der Tür des Zimmers, an dem er gerade vorbeigekommen war,

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stand ein Mann, mit dem Roland bisher nur flüchtige Bekanntschaft
geschlossen hatte.

Sir Ector! Er war ein Jugendgefährte von Artus und besuchte ihn

ab und zu.

Roland hatte große Achtung vor Sir Ector. Die hochgewachsene

Gestalt des Mannes, die edlen, würdigen Gesichtszüge, das weiße
Haupthaar und der lange weiße Bart - dies alles war schon dazu
angetan, ein Gefühl der Ehrfurcht hervorzurufen. Selbst bei Roland,
der normalerweise auch den Großen dieser Welt mit der Unbeküm-
mertheit der Jugend gegenübertrat.

»Ja, Sir Ector?«
Der weißhaarige Mann lächelte. »Habt Ihr einen Augenblick Zeit

für mich?«

»Alle Zeit der Welt.«
Das schöne Burgfräulein mußte warten.
»Dann tretet näher, Roland.«
Sir Ector machte eine einladende Handbewegung, der Roland

unverzüglich Folge leistete.

Er war leicht enttäuscht, als sich der Raum, in den ihn Sir Ector

gebeten hatte, als gewöhnliches Gästezimmer entpuppte, das
üblicherweise Besuchern von Camelot vorbehalten war. Insgeheim
hatte er gehofft, in die Privatgemächer Sir Ectors geführt zu werden.
Man munkelte am Hofe, daß sich der weißhaarige Mann insgeheim
mit Alchimie beschäftigte, wovon Roland gerne etwas mehr gesehen
hätte. Aber Sir Ector wollte ihm seine Geheimnisse wohl nicht
offenbaren.

Vor dem brennenden Kamin standen zwei hochlehnige Sessel, in

denen die beiden Männer Platz nahmen. Als jeder von ihnen einen
irdenen Becher mit köstlichem Honigwein vor sich stehen hatte,
begann der Vertraute des Königs das Gespräch.

»Artus gedenkt, Euch als nächstes ins Frankenland zu senden, wo

ihr einen Aar zur Strecke bringen sollt.«

»Einen Aar?« wunderte sich Roland. »Ist dazu nicht auch ein

einfacher Bauernbursche mit einer Steinschleuder in der Lage?«

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»So einfach dürfte die Aufgabe nicht sein. Dieser Aar hat es bisher

verstanden, Steinen und Pfeilen zu widerstehen. Es geht das Gerücht
um, daß seine Federn so fest gefügt sind, daß ihnen keine Waffe
etwas anhaben kann.«

»Und warum soll er getötet werden?«
»Er ist ein Menschenräuber. Schon manches Kind packte er mit

mächtigen Klauen und verschleppte es in seinen Horst.«

Roland nickte. Er wußte noch nichts von seinem nächsten Auftrag.

Aber wenn Sir Ector es sagte, würde es gewiß stimmen.

»Wenn Ihr im Frankenland weilt - würdet Ihr mir eine kleine

Gefälligkeit erweisen?«

»Alles, was in meiner Macht steht! Sagt mir nur, was ich tun soll,

Sir Ector.«

»Ihr wißt, daß ich mich ein wenig mit Alchimie beschäftige?«

fragte der Vertraute des Königs.

»Ich hörte davon, ja.«
»Nun, dann wird Euch die Bitte, die ich an Euch richten möchte,

nicht merkwürdig vorkommen.«

»Äußert sie, Sir Ector.«
»Kennt Ihr die Güldenburg?«
»Nein«, mußte Roland gestehen.
»Die Güldenburg liegt am Lauf des unteren Mains. Sie hat keine

besondere Bedeutung im großen Weltgeschehen, obwohl es Dinge
gibt, die sie von den meisten anderen Burgen unterscheidet. Zum
ersten gilt sie auf Grund ihrer Lage als völlig uneinnehmbar. Und
zum zweiten dient sie einem Mann als Wohnstatt, der mein Interesse
erweckt hat. Ist Euch der Name Thegan ein Begriff?«

»Es gab einst einen berühmten Bischof ...«
»Den meine ich nicht«, unterbrach ihn Sir Ector lächelnd. »Ich

spreche von Thegan, dem Goldmacher. Es heißt, er sei in der Lage,
einfache Steine in Gold zu verwandeln. Ich würde Thegan gerne
kennenlernen, um ein bißchen über die Kunst der Alchimie mit ihm
zu plaudern. Würdet Ihr ihm meine Einladung überbringen?«

Roland nickte eifrig. »Wenn es weiter nichts ist...«

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»Unterschätzt die Aufgabe nicht«, sagte Sir Ector »Thegan gilt als

sehr menschenscheu. Er soll sich hartnäckig weigern, seinen Fuß vor
die Tore der Güldenburg zu setzen. Ihr braucht also gewiß Euer
ganzes Geschick, um Thegan zu einer Reise nach Camelot zu
bewegen.«

»Der Mann ist schon so gut wie hier«, sagte Roland im Brustton

der Überzeugung.

Und was er sagte, das meinte er auch.

*

An der Spitze seiner Getreuen sprengte Graf Heribert von
Güldenburg heran. Unmittelbar vor dem Überfallenen zügelte er sein
Pferd. Er tat es so heftig, daß der Hengst in der Hinterhand hochging
und laut wieherte.

»Seid Ihr verletzt, Herr?«
Der Mann am Wegesrand stöhnte zum Herzerweichen. Man sah

ihm an, wie er sich mühte, tapfer und mannhaft zu sein. Aber die
Schmerzen und die Verletzungen, die man ihm zugefügt hatte, ließen
dies ganz offensichtlich nicht zu. Immerhin, er lebte noch. Graf
Heribert schmeichelte sich, daß der Mann dies nur ihm verdanken
konnte. Wenn er und seine Gefolgschaft nicht zufällig im rechten
Augenblick des Weges gekommen wären, hätte es gewiß ein übles
Ende mit ihm genommen.

Graf Heribert wandte sich an seine Begleiter. »Ritter Lothar, nehmt

ein paar Männer, und verfolgt die Meuchler!«

»Wie Ihr befehlt, Graf Heribert!«
Sogleich scharte der angesprochene Ritter vier, fünf Männer um

sich und drang mit ihnen in den Wald ein. Unterdessen wies der Graf
zwei andere Getreue an, sich um den am Boden Liegenden zu
kümmern. Auch diese Weisung wurde sofort ausgeführt.

Der Fremde schien es wert zu sein, daß man sich um ihn bemühte.

Er war gewiß kein hergelaufener Kerl, wie sie in großer Zahl durch
das Land zogen. Allein seine vornehme Kleidung, wiewohl jetzt arg

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in Mitleidenschaft gezogen, wies ihn als einen Mann von Stande aus.
Und auch die wilde Entschlossenheit, mit der er sich gegen die
Übermacht seiner Gegner gewehrt hatte, ließ auf seine ritterliche
Gesinnung schließen. Heribert zweifelte nicht im mindesten daran,
daß adliges Blut in den Adern dieses tapferen Mannes floß.

Mit Unterstützung der beiden Helfer konnte sich der Überfallene

jetzt langsam in eine sitzende Stellung aufrichten. Seine verzerrten
Züge gaben zu erkennen, daß er dabei große Schmerzen verspürte.
Blut, das aus Mund und Nase hervorquoll, machte sein edel
geschnittenes Gesicht zu einer Maske des Schreckens.

»Könnt Ihr sprechen?« erkundigte sich Graf Heribert mit

teilnahmsvoller Stimme.

Der Fremde nickte, brachte die ersten Worte aber erst hervor,

nachdem er einen Mund voll Blut ausgespuckt hatte.

»Habt Dank dafür, daß Ihr mir das Leben gerettet habt«, sagte er

mit einiger Mühe. »Wenn Ihr nicht gekommen wärt, hätte mich
dieses Gesindel fraglos umgebracht.«

»Wer waren die Kerle?« erkundigte sich der Graf. »Feinde von

Euch, die Euch aus bestimmtem Grunde überfielen?«

Der Fremde schüttelte den Kopf. »Ich habe die Hundsfotte nie in

meinem Leben gesehen. Es waren gemeine Räuber, die es auf Leib
und Gut abgesehen hatten. Sie nahmen mein edles Pferd, mein
Schwert und mein Gold. Mögen sie für diese ruchlose Tat eines
Tages im grellsten Höllenfeuer braten!«

Der Graf lächelte. Die Leidenschaft, die aus dem Überfallenen

sprach, gefiel ihm. Und wie es schien, war er doch nicht so schwer
verletzt, wie es zuerst ausgesehen hatte.

»Wer seid Ihr, Herr?« fragte er.
»Freigraf Felix von Leubus, wenn's beliebt.«
Fragend runzelte Heribert die Stirn. »Von Leubus? Ich bedaure,

aber das Geschlecht ist mir nicht bekannt. Ihr tragt mir dies nicht
nach, hoffe ich.«

»Gott bewahre! Hierzulande bedeutet mein Name nichts. In meiner

Heimat jedoch, dem Herzogtum Schlesien, ist er wohlangesehen und

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von jedermann gut gelitten.«

»Aus Schlesien kommt Ihr? Dann liegt eine weite Reise hinter

Euch!«

»Das kann man sagen. Um so zorniger macht es mich, daß mir

kurz vor dem Ziel meiner Reise dieses Mißgeschick widerfahren
mußte.«

»Und was war das Ziel Eurer Reise?«
»Mir wurde die Ehre zuteil, dem Herzog dieses schönen Landes

eine Freundesbotschaft meines Landesherrn zu überbringen. Aber
natürlich kann ich in meinem Zustand kaum vor die Augen des
Fürsten treten!« Betrübt blickte Felix von Leubus auf seine zerfetzte
Kleidung und das Blut an seinen Händen.

Bevor Graf Heribert etwas erwidern konnte, krachte und knackte

es im Unterholz. Der Ritter Lothar und seine Begleiter kamen aus
dem Wald zurück.

Ohne die Räuber!
Mit einem ungnädigen Stirnrunzeln nahm es der Graf zur

Kenntnis. Aber Ritter Lothar hatte eine gute Rechtfertigung. Das
unwegsame Waldgelände, in dem die Pferde kaum vorwärts kamen,
begünstigte die Räuber so sehr, daß an eine sinnvolle Verfolgung
nicht zu denken war, zumal Lothar und seinen Männern auch die
erforderliche Ortskenntnis fehlte.

»Ich bedaure dies sehr«, versicherte Graf Heribert dem Adligen

aus Schlesien. »Zu gern hätte ich Euch die Genugtuung gegönnt, den
Schurken eigenhändig das Henkerseil um den Hals zu legen. Darf ich
Euch zum Trost auf meine Burg einladen? Dort sollt Ihr Gelegenheit
bekommen, zu gesunden und anschließend dem Herzog Eure
Aufwartung in würdiger Art und Weise zu machen.«

Dankend nahm Felix von Leubus die Einladung an.

*

Zum wiederholten Mal an diesem Tag trat Freiherr Ingolf von der
Klosterburg ans Turmfenster und blickte erwartungsvoll in die Ferne.

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Aber wieder einmal wurden seine Erwartungen enttäuscht. Weit und
breit war von den Männern, die er so sehnlichst zurückerwartete,
nichts zu sehen.

Warum, beim Barte des Königs, kamen sie nicht? War irgend

etwas dazwischengekommen? Hatten seine vier Getreuen am Ende
sogar versagt?

Der Gedanke an letzteres versetzte ihm einen Stich in die Brust.

Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn sie den Männern
des Grafen in die Hände gefallen waren und ein Geständnis abgelegt
hatten. Dann war sein eigenes Leben keinen Pfifferling mehr wert.
Heribert kannte keine Gnade mit denjenigen, die danach trachteten,
ihm das zu nehmen, was er sein eigen nannte.

Schnell verscheuchte Ingolf die düsteren Gedanken. Noch bestand

ja Hoffnung. Noch durfte er davon ausgehen, daß alles nach Plan
verlaufen war und sich zum Besten wenden würde.

Und das war auch bitter nötig, denn Ingolf war mit seinen

gegenwärtigen Lebensumständen alles andere als glücklich. Ein
Mann wie er verdiente mehr, verdiente zumindest ebensoviel wie
Graf Heribert von Güldenburg. Zumindest!

Die Klosterburg gab nicht viel her. Im Grunde genommen war sie

gar keine richtige Burg. Sie war das, was der Name schon erkennen
ließ: ein Kloster. Ein Kloster, das die Mönche während der Großen
Pest verlassen hatten und in das sie niemals zurückgekehrt waren.
Lange Jahre hatte es leergestanden. Dann aber war er, der Ritter
Ingolf, gekommen und hatte das Kloster in seinen Besitz genommen.
Er hatte dem Grafen seine Dienste angeboten und war von ihm auch
mit einigen Ländereien belehnt und mit dem Titel eines Freiherrn
versehen worden. Die meisten Männer an seiner Stelle wären nun
zufrieden gewesen mit dem, was sie erreicht hatten. Er jedoch nicht.
Er strebte nach Höherem, nach Reichtum und Macht, die ja
bekanntlich Hand in Hand gingen. Und nun hatte er die Maßnahmen
ergriffen, die ihm den Reichtum sichern sollten. Wenn alles so ablief,
wie es geplant war!

Ungeduldig wartete Ingolf eine weitere Stunde. Dann endlich sah

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er am Horizont eine Staubwolke. Die Staubwolke lichtete sich bald,
gab die Gestalten von vier Reitern frei.

Vier?
Ingolf ballte die rechte Hand zur Faust. Wenn alle vier

zurückkehrten, dann war das Unternehmen zu einem Fehlschlag
geworden. Der so fein ersonnene Plan war nicht aufgegangen.

Oder doch?
Ingolf kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, um

besser sehen zu können. Und dann erkannte er auch, daß er sich
geirrt hatte. Nicht vier Reiter waren es, die dort kamen, sondern doch
nur drei. Das vierte Pferd trug keinen Reiter, wurde von einem der
anderen nur am Zügel mitgeführt.

Heiß wie siedendes Wasser stieg der Triumph in Ingolf auf. Jetzt

sah es doch danach aus, als hätten seine Getreuen die ihnen gestellte
Aufgabe erfüllt.

Es dauerte nicht mehr lange, bis die drei Männer heranwaren. Da

es weder einen Schutzgraben noch eine Burgmauer gab, konnten sie
gleich auf den Hof reiten. Dort standen nahezu alle Burgbewohner zu
ihrem Empfang bereit - die übrigen Getreuen Ingolfs, die
Frauenzimmer und das Gesinde. Nur der Freiherr fehlte. Er zügelte
seine Ungeduld und wartete in seinen Privatgemächern.

Seine Geduld wurde auf die Probe gestellt. Es verging noch

geraume Zeit, bis endlich an die Tür geklopft wurde.

»Herein!«
Friedrich Schwarzbart trat ein. Er machte eine Verbeugung, die

gerade noch tief genug war, um nicht unehrerbietig zu erscheinen.

»Ihr kommt spät«, sagte Ingolf rügend.
Der Schwarzbärtige zuckte die Achseln. »Es war nicht unser

Verschulden, Herr Baron. Graf Heribert hatte sich mehr Zeit auf dem
herzoglichen Schloß gelassen, als wir ahnen konnten.«

»Nun denn, so berichte! Wurde euer Vorhaben von Erfolg

gekrönt?«

Friedrich lachte laut und dröhnend. »Und ob, Herr Baron! Wir

haben den Gräflichen eine Posse vorgespielt, wie sie keine

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Schaustellertruppe besser hätte bieten können. Felix wurde ehrenvoll
in den persönlichen Schutz des Grafen genommen und dürfte sich
jetzt längst auf der Güldenburg befinden.«

Auch Ingolf lachte jetzt, erleichtert und mit sich und der ganzen

Welt zufrieden.

»Trefflich, trefflich«, sagte er. »Ich wußte doch, daß ich mich auf

euch verlassen konnte. Euch drohte keine Gefahr?«

»Mitnichten. Zwar versuchten die Gräflichen, uns zu verfolgen.

Aber sie erkannten sehr schnell, daß es ihnen eher gelingen würde,
die Strahlen der untergehenden Sonne einzufangen als uns.«

Ingolf rieb sich die Hände. »So kommt nun alles auf Felix an! Aber

ich glaube schon, daß wir ihm vertrauen dürfen.«

»Das glaube ich auch«, stimmte ihm der Schwarzbärtige zu. »Wer

so viel Glück hat wie er, dem kann nichts mißlingen.«

Alles stand also gar prächtig. Die Gefahr, daß man auf der

Güldenburg herausfand, wer der Ritter Felix wirklich war, durfte als
äußerst gering eingeschätzt werden. Felix, Friedrich, Sven und
Waldemar waren erst vor wenigen Wochen in die Dienste Ingolfs
getreten. Die Güldenburger kannten keinen von ihnen. Allenfalls
bestand die Möglichkeit, daß einer der Getreuen Heriberts früher
einmal eine Begegnung mit Felix gehabt hatte, aber das wollte er
nicht hoffen. Von der Vergangenheit seiner vier neuen Paladine
wußte Ingolf wenig. Ihm war nicht einmal bekannt, ob sie wirklich
fahrende Ritter waren, wie sie sagten. Vielleicht hatten sie auch als
Räuber ihr Leben gefristet. Dies jedoch kümmerte den Freiherrn
wenig. Für ihn galt nur, daß sie ihm treu ergeben waren. Nicht, weil
sie ihn aufrechten Herzens liebten, sondern weil sie in seinen
Diensten ihr eigenes Fortkommen zu fördern gedachten. Und diese
Rechnung, davon war Ingolf jetzt vollkommen überzeugt, würde
zweifellos aufgehen.

Die Weinfässer für Graf Heribert standen schon bereit.

*

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Die Güldenburg klebte an den Felsen wie ein Schwalbennest an der
Turmwand. Von drei Seiten war sie vollkommen unzugänglich, und
der Weg, der zum Burgtor führte, war so schmal, daß ein normales
Pferdefuhrwerk Mühe hatte, sich zwischen den Felsen
hindurchzuwinden. Ein breiter, tiefer Burggraben sorgte für
zusätzliche Sicherheit.

Felix sah die Güldenburg zum ersten Mal in seinem Leben. Als die

Zugbrücke nach unten gelassen wurde, wußte er, warum der Sitz
Graf Heriberts als uneinnehmbar galt. Ein Sturmangriff war
vollkommen ausgeschlossen. Allenfalls kam eine Belagerung in
Frage. Diese aber würde so langwierig werden und so viel Zeit in
Anspruch nehmen, daß selbst der mächtigste Heerführer
Schwierigkeiten haben würde, seine Getreuen bei der Stange zu
halten. Und so, wie niemand ohne das Einverständnis des Grafen in
die Burg hineinkam, so kam auch niemand hinaus, wenn Heribert das
nicht wollte. Felix, der bisher die Pläne seines Dienstherrn für
reichlich umständlich gehalten hatte, sah nunmehr ein, daß der Baron
wohl doch auf dem richtigen Weg war.

»Eine gar prächtige Burg habt Ihr da, Graf«, sagte er, als er an der

Seite Heriberts über die Zugbrücke ritt.

Er saß etwas schief im Sattel des Pferdes, das ihm der Graf zur

Verfügung gestellt hatte. Einmal gehörte das zu seiner Rolle. Und
zum zweiten hatte er tatsächlich unangenehme Schmerzen in der
rechten Seite, genau dort, wo ihn der letzte Fußtritt Waldemars
getroffen hatte. Bestimmt waren eine oder gar mehrere Rippen
gebrochen. Waldemar würde dies noch bitterlich zu büßen haben.

Graf Heribert fühlte sich geschmeichelt von den lobenden Worten.

Lächelnd sagte er: »Wartet, bis Ihr die Burg von innen seht. Dort
werden Euch die Augen übergehen.«

Und die Augen gingen Felix in der Tat über. Bislang hatte er die

Beschreibungen, die ihm Baron Ingolf vom Reichtum der
Güldenburg gegeben hatte, für übertrieben gehalten. Und auch die
Worte des Grafen selbst waren ihm mehr als Prahlerei erschienen.
Aber von Prahlerei konnte gar keine Rede sein. Die Güldenburg

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verdiente ihren Namen zu Recht. Sie war eine goldene Burg, im
wahrsten Sinne des Wortes. Niemals zuvor hatte Felix soviel Gold
gesehen. Goldene Standbilder, goldenen Bilderrahmen, goldene
Kandelaber, goldene Becher und Teller. Selbst die Beschläge
mancher Türen erstrahlten im matten rötlichen Glanz des Goldes.
Und auch das übrige Interieur der Burg ließ kaum Wünsche offen.
Da gab es feinen weißen Marmor aus den Landen jenseits der Alpen,
erlesen geschliffene Glasarbeiten, die nur von begnadeter
Künstlerhand stammen konnten, herrliche Teppiche, wie man sie
sonst nur im Morgenland antreffen konnte. Felix konnte sich kaum
ein herzogliches oder königliches Schloß vorstellen, das es an
Prachtentfaltung mit der Güldenburg aufzunehmen vermochte.

Felix war sich vollkommen im klaren darüber, wem Graf Heribert

all diesen Reichtum und schwellenden Luxus verdankte: niemand
anderem als Thegan, dem Goldmacher, natürlich. Solange sich
Heribert der unermüdlichen Schaffenskraft des Alchimisten erfreute,
konnte ihn niemand an Reichtum übertreffen. Wenn der Goldmacher
aber dereinst nicht mehr in seinen Diensten stand ... Felix konnte
nicht vermeiden, daß ihm bei diesem Gedanken ein sattes Lächeln
über die Züge huschte.

Das Gästezimmer, das ihm zugewiesen wurde, paßte voll und ganz

in den Rahmen der Burg. Nie zuvor hatte sich Felix so wohl gefühlt,
und er sah bereits jetzt mit Mißbehagen dem Augenblick entgegen, in
dem er die Güldenburg wieder verlassen mußte. Allein die Aussicht
darauf, daß er bald selbst im Luxus schwelgen konnte, machte ihm
das Abschiednehmen etwas leichter.

Noch nahm er aber keinen Abschied. Zunächst mußte er seine

Verletzungen auskurieren, die ihm die vermeintlichen Räuber
zugefügt hatten. Daß diese im Grunde genommen nicht der Rede
wert waren, verstand er gekonnt zu verschleiern. Der Bader des
Grafen hatte in der Tat eine gebrochene Rippe bei ihm festgestellt.
Diesen Umstand nahm er zum Anlaß, seinen Aufenthalt in der
Güldenburg geziemend zu verlängern.

Und er nutzte seine Zeit gut. Bald schon kannte er die Güldenburg

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fast so gut wie die Klosterburg seines Dienst -herrn Ingolf. Er kannte
die Privatgemächer des Grafen, die Quartiere seiner bewaffneten
Getreuen, das Gesindehaus. Er wußte Bescheid über die
Kontrollgewohnheiten der Burgwächter, die Gepflogenheiten der
Köche und Mundschenke, die ihn ganz besonders interessierten, kurz
und gut, er wußte bis ins kleinste Bescheid, wie das Alltagsleben auf
der Burg ablief.

Nur eins war ihm nicht gelungen: die Bekanntschaft des

Goldmachers Thegan zu machen. Thegan war ein Einzelgänger, war
ein Mann, der sich offensichtlich ganz bewußt von den anderen
Burgbewohnern absonderte und nicht an ihrem Leben teilnahm. Ein
paarmal hatte Felix ihn gesehen, ohne die Möglichkeit zu erhalten,
mit ihm ins Gespräch zu kommen. Der Goldmacher schien nur
glücklich zu sein, wenn er sich in seiner Alchimistenküche aufhalten
konnte. Wo sich diese befand, das hatte Felix bereits
herausgefunden.

Schließlich kam die Stunde, in der es dann doch hieß, Lebewohl zu

sagen. Graf Heribert ließ es sich nicht nehmen, persönlich Abschied
von ihm zu nehmen.

»Es war mir ein großes Vergnügen, Euch in der Stunde der Not

helfen zu können«, versicherte ihm der Burgherr. »Und ich will
hoffen, Ihr haltet die Güldenburg in gutem Angedenken.«

»Dies ist so gewiß wie das Amen in der Kirche«, erwiderte Felix.

»Niemals werde ich vergessen, was Ihr für mich tatet. Und komme
ich auch aus dem fernen Schlesien, so soll mich doch die Entfernung
nicht daran hindern, Euch meinen Dank in gebührender Weise
abzustatten. Wie ich feststellen konnte, seid Ihr ein großer Freund
erlesener Tropfen.«

»So ist es«, bestätigte der Graf. »Ein guter Wein ist nicht mit Gold

aufzuwiegen.«

Das kann nur jemand sagen, der genug von letzterem hat, dachte

Felix nicht ohne Neid. Laut sagte er: »Wußtet Ihr schon, daß auch
wir in Schlesien einen vorzüglichen Wein anbauen?«

»Wirklich?« wunderte sich der Graf. »Ich dachte immer, in

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Schlesien sei es so kalt, daß keine Rebe gedeihen kann.«

»Ein Irrtum, Herr Graf, ein großer Irrtum. Herb ist er, unser Wein,

bei Kennern jedoch hochbeliebt. Ich bin mir ganz sicher, daß ein
Feinschmecker wie Ihr ihn zu schätzen wüßte.«

»Gern würde ich eine Kostprobe nehmen.«
Auf diese Worte hatte Felix gewartet.
»Wenn es weiter nichts ist«, sagte er. »Es soll mir ein Vergnügen

sein, Euch ein paar Fässer zu schicken. Und wer weiß, vielleicht
bringe ich Sie Euch sogar selbst, denn ich muß gestehen, daß ich
Eure schöne Burg liebgewonnen habe.«

»Ihr seid mir stets willkommen, Freigraf Felix von Leubus.

Überbringt dem Herzog Eure Botschaft. Und dann, wenn Ihr nichts
Besseres zu tun habt...«

Nach diesen einladenden Worten Heriberts zweifelte Felix nicht

mehr daran, daß der Plan des Barons tatsächlich aufgehen würde. Er
verabschiedete sich und verließ die Güldenburg.

Schon sehr bald aber würde er wiederkommen.

*

Wie nicht anders erwartet, gab König Artus Roland tatsächlich den
Auftrag, den mörderischen Aar im Frankenland zur Strecke zu
bringen. Gemeinsam mit seinen beiden Knappen, dem dicken,
gemütlichen Pierre und dem drahtigen, feurigen Louis, verließ
Roland Camelot und machte sich auf den Weg zu dem fränkischen
Bergdorf Mainsfeld, wo der Aar sein Unwesen trieb.

Die Dorfbewohner empfingen den Ritter mit großer Freude.

Rolands Ruhm war auch schon bis zu ihnen gedrungen, und sie
waren nun voller Hoffnung, daß der geflügelten Bestie endlich der
Garaus gemacht wurde.

Roland besprach sich zunächst mit dem Schultheiß von Mainsfeld,

einem braven, alten Mann, der den Ankömmlingen auch gleich
Quartier in seinem Haus anbot. Das jedoch lehnte der Ritter mit dem
Löwenherzen von vornherein ab.

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»Wir werden unsere Zeit im Freien verbringen«, machte er dem

Alten klar. »Dort, wo das bevorzugte Jagdgebiet des Aars liegt.«

»Da käme am ehesten die Voglerweide in Frage«, sagte der

Schultheiß nach kurzem Nachdenken. »Dort selbst ist die Bestie
schon mehrmals auf Raub ausgegangen.«

»Die Voglerweide also«, nickte Roland.
Mehrere Dorfbewohner brachten Roland und seine Knappen zu der

Weide hinaus. Es war eine sanft abfallende, ziemlich hoch gelegene
Wiese.

Oben auf dem Kamm wuchs eine Gruppe von Haselnußsträuchern.
»Besser hätten wir es nicht antreffen können«, sagte Roland

befriedigt. »Zwischen den Sträuchern können wir uns verbergen.«

Louis machte ein zweifelndes Gesicht. »Glaubt Ihr wirklich, der

Vogel kommt vorbei, während wir hier warten, Ritter Roland?«

»So ohne weiteres wohl kaum«, meinte der Ritter mit dem

Löwenherzen. »Wir müssen ihn anlocken.«

»Und wie?«
Roland erkundigte sich bei den Dorfbewohnern, was den Aar in

der Vergangenheit besonders gereizt hatte. Er erfuhr, daß es vor
allem leuchtende Farben waren, für die der teuflische Vogel eine
Vorliebe zu haben schien. Einmal hatte er einen kleinen Jungen mit
flammendrotem Haar gepackt und in seinen Hort verschleppt. Ein
anderes Mal war ihm ein junges Mädchen, das ein himmelblaues
Kleid trug, zum Opfer gefallen.

»Dann weiß ich, mit welchem Köder wir den Aar aufmerksam

machen können«, sagte Roland. »Mit einer Puppe!«

So geschah es. Eine Dörflerin, die sich besonders gut auf das

Nähen und Schneidern verstand, fertigte aus Stroh und rosafarbenem
Leinentuch eine kindsgroße Puppe an. Die Enkeltochter des
Schultheiß opferte einen Teil ihres prächtigen flachsblonden Haars
und dazu ein flammendrotes Kleidchen. Nun sah die Puppe einem
echten Kind zum Verwechseln ähnlich.

Dann machten sich Roland, Louis und Pierre wieder auf zur

Voglerweide. Sie legten die Puppe ein gutes Dutzend Schritte von

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den Haselnußsträuchern entfernt ins Gras und zogen sich dann in das
Unterholz zurück. Sie waren darauf vorbereitet, unter Umständen
eine ganze Weile warten zu müssen. Deshalb schlugen sie ein kleines
Zelt auf, in dem sie auch die Nacht verbringen konnten.

Geduld war nun die höchste Tugend. Der erste Tag verging, ohne

daß sich der Riesenvogel blicken ließ. Die Nacht brach an.
Wechselweise hielten die drei Männer Wache, denn die
Dorfbewohner hatten ihnen gesagt, daß der Aar gelegentlich auch
des Nachts auf Raub auszog. Die erste Nacht verging jedoch
ereignislos.

Auch der nächste Morgen verlief nicht anders. Am Nachmittag

jedoch sahen sie den Aar ...

Ganz plötzlich war er da. Stolz und majestätisch schwebte er am

Himmel. Selbst aus der noch beträchtlichen Entfernung konnten
Roland und seine Knappen erkennen, wie groß er war. Seine
Flügelspannweite betrug mehrere Ellen, und seine Klauen hielten
jeden Vergleich mit einer starken Männerhand aus. Sein Gefieder
war schwarz wie die Nacht. Es glänzte, als die Strahlen der Sonne
darauf fielen.

»Fürwahr ein prächtiges Tier«, stellte Louis fest.
»Leider hat es einen bösen Sinn«, gab Roland zurück. »Und

deshalb ...«

Die Hoffnungen der Männer, daß es sich auf die Puppe stürzen

würde, erfüllten sich jedoch nicht. Zwar zog es seine Kreise über der
Voglerweide, Kreise, die immer enger wurden. Kein Zweifel, es
hatte die Puppe gesehen. Aber es schien argwöhnisch zu sein. Ganz
plötzlich stieg es wieder in die Höhe und flog davon, ohne zurückzu-
kehren.

Und am anderen Morgen war es tatsächlich wieder da. Ein

schwarzer Punkt erschien am strahlend blauen Himmel, ein Punkt,
der immer größer wurde und schließlich die mächtige Vogelgestalt
erkennen ließ. Aber es schien nach wie vor mißtrauisch zu sein. Es
zog seine Kreise, machte jedoch keine Anstalten, sich dem
Wiesengrund zu nähern.

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Roland und seine Getreuen verhielten sich ganz ruhig, wagten

kaum zu atmen. Eine hastige Bewegung, ein unbedachter Laut
konnten den Aar endgültig vertreiben.

Und dann geschah etwas gänzlich Unerwartetes. Ein Schaf

erschien plötzlich auf dem Kamm der Voglerweide, kurz darauf noch
eins. Weitere folgten, und schließlich gesellte sich ein junges
Mädchen mit blondem Haar zu den leise blökenden Tieren.

Eine Schäferin mit ihrer Herde!
Das Mädchen wußte wohl nichts von der Falle, die Roland

errichtet hatte. Es sah die Puppe und trat neugierig näher.

Roland murmelte eine Verwünschung und blickte zum Himmel

empor. Der Aar war noch immer da.

Das Mädchen ging neben der Puppe in die Knie, streckte die Hand

danach aus. Verwunderung spiegelte sich in seinem hübschen
Gesicht wider.

Und da geschah es ...
Einem Pfeil gleich schoß der Aar nach unten. Er kam so plötzlich,

daß Roland und die Knappen völlig überrascht wurden. Niemals
hätten sie es für möglich gehalten, daß ein Vogel so schnell fliegen
konnte.

Und der mächtige Vogel packte nicht die Puppe. Er packte das

Mädchen. Gellend schrie die junge Frau auf. Der mörderische Aar
hatte seine gewaltigen Fänge in die Schultern des Mädchens gekrallt,
wo sie im Kleid festen Halt fanden. Er machte ein paar kräftige
Flügelschläge und ... schwebte nach oben. Schon verloren die Füße
der jungen Frau den Kontakt mit dem Boden.

Erneut gellte ihr Schrei durch die blaue Morgenluft. Ein Schrei des

Entsetzens und der Angst.

Alles war bisher so schnell gegangen, daß Roland und die Knappen

gar nicht zum Eingreifen kamen. Nun aber faßte sich der Ritter mit
dem Löwenherzen. Er sprang auf und stürzte aus dem Gesträuch
hervor. Mit langen, mächtigen Sätzen jagte er auf die Weide.

Wieder machte der Aar einen Flügelschlag. Das Mädchen

schwebte jetzt bereits mehrere Ellen über dem Erdboden.

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Da machte Roland einen verzweifelten Sprung. Er renkte sich fast

die Arme aus den Gelenken. Aber es gelang ihm im allerletzten
Augenblick, den Fuß des Mädchens zu packen.

Für einen Moment schien es so, als würde der gewaltige

Raubvogel nun auch ihn mit in die Luft zerren. Dann aber wurde ihm
das Gewicht doch zu schwer. Er ließ das Mädchen los.

Gemeinsam mit der jungen Frau stürzte der Ritter mit dem

Löwenherzen zu Boden.

Und nun geschah das Ungeheuerliche. Der Vogel flüchtete nicht.

Er griff an!

Mit gespreizten Flügeln schoß die Blutbestie auf Roland hinunter.

Sein mächtiger, dunkler Schnabel sah aus wie eine Sichel. In seinen
großen Augen glitzerte es teuflisch.

Roland warf sich zur Seite. Keinen Augenblick zu früh. Der

mörderische Schnabel hackte dorthin, wo der Ritter gerade noch
gelegen hatte.

Sofort war Roland wieder auf den Füßen. Und nun ging er zum

Angriff über. Blitzschnell griff er zu und bekam den Hals des
Raubvogels zu packen. Er hatte das Gefühl, eine Bohle aus
Eichenholz zu umklammern. So hart, so unnachgiebig war der Hals
des riesigen Tieres.

Der Aar schüttelte sich, versuchte, den Griff zu lockern. Aber

Roland hielt unerbittlich fest, gab seinem unheimlichen Gegner keine
Gelegenheit, erneut mit dem mörderischen Schnabel zuzuhacken.

Nun aber nahm die Blutbestie ihre Krallen zu Hilfe. Wie scharfe

Messer bohrten sie sich in Rolands Rücken und fetzten ihm ein Stück
Haut aus dem Nacken.

Louis und Pierre waren herbeigeeilt. Aber sie wußten nicht so

recht, was sie machen sollten. Ritter und Aar waren zu einem
scheinbar unentwirrbaren Knäuel verschlungen.

Roland aber wußte, was er jetzt zu tun hatte. Mit der freien Hand

griff er nach seinem Schwert und riß es aus dem Gehenk. Dann
befreite er sich mit einem gewaltigen Ruck aus den Krallen des
Vogels. Daß er dabei abermals mehrere Hautfetzen verlor, kümmerte

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ihn nicht.

Dann hieb er mit dem Schwert zu, einmal, zweimal, dreimal.

Wieder hatte er das Gefühl, auf einen massiven Eisenklotz
einzuschlagen. Aber dieser Eindruck täuschte. Der riesige Vogel
zeigte Wirkung. Seine Flügelschläge wurden matter. Ein heiseres
Krächzen kam aus seiner Kehle.

Roland hatte den Hals des Tieres nach wie vor umklammert. Ganz

plötzlich ließ er jetzt los. Und schlug im gleichen Augenblick mit
dem Schwert zu.

Das war das Ende des Kampfes. Sein Streich hatte eine solche

Wucht, daß der Blutbestie der Kopf vom Rumpf getrennt wurde.
Entseelt stürzte das mächtige Tier ins Gras.

Jubelnd eilte der Knappe Pierre auf ihn zu.
»Ihr habt es geschafft, Ritter Roland, Ihr habt es geschafft. Nun

wird man Euch landein, landaus nicht nur den Drachentöter, sondern
auch noch den Adlertöter nennen!«

*

Das Mädchen Thilde zuckte zusammen, als sie das Kettenrasseln an
der Tür hörte. Angstvoll richtete sie sich auf ihrem erbärmlichen
Strohlager auf.

Wer kam um diese Zeit in ihr düsteres Kellerverlies? Brot und

Grütze hatte sie erst vor wenigen Stunden bekommen. Und auch der
Wasserkrug war noch wohlgefüllt. Speis und Trank konnte man ihr
also kaum bringen. Nur eins hatte der unerwartete Besuch demnach
zu bedeuten ...

Thilde konnte ein tiefes Aufstöhnen nicht vermeiden, als sie an das

dachte, was ihr wahrscheinlich bevorstand. Gott gebe, daß es nicht
wahr ist, flüsterte sie innig. Aber schon während sie die frommen
Worte sagte, wußte sie, daß sie sinnlos waren. Gott würde ihr nicht
helfen. Er hatte ihr nie geholfen, hatte vielmehr zugelassen, daß man
ihr alles Üble antat, was man einer Frau nur antun konnte. Ihr Glaube
an den gütigen, barmherzigen Gott war längst verloren gegangen.

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Mit einem quietschenden Knarren öffnete sich die schwere

Eichentür. Zitternd vor banger Erwartung und Furcht versuchte
Thilde, die Dunkelheit ihres engen Verlieses mit ihren Augen zu
durchdringen. Licht zeigte sich jetzt an der Tür, der flackernde
Schein mehrerer Fackeln.

Vier Männer traten ein. Drei der Folterknechte und ... ihr Vater.
»Thilde, mein Kind!«
Ihr Vater wollte auf sie zustürzen, wollte sie in seine Arme ziehen.

Aber dazu ließen es die anderen nicht kommen.

»Hiergeblieben, Alter«, sagte der eine und hielt ihn an beiden

Armen fest.

Der Mann war groß und stark. Ihr Vater konnte nicht das geringste

gegen ihn ausrichten. Sosehr er auch versuchte, sich dem Griff zu
entziehen, er schaffte es nicht.

Thilde wollte etwas sagen, aber die Angst verschloß ihr den Mund.

Sie wußte, warum die Männer gekommen waren, wußte, daß sich
ihre Ahnungen bewahrheiteten. Sie preßte sich eng gegen die
steinerne Wand in ihrem Rücken, versuchte regelrecht, in die Wand
hineinzukriechen. Aber das war natürlich nicht möglich.

Die anderen beiden Männer traten jetzt auf sie zu, blieben vor

ihrem Strohlager stehen. Der eine leuchtete ihr mit seiner Fackel
genau ins Gesicht.

»Steh auf, Frauenzimmer!«
Thilde hatte nicht die Kraft, der Aufforderung nachzukommen. Sie

zitterte so sehr, daß sie kaum in der Lage gewesen wäre, auf ihren
eigenen Füßen zu stehen.

Die beiden Männer rührte das nicht. Der eine beugte sich zu ihr

nieder, packte sie an den Schultern und riß sie hoch. Wütend
schüttelte er sie hin und her.

»Es zahlt sich nicht aus für dich, wenn du meinen Zorn erregst,

Frauenzimmer«, fuhr er sie an.

Dann schleifte er sie in die Mitte des Raums, wo in der niedrigen

Decke ein eiserner Haken in die Decke eingelassen war. Mit einem
Strick band er ihr die Hände zusammen und befestigte den Strick

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anschließend an dem Deckenhaken. Er ließ das Mädchen los. Thilde
konnte jetzt nicht mehr hinfallen. Mit hochgereckten Armen hing sie
mehr da, als sie stand, gehalten durch den Strick. Sie bot ein Bild des
Jammers und der Hilflosigkeit.

Das harte Herz des Folterknechts ließ sich dadurch jedoch nicht

erweichen. Eher war das Gegenteil der Fall. Mit einem genüßlichen
Lachen fetzte ihr der Mann, der sie an den Haken gefesselt hatte, die
Kleidung vom Leib: Vollkommen nackt war sie jetzt. Der
Fackelschein zauberte verwirrende Muster auf ihre weiße Haut.

Dann holte der Mann eine Peitsche mit dünnen, geflochtenen

Lederriemen hervor.

»Nein!« schrie Thildes Vater mit gellender, überschnappender

Stimme. »Ich flehe Euch an, laßt meine Tochter in Ruhe. Schlagt
mich statt dessen!«

»Dich, Alter?« grinste der Mann mit der Peitsche. »Kommt

überhaupt nicht in Frage! Du weißt recht gut, wie sehr uns dein
Wohlergehen am Herzen liegt. Peitschenhiebe könnten deiner
kostbaren Gesundheit Schaden zufügen.«

»Bitte«, wiederholte der alte Mann, »schont meine Tochter. Ich tue

doch alles, was in meinen Kräften steht.«

»Das tust du eben nicht, Alter! Unser Herr führt Klage darüber,

daß deine Arbeit sehr zu wünschen übrig läßt. Darum bedarfst du
eines kleinen Ansporns!«

Der Mann wandte sich wieder dem unglücklichen Mädchen zu.

Schon zischten die Lederriemen durch die Luft.

Die Schreie von Vater und Tochter kamen wie aus einem Mund.

Der alte Mann wollte sich losreißen, wollte dem Folterknecht die
grausame Peitsche entreißen. Aber der andere hielt ihn unerbittlich
fest. Er gestattete auch nicht, daß der alte Mann den Kopf abwandte,
um das Schreckliche nicht mit ansehen zu müssen.

»Sieh hin, Alter«, sagte er roh, »sieh gut hin. Dies alles geschieht

schließlich nur, um dir die Flausen der Unbotmäßigkeit gründlich
auszutreiben!«

Fast brach dem alten Mann das Herz. Aber ihm blieb nichts

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anderes übrig, als dem grausamen Schauspiel bis zum bitteren Ende
beizuwohnen.

*

Eigentlich hätte Roland nach Camelot zurückkehren können. Die
Aufgabe, die ihm König Artus gestellt hatte, war erfüllt. Aber da war
immer noch die Bitte, die Sir Ector geäußert hatte. Und diese Bitte
nahm der Ritter mit dem Löwenherzen nicht weniger ernst ; als den
Auftrag des Königs. Er würde dafür sorgen, daß der Goldmacher
Thegan nach Camelot kam.

Auf zur Güldenburg!
Natürlich war der dickliche Knappe Pierre davon alles andere als

begeistert. Er schätzte das Bequeme, das Gemütliche, schätzte ein
Leben, in dem er seinen Magen füllen und seinen Körper auf
weichem Lager lang ausstrecken konnte. All dies konnte er auf
Schloß Camelot, während draußen in der Fremde Gefahr und Mühsal
warteten. Aber was sollte er machen? Wo sein Herr hinzog, da mußte
auch er hinziehen.

Ganz anders Louis. Der ehemalige Räuber hielt nicht viel von

Muße und süßem Nichtstun. Er liebte das Abenteuer, liebte den
Kampf, bei dem er seine ganze Geschicklichkeit und
Geschmeidigkeit einsetzen konnte.

Die Reise zur Güldenburg war ganz nach dem Geschmack des

Knappen Pierre. Gute und sichere Wege führten durch das Maintal.
Überall gab es Herbergen, die für das leibliche Wohl der Reisenden
sorgten. Und auch die Menschen, das einfache Volk und die Leute
vom Stande gleichermaßen, waren freundlich und den Fremden
wohlgesinnt.

Ohne unterwegs irgendwelchen Mißhelligkeiten ausgesetzt worden

zu sein, erreichten Roland und seine Knappen die Güldenburg. Der
Empfang, der ihnen zunächst zuteil wurde, entsprach allerdings nicht
so ganz ihren Erwartungen.

Die Torwächter auf der Burg waren auch dann noch nicht bereit,

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die Ankömmlinge einzulassen, nachdem sich Roland als Sendbote
von König Artus zu erkennen gegeben hatte.

»Wartet«, wurden sie kurz und knapp beschieden.
Mindestens eine Viertelstunde verging, bis endlich die Zugbrücke

hinuntergelassen und ihnen Einlaß gewährt wurde.

Kaum waren sie auf dem Burghof angelangt, zogen die Wächter

die Brücke auch schon wieder hoch. Gleichzeitig wurden Roland und
seine Gefährten von mehreren anderen Getreuen des Grafen umringt.

»Seid uns gegrüßt, Ritter!«
Sie klangen nicht unfreundlich, diese Worte. Aber es mangelte

ihnen doch an echter Herzlichkeit. Ein gewisser Argwohn sprach aus
den Mienen der Burgbewohner.

Roland, Pierre und Louis stiegen von ihren Pferden, die sofort vom

gräflichen Gesinde in Obhut genommen und weggeführt wurden. Die
Einladung, die eigentliche Burg zu betreten, blieb jedoch noch aus.

»Gebt mir Euer Schwert, Ritter«, verlangte einer der Paladine Graf

Heriberts.

»Mein Schwert?« echote Roland verwundert. »Was, in des Königs

Namen, wollt Ihr mit meinem Schwert?« Wie von selbst legte sich
seine rechte Hand auf den Knauf der Waffe, so, als wolle er sie vor
fremdem Zugriff schützen.

»Es ist Sitte auf der Güldenburg, daß keine Waffen getragen

werden«, bekam er Bescheid.

Roland blickte die Männer an, einen nach dem anderen. Kein

einziger von ihnen war unbewaffnet. Augenscheinlich galt die Sitte
der Waffenlosigkeit nur für ihn.

»Sie gilt für alle Fremden«, unterrichtete ihn der Sprecher der

Gräflichen, nachdem ihm Roland entsprechende Vorhaltungen
gemacht hatte.

»Auch für Sendboten des Königs der Könige?«
»Auch für die!«
Noch immer hielt Roland den Knauf seines Schwertes

umklammert. Einst hatte er sich vorgenommen, sich niemals von der
Waffe zu trennen. Auch wenn er sich zum Schlafen niederlegte,

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befand sich das Schwert stets in seiner Reichweite. Er war immer gut
mit dieser Angewohnheit gefahren und sah keinen Grund, nun davon
abzugehen.

»Und wenn ich mich weigere?« fragte er.
»Dann müssen wir Euch als einen Mann ansehen, der es auf die

Schätze unseres Herrn abgesehen hat. Und wer ein besitzergreifendes
Auge auf diese wirft, ist des Todes!«

Das waren unmißverständliche Worte, deutlich ausgesprochen.

Roland zögerte. Wenn er sich jetzt hartnäckig weigerte, sein Schwert
abzugeben, würde man ihn vielleicht nicht töten, ganz gewiß aber
wieder vor die Burgtore setzen. Und das konnte auch nicht in seinem
- und Sir Ectors - Sinne sein.

»So sei es denn«, antwortete er, immer noch leicht widerstrebend.

»Nehmt mein Schwert.« Er konnte es sich allerdings nicht
verkneifen, noch hinzuzufügen: »Hoffen kann ich also nur, daß es
nicht auch Sitte ist, waffenlose Gäste nächtens zu meucheln, auf daß
ihre Schätze die Schätze der Güldenburg mehren.«

Heiterkeit erhob sich darob unter den Getreuen des Grafen. Kein

Ärger wegen seiner deutlichen Worte.

»Macht Euch dieserhalb keine Sorgen, Ritter«, meinte der

Sprecher, während das Vergnügen noch immer seine Lippen
kräuselte. »Die Güldenburg hat andere Mittel, ihren Besitz zu
mehren, als Gäste ihrer Habe zu berauben.«

Da hatte er wohl recht, mußte Roland zugeben. Wer einen

Alchimisten in seinen Diensten hatte, der es verstand, Dreck in Gold
zu verwandeln, konnte getrost darauf verzichten, Raub und Diebstahl
auf. sein Banner zu schreiben.

Er übergab den Güldenburgern sein Schwert und bat auch Louis

und Pierre, sich von ihren Waffen zu trennen. Louis war das gar
nicht recht. Er bedachte Roland mit einem mißbilligenden Blick,
erhob aber kein Wort des Widerspruchs. Nur zu gut wußte er, daß es
sich nicht für einen Knappen geziemte, seinen Herrn mit herber
Kritik zu behelligen, noch dazu in der Gegenwart Fremder. Glücklich
fühlte er sich im Augenblick indes ganz bestimmt nicht. Roland

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konnte es ihm nachempfinden. Auch er kam sich ohne sein Schwert
geradezu nackt vor.

Wie dem auch war, in jedem Fall hatte man sie als Gäste auf der

Güldenburg aufgenommen.

Und Heribert war auch gleich bereit, den Ritter mit dem

Löwenherzen gebührend zu empfangen.

*

Mit mürrischem Gesicht saß der Knappe Justus auf seinem Schemel
und starrte gelangweilt auf die eiserne Tür, die er hüten sollte wie
seinen eigenen Augapfel.

Die Aufgabe, die man ihm übertragen hatte, gefiel ihm ganz und

gar nicht. Viel lieber hätte er sich mit den anderen im
Schwerterkampf geübt oder einem störrischen Gaul die Bockigkeit
ausgetrieben. Dies waren Taten, bei denen sich ein angehender Ritter
bewähren konnte. Aber was tat er? Er saß hier und hielt Maulaffen
feil.

Aber er hatte keine andere Wahl. Graf Heribert hatte ihm befohlen,

hier Wache zu halten. Aus gutem Grunde wohl, denn hinter der
eisernen Tür lag die Schatzkammer der Güldenburg. Und diese
Schatzkammer war, wie der Graf sagte, bestohlen worden. Nun galt
es, den frechen Dieb zu entlarven, falls dieser es abermals wagen
sollte, sich am Besitz des Burgherrn zu vergreifen.

Wie es der Übeltäter bewerkstelligt hatte, seinen dreisten Raub

auszuführen, war bislang unerklärlich. Die Schatzkammertür wurde
durch sieben Schlösser gesichert. Und die Schlüssel zu diesen
Schlössern befanden sich im ausschließlichen Besitz des Grafen.
Dennoch war die Tat geschehen, ohne daß der Dieb des Grafen
Schlüssel an sich gebracht hatte. Dafür gab es eigentlich nur eine
einzige Erklärung: Der Dieb mußte mit dem Teufel im Bunde sein.

Allerdings hatte Justus nie so recht an den Teufel geglaubt. Und

Graf Heribert auch nicht. Deshalb spielte er also nun den Aufpasser,
gut verborgen hinter ein paar ausgemusterten Ritterrüstungen, durch

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deren aufgeklappte Visiere er sehen konnte.

Zwei Tage saß er nun schon in seinem Versteck. Der Dieb war

nicht wiedergekommen. Und das würde er wohl auch in absehbarer
Zeit nicht tun, denn gewiß hatte er sich bei seinem jüngsten Raubzug
so reichlich eingedeckt, daß er sich eine Wiederholung des
risikoreichen Bubenstücks sparen konnte. Da der Graf jedoch anderer
Meinung gewesen war ...

Justus gähnte. Der Knappe denkt, der Herr aber lenkt. Damit mußte

er sich abfinden.

Dann aber, Justus wollte es zuerst kaum glauben, kam doch

jemand ...

Der Graf selbst vielleicht, der sich davon überzeugen wollte, ob

sein Getreuer auch wachsam genug war?

Nein, der Mann, der dort näher und näher kam, konnte nicht Graf

Heribert sein. Der Burgherr war hochgewachsen und breitschultrig.
Der Ankömmling jedoch war nur mittelgroß und von schmaler
Statur. Fast schlurfend bewegte er sich vorwärts.

Die Beleuchtung im Gang war schwach. Lichtschein fiel nur von

einer entfernten Wandfackel ein. Deshalb konnte Justus noch immer
nicht mit Gewißheit bestimmen, wen er da vor sich hatte. Aber er
hatte eine ganz bestimmte Ahnung.

Und als der Mann dann unmittelbar vor der Schatzkammertür

stehenblieb, bestätigte sich diese Ahnung.

Ja, er war es!
Justus hielt den Atem an, um seine Anwesenheit nicht vorzeitig zu

verraten. Noch war nicht klar, ob der Ankömmling tatsächlich
beabsichtigte, in die Schatzkammer einzudringen.

Wenig später jedoch stand es fest. Der Mann blickte sich vorsichtig

und sorgsam nach allen Seiten um. Bestimmt nahm er dabei die
mehrere Klafter von ihm entfernten Ritterrüstungen wahr. Aber er
maß ihnen offensichtlich keinerlei Bedeutung zu. Jedenfalls griff er
unter seine Kleidung und holte ein voluminöses Schlüsselbund
hervor.

Wieder warf er hastige Blicke nach links und rechts. Dann steckte

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er den ersten Schlüssel in eins der Schlösser.

Justus haderte mit sich. Sollte er eingreifen oder nicht? Eigentlich

hatte ihm der Graf aufgetragen, nur zu beobachten. Vielleicht, weil er
fürchtete, daß der Dieb ihn überwältigen und somit sein Geheimnis
bewahren könne.

Nach einigem Überlegen kam Justus zu einem Entschluß. Ja, er

würde eingreifen! Die Gefahr, überwältigt zu werden, sah er nicht.
Mit diesem Dieb würde er auch fertig werden, wenn er einen großen
Krug Met ganz allein ausgetrunken hätte. Außerdem machte es auf
den Grafen auch einen viel besseren Eindruck, wenn er ihm den
Übeltäter am Schlawittchen gepackt vorführte - am besten noch mit
einem gestohlenen Kleinod in der Tasche.

Sechs Schlösser hatte der Dieb jetzt bereits geöffnet. Gerade

machte er sich am siebten und letzten zu schaffen.

Justus ließ ihn gewähren.
Jetzt hatte es der Dieb geschafft. Alle Schlösser waren für ihn kein

Hindernis mehr. Schon machte er die Tür auf und schlüpfte flugs in
die Schatzkammer.

Nun hielt es Justus für angebracht, auf den Plan zu treten. Er gab

seinen Beobachtungsposten auf und schlich auf leisen Sohlen zur
Tür. Ruckartig riß er sie auf.

Lichtschein drang ihm entgegen. Der Dieb schien sich sehr sicher

zu fühlen, hatte eine Fackel entzündet. Justus blinzelte.

Aber es war nicht allein das Licht, das ihn blendete. Dafür sorgte

auch die einzigartige Pracht der Schatzkammer. Wo auch immer der
Knappe hinblickte, glänzte und gleißte es, als würden in dem Raum
tausend kleine Feuer lodern. Es fiel ihm schwer, den Blick von den
Kostbarkeiten zu lösen und seine Aufmerksamkeit dem Dieb zu
widmen.

Dieser war völlig überrascht, starrte ihn mit großen Augen an. Die

unvermutete Entdeckung war ihm sichtlich auf Herz und Magen
geschlagen. In den Händen hielt er einen goldenen Stab, den er wohl
gerade in dem mitgeführten Sack verschwinden lassen wollte. Dazu
sollte er jedoch keine Gelegenheit mehr bekommen.

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»Habe ich dich, Halunke«, sagte Justus triumphierend. »Wer hätte

schon gedacht, daß ausgerechnet du der Schatzräuber bist?«

Der ertappte Dieb antwortete nicht. Bleich und stocksteif stand er

da, wie gelähmt.

»Komm her«, befahl Justus.
Der Dieb blieb, wo er war.
Langsam wurde der Knappe ärgerlich. »Hast du nicht gehört, was

ich gesagt habe? Herkommen sollst du!«

Zögernd und zaudernd setzte sich der Dieb jetzt in Bewegung. Mit

schleppenden Schritten trat er auf Justus zu, ein gebrochener Mann,
der ganz genau wußte, welche Bestrafung er nun zu gegenwärtigen
haben würde. Fast tat er dem Knappen ein bißchen leid.

Eine Körperlänge waren die beiden Männer jetzt noch voneinander

entfernt.

Und plötzlich wurde der Dieb schnell. So schnell, wie es Justus

niemals für möglich gehalten hätte. Die rechte Hand, die immer noch
den goldenen Stab umklammert hielt, schoß nach vorne wie der Kopf
einer zuschnappenden Kreuzotter.

Justus hatte damit in keiner Weise gerechnet. Er kam nicht mehr

dazu, zur Seite oder nach hinten auszuweichen. Und spät, viel zu spät
erkannte er, daß es kein einfacher Stab war, den der Dieb in der Hand
hatte. Erst als die Klinge siedendheiß in seine Brust eindrang wurde
ihm klar, daß es sich um einen goldenen Dolch handelte. Aber diese
Erkenntnis nutzte ihm jetzt nichts mehr. Entseelt sank er zu Boden.
Sein Blut färbte die weißen Marmorplatten der Schatzkammer rot.

»Tut mir leid, mein Junge«, murmelte der Dieb.
Wenig später hatte er den Toten in eine leere Truhe gepackt und

seinen Sack mit Gold gefüllt. Dann verließ er die Schatzkammer,
schloß die Tür wieder sorgfältig ab und verschwand im Halbdunkel
des Ganges.

*

Graf Heribert lachte. »Thegan soll die Güldenburg verlassen?

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Schlagt Euch das aus dem Kopf, Ritter Roland!«

Dem Ritter mit dem Löwenherzen wurde auf einmal klar, daß er

den Herrn der Güldenburg eigentlich nicht so recht mochte. Sein
erster Eindruck von dem breitschultrigen Mann mit dem kantigen
Gesicht war durchaus vorteilhaft gewesen. Zweifellos strahlte
Heribert eine gewisse männliche Freundlichkeit aus. Während des
Gesprächs merkte Roland jedoch immer deutlicher, daß diese
Freundlichkeit mehr eine Gönnerhaftigkeit war, das Gehabe eines
Mannes, der sich seiner Macht bewußt war und im Grunde
genommen auf alle anderen Menschen herunterblickte wie Gottvater
von seinem Himmelsthron. Da er dabei keineswegs die natürliche
Würde ausstrahlte, wie das etwa bei König Artus der Fall war, fühlte
man sich in seiner Gegenwart bald irgendwie unwohl.

Roland ließ sich dadurch aber nicht verdrießen. Nach wie vor war

es seine erklärte Absicht, den Alchimisten abzuwerben. Und wenn er
dabei dem Grafen ein bißchen auf die Füße trat, dann konnte er es
auch nicht ändern.

»Wenn man Euch so reden hört, Graf Heribert, dann könnte man

meinen, Ihr verwehrt Thegan das Verlassen der Güldenburg«, sagte
er recht respektlos.

Ein ärgerliches Funkeln, das Roland nicht entging, trat in die

Augen des Burgherrn, verflüchtigte sich allerdings sofort wieder.

Er lachte. »Ich will nicht leugnen, daß ich Thegan nur ungern

scheiden sehen würde. Aber daß ich ihn gegen seinen Willen
hierbehalte ... Wirklich, Ritter Roland, Ihr unterstellt mir da Dinge,
die geradezu ehrenrührig sind. Manchen anderen würde ich dafür
unverzüglich aufs Rad flechten lassen. Ihr habt Glück, daß Ihr ein
Paladin des Herrn von Camelot seid!«

Zweifellos konnte man aus diesen Worten eine unterschwellige

Drohung heraushören. Aber Roland hatte sich noch nie durch
Drohungen einschüchtern lassen, ganz gleichgültig, ob diese nun
versteckt oder ganz unverblümt daherkamen.

»Würde es Euch etwas ausmachen, wenn ich selbst mit Eurem

Alchimisten spräche, um ihm die Einladung von Camelot

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vorzutragen?« fragte er, ohne auf die vielsagenden Worte des Grafen
einzugehen.

Heribert zögerte zunächst, nickte dann. »Gewiß, warum auch

nicht? Es ist ja wohl eine hohe Ehre für Thegan, daß der
hochberühmte Sir Ector das Gespräch mit ihm sucht. Dennoch, Ritter
Roland, ich kann Euch schon jetzt versichern, daß Thegan die
Einladung mit aller Entschiedenheit ablehnen wird.«

»Wir werden sehen.«
Graf Heribert zog an einer Schnur, worauf eine Glocke hell zu

läuten begann. Eine goldene Glocke, verstand sich. Ein Bediensteter
betrat den Empfangsraum.

»Herr Graf befehlen?«
»Bring mir den Goldmacher her!«
Der Bedienstete machte eine tiefe, ehrerbietige Verbeugung und

zog sich wieder zurück.

Während der folgenden Minuten bemühte sich Roland, die leicht

gereizte Atmosphäre wieder zu entkrampfen. Er tat dies, indem er
lauter lobende Worte für die Güldenburg fand. Er ging dabei sogar so
weit, daß er Vergleiche mit Schloß Camelot anstellte. Dies war zwar
stark übertrieben, aber doch nicht ganz von der Hand zu weisen.
Zumindest was die Präsenz puren Goldes anging, konnte man in der
Tat von echten Parallelen sprechen.

Seine launigen Worte verfehlten ihr Ziel nicht. Heribert fühlte sich

sichtlich geschmeichelt und wurde wieder ausgesprochen freundlich.
Selbst das Gönnerhafte trat jetzt nicht mehr so aufdringlich zutage,
wie das vorhin der Fall gewesen war.

Eine ganze Weile verging, bis der Bedienstete zurückkehrte - mit

dem Goldmacher.

Die äußere Erscheinung Thegans entsprach nicht so ganz den

Vorstellungen, die sich Roland von ihm gemacht hatte. Thegan war
ein recht kleiner Mann, der beinahe zerbrechlich wirkte. Von Würde
und Macht keine Spur. Der Alchimist vermittelte vielmehr den
Eindruck eines Wurms, der sich ständig krümmt, weil er getreten
wird. In dem schmalen, fast ausgemergelten Gesicht saßen die Augen

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tief in den Höhlen. Augen, die wie hilflos in die Welt blickten.

Dies also war der Mann, von dem Sir Ector mit Achtung

gesprochen hatte. .Roland vermochte es kaum zu glauben. Und doch
war es so.

Der Bedienstete verschwand wieder, ließ den alten Mann allein an

der Tür stehen.

»Tritt näher, Thegan«, forderte Heribert ihn auf.
Der Alchimist tat es unsicheren Schrittes und zögernd. Der Graf

bot ihm einen freien Lehnstuhl an und schob ihm auch noch einen
Becher hinüber, den er eigenhändig aus dem bereitstehenden Krug
füllte.

»Trink, Thegan«, sagte er. »Es ist ein ganz ausgezeichneter

Tropfen, der dir gewiß munden wird.«

Zuerst sah es so aus, als ob der alte Mann den Wein ablehnen

würde. Das tat er dann aber doch nicht. Er hob den Pokal, trank einen
kleinen Schluck daraus und setzte ihn dann wieder auf die
Tischplatte zurück. Dies alles tat er mit völlig ausdruckslosem
Gesicht, ohne den Grafen oder Roland dabei anzusehen.

Komischer Heiliger! fuhr es dem Ritter mit dem Löwenherzen

durch den Kopf.

Heribert räusperte sich, ergriff wieder das Wort.
»Thegan, ich möchte dich mit dem edlen Ritter Roland bekannt

machen. Du siehst in ihm einen Abgesandten von König Artus, der
nur hierhergekommen ist, um mit dir zu sprechen.«

Wenn der Alchimist beeindruckt war, dann verstand er es

vorzüglich, dies zu verbergen. Nach wie vor zeigte er keine
Gemütsregung, sondern fuhr fort, schweigend auf die Tischplatte zu
starren.

»Genauer gesagt«, erläuterte Roland, »komme ich nicht als

Sendbote des Königs. Es war vielmehr Sir Ector, der mich zu Euch
schickte. Er ist Euch ein Begriff, Meister Thegan?«

Zum ersten Mal blickte der alte Mann auf. »Sir Ector?«
»Ja«, bestätigte Roland.
»Sir Ector ist mir ein Begriff!«

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»Er bittet Euch, nach Camelot zu kommen«, sagte der Ritter mit

dem Löwenherzen.

»Er...« Thegan bekam ganz große Augen. Seine Lippen zitterten.

Keine Frage, er war so beeindruckt, daß ihm regelrecht die Stimme
versagte.

»... bittet Euch, nach Camelot zu kommen, ganz recht«,

wiederholte Roland mit Nachdruck. »Ich kehre umgehend an den
Hof König Artus' zurück. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich begleiten.«

Ein Leuchten trat in die müden Augen des alten Mannes.
»Ich ...« Er sprach nicht weiter, blickte statt dessen zu Graf

Heribert hinüber.

Der Burgherr lächelte. »Frage nicht mich, mein lieber Thegan. Du

entscheidest ganz allein. Wenn du glaubst, auch außerhalb der
Mauern von Güldenburg glücklich und zufrieden werden zu können,
dann geh mit dem Ritter. Natürlich würde ich dein Scheiden zutiefst
bedauern, denn du warst mir stets ein treuer Untertan. Aber wenn es
dich wirklich von dannen zieht ... Ich wäre der letzte, der dich zum
Bleiben auffordert. Sag selbst, wie könnte ich dich auch zwingen?«

Sekundenlang sagte der Alchimist kein Wort, dann schüttelte er

langsam den Kopf. Das Leuchten in seinen Augen erlosch wie eine
Fackel, die der Wind ausgeblasen hat.

»Ich kann nicht mit Euch gehen«, sagte er zu Roland. »Der Herr

Graf hat vollkommen recht: Nur auf der Güldenburg fühle ich mich
glücklich und zufrieden.«

Tat er dies? Roland hatte nicht den Eindruck, daß er besonders

glücklich und zufrieden war. Er spürte ganz deutlich, daß der alte
Mann liebend gerne mit ihm nach Camelot kommen würde. Aber es
mußte irgendwelche Gründe geben, die ihn gegen seine eigentliche
Überzeugung handeln ließen.

Welche Gründe?
Roland wußte es nicht, hatte auch nicht die Möglichkeit, es jetzt an

Ort und Stelle herauszufinden. Eins aber wußte er: Seine Mission
drohte zu scheitern. Wie es aussah, würde er nicht imstande sein, das
Sir Ector gegebene Versprechen einzulösen. Noch aber wollte er es

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sich nicht eingestehen.

»Die Trennung von der Güldenburg soll ja nicht für immer sein,

Meister Thegan«, sagte er zu dem Alten. »Ihr stattet Sir Ector einen
Besuch ab und kehrt dann zurück. Nun?«

Wieder blickte der Alchimist den Burgherrn an. Und wieder

schüttelte der den Kopf.

»Nein«, antwortete Thegan. »Ich möchte die Güldenburg nicht

verlassen. Auch nicht vorübergehend.«

Roland ballte die Fäuste. Er mußte sich beherrschen, um nicht

wütend auf den Tisch zu schlagen. Um seinen Zorn etwas
abzukühlen, griff er nach dem Weinbecher und leerte ihn mit einem
einzigen Schluck.

Thegan erhob sich. »Werden meine Dienste noch benötigt?« fragte

er mit einer Stimme, die dem Ritter mit dem Löwenherzen
merkwürdig brüchig vorkam.

»Ritter Roland?« lächelte der Graf.
»Nein. Es ist wohl alles gesagt worden, was zu sagen wäre.«
Heribert nickte dem Alchimisten zu. »Dann kannst du wieder

gehen, mein lieber Thegan. Ich danke dir übrigens für die Treue, die
du mir erwiesen hast. Und ich könnte mir vorstellen, daß ich nicht
der einzige bin, der dir dafür dankt!«

Da war ein Unterton in der Stimme des Grafen, der Roland zu

denken gab. Seine abschließenden Worte hatten sicherlich mehr zu
bedeuten, als er heraushören konnte.

Der alte Mann drehte sich um und verließ den Raum.
Graf Heribert war die Zufriedenheit in Person. »Nun, was habe ich

Euch gesagt, Ritter Roland?«

Der Ritter mit dem Löwenherzen zwang sich zu einem Lächeln.

»Mir scheint, Ihr kennt Eure Getreuen eben doch besser als ich.«

»So ist es«, nickte Heribert und wirkte jetzt wieder sehr, sehr

gönnerhaft.

*

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Noch gab sich Roland nicht geschlagen. Wenn er herausfand, warum
sich der Alchimist so hartnäckig weigerte, die Güldenburg zu
verlassen... Vielleicht schaffte er es doch noch, Thegan mit zum Hof
König Artus' zu nehmen.

Graf Heribert hatte nichts dagegen, daß er noch blieb. Ein paar

Schmeicheleien über die Einzigartigkeit der Güldenburg, und schon
hatte er seine Einladung sicher. Daß diese auch für seine beiden
Knappen galt, verstand sich nach ritterlicher Sitte von selbst.

Roland blieb nicht lange der derzeit einzige Gast des Burgherrn.

Als sich die Sonne langsam anschickte, jenseits des Mains
unterzugehen, liefen oben auf der Burgmauer die Wächter
zusammen. Ein Meldegänger eilte ins Innere der Burg und kehrte
kurz darauf zurück. Daraufhin wurde die Zugbrücke
hinuntergelassen und das Tor geöffnet.

Roland, der sich gerade bei den Ställen aufgehalten hatte, um sich

vom Wohlergehen der Pferde zu überzeugen, schlenderte herbei.

Ein mit zwei Zugpferden bespanntes Fuhrwerk rollte auf den

Burghof. Zwei Männer saßen auf dem Kutschbock. Der eine von
ihnen war an seiner einfachen Kleidung leicht als Mann aus dem
Volk zu erkennen. Der andere jedoch gehörte fraglos dem
Adelsstand an. Hermelin, Pfauenfedern, elegante, fast stutzerhafte
Beinkleider, der Mann stellte etwas dar, da gab es gar keine Frage.

Er schien bekannt zu sein auf der Güldenburg, dieser Mann. So gut

bekannt, daß es sich Graf Heribert nicht nehmen ließ,
höchstpersönlich auf dem Burghof zu erscheinen.

Der Ankömmling kletterte vom Kutschbock.
Würde man ihn jetzt ebenfalls auffordern, sein Schwert

abzugeben? fragte sich Roland.

Dies erwies sich als überflüssig. Der Besucher zog seine Klinge

ganz von selbst aus der Scheide und überreichte sie einem der
gräflichen Getreuen. Wahrscheinlich war er damit der Peinlichkeit
entgangen, sich gegen seinen Willen entwaffnen zu lassen.

Graf Heribert trat herbei. »Freigraf Felix, welch eine freudige

Überraschung!«

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»Auch ich freue mich, wieder auf Eurer prächtigen Burg weilen zu

dürfen, Graf Heribert.«

Nach ritterlicher Sitte verbeugten sich die beiden Männer und

legten ihre Unterarme aneinander.

»Ich habe Euch das versprochene Gastgeschenk mitgebracht«,

sagte der Ankömmling. »Köstlichen Wein aus meiner Heimat!«

Mit einer großartig wirkenden Armbewegung deutete er auf die

Ladefläche des Wagens, auf der fünf, sechs große Fässer festgezurrt
waren.

Der Burgherr freute sich sichtlich über das Gastgeschenk.
»So ist der heutige Abend also gerettet«, sagte er heiter. »Wir

werden Euren Wein kosten. Und wenn er gar so köstlich mundet, wie
Ihr sagt, dann soll uns erst der Schrei des Hahns aufs Lager treiben!«

Während die Fässer unter Aufsicht des Gastes abgeladen und in

den Weinkeller gebracht wurden, wandte sich Roland an einen der
Güldenburger Ritter.

»Sagt mir, wer ist der Besucher?« erkundigte er sich. »Euer Herr

scheint ihn ja regelrecht in sein Herz geschlossen zu haben.«

»Felix von Leubus«, bekam er zur Antwort. »Ein Freigraf aus den

schlesischen Landen. Vor Wochen rettete Graf Heribert ihn aus der
Hand einer mörderischen Räuberbande. Und nun ist der Freigraf
gekommen, um seinen Dank abzustatten.«

»Aus Schlesien?« wunderte sich Roland. »Ist der Weg nicht ein

wenig weit, nur um ein paar Fässer Wein zu überbringen?«

Der Ritter zuckte mit den Schultern. »Fragt nicht mich, fragt den

Freigrafen.«

So begierig war Roland nun auch wieder nicht darauf. Wenn er

allerdings gewußt hätte, was es mit den Weinfässern tatsächlich auf
sich hatte, wäre sein Interesse sicherlich größer gewesen.

*

Auch Roland als Gast der Güldenburg wurde zum Schlesischen
Weinfest eingeladen, das am Abend stattfand. Er hatte nichts

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dagegen, denn wenn es etwas Gutes zu trinken gab, war er stets gern
dabei. Nach allem, was er gehört hatte, sollte es der Wein aus
Schlesien ganz besonders in sich haben. Die Aussichten, einem
zünftigen Gelage beiwohnen zu können, standen also gut.

Das Besäufnis fand in der großen Festhalle der Güldenburg statt.

Alle Ritter, die in den Diensten des Grafen standen, waren zugegen.
Und auch die holde Weiblichkeit fehlte nicht. Die Burgdamen kamen
zahlreich, und es waren ein paar darunter, die Roland sehr gut
gefielen. Er war zuversichtlich, den Abend mit Wein und Gesang
beginnen und mit Weib beenden zu können.

Graf Heribert und seine Gemahlin, ein häßliches, mageres

Frauenzimmer, das der Burgherr dem Vernehmen nach nur des
Goldes wegen genommen hatte, saßen an der Stirnseite der großen
Tafel. Die beiden Ehrenplätze waren an die Gäste vergeben worden.
Rechts saß Felix von Leubus, links der Ritter Roland. Die anderen
reihten sich ihrem Stande nach an.

Auch an Unterhaltung würde es nicht mangeln. Ein Fiedelspieler

war da, um Ohren und Tanzbeine mit seinen Weisen zu erfreuen.

»Wohlan denn«, sagte Graf Heribert, als alle versammelt waren,

»so wollen wir denn beginnen. Rollt das erste Faß herein!«

Unter großem Hallo aller Anwesenden brachten zwei Bedienstete

das Faß. Der Fiedler spielte und sang dazu ein Trinklied, bei dem
Roland einen leichten Magenschmerz bekam. Was die Musik anging,
war er durch seinen Freund, den berühmten Minnesänger Volker
vom Hohentwiel, verwöhnt. Im Vergleich zu Volkers kunstvollen
und melodiösen Balladen war das Spiel des Güldenburger Musikus
die reinste Stümperei.

»Schlagt das Faß an«, befahl Heribert launig.
Der gräfliche Mundschenk waltete seines Amtes. Dann ging er hin

und füllte reihum alle Gläser und Becher.

Der Burgherr stand auf und prostete Felix von Leubus zu. »Trinken

wir auf das Wohl unseres Gastes, der es sich nicht hat nehmen
lassen, eine weite und beschwerliche Reise zu unternehmen, nur um
uns diesen Abend zu bescheren!«

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Von allen Seiten schallten dem Schlesier die Hochrufe der

Tafelnden entgegen. Felix von Leubus nahm sie lächelnd hin und
hob ebenfalls seinen Becher.

»Genug der Worte«, ließ er sich vernehmen. »Genießen wir nun

endlich den Wein!«

Alle führten ihre Pokale zum Mund. Alle tranken und ließen den

Rebensaft durch ihre Kehlen rinnen. Alle stutzten.

Dann begann ein Husten, Keuchen und Röcheln, wie man es wohl

selten an einer festlichen Tafel erlebt hatte. Die Gesichter der
Trinkenden verzerrten sich zu gequälten Grimassen. Münder
öffneten sich und würgten und spuckten und schimpften und
fluchten.

»Der pure Essig!«
»Elende Pferdepisse!«
»Der Kerl will uns vergiften!«
»Verdammt sei die Erde, die solchen Wein wachsen läßt!«
Roland konnte all diesem nur voll und ganz zustimmen. Der Wein

war eine einzigartige Zumutung für Zunge und Gaumen. Niemals in
seinem Leben hatte er Übleres getrunken als diesen Wein aus den
schlesischen Landen.

Die Empörung an der Tafel war einhellig.
Nein, nicht ganz!
Ein Mann war nicht empört: Freigraf Felix von Leubus.
Der Schlesier hatte seinen Wein mit sichtlichem Behagen

getrunken und war nun ob des allgemeinen Aufruhrs sichtlich
verstört.

Den Becher mit dem widerwärtigen Gebräu noch in der Hand,

funkelte der Graf ihn an. »Sprecht, Freigraf, war es Eure Absicht, uns
alle zu vergiften?«

»Ich ... verstehe nicht, was diese Aufregung hervorgerufen hat«,

gab der Schlesier zurück. »Der Wein doch nicht etwa?«

»Wollt Ihr uns veralbern? Was sonst als Euer sogenannter Wein

sollte uns den Ekel in den Leib gejagt haben?«

»Noch immer weiß ich nicht, was Euch so verdrossen hat. Der

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Wein ist doch köstlich!«

»Köstlich?« Heribert lachte laut und böse. »Wie gerade jemand

schon sehr trefflich bemerkte... Es ist Pferdepisse!«

»Die Pisse eines kranken Pferdes«, pflichtete Roland dem

Burgherrn bei. »Eines sehr, sehr kranken Pferdes!«

»Aber nein, aber nein«, verwahrte sich der Schlesier gegen diesen

Vorwurf. »Der Wein ist ganz vorzüglich.« Er griff wieder nach
seinem Becher und leerte ihn bis zur Neige. Helles Entzücken
spiegelte sich dabei in seinen Zügen wider. »Seht Ihr? Wirklich ganz
vorzüglich! Probiert noch einmal, Graf Heribert. Nehmt einen tiefen
Schluck, laßt ihn auf der Zunge zergehen und ...«

»Schluß mit den Faxen!« fuhr ihm der Burgherr wütend über den

Mund. »Zweifellos wollt Ihr uns veralbern. Oder aber Ihr leidet an
Geschmacksverirrung und solltet Euch schnellstens bei einem Bader
in Behandlung begeben. Am liebsten würde ich Euch in das Faß
tauchen lassen und Euch zwingen, so viel von dem Zeug zu saufen,
bis Euch Mund und Nase übergehen. Da Ihr aber mein Gast seid und
ich die Gebote der Gastfreundschaft stets hochgehalten habe, sollt Ihr
ungeschoren davonkommen. Packt Euren sogenannten Wein wieder
auf den Wagen, und macht, daß Ihr davonkommt. Spätestens morgen
mittag will ich Euch nicht mehr auf der Güldenburg sehen. Haben
wir uns verstanden, Freigraf?« Der Schlesier hatte erkannt, daß es
Heribert ernst meinte. Er nickte nur stumm und stellte ansonsten eine
beleidigte Miene zur Schau.

Das Trinkgelage war beendet, kaum daß es begonnen hatte.

*

Als Felix in seinem Gästezimmer anlangte, hatte er immer noch die
größte Mühe, sich ein lautes Auflachen zu verbeißen.

Diese Dummköpfe!
Er hatte sie alle an der Nase herumgeführt. Kein einziger von ihnen

ahnte, was tatsächlich hinter der lächerlichen Weinposse steckte.
Und was den Wein selbst anging ... Wie gut, daß er auf der

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Klosterburg seinen Gaumen schon an das scheußliche Gesöff
gewöhnt hatte.. Bestimmt wäre es ihm sonst nicht gelungen, das
Zeug mit scheinbarem Behagen in sich reinzuschlürfen. Wein
durchsetzt mit Sauerampfersaft - in der Tat, etwas Übleres konnte
man sich kaum vorstellen.

Glück hatte er trotzdem gehabt. Der Graf war so zornig gewesen,

daß er ihn am liebsten sofort aus der Güldenburg gejagt hätte. Nun
stand ihm aber doch die Frist zur Verfügung, die er brauchte, um
auch den letzten Teil von Baron Ingolfs verwegenem Plan
Wirklichkeit werden zu lassen. Morgen früh würde er die
Güldenburg dann so schnell verlassen, wie es nur eben möglich war.

Noch aber war es nicht soweit. Noch stand ihm ein schweres Stück

Arbeit bevor. Zunächst jedoch konnte er sich ein paar Stunden aufs
Ohr legen. Und wenn dann auf der Burg alles schlief ...

Felix ließ sich auf seinem Nachtlager nieder. Er wußte die wohlige

Wärme und Weichheit des Lagers zu schätzen. Wenn er daran
dachte, daß man es auch viel, viel unbequemer haben konnte...

Es dauerte nicht lange, dann war Felix tief und fest eingeschlafen.

Gut vier Stunden verbrachte er im Land der Träume. Dann, ganz so,
als habe ihn ein Alarmsignal in seinem Inneren geweckt, erwachte er
wieder.

Er erhob sich von seinem Lager und trat an das Fenster des

Gästezimmers, das zur Hofseite hin lag.

Es war stockdunkel draußen. Die Morgendämmerung würde noch

eine Weile auf sich warten lassen. Ruhig und verlassen lag der
Burghof da. Und dasselbe traf auch auf alle Gebäude der Burg zu.
Mit Fug und Recht durfte Felix davon ausgehen, daß alle Bewohner -
und Gäste - noch im tiefen Schlaf lagen, mit Ausnahme der Wächter
auf der Mauer.

Er verlor jetzt keine Zeit mehr. Friedrich würde sonst vielleicht

unruhig werden.

Eilig kleidete er sich an und huschte zur Tür. Lautlos öffnete er sie

und lauschte hinaus auf den Gang.

Es gab nichts zu sehen und nichts zu hören. Die Gefahr, daß

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jemand auf ihn aufmerksam wurde, bestand kaum.

Vorsichtig schloß er die Zimmertür und schlich den Gang entlang.

An der nächsten Tür machte er kurz halt und legte das Ohr gegen die
Tür. Tiefe Atemgeräusche, begleitet von regelmäßigen
Schnarchtönen, waren deutlich zu hören.

Felix grinste. Schlaf weiter, Ritter Roland, dachte er und setzte

anschließend seinen Weg fort. Er huschte die Treppe hinunter und
öffnete dann die Tür, die auf den Hof hinausführte.

Wieder blieb er lauschend stehen und blickte aufmerksam zur

Burgmauer hinüber. Die schattenhafte Silhouette eines Mannes, der
dort oben auf und ab patroullierte, geriet in sein Blickfeld. Aber der
Wächter nahm keine Notiz von ihm. Seine Aufmerksamkeit war auf
das gerichtet, was außerhalb der Mauer vor sich ging.

Trotzdem wartete Felix ab, bis der Wachtposten wieder aus seinem

Blickfeld verschwand. Dann setzte er sich abermals in Bewegung
und schlich zu dem Gebäude hinüber, in dem die Schlafräume des
Gesindes lagen.

Auch hier war alles ruhig.
»Friedrich«, rief er im Flüsterton.
Sofort löste sich aus der Dunkelheit eine Gestalt und trat an seine

Seite.

»Du kommst spät, Felix«, raunte ihm der Schwarzbart zu. »Ich

warte schon länger als eine Stunde.«

Den Beinamen »Schwarzbart« verdiente Friedrich gegenwärtig

nicht. Um die Rolle des Pferdekutschers besser spielen zu können -
und um vor möglicher Wiedererkennung geschützt zu sein -, hatte er
sich seine Manneszierde abnehmen lassen. Er war alles andere als
glücklich darüber, aber Baron Ingolf hatte darauf bestanden.

Felix hatte jetzt wahrlich keine Lust, eine Rechtfertigung

abzugeben. Es gab wichtigere Dinge zu tun.

»Komm«, flüsterte er.
Jetzt wurde es etwas schwieriger, weiterhin unentdeckt zu bleiben.

Um zum Turm zu gelangen, mußte der ganze Burghof überquert
werden. Und wenn der Wächter auf der Mauer seine

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Aufmerksamkeit doch mal der anderen Seite zuwandte ...

Felix und Friedrich blieb dennoch nichts anderes übrig, als es zu

wagen. Und sie hatten Glück. Niemand sah oder hörte sie, niemand
rief sie an. Unbemerkt erreichten sie den Turm und schlüpften
hinein.

Erleichtert atmete Felix auf. »Fürs erste sind wir sicher. Hier wird

uns kaum einer entdecken.« Er sprach lauter als bisher, fast im
normalen Unterhaltungston.

»Das weißt du genau?« raunte Friedrich zurück. »Und wenn uns

doch jemand hört?«

Felix lachte leise. »Bei meinem letzten Besuch habe ich mich

gründlich mit allem vertraut gemacht. In diesem Turm haust niemand
außer dem Alten. Und dessen Räume liegen unten im Keller.«

»Worauf warten wir dann noch?«
Im Turm selbst war Felix bisher noch nicht gewesen. Deshalb hatte

er jetzt auch einige Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Und die
abgrundtiefe Finsternis, die im Turm herrschte, begünstigte dieses
Unterfangen auch nicht gerade.

»Wir hätten eine Fackel mitnehmen sollen«, knurrte Friedrich.
»Lichtschein ist verräterisch«, gab Felix zurück. »Wir schaffen es

auch so.«

Die abwärts führende Treppe wurde schließlich gefunden. Die

beiden Getreuen des Barons von der Klosterburg schritten sie
hinunter. An ihrem Ende stießen sie auf eine massive Bohlentür.

Die Tür war verschlossen!
Felix stieß einen gemurmelten Fluch aus. »Hölle und Teufel, damit

habe ich nicht gerechnet. Gewiß, Verliese und Schatzkammern
schützt man durch Schlösser. Aber daß jemand seine Schlaf- und
Arbeitsräume abschließt ...«

»Die Hexenküche des Alchimisten ist eine Schatzkammer«, sagte

Friedrich. »Außerdem ist es ja wohl nur zu verständlich, daß der Alte
seine Geheimnisse bewahren will - auch vor den eigenen Leuten!«

»Dann müssen wir die Tür eben aufbrechen. Hier unten können wir

ruhig Lärm machen, ohne befürchten zu müssen, daß uns jemand

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hört.«

»Aufbrechen, aufbrechen! Womit? Mit der blanken Faust

vielleicht? Wenn du so stark bist... Los, versuche dein Glück!«

Felix nagte an der Unterlippe und dachte angestrengt nach.
»Warum klopfen wir nicht an die Tür?« sagte er dann. »Vielleicht

öffnet er uns. Wenn wir behaupten, daß der Graf uns schickt...«

»Eine andere Möglichkeit gibt es jawohl nicht, oder?«
Friedrich ballte die Faust und hämmerte gegen die Tür. Das

Klopfen, das dabei herauskam, war nicht gerade laut. Friedrich setzte
deshalb zusätzlich seine Füße ein. So kräftig wie möglich trat er
gegen die Tür. Dumpf hallten die Schläge durch den Turmkeller.

Schon glaubten die beiden Männer, daß der Alte sie nicht gehört

hatte. Das war aber doch der Fall, denn nach einer ganzen Weile
wurde auf der anderen Seite der Tür eine Stimme laut.

»Wer ist da?«
»Sprich du mit ihm«, raunte Felix seinem Kumpan zu. »Er könnte

meine Stimme erkennen.«

Friedrich räusperte sich, sagte dann: »Öffne, Thegan! Der Graf hat

mich geschickt.«

»Jetzt mitten in der Nacht?« wunderte sich der alte Mann. »Zu

welchem Behufe?«

»Er will... äh ... mit dir sprechen.«
»Das glaube ich nicht«, antwortete der Alchimist. »Sicher bist du

einer von jenen, die sich am Gold vergreifen wollen!«

Natürlich, dachte Felix, es war nur menschlich, daß mancher

Getreue des Grafen versuchte, seinen eigenen Brei zu kochen und
auch ein Stück des üppigen Goldkuchens in seinen Besitz zu bringen.
In der Tat war es wenig verwunderlich, daß sich der alte Mann
einzuschließen pflegte.

»Was soll ich sagen, verdammt?« raunte Friedrich ihm hinter

vorgehaltener Hand zu.

Felix überlegte fieberhaft. Und dabei kam ihm ein Gedanke, mit

dem sich vielleicht etwas anfangen ließ. Während seines ersten
Besuchs auf der Güldenburg war ihm zu Ohren gekommen, daß

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Thegan eine Tochter sein eigen nannte. Wo sich diese Tochter
aufhielt, hatte er nicht herausfinden können. Alle Güldenburger, die
er danach gefragt hatte, waren in diesem Punkt merkwürdig
zurückhaltend gewesen. Aus welchem Grund, das wußte er nicht.
Aber im Augenblick war das auch belanglos. Es galt, den alten Mann
aus der Reserve zu locken. Und wenn man ihm dabei einen Bären
aufband...

»Sag ihm, daß es um seine Tochter geht«, zischelte er. »Oder

besser noch: Sag ihm, daß es um das Leben seiner Tochter geht!«

Friedrich war klug genug, jetzt keine überflüssigen Fragen zu

stellen. Er folgte der Empfehlung Felix', ohne zu zögern.

»Gut, Thegan«, sagte er, »wenn dir das Wohlergehen deiner

Tochter nicht am Herzen liegt...« Bedeutungsvoll ließ er die Worte in
der Luft hängen.

Er hatte genau den richtigen Nagel getroffen.
»Was ist mit meiner Tochter?« fragte der Alchimist sofort.

Aufregung und tiefe Besorgnis sprachen aus seiner Stimme.

»Es steht schlecht um sie«, fuhr Friedrich mit Grabesstimme fort.

»Sehr, sehr schlecht!«

»Warte...«
Felix und Friedrich hörten, wie sich ein Schlüssel im Schloß

drehte. Im nächsten Augenblick wurde die Tür aufgestoßen. Im
Rahmen stand der Alchimist, eine Fackel in der Hand. Ganz verstört
sah er aus. Und auch noch leicht verschlafen.

»Was ist mit meiner Tochter?« wiederholte er seine bange Frage.
Erst jetzt nahm er zur Kenntnis, wen er da eigentlich vor sich hatte.

Er kniff die Augen zusammen. »Wer seid ihr? Ich kenne euch nicht!«

»Wirklich nicht, Alter?« lächelte Friedrich.
Er hatte seinen Fuß zwischen die Tür gestellt, um Thegan daran zu

hindern, sie überraschend wieder zuzuschlagen.

»Doch, jetzt weiß ich es«, stieß der Alchimist hervor. »Ihr seid

dieser Graf aus Schlesien und ...« Er fuhr zusammen. »Es geht gar
nicht um meine Tochter! Ihr habt nur einen Vorwand gesucht...«

»In der Tat«, bestätigte Felix seine Annahme. »Deine Tochter

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kümmert uns einen feuchten Kehricht. Du bist der Mann, dem unser
ganzes Interesse gilt!«

Tatsächlich wollte der alte Mann die Tür jetzt ganz schnell wieder

zumachen. Aber das gelang ihm natürlich nicht. Friedrich versetzte
ihm einen Stoß, der ihn mehrere Ellen zurücktaumeln ließ. Dann
drangen die beiden Klosterburger in die Behausung des Alchimisten
ein.

Zuerst kamen sie in einen Raum, der dem Alten offenbar als

Schlafstatt diente. Von diesem Raum gingen weitere Türen ab. Die
zweite, die Felix öffnete, führte in die Hexenküche Thegans. Selbst
im Halbdunkel waren die Bottiche, Flaschen, Tiegel und sonstigen
Gerätschaften zu erkennen, die zum Handwerkszeug eines jeden
Alchimisten gehörten.

»Gib mir doch mal die Fackel, Alter«, verlangte Felix.
»Wozu?« fragte Friedrich scharf.
»Das dürfte doch wohl klar sein. Ich will mir mal ansehen, was der

Alte da so alles zu Gold gemacht hat. Wir nehmen soviel davon mit,
wie wir tragen können...«

»Nein!«
»Nein?« Felix zog die Augenbrauen hoch.
»Nichts nehmen wir mit«, sagte dieser entschieden. »Wir haben

keine Zeit zu verlieren. Je schneller wir wieder in unseren Quartieren
sind, desto besser. Meinst du, ich habe Lust, einem Frühaufsteher in
die Arme zu laufen?«

»Aber...«
»Kein Aber! Wozu sollen wir jetzt auch Gold mitnehmen? Wenn

wir ihn haben ...«, Friedrich deutete auf den Alchimisten, »... haben
wir alles Gold der Welt.«

Felix mußte zugeben, daß dieser Einwand berechtigt war. Wenn

man den Goldesel im Stall hatte, brauchte man nicht seinen Mist
aufzuklauben.

»Also gut«, sagte er, »lassen wir den Güldenburgern ihre Schätze.

Beschränken wir uns auf das Wesentliche!« Er trat entschlossen auf
den alten Mann zu.

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Thegan machte instinktiv zwei Schritte rückwärts. »Was ... was

habt ihr mit mir vor?«

»Du hast lange genug für Graf Heribert gearbeitet. Langsam ist es

an der Zeit, daß du den Dienstherrn wechselst. Darum kommst du
jetzt mit zu uns!«

»Ihr wollt mich ... entführen?«
»Du hast es erfaßt, alter Freund!«
Heftig schüttelte Thegan den Kopf. »Nein, das geht nicht. Ich muß

auf der Güldenburg bleiben, versteht ihr? Meine Tochter ...«

»Sagten wir dir nicht, daß uns deine Tochter einen Dreck

kümmert? Du kommst mit uns, und damit basta!«

»Niemals werden euch die Torwächter passieren lassen«, sagte der

Alte überzeugt.

»Das laß nur unsere Sorge sein!«
Der Alchimist wußte jetzt, was die Glocke geschlagen hatte. Aber

er wollte sich noch nicht in sein Schicksal ergeben. Überraschend
behende riß er den rechten Arm hoch und schleuderte die brennende
Fackel auf Felix. Gleichzeitig drehte er sich um und versuchte, mit
raschen Schritten die Tür zu erreichen.

Es gelang ihm nicht. Genauso schnell wie Felix der Fackel durch

geschicktes Abducken auswich, handelte auch Friedrich. Mit einem
langen Satz war er bei dem Alten und packte ihn an der linken
Schulter. Er wirbelte den Alchimisten herum und versetzte ihm einen
wuchtigen Fausthieb mitten ins Gesicht. Thegan stürzte zu Boden,
als sei er von einem Blitzschlag getroffen worden.

»Hoffentlich hast du ihn nicht totgeschlagen«, sagte Felix,

während er sich nach der Fackel bückte.

Friedrich beugte sich über den Alten. »Keine Bange, er lebt. Aber

er hat das Bewußtsein verloren.«

»Um so besser! So bereitet er uns wenigstens keine

Schwierigkeiten mehr.«

Friedrich holte ein paar Lederriemen hervor, die zur Ausrüstung

des Pferdegespanns gehörten. Im Handumdrehen hatte er den alten
Mann an Händen und Füßen gefesselt. Wenn Thegan aus der

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Bewußtlosigkeit erwachte, würde er nicht in der Lage sein, ein Glied
zu rühren. Zum Schluß stopfte Friedrich ihm ein grobes Tuch
zwischen die Zähne, daß der Alchimist zu würgen begann.

»So, das sollte genügen«, sagte er befriedigt. »Faß mit an!«
»Warte noch«, erwiderte Felix. »Ich sehe zuerst mal nach, ob die

Luft rein ist.«

Er verließ die Räume Thegans und huschte die Treppe hinauf.

Durch die spaltbreit geöffnete Turmtür blickte er hinaus auf den Hof.

Erleichtert stellte er fest, daß die Lage unverändert war. Noch

immer kündigte sich die Morgendämmerung nicht an. Die Wächter
auf der Burgmauer machten ruhig ihre Kontrollgänge. Ansonsten
regte sich nichts. Niemand ahnte auch nur im geringsten, was im
Turm des Alchimisten geschehen war.

Felix kehrte zu Friedrich und Thegan zurück. Der alte Mann war

weiterhin ohne Bewußtsein und würde das wohl auch noch eine
Weile bleiben. Wo Friedrich hinschlug, wuchs längere Zeit kein Gras
mehr.

Die beiden Klosterburger schlossen die Eingangstür von Thegans

Behausung sorgfältig ab und löschten die Fackel. Dann packten sie
den Gefesselten und trugen ihn die Treppe hinauf. Schwierigkeiten,
ihn zu tragen, hatten sie nicht. Der alte Mann, klein und
ausgemergelt wie er war, wog nicht allzuviel.

Als der Patrouillengänger auf der Burgmauer gerade nicht in Sicht

war, huschten Friedrich und Felix mit ihrer menschlichen Last über
den Hof. Ihr Ziel war das niedrige, klobige Gebäude, in dem die
Vorratskammern untergebracht waren. Auch der Weinkeller befand
sich hier.

Wiederum gab es keine Probleme. Da es auf der Güldenburg

niemand nötig hatte, Mundraub zu begehen, gab es auch keine
besonderen Sicherungsmaßnahmen. Bis in den Weinkeller
vorzudringen, war für die beiden Klosterburger ein Kinderspiel. Sie
konnten es jetzt sogar wieder wagen, die Fackel anzuzünden.

Die Fässer mit dem »schlesischen« Wein standen gleich vornan.

Und mit einem dieser Fässer hatte es eine ganz besondere

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Bewandtnis. Es war nicht mit gesäuertem Wein, sondern mit
einfachem Wasser gefüllt. Außerdem ließ sich der Boden des Fasses
abnehmen.

Felix und Friedrich stellten das Faß auf den Kopf und lösten mit

geschickter Hand den Boden. Dann schleppten sie den Weinbehälter
in die äußerste Ecke des Kellers und schütteten das Wasser aus.
Zurück blieb nur das Stroh, mit dem die Wandung des Fasses
ausgekleidet war.

»So, nun rein mit unserem Freund«, sagte Friedrich.
Felix leuchtete dem alten Mann mit der Fackel ins Gesicht.
Thegans Lider zuckten, öffneten sich. Er hatte das Bewußtsein

wiedererlangt. Seine Augen weiteten sich vor Angst. Krampfhaft
versuchte er, sich zu bewegen, was ihm jedoch nicht gelang. Die
Fesselung saß zu gut und zu fest.

»Gib dir keine Mühe, Alter«, sagte Felix. »Je weniger zu

strampelst, desto angenehmer hast du es. Sonst schneiden dir die
Riemen immer tiefer ins Fleisch.«

»Kein überflüssiges Geschwätz«, mischte sich Friedrich

ungeduldig ein. »Rein mit ihm und dann weg hier!«

Sie packten Thegan an den Schultern, hoben ihn hoch und steckten

ihn dann in das Faß. Es schien wie gemacht für ihn zu sein. Arme
und Beine waren zwar etwas unglücklich verwinkelt, aber das ließ
sich leider nicht ändern.

»Den Deckel drauf!«
Thegan gab ein paar erstickte Töne von sich. Aber diese waren

wegen des Knebels in seinem Mund so leise, daß sie kaum zu hören
waren. Die beiden Klosterburger kümmerten sich nicht um sein
ohnmächtiges Lamentieren. Sie nahmen den Bodeneinsatz und
drehten ihn wieder auf dem Faß fest.

»Gehen wir«, drängte Friedrich.
»Langsam, langsam. Willst du, daß er erstickt?«
»O ja, natürlich, das Spundloch!«
Mit Hilfe eines Holzpflocks sorgte Friedrich dafür, daß der

Gefangene Luft bekam.

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Felix rüttelte an dem Faß.
»Hm«, machte er, »fühlt sich sehr leicht an. Gar nicht so, als ob es

mit Wein gefüllt sei.«

»Na und? Wir müssen eben zusehen, daß keiner der Güldenburger

an das Faß herankommt. Wenn wir es morgen früh als erstes
nehmen, um es auf den Wagen zu tragen, kann eigentlich nichts
schiefgehen.«

»Hoffen wir es«, sagte Felix.
Er hielt noch einmal das Ohr ganz dicht an das Faß, konnte aber

keinen Laut vernehmen. Die Strohverkleidung dämpfte die
schwachen Töne, die Thegan von sich gab.

Nun traten die beiden Männer den Rückzug an. Sie hofften, daß

ihnen das Glück auch weiterhin treu blieb.

Das Glück blieb ihnen treu. Unbemerkt erreichten Friedrich und

Felix wieder ihr Quartier.

*

Roland war es nicht gewohnt, lange zu schlafen. Meist war er schon
auf den Beinen, wenn die ersten Sonnenstrahlen den Himmel am
Horizont rosa färbten.

An diesem Morgen war das nicht anders. Mit einem Bottich

eiskalten Wassers, das die Güldenburg aus einem Ziehbrunnen
bezog, vertrieb er die letzten Fetzen der Müdigkeit und machte sich
dann auf den Weg, um auch den Magen an den neuen Tag zu
gewöhnen.

Es herrschte schon emsiger Betrieb auf dem Burghof. Bedienstete

eilten hin und her, die Stallknechte kümmerten sich um ihre Tiere,
und auch die ersten Ritter ließen sich bereits blicken.

Und noch etwas tat sich auf dem Hof. Das Fuhrwerk des

schlesischen Adligen stand mit eingespannten Pferden da und wurde
gerade beladen. Roland konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht
verkneifen, als er sah, daß Freigraf Felix gezwungen war, selbst mit
Hand anzulegen. Keiner der Burgbewohner rührte einen Finger. So

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hatte der Schlesier nur die Unterstützung seines Kutschers. Der
vornehmen Kleidung des Mannes bekam das Fässerschleppen gar
nicht. Und er tat sich sichtlich schwer, wenn es darum ging, die
Fässer auf den Wagen zu wuchten.

Mit einem Lächeln auf den Lippen schlenderte der Ritter mit dem

Löwenherzen herbei.

Gerade hatten die beiden Schlesier das dritte Faß auf die

Ladefläche gehievt. Schweratmend stand Felix von Leubus da und
betrachtete mißmutig seine Hände, die voll von unadeligem Schmutz
waren.

»Ihr tätet besser daran, den Wein auszuschütten und die Fässer

dem Grafen zu überlassen«, sagte Roland spöttisch. »So hätte der
Burgherr wenigstens ein Geschenk von Euch, mit dem er etwas
anfangen kann.«

Der Adlige aus den östlichen Landen bedachte ihn mit einem

bösen, unfreundlichen Blick.

»Kümmert Euch um Eure Angelegenheiten, Ritter«, erwiderte er

ausgesprochen unwirsch.

Dann wandte er sich ab, um gemeinsam mit seinem Fuhrknecht das

nächste Faß zu holen.

Roland verlor das Interesse an dem Freigrafen, den er von Anfang

an nicht gemocht hatte. Er ging zum Ritterhaus hinüber, wo er hoffte,
ein kräftiges Frühstück zu ergattern.

Seine Hoffnung war nicht trügerisch. Auf der Güldenburg ließ es

sich gut leben. Entsprechend war die Verpflegung. Nicht Hafergrütze
und geschmackloses Gemüse, sondern saftiges Fleisch und
knuspriges Brot wurden gereicht. Dazu gab es süffigen Wein, den
man selbst kelterte. Welche Wohltat war dieser doch im Vergleich zu
dem niederträchtigen Gesöff, das der Schlesier zu präsentieren
gewagt hatte.

Roland nutzte die Gelegenheit, um mit den anwesenden Rittern des

Grafen etwas zu plaudern. Wie von ungefähr brachte er das Gespräch
auf Thegan, den Alchimisten. Aber er , mußte die Feststellung
machen, daß die Güldenburger offenbar gar nicht so gerne über ihren

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Goldmacher redeten. Jedenfalls legten sie sich eine geradezu
merkwürdige Zurückhaltung auf, wenn der Name Thegan fiel.
Roland konnte lediglich in Erfahrung bringen, daß der Alchimist in
dem Turm hauste, der dem Burgtor schräg gegenüberlag.

Immerhin, diese Auskunft war ja auch schon etwas wert. Roland

beschloß, dem alten Mann einen Besuch abzustatten. Er
beabsichtigte nicht, Graf Heribert vorher davon in Kenntnis zu
setzen. Der Burgherr brachte es glatt fertig, ihm den Besuch bei
Thegan zu untersagen. Und darauf wollte er es gar nicht erst
ankommen lassen.

Als er das Ritterhaus verließ, sah er gerade noch, wie der Wagen

des schlesischen Freigrafen über die Zugbrücke rollte. Felix von
Leubus schien es ziemlich eilig zu haben, die Burg verlassen zu
können. Jedenfalls peitschte sein Kutscher geradezu wild auf die
Zugpferde ein.

Nun ja, dachte Roland flüchtig, verdenken kann man es ihm nicht.

Die Behandlung, die dem Grafen während und nach dem
mißglückten Gelage zuteil geworden war, hatte ihm die Güldenburg
ganz gewiß gründlich verleidet.

Roland vergaß den Schlesier und schlenderte scheinbar ziellos über

den Burghof. Er blieb mal hier, mal dort stehen und gelangte auf
diese Weise dicht an die Eingangstür des Turms heran. Und als er
glaubte, daß niemand auf ihn achtete, schlüpfte er schnell durch diese
Tür und befand sich im Inneren des Turms.

So, das war erst einmal geschafft!
Im Keller des Turms sollte der Alchimist hausen, hatte man ihn

wissen lassen. Wohlan denn, sagte er zu sich selbst, steigen wir die
Treppe hinab.

Dies tat er dann auch. Viel sehen konnte er nicht, denn im

Treppenhaus gab es kein Fenster. So war er auf das bißchen Licht
angewiesen, das durch die halb offenstehende Hoftür einfiel. Sich an
der Wand entlangtastend, ging er nach unten. Eine massive Tür gebot
ihm schließlich Halt.

Die Tür war verschlossen, sie ließ sich von außen nicht öffnen.

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Roland klopfte an, rief dabei halblaut Thegans Namen.
Er bekam keine Antwort. Und natürlich wurde die Tür auch nicht

geöffnet.

Auch alle weiteren Versuche, sich Gehör zu verschaffen,

scheiterten. Der Alchimist meldete sich nicht.

Achselzuckend gab Roland schließlich auf. Thegan war ein

Sonderling, das hatte er längst begriffen. Er mochte die Menschen
nicht, hielt sich am liebsten für sich. Wenn er partout nicht
aufmachen wollte, dann war dagegen kein Kraut gewachsen. Wie es
aussah, würde es sich Sir Ector wohl endgültig aus dem Kopf
schlagen müssen, Bekanntschaft mit dem Güldenburger Goldmacher
zu schließen.

Ärgerlich schritt Roland die Treppe wieder hinauf. Seine Mission

war gescheitert, und das verdroß ihn sehr. Er wußte gar nicht, was er
Sir Ector sagen sollte, wenn er wieder nach Camelot kam. Ganz
bestimmt würde der Vertraute des Königs enttäuscht von ihm sein.
Und wenn dann auch noch König Artus davon erfuhr...

Himmel, Arsch und Zwirn!
Als Roland den Turm verließ und auf den Burghof hinaustrat, hatte

er gleich noch einmal Grund zum Fluchen. Drei Güldenburger Ritter
traten ihm entgegen.

Mit gezückten Schwertern in der Hand...

*

Ein Graf einst hatte sich geschworen

Zu enden des Herzogs Tyrannei

Mächtig wollte selbst er sein - und frei
Der Graf gab sich auch nicht verloren

Als des Herzogs Knechte gerade ihn erkoren

Sterbend auszustoßen den letzten Schrei
Sie teilten den Leib ihm in der Teile drei

Da ward des Grafen Sohn geboren

Die Jahre vergingen

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Der Jüngling reifte zum Mann

Das Schwert packte er als Knabe schon an

Endlich konnte er erringen

Den Sieg, den der Vater erstrebte

Der Herzog sein eigenes Ende nicht mehr erlebte.

Donnernder Applaus brach los, als der Sänger seine Ballade

beendete und die Laute aus der Hand legte.

»Fürwahr, Ihr seid ein großer Dichter«, sagte Freiherr Ingolf

begeistert. »Ihr hättet es verdient, Eure Kunst am Hofe des Königs
vorzutragen!«

»Oder am Hofe des Herzogs«, sagte der blonde Ritter Sven

anzüglich.

Lob und Applaus beeindruckten Volker vom Hohentwiel nicht

sonderlich. In der Tat hatte er seine Lieder schon an so manchem
Königshof vorgetragen und war dafür stets überschwenglich gefeiert
worden. Aber er war kein Mann, der viel Aufhebens von seinen
Erfolgen machte. Er war zufrieden, wenn seine Weisen gefielen und
er sich für die Gastfreundschaft, die man ihm erwies, erkenntlich
zeigen konnte.

So war es auch hier in der Klosterburg des Freiherrn Ingolf, wo er

übernachtet hatte und nun noch die morgendliche Brotzeit zu sich
nahm, bevor er weiterzog.

Ziel seiner Reise war die Güldenburg, wo er seinen Freund Roland

zu treffen hoffte, der dort gegenwärtig weilen sollte.

»Kommt, Ritter Volker«, sagte Freiherr Ingolf, »für diese prächtige

Weise gebührt insbesondere Eurer goldenen Kehle Dank. Darum
trinkt noch einen Becher Wein.«

Volker hatte nichts dagegen. Für einen guten Tropfen war er

immer empfänglich. Und der Wein, der hier auf der Klosterburg
ausgeschenkt wurde, war gut.

Einer der Getreuen des Freiherrn wollte Volkers Becher füllen.

Aber der große Krug auf dem Tisch war leer.

»Einen neuen Krug«, befahl Ingolf. »Oder wollt Ihr, daß unser

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Gast verdurstet?«

Eine Schankmagd huschte davon und kehrte wenig später mit dem

wieder gefüllten Krug zurück. Jetzt endlich konnte Volker seinen
Becher zum Mund führen.

»Auf Euer Wohl, Baron Ingolf!«
Volker trank.
Und spuckte sofort wieder aus, was er im Mund hatte!
»Pfui, Teufel«, stieß er hervor, während sich Gaumen und Zunge

angewidert zusammenzogen. »Seit wann ist es Sitte, seinen Gästen
puren Essig zu kredenzen?«

Der Freiherr blickte ihn verblüfft an. »Essig? Wie kommt Ihr auf

diesen Gedanken, Ritter Volker?«

»Probiert selbst«, entgegnete Volker und deutete auf den noch

wohlgefüllten Krug.

»Gewiß!«
Ingolf winkte der Schankmagd und ließ sich seinen eigenen Becher

füllen. Dann trank er.

Und spuckte ebenfalls.
Aber anstatt nun empört oder wenigstens doch peinlich berührt zu

sein, brach er in lautes Lachen aus. Ja, er konnte sich gar nicht
wieder beruhigen und klatschte sich vor Vergnügen auf die Schenkel.

»Das ist gut«, japste er. »Der Fuchs hat sich in seiner eigenen Falle

gefangen.«

Und wieder wollte er sich vor Lachen schier ausschütteln.
Volker war ein Mann, der durchaus Sinn für Scherz und Narretei

hatte. Jetzt jedoch konnte er gar nicht lachen. Und das um so
weniger, als sich nun auch die anderen Klosterburger von der
Heiterkeit ihres Herrn anstecken ließen und in sein Gelächter
einfielen.

Der Freiherr erkannte, daß sein Gast überaus verärgert war.
»Verzeiht, Ritter Volker«, sagte er. »Aber es war gewiß nicht

unsere Absicht, uns auf Eure Kosten zu belustigen. Es liegt ein
Versehen vor. Die Magd hat lediglich das Faß verwechselt, aus dem
sie den Krug abfüllte. Dieser saure Wein war nicht für Euch, sondern

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für jemand anderen bestimmt.«

Volker rang sich jetzt doch ein Lächeln ab. Wenn es sich

tatsächlich nur um ein Versehen handelte, sollte man nicht
nachtragend sein.

»Für wen war dieses abscheuliche Gebräu denn wirklich

bestimmt?« erkundigte er sich.

Ganz plötzlich wurde Ingolf ernst. »Darüber wollen wir nicht

sprechen«, sagte er ziemlich kurz. Dann wies er die Magd an, einen
neuen Krug Wein zu holen. Diesmal aber vom richtigen.

Als Volker eine Weile später die Klosterburg verließ, hatte er den

Vorfall mit dem sauren Wein fast schon wieder vergessen.

Fast...

*

»Was tut Ihr hier, Ritter?«

Drohend standen die drei Gräflichen vor Roland, die Spitzen ihrer

Schwerter auf seine Brust gerichtet.

Unwillkürlich fuhr Rolands Rechte zur Hüfte, verhielt jedoch auf

halbem Wege. Er besaß ja gegenwärtig gar kein Schwert, konnte sich
also nicht gebührend zur Wehr setzen. Eingeschüchtert fühlte er sich
aber dennoch nicht.

»Ich liebe es gar nicht, wenn mich einer mit der blanken Waffe

bedroht«, sagte er scharf.

»Und wir lieben es gar nicht, wenn einer den Weisungen unseres

Herrn zuwiderhandelt«, bekam er zur Antwort. »Was habt Ihr bei
Thegan gemacht?«

»Nichts«, erwiderte Roland wahrheitsgemäß.
»Nichts? Was heißt das?«
»Ich habe Euren Goldmacher gar nicht gesprochen. Er hat mir

nicht geöffnet. Vielleicht ist er auch gar nicht in seinem Bau.«

Die drei Ritter glaubten ihm offenbar nicht.
»Davon werden wir uns überzeugen«, sagte der eine. »Und Ihr

kommt mit uns!«

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»Ganz wie es Euch beliebt.«
Eine Fackel wurde entzündet, dann betraten die vier Männer den

Turm. Zu Rolands Mißfallen hatten die Güldenburger ihre Schwerter
nicht wieder in die Scheiden zurückgesteckt. Ihr Argwohn ihm
gegenüber schien sehr groß zu sein.

Es stellte sich dann heraus, daß die drei nicht mehr Glück hatten

als er. Der Alchimist gab keine Antwort auf ihr Klopfen. Und
natürlich öffnete er auch die Tür nicht.

»Das hätte ich Euch gleich sagen können«, meinte der Ritter mit

dem Löwenherzen anzüglich.

Die drei Ritter redeten leise miteinander und kamen zu der

Auffassung, daß es ratsam sei, Graf Heribert zu holen. Einer von
ihnen entfernte sich, während die beiden anderen gemeinsam mit
Roland vor der verschlossenen Tür warteten.

Es dauerte gar nicht lange, dann kam der Burgherr. In seiner

Begleitung befanden sich noch zwei weitere seiner Getreuen.

Wieder wurde an die Tür geklopft, wieder wurde Thegans Name

laut gerufen. Aber der Alchimist meldete sich auch jetzt noch nicht,
obwohl Graf Heribert höchstpersönlich seine Stimme erschallen ließ.

Der Burgherr blickte Roland mit gefurchter Stirn an. »Was habt Ihr

mit ihm gemacht - ihn umgebracht?«

»Was?« Roland glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
»Ich meine, was ich sagte!«
Roland lachte auf. »Ihr müßt scherzen, Graf Heribert! Warum

sollte ich Thegan umgebracht haben?«

»Ihr mißgönnt mir meinen Goldmacher!«
»Ich mißgönne Euch ... ?«
»Nicht Ihr persönlich vielleicht. Wohl aber der Herr von Camelot,

in dessen Diensten Ihr steht. Artus kann es nicht ertragen, daß es
jemanden gibt, der es an goldener Pracht mit ihm aufnehmen kann.«

Wieder mußte Roland lachen. »Verzeiht, Graf Heribert, aber es

fällt mir schwer, meine Erheiterung zu verbergen. König Artus ist ein
Mann, der über Dinge wie Neid und kleine Eifersüchteleien erhaben
ist. Es ist geradezu lächerlich ...«

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»Lächerlich?« echote der Graf. »Ritter, Ihr wißt wohl nicht, wen

Ihr vor Euch habt?! Was ich sage, ist niemals lächerlich!«

Bevor Roland etwas erwidern konnte, wandte er sich an seine

Getreuen: »Sucht überall in der Burg nach Thegan. Und wenn ihr ihn
nicht findet, dann brecht die Tür auf!«

Die Suche, an der sich nahezu alle Burgbewohner beteiligten, war

alsbald abgeschlossen. Das Ergebnis war nicht dazu angetan,
Rolands Herz vor Freude hüpfen zu lassen. Nirgendwo hatte sich
auch nur die kleinste Spur von dem Alchimisten finden lassen.

Die Tür wurde aufgebrochen, die Räumlichkeiten des alten

Mannes durchsucht.

Und noch immer keine Spur von ihm!
Drohend trat der Graf auf Roland zu. »Legt ein Geständnis ab,

Ritter! Was habt Ihr mit Thegan gemacht? Ihn ebenfalls ermordet
und heimlich verschwinden lassen?«

»Ebenfalls?«
»Noch ein zweiter Mann wird vermißt«, erklärte Heribert. »Ein

Mann, der meine Schatzkammer bewachte!«

Der Unmut wallte in Roland hoch wie siedendes Wasser. »Nun

und, was ficht mich das an? Wie kommt Ihr ernstlich darauf, daß
ausgerechnet ich... ?«

»Das sagte ich Euch bereits. Ihr neidet mir meinen Reichtum! Und

findet Ihr es nicht selbst merkwürdig, daß Thegan und der Wächter
gerade in der kurzen Zeit verschwanden, die Ihr auf der Güldenburg
weilt?«

»Ein dummer Zufall, mehr nicht«, verwahrte sich der Ritter mit

dem Löwenherzen gegen die grotesken Vorwürfe.

»Dann war es auch ein Zufall, daß Euch meine Getreuen vor der

Tür Thegans fanden? Heimlich und im Schutz der Dunkelheit hattet
Ihr Euch an ihn herangemacht...«

»Reden wollte ich mit ihm, nichts sonst! Und wer etwas anderes

behauptet, ist ein Lügner. Eine Ehrabschneidung, wie sie mir hier
zuteil wird, nehme ich nicht ungestraft hin.«

»So, so«, sagte der Burgherr spöttisch, »wie stellt Ihr Euch denn

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eine solche Bestrafung vor?«

Der offenkundige Spott des Grafen reizte Rolands heißes Blut noch

mehr, als es ohnehin schon der Fall war.

»Wenn Ihr Eure ungeheuerlichen Anschuldigungen nicht

zurücknehmt, fordere ich Euch zum ritterlichen Zweikampf!« sagte
er entschlossen.

Heribert lachte.
»Ihr lacht?« stellte Roland erbost fest. »Das Lachen wird Euch

vergehen, wenn Ihr vor mir im Staub liegt und mich anfleht, Euer
Leben zu schonen!«

»Ihr müßt toll sein«, erwiderte Graf Heribert kopfschüttelnd.

»Glaubt Ihr allen Ernstes, daß sich ein Mann wie ich mit einem
hergelaufenen Ritter wie Euch duelliert?«

»Hergelaufener ... ?« Vor Empörung versagte Roland die Stimme.
»Hergelaufener Strauchritter, ganz recht!«
Das war zuviel für den Ritter mit dem Löwenherzen. Als

hergelaufenen Strauchritter hatte ihn noch niemand bezeichnet. Und
das ließ er sich auch von einem Grafen nicht bieten.

Bevor ihn irgend jemand daran hindern konnte, machte er zwei

schnelle Schritte nach vorne, holte aus und versetzte dem Burgherrn
eine schallende Ohrfeige.

»So«, sagte er befriedigt. »Nun werdet Ihr vielleicht doch darauf

brennen, Euch mit mir zu duellieren!«

Eine Ohrfeige war die größte Beleidigung, die einem Mann von

Stande widerfahren konnte. Für diese Schmach gab es nur eine
Genugtuung, nur eine Sühne.

Blut!
Und danach stand jetzt auch der Sinn .des Grafen. Seine Augen

funkelten wie glühende Holzkohlen, seine Hände zitterten vor
innerer Erregung.

»Das zahlt Ihr mit Eurem Blute«, zischte er. »Aber Euer Blut wird

nicht im Sand des Gefechtsrings fließen, sondern auf dem Richtblock
des Henkers!«

Der Graf wandte sich an seine Getreuen, die sich bisher nicht

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eingemischt hatten.

»Packt ihn, und werft ihn ins Verlies!«
Fünf Männer schlossen einen Ring um Roland, den der Ritter mit

dem Löwenherzen nicht durchbrechen konnte. Hätte er sein Schwert
besessen, wäre er dennoch versucht gewesen, sich mit der Klinge
eine Gasse zu bahnen. So jedoch erstickten die Güldenburger seinen
Widerstand im Keime. Binnen kürzester Zeit war er überwältigt.

*

Zwar war Volker vom Hohentwiel schon ein paarmal im
Frankenland gewesen. Die Güldenburg hatte er aber noch nie
aufgesucht. Deshalb war es ihm ganz recht, wenn er unterwegs
jemanden traf, den er nach dem Weg fragen konnte.

Ein Pferdefuhrwerk kam ihm entgegen. Der Wagen war mit

Fässern beladen, und auf dem Bock saßen zwei Männer, der eine
vornehm und würdig gekleidet, der andere in derber Kluft. Ein Herr
vom Stande und sein Kutscher, wie es schien.

Das Fuhrwerk preschte heran, als gelte es, ein Wagenrennen zu

gewinnen. Den beiden Pferden stand der Schaum vor dem Maul.
Dennoch drosch der Kutscher mit der Peitsche auf die Tiere ein, um
sie zu noch schnellerer Gangart zu bewegen.

Als der Wagen fast heran war, zügelte Volker sein Reittier und hob

die Hand.

»Auf ein Wort ...«
Die beiden Männer beachteten ihn gar nicht, jagten mit ihrem

Wagen an ihm vorbei, als sei er gar nicht da. Eine Staubwolke hüllte
Volker ein, und als sich diese wieder lichtete, war das Fuhrwerk
bereits ein ganzes Stück entfernt.

Kopfschüttelnd blickte Volker hinterher. Eine solche Unhöflichkeit

war ihm höchst selten untergekommen. Eigentlich gab es nur eine
Erklärung für die wilde Hast der beiden Männer auf dem
Kutschbock: Sie wurden von irgend jemandem verfolgt.

Davon konnte jedoch keine Rede sein. Als Volker seinen Weg

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fortsetzte, begegnete ihm niemand, der Jagd auf den Wagen machte.
Mit einem abermaligen Kopfschütteln ritt er weiter.

Bald traf er ein paar Bauern auf dem Feld, die weniger unhöflich

waren. Bereitwillig und freundlich beschrieben sie ihm den weiteren
Weg zu seinem Ziel.

Es war Nachmittag, als Volker schließlich die Güldenburg vor sich

sah. Er hatte schon mehr Burgen in seinem Leben gesehen als die
meisten anderen Menschen. Der Herrschaftssitz des Grafen Heribert
machte auf den ersten Blick keinen besonderen Eindruck auf ihn. Sie
lag auf einem kleinen Hügel, der nicht einmal sonderlich steil
anstieg. Dennoch konnte man sie mit Fug und Recht als
uneinnehmbar bezeichnen. Von drei Seiten fielen die Felsen schroff
ab, unmittelbar bis zum Ufer des Mains, der am Fuß des Hügels
vorbeifloß.

Volker lenkte sein Pferd den einzigen Weg hinauf, der zu der Burg

führte. Vor dem breiten Wassergraben hielt er.

Zwei Wächter auf der Burgmauer wandten sich ihm zu. »Wer seid

Ihr? Und was ist Euer Begehr?«

»Mein Name ist Volker vom Hohentwiel. Vielleicht habt Ihr schon

einmal von mir gehört.«

»Nein«, schallte es zurück.
Hohle Tröpfe, dachte Volker. Vom Minnegesang schienen sie

keine Ahnung zu haben. Hier im Frankenland hielt man es wohl
mehr mit der Völlerei und dem Saufen als mit der hehren Kunst, zu
deren hervorragendsten Vertretern er sich zählen durfte.

»Euer Begehr?« wurde er abermals gefragt.
»Ich suche einen Mann namens Roland, den man den Ritter mit

dem Löwenherzen nennt.«

»Roland?«
»So ist es.«
Die beiden Wächter tauschten einen Blick, der Volker gar nicht

gefallen wollte.

»Seid Ihr etwa ein Freund von diesem Roland?« wurde er gefragt.
Etwas in der Stimme des Mannes und der Blick, den er soeben mit

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dem anderen getauscht hatte, ließen eine Alarmglocke in Volkers
Innerem anschlagen. Normalerweise hätte er keine Sekunde
gezögert, Roland als seinen Freund zu bezeichnen, als seinen besten
Freund sogar. Jetzt jedoch hielt er Zurückhaltung für das Gebot des
Augenblicks.

»Ein Freund?« wiederholte er deshalb gedehnt. »So würde ich es

nicht nennen.«

»Euer Glück, Ritter! Einen Freund dieses Hundsfotts würden wir

hier gar nicht gerne sehen.«

»Hundsfott!«
Das war hart. Wenn ein Ritter einen anderen als Hundsfott

bezeichnete, mußten gewichtige Gründe vorliegen. Alles sprach
dafür, daß sieh Roland auf der Güldenburg höchst unbeliebt gemacht
hatte.

Warum?
Noch wußte es Volker nicht. Aber er würde alles daran setzen, es

alsbald herauszufinden.

»Ist jener Roland nun auf der Güldenburg, oder ist er es nicht?«

erkundigte er sich.

»Ja, er ist hier.«
»Gut«, nickte Volker. »Ich habe nämlich noch ein Hühnchen mit

dem Kerl zu rupfen.«

Während er diese abfälligen Worte sagte, kam er sich ein bißchen

wie Jünger Judas vor, der seinen Herrn verraten hatte. Aber in der
gegenwärtigen Situation war Roland damit zweifellos am besten
gedient.

Ein rauhes Lachen der beiden Burgwächter war die Antwort auf

seine Worte.

»Zum Hühnchenrupfen werdet Ihr wohl nicht mehr kommen. Aber

wenn es Euch Vergnügen bereitet, den Kopf Rolands rollen zu sehen,
dann seid Ihr auf der Güldenburg gerade richtig!«

Wenig später wurde die Zugbrücke heruntergelassen und Volker

vom Hohentwiel eingelassen.

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*

»Macht Euch noch eine schöne Nacht, bevor Ihr zu den Engelein
gerufen werdet!«

Das waren die Worte der Güldenburger gewesen, als sie Roland in

das Verlies hineinstießen.

Zuerst hatte der Ritter mit dem Löwenherzen gar nicht gewußt,

was die Worte bedeuten sollten. Sie waren ihm wie blanker, ätzender
Hohn vorgekommen. Dann jedoch hatte er gemerkt, daß er nicht
allein in seinem Gefängnis war. Es gab einen Leidensgefährten.
Genauer gesagt, eine Leidensgefährtin.

»Wer seid Ihr?« drang eine schwache weibliche Stimme an sein

Ohr.

Etwas mühsam richtete sich Roland auf. Die Güldenburger waren

nicht sehr zart mit ihm umgegangen und hatten ihn recht roh auf die
harten Steinplatten geschleudert. Alle seine Glieder schmerzten
miteinander um die Wette.

»Roland ist mein Name«, sagte er. »Und wer seid Ihr?«
»Ich heiße Thilde.«
»Thilde«, wiederholte der Ritter mit dem Löwenherzen. »Das ist

ein sehr schöner Name. Er fragte sich, ob das Mädchen genauso
schön war, wie ihr Name versprach. Sehen konnte er seine
Leidensgefährtin nicht, denn in dem fensterlosen Verlies war es
stockfinster. »Was habt Ihr verbrochen, daß man Euch hier
eingesperrt hat?« erkundigte er sich.

»Nichts«, bekam er zur Antwort.
»Hm«, brummte Roland, »dann geht es Euch wie mir. Fragen wir

anders: Was wirft man Euch vor?«

»Auch nichts!«
»Auch nichts?« Roland runzelte die Stirn, was das Mädchen in der

Dunkelheit natürlich nicht sehen konnte.

»Mein einziges Verbrechen ist es, die Tochter eines Mannes zu

sein, den Graf Heribert zwingt, ihm zu Willen zu sein. Wenn sich
mein Vater unbotmäßig erweist, muß ich es... bitterlich .. . büßen.«

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Die letzten Worte gingen in einem herzzerreißenden Schluchzen

unter.

Roland konnte es nicht ertragen, wenn eine Frau weinte. Er erhob

sich aus seiner sitzenden Stellung und tastete sich in die Verliesecke
vor, wo er das Mädchen vermutete. Das Schluchzen war wie ein
Wegweiser. Er fand die junge Frau und ließ sich neben ihr nieder.

»Nicht weinen«, sagte er leise und streckte die Hand aus.
Er berührte den Oberarm des Mädchens und streichelte dann

begütigend ihre Schulter.

Schon nach wenigen Augenblicken stutzte er.
Was war das?
Unter dem dünnen Stoff spürte er zarte, samtweiche Haut. Auf

dieser Haut jedoch... Rauhe, schorfige Stellen.

»Was ist das?« fragte er mit belegter Stimme.
»Striemen«, antwortete Thilde, die sich jetzt langsam wieder

beruhigte.

Genau das hatte Roland schon vermutet.
»Woher kommen diese Striemen?« wollte er wissen.
»Ich sagte Euch schon, daß der Graf mich als Druckmittel gegen

meinen Vater einsetzt. Wenn er mit ihm unzufrieden ist, läßt er mich
peitschen. Und mein Vater muß dabei zusehen.«

Roland atmete schwer. Er hatte große Mühe, seine helle Empörung

zu zügeln. »Das ist... schändlich«, stieß er hervor. »Niemals hörte ich
von einer solchen Schurkerei!«

»Ja«, sagte das Mädchen, »Heribert ist ein übler Schurke, auch

wenn er in den Kreisen der Hochgestellten als ein Mann von
vorbildlicher ritterlicher Gesinnung gilt.«

Von vorbildlicher ritterlicher Gesinnung konnte wahrlich keine

Rede sein. Das hatte Roland bereits am eigenen Leibe verspürt. Was
der Graf jedoch diesem bedauernswerten Mädchen antat ...

»Wer ist Euer Vater?« fragte er.
»Mein Vater heißt Thegan.«
»Thegan, der Goldmacher?«
»Ja.«

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Langsam begann Roland zu verstehen. Graf Heribert zwang den

alten Mann, Gold herzustellen, wieder und immer wieder. Und wenn
Thegan nicht genug von dem edlen Metall herbeischaffte, dann
munterte er ihn auf, indem er seine Tochter grausam quälte.
Natürlich war dies auch der Grund, der Thegan veranlaßt hatte, die
Einladung nach Camelot abzulehnen.

Und nun war Thegan verschwunden!
Würde Thilde dies büßen müssen? Wenn Heribert zu der

Überzeugung kam, daß sein Goldmacher von der Güldenburg
geflohen war, würde er sich gewiß an seiner Tochter rächen wollen.
Aber nach Lage der Dinge konnte sich Roland eigentlich nicht
vorstellen, daß Thegan wirklich die Flucht ergriffen hatte. Die Sorge
um seine hilflose Tochter hätte ihn bestimmt daran gehindert. Roland
konnte nur hoffen, daß auch der Graf diese Überlegungen anstellte.

Um das Mädchen nicht zu beunruhigen, entschloß er sich, ihr

nichts vom spurlosen Verschwinden ihres Vaters zu berichten.
Wahrscheinlich würde sie es noch früh genug erfahren. Und zwar
unter Umständen, die alles andere als erfreulich sein mußten.

»Warum seid Ihr hier, Roland?« übernahm Thilde jetzt ihrerseits

die Rolle der Fragenden.

Roland sagte es ihr, wobei er es tunlichst vermied, die Person ihres

Vaters zu erwähnen.

»Oh, Ihr armer Mensch«, sagte Thilde, als er zum Abschluß

gekommen war. »Dann seid Ihr ja dem Tode geweiht. Wie ich den
Grafen kenne, wird er keine Gnade walten lassen.«

Nun war es an ihr, Trost zu spenden. Sie legte den Arm um Roland

und drückte ihn an sich.

Roland spürte den warmen, weichen Frauenkörper, und trotz der

widrigen Verhältnisse merkte er, wie die Erregung in ihm aufstieg.
Er wußte nicht, wie Thilde aussah, wußte nicht, ob sie schön war wie
eine blühende Rose oder häßlich wie ein Nachtschattengewächs, das
das Licht des Tages scheute, aber das spielte jetzt keine Rolle. Sie
war eine Frau, vielleicht die letzte Frau, die er in seinem Leben
berühren konnte.

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Er rückte noch ein Stückchen näher heran und zog Thilde in seine

starken Arme. Sie leistete keinen Widerstand, ließ es willig
geschehen. Ihr Körper wurde noch weicher, noch nachgiebiger.

Sanft strich Roland über ihr Haar. Es war lang und fühlte sich an

wie Seide. Langsam wanderte seine Hand in ihren Nacken, fand die
Knöpfe ihres Kleides. Wie von selbst sprangen die Knöpfe auf, wie
von selbst glitt das Kleid über ihre Schultern.

Und noch immer leistete Thilde keinen Widerstand.
»Oh, Roland«, flüsterte sie mit bebender Stimme. Aber diesmal

bebte sie nicht vor Gram und Kummer.

Roland zog sie noch näher an sich. Sein Mund fand ihren Mund.

Die Lippen verschmolzen miteinander, und die Zungen begannen ihr
erregendes Liebesspiel.

Sanft glitten Rolands Hände über den Mädchenkörper, die glatten

Schultern, die vollen, wohlgeformten Brüste, die vollendet
geschwungenen Hüften, das weiche Lockenhaar zwischen ihren
Beinen.

Und auch Thildes Hände blieben nicht untätig. Mit einer

Geschicklichkeit, die ihn erstaunte und entzückte, entkleidete sie ihn,
bis er ebenso nackt war wie sie selbst.

Dann fanden sich ihre Körper und vereinigten sich. Daß unter

ihnen kein weiches Lager, sondern fauliges, granniges Stroh war,
störte sie nicht im mindesten. Und auch die Nähe des Todes, der sie
beide unerbittlich bedrohte, kümmerte sie nicht. Jetzt waren sie
glücklich und fühlten sich wie im siebten Himmel.

Wahrscheinlich zum letzten Mal in ihrem noch so jungen Leben ...

*

»Nein...«, sagte Graf Heribert, »...es wird nicht möglich sein, mit
dem Ritter Roland zu reden. Morgen, wenn sein Kopf auf dem
Richtblock liegt, sollt Ihr Gelegenheit bekommen, Euer Mütchen an
ihm zu kühlen. Ich stelle es Euch frei, dem Kerl noch einmal gar
kräftig in den Hintern zu treten!«

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»Ich danke Euch für Eure Großzügigkeit«, sagte Volker vom

Hohentwiel. Und da er freundlich dabei lächelte, hatte der Graf auch
nicht das Gefühl, daß ihn sein Gast ein wenig verspottete.

»Darf man fragen, warum Ihr einen solchen Haß auf den Ritter in

Eurem Busen nährt?« erkundigte sich Heribert.

»Gewiß, gewiß«, antwortete Volker. »Er hat mich zutiefst beleidigt

- und das vor dem Angesicht einer hochstehenden Dame.«

»Eine gemeine Tat, die ohne Frage Sühne verdient«, nickte Graf

Heribert.

Wieder kam sich Volker ein bißchen wie Judas vor. Er hatte aber

keine Zeit, sein schlechtes Gewissen zu pflegen, denn es fiel ihm
noch etwas ein. Bestimmt waren auch Louis und Pierre noch auf der
Güldenburg. Und wenn der Burgherr beschlossen hatte, ihren Herrn
töten zu lassen, so war nicht auszuschließen, daß er an Sippenhaft
dachte und auch den beiden Getreuen Rolands ein böses Schicksal
zudachte.

»Außerdem«, fuhr Volker deshalb fort, »hat mich dieser Roland

noch anderweitig schmählich hintergangen. Er nahm mir mein Pferd,
entlistete mir mein Pferd beim betrügerischen Würfelspiel und preßte
meine beiden Knappen Pierre und Louis in seine Dienste.«

»Ein kleiner Dicker und ein schlanker Schwarzhaariger?«
»Eben diese beiden. Sind sie hier auf der Güldenburg?«
»Ja.«
»Hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich die beiden wieder in meine

Dienste nehme?«

Er bemerkte des Grafen Zögern und fuhr schnell fort: »Nur

ungerne sind sie dem Roland gefolgt, denn in Wahrheit waren sie mir
stets treu ergeben. Allein wegen des verlorenen Würfelspiels mußte
ich sie mit dem Betrüger ziehenlassen.«

Zunächst zögerte Heribert wieder, dann jedoch nickte er langsam

und bedächtig.

»Wenn die Dinge so liegen, so sollt Ihr zurückbekommen, was

Euch gehört. Ich habe nichts dagegen.«

»Sehr großzügig von Euch«, erwiderte Volker, und diesmal meinte

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er es in keiner Weise spöttisch.

Anschließend erkundigte er sich dann noch, aus welchem Grund

der Graf eigentlich entschieden hatte, daß Rolands Kopf rollen sollte.

»Dieser Ritter, den man den mit dem Löwenherzen nennt, hat zwei

meiner Getreuen ermordet«, bekam er zur Antwort. »Und darüber
hinaus hatte er die Kühnheit, mir eine ... äh ... mich dreist zu
beleidigen. Er hat den Tod mehrfach verdient!«

Dies bezweifelte Volker vom Hohentwiel auf das entschiedenste.

Er kannte Roland gut und wußte genau, daß der Freund gar nicht
fähig war, einen Mord zu begehen. Wenn Roland einen Menschen
tötete, dann geschah dies entweder im ritterlichen Kampf oder aber,
um sein eigenes Leben zu schützen. Er hütete sich jedoch, diese
Gedanken, die dem Grafen bestimmt nicht gefallen hätten, laut
werden zu lassen.

Er empfahl sich dem Grafen und machte sich dann auf die Suche

nach Pierre und Louis.

Die beiden hatten mittlerweile Kenntnis von seiner Ankunft

bekommen und warteten bereits unten im Burghof auf ihn. Als er
nach draußen trat, stürmten sie sofort auf ihn los. Der dicke Pierre
war so aufgeregt, wie ihn Volker selten erlebt hatte. Von seiner
sprichwörtlichen Ruhe und Gemütlichkeit konnte jetzt keine Rede
sein.

»Ritter Volker, Euch schickt der Himmel«, stieß er hervor. »Habt

Ihr schon gehört, daß unser Herr im Verlies schmachtet und morgen
geköpft werden soll?«

»Und ob ich das gehört habe«, bestätigte Volker. »Ich kann es

kaum erwarten, den Kopf des Schmählichen rollen zu sehen!«

Pierre wurde blaß. »Ihr könnt es kaum erwarten ... ?«
Volker durchbohrte ihn förmlich mit seinen Blicken. Merkte der

einfältige Bursche denn nicht, daß es jetzt vonnöten war, den
Güldenburgern eine Posse vorzuspielen?

Louis, der aufgeweckter und schneller mit den Gedanken war als

sein träger Freund, merkte es. Unauffällig hieb er Pierre seinen
Ellenbogen in die Rippen und brachte ihn dadurch zum Schweigen.

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Schnell sprach Volker weiter. »Wenn der Ritter Roland nicht mehr

unter den Lebenden weilt, braucht ihr nicht länger Fronarbeit für ihn
zu leisten. Wenn Ihr wollt, nehme ich Euch wieder in meine Dienste.
Dann ist alles wieder so, wie es war, bevor mich der Arglistige mit
seinen gezinkten Würfeln zwang, Euch in seine Obhut zu geben.«

Louis verstand sofort, auf was er hinauswollte. Es gelang ihm

sogar, ein hocherfreutes Lächeln auf seine Züge zu zaubern.

»Läge der Kopf des Roland doch bereits auf dem Richtblock«,

sagte er so laut, daß es jeder, der sich in Hörweite befand, deutlich
hören konnte. »Ihr wißt gar nicht, wie sehr wir den Tag bedauert
haben, an dem wir aus Euren Diensten scheiden mußten. Wir würden
uns glücklich schätzen, wenn wir wieder mit Euch ziehen dürften.«

Braver Bursche, dachte Volker. Mit einem Mann wie ihm konnte

man ein Herzogtum aus den Angeln heben.

Auch Pierre hatte jetzt begriffen, wie die Dinge standen.
»Möge der Ritter Roland in der tiefsten Hölle schmoren«, stieß er

hervor. »Wenn ich daran denke, wie er mich geplagt hat, indem er
mich von einem Abenteuer zum nächsten schleppte ...« Gequält
verdrehte er die Augen.

Und dabei brauchte er nicht einmal zu schauspielern, denn die

Klage kam ihm wirklich aus tiefstem Herzen.

*

Die Begeisterung auf dem Hof der Klosterburg war groß, als ein
ganz bestimmtes Faß vom Wagen gehoben und geöffnet wurde. Der
Freiherr Ingolf ließ es sich nicht nehmen, selbst mit Hand anzulegen,
als das Faß »entleert« wurde.

Thegan, der Goldmacher, nach wie vor geknebelt und an Händen

und Füßen gefesselt, war ein erbarmungswürdiges Häuflein Mensch.
Aber das nahmen der Burgherr und seine Getreuen gar nicht zur
Kenntnis. Für sie zählte nur eins: Sie hatten es geschafft, Graf
Heriberts Goldesel zu entführen.

»Nehmt ihm den Knebel und die Stricke ab«, befahl der Freiherr.

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Seine Anweisung wurde unverzüglich ausgeführt. Aber obwohl der

alte Mann jetzt seine Bewegungsfreiheit wiedergewonnen hatte,
blieb er im Staub des Burghofs liegen.

»Ihr habt ihn doch nicht etwa ersticken lassen?« fragte Ingolf mit

einer Stimme, in der sich die schlimmsten Befürchtungen
ausdrückten.

Der blonde Sven, der die Fesseln des Goldmachers gelöst hatte,

schüttelte den Kopf.

»Macht Euch keine Sorgen, Herr Baron«, sagte er beruhigend.

»Der Alte lebt. Er scheint nur völlig am Ende seiner Kräfte zu sein.
Das sollte uns nicht weiter wundern. Wenn einer von uns eine halbe
Nacht und einen halben Tag in diesem Faß gesteckt hätte . ..«

»Ein Eimer Wasser wird ihn schnell wieder auf die Beine

bringen«, schlug Waldemar vor.

Sein Vorschlag fand den Beifall des Freiherrn. Er gab Anweisung,

einen Bottich zu holen.

Der Bottich wurde gebracht und über dem alten Mann

ausgeschüttet.

Und der Erfolg der brachialen Behandlungsweise blieb nicht aus.

Prustend und spuckend fuhr er hoch, blickte sich nach allen Seiten
um. Verwirrung prägte sein Mienenspiel. Er schien noch gar nicht
richtig zu begreifen, was um ihn herum vor sich ging. Der Freiherr
trat auf ihn zu, blieb vor ihm stehen.

»Steh auf, Thegan«, befahl er.
Mühsam rappelte sich der alte Mann auf. Er hatte große

Schwierigkeiten mit den Beinen, die ihm mehrmals wegzuknicken
drohten. Schließlich stand er aber doch auf seinen Füßen, wenn auch
schwankend und voller Unsicherheit.

»Kennst du mich, Thegan?«
Der alte Mann schüttelte den Kopf.
»Nun, dann will ich es dir sagen«, fuhr der Burgherr fort. »Ich bin

Freiherr Ingolf von der Klosterburg, und du siehst in mir deinen
neuen Dienstherrn. Hast du mich verstanden?«

»Meinen neuen Dienst... ?«

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»So ist es! Ich trete an die Stelle von Graf Heribert. Von nun an

wirst du deine Kunst für mich ausüben.« Der alte Mann bekam
große Augen. »Ich soll für Euch... Gold machen, Herr?«

»Was sonst?«
»Aber ...« Unruhig trat Thegan von einem Bein auf das andere.
»Aber?« fragte Ingolf scharf.
»Ich ... Ich kann doch gar kein Gold machen«, platzte es aus dem

alten Mann heraus.

Ingolf lachte. »Wirklich nicht? Ich glaube, daß Graf Heribert da

ganz anderer Ansicht ist.«

Die umstehenden Getreuen des Freiherrn nickten beifällig.
»Graf Heribert ist ein ahnungsloser Tropf«, fuhr Thegan fort. »Ich

habe ihn seit Jahren getäuscht, habe ihm wieder und immer wieder
Sand in die Augen gestreut. Er glaubt, daß er durch mich zu
märchenhaftem Reichtum gekommen ist. Dabei hat er in all den
Jahren nicht eine einzige Unze Gold von mir erhalten.«

Ingolfs Augen verengten sich. »Willst du mich an der Nase

herumführen, Alter? Sei gewarnt! Es mag ehrenvoll sein, deinem
alten Dienstherrn auch jetzt noch die Treue zu bewahren. Aber du
solltest wissen, daß ich auf Ehre pfeife. Du tust, was ich verlange,
oder es geht dir schlecht.«

»Sehr schlecht«, warf der blonde Sven ein.
Und wieder nickten alle übrigen Klosterburger beifällig.
Mit zuckenden Augenlidern blickte der Goldmacher von einem

zum anderen. Er wollte etwas sagen, ließ es dann aber doch sein.

»Gut, daß du keinen weiteren Widerspruch erhebst«, sagte der

Freiherr befriedigt. »Alles, was du benötigst, steht bereit. Nur eins
mußt du uns noch verraten: Woraus machst du das Gold? Aus
Steinen, aus Dreck oder aus den Tautropfen des jungen Morgens, wie
ich einst von einem anderen Vertreter deiner Zunft hörte?«

»Alles falsch«, sagte Thegan und seufzte. »Ich mache mein Gold

aus der Scheiße räudiger Hunde!«

Sogleich gab Freiherr Ingolf seinen Getreuen den Befehl, auf

Hundejagd zu gehen.

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*

Es war wieder Abend geworden auf der Güldenburg.

Volker, von Pierre und Louis in alles eingeweiht, was sich

abgespielt hatte, wartete geduldig darauf, daß sich die Burgbewohner
zum Schlafen niederlegten. Er hatte sich in das Gästezimmer
zurückgezogen, das ihm zugewiesen worden war, und dachte über
die Launen des Schicksals nach. In der vergangenen Nacht noch
hatte Roland auf diesem Lager gelegen. Und nun hockte sein Freund
in einem finsteren Verlies und harrte dem Morgen, der ihm den Tod
bringen sollte.

Dazu jedoch wollte es Volker nicht kommen lassen. Soweit es in

seiner Macht stand, hatte er alle Vorbereitungen getroffen, um den
Ritter mit dem Löwenherzen zu retten. Wie alle, die die Güldenburg
besuchten, war auch er seines Schwertes entledigt worden. Aber er
hatte es geschafft, sich heimlich in den Besitz einer anderen Klinge
zu bringen. Der betrunkene Güldenburger, dem er sie entwendet
hatte, würde den Verlust wohl erst bemerken, wenn er aus seinem
Rausch erwachte.

Die Stunden vergingen. Langsam wurde es ruhig innerhalb der

Mauern. Nach und nach verlöschten die Lichter. Nur vereinzelt
wurden noch Stimmen laut, dann ließen sich auch diese nicht mehr
vernehmen.

Volker wartete zur Sicherheit noch eine weitere halbe Stunde.

Mitternacht war längst vorbei, als er sich schließlich von seinem
Lager erhob. Er nahm das Schwert, das er unter den Decken
verborgen hatte, und schob es in die leere Scheide. Dann verließ er
auf leisen Sohlen das Zimmer und schlich hinunter auf den Burghof.

Noch immer war und blieb alles ruhig. Bisher war niemand auf ihn

aufmerksam geworden. Und so würde es hoffentlich auch bleiben.

Volker legte beide Hände vor den Mund und ließ den Ruf eines

Uhus erschallen - zweimal kurz hintereinander, dann eine kleine
Pause, schließlich noch ein Ruf.

Wieder wartete er.

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Auf eine große Probe wurde seine Geduld allerdings nicht gestellt.

Schon nach wenigen Augenblicken erschien eine schattenhafte
Gestalt in seinem Blickfeld.

»Ritter Volker?«
»Hier bin ich«, antwortete Volker im Flüsterton.
Louis, der treue Knappe Rolands, huschte an seine Seite. Auch er

hatte sich bewaffnet - mit einem dicken Knüppel, den er schlagbereit
in der Faust hielt.

Die beiden Männer verloren keine Worte. Sie hatten ihr Vorgehen

längst vorher abgesprochen. Und bisher gab es keinerlei Anlaß, ihre
Pläne zu ändern.

Sie drückten sich eng an die Gebäudewände, um den Wächtern auf

der Burgmauer nicht aufzufallen, und schlichen los. Ihr Ziel war der
niedrige, wie geduckt dastehende Bau neben dem Gesindehaus. In
diesem Bau waren die Verliese untergebracht.

Fast hatten sie ihr Ziel erreicht. Da jedoch traten zwei Gestalten

aus der Tür des Gesindehauses.

»Der Teufel hole sie«, knurrte Louis leise.
Er und Volker preßten sich noch dichter gegen die Wand,

versuchten regelrecht, mit dem Stein zu verschmelzen.

Die beiden Gestalten aus dem Gesindehaus kamen genau auf sie

zu. Auch sie bewegten sich vorsichtig und schleichend vorwärts.
Was auch immer ihre Absichten sein mochten, ganz offensichtlich
hatten sie ebenfalls das Licht zu scheuen.

Wenige Körperlängen waren sie jetzt noch voneinander entfernt.

Der Schein des Mondes, dessen blasses Gesicht von keinen Wolken
verdeckt wurde, kam Volker auf einmal unerträglich hell vor. Wie es
aussah, würde es sich kaum vermeiden lassen, daß die beiden
anderen Männer sie entdeckten.

Und da geschah es auch schon ... Ruckartig verhielten die beiden

ihren Schritt. Wie gebannt standen sie da und starrten Volker und
Louis an. Bevor sie aus ihrer Erstarrung erwachten, handelte der
Knappe. Er machte einen Satz nach vorn, der jeder Katze zur Ehre
gereicht hätte. Sein Knüppel schwang durch die Luft wie ein

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Dreschflegel.

Es gab ein dumpfes Geräusch, als der Knüppel den einen Mann

traf. Dieser Güldenburger würde fürs erste nicht mehr in der Lage
sein, Alarm zuschlagen.

Wohl aber der andere. Schon öffnete er den Mund zum Schrei.
Er kam aber nicht mehr dazu, ihn auszustoßen. Schnell wie der

Wind war jetzt auch Volker heran. Mit der flachen Seite des
Schwertes schlug er zu und traf den Mann seitlich am Kopf. Mit
einem erstickten Aufstöhnen sackte der Güldenburger in sich
zusammen und blieb neben seinem Begleiter liegen, der ebenfalls zu
Boden gegangen war.

Volker und Louis gefroren zu Statuen, als sie aufmerksam in die

Nacht hineinlauschten. Laut war es nicht hergegangen in dem kurzen
Handgemenge, aber auch nicht vollkommen geräuschlos. War
jemand aufmerksam geworden - die Wächter auf der Mauer
vielleicht?

Es sah nicht danach aus. Einer der Posten kam jetzt in Volkers

Blickfeld. Er patrouillierte weiter, ohne sich um das Geschehen auf
dem Hof zu kümmern.

Erleichtert atmete Volker auf.
»Das ist gerade noch mal gutgegangen«, sagte er leise. »Fragt sich

nur, was wir jetzt mit diesen beiden Burschen hier anfangen.«

Eine Falte erschien auf Louis' Stirn. »Ich bin ja kein Freund von

unnötigem Blutvergießen. Aber wenn es um meinen Herrn geht, bin
ich zu allem bereit. Sollen wir die beiden nicht einfach ... ?« Er
sprach nicht weiter, deutete nur auf das Schwert in Volkers Hand.

Der Ritter und Minnesänger schüttelte den Kopf. »Wir können sie

nicht abschlachten wie Tiere. Sie sind hilflos und ohne Bewußtsein
und können sich nicht wehren. Wenn wir sie jetzt töten, wäre das
schlimmer als ein gemeiner Meuchelmord.«

»Ich gebe Euch recht, Ritter Volker, aber ...«
»Wir nehmen sie einfach mit«, entschied Volker. »Dann können

sie uns auch nicht verraten.«

Gesagt, getan. Volker und Louis warfen sich die beiden

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Güldenburger über die Schultern und schlichen dann weiter dem
Verlies entgegen.

Wenig später hatten sie ihr Ziel erreicht.
Und noch immer hatten sie keine weitere Aufmerksamkeit erregt.

Unbemerkt konnten sie mit ihren beiden Gefangenen in das
Verliesgebäude schlüpfen.

In dem Geschoß zu ebener Erde hielt sich nie jemand auf, das hatte

Louis längst in Erfahrung gebracht. Unten jedoch, wo die Verliese
untergebracht waren, gab es eine Wachstube, die auch ständig besetzt
war. Weniger weil der Graf befürchtete, daß seine Opfer ausbrechen
könnten. Er tat es mehr, um der guten alten Sitte zu genügen, daß ein
Gefängnis nur dann ein Gefängnis war, wenn es bewacht wurde.

Bevor sich Volker und Louis nach unten wagten, mußten sie sich

ihrer Gefangenen entledigen. Beim Zusammentreffen mit den
Wächtern würde es erforderlich sein, die Hände frei zu haben. So
rissen sie aus der Kleidung der beiden Güldenburger ein paar
Streifen heraus und fesselten die Männer damit. Ein weiterer
Stoffstreifen verschloß den beiden den Mund.

»Wir lassen sie einfach hier oben liegen«, raunte Volker seinem

Gefährten zu. »Nachher können wir uns immer noch überlegen, was
wir mit ihnen machen.«

»Einverstanden«, gab der Knappe zurück.
Wenig später machten sich Rolands Freunde an den Abstieg zu den

Verliesen. Tief ging es hinunter, so tief, daß oben niemand zu hören
vermochte, was unten geschah. Die peinliche Befragung von Opfern
konnte somit das alltägliche Burgleben nicht weiter stören.

Schon als Volker und Louis die letzten Stufen noch nicht bewältigt

hatten, hörten sie die Wächter. Laute und wütende Stimmen schallten
ihnen entgegen.

»Pasch? Das war kein Pasch! Das waren eine gottverdammte Sechs

und eine gottverdammte Fünf!«

»Bist du blind, Johann? Es waren zwei Fünfen! Und wenn du

weiterhin das Gegenteil behauptest, dann schlage ich dir deinen
hirnlosen Schädel ein!«

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Die Wächter stritten sich beim Würfeln. Keine Frage, daß sie für

etwas anderes jetzt weder Augen noch Ohren hatten.

Volker und Louis sollte es recht sein, mehr als recht sogar.

Gänzlich ohne Schwierigkeiten konnten sie sich der Tür der
Wachstube nähern.

Diese stand spaltbreit offen, ließ einen Streifen flackernden Lichts

nach draußen fallen.

»Kein Pasch, sage ich«, entrüstete sich die eine Stimme.
»Und ich sage zwei Fünfen, sei's getrommelt oder gepfiffen«,

lautete die Antwort.

»Ich stopfe dir das gottverdammte Lügen ...«
Weiter kam der Wächter nicht. Volker hatte ruckartig die Tür

aufgestoßen. Schon standen er und Louis im Rahmen, Schwert und
Knüppel drohend erhoben.

Drei Wächter waren es, die an einem klobigen Holztisch saßen und

die Würfel tanzen ließen. Jetzt starrten sie zur Tür, als seien dort
zwei leibhaftige Gespenster erschienen.

Volker und Louis waren in Sekundenschnelle am Tisch.
»Wer Widerstand leistet, hat sein Leben verwirkt«, sagte der Ritter

unmißverständlich.

Einer der Güldenburger glaubte es nicht. Er sprang auf, versuchte,

nach einem langen Messer zu greifen, das er an der Hüfte trug.

Louis schlug zu, kurz und trocken. Der Wächter stürzte rücklings

von seinem Stuhl und blieb reglos auf den Steinen liegen.

Die beiden anderen hatten ihre Lehre bezogen. Sie machten keine

Anstalten, sich ebenfalls zur Wehr zu setzen.

»Was ... wollt ihr?« preßte der eine hervor.
»Den Ritter Roland«, antwortete Volker ohne Umschweife.
»Ihr wollt ihn befreien?«
Volker lächelte. »Wollen wir das wirklich? Nimm einfach an, wir

neiden dem Grafen das Vergnügen, dem Gefangenen den Schädel
abzuschlagen. Nimm an, wir hätten selbst Freude daran, ihn einen
Kopf kürzer zu machen.« Sein Lächeln verflüchtigte sich. »Kein
langes Gerede! Wo steckt der Ritter?«

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Als die Wächter zögerten, ließ er die Klinge auf den Tisch

niederkrachen. Die Holzplatte zersprang in zwei Hälften, die
langsam nach links und rechts wegkippten.

»Wenn ich noch lange warten muß, kann dasselbe mit euren

störrischen Köpfen passieren«, sagte er beinahe heiter.

Diese freundliche Warnung genügte. Die Wächter beeilten sich

jetzt, ihm gefällig sein zu dürfen. Augenblicke später standen die
Männer zu viert vor einer Verliestür.

»Hier ist es«, gab der eine Wächter bekannt.
Volker war von Natur aus ein argwöhnischer Mensch. Bevor er

etwas blind glaubte, überzeugte er sich lieber erst. Ganz dicht trat er
an die Tür heran.

»Roland?« rief er dann. »Roland, hörst du mich?«
Mehrere Herzschläge lang blieb es auf der anderen Seite der Tür

ganz ruhig. Dann wurden drinnen Schritte hörbar.

»Volker, bist du es wirklich?« ertönte die Stimme des Ritters mit

dem Löwenherzen. »Bist du es, oder spielen mir meine Sinne einen
arglistigen Streich?«

»Ich bin es«, gab Volker zurück. »Und Ritter Volker ist nicht

allein, denn ich bin auch hier«, meldete sich Louis zu Wort.

»Potztausend«, sagte Roland mit einem breiten Auflachen. »Wer

hätte das gedacht? Thilde, komm schnell!«

Volker wußte nicht, wer Thilde war. Aber das würde er wohl

gleich erfahren.

»Öffnet!« befahl er den beiden Wächtern. Zur Unterstützung seines

Befehls hob er drohend das Schwert.

Die Wächter bedurften der Drohung nicht. Der eine förderte ein

Schlüsselbund zutage und ließ die Schlüssel durch seine Finger
gleiten.

»Ein bißchen Beeilung, wenn's beliebt!«
Im nächsten Augenblick drehte sich ein Schlüssel im Schloß. Die

Tür sprang auf.

Im Schein der Fackel, die Louis aus der Wachstube mitgenommen

hatte, trat Roland nach draußen. An seiner Seite war ein blondes

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Mädchen. Die beiden blinzelten in das Licht, als sei es etwas, das
ihren Augen Schmerzen bereitete.

Schnell aber hatten sich Rolands Augen an das Licht gewöhnt.

Bevor er Volker und Louis dankte, blickte er das Mädchen an seiner
Seite an. Ein Lächeln zog über sein Gesicht.

»Thilde, du bist noch viel schöner, als ich es mir vorgestellt hatte!«

rief er aus.

Volker wußte nicht, was er sich vorgestellt hatte, aber in jedem

Fall hatte Roland recht, wenn er von einem schönen Mädchen
sprach. Die junge Frau hatte lockige blonde Haare, die ihr bis weit
über die Schultern fielen. Ihr ebenmäßiges Gesicht erinnerte an einen
Engel. Unter dem einfachen Kleid, das sie trug, zeichnete sich ein
Körper ab, der es jedem Mann heiß in den Lenden werden ließ. Bei
ihrem Anblick vergaß man ganz, daß ihr ein Bad recht guttun würde.

Auch das Mädchen lächelte. »Du hingegen siehst genauso aus, wie

ich mir dich ausgemalt habe. Wenn man so lange wie ich im Dunkeln
lebt, lernt man, mit den Händen zu sehen.«

Die beiden schienen sich recht gut zu kennen, stellte Volker fest.

Jedenfalls gingen sie sehr vertraut miteinander um. Fast sah es so
aus, als ob sie die Absicht hatten, sich in die Arme zu sinken. Volker
hätte es ihnen gegönnt, aber dazu war jetzt wahrlich keine Zeit.

»Verzeiht die Trübung eures stillen Glücks«, sagte er. »Aber ihr

vergeßt offenbar, wo ihr hier seid!«

Roland war sofort bei der Sache. »Recht hast du, mein Freund,

dem ich das Leben verdanke.«

»Noch ist dein Leben nicht gerettet, Roland. Du mußt fort. Und

zwar auf der Stelle!«

Ganz ernst war Roland jetzt geworden. Kein Funken Heiterkeit

spiegelte sich mehr in seinem Gesicht wider.

»Fort?« echote er. »Weißt du auch, wie ich das anstellen soll,

Freund Volker? Niemand kann die Güldenburg betreten oder
verlassen, wenn es Graf Heribert nicht will. Es ist völlig unmöglich,
die Mauern und den Graben zu überwinden.«

»Ich weiß«, nickte Volker. »Und doch gibt es einen Weg. Einen

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Weg, den allerdings nur ein todesmutiger Mann, wie du es bist,
beschreiten kann.«

»So zeige mir diesen Weg!«
»Gleich, Roland, gleich. Zunächst aber müssen wir die hier

versorgen!«

Mit »die hier« meinte er die Wächter. Er deutete auf das Verlies,

das Roland und das Mädchen gerade verlassen hatten.

»Rein mit euch!«
Die beiden kamen der Aufforderung unverzüglich nach. Vorher

nahm ihnen Louis noch ihre Waffen ab.

»Am besten dürfte es sein, wenn wir die anderen drei ebenfalls hier

auf Nummer Sicher bringen«, meinte der Knappe.

Diesem Vorschlag konnte sich Volker nur anschließen. Wenig

später waren auch der dritte Wächter und die beiden auf dem Hof
Niedergeschlagenen in dem Verlies untergebracht. Knirschend drehte
Volker den Schlüssel herum und reichte ihn dann an Roland weiter.

»Nimm du dieses Ding, Freund Roland«, sagte er. »Es wäre nicht

gut, wenn irgend jemand den Schlüssel bei mir oder Louis fände.«

Roland nahm den Schlüssel, blickte den Minnesänger dabei jedoch

fragend an. »Du fliehst nicht mit mir auf dem Weg, den ich nehmen
soll?«

»Nein. Ich nicht und deine beiden Knappen auch nicht. Für Pierre

wäre der Weg ohnehin nicht gehbar. Und außerdem ... Wollen wir
unsere Pferde und sonstigen Utensilien im Stich lassen?«

Eine Sorgenfalte furchte Rolands Stirn. »Du spielst ein

gefährliches Spiel, Volker. Wenn Graf Heribert feststellt, daß ich
geflohen bin ... Wird er nicht sofort wissen, daß du mir geholfen
hast? Er braucht nur diese fünf Kerle da drinnen zu fragen ...«

»Dazu wird es hoffentlich nicht kommen. Bevor das Verlies

geöffnet wird, was ohne den Schlüssel seine Zeit in Anspruch
nehmen dürfte, müssen Louis, Pierre und ich die Güldenburg bereits
verlassen haben. Mir wird schon ein Grund einfallen, der uns zu
frühmorgendlichem Aufbruch drängt.«

»Ich hoffe es, mein Freund«, erwiderte der Ritter mit dem

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Löwenherzen ernst. »Der Gedanke, daß ihr meinethalben zu Schaden
kommt, wäre mir unerträglich. Zeige mir nun den Fluchtweg, den du
dir ausgedacht hast. Komm, Thilde.«

Volker blieb stehen, wo er gerade stand. »Du willst das Mädchen

mitnehmen?«

»Aber natürlich! Wenn sie auf der Güldenburg verbleibt, ist ihr

Leben keinen abgewetzten Denar mehr wert.«

Roland erzählte seinem Freund und dem Knappen, wer die blonde,

junge Frau eigentlich war.

»Gewiß«, sagte Volker, »auch mich dünkt es vernünftig, wenn sie

schnellstens der Güldenburg den Rücken kehrt. Aber auf diesem
Weg ...«

»Wohin Roland geht, dahin gehe auch ich«, warf Thilde ein und

sah Roland verliebt an.

Volker verzog den Mund. »Von Geben kann leider keine Rede

sein, eher vom Fliegen. Aber überzeugt euch doch selbst!«

Die beiden Ritter, der Knappe und die Tochter des Goldmachers

verließen den engen Verliesgang und stiegen die Treppe empor. Zur
Überraschung Rolands traten sie jedoch nicht auf den Burghof
hinaus. Statt dessen wandte sich Volker dem rückwärtigen Teil des
Baus zu. Vor einem Fenster, das dort in die Mauer eingelassen war,
machte er halt. Er öffnete das Fenster und machte eine einladende
Handbewegung.

»Dies ist dein Fluchtweg, Roland«, sagte er.

*

Der Ritter mit dem Löwenherzen trat an das Fenster heran und lehnte
sich hinaus.

Ein kühler Nachtwind wehte ihm entgegen und brachte seine Haare

zum Fliegen. Die Dunkelheit ringsum war wie das Maul eines
riesigen Tieres, das nach ihm zu schnappen schien. Tief unter ihm, so
viele Klafter, daß er es gar nicht richtig abschätzen konnte, glänzte
etwas schwach silbrig im Licht des Mondes.

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Der Main!
»Nun, Freund Roland?« fragte Volker vom Hohentwiel leise. »Ist

es selbst für dich ein zu tollkühnes Unterfangen?«

Roland brauchte nicht lange mit der Antwort. »Tollkühn mag es

sein. Aber ich sehe ein, daß es der einzige Weg für mich ist, die
Güldenburg lebend zu verlassen. Ob ich allerdings noch lebe, wenn
ich sie verlassen habe ...?«

Er blickte in die gähnende Tiefe und konnte ein unwillkürliches

Schaudern nicht unterdrücken. Dann aber gab er sich einen Ruck.

»Komm, Thilde«, sagte er. »Blick nicht nach unten, sondern

schließ die Augen, und verlaß dich ganz auf mich.«

Das Mädchen machte die Augen zu und lächelte. »Ja, mein Ritter,

ich verlasse mich voll und ganz auf dich.«

Roland nahm sie auf seine Arme und kletterte kurz entschlossen

auf die Fensterbrüstung.

»Wo sehen wir uns wieder, Freund Volker?«
»Eine gute Meile entfernt. Wenn ihr dem Weg in Richtung Osten

folgt, findet ihr ein mit Holundersträuchern bewachsenes Dickicht.
Wartet dort auf uns.«

Roland lächelte. »Es wird sich weisen, wer auf wen wartet. Und ob

überhaupt jemand wartet!«

Er wandte sich ab und blickte in die Tiefe. Für einen Augenblick

tat er es dem Mädchen in seinen Armen nach und schloß ebenfalls
die Augen. Dann aber öffnete er sie wieder und stieß sich wuchtig
von der Fensterbrüstung ab.

Wie ein Stein stürzte er nach unten. Der Wind zerrte an ihm wie

die Klauen einer reißenden Bestie, und er hatte das Gefühl, zu einem
Spielball der Naturgewalten geworden zu sein.

Er fiel und fiel und fiel...
Dann, ganz plötzlich, war die Mondsichel, die sich auf der

Oberfläche des Flusses spiegelte, unmittelbar unter ihm. Ganz fest
schlang er die Arme um Thilde und gab seinem Körper eine schnelle
Drehung, um das Schlimmste von dem Mädchen abzuwenden.

Im nächsten Augenblick kam der Aufschlag. Roland hatte das

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Empfinden, auf eine massive Steinplatte gestürzt zu sein. Niemals
hätte er gedacht, daß Wasser so hart sein konnte. Fest war er davon
überzeugt, sich sämtliche Glieder gebrochen zu haben.

Aber die Oberfläche des Mains war tatsächlich keine Steinplatte.

Roland und Thilde sanken, sanken schneller, als ein Fisch
schwimmen kann. Tiefer und tiefer ging es hinunter. Die geballte
Wucht des Sturzes aus großer Höhe sorgte dafür.

Endlich war der Grund des Flusses erreicht. Mit letzter Kraft stieß

sich Roland ab, um wieder nach oben getragen zu werden. Nun aber
ging es nicht so schnell wie zuvor. Quälend langsam trieb Roland mit
dem Mädchen in seinen Armen der Mainoberfläche entgegen. Als er
schon glaubte, daß ihm die Lungen platzen würden, durchstieß sein
Kopf endlich den Wasserspiegel. Tief atmete er die frische Nachtluft
ein, die ihm köstlicher vorkam als alle leiblichen Genüsse dieser
Welt.

»Thilde?« fragte er. »Thilde, wie geht es dir?«
Das Mädchen fand nicht die Kraft, ihm mit Worten zu antworten.

Aber der Druck ihrer Hand verriet ihm, daß auch sie den
selbstmörderischen Sprung überlebt hatte.

Die Flucht aus der Güldenburg, die jedermann für ausgeschlossen

gehalten hätte, war gelungen.

*

Seit Stunden warteten Roland und des Goldmachers Tochter im
Dickicht der Holundersträuche. Die Sonne war bereits aufgegangen
und schickte sich an, ganz hinter dem Horizont hervorzukriechen.
Nun mußten Volker und die beiden Knappen bald kommen.

Und sie kamen so selbstverständlich, als sei es ein Kinderspiel

gewesen, die Güldenburg zu verlassen. Sie brachten sogar Rolands
edles Pferd mit.

»Es war in der Tat ein Kinderspiel«, berichtete der Minnesänger.

»Noch bevor die Vorbereitungen zu deiner Hinrichtung begannen,
empfahlen wir uns. Graf Heribert ließ uns ohne Einwände ziehen.

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Vielleicht war er ganz froh darüber, daß wir davonritten. Er mochte
sich überlegt haben, daß dein Kopf ohne die Anwesenheit fremder
Zeugen leichter vom Richtblock rollen würde.«

Roland lachte. »Ob er inzwischen bemerkt hat, daß mein Kopf gar

nicht rollen wird?«

»Dies steht zu befürchten. Deshalb sollten wir schnellstens dafür

sorgen, möglichst viel Land zwischen uns und die Güldenburg zu
legen.«

Roland nahm Thilde zu sich auf sein Pferd. Dann ritten die

Gefährten in flotter Gangart davon.

»Wie glücklich wäre ich, wenn mein Vater jetzt bei uns sein

könnte«, sagte Thilde sehnsüchtig.

Fast hätte Roland den Goldmacher vergessen. So sehr war er mit

seiner und des Mädchens Flucht beschäftigt gewesen. Nun aber
dachte auch er wieder an den alten Mann und Sir Ectors Wunsch, ihn
nach Camelot zu bringen.

»Thegan ist während meiner Gefangenschaft im Verlies nicht

wieder auf der Bildfläche erschienen?« fragte er den Minnesänger.

»Nein«, sagte dieser. »Alle Burgbewohner stehen vor einem

Rätsel, das bisher niemand zu lösen vermochte.«

»Freiwillig hätte mein Vater die Güldenburg ganz bestimmt nicht

verlassen«, warf das blonde Mädchen ein. »Es kann ihn also nur
jemand getötet oder ... verschleppt haben.«

»Verschleppt?« wiederholte Roland kopfschüttelnd. »Wer sollte

das getan haben? Außer uns war kein Fremder auf der Burg.«

»Doch«, bemerkte der Knappe Louis. »Ihr vergeßt den Schlesier

mit dem essigsauren Wein, Ritter Roland.«

Diese Worte veranlaßten Volker aufzuhorchen. »Essigsaurer

Wein? Was war mit dem essigsauren Wein?«

Roland erzählte ihm die gar lustige Geschichte von dem Freigrafen

aus dem Schlesierland und seinem unmöglichen Wein.

»Aus Schlesien soll dieser Wein stammen?« lachte Volker. »Das

entspricht nicht den Tatsachen.«

»Wieso nicht?«

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»Weil ich selbst von diesem Wein getrunken habe. Auf einer Burg,

die keinen halben Tagesritt entfernt liegt!«

»Was sagst du da?« Kerzengerade saß Roland jetzt im Sattel.

»Sollte der Schlesier gar kein Schlesier gewesen sein? Aber warum
diese Komödie?«

»Beschreibe mir das Äußere dieses dubiosen Freigrafen«,

verlangte Volker.

Roland tat es.
Jetzt saß auch der Minnesänger ganz aufrecht auf seinem Pferd.

»Diesen Mann habe ich gesehen! Auf einem mit Fässern beladenen
Wagen - ganz in der Nähe der Burg, wo man mir versehentlich den
sauren Wein in den Becher schüttete! Und wenn ich mir dies alles
zusammenreime, wie es des Dichters Art ist.. .«

»Dann?« drängte Roland.
»... komme ich zu dem Schluß, daß dieser Freigraf dich und die

Güldenburger ganz schön an der Nase herumgeführt hat. Die Sache
mit dem sauren Wein war nur ein Vorwand, ohne Argwohn zu
erwecken, in die Güldenburg hinein- und auch wieder
hinauszugelangen. Nur, daß beim Verlassen der Burg nicht mehr alle
Fässer mit Wein gefüllt waren!«

»Du meinst... ?«
»Ja, das meine ich«, nickte Volker. »In einem dieser Weinfässer

steckte Thegan, der Goldmacher!«

Roland gab seinem Pferd die Sporen, so daß es einen Satz nach

vorne machte.

»He, wo willst du plötzlich so eilig hin?« rief Volker vom

Hohentwiel, der kaum zu folgen vermochte.

»Zu der Burg, wo man den Gästen essigsauren Wein ausschenkt«,

antwortete Roland grimmig.

*

Wie ein Sturmwind preschten Roland, Volker und die beiden
Knappen auf den Hof der Klosterburg. Das Mädchen Thilde hatten

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sie zurückgelassen. Der sonst so träge Knappe Pierre jedoch hatte
ausdrücklich darauf bestanden, mit dabeizusein.

Eine Reihe von Burgbewohnern hielten sich auf dem Hof auf,

Männer und Frauen, gräfliche Getreue und einfaches Gesinde.

Einen dieser Männer erkannte Roland auf Anhieb. Es war niemand

anderer als der angebliche Freigraf Felix von Leubus, der die
gleichnamige Burg in Schlesien gewiß niemals zu Gesicht
bekommen hatte.

Das Erkennen war gegenseitig. Auch Felix sah den Ritter, dem er

zuletzt auf der Güldenburg begegnet war. Und er konnte sich
offenbar denken, was dessen Auftauchen zu bedeuten hatte. Mit einer
schnellen Bewegung griff er nach seinem Schwert.

Da war Roland bereits heran. Unmittelbar vor dem falschen Grafen

riß er an den Zügeln seines Pferdes so heftig, daß das edle Tier in der
Hinterhand hochging. Roland war jedoch schon aus dem Sattel, das
Schwert in der Faust.

Ungestüm drang er auf Felix ein. Er deckte den Gegner mit einer

Serie von Hieben ein, die dieser kaum parieren, geschweige denn mit
einem Gegenangriff beantworten konnte. Innerhalb weniger
Augenblicke hatte ihn Roland zu Boden gestreckt.

Auch Volker und die beiden Knappen waren inzwischen in harte

Kämpfe verwickelt. Sie schlugen sich so achtbar und mutig, wie es
Roland von ihnen gewohnt war.

Binnen kürzester Zeit hatten sich alle Klosterburger auf dem Hof

eingefunden. Wie Volker wüßte, der die Verhältnisse auf dieser
kleinen und recht armseligen Burg von seinem Besuch her kannte,
waren nur wenige wehrfähige Männer darunter. Sechs, sieben an der
Zahl, mehr nicht. Wäre es anders gewesen, hätten es Roland und
seine Gefährten nicht wagen können, diese offene Attacke gegen die
Klosterburger zu führen.

Der Ritter mit dem Löwenherzen hatte nur einen Mann im Auge:

den Freiherrn Ingolf selbst.

Und da kam er auch schon aus dem Haus, genauso aussehend, wie

Volker ihn beschrieben hatte.

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Roland stürmte auf den Burgherrn los, wie nebenbei einen

Klosterburger Getreuen niederschlagend, der sich ihm in den Weg
stellen wollte.

Ingolf kannte den Ritter mit dem Löwenherzen nicht. Aber er

erkannte sofort, daß er hier einen Mann vor sich hatte, dem er in
kämpferischer Hinsicht nicht das Wasser reichen konnte. Er wollte
fliehen, wollte zurück ins Haus.

Dazu jedoch ließ es Roland nicht kommen. Mit einem wahren

Löwensatz war er bei dem Burgherrn. Ingolf konnte gerade noch sein
Schwert hochreißen, um Rolands Hieb abzuwehren.

So gewaltig aber war Rolands Streich, daß dem Freiherrn das

Schwert aus der Hand fiel. Wehrlos stand er vor Roland, der seine
Klinge zum nächsten Schlag hob.

»Haltet ein«, schrie Ingolf. »Ich ergebe mich!«
Roland war kein Mann, der das Blutvergießen liebte. Wenn der

Herr der Klosterburg seine Sache verloren gab, dann sollte es ihm
recht sein.

»Befehlt Euren Leuten, ebenfalls die Waffen zu strecken«, forderte

er Ingolf auf.

Der Freiherr zögerte keine Sekunde, dieser Weisung

nachzukommen. Sofort fanden alle Kämpfe ein Ende. Mit
Genugtuung stellte Roland fest, daß keinem seiner Gefährten etwas
zugestoßen war.

Er zielte mit der Schwertspitze auf Ingolf s Brust. »Ihr könnt Euch

denken, aus welchem Grund wir gekommen sind!«

Der Freiherr verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ihr wollt

den... Goldmacher.«

»So ist es«, bestätigte er. Und mit einem Lächeln voller Spott fügte

er hinzu: »Wie gewonnen, so zerronnen!«

Ingolf sah ein, daß ihm keine andere Möglichkeit blieb, wenn er

sein Leben retten wollte. Er wies zwei seiner Getreuen an, den alten
Mann zu holen.

Und Thegan kam.
Seine Augen leuchteten, als er den Ritter sah, der ihm eine

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Einladung nach Camelot überbracht hatte. Er lächelte. »Ihr seid sehr
hartnäckig, wenn es um das Erreichen Eurer Ziele geht, nicht wahr,
Herr Ritter?«

»Sehr hartnäckig«, nickte Roland.
Kurz darauf verließen Roland und seine Gefährten die Klosterburg

wieder. Thegan saß mit auf Rolands Pferd. Die Getreuen des
Freiherrn machten keine Anstalten, sie zu verfolgen. Ihre Gesinnung
war nicht die von Rittern, sondern die von Räubern und Strauch-
dieben.

»Ich habe eine Überraschung für Euch«, sagte Roland. »Eure

Tochter wartet auf Euch.«

»Meine Tochter? Ihr habt sie aus der Gewalt Heriberts befreit?«
»Ja.«
Der alte Mann war außer sich vor Freude. Die Tränen rannen ihm

über die eingefallenen Wangen, und er schluchzte aus vollem, aus
übervollem Herzen.

Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich beruhigt hatte. Dann sagte

er mit einer Stimme, die fast kummervoll klang: »Ich habe auch eine
Überraschung für Euch, Ritter Roland. Aber es ist eine
Überraschung, die Euch wenig Freude bereiten wird.«

Roland wußte nicht, was er meinte. »Laßt hören«, sagte er.
»Ich kann gar kein... Gold machen!« sagte er mit Grabesstimme.
Roland verschlug es die Sprache. »Ihr könnt kein Gold ... ?«
»Nein.«
Roland verstand es noch immer nicht. »Aber all die goldene Pracht

auf der Güldenburg . ..«

»Alles nur Schein«, antwortete der alte Mann. »Alles, was Ihr dort

für pures Gold gehalten habt, ist nichts als einfaches Eisen mit einem
goldenen Überzug. Und das Gold, das ich für diesen Überzug
benötigte, habe ich gewonnen, indem ich des Grafen echtes Gold
entwendete und insgeheim einschmolz.«

Rolands Verblüffung kannte keine Grenzen. »Warum, zum Teufel,

habt Ihr Heribert nicht gesagt, daß Ihr gar kein Gold machen könnt?
Eurer Tochter wäre vieles erspart geblieben.«

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»Graf Heribert hätte mir nicht geglaubt. Deshalb mußte ich die

Rolle, die ich spielte, weiter- und weiterspielen. Anderenfalls hätte er
Thilde auf grausame Weise töten lassen.«

Es dauerte eine ganze Weile, bis Roland so richtig begriffen hatte,

was ihm da von dem alten Mann erzählt worden war. Dann lachte er,
lachte er so laut, daß sein Pferd fast gescheut hätte.

Eigentlich hatte er vorgehabt, Graf Heribert für das zur

Rechenschaft zu ziehen, was er Thilde angetan hatte. Aber nun
schien es ihm, daß der Güldenburger bereits genug gestraft war.

Man mußte ihn nur wissen lassen, woraus seine ganze goldene

Pracht in Wirklichkeit bestand ...

ENDE

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Ein Engel als Köder

»Liebe mich, Roland!«
Es klang wie das zärtliche Schnurren einer Katze, die vom
Kater ihres Herzens in den Armen gehalten wird.
Nun, es war keine Katze, wenn auch die grünen, funkelnden Augen
und die geschmeidigen Bewegungen ihres schlanken Körpers an
eine Katze erinnerten.
Sie hieß Elisabeth Terciere, und sie war eine heißblütige Comteß
aus Burgund, die den Ritter mit dem Löwenherzen um
Schutz gebeten hatte - und jetzt um mehr.
Roland brauchte keine weitere Aufforderung.
Er spürte die Hitze ihres nackten Körpers, der sich verlangend an
ihn schmiegte, die weichen, warmen Lippen, die unter seinem
Kuß zu erbeben schienen, und ein süßes Prickeln erfaßte ihn ...

Wenn Roland aus seinen Träumen aufwacht, wird er merken,
daß er in der Falle sitzt. Ob und wie er sich daraus befreit, lesen
Sie in 14 Tagen im Ritter-Roland-Band 23. DM 1,60


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