Terra Fantasy 23 Robert E Howard Krieger Des Nordens

background image
background image

2

ROBERT E. HOWARD

Krieger des Nordens




Originaltitel:

TIGERS OF THE SEA

Aus dem Amerikanischen von

Eduard Lukschandl









ERICH PABEL VERLAG KG - R ASTATT/B ADEN

background image

3

INHALT

Vorwort

Seite 3

Krieger des Nordens

Seite 10

(TIGERS OF THE SEA)

Die Nacht der Schwerter

Seite 55

(SWORDS OF THE NORTHERN SEA)

Die Rache der Pikten

Seite 82

(THE NICHT OF THE WOLF)

Tempel des Grauens

Seite 109

(THE TEMPLE OF ABOMINATION)







TERRA-FANTASY-Taschenbuch

2. Auflage

erscheint vierwöchentlich

im Erich Pabel Verlag KG, Pabelhaus, 7550 Rastatt Copyright

© 1974 by Glenn Lord

Redaktion: Hugh Walker

Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG

Gesamtherstellung: Erich Pabel Verlag KG

Verkaufspreis inkl. gesetzl. Mehrwertsteuer

Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen

und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden;

der Wiederverkauf ist verboten.

Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich:

Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300

A-5081 Anif

Abonnements- und Einzelbestellungen an

PABEL VERLAG KG, Postfach 1780, 7550 RASTATT,

Telefon (0 72 22) 13 - 2 41

März 1979

background image








Vorwort:




Robert E. Howard (!906-1936) war der Begründer der modernen

Schwert-und-Magie-Erzählung. Im August !929 kam in dem
amerikanischen Horror-Fantasy-Magazin Weird Tales die erste
Story von KULL VON ATLANTIS unter dem Titel The Shadow
Kingdom heraus. (Die Story erschien Anfang '74 in einem
Sonderdruck des Fantasy-Klubs FOLLOW erstmals in deutscher
Sprache in kleiner Auflage und ist längst vergriffen. Der gesamte
Zyklus der KULL-Stories erscheint jedoch demnächst in zwei
Bänden in der TERRA-FANTASY-Reihe.) In dieser Story verband
Howard erstmals die für das Genre so charakteristischen Elemente:
den barbarischen Helden (nach epischem Vorbild), die imaginäre
Welt (in diesem Fall ein imaginäres Zeitalter) und Magie (das
Übernatürliche). Was Howard zudem hervorhebt, ist der starke
Realismus seiner Schilderungen, der das Phantastische, das
Märchenhafte, in eine grimmige Wirklichkeit hüllt. Da ist nichts
mehr von legendenhafter Distanziertheit, sondern Aktion und
Beschreibungen, die fesseln und nicht mehr loslassen.

Ganz unbekannt ist KULL dem deutschen Leser ja nicht mehr.

Im Zyklus um den Piktenkönig BRAN MAK MORN (TERRA
FANTASY Nr. 3, Robert E. Howard, HERRSCHER DER NACHT)
wird KULL aus der Vergangenheit beschworen, um eine Schar
Wikinger in Britannien gegen die römischen Legionen zu führen.
Am bekanntesten von allen Helden Howards wurde sicherlich
CONAN VON CIMMERIEN, zumal die Serie von Lin Carter und
L. Sprague de Camp bearbeitet und nach Aufzeichnungen Howards
ergänzt und chronologisch geordnet in Taschenbuchform auf den
Markt kam, in Amerika mit den phantastischen Titelbildern von

background image

5

Frank Frazetta, der wie kein anderer Howards Prosa ins Bild
umzusetzen vermochte.

Hören wir also den Namen Robert E. Howard, verbinden wir ihn

ganz automatisch mit CONAN, KULL, SO-LOMON KANE und
BRAN MAK MORN, und das nicht nur im deutschen Sprachgebiet,
wo erst ein kleiner Teil von Howards Erzählungen erschienen ist.
Vor Howards Tod erschienen keinerlei Buchausgaben seiner
Stories. Erst in den fünfziger Jahren wurden erstmals die CONAN-
Stories gesammelt in mehreren Bänden herausgebracht. Die alten
Magazine der dreißiger Jahre waren selbst für Sammler nur noch
schwer zu bekommen. Mit dem Howard-Revival der sechziger
Jahre, das sicherlich stark mit dem Erscheinen der
Taschenbuchausgabe von J. R. R. Tolkiens DER HERR DER
RINGE und dem damit stetig wachsenden Interesse an Fantasy
zusammenhängt, begannen sich Verleger auch für das übrige
Howard-Material zu interessieren. Aber nicht nur das: Mitte der
sechziger Jahre kam ein umfangreicher Stoß unveröffentlichter
Manuskripte Howards zum Vorschein. Viele dieser Stories sind
inzwischen in kleinen Buchauflagen und in jüngster Zeit auch im
Taschenbuch erschienen, darunter Worms of the Earth (Herrscher
der Nacht), A Cent from Bear Creek (Western Stories), The
Vultures of Whape-ton (Western Stories), The Incredible
Adventures of Dennis Dorgan, The Lost Valley of Ilskander und
Tigers of the Sea, der vorliegende Band, den wir Ihnen in
ungekürzter Form vorstellen.

Die amerikanische Buchausgabe erschien 1974. Von den vier

Stories um Cormac Mac Art war zuvor nur The Night of the Wolf
(Die Rache der Pikten) veröffentlicht worden, und zwar 1969 in der
Dell-Book-Ausgabe BRAN MAK MORN. Später, im Zuge der
Neuordnung der Zyklen Howards wurde die Story dem Bran-Mak-
Morn-Band wieder entnommen. Zwei der vorliegenden Novellen
wurden von Richard L. Tierney vollendet, der den Band auch
zusammenstellte. Von Krieger des Nordens und Tempel des
Grauens fand man in Howards Nachlaß nur Fragmente. Tierney
glaubt allerdings, daß es vollständige Versionen der Stories gab, die
aber verlorengingen. Er schrieb etwa ein Drittel von Krieger des
Nordens und die letzten zwei oder drei Seiten von Tempel des
Grauens. Während dieser Bearbeitung tauchte ein früheres und
kürzeres Manuskript von Tempel des Grauens auf, dem für die

background image

6

vorliegende Story die Schlußsentenzen entnommen wurden.

All das entbehrt nicht einer gewissen Faszination, wenn man

bedenkt, daß soviel interessantes Material dreißig, fast vierzig Jahre
in Kartons schlummerte und durch Zufall wieder ans Licht kam. Es
zeigt außerdem, wie produktiv Howard in den knapp zehn Jahren
seines literarischen Schaffens war. Eine 1975 veröffentlichte
Bibliographie nennt über siebzig noch unveröffentlichte Stories und
über dreißig Fragmente. Howard-Fans werden also noch eine ganze
Weile auf ihre Kosten kommen. Bedauerlich ist lediglich, wie in so
vielen Fällen im literarischen Bereich, daß Robert E. Howard selbst
an dieser späten Ernte keinen Anteil mehr hat. Er hatte es finanziell
alles andere als leicht, bedingt durch die lange Krankheit seiner
Mutter und die wirtschaftlich sehr instabile Situation vieler
Magazine in den dreißiger Jahren, vor allem Weird Tales, dessen
Autoren zeitweise sehr unregelmäßig bezahlt wurden.

Tierney schreibt in seinem Vorwort zu Tigers of the Sea unter

anderem: „Howard scheint eine Vorliebe für Helden mit starkem
gälischen Einschlag gehabt zu haben. Zwar waren alle seine
Protagonisten kraftvoll und muskulös in höchstem Maße, aber seine
gälischen Heldengestalten waren charakterlich wesentlich reicher
entwickelt. In Howards Vorfahren war selbst ein starker irischer
Zug, mit dem er sich identifizierte. Auch verwendete er in seinen
Stories häufig das Thema der Reinkarnation - obwohl ich daran
zweifle, daß er die Idee besonders ernst nahm. Er verwendete sie
wohl hauptsächlich ihres literarischen Effekts wegen. Dennoch ist
es eine verlockende Gedankenspielerei, sich vorzustellen, Howard -
der selbst ein muskulöser, großer, dunkelhaariger Mann war, wie
die meisten seiner Helden - könnte mit der Vorstellung gespielt
haben, diese heroischen Gestalten seiner Phantasie wären er selbst
in seinem früheren Leben.

Cormac Mac Art ist solch ein typischer Vertreter - groß,

breitschultrig, ein Krieger von gälischem Blut: blauäugig, aber von
dunkler Hautfarbe, schwarzhaarig und mit narbigen, düsteren
Zügen; er ist immer ein Barbar, der im Kampf Schonung weder
erwartet noch gewährt, dem aber ein Zug von unbewußter
Ritterlichkeit zu eigen ist und ein Grundzug von Anständigkeit, der
seine Handlungen nie in bewußte Grausamkeit ausarten läßt.

Howards bekannteste Helden, Kull und Conan, passen ebenfalls

background image

7

in dieses Schema. In seinem Artikel „Das Hyborische Zeitalter"
schreibt Howard, die Cimmerier seien Nachkommen der Atlanter,
womit ein rassisches Band zwischen Kull und Conan hergestellt ist.
Und er führt aus, daß die Gälen, die Vorfahren der Iren und
Hochland-Schotten, von reinblütigen cimmerischen Clans
abstammten. Solcherart stellt er eine Verbindung zwischen Kull,
Conan und den diversen schwarzhaarigen, gälischen Helden her,
deren Abenteuer sich in mehr oder weniger historischen Rahmen
abspielen.

Cormac von Connacht (aus Herrscher der Nacht) gehört in die

Reihe dieser Heldengestalten, obwohl er wie Kull eigentlich eine
Nebenfigur ist.

Nicht lange, nachdem Bran und Cormac die römischen Legionen

in Britannien zerschlugen, fiel Rom selbst unter dem Ansturm der
Goten. Auf den britischen Inseln kämpften Pikten, Gälen, Sachsen
und Jüten mit den halbromanisierten Britanniern um die
Vorherrschaft, während sich vom Norden her der erste Strom
südwärts dringender Wikinger bemerkbar machte. In dieser Zeit des
halbmythischen Königs Artus sind die Abenteuer des Helden dieses
Buches, Cormac Mac Art, angesiedelt.

Wieder einige Jahrhunderte später stoßen wir auf einen anderen

irischen Wolf, Turlogh O'Brien, der Cormac sehr ähnlich ist."


Turlogh O'Brien stellten wir bereits vor, und zwar in Band 17

(RÄCHER DER VERDAMMTEN) mit der Story Das Idol. Und
von weiteren Heldengestalten Howards wird in der TERRA-
FANTASY-Reihe sicherlich noch die Rede sein.

Ob nun Howard in seiner Phantasie ein idealisiertes Bild seiner

selbst entwarf, sei dahingestellt. Was auch immer der Interpret
suchen mag, an einem kann er nicht vorbeisehen: an den Bildern
phantastischer Abenteuer und gewaltiger Taten, die Howard mit
mächtigen Worten zu malen verstand.

Mit der vorliegenden Storysammlung öffnen wir eine Tür am

Rande der Fantasy. Wie schon bei Bran Mak Morn und Solomon
Kane ist der Hintergrund mehr oder weniger historisch. Das
magische Element ist nur spärlich vorhanden. Die Betonung liegt
auf dem Schwert und dem Abenteuer. Das Buch zeigt Howards
Vorliebe für das historische Abenteuer. Seine Vorbilder waren H.
Rider Haggard, Talbot Mundy, Sax Rohmer, Robert W. Chambers

background image

8

und vor allem Harold Lamb. Aber die starke Konkurrenz
alteingesessener Autoren drängte den Neuling in den Bereich der
Fantasy- und Horror-Magazine und damit in die literarische
Domäne H. P. Lovecraf ts und Clark Ashton Smiths.

Diese Vorliebe für historische Themen und die Tatsache, daß er

in dem Magazin Weird Tales Fuß faßte, dessen Geschichten
übernatürliche oder magische Elemente enthalten mußten, waren
wohl die eigentlichen Voraussetzungen, die zu den Fantasy-
Abenteuern mit Kull und Conan führten.

Hugh Walker












Bisher sind von Robert E. Howard in unserer Reihe folgende in

sich abgeschlossene Bände erschienen:


HERRSCHER DER NACHT (Worms of the Earth) TERRA

FANTASY Nr. 3

5 Stories um den Piktenkönig Bran Mak Morn
DEGEN DER GERECHTIGKEIT (Solomon Kane)

TERRA FANTASY Nr. 11

6 Stories um Solomon Kane, einen Abenteurer aus dem 16. Jh.
RÄCHER DER VERDAMMTEN (The Moon of Skulls)

TERRA FANTASY Nr. 17

3 Stories um Solomon Kane und l Story um Turlogh O'Brien
KRIEGER DES NORDENS (Tigers of the Sea) TERRA

FANTASY Nr. 23

4 Stories um Cormac Mac Art in Britannien Ende des 5. Jahrh.
In Vorbereitung: KING KULL

background image

9

background image

10

Krieger des Nordens

1.



„Tiger der See! Männer mit Wolfsherzen und Sehnen aus Feuer

und Stahl! Sie versehen die Krähen mit Futter, und ihre Freude liegt
im Töten! Riesen, denen das Todeslied des Schwertes lieblicher in
den Ohren klingt als das Liebeslied eines Mädchens!"

König Gerinths müde Augen waren überschattet.
„Die Geschichte ist mir nicht neu; seit über zwanzig Jahren sind

solche Männer wie ein Rudel hungriger Wölfe über mein Volk
hergefallen."

„Öffne das Buch Cäsars", gab Donal, der Barde, zur Antwort,

hob einen Becher Wein und trank in tiefen Zügen. „Haben wir im
Buch des Römers nicht gelesen, wie er den Wolf gegen den Wolf
hetzte? Aye - auf diese Weise hat er unsere Vorfahren besiegt, die
in ihren Tagen ebenfalls Wölfe waren."

„Und nun gleichen sie mehr den Schafen", murmelte der König,

und in seiner Stimme schwang Bitterkeit mit. „Während der Jahre
des römischen Friedens hat unser Volk die Kriegskunst verlernt.
Nach dem Fall von Rom kämpfen wir um unser Leben und können
nicht einmal unsere Frauen beschützen."

Conal setzte den Becher ab und beugte sich über den kunstvoll

geschnitzten Eichentisch.

„Wolf gegen Wolf!" rief er. „Du sagst, du könntest keine

Krieger von den Grenzen abziehen, um sie nach deiner Schwester,
der Prinzessin Helene, suchen zu lassen, und ich weiß es wohl!
Deshalb benötigst du die Hilfe anderer Männer, und die Männer, die
ich dir soeben beschrieben habe, sind an Wildheit und Grausamkeit
den Angeln, die uns bedrohen, so sehr überlegen wie die Angeln
unseren verweichlichten Bauern."

„Aber würden sie unter einem Briten gegen ihr eigenes Blut

kämpfen?" wandte der König ein. „Und könnte ich ihnen
vertrauen?"

„Sie hassen einander ebenso sehr, wie wir beide sie hassen",

antwortete der Barde. „Versprich ihnen die Belohnung erst für den
Tag, da sie mit Prinzessin Helene zurückkehren."

„Berichte mir mehr von ihnen", verlangte König Gerinth.

background image

11

„Wulfhere, der Schädelspalter, ihr Anführer, ist ein rotbärtiger

Riese. Er ist schlau, aber er führt seine Wikinger vor allem dank
seiner Tollkühnheit. Er hantiert seine schwere, langstielige Axt wie
ein Spielzeug und zerschmettert damit Schwerter, Schilde, Helme
und Schädel aller, die sich ihm in den Weg stellen. Wenn Wulfhere
blutbefleckt, mit gesträubtem Bart, flammenden Augen und
rotgefärbter Axt durch die Reihen der Gegner stürmt, gibt es nur
wenige, die ihm zu begegnen wagen.

Um Rat jedoch wendet er sich an seine rechte Hand, einen Mann

mit der Schläue der Schlange. Wir Briten kennen ihn seit langem,
denn er ist kein Wikinger von Geburt, sondern ein Gäle aus Erin.
Sein Name ist Cormac Mac Art, genannt an Cliuin oder der Wolf.
Früher war er der Anführer irischer Seeräuber und suchte die
Küsten der britischen Inseln, Galliens und Spaniens heim - ja, er
überfiel sogar die Wikinger selbst. Aber sein Gefolge zerfiel auf
Grund innerer Streitigkeiten, und er schloß sich Wulfhere an.
Dessen Männer sind Dänen, und sie stammen aus einem Land
südlicher des Volkes der Nordmänner.

Cormac Mac Art besitzt all die Schläue und die Verwegenheit

seiner Rasse. Er ist groß und hager - ein Tiger, während Wulfhere
mehr dem wilden Bullen gleicht. Seine Waffe ist das Schwert und
sein Geschick damit unglaublich. Die Wikinger legen keinen großen
Wert auf Fechtkunst. Ihre Art zu kämpfen besteht darin, mit dem
vollen Schwung ihrer Arme mächtige Hiebe auszuteilen. Und
wenngleich der Gäle ihnen darin um nichts nachsteht, so zieht er
dennoch die Schwertspitze vor. In einer Zeit, da die Fechtkunst des
römischen Soldaten fast in Vergessenheit geraten ist, ist Cormac
Mac Art fast unüberwindlich. Er ist kühl und tödlich wie der Wolf,
dessen Namen er trägt, aber manchmal überkommt ihn im
Kampfgetümmel eine Wut, die die Wildheit des Berserkers noch
übertrifft. Da ist er schrecklicher als Wulfhere selbst, und Männer,
die sich dem Dänen widersetzen würden, fliehen vor der Blutgier
des Gälen."

König Gerinth nickte. „Und du könntest diese Männer finden?"
„Mein König, sie sind nicht weit. In einer einsamen Bucht an

der Westküste, wo sie kaum bewohnt ist, haben sie ihr
Drachenschiff an Land gezogen und machen es völlig seetüchtig,
ehe sie gegen die Angeln ziehen. Wulfhere ist kein Seekönig; er
besitzt nur ein einziges Schiff, aber er schlägt so überraschend zu,

background image

12

und seine Mannschaft ist so wild, daß Angeln, Jüten und Sachsen
ihn mehr als jeden anderen Feind fürchten. Kampf ist sein Leben. Er
wird tun, was du von ihm verlangst, wenn nur der Preis hoch genug
ist."

„Versprich ihm, was du willst", antwortete Gerinth. „Mehr als

nur eine Prinzessin ist geraubt worden - es ist meine kleine
Schwester."

Ein sanfter Ausdruck lag in seinem faltigen Gesicht, als er

sprach.

„Überlaß die Sache nur mir", sagte Donal und füllte seinen

Becher erneut. „Ich weiß, wo diese Wikinger zu finden sind. Ich
kann mich unter sie begeben. Aber ich sage dir bereits jetzt, daß es
Worte von deinen eigenen Lippen bedarf, um Cormac Mac Art zu
überzeugen! Diese Westkelten sind noch mißtrauischer als selbst die
Wikinger."

Wieder nickte Konig Gerinth. Er wußte, das der Barde oft

seltsame Wege ging und das er - so beredet er meist sein mochte,
über manche Dinge nicht sprach. Donal war mit einem
merkwürdigen Geist gesegnet -oder war es ein Fluch? - und sein
Geschick mit der Harfe öffnete ihm viele Türen, die Äxte nicht zu
öffnen vermochten. Dort, wo ein Krieger gestorben wäre, blieb
Donal mit der Harfe unversehrt. Er kannte viele verwegene
Seekönige, die für die meisten Einwohner Britanniens grimme
Legenden und Mythen waren, aber Gerinth hatte nie Anlaß gehabt,
an der Ergebenheit des Barden zu zweifeln.













background image

13

2.



Der Däne Wulfhere spielte mit seinem karmesinroten Bart und

zog die Stirn in Falten. Er war ein Riese. Die Brustmuskeln
spannten sich wie zwei Schildbuckel unter dem Schuppenpanzer.
Der gehörnte Helm ließ ihn noch riesiger erscheinen, und seine
mächtige Hand umklammerte den langen Schaft einer gigantischen
Streitaxt. Er bot einen derartig eindrucksvollen Anblick, daß man
ihn nicht so leicht vergaß. Aber trotz seiner offenbaren Wildheit
schien der Führer der Dänen leicht verwirrt und unentschlossen zu
sein. Er wandte sich um und stellte dem Mann hinter ihm grollend
eine Frage.

Der Angesprochene war groß und hager. Er war kräftig, und

obwohl er nicht den massiven Körperbau des Dänen hatte, so besaß
er eine tigerhafte Gewandtheit, die sich in jeder seiner Bewegungen
äußerte. Sein Gesicht war glattrasiert, und das schwarze Haar
gerade geschnitten. Er trug keinen goldenen Armreifen oder
sonstigen Schmuck, den die Wikinger so mochten, sein Panzerhemd
bestand aus Kettengeflecht, und den Helm, der neben ihm lag, zierte
ein Pferdeschweif.

„Na, Cormac", brummte der Anführer der Piraten, „was hältst du

davon?"

Cormac Mac Art antwortete seinem Freund nicht sofort. Mit

seinen kalten, grauen Augen blickte er forschend in die blauen des
Barden. Donal war ein schlanker Mann von überdurchschnittlicher
Größe und hatte gelbes, widerspenstiges Haar. Er trug weder Harfe
noch Schwert, und seine Kleidung erinnerte an die eines Hofnarren.
Sein schmales, patrizierhaftes Gesicht war im Augenblick ebenso
unleserlich wie das narbige Antlitz des Gälen.

„Ich vertraue dir soweit, wie ich einem Mann nur traue", sagte

Cormac, „aber in dieser Sache genügt mir dein Wort nicht. Wie
kann ich wissen, daß es nicht nur ein Trick ist, der uns in die Irre
führt oder vielleicht in einen Hinterhalt unserer Feinde? Wir haben
an der Ostküste von Britannien zu tun ..."

„Die Sache, die ich euch vorzuschlagen habe, bringt mehr ein

als die Plünderung eines Piratennests", antwortete der Barde.
„Wenn ihr mir folgt, so bringe ich euch zu dem Mann, der euch
vielleicht zu überzeugen mag. Aber ihr müßt allein kommen, du und

background image

14

Wulfhere."

„Eine Falle", polterte der Däne. „Donal, ich bin enttäuscht von

dir."

Cormac, der dem Barden tief in die seltsamen Augen blickte,

schüttelte langsam den Kopf.

„Nein, Wulfhere; wenn es sich um eine Falle handelt, so hat man

auch Donal getäuscht, und das kann ich nicht glauben."

„Wenn du das glaubst", sagte Donal, „warum glaubst du dann

nicht meinen Worten, was die andere Sache betrifft?"

„Das ist etwas anderes", antwortete der Seeräuber. „Hier handelt

es sich nur um mein und Wulfheres Leben. Die andere Sache
betrifft jedes Mitglied unserer Mannschaft. Es ist meine Pflicht
ihnen gegenüber, jeden möglichen Beweis zu verlangen. Ich glaube
nicht, daß du lügst, aber vielleicht hat man dich belogen."

„So kommt, und ich bringe euch zu dem Mann, dem ihr glauben

werdet."

Cormac erhob sich von dem Felsblock, auf dem er gesessen

hatte, und setzte sich den Helm auf. Wulfhere rief den Wikingern
einen Befehl zu, die in einiger Entfernung um ein kleines Feuer
saßen und ein Stück von einem Hirsch brieten. Andere würfelten im
Sand, und wieder andere arbeiteten immer noch am Drachenschiff,
das auf dem Strand lag. Dichter Wald umschloß die Bucht, und
zusammen mit der Unwirtlichkeit der Gegend machte dies den Ort
zum idealen Stelldichein für Piraten.

„Nun ist sie wieder völlig seetüchtig", brummte Wulfhere mit

einer Kopfbewegung zum Schiff hin. „Morgen hätten wir dem
Seepfad der Wikinger folgen können..."

„Geduld, Wulfhere", mahnte der Gäle. „Wenn uns Donal´s

Mann nicht gänzlich zufriedenstellen kann, brauchen wir nur
umzukehren und können immer noch den Pfad einschlagen."

„Aye - wenn wir zurückkehren."
„Hör zu: Donal wußte von unserer Anwesenheit. Hätte er uns

verraten wollen, so hätte er an der Spitze einer Abteilung von
Gerinths Reiterei kommen oder uns durch britische Bogenschützen
umringen lassen können. Donal meint es ehrlich mit uns, glaube ich
- so wie er es auch in der Vergangenheit getan hat. Es ist der Mann
hinter Donal, dem ich nicht traue."

Die drei hatten die kleine Bucht hinter sich gelassen und gingen

nun im Schatten des Waldes. Das Land vor ihnen stieg rasch an, und

background image

15

bald wurde der Wald weniger dicht. Vereinzelte Büsche und
verwachsene Eichen wuchsen zwischen riesigen Felsblöcken, die
wie Riesenspielzeug umherlagen. Die Gegend war rauh und
zerklüftet. Endlich umrundeten sie eine Felswand und sahen einen
hochgewachsenen Mann, der in einen purpurnen Mantel gehüllt war
und unter einer Bergeiche stand. Er war allein, und Donal schritt
rasch auf ihn zu und bedeutete seinen Gefährten, ihm zu folgen.
Cormac war nicht anzusehen, was er dachte, aber Wulfhere
murmelte etwas in seinen Bart, als er den Griff seiner Axt fester
packte und mißtrauisch nach allen Seiten spähte, als erwartete er
eine Horde von Kriegern aus dem Hinterhalt. Die drei hielten vor
dem einsamen Mann an, und Donal nahm seine federgeschmückte
Kappe ab. Der Mann ließ seinen Umhang fallen, und Cormac stieß
einen leisen Schrei aus.

„Beim Blut der Götter! König Gerinth selbst!" Er machte keine

Anstalten, niederzuknien oder sein Haupt zu entblößen, und
Wulfhere ebenfalls nicht. Diese wilden Seeräuber erkannten die
Herrschaft keines Königs an. Ihr Respekt galt nur dem Krieger.
Weder Anmaßung noch Unterwürfigkeit lagen in ihrem Gebaren,
obwohl Wulfheres Augen sich beim Anblick des Mannes leicht
weiteten, dessen scharfer Verstand und Mut nun schon seit Jahren
die wachsende Flut der ans Westmeer drängenden Sachsen
eingedämmt hatte.

Der Däne sah einen hochgewachsenen, schlanken Mann mit

einem müden, aristokratischen Antlitz und gütigen, grauen Augen.
Nur anhand seines schwarzen Haares erkannte man den Einschlag
von italischem Blut in seinen Adern. Hinter ihm lagen die Zeitalter
einer Zivilisation, die nun von den heranwogenden Barbaren in den
Staub getreten wurde. Er stand für den letzten, weit entfernten Rest
von Roms einst so mächtigem Imperium und kämpfte gegen das
Barbarentum, das das übrige Imperium in einer gigantischen Welle
verschlungen hatte. Cormac verspürte trotz der Antipathie jedes
Gälen seinen kymrischen Vettern gegenüber das Pathos und den
Heldenmut des vergeblichen Kampfes, und selbst Wulfhere war
beeindruckt, als er in die Augen des Britenkönigs blickte. Da war
ein Volk, das mit dem Rücken zur Wand um sein Leben kämpfte
und gleichzeitig danach strebte, die Kultur und die Ideale einer Zeit
aufrechtzuerhalten, die bereits für immer entschwunden war. Die
Götter Roms waren von der Ferse des Goten und des Wandalen

background image

16

zermalmt worden. Flachstarbene Barbaren regierten in den
purpurnen Hallen der verschwundenen Cäsaren. Nur auf dieser weit
entfernten Insel klammerte sich eine kleine Gruppe romanisierter
Kelten noch an die Traditionen von gestern.

„Dies sind die Krieger, Majestät", sagte Donal, und Gerinth

nickte und dankte ihm mit der Höflichkeit des geborenen
Edelmanns.

„Sie möchten aus deinem Munde hören, was ich ihnen erzählt

habe", sagte der Barde.

„Meine Freunde", begann der König ruhig, „ich komme, um

eure Hilfe zu erbitten. Meine Schwester, die Prinzessin Helene, ein
Mädchen von zwanzig Jahren, ist entführt worden. Wie und von
wem, das weiß ich nicht. Begleitet von ihrer Zofe und einem Pagen,
ritt sie eines Morgens in den Wald und kehrte nicht zurück. Es
geschah zu einer der seltenen Zeiten, da unsere Küsten Frieden
hatten, aber als Suchmannschaften ausgeschickt wurden, fanden sie
den Pagen schrecklich verstümmelt auf einer kleinen Lichtung tief
im Wald. Die Pferde fand man später frei umherlaufend, doch von
Prinzessin Helene gab es keine Spur, und auch nicht von ihrer Zofe.
Und obwohl wir das Königreich von der Grenze bis zur See
absuchten, konnten wir nicht das geringste entdecken. Wir schickten
Spione unter die Angeln und die Sachsen, und als auch denen kein
Erfolg beschieden war, kamen wir zu dem Schluß, daß sie von
Seeräubern entführt worden sein mußten.

Wir sind nicht in der Lage, sie auf See zu suchen. Wir haben

keine Schiffe - die letzten Reste der britischen Flotte wurden in
einer Seeschlacht gegen die Sachsen vor der Küste von Cornwall
vernichtet. Und selbst wenn wir Schiffe besäßen, so könnten wir
nicht die Männer entbehren, sie zu bemannen - auch nicht der
Prinzessin Helene wegen. Die Angeln drängen stürmisch gegen
unsere Ostgrenze, und Cerdics Meute bedroht uns im Süden. In
meiner Verzweiflung wende ich mich an euch. Ich kann euch nicht
sagen, wo ihr sie suchen sollt, und auch nicht, wie sie zu befreien
ist, falls ihr sie findet. Nur eines: Im Namen Gottes, sucht die Enden
der Welt nach ihr ab, und wenn ihr sie findet, so kehrt zurück und
nennt euren Preis!"


Wulfhere wandte sich Cormac zu - wie stets, wenn es um etwas

ging, das Nachdenken erforderte.

background image

17

„Es ist besser, wir bestimmen den Preis, ehe wir uns auf die

Suche machen", knurrte der Gäle.

„Dann seid ihr also einverstanden?" rief der König, und sein

feingeschnittenes Gesicht erhellte sich.

„Nicht so rasch", mahnte der vorsichtige Gäle. „Zuerst wollen

wir verhandeln. Ihr stellt uns keine einfache Aufgabe - die Meere
nach einem Mädchen abzusuchen, von dem nichts bekannt ist, außer
daß es geraubt worden ist. Was geschieht, wenn wir von der Suche
mit leeren Händen zurückkommen?"

„So werde ich euch dennoch belohnen", antwortete der König.

„Ich habe genügend Gold. Ich wünschte, ich könnte es gegen
Krieger eintauschen, aber Vortigerns Beispiel schreckt mich ab."

„Wenn wir die Fahrt unternehmen und die Prinzessin tot oder

lebendig zurückbringen, so sollst du uns hundert Pfund Gold geben
und dazu zehn Pfund Gold für jeden Mann, den wir bei der Suche
verlieren. Wenn wir unser Bestes geben und die Prinzessin dennoch
nicht finden, so gib uns zehn Pfund für jeden getöteten Mann, aber
auf eine weitere Belohnung verzichten wir. Wir sind keine Sachsen,
die um Geld feilschen. In jedem Fall aber wirst du uns gestatten,
unser Langschiff in einer eurer Buchten ausbessern zu dürfen, und
uns dazu Material zur Verfügung stellen. Bist du damit
einverstanden ? "

„Mein Wort und meine Hand darauf", antwortete der König und

streckte seine Hand aus. Als Cormac sie ergriff, spürte er die
nervige Stärke in den Fingern des Briten.

„Du segelst sofort?"
„Sobald wir zur Bucht zurückgekehrt sind."
„Ich werde euch begleiten", sagte Donal plötzlich, „und da ist

noch jemand, der sich uns anschließen will."

Er stieß einen Pfiff aus - und war nahe daran, seinen Kopf zu

verlieren, denn seine Handlung glich zu sehr einem Angriffssignal,
als daß sie die gespannten Nerven der Seefahrer unberührt gelassen
hätte. Doch beruhigten sich Cormac und Wulfhere wieder, als ein
einzelner Mann aus dem Wald trat.

„Das ist Marcus aus einem vornehmen britischen Geschlecht",

stellte Donal vor, „der Verlobte der Prinzessin Helene. Auch er will
uns begleiten, wenn er darf."

Der junge Mann war von überdurchschnittlicher Größe und gut

gebaut. Er trug einen schweren Kettenpanzer und den mit einem

background image

18

Federbusch geschmückten Helm eines Legionärs; an seiner Seite
hing ein gerades Kurzschwert. Seine Augen waren grau, aber das
schwarze Haar und der schwach olivbraune Teint verrieten, daß in
seinen Adern mehr von dem warmen Blut des Südens rann als in
denen des Königs. Er war unzweifelhaft hübsch zu nennen, obgleich
Sorge in sein Gesicht geschrieben stand.

„Ich bitte euch, mich euch anschließen zu dürfen", wandte er

sich an Wulfhere. „Der Kampf ist mir nichts Ungewohntes, und hier
in Ungewißheit über das Schicksal meiner Braut warten zu müssen,
wäre für mich schlimmer als der Tod."

„So komm mit, wenn es dein Wunsch ist", brummte Wulfhere.

„Wir werden auf der Fahrt jedes Schwert gebrauchen können.
König Gerinth, hast du nicht die leiseste Ahnung, wer die Prinzessin
entführt haben könnte?"

„Nein. Das einzige Ungewöhnliche, was wir damals im Walde

fanden, ist dies hier."

Aus seiner Gewandung zog der König einen kleinen Gegenstand

hervor und reichte ihn dem Anführer der Seefahrer. Wulfhere
betrachtete verständnislos die Pfeilspitze aus poliertem Feuerstein in
seiner Hand. Cormac nahm sie und betrachtete sie sorgfältig. In
seinem Gesicht regte sich keine Miene, nur in seinen Augen
flackerte es kurz auf. Dann sagte der Gäle etwas Seltsames:

„Ich werde mich heute nicht rasieren."















background image

19

3.



Ein frischer Wind füllte das Segel des Drachenschiffs, und das

rhythmische Klack-klack der Ruder gab den Takt für den Gesang
aus rauhen Männerkehlen. Cormac Mac Art lehnte an der Reling
des Achterschiffs, und der Roßschweif seines Helmes flatterte in der
Brise. Wulfhere stieß mit dem Schaft seiner Axt gegen das Deck
und brüllte dem Steuermann einen unnötigen Befehl zu.

„Cormac", sagte der riesige Wikinger, „sag, wer ist König von

Britannien?"

„Wer ist König über den Hades in der Abwesenheit von Pluto?"

stellte der Gäle die Gegenfrage.

„Gib mir keine Rätsel über römische Sagen auf", brummte

Wulfhere.

„Rom herrschte über Britannien, wie Pluto über den Hades

herrscht", antwortete Cormac. „Rom ist gefallen, und nun streiten
die unbedeutenderen Dämonen untereinander um die Herrschaft.
Vor etwa achtzig Jahren wurden die Legionen aus Britannien
abgezogen, als Alarich mit seinen Goten die kaiserliche Hauptstadt
einnahm. Vortigern war König von Britannien - das heißt, er machte
sich zum König, nachdem die Briten auf sich selbst angewiesen
waren. Er selbst ließ die Wölfe herein, als er Hengist und Horsa mit
ihren Jüten dang, um die Pikten zu vertreiben. Nach ihnen kamen
die Angeln und Sachsen wie eine rote Flut angestürmt, und
Vortigern fiel. Jetzt ist Britannien in drei keltische Königreiche
zersplittert, während die Piraten die gesamte Ostküste halten und
langsam aber sicher westwärts vordringen. Über das südliche
Königreich, Damnonia und das Land, das sich bis nach Caer Odun
erstreckt, herrscht Uther Pendragon. Das mittlere Reich, von Uthers
Grenze bis zum Fuß der cumbrischen Berge, hält Gerinth. Nördlich
davon liegt das Land, das die Briten Strath-Clyde nennen - König
Garths Herrschaftsgebiet. Sein Volk ist das ungestümste unter den
Briten, denn viele Stämme waren nie völlig von den Römern erobert
worden. Dazu kommen in den westlichsten Teilen von Damnonia
und in den westlichen Bergen von Gerinths Land barbarische
Stämme, die Rom nicht anerkannten und jetzt auch keinen der drei
Könige anerkennen. Überall treiben Räuber und Banditen ihr
Unwesen, und auch die drei Könige halten nicht stets Frieden, was

background image

20

an Uthers Eigensinn und an Garths Blutlust liegt. Nur Gerinth hält
sie davon ab, einander an die Kehlen zu fahren.

Jedenfalls handeln sie nur sehr selten für längere Zeit in

gemeinsamem Einverständnis. Zwar kämpfen die sie bedrohenden
Jüten, Angeln und Sachsen ebenfalls stets untereinander, aber der
Strom ihrer langen, niedrigen Schiffe über den Kanal reißt nie ab."

„Ich weiß", grollte der Däne. „Habe ich doch bereits Dutzende

ihrer Schiffe nach Midgard geschickt. Eines Tages wird mein Volk
kommen und ihnen Britannien wegnehmen."

„Es ist ein Land, um das es sich zu kämpfen lohnt", stimmte der

Gäle zu. „Was hältst du von den Männern, die wir an Bord
genommen haben?"

„Donal kennen wir bereits seit langem. Wenn er in der Laune ist,

kann er mir mit seiner Harfe das Herz aus dem Leibe reißen und
mich wieder zu einem Knaben machen. Und wir wissen, daß er
auch mit dem Schwert umzugehen weiß, wenn es darauf ankommt.
Und was den Römer betrifft" - so nannte Wulfhere Marcus -, „so
sieht er mir nach einem erfahrenen Krieger aus."

„Seine Vorfahren befehligten drei Jahrhunderte lang die

britischen Legionen, nachdem sie zuvor mit Cäsar in Gallien und
Italien gekämpft hatten. Nur dank ihres Wissens um römische
Strategie haben die britischen Reiter bisher vermocht, die Sachsen
zurückzuschlagen. Aber was hältst du von meinem Bart,
Wulfhere?" Der Gäle rieb sich die Bartstoppeln, die sein Gesicht
bedeckten.

„Ich habe dich noch nie zuvor so gesehen", brummte der Däne,

„außer als wir uns tagelang im Kampf oder auf der Flucht befanden
und du dir nicht mit einem Messer im Gesicht herumfahren
konntest."

„In einigen Tagen wird der Bart meine Narben verbergen",

grinste Cormac. „Als ich dir riet, nach Ära in Dalriadia zu segeln,
hast du dir da keine Gedanken gemacht?"

„Nun, ich habe angenommen, du wolltest dich bei den wilden

Scoten dort nach der Prinzessin erkundigen."

„Und wieso, glaubst du, nehme ich an, daß sie etwas über ihren

Verbleib wissen könnten?"

Wulfhere zuckte mit den Schultern. „Ich habe es aufgegeben,

nach dem Grund deiner Handlungen zu forschen."

Cormac entnahm seinem Beutel die steinerne Pfeilspitze. „Auf

background image

21

allen britischen Inseln gibt es nur eine Rasse, die solche Spitzen für
ihre Pfeile herstellt. Es sind die Pikten von Kaledonien, die über alle
Inseln herrschten, ehe die Kelten kamen — im Zeitalter des Steins.
Selbst heute noch versehen sie ihre Pfeile oft mit Steinspitzen, wie
ich sah, als ich unter König Gol von Dalriadia focht. Es gab eine
Zeit - bald nachdem die Legionen Britannien verlassen hatten -, als
die Pikten wie Wölfe bis zur Südküste vordrangen. Aber die Angeln
und Sachsen trieben sie in die Heideländer zurück, und jetzt hat
König Garth so lange als Puffer zwischen ihnen und Gerinth
gewirkt, daß diesem ihre Bräuche nicht länger vertraut sind."

„Du glaubst also, daß Pikten die Prinzessin gestohlen haben?

Aber wie ...?"

„Das muß ich erst herausfinden, und deswegen segeln wir auch

nach Ära. Die Dalriadier und die Pikten kämpfen seit über hundert
Jahren abwechselnd miteinander und gegeneinander. Im Augenblick
herrscht Friede zwischen ihnen, und die Scoten wissen meist gut
Bescheid darüber, was im Schwarzen Reich vor sich geht, wie das
Land der Pikten genannt wird. Und es ist wahrlich dunkel und
fremdartig, denn die Pikten stammen von einer uralten Rasse ab,
und ihre Gedankengänge sind uns nicht immer verständlich."

„Wir werden also einen Scoten fangen und ihn ausfragen?"
Cormac schüttelte den Kopf. „Ich werde an Land gehen und

mich unter sie mischen. Sie sind von meiner Rasse und sprechen
meine Sprache."

„Und wenn sie dich erkennen", grollte Wulfhere, „hängen sie

dich an den höchsten Baum. Sie haben keinen Grund, dich zu
lieben. Es stimmt, du hast in deiner Jugend unter König Gol
gekämpft, aber seither hast du mehr als nur einmal die Küsten
Dalriadias verheert - nicht nur mit deinen irischen Seeräubern,
sondern auch mit mir."

„Und deswegen habe ich mir den Bart wachsen lassen, alter

Seedrache", lachte der Gäle.







background image

22

4.



Über der rauhen Westküste von Kaledonien war die Nacht

hereingebrochen. Im Osten erhoben sich die Berge gegen die
Sterne, während sich im Westen die schwarze See bis zum Horizont
und zu unbekannten Küsten erstreckte. Die Raven lag an der
Nordseite einer zerklüfteten Landzunge vor Anker. Unter dem
Schutz der Dunkelheit hatte Cormac sie an Land gesteuert mit all
dem Geschick, das sich aus langjähriger Erfahrung ergibt. Cormac
Mac Art war in Erin geboren, aber er hatte sämtliche Inseln des
Westmeers besucht, seitdem er alt genug war, ein Schwert zu
führen. „Und jetzt", sagte Cormac, „gehe ich an Land - allein." „Laß
mich mit dir kommen!" rief Marcus begierig, aber der Gäle
schüttelte den Kopf.

„Dein Aussehen und deine Sprache würden uns beide sofort

verraten. Auch du bleibst hier, Donal. Ich weiß zwar, daß die
Könige der Scoten deiner Harfe gelauscht haben, aber du bist außer
mir der einzige, der diese Küste kennt, und sollte ich nicht
zurückkehren, so mußt du das Schiff aufs offene Meer steuern."

Das Aussehen des Gälen hatte sich gänzlich verändert. Ein

dichter, kurzer Bart verbarg seine Gesichtszüge und die Narben, und
er hatte den Helm mit dem Pferdeschweif und das hervorragend
gearbeitete Kettenhemd mit dem runden Helm und dem groben
Schuppenpanzer der Dalriadier vertauscht. Ein Teil der Ladung
bestand aus den Waffen vieler Völker.

„Na, alter Seewolf", sagte er mit einem hämischen Grinsen und

schwang ein Bein über die Reling. „Du hast nichts gesagt, aber es
funkelt in deinen Augen. Willst auch du mich begleiten? Die
Dalriadier würden einen lieben Freund wie dich, der ihre Dörfer
niedergebrannt und ihre Fellboote versenkt hat, sicher willkommen
heißen."

Wulfhere fluchte. „Wir Seefahrer sind bei den Scoten so beliebt,

daß sie mich allein meines roten Bartes wegen hängen würden.
Aber dennoch: Wäre ich nicht Kapitän dieses Schiffes und dafür
verantwortlich, ich ginge das Risiko ein, anstatt dich allein dich in
die Gefahr begeben zu lassen, du hohlköpfiger Narr!"

Cormac lachte. „Warte bis zum Morgengrauen auf mich und

nicht länger", mahnte er.

background image

23

Dann ließ er sich ins Wasser fallen und schwamm trotz Waffen

und Rüstung rasch dem Ufer zu. Er schwamm die Klippen entlang,
bis er einen schmalen Absatz fand, von dem aus eine Rinne steil
aufwärts führte. Der Aufstieg verlangte die Gewandtheit einer
Bergziege, aber Cormac dachte nicht daran, um die Landzunge zu
schwimmen. Er kletterte geradeaus hinauf und erreichte mit viel
Geschick und Kraftaufwand den Rücken der Landzunge. Er folgte
ihm bis zum eigentlichen Festland und stieg dann nach Süden hin
ab, in Richtung des entfernten Feuerscheins, der die Lage der
dalriadischen Stadt Ära kennzeichnete.


Kaum war er ein halbes Dutzend Schritte gegangen, als ein

Geräusch hinter ihm ihn herumfahren und das Schwert aus der
Scheide reißen ließ. Im Licht der Sterne machte er undeutlich eine
riesige Gestalt aus.

„Hrut! Bei allen Teufeln ..."
„Wulfhere hat mich dir nachgeschickt", brummte der Mann. „Er

fürchtete, es könnte dir etwas zustoßen."

Cormac verfluchte Hrut und Wulfhere gleichermaßen. Hrut ließ

es gleichmütig über sich ergehen, und Cormac sah bald die
Zwecklosigkeit einer Debatte mit Hrut ein. Der riesige Däne war ein
schweigsamer Mann, dessen Geist durch einen Schwerthieb auf den
Kopf Schaden gelitten hatte. Aber er war tapfer und ergeben, und
als Jäger stand er nur Cormac nach.

„Komm mit", schloß Cormac seinen Zornesausbruch ab. „Aber

in die Stadt kannst du mir nicht folgen. Du verstehst doch, daß du
dich außerhalb der Wälle verbergen mußt?"

Der Mann nickte, und Cormac setzte seinen Weg im Laufschritt

fort. Hrut folgte ihm trotz seines Körpergewichts so rasch und
geräuschlos wie ein Geist. Cormac mußte sich beeilen, wenn er sein
Vorhaben durchführen und bei Tagesanbruch wieder beim
Drachenschiff sein wollte. Trotzdem ließ er alle Vorsicht walten,
denn er erwartete jeden Augenblick, auf einen Trupp Krieger zu
stoßen, der auf dem Weg von oder nach Ära war. Aber das Glück
war ihm hold, und bereits nach kurzer Zeit befand er sich am
Waldrand in Pfeilschußweite von der Stadt.

„Versteck dich hier", flüsterte er Hrut zu, „und komme unter

keinen Umständen näher an die Stadt heran. Wenn du Geschrei
hörst, warte bis eine Stunde vor Sonnenaufgang. Hast du dann noch

background image

24

nichts von mir vernommen, so geh zu Wulfhere zurück. Verstehst
du mich?"

Als Antwort erhielt er das gewohnte Nicken, und während Hrut

zwischen den Bäumen unsichtbar wurde, schritt Cormac dreist auf
Ära zu.


Die Stadt lag dicht am Ufer einer kleinen Bucht, und Cormac

sah die mit Häuten bespannten Boote der Dalriadier am Strand. In
diesen gingen sie auf Raubzüge in den Süden gegen Briten und
Sachsen oder überquerten das Westmeer nach Ulster, um sich mit
Vorräten und Verstärkung zu versehen. Ära glich eher einem
Kriegslager als einer Stadt, und die eigentliche Hauptstadt von
Dalriadia lag weiter im Landesinnern.

Ära bot einen wenig beeindruckenden Anblick. Es bestand aus

ein paar hundert Lehmhütten und war von einem niedrigen
Steinwall umgeben, aber Cormac kannte die Gesinnung der
Einwohner. Was den kaledonischen Kelten an Reichtum und
Verteidigungsanlagen fehlte, machten sie durch ihre unbezähmbare
Wildheit wett. Der hundertjährige beständige Kampf gegen Pikten,
Römer, Briten und Sachsen hatte ihnen nur wenig Gelegenheit
geboten, das kulturelle Erbe ihres Heimatlands zu pflegen. Die
Kelten von Kaledonien hatten sich einen Schritt zurück entwickelt.
Was Kunst und Kultur betraf, so waren sie ihren irischen Vettern
unterlegen; von der gälischen Kampfeslust hatten sie jedoch nichts
verloren.

Ihre Vorfahren waren von stärkeren südirischen Stämmen aus

Ulahd nach Kaledonien vertrieben worden. Cormac, geboren in
einer Landschaft, die später Connacht heißen sollte, war ein
Nachkomme dieser Eroberer und fühlte sich nicht nur andersartig
als diese vertrieben Gälen, sondern hatte auch für deren Vettern im
Norden von Erin wenig übrig. Dennoch hatte er sich so lange unter
ihnen aufgehalten, daß er sie täuschen zu können glaubte.

Er trat vor das primitive Tor und verlangte Einlaß, ehe ihn die

Wache noch entdeckt hatte, die es mit ihrer Aufgabe angesichts
offenbaren Friedens nicht so genau nahm. Eine barsche Stimme
befahl ihm zu warten, während eine über das Tor gehobene Fackel
ihr Licht über ihn ergoß. Cormac erkannte wilde Gesichter mit
ungepflegten Barten und kalten, blauen oder grauen Augen oberhalb
des Walles.

background image

25

„Wer bist du?" fragte einer der Wächter.
„Partha Mac Othna aus Ulahd. Ich komme, um in die Dienste

eures Anführers, Eochaidh Mac Ailbe, zu treten."

„Deine Kleidung ist trief naß."
„Ein Wunder, wenn sie es nicht wäre", antwortete Cormac.

„Heute morgen waren wir ein Boot voll, als wir von Ulahd
lossegelten. Auf der Überfahrt rammte uns ein Langschiff der
Sachsen, und alle außer mir kamen in den Wellen oder unter dem
Pfeilhagel der Piraten um. Ich klammerte mich an einem Stück des
Mastes fest und wurde an Land getrieben."

„Und der Sachse?"
„Ich sah, wie das Segel nach Süden hin verschwand. Vielleicht

hat er es auf die Briten abgesehen."

„Und wieso hat dich die Wache am Strand nicht gesehen?"
„Ich bin eine Meile im Süden von hier an Land gegangen, sah

die Lichter zwischen den Bäumen und kam hierher. Ich bin schon
früher hier gewesen und wußte, daß es sich um Ära handeln mußte."

„Laßt ihn ein", brummte einer der Dalriadier. „Seine Geschichte

klingt wahr."

Das einfache Tor ging auf, und Cormac betrat das befestigte

Lager seiner Erbfeinde. Zwischen den Hütten brannten Feuer, und
in Tornähe hatte sich eine Gruppe Neugieriger gebildet, angelockt
von dem Gespräch der Wache mit Cormac. Männer, Frauen und
Kinder waren von der Rauhheit des kargen Landes geformt. Die
Frauen, prächtig gebaute Amazonen mit offenem Haar, starrten ihn
neugierig an, und schmutzige, halbnackte Kinder betrachteten ihn
unter flachsgelben Haarschöpfen. Cormac bemerkte, daß alle eine
Waffe trugen. Selbst Kleinkinder, die kaum zu gehen vermochten,
hielten einen Stein oder ein Stück Holz umklammert. Es war ein
Hinweis auf das Leben, das sie führten. Selbst die Kinder hatten
gelernt, beim ersten Anzeichen einer möglichen Gefahr wie
Wildkatzen zu kämpfen. Überall fand Cormac Anzeichen für die
Wildheit dieses Volkes. Kein Wunder, daß es Rom nie gelungen
war, es zu unterjochen!

Fünfzehn Jahre waren vergangen, seit Cormac in den Reihen

dieser barbarischen Krieger gekämpft hatte, und er rechnete nicht
damit, von einem seiner früheren Kameraden erkannt zu werden.
Und der dichte Bart würde verhindern, daß sie in ihm den
Gefolgsmann Wulfheres sahen.

background image

26

Cormac folgte dem Krieger, der ihn zur größten Hütte führte, in

der der Anführer mit seinem Gefolge wohnen mußte. In Kaledonien
gab es keine Eleganz. Selbst König Gols Residenz war nur eine
Flechtwerkhütte. Cormac lächelte insgeheim, als er Ära mit den
Städten verglich, die er auf seinen Wanderungen gesehen hatte.
Aber nicht nur Mauern und Türme machten eine Stadt aus, dachte
er, sondern ihre Bewohner.

Er wurde in die große Hütte geführt, wo etwa zwanzig Krieger

um einen rohen Holztisch saßen und aus ledernen Bechern tranken.
Am Kopfende saß der Anführer, den Cormac von früher her kannte,
und an seiner Seite der unumgängliche Barde - ein Charakteri-
stikum keltischen Hof lebens, und mochte der Hof noch so primitiv
sein. Unwillkürlich verglich Cormac den in Felle gekleideten Mann
mit dem flachsfarbenen Haar mit dem kultivierten und ritterlichen
Donal.

„Sohn des Ailbe", sagte Cormacs Begleiter, „hier ist ein Krieger

von Erin, der in deinen Dienst treten will."

„Wer ist dein Herr?" fragte Eochaidh rülpsend, und Cormac

merkte, daß der Dalriadier betrunken war.

„Ich bin ein freier Wanderer", antwortete der Wolf. „Früher

folgte ich Bonn Ruadh Mac Finn, flaith na Ulahd."

„Setz dich und trink", befahl Eochlaidh mit einer unsicheren

Bewegung seiner behaarten Hand. „Ich werde später mit dir
sprechen."

Nachdem die Scoten ihm Platz gemacht hatten und ein Diener

ihm einen Becher mit starkem potheen, dem Lieblingsgetränk der
Gälen, gefüllt hatte, schenkte man Cormac keine weitere
Aufmerksamkeit mehr.

Der Blick des Wolfes huschte unauffällig über die dalriadischen

Krieger und blieb an zwei Männern haften, die ihm fast gegenüber
saßen. Einen der beiden kannte Cormac. Es war ein Renegat, ein
Nordmann namens Sigrel, der zu den Feinden seines Volkes
übergelaufen war. Cormacs Blut floß rascher durch seine Adern, als
er den bösen Blick des anderen auf sich gerichtet sah, aber der
Anblick des Mannes neben dem Nordmann ließ ihn diesen für den
Augenblick vergessen.

Der Mann war kräftig gebaut, aber von geringem Wuchs. Er war

noch dunkler als Cormac, und in dem unbewegten Gesicht glitzerten
schwarze Augen wie die eines Reptils. Ein Silberreif hielt sein

background image

27

gerade geschnittenes, schwarzes Haar nach hinten, und er trug nur
einen Lendenschurz und einen breiten Ledergürtel, an dem ein
kurzes, gezähntes Schwert hing. Ein Pikte! Cormacs Herz machte
einen Sprung. Seine Absicht war gewesen, Eochaidh sofort in ein
Gespräch zu verwickeln und ihn mit Hilfe einer bereits
vorbereiteten Geschichte über den Aufenthaltsort der Prinzessin
Helene auszuholen, falls ihm dieser bekannt war. Aber der Anführer
der Dalriadier war dafür bereits zu betrunken. Er grölte barbarische
Lieder, hieb mit dem Schwertgriff den Takt zum Spiel der Harfe
seines Barden und trank zwischendurch Potheen in erstaunlichen
Mengen. Alle waren betrunken mit Ausnahme von Cormac und
Sigrel, der den Gälen über den Rand seines Bechers hinweg
verstohlen musterte.

Während Cormac fieberhaft nach einer unauffälligen Weise

suchte, den Pikten in ein Gespräch zu verwickeln, schloß der Barde
einen seiner wilden Gesänge mit einem Reim, in dem er Eochaidh
als „Wolf von Alba, den größten Fütterer der Krähen" bezeichnete.

Der Pikte stand schwankend auf und hieb mit dem Trinkbecher

auf den Tisch. Die Pikten tranken gewöhnlich ein aus Heideblumen
gebrautes, leicht alkoholisches Getränk, und das starke Malzbier der
Gälen machte sie unzurechnungsfähig. Der Geist von Cormacs
Gegenüber stand in Flammen. Sein Gesicht war nicht mehr
unbeweglich, sondern zu einer dämonischen Fratze verzerrt, und
seine Augen glühten wie Kohlenstücke im Feuer.

„Richtig, Eochaidh Mac Ailbe ist ein großer Krieger", rief er in

seinem barbarischen Gälisch, „aber er ist nicht der größte Krieger
Kaledoniens. Wer ist größer als König Brogar, der Dunkle, der auf
dem uralten Thron der Pikten sitzt? Und nach ihm kommt Grulk!
Ich bin Grulk, der Schädelspalter! In meinem Haus in Grothga liegt
ein Teppich, gewoben aus den Skalpen von Briten, Angeln, Sachsen
und - ja, auch von Scoten!"

Cormac zuckte verärgert die Schultern. Das betrunkene Prahlen

des Wilden würde ihm wahrscheinlich einen Schwertstoß von einem
vom Trinken aufgewühlten Scoten einbringen und Cormac der
Gelegenheit berauben, etwas von ihm zu erfahren. Aber die
nächsten Worte des Pikten ließen den Gälen aufhorchen.

„Wer in ganz Kaledonien hat den südlichen Briten eine schönere

Frau gestohlen als Grulk?" rief er schwankend. „Wir waren zu fünft
in dem Fellboot, das der Sturm südwärts trieb. In Gerinths Reich

background image

28

gingen wir an Land, um uns mit Frischwasser zu versorgen, und tief
im Wald stießen wir auf drei Briten - einen Jungen und zwei schöne
Mädchen. Der Knabe wollte sich wehren, aber ich, Grulk, sprang
ihn von hinten an, riß ihn zu Boden und stieß ihm das Schwert in
den Bauch. Die Frauen schleppten wir ins Boot und flohen mit
ihnen nordwärts an die Küste von Kaledonien. Dann brachten wir
sie nach Grothga!"

„Worte ... leere Worte", höhnte Cormac und beugte sich über

den Tisch. „Solche Frauen gibt es jetzt nicht in Grothga!" rief er.

Der Pikte heulte auf wie ein Wolf und griff trunken nach seinem

Schwert.

„Als der alte Gonar, der Hohepriester, das Antlitz der besser

Gekleideten sah, die sich Atalanta nannte, rief er, daß sie dem
Mondgott geweiht sei, daß sich das Zeichen auf ihrer Brust befand,
obgleich nur er es sehen könnte.

Daher schickte er sie mit der anderen, Marcia, mit fünfzehn

Kriegern in einem Langschiff, das ihm die Scoten geliehen hatten,
auf die Insel der Altare, eine der Shetlandinseln. Atalanta ist die
Tochter eines britischen Adeligen und wird in den Augen Golkas,
des Mondgottes, Wohlgefallen finden."

„Wann sind sie zu den Shetlands aufgebrochen?" fragte Cormac,

als der Pikte Anstalten machte, den Streit handgreiflich werden zu
lassen.

„Vor drei Wochen. Die Nacht der Hochzeit des Mondes steht

noch bevor. Aber du hast mich einen Lügner genannt..."

„Trink und vergiß es", brummte ein Krieger und streckte ihm

einen bis zum Rand gefüllten Becher hin. Der Pikte ergriff ihn mit
beiden Händen, tauchte den Mund ein und trank mit
Riesenschlucken, während ihm die Flüssigkeit über die nackte Brust
rann. Cormac erhob sich von der Bank. Er hatte alles
Wünschenswerte erfahren und hielt die Scoten für zu betrunken, als
daß sie sein Verschwinden merken würden. Eine andere Sache
würde die Mauer draußen sein. Aber kaum hatte er sich erhoben, als
ein anderer aufsprang. Sigrel, der ehemalige Wikinger, kam um den
Tisch herum und trat ihm entgegen.

„Was, Partha", fragte er boshaft, „hast du deinen Durst so rasch

gelöscht?"

Plötzlich stieß seine Hand vor und schob dem Gälen den Helm

aus der Stirn. Cormac schlug wütend den Arm beiseite, und Sigrel

background image

29

sprang mit einem triumphierenden Aufschrei zurück.

„Eochaidh! Männer von Kaledonien! Ein Dieb und Lügner

befindet sich unter euch!"

Die betrunkenen Krieger starrten verständnislos auf die beiden

Männer.

„Dies ist Cormac an Cliuin", rief Sigrel und griff nach seinem

Schwert, „Cormac Mac Art, der Gefährte von Wulfhere, dem
Wikinger!"

Cormac bewegte sich mit der explosiven Raschheit eines

verwundeten Tigers. Im flackernden Schein der

Fackeln blitzte Stahl auf, und der Kopf Sigrels rollte den

Feiernden vor die Füße. Mit einem einzigen Sprung erreichte der
Gäle die Tür, und er verschwand, während die Scoten verwirrt und
unsicher aufstanden und brüllend nach ihren Schwertern griffen.

Wenige Augenblicke später befand sich die Stadt im Aufruhr.

Einige Männer hatten Cormac mit blutigem Schwert aus der Hütte
des Anführers rennen sehen und verfolgten ihn, ohne ihn nach dem
Grund seiner Eile zu fragen. Zum Teil ernüchtert taumelten die
Festgäste aus der Hütte und schrien und fluchten, und als die
anderen erfahren hatten, um wen es sich bei dem Fremden
gehandelt hatte, stieg ein Wutgebrüll zum Himmel auf, und die
ganze Stadt schloß sich der Verfolgung an.

Cormac huschte wie ein Schatten zwischen den Hütten

hindurch, gelangte an eine unbewachte Stelle der Mauer, nahm das
niedrige Hindernis, ohne die Geschwindigkeit zu verringern, mit
einem Sprung und raste auf den Wald zu. Ein rascher Blick über die
Schulter zeigte ihm, daß man ihn entdeckt hatte. Waffen in den
Händen, schwärmten die Krieger über die Mauer.

Der Waldrand befand sich in einiger Entfernung. Cormac über-

querte die freie Strecke geduckt und mit voller Geschwindigkeit.
Jeden Augenblick erwartete er, einen Pfeil in den Rücken zu
erhalten. Aber die Dalriadier waren keine besonderen
Bogenschützen, und er erreichte das schützende Buschwerk unver-
letzt. Er hatte die leichtfüßigen Kaledonier ein gutes Stück hinter
sich zurückgelassen - bis auf einen, der den anderen hundert Meter
voraus war, und sich knapp hinter ihm befand. Cormac wirbelte
herum, um den einzelnen Feind loszuwerden, doch verlor er auf
einem losen Stein das Gleichgewicht und fiel auf ein Knie. Er riß
seine Klinge hoch, um dem Schwert zu begegnen, das wie ein

background image

30

tödlicher Schatten über ihm drohte, aber ehe es noch herabsauste,
raste eine riesige Gestalt zwischen den Bäumen hervor, ein
mächtiges Schwert zischte ab, und der Scote brach mit gespaltenem
Schädel über Cormac zusammen.

Der Gäle schleuderte den Leichnam zur Seite und sprang auf.

Die brüllenden Verfolger waren nun nahe heran, und Hrut knurrte
wie ein wildes Tier und wollte sich ihnen stellen. Cormac aber
packte ihn am Handgelenk und zog ihn zwischen die Bäume. Im
nächsten Augenblick flohen sie in die Richtung, aus der sie zuvor
nach Ära gekommen waren.

Sie rannten zwischen den Bäumen hindurch, und hinter sich und

bald auch zu beiden Seiten vernahmen sie die Verfolger, die durch
das Unterholz brachen und laut schrien. Hunderte von Krieger
hatten sich der Jagd nach ihrem Erzfeind angeschlossen. Cormac
und Hrut verlangsamten ihr Tempo und eilten geräuschlos weiter.
Sie hielten sich in den tiefen Schatten, huschten von Baum zu Baum
und verbargen sich hin und wieder im Gebüsch, wo sie sich reglos
hinlegten und warteten, bis eine Gruppe von Verfolgern
vorbeigerannt war. Sie hatten erst ein kleines Stück zurückgelegt,
als Cormac weit hinter ihnen das Gebell von Hunden vernahm.

„Ich glaube, wir haben jetzt einen Vorsprung vor ihnen",

murmelte der Gäle. „Wir könnten losrennen und den Kamm des
Hügels und von dort die Landzunge und das Schiff erreichen. Aber
sie haben Wolfshunde auf unsere Spur gehetzt, und diese würde sie
und die Krieger direkt zu Wulfheres Schiff führen. Ihre Anzahl ist
groß genug, um zum Schiff hinauszuschwimmen und es zu entern.
Wir müssen einen anderen Weg einschlagen."

Cormac wandte sich nach Westen und bog fast im rechten

Winkel von der Richtung zum Schiff ab. Sie liefen wieder mit voller
Geschwindigkeit und rannten auf einer kleinen Lichtung plötzlich in
eine Gruppe von drei Dalriadiern, die sofort mit Geschrei auf sie
eindrangen. Offenbar hatten sie doch nicht den Vorsprung vor ihren
Verfolgern gehabt, wie Cormac gedacht hatte, und der Gäle warf
sich ungestüm ins Getümmel, denn er wußte, daß der Kampf ein
kurzer sein mußte, sollte nicht der Lärm Dutzende von weiteren
Kriegern anlocken.

Einer der Scoten griff Cormac an, während die beiden anderen

auf Hrut eindrangen. Ein Rundschild lenkte Cormacs wilden Stoß
ab, und das Schwert des Dalriadiers krachte auf seinen Helm herab

background image

31

und biß durch das Metall und in die Kopfhaut darunter. Aber ehe
noch der Krieger ein zweites Mal zuschlagen konnte, hieb ihm
Cormacs Schwert das Bein unter dem Knie ab, und als er stürzte,
drang ihm der nächste Schlag in den Hals.

Unterdessen hatte Hrut einen seiner Widersacher mit einem

gewaltigen Hieb getötet, der den emporgehaltenen Schild wie
Papier durchdrungen und den Schädel zerschmettert hatte, und als
Cormac Hrut zu Hilfe kommen wollte, schnellte der letzte Feind mit
der Furchtlosigkeit eines sterbenden Wolfes vorwärts, und dem
Gälen erschien es, als dringe das vorzuckende Schwert bis zur
Hälfte in die gewaltige Brust des Dänen. Hrut aber packte den Hals
des Scoten mit der mächtigen Linken, schleuderte ihn von sich und
führte einen Hieb, der Panzerhemd und Rippen durchtrennte, bis die
Klinge an der Wirbelsäule des Toten brach.

„Bist du schwer verletzt, Hrut?" Cormac eilte an die Seite des

Dänen und versuchte ihm das Kettenhemd abzunehmen, um den
Blutstrom einzudämmen. Aber der Mann schob ihn von sich.

„Ein Kratzer", sagte er mit dicker Stimme. „Mein Schwert ist

zerbrochen -wir müssen uns beeilen."

Cormac warf seinem Kameraden einen zweifelnden Blick zu,

drehte sich dann um und setzte die Flucht fort. Als er merkte, daß
Hrut ihm anscheinend mit Leichtigkeit folgte und das Gebell der
Hunde lauter wurde, beschleunigte er seine Schritte, und die beiden
rannten durch den mitternächtlichen Wald. Endlich hörten sie das
Schlagen der Wellen, und als Hruts Atemzüge rascher und gequälter
kamen, erreichten sie das felsige Steilufer, wo die Bäume über das
Wasser hingen. Gegen Norden hin war undeutlich die
vorspringende Landzunge zu sehen, hinter der die Raven vor Anker
lag. Zwischen der Halbinsel und der Bucht von Ära befanden sich
drei Meilen rauher Küste, und Cormac und Hrut standen an einem
Punkt, von dem es nur wenig näher zur Landzunge als zur Bucht
war.

„Von hier aus schwimmen wir", knurrte Cormac. „Es ist ein

weiter Weg zu Wulfheres Schiff, um die Landzunge herum, denn
die Klippen sind auf dieser Seite zum Erklettern zu steil. Aber wir
können es schaffen, und die Hunde verlieren im Wasser unsere
Spur. Bei allen Göttern! Was ..."

Hrut taumelte und fiel mit dem Kopf voran die Böschung hinab.

Mit den Händen im Wasser blieb er liegen. Im nächsten Augenblick

background image

32

war Cormac an seiner Seite und drehte ihn auf den Rücken, aber das
Gesicht des Dänen war bereits vom Tod überschattet. Cormac riß
ihm das Kettenhemd auf und fuhr mit der Hand darunter. Dann zog
er sie zurück und fluchte vor Verwunderung über die Vitalität des
Dänen, die es ihm ermöglicht hatte, mit dieser schrecklichen Wunde
unter dem Herzen fast eine halbe Meile weit zu rennen. Der Gäle
zögerte; dann drang das Bellen der Hunde an seine Ohren. Mit
einem Fluch riß er sich Helm und Brustpanzer vom Leib und streifte
die Sandalen ab. Er schnallte sich den Schwertgurt fester um, watete
ins Wasser und begann zu schwimmen.

In der Dunkelheit vor der Morgendämmerung vernahm

Wulfhere, der auf dem Deck des Drachenschiffes auf und ab schritt,
ein schwaches Geräusch, das nicht auf das Plätschern der Wellen
gegen den Rumpf oder die Klippen zurückzuführen war. Er gab
einen raschen Befehl, trat an die Reling und spähte hinab. Marcus
und Donal kamen an seine Seite, und kurz darauf sahen sie eine
geisterhafte Gestalt aus dem Wasser und über die Reling klettern.
Blutbefleckt und halb nackt knurrte Cormac Mac Art:

„Die Ruder heraus, Wölfe, und auf die offene See, ehe wir ein

halbes Tausend Dalriadier im Genick haben! Und richtet den Kurs
auf die Shetlandinseln, denn die Pikten haben Gerinths Schwester
dorthin gebracht." „Wo ist Hrut?" knurrte Wulfhere, als Cormac ans
Steuerruder treten wollte. „Schlag einen Messingnagel in den
Mast", erwiderte der Gäle. „Gerinth schuldet uns bereits zehn
Pfund." Die Bitternis in den Augen strafte seine gefühllosen Worte
Lügen.











background image

33

5.



Marcus schritt auf dem Deck des Drachenschiffs auf und ab. Der

Wind füllte das Segel, und die langen Eschenruder trieben das
Fahrzeug durch die Wellen, aber dem ungeduldigen Briten schien
es, als kröchen sie im Schneckentempo über das Meer.

„Wieso hat der Pikte sie Atalanta genannt?" fragte er, an

Cormac gewandt. „Der Name ihrer Zofe ist zwar Marcia, aber wir
haben keinen wirklichen Beweis dafür, daß es sich bei dem anderen
Mädchen um Prinzessin Helene handelt."

„Natürlich haben wir den", antwortete der Gäle. „Glaubst du, die

Prinzessin würde den Entführern ihre wahre Identität verraten?
Wüßten sie, daß sich Gerinths Schwester in ihrer Gewalt befindet,
könnten sie das halbe Königreich als Lösegeld verlangen."

„Aber was hat der Pikte mit der Hochzeit des Mondes gemeint?"
Wulfhere sah zu Cormac, und Cormac wollte schon antworten,

warf jedoch Marcus einen raschen Blick zu und zögerte.

„Sag es ihm", nickte Donal. „Früher oder später muß er es

erfahren."

„Die Pikten verehren fremdartige und schreckliche Götter",

erklärte der Gäle, „wie wir wohl wissen, die wir die See befahren -
nicht wahr, Wulfhere?"

„Stimmt", grollte der Riese. „So mancher Wikinger hat auf ihren

steinernen Altären sein Leben gelassen."

„Einer ihrer Götter ist Golka, der Mondgott. Hin und wieder

bieten sie ihm eine gefangene Jungfrau von hoher Geburt an. Auf
einer einsamen Insel der Shetland-gruppe befindet sich ein
grimmiger, schwarzer Altar, der von Steinsäulen umgeben ist, wie
man sie auch in Stonehenge findet. Auf diesem Altar wird das
Mädchen bei Vollmond Golka geopfert."

Marcus schauderte; seine Fingernägel bohrten sich in die

Handflächen.

„Ihr Götter Roms! Kann so etwas wahr sein?"
„Rom ist gefallen", brummte der Schädelspalter. „Und Roms

Götter sind tot. Sie werden uns nicht beistehen. Aber keine
Furcht..." Er hob seine schimmernde, scharfschneidige Axt. „Dies
hier wird uns beistehen. Laß mich bloß meine Wölfe in den
Steinkreis führen, und wir werden Golka ein solches Blutopfer

background image

34

darbringen, wie er es sich nie hätte träumen lassen!"

„Segel backbord voraus!" rief der Ausguck im Mast. Wulfhere

wirbelte mit gesträubtem Bart herum. Einige Augenblicke später
konnten alle an Deck die langen, niedrigen Linien eines fremden
Schiffes ausmachen.

„Ein Drachenschiff", rief Cormac fluchend. „Es versucht, uns

mit geblähtem Segel und aller Kraft der Ruderer den Weg
abzuschneiden, Wulfhere."

Der Anführer fluchte, und in seinen blauen Augen begann es

gefährlich zu leuchten. Der ganze Körper bebte vor Begierde, und
ein neuer Unterton lag in seiner Stimme, als er seiner Mannschaft
Befehle zubrüllte.

„Bei den Knochen Thors, es muß ein Narr sein! Aber wir

werden es ihm schon geben!"

Marcus packte den gewaltigen Arm des Dänen und riß ihn

herum.

„Es ist nicht unsere Aufgabe, jeden Seeräuber zu bekämpfen,

dem wir begegnen", rief der junge Brite ärgerlich. „Du bist
gedungen worden, die Prinzessin Helene zu suchen, und wir dürfen
das Schiff nicht aufs Spiel setzen. Jetzt haben wir endlich einen
Hinweis; willst du unsere Chance wegwerfen, nur um deine dumme
Kampfeslust zu befriedigen?"

In Wulfheres Augen loderte es.
„Das mir auf meinem eigenen Deck?" brüllte er. „Auch nicht

Gerinths und all seines Goldes wegen zeige ich einem Seeräuber
mein Heck! Wenn er den Kampf will, so soll er den Kampf
bekommen."

„Der Junge hat recht, Wulfhere", sagte Cormac ruhig. „Beim

Blut der Götter, wir müssen mit höchster Geschwindigkeit fliehen,
denn das Schiff befindet sich auf geradem Kurs auf uns zu, und ich
sehe Tumult auf dem Deck, und der kann nur als Vorbereitung für
einen Kampf gedeutet werden."

„Fliehen können wir jedoch nicht", stellte Wulfhere mit tiefer

Befriedigung fest, „denn ich kenne das Schiff. Es ist die Fire-
Woman Rudd Thorwalds, meines langjährigen Feindes. Sie ist
ebenso rasch wie die Raven, und wenn wir fliehen, haben wir sie bis
zu den Shetlandinseln hinter unserem Heck hängen. Wir müssen
kämpfen."

„Dann wollen wir es kurz machen", schnappte Cormac. „Es hat

background image

35

keinen Zweck, sie rammen zu wollen. Leg dich neben sie, und wir
stürmen."

„Ich wurde während einer Seeschlacht geboren und habe

Drachenschiffe versenkt, ehe ich dich kennenlernte", brüllte
Wulfhere. „Übernimm das Steuerruder." Er wandte sich an Marcus:
„Hast du jemals an einem Kampf zur See teilgenommen, Junge?"

„Nein, aber sollte ich nicht tiefer in die feindlichen Reihen

vordringen können, als du zu führen vermagst, so kannst du mich an
deinem Drachenkopf aufhängen!" erwiderte der zornige Brite.

Wulfheres Augen glitzerten vor belustigter Anerkennung, als er

sich abwandte.

In jenem primitiven Zeitalter manövrierte man nicht viel bei

einer Seeschlacht. Die langgestreckten, niedrigen Drachen der See
stürzten gerade aufeinander zu, während die Krieger hinter der
Reling schrien und mit den Schwertern auf die Schilde hieben.

Marcus warf einen Blick auf die wölfischen Männer neben sich

und sah zu den helläugigen, gelbbärtigen Wikingern hinüber, die die
Reling des feindlichen Fahrzeugs bemannten. Es waren Jüten, die
Erbfeinde der rothaarigen Dänen. Den jungen Briten überlief
unwillkürlich ein Schauder beim Betrachten der gnadenlosen
Wildheit, die der Szene anhaftete, so wie ein Mann beim Anblick
eines wütenden Wolfsrudels schaudern mag, ohne es zu fürchten.

Da erscholl das Surren vieler Bogensehnen, und ein Todesregen

fuhr durch die Luft. In dieser Hinsicht hatten die Dänen einen
Vorteil, denn sie waren die Bogenschützen der Nordsee, während
die Jüten - ebenso wie ihre Vettern, die Sachsen - wenig von
Bogenschießkunst kannten. Auch sie schossen Pfeile ab, aber es
mangelte ihnen an der tödlichen Genauigkeit und Treffsicherheit der
dänischen Geschosse. Marcus sah, wie auf dem Jütenschiff eine
Reihe von Männern fiel, während der Rest sich hinter den Schilden
duckte, die an der Bordwand hingen. Auch die drei Männer am
Steuerruder fielen den Pfeilen zum Opfer, und das Schiff kam vom
Kurs ab und verlor an Geschwindigkeit. Da sah Marcus einen
blonden Riesen, den er instinktiv als Rudd Thorwald erkannte, das
Steuer übernehmen. Wie Hagelkörner prallten Pfeile von seiner
Rüstung, und dann schlugen bereits die beiden Schiffe aneinander.

Das Wolfsgeheul der Wikinger stieg zum Himmel empor, und

im nächsten Augenblick herrschte Chaos. Wurfanker bissen in Holz
und verbanden die beiden Schiffe miteinander. Die Doppelreihe von

background image

36

Schildern bog und wand sich, als beide Mannschaften versuchten,
den Gegner von der Reling zu drücken und das feindliche Schiff zu
entern. Marcus, der mit einem wild aussehenden Riesen der anderen
Seite in einen Zweikampf verwickelt war, sah jenseits der Schulter
seines Feindes Rudd Thorwald vom Heck zur Reling stürzen. Da
fuhr sein gerades Schwert dem Jüten durch die Kehle, und er
schwang ein Bein über die Bordwände. Aber ehe er noch auf das
feindliche Deck springen konnte, drang ein weiterer heulender
Teufel auf ihn ein, und nur ein Schild, der schützend über ihn
gehalten wurde, rettete ihm das Leben. Es war Donal, der Barde, der
ihm zu Hilfe gekommen war.

In der Mitte des Schiffes drängte sich Wulfhere durch das

Getümmel und schaffte sich für einen Augenblick mit einem
gewaltigen Schwung seiner Axt Raum. Sofort sprang er über die
Reling auf das Deck der Fire-Woman, und Cormac, Thorfinn, Edric
und Snorri drängten hinter ihm nach. Snorri starb in dem
Augenblick, da seine Füße das feindliche Deck berührten, und eine
Sekunde danach spaltete eine Jütenaxt Edrics Schädel, aber die
Dänen ergossen sich bereits durch die Bresche in der Linie der
Verteidiger, und kurz darauf kämpften die Jüten mit dem Rücken an
der Wand.

Auf dem von Blut schlüpfrigen Deck trafen die beiden

Wikingeranführer aufeinander. Wulfheres Axt durchtrennte Rudd
Thorwalds Speerschaft, doch ehe der Däne ein zweites Mal
zuzuschlagen vermochte, hatte der Jüte einem Sterbenden das
Schwert entrissen, und die Schneide biß durch Wulfheres
Brustpanzer, der sich augenblicklich rot färbte. Der Schädelspalter
brüllte wie ein Wahnsinniger und schwang seine Axt mit beiden
Händen. Sie fiel, durchschnitt Rudd Thorwalds Rüstung und drang
durch das Schlüsselbein in die Wirbelsäule. Der Jütenhäuptling fiel
in einem Blutschwall tot zu Boden, und seine Krieger wichen,
verzweifelt kämpfend, zurück.

Die Dänen heulten voll wilder Freude. Aber der Kampf war

nicht zu Ende. Die Jüten wußten, daß die Verlierer einer
Seeschlacht keine Gnade zu erwarten hatten, und wehrten sich
verbissen. Marcus focht im dicksten Gewühl, und Donal befand sich
dicht an seiner Seite. Eine Art Wahnsinn hatte den jungen Briten
befallen. Seinem durch den wütenden Kampf getrübten Geist
erschien es, als stellten sich ihm diese Jüten entgegen, um ihn von

background image

37

Helene zu trennen. Sie standen ihm im Weg, und während er und
seine Kameraden ihre Zeit mit ihnen verschwendeten, könnte
Helene dringend seiner Hilfe bedürfen. Ein roter Nebel glühte vor
Marcus' Augen, und sein Schwert wob einen Vorhang des Todes.
Ein riesiger Jüte verbeulte ihm mit einem Axthieb den Schild, und
Marcus schleuderte ihn beiseite, während er den Feind gleichzeitig
mit der Rechten aufschlitzte.

„Beim Blut der Götter", keuchte Cormac, „ich habe noch nie

zuvor gehört, daß Römer zu Berserkern werden, aber..."

Marcus hatte sich über die von Leichen übersäten Ruderbänke

zum Achterschiff durchgekämpft. Als er hinaufsprang, sauste ein
Schwert auf seinen Helm herab, aber er kümmerte sich nicht darum.
Als er automatisch zustieß, fiel sein Blick auf ein seltsames
Schmuckstück, das an einer dünnen, goldenen Kette um den
Stiernacken des Jüten hing. Es war ein winziges Juwel, ein in Form
eines Akanthus geschnittener Rubin. Marcus schrie auf, als hätte
man ihm den Todesstoß versetzt, und er stürzte blindlings vor, kaum
wissend, was er tat. Er fühlte, wie seine Klinge tief einsank, und die
Gewalt seines Angriffs schleuderte ihn über den Körper seines
Opfers.

Nicht im geringsten des höllischen Kampfes um ihn achtend,

erhob er sich mühsam, riß dem Piraten das Juwel vom Hals und
drückte es an seine Lippen. Dann packte er den Jüten wild an den
Schultern.

„Rasch!" rief er in der Sprache der Angeln, die auch die Jüten

verstanden. „Ehe ich dir das Herz aus dem Leibe reiße, sage mir,
woher du dieses Juwel hast!"

Die Augen des Jüten begannen sich bereits zu verschleiern. Er

besaß keinen eigenen Willen mehr. Er vernahm eine drängende
Stimme, die ihn etwas fragte, und antwortete schwerfällig: „Von
einem der Mädchen, die wir ... in dem ... Piktenboot fanden."

Marcus schüttelte ihn. „Was geschah mit ihnen? Wo sind sie?"
Cormac, der gemerkt hatte, daß etwas Besonderes vor sich ging,

hatte sich aus dem Getümmel gelöst und beugte sich mit Donal über
den sterbenden Piraten.

„Wir haben sie... verkauft", murmelte der Jüte mit brechender

Stimme, „... an ... Thorleif ... Hordis Sohn... in..." Sein Kopf sackte
zurück; er verstummte.

Marcus sah mit schmerzerfülltem Gesicht zu Donal auf. „Sieh,

background image

38

Donal", rief er und hielt die Kette mit dem Rubinanhänger hoch.
„Siehst du das? Es gehört Helene! Ich habe es ihr selbst gegeben.
Sie und Marcia befanden sich auf diesem Schiff hier; aber jetzt...
Wer ist dieser Thorleif, Hordis Sohn?"

„Das ist leicht zu beantworten", fiel Cormac ein. „Er ist ein

norwegischer Wikinger, der sich in den Hebriden niedergelassen
hat. Faß Mut, junger Mann! In seinen Händen ist Helene besser
daran als in denen der wilden Pikten der Hjaltländer."

„Aber jetzt dürfen wir keine Zeit mehr verlieren!" rief Marcus.

„Die Götter haben uns dieses Wissen geschenkt. Zögern wir, so
geraten wir vielleicht wieder auf die falsche Spur!"

Wulfhere und die Dänen hatten das Achterdeck und das

Mittelschiff erobert, im Bug jedoch leisteten die Überlebenden
immer noch Widerstand. In einer Seeschlacht dieser Zeit kannte
man kaum Gnade. Hätten die Jüten gesiegt, so hätten sie keinen
verschont; und so erwarteten sie auch keine Schonung.

Cormac schritt durch das Mittelschiff, wo Tote und Sterbende

zuhauf lagen, und drängte sich durch die brüllenden Dänen an
Wulfhere heran, der seine triefende Axt schwang. Gewaltsam riß er
den Schädelspalter zu sich herum.

„Laß ab, alter Wolf", grollte er. „Der Kampf ist gewonnen -

Rudd Thorwald tot. Willst du deinen Stahl an diesen erbärmlichen
Männern verschwenden?"

„Ich verlasse das Schiff, wenn sich kein Jüte mehr am Leben

befindet!" donnerte der vom Kampfesrausch befallene Däne.
Cormac lachte grimmig.

„Laß es genug sein! Eine größere Beute wartet deiner! Diese

Jüten werden uns noch mehr Blut kosten, ehe sie alle fallen, und wir
brauchen jeden Mann für den Rest der Fahrt. Von den Lippen eines
sterbenden Jüten haben wir es erfahren: Die Prinzessin befindet sich
im Schlupfwinkel Thorleifs, Hordis Sohn, in den Hebriden."

Wulfheres Bart sträubte sich vor wilder Freude. Er besaß so

viele Feinde, daß es schwer war, einen Wikinger zu nennen, mit
dem er nicht abzurechnen hatte.

„Ist dem so? Dann - ho, ihr Wölfe! Laßt den Rest dieser Ratten

ertrinken oder schwimmen, wie sie wollen! Wir aber werden
Thorleif das Dach über dem Kopf anzünden!"

Es gelang ihm, mit Hilfe von Flüchen und Schlägen, seine

wütenden Dänen von den Jüten zu trennen und sie über die

background image

39

Bordwände ins eigene Schiff zu treiben. Die blutenden und des
Kampfes müden Jüten sahen schweigend und auf ihre geröteten
Waffen gestützt zu. Die Anzahl der Gefallenen war groß, aber die
Fire-Woman hatte bei weitem die meisten Männer verloren. Vom
Bug bis zum Heck lagen die Toten zwischen zerbrochenen Bänken
in ihrem Blut.

„Hallo, ihr Ratten!" rief Wulfhere, als seine Wikinger das Schiff

losmachten, und die Ruder die Raven in Bewegung setzten. „Ich
lasse euch euer blutbesudeltes Schiff und das Aas, das Rudd
Thorwald war. Macht damit, was ihr wollt, und dankt den Göttern,
daß ich euch das Leben schenkte!"

Die Verlierer hörten ihm schweigend zu und antworteten nur mit

finsteren Mienen - außer einem, einem hageren, wölfischen Krieger,
der eine schartige, blutige Axt schwang und rief: „Vielleicht wirst
du eines Tages die Götter verfluchen, Schädelspalter, daß du
Halfgar Wolfszahn am Leben ließest!"

Und das war tatsächlich ein Name, an den sich Wulfhere in den

kommenden Tagen erinnern würde. Jetzt aber brach der Anführer
nur in brüllendes Gelächter aus. Cormac aber runzelte die Stirn.

„Es ist dumm, geschlagene Männer zu verhöhnen, Wulfhere",

meinte er. „Du hast einen häßlichen Schnitt über den Rippen. Laß
mich danach sehen."

Marcus wandte sich mit dem Schmuckstück in der Hand ab. Der

Nebel des Wahnsinns, der ihn eingehüllt hatte, war Benommenheit
und Müdigkeit gewichen. Aber er hatte erschreckende und
fremdartige Seiten seiner Seele kennengelernt. Ein paar Minuten
wilden Gefechts auf dem Deck eines Seeräuberschiffs hatten
ausgereicht, den Abgrund dreier Jahrhunderte zu überbrücken. Die
kühle Überlegenheit im Kampf, eine Eigenschaft, die seinen
Vorvätern von römischen Offizieren eingedrillt worden war,
verschwand vor der alten, keltischen Kampfeswut, unter der selbst
Cäsar an den ceanntischen Ufern geschwankt hatte. Für einige
Augenblicke des Wahnsinns war er eins mit den Barbaren gewesen.
Die Schatten Roms verblaßten; kehrte auch er zum Wesen seiner
britischen Vorfahren zurück, an Wildheit Wulfhere Schädelspalter
um nichts nachstehend?



background image

40

6.



„Von hier ist es nicht weit nach Kaldjorn, wo Thorleif, Hordis

Sohn, sein Lager hat", sagte Cormac und betrachtete geistes-
abwesend den Mast, in dem nun sechzehn Messingnägel
schimmerten.

Die Norweger bauten bereits ihre Heimstätten auf den Hebriden,

den Orkneys und den Shetlandinseln. Später würden sie ständige
Kolonien einrichten, zur Zeit jedoch handelte es sich meist um
befestigte Piratenschlupfwinkel.

„Die Sudeyar-Inseln liegen knapp hinter dem Horizont im

Osten", fuhr Cormac fort. „Wir müssen uns wieder der List
bedienen. Thorleif, Hordis Sohn, besitzt vier Langschiffe und
dreihundert Männer. Wir haben ein Schiff und weniger als achtzig
Männer. Wulfheres Wunsch, zu landen und Thorleifs Skalli
anzuzünden, ist undurchführbar, und die Prinzessin Helene wird er
wohl kaum ohne Kampf herausgeben.

Daher schlage ich folgendes vor: Thorleifs Lager liegt auf der

Ostseite der Insel Kaldjorn, die zum Glück klein ist. Im Schutz der
Nacht werden wir uns der Westseite nähern. Dort befinden sich
hohe Klippen, und das Schiff wird wohl eine Weile nicht entdeckt
werden, nachdem es für Thorleifs Leute keinen Grund gibt, auf der
Westseite der Insel umherzuwandern. Sodann gehen wir an Land
und versuchen, die Prinzessin zu befreien."

Wulfhere lachte. „Du wirst merken, daß es nicht so leicht ist, die

Norweger hereinzulegen, wie die Scoten. Deine Locken werden
dich als Gälen kennzeichnen, und sie werden dir den Blutadler in
den Rücken schneiden."

„Ich werde mich wie eine Schlange unter sie schleichen, und sie

werden mein Kommen nicht merken", gab der Gäle zurück. „Wenn
es auf Schläue ankommt, so ist der Nordmann ein Dummkopf und
leicht zu täuschen."

„Ich werde dich begleiten", warf Marcus ein. „Diesmal lasse ich

mich nicht abweisen."

„Während ich auf der Westküste der Insel an meinen Knöcheln

nagen darf", grollte Wulfhere.

„Warte", sagte Donal, „ich habe einen besseren Plan."
„Sprich", forderte ihn der Gäle auf.

background image

41

„Wir werden Thorleif die Prinzessin abkaufen. Wulfhere,

wieviel Beute haben wir an Bord?"

„Genügend Gold, um vielleicht eine hochgeborene Lady

auszulösen", brummte der Däne, „aber nicht genug, um Gerinths
Schwester zu kaufen. Außerdem ist Thorleif mein Todfeind und
sähe lieber meinen Kopf an einem Speer neben der Tür seines Skalli
als alles Gold Gerinths in seinen Kisten."

„Thorleif braucht nicht zu wissen, daß es dein Schiff ist",

wandte Donal ein. „Außerdem weiß er nicht, daß er die Prinzessin
Helene in seiner Gewalt hat. Für ihn ist sie nur die Lady Atalanta.
Nun mein Plan: Du, Wulfhere, mischst dich unter deine Krieger,
während Thorfinn, dein Stellvertreter, sich als Anführer ausgibt.
Marcus spielt die Rolle von Atalantas Bruder, während ich ihren
Lehrer darstelle. Wir sagen, wir wollten jedes gewünschte Lösegeld
bezahlen und hätten euch Wikinger gedungen, nachdem die Briten
keine Schiffe besäßen und keine Männer von den Grenzen
entbehren könnten."

„Das wird eine Menge kosten", grollte Wulfhere. „Thorleif ist

ebenso geschickt wie gierig, und er wird hart verhandeln."

„Soll er. Gerinth wird euch alles zurückzahlen, und sollte es

euch die gesamte Ladung kosten. Der König hat mich aus diesem
Grunde mitgeschickt, und ich bürge mit meinem Kopf für jedes
Versprechen, das ich in seinem Namen gebe - er wird es halten!"

„Ich glaube an deine und Gerinths Ehrlichkeit", sagte Wulfhere,

„aber der Plan gefällt mir nicht. Lieber würde ich mit scharf
geschliffenem Stahl über Thorleifs Skalli herfallen."

„Ich ebenso", sagte Cormac. „Und doch ist Donals Plan der

beste, wenn die Befreiung von Prinzessin Helene unser Ziel ist.
Thorleifs Männer übertreffen uns an Zahl mehr als dreifach, und
selbst wenn die Überraschung uns den Sieg bringen würde, so
könnte die Prinzessin während des Kampfes leicht das Leben
verlieren. Donais Plan ist gut; Thorleif würde uns mit Stahl
antworten, wüßte er, um wen es sich bei der Gefangenen handelt.
Aber er denkt, er hält nur eine wohlgeborene Lady der Briten,
Atalanta, als Geisel, und für sie wird er zweifellos eher eine
Schiffsladung Beutegut entgegennehmen als seine Schiffe und
Männer in einem Kampf zu riskieren. Und falls Donals Plan
mißlingen sollte, so können wir immer noch auf meinen
zurückgreifen."

background image

42

„Na gut", stimmte Wulfhere zu. „In Donais Plan liegt Weisheit -

das will ich nicht leugnen. Aber ich werde mit der Mannschaft am
Strand bleiben, während Thorfinn, Marcus und Donal um Gerinths
Schwester feilschen, denn ich habe geschworen, daß ich, sollte ich
das verräterische Gesicht Thorleifs, Hordis Sohn, nochmals sehen,
es bis zum Kinn spalten würde!"

„Ich werde beim Verhandeln dabei sein", sagte Cormac. „Mit

dem Bart erkennt mich Thorleif nicht."

„Wahrscheinlich nicht", stimmte der Däne zu, „denn er sah dich

nur kurz, und das war während eines Kampfes zur See. Aber ich
werde mich mit meinen Männern bereithalten, falls beim
Verhandeln etwas schiefgehen sollte.

Steuermann!" brüllte er. „Lauf das Festland an! Wir benötigen

einen Tag zur Erholung und Verproviantierung, ehe wir die
Hebriden ansteuern."

Als sie die zerklüftete Küste anliefen, bemerkte keiner der

scharfäugigen Mannschaft das Schiff der besiegten Jüten, das,
schwer unterbemannt und mit geblähtem Segel, am Horizont der
grauen See nach Nordosten fuhr . . .

... und auch nicht das Langboot gerade außerhalb der Sichtweite

dahinter, voll von kleinen, dunkelhäutigen Männern mit Bögen und
mit steinernen Spitzen versehenen Pfeilen und mit grimmiger
Entschlossenheit in den schwarzen Augen.

Ein dünner Nieselregen kühlte die Luft ab und ließ die Felsen

am Strand vor Thorleifs Lager matt glitzern, als wären sie mit
schwarzem Schlick überzogen. Durch die treibenden
Nebelschwaden hindurch sahen die Föhren und Fichten des Waldes
aus wie Minarette in einem Schlamm-Meer. Vier Langschiffe lagen
auf den Strand hochgezogen. In einiger Entfernung dahinter ruhte
ein fünftes mit dem Vorderteil des Kieles im Sand, und nicht weit
davon stand eine große Gruppe von rotbärtigen Männern in
Schuppenpanzern und gehörnten Helmen, die Speere, Pfeile und
Bögen trugen. Ein hoher Wall zugespitzter Baumstämme lief
parallel zum Ufer, und dahinter stieg Rauch von Thorleifs Skalli
und den Nebengebäuden seiner Männer hoch, während vor dem Tor
der Umzäunung über hundert blonde Wikinger warteten, die ähnlich
wie jene bei dem einzelnen Schiff gerüstet waren. In der Mitte
zwischen den beiden Gruppen befanden sich einige Männer, die
einander gegenüberstanden.

background image

43

„Bringt euer Beutegut", grollte Thorleif, Hordis Sohn. „Und es

bedarf einer ziemlichen Menge, um die Lady Atalanta zu kaufen.
Bei Odin, sie ist ein hübsches Weib, und ich wollte sie eigentlich für
mich behalten."

Cormac beobachtete scharf den riesigen Anführer der

Nordmänner. Thorleif überragte selbst Wulfhere, und sein Gesicht
war von Narben übersät und von Falten der Grausamkeit
durchfurcht. An einer Stelle des Kiefers war der dichte, blonde Bart
von einer weißen Narbe durchbrochen, und Cormac hoffte, der
Mann würde sich nicht daran erinnern, wem er sie zu verdanken
hatte. Aber der dunkle Bart des Gälen verbarg fast völlig sein
Gesicht, und seit dem Beginn der Verhandlungen hatte Thorleif
durch nichts zu erkennen gegeben, daß er wußte, wer vor ihm stand.

„Was bedeutet dir eine Frau", sagte Cormac, „selbst eine von

hoher Geburt, im Vergleich zu einer Schiffsladung von
Reichtümern? Laß die Lady kommen, und wir legen dir das Gold zu
Füßen."

„Zuerst das Gold", brummte Thorleif. „Reicht es nicht, so

behalte ich sie."

„Wer sollte dir mehr bezahlen als ihr eigener Bruder?" warf

Donal ein. „Deine Raubzüge bringen dir genug Weiber ein - selbst
solche von edler Abstammung; und der Preis, den dir der edle
Marcus, Atalantas Bruder, zu bezahlen gewillt ist, übertrifft den
eines jeden anderen, wie du sicher weißt."

„Aye", sagte Marcus. „Und wenn du diese großzügige Summe

nicht annimmst, so werde ich eine noch größere opfern und mit
einer Flotte zurückkehren, die diese Inseln von euch Piraten säubern
wird! Bei Christus, als Rom noch herrschte..."

Thorleif lachte, und Cormac legte Marcus die Hand auf die

Schulter.

„Rom ist tot!" brüllte der Wikinger. „Und nicht einmal auf dem

Höhepunkt der Macht herrschte es über diese Inseln. Aber du bist
ein eigensinniger Junge. Wenn du mit einem Heer kommen
könntest, warum bringst du dann nur ein einziges Schiff mit
dänischen Piraten? Pah! Bring dein Gold, und ich werde sehen, ob
es für die Lady Atalanta und ihre Zofe ausreicht."

Cormac machte der Gruppe von Dänen beim Langschiff ein

Zeichen, worauf ein Dutzend von ihnen sich Bündel auflud und den
Strand entlang auf die Verhandelnden zustapfte.

background image

44

„Nimm dich vor einer Falle in acht", grollte einer von Thorleifs

Unterführern, ein hagerer Seewolf. „Wir sind nur zwanzig hier, und
mit den zwölf Kommenden sind sie uns an Anzahl überlegen."

„Na schön ..." Thorleif hob seinen Arm, und aus den Reihen der

Wartenden an der Befestigungsmauer löste sich eine Gruppe von
weiteren zwanzig Mann. Cormac fühlte Mißtrauen in seinem Innern
aufsteigen. Da wandte sich Thorleif an den Wikinger Thorfinn: „Ich
kenne dein Schiff, die Raven. Sie gehörte meinem Feind Wulfhere
Hausakluifr. Wie gelangtest du in ihren Besitz?"

„Wulfhere war mein Kapitän", antwortete Thorfinn, „aber er tat

mir unrecht, und ich spaltete ihm im Streit den Schädel."

Das Dutzend Männer vom dänischen Schiff trat an die Gruppe

heran und ließ die Bündel zu Boden fallen. Mit Messern wurden sie
aufgeschlitzt, und eine glitzernde Vielfalt von kostbaren
Kunstgegenständen aus Gold und sprühenden Juwelen ergoß sich in
den Sand.

„Dieses Lösegeld ist einer Prinzessin würdig", sagte Donal, „und

nicht nur einer wohlgeborenen Lady. Gib uns Atalanta, und wir
ziehen in Frieden ab."

Beim Anblick von so viel Gold und Geschmeide leuchteten

Thorleifs Augen auf. „So seit es", sagte er, und Cormac entspannte
sich ein wenig. Auch die zwanzig Männer von den Palisaden her
hatten nun die Gruppe erreicht. In ihrer Mitte bemerkte der Gäle
eine Frau von unübertrefflicher Schönheit, und er wußte, daß es sich
nur um die Prinzessin Helene handeln konnte. Beim genaueren
Hinsehen merkte er jedoch, daß ihre weißen Kleider zerrissen und
die Haare zerrauft waren. Ihr schönes Antlitz war wie in Schmerz
verzerrt, und in ihren großen, dunklen Augen schien Sehnsucht,
gepaart mit Verzweiflung, zu brennen.

„Helene!"
Bei Marcus' unwillkürlichem Ausruf sah das Mädchen auf, der

Ausdruck hoffnungsloser Ergebenheit verschwand aus ihrem
Gesicht und machte wilder Freude Platz. Ehe ihre Wächter sie zu
hindern vermochten, rannte sie los, überquerte den freien Raum
zwischen den beiden Parteien und warf sich in die Arme ihres
Geliebten.

„Marcus - hilf mir!" rief sie. „Sie haben Marcia gefoltert ... O

Gott! Sie mußte ihnen alles gestehen, und dann haben sie sie getötet
- und sie werden dich auch töten. Flieh, Marcus - flieh!

background image

45

Es ist eine Falle!"
Zu spät erkannte Cormac, daß die Männer, die mit Helene

gekommen waren, keine Wikinger waren - sondern Jüten. Allen
voran stand Halfgar Wolfszahn, und Cormac merkte plötzlich, daß
es sich bei den zwanzig Kriegern um die Überlebenden der Fire-
Woman handelte.

„Ihr Narren!" donnerte Thorleif. „Seit ihr zu feilschen begonnen

habt, wußte ich, wer ihr wart. Diese jütischen Wölfe sind Tag und
Nacht gesegelt, um euch zuvorzukommen, denn ein Verwundeter
hörte, was Marcus von dem Sterbenden erfuhr. Aye, es ist die
Prinzessin Helene, Gerinths Schwester, die ihr zurückzugewinnen
sucht! Leugnet es nicht, denn Halfgar und ich vernahmen es von
den Lippen des Mädchens Marcia, bevor sie unter der Folter starb.
Und nun wirst auch du sterben, Cormac Mac Art, und dein Narr von
Kapitän, der sich zweifellos unter seinen rotbärtigen Männern beim
Schiff verbirgt. Der Schatz, dein Langschiff, die Prinzessin Helene
und der Kopf Wulfheres werden mein sein!"

Marcus, der von dem Gesprochenen nur die Hälfte verstand,

blickte von Helenes tränenüberströmtem Antlitz auf und erkannte,
daß es Thorleif und Halfgar waren, die das Mädchen so über alle
Maßen gequält hatten. Mit einem wilden Aufschrei riß er sein
Schwert aus der Scheide und drang auf Thorleif ein. Der Wikinger
lachte, als er seinerseits das Schwert zog und den ungezielten Hieb
des Jünglings parierte.

„Teufel!" schrie Marcus. „Ich werde dir das Herz

herausschneiden ...!"

Thorleif lachte wiederum, als er Marcus' Stoß nochmals parierte,

wobei dessen Schwert wie Glas zersprang. Marcus sprang den
Wikinger mit einer Wut an, die der eines Berserkers gleichkam, und
nur Cormacs Schwert, das Thorleifs pfeifender Klinge begegnete,
rettete den Jüngling vor einem gespaltenen Kopf. Dabei zerbrach
auch die Klinge des Gälen. Darauf umklammerten Marcus' Finger
bereits Thorleifs Kehle. Der bärenhafte Wikinger war über den
stählernen Griff, die verzweifelte Stärke und Wildheit des Briten
überrascht, der kaum halb so viel wog wie er selbst, und wollte
seinen Schrecken hinausschreien; aber seine Kehle war zugeschnürt.
Er ließ sein nutzlos gewordenes Schwert fallen und hieb mit beiden
Fäusten auf die Rippen des Jünglings ein, bis Marcus halb
bewußtlos zurückfiel...

background image

46

Die Nordmänner stürmten heran, und Cormac, der versuchte,

Marcus vor dem gewaltigen Thorleif zu schützen, wurde
zurückgedrängt. Ein blonder Krieger griff ihn mit einer Axt an;
Cormacs Schild wehrte den Hieb ab, aber mit dem zerbrochenen
Schwert konnte er nicht zurückschlagen. Als der Wikinger die Axt
für einen zweiten Hieb hob, fuhr Donals Klinge dazwischen, drang
durch den Schuppenpanzer, und der Krieger fiel wie ein Baum zu
Boden. Cormac sah, wie ein Jütenkrieger Donal anfiel. Mit einem
gewaltigen Satz sprang er dazwischen und hielt seinen verbeulten
Schild der Axt des Jüten entgegen. Die herabsausende Waffe
zertrümmerte den Schild, und Cormac schrie unwillkürlich auf, als
Schmerz seinen linken Arm durchzuckte. Da zischte Donais
Schwert in silbrigem Bogen, und der Jüte fiel mit halb
durchtrenntem Hals, und sein Kriegsgeschrei verwandelte sich in
ein blutiges Gurgeln.

Kampfgebrüll mischte sich in das Klirren von Stahl ringsum.

Cormac erhob sich schwankend. In der Rechten hielt er den Rest
des zerbrochenen Schwertes, während an seinem blutenden linken
Arm der zertrümmerte Schild hing. In der Nähe sah er Thorleif,
Hordis Sohn, gegen Wulfheres Unterführer Thorfinn kämpfen, der
ihm tapfer standhielt, während Marcus mit der bewußtlosen Helene
wegzukriechen versuchte. Da durchtrennte ein sterbender Jüte mit
einem Messer Thorfinns Achillessehne, und der Däne fiel - und
während er fiel, zuckte Thorleifs Klinge vor und spaltete ihm den
Schädel. Donal war mit einem von Thorleifs Unterführern
beschäftigt, und Cormac bemerkte zu seinem Schrecken, daß
Thorleif Anstalten machte, den wehrlosen Marcus in Stücke zu
hauen. Cormac brüllte auf und griff den Wikinger an. Thorleif
wirbelte herum, und als er den Gälen mit zerbrochenem Schwert
und nutzlosem Schild auf sich zustürmen sah, lachte er laut und hob
sein Schwert zum Todesstreich.

Cormac duckte sich zur Seite und entging so knapp der

herabsausenden Waffe. Jedoch glitt er dabei aus und fiel zu Boden.
Thorleif hob sein Schwert zum entscheidenden Schlag, aber als er
es herabschwang, prallte die Klinge gegen einen erhobenen Schild,
und plötzlich blickte er in die flammenden Augen von Wulfhere,
dem Schädelspalter.

„Schlag nochmals zu!" brüllte der Dänenführer. „Aye, versuche

es mit einem anderen als mit verwundeten Kriegern und hilflosen

background image

47

Frauen, Ausgeburt von Helheim!"

Cormac taumelte auf die Beine und rannte Marcus zu Hilfe. Ein

Nordmann versuchte ihn aufzuhalten, aber Cormac schnellte sich
wie eine Katze unter dem Axthieb hindurch und vorwärts, und sein
zerbrochenes Schwert grub sich in den Hals des Gegners.

Thorleif, Hordis Sohn, brüllte vor Wut und hieb mit aller Kraft

zu. Sein mächtiges Schwert schmetterte klirrend gegen den Rand
von Wulfheres Helm und ließ Funken aufstieben. Der Anführer der
Dänen taumelte halb betäubt rückwärts, und Thorleif sprang nach,
um ihm den Todesstoß zu versetzen. Wulfhere aber fand sein
Gleichgewicht wieder, brüllte auf und schwang seine Axt mit aller
Kraft. Die Schneide fuhr unterhalb von Thorleifs Schildkante durch
den Panzer ins Fleisch. Thorleif erwiderte wutentbrannt mit einem
Schwertstreich, der Wulfheres Schild spaltete, aber der Däne, der
wie ein verwundeter Bär brüllte, versetzte seinem Feind einen Hieb
mit der Axt, der durch den Helm des Nordmanns drang und ihm den
Schädel bis zum Unterkiefer teilte. Thorleif krachte wie ein gefällter
Baum zu Boden.

Das Schlachtgetümmel wurde noch ärger, als die Dänen vom

Langschiff mit den Nordmännern ins Handgemenge kamen, die von
den Palisaden hergeeilt kamen. Cormac rannte an Marcus' Seite, der
mit Donals Hilfe die Prinzessin verteidigte.

„Zurück zum Schiff!" schrie Cormac. „Laßt den Schatz und

vergeßt eure Blutfehden! Schützt die Prinzessin!"

Die Dänen gehorchten, hielten aber nach wenigen Schritten an

und spannten die Bögen. Unter dem Pfeilhagel fielen mindestens
zwanzig Nordmänner, aber die übrigen griffen weiter an. Halfgar
und seine Jüten hatten sich zuvor etwas zurückgezogen, doch mit
ihren Verbündeten im Rücken stürmten sie nun wieder vor.

Wieder klirrte Stahl auf Stahl, Klingen drangen durch Rüstung

und Fleisch, Knochen splitterten unter gewaltigen Hieben, und in
wenigen Augenblicken waren die Ufersteine schlüpfrig von Blut,
als Däne wütend gegen Jüte und Nordmann kämpfte. Keiner
gewährte Gnade oder bat darum. Halfgar tötete einen Dänen mit
einem gewaltigen Axthieb und sprang dann Donal an, der die
Prinzessin beschützte. Donal war ein geschickter Schwertkämpfer,
aber gegen die Berserkerwut des Jüten kam er nicht an. Die Wucht
von Halfgars Hieb gegen den Schild, den er gerade noch
emporheben konnte, zwang ihn in die Knie. Der Jütenführer hob die

background image

48

Axt zum Todesstreich.

Cormac kauerte sich zusammen, um Halfgar mit bloßen Händen

anzugehen, erkannte jedoch verzweifelt, daß er zu spät kommen
würde. Da warf sich mit einem Wutschrei eine Gestalt gegen den
Jüten, und die beiden gingen knurrend und um sich schlagend zu
Boden. Es war Marcus - unbewaffnet, jedoch voll Berserkerwut.

Cormac duckte sich unter einem Schwerthieb, sprang vor und

stieß mit aller Kraft mit seinem Messer zu. Die Klinge brach am
Schuppenpanzer, doch hatte sich die Spitze zuvor ins Herz des
Wikingers gebohrt.

Cormac riß Schwert und Schild des Gefallenen an sich und

rannte an die Stelle, wo Marcus und Half gar kämpften. Der junge
Brite war unterlegen; seine Wunden hatten ihn geschwächt, und
seine Kraft reichte nicht an seine Wut heran. Ehe Cormac noch
heran war, löste sich Halfgar aus dem zähen Griff seines Gegners
und schmetterte ihm den Schildbuckel ins Gesicht. Als er die Axt
fester packte, um den betäubten Marcus zu töten, bemerkte der Jüte
ein rotes Glitzern zu seinen Füßen. Es war Helenes Halsband. Das
Goldkettchen war zerrissen, und Marcus hatte es beim Kampf
verloren. Halfgar bückte sich rasch und wand die Kette hastig um
seinen Gürtel. Dieser Augenblick der Gier rettete Marcus das
Leben. Als der Jüte aufblickte, griff ihn Cormac bereits wie ein
Wirbelwind an. Instinktiv hob Halfgar abwehrend die Axt, aber das
Schwert hieb durch den Stiel und krachte auf die Reste des
Eisenhelms herab. Das Metall schützte Halfgars Schädel, doch die
Gewalt des Streiches ließ den Jüten bewußtlos niedersinken.

„Zurück zum Schiff!" rief Cormac. „Dem Prinzen Marcus zu

Hilfe!"

Donal eilte an Cormacs Seite und die Prinzessin Helene mit ihm.

Ihr Gesicht war tränennaß und weiß, aber ihre Sorge um Marcus
war größer als ihre Furcht. Sie ignorierte Cormacs Flüche und half
dem Barden, den bewußtlosen Briten wegzutragen.

Als die Jüten und Nordmänner ihre Anführer fallen gesehen

hatten, war ihre Kampflust etwas verraucht, doch als sie nun
merkten, daß sich die Dänen, mit der britischen Prinzessin in der
Mitte, zu ihrem Schiff zurückzogen, nahmen sie mit erneutem Eifer
den Kampf auf. Und als wäre dies ein Signal gewesen, erschollen
von jenseits der Raven her die Schlachtrufe einer neuen Heerschar,
und aus dem Wald brach eine Gruppe von Nordmännern hervor,

background image

49

deren Anzahl die der Kämpfenden noch übertraf.

„Wir sitzen in der Falle!" brüllte Cormac. „Zum Schiff!"
„Wotan!" Wulfhere zerschmetterte einem Nordmann mit einem

gewaltigen Axthieb den Schädel. „Gebt euren Klingen Blut zu
trinken, ihr Söhne von Dänemark!"

Aber als die Dänen den Bug ihres Schiffes erreichten, sah

Cormac, daß es zu spät war. Sie hatten gerade noch Zeit, einen
Schildwall vor dem Schiff zu bilden, als Thorleifs Krieger von
beiden Seiten heranbrandeten wie Meereswellen gegen einen
Uferfelsen. Die Dänen fochten wie die Riesen beim Ragnarök, und
für jeden von ihnen fielen zwei ihrer Gegner. Cormac kämpfte und
wütete wie die besten unter ihnen, aber er wußte, daß sie der
Übermacht nicht gewachsen waren. Die Feinde waren dreifach in
der Überzahl und die Neuankömmlinge noch kampfesfrisch. Im
dichten Getümmel vermochten die Dänen weder ihre
Bogenschießkunst auszuspielen, noch konnten sie die Wände ihres
Schiffes erklimmen.

Plötzlich schien ein Wutgeheul die Himmel erbeben zu lassen,

ein Kriegsgeschrei aus tausend Kehlen erscholl, und dann
verfinsterte ein Pfeilhagel von allen Seiten den bereits dämmernden
Himmel. Wie Regen nagelten hölzerne Schäfte herab und splitterten
gegen die Rüstungen von Dänen, Jüten und Nordmännern.

Cormac sah einen von Wulfheres Männern taumeln; ein

dunkelschäftiger Pfeil mit Feuersteinspitze hatte seinen Hals
durchdrungen. Ein blonder Nordmann fiel mit einem ähnlichen Pfeil
im rechten Auge. Die meisten Geschosse waren, ohne Schaden
anzurichten, an den Schilden und Rüstungen der Wikinger
zerbrochen, doch allzu viele von den Tausenden staken in lebendem
Fleisch.

Die Nordmänner und Jüten wirbelten herum, um sich dem neuen

Feind zu stellen, und Cormac, der sich bemühte, über die Köpfe der
Gegner hinweg etwas zu erkennen, sah, wie kleine, dunkle
Gestalten von beiden Seiten an den Strand schwärmten - Pikten!
Nun hörte der Pfeilhagel auf, und die dunklen Gestalten warfen sich
unter blutdürstigem Geheul auf die hinteren Reihen der verwirrten
Nordmänner.

„Ins Schiff!" schrie Cormac, als der Angriffsdruck nachließ.

„Von dort können wir sowohl die Pikten als auch die Nordmänner
mit unseren Pfeilen zurückwerfen."

background image

50

Die Dänen schwärmten, unbehindert von den Nordmännern, die

sich dem wilden Angriff der Pikten zugewandt hatten, über die
Bordwände ihres Langschiffs. Ein zweiter Pfeilhagel prasselte auf
das Deck nieder. Donal und Cormac schützten Helene mit ihren
Schilden und brachten das Mädchen in den Laderaum. Wulfhere
selbst half den verwundeten Prinzen an Deck heben und in
Sicherheit bringen.

„Ein Schwert!" keuchte der halb bewußtlose Jüngling. „Gebt mir

ein Schwert, damit ich den verdammten Jüten töte, der die Zofe
meiner Lady vor ihren Augen folterte!"

„Ich glaube, Halfgar ist tot", brummte der Däne. „Ich sah, wie

Cormac seinen Helm traf, und von diesem Streich erhob er sich
nicht mehr."

„Dann ist er zu rasch gestorben!" rief Marcus und wollte sich

erheben, aber Wulfhere hielt ihn nieder.

Die überlebenden Dänen befanden sich nun alle an Bord des

Schiffes und kauerten mit ihren Bögen hinter den Schilden an den
Bordwänden, aber der Bug des Schiffes lag noch auf Land, und sie
konnten das Fahrzeug nicht flottmachen. Die Nordmänner am
Strand hatten sich von der Überraschung des Angriffs der Pikten
erholt, formierten sich, schlossen die Schilde aneinander und
begannen einen langsamen Rückzug zur Palisade, durch deren Tor
die Pikten bereits hineinschwärmten. Nur in Tierfelle gekleidet,
warfen sich die dunkelhäutigen Krieger voll Wutgeschrei gegen die
Phalanx der Nordmänner. Mit ihren Stein- und Bronzewaffen
drangen sie gegen die eisernen Rüstungen und Klingen der
Wikinger vor und schienen gewillt, drei oder vier Mann für jeden
Feind zu opfern, den sie zu Boden reißen vermochten. Dann begann
Rauch hinter den Palisaden emporzusteigen, und die Wikinger
brüllten vor Verzweiflung, als sie merkten, daß ihre Häuser in
Flammen standen. Die Phalanx löste sich auf, als die erzürnten
Nordmänner wütend auf ihr Skalli zustürmten und die nackten
Krieger niederhieben, die ihnen im Wege standen, gefolgt von der
Hauptmacht der Pikten, die sie weiter bedrängte.

Eine Gruppe von Pikten griff das Langschiff an, aber ein

Pfeilhagel von Wulfheres Bogenschützen trieb sie wieder zurück.
Die dunkelhäutigen Krieger sammelten sich am Waldrand. Die
Dänen bereiteten sich auf einen weiteren Angriff vor, aber der kam
nicht. Statt dessen schritt ein halbes Dutzend Unterhändler mit einer

background image

51

Flagge über den Strand und hielt vor dem Bug des Langschiffs an.
In ihrer Mitte befand sich ein alter Mann, mager aber mit aufrechter
Haltung, gekleidet in einen Umhang von Wolfsfellen, der mit
Federbälgen und Tierschädeln verziert war.

„Was wollt ihr?" fragte Cormac in der Sprache der Pikten.
„Ich bin Gonar, der Hohepriester der Pikten." Die Stimme des

alten Mannes klang hoch, aber fest. „Gib uns das Mond-Mädchen,
das unser Opfer an Golka sein soll und uns von den Jüten gestohlen
wurde - oder wir überschütten euer Schiff mit Brandpfeilen."

„Hier ist kein Mond-Mädchen", erwiderte Cormac.
„Wir sahen, wie sie aufs Schiff gebracht wurde", beharrte der

Piktenpriester. „Man brachte sie uns aus einem Land fern im Süden,
und sie trug den Blut-Stein des Mondes an einer goldenen Kette.
Vor einer Generation wurde das Juwel von seinem heiligen Platz
von der Insel des Altars gestohlen, und nun hat es uns Golka, am
Halse des Opfers hängend, zurückgebracht."

„Der Rubin!" murmelte Donal, der auf seinen Wanderungen

einiges von der Piktensprache gelernt hatte. „Jetzt erinnere ich mich
- Marcus erzählte mir einst, sein Vater habe ihn im Strand unter den
Überresten eines piktischen Langboots gefunden."

Cormac dachte an den roten Edelstein, den Halfgar aus dem

Sand aufgehoben hatte. Unwillkürlich blickte er zu der Stelle
hinüber, an der der Mann gefallen war, und sah den Anführer der
Jüten, wie er sich taumelnd erhob. Offenbar hatte ihn Cormacs
Schwerthieb nur betäubt.

„Gib uns das Mädchen, das den Blut-Stein trägt", beharrte der

alte Mann.

„Dein Gott hat euch einen anderen erwählt", erwiderte Cormac

und wies auf den Strand hinab. „Sieh, Gonar - der Mann, der sich
unter den Erschlagenen erhebt. Geh zu ihm, und du wirst Golkas
Zeichen finden."

Der alte Mann fuhr zusammen und gab dann den ihn

umringenden Kriegern einen Wink. Diese hetzten augenblicklich
wie Wölfe davon und rannten zu Halfgar. Freudenschreie ertönten,
als sie das Juwel erspähten, das an seinem Gürtel hing. Halfgar zog
sein Messer und wollte sich verteidigen, aber die Pikten
überwältigten ihn in seinem benommenen Zustand leicht und
banden ihn mit Lederriemen.

„So zieht von dannen, Dänen", rief der alte Gonar, „und kehrt

background image

52

nie wieder zurück, denn diese Insel gehört den Piktenclans, und
bereits zu lange haben eure Brüder, die Nordmänner, mit ihren
Äxten die Wälder gestört und mit ihren Schuhen den Boden
beschmutzt."

Die Dänen sprangen über die Bordwände und stemmten

sich mit den Schultern gegen den Bug. Der Kiel schürfte über das
Ufer, bis das Schiff frei schwamm, und ein Freudengeschrei
erscholl.

„Aber das Juwel", rief Cormac vom Deck hinab, als sich der

Strand entfernte, „es stammt sicher aus Rom und nicht von den
Pikten, denn ich sah das korinthische Symbol eingeritzt."

„Es ist nicht der Akanthus", schrie Gonar zurück, „sondern das

Blut des Opfers, der rote Strahl, der aus der aufgerissenen Brust
spritzt, um das Herz Golkas, des Mondgotts, zu erfreuen."

Cormac wandte sich voll Abscheu ab, als die Ruderer das Schiff

herumdrehten und es auf die offene See steuerten. Hinter ihm
erscholl ein Kreischen wie das Wimmern einer verlorenen Seele,
und der Gäle schauderte. Halfgar mußte erkannt haben, welches
Schicksal ihm bevorstand.

„Ja, du hattest recht, Cormac", brummte Wulfhere, als sich die

Küste von Kaldjorn in der Dämmerung verlor. „Es war nicht gut
getan, als ich einen besiegten Feind verhöhnte, denn mein
Schmähen hat Halfgars Rachedurst angefeuert, und das hat mich
letzten Endes fast die Hälfte meiner Mannschaft gekostet. Ich werde
nach Dänemark fahren müssen, um neue Männer zu werben."

„Halfgar war ein verräterischer Wolf und ein Frauenfolterer",

sagte Cormac bedrückt, „aber er war ein wackerer Kämpfer, und es
gefällt mir nicht, daß er sein Herzblut auf dem Altar von Golka,
dem Mondgott, vergießen muß."

„Nun denn", sagte Donal, „so möge sich dein Herz an dem

Glück der Prinzessin Helene und ihres Verlobten Marcus erfreuen.
Sieh - selbst unter dem bleiernen Nieseln des grauen Himmels
gleicht ihr Strahlen, wenn sie einander ansehen, dem
Sonnenaufgang, der die Rückkehr der Götter ankündigt. Freue dich
auch bei dem Gedanken an König Gerinths Gold, das er für die
heile Rückkehr seiner Schwester zahlen wird. Und wie ich seine
Großzügigkeit kenne, gibt er euch zweimal soviel, wie ihr verlangt
habt - nur aus Freude, sie am Leben und unversehrt zu sehen."

Nach diesen Worten griff der Barde nach seiner alten römischen

background image

53

Harfe, zupfte die Saiten und begann zu singen:

„Pikten stahlen Gerinths Schwester,

und der König war verzweifelt. Was zu tun? so fragt er bitter.

Feinde hab ich gar so viele -keine Krieger, Helene zu suchen.

Diebe raubten meine Schwester.

Zu dem König trat der Barde.

Wulfhere Wiking mit dem Langschiff liegt in einer nahen Bucht.

Mut hat er, die Maid zu suchen -selbst bis an des Ozeans Rand

fährt er mit den tapfren Männern.

Der König nun mit nassen Wangen

erzählte Wulfhere seinen Wunsch. Bei Wotan! rief der Wiking

zornig. Mag die Axt die Schädel spalten der Männer,

die die Maid geraubt. Un der schwarze Cormac sprach:

Die Tiger, jetzt, des Meeres jagen!

Über graue Wasser weit

das Drachenschiff der Dänen zog. Jüten sperrten ihren Weg,

spürten gleich die Wut der Tiger. Thorwald fiel der Axt zum Opfer;

Wulfheres Hand hat sie geführt.

Weiter ging's zu Kaldjorns Ufer,

wo Thorleif mit unzähl'gen Mannen die schöne Maid gefangenhielt.

Ho-ho! rief Hordis Sohn. Nie wieder sollst du deine Heimat sehn.

Helene weinte bitt're Tränen.

Kaldjorn spürt den Kiel des Drachen,

die Tiger stürmten wild hervor. Wulfhere stürzt sich ins Getümmel -

ein Nordmann nach dem ändern fällt. Thorleif s Schädel ward

gespalten; Wulfheres Axt hat dies getan.

Krähen und Pikten sind nun Herrn des Ufers,

Nordmänner liegen im blutigen Sand. Der Wikinger Schiff ohne

Gold kehrt wieder, aber das Mädchen ist an Bord.

Der Briten König mag bald grüßen Helene und –

die Tiger der See."

background image

54

„Bei Thor, Donal!" rief Wulfhere rauh, und in seinen großen

Augen standen Tränen. „Das ist ein Lied für die Götter! Sing es
noch einmal - aye, und vergiß diesmal nicht, wie ich Thorleifs Hieb
abwehrte und ihm mit der Axt die Rüstung zerfetzte. Was meinst
du, Cormac - ist es nicht ein prächtiges Lied ?"

Cormac blickte sinnend zum Ufer zurück, wo die Flammen des

Skalli rötlich durch den Nebel glühten.

„Aye, es ist ein gutes Lied; das will ich nicht leugnen. Doch

bereits jetzt unterscheidet es sich in manchem von den Dingen, die
ich gesehen habe; und ich bin sicher, der Unterschied wird mit
jedem Mal des Singens wachsen. Nun, so sei es - es macht wenig
aus. Die Welt selbst wandelt sich und wird zu Nebel wie die Saiten
der Harfe eines Barden, und vielleicht sind die Träume, die wir
formen, beständiger als die Taten von Königen und Göttern."
























background image

55

Die Nacht der Schwerter



„Skoal!" Das rauchgeschwärzte Gebälk bebte, als der

vielstimmige Ruf aus rauhen Kehlen ertönte. Trink hörner krachten
aneinander, und Schwertgriffe dröhnten gegen den Eichentisch.
Messer säbelten an großen Fleischbrocken, und zwischen den
Beinen der Feiernden kämpften graue, zottige Wolfshunde um die
Reste.

Am Kopfende des Tisches saß Rognor, der Rote, die Geißel des

Westmeers. Der riesige Wikinger strich sich nachdenklich über den
roten Bart, während er mit seinen arroganten Augen das übliche
Geschehen in der Halle betrachtete. Hundert Krieger zechten darin,
von gelbhaarigen Frauen und zitternden Sklaven bedient.
Beutestücke aus den Südländern waren überall wahllos verstreut:
kostbare Wandteppiche und Stoffe, Ballen von Seide, Gewürze,
Tische und Bänke aus feinstem Mahagoni, seltsam geformte Waffen
und ausgesuchte Kunstgegenstände neben Jagdtrophäen - Hörner
und Köpfe von den Tieren des Waldes. Solcherart bewies der
Wikinger seine Herrschaft über Mensch und Tier.

Die nördlichen Völker waren trunken von Sieg und Eroberung.

Rom war gefallen; Franken, Goten, Sachsen und Wandalen hatten
die kostbarsten Besitztümer der Welt geraubt. Und nun wurden
diese Rassen selbst von wilderen Völkern bedroht, die sie aus den
blauen Nebeln des Nordens angriffen. Die Franken, die sich bereits
in Gallien niedergelassen hatten und Anzeichen der Latinisierung
zeigten, litten unter den Langschiffen der Nordmänner, die ihre
Flüsse hinauffuhren. Die Goten weiter im Süden verspürten die Last
ihrer herandrängenden Vettern, und die Sachsen, die die Briten nach
Westen trieben, wurden von hinten von noch erbitterteren Feinden
überfallen. Im Osten, Westen und Süden durchstreiften
Drachenschiffe der Wikinger die Meere bis zu den Enden der Welt.

Die Nordmänner hatten bereits begonnen, sich auf den Hebriden

und den Orkneys anzusiedeln, obwohl es sich zunächst meist nur
um Piratenschlupfwinkel und um keine richtige Kolonisation
handelte. Und der Stützpunkt Rognors, des Roten, waren diese
Inseln, die die Scoten Ladbhan, die Pikten Golmara und die
Nordmänner Valgaard nannten. Sein Wort war Gesetz - das einzige
Gesetz, das die wilde Horde anerkannte.

background image

56

Die Blicke des Seekönigs schweiften um den Tisch, und er

nickte zufrieden. Kein Pirat, der diese Meere befuhr, konnte sich
einer wilderen Gefolgschaft rühmen als der seinen, die aus
Nordmännern und Jüten mit gelben Barten und hellen, blitzenden
Augen bestand. Selbst jetzt, beim Zechen, waren sie vollständig
bewaffnet und gerüstet; nur die gehörnten Helme hatten sie
abgelegt. Wild und rauh waren sie, und in ihren Seelen lauerte der
Wahnsinn, jederzeit bereit, offen auszubrechen.

Rognors Blick wandte sich von ihren gewaltigen, nackten

Armen ab, die mit schweren Goldreifen geschmückt waren, und
einem Mann zu, der sich von den anderen unterschied. Er war zwar
ebenfalls groß und kräftig gebaut, doch besaß er gerade
geschnittenes, schwarzes Haar, und sein dunkleres, glattrasiertes
Gesicht stach von den gelben Mähnen und Barten rings um ihn ab.
Seine Augen waren schmale Schlitze und von stahlgrauer Farbe und
verliehen ihm zusammen mit einer Anzahl von Narben im Gesicht
ein eigenartig bedrohliches Aussehen. Er trug keinerlei
Goldschmuck, und seine Rüstung bestand aus einem Kettengeflecht
anstatt aus eisernen Schuppen, wie die der Männer ringsum.

Rognor runzelte unbewußt die Stirn, als er den Mann

betrachtete, aber gerade, als er ihn ansprechen wollte, betrat ein
anderer die riesige Halle und näherte sich dem Kopfende des
Tisches. Der Neuankömmling war ein hochgewachsener junger
Wikinger mit einem gelben Schnurrbart im ansonsten bartlosen
Gesicht. Rognor grüßte ihn.

„Hau, Hakon! Ich habe dich seit gestern nicht gesehen."
„Ich habe in den Hügeln Wölfe gejagt", antwortete der junge

Wikinger und betrachtete den dunkelhäutigen Fremden neugierig.
Rognor folgte seinem Blick.

„Das ist Cormac Mac Art, Anführer einer Seeräuberbande. Sein

Schiff sank letzte Nacht im Sturm, und er allein rettete sich durch
die Brandung ans Ufer. Zeitig in der Morgendämmerung stand er
triefend naß vor dem Tor des Skalli und überredete die Wächter, ihn
zu mir zu bringen, anstatt ihn zu erschlagen, wie sie es vorhatten. Er
bot sich an, sein Recht zu beweisen, mir auf den Raubzügen folgen
zu dürfen, und kämpfte, so müde er auch war, der Reihe nach gegen
meine besten Schwertkämpfer. Er spielte mit Rane, mit Tostig und
Halfgar, als wären sie Kinder, und entwaffnete alle, ohne selbst
auch nur einen Kratzer abzubekommen."

background image

57

Hakon wandte sich an den Fremden und sprach einen höflichen

Gruß aus, den der Gäle mit einem kurzen Neigen seines Kopfes und
freundlichen Worten erwiderte.

„Du sprichst unsere Sprache gut", stellte der junge Wikinger

fest.

„Ich habe viele Freunde unter deinem Volk", antwortete

Cormac. Einen Augenblick lang sah Hakon ihn seltsam an, aber die
unergründlichen Augen des Gälen erwiderten den Blick, ohne zu
verraten, was in seinem Innern vorging.

Hakon wandte sich wieder dem Seekönig zu. Im Westmeer

waren irische Piraten nichts Ungewöhnliches, und auf ihren
Streifzügen gelangten sie manchmal sogar bis Spanien und
Ägypten, obwohl ihre Schiffe weit weniger seetüchtig waren als die
der Wikinger Aber zwischen den beiden Rassen herrschte selten
Freundschaft Wenn ein Ire auf einen Wikinger traf, entbrannte im
allgemeinen eine heftige Schlacht. Sie waren Rivalen im Westmeer.


„Du hast dir eine gute Zeit für dein Kommen ausgesucht,

Cormac", polterte Rognor „Morgen nehme ich mir ein Weib. Beim
Hammer Thors! Frauen habe ich genug gehabt - aus Rom, Spanien
und Ägypten, von den Franken, den Sachsen und den Dänen - möge
Loki sie verfluchen! Aber noch nie zuvor habe ich eine geheiratet
Stets wurde ich ihrer überdrüssig und überließ sie meinen Männern
Diesmal jedoch dachte ich an Söhne, und so holte ich mir eine Frau,
die selbst der Gunst Rognors, des Roten, würdig ist Ho - Osric, Ead-
wig, bringt das britische Weib herbei! Du sollst selbst urteilen,
Cormac "

Cormacs Blick wanderte zu Hakon hinüber Sah man nicht

genauer hm, so wirkte der junge Wikinger uninteressiert, ja fast
gelangweilt Der Gäle aber sah, wie sich die Wangenmuskeln
zusammenzogen und beherrschte Spannung verrieten

Drei Frauen betraten die Festhalle, dicht gefolgt von den beiden

Männern, die Rognor ausgeschickt hatte Zwei der Frauen führten
die dritte vor Rognor und traten dann zurück

„Sieh sie dir an, Cormac", brummte der Wikinger „Ist sie nicht

geeignet, einem König Söhne zu gebären?"

Cormacs Blick wanderte gleichmütig über die Gestalt des

Mädchens, das vor Zorn keuchend vor ihm stand Es war eine junge
Frau - offenbar noch nicht zwanzig Jahre alt Ihr Busen wogte vor

background image

58

Trotz, und ihre Haltung war die einer jungen Königin anstatt einer
Gefangenen. Gekleidet war sie in das grob wirkende Festgewand
der Frauen der Nordleute, aber deren Rasse gehorte sie sichtlich
nicht an Das blonde Haar, die blauen Augen und die schneeweiße
Haut wiesen sie eindeutig als Keltin aus, aber keine der
verweichlichten und latinisierten Stamme des südlichen Britanniens
Ihre Haltung war so stolz und barbarisch wie die der Wikinger

„Sie ist die Tochter eines Häuptlings der Westbriten", sagte

Rognor, „von einem Stamm, der sich nie vor Rom gebeugt hatte
und nun gegen Sachsen und Pikten gleichermaßen kämpft Ein
tapferes Volk! Ich raubte sie von einem Sachsenschiff, dessen
Kapitän sie bei einem Überfall auf das Landesinnere erbeutet hatte
Im gleichen Augenblick, da ich sie sah, wußte ich, das wird die
Mutter meiner Söhne! Ich habe sie nun seit einigen Monaten und
ließ sie unsere Gebrauche und Sprache lernen Sie war eine
Wildkatze, als sie mir in die Hände fiel! Ich gab sie Eadna zur
Obhut, einer wahren Bärin von Weib - aber bei Thors Hammer, die
alte Walküre war ihr fast nicht gewachsen! Sie mußte sie oft übers
Knie legen, um die Wildkatze "

„Bist du fertig mit mir, Pirat?" unterbrach ihn das Madchen

plötzlich trotzig, jedoch mit einem kaum merkbaren verzweifelten
Unterton in der Stimme „So laß mich in meine Kammer
zurückkehren, denn selbst das Hexengesicht Eadnas - so häßlich es
auch ist - gefällt mir besser als dein rotbartiger Schweinskopf!'"

Brüllendes Gelachter erscholl, und Cormac lächelte dünn.
„Es scheint, als wäre ihr Geist nicht gänzlich gezähmt",

bemerkte er trocken.

„Da wäre sie mir nicht mehr wert als ein gebrochener Zweig",

antwortete der Seekönig ungerührt „Eine Frau ohne Feuer ist wie
eine Scheide ohne Schwert Du darfst dich in deine Kammer
begeben, meine Schöne, und dich auf deine Hochzeit vorbereiten
Vielleicht bist du mir geneigter, nachdem du mir drei oder vier
kraftige Söhne geboren hast!"

Die Augen des Mädchens sprühten vor blauem Feuer, aber sie

wandte sich wortlos ab und wollte soeben die Halle verlassen, als
durch den Festlärm plötzlich eine Stimme klang

„Halt!"
Cormacs Augen verengten sich beim Anblick einer grotesken

und abstoßenden Gestalt, die durch die Halle gehumpelt kam. Es

background image

59

war ein Mensch mit dem Gesicht eines reifen Mannes, aber er war
nicht größer als ein Knabe, und sein Körper war verunstaltet. Er
hatte verkrüppelte Beine, riesige Füße, und eine Schulter saß viel
höher als die andere. Trotz allem vermittelte das Geschöpf den
Eindruck überraschender Kraft. In seinem dunkelhäutigen, bösen
Gesicht glühten große, gelbe Augen.

„Was ist das?" fragte der Gäle. „Ich wußte, ihr Wikinger segelt

weit, aber noch nie habe ich gehört, daß ihr die Pforten der Hölle
besucht. Denn nirgend anderswo kann diese Kreatur geboren sein."

Rognor grinste. „Aye, in der Hölle haben wir ihn auch gefangen,

denn in vieler Hinsicht gleicht Byzanz der Hölle, wo die Griechen
die Körper Neugeborener verstümmeln, um solche Geschöpfe
hervorzubringen, dem Imperator und seinem Hof zur Belustigung.
Was willst du,Anzace?"

„Erhabener Herr", begann der Zwerg mit schriller Stimme,

„morgen nehmt Ihr das Mädchen Tarala zur Frau - ist es nicht so?
Aye! Was aber, mächtiger Herr, wenn sie einen anderen liebt?"

Tarala hatte sich umgedreht und starrte den Zwerg mit

aufgerissenen Augen an, in denen sich Ekel, Zorn, aber auch Furcht
spiegelten.

„Sie liebt einen anderen?" Rognor nahm einen tiefen Schluck

und wischte sich den Bart ab. „Und wenn schon! Nur wenige
Mädchen lieben den Mann, den sie heiraten. Was kümmert mich
ihre Liebe?"

„Ah", höhnte der Zwerg. „Aber würde es Euch kümmern, wenn

ich Euch sage, daß einer Eurer eigenen Männer vergangene Nacht -
aye, und viele Nächte zuvor - durch die Gitter ihres Fensters mit ihr
sprach?"

Ein Trinkbecher krachte auf den Tisch. Schweigen breitete sich

in der Halle aus, und alle Augen wandten sich der Gruppe am
Kopfende des Tisches zu. Hakon erhob sich mit zorngeröteten
Wangen.

„Rognor"— seine Hand hielt bebend den Schwertgriff umklam-

mert, - „wenn du erlaubst, daß diese bösartige Kreatur deine
zukünftige Frau beleidigt, so werde zumindest ich..."

„Er lügt!" rief das Mädchen und errötete vor Scham und Wut.

„Ich ..."

„Schweig!" brüllte Rognor. „Du auch, Hakon. Und was dich

betrifft..." Seine riesige Hand schoß vor und schloß sich wie eine

background image

60

Stahlklammer um den Kittel vor Anzaces Brust. „Sprich, und zwar
rasch. Wenn du lügst, so stirbst du!"

Der Zwerg erbleichte unter seiner dunklen Haut, aber er warf

Hakon einen trotzigen Blick voll reptilartiger Bosheit zu. „Mein
Herr", sagte er, „ich habe viele Nächte gewacht, seitdem ich die
Blicke bemerkte, die das Mädchen mit dem austauschte, der Euch
hintergeht. Letzte Nacht lag ich unter den Bäumen dicht an ihrem
Fenster und hörte ihren Plan, heute nacht zu fliehen. Man will Euch
Eurer schönen Braut berauben, Herr."

Rognor schüttelte den Griechen wie eine Ratte. „Hund!"

donnerte er. „Beweise das, oder du heulst unter dem Blutadler!"

„Ich kann es beweisen", erwiderte der Zwerg sanft. „Letzte

Nacht hatte ich jemanden bei mir - einen, von dem Ihr wißt, daß er
die Wahrheit spricht. Tostig!"

Ein hochgewachsener Krieger mit grausamen Gesichtszügen trat

trotzig vor. Er war einer von jenen, die Cormac im Zweikampf
überwunden hatte.

„Tostig", grinste der Zwerg, „sag unserem Herrn, ob ich die

Wahrheit sprach. Sag ihm, ob du letzte Nacht mit mir im Gebüsch
gelegen bist und gehört hast, wie der Mann, dem er am meisten
vertraut und der sich angeblich auf der Jagd befand, mit dem
gelbhaarigen Weib Ränke schmiedete, den Herrn zu verraten und
heute nacht zu fliehen."

„Er spricht die Wahrheit", bestätigte der Nordmann finster.
„Odin, Thor und Loki!" knurrte Rognor, schleuderte den Zwerg

von sich und hieb mit der Faust auf den Tisch. „Und wer ist der
Verräter? Sag es mir, damit ich ihm mit bloßen Händen das Genick
breche!"

„Hakon!" kreischte der Zwerg. Ein bebender Finger stieß in

Richtung des jungen Wikingers, während sich sein Gesicht zu einer
Grimasse unverhohlenen Triumphs verzerrte. „Hakon, Eure rechte
Hand!"

„Aye, es war Hakon", grollte Tostig.
Rognor öffnete den Mund vor Überraschung, und einen

Augenblick lang herrschte in der Halle völlige Stille. Dann fuhr
Hakons Schwert wie ein Blitz aus der Scheide, und er sprang wie
ein Panther auf seine Widersacher zu. Anzace kreischte auf und
wandte sich zur Flucht, während Tostig einen Schritt zurück machte
und Hakons sausenden Hieb parierte. Aber die Gewalt des Angriffs

background image

61

war zu stark: Tostigs Schwert zerbrach unter der Wucht des Hiebes,
der Tostig mit gespaltenem Schädel zu Boden warf. Gleichzeitig
hatte Tarala eine Bank hochgeschwungen und Anzace einen solchen
Schlag versetzt, daß er blutend und betäubt zusammenbrach.

Die ganze Halle geriet in Aufruhr. Die Krieger sprangen auf,

griffen zu ihren Waffen und gierten nach Kampf, konnten sich aber
für keine Partei entschließen. Der Streit war zwischen den beiden
Führern, und ihre Treue und Loyalität schwankte. In Rognors Nähe
jedoch befand sich eine Gruppe von kampferprobten Veteranen, die
keine Zweifel hegten. Ihre Pflicht bestand darin, jederzeit ihren
Anführer zu verteidigen, und das taten sie nun auch. Geschlossen
gingen sie gegen den wütenden Hakon vor, der versuchte, seinem
früheren Kameraden den Kopf abzuschlagen. Der Ausgang eines
Zweikampfs wäre ungewiß gewesen, aber Rognors Vasallen
dachten nicht daran, den Streit ihres Anführers diesen allein
ausfechten zu lassen. Sie umringten Hakon und rissen ihn dank ihrer
Überzahl bald zu Boden, wo sie ihn, der aus mehreren
oberflächlichen Wunden blutete, an Händen und Füßen fesselten.
Ringsum drängten die übrigen Krieger heran, brüllten und fluchten,
und so mancher warf dem Seekönig finstere Blicke zu und murrte.
Rognor aber schob sein Schwert in die Scheide, mit dem er sich der
wilden Hiebe Hakons erwehrt hatte, schlug auf den Tisch und
brüllte um Ruhe, worauf die Aufrührer sich mürrisch beruhigten.

Anzace erhob sich mit glasigen Augen und hielt sich den Kopf.

Eine der Frauen hatte Tarala die Bank entrissen und hielt nun das
wild um sich schlagende Mädchen wie ein Kind unter einem Arm.
In der ganzen Halle schien nur eine einzige Person von dem Tumult
unberührt geblieben zu sein: Der gälische Pirat war sitzen geblieben
und nippte mit einem zynischen Lächeln an seinem Becher.

„Du wolltest mich verraten, was?" brüllte Rognor und versetzte

seinem ehemaligen Unterführer einen wilden Tritt. „Du, dem ich
vertraute, den ich zu Ehren kommen ließ ..." Dem zürnenden
Seekönig fehlten die Worte, und er begann wieder zu treten,
während Tarala protestierend schrie:

„Schwein! Dieb! Feigling! Wäre er frei, so würdest du es nicht

wagen!"

„Schweig!" brüllte Rognor.
„Ich werde nicht schweigen!" zeterte sie und versuchte

vergeblich, sich aus dem Griff der bärenstarken Frau zu befreien.

background image

62

„Ich liebe ihn! Du bist hart und grausam, er ist freundlich. Er ist
tapfer und höflich und der einzige von euch allen, der mich in
meiner Gefangenschaft anständig behandelt hat. Ich heirate ihn oder
keinen anderen ..."

Mit einem Aufschrei holte Rognor mit der Faust aus, aber ehe er

sie in das trotzige, schöne Gesicht schlagen konnte, erhob sich
Cormac und packte ihn am Handgelenk. Rognor grunzte
unwillkürlich; die Finger des Gälen waren wie Stahl. Einige
Augenblicke lang starrten die flammenden Augen des Nordmanns
in die kalten Cormacs, und keiner wandte den Blick.

„Du kannst keine tote Frau heiraten, Rognor", sagte Cormac

kühl. Er ließ das Handgelenk des anderen fahren und setzte sich
wieder.

Der Seekönig grollte etwas in seinen Bart und rief dann seinen

Leibwächtern zu: „Packt diesen jungen Hund und kettet ihn in der
Zelle an. Morgen soll er zusehen, wie ich das Weib heirate; und
danach soll sie dabei zusehen, wie ich ihm mit meinen eigenen
Händen den Blutadler in den Rücken schneide."

Zwei gewaltige Männer hoben den gefesselten und fluchenden

Hakon hoch, der plötzlich verstummte, als sein Blick auf das
Gesicht Cormac Mac Arts fiel. Der Gäle erwiderte den Blick, und
Hakon spie ein einziges Wort hervor-.„Wolf!"

Cormac fuhr nicht zusammen. Nicht einmal das Zucken eines

Augenlids verriet seine Überraschung. Sein unergründlicher Blick
veränderte sich nicht im geringsten, als Hakon aus der Halle
getragen wurde.

„Und das Weib, Herr?" fragte die Frau, die Tarala hielt. „Soll

ich sie nicht entkleiden und ihr Prügel verabreichen?"

„Bereite sie für die Hochzeit vor", grollte Rognor mit einer

ungeduldigen Handbewegung. „Befreit mich von ihrem Anblick,
bevor ich die Beherrschung verliere und ihr den weißen Hals
umdrehe!"


In einer Nische der Zelle flackerte eine Fackel und warf ihren

Schein über Wände und Decke, die aus fest aneinander gefügten
Holzbalken bestanden. Der Wikinger Hakon war in der Ecke
angekettet, die der Tür gegenüber lag, dicht unterhalb des kleinen,
vergitterten Fensters. Er veränderte seine Stellung und fluchte.
Weder die Ketten noch die Wunden bereiteten ihm Unbehagen. Die

background image

63

Wunden waren leicht und hatten bereits zu heilen begonnen, und
außerdem ertrugen die Nordmänner selbst die ärgsten körperlichen
Leiden mit erstaunlichem Gleichmut. Es war auch nicht der
Gedanke an den Tod, der ihn fluchen ließ, sondern der Gedanke,
daß Rognor Tarala gegen ihren Willen heiraten und er, Hakon,
nichts dagegen würde tun können.

Er erstarrte, als er draußen leise Schritte hörte. Dann vernahm er

eine Stimme, die mit leichtem Akzent sagte: „Rognor wünscht, daß
ich mit dem Gefangenen spreche."

„Wie soll ich wissen, daß du die Wahrheit sagst?" brummte der

Wächter.

„Geh und frage Rognor. Ich werde einstweilen Wache halten.

Wenn er dir die Haut vom Rücken zieht, weil du ihn gestört hast, so
gib nicht mir die Schuld."

„So geh hinein, im Namen Lokis", knurrte der Wächter. „Aber

halte dich nicht zu lange auf."

Der Riegel wurde geöffnet, und die Tür schwang auf und gab

den Blick auf eine hochgewachsene Gestalt frei. Dann wurde sie
wieder verschlossen. Cormac Mac Art sah auf den liegenden
Gefangenen hinab. Der Gäle war vollständig bewaffnet und trug auf
dem Kopf einen Helm mit einem Pferdeschweif, was ihn
übernatürlich groß erscheinen ließ. Das täuschende Licht machte
seine Haut noch dunkler und betonte sein unheimliches Aussehen.
Der Gäle glich fast einem Dämon, der aus einem finsteren Winkel
der Hölle gekommen war, um den Gefangenen zu plagen.

„Ich dachte, daß du kommen würdest", sagte Hakon und setzte

sich auf. „Aber sprich leise, sonst hört uns der Wächter draußen."

„Ich wollte wissen, wo du meine Sprache gelernt hast", sagte der

Gäle.

„Du lügst", erwiderte Hakon erheitert. „Du kamst, weil du nicht

willst, daß ich dich an Rognor verrate. Als ich den Namen
aussprach, den dir die Leute deines Volkes gegeben haben, wußtest
du, daß ich dich erkannt hatte; denn er bedeutet ,Wolf, und du bist
nicht nur Cormac Mac Art aus Erin, sondern Cormac, der Wolf, ein
Pirat und die rechte Hand Wulfheres, des Dänen, Rognors größtem
Feind. Was du hier tust, weiß ich nicht, wohl aber, daß die
Anwesenheit von Wulfheres engstem Kameraden nichts Gutes für
Rognor bedeuten kann. Ich brauche dem Wächter nur ein Wort zu
sagen, und dein Schicksal ist ebenso besiegelt wie das meine."

background image

64

Cormac blickte auf den Jüngling hinab und schwieg einige Zeit.
„Ich könnte dir den Hals durchschneiden, ehe du zu rufen

vermagst", sagte er dann.

„Vielleicht", stimmte Hakon zu, „aber das tust du nicht. Es ist

nicht deine Art, einen wehrlosen Mann zu töten."

Cormac grinste. „Stimmt. Was willst du von mir?"
„Mein Leben für deines. Befreie mich, und ich bewahre dein

Geheimnis bis Ragnarök."

Cormac setzte sich auf einen Schemel und dachte nach.
„Was hast du vor?"
„Befreie mich und verschaffe mir ein Schwert. Ich entführe

Tarala, und wir fliehen in die Hügel. Gelingt dies nicht, so nehme
ich Rognor mit mir nach Walhalla."

„Und wenn ihr die Hügel erreicht?"
„Dort warten fünfzehn meiner ergebensten Männer -zumeist

Jüten, die Rognor nicht lieben. Auf der anderen Seite der Insel
haben wir ein Langboot versteckt. Damit kommen wir zu einer
anderen Insel, wo wir uns vor Rognor verbergen, bis wir genug
Männer gesammelt haben. Und dann werde ich Rognors Skalli über
ihm anzünden und ihm seine Tritte heimzahlen."

Cormac nickte. In jenen Tagen des Piratentums war ein solches

Geschehen nicht selten.

„Aber erst mußt du aus dieser Zelle entkommen."
„Das ist deine Aufgabe", erwiderte der Jüngling.
„Warte", sagte der Gäle. „Du sagst, du hast fünfzehn Freunde im

Wald..."

„Aye. Unter dem Vorwand einer Wolfsjagd begaben wir uns

gestern in die Hügel. An einer bestimmten Stelle verließ ich sie,
huschte zurück und besprach mich mit Tarala. Ich wollte den Tag
im Skalli verbringen, abends auf der Suche nach meinen Freunden
ausreiten, jedoch heimlich zurückkehren und Tarala entführen. Ich
rechnete nicht mit Anzace, dem gemeinen Byzantiner, dessen böses
Herz ich den Krähen ..."

„Genug", schnappte Cormac. „Hast du Freunde unter den

Männern im Lager? Ich glaube, einigen Unmut über deine
Behandlung festgestellt zu haben."

„Ich besitze einige Freunde und halbe Freunde", antwortete

Hakon. „Aber sie sind nicht zuverlässig. Die meisten Männer sind
wie dumme Tiere und neigen dem zu folgen, der ihnen am stärksten

background image

65

erscheint. Ist erst Rognor mit seinen Leibwächtern tot, so schwören
mir die übrigen die Treue."

„Das genügt." Cormacs Augen glitzerten, als er einen Plan

formte. „Nun hör zu: Ich habe Rognor die Wahrheit gesagt, als ich
ihm erzählte, mein Schiff wäre letzte Nacht an den Felsen
zerschellt, aber ich log, als ich behauptete, ich wäre der einzige
Überlebende. Gut verborgen jenseits der Südspitze, wo sich eine
Sandbank ins Meer erstreckt, befindet sich Wulfhere mit gut fünfzig
Kriegern. Als wir uns durch die tobende Brandung gekämpft hatten
und feststellten, daß uns neben dem Schiff noch die halbe
Mannschaft abhanden gekommen war - und das auf Rognors Insel! -
, da beratschlagten wir und beschlossen, daß ich mich, der mich
Rognor nicht kennt, zu seinem Skalli begeben, sein Vertrauen
gewinnen und bei günstiger Gelegenheit ein Schiff stehlen sollte.
Denn das ist es, was wir wollen. Ich will mit dir einen Pakt
eingehen: Wenn ich dir zur Flucht verhelfe, wirst du dann deine
Männer mit meinen und Wulfheres vereinigen und uns helfen,
Rognor zu stürzen? Und wirst du uns danach ein Schiff geben?
Mehr verlangen wir nicht. Rognors Schätze, Männer und restlichen
Schiffe sollen dir gehören. Mit einem guten Langschiff unter den
Füßen werden Wulfhere und ich bald wieder genug Beute gemacht
und eine neue Mannschaft zusammengebracht haben."

„Einverstanden", stimmte Hakon zu. „Hilf mir, und ich helfe dir.

Hilf mir, Herr der Insel zu werden, und du kannst dir eines der
Langschiffe aussuchen."

„Das genügt mir. Nun hör zu: Wird der Wächter heute noch

abgelöst?" „Das glaube ich kaum." „Glaubst du, daß er bestochen
werden kann?"

„Er nicht. Er ist einer von Rognors ausgesuchten Männern."
„Nun, dann muß es eben anders gehen. Wenn wir ihn

unschädlich machen, wird deine Flucht kaum vor morgen entdeckt
werden. Warte!"

Der Gäle trat an die Tür und sprach zu dem Wächter:
„Was fällt dir ein, dem Gefangenen einen Fluchtweg zu lassen?"
„Was willst du damit sagen?" Der Bart des Wikingers sträubte

sich.

„Jemand hat das Gitter vom Fenster weggerissen."
„Du bist verrückt!" knurrte der Wächter und betrat die Zelle. Er

hob den Kopf, um das Fenster zu untersuchen, und als sich sein

background image

66

Kinn in der richtigen Lage befand, krachte Cormacs Faust dagegen.
Der Mann brach wie ein gefällter Ochse bewußtlos zu Boden.

Der Schlüssel zu Hakons Kette befand sich am Gürtel des

Wächters. Kurz darauf war der junge Wikinger von seinen Fesseln
befreit und erhob sich. Cormac knebelte und band den bewußtlosen
Krieger, dessen Schwert er Hakon überreichte, der es begierig an
sich nahm. Keiner sprach ein Wort, als die beiden aus der Zelle und
in den Schatten des Waldes huschten. Dort hielt Cormac an und
studierte die Umgebung. Es stand kein Mond am Himmel, doch
genügte ihm das Licht der Sterne.

Das Skalli, ein langgestrecktes Gebäude aus behauenen

Baumstämmen, war der Bucht zugewandt, wo Rognors Langschiffe
vor Anker lagen. Ungefähr im Halbkreis um das Hauptgebäude
waren die Vorratshütten, die Häuser der Männer und die Ställe
angeordnet. Das nächste Gebäude war etwa hundert Meter vom
Skalli entfernt - am weitesten abgelegen war die Hütte, aus der
Cormac Hakon befreit hatte. Von drei Seiten kam der Wald dicht an
das Lager heran, und einige der Vorratshütten lagen sogar im
Schatten der Bäume. Kein Wall oder Graben umgab Rognors
Schlupfwinkel. Er war Herr der Insel und fürchtete keinen Angriff
von der Landseite. Außerdem war die Niederlassung nicht als
Befestigung, sondern nur als Lager gedacht, von dem aus er seine
Raubzüge unternahm.

Während Cormac sich die Lage der Gebäude einprägte,

vernahmen seine scharfen Ohren leise Schritte. Er strengte seine
Augen an und bemerkte eine Bewegung zwischen den dicken
Bäumen. Er winkte Hakon und schlich leise mit dem Messer in der
Hand vorwärts. Die düsteren Schatten verbargen fast alles, aber
Cormacs tierhafte Instinkte verrieten ihm, daß ganz in der Nähe
jemand oder etwas durch die Finsternis glitt. In einiger Entfernung
brach ein dünner Zweig, und einen Augenblick später sah er, wie
sich eine undeutliche Gestalt aus der Schwärze der Bäume löste und
rasch auf das Skalli zuhuschte. Selbst im vagen Licht der Sterne
erschien die Gestalt gespenstisch und abnormal.

„Anzace!" zischte Hakon aufgeregt. „Er verbarg sich zwischen

den Bäumen und beobachtete die Zelle! Halt ihn auf - rasch!"

Cormac packte ihn am Arm und hinderte ihn an einer sinnlosen

Verfolgung.

„Ruhig!" zischte der Gäle. „Er weiß, daß du frei bist, doch

background image

67

vielleicht weiß er nicht, daß wir es wissen. Noch haben wir Zeit, ehe
er Rognor erreicht."

„Aber Tarala!" rief Hakon wild. „Ich lasse sie nicht allein

zurück. Geh, wenn du willst; ich stehle sie jetzt oder sterbe!"

Cormac warf einen raschen Blick zum Skalli. Anzace war um

die Ecke verschwunden. Offenbar strebte er dem Vordereingang zu.

„Führ mich zur Kammer des Mädchens", grollte Cormac. „Wir

haben zwar kaum eine Chance, aber Rognor schneidet ihr vielleicht
die Kehle durch, wenn er erfährt, daß wir geflohen sind."

Die beiden traten aus den Schatten hervor und rannten über die

Lichtung zum Skalli. Der junge Nordmann führte sie zu einem
vergitterten Fenster in der Nähe der Stirnwand der großen Festhalle.
Dort duckte er sich in den Schatten des Gebäudes und schlug leise
dreimal an die Gitterstäbe. Fast augenblicklich erschien Taralas
weißes Gesicht in der Öffnung.

„Hakon!" flüsterte sie leidenschaftlich. „Sei vorsichtig! Die alte

Eadna befindet sich bei mir in der Kammer. Sie schläft, aber ..."

„Tritt zurück", flüsterte Hakon und hob sein Schwert. „Ich

werde die Stabe in Stucke hauen ..."

„Das Klirren des Metalls wird jeden Mann auf der Insel

wecken", wandte Cormac ein. „Wir haben einige Minuten Zeit,
während Anzace Rognor seine Geschichte erzahlt. Wir wollen sie
nützen."

„Aber wie sonst...?"
„Geh zur Seite", grollte der Gäle, packte je einen Gitterstab mit

den Händen und stemmte sich mit den Fußen und den Knien gegen
die Wand. Hakons Augen weiteten sich, als er sah, wie Cormac den
Rücken krümmte und seine ganze Kraft sammelte und einsetzte. Die
großen Muskeln der Arme, Schultern und Beine zogen sich
zusammen, die Adern auf der Stirn des Gälen traten hervor, und
dann gaben die Stäbe vor den erstaunten Augen des Wikingers
nach, bogen sich und wurden buchstäblich aus der Befestigung
gerissen. Ein dumpfes, krachendes Geräusch war die Folge, und in
der Kammer rührte sich jemand mit einem erschreckten Ausruf.

„Rasch, durch das Fenster!" schnappte Cormac, unberührt von

der übermenschlichen Anstrengung.

Tarala schwang ein Bein über das zersplitterte Fensterbrett, als

hinter ihr ein zorniger Ruf ertonte und grobe Hände sie an den
Schultern packten. Tarala wandte sich um und schlug zu. Die Hände

background image

68

ließen los, und man vernahm das Geräusch eines fallenden Korpers.
Im nächsten Augenblick war das Madchen durch das Fenster
hindurch und in den Armen ihres Geliebten.

„So!" keuchte sie atemlos und warf den schweren Weinbecher

beiseite, mit dem sie die Alte betäubt hatte. „Damit habe ich Eadna
wenigstens einige der Prügel heimgezahlt, die sie mir verabreicht
hat!"

„Beeilt euch!" schnappte Cormac und drängte das Paar zum

Wald hin. „Jeden Augenblick ist hier der Teufel los..."

Da wurden bereits Fackeln entzündet, und Rognors

Bullenstimme erdröhnte. Im Schatten der Bäume hielt Cormac kurz
an.

„Wie lange brauchst du, um deine Manner zu erreichen und mit

ihnen hierher zurückzukehren?"

„Hierher?"
„Ja."
„Höchstens eine und eine halbe Stunde."
„Gut!" schnappte der Gäle. „Verbirg deine Männer auf jener

Seite der Lichtung und warte, bis du dieses Signal hörst", und
vorsichtig ahmte er dreimal den Ruf eines Nachtvogels nach.

„Wenn du das hörst, komm allein zu mir. Und sieh zu, daß du

nicht Rognor und seinen Leuten in die Hände fällst."

„Aber er wartet sicher auf den Morgen, bevor er die Insel

durchsucht."

Cormac lachte kurz auf. „Nicht, wie ich ihn kenne. Er wird noch

in der Nacht die Wälder durchstreifen. Aber wir haben bereits
genug Zeit verloren. Sieh, schon strömen Krieger aus den Hütten.
Bring deine Jüten, so rasch du kannst. Ich suche Wulfhere."

Cormac wartete, bis das Mädchen und ihr Geliebter in den

Schatten verschwunden waren, dann wandte er sich ab und rannte
so leicht und lautlos wie das Tier, dessen Namen er trug.

Hinter sich vernahm er Rufe, das Klirren von Waffen und eine

blutdurstige Stimme, die lauter als alle anderen zeterte und fluchte.
Offenbar hatte Rognor entdeckt, daß beide Vogel ausgeflogen
waren. Die Geräusche wurden schwächer, als er seinen Vorsprung
ausbaute, und bald vernahm der Gäle das Platschern von Wellen
gegen einen Sandstrand. Als er sich dem Versteck der Dänen
näherte, wurde er langsamer und vorsichtiger. Seine Freunde sahen
in der Dunkelheit nicht so gut wie er, und er hatte keine Lust, einen

background image

69

Pfeil verpaßt zu bekommen, der für einen Feind gedacht war.


Er blieb stehen und stieß den Lockruf des Wolfes aus. Fast

augenblicklich kam die Antwort, und er schritt beruhigter weiter.
Bald darauf erhob sich eine riesige Gestalt in der Dunkelheit vor
ihm und begrüßte ihn.

„Cormac! Bei Thor, wir dachten schon, deine List würde nicht

gelingen..."

„Pah, sie sind Dummköpfe", antwortete der Gäle. „Aber ich

weiß nicht, ob meinem Plan Erfolg beschieden sein wird. Wir sind
nur etwa siebzig gegen ihre dreihundert."

„Siebzig? Wieso ..."
„Wir haben jetzt Verbündete. Kennst du Hakon, Rognors

Unterführer?"

„Aye."
„Er hat sich gegen ihn gestellt und greift ihn mit fünfzehn Jüten

an - das heißt, er wird es bald tun. Komm, Wulfhere, sammle deine
Krieger. Wir würfeln wieder mit dem Schicksal. Verlieren wir, so
ist uns ein ehrenvoller Tod beschieden; gewinnen wir, so
bekommen wir ein gutes Langschiff und du - deine Rache!"

„Rache!" murmelte Wulfhere leise. Seine wilden Augen

glitzerten im Sternenlicht, und seine riesige Hand umklammerte den
Stiel seiner Streitaxt. Der Däne war ein rotbärtiger Gigant - so groß
wie Cormac, aber breiter gebaut. Sein gehörnter Helm verstärkte
noch den barbarischen Eindruck seiner Erscheinung.

„Heraus aus den Gruben, Wölfe!" rief er in die Finsternis hinter

sich. „Heraus! Kein Verstecken mehr für Wulfheres Krieger. Wir
gehen, um die Krähen zu füttern! Osric, Halfgar, Edric, Athelgard,
Aslaf - auf ihr Wölfe, das Fest beginnt!"

Als wären sie aus der Nacht und den Schatten der düsteren

Bäume geboren, nahmen die Krieger schweigend Gestalt an. Es
wurde wenig gesprochen, und die einzigen Geräusche waren das
gelegentliche Klirren einer Kette oder das Schaben einer
Schwertscheide. Im Gänsemarsch folgten sie ihren Anführern, und
als Cormac zurückblickte, sah er nur eine sich windende Linie
undeutlicher Gestalten, Schatten unter Schatten, mit Hörnern an den
Köpfen. Seinem phantasievollen, keltischen Geist erschien es, als
führte er eine Schar von gehörnten Dämonen durch den
mitternächtlichen Wald.

background image

70

Auf einer niedrigen Anhöhe blieb Cormac so abrupt stehen, daß

der ihm folgende Wulfhere in ihn hineinrannte. Die stählernen
Finger des Gälen schlossen sich um den Arm des Wikingers und
ließ diesen seine Fragen schlucken. Vor ihnen ertönte plötzlich
Gemurmel und das Klirren von Waffen, und Lichter schienen durch
die Bäume.

„Niederlegen!" zischte Cormac, und Wulfhere gehorchte und

gab den Befehl nach hinten weiter. Einer nach dem anderen ließ
sich fallen und verhielt sich still. Die Geräusche wurden rasch lauter
— das Trampeln vieler Füße. Bald darauf kam eine Horde von
Männern in Sicht, die Fackeln hierhin und dorthin schwenkten, um
die Finsternis des Waldes zu erleuchten, wodurch die drohenden
Schatten jedoch noch schwärzer wurden. Sie folgten einem
schmalen Pfad, der quer zu Cormacs Marschrichtung verlief. Allen
voran schritt Rognor mit wutverzerrtem Gesicht und rollenden
Augen. Er nagte an seinem Bart, und das Schwert zitterte in seiner
Hand. Dicht hinter ihm kamen seine Leibwächter mit unbewegten
Gesichtern, und danach der Rest der Männer in kleinen Gruppen.

Beim Anblick seines Feindes bebte Wulfhere wie unter einem

Fieberschauer. Unter Cormacs Griff schwollen seine gewaltigen
Muskeln.

„Ein Pfeilhagel, Cormac", drängte er mühsam beherrscht, und

Haß schwang in seiner Stimme. „Wir jagen eine Salve unter sie und
springen mit blanken Klingen nach..."

„Nein, nicht jetzt", zischte der Gäle. „Rognor hat fast

dreihundert Mann bei sich. Er spielt uns in die Hände, und wir
dürfen die Chance nicht wegwerfen, die uns die Götter gegeben
haben! Bleib liegen und laß sie vorbeiziehen!"


Nicht ein Geräusch verriet die Anwesenheit der fünfzig Dänen,

die wie Racheengel auf der Anhöhe lagen. Die Nordmänner
marschierten im rechten Winkel unten vorbei und verschwanden im
Wald, ohne etwas von den Männern zu ahnen, die sie mit
brennenden Augen beobachteten. Cormac nickte grimmig. Er hatte
recht behalten mit seiner Annahme, daß Rognor nicht den Tag
abwarten würde, um die Insel nach dem Mädchen und ihrem
Entführer abzusuchen. Hier im Wald, wo sich fünfzig Männer den
Blicken der Suchenden entziehen konnten, konnte Rognor kaum
hoffen, die Flüchtigen zu finden. Aber die Wut, die in ihm brannte,

background image

71

erlaubte es ihm nicht zu warten. Ein Wikinger saß nicht tatenlos
herum, wenn er einmal vom Zorn gepackt war, selbst wenn ein
Handeln keinen Sinn hatte. Cormac kannte diese sonderbaren
Männer besser als sie sich selbst.

Erst nachdem das Waffengeklirr in der Ferne verstummt war

und die Fackeln wie Leuchtkäfer nur hin und wieder zwischen den
Bäumen glühten, gab Cormac den Befehl für den Weitermarsch. In
größerer Eile setzten sie ihren Weg fort, bis sie wiederum Lichter
vor sich sahen. Unter den hohen Bäumen am Rande der Lichtung
duckten sie sich und sahen auf das Lager Rognors, des Roten. Das
Skalli und viele der kleineren Gebäude waren erleuchtet, aber
Krieger waren nur wenige zu sehen. Offenbar hatte Rognor die
meisten auf seine aussichtslose Suche mitgenommen.

„Was jetzt, Cormac?" fragte Wulfhere.
„Hakon müßte hier sein", antwortete Cormac. Als er den Mund

öffnete, um das vereinbarte Signal zu geben, trat ein Knecht um die
Ecke eines Stalles in der Nähe. Er trug eine Fackel in der Hand. Da
sahen die Verborgenen, wie er plötzlich die Richtung änderte und
angespannt zu ihnen herübersah. Irgendeine Bewegung in den
Schatten mußte seine Aufmerksamkeit erregt haben.

„Verdammtes Pech!" zischte Wulfhere. „Er kommt geradewegs

auf uns zu. Edric, greif zum Bogen!"

„Nein", murmelte Cormac. „Töte nie, Wulfhere, wenn es nicht

nötig ist. Warte!"

Der Gäle verschmolz wie ein Phantom mit der Dunkelheit. Der

Knecht näherte sich dem Waldrand und bewegte die Fackel hin und
her. Er war neugierig, aber offenbar nicht mißtrauisch. Nun befand
er sich zwischen den Bäumen, und das Licht seiner Fackel fiel voll
auf Wulfhere, der reglos und schweigend wie eine Statue dastand.

„Rognor!" Das flackernde Licht täuschte; und der Knecht sah

nur einen Riesen. „Schon zurück? Hast du die beiden ge ...?"

Er ließ den Satz in der Luft hängen, als er die roten Bärte und

die fremden Gesichter der Männer erblickte, die hinter Wulfhere
standen. Seine Augen kehrten zu Wulfhere zurück und weiteten sich
in plötzlichem Schreck. Er riß den Mund auf, aber im gleichen
Augenblick schlang sich ein Arm um seine Kehle und erstickte den
Schrei. Wulfhere schlug ihm die Fackel aus der Hand und trat sie
aus. Der Knecht wurde im Finstern entwaffnet und gebunden.

„Sprich leise und beantworte meine Fragen", erklang ein

background image

72

unheilvolles Flüstern an seinem Ohr. „Wieviele Krieger befinden
sich noch im Lager?"

Der Knecht hielt sich tapfer in offenem Kampf, aber die

Plötzlichkeit des Überfalls hatte ihn erschreckt, und hier in der
Dunkelheit, umgeben von seinen Erbfeinden und mit dem
dämonischen Gälen an seiner Schulter, wurde das Blut des
Nordmanns zu Eis.

„Dreißig Mann", antwortete er.
„Wo befinden sie sich?"
„Die Hälfte im Skalli, die übrigen in den Hütten."
„Das genügt", knurrte der Gäle. „Knebelt ihn und bringt ihn mit.

Doch nun wartet auf meine Rückkehr von Hakon."

Er stieß den Ruf eines schläfrigen Vogels aus und wiederholte

ihn zweimal. Kurz darauf kam die Antwort von der anderen Seite
der Lichtung her.

„Bleibt hier", befahl der Gäle und verschwand wie ein Schatten

aus der Sicht Wulfheres und seiner Dänen.

Vorsichtig schlich er um die Lichtung herum, wobei er sich stets

zwischen den Bäumen hielt. Nach einiger Zeit vernahm er leise
Geräusche vor sich, die ihm die Anwesenheit einer Gruppe von
Menschen verrieten. Er ließ wieder das Signal ertönen und hörte
Hakon eine Warnung zischen. Hinter dem jungen Wikinger machte
der Gäle die undeutlichen Gestalten seiner Krieger aus.

„Bei den Göttern", murmelte Cormac ungehalten, „ihr macht

genug Lärm, um selbst Cäsar zu erwecken. Die Knechte hätten
sicher nachgesehen, wenn sie euch nicht für eine Herde von
Wisenten gehalten hätten. Wer ist das?"

An Hakons Seite stand eine schlanke Gestalt in eine Rüstung

gekleidet und mit einem Schwert bewaffnet, aber sie wirkte winzig
zwischen den riesigen Kriegern.

,Tarala", antwortete Hakon. „Sie wollte sich nicht in den Hügeln

verborgen halten, und daher habe ich einen passenden Brustpanzer
für sie gefunden und ..."

Cormac fluchte. Dann sagte er: „Na schön. Aber nun hör mir

genau zu. Siehst du die Hütte dort, in der du gefangen lagst? Wir
werden sie anzünden."

„Was sagst du?" rief Hakon. „Das Feuer wird Rognor

anlocken!"

„Das ist genau mein Plan. Wenn die Knechte angerannt

background image

73

kommen, greift ihr sie vom Wald heraus an. Tötet so viele ihr
könnt, aber in dem Augenblick, da sie sich formieren und gegen
euch vorgehen, zieht euch zum Stall zurück. Wenn ihr es geschickt
anfangt, verliert ihr dabei nicht einen Mann. Seid ihr erst einmal im
Stall, so verriegelt die Türen und verschanzt euch darin. Sie werden
ihn wegen der vielen edlen Pferde darin nicht anzünden, und du
kannst ihn mit deinen Männern leicht gegen dreißig halten."

„Aber was ist mit dir und deinen Dänen?" protestierte Hakon.

„Sollen wir die Hauptarbeit leisten, während ...?"

Cormacs Hand schoß vor, und seine stählernen Finger krallten

sich in Hakons Schulter.

„Vertraust du mir oder nicht?" grollte er. „Beim Blut der Götter,

sollen wir die Nacht mit Streitgesprächen verbringen? Siehst du
denn nicht ein, daß Wulfheres Angriff eine dreifache Überraschung
bringt, wenn Rognors Männer glauben, es nur mit dir zu tun zu
haben? Sei ohne Sorge - wenn die Zeit gekommen ist, werden
meine Dänen genug Blut trinken."

„Na schön", gab Hakon, von der dynamischen Willenskraft des

Gälen überzeugt, nach. „Aber Tarala mußt du mit dir nehmen ..."

„Niemals!" rief das Mädchen und stampfte mit dem Fuß auf.

„Ich bleibe an deiner Seite, Hakon, solange wir beide leben. Ich bin
die Tochter eines britischen Prinzen und kann ebenso gut mit dem
Schwert umgehen wie jeder deiner Männer!"

„Nun", sagte Cormac und grinste. „Man sieht bereits jetzt, wer

in eurer Familie die Herrschaft ausüben wird. Aber komm - wir
haben keine Zeit zu verlieren. Laß sie zumindest für den
Augenblick bei deinen Männern."

Als sie durch die Schatten huschten, wiederholte Cormac leise

seinen Plan, und bald standen sie an der Stelle, wo der Wald der
Hütte am nächsten kam, die Rognor als Gefängnis diente. Rasch
rannten sie über den freien Platz. Schräg vor der Tür stand ein
großer Baum, und als sie darunter vorüberliefen, schlug etwas
gegen Cormacs Gesicht. Er packte zu und hielt einen Menschenfuß
in der Hand. Überrascht aufblickend, gewahrte er eine undeutliche
Gestalt, die über ihm träge hin und her baumelte.

„Dein Wächter, Hakon!" knurrte er. „Dies war schon immer

Rognors Art. Gerät er in Zorn, so hängt er den Nächstbesten. Eine
üble Gewohnheit - töte niemals, wenn es nicht nötig ist."

Die Balken der Hütte waren trocken und zum Teil noch mit

background image

74

Rinde bedeckt. Einige Funken des Feuersteins reichten aus, und
bald stieg ein dünner Rauchfaden von den Holzspänen empor, die
kurz darauf Feuer fingen.

„Nun zurück zu deinen Männern", murmelte Cormac. „Und

warte, bis die Knechte zwischen den Hütten rennen. Dann schlagt
euch durch und verschanzt euch im Stall."

Hakon nickte und hetzte davon. Nach einigen Minuten befand

sich Cormac bei seinen eigenen Männern, die bereits unruhig
wurden, als sie sahen, wie sich die Flammen die Wand der Hütte
emporfraßen. Plötzlich ertönte ein Schrei vom Skalli her. Männer
strömten aus allen Gebäuden. Einige waren voll bewaffnet und
munter, einige halb bekleidet, als wären sie aus dem Schlaf geweckt
worden. Hinter ihnen wurden die Gesichter der Frauen und Sklaven
sichtbar. Die Männer packten Eimer voll Wasser und rannten auf
die brennende Hütte zu, und bald herrschte das bei allen Bränden
übliche Chaos. Die Männer stießen gegeneinander, brüllten sinnlose
Anweisungen und versuchten vergeblich, die Flammen zu löschen,
die nun das Dach ergriffen hatten und hochauf loderten - deutlich
sichtbar für Rognor, wo immer er sich auch befinden mochte.

Und mitten im Tumult ertönte plötzlich Kampfgeschrei, und

eine Gruppe von Kriegern stieß zwischen die überraschten
Nordmänner. Nach links und rechts hauend, bahnten sich Hakon
und seine Jüten einen Weg durch die verwirrten Männer und ließen
Tote und Sterbende hinter sich.

Wulfhere bebte vor Begierde, und hinter ihm knirschten die

Dänen mit den Zähnen und fieberten wie Jagdhunde an der Leine.

„Jetzt, Cormac?" rief der Anführer der Wikinger. „Schlagen wir

nicht zu? Meine Axt dürstet!"

„Geduld, alter Seewolf", grinste Cormac. „Deine Axt wird schon

noch trinken. Sieh, Hakon und seine Männer haben den Stall
erreicht und die Türen verschlossen."

Und so war es. Die Nordmänner hatten sich von ihrer

Überraschung erholt und wollten sich mit all der Kampfeswut, die
für ihre Rasse charakteristisch war, auf die Angreifer stürzen, aber
ehe sie sie noch gesammelt anfallen konnten, war Hakon mit den
Jüten im Innern des Stalles verschwunden, aus dem das Wiehern
und Stampfen erschreckter Pferde ertönte.

Der Stall, der gebaut war, um ausgehungerten Wölfen und den

Unbilden eines nördlichen Winters standzuhalten, stellte eine

background image

75

natürliche Festung dar, und die Äxte der Nordmänner donnerten
vergebens gegen die schweren Balken. Den einzigen Eingang
bildeten die Fenster. Die Querbalken, die diese schützten, waren
bald genug weggehackt, aber angesichts der drohenden Schwerter
der Verteidiger hindurchzuklettern, war eine andere Sache. Nach
einigen verlustreichen Versuchen zogen sich die Überlebenden
zurück und beratschlagten. Wie Cormac richtig gedacht hatte, kam
ein Anzünden der Pferde wegen nicht in Frage. Auch die Fenster
mit Pfeilen zu beschießen, war keine Lösung. Im Stall herrschte
Dunkelheit, und das Risiko war groß, ein Pferd anstatt einen Mann
zu treffen. Draußen jedoch erhellte die brennende Hütte die ganze
Lichtung. Die Jüten waren zwar keine berühmten Bogenschützen,
aber einige von Hakons Männern besaßen Bogen, die unter den
Nordmännern draußen einigen Schaden anrichteten.

Endlich rief einer der Knechte: „Rognor wird das Feuer gesehen

haben und umkehren. Olaf, lauf ihm entgegen und berichte ihm, daß
Hakon und die Jüten im Stall eingesperrt sind. Wir werden ihn
umringen und sie nicht entkommen lassen, bis Rognor eintrifft.
Dann sehen wir weiter!"

Ein Mann rannte los, und Cormac lachte leise.
„Genau, was ich erhofft habe! Die Götter meinen es heute nacht

gut mit uns, Wulfhere! Doch zurück in die Schatten, bevor das
Feuer uns verrät."

Es folgte eine Zeit des Wartens für alle - für die im Stall

eingeschlossenen Jüten, für die Nordmänner ringsum und für die am
Waldrand verborgenen Dänen. Das Feuer brannte aus, und die
Flammen verloschen in der rauchenden Glut. Im Osten wurde der
Himmel bleich. Wind erhob sich vom Meer her und setzte die
Blätter im Wald in Bewegung. Da wurden die Schritte vieler
Männer, das Klirren von Waffen und zornige Rufe hörbar. Der
entscheidende Augenblick näherte sich. Wenn Rognors Männer die
Lichtung betraten, ohne ihre verborgenen Feinde zu sehen, war alles
gut. Cormac befahl den Dänen, sich flach hinzulegen, und wartete
angespannt.

Wieder drang der Schein von Fackeln zwischen den

Baumstämmen hindurch, und mit einem Seufzer der Erleichterung
stellte Cormac fest, daß Rognor nicht aus derselben Richtung
zurückkehrte, in der er ausgezogen war. Die Horde brach an einer
Stelle aus dem Wald hervor, die Cormac und den Dänen fast genau

background image

76

gegenüberlag.

Rognor brüllte wie ein wilder Stier und schwang sein Schwert

mit beiden Händen.

„Brecht die Türen ein!" schrie er. „Mir nach! Zerschmettert die

Wände!"

Die ganze Horde schwärmte über die Lichtung, Rognor und

seine Veteranen an der Spitze.

Wulfhere sprang auf, und seine Dänen erhoben sich wie ein

Mann hinter ihm. Die Augen des Anführers sprühten vor
Kampfeslust.

„Warte!" Cormac hielt ihn zurück. „Warte, bis sie gegen die

Türen anrennen!"

Rognors Wikinger stürzten geradewegs auf den Stall zu. Wie

Trauben hingen sie an den Fenstern und hieben und stachen auf die
Schwerter ein, die ihnen den Weg ins Innere versperrten. Das
Waffengeklirr war ohrenbetäubend, und erschreckte Pferde
wieherten und schlugen donnernd gegen die Wände, während die
massiven Türen unter dem Anprall von vielen Äxten bebten.

„Jetzt!" Cormac sprang auf, und ein Pfeilhagel zischte über die

Lichtung. Männer fielen reihenweise, und die übrigen wandten sich
verstört nach dem unerwarteten Feind um. Die Dänen konnten mit
dem Bogen ebenso gut umgehen wie mit dem Schwert. In der
Bogenschießkunst übertrafen sie alle Völker des Nordens. Während
sie aus dem Versteck hervorbrachen, feuerten sie im Laufen mit
tödlicher Sicherheit ihre Pfeile ab. Aber die Nordmänner gaben sich
nicht geschlagen. Als sie ihre rotmähnigen Feinde anstürmen sahen,
glaubten sie verwirrt, ein ganzes Heer griffe sie an, doch sie stellten
sich ihnen mit Todesverachtung entgegen.

Nachdem sie ihre letzten Pfeile aus allernächster Nähe

abgeschossen hatten, ließen die Dänen die Bögen fallen und stürzten
sich brüllend mit Schwert und Axt ins Handgemenge.

An Anzahl waren sie weit unterlegen, aber die Pfeile hatten

schreckliche Ernte gehalten. Aber Cormac wußte, daß ihre einzige
Chance in einem raschen Sieg lag. Zog sich der Kampf in die
Länge, so mußte die überlegene Anzahl der Nordmänner gewinnen.
Hakon und die Jüten machten einen Ausfall und griffen ihre
früheren Kameraden seitwärts an. Blutiges Chaos herrschte im
ersten Licht der Morgendämmerung.

Rognor mußte rasch fallen, dachte Cormac, als er automatisch

background image

77

einem Axthieb auswich und den Gegner durchbohrte. Sonst konnte
sein Plan nicht gelingen.

Da sah er, wie Rognor und Wulfhere durch das Getümmel

aufeinander zustrebten. Ein Däne, der den Nordmann wütend
angriff, fiel mit gespaltenem Schädel, und dann stießen die beiden
rotbärtigen Giganten brüllend zusammen. Der aufgestaute Haß
vieler Jahre kam zum Ausbruch, und die gegnerischen Parteien
stellten den Kampf ein, um dem Zweikampf ihrer Anführer
zuzusehen.

An Größe und Stärke waren die beiden gleichwertig. Rognor

schwang ein riesiges Schwert mit beiden Händen, während
Wulfhere eine langstielige Axt und einen schweren Schild trug.
Rognors erster Streich hieb den Schild entzwei. Wulfhere ließ die
Trümmer fallen und hieb eines der Hörner vom Helm des
Nordmanns. Rognor brüllte auf und führte einen gewaltigen Streich
gegen Wulfheres Beine, aber der massige Däne, dem man eine
solche Flinkheit nicht zugetraut hatte, sprang hoch in die Luft und
hieb im Sprung auf Rognors Kopf hinab. Die schwere Axt wurde
vom Eisenhelm abgelenkt, aber Rognor ging dennoch mit einem
Grunzen in die Knie. Der Däne hob die Axt für den nächsten
Streich, doch Rognor war bereits wieder aufgesprungen, und seine
gewaltigen Arme schwangen das Schwert in einem Bogen, der auf
Wulfheres Helm endete. Die riesige Klinge zersprang unter dem
fürchterlichen Aufprall, und Wulfhere taumelte, und Blut rann ihm
in die Augen. Wie ein verwundeter Tiger hieb er mit aller Kraft
seines gigantischen Körpers zurück, und der gewaltige Streich
spaltete Rognors Helm und zerschmetterte seinen Schädel. Beide
Parteien schrien auf, als Rognor tot zu Wulfheres Fußen stürzte -
und im nächsten Augenblick ging der geblendete Riese vor dem
Ansturm von Rognors Leibwächtern zu Boden, die ihren Anfuhrer
zu rächen suchten.

Mit einem Aufschrei sprang Cormac in das Getummel, und sein

Schwert bildete einen tödlichen Schild über Wulfhere, der einige
seiner Angreifer mit sich gerissen hatte und nun mit ihnen auf der
blutigen Erde rang. Die Dänen strömten heran, um ihren Anführern
beizustehen, und um die beiden Gefallenen bildete sich ein
stählerner Mahlstrom. Cormac sah sich Rane gegenüber, einem der
besten Krieger Rognors, wahrend Hakon gegen dessen Freund Half
gar stritt. Cormac lachte; er hatte am Morgen zuvor mit Rane die

background image

78

Klinge gekreuzt und kannte seine Art des Kämpfens. Er parierte
rasch einen Hieb von oben, ließ seinen Körper scheinbar ungedeckt,
zu einem Ausfall einladend, und das Schwert des Gälen durchbohrte
das Herz des Wikingers.

Dann wandte er sich Hakon zu. Der junge Wikinger wurde

schwer bedrangt. Halfgar, ein Riese, der selbst Wulfhere überragte,
hieb in so rascher Folge auf Hakons Schild ein, daß dieser keine
Gelegenheit zu einem Gegenangriff hatte. Ein Treffer drückte ihm
den Helm über die Augen, und für einen Augenblick verlor er den
Kontakt mit der Waffe des Gegners. Er wäre gestorben, aber eine
schlanke Gestalt sprang vor ihn und wehrte den Hieb mit ihrer
eigenen Klinge ab, wobei sie in die Knie ging. Das Schwert des
Giganten fuhr wieder hoch, aber im gleichen Augenblick drang
Cormacs Spitze oberhalb der Rüstung in die Kehle des Bullen.

Dann wirbelte der Gäle herum, als gerade ein Nordmann seine

Axt über dem am Boden liegenden Wulfhere schwang. Cormac zog
die Schwertspitze vor, zeigte jedoch, daß er auch die Schneide
anzuwenden wußte, indem er den Schädel des Nordmannes bis zum
Kinn spaltete. Dann packte er Wulfhere bei den Schultern und zerrte
ihn von den Männern weg, die er zu erdrosseln versuchte, und aus
dem Getummel.

Ein rascher Blick zeigte ihm, daß Rognors Veteranen unter den

Äxten der Dänen gefallen waren und die übrigen Nordmanner nur
zögernd den Kampf wieder aufgenommen hatten, nachdem ihr
Anfuhrer gefallen war. Da geschah das, was er erhofft hatte. Einer
der Nordmanner rief: „Der Wald ist voll von Dänen!" Und die
Männer wurden von Panik gepackt. Schreiend wichen sie zurück
und flohen zum Skalli. Wulfhere schüttelte sich das Blut aus den
Augen, schrie nach seiner Axt und hätte seine Manner den
Fliehenden nachgeschickt, aber Cormac hinderte ihn daran. Seine
Befehle hielten die Dänen zurück. Die Nordmanner hatten sich im
Skalli verschanzt und waren bereit, ihr Leben so teuer wie nur
möglich zu verkaufen.

Auf Cormacs Aufforderung hin rief Hakon ihnen zu: „Ho,

Krieger! Hört ihr mir zu?"

„Wir hören dich, Hakon", antwortete jemand von einem der

vergitterten Fenster her. „Aber komm nicht näher. Vielleicht sind
wir verloren, aber viele werden mit uns sterben, wenn du versuchst,
das Skalli zu stürmen."

background image

79

„Ich habe keinen Streit mit euch", schrie Hakon. „Ich betrachte

euch als Freunde, auch wenn ihr Rognor erlaubt habt, mich zu
binden und zu ketten. Aber das ist vorbei; es sei vergessen. Rognor
ist tot, ebenso wie seine Leibwächter, und ihr habt keinen Anführer.
Der Wald wimmelt von Dänen, die nur auf mein Signal warten.
Doch das Signal gebe ich nicht gern. Sie werden das Skalli
niederbrennen und allen Männern, Frauen und Kindern die Hälse
abschneiden. Nun hört mir zu: Wenn .ihr mich als euren Anführer
anerkennt und mir Treue schwört, so wird euch kein Leid
geschehen."

„Und die Dänen?" kam die Frage. „Warum sollten wir ihnen

trauen?"

„Ihr vertraut mir, oder? Habe ich je mein Wort gebrochen?"
„Nein", gaben sie zu, „du hast dein Wort stets gehalten."
„Gut. Ich schwöre euch, daß die Dänen euch kein Leid zufügen

werden. Ich habe ihnen ein Schiff versprochen, und dieses
Versprechen muß ich halten, damit sie in Frieden abziehen. Aber
wenn ihr mir folgt, so verschaffen wir uns bald ein neues Schiff
oder bauen eines. Und noch etwas: Neben mir steht das Mädchen,
das meine Frau werden soll - die Tochter eines britischen Prinzen.
Sie hat mir die Hilfe ihres Volkes bei allen unseren
Unternehmungen versprochen. Und mit Freunden auf dem
britischen Festland gewinnen wir einen Stützpunkt, von dem aus wir
nach Herzenslust über Angeln und Sachsen herfallen können. Mit
Hilfe von Taralas Briten gründen wir ein Reich in Britannien, wie es
Cerdic, Hengist und Horsa getan haben. Antwortet nun - wollt ihr
mich als euren Anführer?"

Es herrschte Stille, während sich die Nordmänner untereinander

berieten. Dann rief ihr Sprecher: „Wir sind mit allem einverstanden,
Hakon!"

Hakon legte sein blutiges Schwert auf die Erde und schritt mit

leeren Händen auf das Skalli zu. „Und schwört ihr mir Treue beim
Bullen, dem Feuer und dem Schwert?"

Die großen Tore schwangen auf, und bärtige Gesichter kamen

zum Vorschein. „Wir schwören, Hakon; unsere Schwerter stehen zu
deiner Verfügung."

„Und wenn sie herausfinden, daß wir sie überlistet haben,

schneiden sie ihm den Hals durch und unsere auch", brummte
Wulfhere und wischte sich das Blut aus dem Gesicht.

background image

80

Cormac lächelte und schüttelte den Kopf. „Sie haben

geschworen und werden ihr Wort halten. Bist du arg verletzt?"

„Kaum der Rede wert", grollte der Riese. „Ein Schnitt im

Schenkel und ein paar an den Armen und Schultern. Das verdammte
Blut ist schuld daran, das mir in die Augen rann, als Rognors
Schwert meinen Helm durchdrang und die Splitter die Kopfhaut
aufrissen."
„Dein Schädel ist härter als dein Helm, Wulfhere", lachte
Cormac. „Aber wir müssen uns um die Verwundeten kümmern.
Zehn unserer Männer sind tot und fast alle mehr oder weniger
schwer verletzt. Auch einige Jüten sind gefallen. Aber, bei den
Göttern, sieh, wie wir heute gewütet haben!"

Er wies auf die Haufen der reglos daliegenden Nordmänner, die

den Pfeilen oder den Schwertern zum Opfer gefallen waren.

Die Sonne hatte noch nicht den Zenit des klarblauen Himmels

erreicht und schien auf das weiße Segel herab, das sich im Wind
bauschte. An Deck des Langschiffs befand sich eine kleine Gruppe.

Cormac streckte Hakon die Hand entgegen. „Wir hatten Glück

heute nacht. Vor wenigen Stunden warst du ein zum Tode
verurteilter Gefangener, und Wulfhere und ich waren gejagte
Geächtete. Nun bist du Herr von Ladbhan und über eine tapfere
Schar von Wikingern, und Wulfhere und ich haben ein gutes Schiff
unter den Füßen, wenngleich es ziemlich unterbemannt ist. Aber das
wird sich ändern, sobald die Dänen hören, daß Wulfhere und
Cormac Mac Art Männer benötigen.

Und du ..." Er wandte sich an das Mädchen, das in der lose an

ihrem schlanken Körper hängenden Rüstung neben Hakon stand.
„Du bist in der Tat eine Walküre, ein Schildmädchen. Deine Söhne
werden Könige sein."

„Aye, das werden sie", brummte Wulfhere, der Taralas schlanke

Hand in seine riesige Pranke nahm. „Läge mir etwas am Heiraten,
so würde ich Hakon vielleicht den Hals durchschneiden und dich für
mich behalten. Aber der Wind nimmt zu, und ich sehne mich
danach, wieder das Deck unter meinen Füßen schwanken zu spüren.
Glück euch allen!"

Hakon, seine Braut und die sie begleitenden Nordmänner ließen

sich in das Boot hinab, das sie ans Ufer bringen sollte. Auf
Wulfheres Befehl holten die Dänen die Leinen ein, die Ruder
tauchten ins Wasser, und das Segel blähte sich. Die Bootsinsassen

background image

81

und die Leute am Ufer sahen zu, wie sich das Langschiff entfernte.

„Was nun, alter Wolf?" rief Wulfhere und versetzte Cormac

einen Hieb zwischen die Schulterblätter, der ein Pferd gefällt hätte.
„Wohin? Entscheide du!"

„Zunächst zur Insel der Schwerter, um unsere Mannschaft

aufzufüllen", antwortete der Gäle mit leuchtenden Augen. „Dann" -
er sog tief den Seewind in die Lungen -„skoal auf die Seefahrt, und
zu den Enden der Welt!"






























background image

82

Die Rache der Pikten



Thorwald Schildhauers Blick löste sich von den harten Augen

des Mannes vor ihm, die drohend glitzerten, und streifte über das
Innere seines großen Skalli. In langen Reihen saßen seine Krieger
und Unterführer in ihren Rüstungen und gehörnten Helmen, die das
Zechen unterbrochen hatten, um dem Gespräch zu lauschen. Und
Thorwald Schildhauer lachte.

Der Mann, der dem Wikinger eben trotzige Worte ins Gesicht

geschleudert hatte, sah im Vergleich zu den gerüsteten Giganten in
der Halle nicht gerade beeindruckend aus. Er war klein und
muskulös, von dunkler Hautfarbe und bartlos. Seine Bekleidung
bestand nur aus groben Sandalen, einem ledernen Lendenschurz und
einem breiten Ledergürtel, an dem ein kurzes, gezähntes Schwert
hing. Eine Rüstung besaß er nicht, und seine gerade abgeschnittene,
schwarze Mähne zierte nur ein schmaler Silberreif. In seinen kalten,
schwarzen Augen flackerte unbändiger Haß, und sein ansonsten
unbewegliches Gesicht war vor Wut verzerrt.

„Vor einem Jahr", sagte er in seiner barbarischen Version der

Sprache der Nordmänner, „kamt ihr nach Golara und wolltet nur
Frieden mit meinem Volk. Ihr wolltet unsere Freunde sein und uns
vor den Raubüberfällen anderer eurer verfluchten Rasse beschützen.
Wir waren Narren. Wir glaubten dem Wort eines Seeräubers. Wir
gingen auf eure Vorschläge ein. Wir brachten euch Wildbret und
Fische, wir fällten Bäume, als ihr euer Lager bautet, und schützten
euch von anderen unseres Volkes, die weiser waren als wir. Damals
wart ihr nur eine Handvoll in einem Langschiff. Aber sobald euer
Lager befestigt war, kamen mehr. Jetzt zählen deine Krieger
vierhundert, und sechs Drachenschiffe liegen am Strand.

Bald wurdet ihr arrogant und überheblich. Ihr beleidigtet unsere

Häuptlinge, prügeltet unsere jungen Männer, und zuletzt haben
deine Teufel damit begonnen, unsere Frauen zu rauben und unsere
Kinder und Krieger zu ermorden."

„Und was willst du, daß ich tue?" fragte Thorwald zynisch. „Ich

habe euren Häuptlingen für jeden Krieger Blutgeld geboten, den
meine Männer grundlos töteten. Und was eure Weiber und Bälger
betrifft - ein Krieger sollte sich nicht mit solchen Kleinigkeiten
abgeben."

background image

83

„Blutgeld!" Die dunklen Augen des Häuptlings blitzten in

wildem Zorn. „Kann man mit Silber vergossenes Blut abwaschen?
Was bedeutet schon Silber für uns von den Inseln? Aye - ihr
Wikinger schätzt die Frauen anderer Rassen gering ein, ich weiß.
Aber ihr werdet sehen, daß man die Frauen des Waldvolks nicht
ungestraft so behandeln kann, wie ihr es getan habt!"

„Nun", unterbrach Thorwald ihn brüsk, „sag, was du willst, und

verschwinde dann. Deine Herren haben Wichtigeres zu tun, als
deinem Gestammel zuzuhören."

Obwohl es in den Augen des Pikten wölfisch glühte, überging er

die Beleidigung.

„Geht!" antwortete er und wies in Richtung der See. „Zurück

nach Norwegen oder in die Hölle oder woher ihr gekommen seid.
Wenn ihr die Insel von eurer verfluchten Anwesenheit befreit, so
mögt ihr in Frieden ziehen. Ich, Brulla, ein Häuptling von Hjaltland,
habe gesprochen."

Thorwald lehnte sich zurück und lachte dröhnend. Seine

Landsleute fielen in das Gelächter ein, und die verrußten
Dachbalken bebten unter dem höhnischen Gebrüll.

„Du Narr", polterte der Nordmann, „glaubst du, daß Wikinger

freiwillig etwas hergeben, was sie einmal genommen haben? Ihr
Pikten wart dumm genug, uns hereinzulassen - jetzt sind wir die
Stärkeren. Wir aus dem Norden herrschen! Auf die Knie, du Narr,
und danke dem Schicksal, daß wir euch leben und uns dienen
lassen, anstatt deinen ganzen Stamm wie Ungeziefer auszurotten!
Aber von jetzt an sollt ihr nicht länger als das Freivolk von Golara
bekannt sein - nein, ihr sollt den silbernen Halsreifen der Sklaven
tragen, und jedermann soll wissen, daß ihr Thorwalds Diener seid!"

Das Gesicht des Pikten wurde aschfahl, und er verlor die

Selbstbeherrschung.

„Narr!" stieß er knurrend hervor, und seine Stimme durchdrang

die ganze Halle. „Du hast deinen Untergang besiegelt! Ihr
Nordmänner herrscht über alle Völker, was? Nun, manche mögen
sterben, aber sie sterben lieber, als daß sie fremden Herren dienen!
Erinnere dich an meine Worte, du blondes Schwein, wenn der Wald
um euch zu leben beginnt und wenn du siehst, wie dein Skalli unter
den Flammen zusammenstürzt! Wir von Golara beherrschten die
Welt zu einer Zeit, da eure Vorfahren mit den Wölfen der Arktis
lebten, und wir beugen uns nicht vor solchen, wie ihr es seid! Die

background image

84

Hunde des Verderbens heulen an deinen Toren, und du wirst
sterben, Thorwald Schildhauer, und du, Aslaf Jarltöter, und du,
Grimm, Snorris Sohn, und du, Osric, und du, Hakon Skel, und ..."
Der Finger des Pikten, der der Reihe nach auf die flachshaarigen
Häuptlinge gezeigt hatte, zitterte. Der Mann, der neben Hakon Skel
saß, unterschied sich im Aussehen von allen anderen. Nicht, daß er
weniger wild und verwegen war - mit seinem dunklen, vernarbten
Gesicht und den schmalen, kalt-grauen Augen wirkte er noch
bedrohlicher als die übrigen. Aber er besaß schwarzes Haar, war
glattrasiert, und er trug einen Kettenpanzer, wie ihn die irischen
Rüstungsschmiede herstellten, anstatt den Schuppenpanzer der
Nordmänner. Neben ihm auf der Bank lag sein Helm, den ein
Roßschweif schmückte.

Der Pikte ließ ihn aus und beendete seine düstere Verkündigung

mit dem Mann neben ihm - „Und du, Hordi Raven."

Aslaf Jarltöter, ein riesiger Häuptling mit häßlichem Gesicht,

sprang auf. „Bei Thors Blut, Thorwald, müssen wir den
Beleidigungen dieses Hundes zuhören? Ich, der ich einen Jarl
getötet habe ..."

Thorwald brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.

Der Seekönig war ein gelbbärtiger Gigant mit herrischem Blick.
Jede seiner Bewegungen und jedes seiner Worte zeugte von der
Willensstärke des Mannes.

„Du hast viel und laut gesprochen, Brulla", sagte er sanft.

„Vielleicht hast du Durst."

Er streckte dem Pikten ein volles Trinkhorn entgegen, und dieser

griff in seiner Überraschung automatisch danach. Da schleuderte
Thorwald ihm den Inhalt mit einer raschen Drehung des
Handgelenks ins Gesicht. Brulla kreischte vor Wut. Wie ein Blitz
fuhr sein Schwert aus der Scheide, und er sprang seinen Peiniger an.
Aber das Ale brannte ihm in den Augen, und Thorwald parierte mit
rasch gezogenem Schwert seine blinden Hiebe und lachte höhnisch.
Aslaf hob eine Bank hoch und schmetterte sie dem Pikten auf den
Schädel, so daß er blutend und betäubt vor Thorwalds Füßen
zusammenbrach. Hakon Skel zog sein Messer, aber Thorwald hielt
ihn zurück.

„Ich will nicht, daß das Blut von Ungeziefer den Boden meines

Skalli befleckt. Ho, ihr Männer! Schleppt das Aas hinaus."

Begierig sprangen einige Krieger vor. Brulla erhob sich halb

background image

85

betäubt auf die Knie und versuchte sich zu verteidigen, aber mit
Schilden, Speerschäften und den stumpfen Seiten von Äxten
schlugen sie ihn nieder und hieben auf den wehrlos am Boden
Liegenden ein, bis er sich nicht mehr rührte. Dann schleppten sie
ihn an den Füßen durch die Halle und schleuderten ihn ins Freie.

Der Piktenhäuptling lag schlaff mit dem Gesicht nach unten im

Staub. Blut strömte aus seinem zerschlagenen Mund und färbte die
Erde.

Drinnen am Festtisch leerte Thorwald einen Becher voll

schäumendem Ale und lachte.

„Ich sehe, wir müssen eine Piktenjagd veranstalten", rief er.

„Wir müssen das Ungeziefer im Walde ausräuchern, sonst
schleichen sie sich in der Nacht heran und beschießen uns vielleicht
mit ihren Pfeilen."

„Das wird eine treffliche Jagd!" rief Aslaf mit einem Fluch. „Es

bringt zwar keinen Ruhm ein, solche Reptile zu töten, aber wir
können sie jagen, so wie wir Wölfe jagen..."

„Du und dein Geplapper von Ruhm", grollte Grimm, Snorris

Sohn, mißmutig. Grimm war alt, mißtrauisch und vorsichtig.

„Du sprichst von Ehre und Ungeziefer", höhnte er, „aber der

Stich einer Natter vermag einen König zu töten. Ich sage dir,
Thorwald, du hättest diese Leute vorsichtiger behandeln sollen. Sie
sind in zehnfacher Übermacht..."

„Nackt und feige", unterbrach ihn Thorwald lässig. „Ein

Nordmann ist fünfzig von diesen wert. Und was ihre Behandlung
anbelangt - wer war es, der seine Knechte beauftragte,
Piktenmädchen für ihn zu stehlen? Genug gefaselt, Grimm. Wir
haben über andere Dinge zu reden."

Der alte Grimm murmelte etwas in seinen Bart, während

Thorwald sich dem hochgewachsenen Fremden zuwandte, in
dessem dunklen Gesicht sich während der vergangenen Ereignisse
keine Miene verzogen hatte. Thorwalds Augen verengten sich, und
in seinem Blick lag ein Glitzern wie in dem einer Katze, die mit der
Maus spielt, ehe sie sie verschlingt.

„Partha Mac Othna", sprach er den Namen nachdenklich aus,

„es ist eigenartig, daß ein so hervorragender Pirat wie du - obgleich
ich zugeben muß, deinen Namen noch nie gehört zu haben - in
einem kleinen Boot und allein ein fremdes Lager aufsuchst."

background image

86

„Noch seltsamer wäre es gewesen, wäre ich mit einem Boot voll

meiner Männer gekommen", antwortete der Gäle. „Jeder von ihnen
hat ein halbes Dutzend Blutfehden mit den Nordmännern
auszutragen. Hätte ich sie an Land gebracht, so wären sie und deine
Männer einander in die Haare geraten, und weder du noch ich hätten
sie daran zu hindern vermocht. Wir aber bekämpfen einander zwar
manchmal, doch brauchen wir nicht solche Narren zu sein, einer
alten Rivalität wegen auf gemeinsame Vorteile zu verzichten."

„Stimmt, die Wikinger und die Piraten von Irland sind keine

Freunde."

„Und als daher mein Schiff an der Spitze der Insel vorbeifuhr,

ruderte ich mit der Flagge des Friedens allein in einem Boot an
Land", fuhr der Gäle fort, „und kam bei Sonnenuntergang hier an,
wie du weißt. Mein Schiff segelte nach Makki-Head weiter und
wird mich im Morgengrauen an derselben Stelle wieder aufnehmen,
wo ich es verließ."

„Soso", murmelte Thorwald und stützte das Kinn auf die Faust.

„Und wie war das mit meinem Gefangenen? Sprich deutlicher,
Partha Mac Othna."

Dem Gälen schien es, als legte der Wikinger eine besondere

Betonung in den Namen, aber er antwortete:

„Das ist eine einfache Sache. Mein Vetter Nial ist Gefangener

bei den Dänen, und mein Clan kann das verlangte Lösegeld nicht
bezahlen. Es ist keine Frage des Geizes, sondern wir haben einfach
nicht die verlangte Summe. Aber wir erfuhren, daß du in einem
Kampf mit einem dänischen Schiff vor Helgoland einen Häuptling
gefangengenommen hast. Ich will ihn dir abkaufen. Vielleicht
können wir auf diese Weise einen Austausch der beiden
Gefangenen erzwingen."

„Die Dänen kämpfen stets untereinander - möge Loki sie

verfluchen! Vielleicht ist mein Gefangener ein Feind derer, die
deine Vetter haben."

„Um so besser", grinste der Gäle. „Um seinen Feind in die

Gewalt zu bekommen, bezahlt man mehr als für einen Freund."

Thorwald spielte mit seinem Trinkhorn. „Das stimmt schon. Ihr

Gälen seid gerissen. Was willst du für diesen Gälen - Hrut nennt er
sich - bezahlen?"

„Fünfhundert Silberstücke."
„Seine Leute würden mehr geben."

background image

87

„Vielleicht. Vielleicht aber nicht einmal ein Kupferstück. Dieses

Risiko müssen wir eingehen. Außerdem würde es eine lange
Seereise bedeuten und all die Gefahren, die eine Kontaktaufnahme
mit ihnen mit sich brächte. Den Preis, den ich biete, könntest du
bereits im Morgengrauen in den Händen halten. Noch nie bist du so
einfach zu Geld gekommen. Mein Clan ist nicht reich. Die
Seekönige des Nordens und die mächtigen Piraten von Erin haben
uns schwächeren Seewölfe an den Rand der Meere gedrängt. Aber
einen Dänen müssen wir haben, und wenn du zu maßlos bist,
müssen wir nach Osten segeln und einen mit Waffengewalt
gefangennehmen."

„Das dürfte nicht schwer sein", meinte Thorwald. „In Dänemark

herrscht Bürgerkrieg. Zwei Könige streiten gegeneinander - oder
taten dies zumindest, denn ich vernahm, daß Erik gewann und
Thorfinn aus dem Land floh."

„Aye, so erzählen es die Seefahrer. Thorfinn war der bessere

und geliebt von seinem Volk, Erik aber wurde von Jarl Anlaf
unterstützt - dem mächtigsten Mann unter den Dänen, die beiden
Könige nicht ausgenommen."

„Ich hörte, Thorfinn sei mit nur wenigen Gefolgsleuten in einem

einzigen Schiff zu den Jüten geflohen", sagte Thorwald. „Wie gern
wäre ich diesem Schiff auf hoher See begegnet! Aber dieser Hrut
genügt mir auch. Ich hätte meinen Haß auf die Dänen gern an einem
König ausgelassen, gebe mich aber auch mit einem nächstedleren
zufrieden. Und edel ist dieser Mann fürwahr, wenn er auch keinen
Titel trägt. Während des Seekampfes hielt ich ihn zumindest für
einen Jarl, als meine Männer hüfthoch erschlagen um ihn lagen. Bei
Thors Blut, hatte er ein hungriges Schwert! Ich befahl meinen
Männern, ihn lebend zu fangen - aber nicht für Lösegeld. Seinen
Leuten hätte ich einen höheren Preis abringen können, als du
bietest, aber noch lieber als das Klirren von Gold ist mir das
Stöhnen eines Dänen, ehe er stirbt."

Der Gäle spreizte ratlos die Finger. „Ich habe es schon gesagt -

fünfhundert Silberstücke, dreißig Goldstücke, zehn Schwerter aus
Damaskus, die wir den braunen Männern von Serkland entrissen
haben, und ein Kettenhemd, das ich einem erschlagenen
Frankenprinzen abgenommen habe. Mehr kann ich nicht bieten."

„Und doch kann ich es kaum erwarten, dem Dänen den

Blutadler in den Rücken zu schneiden", murmelte Thorwald und

background image

88

strich sich den langen Bart. „Wie willst du das Lösegeld bezahlen?
Trägst du das Silber und alles andere in deinem Gewand?"

Der Gäle merkte den Spott in der Stimme, ging jedoch nicht

darauf ein.

„Wenn der Morgen dämmert, werden du, ich und der Däne uns

an die Südspitze der Insel begeben. Du magst zehn Männer mit dir
nehmen. Während du mit dem Dänen am Ufer bleibst, rudere ich zu
meinem Schiff und bringe das Silber und das übrige Lösegeld und
zehn meiner Männer. Auf dem Strand führen wir den Tausch durch.
Meine Männer bleiben in den Booten und setzen nicht einmal einen
Fuß an Land, wenn du keinen Verrat begehst."

„Ein fairer Vorschlag", sagte Thorwald und nickte, als wäre er

zufrieden, aber der Gäle spürte instinktiv eine dräuende Gefahr.
Eine seltsame Spannung lag in der Luft. Aus den Augenwinkeln sah
er, wie die Unterführer sich ihm unauffällig näherten. Grimms
Gesicht war gespannt, und seine Hände zuckten nervös. Aber der
Gäle verriet durch keine Regung, daß er mißtrauisch geworden war.

.Aber es ist ein niedriger Preis für einen Mann, mit dessen Hilfe

ein großer irischer Prinz seinem Clan wiedergegeben wird."
Thorwalds Ton hatte sich verändert. Er reizte den Gälen nun offen.
„Außerdem werde ich ihm doch lieber den Blutadler in den Rücken
schneiden - und in deinen auch, Cormac Mac Art!"

Sich aufrichtend spie er die letzten Worte hervor, und seine

Unterführer scharten sich um ihn - keinen Augenblick zu früh. Die
Reaktionsschnelligkeit des Gälen war berüchtigt. Der berühmte
irische Pirat verdaute jede Überraschung blitzartig und handelte
augenblicklich, während ein gewöhnlicher Mensch noch gelähmt
dagestanden hätte. Ehe Thorwalds Worte noch richtig über die
Lippen gekommen waren, war Cormac auch schon über ihm. Er
schien förmlich zu explodieren, und seine Bewegungen hätten einen
hungrigen Wolf beschämt. Nur eins rettete dem Schildhauer das
Leben. Fast ebenso rasch wie Cormac ließ er sich rücklings von der
Bank fallen, und das vorzischende Schwert des Gälen tötete den
Mann, der dahinter stand.

Im nächsten Augenblick blitzten die Schwerter in der rauchigen

Luft des Skalli. Cormac gedachte, sich so rasch wie möglich zur Tür
und in die Freiheit durchzuschlagen, wurde jedoch zu sehr von den
blutdürstigen Kriegern bedrängt.

Kaum war Thorwald fluchend zu Boden gekracht, wirbelte

background image

89

Cormac auch schon herum und parierte das Schwert Aslaf Jarltöters,
der wie der Schatten des Todes über ihm aufragte. Die gerötete
Klinge des Gälen lenkte Aslafs Streich ab, und bevor der Jarltöter
sein Gleichgewicht zurückgewann, fuhr ihm Cormacs Schwertspitze
durch den Hals.

Auf dem Rückschwung fuhr Cormacs Klinge über die Halssehne

eines Kriegers, der mit einer Axt auf ihn eindrang, und gleichzeitig
ließ Hordi Raven einen Hieb herabsausen, der auf Cormacs Schulter
gezielt war. Aber der Kettenpanzer lenkte Ravens Klinge ab, und
fast im gleichen Augenblick wurde Hordi von der schimmernden
Schwertspitze aufgespießt, die überall gleichzeitig zu sein schien
und ein Netz des Todes um den Gälen wob. Hakon Skel führte
einen Streich gegen Cormacs unbehelmten Kopf, verfehlte ihn
jedoch um eine Fußlänge und mußte einen Schnitt quer über das
Gesicht einstecken. Aber da verfingen sich Cormacs Beine
zwischen den Leichen, Schilden und zerbrochenen Bänken, die auf
dem Boden verstreut lagen.

Ein gemeinsamer Angriff drängte ihn rücklings über den Tisch,

wo Thorwald ihm durch die Rüstung auf die Rippen hieb. Cormac
schlug verzweifelt zurück, zerschmetterte Thorwalds Schwert und
trieb ihn auf die Knie. Da landete die Keule eines Knechts auf dem
ungeschützten Kopf des Gälen und ließ die Haut aufplatzen. Als er
zusammenbrach, schlug ihm Grimm, Snorris Sohn, die Waffe aus
der Hand, und auf Thorwalds Befehl hin stürzten sich die Wikinger
auf den irischen Piraten und drückten den halb Bewußtlosen unter
ihrem Gewicht zu Boden. Selbst danach hatten sie es nicht leicht,
doch zuletzt gelang es ihnen, Cormacs stählernen Griff um den
Stiernacken eines Nordmanns zu lösen und ihn an Händen und
Füßen mit Riemen zu fesseln, die selbst seine ungeheure Kraft nicht
zu sprengen vermochte. Der Mann, den er halb erwürgt hatte, lag
keuchend nach Atem ringend am Boden, als sie Cormac hochzerrten
und dem Seekönig gegenüberstellten, der ihm ins Gesicht lachte.

Cormac bot einen entsetzlichen Anblick. Er war befleckt von

seinem eigenen Blut und dem seiner Feinde, und aus seiner
Kopfwunde sickerte es rot über sein zernarbtes Gesicht. Aber er
hatte seine Sinne wieder völlig beisammen und erwiderte Thorwalds
höhnischen Blick mit kalten Augen.

„Bei Thors Blut!" fluchte der Seekönig. „Ich bin froh, daß du

nicht deinen Freund Wulfhere Hausakliufr, den Schädelspalter, bei

background image

90

dir hattest. Ich habe von deinem Kampfgeschick gehört, aber man
muß dich gesehen haben, um sich wirklich einen Begriff davon
machen zu können. Während der letzten drei Minuten habe ich
mehr an Fechtkunst gesehen als in Schlachten, die Stunden
dauerten. Bei Thor, du bist durch meine Männer gefahren wie ein
hungriger Wolf durch eine Schafherde! Sind alle deines Volkes so
wie du?"

Der Pirat würdigte ihn keiner Antwort.
„Du bist ein Mann, den ich gern als Kameraden hätte", sagte

Thorwald aufrichtig. „Ich will allen vergangenen Streit vergessen,
wenn du dich mir anschließt." Er sprach wie einer, der nicht damit
rechnete, daß sein Wunsch in Erfüllung ging.

Cormacs Antwort bestand aus einem verächtlichen Blick seiner

eisigen Augen.

„Nun", sagte Thorwald, „ich habe nicht erwartet, daß du mein

Angebot annimmst, und damit hast du dein Schicksal besiegelt,
denn einen solchen Feind meines Volkes kann ich nicht am Leben
lassen."

Dann lachte Thorwald. „Der Ruf deiner Fechtkunst war nicht

übertrieben, wohl aber der deiner Schlauheit. Du Narr! Du
glaubtest, einen Wikinger überlisten zu können! Wo gibt es auf den
Nordmeeren einen Mann wie dich - mit deiner Größe, Schulterbreite
und deinem zernarbten Gesicht? Für dich war alles vorbereitet, noch
ehe du deine erste Lüge ausgesprochen hattest. Pah! Ein Anführer
irischer Piraten! Aye - einst, vor vielen Jahren. Aber jetzt kenne ich
dich als Cormac Mac Art an Cluin, das heißt der Wolf, die rechte
Hand von Wulfhere Hausakliufr, einem dänischen Wikinger. Aye,
Wulfhere Hausakliufr - gehaßt von meinem Volk.

Du verlangtest meinen Gefangenen Hrut, um ihn gegen einen

Vetter einzuhandeln! Pah! Ich kenne dich seit langem, vom
Hörensagen zumindest. Und vor Jahren sah ich dich auch einmal.
Du kamst mit einer Lüge auf den Lippen an Land, um in meinem
Lager zu spionieren, um für Wulfhere meine Stärken und
Schwächen auszukundschaften, ehe ihr beide euch eines Nachts an
mich heranschleicht und mir das Skalli über dem Kopf anzündet.

Jetzt sage mir: Wieviele Schiffe hat Wulfhere, und wo befindet

er sich?"

Cormac lachte verächtlich. Der Bart des Seekönigs sträubte sich,

und ein grausamer Ausdruck trat in seine Augen.

background image

91

„Du willst mir nicht antworten, ha?" Er fluchte. „Na schön - es

spielt keine Rolle. Ob Wulfhere nun nach Makki-Head segelte oder
nicht - im Morgengrauen erwarten ihn drei meiner Drachenschiffe
an der Südspitze der Insel. Und wenn ich dann Hrut den Blutadler in
den Rücken schneide, so wird Wulfhere vielleicht sein Schicksal
teilen, und du wirst dabei zusehen, ehe ich dich am höchsten Baum
von Gorala aufhänge. In die Zelle mit ihm!"

Als die Knechte ihn wegschleppten, vernahm Cormac die

krächzende Stimme von Grimm, Snorris Sohn, der mit seinem
Anführer stritt. Im Freien vor der Halle merkte er, daß der Pikte
verschwunden war. Im Staub war nur noch ein Blutfleck zu sehen.
Brulla hatte entweder das Bewußtsein wiedererlangt und war davon-
getaumelt, oder seine Leute hatten ihn weggetragen. Cormac wußte,
daß die Pikten zählebig wie Katzen waren, denn er hatte gegen ihre
Vettern in Kaledonien gekämpft. Eine Behandlung, wie sie Brulla
widerfahren war, hätte einen gewöhnlichen Menschen eine Woche
lang ans Krankenlager gefesselt, der Pikte aber hatte sich
wahrscheinlich nach ein paar Stunden wieder völlig erholt, falls
keine Knochen gebrochen waren.

Das Lager von Thorwald Schildhauer befand sich in einer

kleinen Bucht. Auf den Strand hochgezogen, lagen sechs lange,
schlanke Schiffe mit Drachenköpfen am Bug und Schildreihen an
den Bordwänden. Wie üblich bestand das Lager aus einer großen
Halle, dem Skalli, um die sich kleinere Gebäude gruppierten -
Ställe, Vorratshäuser und die Hütten der Krieger. Um die Gebäude
herum zog sich eine hohe Mauer, die ebenso wie die Häuser aus
schweren Holzpfählen bestand. Diese Pfähle waren etwa zehn Fuß
hoch, tief in die Erde getrieben und oben zugespitzt. An mehreren
Stellen befanden sich Schießscharten für die Bogenschützen, und in
regelmäßigen Abständen Plattformen, von denen aus die Verteidiger
über die Palisade hinweg gegen die Angreifer kämpfen konnten.
Jenseits der Umzäunung lag in einigem Abstand finster der Wald.

Die Holzmauer hatte die Form eines Hufeisens, dessen offene

Seite dem Meer zugewandt war. Die beiden Enden erstreckten sich
bis ins seichte Wasser hinein und schützten so die Drachenschiffe
am Strand. Eine innere Mauer verlief vor dem Lager parallel zum
Ufer und trennte den Strand vom Skalli. Feinde, die um die Enden
der Hauptmauer herum schwammen und am Strand an Land gingen,
hätten noch die gerade Mauer zu überwinden, um ins Lager

background image

92

eindringen zu können.

Thorwalds Schlupfwinkel schien gut geschützt, aber die Wachen

nahmen es nicht allzu genau mit ihrer Aufgabe. Bei den Shetland-
Inseln wimmelte es noch nicht so sehr von Piraten, wie es in
späteren Jahren der Fall sein sollte. Die wenigen Lager der
Nordmänner, die bereits existierten, glichen alle dem Thorwalds.
Sie dienten den Seeräubern nur als Stützpunkte, von denen aus sie
die Hebriden, die Orkneys und Britannien heimsuchten, wo die
Sachsen die römisch-keltische Zivilisation zerstörten. Aber auch
Gallien, Spanien und das Mittelmeer waren Ziele der Raubzüge der
Wikinger.

Gewöhnlich erwartete Thorwald von See aus keinen Angriff,

und Cormac war Zeuge gewesen, mit welcher Verachtung die
Nordmänner auf die Eingeborenen der Shetland-Inseln herabsahen.

Anders stand die Sache für Wulfhere und seine Dänen, denn sie

galten selbst für ihr eigenes Volk als vogelfrei und wurden als
Gesetzlose betrachtet. Deshalb unternahmen sie noch längere
Beutezüge als selbst Thorwald. Sie waren wie Raubvögel und
stürzten sich auf alle Völker.

Cormac wurde in eine kleine Hütte an der Palisadenwand

geschleppt und darin angekettet. Die Nordmänner verschlossen die
Tür und überließen ihn seinen Gedanken.

Die oberflächlichen Wunden des Gälen hatten zu bluten

aufgehört, und da er an Verletzungen gewohnt war, verschwendete
er keinen Gedanken daran. Seine Eitelkeit war jedoch gekränkt. Wie
leicht war er in Thorwalds Falle gegangen! Er, den Könige seiner
Verschlagenheit wegen rühmten oder verfluchten. Das nächste Mal
würde er nicht so überheblich und leichtsinnig sein, nahm er sich
vor. Und daß es zu einem nächsten Mal kommen würde, das schwor
er sich. Wulfheres wegen sorgte er sich wenig, selbst als er die
Rufe, das Schaben von Schiffsrümpfen auf dem Kies und das
Klacken der Ruder vernahm - Anzeichen dafür, daß sich Thorwalds
Langschiffe auf den Weg gemacht hatten. Sollten sie ruhig die
Inselspitze anlaufen und dort bis zum Tag des Weltuntergangs
warten! Weder er noch Wulfhere waren solche Narren gewesen,
sich gänzlich in die Gewalt von Thorwalds überlegenen Truppen zu
begeben. Wulfhere besaß nur ein Schiff und etwa achtzig Männer,
die im Augenblick sicher in einem vom Wald verborgenen See-
Einschnitt auf der anderen Seite der Insel verborgen waren, die an

background image

93

dieser Stelle weniger als eine Meile breit war. Es bestand kaum die
Gefahr, daß sie von Thorwalds Männern entdeckt wurden, und das
Risiko einer zufälligen Entdeckung durch einen Pikten mußte
eingegangen werden. Wenn Wulfhere seinem Plan gefolgt war, so
hatte er die Stelle im Schutz der Dunkelheit angelaufen, und es
bestand kein Grund, daß sich ein Nordmann oder Pikte gerade dort
aufhalten sollte. Das Ufer bestand an dieser Stelle aus steilen und
zerklüfteten Klippen, und außerdem hatte Cormac gehört, daß die
Pikten aus Aberglaube diesen Teil der Insel gewöhnlich mieden.
Auf dem Steilufer standen einige uralte Steinsäulen und ein düsterer
Altar, die von schrecklichen Riten in längst vergangenen Zeiten
zeugten.
Dort würde Wulfhere abwarten, bis Cormac zu ihm
zurückkehrte, oder bis ein Rauchsignal von der Südspitze her ihm
anzeigte, daß Thorwald sich mit dem Gefangenen dort befand und
kein Verrat zu befürchten war. Cormac hatte über das Zeichen, das
Wulfhere rufen sollte, nichts gesprochen, obwohl er nicht damit
gerechnet hatte, erkannt zu werden.

Thorwald hatte unrecht mit der Annahme, daß sein Gefangener

Cormac als Vorwand gedient hatte. Der Gäle hatte den wahren
Grund verschwiegen, weshalb er Hrut kaufen wollte, aber die
Wahrheit gesprochen, als er behauptete, die Nachricht von der
Gefangenschaft des Dänen hätte ihn nach Golara geführt.

Das Geräusch der Ruder verklang in der Ferne. Eine Weile

waren noch Waffengeklirr und die Rufe der Knechte zu vernehmen,
aber dann wurde es still. Nur die gleichmäßigen Schritte der
Wachen erklangen noch in der Dunkelheit.

Es mußte fast Mitternacht sein, stellte Cormac fest, als er durch

das kleine und vergitterte Fenster hindurch die Sterne betrachtete.
Er war so an den Erdboden gekettet, daß er sich nicht einmal in
sitzende Stellung aufrichten konnte. Er lag mit dem Rücken gegen
die Rückwand der Hütte, die durch die Palisadenmauer gebildet
wurde.

Mit einem Mal glaubte er ein Geräusch zu vernehmen, das nicht

durch den Nachtwind verursacht wurde, der durch die mächtigen
Bäume strich. Langsam wälzte er sich herum und blickte durch eine
schmale Ritze zwischen zwei der aufrechten Pfosten.

Der Mond war bereits untergegangen. Im schwachen Licht der

Sterne erkannte er undeutlich die langsamen Bewegungen der

background image

94

riesigen Zweige gegen den schwarzen Hintergrund des Waldes.
Flüsterte und raschelte es da nicht zwischen den Schatten? Es waren
nicht nur Wind und Laub, die diese Geräusche hervorriefen. Die
ganze Nacht schien von geisterhaftem Gemurmel erfüllt, als
bewegte sich der mitternächtliche Wald wie ein schattenhaftes
Ungeheuer, das zu unwirklichem Leben erwachte. „Wenn der Wald
zu leben beginnt", hatte der Pikte gesagt...

Cormac hörte, wie eine der Wachen einer anderen zurief: „Beim

Blut Thors! Heute müssen sich Trolle herumtreiben! Horch, wie der
Wind in den Bäumen wimmert." Seine rauhe Stimme klang laut in
der wispernden Stille.

Selbst der stumpfsinnige Krieger spürte drohendes Unheil in der

Dunkelheit und den Schatten. Cormac preßte sein Gesicht an die
Holzwand und versuchte mit seinem Blick die Dunkelheit zu
durchdringen. Der Gesichtssinn des Gälen war dem eines
durchschnittlichen Mannes weit überlegen - seine Augen waren so
gut wie die einer Katze in der Finsternis, aber außer den Bäumen
am Waldrand konnte er nichts ausmachen.

Doch halt!
In den Schatten nahm etwas Form an. Eine lange Reihe von

Gestalten bewegte sich geisterhaft hinter den Bäumen am
Waldesrand. Cormac lief ein Schauder über den Rücken. Es mußten
die bösen Dämonen der Wälder sein! Sie waren klein und kräftig
und huschten gebückt und lautlos, einer hinter dem anderen, durch
das Unterholz. Sie wirkten wie monströse Karikaturen von
Menschen. Cormac spürte, wie sich in seinem Geist verborgene
Erinnerungen zu rühren begannen und mit eisigen Fingern sein Herz
umklammerten. Er fürchtete sich nicht, wie ein Mensch einen
menschlichen Feind fürchtet - es war der Schrecken der uralten
Erinnerungen seiner Vorfahren, der ihn packte, vage Erinnerungen
an dunklere Zeitalter, in deren Tagen der primitive Mensch um die
Vorherrschaft in einer neuen Welt kämpfte.

Denn diese Pikten waren die Nachkommen eines

verschwundenen Volkes, die Überlebenden einer älteren Epoche,
die letzten Vertreter eines dunklen, steinzeitlichen Imperiums, das
unter den Bronzeschwertern der ersten Kelten zerfallen war. Nun
kämpften die letzten Überlebenden am unwirtlichen Rand der Welt,
die sie einst beherrscht hatten, um ihr nacktes Dasein.

Es war zu finster, und sie bewegten sich zu rasch, als daß

background image

95

Cormac sie zu zählen vermochte, aber er schätzte, daß zumindest
vierhundert durch sein Gesichtsfeld gehuscht waren. Allein diese
übertrafen Thorwalds volle Streitmacht und waren an Anzahl der
gegenwärtigen Besatzung des Lagers weit überlegen, nachdem
Thorwald drei seiner Schiffe ausgesandt hatte. Die gebückten
Gestalten verschwanden so lautlos, wie sie gekommen waren und
ließen keine Spur zurück.

Cormac wartete angespannt in der Stille der Nacht. Plötzlich

ertönte in der Finsternis ein Todesschrei! Gleich darauf war die Luft
von schauerlichem Kriegsgeschrei erfüllt.

Und da erwachte der Wald zum Leben!
Von allen Seiten stürmten gedrungene Gestalten aus dem

Unterholz hervor und schwärmten gegen die Palisaden. Alles war in
gespenstisches Licht getaucht, und in seinem Gefängnis zerrte
Cormac wild an den Ketten. Draußen war die Hölle los, und er war
wie ein Lamm auf der Schlachtbank gefesselt! Er fluchte
fürchterlich in seiner Ohnmacht.

Die Nordmänner hielten die Mauer. Das Klirren von Stahl stieg

ohrenbetäubend gegen den Himmel auf, und das Surren von Pfeilen,
das dröhnende Gebrüll der Wikinger und das höllische Wolfsgeheul
der Pikten erfüllte die Luft. Cormac konnte nichts sehen, aber er
spürte den Anprall der menschlichen Leiber gegen die Palisaden,
das Wüten von Axt und Lanze, den Rückzug und den erneuten
Angriff. Er wußte, daß die Pikten schlecht bewaffnet waren, und die
Wahrscheinlichkeit sprach dafür, daß die Wikinger das Lager halten
konnten, bis Thorwald mit den übrigen zurückkehrte, was er sicher
tun würde, sobald er das Feuer sah - aber woher kam das Feuer?

Jemand machte sich an der Tür zu schaffen. Als sie aufging, sah

Cormac die hagere Gestalt von Grimm, Snorris Sohn, die sich gegen
den roten Hintergrund abzeichnete. In einer Hand hielt er einen
Helm und ein Schwert, die Cormac als sein eigenes erkannte, in der
anderen einen Schlüsselbund, der klirrte, als seine Hand bebte.

„Wir sind alle des Todes!" krächzte der alte Wikinger. „Ich habe

Thorwald gewarnt! In den Wäldern wimmelt es von Pikten! Es sind
Tausende! Wir können das Lager niemals bis Thorwalds Rückkehr
halten! Er ist auch verloren, denn die Pikten werden ihm den Weg
abschneiden, wenn er die Bucht erreicht, und seine Männer mit
Pfeilen spicken, ehe sie ins Handgemenge kommen können! Sie
sind um die Enden der Palisaden geschwommen und haben die

background image

96

restlichen drei Langschiffe in Brand gesteckt! Der Narr Osric rannte
wie ein Narr mit einem Dutzend Männer los, um die Schiffe zu
retten, aber kaum war er vor das Tor gekommen, fiel er schon mit
einem Dutzend schwarzer Pfeile im Körper, und seine Männer
wurden abgeschnitten und von hundert heulenden Dämonen
umringt! Keiner von ihnen kam mit dem Leben davon, und wir
konnten gerade noch das Tor schließen, als die kreischende Meute
auch schon dagegen anlief!

Zu Dutzenden haben wir sie erschlagen, aber für jeden

gefallenen springen drei neue in die Bresche. Heute nacht habe ich
mehr Pikten gesehen, als ich auf Golara - ja, auf der ganzen Welt -
vermutete. Cormac, du bist ein tapferer Mann; du hast irgendwo ein
Schiff - schwör mir, daß du mich rettest, und ich befreie dich!
Vielleicht werden die Pikten dich nicht behelligen -dieser Teufel,
Brulla, hat dich in seiner Verwünschung nicht erwähnt.

Wenn jemand mich retten kann, so bist du es! Ich werde dir

zeigen, wo Hrut gefangen ist, und wir nehmen ihn mit uns ..." Er
warf einen raschen Blick über die Schulter, dem Kampfeslärm am
Strand zu, und erbleichte. „Beim Blut Thors!" schrie er. „Das Tor
hat nachgegeben, und die Pikten befinden sich im Lager!"

Das Geheul draußen schwoll zu einem Kreszendo dämonischen

Frohlockens an.

„Schließ die Ketten auf, du alter Narr!" schrie Cormac und

zerrte an seinen Fesseln.

„Zum Plappern hast du Zeit genug, wenn ..."
Vor Furcht mit den Zähnen klappernd, betrat Grimm, Snorris

Sohn, die Hütte, und als sein Fuß die Schwelle überschritten hatte,
raste aus den roten Schatten hinter ihm lautlos eine Gestalt heran.
Ein dunkler Arm schlang sich um den Kopf des alten Wikingers und
riß ihm das Kinn hoch. Grimm stieß einen fürchterlichen Schrei aus,
der in ein gräßliches Gurgeln überging, als ihm eine scharfe Klinge
durch den Hals fuhr.

Über den zuckenden Körper seines Opfers hinweg betrachtete

der Pikte Cormac Mac Art. Der Gäle erwiderte den Blick
unerschrocken, obwohl er den Tod erwartete. Dann erkannte
Cormac im Licht der brennenden Schiffe den Häuptling Brulla.

„Du bist der, der Aslaf und Hordi tötete. Ich habe es durch die

Tür des Skalli gesehen, bevor ich mich in die Wälder schleppte",
sagte der Pikte ruhig, als tobte draußen keine erbitterte Schlacht.

background image

97

„Ich habe meinen Kriegern von dir erzählt und ihnen verboten, dich
zu behelligen, falls du noch am Leben sein solltest. Du haßt
Thorwald ebenso wie ich. Ich werde dich befreien. Stille deinen
Rachedurst. Bald wird Thorwald mit seinen Schiffen zurückkehren,
und dann schneiden wir ihm den Hals ab. Auf Golara wird es keine
Nordmänner mehr geben. Alle freien Stämme der Inseln rundum
sind zu unserer Hilfe gekommen, und Thorwald ist dem Untergang
geweiht!"

Er beugte sich über den Gälen und schloß ihm die Ketten auf.

Cormac sprang auf, und das Feuer neuen Selbstvertrauens brannte
in seinen Adern. Er setzte sich den Helm mit dem wehenden
Roßschweif auf und gürtete sich sein langes, schmales Schwert um.
Außerdem forderte er den Schlüsselbund von Brulla.

„Weißt du, wo der Däne Hrut gefangengehalten wird?" fragte er,

als sie die Hütte verließen. Der Pikte deutete in Richtung des
Kampfgetümmels und der Flammen.

„Im Augenblick verbirgt der Rauch die Hütte, aber sie liegt

neben dem Vorratshaus dort drüben."

Cormac nickte und rannte los. Er kümmerte sich nicht darum,

wohin Brulla sich wandte. Die Pikten hatten außer den Schiffen
auch den Stall, das Skalli und andere Gebäude angezündet. Neben
dem Skalli und an einigen Stellen der Palisaden, die zum Teil
ebenfalls brannten, wurde verzweifelt gekämpft, als die Handvoll
von Überlebenden mit der rücksichtslosen Wildheit ihres Volkes ihr
Leben so teuer wie möglich verkauften. Tausende der kleinen,
dunkelhäutigen Männer schwärmten um die blonden Riesen. Die
schweren Schwerter der gepanzerten Wikinger hatten eine
verheerende Wirkung, aber die Angreifer sprangen ihre Feinde voll
von unglaublicher Kampfeswut an und rissen sie dank ihrer
Überzahl zu Boden, wo ihre kurzen Schwerter das Werk
vollendeten. Todesschreie und Wutgebrüll zerrissen die Luft, aber
nirgends hörte Cormac, daß jemand um Gnade bat, als er auf die
Vorratshütte zulief. Die Pikten waren durch die unzähligen
Beleidigungen und Übergriffe der Nordmänner zum Wahnsinn
getrieben worden und kosteten ihre Rache nun bis zum letzten aus,
und die Nordmänner erwarteten keine Schonung.

Cormac nahm am Kampf nicht teil. Hier war niemand sein

Freund. Beide Parteien würden ihm bei der ersten sich bietenden
Gelegenheit den Hals abschneiden. Als er rannte, gebrauchte er das

background image

98

Schwert nur dazu, um zufällige Hiebe von Nordmännern oder
Pikten abzuwehren, und er lief so rasch zwischen den Knäueln der
Kämpfenden hindurch, daß er auf keinen ernsthaften Widerstand
stieß. Er erreichte die Hütte und schloß die schwere Tür auf. Er kam
gerade zur rechten Zeit, denn Funken vom brennenden Vorratshaus
in der Nähe hatten das Dach entzündet, und das Innere war bereits
voll von Rauch. Cormac tastete sich zu einer Ecke vor, in der, kaum
erkennbar, eine Gestalt lag. Ketten rasselten, und eine Stimme
sprach mit dänischem Akzent:

„Töte mich, im Namen Lokis. Besser ein Stich mit dem Schwert

als dieser verfluchte Rauch!"

Cormac kniete nieder und machte sich an den Ketten zu

schaffen. „Ich komme, um dich zu befreien, Hrut", keuchte er.
Einen Augenblick später half er dem erstaunten Krieger auf die
Beine, und zusammen wankten sie aus der Hütte, deren Dach knapp
hinter ihnen einstürzte. Draußen machte Cormac einige tiefe
Atemzüge, wandte sich dann um und betrachtete neugierig den
Dänen. Er war ein Gigant mit einer roten Mähne und der Haltung
eines Adeligen. Er war halb nackt und ungepflegt von der
wochenlangen Gefangenschaft, aber in seinen Augen glühte
ungebrochenes Feuer.

„Ein Schwert!" rief er mit blitzenden Augen, als er die Szene um

sich wahrnahm. „Ein gutes Schwert, in Thors Namen! Hier wird
gekämpft, und wir stehen tatenlos umher!"

Cormac bückte sich und riß einem mit Pfeilen gespickten

Nordmann das Schwert aus den steifen Fingern.

„Hier hast du ein Schwert, Hrut", knurrte er, „aber für wen willst

du kämpfen? Für die Nordmänner, die dich wie einen Wolf
gefangengehalten haben und dich getötet hätten, oder für die Pikten,
die dir wegen der Farbe deines Haares die Kehle durchschneiden
werden?"

„Die Wahl ist leicht", antwortete der Däne. „Ich habe die

Schreie von Frauen vernommen ..."

„Die Frauen sind alle tot", wandte der Gäle ein. „Wir können

ihnen nicht mehr helfen; wir müssen uns selbst retten. Es ist die
Nacht des Wolfes - und die Wölfe beißen fürwahr!"

„Ich möchte Thorwald vor mein Schwert bekommen." Der Däne

zögerte, als Cormac ihn zu der brennenden Palisade zerrte.

„Nicht hier und nicht jetzt, Hrut", knurrte der irische Pirat. „Wir

background image

99

haben Wichtigeres zu tun. Später kehren wir zurück und kümmern
uns um das, was die Pikten übriggelassen haben. Im Augenblick
können wir nicht nur an uns denken, denn ich weiß, daß Wulfhere
Schädelspalter bereits im Eilmarsch durch den Wald hierher zieht!"

An manchen Stellen war die Palisade fast völlig verkohlt.

Cormac und sein Begleiter schlugen eine Bresche hinein und
stiegen hindurch. Als sie die Schatten der Bäume draußen
erreichten, tauchten drei Gestalten vor ihnen auf und griffen sie
unter tierischem Geheul an. Cormac rief eine Warnung, aber es
hatte keinen Zweck. Eine wirbelnde Klinge stieß gegen seinen Hals
vor, und er war gezwungen zuzuschlagen, um sein Leben zu retten.
Als er sich von seinem gefallenen Feind abwandte, sah er, wie Hrut,
der mit gespreizten Beinen über der Leiche eines Pikten stand, die
gezackte Klinge des anderen über den linken Arm fuhr, ehe er ihm
den Schädel spaltete.

Fluchend sprang der Gäle vor. „Bist du schwer verletzt?" Blut

strömte aus einer tiefen Wunde in Hruts Arm.

„Ein Kratzer." Die Augen des Dänen funkelten vor Kampfeslust.

Trotz seiner Proteste riß Cormac einen Streifen von seiner Kleidung
ab und verband den Arm notdürftig, um den Strom des Blutes
einzudämmen.

„Hilf mir, die Leichen im Gebüsch zu verstecken", sagte der Ire.

„Ich habe ihn nicht gern getötet, aber als sie deinen roten Bart
sahen, ging es um unser Leben oder das ihre. Ich glaube, Brulla
würde uns verstehen, aber wenn die anderen herausfinden sollten,
daß wir drei der ihren getötet haben, kann weder Brulla noch der
Teufel uns vor ihren Schwertern beschützen."

Nachdem sie damit fertig waren, stieß Hrut plötzlich hervor:

„Horch!" Der Kampfeslärm war etwas abgeklungen, und
hauptsächlich war das Triumphgeschrei der Pikten und das Prasseln
der Flammen zu hören. Nur in einem Raum des Skalli, der noch
nicht vom Feuer erfaßt worden war, verteidigte sich eine Handvoll
Wikinger verzweifelt. Da erklang durch das Knistern der Flammen
ein rhythmisches Klack-klack-klack!

„Thorwald kehrt zurück!" rief Cormac und rannte an den

Waldrand, um über die Reste der Palisaden zu spähen. Ein einzelnes
Drachenschiff fuhr in die Bucht ein. Die langen Eschenruder trieben
es durch das Wasser, und als die Nordmänner die rauchenden
Ruinen ihres Lagers und die verstümmelten Leichen der Gefährten

background image

100

sahen, stießen sie ein wildes Gebrüll aus. Aus dem brennenden
Skalli erklangen antwortende Rufe. Im Feuerschein, der das Wasser
der Bucht in blutiges Rot tauchte, erkannten Cormac und Hrut das
Falkenantlitz Hakon Skels auf dem Vorderdeck des Schiffes. Aber
wo waren die beiden übrigen Schiffe? Cormac glaubte es zu wissen,
und ein grimmiges Lächeln huschte über sein düsteres Gesicht.

Nun näherte sich das Drachenschiff dem Ufer, und Hunderte

schreiender Pikten wateten ihm entgegen. In hufttiefem Wasser
hielten sie die Bogen hoch, um die Sehnen vor Nasse zu schützen,
spannten sie, und ein Pfeilhagel fegte über das Deck des
Fahrzeuges. Das Langschiff fuhr dem tödlichsten Sturm entgegen,
den es je auszustehen hatte. An der Reling fielen die Manner
reihenweise unter den langen, schwarzen Geschossen, die durch die
Schilde aus Lindenholz und durch die Schuppenpanzer ins Fleisch
fuhren.

Die übrigen duckten sich hinter ihren Schilden und ruderten und

steuerten, so gut sie es vermochten. Da knirschte der Kiel auch
schon über den Uferkies, und die heulenden Wilden umringten das
Schiff. Zu Hunderten erklommen sie Bug, Heck und Bordwände,
wahrend andere vom Wasser aus den Beschuß mit Pfeilen
fortsetzten, wobei sie vom Ufer aus unterstützt wurden. Ihre
Schießkunst war fast unheimlich. Oft zischte ein Pfeil zwischen
zwei kämpfenden Pikten hindurch und durchbohrte einen
Nordmann. Aber als es zum Handgemenge kam, befanden sich die
Wikinger ungeheuer im Vorteil. Ihre riesige Statur, ihre Rüstungen
und ihre langen Schwerter machten sie im Verein mit ihrer Position
an den Bordwänden im Augenblick unüberwindlich.

Schwerter und Äxte hoben sich, fuhren herab und trafen auf die

nackten Körper der Wilden, die von den Seiten des Schiffes ins
Wasser fielen und wie Steine sanken. Die See um das Schiff füllte
sich mit Toten, und Cormac staunte über die Unbekümmertheit, mit
der die Pikten ihr Leben opferten. Bald aber horte er die Rufe ihrer
Häuptlinge, worauf sich die Angreifer widerwillig zurückzogen, um
die Wikinger aus der Ferne zu bekämpfen.

Aber als Hakon Skel mit einem Pfeil im Auge fiel, erkannten die

Nordmanner ihre Lage, und unter Wutgebrüll sprangen sie ins
Wasser, um den Nahkampf wieder aufzunehmen. Die Pikten
nahmen die Herausforderung an. Um jeden Wikinger drängte sich
ein Dutzend Pikten, und das Wasser am Ufer schäumte und

background image

101

sprudelte unter den Beinen der Kämpfenden. Die Wellen färbten
sich rot von Blut, und überall trieben oder lagen Leichen, über die
die Fechtenden stolperten. Die Krieger aus dem Skalli stürmten vor,
um mit ihren Kameraden zu sterben.

Da geschah das, worauf Cormac gewartet hatte. Donnerndes

Gebrüll erscholl, und aus dem Wald, der die Bucht umgab, brach
Thorwald Schildhauer mit den Mannschaften zweier Drachenschiffe
hervor. Cormac wußte, was geschehen war. Thorwald hatte ein
Schiff geschickt, um die Pikten an den Strand zu locken, wahrend er
in der Nahe gelandet und mit dem Rest seiner Männer durch den
Wald marschiert war.

Nun fegten sie in dichter Formation und mit überlappenden

Schildern über die Lichtung auf den Strand hinab. Unter Wutgeheul
feuerten die Pikten eine Salve gegen sie ab und stürzten sich danach
mit gezückten Schwertern auf ihre Feinde. Aber die Pfeile prallten
vom Schildwall ab, und die heranstürmende Horde prallte gegen
eine Wand von Eisen. Mit derselben Verzweiflung, die sie während
des ganzen Kampfes gezeigt hatten, warfen sich die Pikten immer
wieder gegen den Schildwall. Wie ein lebendes Meer wogten sie
von neuem dagegen an und wurden zurückgeworfen. Bald lagen die
Leichen knietief am Boden. Und nicht alle waren Pikten. Aber sooft
ein Nordmann fiel, schlossen seine Kameraden ihre großen Schilde
wieder aneinander. Sie drangen nicht weiter vor, sondern standen
wie ein Fels in der Brandung und wichen keinen Schritt zurück. Die
Flanken ihrer keilförmigen Formation bogen sich einwärts, als die
Pikten von allen Seiten auf sie eindrangen, bis sie mehr einem
Quadrat glich. Und wie ein Qudrat aus Eisen standen sie, und alle
wilden Anstürme vermochten sie nicht zu erschüttern, obwohl die
Pikten ihre nackten Leiber gegen den Eisenwall warfen, bis die
Leichen einen eigenen Wall bildeten, über den die Lebenden
klettern mußten.

Da flohen sie plötzlich nach allen Seiten - einige über die von

Flammen erleuchtete Lichtung, andere in den Wald. Unter
Triumphgeschrei gaben die Wikinger ihre Formation auf und
stürzten hinter ihnen her, obwohl Thorwald wütende Befehle brüllte
und mit der flachen Klinge auf sie einhieb.

Es war ein Trick! Cormac wußte es ebenso wie Thorwald, aber

die blinde Kampfeswut der Nordmänner wurde ihnen zum
Verderben, womit ihre Feinde wohl gerechnet hatten. In dem

background image

102

Augenblick, da die Verfolger sich zerstreut hatten, wandten sich die
Pikten um, und ein Dutzend Wikinger fiel unter einem Pfeilhagel.
Ehe die übrigen sich wieder formieren konnten, waren sie einzeln
oder in kleinen Gruppen umringt, und das Abschlachten begann.
Was zuerst eine geordnete Schlacht gewesen war, wurde nun zu
einer Reihe von Einzelgefechten auf dem Strand, zwischen den
glosenden Resten des Lagers und am Waldrand.

Da erwachte Cormac plötzlich wie aus einem Traum und

fluchte.

„Beim Blut der Götter, was bin ich für ein Narr! Sind wir denn

Knaben, die noch nie eine Schlacht gesehen haben, daß wir hier mit
offenen Mäulern stehen und starren, anstatt durch den Wald zu
eilen?"

Er war förmlich gezwungen, Hrut wegzuzerren, und dann eilten

die beiden rasch durch den Wald. Auf allen Seiten vernahmen sie
Waffengeklirr und Todesschreie. Die Einzelkämpfe hatten sich
zwischen die Bäume gezogen, und der dunkle Wald war Schauplatz
so manchen grausigen Geschehens. Aber Cormac und Hrut wurden
stets durch die Geräusche gewarnt, und es gelang ihnen, sich aus
den Kämpfen herauszuhalten. Nur einmal sprangen sie Gestalten
aus den Schatten an, und nach dem kurzen, heftigen Handgemenge
wußten sie nicht einmal, ob es Nordmänner oder Pikten gewesen
waren, die unter ihren Schwertern fielen.

Dann lag der Kampflärm hinter ihnen, und vor sich vernahmen

sie den gleichmäßigen Schritt vieler Männer. Hrut hielt an und
packte sein blutbeflecktes Schwert fester, aber Cormac zerrte ihn
weiter.

„Die Männer marschieren im Gleichschritt; es kann sich nur um

Wulfheres Wölfe handeln!"

Im nächsten Augenblick gelangten sie auf eine kleine Lichtung,

die vom ersten Licht der anbrechenden Dämmerung erleuchtet
wurde, und von der anderen Seite kam ein Trupp rotbärtiger Riesen,
deren Anführer wie ein leibhaftiger Kriegsgott aussah.

„Cormac! Bei Thors Blut, mir deucht, wir sind seit Ewigkeiten

in diesen verdammten Wäldern umhermarschiert! Als ich den
Feuerschein über den Bäumen sah und das Geschrei hörte, machte
ich mich mit allen meinen Männern auf den Weg, denn ich glaubte
schon, du branntest Thorwalds Lager im Alleingang nieder und
plündertest es!" Wulfhere lachte. „Aber sage mir, was geschieht da

background image

103

vorn, und wer ist das?"

„Das ist Hrut, den wir suchten", antwortete der Gäle, „und da

vorne ist die Hölle und Kampf. Aber da ist Blut an deiner Axt!"

„Aye. Wir mußten uns durch einen Schwärm kleiner,

dunkelhäutiger Kerle durchschlagen. Ich glaube, du nennst sie
Pikten."

Cormac fluchte. „Wir laden eine Blutschuld auf uns, die nicht

einmal Brulla verantworten kann ..."

„Nun", grollte der Riese, „die Wälder sind voll von ihnen, und

wir hörten sie hinter uns heulen wie die Wölfe ..."

„Ich dachte, alle würden sich beim Lager befinden", warf Hrut

ein.

Cormac schüttelte den Kopf. „Brulla sprach von einem Treffen

der Clans. Sie kamen von allen Inseln von Hjaltland und landeten
wahrscheinlich an allen Ufern der Insel. Still!"

Der Kampflärm wurde lauter, als die Dänen tiefer in den Wald

vordrangen, aber aus der Richtung her, aus der Wulfhere mit seinen
Mannen gekommen war, erklang ein langgezogenes Heulen wie das
jagender Wölfe, das immer höher wurde.

„Schließt euch zusammen!" schrie Cormac erbleichend, und die

Dänen hatten gerade noch Zeit, eine Schildmauer zu bilden, als die
Horde auch schon heran war. Hundert Pikten, deren Schwerter noch
unbefleckt waren, fluteten wie eine Woge gegen die Schilde der
Wikinger.

Cormac hieb und stach wie ein Besessener auf die Angreifer ein

und rief Wulfhere zu: „Halte sie auf; ich muß Brulla finden. Er wird
ihnen erklären, daß wir Thorwalds Feinde sind, und uns in Frieden
abziehen lassen!"

Alle bis auf eine Handvoll der Angreifer waren gefallen.

Cormac sprang hinter dem Schildwall hervor und hetzte in den
Wald. In dem von Kämpfenden erfüllten Wald nach Brulla zu
suchen, kam Wahnsinn gleich, aber es war ihre einzige Chance.
Nachdem der letzte Trupp der Pikten von hinten gekommen war,
mußten sich Cormac und seine Kameraden wahrscheinlich zu ihrem
Schiff durchkämpfen. Zweifellos handelte es sich um Krieger, die
von einer im Osten liegenden Insel gekommen und gerade an der
Ostküste gelandet waren.

Wenn er nur Brulla fände! Doch kaum hatte er sich ein paar

Dutzend Schritte von der Lichtung entfernt, stolperte er über zwei

background image

104

eng ineinander verschlungene Leichen. Eine war die von Thorwald
Schildhauer, die andere die von Brulla. Cormac starrte sie einige
Augenblicke lang an, und als er das Wolfgeheul von Pikten um sich
hörte, lief ihm ein Schauder über den Rücken. Dann sprang er auf
und rannte zur Lichtung zurück, auf der er die Dänen verlassen
hatte.

Wulfhere lehnte auf seiner langstieligen Axt und starrte auf die

Leichen zu seinen Füßen. Seine Männer standen unbewegt in ihrer
Formation.

„Brulla ist tot", berichtete der Gäle. „Wir müssen uns selbst

helfen. Die Pikten schneiden uns die Hälse durch, wenn sie uns
finden, denn die Götter wissen, daß sie keinen Grund haben, einen
Wikinger zu lieben. Unsere einzige Chance besteht darin, wenn
möglich zu unserem Schiff zurückzukehren. Aber das ist eine
geringe Chance, denn ich zweifle nicht daran, daß die Wälder voll
von Wilden sind. Zwischen den Bäumen können wir die
Schildformation nicht aufrechterhalten, aber..."

„Denk dir etwas anderes aus, Cormac", unterbrach ihn Wulfhere

grimmig und wies mit dem Stiel der Axt nach Osten. Dort stand ein
roter Schein über den Bäumen, und Triumphgeschrei drang
schwach an ihre Ohren. Das konnte nur eines bedeuten.

„Sie haben unser Schiff gefunden", murmelte Cormac. „Beim

Blut der Götter, die Würfel des Schicksals sind gegen uns."

Plötzlich kam ihm ein Gedanke.
„Mir nach! Haltet euch dicht beisammen, und schlagt euch

durch, wenn es sein muß, aber bleibt dicht hinter mir!"

Ohne Fragen folgten sie ihm durch den Wald, in dem Leichen

verstreut lagen und auf allen Seiten Waffengeklirr zu vernehmen
war, bis sie an den Rand der Lichtung gelangten und die Ruinen des
Lagers vor ihnen lagen. Nur durch Zufall waren sie auf ihrem
Eilmarsch keinen Pikten begegnet, aber hinter ihnen erhob sich
fürchterliches Geschrei, als ein Trupp der Eingeborenen auf die mit
Leichen übersäte Lichtung stieß, die die Dänen vor kurzem
verlassen hatten.

Auf dem Lagerplatz wurde nicht mehr gekämpft. Die einzigen

Nordmänner, die zu sehen waren, lagen tot und verstümmelt am
Boden. Die Kämpfe hatten sich in den Wald verlagert, in den sich
die bedrängten Wikinger entweder zurückgezogen hatten, oder
wohin sie getrieben worden waren. Aus dem Waffenlärm zu

background image

105

schließen, verteidigten sich die letzten Überlebenden noch
standhaft. Zwischen den Bäumen waren Pfeil und Bogen mehr oder
weniger nutzlos, und die Wikinger mochten sich noch stundenlang
wehren, wenn auch ihr endgültiges Schicksal besiegelt war.

Dreihundert bis vierhundert Pikten hatten, des Kampfes müde,

die Schlußphase ihren noch frischen Stammesgenossen überlassen
und suchten zwischen den verkohlten Balken der Vorratshütten
nach brauchbaren Gegenständen.

„Seht!" Cormac wies mit dem Schwert auf das Drachenschiff,

das mit dem Bug auf Sand lag, dessen Heck jedoch schwamm.
„Jeden Augenblick haben wir tausend schreiende Dämonen am
Hals. Dort liegt unsere einzige Chance, Wölfe - Hakon Skels Raven.
Wir müssen uns zum Schiff durchkämpfen, es ins Wasser schieben
und davonrudern, ehe uns die Pikten daran hindern können. Einige
von uns werden sterben, und vielleicht sterben wir alle - aber es ist
unsere einzige Chance!"

Die Wikinger sprachen kein Wort, aber in ihren Augen leuchtete

es, und viele grinsten wölfisch. Alles auf eine Karte gesetzt! Das
war der einzige Sinn des Lebens für einen Wikinger!

„Schließt euch zusammen!" brüllte Wulfhere. „Legt die Schilde

aneinander! Keilform, und Hrut in die Mitte!"

„Was...?" brauste Hrut zornig auf, aber Cormac schob ihn

ungerührt zwischen die gepanzerten Reihen.

„Du hast keine Rüstung", knurrte er. „Fertig, alter Wolf? Dann

greift an, und mögen die Götter die Gewinner wählen!"

Wie eine Lawine schoß der stählerne Keil zwischen den Bäumen

hervor und raste auf das Ufer zu. Die Pikten zwischen den Ruinen
des Lagers wandten sich mit erstaunten Aufschreien um, und eine
dünne Linie von Kriegern versperrte den Weg zum Wasser. Doch
ohne die Geschwindigkeit zu verringern, traf der fliegende Keil die
Linie der Pikten, bog sie zurück, rollte sie auf, hieb sie nieder und
gelangte ans Ufer.

Im Wasser zerfiel die Formation unweigerlich. Die Wikinger

stolperten über Leichen und wurden von einem Pfeilhagel
überschüttet, aber sie erreichten das Langschiff und schwärmten die
Bordwände hinauf, während ein Dutzend der Stärksten ihre
Schultern gegen den Bug stemmten, um es flottzubekommen. Die
Hälfte von ihnen starb dabei, aber die gigantischen Kräfte der
übrigen triumphierten, und das Schiff begann sich zu bewegen.

background image

106

Die Dänen waren die Bogenschützen unter den Wikin-

gervölkern. Dreißig der achtzig Krieger Wulfheres trugen schwere
Bögen und Köcher mit langen Pfeilen auf dem Rücken. So viele von
ihnen, wie auf den Ruderbänken zu entbehren waren, spannten ihre
Bögen und schickten ihre Pfeile gegen die Pikten, die ins Wasser
gewatet kamen, um die noch im Wasser befindlichen Dänen
anzugreifen. Im ersten Licht der aufgehenden Sonne forderten die
Geschosse großen Blutzoll unter den nackten Angreifern, und sie
drangen nicht weiter vor. Pfeile schwirrten auf das Schiff zu, und
einige fanden auch ihr Ziel, aber die Dänen schoben mit allen
Kräften unter ihren schützenden Schilden, und bald - obgleich es
wie Stunden erschien - kam das Schiff gänzlich frei und wurde flott.
Die Männer im Wasser sprangen hoch und hielten sich an Seilen
und Ketten fest und kletterten an Bord, während die langen Ruder
das Drachenschiff in die Bucht hinaustrieben, gerade als eine
heulende Horde aus dem Wald heraus ans Ufer stürmte. Eine
Pfeilwolke stieg empor, aber die Geschosse prallten harmlos von
den Schilden an der Reling ab, als die Raven dem offenen Meer
zustrebte.

„Das ging hart auf hart!" rief Wulfhere, lachte dröhnend und

hieb Cormac auf den Rücken. Hrut schüttelte den Kopf. Er fand es
erniedrigend, daß einer der Männer dazu beauftragt worden war,
während des Kampfes einen Schild über ihn zu halten.

„Viele tapfere Krieger sterben in den Wäldern dort. Es schmerzt

mich, sie auf diese Weise im Stich zu lassen, obwohl sie unsere
Feinde sind und mich getötet hätten."

Cormac zuckte mit den Schultern. „Ich würde ihnen auch helfen,

sähe ich einen Weg. Aber wir hätten nichts damit erreicht, wenn wir
mit ihnen gefallen wären.

Beim Blut der Götter, was für eine Nacht! Golara ist von den

Wikingern befreit, aber die Pikten haben einen hohen Preis bezahlt!
Thorwalds vierhundert Männer sind tot oder werden es bald sein,
aber nicht weniger als tausend Pikten sind beim Lager gefallen, und
nur die Götter wissen, wieviele mehr in den Wäldern."

Wulfhere betrachtete Hrut auf dem Achterdeck, der in der

ausgestreckten Hand sein Schwert hielt, dessen blutige Spitze auf
den Planken ruhte. Er war blutbefleckt und verwundet, und seine
Kleidung hing in Fetzen, aber seine königliche Haltung war
unverkennbar.

background image

107

„Und nun, da ihr mich gegen eine so große Übermacht befreit

habt", sagte er, „was verlangt ihr von mir außer meiner ewigen
Dankbarkeit, die ihr bereits habt?"

Wulfhere gab ihm keine Antwort, sondern wandte sich den

Männern auf den Ruderbänken zu, die erwartungsvoll zu der
Gruppe auf dem Achterdeck emporsahen. Der Anführer der
Wikinger hob seine rote Axt und rief: „Skoal, ihr Wölfe! Ein Hoch
auf Thorfinn Adlerhelm, König von Dänemark!"

Ein donnerndes Gebrüll stieg zum blauen Morgenhimmel empor

und erschreckte die kreischenden Möwen. Der in Fetzen gekleidete
König riß vor Erstaunen den Mund auf und warf rasche Blicke von
einem zu dem anderen - im Ungewissen über seine Lage.

„Und nun, da ihr mich erkannt habt", sagte er, „bin ich Gast oder

Gefangener?"

Cormac grinste. „Wir sind dir von Skagen aus gefolgt, von wo

du mit einem Schiff nach Helgoland geflohen bist, und haben dort
erfahren, daß Thorwald Schildhauer einen Dänen mit dem Gehaben
eines Königs gefangengenommen hat. Wir wußten, daß du deine
Identität geheimhalten würdest und erwarteten also nicht, daß
Thorwald ahnte, den König der Dänen in der Gewalt zu haben.

König Thorfinn, dieses Schiff und unsere Schwerter stehen dir

zur Verfügung. Wir beide sind Geächtete in unseren eigenen
Ländern. In Erin kannst du nichts für mich tun, aber du kannst die
Acht von Wulfhere nehmen und die dänischen Häfen für uns
öffnen."

„Dies würde ich mit Freuden tun, meine Freunde", sagte

Thorfinn tief bewegt. „Aber wie kann ich meinen Freunden helfen,
wenn ich mir nicht einmal selbst zu helfen vermag? Ich bin selbst
ein Ausgestoßener, und mein Vetter Erik herrscht über die Dänen."

„Nur bis wir auf dänischem Boden landen!" rief Cormac. „Oh,

Thorfinn, du bist zu früh geflohen; aber wer kann schon die Zukunft
vorhersehen? Bereits als du wie ein gejagter Pirat flüchtetest,
wackelte Eriks Thron. Während du in Thorwalds Drachenschiff
gefangen lagst, fiel Jarl Anlaf im Kampf gegen die Jüten, und Erik
verlor seine größte Stütze. Ohne Anlaf ist seine Herrschaft über
Nacht dahin, und die Dänen werden sich scharenweise um dein
Banner sammeln!"

In Thorf inns Augen trat ein wundersames Leuchten. Er warf das

Haupt zurück wie ein Löwe seine Mähne und streckte sein gerötetes

background image

108

Schwert der aufgehenden Sonne entgegen.

„Skoal!" rief er. „Setzt Kurs auf Dänemark, meine Freunde, und

möge Thor unser Segel füllen!"

„Richtet den Bug ostwärts", brüllte Wulfhere den Männern am

Steuerruder zu. „Wir setzen einen neuen König auf Dänemarks
Thron!"
































background image

109

Tempel des Grauens


„Haltet an", brummte Wulfhere Hausakliufr. „Ich sehe ein

steinernes Gebäude zwischen den Bäumen. Bei Thors Blut!
Cormac, fuhrst du uns in eine Falle?"

Der hochgewachsene Gäle schüttelte den Kopf und runzelte die

zernarbte Stirn.

„Ich habe noch nie gehört, daß sich in dieser Gegend eine

Festung befinden soll. Die britischen Stämme ringsum verwenden
keine Steine für den Hausbau. Vielleicht ist es eine alte römische
Ruine."

Wulfhere zögerte unentschlossen und blickte sich nach dem

Trupp bärtiger Krieger in gehörnten Helmen um. „Vielleicht sollten
wir einen Kundschafter vorschicken."

Cormac Mac Art lachte höhnisch. „Alarich führte seine Goten

vor über achtzig Jahren durch das Forum, doch ihr Barbaren
erschreckt immer noch vor dem Namen Rom. Fürchtet euch nicht -
in Britannien gibt es keine Legionen mehr. Ich glaube, das hier ist
ein Druidentempel. Von ihnen haben wir nichts zu fürchten -
besonders da wir gegen ihre Erbfeinde ziehen."

„Und Cerdics Brut wird heulen wie die Wölfe, wenn wir sie von

Westen her anstatt von Süden oder Osten angreifen", sagte der
Schädelspalter grinsend. „Es war eine gute Idee, Cormac, unser
Drachenschiff an der Westküste zu verbergen und durch das Land
der Briten zu marschieren, um über die Sachsen herzufallen. Aber
der Plan ist auch verrückt."

„Er ist nicht so wahnsinnig, wie es scheint", erwiderte der Gäle.

„Ich weiß, daß sich nur wenige Krieger in der Gegend aufhalten,
denn die meisten Häuptlinge sammeln sich um Arthur Pendragon zu
einem gemeinsamen Unternehmen. Pendragon - ha! Arthur ist
ebenso wenig Uther Pendragons Sohn wie du. Uther war ein
schwarzhaariger Wahnsinniger - mehr Römer als Brite, und mehr
Gallier als Römer. Arthur ist so blond wie Eric hier. Und er ist ein
reinrassiger Kelte von den wilden, westlichen Stämmen, die Rom
nie unterjochte. Lancelot hat ihn dazu gebracht, daß er sich zum
König machte, sonst wäre er immer doch nur ein räuberischer
Häuptling."

„Und hat er auch die feinen Sitten der Römer angenommen?"

background image

110

„Arthur? Ha! Neben ihm würde einer deiner Dänen sich wie

eine Hofdame ausmachen. Er ist ein gelbmähniger Wilder mit einer
Vorliebe für den Kampf." Cormac grinste wölfisch und griff sich an
seine Narben. „Beim Blut der Götter - hat er ein durstiges Schwert!
An seinen Küsten haben wir Piraten aus Erin nie viel zu holen
gehabt!"

„Ich wollte, er stünde mir im Kampf gegenüber", grollte

Wulfhere und befühlte die geschwungene Scheide seiner Axt. „Und
Lancelot?"

„Ein abtrünniger Gallo-Römer, der das Halsabschneiden zur

Kunst erhoben hat. Wenn er nicht Petronius liest, so intrigriert er.
Gawain ist wie Arthur ein reinrassiger Brite, hat jedoch eine
Vorliebe für alles Römische. Du würdest lachen, wenn du siehst,
wie er Lancelot nachäfft; aber er kämpft wie ein blutdürstiger
Teufel. Ohne die beiden wäre Arthur nicht mehr als ein
Banditenhäuptling. Er kann weder lesen noch schreiben."

„Na und?" grollte der Däne. „Das kann ich auch nicht. - Sieh, da

ist der Tempel."

Sie hatten eine große Lichtung betreten, in deren Schatten ein

niedriges Gebäude kauerte, halb verdeckt von einer Säulenreihe.

„Dies kann kein Tempel der Briten sein", grollte Wulfhere. „Ich

dachte, die meisten gehören einer schwächlichen neuen Sekte an,
die sich Christen nennen."

„Das sind die römisch-britischen Mischlinge", sagte Cormac.

„Die reinrassigen Kelten halten sich an die alten Götter, wie wir in
Erin. Beim Blut der Götter, wir Gälen werden niemals Christen
werden, solange noch ein Druide lebt!"

„Was tun diese Christen?" fragte Wulfhere neugierig.
„Man sagt, daß sie bei ihren Zeremonien Säuglinge essen."
„Man sagt aber auch, daß die Druiden Männer in Käfigen aus

frischem Holz verbrennen."

„Eine Lüge, die Cäsar verbreitete und von Narren geglaubt

wird!" erwiderte Cormac erregt. „Ich verehre die Druiden nicht
besonders, aber Naturkenntnis und die Weisheit von Jahrhunderten
kann man ihnen nicht absprechen. Diese Christen lehren Demut,
und daß man sich vor Schlägen beugen soll."

„Was sagst du?" Der riesige Wikinger war ehrlich erstaunt. „Ist

es wirklich ihre Art, Schläge einzustecken wie ein Sklave?"

„Aye - und Böses mit Gutem zu vergelten und ihren

background image

111

Unterdrückern zu verzeihen."

Der Riese dachte einen Augenblick lang über das Gehörte nach.

„Das ist kein Glaube, sondern Feigheit", stellte er dann fest. „Diese
Christen müssen alle Verrückte sein. Cormac, wenn du einen von
ihnen siehst, so zeige ihn mir, und ich werde seinen Glauben auf die
Probe stellen." Er hob bedeutungsvoll seine Axt. „Denn das ist eine
heimtückische und gefährliche Lehre, die den Mannesmut
untergraben könnte, wenn man sie nicht sofort zertritt."

„Wenn ich einen solchen Irrsinnigen treffe", sagte Cormac

grimmig, „so bin ich der erste, der dies tut. Warte hier; ich habe
denselben Glauben wie die Briten, wenn ich auch anderer Rasse bin.
Diese Druiden werden unseren Zug gegen die Sachsen segnen.
Vieles ist nur Mummenschanz, aber zumindest ihre Freundschaft ist
wünschenswert."

Der Gäle schritt zwischen den Säulen hindurch und verschwand.

Der Hausakliufr lehnte sich auf seine Axt. Ihm schien, als ertönte
aus dem Innern ein undeutliches Klappern, wie das Geräusch von
Hufen auf Marmor.

„Dies ist ein böser Ort", murmelte Osric Jarltöter. „Gerade

glaubte ich, ein seltsames Gesicht hinter einer der Säulen gesehen
zu haben."

„Es war eine Schlingpflanze oder ein Schwamm", widersprach

ihm der Schwarze Hrothgar. „Überall sind diese Schwämme zu
sehen. Sie haben die eigenartigsten Formen, sehen manchmal
menschlichen Gesichtern gleich..."

„Ihr seid beide verrückt", unterbrach Hakon, Snorris Sohn. „Es

war eine Ziege. Ich sah die Hörner auf ihrem Kopf..."

„Bei Thors Blut", knurrte Wulfhere, „schweigt und horcht!"
Aus dem Innern des Tempels erklang ein Aufschrei, das

Trappeln wie von Hufen auf Marmorplatten, das Schaben eines
Schwertes, das aus der Scheide fährt und ein dumpfer Hieb.
Wulfhere packte seine Axt fester und wollte schon losrasen, als
Cormac Mac Art zwischen den Säulen hervorgehastet kam.
Wulfheres Augen weiteten sich, und Schrecken packte ihn, denn
noch nie zuvor hatte er den Gälen die Beherrschung verlieren
gesehen - jetzt aber war alle Farbe aus dem Gesicht Cormacs
gewichen, und seine Augen starrten, als hätten sie namenlose,
finstere Abgründe geschaut. Von seiner Klinge troff Blut.

„Was, in Thors Namen...?" fragte Wulfhere und spähte ängstlich

background image

112

in den schattigen Tempel.

Cormac wischte sich kalte Schweißtropfen von der Stirn und

benetzte seine Lippen.

„Beim Blut der Götter", sagte er, „entweder sind wir auf etwas

Abscheuliches gestoßen, oder aber ich bin verrückt! Es kam
plötzlich aus der Düsternis im Innern gesprungen und hatte mich
bereits fast gepackt, als ich mich endlich besann, das Schwert zog
und zuschlug. Es sprang und hüpfte wie eine Ziege, lief jedoch auf
zwei Beinen; und in der Dunkelheit war es einem Menschen nicht
unähnlich."

„Du bist verrückt", sagte Wulfhere voll Unbehagen. In seiner

Mythologie gab es keine Satyrn.

„Was?" schnappte Cormac. „Das Ding liegt auf den Steinplatten

da drin. Folge mir, und ich werde dir zeigen, ob ich wahnsinnig
bin!"

Er wandte sich um und ging auf die Säulen zu. Wulfhere folgte

ihm mit bereitgehaltener Axt, und hinter ihm kamen in einer dichten
Gruppe vorsichtig die Wikinger. Sie schritten zwischen den Säulen
hindurch, die keinerlei Verzierungen aufwiesen, und betraten den
Tempel. Sie fanden sich in einer großen Halle, an deren Längsseite
schwarze Steinsockel gereiht waren. Und auf jedem hockte eine
gedrungene, aus Stein gehauene Gestalt, aber es war unmöglich zu
erkennen, was für Lebewesen sie darstellten. Etwas Bedrohliches
ging von ihnen aus.

„Nun?" fragte Wulfhere ungeduldig. „Wo ist dein Ungeheuer?"
„Hier hieb ich es nieder", erwiderte Cormac und deutete mit

seinem Schwert. „Bei den schwarzen Göttern!"

Die Steinplatten waren leer.
„Täuschung und Wahnsinn", sagte Wulfhere und schüttelte den

Kopf. „Keltischer Aberglaube. Du siehst Gespenster, Cormac!"

„So?" schnappte der Gäle erzürnt. „Wer hat auf dem Leuchtturm

auf Helgoland einen Troll gesehen und mit seinem Geschrei das
ganze Lager geweckt? Und wer hat die Männer die ganze Nacht
nicht schlafen und die Feuer schüren lassen, um die Geschöpfe der
Finsternis abzuhalten?"

Wulfhere brummte etwas in seinen Bart und sah seine Männer

herausfordernd an, ob jemand von ihnen zu lachen wagte.

„Schau", sagte Cormac und beugte sich nieder. Auf den

Steinplatten befand sich eine frische Blutlache. Wulfhere bückte

background image

113

sich, richtete sich sofort wieder auf und spähte in die Schatten.
Seine Männer rückten dichter aneinander. Ihre Bärte waren
gesträubt. Angespannte Stille herrschte.

„Folgt mir", sagte Cormac leise, und sie drängten sich dicht an

seine Fersen, als er den breiten Gang entlangschritt. Zwischen den
unheimlichen Sockeln befand sich anscheinend keine Tür. Vor
ihnen wurde es heller, und sie gelangten in einen großen,
kreisrunden Raum mit einem Kuppeldach. Darin standen in
unregelmäßigen Abständen weitere Sockel, und im Licht, das
irgendwie durch die Kuppel drang, sahen die Männer deutlich die
Formen der Steinfiguren. Cormac fluchte zwischen zusam-
mengebissenen Zähnen, und Wulfhere spuckte auf den Boden. Die
Gestalten waren menschlich, und nicht einmal die abwegigsten
Genies des dekadenten Griechenland und Rom hätten sich solche
Widerwärtigkeit einfallen lassen und dem Stein ein solches Leben
einhauchen können. Cormac schnitt eine Grimasse. Hin und wieder
hatte der unbekannte Künstler beim Behauen des Steins die Grenzen
überschritten und in die natürlichen Verdrehungen der
menschlichen Körper unreale Deformationen hineingebracht, die
geheime Ängste in ihm weckten, die in den tiefsten Winkeln seiner
Seele geschlummert hatten.

Der Gedanke, daß er eine Halluzination gesehen und erschlagen

haben könnte, verschwand.

Neben dem Eingang, durch den sie die Kammer betreten hatten,

befanden sich vier Portale - schmale, oben gewölbte Durchgänge
ohne Türen. Ein Altar war nicht zu sehen. Cormac schritt in die
Mitte des Raumes und blickte zur Kuppel hoch, die sich drohend
über ihm wölbte. Dann sah er zu Boden und betrachtete die
Steinplatten. Die Linien dazwischen bildeten ein Muster, in dessen
Mittelpunkt sich ein achteckiger Stein befand.

Als ihm zum Bewußtsein kam, daß er auf diesem Stein stand,

versank er lautlos unter seinen Füßen, und er fiel in den Abgrund
darunter.

Nur seine übermenschliche Gewandtheit rettete den Gälen.

Thorfinn Jarltöter stand ihm am nächsten, und als der Gäle fiel,
versuchte er den Dänen am Gürtel zu packen. Die verzweifelt
ausgestreckten Finger verfehlten ihr Ziel, bekamen jedoch die
Scheide zu fassen. Und als sich Thorfinn instinktiv zurückstemmte,
wurde Cormacs Fall gebremst, und sein Leben hing am Griff seiner

background image

114

Hand und an der Festigkeit der Scheidenschlaufe. Augenblicklich
packte Thorfinn ihn am Handgelenk, und auch Wulfhere sprang
aufbrüllend vor und verstärkte den Griff. Die beiden zogen den
Gälen aus dem gähnenden Dunkel, bis er seine Beine über den Rand
schwingen konnte.

„Bei Thors Blut!" rief Wulfhere, den das Geschehen mehr

erschüttert hatte als Cormac. „Um Haaresbreite wäre es schief-
gegangen ... Bei Thor, du hast immer noch dein Schwert!"

„Wenn ich es fallen lasse, dann ist kein Leben mehr in mir",

sagte Cormac. „Ich habe vor, es in die Hölle mitzunehmen. Aber laß
mich in das Loch sehen, das sich so plötzlich unter mir geöffnet
hat."

„Nimm dich vor weiteren Fallen in acht", mahnte Wulfhere

beunruhigt.

„Ich sehe die Wände des Schachtes", sagte Cormac, als er sich

vorbeugte. „Aber die Finsternis läßt mich nicht weit blicken. Welch
abscheulicher Gestank von unten herauf dringt!"

„Komm", mahnte Wulfhere rasch. „Der Gestank kommt nicht

von der Erde. Der Schacht muß in den römischen Hades führen oder
in die Höhle, wo die Schlange Gift auf Loki träufeln läßt."

Cormac schenkte ihm keine Beachtung. „Ich sehe jetzt, wie die

Falltür funktioniert", sagte er. „Die Platte hing an zwei Zapfen, und
hier ist eine Art von Riegel, der sie stützte. Auf welche Weise er
bewegt wurde, kann ich nicht sagen. Jedenfalls wurde er betätigt,
und der Stein schwang nach unten ..."

Seine Stimme wurde leiser, und dann rief er plötzlich aus: „Blut!

Am Rand des Schachtes befindet sich Blut!"

„Das Ding, das du verletzt hast", brummte Wulfhere, „es wird in

den Schacht gekrochen sein." „Nur wenn tote Lebewesen kriechen
können", sagte Cormac. „Ich habe es getötet, sage ich dir. Es wurde
hierher getragen und hineingeworfen. Horch!"

Die Krieger beugten sich über das Loch. Von weit unten - aus

unglaublicher Entfernung, wie es schien - erklangen schmatzende
Geräusche und andere Töne.

Wie ein Mann fuhren die Krieger zurück, sahen einander an und

ergriffen ihre Waffen fester.

„Stein brennt nicht", sprach Wulfhere aller Gedanken aus, „zu

plündern gibt es nichts, und kein Mensch befindet sich hier.
Verschwinden wir!"

background image

115

„Warte!" Der Gäle neigte den Kopf zur Seite wie ein Jagdhund.

Er runzelte die Stirn und trat näher an eines der Bogenportale.

„Menschliches Stöhnen", flüsterte er. „Habt ihr es nicht

vernommen?"

Wulfhere streckte den Kopf vor und legte eine Hand ans Ohr.

„Aye, in jenem Gang."

„Folgt mir", schnappte der Gäle. „Bleibt dicht beieinander!

Wulfhere, nimm mich am Gürtel! Hrothgar, du packst Wulfheres,
und Hakon Hrothgars. Vielleicht gibt es noch mehr Falltüren. Ihr
übrigen schließt die Schilde zusammen und haltet Kontakt
miteinander!" Auf diese Weise zwängten sie sich durch den engen
Durchgang und gelangten in einen Korridor, der viel breiter war, als
sie angenommen hatten. Darin war es finsterer, aber weiter unten
sahen sie einen Lichtschimmer.

Sie hasteten darauf zu und blieben stehen. Es war tatsächlich

heller, so daß die scheußlichen Steinfiguren, die auch hier längs der
Wände standen, deutlich zu erkennen waren. Das Licht kam von
oben durch eine Anzahl von Öffnungen in der Decke. Eine nackte
Gestalt hing in Ketten zwischen den abscheulichen Statuen. Es war
ein Mann, den die Ketten an der Wand halb aufrecht hielten.
Zunächst hielt Cormac ihn für tot, und als er die entsetzlichen
Verstümmelungen sah, die ihm zugefügt worden waren, dachte er,
daß es auch besser so war. Da hob der Mann jedoch ein wenig den
Kopf, und leises Stöhnen drang zwischen den zerfetzten Lippen
hervor.

„Bei Thor!" rief Wulfhere erstaunt. „Er lebt!"
„Wasser, in Gottes Namen", wisperte der Mann an der Wand.
Cormac erhielt von Hakon, Snorris Sohn, einen wohlgefüllten

Beutel und hielt ihn dem Gepeinigten an den Mund. Der Mann trank
mit großen, gierigen Schlucken und hob dann mühsam den Kopf.
Der Gäle blickte in tiefe Augen, in denen eine seltsame Ruhe lag.

„Gottes Segen über Euch, meine Herren", erklang es schwach

und mit brüchiger Stimme, die einst kräftig und wohlklingend
gewesen sein mußte. „Ist die lange Marter zu Ende, und befinde ich
mich endlich im Paradies?"

Wulfhere und Cormac blickten einander erstaunt an. Paradies!

Piraten wie wir müßten sich im Tempel der Demütigen wahrlich
seltsam ausmachen, dachte Cormac.

„Nein, es ist nicht das Paradies", murmelte der Mann fiebrig,

background image

116

„denn die schweren Ketten quälen mich immer noch."

Wulfhere beugte sich vor und betrachtete die Kette. Dann packte

er seine Axt weiter oben am Stiel und schlug kraftvoll zu. Eines der
Glieder zersprang unter der scharfen Schneide, und der Mann fiel
Cormac in die Arme. Er war zwar nicht mehr an die Wand gekettet,
doch umschlossen schwere Bande immer noch Hand- und
Fußgelenke, und Cormac sah, daß sich das rostige Eisen tief ins
Fleisch geschnitten hatte.

„Ich glaube, Ihr habt nicht mehr lange zu leben, guter Mann",

sagte er. „Sagt uns, wer Ihr seid und wo sich Euer Dorf befindet, auf
daß wir Eure Leute benachrichtigen können."

„Mein Name ist Fabrizius, Herr", sagte das Opfer mühsam.

„Und meine Heimat ist jede Stadt, die noch den Sachsen
widersteht."

„Euren Worten nach zu schließen, seid Ihr ein Christ", stellte

Cormac fest, und Wulfhere betrachtete den Mann neugierig.

„Ich bin nur ein niedriger Priester Gottes, edler Herr", flüsterte

der Gepeinigte. „Aber Ihr dürft Euch nicht länger hier aufhalten.
Laßt mich hier und geht rasch, ehe Euch Böses widerfährt."

„Beim Blut Odins", schnaubte Wulfhere, „ich verlasse diesen

Ort nicht eher, bis ich herausgefunden habe, wer Menschen so
grausam behandelt!"

„Das Böse", murmelte Fabrizius, „das schwärzer ist als die

Rückseite des Mondes. In seiner Anwesenheit verschwinden die
Unterschiede zwischen den Menschen, so daß du mir wie mein
leiblicher Bruder erscheinst, Sachse."

„Ich bin kein Sachse, Freund", brummte der Däne.
„Das spielt keine Rolle. Alle Menschen sind Brüder. So lautet

Gottes Wort, das ich nie so richtig verstand -ehe ich an diesen Ort
des Schreckens gelangte!"

„Thor!" rief Wulfhere. „Ist dies kein Tempel der Druiden?"
„Nein", antwortete der Sterbende, „kein Tempel, in dem der

Mensch - wenn auch auf heidnische Art - die guten, reinen
Erscheinungsformen der Natur vergöttlicht. Ah, Gott - sie
bedrängen mich! Hebt euch hinweg, ihr unreinen Dämonen der
Finsternis, kriechende, schleichende Geschöpfe des roten Chaos und
des heulenden Wahnsinns! Schleimige Ungeheuer, die sich auf den
Schiffen Roms verbargen - abscheuliche Geschöpfe des Schlammes
des Orients suchten reinere Länder heim, gruben sich in gute,

background image

117

britische Erde - Eichen, älter als die Druiden - ernähren sich von
grausigen Dingen unter dem schwellenden Mond..."

Das fiebrige Gestammel verklang, und Cormac schüttelte den

Priester leicht. Der Sterbende kam zu sich, als erwachte er aus
tiefem Schlaf.

„Geht, ich bitte euch", flüsterte er. „Mir haben sie das

Schlimmste bereits angetan. Ihr aber... Sie werden euch mit bösem
Zauber umgarnen, sie werden eure Körper verstümmeln so wie
meinen, sie werden versuchen, euren Geist zu brechen, wie sie es
mit meinem getan hatten, besäße ich nicht meinen
unerschütterlichen Glauben an unser aller Gott, den Herrn. Er wird
kommen, das Monster, der Hohepriester des Bösen mit seinen
Legionen der Verdammten - horcht!" Der Sterbende hob den Kopf.
„Da kommt er bereits! Nun möge Gott uns alle beschirmen!"

Cormac knurrte wie ein Wolf, und der riesige Wikinger wirbelte

herum und grollte wie ein gestellter Löwe. Aye, tatsächlich näherte
sich etwas in einem der kleineren Gänge, die in den breiten Korridor
mündeten. Eine Unzahl von Hufen klapperte auf dem Steinboden.
„Schließt euch zusammen", knurrte Wulfhere, „bildet einen
Schildwall, ihr Wölfe, und sterbt mit blutigen Äxten!"

Rasch bildeten die Wikinger einen Halbmond aus Stahl um den

sterbenden Priester, und da stürmte auch schon eine schrecklich
anzusehende Horde aus dem dunkleren Gang ans Licht. Eine Flut
schwarzen Wahnsinns und roten Schreckens wogte heran. Die
meisten der Angreifer waren ziegenähnliche Geschöpfe. Sie liefen
auf den Hinterbeinen und besaßen menschliche Hände, und ihre
Gesichter waren halb menschlich, halb ziegenartig. Aber zwischen
ihnen drängten sich noch schrecklicher aussehende Gestalten. Aber
weiter hinten sah Cormac in dem dunklen Gang eine unwirkliche
Erscheinung schimmern, die zugleich etwas Übermenschliches,
jedoch auch Tierisches an sich hatte. Dann brandete die gräßliche
Horde gegen den Eisenwall an.

Die Kreaturen waren unbewaffnet, aber sie besaßen Hörner,

Fänge und Klauen. Sie kämpften wie Tiere - jedoch ohne deren
Gewandtheit und Geschick. Die Wikinger schwangen mit
blitzenden Augen und gesträubten Barten ihre Äxte mit gewaltigen
Streichen. Spitze Hörner, scharfe Krallen und zuschnappende Fänge
ließen bald Blut in Strömen fließen, aber die Dänen waren durch
ihre Helme, Rüstungen und Schilde gut geschützt und erlitten relativ

background image

118

geringen Schaden, während ihre Äxte und Speere unter ihren
ungeschützten Angreifern reiche Ernte hielten.

„Bei Thor und seinem Blut", fluchte Wulfhere, während er mit

einem einzigen Hieb seiner Axt eines der Ziegengeschöpfe
halbierte, „vielleicht fällt es dir schwerer, bewaffnete Männer zu
töten als einen nackten Priester zu foltern, Ausgeburt von Helheim!"

Die Höllenhorde wich vor dem tödlichen Stahlring zurück, aber

der Mann in den Schatten hinter ihnen trieb sie mit einem seltsamen
Singsang, der für die Menschen unverständlich war, wieder zum
Angriff. Seine Kreaturen warfen sich mit blinder Wut ins Ge-
tümmel, bis die toten Geschöpfe zuhauf vor den Beinen der
Wikinger lagen. Die Überlebenden flohen in den Gang. Die Dänen
wollten sie bereits verfolgen und sich dabei zerstreuen, aber
Wulfheres Befehl hielt sie davon ab.

Cormac jedoch sprang über den Berg von Leichen und raste den

dunklen, sich windenden Gang entlang und verfolgte die Gestalt,
die vor ihm floh. Der Flüchtende bog in einen anderen Korridor ein
und gelangte schließlich in die Hauptkammer mit dem Kuppeldach,
wo er sich stellte. Es war ein hochgewachsener Mann mit un-
menschlichen Augen und einem fremdartigen, dunklen Gesicht.
Abgesehen von phantastischen Schmuckstücken war er nackt. Mit
einem kurzen Krummschwert versuchte er, den Angriffen des Gälen
standzuhalten, aber Cormac in seiner Wut trieb ihn vor sich her wie
der Wind einen Strohhalm. Was immer der Hohepriester auch sein
mochte - sterblich war er jedenfalls, denn er fluchte in einer
seltsamen Sprache und zuckte jedesmal, wenn Cormacs langes,
schmales Schwert seine Verteidigung durchbrach und ihn an Kopf,
Brust und Armen verletzte. Unerbittlich trieb der Gäle ihn zurück,
bis an den Rand des gähnenden Schachtes. Und als Cormacs
Schwertspitze ihm in die Brust fuhr, taumelte er und fiel mit einem
Aufschrei rücklings in den Abgrund.

Lange Zeit war der immer leiser werdende Schrei aus den

unergründlichen Tiefen zu vernehmen, bis er plötzlich abbrach.
Danach ertönten weit unten schmatzende Geräusche wie von einer
grausigen Mahlzeit. Cormac lächelte grimmig. Im Augenblick
vermochten ihn nicht einmal die unmenschlichen Geräusche aus
dem Abgrund zu erschüttern. Er war der Rächer, der einen Feind
der menschlichen Rasse in den Rachen eines alles verschlingenden
Gottes geschickt hatte.

background image

119

Er wandte sich ab, um zu Wulfhere und seinen Männern

zurückzukehren. In den dunklen Gängen huschten ihm einige der
Ziegengeschöpfe über den Weg, aber sie flohen meckernd, als sie
seiner ansichtig wurden. Cormac schenkte ihnen keine
Aufmerksamkeit und erreichte schließlich Wulfhere und den
sterbenden Priester.

„Du hast den Schwarzen Druiden getötet", flüsterte Fabrizius.

„Aye, sein Blut klebt an deinem Schwert. Selbst durch die Scheide
hindurch sehe ich es leuchten, und so kann ich endlich sprechen.

Vor den Römern, vor den echten Druiden der Kelten, vor den

Gälen und sogar den Pikten existierte bereits der Schwarze Druide,
der Menschen Lehrer, wie er sich nannte, denn er war der letzte der
Schlangenmenschen, der letzte seiner Rasse, die vor dem Menschen
die Erde beherrschte. Aus seiner Hand erhielt Eva den Apfel, der
Adam den verfluchten Pfad der Erkenntnis wies. König Kull von
Atlantis tötete die letzten seiner Brüder in verzweifeltem Kampf, er
aber überlebte und nahm menschliche Gestalt an, um das teuflische
Wissen vergangener Zeitalter weiterzugeben. Ich sehe jetzt viele
Dinge - Dinge, die das Leben verbarg, die mir jedoch die sich
öffnenden Pforten des Todes nun offenbaren. Vor dem Menschen
existierten die Schlangenmenschen, und vor diesen die Alten mit
den Sternenköpfen, die zuerst den Menschen schufen und danach
die Ziegengeschöpfe, als sie erkanten, daß der Mensch ihren
Zwecken nicht dienlich war. Dieser Tempel ist der letzte Stützpunkt
ihrer verfluchten Zivilisation auf der Oberfläche der Erde, und unter
ihm haust der letzte Shoggoth in der Nähe unserer Welt. Die
Ziegenwesen fürchten sich nun vor denm Menschen und durch-
streifen nur nächtens die Hügel, während die Alten und die
Shoggoths sich tief im Erdinnern verbergen, bis zu dem Tage, an
dem sie Gott vielleicht als seine Geißel hervorruft - wenn
Armageddon gekommen ist..."

Der alte Mann hustete und keuchte. Cormac lief ein Schauder

über den Rücken. Bei Fabrizius' Worten hatten sich zu viele vage
Erinnerungen in seiner gälischen Seele gerührt.

„Ruh dich aus, alter Mann", sagte er. „Wir werden diesen

Tempel, diesen Stützpunkt, wie du ihn nennst, zerstören."

„Aye", grollte Wulfhere, dem seltsam zumute war. „Wir werden

jeden Stein dieses Bauwerks in den Abgrund darunter werfen!"

Cormac verspürte ebenfalls eine ungewöhnliche Traurigkeit -

background image

120

warum, wußte er nicht, denn er war schon oft zuvor dem Tod
begegnet. „Christ oder nicht - du besitzt eine tapfere Seele, alter
Mann. Du sollst gerächt werden ..."

„Nein!" Fabrizius hob eine blutleere, zitternde Hand, und sein

Gesicht schien von innen her zu leuchten. „Ich sterbe, und Rache
bedeutet meiner scheidenden Seele nichts. Ich kam zu diesem Ort
des Bösen mit dem Kreuz und den reinigenden Worten Gottes und
war zu sterben bereit, wenn nur die Welt von dem Schwarzen
befreit würde, der so viele abgeschlachtet hatte und unser aller
zweiten Sündenfall plante. Und Gott antwortete auf meine Gebete,
denn er sandte euch hierher, und ihr habt die Schlange getötet. Nun
müssen die Ziegengeschöpfe der Schlange in die Hügel fliehen und
der Shoggoth in die dunklen Eingeweide der Hölle zurückkehren,
aus denen er kam." Fabrizius packte Cormac und Wulfhere an den
Armen und fuhr fort: „Gäle - Nordmann - ihr seid beide Menschen,
wenn auch verschiedener Rasse und verschiedenen Glaubens. Seht,
jetzt!" Sein Körper schien in einem seltsamen Licht zu leuchten, als
er sich mühsam auf einen Ellbogen aufstützte. „Es ist, wie uns Gott
gesagt hat - alle Unterschiede zwischen uns verblassen angesichts
der Bedrohung durch die Mächte der Finsternis ... Aye, wir sind alle
Brüder ..."

Dann schlossen sich die Lider des Priesters. Cormac stand eine

Weile schweigend da, während seine Hand fest das Schwert
umklammerte. Dann holte er tief Atem und entspannte sich.

„Was hat der Mann gemeint?" fragte er endlich.
Wulfhere schüttelte sein zottiges Haupt. „Ich weiß es nicht. Er

war wahnsinnig, und sein Wahnsinn trieb ihn in den Untergang.
Aber er hatte Mut; denn begab er sich nicht furchtlos in die Gefahr
wie ein Berserker in den Kampf, den Tod nicht achtend? Er war ein
tapferer Mann. Aber dieser Tempel ist ein verfluchter Ort, den man
am besten meidet..."

„Aye - und je früher, desto besser!"
Cormac stieß sein Schwert klirrend in die Scheide und holte

wieder tief Atem. „Auf nach Wessex", rief er. „Wir werden unseren
Stahl in Sachsenblut reinigen."

ENDE

Bitte beachten Sie die Vorschau auf der nächsten Seite.

background image

121

Als TERRA FANTASY Band 24 erscheint:


Diener des Runenstabs

3. Roman des Runenstab-Zyklus von Michael Moorcock



Der Runenstab:

Sein Ursprung liegt tief im Dunkel der legendären

Vergangenheit verborgen, denn er entstand zu einer Zeit, als die
Erde noch jung war. Doch über Äonen hinweg, über Zeiten und
Räume, wirkt der Runenstab auf ganze Völker ein und beeinflußt
auch entscheidend die Schicksale einzelner Menschen.


Dies gilt besonders für:

DORIAN HAWKMOON, den letzten Herzog von Köln, der

einen verzweifelten Kampf gegen das Dunkle Imperium führt,
dessen Heere sich anschicken, die Welt zu erobern —

MELIADUS, Baron des Dunklen Imperiums, der Hawkmoon

blutige Rache geschworen hat —

HUILLAM D'AVERC, Herzog Hawkmoons ritterlichen Freund

und Kampfgefährten, und

PAHL BEWCHARD, der die Piraten von Starvel bekämpft.


Nach RITTER DES SCHWARZEN JUWELS (TERRA-

FANTASY-Band 12) und FEIND DES DUNKLEN IMPERIUMS
(TERRA-FANTASY-Band 18) wird hier der dritte Roman des
„Runenstab-Zyklus" vorgelegt. Ein weiterer Band ist in
Vorbereitung.


TERRA FANTASY erscheint vierwöchentlich und ist überall im

Zeitschriften- und Bahnhofsbuchhandel erhältlich.


Wyszukiwarka

Podobne podstrony:
Robert E Howard Fantasy Adventure 1930 Voice of El Lil, The
Terra Fantasy 024 Moorcock Michael Runenstab 03 Diener Des Runenstabs
Robert E Howard Fantasy Adventure 1924 Spear and Fang
Terra Fantasy 18 Michael Moorcock Runenstab 2 Feind Des Dunklen Imperiums
Terra Fantasy 31 Norton, Andre Hexenwelt 06 Die Braut Des Tiermenschen
Robert E Howard Fantasy Adventure 1932 People of the Dark
Pabel Sf Terra Fantasy 051 Michael Moorcock Burg Bras 01 Rächer Des Dunklen Imperitms
Robert E Howard Fantasy Adventure 1933 Black Canaan
Robert E Howard Fantasy Adventure 1933 House of Arabu, The
Cykl Conan Droga do tronu Robert E Howard
Robert E Howard Sports 1930 Alleys of Peril
Robert E Howard Sports 1932 Night of Battle
44 Pysk W Ciemności Robert E Howard
Robert E Howard Conrad and Kinrowan 1934 Haunter of the Ring, The
Robert E Howard El Borak 1935 Hawk of the Hills
Robert E Howard Conan Four Conan Books (DeCamp)
Robert E Howard Conan 1934 Rogues in the House
Robert E Howard Bogowie Bal Sagoth
Robert E Howard Córka Lodowego Olbrzyma

więcej podobnych podstron