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Verrat! 

von Joachim Honnef 

scanned by : horseman 

kleser: Larentia 

Version 1.0 

»Bald haben wir es geschafft«, sagte Edmar und ließ die 
Peitsche knallen. Der Frachtwagen rumpelte die Steigung 
hinauf in den Bergpaß. »Heute abend feiere ich 
Wiedersehen mit der heißen Gerlinde. Hei, das wird ein 
Fest der Freude.« Ludwig, der Mann neben ihm auf dem 
Kutschbock, spuckte mißmutig aus. »Man soll den Tag 
nicht vor dem Abend loben«, brummte er. 

Er war ein bißchen neidisch, denn für ihn gab es 

niemanden, mit dem er feiern konnte, abgesehen von 
einer kühlen Flasche Wein, die er nach erledigtem 
Geheimauftrag mit ins Bett nehmen würde. 

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»Du bist eine alte Unke«, sagte Edmar lachend. »Ich 

sage dir...« 

Er sagte nichts mehr. Ein Pfeil schlug in seine Brust. Es 

war ihm, als hätte ihn ein Blitzschlag getroffen. Seine 
Brust schien zu zerreißen. Blutige Schleier wallten 
plötzlich vor seinen Augen ... 

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Er schwankte auf dem Kutschbock. Wie aus weiter Ferne hörte er 
gellende Schreie und schrilles Wiehern. Verschwommen sah er 
drohende Gestalten zwischen den Felsbrocken und Büschen am 
Wegesrand hervorspringen. Wilde Gestalten, die mit Schwertern, 
Lanzen und Pfeil und Bogen bewaffnet waren. 

Edmar stürzte zu Boden. Er glaubte, Ludwigs Stimme in dem 

Durcheinander von Geräuschen zu erkennen. 

»Gnade, wir sind nur Holzfäller und ...« Die Stimme ging in ein 

Röcheln über. 

Jemand lachte dicht neben Edmar, der wie gelähmt am Boden lag 

und in dessen Brust die Schmerzen tobten. 

»Wir wissen genau, was ihr befördert«, sagte eine rauhe Stimme. 

»Los, Jungs, holen wir uns die Waffen!« 

Verrat! dachte Edmar noch. Dann wurde es totenstill um ihn, und 

er dachte nichts mehr. 

Angespannt lauschten die Ritter im Tafelsaal von Schloß Camelot 
König Artus' ernsten Worten. 

Als der König seine Ansprache beendet hatte, herrschte 

Betroffenheit, ja Fassungslosigkeit. 

Ein geheimer Transport war überfallen worden. Als Holzfäller 

verkleidete Männer des Königs waren von einer Räuberhorde 
allesamt niedergemacht worden. Die Waffen, die von einem 
Verwandten des Königs in Verona dringend benötigt wurden, waren 
erbeutet worden: Armbrüste, Lanzen und Schwerter, mit denen man 
eine kleine Streitmacht ausrüsten konnte. Auch Rüstungen waren den 
Räubern in die Hände gefallen. 

König Artus hatte anklingen lassen, daß die Räuber genau gewußt 

hatten, welchen Weg die vermeintlichen Holzfäller nahmen und 
welche Beute zu machen war. 

Einen Augenblick lang herrschte angespannte Stille im Tafelsaal. 

Dann setzte aufgeregtes Stimmengewirr ein. 

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Schließlich verschaffte sich Markus von Hohenstein, ein 

graubärtiger Ritter, Gehör. 

»Ihr meint, es sei Verrat im Spiel?« fragte er mit schwerer Stimme, 

und seine grünen Augen blickten verständnislos. König Artus nickte 
leicht. »Ungeheuerlich!« rief Dietleib von Auerswald und sprach 
damit aus, was wohl alle Versammelten dachten. 

Dietleib war ein großer, schlanker Ritter mit einem schmalen, stets 

etwas rötlichem Gesicht, das zumeist verkniffen und griesgrämig 
wirkte. 

»Wer war in die Geheimaktion eingeweiht?« fragte Dietleib und 

wischte sich mit fahriger Hand über die Stirn. 

»Nun, zunächst einmal die hier Versammelten« , erwiderte König 

Artus. 

Betretenes Schweigen. Dann Worte der Entrüstung darüber, daß 

dieser Kreis in Verdacht geraten könne. 

Eine knappe Handbewegung des Königs, und es herrschte sofort 

wieder Stille. 

»Außerdem die Fahrer der Wagen«, fuhr König Artus fort. 
»Da könnte die undichte Stelle sein«, rief Dietleib von  Auerswald 

erregt. »Wir sollten ...« 

König Artus unterbrach ihn. »Wir sollten unseren Verstand 

gebrauchen, bevor wir vorschnelle Schlüsse ziehen«, sagte er 
freundlich, doch bestimmt. 

Dietleib war etwas vorlaut und von sich eingenommen, doch nicht 

dumm. Er  verstand die Zurechtweisung. Sein Gesicht rötete sich 
noch mehr. 

Einige der anderen Ritter versuchten, ein schadenfrohes Lächeln zu 

verbergen. Dietleib war ob seiner anmaßenden Art nicht besonders 
beliebt in dieser Runde. »Die Fahrer der Wagen waren altgediente, 
von mir sorgfältig ausgewählte Getreue, die über jeden Verdacht 
erhaben waren«, fuhr König Artus fort. 

Wieder entstand betretenes Schweigen. 
»Außerdem sind alle umgebracht worden«, sagte Markus von 

Hohenstein schließlich und kratzte sich am grauen Bart. »Das 

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schließt zwar nicht Verrat aus, doch es spricht auch nicht gerade 
dafür.« 

»Vielleicht wollten sich die Räuber den Mitwisser vom Hälse 

schaffen«, sagte Dietleib von Auerswald und blickte beifallheischend 
in die Runde. Einige nickten zustimmend, denn diese Folgerung war 
nicht so einfach abzutun. 

»Aber wir haben doch gehört, daß es gute Männer waren, die nicht 

als Verräter in Betracht kommen«, ereiferte sich Markus von 
Hohenstein. 

»Gewiß, gewiß«, beeilte sich Dietleib zu beteuern, denn er wollte 

nicht, daß der Eindruck entstand, er wolle König Artus' Urteilskraft 
in Frage stellen. »Aber wer sonst könnte den Verrat begangen haben, 
wenn nur die ausgewählten Männer und wir von dem geheimen 
Transport wußten und der Überfall nicht von irgendwelchen 
Wegelagerern begangen wurde, die zufällig unerwartete Beute 
machten?« 

Die Mienen der Versammelten verrieten Ratlosigkeit. 
»Es wußte noch jemand von dem Plan«, sagte König Artus. 
Überrascht richteten sich aller Blicke auf ihn. 
Der König legte eine Pause ein, als wolle er die Spannung steigern. 

Er legte die Hände pyramidenförmig gegeneinander und sah einen 
nach dem anderen in der Runde an. Keiner wich seinem Blick aus. 

»Ritter Roland«, sagte der König dann. 
»Ha!« stieß Dietleib hervor, und dieser hämische Ausruf sagte 

mehr als alle Worte. 

Die meisten der Ritter wußten, daß Dietleib von Auerswald einen 

tiefen Groll gegen Ritter Roland hegte, ja fast schon Haß. 

Ritter Roland hatte das  Herz einer jungen verwitweten Gräfin 

erobert, auf die sich Dietleib Hoffnung gemacht hatte. Roland wußte 
nichts von der vorherigen Verbindung der beiden, und im Grunde 
hatte die sinnenfreudige Gräfin den ersten Schritt getan und Roland 
bei einer Feier auf Camelot schöne Augen gemacht. 

Doch Dietleib fühlte sich von Roland ausgestochen. 
König Artus war nichts von der Rivalität zwischen den beiden 

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Rittern zu Ohren gekommen, und seine Augenbrauen hoben sich 
befremdet. 

»Wie soll ich dieses >ha!< verstehen?« 
Dietleib lächelte überheblich. 
»Nun, ich könnte mir denken, daß dieser Ritter Roland ...« Er legte 

eine bedeutungsschwere Pause ein, und als er eine gewisse Unmut in 
König' Artus Miene zu erkennen glaubte, fuhr er anders fort als 
beabsichtigt, »... zumindest nicht aus dem Kreis der Verdächtigen 
auszuschließen ist.« 

»Unerhört!« rief Harald von Uhlenbruch, ein älterer Ritter, der mit 

Roland in väterlicher Freundschaft verbunden war. »Hier werden aus 
persönlicher Feindschaft haltlose Verdächtigungen vorgebracht.« 

»Wo ist er denn, der tolle Roland?« fragte Dietleib spöttisch und 

funkelte Harald von Uhlenbruch angriffslustig an. »Ist er zu feige, 
sich unseren Fragen zu stellen?« 

Um Beifall heischend, blickte Dietleib in die Runde. 
Harald von Uhlenbruchs Schnurrbart sträubte sich. Auch andere 

Ritter blickten empört drein. Doch einige hielten Dietleibs Frage 
offensichtlich für berechtigt und sahen fragend zu König Artus. 

»Ritter Roland ist in meinem Auftrag unterwegs«, sagte der König 

mit kühler Stimme, ohne jedoch Dietleib zurechtzuweisen oder 
Roland betont in Schutz zu nehmen. »Wenn seine Ermittlungn 
erfolgreich verlaufen, werden wir wissen, wer der Verräter ist.« 

Die ruhig gesprochenen Worte schlugen wie ein Donnerschlag ein. 
Wiederum setzte aufgeregtes Stimmengewirr ein, bis König Artus 

mit einer leichten Geste Schweigen gebot. 

»Eine Erklärung ist angezeigt«, sagte er in die erwartungsvolle 

Stille. »Einer der Wagenfahrer war nicht gleich tot. Er erwachte aus 
seiner Bewußtlosigkeit, als sich die Räuber davon  überzeugten, daß 
unter den Holzstämmen die Waffen und das Rüstzeug versteckt 
waren. Er hörte, was die Räuber sprachen. Daraus ging eindeutig 
hervor, daß sie von einem Verräter auf Camelot Hinweise bekommen 
hatten. Und es fiel auch der Name des Verräters.« 

Wieder sah er einen nach dem anderen an. Alle blickten gespannt. 

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Keiner wich seinem Blick aus, »Die Räuber hielten den Mann wohl 
für tot und ließen ihn liegen. Er wurde sterbend von einer Frau 
gefunden. Ihr hat er gesagt, was er gehört hat, und diese Dame hat 
bei einem Polizisten in Schönau ausgesagt. Über Umwege erreichte 
mich dann die Nachricht aus dem Bayernlande per Kurier. Ritter 
Roland weilte dort unten, um den Transport zu übernehmen und 
weiterzuführen. Ich informierte ihn per Kurier über den Überfall und 
gab ihm den Auftrag, mit dem Polizisten und der Dame zu sprechen. 
Der Polizist konnte sich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern, die 
ihm die aufgeregte Dame berichtete. Ein kleiner Polizist in einem 
verträumten Ort. Der Mann maß der Aussage der Zeugin keine große 
Bedeutung bei. Ritter Roland wird ihn und die Frau nach den 
Einzelheiten befragen.« 

König Artus legte eine Pause ein und verschränkte die Hände. 
Dietleib von Auerswald öffnete den Mund, um etwas zu sagen, 

schwieg dann jedoch. 

»Ich erwarte Ritter Roland für morgen abend zurück«, fuhr der 

König fort. »Und mit großer Wahrscheinlichkeit werden wir dann 
wissen, wer der Verräter ist.« 

Der Polizist von Schönau schnarchte. 

Ritter Roland klopfte noch einmal von innen gegen die Tür. Das 

Schnarchen wechselte die Tonart, doch sonst tat sich nichts. Rolands 
Blick glitt durch den kleinen, schmucklosen Raum. Fliegen summten 
um ein angebissenes Käsebrot, das neben den Stiefelspitzen des 
Polizisten auf einem Stapel von Papieren lag. Zuerst dachte Roland, 
es sei Kümmelkäse, wegen der vielen schwarzen Punkte. Doch bei 
genauerem Hinsehen stellte er fest, daß das Käsebrot voller Fliegen 
war. 

Es war heller Nachmittag, und in den Sonnenstrahlen, die durch 

die beiden kleinen Fenster in den Raum fielen, tanzten unzählige 
Staubkörnchen. 

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Roland schritt zu dem Schläfer. 
»Guten Tag!« 
Das Schnarchen verstummte, doch der Mann schlief weiter. 
Ritter Roland hätte dem Polizisten glatt das Schwert wegnehmen 

können. 

Roland schüttelte leicht den Kopf, als das Schnarchen wieder 

einsetzte. 

Er neigte sich an das linke abstehende Ohr des Schläfers und 

brüllte: 

»Überfall!« 
Der Mann sprang auf wie von einer Tarantel gestochen. Er riß die 

Augen auf, starrte Roland an, als sei er ein Geist und stammelte: 
»Gggnade!« 

Roland lächelte. 
»Keine Angst, du unerschrockener Kämpfer für Ordnung und 

Recht. Ich suchte nur nach einer Möglichkeit, dich zu wecken. Bist 
du Blasius Schulze?« 

Die wäßrigen Augen blinzelten. »So ist es. Blasius Schulze.« 
Er begriff wohl, daß von dem Fremden tatsächlich keine Gefahr 

drohte, und seine Haltung straffte sich. Sein spitzes Kinn ruckte 
trotzig vor, und seine bläulichgrauen Augen verloren den schläfrigen 
Ausdruck. 

»Und wer bist du?« fragte er ärgerlich. »Was maßt du dir an, mich 

bei der Vesper zu stören, du nichtsnutziger Hunds ...« 

»Ich bin Ritter Roland.« 
Die wäßrigen Augen wurden groß. Der Mund klaffte auf. 
»Oh, verzeiht, Ritter Roland. Ich wußte ja nicht ... ich habe Euch 

schon erwartet. Ein Bote des Königs ...« 

»Ich weiß«, unterbrach Roland. 
Der schläfrige Polizist verwandelte sich verblüffend. Er wieselte 

um den Schreibtisch herum, putzte mit einer Hand Staub von einem 
Stuhl und rückte ihn für Roland zurecht. Dann nahm er Haltung an 
und sagte dienstbeflissen: »Blasius Schulze, königstreu und 
pflichtbewußt. Stehe ganz zu Diensten, Ritter!« 

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Roland setzte sich. Als Blasius Schulze stramm stehenblieb, 

forderte Roland ihn mit einem Wink auf, ebenfalls wieder Platz zu 
nehmen und riet ihm, sich zu entspannen. 

Das nahm Blasius wohl recht wörtlich. Er setzte sich und blickte 

zu seinem Käsebrot. Dann zwinkerte er Roland, den er gerade noch 
sehr unterwürfig behandelt hatte, zu wie ein Zechkumpan dem 
anderen und legte einen Finger auf die Lippen. 

Roland konnte sich  keinen Reim auf das absonderliche Verhalten 

des Mannes machen. 

»Kommen wir zur Sache ...« begann er. 
»Pst! Nicht bewegen!« flüsterte Blasius Schulze. 
Er rollte ein Stück Papier zusammen und halte langsam damit aus. 
Klatsch! 
Die Papierkeule knallte auf das Käsebrot. 
»Erwischt!« jubelte Blasius. Er hob die Papierkeule langsam an 

und lugte auf die Beute. Drei Fliegenleichen garnierten das 
angebissene Käsebrot. Es waren ältere Stubenfliegen gewesen, die 
nicht mehr so flink der Attacke hatten entgehen können  wie die 
jüngeren. 

»Fette Beute«, sagte Blasius erfreut, legte die befleckte 

Papierkeule ab und nahm das Käsebrot. »Trotzdem 'ne ziemliche 
Sauerei.« 

Roland stimmte ihm zu. 
»Ja, aber wir wollten zur Sache kommen.« 
»Ahso, ja.« 
Blasius Schulze wischte mit einer Hand die Fliegenleichen vom 

Käse und biß herzhaft in die Schnitte. 

»Mein Vesperbrot«, sagte er kauend und schmatzend. »Bin noch 

gar nicht zum Essen gekommen. Die viele Arbeit, wißt Ihr.« 

Roland wußte nur, daß ihm dieser Blasius auf den Geist ging. 
Das war offenbar der Typ, der sich als unterwürfiger Diener 

vorstellte, wenn er es für angebracht hielt, und der sofort 
unverschämt wurde und nach der ganzen Hand griff, wenn man ihm 
den kleinen Finger reichte. 

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Roland änderte die Taktik. 
»Hör mit dem Schmatzen  auf und berichte mir von dem Überfall!« 

fuhr er Blasius Schulze an. 

Blasius verschluckte sich fast an einem Happen Käsebrot und 

spielte schnell den Eifrigen. 

»Nun, wie soll ich es sagen ...« begann er. 
»Faß dich kurz.« 
»Das war so, äh ...« 
»Kürzer!« 
Blasius zuckte zusammen. Dann berichtete er, zunächst knapp, 

doch dann immer wortreicher, was er von einer gewissen Franziska 
Hellwig erfahren hatte. 

Für Roland gab es nur einen Schluß: Der geheime Waffentransport 

war verraten worden, wie es König Artus in der versiegelten 
Botschaft andeutete, die Roland durch Kurier erhalten hatte. 

»Die Räuber erwähnten also einen Namen. Vermutlich den Namen 

des Mannes, der ihnen Hinweise auf den Transport gab. Was sagte 
diese Dame, als sie den Überfall meldete?« 

»Franziska? Die braucht Ihr nicht Dame zu nennen. Das ist nur 

eine Maid von der Alm. Und was für eine!« Er zwinkerte Roland 
vertraulich zu, und seine Miene nahm einen verzückten Ausdruck an. 

»Was sagte sie?« drängte Roland, den es herzlich wenig 

interessierte, was diese Franziska für eine Maid war. 

»Was sie sagte? Nun, sie war sehr aufgeregt. Überfall, Überfall! 

sagte sie. Und dann erzählte sie, daß sie auf dem Weg zur Alm einen 
sterbenden Mann gefunden hätte, der ihr noch etwas anvertraut 
hätte.« 

»Was?« fragte Roland, der Blasius die Antworten am liebsten aus 

der Knollennase gedreht hätte. 

»Nun, etwas von >geheim< und >Verrat< und >Mörder<.« 
»Und den Namen?« 
»Ach ja ... wartet ... sie sagte doch soviel! Etwas von Leib ...« Er 

kratzte sich am Kinn und schien zu überlegen. 

»Leibniz, Leibfried, Leib ...?« Roland fielen im Augenblick keine 

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weiteren Namen mit  Leib  ein. Er überlegte, ob eine der in Frage 
kommenden Personen so ähnlich hieß. 

Blasius schüttelte den Kopf. 
»Genau weiß ich es nicht mehr. Vor allem, weil sie auch noch 

einen anderen Namen nannte. Ich glaube ... Diet ... Dietmar?« 

Er scheuchte eine Fliege von seinem Kinn. 
»Oder Dietrich?« überlegte er. »Vielleicht auch Dieter. Ja, ich 

glaube Dieter im Ohr zu haben. Vielleicht ... Leibdieter?« 

»Dietleib!« entfuhr es Roland. 

Blasius Schulze blickte verdutzt. Dann schlug er sich vor die Stirn, 
als wolle er eine Fliege totschlagen. 

»Natürlich! Daß ich nicht gleich darauf gekommen bin. Das muß 

es sein!« 

Roland wollte es noch nicht recht glauben. Es gab einen Dietleib 

unter dem kleinen Kreis der Personen, die von dem Geheimtransport 
gewußt hatten: 

Dietleib von Auerswald. 
Roland glaubte das überhebliche Lächeln des Ritters zu sehen. 

Dietleib zählte nicht zu seinen Freunden. Schon mehrmals war er mit 
dem Mann zusammengerasselt. Das letzte Mal bei einer Feier auf 
Camelot wegen einer Dame ... 

Und es gab einige Punkte, die Ritter Roland nachdenklich 

stimmten: 

Dietleib war erst seit kurzer Zeit auf Camelot. König Artus hatte 

ihn auf Empfehlung eines Verwandten in seine Dienste genommen. 
Man erzählte hinter vorgehaltener Hand, daß Dietleib von Auerswald 
einen lockeren Lebenswandel führe. Wie ein eitler Gockel gebärdete 
er sich bei den Hofdamen. Er drang zwar selbst mit Vorliebe in 
andere Reviere ein, tobte aber vor Eifersucht, wenn  ihm  jemand in 
die Quere kam. 

Alles in allem nicht der Sympathischste ... 

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Roland verdrängte den Gedanken. Er wollte sich nicht von 

Vorurteilen leiten lassen. 

»Ihr wißt, wer dieser Haderlump ist?« fragte Blasius Schulze 

neugierig. 

»Vielleicht«, antwortete Ritter Roland ausweichend. 
Er stellte noch einige Fragen, doch sie ergaben nichts mehr. 
Es blieb bei Dietleib. 
»Ist diese Franziska Hellwig vertrauenswürdig?« fragte  Roland 

nachdenklich. 

»Franziska? Gewiß.« Blasius Schulze grinste schwärmerisch. »Das 

ist eine prächtige Maid, die das Herz und alles sonst auf dem 
richtigen Fleck hat.« 

»Und wo finde ich sie?« 
»Ihr wollt zu ihr rauf?« 
Blasius Schulze grinste unverschämt, wie Roland fand. 
»Nun, das ist ein beschwerlicher Weg«, fuhr der Polizist fort. 

»Aber es lohnt sich. Sie lebt dort ganz allein.« Er zwinkerte Roland 
zu, wie ein Schwerenöter dem anderen. »Ihr müßt nur auf der Hut 
sein. Sie hat einen bissigen Köter. Soll ich Euch zum Schutz 
begleiten?« 

Das fehlte noch, daß ihm dieser Fliegenfänger Schutz anbot. 
»Ich kann auf mich aufpassen«, sagte der Ritter mit dem 

Löwenherzen grollend und wandte sich zur Tür. 

»Das haben andere auch schon gesagt«, rief ihm Blasius Schulze 

nach. 

Roland schloß die Tür hinter sich etwas heftiger als es sonst seine 

Art war. 

Blasius Schulze war ihm mit seinem Geschwätz auf die Nerven 

gegangen. 

Roland fiel ein, daß er vergessen hatte, nach dem Weg zu 

Franziska Hellwig zu fragen, doch er hatte  keine Lust, zu Blasius 
zurückzukehren und sich weitere dumme Bemerkungen anzuhören. 
Gewiß war diese Franziska in Schönau bekannt und jemand anders 
konnte ihm Auskunft geben. 

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Roland ging zum Stall, wo er seinen Hengst in der Obhut eines 

Stallburschen gelassen hatte. 

Den Stallburschen konnte er zunächst nicht entdecken, doch dann 

sah er im Halbdunkel neben einem Strohballen ein strammes 
Hinterteil, das sich ihm entgegenreckte. 

Entweder suchte der Stallbursche einen verlorenen Silbergroschen 

im Stroh, oder er pennte wie der Polizist, dann allerdings in 
absonderlicher Stellung. 

Ritter Roland war nicht besonders gut gelaunt, und so gab er dem 

Stallburschen einen Klaps auf den strammen Hintern. 

Im Stroh regte es sich. Das Gesäß ruckte höher, die Gestalt richtete 

sich auf und fuhr zu Roland herum. 

Roland blickte verdutzt. 
Es war eine Maid. Sie trug zwar derbe Männerhosen, doch alles 

andere war äußerst weiblich. Ihre Augen schienen Blitze durch das 
Halbdunkel auf ihn abzuschießen, und unter der dünnen Bluse wogte 
es heftig. 

»Verzeiht, Jungfer ...« begann Roland. 
»Ich bin keine Jungfer!« unterbrach sie ihn zornig. 
»Dann verzeiht, meine Dame.« 
»Ich bin auch nicht Eure Dame!« Sie musterte ihn von oben bis 

unten und wieder zurück, und ihre Miene verlor den zornigen 
Ausdruck. 

»Schlagt Ihr immer Frauen?« fragte sie spöttisch. 
Roland schoß das Blut in die Wangen. Welche Unterstellung! 

Außerdem konnte man den Klaps kaum als Schlag bezeichnen. 

»Ich hielt Euch für den Stallburschen«, erwiderte er und ärgerte 

sich darüber, daß ihm keine spritzigere Bemerkung einfiel. 

Die Antwort schien sie zu besänftigen. Sie musterte ihn wieder, 

und er musterte sie, und es entstand ein Schweigen, das etwas 
Peinliches hatte. 

Sie ergriff als erste wieder das Wort. 
»Was starrt Ihr so? Habt Ihr noch nie eine Stallmaid gesehen?« 
»Doch, doch, ich dachte nur wegen der Hosen ...« 

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»Mannsbilder!« sagte sie abfällig. »Alle die gleichen. Bilden sich 

ein, nur sie dürften Hosen tragen  - ich meine richtige. Halten 
unsereins gewiß für abartig, wenn  wir uns kleiden, wie es die Arbeit 
erfordert.« 

»Keineswegs«, sagte Roland. »Doch durch die Männerhose ließ 

ich mich dazu hinreißen, Euch irrtümlich einen Klaps zu geben.« 

»Ah, das bin ich gewohnt«, erwiderte sie und lachte leise. 
»Ich habe eine Bitte«, sagte Roland. 
Sie trat etwas näher auf ihn zu, und das Licht der Stallaterne am 

Ende des Stallgangs fiel auf eine Gesichtshälfte. Es war ein hübsches 
Gesicht mit großen, dunklen Augen und vollen Schmollippen, das 
von blonden Locken umrahmt wurde. 

»Auch das bin ich gewohnt«, sagte sie, und ihre Stimme nahm 

einen dunkleren Klang an. Sie lächelte mit halb geöffneten Lippen. 
»Wohlan, sagt nur, was Ihr begehrt.« 

»Nun, ich wollte fragen ...« 
Sie schob sich dicht an ihn, bis ihr Busen ihn fast berührte. 
»Seid Ihr von schüchterner Natur?« 
Sie lachte leise. 
»Ihr braucht Euch keinen Zwang anzutun und könnt frei reden. 

Mein Bruder, der den Stall besitzt, ist im Wirtshaus. Ich habe ganz 
allein Nachtdienst, wenn Ihr versteht, was ich meine.« 

Sie blickte zu dem Stroh, ob zufällig oder wohlberechnet, und 

Roland glaubte längst verstanden zu haben. 

»Auch ich bin im Dienst«, sagte er. »Ich wollte mein Pferd 

abholen.« 

»Ach so.« 
Klang es ein wenig enttäuscht, oder bildete er sich das nur ein? 
Roland  griff in seine Tasche und holte ein Goldstück hervor. Er 

reichte es ihr lächelnd. 

»Ich muß dann weiter«, sagte er. »Leider ...« 
Sie blickte auf das Goldstück auf ihrer Handfläche, und ihre Augen 

funkelten. 

»Nehmt es nur«, sagte Roland. »Für den Klaps und ...« 

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Eine Auskunft, hatte er sagen wollen, doch er kam nicht mehr 

dazu. 

Sie wich einen Schritt zurück und warf ihm das Goldstück vor die 

Füße. 

»Ich nehme kein Geld, falls Ihr das meint«, sagte sie zornig. »So 

eine bin ich nicht. Holt Euren Gaul und verschwindet.« 

Roland schluckte. Diese Stallmaid, die sich so offenherzig gegeben 

hatte, schien doch von komplizierterer Natur zu sein, als er gedacht 
hatte. 

Roland ärgerte sich ein wenig ob dieser Abfuhr, die er doch gewiß 

nicht verdient hatte. Er entschloß  sich, die Maid einfach zu 
ignorieren. Er ging zu den Stallboxen. 

Der Hengst begrüßte ihn mit einem leisen Schnauben. Roland 

tätschelte ihm den Hals. Manchmal hatte er das Gefühl, sich mit dem 
Roß besser zu verstehen als mit gewissen Damen. 

Beim Satteln warf er einen Blick über die Schulter. Die Stallmaid 

hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Sie senkte hastig den Kopf, als 
er hinsah und hatte die Hände vor dem Schoß verschränkt. 

Sie wirkte fast gekränkt. 
Nun, dachte Roland, auch solche Damen haben ihren Stolz. 

Vielleicht hat sie mich mißverstanden. Oder ich sie. 

»Das Goldstück war für eine Auskunft gedacht«, sagte er. »Aber 

vielleicht seid Ihr so freundlich, schöne Dame, und beantwortet mir 
meine Frage auch so.« 

Ihr Kopf ruckte hoch. Bei dem Kompliment  schienen ihre Wangen 

zu erglühen und ihr Busen zu schwellen. Aber das konnte im 
Halbdunkel auch eine Täuschung sein. 

»Fragt nur ...« sagte sie leise. 
»Ich muß zu Franziska Hellwig«, sagte Roland. »Könnt Ihr mir 

den Weg beschreiben?« 

»Zu Franzi? Ach so ...« 
Und jetzt war ihre Stimme voller Enttäuschung, ja nahezu 

Bitterkeit. 

Sie atmete tief ein und aus, daß er es sogar ein paar Schritte 

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entfernt hören konnte. 

»Nun, da braucht Ihr kein Pferd. Es geht den Berg hinauf zur 

Hellwig-Alm. Der Weg ist zu steil zum Reiten. Zu Fuß kommt ihr 
besser zu Franziska auf die Alm. Ihr solltet Euch sputen, wenn Ihr 
noch bis zur Dunkelheit auf ihr sein wollt.« Und etwas spitz fügte sie 
hinzu: 

»Gewiß wird Franzi schon sehnsüchtig auf Euch warten.« 
Roland schüttelte den Kopf und sattelte wieder ab. 
»Sie weiß gar nicht, daß ich komme.« 
»Nicht?« 
»Ja, mein Besuch wird sie überraschen.« 
»Die läßt sich nicht so leicht überraschen«, sagte die Stallmaid. 

»Die weiß besser als unsereine, was sie will.« 

Erst Andeutungen von Blasius und  nun von der Stallmaid. 

Allmählich begann Ritter Roland auf diese Franziska Hellwig 
neugierig zu werden. 

Er kehrte zu der Stalldame zurück und fragte lächelnd: 
»Beschreibt Ihr mir den Weg?« 
»Ihr wart noch nie bei ihr droben?« 
»Nein, ich kenne sie gar nicht.« 
»Gewiß hat man sie Euch empfohlen?« 
Roland konnte sich keinen Reim auf all diese seltsamen 

Anspielungen machen. 

»Ich habe dienstlich mit ihr zu reden«, sagte er ein wenig schroffer 

als beabsichtigt. »Beschreibt mir den Weg.« 

Das tat sie dann. Roland seufzte. Ein beschwerlicher Aufstieg bis 

zur Alm. Dann der Abstieg. Das konnte spät werden. Er mußte sich 
beeilen. 

Er bedankte sich bei der Stalldame und begab sich auf den Weg. 
»Sie hat einen bissigen Hund!« rief ihm die Maid noch nach, als er 

den Flügel des Stalltores hinter sich zuzog. 

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Es dunkelte, als Roland zur Almhütte gelangte. Gelber Lichtschein 
fiel aus dem Fenster der Hütte, die von zwei Schuppen flankiert 
wurde. 

Kuhglocken läuteten in der Ferne, und Muhen begrüßte Roland auf 

dem Weg. 

Als er sich der Hütte näherte, schlug ein Hund an. 
Ritter Roland dachte an die zweimalige Warnung. Damit es keine 

Mißverständnisse gab, wenn ein Fremder im Dunkeln auf die Alm 
schlich, kündigte er sein Kommen an. 

»Hallo, ist da jemand?« 
Das Echo des Rufes verhallte. Roland roch den würzigen Duft von 

Gras, Blumen und Kühen. Er atmete tief ein, und sein Blick tastete 
über die Hänge der anderen Berge. Der Mond ging auf, und die 
ersten Sterne funkelten am Himmelszelt. 

Es war schön in den Bergen. 
Dann erinnerte er sich an den Auftrag und schritt schneller aus. Er 

mußte sich sputen, wenn er noch vor Mitternacht wieder unten in 
Schönau sein wollte. 

Die Tür der Almhütte ging auf, und im gelben Schein einer Lampe 

zeichnete sich die Silhouette einer Frau ab. 

Eine wohlgeformte Gestalt, vom Licht umschmeichelt. 
Etwas kleines Schwarzes huschte am Saum des langen Kleides 

vorbei aus der Hütte, und am hellen Kläffen erkannte  Roland, daß es 
ein Hund sein mußte, der den Hang hinab förmlich auf ihn zu flog. 

Ein kleiner Bursche, kaum größer als eine Katze, und vor lauter 

Haaren war kaum zu erkennen, wo hinten und wo vorne war. 

Das Wuschelhündchen war heran. Es tollte um Ritter Rolands 

Beine, und aus dem hellen Kläffen wurde ein Winseln. Dazu wedelte 
das Hündchen mit dem Schwanz, wie jetzt zu erkennen war. 

Roland mußte lächeln. 
Dieser süße Kleine sollte ein bissiger Hund sein! 
Da hatte man ihm weiß Gott einen Bären aufgebunden! 
Er war noch etwa zehn Schritte von der Frau entfernt, die ihm 

stumm entgegenblickte, als Roland eines Besseren belehrt wurde. 

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Aus dem Dunkel neben der Hütte schnellte ein gewaltiger Schatten 

und flog heran wie eine Raubkatze. Lautlos, fast gespenstisch, 
bedrohlich. 

Instinktiv zuckte Ritter Rolands Hand zum Schwert. 
Doch der große, schwarze Hund landete zwei Schritte vor ihm, 

verharrte sprungbereit mit leisem Knurren und starrte ihn mit 
funkelnden Lichtern an. 

»Wer bist du und was willst' du?« 
Die Stimme der Frau war scharf, doch wohlklingend. 
Roland ärgerte sich ein wenig über die Anrede und den Tonfall, 

doch er sagte sich, daß er Verständnis dafür haben mußte. 

Auf einer einsamen Alm mußte man mißtrauisch gegenüber 

fremden Besuchern sein, besonders als Frau, wenn man dort ganz 
allein lebte. 

»Ich bin Ritter Roland und komme im Auftrag des Königs, um 

Euch einige Fragen bezüglich des Überfalls zu stellen.« 

»Ritter Roland!« 
Es klang überrascht und irgendwie erfreut. 
»Kommt herein!« 
Roland setzte sich in Bewegung. 
Der große Hund knurrte. 
»Xaver, Leopold, seid brav!« 
Damit waren zweifellos die Hunde gemeint. Der große wedelte mit 

der langen Rute, und der kleine tollte spielend um Roland herum, als 
er zur Hütte schritt. Der kleine haarige Bursche sprang an Roland 
hoch und japste freudig. 

Ritter Roland streckte aus einem Reflex heraus die Hand nach ihm 

aus, um das liebe Wuschelhündchen zu streicheln. 

Das hätte er besser nicht getan. 
Das kleine Hündchen biß zu. Recht herzhaft. Und nach dem Biß zu 

urteilen, mußten das Größte an dem haarigen Knäuel die Zähne sein. 

Roland war sekundenlang vor Schreck wie betäubt. Dann 

schleuderte er den Hund von sich, der versuchte, sich in seine Hand 
zu verbeißen, als wollte er zu den Knochen vordringen, um sie zu 

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knabbern. 

Das bissige Haarknäuel überschlug sich mit einem winselnden 

Laut. Doch sofort wollte es von neuem angreifen. 

»Leopold!« rief die Frau scharf. »Nun beiß ihn doch nicht tot!« 

Und mit einem leisen Lachen: »Er ist ein berühmter Ritter!« 

Da zog sich der kleine Leopold zurück. 
»Hat er Euch schlimm gebissen?« fragte Leopolds Frauchen 

besorgt. 

Roland spürte, wie Blut über seinen schmerzenden Handrücken 

lief. Er bemühte sich, seinen Groll zu verbergen. 

»Nicht der Rede wert«, knirschte er. »Kaum ein Mückenstich von 

diesem Winzling.« 

Der Kleine kläffte beleidigt aus dem Hintergrund, und der Große 

knurrte drohend und wirkte wie auf dem Sprung. 

Roland hatte nicht vor, sich auf einen Kampf mit Franziska 

Hellwigs Kötern einzulassen. Wenn er sie verletzte, würde sie ihm 
möglicherweise aus Zorn keine Auskünfte geben. 

Deshalb beeilte er sich, in die Hütte zu kommen. 
Franziska wich lächelnd an der Tür zurück, doch sie machte ihm 

nur wenig Platz, und als er sich an ihr vorbeischob, berührte er ihren 
Busen. 

Das und ihr Lächeln ließen ihn schlagartig das unangenehme 

Zwischenspiel vergessen. 

Sie schloß die Tür hinter ihm. 
Ritter Roland sah sich um. Eine gemütliche Stube, einfach, aber 

liebevoll eingerichtet. Ein Feuer prasselte im Kamin. Ein Strauß roter 
Rosen in einer Steinvase auf dem Tisch, Margeriten und ein bunter 
Strauß in Vasen auf einer Kommode und einem Wandbrett. 

Der Tisch war zum Abendessen gedeckt. Nur für eine Person. Sie 

lebte wohl tatsächlich nur mit ihren Hunden hier oben auf der Alm. 

Roland wandte sich um. 
Er sah sich Franziska genauer an. Eine atemberaubend schöne 

Frau. Das schwarze Leinenkleid war am tiefen, viereckigen 
Ausschnitt mit schmaler weißer Spitze verziert. Es gewährte einen 

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tiefen Einblick auf samten gebräunte Haut. Das Kleid umspannte eng 
ihren Oberkörper und fiel an der schlanken Taille ein wenig 
glockenförmig hinab bis zu den Knöcheln ihrer nackten Füße. 

Ihr Gesicht wurde von großen schwarzen Augen beherrscht. Die 

schwellenden roten Lippen waren zu einem Lächeln verzogen. Ihr 
glattes, schwarzes  Haar, das bis auf die Schultern fiel, glänzte im 
Schein der Lampe und des Kaminfeuers. Ihre Züge und ihre Haltung 
hatten etwas Stolzes. 

Welch eine Frau! 
»Zufrieden?« sagte sie lächelnd, und es klang keineswegs wie eine 

Frage, sondern wie eine Feststellung. 

Sie schien bewundernde Blicke von Männern gewohnt zu sein und 

genau zu wissen, wie schön sie war. 

»Ja  - sehr«, entfuhr es Roland, und er kam sich auf einmal wegen 

dieser Antwort wie ein dummer Junge vor. 

Ihr leises Lachen schien ihn zu verspotten. 
»Ihr gefallt mir auch«, sagte sie mit weicher Stimme. »Der 

berühmte Ritter Roland! Ich hörte vieles über Euch, von Eurer 
Tapferkeit und Manneskraft ...« 

Roland schluckte. Sein Puls beschleunigte sich bei ihrem Lächeln. 
»Und ich sah mal ein Bild von Euch. Ja, der Maler hat Euch ganz 

gut getroffen. Ritter Roland, der Mann, von dem die Frauen in 
einsamen Nächten träumen.« 

Roland war verlegen. 
»Das ist gewiß Übertreibung«, sagte er. 
»Na, ich weiß nicht«, erwiderte sie mit einem dunklen Lachen und 

funkelndem Blick. 

Diese Frau verwirrte ihn und brachte sein Blut in Wallung. 
Er mahnte sich zur Ordnung und besann sich auf seinen Auftrag. 
»Verzeiht die Störung«, sagte er. »Ich konnte meinen Besuch 

leider nicht anmelden. Blasius Schulze berichtete mir bereits von 
Eurer Aussage. Doch ich wollte mich vergewissern und noch einige 
Fragen stellen.« 

»Gerne stehe ich zu Eurer Verfügung«, sagte sie mit einem Blick, 

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der ihm unter die Haut ging. »Doch erst möchte ich Eure Verletzung 
versorgen. Nicht auszudenken, wenn der berühmte Ritter Roland an 
einer Blutvergiftung stirbt, die mein Leopold verursachte.« 

Die schwarzen Augen funkelten spöttisch, wie Roland fand. 
Sie ergriff seine Hand. Sie hatte lange, zarte Finger, und die 

Berührung war sanft. Sie wirkte so gar nicht wie eine Almmaid. 
Offensichtlich pflegte sie sich sehr. 

Sie blickte auf den blutenden Handrücken. 
»Ziemlich tief - der Mückenstich«, sagte sie. 
»Ach, nicht der Rede wert«, entgegnete Roland, obwohl die Hand 

brannte und schmerzte. »Ich hätte nicht versuchen sollen, den 
Kleinen zu streicheln. Gewiß hat er sich erschrocken und deshalb ein 
bißchen zugeschnappt.« 

Franziska schüttelte den Kopf. 
»Da unterschätzt Ihr meinen Leopold. Das ist ein ganz Scharfer. 

Der hätte so oder so zugebissen. Er hört nicht so gut auf mich wie 
Xaver. Im Vergleich zu Leopold ist Xaver lammfromm. Sein 
Äußeres und sein drohendes Gebaren lassen ihn gefährlicher wirken, 
aber Leopold ist der bissigere. Die beiden arbeiten immer im 
Gespann. Xaver lenkt ungebetene Besucher ab, und Leopold, das 
vermeintlich harmlose Schoßhündchen, beißt zu.« 

»Interessant«, sagte Roland, und er war tatsächlich verblüfft. 
Franziska hielt immer noch seine Hand. 
»Kommt, Ritter«, sagte sie. »Ich werde die Wunde versorgen.« 
Sie zog ihn mit sich und drückte ihn auf das weiche Lager beim 

Kamin. 

Dann ging sie mit leicht schwingenden Hüften zu einem Schrank 

und holte etwas daraus hervor. Mit einem Fläschchen, einer Dose 
und Verbandsstoff kehrte sie zurück. Sie war für solche Fälle 
offenbar bestens ausgerüstet. 

Sie setzte sich dicht neben ihn. Er spürte ihren Oberschenkel an 

seinem und nahm den Duft von irgendwelchen Blüten wahr. Er 
konnte nicht genau bestimmen, welche es waren, doch es duftete 
sinnenbetörend. 

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Franziska öffnete das Fläschchen. 
»Es wird ein bißchen weh tun, Ritter...« 
»Ihr braucht mich nicht so förmlich anzureden.« 
»Nun, es wird ein bißchen brennen - Roland.« 
»Ich werde es gewiß überleben«, erwiderte Roland bewußt 

spöttisch, weil er sich darüber ärgerte, daß  sie sich offenbar über ihn 
lustig machte. 

Dann preßte er die Zähne zusammen, als sie die gelblichbraune 

Flüssigkeit auf die Wunde träufelte. 

Es brannte, als hätte ihm jemand ein rotglühendes Eisen auf den 

Handrücken gedrückt. Er glaubte es fast zischen zu hören. 

»Nun noch ein wenig Pulver darauf, und alles ist im Lot«, sagte 

Franziska. Mit geschickten Händen legte sie ihm dann einen Verband 
an. 

Er bedankte sich höflich. 
Sie blieb neben ihm sitzen, und ihr Oberschenkel berührte seinen. 
»Ihr lebt ganz allein hier oben?« fragte Roland, um das Gespräch 

zu eröffnen. 

Sie nickte. 
»Ich war Tänzerin, bevor ich nach einer Enttäuschung hier in die 

Einsamkeit der Berge zu meinen alten Eltern flüchtete. Sie sind vor 
einiger Zeit verstorben, und ich führe das hier weiter. Ich weiß noch 
nicht, wie lange, aber im Augenblick gefällt mir das Leben hier  - 
auch wenn ich mich manchmal sehr einsam fühle.« 

»Der Ort ist nicht weit«, warf Roland ein. 
»Ach, Schönau ist ein Klatschnest, und die dummen Mannsbilder 

dort können mir gestohlen bleiben.« 

Sie lachte leise, doch Roland entging nicht, daß es ein wenig bitter 

klang. 

»Die Männer wünschen mich zum Teufel, weil sie nicht so leicht 

bei mir blankziehen können.« 

Sie blickte ihn an, und ihre schwarzen Wimpern senkten sich. 
»Oh, ich vergaß, daß Ihr ein Ritter seid, Roland. Blankziehen 

nennen es die Kerle hier. In Euren Kreisen heißt es sicherlich  - 

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Damen den Hof machen.« 

Roland war zu verwirrt, um eine Antwort darauf geben zu können. 

Ihr Lächeln schien ihn zu verzaubern. Am liebsten hätte er sie in die 
Arme genommen. 

»Und die Weiber«, fuhr sie fort, »die halten mich für ein 

Lotterluder, weil sie annehmen, jeder Kerl dürfte bei mir 
blankziehen.« 

»Und ...?« hörte sich Roland fragend sagen. 
»Nicht jeder«, erwiderte sie. »Da müßte schon der richtige 

kommen.« 

Sie sah ihm tief in die Augen. 
Sein Herz begann zu hämmern. Und er wußte nicht, wie es 

geschah. Er hielt sie plötzlich in den Armen! 

Ihre Lippen waren dicht vor seinen, und er spürte, wie sich ihr 

Busen heftig an seiner Brust hob und senkte. 

Er küßte sie. 
Ihre Lippen waren weich und warm, doch sie blieben ihm 

verschlossen. Sie verwehrte ihm den Kuß nicht, atmete schneller 
dabei, und er glaubte ihr Herz an seiner Brust pochen zu hören. Doch 
eine innere Stimme  sagte ihm, daß sie den Kuß nicht erwiderte, ihn 
nur geschehen ließ. 

Und dann war plötzlich alles vorbei. 
Die Berührung ihrer Lippen war fort, und die Frau sagte leise: 
»Ihr seid gekommen, um mir Fragen zu stellen.« 
Er nahm die Arme von ihr. 
Wie hatte er sich so gehen lassen können! 
Sie mußte ja denken, er wollte zudringlich werden, nur weil sie 

allein lebte und ihn mit ihrer Schönheit erregte. Wenn er ehrlich war, 
so hatte sie ihn nicht ermuntert, allenfalls mit ihrem Lächeln. Gewiß 
hatte sie ihre Worte  über die Kerle von Schönau eher als Wink mit 
dem Zaunpfahl gemeint, daß Zurückhaltung angebracht sei. 

Er stellte seine Fragen, und allmählich entwickelte sich das 

Gespräch sachlicher. Ihre Miene war ernst, als sie sich daran 
erinnerte, wie sie den Sterbenden gefunden hatte. 

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»Dietleib?« Sie schüttelte den Kopf. »Das hat er nicht gesagt, und 

das habe ich auch nicht bei Schulze, dieser Schlafmütze, ausgesagt. 
Allenfalls, daß der Mann einen Pfeil im  Leib  hatte. Ich erinnere mich 
genau, was er sagte. Es war nicht viel. Er sagte: »Überfall ... geheim 
... Verrat ... und etwas von einer Frau.« 

»Von einer Frau?« 
»Vermutlich seine Ehefrau. Ich war natürlich aufgeregt. Ich fragte 

ihn, wer was verraten und wo es einen Überfall gegeben hatte. Doch 
er sagte nur noch einen Namen, der mit  Diet...  begann. Der Rest war 
unverständlich.« 

Roland nagte an der Unterlippe. Dieser verdammte Blasius 

Schulze, der ihm den Namen Dietleib in den Mund gelegt hatte! 

Natürlich konnte es auch Dietleib bedeuten, doch es war keinerlei 

Beweis. Mit Diet... fingen nur allzu viele Namen an. Allein unter den 
Personen, die von dem geheimen und getarnten Transport gewußt 
hatten, gab es einen Dietherr, Dietmar und Dietrich, abgesehen von 
dem Dietleib. 

Er stellte noch weitere Fragen, doch es kam nichts mehr dabei 

heraus. 

»Seid Ihr damit zufrieden?« fragte Franziska schließlich, als ihm 

keine Fragen mehr einfielen. 

»Nicht ganz«, bekannte Roland in Gedanken. 
»Gerne hätte ich Euch zufriedengestellt«, sagte sie leise und senkte 

die langen Wimpern. 

Er lauschte dem Klang ihrer Worte nach. Nein, das klang wie eine 

höfliche Floskel und war nicht doppelsinnig gemeint, oder? 

Er erhob sich. 
»Ich danke Euch  - für alles. Verzeiht, wenn ich Euch Umstände 

machte.« 

Ein Kuß, dachte er grimmig amüsiert, andere Umstände hab' ich 

ihr ja nicht gemacht. 

Täuschte er sich, oder errötete sie leicht, weil auch sie etwas in 

dieser Richtung dachte? 

»Ihr könnt zum Abendbrot bleiben, wenn Ihr wollt«, sagte sie. 

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Erfreut nahm er die Einladung an. 
Franziska schnitt einen Laib Roggenbrot an. Dazu gab es Schmalz, 

Käse, kalten Schweinebraten und Eier. Zum Mahl kredenzte 
Franziska Wein. 

Sie plauderten über dies und das, vor allem über die Berge, die 

Franziska so liebte, und es entwickelte sich eine vertrauliche 
Atmosphäre zwischen ihnen. Roland hatte fast das Gefühl, er kenne 
diese Frau schon lange Zeit. Ihm gefiel nicht nur ihre Schönheit, 
sondern auch ihre Art. 

Widerstrebend sagte er dann, daß er nicht länger stören  wolle. Er 

hoffte, sie würde widersprechen, daß von Störung keine Rede sei und 
ihn zum Verweilen ermuntern. Vielleicht sogar die Nacht über ... Ein 
Gedanke, der von neuem ein prickelndes Gefühl in ihm weckte. 

Doch Franziska sagte nichts dergleichen. 
Sie reichte ihm an der Tür die Hand zum Abschied. Sie sah ihm in 

die Augen. Es war ein langer, undurchschaubarer Blick. 

Schade, dachte er. 
Da überraschte sie ihn. 
Plötzlich schmiegte sie sich an ihn und küßte ihn. Sanft und 

zärtlich! 

Roland glaubte, sein Herz, das vom ersten Augenblick an für diese 

Frau entflammt war, müßte vor Freude zerspringen. 

Doch der Kuß währte nur kurz, viel zu kurz. Er wollte sie gerade in 

die Arme schließen, da löste sie sich schon von ihm. 

»Geh, Ritter«, sagte sie leise. 
»Aber ...« 
»Ich bitte dich - geh!« 
Damit trat sie von ihm fort und öffnete die Tür. 
»Xaver, Leopold!« 
Sofort waren die Hunde zur Stelle. Beide knurrten. Diesmal 

besonders wütend der große Xaver, und in Roland stieg der Verdacht 
auf, daß Xaver nicht so harmlos war, wie Franziska gesagt hatte. 
Vermutlich war er das schwere Geschütz, das aufgefahren wurde, 
wenn der kleine Hund nicht ausreichte. Wahrscheinlich war Xaver 

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auf ein bestimmtes Kommando abgerichtet, das Franziska gewiß gab, 
wenn  sie sich einen ungebetenen Besucher ernsthaft vom Leib halten 
wollte. 

Unbewußt streckte Roland noch einmal die Hand nach der schönen 

Frau aus. 

»Geh, Roland«, sagte sie, bevor er die richtigen Worte finden 

konnte. 

Beide Hunde knurrten wie zur Bekräftigung. Xaver spannte sich 

zum Sprung. Der Hund hätte den Ritter mit dem Löwenherzen nicht 
geschreckt, doch Franziskas Aufforderung klang endgültig. 

Es war, als hätte man ihm einen köstlichen Wein gezeigt und ihn 

nur einen Topfen davon nippen lassen. 

Er bemühte sich, seine Enttäuschung zu verbergen. 
»Auf Wiedersehen«, sagte er mit belegter Stimme. 
»Auf Wiedersehen.« 
Ein letzter Blick, und es war Roland, als hätte er eine schöne 

Blume ansehen und nicht pflücken dürfen. 

Er schalt sich einen Narren. Was hatte er erwarten können? Gar 

nichts. Er hatte einen Auftrag erledigt und sich dabei in Gefühle 
verstrickt, die nicht erwidert wurden. Wie hatte er nur denken 
können, Franziska hätte auf ihn gewartet! 

Er schritt schnell den Berghang hinunter zum Pfad, der von der 

Alm ins Tal hinab nach Schönau führte. 

Als er einmal zurückblickte, stand Franziska als Schatten vor dem 

gelblichen Schein der Lampe in der offenen Tür. Er hob die Hand 
und winkte, doch sie winkte nicht zurück. 

Ritter Roland war denkbar schlechter  Laune, als er sich auf den Weg 
zum Stall begab. 

Seine Ermittlungen hatten im Grunde zu nichts geführt. 
Dann hatte er bei Franziska kein Glück gehabt, was ihn noch mehr 

schmerzte, wenn er ehrlich war. 

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Und als er dann müde gegen Mitternacht in Schönau eingetroffen 

war, hatte er in dem einzigen Gasthof kein Zimmer bekommen. 
Grinsend hatte ihm der Wirt erklärt, daß eine Reisegruppe bei ihm 
nächtige. Er habe sogar seine Vorratskammer und den Baderaum als 
Quartiere hergerichtet. Am besten versuche es der Herr  im nächsten 
Ort. Aber bis er dort sein würde, wäre die Nacht ohnehin zu Ende. 

Roland war ärgerlich, müde und reizbar, als er den Stall betrat, um 

sein Roß zu holen und die Nacht in Ermangelung eines Quartiers mit 
Reiten zu verbringen. Am nächsten Tag konnte er dann eine längere 
Rast einlegen. 

»Ihr seid nicht bei Franziska geblieben?« fragte die Stallmaid und 

musterte ihn überrascht. 

»Nein, verdammt!« entfuhr es ihm gereizt. 
Sie hob die Lampe an, als wolle sie ihn beleuchten. »Ah, Ihr seid 

gebissen worden. Von ihr?« Sie lachte leise. »Ich hatte Euch 
gewarnt.« 

»Ja, verdammt ...« 
»Ihr seid verstimmt«, stellte sie fest. »Nun, das kann ich verstehen. 

Erst der mühsame Aufstieg, und dann ist es gewiß anstrengend, von 
ihr wieder herunterzukommen.« 

Er hatte nicht übel Lust, der Stallmaid ein paar zornige Worte zu 

sagen, doch sie kam ihm zuvor. 

»Schnauzt mich nicht an!« schnauzte sie, daß er verblüfft den 

Mund wieder schloß. 

Darin lächelte sie, und Rolands Unmut verlor sich wider Willen. 

Irgendwie imponierte ihm diese Stalldame. 

»Ihr habt bestimmt kein Quartier mehr gefunden«, sagte sie 

ruhiger. 

»So ist es.« Er sprach ebenfalls ruhiger. Die Stallmaid konnte 

schließlich nichts für seinen Ärger. 

»Gewiß seid Ihr deshalb so übellaunig«, sagte sie. 
»Ich?« fuhr er sie von neuem gereizt an. »Übellaunig? Keine Spur! 

Ich ...»Er verstummte ob ihres heiteren Lachens. Und gegen seinen 
Willen hellte sich seine grimmige Miene auf, und er mußte lächeln. 

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Wiederum fühlte er sich bemüßigt, sich zu entschuldigen. Es war 
bestimmt kein Glückstag für ihn gewesen. Erst klopfte er irrtümlich 
einer Dame auf den Po, dann machte er sich falsche Hoffnungen bei 
Franziska und schließlich ließ er bei der falschen Dame Dampf ab. 
»Verzeiht, ich wollte nicht grob sein.« 

Sie nickte lächelnd. Ihr Blick war herzlich, und da schimmerte 

noch etwas anderes in ihren Augen, was er nicht recht zu deuten 
wußte. 

»Ihr könnt im Stroh schlafen«, sagte sie. »Decken sind auch da. 

Schließlich habt Ihr dafür bezahlt.« 

Sie trat einen Schritt zur Seite und leuchtete mit der Lampe. 

Roland folgte ihrem suchenden Blick. Das Goldstück funkelte am 
Boden. Sie hatte es nicht aufgehoben. 

Jetzt bückte sie sich. Dabei gewährte sie ihm einen tiefen Einblick 

in ihre Bluse. Sie blickte auf, fing seinen Blick auf, und  er fühlte sich 
wie ein ertappter Sünder. 

Sie steckte das Goldstück in die Tasche der zu weiten Männerhose. 
»Ich lasse Euch die Lampe hier«, sagte sie und stellte sie am 

Boden ab. »Gute Nacht.« 

Damit schritt sie davon. 
Er blickte ihr nach. 
»Gute Nacht.« 
Sie verschwand im Dunkel am Ende des Ganges zwischen den 

Boxen. Dann klappte eine Tür. 

Rolands Blick glitt zum Strohlager und den Decken. Es wirkte 

einladend. Er gähnte und ging mit der Lampe hin. Eine Wolldecke 
breitete er über dem Stroh aus, praktisch als  Laken, und die zweite 
diente als Überdecke. Erst legte er sich angezogen hin, doch dann 
zog er sich bis auf die Unterwäsche aus. 

Als er sich unter der Decke ausgestreckt hatte, schloß er die 

Augen. Eine Weile beschäftigten sich seine Gedanken mit den 
Ereignissen dieses Tages und der halben Nacht. 

Er dachte an seinen Auftrag. Er hatte schon gehofft, mit dem 

Namen Dietleib bei König Artus aufwarten zu können, doch jetzt 

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würde er praktisch mit leeren Händen nach Camelot zurückkehren. 
Mit einem »Diet...« war nicht viel anzufangen ... 

Es roch gut im Stall, nach Pferd und Leder und Stroh. Er hatte 

lange nicht mehr in einem Stall genächtigt. Er fühlte sich behaglich, 
und die Lider fielen ihm vor Müdigkeit zu. 

Er sah noch einmal Blasius Schulze vor seinem geistigen Auge. 

Dann sah er die nette Stallmaid. Wie hieß sie eigentlich? Ach egal. 
Am Morgen würde er Schönau verlassen und sie und Franziska 
vergessen. 

Franziska! 
Er glaubte, sie lächeln zu sehen. Ach, es war nichts gewesen außer 

einem geraubten Kuß. Und einem  geschenkten! Warum nur hatte sie 
ihn geküßt und dann abgewiesen? 

Bei dem Gedanken übermannte ihn der Schlaf. 
Er träumte von Franziska. 
Sie lag nackt in seinen Armen und küßte ihn voller Zärtlichkeit! 

Ihre zarte Hand tastete über seinen Körper hinab und streichelte ihn! 

Er legte die Arme um sie. Er spürte weiche, warme Haut. 
Sie seufzte an seiner Wange, als er ihr Streicheln erwiderte. Sie 

schmiegte sich verlangend an ihn. Ihr Haar kitzelte ihn an der 
Wange. Und ihre Hand, diese zärtliche Hand, weckte ein prickelndes 
Gefühl in seinen Lenden. 

Er drehte sich ihr mehr zu. Etwas raschelte. 
Gewiß das Stroh. 
Stroh? Ja, er spürte, daß er im Stroh lag. 
Der Gedanke verwirrte ihn. Wie kam er mit Franziska ins Stroh? 

Weshalb hatte sie ihn in den Stall mitgenommen, wenn sie doch in 
der Almhütte waren? 

»Franzis ...« 
Ihre Lippen verschlossen ihm den Mund. Eine Weile gab er sich 

ganz dem Genuß des Kusses hin. 

Dann löste sie heftig atmend ihre Lippen von seinem Mund. 
»Ich bin's nur, die Edeltraut«, flüsterte sie ihm ins Ohr. 
Plötzlich war er hellwach. 

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Er kannte die Stimme. 
Es war die Stallmaid. 
Sie lag an ihn geschmiegt nackt auf dem Strohlager. 
Und sie hatte ihn auf recht wonnevolle Weise geweckt. 
Er öffnete die Augen. Es war dunkel im Stall bis auf den 

schwachen Mondschein, der durch ein Fenster hereinfiel. Vermutlich 
war die Lampe ausgegangen, oder Edeltraut hatte sie gelöscht. 

Er tastete nach ihr, und seine Hand berührte etwas Pralles, Rundes. 
»Wieso nur?« gab er flüsternd zurück, und seine Hand konnte 

kaum die pralle Rundung umfassen. 

Sie lachte leise. »Ich dachte, du träumst von dieser ...« 
Er fand ihre Lippen wie von selbst, und diesmal verschloß er ihr 

den Mund, der so gar nicht verschlossen war. 

»Du hast mir vom ersten Augenblick an gefallen«, wisperte sie 

nach langer, langer Zeit außer Atem. »Da wußte ich noch nicht, daß 
du ein Ritter bist.« 

Ihre Zunge spielte zärtlich mit seinem Ohrläppchen. 
»Und woher weißt du es jetzt?« fragte er. 
»Ich habe mich bei Blasius Schulze erkundigt«, bekannte sie. »Er 

hat mir alles gesagt.« 

»Alles?« 
»Weshalb du zu Franziska gingst. Gefiel sie dir  - ich meine als 

Frau?« 

»Ich bin nicht auf Brautschau«, erwiderte er ausweichend. 
Sie lachte leise. »Gewiß hat sie dir gefallen. Alle Männer sind 

verrückt nach ihr. Gefalle ich dir auch ein bißchen?« 

»Sehr.« 
Er zog sie fester an sich. 
»Denkst du jetzt schlecht von mir, weil ich zu dir gekommen bin 

wie eine ...« 

Er legte ihr einen Finger auf die Lippen. 
Sie knabberte scherzhaft daran. 
»Es ist das erste Mal, daß ich im Stall meinen Bruder vertrete«, 

flüsterte sie. 

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»Er feiert mit Freunden und übernachtet bei ihnen. Nicht, daß du 

meinst, ich würde sonst mit einem Kunden ...« 

»Das wäre mir nie in den Sinn gekommen.« Es war ein wenig 

gelogen, und er fügte hinzu: »Allerdings hätte man deine Worte auch 
mißdeuten können.« 

»Ich wollte sehen, wie du reagierst«, sagte sie. »Den meisten 

Mannsbildern sieht man das an der Nase an, was sie denken. Doch 
du hast mich trotzdem wie eine Dame behandelt. Obwohl ich ein 
bißchen zornig war, als du mir das Goldstück in die Hand drücktest. 
Da dachte ich, er ist doch wie die anderen.« 

Sie seufzte. 
»Ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet«, fuhr sie fort. »Vorhin 

habe ich gehofft, du würdest mehr als nur Gute Nacht sagen. Ich 
kämpfte mit meinem Stolz. Er hat verloren. Ich konnte es nicht mehr 
aushalten. So bin ich aufs Ganze gegangen. Jetzt schäme ich mich, 
weil ich so kühn war, einen Ritter ...« 

»Ein Ritter ist auch nur ein Mann«, sagte Roland und lächelte in 

der Dunkelheit. 

Ihre Hand glitt an seinem Körper hinab. 
»Und was für einer«, hauchte sie. 
Er küßte sie, und sie erwiderte den Kuß voller Glut. Heiß wallte es 

in ihm auf. 

»Du warst so zornig und gereizt vorhin«, flüsterte sie dann. »Und 

jetzt...« Sie verstummte unter seinen Zärtlichkeiten. 

Von Zorn keine Spur mehr, dachte Roland, doch gereizter denn je, 

und zwar auf angenehme Weise. 

»Magst du mich?« fragte sie leise. 
»Das fragst du noch?« Roland zog sie auf sich. 
»Oh, Roland!« 
Und dann sprachen sie lange, lange nichts mehr. 
Denn mit vollem Munde spricht man nicht. 

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Ritter Roland dachte an Edeltraut. Es war eine Nacht im Stroh 
gewesen, die ihm unvergeßlich bleiben würde. Über Edeltraut hatte 
er Franziska völlig vergessen. 

Er glaubte noch Edeltrauts trauriges Lächeln beim Abschied zu 

sehen. 

»Werden wir uns wiedersehen, Roland?« 
»Ja, das werden wir.« Sein Herz hatte geantwortet, bevor er 

überlegt hatte. 

Da war ein glückliches Strahlen in ihren Augen gewesen, die nicht 

dunkel waren, wie es im schwach beleuchteten Stall den Anschein 
gehabt hatte, sondern hellbraun. Überhaupt sah Edeltraut bei 
Tageslicht anders aus, viel hübscher. Zum Abschied hatte sie statt 
der derben Stallburschenhose ein Kleid getragen, in dem ihre sehr 
weibliche Figur viel besser zur Geltung gekommen war. 

Er würde wieder zu ihr reiten, sobald wie möglich ... 
Doch zuerst mußte er König Artus berichten. Der Gedanke war 

ihm unbehaglich. Viel gab es nicht zu sagen. Vermutlich würde der 
König enttäuscht sein. 

Flüchtig dachte er daran, daß er auf Camelot seine Knappen Louis 

und Pierre wiedersehen würde. Sie ruhten sich auf Camelot aus und 
warteten auf seine Rückkehr. Sie waren nicht in die Geheimaktion 
eingeweiht worden. 

Der Hengst schnaubte und riß Roland aus seinen Gedanken. 
Hufschlag trommelte heran. 
Ein Reiter jagte in gestrecktem Galopp um die Wegbiegung. Der 

Mann hatte es offenbar eilig, als käme er von einem langen Kreuzzug 
und wollte noch rechtzeitig seine Gemahlin mit ihrem Geliebten auf 
frischer Tat ertappen. 

Dann erkannte Roland den Reiter, und er trieb sein Roß zum 

Galopp. 

»Volker!« 
Es war Volker vom Hohentwiel, der Ritter und berühmte 

Minnesänger, Rolands Freund. 

Volkers Zähne blitzten im markanten, leicht gebräunten Gesicht, 

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als er lachend neben Roland seinen Fuchswallach zügelte. 

»Roland! Gut daß ich dich erwische!« 
Roland reichte ihm voller Wiedersehensfreude die Hand. 
»Wie geht's dir, alter Haderlump?« fragte Roland lachend. »Gewiß 

reitest du wie der Teufel, weil du zu einer Schönen willst, die es 
ebenso wenig erwarten kann wie du.« 

Volker schüttelte den Kopf. Seine Miene war plötzlich ernst. 
»Wie geht's?« fragte Roland. »Es ist doch alles in Ordnung?« 
Besorgt musterte er den Freund. 
Volker vom Hohentwiel lächelte gezwungen. 
»Mir geht's gut, und alles ist soweit in Ordnung«, sagte er ernst. 

»Doch dir könnte es gleich schlecht ergehen. Deshalb meine Eile.« 

Roland blickte ihn überrascht an. 
»Da wartet jemand auf dich«, erklärte Volker. »Nicht weit von 

hier.« 

»Wer?« 
»Den Namen hat er mir nicht verraten«, antwortete Volker, und 

jetzt grinste er schon wieder heiter. 

»Und was will er?« 
»Er will dich ein bißchen tot machen.« 

Roland schluckte. Er überlegte schnell, welche Feindschaft er sich in 
der letzten Zeit zugezogen haben konnte, doch es fiel ihm keiner ein, 
der als Mörder in Frage kommen konnte. 

»Warum?« fragte er. 
Volker vom Hohentwiel zuckte mit den Schultern. 
»Er handelt vermutlich im Auftrag. Der König hat kundgetan, daß 

du bei deiner Rückkehr nach Camelot den Namen des Verräters 
preisgeben würdest. Ist es so?« 

Volker sah Roland erwartungsvoll an. 
Roland schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur eine Namenssilbe. 

Damit läßt sich allenfalls der Kreis der Verdächtigen einengen.« 

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Volkers Miene verriet Enttäuschung. »Schade. Wir alle dachten, 

diese Zeugin würde den Verräter entlarven. Na, jedenfalls ist jemand 
äußerst nervös geworden und hat einen Mörder gedungen, der dich 
abfangen soll. Du wärst ahnungslos in den Tod geritten.« 

Roland begriff noch nicht ganz. 
»König Artus hat kundgetan, ich wüßte ... aber warum hat er das 

getan? Er kann sich doch an seinem kleinen Finger abzählen, daß er 
mich damit unnötig in Gefahr bringt.« 

Volker lachte. »Laß ihn das von dem kleinen Finger lieber nicht 

hören. Es  ist  ihm klar, Roland, und deshalb hat er mir den Auftrag 
gegeben, Schutzengel für dich zu spielen. Ich war bei der 
Besprechung nicht dabei, doch er hat mir gesagt, daß er die anderen 
absichtlich so informiert hat, daß der Verräter befürchten muß, du 
könntest ihn ans Messer liefern. Seit zwei Tagen reite ich den Weg 
ab, auf dem du kommen mußt, und seit heute morgen beobachte ich 
einen Bogenschützen, der sich am Wegesrand versteckt, wartet und 
alles für einen Todesschuß vorbereitet. Ich gehe jede Wette ein, daß 
er nicht dort lauert, um ein Kaninchen zu schießen, das des Weges 
hoppelt.« 

»Der König hat mich als Köder benutzt, um den Verräter zu einem 

Fehler zu verleiten?« Roland wollte es noch nicht glauben. 

»So ist es.« 
»Ziemlich riskant«, murmelte Roland. 
Volker knuffte ihn freundschaftlich vor die Brust. 
»Nun sei mal nicht sauer, Roland. Artus traut dir und mir einiges 

zu. Wir schnappen uns den Kerl, und dann wird er uns singen, wer 
sein Auftraggeber ist. Und wenn er nicht will, begleite ich ihn leise 
auf der Laute.« 

Roland mußte lächeln. Volker vom Hohentwiel hatte gar keine 

Laute dabei. 

Doch Roland wußte, wie der Freund die Worte meinte. 
Volker hatte einmal leise auf der Laute gespielt. Er war einer 

Räuberbande in die Klauen gefallen. Man wollte für den berühmten 
Minnesänger ein Lösegeld fordern. In Gefangenschaft bat er seinen 

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Bewacher, doch ein bißchen auf der Laute spielen zu dürfen. Der 
Räuber, ein großer Musikliebhaber, willigte ein. 

»Aber ganz leise, damit mein Herr nicht in seiner Hütte gestört 

wird.« 

Volker, seiner Fesseln ledig, nahm die Laute, zupfte ein paar leise 

Akkorde und schmetterte dem Räuber dann die Laute über den 
Schädel. Er entkam aus dem Räuberlager, und später wurde die 
Bande gefaßt. 

Seither wußten Volkers Freunde, was Volker meinte, wenn er leise 

Laute spielen wollte. 

»Wie packen wir den Kerl am besten?« fragte Roland. 
»Ganz einfach«, erwiderte Volker grinsend. »Du wirst dich von 

ihm erschießen lassen!« 

Kastor beobachtete gelangweilt einen Tausendfüßler, der unter einem 
Stein hervorgekrochen war und über seinen Köcher lief, den er neben 
sich abgelegt hatte. 

So'n kleines Ding soll tausend Füße haben? dachte er. Lachhaft! Er 

schätzte höchstens drei mal zehn Füße. 

Er grübelte eine Weile darüber nach, ob ihm der Pfarrer, zu dem 

ihn damals seine Eltern in die Schule geschickt hatten, etwas über 
Tausendfüßler erzählt hatte. Nein, er konnte sich nicht erinnern. 
Vielleicht hätte er doch regelmäßiger den Unterricht besuchen sollen, 
anstatt mit einer kleinen Bande von Freunden Obst und Hühner zu 
klauen und Leute aus dem Hinterhalt mit Steinschleudern und 
selbstgebastelten Pfeilen zu beschießen. Nun, das war gewiß ein 
gutes Training für spätere Zeiten gewesen, sozusagen die 
Grundausbildung für einen gestandenen Räuber, doch manchmal 
bereute Kastor doch, nicht richtig Lesen und  Schreiben gelernt zu 
haben. 

Und vor allem hatte er nichts über Tausendfüßler erfahren. 
Neugierig neigte sich Kastor vor und versuchte, die Füße zu 

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zählen. Das Ding bewegte sich, und Kastor kam mit dem Zählen 
nicht zurecht. 

Das war auch etwas, das er nie ganz begriffen hatte. Bis zehn ging 

es wie geschmiert, und dann kam das große Rätselraten. Er hatte sich 
angewöhnt, immer in Zehnern zu rechnen. Das hatte ihm nicht mal 
der Pfarrer beigebracht. Das hatte er von klein auf selbst 
herausgefunden, und ein größerer Junge, der Anführer der kleinen 
Bande, hatte gar die Zahlen dafür gewußt, weswegen ihn alle 
bewundert hatten. Zehn geklaute Äpfel waren gut durch fünf zu 
teilen, jeder bekam zwei. Nur einmal hatte es ein Problem gegeben, 
als sie nur zu dritt gewesen waren und zehn Hühnereier beim Bauern 
Hartmann geklaut hatten. Sie waren in Streit geraten, weil sich die 
Eier nicht aufteilen ließen. 

Der kleine Bruno, im Kreis der kleinen Räuber Bruno der 

Bettnässer genannt, war auf die pfiffige Idee verfallen, das Ei in drei 
gleiche Teile zu schlagen. 

Der Anführer hatte es ihm vor Wut an den Kopf geworfen, und 

somit war das Problem aus der Welt gewesen. 

Kastor fixierte den Tausendfüßler. 
Tausend Füße? Das mußte vielmal zehn sein. Höllisch viel. 
Und er kam und kam nicht über dreimal zehn hinaus. 
Kastor ließ das keine Ruhe. Er wollte es genau wissen. 
Er zog sein Messer aus der Lederscheide am Gürtel und drückte 

mit der Schneide den Tausendfüßler platt. 

Er war ein verkommener Kerl und dachte nicht daran, daß er damit 

das Leben einer Kreatur auslöschte. Er verschwendete keinen 
Gedanken an die Tränen und die Trauer der Angehörigen des 
Tausendfüßlers. 

Ja, Kastor war ein herzloser Gesell. 
Er preßte die Messerklinge fest auf den Tausendfüßler, in der 

Hoffnung, daß sich damit die Beine gut  abspreizten und er somit 
besser zählen konnte. 

Neugierig zog er das Messer zurück und betrachtete sein Opfer. 
Es sah ziemlich übel zugerichtet aus, und fast hatte es den 

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Anschein, das Viech hätte ihm noch im Tode einen Streich gespielt 
und die Füße unter den Leib gezogen, um sein Geheimnis mit in die 
Ewigkeit zu nehmen. 

Kastor schob die Messerspitze unter  - die Tausendfüßlerleiche. 

Dann begann er zu zählen. 

Seine Vermutung bestätigte sich. Schon bei der Hälfte stellte er 

fest, daß es kaum mehr als dreimal zehn Beinpaare sein konnten. 

Vielleicht war es ein Jungtier gewesen? Ob die Beine erst später 

nachwuchsen wie die Haare bei einem Säugling? 

Kastor wurde jäh aus seinen tiefsinnigen Betrachtungen gerissen. 
Hufschlag nahte von Süden. 
Er spähte über den Weg. 
Den Platz für den Hinterhalt hatte er ideal gewählt. Er lag 

zwischen Büschen im Schatten am Wegesrand, und der Weg 
verbreiterte sich an dieser Stelle und bog nach Westen ab. Er hatte 
einen hervorragenden Überblick und konnte selbst nicht entdeckt 
werden. 

Der Reiter war noch weit genug entfernt, doch es galt, sich 

vorzubereiten. 

Hoffentlich war es der richtige Mann und nicht wieder ein völlig 

anderer wie schon ein paarmal an diesem Tag. 

Kastor wischte das Messer mit dem Tausendfüßler an einem 

Grasbüschel ab und schob es in die Lederscheide. 

Egal, wie viele Füße das Viech hatte. Er, Kastor, würde nach 

getaner Arbeit zehn goldene Eier mehr haben, und das war wichtiger 
als alle Tausendfüßler der Welt. 

Mit ruhiger Hand zog er einen Pfeil aus dem Köcher und ergriff 

den Bogen. 

Er legte den Pfeil auf die Sehne und spannte den Bogen mal kurz 

zur Probe. 

Auch das hatte er in jungen Jahren gelernt, und er war stolz darauf: 

Das Handwerkszeug mußte immer tadellos in Ordnung sein. 

Er schätzte die Entfernung zu dem Reiter. Jetzt waren es noch etwa 

zehn mal zehn Klafter. Genau auf zehn Schritt Entfernung würde der 

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Pfeil treffen. Kastor hatte es abgemessen und einen kleinen weißen 
Stein als Markierung auf den Weg gelegt, damit er nicht zu früh oder 
zu spät schoß. 

In solchen Dingen war Kastor äußerst sorgfältig. 
Er spähte angespannt zu dem Reiter, der sich im Trab näherte. 

Zufrieden lächelte er. Ja, das war das richtige Pferd und der richtige 
Mann. Er hatte auch lange genug gewartet und nicht mehr gewußt, 
wie er die Zeit totschlagen konnte. 

Kastor warf einen Blick zu dem weißen Markierungssteinchen und 

hob den Bogen mit dem Pfeil auf der Sehne. Er zielte über den 
Markierungsstein hinweg auf einen Baumstamm auf der anderen 
Seite des Weges, wo er in etwa der richtigen Höhe eine weiße 
Markierung in den Stamm geritzt hatte. Der Reiter würde ihm genau 
die Brust zuwenden, und dann brauchte er die Zielrichtung nur noch 
ein wenig anzupassen. 

Der Reiter hielt jetzt den Kopf gesenkt. Er hatte einen langen Ritt 

hinter sich und war gewiß ebenso müde wie sein Roß. 

Gleich kann er ausschlafen, dachte Kastor, und zwar für immer. 
Noch etwa zehn Klafter bis zum Markierungsstein. 
Kastor konzentrierte sich. 
Dann war es soweit. 
Er sah das blaugraue Wams des Reiters, das im Schein der 

Nachmittagssonne rötlich schimmerte, und korrigierte ein wenig 
Pfeil und Bogen. 

Jetzt! 
Er schoß den Pfeil ab. 
Genau ins Herz. Perfekt. 
Der Reiter zuckte zusammen und stürzte blitzartig aus dem Sattel. 

Das Pferd fiel in Galopp und jagte weiter, als befürchte es, auch von 
einem Pfeil getroffen zu werden. 

Der Reiter überschlug sich mehrmals im Staub, rollte weiter und 

landete fast am anderen Wegesrand. 

Kastor nickte zufrieden vor sich hin. Der Ritter und damit der 

Auftrag war erledigt. 

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Er konnte schon den zweiten Teil der goldenen Eier abholen. 
Plötzlich weiteten sich Kastors Augen vor Entsetzen. 
Der vermeintlich Tote sprang auf und warf sich in Deckung der 

Büsche! 

Das konnte doch nicht wahr sein! Er hätte jeden Eid geschworen, 

daß er genau getroffen hatte. 

Sein Blick zuckte über den Weg. Sein Mund klaffte auf. Der Pfeil 

lag nur ein Stück vom Markierungssteinchen entfernt auf dem Weg. 
Er mußte förmlich vom Herz des Ritters abgeprallt sein! 

Das war natürlich eine irrige Annahme. Man nannte Roland zwar den 
Ritter mit dem Löwenherzen, doch auch Löwenherzen sind 
verwundbar. Es sei denn, sie sind durch einen Panzer geschützt. 

Löwen verfügen selten über solche Möglichkeiten, um ihr Leben 

zu verlängern, doch für Ritter Roland hatte König Artus, der ihn ja 
bewußt in diese heikle Situation gebracht hatte, keine Mühen 
gescheut, um Rolands Leben zu erhalten. 

Volker vom Hohentwiel hatte einen Brustpanzer und ein Wams 

mitgebracht, und beides hatte Ritter Roland statt des leichten 
Kettenhemdes angezogen. Dazu diente ein spezieller Hut zu seinem 
Schutz, in den Eisen eingearbeitet war, so daß bei gesenktem Kopf 
der Pfeil abprallen mußte. 

Doch wahrscheinlicher war, daß ein Heckenschütze das größere 

Ziel wählte - die Brust. 

Roland hatte nur einen leichten Anprall gespürt und sofort 

gehandelt. Er hatte ja von Volker erfahren, daß der heimtückische 
Schütze bei der Wegbiegung lauerte, und sich darauf eingerichtet. 

Roland war heilfroh, daß der Kerl nicht zuerst auf seinen 

prächtigen Hengst geschossen hatte. Immerhin bestand die 
Möglichkeit, daß sich der Schütze seiner Treffsicherheit nicht so 
sicher war und erst das Roß als allergrößtes Ziel erledigte, um dann 
den Reiter zu töten, wenn er am Boden lag. Oder daß er vermeiden 

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wollte, daß das Opfer, falls es nicht tödlich getroffen wurde, im 
Sattel blieb und mit dem Roß entkam. 

Roland hatte sich aus dem Sattel geworfen, sich geschickt abgerollt 

und war in Deckung gesprungen, denn er mußte mit einem weiteren 
Pfeil rechnen. Brust und Kopf waren zwar geschützt, doch Roland 
wollte nicht das Risiko eingehen, an weniger gut geschützten 
Körperteilen getroffen zu werden. Er wußte, daß jetzt Volker zur 
Stelle sein würde. Volker war vorausgeritten, um sich dann zu Fuß 
anzuschleichen, damit sie den üblen Burschen in die Zange nehmen 
konnten. 

Roland zückte sein Schwert und spähte zwischen den Büschen 

hindurch. Auf der anderen Seite des Weges sah er Bewegung und 
hörte Geräusche. Zweige bewegten sich, Blätter raschelten, Schritte 
waren zu vernehmen. 

Roland sprang auf. 
Volkers Stimme ertönte. 
»Ergib dich, oder ...« 
Roland hetzte über den Weg. Volker hatte den Kerl gestellt. 
Ein Schrei gellte. 
Roland stockte der Atem. Angst um Volker erfaßte ihn! Sollte der 

Freund von dem verhinderten Mörder mit einem Trick hereingelegt 
worden sein? 

Der Schrei ging in ein Röcheln über. 
»Roland!« 
Ritter Roland atmete auf. Volkers Stimme. 
»Alles in Ordnung?« rief Roland. 
»Nicht ganz. Aber du kannst kommen.« 
Roland eilte zwischen die Büsche. Dann verharrte er jäh. 
Ein Mann lag am Boden. Ein Schwert ragte aus seiner Brust. Sein 

wachsbleiches Gesicht war vor Schmerzen verzerrt. Die zitternden 
Hände umkrampften das Schwert. 

Blut tränkte das Wams. 
Volker vom Hohentwiel stand in angespannter Haltung vor dem 

Mann und hielt ein Messer in der Hand. 

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Seine Miene war bestürzt. 
»Er wollte sich nicht ergeben«, sagte Volker mit belegter Stimme. 

»Er stürmte auf mich zu und holte mit dem Messer aus. Es sah 
verdammt gefährlich aus. Auf ein paar Schritte Entfernung hätte er 
mich gewiß nicht verfehlt. Für einen Schwerthieb war die Distanz zu 
groß. So schleuderte ich mein Schwert. Ich zielte auf die Schulter, 
doch er sprang zur Seite  - ausgerechnet zur falschen  - und so 
erwischte ich ihn voll. Sein Messer zischte keine Handbreit an 
meinem Ohr vorbei.« 

Das schreckliche Röcheln des Mannes war leiser geworden. Sein 

Kopf war zurückgesunken. Blut sickerte aus seinem Mundwinkel. 

Roland kniete sich neben dem Mann nieder. Er sah bereits den 

glasigen Frost des nahen Todes in den Augen des Mannes. 

»Hilf...« 
Kaum hörbar war der wimmernde Laut des Verbrechers. Eine 

Blutblase zerplatzte vor seinem Mund. 

Roland wußte, daß keine Macht der Welt dem Mann mehr helfen 

konnte. 

»Erleichter dein Gewissen«, sägte Ritter Roland ruhig, doch 

eindringlich. »Wer hat dich beauftragt, mich aus dem Hinterhalt zu 
töten?« 

Die Brust des Mannes hob sich unter einem ächzenden Atemzug. 

Es war ein schlimmer Anblick, denn das Schwert, das aus der Brust 
ragte, hob und senkte sich mit. 

»Wie heißt der Mann?« fragte Volker vom Hohentwiel drängend. 
Wieder ein zitternder Atemzug, ein rasselnder Laut. Die Augen des 

Mannes schienen für einen Moment klarer zu werden. 

»Kein ... Mann ...«, sagte der Sterbende mit erstickter, doch 

deutlich vernehmbarer Stimme. 

Roland und Volker tauschten einen überraschten Blick. 
»Kein Mann?« wiederholte Roland. 
Die Lippen des Sterbenden zuckten. Es war, als sammele er noch 

einmal Kraft. 

»Frau ...« 

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Das klang wie ein Hauch, doch Roland hatte  es  ebenso deutlich 

verstanden wie Volker. 

»Eine Frau hat dich beauftragt?« vergewisserte sich Roland. 

»Welche Frau?« 

Er bekam keine Antwort mehr. 
Es hatte den Anschein, als wollte der Sterbende noch etwas sagen, 

doch dann sank sein Kopf zur Seite. 

Der Mann war tot. 
Roland kannte nicht den Namen des Mannes, der ihn hatte 

ermorden wollen. Er wußte nicht, daß es Kastor war, der noch vor 
ein paar Minuten an seine Jugendzeit gedacht und nachgegrübelt 
hatte, wie viele Beine ein Tausendfüßler tatsächlich haben mochte. 

Er wußte nur, daß dieser Mann im Auftrag einer Frau gehandelt 

hatte. 

Im Angesicht des Todes überwand Roland seine Abscheu vor dem 

verhinderten Mörder. 

Er drückte dem Toten die Augen zu. 
Dann blickte er zu Volker, der ebenso benommen war wie er. Und 

Volker vom Hohentwiel sprach aus, was Roland dachte: 

»Kein Zweifel, er hat den Mordauftrag von einer Frau erhalten!« 

König Artus hörte sich mit ernster Miene Rolands und Volkers 
Bericht an. 

»Wir wollten den Kerl natürlich lebend«, sagte Volker zerknirscht, 

»doch er schleuderte sein Messer, und mein Schwert traf ihn 
unglücklich ...« 

König Artus winkte mit einer leichten Handbewegung ab. »Ich bin 

sicher, daß ihr beide euer Bestes getan habt.« 

Er blickte Roland an. Roland berichtete, was er in Schönau 

erfahren hatte. Während er sich bemühte, Franziskas Worte so genau 
wie möglich wiederzugeben, schlug er sich plötzlich vor die Stirn. 

»Frau! Auch Franziska sagte, daß der Sterbende von einer Frau 

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gesprochen hat.« 

Der König musterte Roland. »Franziska?« 
»Die Zeugin«, erklärte Roland. »Ja, sie sagte, er erwähnte eine 

Frau, doch sie nahm an, daß damit die Ehefrau gemeint war. Doch 
offenbar haben die Räuber über diese Frau geredet, die auch der 
Mann meinte, der mich töten wollte. »Dann müßte sie die Verräterin 
sein«, murmelte Volker vom Hohentwiel. 

König Artus schüttelte den Kopf. 
»Allenfalls eine Kontaktperson, die die Hinweise des Verräters 

weitergibt«, sagte er. »Schließlich habe ich keine Frau in den 
geheimen Plan eingeweiht.« 

Roland überlegte, welche Frauennamen mit »Diet...« in Betracht 

kamen. Im Augenblick fiel ihm nur Dietlinde ein, doch er kannte 
keine Dietlinde auf Camelot. Es war einfach zu wenig, was er wußte. 
Vielleicht gab es auch gar keinen Zusammenhang zwischen dem 
»Diet... und der Frau. »Wir sind also keinen Schritt 
weitergekommen«, stellte der König fest. »Prompt fiel der Verräter 
auf die Falle herein, die ich ihm stellte, und gab einen Mordauftrag. 
Mit Sicherheit wissen wir jetzt nur, daß Ritter Roland mit größter 
Wahrscheinlichkeit nicht zu den Verrätern gehören kann.« 

Roland blinzelte. Das klang ja fast, als hätte ihn der König in den 

Kreis der Verdächtigen mit einbezogen! 

Der König schien Rolands Gedanken zu erraten. 
»Natürlich genießt er mein volles Vertrauen, und ich hätte ihn 

niemals zu den Verdächtigen gezählt«, sagte er mit einem leichten 
Lächeln. »Obwohl ...« 

»Obwohl?« 
Roland hatte sich gerade entspannt. Jetzt war er von neuem 

betroffen. 

»Nun, es gab Stimmung gegen ihn. Ich hörte, er ist einer unserer 

Damen zugetan, einer Gräfin, die eine recht lustige Witwe sein soll.« 

Roland schoß das Blut in die Wangen. Er hatte nicht gedacht, daß 

sich sein Techtelmechtel mit Katharina so schnell herumsprechen 
würde. 

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»Wir lernten uns auf der Feier näher kennen ...« begann Roland 

mit einem Schulterzucken. 

»Er braucht keine Erklärungen abzugeben«, sagte König Artus. 

»Er wird selbst wissen, welchen  - Damen er sich zuwendet. Doch er 
sollte sich im klaren darüber sein, daß er sich damit Feinde schafft.« 

Roland blickte verdutzt. An diese Möglichkeit hatte er gar nicht 

gedacht. Überhaupt, es war nur ein kurzes Abenteuer gewesen. 
Weshalb spielte der König die Sache so hoch? 

»Feinde?« fragte er. »Aber wieso?« 
»Nun, ich deutete an, daß diese Dame recht  - lebenslustig ist, 

nachdem sie schon drei verstorbene Gatten betrauert hat. Sie hält viel 
von Abwechslung. Und der letzte in ihrer Gunst könnte sich leicht 
den Groll all seiner Vorgänger zuziehen, wenn er versteht, was ich 
damit sagen will.« 

Roland verstand. Die Worte hatten ihn wie einen Schlag in die 

Magengrube getroffen. 

Der König deutete an, daß Katharina nicht wählerisch mit ihren 

Liebschaften war! Gewiß, Roland hatte gehört, daß über sie 
geklatscht wurde, doch er hatte sich keine großen Gedanken darüber 
gemacht. 

König Artus lächelte leicht, als er Rolands Betroffenheit bemerkte. 
»Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird«, sagte er, als 

wolle er Roland aufmuntern. »Ich wollte ihm nur ein wenig die 
Augen öffnen, und ich bin sicher, daß er den richtigen Schluß ziehen 
wird.« 

Er betonte »Schluß«, und Roland hatte das Gefühl, daß der König 

ihm damit nahelegen wollte, mit Katharina Schluß zu machen. 

Es war ohnehin nur eine Nacht mit ihr gewesen, zwar eine äußerst 

aufregende, doch Roland hatte nicht vorgehabt, eine dauerhafte 
Bindung mit Katharina einzugehen. Sie war eine Frau, die einem 
Mann Himmel und Hölle zugleich bereiten konnte ... 

Doch jetzt regte sich Trotz in Roland. Was gingen den König seine 

Privatangelegenheiten an? 

»Doch ziehen wir jetzt andere Schlüsse«, fuhr König Artus fort: 

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»Erstens, der Verräter ist nach wie vor auf Camelot zu suchen. Er 
muß entlarvt werden. Zweitens, Waffen und Rüstungen müssen nach 
wie vor nach Verona gebracht werden, damit sich mein Neffe gegen 
die Rebellen verteidigen kann. Er steht mit dem Rücken zur Wand, 
und die Zeit drängt. Er ...« 

Ein Gedanke stieg in Roland auf, und es drängte ihn so sehr, ihn 

auszusprechen, daß er dem König keck ins Wort fiel. 

»Die andere Seite! Haben wir überhaupt daran gedacht, daß dort 

der Verräter stecken könnte?« 

Der König lächelte milde und schien es Roland nicht zu verübeln, 

daß er ihn einfach unterbrochen hatte. 

»Das habe ich in Erwägung gezogen, doch diese Möglichkeit 

scheidet aus. Mein Neffe hat eine Zusicherung von mir auf sein 
Hilfeersuchen bekommen, aber das ist auch schon alles. Er weiß 
weder, wann das benötigte Material geliefert wird, noch auf welchem 
Wege.« 

Volker vom Hohentwiel wollte etwas sagen, doch jetzt schien des 

Königs Geduld strapaziert zu sein. 

»Laß er mich fortfahren. Wir wissen, daß der Verräter nach wie 

vor seine Fäden zieht, mal dahingestellt, ob er tatsächlich den Diet ... 
im Namen hat und sich einer Frau als Mittelsperson bedient. Folglich 
wird der Verräter auch den nächsten Transport verraten ...« 

»Er braucht ja nichts davon zu erfahren«, warf Roland ein. 
Der König lächelte. »Natürlich nicht. Aber er  soll  davon erfahren. 

Wir werden zu einer List greifen. Ihr beide werdet die einzigen sein, 
die diese List in vollem Umfang kennen. Die anderen, die bisher 
Eingeweihten, werden nur einen Teil des Plans erfahren, den ich 
ersonnen habe und mit dem ich zwei Fliegen mit einer Klappe zu 
schlagen gedenke. Nun hört gut zu.« 

Das taten sie. 
Der Plan war riskant, doch zugleich  so raffiniert, daß er eigentlich 

gelingen mußte. 

Wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischenkam. 

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Die anderen Ritter waren begeistert, als König Artus sie im Tafelsaal 
in den vermeintlich ganzen Plan einweihte. 

Ein Haupttrupp mit gerüsteter und gut bewaffneter Eskorte sollte 

Camelot verlassen - der vermeintliche Waffentransport. 

Zugleich sollten ein paar harmlose Holzfäller auf einem anderen 

Weg gen Süden aufbrechen und Holz transportieren. Nur ein paar 
Männer ohne Begleitschutz, doch auf ihren Wagen sollten die 
Waffen und Rüstungen versteckt sein. 

Soweit die Version, die König Artus erzählte. 
Dietleib von Auerswald machte sich wieder einmal zum Sprecher 

der anderen. 

»Ein wahrlich geschicktes Ablenkungsmanöver«, lobte er den 

König. »Die Räuber müssen annehmen, der große, gerüstete Trupp 
sei der Transport, und in Wirklichkeit bringen ein paar ungeschützte 
Männer die wertvolle Fracht fort. Genial. Es sei denn ...»Er 
verstummte unvermittelt und nagte an der Unterlippe. »Es sei denn?« 
fragte der König. 

Dietleib lächelte entschuldigend. 
»Es sei denn, auch diesmal wird das Geheimnis verraten.« 
Er bedachte Ritter Roland mit einem finsteren Blick. 
Der König winkte ab. »Ich deutete es schon kurz an. Der Verräter 

ist entlarvt, dank Ritter Rolands Nachforschungen.« 

Aufgeregtes Stimmengewirr setzte ein. 
»Wer ist es?« rief Markus von Hohenstein, der graubärtige Ritter, 

angespannt. 

»Er ist nicht in diesem Kreis zu suchen«, sagte König Artus 

geheimnisvoll, und keiner außer Roland und Volker wußte, daß 
König Artus ein doppeltes Spiel trieb. »Die Zeugin, die Ritter Roland 
aufsuchte, hat ihn jedoch genau beschrieben und seinen Namen 
genannt. Wir brauchen zum geeigneten Zeitpunkt nur noch 
zuzugreifen.« 

Erleichterung war in der Runde zu spüren. Der Gedanke, daß ein 

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Verräter in den eigenen Reihen sein könnte, hatte keinem behagt. 

Auch Dietleib wirkte zufrieden. 
Er starrte Roland an und murmelte. »Und ich dachte schon ...« Er 

senkte den Blick, als Roland ihn scharf ansah. 

»Es besteht also kein Risiko, daß diesmal etwas verraten wird«, 

fuhr König Artus fort. Er sah Volker vom Hohentwiel an. »Die 
Holzfäller, die Ritter vom Hohentwiel führen wird, werden nicht in 
den Plan eingeweiht. Sie werden denken, eine Holzlieferung zu 
fahren. Erst in Bayern wird die Fracht vor der Fahrt durch die Berge 
vertauscht.« 

Der König nannte den Ort, den Zeitpunkt und noch weitere 

Einzelheiten. Er ging ja davon aus, daß dieser Plan verraten wurde 
und wollte die »Holzfäller« keiner Gefahr auf dem gesamten Weg 
aussetzen. Die Räuber sollten erst zuschlagen, wenn die Fracht 
angeblich vertauscht war. Und dann würden sie eine große 
Überraschung erleben. Statt Waffen und Rüstungen würden drei 
Dutzend entschlossene Kämpfer auf den Wagen versteckt sein ... 

Und die Waffen und Rüstungen würden gar nicht von den 

Holzfällern, sondern von dem gut gerüsteten und bewaffneten 
Haupttrupp transportiert werden ... 

Davon wußten die anderen nichts, und es herrschte die einhellige 

Meinung, daß der König einen raffinierten Plan erdacht hatte, was ja 
auch der Fall war. 

Als der König die Versammlung für beendet erklärte und sich die 

Runde auflöste, schob sich Dietleib von Auerswald auf dem Gang an 
Ritter Roland heran. 

»Auf ein Wort noch ...« 
Roland blieb stehen. Volker, an Rolands Seite, grinste wissend. 
»Ich gehe schon voraus zu den Knappen, Roland«, sagte er. 
Er ließ Roland und Dietleib allein. 
Dietleib wirkte verlegen. 
»Ich muß gestehen, daß ich einen gewissen Verdacht hegte«, sagte 

er zögernd. 

Roland hatte inzwischen von Harald von Uhlenbruch erfahren,  daß 

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Dietleib versucht hatte, während seiner Abwesenheit gegen ihn 
Stimmung zu machen. 

Er musterte Dietlieb, und er mußte wieder daran denken, daß der 

Verräter, der vermutlich mit einer Frau gemeinsame Sache machte, 
einen Namen mit Diet... hatte. Folglich war Dietleib, der ihm 
ohnehin unsympathisch war, nicht aus dem Kreis der Verdächtigen 
auszuschließen. 

»Es  - tut mir leid«, sagte Dietleib von Auerswald, und Roland 

merkte ihm an, daß er sich die Worte abringen mußte. »Ich  - möchte 
mich in aller Form entschuldigen.« 

Er streckte Roland die Hand hin. Dietleibs Blick war offen. Roland 

spürte, daß es ehrlich gemeint war. 

Er ergriff die Hand. Er war der letzte, der eine ehrlich gemeinte 

Entschuldigung ausschlug. 

Dietleibs Händedruck war schlaff. Das war wiederum etwas, was 

Roland an dem Mann nicht leiden konnte. 

Dietleib zog seine Hand schnell zurück, und sein gezwungenes 

Lächeln erstarb, als hätte er eine Lampe gelöscht. 

»Nun, da der Form genüge getan ist«, zischte Dietleib, »möchte ich 

noch ein anderes Wörtchen mit dir reden.« 

Roland maß ihn mit kühlem Blick, ohne etwas zu sagen. Er ahnte, 

was kommen würde. 

»Laß die Finger von Katharina, oder ...« 
»Oder?« fragte Roland kalt. 
»Oder wir unterhalten uns weiter.« Dietleib klopfte bezeichnend 

auf sein Schwert. 

Dann machte er auf dem Absatz kehrt und schritt davon. 
»Ich stehe jederzeit zur Verfügung«, rief Roland ihm nach. 
Er wußte inzwischen von Dietleibs Eifersucht und Feindschaft. 

Harald von Uhlenbruch hatte es ihm ausführlicher gesagt als König 
Artus. Es wäre Roland nicht in den Sinn gekommen, sich wegen 
Katharina zu duellieren, doch sein Ritterstolz verbot es ihm, klein 
beizugeben, wenn Dietleib die Sache auf die Spitze treiben wollte. 

Nachdenklich schlenderte Roland weiter. Wenn er ehrlich war, 

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mußte er sich eingestehen, daß ihn Katharina gar nicht mehr so sehr 
interessierte. Gewiß, sie konnte einen Mann verrückt machen, doch 
inzwischen hatte er Edeltraut kennengelernt. Edeltraut war nur eine 
Maid, die ihrem Bruder gelegentlich bei der Arbeit im Stall aushalf, 
doch sie war bezaubernder als alle Gräfinnen der Welt. Sie war 
anders als Katharina, nicht so besitzergreifend, mehr Himmel als 
Hölle, während bei Katharina die Grenzen zu zerfließen schienen ... 

Doch jetzt war Katharina noch mehr zu einer Herausforderung 

geworden. Wenn er sich von einem Augenblick zum anderen 
zurückzog, würde man erst recht über ihn tuscheln und ihn vielleicht 
gar der Feigheit bezichtigen ... 

»Roland!« 
Er blickte auf. Katharina tauchte am Ende des Ganges auf. 
Wenn man vom Teufel spricht ... dachte er. 
Sie eilte auf ihn zu und blickte ihn an, als könnte sie nicht fassen, 

ihn wiederzusehen. 

Ja, sie war von erregender Schönheit, eine üppige reife Frau 

Anfang Dreißig, die schon so viele Erfahrungen hinter sich hatte, daß 
kein Spiel ihr fremd war. Rotblondes gewelltes Haar umrahmte ein 
Gesicht, das hochmütig wirkte. Doch in den Armen eines Mannes 
verlor sich dieser Ausdruck. Da sprach sie auch nicht mehr so 
gewählt. Dann ließ sie sich  gehen, wie Roland es selten bei Frauen 
erlebt hatte. 

»Ich dachte nicht, dich so bald wieder zu sehen«, sagte sie mit 

dunkelgetönter Stimme und spielte mit dem güldenen Medaillon, das 
aufreizend im tiefen Tal zwischen den großen Brüsten ruhte. Sie trug 
stets tief dekolletierte Kleider von einem französischen Schneider. 

Sie duftete nach einem schweren süßlichen Parfüm, das fast etwas 

Berauschendes hatte. Roland mußte an den Hauch von Blütenduft 
denken, den er bei Franziska wahrgenommen hatte, und in diesem 
Augenblick war ihm Katharinas Duft ein wenig aufdringlich. 

Er lächelte. 
»Ich beeilte mich, nach Camelot zurückzukehren«, sagte er. 
Der Blick ihrer braunen Augen schien tief in seine Seele 

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einzudringen. 

Dieser Blick war es, bei dem er jedesmal das Gefühl  hatte, dieser 

Frau verfallen zu sein. 

Sie befeuchtete leicht die sinnlichen Lippen mit der Zungenspitze. 
»Gab es dort unten in Birkenau nicht etwas Passendes für den 

großen Ritter?« 

Diese Augen, dieses Lächeln! 
Roland wurde es heiß. 
»Schönau«, korrigierte er und fügte mit belegter Stimme hinzu. 

»Ich war dienstlich dort und ...« 

Sie lachte. »Du brauchst keine Entschuldigungen vorzubringen, 

Roland. Ich bin sicher, daß schon irgendeine Dorfschöne die Dienste 
des großen Ritters zu schätzen wußte.« 

Roland ärgerte sich über seine Verlegenheit. 
Diese Frau war eine einzige Herausforderung. Eine gefährliche 

Schönheit. Ein Spiel mit dem Feuer. 

»Gewiß hattest auch du inzwischen keine Langeweile«, sagte er 

und freute sich über diesen Konter. 

Sie lachte leise und spielte wieder mit dem Medaillon. 
»Gewiß nicht. Doch irgendwie fehlte mir etwas.« 
Ihr Blick lockte ihn. 
»Heute nacht...« begann sie, und er wußte, daß er nicht 

widerstehen konnte, selbst wenn er gewollt hätte. Manchmal hatte er 
das Gefühl, sie verfüge über hypnotische Kräfte. 

Sie legte eine wohlberechnete Pause ein und schien seine 

Gedanken zu lesen. Es leuchtete zufrieden in den braunen Augen auf. 

Sie weiß genau um ihre Macht, dachte Roland. 
»Heute nacht wird der große Ritter vergebens an mein Gemach 

klopfen«, sagte sie. 

Roland kam sich vor wie ein dummer Junge, dem man eine 

Zuckerdose hinhält und sie wegzieht, wenn er danach greifen will. 

Dieses Gefühl hatte er vor kurzem auch gehabt. Richtig  - nachdem 

Franziska ihn geküßt und dann fortgeschickt hatte. 

»Ich hatte nicht vor zu klopfen«, erwiderte er absichtlich kühl, 

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doch seine Stimme klang belegt, und ihr Lächeln verriet ihm, daß sie 
genau wußte, daß er log. 

»Oh«, sagte sie spöttisch. »Und ich dachte schon, du wärst vor 

Sehnsucht brennend nach Camelot zurückgekehrt.« 

»Eher vor Durst brennend«, erwiderte er, und er hoffte, daß sein 

Lächeln spöttisch genug ausfiel. 

Sie lachte wieder. 
»Mich dünkt, du hast dich ein wenig verändert.« Sie musterte ihn 

prüfend. »Nun, es war natürlich ein Scherz von mir, um dich auf die 
Probe zu stellen.« Sie wandte den Kopf. Zwei Ritter tauchten am 
Ende des Ganges auf. 

»Meine Kammer wird dir offenstehen«, flüsterte sie schnell. »Aber 

komm erst nach Mitternacht.« 

Noch ein verheißungsvoller Blick, der Rolands Blut in Wallung 

brachte, dann schritt sie hoheitsvoll weiter. 

Roland setzte ein wenig benommen seinen Weg fort. Die beiden 

Ritter grinsten anzüglich, als sie ihn passierten. 

Roland unterdrückte einen Fluch. Inzwischen pfiffen die Spatzen 

von den Türmen des Schlosses, daß  er etwas mit Katharina hatte. 
Zum Teufel, er selbst hatte kein Sterbenswörtchen erzählt. Konnte 
das Weib mit ihren Liebschaften nicht diskreter sein? 

Roland war an diesem Abend hin- und hergerissen von Gefühlen. 

Er zechte mit den Knappen, doch er war nicht recht bei der Sache. 
Ständig beschäftigte ihn die Frage: Sollte er zu Katharina gehen oder 
nicht? 

Eine kleine Lektion konnte ihr nicht schaden, oder? 
Kurz vor Mitternacht, als er sich immer noch nicht schlüssig war 

und zwei Seelen in seiner Brust miteinander rangen, gesellte sich 
Volker vom Hohentwiel zu ihnen. Volker trug mit allerlei Späßen 
dazu bei, daß es eine heitere Runde wurde, und bei Wein, Plauderei 
und Würfelspiel vergaß Roland Katharina. 

Erst als er weinselig und müde im Bett lag, fiel sie ihm wieder ein. 
Eine Weile spielte er mit dem lockenden Gedanken, sich wieder 

anzukleiden und zu ihr zu gehen. Doch dann fielen ihm die Augen 

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zu, und er schlief tief und fest. 

Das war gewiß auch besser so. 
Denn Katharina hätte Roland in dieser Nacht nicht geöffnet. 
Dietleib war bei ihr. 
Das hatte sie gewußt, als sie mit Roland gesprochen hatte. Doch sie 

hatte Dietleib nicht vor Mitternacht weggeschickt, wie sie es zu 
diesem Zeitpunkt noch vorgehabt hatte. 

Das Gespräch mit Dietleib war interessanter gewesen,  als sie 

gedacht hatte. Dietleib wußte mit überraschenden Neuigkeiten 
aufzuwarten. Und später war er dann eingeschlafen. 

Katharina verzichtete darauf, ihn zu wecken. 
Roland würde umsonst klopfen. 
Sie wartete vergebens darauf. 
Es ärgerte sie, weil sie fest davon überzeugt gewesen war, daß er 

ihrer Lockung nicht widerstehen konnte. Doch dann brachte sie sein 
Fernbleiben mit den Dingen in Zusammenhang, die sie von Dietleib 
erfahren hatte. Und da glaubte sie zu wissen, weshalb Roland nicht 
kam. 

Lange lag sie wach neben dem tief schlafenden Dietleib. 
Und ihr Zorn auf Roland verflog und wurde von kühlen 

Überlegungen abgelöst. 

Die neue Entwicklung der Dinge erforderte neue Taten. Sie 

schmiedete Pläne und kam zu dem Schluß, daß sie Roland ohnehin 
bald vergessen konnte. 

Schade um den großen Ritter ... dachte sie noch. 
Dann schlief auch sie ein. 

Tage waren vergangen. 

Die Sonne lugte über den Berghang im Osten und färbte mit ihren 

rötlichen Strahlen den Morgennebel, der wie ein zartes Gespinst in 
der Schlucht lag. 

Ritter Rolands Blick tastete über die steil abfallenden Berghänge 

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zur Brücke, die sich über die Schlucht spannte. Es war ein friedlicher 
Anblick. Nichts wies auf Gefahr hin. 

Es war auch nicht mit Gefahr zu rechnen. Roland dachte  an König 

Artus' Plan. Danach mußte der Verräter die Räuber auf die 
vermeintlichen Holzfäller hinweisen, die angeblich die wichtige und 
wertvolle Fracht beförderten. Die Falle würde zuschnappen. 

Dennoch blieb Roland wachsam. Irgendwelche Räuber und 

Wegelagerer, die gar nichts von dem raffinierten Spiel wußten, 
konnten sich von dem Transport fette Beute erhoffen und aus dem 
Hinterhalt zuschlagen ... 

Roland versammelte sein Roß und warf einen Blick zurück. 
Wie ein gewaltiger Wurm wand sich die Kolonne aus Wagen und 

Reitern über den Bergweg hinauf zur Brücke. Helme und Rüstungen 
schimmerten im Sonnenschein. Das Rumpeln der Wagenräder, der 
Hufschlag und gelegentliches Peitschenknallen der Fahrer, allesamt 
sorgfältig ausgesuchte Männer, hallten durch die Schlucht zu ihm 
herauf. 

Der Ritter mit dem Löwenherz trieb sein Roß auf die Brücke. 

Dumpf pochten die Hufe über die schweren Eichenbohlen. 

Tief unten in der Klamm schlängelte sich ein Bach durch die 

Felsbrocken, von denen der Grund übersät war. Majestätische 
Fichten, zwischen denen noch die Schatten der Nacht nisteten, 
erhoben sich am gegenüberliegenden Hang. 

Nichts regte sich ringsum. Kein Vogel ließ sich sehen und hören, 

kein Wild floh vor der nahenden Kolonne. Die Stille hatte etwas 
Beunruhigendes für Roland. 

Wieder überlegte er, ob es einen Fehler in König Artus' Plan geben 

konnte. Doch dann sagte er sich, daß es keinen Grund zur Sorge gab. 
Sie waren zwei Dutzend bewaffneter Männer, die zu kämpfen 
wußten, wenn es nötig sein sollte. Wenn Räuber auftauchten, würden 
sie sich blutige Köpfe holen. 

Er warf einen Blick über die Schulter. Die Wagen waren jetzt auf 

der Brücke. Stimmen schallten durch die Fahrgeräusche und den 
Hufschlag der vielen Rösser. Ein Pferd scheute wiehernd, und sein 

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Reiter parierte es. 

Der letzte Wagen war auf der Brücke. Die gepanzerte und mit 

Lanzen und Schwerten bewehrte Nachhut folgte. 

Roland war noch ein Dutzend Klafter vom anderen Ende der 

Brücke entfernt, als es geschah. 

Und ihm und allen Männern des Transports stockte der Atem. 
Ein Bersten und Knirschen erfüllte plötzlich die Luft. Die Brücke 

erzitterte. Entsetzte Schreie ertönten. 

Die Brücke stürzte ein! 
Und für Ritter Roland und die Männer des Transports tat sich der 

Schlund der Hölle auf. 

Louis lauschte dem Klang der Laute und der sanften volltönenden 
Stimme, die aus einem der Wagen am Rande des Lagerplatzes 
drangen. 

Volker vom Hohentwiel, der berühmte Minnesänger, brachte schon 

wieder ein Ständchen dar. 

Der schwarzbärtige Knappe grinste. »Eines muß man sagen, dieser 

Volker hat eine bewundernswerte Ausdauer. Die ganze Nacht war er 
schon zugange, und mir scheint, er bereitet die hübsche Diethilde 
schon wieder auf die Minne vor. Hör nur, wie er mit der Stimme 
schmeichelt. Klingt ja fast, als streichele er verzückt an den Lauten.« 

Da verstummten Lautenklang und Volkers schmeichelnde Stimme. 

Ein helles, fast juchzendes Lachen erklang. Diethilde schien die 
Ballade genossen zu haben. 

»Jetzt streichelte er gewiß an was anderem«, fuhr Louis fort, und 

seine Zähne blitzten im schwarzen Bart, als er Pierre zulächelte. 

Pierre lächelte nicht. Seine Miene war äußerst betrübt. 
»Was ist, Pierre?« fragte Louis. »Ist dir eine Laus über die Leber 

gelaufen, oder bist du gar eifersüchtig, weil Volker die hübsche 
Anhalterin mitgenommen hat?« 

Pierre schüttelte leicht den Kopf. Seine Miene war mißmutig. 

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»Ich hab' die ganze Nacht kein Auge zugetan«, erwiderte er 

bekümmert. 

Louis lachte leise. »Kein Wunder, wenn im Nebenwagen ein Paar 

der Minne frönt. Diese Diethilde muß ein heißes Herzchen sein. Sie 
sieht aus wie eine Madonna, und ich hielt sie für eine Jungfer, die 
kein Wässerchen trüben kann. Aber nach allem, was ich so zwischen 
Wachen und Träumen mitbekam, muß der Schein trügen. Doch 
gegen sechs heute morgen müssen die beiden eingeschlafen sein. Sag 
nur, da konntest du immer noch nicht pennen.« 

Pierres Gesicht verzog sich schmerzlich. 
»Das ist es nicht. Ich habe einen schlimmen Zahn.« 
Louis musterte ihn. Erst jetzt bemerkte er, daß Pierre ein bißchen 

blasser war als sonst. Und in der Tat wirkte die linke Wange noch 
etwas molliger als die mollige rechte. 

»Du solltest mit Kamille spülen«, riet Louis. 
»Hab' ich«, sagte Pierre kläglich, »die ganze Nacht. Deshalb 

konnte ich ja auch nicht schlafen.« 

»Schon besser?« fragte Louis mitfühlend. 
»Kein bißchen. Ich hab' das Gefühl, der Zahn sei größer als mein 

Kopf, und tausend Trolle hämmerten darin herum.« 

Jetzt war seine Miene der Inbegriff der Wehleidigkeit. 
Louis bezweifelte, daß es so schlimm sein konnte. Er kannte 

Pierre. Manchmal konnte der bei einem Wehwehchen tun, als liege 
er im Sterben. Vermutlich war sein Seelenkummer der wahre Grund. 
Schon seit ihrem Aufbruch von Schloß Camelot war er schweigsam 
und verdrießlich gewesen, was gewiß darauf zurückzuführen war, 
daß ihn die Zofe Christhilde hatte abblitzen lassen. 

»Laß mal sehen«, forderte Louis ihn auf. 
Pierre öffnete den Mund. 
Louis musterte Pierres Beißer und konnte den Übeltäter nicht 

entdecken. Allerdings war das Zahnfleisch an der linken Seite ein 
wenig rot und geschwollen. 

Vermutlich machte Pierre wieder aus einer Mücke einen Elefanten. 
»Kein Weisheitszahn«, brummte Louis. »Na, da ist bei dir ohnehin 

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kaum etwas zu erwarten.« 

Pierres Miene wurde bei Louis' Scherzchen noch verdrossener. 
»Du solltest es weiter mit Kamille versuchen«, fuhr Louis fort. 

»Du wirst sehen, das wirkt Wunder.« 

»Kein bißchen wirkt es«, maulte Pierre. 
Louis zuckte mit den breiten Schultern. »Nun, wenn das nicht hilft, 

dann müssen wir wohl oder übel zu anderen Mitteln greifen.« 

»Und?« fragte Pierre mißtrauisch. 
Louis klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Ich hab' eine 

Zange dabei. Ich ziehe dir das Beißerchen, und zackzack tut dir kein 
Zahn mehr weh.« 

Das blanke Entsetzen spiegelte sich in Pierres Augen. 
»Ich  -  ich versuch's doch lieber nochmal mit Kamille«, sagte er 

hastig. 

Louis grinste. 
»Wie du willst. Aber du weißt, daß du auf mich als Freund immer 

zählen kannst.« 

Er wandte den Kopf und lauschte. Schwache Geräusche drangen 

aus dem Wagen, die nur einen Schluß zuließen. 

»Sie setzen zum Finale an«, sagte Louis. »Dann werde ich schon 

mal die Rösser einschirren, damit wir aufbrechen können, bevor 
Diethilde von neuem entflammt.« 

Er erhob sich im Gras. 
»Wir hätten das Holz schon längst abliefern können, wenn Volker 

dieses Frauenzimmer nicht unterwegs aufgegabelt hätte«, murmelte 
Pierre. 

»Es eilt doch nicht«, sagte Louis, »Es ist nicht mehr weit, und wir 

haben noch bis morgen abend Zeit. Du solltest dich an das Leben 
eines Fuhrmannes gewöhnen. Ich  kannte mal einen, der sagte: Stets 
langsam fahren, in der Hölle wirst du schon früh genug garen.« 

»Blöder Spruch«, sagte Pierre und betastete seine etwas molligere 

Wange. »Außerdem bin ich kein Fuhrmann.« 

»Zur Zeit doch«, gab Louis zurück. »Sogar Volker vom 

Hohentwiel, berühmter Minnemann und Ritter, ist zu einem solchen 

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bestimmt worden.« 

»Kannst du das verstehen?« fragte Pierre. Die Knappen waren ja 

nicht in den Plan eingeweiht. Ihnen würde erst ein Licht aufgehen, 
wenn sie, statt das Holz abzuliefern, zwei Dutzend bewaffnete 
Männer an Bord nehmen würden. Roland hatte sich zwar für seine 
Knappen verbürgt, als er sie für diese Aufgabe vorgeschlagen hatte, 
doch König Artus hatte abgewunken. 

»Natürlich sind sie vertrauenswürdig, doch ich möchte vermeiden, 

daß einer außer uns dreien den ganzen Plan kennt. Alle anderen 
erfahren nur Teile, aus denen sie nur einen Schluß ziehen sollen: Daß 
die Beute bei den Holzfällern zu holen ist. Die Räuber könnten sich 
vergewissern wollen, und es ist besser, die Knappen erfahren erst im 
letzten Augenblick einen Teil des Spiels. »Ich begreife das alles 
nicht«, seufzte Pierre, als Louis auf seine Frage mit den Schultern 
zuckte. 

»Ich auch nicht«, erwiderte Louis. »Vielleicht hat Artus im 

Augenblick schlechte Verdauung, was ihm  auf den Geist schlägt, 
oder er hat Krach mit seiner Alten.« 

»Wie sprichst du vom König?« Pierre, der vor seiner Zeit als Ritter 

Rolands Knappe Page auf Schloß Camelot gewesen war, fand Louis' 
Worte reichlich respektlos. 

Louis grinste. »Auch Könige sind nur Menschen. Allerdings finde 

ich es nicht sehr menschlich, uns mit einer Fuhre Holz auf eine 
langweilige Reise zu schicken, anstatt uns mit Ritter Roland einen 
neuen abwechslungsreichen Auftrag zu geben.« 

»Aber Roland hat doch gesagt, er brauchte Erholung  nach dem 

letzten aufregenden Fall, in dem er ganz alleine einen Verräter zur 
Strecke gebracht hat.« 

Louis kraulte seinen Bart. 
»Wenn ich's mir recht überlege, sah er gar nicht so 

erholungsbedürftig aus, eher recht tatendurstig. Nun, er wird bei 
Artus den Erholungsbedürftigen vorgetäuscht haben, weil er 
befürchtete, Artus könnte ihn wie Volker vom Hohentwiel  zum 
Holzfahrer ernennen.« 

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»Das glaube ich nie und nimmer«, murmelte Pierre. »Ich hörte auf 

Camelot, er soll eine andere wichtige Aufgabe übernehmen.« 

»Dann hätte er uns mitgenommen«, widersprach Louis. »Ich 

glaube eher, daß er uns für eine Weile loswerden wollte, damit er der 
schönen Gräfin den Hof machen kann.« 

Zum ersten Mal an diesem Morgen zeigte Pierre die Andeutung 

eines Lächelns. »Katharina hat eher ihm den Hof gemacht.« 

Louis lachte leise. 
»Und gewiß das Bettchen dazu«, sagte er und schlenderte zu den 

Pferden, die am Bach zwischen den Pappeln und Weiden 
angebunden waren. 

Pierre tastete besorgt seine Wange. Er hatte das Gefühl, die 

Schwellung nähme von Minute zu Minute zu. 

Ritter Roland hatte derweil andere Sorgen als seine Knappen. Einen 
Augenblick lang war er wie betäubt, als die Brücke über der Schlucht 
erbebte und ein Bersten und Krachen von den steilen Hängen hallte, 
als stürze ein gewaltiger gefällter Baum zu Boden. 

Schreie gellten. Gespannpferde wieherten, und Rösser scheuten auf 

der Brücke, deren Eichenbohlen sich senkten. 

»Zurück!« brüllte ein Mann der Eskorte, riß sein Pferd herum und 

jagte es in Panik gegen die Gespannpferde des ersten Wagens. Das 
Tier scheute zur Seite, prallte gegen das Geländer, und die Wucht des 
Aufpralls war so groß, daß die hölzerne Barriere brach. 

Kopfüber stürzte der Reiter aus dem Sattel und verschwand mit 

einem markerschütternden Schrei in der Tiefe. Niemand sah es. Jeder 
war in diesem Augenblick des Schreckens mit sich selbst beschäftigt. 

Ritter Roland parierte sein scheuendes Roß. Mit einem schnellen 

Blick erfaßte er, daß es kein Zurück gab. 

Hinter ihm brach die Brücke in zwei Hälften. Die ersten 

Eskortenreiter wurden bereits in die Tiefe gerissen, und die 
Fuhrpferde des nachfolgenden Gespanns rutschten schon hinab, auf 

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die tödliche Bresche zu. 

Die Bohlen senkten sich unter der Hinterhand von Rolands Hengst. 
Roland handelte verzweifelt, ohne zu überlegen. Er wußte, daß es 

ums Überleben ging. Er trieb den Hengst zum Sprung, obwohl er die 
Entfernung bis zum Ende der Brücke kaum schaffen konnte. 

Wie von einem Katapult geschnellt, sprang das Roß. Es war ein 

gewaltiger Satz, und das prächtige Tier schaffte  es. Roland hatte 
Mühe, beim Aufsetzen im Sattel zu bleiben. Die Rüstung behinderte 
ihn, machte ihn unbeweglicher. Die Hinterhand des Hengstes 
rutschte ab, und in das Gellen der Schreie und Krachen und Bersten 
mischte sich das Poltern von Gestein. Der halbe Weg schien sich 
unter den Hufen des Hengstes zu lösen und den Brückenbohlen in die 
Tiefe zu folgen. 

Noch einmal streckte sich das Roß, schnellte sich auf den rettenden 

Weg. 

Roland schwankte im Sattel, doch in diesem Augenblick hätte er 

jubeln mögen. Nur ein Gedanke beherrschte ihn: 

Geschafft! 
Da verspürte er einen harten Schlag gegen die gepanzerte Brust, 

und es war ihm, als fege ihn eine gigantische Faust vom Pferd. 

Für einen Augenblick glaubte er noch etwas Braunes zwischen den 

Fichten oberhalb des Weges wahrzunehmen, eine schnelle 
Bewegung, und dann stürzte er aus dem Sattel. 

Er überschlug sich in der Luft, sah für einen Moment durch die 

Luft wirbelnde Reiter und Rösser und in die Tiefe stürzende 
Brückenteile. Ein grauenvoller Anblick, der ihm förmlich das Blut in 
den Adern erstarren ließ. Dann sah er in der Drehung den tiefen 
Grund der Schlucht, gezackte Felsbrocken, auf denen er 
zerschmettert werden würde. Dann war die Drehung zu Ende, und 
ein Baum schien auf ihn zuzurasen und ins Riesige zu wachsen. 

Aus! durchfuhr es ihn. 
Er glaubte noch ein weiteres Bersten und Knacken zu hören. Etwas 

Grünliches schlug ihm ins Gesicht. Dann prallte er auf. 

Schlagartig hüllten ihn Finsternis und Totenstille ein. 

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Diethilde lachte hell. Sie saß neben Volker vom Hohentwiel auf dem 
Wagenbock, und Volker hatte ihr gerade einen Witz erzählt. 

Sie war ein schlankes, doch an den richtigen Stellen 

wohlgerundetes Persönchen, blond, blauäugig und sommersprossig. 

Das Gesicht hatte tatsächlich etwas Madonnenhaftes, wie  der 

Knappe Louis Volker zugeraunt hatte, als die Maid um Mitfahrt 
gebeten hatte. 

Volker kannte sich nicht so recht mit Madonnen aus, doch er war 

überzeugt davon, daß Diethilde keine war. Er hielt sie eher für eine 
kleine Abenteurerin, die keinen Genuß ausließ. Schier unersättlich 
schien sie zu sein. Bei einer Rast in einer Dorfschänke hatte sie ihn 
um Mitfahrt gebeten, und eine Rast weiter waren ihre anderen 
Wünsche offenkundig geworden. 

Jetzt schmiegte sie sich an ihn, und ihr Blick sagte ihm, daß sie die 

nächste Rast schon kaum erwarten konnte. 

Volker vom Hohentwiel flogen die Herzen der Damen nur so zu  - 

einmal war ihm sogar ein Höschen von einer Gräfin zugeflogen, der 
es ob seines Gesangs wohl zu heiß geworden war. Dennoch hatte er 
selten solch eine Diethilde kennengelernt. 

»Du bist mir schon ein seltsamer Holzfäller.« 
Die Worte, die sie ihm ins Ohr hauchte, rissen Volker aus seinen 

Gedanken. Zugleich alarmierten sie ihn. 

Hatte das zweifelnd geklungen oder gar lauernd? 
Er dachte an den Geheimauftrag, und eine innere Stimme mahnte 

ihn zur Vorsicht. 

»Wieso?« fragte er leichthin. 
»Na, Holzfäller habe ich mir immer anders vorgestellt.« 
Volker lauschte dem Klang der Stimme nach. Das hörte sich recht 

harmlos und unbeschwert an. 

»Kräftiger?« fragte er. 
Sie lachte leise. »Bestimmt nicht. Doch nicht so gutaussehend und 

einfühlsam und zärtlich.« 

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Volker lachte, daß die weißen Zähne in dem kühngeschnittenen, 

leicht gebräunten Gesicht blitzten. 

»So kann man sich irren«, sagte er und versuchte zu verbergen, daß 

er ein wenig geschmeichelt war. 

»Die Holzfäller, die ich kenne, vom Hörensagen versteht sich, 

sollen ungehobelte Kerle mit schwieligen Pranken sein.« 

»Das sind gewiß Vorurteile.« 
Volker bedachte sie mit einem Lächeln, doch das alarmierende 

Gefühl war wieder da. 

Teufel, sollte sie nicht zufällig aufgetaucht sein? 
Unsinn, dachte er, niemand außer König Artus, Ritter Roland und 

mir ist in den Plan eingeweiht. Wenn die Geheimaktion verraten 
worden war, dann wußte der Verräter,  wo die Fracht aufgeladen 
wurde und brauchte vorher keinen Spitzel einzusetzen. Außerdem 
hatte Diethilde bislang nicht die geringsten neugierigen Fragen 
gestellt. 

»Aber ich habe noch von keinem Holzfäller gehört, der Laute 

spielen und so schöne Balladen singen kann und alles und so.« 

Ihr Blick verriet ihm, was sie mit »alles und so« meinte. 
»Ah, die Leute erzählen viel«, sagte Volker. »Ich kenne ein paar 

Kollegen, die besser mit Fiedel und Laute umgehen können als mit 
der Axt. Einer von ihnen hat mir das Lautenspielen beigebracht. Ein 
richtiger Künstler ist das. Früher dichtete er Balladen, doch davon 
konnte er nicht leben. So wurde er Holzfäller. Holz ist nun mal 
gefragter als Dichtung.«, Diethilde lachte. »Du bist mir ein rechter 
Meister der Zunge. Als Meister der Axt kann ich mir dich gar nicht 
vorstellen.« 

»So kann man sich irren.« Volker wollte schnell vom Thema 

ablenken. Sein Mißtrauen war inzwischen verflogen. Nein, das war 
kein Aushorchen gewesen, eher das Interesse einer verliebten Frau, 
die sich wunderte, daß ihr Galan anders ist, als sie zunächst gedacht 
hatte. 

»Da fällt mir noch ein Holzfäller-Witz ein, den neulich Holzfäller-

Heini bei der Arbeit erzählte«, sagte Volker. Flugs modelte er einen 

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uralten Scherz als »Holzfäller-Witz« um, damit Diethilde auf andere 
Gedanken kam. 

»Da sagte der alte Holzfäller zu dem jungen Paar, das ihn bei 

dräunendem Unwetter in den Bergen um Rat ersuchte: Wenn es 
donnert und blitzt Dann sei gewitzt Und merke dir den weisen 
Spruch: Den Eichen weich Die Buchen such!« 

Diethilde lachte. »Den Spruch kenne ich auch.« 
Volker nickte. 
»Und so ließ sich das Pärchen beim Gewitter im Schutz einer 

Buche nieder. Und pardeutz  - da schlug der Blitz in die Buche, 
anstatt in die Eichen. Und das letzte, was sie hörten, war der Blitz, 
der mit krachendem Donnerschlag sagte: >Wie man sich doch irren 
kann.<« 

Diethilde lachte erheitert. 
Da ertönte ein lauter Fluch vorn beim ersten Wagen. 
Louis zügelte heftig das Gespann. 
Volker vom Hohentwiel spähte angestrengt nach vorn, an dem 

Wagen vorbei, den Pierre ebenfalls anhielt. Dort vorn, hinter der 
Wegbiegung, versperrte ein Baumstamm den Weg. 

Volkers Blick zuckte nach links und rechts. Nichts regte sich 

zwischen den Büschen und Bäumen. Doch Volker bezweifelte, daß 
der Baumstamm rein zufällig dort auf den Weg gefallen war. 

»Was - ist los?« fragte Diethilde angespannt. 
Das hätte Volker ebenso gern gewußt. Es war mit keiner Gefahr zu 

rechnen gewesen. Niemals sonst hätte er einer Frau die Mitreise 
erlaubt. Wenn die Aktion verraten worden war wie erwartet, dann 
mußten die Räuber davon ausgehen, daß die Beute noch gar nicht auf 
den Wagen war. Daß die Waffen und Rüstungen überhaupt nicht mit 
diesen Wagen transportiert werden würden, daß sie nur den Köder 
für die Falle spielen sollten, konnte der Verräter nicht wissen. Daß 
wußten nur der König und Roland außer ihm, Volker. 

Es konnte allerdings ein zufälliger Überfall sein. Doch welche 

Wegelagerer interessierten sich schon für einen kleinen 
Holztransport? Allenfalls Kerle, die zu faul waren, selbst Bäume zu 

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fällen, oder? 

In diesem Augenblick ertönte eine rauhe Stimme zwischen den 

Büschen am Wegesrand. 

»Ergebt euch, oder ihr fahrt zur Hölle!« 

Roland hörte Stimmen. Er hatte das Gefühl zu schweben. Es dauerte 
eine Weile, bis er erkannte, daß er sich tatsächlich in einer Art 
Schwebezustand befand. Er hing in einem Baum, einer Fichte, wenn 
ihn nicht alles täuschte. 

Wie zum Teufel kam er dahin? 
Sein Schädel schmerzte, und er hatte Mühe, einen klaren Gedanken 

zu fassen. 

Er überlegte eine Weile. Dann setzte die Erinnerung ein, und er 

erschrak so sehr, daß er fast vom Baum abgestürzt wäre. 

Sie waren überfallen worden! Obwohl der Verräter annehmen 

mußte, daß die Waffen und Rüstungen auf einem anderen Weg und 
mit anderen Wagen transportiert wurden. Folglich würden die 
Räuber auch nicht in die Falle tappen, die König Artus so raffiniert 
geplant hatte! 

Scheinbar raffiniert. 
Roland klammerte sich an der Zweiggabelung fest. Er hatte 

unglaubliches Glück gehabt. Sein Schutzengel mußte in Hochform 
gewesen sein. Die Fichte hatte seinen Sturz gebremst. Er wäre sonst 
auf dem Grund der Schlucht zerschmettert. Er war so in den Zweigen 
eingeklemmt, daß er in seiner Bewußtlosigkeit nicht heruntergefallen 
war. 

Allmählich wurde sein Blick klarer, und die Kopfschmerzen und 

das Schwindelgefühl ließen etwas nach. 

Er spähte hinunter. Tief unter ihm waren durch einen Spalt 

zwischen anderen Fichten die Trümmer der Brücke, zerstörte Wagen, 
tote Pferde und reglose Gestalten zu erkennen. Zwei gepanzerte 
Männer lagen im Bach auf dem Bauch und waren mit Sicherheit tot. 

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Roland schluckte. Der Anblick versetzte ihm einen Schock. 

Vermutlich war er der einzige des Trupps, der mit dem Leben 
davongekommen war. Er schloß für einen Moment die Augen und 
kämpfte gegen das Gefühl der Übelkeit an. Wieder hörte er entfernte 
Stimmen. 

Er lauschte, doch er konnte nicht verstehen, was gesprochen 

wurde. Er drehte den Kopf und spähte angestrengt in die Richtung, 
aus der die Stimmen zu ihm herüberdrangen. 

Fichten versperrten ihm die Sicht. 
Die Räuber schafften offenbar die Beute aus der Schlucht. 
Ob er es wagen konnte, von der Fichte zu klettern? 
Wenn er sie nicht sehen konnte, konnten sie ihn auch nicht sehen. 

Er mußte näher an sie heran. Vielleicht gelang es ihm, sie zu 
belauschen oder ihnen gar zu folgen. 

Er begann mit dem Abstieg. Erst jetzt bemerkte er, daß er 

Hautabschürfungen und Platzwunden davongetragen hatte, und daß 
sein Körper schmerzte, als hätte er sich sämtliche Knochen 
verstaucht. 

Er biß die Zähne zusammen. Mehrmals drehte sich alles vor seinen 

Augen, und er mußte beim Klettern innehalten und warten, bis das 
Schwächegefühl nachließ. 

Irgendwann, nach einer scheinbaren Ewigkeit hatte er es dann 

geschafft. 

Er schlich näher zu den Geräuschen und spähte zwischen den 

Fichten am Berghang hervor. Jetzt konnte er die Verbrecher sehen. 

Vier Männer banden Kisten an ein Seil. Die Kisten wurden nach 

oben gezogen. 

Roland schlich noch weiter vor und verharrte im tiefen Schatten 

zwischen den Baumstämmen. 

»Das war's«, sagte eine heisere Stimme.. Ein rotbärtiger Mann 

winkte hinauf. »Anschließend könnt ihr uns hochziehen.« 

Roland sah zu, wie sich der erste der vier Männer das Seil um den 

Leib schlang. 

Er mußte ebenfalls aus der Schlucht gelangen. Doch wie konnte 

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ihm das schnell gelingen? Die Räuber würden ihn gewiß nicht an 
ihrem Seil hochhieven. Und wenn er wartete, bis sie verschwunden 
waren, machten sie sich mit der Beute über alle Berge, bevor er ein 
Pferd fand. 

Er dachte kurz an sein Roß. Im Grunde hatte ihm der Hengst mit 

seinem gewaltigen Sprung das Leben gerettet und war der eigentliche 
Schutzengel gewesen. Das Tier war sicherlich oben am Weg 
weitergelaufen und irgendwann stehengeblieben. Vielleicht hatten 
die Kerle es nicht eingefangen ... 

Roland blickte den Hang hinauf. Der Aufstieg war steil und 

schwierig, doch nicht unmöglich. Schnell legte er den Brustpanzer 
ab, der ihn nur behinderte. 

Seine Knie zitterten, und er war schweißgebadet, als er den 

Berghang erstiegen hatte. 

Er lauschte mit angehaltenem Atem. Einen Augenblick lang 

glaubte er nur seinen Herzschlag zu hören. Dann konnte er 
Geräusche ausmachen. Irgendwo rechts vom Weg. 

Er schlich weiter. 
Dann sah er zwischen den Baumstämmen die Wagen. Männer 

hasteten hin und her. Pferde wurden eingeschirrt. Eine rauhe Stimme 
gab Kommandos. 

»Beeilt euch, ihr lahmen Säcke. Wir müssen verschwinden!« 
»Wozu die Hetze?« rief ein anderer Mann. »Glaubst du, die Toten 

stehen wieder auf?« 

Roland glaubte einen Kloß in der Kehle zu haben. 
»Das nicht, aber jemand könnte zufällig auftauchen«, erwiderte der 

Mann mit der rauhen Stimme, offenbar der Anführer der 
Verbrecherhorde. 

»Da passen unsere Posten schon auf«, maulte der andere, »Noch 

ein Widerwort, und ich lege dich dort unten schlafen!« 

Roland kniff die Augen zusammen und spähte zu den Wagen hin. 

Männer kletterten auf die Fahrerbänke. Eine Peitsche knallte. Der 
erste Wagen setzte sich in Bewegung. 

Wenn ich jetzt ein Pferd hätte, dachte er, könnte ich den Kerlen zu 

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ihrem Versteck folgen und ... 

Ein anderer Gedanke nahm Gestalt an. Es war riskant, doch er war 

entschlossen, es zu wagen. 

Die Wagen fuhren über den gewundenen Weg am Waldrand 

vorbei. 

Ritter Roland duckte sich hinter einen Baumstamm. Das Herz 

klopfte ihm bis zum Hals,  als er auf den letzten Wagen wartete. Er 
spannte sich zum Sprung. 

Dann sprang er auf. Er klammerte sich am Heckbrett fest und zog 

sich hinauf unter die Plane. 

Völlig außer Atem landete er auf irgendwelchen Kisten. 
Er lauschte. Nur die Fahrgeräusche und der Hufschlag waren zu 

hören. Nichts wies darauf hin, daß die Verbrecher ihn bemerkt 
hatten. 

Er wartete, bis sich sein Atem normalisiert hatte. Vorsichtig zog er 

dann die Plane ein Stück zur Seite und spähte aus dem Wagen. Kein 
Reiter folgte den Wagen. 

Zufrieden ließ er die Plane sinken. Es war nicht damit zu rechnen, 

daß die Kerle den Wagen durchsuchten. Sie würden ihn geradewegs 
in ihr Versteck bringen. Er brauchte nur rechtzeitig auszusteigen, 
bevor sie die Fracht abluden! 

Es waren sechs  Räuber, die zwischen den Bäumen und Büschen am 
Wegesrand hervorsprangen. Schwerter blitzten, und einer der 
Männer war mit einer Armbrust bewaffnet. 

Volker vom Hohentwiel sah, daß Louis zornig zum Schwert griff. 

Er wollte den Knappen mit einem schnellen Ruf stoppen, doch Louis 
ließ sich nicht mehr aufhalten. 

Mit einem gewaltigen Satz sprang er vom Wagen und stürmte mit 

erhobenem Schwert auf den ersten Gegner zu, dessen Augen sich 
weiteten und der plötzlich wie versteinert wirkte. 

Volker hatte sich ergeben wollen, denn er hielt einen Kampf für 

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sinnlos, und außerdem war bei ihnen ja nicht viel zu holen. Doch als 
er sah, daß Louis dem ersten Räuber mit wuchtigem Schlag das 
Schwert aus der Hand hieb, entschied er sich ebenfalls fürs Kämpfen. 

Er zückte sein Schwert und sprang vom Wagen. 
»Runter!« raunte er dabei Diethilde zu. »Bring dich in Sicherheit.« 
Federnd landete er auf dem Weg und stellte sich zum Kampf. 
Die Räuber hatten offenbar nicht mit Widerstand gerechnet und 

waren von Louis' überraschender Attacke irritiert. 

Doch jetzt lösten sie sich aus ihrer Erstarrung. Gleich zwei Kerle 

stürmten auf Louis zu. 

Volker parierte den Angriff eines großen, breitschultrigen Kerls, 

dessen stoppelbärtiges Gesicht von einer enorm großen Hakennase 
beherrscht wurde. 

Der Kerl wußte höllisch gut die Klinge zu schlagen. Er war 

offensichtlich der Anführer und der Kampfstärkste. Während er mit 
Volker die Klinge kreuzte, gab er seinen Männern Kommandos, die 
von kühlem Kopf und guter Übersicht zeugten. Obwohl doch seine 
ganze Konzentration Volker gelten mußte, dirigierte er nebenbei 
seine Männer. 

»Wilfried, Hannes, erledigt den Schwarzbart!« 
»Volker, laß die Scheißarmbrust, und schlag den anderen vom 

Wagen!« 

Da habe ich aber einen verdammten Namensvetter! dachte Volker 

vom Hohentwiel. 

Entsetzt sah er aus den Augenwinkeln, wie Pierre vom Wagen 

geschlagen wurde, wie Louis zwar einen Gegner zu Boden streckte, 
im nächsten Augenblick jedoch von einem anderen Mann hinterrücks 
mit dem Schwert getroffen wurde. 

Volker kämpfte mit wilder Entschlossenheit weiter. Er parierte 

eine Attacke des Hakennasigen und konterte. Funken flogen, als 
Volker den Gegner mit heftigen Schlägen zurücktrieb. 

Dann hörte Volker Diethilde aufschreien. 
»Gib auf, oder ich mach deine Freundin kalt!« brüllte einer der 

Räuber. 

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Volker erschrak. Sein Blick zuckte zu dem Mädchen. Ein blonder, 

bärtiger Kerl hielt sie umklammert und drückte ihr sein Schwert in 
die Seite! 

Der Mann mit der Hakennase nutzte eiskalt seine Chance, als 

Volker für einen Sekundenbruchteil abgelenkt war. 

Volker konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen, als der Gegner 

nach geglückter Finte zuschlug. Der Schwerthieb streifte Volker 
noch an der Schulter. Die Klinge schrammte mit hellem Klang über 
das leichte Kettenhemd. 

Volkers Arm war auf einmal wie betäubt. Er strauchelte. 
Ein weiterer Hieb schleuderte ihn zu Boden. 
Er stürzte in den Sand des Fahrwegs und sah den Hakennasigen 

drohend über sich aufragen. Der Mann holte zum Schlag aus, und in 
seinen kleinen schwarzen Augen, die tief in den Höhlen lagen, 
funkelte böser Triumph. Verzweifelt wollte Volker sein Schwert 
hochreißen, das ihm beim Sturz gottlob nicht entfallen war. 

Doch da traf ihn etwas von hinten am Kopf. Er schlug mit der Stirn 

zu Boden und verlor das Bewußtsein. 

Der Hakennasige atmete tief ein und aus. 
»Gut gemacht, Wilfried«, lobte er den Räuber, der Volker 

hinterrücks niedergestreckt hatte. »Der Knabe schlägt eine verdammt 
flotte Klinge.« 

»Schluß«, korrigierte Wilfried und zeigte grinsend eine Zahnlücke. 
»Aber ich hatte ihn ja ohnehin schon fest im Griff«, fügte der 

Anführer hinzu. 

Er blickte von Volkers regloser Gestalt zu Louis und Pierre, die 

ebenfalls ohnmächtig am Boden lagen. 

»Hätte nicht gedacht, daß die Kerle trotz unserer Überzahl 

kämpfen«, sagte er und kratzte sich an den bläulichschwarzen 
Bartstoppeln. »Na ja, die Dummen werden eben nicht alle.« Dann 
sah er grinsend zu Diethilde. Sie wurde längst nicht mehr mit dem 
Schwert bedroht. 

Sie war auch gar nicht ernsthaft bedroht worden. 
»He, Diethilde, hast du gepennt, oder was? Du solltest Panik 

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mimen und uns Bleich vor die Schwerter springen. Da hätten wir uns 
den Kampf erspart. Statt dessen bleibst du auf deinem heißen Hintern 
sitzen und hältst Maulaffen feil! Warum hast du deine Rolle nicht 
eingehalten?« 

Diethilde  zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wollte ich mal ein 

richtiges Mannsbild gegen dich kämpfen sehen«, sagte sie 
schnippisch. 

Roland hob die Wagenplane an und spähte vorsichtig hinaus. Die 
Wagen rumpelten eine Steigung hinauf. Links erhob sich ein 
bewaldeter Hang, rechts ragte eine kahle Felswand empor. 

Die Dämmerung brach herein. Roland fragte sich, wann die Fahrt 

endlich zu Ende sein würde. 

Inzwischen hatte er sich mit einem Schwert bewaffnet. Waffen gab 

es genug in den Kisten, von denen einige beim Sturz in die Schlucht 
beschädigt worden waren. 

Eine kleine Streitmacht hätte er damit bestücken können. 
Doch er hatte keine Streitmacht zur Verfügung. Er war ganz auf 

sich allein gestellt, und gegen die Übermacht der Räuber gab es 
keine Chance in einem offenen Kampf. 

Er hatte mit dem Gedanken gespielt, die Kisten mit den Waffen 

vom Wagen zu werfen, damit sie den Räubern nicht in die Hände 
fielen, sich dann jedoch dagegen entschieden. Die Geräusche 
konnten gehört werden, und es war besser, er verhielt sich 
mucksmäuschenstill. Die Räuber sollten durch nichts gewarnt 
werden. Wenn sie den Verlust der Waffen in ihrem Versteck 
entdeckten, würden sie sich leicht zusammenreimen können, daß die 
Kisten nicht von selbst vom Wagen gefallen sein konnten. Dann 
würden sie danach suchen und auf der Hut sein. Nein, sie sollten sich 
ganz sicher fühlen. 

Mit jeder Minute schien Rolands Spannung noch zu wachsen. 
Er zermarterte sich den Kopf, weshalb der Plan schiefgegangen 

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war. Der Verräter mußte König Artus' doppeltes Spiel durchschaut 
haben. Eine andere Erklärung fand Roland nicht. 

Immer wieder ließ er sich durch den Kopf gehen, was er in diesem 

Fall bisher erfahren hatte. Er rief sich Franziskas Worte in 
Erinnerung und dachte an die letzten Worte des Mannes, der ihn aus 
dem Hinterhalt hatte töten wollen. 

Im Auftrag einer Frau. 
Damit gewann Franziskas Bemerkung Gewicht. Auch sie hatte 

davon gesprochen, daß der sterbende Mann des überfallenen 
Transports etwas von »Frau« gesagt hatte. Er  hatte nicht nachgehakt, 
weil Franziska erklärt hatte, damit sei wohl die Ehefrau des Mannes 
gemeint gewesen. Jetzt hatte es den Anschein, als hätte der Sterbende 
damit eine wichtige Information geben wollen. 

Bald werde ich mehr wissen! dachte Roland. Er war dem 

Geheimnis auf der Spur. Er wollte rechtzeitig aus dem Wagen 
klettern und sich dann im Schutz der Dunkelheit in das Versteckt der 
Banditen schleichen. Es kam nur auf den richtigen Zeitpunkt an. 
Wenn er zu früh ausstieg, mußte er zu Fuß der Kolonne folgen und 
verlor wertvolle Zeit, und wenn er zu spät ausstieg, verlor er 
vermutlich seinen noch wertvolleren Kopf. 

Der Wagen hielt plötzlich und für Roland unerwartet an. Stimmen 

ertönten. 

Vorsichtig hob Roland die Plane an und erschrak. Er sah zwei 

dunkle Gestalten schräg hinter dem Wagen bei einem Felsbrocken. 

Roland hatte das Gefühl, die Männer würden ihm genau in die 

Augen starren. 

Der Wagen fuhr mit einem Ruck wieder an. Ein Pferd wieherte, 

eine Peitsche knallte. Das Räderrasseln hallte von Felsen wider. Der 
Weg führte durch einen schmalen Einschnitt, in dem es finster war. 

Roland ließ die Plane langsam sinken. Die beiden Männer, 

offenbar Wachtposten, hatten sich nicht gerührt. Er schalt sich einen 
Narren. Natürlich hatten sie ihn im Dunkel unter der  Plane nicht 
bemerken können. 

Er mußte noch einen Augenblick warten, bis ihn die Kerle nicht 

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mehr sehen konnten, und dann aussteigen. Das Versteck konnte nicht 
mehr weit sein. 

Er zog die Plane wieder einen Spalt hoch und spähte über die 

Heckklappe. Die Posten waren nicht mehr zu sehen. 

Nichts wie raus! 
Roland konnte den Gedanken nicht in die Tat umsetzen. Schon 

wieder hielt der Wagen. 

Schlurfende Schritte näherten sich. 
»Alles klar?« fragte eine tiefe Stimme. 
»Alles klar«, erwiderte ein anderer Mann, wohl einer der Fahrer. 
»Da wird sich die Gnädige aber freuen«, sagte die Baßstimme. 

»Vor einer halben Stunde erst eingetroffen, und schon wird sie 
bedient.« 

»Sag nur, die ist da?« 
»Selbiges deutete ich an. Viktor war auch überrascht, daß sie sich 

persönlich herbemühte, statt Kastor zu schicken. Kastor hat's 
erwischt.« 

»Krank geworden?« 
»Tot geworden«, erwiderte die Baßstimme. 
Der andere fluchte. »Wie ist das passiert?« 
»Er sollte einen Ritter umlegen, doch der Ritter war damit nicht 

einverstanden.« 

Kastor hieß also der Kerl, der mich ermorden sollte! Dachte 

Roland. Und die Frau, die den Mordauftrag gegeben hatte, hielt sich 
bei diesen Räubern auf! 

Besser konnten sich die Dinge gar nicht entwickeln. 
»Wie sieht es eigentlich aus?« fragte der Fahrer. 
»Ein scharfes Luder.« 
»So scharf wie Diethilde?« 
»Da kannst du Diethilde glatt vergessen.« Der Mann mit der 

Baßstimme lachte. 

Diethilde! dachte Roland. Der Name, der mit Diet... begann. Hatte 

der Sterbende die Frau gemeint, die offenbar ein Räuberliebchen 
war? 

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»Viktor wollte sie gleich auf sein Lager bitten«, fuhr der Räuber 

mit der Baßstimme fort. 

»Diethilde?« 
»Quatsch. Die ist noch mit den Jungs unterwegs. Außerdem 

braucht die nicht gebeten zu werden.« 

»Und - hat Viktor ...?« 
»Sie vertröstete ihn auf später, wenn die Ware da ist. Viktor wird 

mächtig froh sein, daß ihr so schnell kommt.« 

»Nun, dann wollen wir ihn nicht unnötig warten lassen.« Der 

Fahrer schnalzte mit der Zunge, der Wagen ruckte an. 

»He, Jungs, nehmt mich mit ins Lager. Hab' keine Lust, zu 

wandern.« 

»Kletter rauf!« 
Roland erstarrte. 
Schritte näherten sich dem Wagenheck und verstummten. Die 

Plane wurde zur Seite gezogen. 

Eine dunkle Gestalt tauchte auf. 
Einer der Räuber kletterte zu ihm auf den Wagen! 

»Keine Beute!« 

Die Räuber fluchten. Nur Diethilde blieb gelassen. 
»Damit war zu rechnen.« 
Der hakennasige Walther, der die kleine Schar anführte, starrte sie 

mißmutig an. 

»Wieso? Du meinst, daß die Ware doch mit dem anderen Trupp 

transportiert wird?« 

Diethilde zuckte mit den Schultern. »Für diese Möglichkeit ist ja 

vorgesorgt. Aber ich glaube eher, daß diese Männer hier den 
Transport durchführen. Weshalb sonst sollten sie als Holzfäller 
verkleidet durch die Gegend fahren?« 

Walther musterte sie finster. »Was ist nun? Hast du etwas erfahren, 

oder hast du nur dein Vergnügen bei den drei Kerlen gesucht?« 

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Diethilde lächelte, und ihr Gesicht hatte so gar nichts 

Madonnenhaftes mehr. Es war ein Lächeln,  bei dem nicht nur 
Walther, sondern auch die anderen unruhig wurden. 

»Gewiß hatte ich mein Vergnügen«, erklärte sie freimütig und in 

einem Tonfall, als plaudere sie über das Wetter. »Allerdings nur bei 
einem. Doch der reichte für drei.« 

Sie musterte Walther amüsiert. »Eifersüchtig?« 
Dann blickte sie einen nach dem anderen an, als sei die Frage auch 

an sie gerichtet. So verstanden sie es auch, und sie las ihre 
Reaktionen in ihren Blicken. 

»Ich doch nicht!« Walther tat empört, doch in Wirklichkeit tobten 

Zorn und Eifersucht in ihm. Schon manches Mal hatte er mit dem 
Gedanken gespielt, Diethilde zu erwürgen, weil sie sich mit jedem 
einließ, der ihr gefiel. Und praktisch gefiel ihr alles, was männlich 
war. Eine mannstolle Hexe! 

Er, Walther, hatte sie damals zu Viktor ins Lager gebracht, auf 

ihren Wunsch hin, und er hätte den Tag verfluchen können. 
Sämtliche Kerle hatte sie verrückt gemacht, und sie war so etwas wie 
die heimliche Herrin der Bande geworden. Selbst Viktor, der 
Anführer, war wie Wachs in ihren Händen. 

Walther wollte schnell ablenken. 
»Du hattest zweierlei Aufgaben zu erfüllen«, sagte er tadelnd. »Du 

solltest dich mit den Kerlen anfreunden, sie aushorchen und uns bei 
dem Überfall als Geisel in die Hände fallen, damit ein Kampf 
vermieden wird. Schließlich wußten wir nicht, daß wir es nur mit 
drei Mann zu tun bekommen. Es hätten auch ein Dutzend sein 
können. Doch selbst gegen die drei mußten wir kämpfen. Außerdem 
hast du uns kein Zeichen gegeben, ob die Beute auf den Wagen ist 
oder nicht.« 

Diethilde zuckte mit den Schultern. »Ich konnte nicht viel 

herausfinden. Das sind keine dummen Jungen, die sich so leicht 
verplappern. Doch ich nehme an, daß sie die richtige Fracht erst 
später in Empfang nehmen. Volker, der gewiß ein verkappter Ritter 
ist, wollte mich nur bis Erlenhain mitnehmen. Auf keinen Fall weiter. 

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Vermutlich nehmen sie dort die Ware an Bord. Klar, daß er dann 
keinen Fremden mehr mitnehmen darf.« 

Walther kratzte sich an den Bartstoppeln und spuckte aus. »Dann 

war unser Überfall also für die Katz. Ich möchte wissen, weshalb 
man auf Camelot diesmal nicht genau Bescheid wußte wie bisher.« 

Diethilde strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. 
»Du hast doch gehört, daß sie vorsichtiger sein mußte als bisher, 

weil man einen Verdacht hatte.« 

Walther blickte unschlüssig in die Runde. 
»Und was machen wir jetzt?« 
»Ganz einfach«, erklärte Diethilde lächelnd. »Ihr reitet nach 

Erlenhain. Dort wartet ihr auf mich. Nehmt euch ein Zimmer im 
Gasthof und laßt euch nicht sehen.« 

»Und du?« 
»Ich werde noch eine Nacht mit meinen neuen Freunden 

verbringen.« 

Ihr hexenhaftes Lächeln vertiefte sich, als Walther zu fluchen 

begann. 

Ritter Rolands Gedanken überstürzten sich. Wenn es ihm nicht 
gelang, den Räuber lautlos auszuschalten, war alles aus. Und wenn es 
ihm gelang, mußte er damit rechnen, daß man den Kerl vermißte und 
daß eine große Suche begann. 

Roland entschied sich in Sekundenschnelle. Es war besser, er 

versteckte sich und wartete auf eine Möglichkeit, sich unbemerkt 
vom Wagen stehlen zu können. 

Er duckte sich zwischen zwei Kisten und hielt den Atem an. Es 

war stockdunkel im Wagen unter der Plane, und es mußte schon mit 
dem Teufel zugehen, wenn der Räuber ihn auf dem gewiß kurzen 
Weg ins Lager entdeckte. 

Es ging mit dem Teufel zu. 
Der Räuber stolperte in der Dunkelheit gegen eine offene 

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Waffenkiste. Metall klirrte leise. Ein dumpfer Aufprall folgte. 

Der Mann wollte sich aufrappeln und tastete haltsuchend um sich. 
Er stieß einen Laut des Erschreckens aus, als er einen 

menschlichen Körper berührte. 

Ritter Roland spürte die Hand an seiner Schulter und verlor keine 

Sekunde. Er schnellte sich auf die Gestalt zu, die  er  im Dunkel mehr 
erahnte als sah. 

Er prallte gegen den Mann und warf sich über ihn. 
Der Räuber wollte schreien. Roland erstickte den Aufschrei im 

Ansatz. Auf gut Glück schlug er mit der geballten Rechten zu. Und 
er traf. Ein Schmerz zuckte von seiner Faust bis zur Schulter hinauf. 
Er spürte, wie die Gestalt unter ihm erschlaffte. 

Gebannt lauschte er. 
Nichts wies auf Gefahr hin. Die Fahrgeräusche und das Pochen der 

Hufe hatten die Geräusche des kurzen Kampfes im Wagen übertönt. 

Roland rieb schnell ein Zündholz an und schirmte das Flämmchen 

mit der Hand ab. 

Der Räuber, ein schmächtiger Gesell mit einem buschigen, 

hellblonden Schnauzbart, war bewußtlos. Roland entdeckte im 
schwachen Schein der Zündholzflamme einen Strick auf der 
Ladefläche und zog ihn heran, um damit den Räuber zu fesseln. 

Wo sollte er den Mann verschwinden lassen? Jeden Augenblick 

konnte der Wagen im Lager der Bande eintreffen. Vermutlich wurde 
dann die Fracht abgeladen. Er konnte den Räuber nicht auf dem 
Wagen lassen. 

Roland packte den Bewußtlosen unter den Achseln und zog ihn zur 

Heckklappe. Er wollte gerade mit dem Räuber aussteigen, als der 
Wagen die Fahrt verlangsamte und mit einem Ruck schließlich 
stehenblieb. 

Ritter Roland fühlte sich wie in einer Falle. 
Angespannt spähte er durch eine Ritze in der Wagenplane. Er sah 

rötlichen Feuerschein. 

An den Geräuschen und den Rufen einiger Männer erkannte er, 

daß die Wagenkolonne am Ziel war. 

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»He, Benno, wir hörten schon, daß ihr Erfolg hattet«, rief jemand. 
»War doch klar«, erwiderte Benno selbstbewußt. »Du hättest mal 

sehen sollen, wie alle in die Schlucht purzelten. Wir brauchten 
überhaupt nicht zu kämpfen.« 

Jemand lachte. 
Roland dachte an die Toten und preßte die Lippen aufeinander. 
»Ihr sollt gleich zu Viktor kommen und ihm berichten«, hörte er 

Bennos Gesprächspartner sagen. 

»Wird gemacht. Viktor wird zufrieden sein. Ich wette, heute nacht 

steigt 'ne große Feier. Ist Diethilde mit den anderen schon zurück?« 

»Noch nicht. Die werden ganz schön sauer sein, daß sie umsonst 

unterwegs waren und ihr den Erfolg buchen könnt.« 

»Schirrt die Gäule aus und versorgt sie!« rief Benno. 
Schritte erklangen. Ein Pferd schnaubte. 
Jemand klopfte gegen die Heckklappe. 
»Eh, Vitus, pennst du oder was?« 
Bennos Stimme. Der Räuber ahnte ja nicht, daß er mit seinen 

Worten den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. 

Was tun? 
Einen Moment lang hielt Roland den Atem an. Doch schnell 

entschied er sich für einen Bluff. Wenn sich dieser Vitus nicht 
meldete, würde Benno mißtrauisch werden und nach ihm sehen. 

Roland imitierte die tiefe Stimme des Räubers und murmelte 

undeutlich: 

»Komme schon.« Dabei verschob er eine Kiste, als würde er sich 

aufstemmen. 

»Du kannst den Jungs bei den Pferden helfen«, rief Benno. 
Genau das konnte Roland nicht. 
Doch er atmete auf. Im Augenblick schöpfte niemand Verdacht. 

Schritte entfernten sich. 

Roland hörte Männerstimmen und das Lachen einer Frau. Die 

Ankömmlinge wurden von ihren Kumpanen begrüßt. 

Es war anscheinend eine große Bande. 
Roland konnte nur hoffen, daß sich niemand weiter für Vitus 

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interessierte und daß es ihm gelang, in der Dunkelheit unbemerkt 
vom Wagen zu gelangen. 

Er befand sich mitten in der Höhle des Löwen. 
Und es war ihm völlig klar, daß sein Leben keinen Pfifferling mehr 

wert war, wenn sie ihn entdeckten. 

Louis fluchte. »Verdammt, verdammt!« 

Er stand an einen Baum gefesselt im Wald und fühlte sich ebenso 

erbärmlich wie Volker vom Hohentwiel und Pierre, die sich in der 
gleichen mißlichen Lage befanden. 

»Fällt dir nichts anderes ein?« murmelte Volker und bemühte sich 

zum  xten Male vergebens, die Stricke zu  sprengen, mit denen er so 
eng an den Baumstamm gefesselt war, daß er sich kaum zu  bewegen 
vermochte. 

Louis schickte einen ellenlangen Fluch hinterher, um seinen 

Einfallsreichtum zu beweisen. 

Trotz der üblen Situation mußte Volker vom Hohentwiel lächeln. 
Selbst Pierre, dessen linke Wange inzwischen noch geschwollener 

war und der von Zahnschmerzen geplagt wurde, verzog das Gesicht 
zu einem säuerlichen Grinsen. 

»Irgendwann muß uns doch jemand finden!« knirschte Louis, als 

ihm kein Fluch mehr einfiel. 

»Irgendwann«, stimmte Volker mit gepreßter Stimme zu. »Aber 

bis dahin sind die Kerle über alle Berge, und wenn ich mir vorstelle, 
daß Diethilde in ihrer Gewalt ist...« 

Er sprach nicht weiter. Er machte sich bittere Vorwürfe, daß er 

Diethilde mitgenommen hatte. 

Er ahnte ja nicht, welch durchtriebenes Luder dieses 

Räuberliebchen war. 

»Ich verstehe nicht, weshalb sie uns hier angebunden haben«, 

seufzte Pierre. 

»Ist doch klar«, brummte Louis. »Sie wollten verhindern, daß wir 

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ihnen folgen.« 

»Sie haben uns bewußtlos zurückgelassen, und zu Fuß hätten wir 

sie nicht einholen können.« 

»Vielleicht haben sie befürchtet, daß wir uns irgendwo Pferde 

besorgen können.« 

Volker versuchte mit Blasen und Kopfschütteln eine Mücke von 

seiner Nasenspitze zu vertreiben. Die Mücke ließ sich nicht 
verscheuchen. Sie schien zu wissen, daß der große Mensch die 
Hände nicht bewegen konnte und ein hilfloses Opfer war. 

Herzhaft stach sie zu. 
»Irgend etwas kommt mir an der ganzen Sache komisch vor«, 

murmelte Volker. »Ich hatte fast den Eindruck, daß sie es mehr auf 
Diethilde abgesehen hatten als auf die Beute. Habt ihr gesehen, wie 
sie sie angestarrt haben?« 

»Jaja«, brummte Louis. 
»Als wüßten sie genau, daß sie bei uns ist«, murmelte Pierre. 
»Beute ist bei Holzfällern ohnehin nicht zu erwarten«, sagte Louis. 

»Schließlich haben wir nur Holz ...« 

Er verstummte unvermittelt und drehte den Kopf zu Volker. »Oder 

gibt es da irgend etwas, in das wir nicht eingeweiht sind?« 

Volker überlegte, ob er den Knappen jetzt sagen sollte, was 

tatsächlich gespielt wurde. Wie es aussah, war der Plan ohnehin 
gescheitert. Was machte es da schon aus, wenn er den Knappen 
reinen Wein einschenkte? 

Der Gedanke an Wein ließ ihn schlukken. Seit er aus seiner 

Ohnmacht erwacht war, hatte er einen trockenen Mund, und 
inzwischen verspürte er quälenden Durst. 

»He, ich fragte mich die ganze Zeit über, was dieser blöde 

Holztransport soll«, sagte Louis mißtrauisch, als Volker schwieg. 
»Mir kommt da der Verdacht, daß mehr dahinter steckt. Hatten wir 
vielleicht unwissentlich mehr als Holz auf den Wagen?« 

Volker schüttelte den Kopf. »Es war nur Holz.« 
»Und Diethilde«, warf Pierre ein. »Ich vermute, die Kerle haben 

uns nur ihretwegen überfallen. Wenn es nicht unmöglich wäre, 

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könnte man fast meinen, sie hätten genau gewußt, welchen Weg sie 
nahm, denn der Hinterhalt war ja vorbereitet.« 

»Nichts ist unmöglich«, brummte Louis. »Ich erinnere nur daran, 

daß sie sich praktisch aufgedrängt hat. Vielleicht war sie auf der 
Flucht vor den Kerlen und versprach sich von uns Schutz?« 

Louis stellte noch einige Spekulationen an, doch er wurde aus 

seinen Grübeleien gerissen. 

Hufschlag näherte sich. Alle drei Gefesselten drehten die Köpfe. 

Ein Reiter galoppierte von Süden heran. 

Louis begann sofort zu brüllen, um den Reiter auf sie aufmerksam 

zu machen. Pierre vergaß seine Zahnschmerzen und rief ebenfalls 
laut. 

Dann tauchte der Reiter zwischen den Bäumen auf, die sich etwa 

hundert Klafter entfernt zu lichten begannen. Er trieb das Roß durch 
den Wald. 

Ihre Rufe waren gehört worden. 
»Den schickt uns der Himmel«, sagte Louis, als er erkannte, daß 

der Reiter die Richtung änderte und auf sie zuhielt. »He, das ist ja gar 
kein Reiter, sondern ...« 

»Diethilde!« rief Volker ebenso überrascht. 
»Die gute Fee«, murmelte Pierre. 
Diethilde war atemlos und wirkte aufgeregt. Ihre Bluse war 

zerrissen, das Haar zerzaust. Sie parierte das Roß und schwang sich 
behende aus dem Sattel. 

Aus großen Augen blickte sie zu den gefesselten Männern. Dann 

heftete sie den Blick auf Volker und strahlte ihn an. 

»O mein Gott, ich dachte schon, ich finde euch nicht.« 
Sie zog einen Dolch aus den Satteltaschen des Pferdes und eilte zu 

den Männern, um sie von den Fesseln zu befreien. Dann warf sie sich 
Volker in die Arme. 

»Himmel, habe ich eine Angst ausgestanden«, schluchzte sie. 

»Diese Kerle, oh, es war grauenvoll ...« 

Volker legte die Arme um das Mädchen, das an seiner Brust 

erzitterte. 

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»Wie konntest du ihnen entkommen?« fragte er mit belegter 

Stimme. 

Sie hob den Kopf und sah ihm lächelnd in die Augen. 
»Oh, das war ganz einfach. Die Kerle zwangen mich, mit ihnen zu 

fahren. Sie wollten erst einmal einen Vorsprung gewinnen. Sie 
dachten, sie hätten große Beute gemacht. Nach einer Weile hielten 
sie an und untersuchten die Ladung der Wagen. Doch ihr hattet ja nur 
Holz geladen. Sie fluchten und ließen die Wagen zurück. Sie wollten 
mich in ihr Versteck verschleppen ...« 

Diethilde verstummte mit einem Schluchzen und barg den Kopf an 

Volkers Brust. 

Volker streichelte ihr sanft übers Haar. 
Sie fuhr mit atemloser Stimme fort. 
»Der Anführer, dieser brutale Kerl  - er schickte seine Männer unter 

einem Vorwand weg. Dann  - fiel er über mich her. Doch ich konnte 
einen Stein packen und ihn damit niederschlagen. Ich flüchtete zu 
Fuß ...« 

»Das ist nicht sein Pferd?« fragte Volker überrascht. 
»Nein, es ist eines der Wagenpferde. Ich war so aufgeregt, ich 

wollte nur weg.« 

Volker nickte verständnisvoll. Er schob Diethilde sanft von sich 

und blickte zu den Knappen. 

»Wir müssen verschwinden. Bestimmt sind sie ihr gefolgt und 

können jeden Augenblick auftauchen. Waffenlos haben wir keine 
Chance.« 

Diethilde schüttelte den Kopf und lächelte. »Nein, so eilig ist es 

nicht.« 

»Aber die anderen werden ihren Anführer finden und ...« 
»Ich habe ihn gut versteckt«, erklärte Diethilde. Sie wirkte stolz 

und beinahe heiter. »Außerdem habe ich ihn gefesselt und geknebelt 
- mit meinem Spitzentuch. Es kann lange dauern, bis ihn seine 
Freunde finden. Gewiß warten sie lange in ihrem Versteck vergebens 
auf ihn, und bis sie ihn entdecken, sind wir längst in Erlenhain.« 

»Prächtig«, sagte Louis anerkennend. 

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Auch Volker fand bewunderswert, wie umsichtig Diethilde 

gehandelt hatte - trotz ihrer Aufregung. 

Irgendein Gedanke wollte Gestalt annehmen, doch noch konnte 

Volker ihn nicht ganz erfassen. Eine abenteuerliche Geschichte, die 
Diethilde da erzählt hatte. Fast schon ein Stoff, aus dem sich eine 
Ballade machen ließ. Doch irgend etwas störte daran. Aber was? 

Es war gewiß Zufall, daß ausgerechnet in diesem Augenblick das 

Pferd schnaubte und Volker unwillkürlich hinblickte. 

Irgend etwas fiel ihm an dem Pferd auf. Es war zweifellos eines 

der Wagenpferde, doch ... 

Es war gesattelt und trug Satteltaschen! 
Vermutlich hatte sie den Sattel vom Roß des Räubers genommen, 

dachte Volker. Aber warum hat sie dann nicht gleich das Pferd samt 
Sattel genommen? 

Der Gedanke bestürzte ihn. Da meldete sich wieder das 

mißtrauische Gefühl, das er schon einmal gehabt hatte: Als Diethilde 
von »seltsamer Holzfäller« gesprochen hatte. Und es fielen ihm die 
Bemerkungen der Knappen ein, daß sie sich ihm praktisch 
aufgedrängt hatte. 

»Wo stehen die Wagen?« fragte er nachdenklich. 
»Nicht weit von hier«, erwiderte Diethilde. 
»Ah, und der gefesselte Anführer dieser Haderlumpen ist gleich in 

der Nähe. Fein, dann nehmen wir den Kerl mit.« 

»Nein  - das kostet uns doch nur Zeit.« Diethilde drängte sich 

wieder an ihn. »Wir sind mindestens eine halbe Stunde lang geritten, 
nachdem wir die Wagen zurückgelassen hatten. Ich  - habe doch ein 
bißchen Angst, daß die Kerle ihren Anführer früher finden. Vielleicht 
konnte er sich auch befreien. Laß uns verschwinden.« Und leise, daß 
nur er es hören konnte, fügte sie hinzu. »So haben wir noch eine 
Nacht für uns.« 

Volker lächelte, und nichts verriet seine Gedanken. 
Jetzt roch er förmlich, daß etwas an der Geschichte faul war, die 

Diethilde erzählt hatte. 

Es gab zu viele Widersprüche. 

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Eine halbe Stunde lang wollte sie den schweren Sattel samt 

Satteltaschen geschleppt haben, um dann eines der Gespannpferde zu 
satteln? Nun, das war möglich, doch es paßte zeitlich nicht ganz. 
Volker wußte zwar nicht genau, wie lange er bewußtlos gewesen 
war, doch es war noch keine Stunde vergangen, seit er gefesselt am 
Baum zu sich gekommen war. 

Natürlich konnte sich Diethilde in der Zeit verschätzt haben, doch 

Volkers Mißtrauen ließ sich nicht mehr zurückdrängen. Auf dem 
Weg zu den Wagen plauderte er harmlos mit ihr, und sein Verdacht 
verstärkte sich immer mehr. 

Diese »belanglosen« Äußerungen von ihr ergaben für Volker 

Gewicht, während die Knappen keinerlei Schlüsse daraus zogen, 
weil sie keine Zweifel hegten. Sie wußten ja nicht soviel wie Volker. 

»Alles ging so wahnsinnig schnell, und ich war so aufgeregt«, 

sagte Diethilde. »Nichts wie weg, dachte ich ...« 

»Das war richtig«, sagte Volker lächelnd, doch er dachte: 
Wiederum ein großer Widerspruch. Wenn sie nur an Flucht 

gedacht hätte, wäre sie kaum auf die Idee gekommen, den Anführer 
zu fesseln und zu knebeln und den Sattel mitzunehmen. Letzteres 
war ohnehin unverständlich; sie hätte gleich das gesattelte Pferd 
nehmen können. 

»Walther war ganz schön sauer, als er nur Holz auf den Wagen 

fand, statt der Beute, die er sich gewiß erhofft hatte ...« 

Sie sprach den Namen aus, als sei es ein alter Bekannter, und bei 

»statt der« zögerte sie, als hätte sie etwas  Bestimmtes auf der Zunge 
gehabt. 

»Walther?« fragte Volker in verständnislosem Tonfall. 
Sie lachte, und es klang etwas gezwungen. »Der Anführer. So 

sprachen ihn die anderen jedenfalls an.« 

Das war eine einleuchtende Erklärung, doch es konnte Volker 

nicht über die anderen Ungereimtheiten hinwegtäuschen. 

Später beobachtete Volker, wie sie sich mit ihrem Spitzentuch 

Schweiß von der Stirn tupfte. 

Das Spitzentuch, mit dem sie den Räuber angeblich geknebelt 

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hatte? Oder besaß sie ein zweites? 

Wiederum später, in der Nacht, stellte sie dann einige Fragen. 

Nach dem weiteren Fahrtweg von Erlenhain aus, wo sie die Fracht 
abliefern sollten, ob sie dann frei hätten oder eine andere Ladung 
transportieren müßten und derlei mehr. Sie ging dabei äußerst 
vorsichtig und geschickt vor, doch sie konnte Volker nicht mehr 
täuschen. 

Er drehte den Spieß um und täuschte sie, indem er ihr 

entsprechende Antworten gab. 

Und er war überzeugt davon, daß sie den Köder schluckte, den er 

ausgelegt hatte. 

Roland atmete auf. Er hatte Glück gehabt. Niemand hatte mehr an 
Vitus gedacht. 

Roland hatte den gefesselten und geknebelten Räuber unbemerkt 

vom Wagen zwischen Büsche und Felsbrocken ins tiefe Dunkel am 
Fuß des Berges gebracht, der den kleinen Talkessel im Westen 
begrenzte. 

Im nachhinein hatte sich die Vorsichtsmaßnahme als überflüssig 

erwiesen; Roland hätte den Gefangenen auch auf dem Wagen lassen 
können. Die Wagen standen abseits der drei Blockhütten, die der 
Bande als Quartiere dienten, weit genug  entfernt, und Vitus hätte 
sich nicht durch Geräusche bemerkbar machen können. Die Wagen 
wurden auch nicht abgeladen, wie Roland angenommen hatte. 

Er hätte eine Unterhaltung zwischen zwei Räubern belauscht, aus 

der hervorgegangen war, daß die Fracht am nächsten Tag, als 
Lieferung eines Krämers getarnt, weiterbefördert werden sollte. 

Die Räuber feierten in dieser Nacht den geglückten Raubzug. 
Sie saßen um ein großes Lagerfeuer. Roland lief das Wasser im 

Munde zusammen und sein Magen knurrte vor Hunger, als ihm der 
Duft des Wildschweins in die Nase stieg, das die Räuber am Spieß 
brieten und verzehrten. So gestärkt tranken die Männer und johlten, 

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als ein Mädchen zum Spiel zweier Musikanten tanzte, die recht 
eigentümlich musizierten. 

Ein Räuber blies in völlig unberechenbaren Zeitabständen in eine 

Flöte und entlockte ihr dreieinhalb Töne, deren Folge kaum als 
melodisch zu bezeichnen war, und sein Begleiter hieb dazu 
unregelmäßig mit einer Keule auf ein Holzfaß, in dem etwas 
blechern schepperte. 

Kein Wunder, daß die Tänzerin des öfteren aus dem Takt geriet 

und einmal fast ins Feuer plumpste. Vielleicht war sie aber auch 
betrunken. Sie kreischte, als sie auf einem glimmenden Ast am 
Rande des Feuers landete. Sie sprang  auf, und ihr Tanz wurde so 
temperamentvoll, daß er schon an einen Veitstanz erinnerte. Einer 
der Räuber half geistesgegenwärtig und kippte seinen Becher mit 
Wein oder Met über den angesengten Popo der Dame, um das Feuer 
zu löschen. 

Ihr Kreischen ging im Johlen der Räuber unter. 
Ja, die Stimmung war recht ausgelassen, und Roland frohlockte. In 

ein paar Stunden würden die Räuber vermutlich allesamt berauscht 
einschlafen. 

Sein Blick glitt zu den Hütten jenseits des Lagerfeuers. Das Fenster 

der größten Hütte  war schwach erhellt. Roland hatte dort Schatten 
vor dem Lichtschein beobachtet. Ein Mann und eine Frau hielten sich 
in der Hütte auf. Vermutlich Viktor, der Räuberhauptmann, und die 
Frau, die mit ihm gemeinsame Sache machte. Die Frau, die nach 
allem, was  Roland belauscht hatte, zumindest das Bindeglied 
zwischen der Bande und dem Verräter auf Camelot sein mußte, 
vielleicht sogar die eigentliche Anführerin. 

Roland wog alle Möglichkeiten ab. 
Er spielte kurz mit dem Gedanken, abzuwarten, bis die Räuber 

schliefen, sie der Reihe nach einzukassieren, auf die Wagen zu 
verfrachten und mit ihnen aus dem Lager zu verschwinden. 

Das wäre ein tolldreister Coup! 
Die Fracht sichergestellt und die Bande geschnappt! 
Doch dann mußte Roland über sich selbst lächeln. Er war allein, 

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und es waren zu viele Räuber. Außerdem gab es noch die Wachen 
am Zugang zu dem kleinen Talkessel. So verlockend der Gedanke 
auch war, er ließ sich nicht in die Tat umsetzen. 

Vielleicht war es das beste, er wartete einfach ab, bis die  Bande am 

nächsten Tag mit dem Wagen losfuhr, reiste als blinder Passagier mit 
und sorgte unterwegs für Verstärkung, auf daß die Kerle gestellt 
wurden. 

Oder er wartete gar nicht erst bis zum Morgen ab. Wenn es ihm 

gelang, zu belauschen, wohin die Waffen und Rüstungen weiter 
transportiert wurden, konnte er sich noch in der Nacht davonmachen 
und dafür sorgen, daß die Räuber am Zielort oder auf dem Weg 
dorthin geschnappt wurden. Zu Fuß konnte er über dem Berg aus 
dem Talkessel gelangen und ging kein Risiko ein, entdeckt zu 
werden. 

Ja, das war das sicherste. 
Er schlich zu der Hütte. Die tiefe Dunkelheit am Fuße der Berge 

war seine Verbündete. Und die Feier beim Lagerfeuer half ihm 
zusätzlich. 

Zehn Minuten später verharrte er im Schatten neben dem 

rückwärtigen Fenster der Hütte. Keiner konnte ihn vom Lagerfeuer 
aus bemerken. 

Die Fensteröffnung war von einer Decke verhüllt, die von Motten 

zerfressen war. Schwacher Lichtschein sickerte durch die Löcher. 

Roland lauschte mit angehaltenem Atem. 
Er vernahm leise  und gedämpfte Stimmen. Viktor und die Frau 

sprachen miteinander. 

Doch es war nicht das, was Roland zu hören hoffte. 
Es war eher Liebesgeflüster. 
Ein recht einseitiges, aus dem hervorging, daß sie nicht so wollte 

wie er. 

Roland neigte sich zu einem der größeren Löcher in der Decke und 

spähte in die Hütte. 

Er sah einen großen, stämmigen Mann, der in seiner weinroten 

Samttracht, die mit Silber verziert war, wie ein Edelmann wirkte. 

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Natürlich täuschte die noble Hülle. Die Frau sprach den Mann mit 

Viktor an, und das war der Anführer dieser Verbrecherbande. 

Der Mann zog die Frau an sich. Mit einem leisen Lachen entzog 

sie sich ihm. Dabei gab sie den Blick auf Viktor frei, den sie halb 
verdeckt hatte. 

Viktors Gesicht sah nicht ganz so edel aus wie die Kleidung. 
Es war ein Gesicht, in dem ein ausschweifendes Leben seine 

Spuren hinterlassen hatte. Die breite Nase war gewiß einmal 
gebrochen. Unter den grauen Augen dicke, rötliche Tränensäkke. 
Zwei tiefe Falten kerbten die Wangen bis zu den Winkeln des 
schmallippigen Mundes, was seiner Miene etwas Verkniffenes gab. 

Die Frau konnte Roland nur von hinten sehen. Eine üppige Figur, 

Roland stutzte. Irgend etwas kam ihm bekannt vor. 

Das Kleid! 
In diesem Augenblick wandte sich die Frau von Viktor ab, schritt 

zum Tisch und schenkte sich Rotwein aus einem Krug ein. 

Und im Schein der Kerzen sah Ritter Roland ihr Gesicht. 
Es war Katharina. 

Viktor verharrte und starrte die verwitwete Gräfin an. Er hielt noch 
eine Hand nach ihr ausgestreckt, als wolle er sie festhalten. Ringe 
blitzten und funkelten an seinen dicken Fingern. Langsam ließ er die 
Hand sinken. 

»Weshalb zeigst du dich so spröde, meine Süße«, sagte er 

ärgerlich, und seine schwarzen Augenbrauen zogen sich zusammen. 
»Du hast mir  versprochen, daß es eine große Feier gibt, wenn die 
Ware da ist.« 

Langsam schritt er auf sie zu. Breitbeinig blieb er einen Schritt vor 

ihr stehen. 

Sie wandte sich ihm zu. Sie lächelte mit leicht geöffneten Lippen 

und sah ihn unter halbgesenkten Lidern an. 

»Du kannst es wohl kaum erwarten«, sagte sie spöttisch. 

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Er starrte auf das Medaillon in ihrem Ausschnitt. 
»So ist es. Die Ware ist da. Und nun pack deine aus.« 
Seine Stimme klang belegt. 
»Gewiß, die Ware ist da. Ihr werdet morgen früh aufbrechen, um 

sie  zu meinem Bruder, dem kleinen Rebellen, zu bringen. So weit, so 
gut.« 

»So weit, so gut«, äffte er ihren Tonfall nach. »Soll ich vielleicht 

noch warten, bis dein Bruder den Aufstand gegen den Grafen von 
Verona gewonnen hat?« 

Sie schüttelte leicht den Kopf und nippte an ihrem Glas. 
»Weshalb strapazierst du meine Geduld?« fragte er gereizt. »Ich 

habe alles zu deiner vollen Zufriedenheit erledigt. Jetzt bist du an der 
Reihe, meine Forderungen zu erfüllen.« 

»Habe ich nicht gut bezahlt?« fragte sie. 
Er nickte langsam. »Das stimmt. Doch außer Gold und einigen 

Waffen und Rüstungen von der Beute versprachst du mir einen 
zusätzlichen Preis.« 

In seinen Augen glitzerte es. 
»Gewiß, den wirst du bekommen, wenn alles erledigt ist.« 
Sie prostete ihm zu. 
»Es ist alles erledigt worden«, brauste er auf. 
»Noch nicht ganz«, entgegnete sie. »Da gibt es noch ein kleines 

Problem, das zu einer Gefahr für mich und damit auch für dich 
werden könnte.« 

»Du meinst den Ritter, diesen Roland, der im Auftrag des Königs 

herumschnüffelte? Zugegeben, Kastor hat versagt. Doch jetzt ist der 
Ritter ebenso in der Hölle wie alle anderen des Trupps.« 

Sie nickte. »Es war gut, daß ich nicht auf den Schachzug des 

Königs hereinfiel und dich beauftragte, beide Trupps zu überfallen.« 

»Du hättest mehr herausfinden müssen«, sagte er mißmutig. »Du 

sitzt doch an der Quelle.« 

»Die Quelle sprudelte diesmal nicht so wie sonst.« 
»Jedenfalls hättest du uns ersparen können, daß ich ein halbes 

Dutzend meiner Männer umsonst losschicken mußte  - dazu noch 

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Diethilde.« 

»Du vermißt sie wohl sehr«, sagte Katharina spöttisch. 
Er streckte die beringten Hände aus und legte sie auf ihre Hüften. 

Er zog sie an sich. 

»Jetzt nicht mehr«, sagte er mit belegter Stimme. 
Katharina hielt das halbvolle Rotweinglas vor sich, und es war für 

Viktor wie eine Barriere. 

Diese Frau brachte ihn noch um den Verstand. 
»Wir beide werden unermeßlich reich sein, wenn mein Bruder mit 

seinem Feldzug Erfolg hat«, sagte Katharina. »Es dürfte also auch in 
deinem Interesse sein, wenn ein letzter kleiner Schönheitsfehler 
beseitigt wird.« 

Das kühlte ihn etwas ab. Er gab sie frei und trat an den Tisch, um 

sich ebenfalls Rotwein einzuschenken. Hastig trank er. Dann wischte 
er sich mit dem behaarten Handrücken über den Mund. 

»Glaubst du etwa, daß meine Männer mich belügen und daß dieser 

Ritter noch am Leben sein könnte?« 

»Nein. Nach der Schilderung deiner Leute bin ich überzeugt 

davon, daß es keinen Überlebenden gab. Damit ist Roland keine 
Gefahr mehr.« 

»Du meinst, er hatte eine heiße Spur und bereits den König 

eingeweiht?« 

Katharina schüttelte den Kopf. »Wenn Roland etwas Hieb- und 

Stichfestes gewußt hätte, so hätte ich das erfahren. Und wenn er beim 
König nur eine Vermutung äußerte, so kann mir nicht viel 
geschehen. Niemand weiß, daß der Anführer der sogenannten 
Rebellen in Verona mein Bruder ist. Außerdem ist er auch kein 
leiblicher, sondern als Waise angenommener Halbbruder. Nein, auch 
von daher läßt sich keine Verbindung zu mir herstellen. Roland lebt 
nicht mehr, und sollte mich jemand verdächtigen, werde ich empört 
alles als lächerliche Verleumdung abtun, sollte das überhaupt nötig 
sein.« 

Viktor grinste. »Sage ich doch. Niemand kann dir etwas beweisen. 

Außer mir. Und ich werde natürlich schweigen, wenn du meine 

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Gemahlin bist.« 

Sie lächelte leicht und nippte an ihrem Rotwein. 
»Wie kommst du überhaupt zu der Annahme, jemand könnte dir 

auf die Schliche gekommen sein?« fragte er. 

»Deine Männer haben beim letzten Überfall geschludert. Einer der 

Transportleiter war nicht tot. Er wurde sterbend gefunden und nannte 
noch einen Namen.« 

»Etwa deinen?« fragte Viktor verwundert. »Aber den kennt doch 

keiner meiner Männer. Oder meinen?« 

»Nein, aber einen Männernamen, den man mit mir in 

Zusammenhang bringen könnte.« 

Viktor stellte sein Glas ab. Er nagte  an der Unterlippe. Seine 

Augenbrauen zogen sich zusammen, und die Falten um seine 
Mundwinkel schienen sich zu vertiefen. 

»Soll ich den Kerl umlegen lassen?« 
»Nein, den kann ich noch gut gebrauchen, falls in Verona noch 

mehr Waffen benötigt werden. Aber  du kommst der Sache schon 
näher. Es gibt noch eine Person, deren Aussage mir gefährlich 
werden könnte, wenn sie wiederholt wird. Zum Glück war das, was 
sie bisher sagte, nicht besonders präzise. Doch wenn man sie gezielt 
befragt, könnte sie sich vielleicht noch an etwas Genaueres erinnern. 
Deshalb muß sie zum Schweigen gebracht werden.« 

Viktor grinste. »Warum hast du das denn nicht gleich gesagt. Ich 

schicke sofort meinen besten Mann los.« 

»Nein, dein bester Mann wird für den Transport nach Verona 

gebraucht. Diese Aufgabe wirst du selbst erledigen. Sozusagen als 
Liebesdienst. Das ist der Preis, den ich fordere.« 

Sie spielte mit dem Medaillon und bedachte ihn mit einem 

lockenden Lächeln. 

Viktor starrte sie einen langen Augenblick an. 
»Also gut«, sagte er  zögernd. »Wie heißt der Mann, den ich ins 

Jenseits schicken soll?« 

Katharina lächelte zufrieden und selbstsicher. Sie hatte von Anfang 

an keinen Zweifel gehegt, daß ihr raffinierter Plan aufgehen würde. 

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Und es bereitete ihr ein ungemeines Vergnügen und ein 
überwältigendes Gefühl der Macht, Männer wie Schachfiguren in 
ihrem gefährlichen Spiel hin- und herzuschieben. 

Auch Viktor war eine Figur für sie, und nicht mal ein König oder 

ein Läufer  - nur ein gemeiner Bauer. Er war ein Werkzeug, dessen 
sie sich bedient hatte, solange sie es gebraucht hatte. 

Jetzt brauchte sie ihn nicht mehr. 
Sie dachte nicht daran, mit ihm Lager und Besitz zu teilen. 
Es war an der Zeit, ihn loszuwerden. 
Viktor würde von drei Zeugen bei einem Mord beobachtet werden. 

Ehrbare Leute, deren Aussagen Gewicht haben würden. »Rein 
zufällig« würden sie am Ort der Tat sein, und Viktor würde nach 
dem Mord selbst sein Leben lassen und nicht mehr plaudern können. 

Um Viktors Räuber würde sich das Bruderherz kümmern. Bei der 

Übergabe der Waffen und Rüstungen würden die Räuber ahnungslos 
in die tödliche Falle tappen. 

Niemand würde je herausbekommen, wer hinter allem gesteckt 

hatte. 

Katharina hatte lange an diesem Plan gebrütet. Zu Beginn war sie 

noch bereit gewesen, Viktor an dem zu erwartenden Reichtum nach 
den Eroberungen ihres Bruders zu beteiligen. 

Doch dann hatte Viktor klargemacht, daß er mehr wollte. 
Er wollte sie. 
Aber sie hatte ganz andere Pläne. Sie hatte vor, großen Hofstaat zu 

halten und den Reichtum in vollen Zügen zu genießen.  Nicht mit 
diesem primitiven Räuberhauptmann an ihrer Seite, aus dem nie ein 
vornehmer Herr werden würde, und wenn er sich in goldene Schale 
warf. 

Nein, das war nicht der richtige Mann für die Zukunft, die sie sich 

vorstellte. 

Er hatte gesagt, daß er sie in der Hand habe und sie ihm deshalb in 

Zukunft gefügig sein müsse. 

Gefügig? 
Nie war sie einem Mann Untertan gewesen, sondern immer die 

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Männer ihr. Doch die wenigsten hatten das gewußt und sich stolz für 
große Herzensbrecher gehalten. 

Bei diesem Gedanken hätte sie am liebsten laut aufgelacht, aber sie 

behielt sich eisern unter Kontrolle. 

»Wen soll ich töten, auf daß du für immer mir gehörst?« fragte 

Viktor angespannt. 

»Eine Frau«, erwiderte Katharina. »Sie heißt Franziska und lebt in 

Schönau.« 

Ritter Roland war noch wie betäubt von dem Gehörten. 

Katharina war die Verräterin! 
Sie ließ von Viktors Bande Waffen und Rüstungen rauben, um 

damit ihren Halbbruder in Verona zu versorgen, der gegen einen 
Verwandten von König Artus Krieg führte. Gewiß war das kein 
Aufstand von Unterdrückten, sondern ein großangelegter Beutezug. 
Und mit dem Raub der Waffen wurden zwei Fliegen mit einer 
Klappe geschlagen: König Artus' Verwandter wartete vergebens auf 
die Hilfe im Kampf gegen vermeintliche Rebellen, und  Katharina 
sorgte dafür, daß ihr Bruder mit genau diesen Waffen gestärkt wurde. 

Katharina, diese Schlange, hatte alle Fäden gezogen. Die Überfälle 

waren zwar von Viktors Räubern begangen worden, doch im Grunde 
war Katharina für den Tod der vielen Männer verantwortlich. 

Er hatte gewußt, daß sie eine gefährliche Frau war, daß es ein Spiel 

mit dem Feuer war, sich mit ihr einzulassen, doch nie hätte er 
gedacht, daß sie so über Leichen ging. 

Roland lief ein Schauer über die Wirbelsäule, als er daran dachte, 

wie kalt sie über seinen  - vermeintlichen  - Tod geredet hatte. Und 
wie sie fast im Plauderton einen weiteren Mordauftrag gegeben hatte. 

Sie wollte Franziska umbringen lassen! 
Das werde ich zu verhindern wissen, dachte Roland. Ich werde vor 

Viktor in Schönau sein und ihn in Empfang nehmen. Und die Räuber 
müssen auf dem Weg nach Verona geschnappt und der Transport 

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sichergestellt werden. 

Dann blieben nur noch Katharina und ihr Halbbruder, denen das 

Handwerk gelegt werden mußte. Und der Mann auf Camelot, von 
dem Katharina ihre Informationen hatte. Leider war der Name nicht 
gefallen. Doch er mußte in Katharinas Bekanntenkreis zu finden sein. 
Wenn sie nach Camelot zurückkehrte, würde sie dort auf Schritt und 
Tritt beschattet werden und ... 

Ein Geräusch riß Roland aus seinen Gedanken. 
Er wirbelte herum, und seine Rechte zuckte instinktiv zum 

Schwert. 

Ein Schatten schnellte aus dem Dunkel hinter der Hütte auf ihn zu. 
Er war entdeckt! 
Roland duckte sich, doch er konnte dem Hieb nicht mehr ganz 

ausweichen. Etwas knallte gegen seine Schulter, daß er das Gefühl 
hatte, der Arm werde ihm abgerissen. 

Roland stürzte. 
Im nächsten Augenblick war der Schatten schon über ihm. 
Verzweiflung stieg in Roland auf. 
Ein Alarmschrei, und alles war aus. Nicht nur für ihn, sondern 

vermutlich auch für Franziska. 

Hände krallten sich um Rolands Hals. Die Luft wurde ihm knapp. 

Tränen schössen ihm in die Augen. 

Keuchende Atemzüge schlugen ihm ins Gesicht. 
Blindlings schlug er im Dunkeln zu. Seine Faust traf klatschend, 

und die Umklammerung lockerte sich. 

Roland hatte nur einen Gedanken: Er mußte verhindern, daß der 

Räuber schrie und seine Kumpane alarmierte. 

Er packte mit der Linken das Gelenk einer Hand, die ihn würgte, 

und schlug wieder mit der geballten Rechten zu. 

Der Gegner stieß einen ächzenden Laut aus, doch er schrie nicht. 
Roland riß mit der Linken die Hand des Kerls von seinem Hals. 

Die Rechte löste sich von selbst von seinem Hals. 

Roland atmete tief ein. Seine Hände Schossen vor, umklammerten 

den Gegner und erstickten einen Schrei, wie Roland annahm. 

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Im nächsten Augenblick erschrak Roland bis ins Mark. 
Der Räuber hatte die Umklammerung nur gelöst, um ein Messer zu 

ziehen. 

Roland spürte, wie die Klinge über seinen Handrücken ratschte. Er 

warf sich zurück. 

Der Angreifer setzte nach. 
Roland riß die Füße hoch und trat zu. Es gab einen dumpfen Laut, 

als seine Stiefelspitze etwas traf. 

Der Schatten taumelte zurück und sank zu Boden. 
Roland warf sich auf ihn, doch der Mann leistete keinerlei 

Gegenwehr. Er mußte ihn voll getroffen haben. 

Schweratmend richtete sich Roland auf. Er lauschte. 
Vom Lagerfeuer schallte Lachen herüber. Dort hatte man gewiß 

nichts von dem Kampf hinter der Hütte bemerkt. 

Und in der Hütte? 
Kein Laut war zu hören. Die plötzliche Stille zerrte an Rolands 

Nerven. 

Er spähte durch eine Loch in der Decke und atmete auf. 
Katharina und Viktor tranken gerade Wein. Deshalb das 

Schweigen. Nichts wies darauf hin, daß sie etwas von dem Kampf 
gehört hatten. 

Ein Glück, daß der Räuber nicht zu einem Schrei gekommen war. 
Viktor prostete jetzt Katharina zu. 
»Auf die Zukunft, meine Liebe.« 
»Auf die Zukunft«, erwiderte Katharina lächelnd. 
Die wird anders aussehen, als ihr Verbrecher euch das vorstellt! 

dachte Roland grimmig. 

Er zog sich zurück. Jetzt war Eile geboten. Er mußte 

verschwinden, sich ein Pferd besorgen und alles in die Wege leiten, 
damit dem Mörderpack das Handwerk gelegt wurde. 

Doch zuerst mußte er den Räuber aus dem Verkehr ziehen wie den 

anderen, diesen Vitus. Bei der Hütte konnte er zu schnell gefunden 
werden. 

Roland fand ein Taschentuch in der Hosentasche des Bewußtlosen 

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und band es ihm vor den Mund. Dann wuchtete er sich die schlaffe 
Gestalt über die Schulter und schlich durch die Dunkelheit davon. 

Der Mann regte sich erst, als Roland mit ihm in sicherer 

Entfernung von den Hütten und vom Lagerfeuer war. Er stieß ein 
schwaches, vom Tuch gedämpftes Ächzen aus und zappelte mit den 
Beinen. 

Roland legte den Kerl recht unsanft hinter einem Felsbrocken ab, 

der die Sicht auf das Lager verdeckte. Es widerstrebte ihm,  den 
Mann von neuem mit einem Schlag auszuschalten; die gedämpften 
Laute waren keine Gefahr. 

Der Mann stemmte sich auf die Ellenbogen auf. Sein Gesicht geriet 

in einen Streifen schwachen Mondlichts. 

Roland stutzte. 
Er packte den Mann am Kragen und zerrte  ihn weiter vor, um sein 

Gesicht besser sehen zu können. 

Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. 
Der Mann war Dietleib von Auerswald. 

Dietleib starrte Roland ebenso überrascht an. 

»Roland!« 
Es klang dumpf und undeutlich hinter dem Tuch hervor. 
»Dreckiger Verräter«, sagte Roland verächtlich. 
Das Bild hatte sich abgerundet. Das letzte Stückchen des Mosaiks 

paßte. 

Katharina war die Verbindung zu den Räubern, und Dietleib von 

Auerswald war der Verräter auf Camelot, der ihr alle Hinweise gab, 
die sie für die Überfälle brauchte. 

Dietleib, das mußte der Name sein, den einer der Männer des 

überfallenen Transports noch aufgeschnappt hatte, bevor er von 
neuem das Bewußtsein verloren hatte. Franziska hatte von dem 
Sterbenden nur noch Diet... gehört, doch Blasius Schulze, der 
verschlafene Polizist, hatte zufällig den Nagel auf den Kopf 

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getroffen. So dachte Roland. 

In Wirklichkeit hatten zwei der Räuber über Diethilde gesprochen, 

doch das sollte erst später ans Tageslicht kommen. 

Dietleib schüttelte heftig den Kopf. 
»Das Leugnen nutzt dir nichts mehr«, zischte Roland. »Dein 

gemeines Spiel ist zu Ende. Und bald auch dein Leben.« 

Wiederum schüttelte Dietleib den Kopf. 
»... kein ... Verräter ...« glaubte Roland zu verstehen. 
»Gib dir keine Mühe. Ich habe belauscht, was deine Komplizin 

Katharina mit Viktor besprochen hat.« 

Roland überlegte, wie er Dietleib fesseln konnte. In Ermangelung 

von Stricken mußte er den Hosengürtel nehmen. Er würde den Kerl 
mitnehmen und in sicheren Gewahrsam geben ... 

Roland hielt das  Messer in der Hand, und dennoch überraschte 

Dietleib ihn. 

Bevor Roland es verhindern konnte, Schossen Dietleibs Hände 

hoch und rissen das Tuch vom Mund. 

Roland sprang auf ihn zu und holte mit dem Messer aus. Dietleib 

ließ ihm keine Wahl. Roland war entschlossen, zuzustechen, um zu 
verhindern, daß Dietleib die Räuber alarmierte. Menschenleben 
standen auf dem Spiel. Das von Franziska und gewiß von vielen 
anderen Menschen, wenn der Räuberbande nicht das Handwerk 
gelegt wurde und Waffen und Rüstungen in die  Hände von 
Katharinas Halbbruder fielen, die damit in einen Krieg ziehen 
würden. 

Roland holte zum Stoß mit dem Messer aus. 
Doch Dietleib schrie nicht. 
»Ich bin kein Verräter!« flüsterte er hastig und hob die Hände vors 

Gesicht, als könnte er damit den Messerhieb abwehren. Roland 
verharrte. 

Er drückte Dietleib die Messerspitze gegen die Brust. 
»Bevor du schreist, hast du die Klinge zwischen den Rippen!« 

drohte er. 

»Ich schreie nicht«, flüsterte Dietleib. Er zog die Hände vom 

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Gesicht und starrte Roland in die Augen. »Ich hatte Angst, du 
könntest die Räuber mit einem Schrei alarmieren.« 

Das klang glaubwürdig. Wenn Roland es recht bedachte, hätte 

Dietleib vor und während seines Angriffs Gelegenheit gehabt, die 
Räuber aufmerksam zu machen. 

»Ich hielt dich für einen von der Bande«, flüsterte Dietleib. 

»Deshalb griff ich dich an. Ich habe herausgefunden, wer der 
Verräter ist. Es ist Katharina.« 

»Ich weiß«, erwiderte Roland. »Versuch nicht, ihr die Schuld 

allein anzulasten. Du hast ihr die Informationen gegeben, die sie 
brauchte.« 

»Ja«, murmelte Dietleib leise und tonlos. »Diese Schuld bekenne 

ich.« 

Das Geständnis überraschte Roland trotz allem. Er hatte 

angenommen, Dietleib würde versuchen, sich herauszulügen. 

»Wir sollten verschwinden«, raunte Dietleib und sah sich besorgt 

um. »Wenn sie uns finden, bringen sie uns um. Ich weiß, wie wir die 
Bande schnappen können.« 

»Ich auch«, erwiderte Roland gereizt. 
Er vermutete, daß Dietleib irgendeinen Trick versuchen wollte. Als 

Komplize der Räuber brauchte er kaum Angst davor zu haben, 
entdeckt zu werden. 

Roland hatte Dietleib ohnehin mitnehmen wollen. Deshalb erklärte 

er sich einverstanden. 

»In Ordnung«, sagte er. »Verschränke die Hände im Nacken und 

geh vor mir her. Bei einem Fluchtversuch und beim geringsten Laut 
hast du das Messer im Rücken!« 

Dietleib unternahm keinen Fluchtversuch und verhielt sich ebenso 

leise wie Roland. Auf Zehenspitzen schlich er vor Roland aus dem 
Talkessel den westlichen Hang hinauf. Roland rutschte einmal auf 
einem Moospolster ab. Dietleib blieb stehen und hielt ihm die Hand 
hin, um ihn hochzuziehen. 

Roland verzichtete auf Hilfe und war auf der Hut, weil er mit 

einem Angriff rechnete. 

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Doch Dietleibs Verhalten verstärkte die Zweifel, die in Roland 

aufgekeimt waren. Sein Gefühl sagte ihm, daß Dietleib doch nichts 
Böses im Schilde führte. Dennoch blieb Roland wachsam. 

Unbehelligt gelangten sie über den Berg aus dem Talkessel. 
Roland ließ sich erschöpft von dem beschwerlichen Auf- und 

Abstieg und der Anspannung am Fuß einer Tanne nieder. 

Er gab Dietleib mit dem Schwert, das er gegen das Messer 

getauscht hatte, einen Wink. 

Dietleib setzte sich ihm gegenüber hin. 
»Dann erzähl mal dein Märchen«, sagt Roland. »Aber immer noch 

leise.« 

Dietleib nickte. »Die Wachtposten sind zwar am südlichen Zugang 

zum Talkessel, aber es könnte sein, daß irgendeiner durch die 
Gegend streift und uns zufällig entdeckt.« 

Er suchte in der Dunkelheit Rolands Blick. Das Weiße seiner 

Augen schimmerte. 

»Ich konnte dich nicht leiden, doch ich danke dem Herrn, dich 

lebend zu sehen«, fuhr Dietleib fort. »Sie sagten, du seist tot wie die 
anderen Männer des Transports.« 

Die Stimme klang jetzt erstickt. Dietleib schlug die Hände vors 

Gesicht. Seine Schultern zuckten. 

Ritter Dietleib von Auerswald weinte! 
Roland schluckte. Ein Trick, mit dem der Mann sein Mißtrauen 

und seine Wachsamkeit einschläfern wollte? 

Nein, sein Gefühl sagte ihm, daß das nicht gespielt war. Dietleib 

war tatsächlich erschüttert. 

»Und ich bin am Tod dieser wackeren Männer mitschuldig.« Mit 

zitternder Hand wischte sich Dietleib über die Augen. 

Roland sagte nichts. Er verspürte ein Gefühl, daß er nicht ganz zu 

erklären vermochte. Eine Mischung aus Rührung und Mitleid. 

Er hatte Dietleib nie gemocht, doch irgendwie sah er ihn jetzt in 

einem anderen Licht als zuvor. Welche Schuld er auch immer auf 
sich geladen hatte, er bekannte sich ehrlich dazu und litt darunter. 

Stockend sprach Dietleib weiter. »Ich  - habe Katharina erzählt, was 

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sie wissen wollte. Es  - es war, als hätte sie eine übernatürliche Kraft, 
eine Macht über mich, der ich mich nicht widersetzen konnte. Ich 
war verrückt nach ihr. Ich war ihr hörig. Und dann, wenn wir im Bett 
lagen, animierte sie mich, Kräuterlikör mit ihr zu trinken. Er enthielt 
irgendein Rauschmittel, wie ich inzwischen weiß. Ich  - ich war nicht 
mehr Herr meiner Sinne. Ich fühlte mich wie schwerelos. Sie hatte 
leichtes Spiel mit ihren geschickten Fragen. Vielleicht habe ich sogar 
noch im Schlaf ausgeplaudert, was sie wissen wollte. Ich weiß es 
nicht. Wenn ich nach diesen Nächten erwachte, konnte ich mich an 
nichts Genaues mehr erinnern. Hat sie es bei dir auch auf diese 
Weise versucht?« 

»Nein«, sagte Roland. »Wir haben keinen Kräuterlikör getrunken 

Doch erzähl weiter.« 

»Als die Sache mit dem Verrat ruchbar wurde, war ich empört wie 

alle anderen. Ein Hundsfott von Verräter in unseren eigenen Reihen! 
Wie konnte ich ahnen, daß ich selbst den Verrat begangen hatte, 
ohne es zu wissen! Ja, ich gebe zu, daß ich sogar dich verdächtigte. 
Doch nach dem Mordanschlag auf dich war mir klar, daß du der 
Verräter nicht sein konntest. Und mir fiel ein, daß sich Katharina 
beiläufig bei mir erkundigt hatte, wann mit deiner Rückkehr zu 
rechnen sei, woher du kommst und weitere Einzelheiten. Nun, das 
war kein Geheimnis auf Camelot, und ich gab ihr Auskunft. Ich war 
eifersüchtig, weil ich dachte, sie hätte Sehnsucht nach dir. Im 
nachhinein fiel mir dann auf, daß sie mich ausgehorcht hatte. Ich 
wäre also auch an deinem Tod schuld gewesen, wenn der 
Mordanschlag gelungen wäre.« 

Roland schwieg. Dietleibs Betroffenheit war echt. Roland spürte 

förmlich wie die Selbstvorwürfe in Dietleib fraßen. 

»Als sie mich in der letzten Nacht wieder in ihrem Schlafgemach 

empfing, war ich mißtrauisch«, fuhr Dietleib fort. »Sie stellte zwar 
geschickt die scheinbar beiläufigen Fragen, doch wenn man einmal 
einen Verdacht hat, ist man hellhöriger. Ich war also vorsichtiger mit 
meinen Worten und beschränkte mich auf ausweichende Antworten. 
Sie drängte mir wieder den Kräuterlikör auf. Und es war wie immer. 

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Ein Rausch, ein süßer und doch so schlimmer Rausch. Doch diesmal 
verflog er schneller als sonst. Der verdammte Trunk war wohl nicht 
so stark wie sonst. Vielleicht lockerte er mir nicht wie sonst die 
Zunge. Dennoch gab ich ihr genügend Auskünfte  - da will ich nichts 
beschönigen. Doch am Morgen konnte ich mich an einiges erinnern, 
was wir geredet hatten. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Ich 
wollte es noch nicht wahrhaben. Immer wieder sagte ich mir, das 
kann nicht sein.« 

Wieder wischte er sich mit fahriger Hand über die Augen. 
»Ich wollte mir letzte Gewißheit verschaffen«, fuhr er fort. 

»Katharina verließ Camelot mit einer Kutsche. Sie fuhr in der 
Dunkelheit und ganz allein. Keiner dachte sich etwas dabei, denn sie 
war für ihre Kapriolen bekannt. Man munkelte, sie fahre zu einem 
heimlichen Stelldichein. Ich dachte mir etwas anderes. Ich folgte ihr 
heimlich und beobachtete, wie sie sich mit einem Reiter traf. Leider 
konnte ich nicht belauschen, was sie besprachen. Sie muß dem Reiter 
alles erzählt haben, was sie von mir erfahren hatte. Dazu reichte sie 
ihm einen Brief, in dem gewiß das Wichtigste notiert war. Der Reiter 
verschwand, und sie fuhr weiter. Ich wollte mir den Reiter 
schnappen, um ihn auszuquetschen. Doch in der Dunkelheit verlor 
ich ihn aus den Augen.« 

Er legte eine Pause ein und atmete tief und seufzend, bevor er 

fortfuhr: 

»Ich ahnte, daß ich das Unheil verhindern konnte, wenn ich diesen 

Reiter abfing, bevor er preisgeben konnte, was er von Katharina 
erfahren hatte. Verzweifelt suchte ich nach der Fährte. Da kam 
Katharina mit der Kutsche. Zuerst wollte ich ihr den Hals umdrehen. 
Doch dann entschloß ich mich, ihr weiter zu folgen. Sie führte mich 
zum Versteck der Bande. Doch die Räuber hatten längst auf ihre 
Botschaft hin gehandelt.« 

»Wie bist du unbemerkt an den Wachen vorbeigekommen?« fragte 

Roland. 

»Sie hielt in der Nähe des Verstecks an und gab ein Signal für die 

Wachen. Da war ich gewarnt und wußte, daß das Versteck in der 

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Nähe sein mußte. Über den Berg im Osten gelangte ich in das 
versteckte Tal. Ich konnte Viktor und Katharina belauschen.« 

Er erzählte ausführlich, was er gehört hatte. Überrascht stellte 

Roland fest, daß Dietleib auch das wußte, was er selbst hatte 
belauschen können. Dietleib hatte an der Seitenwand der Hütte 
gestanden und gleichzeitig gelauscht. Erst später hatte er Roland 
entdeckt und für einen Räuber gehalten. 

Dietleib wußte jedoch viele Einzelheiten mehr als Roland. Er 

kannte zum Beispiel die Route, die der Transport nehmen würde. Er 
hielt sich ja seit etwa zwei Stunden nach Katharinas Ankunft im 
Räuberlager auf. 

»Es bleibt mir nur noch eines, um meine Schuld wenigstens zum 

Teil wieder gutzumachen«, sagte Dietleib mit dumpfer Stimme. »Ich 
werde Katharina und die Räuber zur Strecke bringen.« 

Und mit noch leiserer Stimme fügte er hinzu: »Und dann werde ich 

die Konsequenzen ziehen und meinem Leben ein Ende setzen.« 

»Mit ersterem bin ich völlig einverstanden«, sagte Roland. »Und 

das andere wirst du dir aus dem Kopf schlagen. Laß uns jetzt beraten, 
wie wir uns die Aufgaben teilen und alles in die Wege leiten.« 

Diethilde lachte. Volker hatte gerade wieder einen »Holzfällerwitz« 
erzählt. 

Volker gab sich heiter und unbeschwert, und nichts verriet seine 

Anspannung. 

Er wußte, daß es nicht mehr lange dauerte, bis sie überfallen 

wurden. 

Er selbst hatte mit den Informationen, die er Diethilde gegeben 

hatte, dafür gesorgt. 

In Erlenhain hatte er belauscht, was Diethilde mit ihren Kumpanen 

besprochen hatte. Dann hatte er Diethilde angeboten, sie weiter 
mitzunehmen. Er sei verrückt nach ihr, hatte er gelogen. 

Sie hatte das Angebot nur zu gern angenommen. Sie müsse nur 

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noch im Gasthof die Rechnung bezahlen. Dort hatte sie die Kumpane 
informiert. 

Sie ahnte nicht, daß bei der letzten Rast die ohnehin geplanten 

Vorkehrungen für die Falle getroffen worden waren. 

Während Volker, die Knappen und Diethilde im Gasthof gespeist 

hatten, waren zwei der Wagen ausgetauscht worden. Sie waren nur 
mit ein wenig Holz zur Tarnung und Panzerung beladen und 
transportierten drei Dutzend gerüstete und bewaffnete Männer, die 
sich ja nach König Artus' Plan an diesem Ort bereitgehalten hatten, 
damit die Räuber gefaßt wurden. 

Daß der Verräter diesmal keine präzisen Angaben  erhalten hatte 

und deshalb, um ganz sicherzugehen, beide Transporte hatte 
überfallen lassen, das hatte König Artus ja nicht ahnen können. 

»Ach, ich bin so glücklich, daß du mich noch weiter mitgenommen 

hast«, sagte Diethilde und schmiegte sich auf der Fahrerbank gegen 
Volker. »Nie werde ich die schönen Stunden mit dir vergessen, du 
süßer Holzfäller du.« 

Volker lächelte sie an, und nichts verriet seine Gedanken. 
Dieses verkommene Luder mit dem madonnenhaften Gesicht 

erlaubte sich auch noch ironische Scherze. 

Sie ging davon aus, daß bei der letzten Rast die Waffen und 

Rüstungen in Empfang genommen worden waren. Das hatte sich ja 
Volker, wie es aussah, entlocken lassen, natürlich nur in 
Andeutungen. Sie wußte genau, daß gleich ihre Kumpane zur Stelle 
sein würden und daß sich alles wie beim ersten Mal abspielen würde. 
Diesmal nur mit dem Unterschied, daß sie mit der Beute 
verschwinden würden. 

»Nie werde ich die schönen Stunden mit dir vergessen ...»Das war 

schon als höhnischer Abschied gemeint, »Auch ich werde dich nicht 
vergessen«, erwiderte Volker grinsend. »So eine wie du ist mir 
wirklich noch nie untergekommen.« 

Sie lachte, denn sie ahnte nicht den Doppelsinn seiner Worte. 
Und dann war es auch schon soweit. 
Diethildes Kumpane erwiesen sich als wenig einfallsreich. Der 

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Überfall lief nach der gleichen Art ab wie der erste. Eine günstige 
Stelle, ein Baumstamm als Blockade hinter der Wegbiegung, und 
dann stürmten die Räuber zwischen Büschen und Bäumen am 
Wegesrand hervor. 

»Keine Bewegung, oder ...« 
Weiter kam Walther, der Anführer, nicht mehr. Einer der 

Bogenschützen auf den beiden ersten Wagen schoß durch einen Riß 
in der Wagenplane seinen Pfeil ab. 

Der Pfeil traf Walther in die rechte Schulter. Schreiend taumelte er 

zurück und stürzte zwischen die Büsche. 

Die Räuber erstarrten vor Schreck. 
Die Planen der Wagen flogen hoch. Männer mit Schwertern und 

Lanzen sprangen von den Wagen. Ein Pfeil traf den Räuber mit der 
Armbrust. Röchelnd sank er zu Boden. 

»Gebt auf, ihr habt keine Chance!« rief Louis und sprang mit 

blitzendem Schwert vom Wagenbock herab. 

Nur einer der Räuber war vernünftig genug, die Ausweglosigkeit 

seiner Lage zu erkennen. Er ließ sein Schwert fallen, hob die Hände 
und flehte um Gnade. Sie wurde ihm gewährt. 

Die anderen waren so dumm zu kämpfen ... 
Volker blickte zu Diethilde. Sie saß starr neben ihm, mit 

fassungsloser Miene, und ihre Augen spiegelten das Grauen wider. 

»O Gott...« stöhnte sie und preßte eine Hand auf den Mund. 
Dann zuckte ihr Blick zu Volker, und sie begriff anscheinend erst 

jetzt, daß er ihr und ihren Kumpanen eine Falle gestellt hatte. 

Sie sprang auf und wollte vom Wagen klettern. 
Volker vom Hohentwiel hielt sie fest und tippte ihr sein Schwert in 

die Seite. 

»Du bleibst hier, du falsches Aas«, sagte er. »Und ich wette, du 

wirst mir einige interessante Fragen beantworten, bevor du im 
Kerker über dein verkommenes Leben nachdenken kannst.« 

Und so war es dann auch. Diethilde sagte alles, was Volker wissen 

wollte. Sie hoffte auf mildere Bestrafung, wenn sie alles verriet  - 
Namen, Zahl der Räuber, ihre bisherigen Untaten und zukünftigen 

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Pläne und das Versteck. 

Diethilde war ja über alles bestens informiert. Sie wußte mehr 

Einzelheiten als jeder von Viktors Räubern. Da sie mal hier und mal 
da nächtigte, hatte sie mal hier und mal da Einzelheiten erfahren. 
Nicht zuletzt von Viktor selbst. 

Zwei tote Räuber wurden begraben, die verletzten Räuber und 

Diethilde wurden von einigen Männern des Trupps als Gefangene 
bewacht. 

Volker, die Knappen und der Rest von König Artus' Mannen 

machten sich auf den Weg zum Versteck der Räuber. 

Sie waren nicht mehr sehr weit entfernt, als ein Reiter auftauchte: 

Dietleib von Auerswald. 

Roland hatte Dietleib in den Teil des Plans eingeweiht, den König 

Artus nur Volker und ihm preisgegeben hatte. Dietleib sollte die 
Männer des Königs informieren, die vermutlich vergebens auf 
Volker und die Knappen warteten, ohne genau zu wissen, zu 
welchem Einsatz sie bestimmt waren. 

Dietleib war erleichtert, daß Volker und die Knappen noch lebten. 

Er und  auch Roland hatten angenommen, sie seien bei einem 
Überfall der Räuber ums Leben gekommen wie die Männer des 
anderen Transports. 

Roland war völlig fertig, als er diese Möglichkeit in Betracht zog. 

Seine Knappen und sein Freund Volker tot! Er hat Tränen in  den 
Augen gehabt. Wie glücklich wird er sein, wenn er sie wiedersieht! 

Dietleib erzählte alles, was er wußte, nur eines verschwieg er: 

Seine Rolle bei der ganzen Sache. 

»Roland wird also den Räuberhauptmann Viktor in Schönau 

schnappen«, sagte Volker zufrieden. »Gut. Katharina ist kein 
Problem. Wir schicken einen Boten nach Camelot, der den König 
informiert, und dort wird sie gebührend in Empfang genommen. Und 
die Bande greifen wir uns statt im Versteck, wenn sie unterwegs mit 
den Wagen ist.« 

Sie kannten die Fahrtroute der Wagen. Sie legten einen Hinterhalt 

und überraschten die Bande. Es gab ein paar Tote und Verletzte, 

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doch dann gaben die Räuber auf. Und es gab noch eine erfreuliche 
Überraschung: Einer der Räuber hatte Rolands Roß geritten. 

»Lief doch prächtig«, zog Volker zufrieden Bilanz. »Roland wird 

sich freuen, seinen Hengst wiederzubekommen. Dank Dietleibs 
Informationen war das Ganze kinderleicht. Wo ist er eigentlich?« 

Dietleib war nicht mehr bei dem Trupp. Irgend jemand erinnerte 

sich daran, daß der Ritter nach Süden davongeritten war. 

»Wo mag er hin sein?« überlegte Volker. Niemand wußte eine 

Antwort darauf. 

Mondschein tauchte die Alm in silbriges Licht. 

Viktor blickte zum erleuchteten Fenster der Almhütte. Diese 

Franziska war also da. Ganz allein sollte sie dort oben leben. Sicher 
eine verhutzelte, ärmliche Almbäuerin, dachte er, an der sich 
niemand vergreift. 

Das machte die Sache einfacher. 
Viktor hatte schon viele Menschen getötet, doch niemals eine Frau. 

Doch Katharina verlangte es. Bei dem Gedanken an Katharina 
grinste er, und sein Gesicht verlor etwas den verkniffenen Ausdruck. 
Wenn er diese Sache erledigt hatte, würde Katharina ihm gehören ... 

Ein Hund schlug an, und das helle Kläffen riß ihn aus seinen 

Gedanken. 

Die Tür der Hütte wurde einen Spalt geöffnet. Jemand spähte 

hinaus. Etwas Dunkles lief den Hang hinunter und flog förmlich auf 
Viktor zu. 

Viktor legte instinktiv die Rechte aufs Schwert. Dann entspannte er 

sich. Ein winziger, wuscheliger Hund tollte kläffend um ihn herum. 

»Wer ist da?« rief eine Frauenstimme. 
»Grüß Gott. Seid Ihr Franziska Hellwig?« 
»Ja.« 
»Ich habe einen Brief für Euch.« 
»Ihr könnt kommen.« Die Tür wurde aufgeschoben. Die Frau zog 

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sich scheinbar völlig arglos in die Hütte zurück. 

Viktor schritt schneller aus. Er war nur noch ein paar Klafter von 

der Tür entfernt, als ein dunkler Schatten auf ihn zuflog. Viktor 
erschrak. 

Es war ein großer Hund, der dicht vor ihm landete und bedrohlich 

knurrte. 

»Xaver, Leopold, gebt Ruhe!« rief die Frau aus der Hütte. 
Das Knurren und Bellen ging in ein Winseln über. Der große Hund 

trollte sich, doch der kleine sprang um Viktors Beine herum und 
schnappe nach seinen Stiefeln. 

Viktor wich aus und wäre fast gestolpert. Wütend trat er nach dem 

Hund. 

Im nächsten Augenblick stieß er  einen Fluch aus. Das Hündchen 

schnellte an ihm hoch und biß ihn in die Hand. 

»Verdammter Köter!« 
Viktor schleuderte den kleinen Hund von sich. 
Der große Hund knurrte und duckte sich zum Sprung. 
»Xaver! Leopold!« rief die Frau in der Hütte. 
Viktor tastete zu seiner blutenden Hand und beeilte sich, zur Hütte 

zu gelangen. Er trat ein, zog die Tür zu und erstarrte. 

Die Frau war da. Noch dazu eine Schönheit, die er nicht erwartet 

hatte. Doch sie war nicht allein. Ein Mann mit einem Schwert in der 
Hand stand gleich neben der Tür. 

Viktor schalt sich einen Narren. Er hätte damit rechnen müssen, 

daß sich zufällig ein Besucher bei Franziska aufhielt. 

Viktor zwang sich zu einem Lächeln. Kein Grund zur Aufregung. 

Den Kerl würde er schon überlisten. 

»Guten Abend. Ah, Ihr seid bestimmt Herr Hellwig.« 
Der Mann lächelte. 
»Guten Abend, Viktor. Ich heiße nicht Hellwig, sondern Roland.« 
Und damit setzte ihm Roland das Schwert an die Kehle. 
Viktor erbleichte. 
»Ritter - Roland. Aber ...« 
»Du dachtest, ich weile nicht mehr unter den Lebenden? Da siehst 

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du, wie man sich irren kann. Dreh dich um und streck die Pfoten 
hoch.« 

Viktor zögerte. Dann ließ er die Schultern hängen und wandte sich 

scheinbar resigniert langsam um. Doch als Roland das Schwert etwas 
zurückzog, handelte Viktor. Aus der Drehung heraus sprang er 
Roland an. 

Franziska, die von Roland zum Kamin geschickt worden war, 

damit sie nicht in Gefahr geriet, schrie auf. 

Doch Roland war auf der Hut gewesen. Gedankenschnell wich er 

zur Seite aus, und Viktor stürzte an ihm vorbei und prallte zu Boden. 
Bevor der Räuberhauptmann sein Schwert zücken konnte, streckte 
Roland ihn mit einem schnellen Hieb nieder. Reglos blieb Viktor 
liegen. 

Roland blickte zu Franziska. 
»Das hätten wir«, sagte er. »Gib mir die Stricke.« 
Franziska brachte die Stricke, die schon für Viktors 

Gefangennahme bereitlagen. Roland fesselte den Verbrecher an 
Händen und Füßen. 

Als er sich aufrichtete, sah er, daß Franziska ihn lächelnd 

betrachtete. 

Er trat zu ihr. »Danke für die Hilfe.« 
»Das war doch selbstverständlich. Aber  - ich dachte, du würdest 

mich mal bei anderer Gelegenheit hier besuchen  - nicht nur 
dienstlich. Es enttäuschte mich ein bißchen, daß du nur an ihn 
dachtest.« Sie nickte zu Viktor hin. 

Roland blickte sie verblüfft an. Sein Puls beschleunigte sich. 
»Aber ich dachte ...« 
Da schlang sie die Arme um ihn und küßte ihn zärtlich wie bei der 

ersten Begegnung zum Abschied. 

»Es war ein Ritter, der mir das Herz brach«, sagte sie dann. »Nach 

dieser Enttäuschung flüchtete ich in die Einsamkeit der Berge. Und 
ich hörte vieles über dich, Roland. Deshalb wollte ich mein Herz mit 
einem Panzer umgeben. Deshalb schickte ich dich fort. Doch als du 
weg warst, sehnte ich mich schon nach einem Wiedersehen. Ich 

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hoffte, daß du wiederkommst. Und der Panzer? Jetzt ist er völlig 
geschmolzen.« 

Roland hielt sie in den Armen, und ein tiefes Glücksgefühl 

durchpulste ihn. 

»Ich habe viel nachgedacht«, fuhr Franziska fort. »Hier oben hat 

man Zeit zum Denken. Dieser Ritter damals  - er wollte sich nicht 
binden. Und auch dich wird es wohl weiter von Abenteuer zu 
Abenteuer treiben. Deshalb will ich nicht, daß du mir in einem 
schwachen Moment etwas versprichst, was du nicht zu halten 
vermagst. Ich werde keine Ansprüche stellen  - für die Zukunft meine 
ich. Ich werde glücklich mit dem sein, was mir der Augenblick 
schenkt.« 

Wieder küßte sie ihn zärtlich. 
In diesem Augenblick schlugen draußen die Hunde an. 
Roland schob Franziska sanft von sich. Er warf einen Blick zu 

Viktor. Der Verbrecher war noch bewußtlos. Roland eilte neben das 
Fenster und spähte durch einen Spalt in der Gardine hinaus. Dann 
stockte ihm der Atem. Er erkannte die Gestalt, die dort draußen 
erschrocken verharrte, als der große Xaver aus der Dunkelheit auf sie 
zuschnellte und knurrend vor ihr verharrte, während Leopold 
kläffend um die Frau herumtollte. 

»Katharina!« stieß Roland hervor. 
»Die Verräterin, die mit den Räubern gemeinsame Sache macht?« 

fragte Franziska. Roland hatte ihr in groben Zügen alles erzählt. 

»Ja. Und ich möchte wissen, was sie hier treibt.« 
Katharina wollte ihren hinterlistigen Plan in die Tat umsetzen. Sie 

hatte Viktor beobachtet, als er in der Hütte verschwunden war. Sie 
hatte den Aufschrei einer Frau vernommen. Viktor mußte den 
Auftrag erledigt haben. Jetzt wollte sie zu ihm gehen. Er würde 
überrascht, doch nicht argwöhnisch sein. Sie wollte ihm eine 
einleuchtende Erklärung geben, weshalb sie ihm gefolgt war. Und 
dann wollte sie ihm einen Dolch ins Herz stoßen und alles so 
arrangieren, daß es aussah, als hätte es einen Kampf zwischen Viktor 
und Franziska gegeben. Schreiend wollte sie dann ins Tal laufen und 

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aussagen, daß sie zufällig Zeugin des Mordes geworden sei. Ihren 
ursprünglichen Plan, für fremde Zeugen zu sorgen, hatte sie aus 
Zeitmangel aufgegeben. Sie hielt ihn auch für  überflüssig. Niemand 
kannte sie in dem kleinen Ort, und keiner konnte eine Verbindung 
zwischen Viktor und ihr herstellen. 

»Viktor, Viktor!« rief sie jetzt. »Bist du da? Ich bin's, Katharina!« 
In diesem Augenblick stieß Roland die Tür auf und sprang mit dem 

Schwert in der Faust aus der Hütte. »Oh, Viktor, schaff mir die Köter 
vom Hals. Ich ...« 

Dann erkannte sie, daß es nicht Viktor war. Ihr Mund klaffte auf, 

und ihre Augen weiteten sich. Sie starrte Roland an, als sehe sie 
einen Geist. 

Doch sie faßte sich schnell. 
»Roland? Oh, Roland, welch ein Zufall. Ich war auf Besuch in 

dieser Gegend und hörte, daß du hier sein sollst. Ich hatte solche 
Sehnsucht nach dir und ...« 

»Xaver, faß!« 
Franziska rief es zornig aus der Hütte. 
Da flog der große schwarze Hund wie ein Schatten auf Katharina 

zu. Er riß die schreiende Frau zu Boden, In Panik schlug Katharina 
um sich, und ihr Kreischen hallte über die Alm. 

Roland verharrte an der Tür. Sekundenlang war er erschrocken. 
»Pfeif den Hund zurück!« rief  er Franziska zu. »Er zerfleischt sie 

ja!« 

Franziska tauchte gelassen hinter Roland in der Tür auf. 
»Keine Sorge«, sagte sie. »Xaver beißt nicht zu. Dazu bedarf es 

noch eines zusätzlichen Kommandos. Aber das bleibt nun wirklich 
mein Geheimnis, für den Fall, daß ich dich wieder los werden 
möchte.« 

Roland mußte lächeln. Franziska hatte also für den Notfall 

vorgesorgt. Deshalb konnte sie es auch wagen, ganz allein auf dieser 
Alm zu leben. 

»Xaver, sei lieb!« rief Franziska. 
Xaver ließ sofort von der Frau ab, deren Schreie in ein Wimmern 

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übergegangen waren. Todesangst mußte sie ausgestanden haben. 

Sie rappelte sich auf. Es sah nicht gerade anmutig aus. Ihr Kleid 

war eingerissen. 

»Dein falsches Spiel ist aus«, sagte Roland. 
Sie warf sich herum  und rannte wie von Furien gehetzt den Hang 

hinunter. Der kleine Wuschelhund folgte ihr, sprang um ihre Beine 
herum und schnappte nach ihrem Kleid. Mehrmals stolperte 
Katharina, raffte sich wieder auf, warf einen gehetzten Blick zurück 
zu Roland und rannte weiter. 

»Bleib aus der Reichweite des Gefangenen«, sagte Roland zu 

Franziska. »Ich schnappe mir die unfeine Dame, bevor sie sich aus 
dem Staub macht.« 

Roland gürtete sein Schwert und lief los. 
Katharina hatte einen Vorsprung von gut hundert Klafter, doch  sie 

konnte ihm nicht entkommen. Spätestens im Tal würde er sie fassen. 

So lange brauchte er nicht zu warten. 
Katharina blieb plötzlich stehen, als wäre sie gegen ein Hindernis 

geprallt. 

Eine Gestalt löste sich aus dem Dunkel bei einigen Kiefern und trat 

in den Mondschein. 

»Dietleib!« rief Katharina. Sie lief auf ihn zu, mit vorgestreckten 

Armen, und wollte sich ihm an den Hals werfen. »Hilf mir, 
Geliebter!« 

Dietleib benahm sich nicht wie ein Kavalier. Sein Zorn auf diese 

Frau, die ihm so übel mitgespielt hatte, war so groß, daß er sämtliche 
Manieren und alle Ritterlichkeit vergaß. 

Ungerührt wich er im letzten Augenblick zur Seite. 
Katharina strauchelte auf dem Hang, wurde von ihrem Schwung 

weiter gerissen und schlug der Länge lang hin. Bäuchlings 
schrammte sie noch ein Stück den Hang hinunter. 

Dietleib trat zu ihr und starrte auf sie hinab. Er zog sein Schwert. 
»Dietleib!« rief Roland entsetzt und hetzte auf ihn zu. 
Dietleib wandte den Kopf. »Ich hab' dich schon gesehen, Roland. 

Keine Sorge. Dieses Drecksstück ist meines Schwertes nicht würdig. 

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Das Schwert ist für mich bestimmt, da jetzt alles erledigt ist.« 

Roland zog sein Schwert und war mit zwei langen Sätzen bei 

Dietleib. 

»Sei vernünftig!« 
»Du kannst mich nicht daran hindern!« keuchte Dietlieb. 
»Und ob!« 
Roland griff an. Dietleib parierte den Schwerthieb. Wütend 

konterte er. Hell klirrten die Schwerter, und Funken stieben. 

Dietleib war ein guter Schwertkämpfer, und Roland hatte einige 

Mühe. Doch dann lenkte Katharina Dietleib ab. Sie sprang auf und 
wollte flüchten. Dietleib sah es aus den Augenwinkeln und schlug sie 
mit der Breitseite der Klinge nieder. 

Dann wirbelte er zu Roland herum. Darauf hatte Roland nur 

gewartet. Mit wuchtigem Hieb schmetterte er Dietleib das Schwert 
aus der Hand. Dietleib rutschte aus und stürzte. 

Er starrte zu Roland empor. 
»Stoß schon zu!« keuchte er. 
Roland schüttelte den Kopf. »Jetzt hör mir mal gut zu. Du hast 

nicht wissentlich Verrat begangen. Du hattest das Pech, auf eine 
falsche Schlange hereinzufallen. Das ist deine ganze Schuld. Und als 
du deinen Fehler erkanntest, hast du alles getan, um ihn 
wiedergutzumachen.« 

»Ich kann mit der Schmach nicht leben«, sagte Dietleib gepreßt. 

»Stoß zu!« 

»Bist du ein Ritter oder ein Feigling? Denn es bedarf mehr Mut, 

Problemen, und seien sie noch so groß, gefaßt ins Auge zu sehen und 
sie zu meistern, als vor ihnen zu fliehen. Wenn du ein Ritter bist, 
stellst du dich den Richtern auf Erden. Wenn du ein Feigling bist, 
dann nimm dein Schwert und flüchte in den Tod. In diesem Fall bist 
du meines Schwertes nicht würdig!« 

Damit gürtete Roland sein Schwert und wandte sich ab. Er 

durchlebte bange Sekunden voller Anspannung. Wie mochte 
Dietleibs Entscheidung ausfallen? Niemand würde ihn jemals von 
einem Selbstmord abhalten können. Irgendeine  Gelegenheit würde er 

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immer finden. Er allein mußte die Entscheidung treffen, und Roland 
konnte nur hoffen, daß seine bewußt verächtlich gesprochenen Worte 
den Mann zur Besinnung brachten. 

Er lauschte angestrengt und dachte schon, Dietleib würde sein 

Schwert ergreifen und sich töten. 

»Wir  - müssen sie fesseln«, rief da Dietleib recht lebendig. »Hast 

du Viktor?« 

Roland verharrte. Er lächelte. 
Dietleib hatte die richtige Entscheidung getroffen. »Ja«, sagte er 

aufatmend. »Ich habe Viktor.« 

»Die anderen haben wir auch geschnappt«, sagte Dietleib. »Deine 

Knappen und Volker leben. Und dein Pferd haben wir auch. Die 
Räuber hatten es mitgenommen. Volker veranlaßt, daß Katharinas 
Bruder geschnappt wird, wenn er vergebens auf den Transport 
wartet. Statt Waffen und Rüstungen zu bekommen, wird er in Ketten 
gelegt werden.« 

»Welch gute Kunde!« sagte Roland bewegt. »Dies ist wohl der Tag 

der schönsten Überraschungen.« 

Er schritt zu Dietleib, der immer noch am Boden hockte. 
Er reichte ihm die Hand. 
Dietleib ergriff sie zögernd. 
»Ich wußte, daß du dich für den Weg eines Ritters entscheiden 

wirst«, sagte Roland in überzeugtem Tonfall, obwohl er sich dessen 
nicht ganz sicher gewesen war. »Verzeih meine Worte.« 

Damit zog er Dietleib hoch. 
Dietleib drückte Rolands Hand noch einmal, bevor er sie losließ, 

und Roland spürte, daß es ein stummer Dank war. 

Dietleib setzte verlegen zu einer Erklärung an. »Ich  - ich weiß 

nicht, weshalb ich erst durch deine Worte ...« 

»Vertrödeln wir nicht unsere Zeit«, unterbrach Roland ihn schnell. 

»Wir sollten uns beeilen, die Gefangenen nach Schönau zu bringen. 
Blasius Schulze wird sie getrennt einsperren. Und morgen bringst du 
sie nach Camelot und legst sie dem König zu Füßen.« 

»Und mich kannst du dann gleich dazu legen«, sagte Dietleib mit 

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einem gezwungenen Lachen. Es sollte wie Galgenhumor klingen, 
doch Roland hörte die Bitterkeit aus Dietleibs Worten heraus. 

»Irrtum«, sagte er. »Was du dem König zu erklären hast, kannst du 

ihm selbst sagen. Und zwar im Stehen. Ich sagte, du lieferst die 
Gefangenen an. Auf meine Begleitung wirst du leider verzichten 
müssen.« 

Dietleib starrte ihn an. Seine Miene war verständnislos, dann stahl 

sich ganz langsam ein Lächeln um seine Lippen. 

Roland spürte, daß Dietleib zutiefst bewegt war ob des Vertrauens, 

das ihm entgegengebracht wurde. 

»Und ich konnte dich nicht leiden!« entfuhr es Dietleib. 
»Ich dich auch nicht«, bekannte Roland lächelnd. 
»So kann man sich irren«, sagte Dietleib verlegen. 
»So kann man sich irren.« 
Sie blickten sich in die Augen, und sie wußten, daß die Zeit der 

Feindschaft vorüber war. 

»Aber weshalb willst du nicht mitkommen?« fragte Dietleib 

schließlich. 

Roland dachte an Franziska. Gewiß würde sie ihn zum Essen 

einladen. Und diesmal würde sie ihn nicht nur einen Tropfen von 
ihrem guten Wein nippen lassen. Und dann war da auch noch 
Edeltraut. Er hatte ihr sein Wort gegeben. Er mußte sich zumindest 
von ihr verabschieden. 

Er lächelte. 
»Hier gibt es noch allerhand für mich zu tun.« 

ENDE 

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»Wer wagt es, mich in meiner Ruhe zu stören?!« brüllte der 
Burggraf. Aus verquollenen Augen starrte er seinem Sohn Walram 
entgegen, dessen harte Schritte über den Steinboden der Halle 
polterten. Wulf von Wolfeneck spuckte auf den mit Essensresten 
bedeckten Tisch, als er seinen Ältesten erkannte. »Wo treibst du 
dich herum, Haderlump?« 

»Spiel dich nicht so auf!« brüllte Walram zurück. »Ich weiß, um 
was  es geht. Ich soll eins von den Weibern von Ludgershall 
heiraten,  damit die Ludgershaller Ruhe vor unseren Schwertern 
haben. Aber,  beim Sensenmann, ich werde weiterhin jedem 
Ludgershaller, der  mir seine Visage in den Weg hält, die Kehle 
durchschneiden!« 
»Du hast recht«, gurgelte der betrunkene Vater. »Aber laß dir 
meinen Plan erklären. Es soll nämlich keine richtige Hochzeit 
werden, sondern eine Bluthochzeit. ..« 

Die Bluthochzeit 

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