Ritter Roland 24 Joachim Honnef Verrat!

background image
background image

Verrat!

von Joachim Honnef

scanned by : horseman

kleser: Larentia

Version 1.0

»Bald haben wir es geschafft«, sagte Edmar und ließ die
Peitsche knallen. Der Frachtwagen rumpelte die Steigung
hinauf in den Bergpaß. »Heute abend feiere ich
Wiedersehen mit der heißen Gerlinde. Hei, das wird ein
Fest der Freude.« Ludwig, der Mann neben ihm auf dem
Kutschbock, spuckte mißmutig aus. »Man soll den Tag
nicht vor dem Abend loben«, brummte er.

Er war ein bißchen neidisch, denn für ihn gab es

niemanden, mit dem er feiern konnte, abgesehen von
einer kühlen Flasche Wein, die er nach erledigtem
Geheimauftrag mit ins Bett nehmen würde.

background image

»Du bist eine alte Unke«, sagte Edmar lachend. »Ich

sage dir...«

Er sagte nichts mehr. Ein Pfeil schlug in seine Brust. Es

war ihm, als hätte ihn ein Blitzschlag getroffen. Seine
Brust schien zu zerreißen. Blutige Schleier wallten
plötzlich vor seinen Augen ...

background image

Er schwankte auf dem Kutschbock. Wie aus weiter Ferne hörte er
gellende Schreie und schrilles Wiehern. Verschwommen sah er
drohende Gestalten zwischen den Felsbrocken und Büschen am
Wegesrand hervorspringen. Wilde Gestalten, die mit Schwertern,
Lanzen und Pfeil und Bogen bewaffnet waren.

Edmar stürzte zu Boden. Er glaubte, Ludwigs Stimme in dem

Durcheinander von Geräuschen zu erkennen.

»Gnade, wir sind nur Holzfäller und ...« Die Stimme ging in ein

Röcheln über.

Jemand lachte dicht neben Edmar, der wie gelähmt am Boden lag

und in dessen Brust die Schmerzen tobten.

»Wir wissen genau, was ihr befördert«, sagte eine rauhe Stimme.

»Los, Jungs, holen wir uns die Waffen!«

Verrat! dachte Edmar noch. Dann wurde es totenstill um ihn, und

er dachte nichts mehr.

*

Angespannt lauschten die Ritter im Tafelsaal von Schloß Camelot
König Artus' ernsten Worten.

Als der König seine Ansprache beendet hatte, herrschte

Betroffenheit, ja Fassungslosigkeit.

Ein geheimer Transport war überfallen worden. Als Holzfäller

verkleidete Männer des Königs waren von einer Räuberhorde
allesamt niedergemacht worden. Die Waffen, die von einem
Verwandten des Königs in Verona dringend benötigt wurden, waren
erbeutet worden: Armbrüste, Lanzen und Schwerter, mit denen man
eine kleine Streitmacht ausrüsten konnte. Auch Rüstungen waren den
Räubern in die Hände gefallen.

König Artus hatte anklingen lassen, daß die Räuber genau gewußt

hatten, welchen Weg die vermeintlichen Holzfäller nahmen und
welche Beute zu machen war.

Einen Augenblick lang herrschte angespannte Stille im Tafelsaal.

Dann setzte aufgeregtes Stimmengewirr ein.

background image

Schließlich verschaffte sich Markus von Hohenstein, ein

graubärtiger Ritter, Gehör.

»Ihr meint, es sei Verrat im Spiel?« fragte er mit schwerer Stimme,

und seine grünen Augen blickten verständnislos. König Artus nickte
leicht. »Ungeheuerlich!« rief Dietleib von Auerswald und sprach
damit aus, was wohl alle Versammelten dachten.

Dietleib war ein großer, schlanker Ritter mit einem schmalen, stets

etwas rötlichem Gesicht, das zumeist verkniffen und griesgrämig
wirkte.

»Wer war in die Geheimaktion eingeweiht?« fragte Dietleib und

wischte sich mit fahriger Hand über die Stirn.

»Nun, zunächst einmal die hier Versammelten« , erwiderte König

Artus.

Betretenes Schweigen. Dann Worte der Entrüstung darüber, daß

dieser Kreis in Verdacht geraten könne.

Eine knappe Handbewegung des Königs, und es herrschte sofort

wieder Stille.

»Außerdem die Fahrer der Wagen«, fuhr König Artus fort.
»Da könnte die undichte Stelle sein«, rief Dietleib von Auerswald

erregt. »Wir sollten ...«

König Artus unterbrach ihn. »Wir sollten unseren Verstand

gebrauchen, bevor wir vorschnelle Schlüsse ziehen«, sagte er
freundlich, doch bestimmt.

Dietleib war etwas vorlaut und von sich eingenommen, doch nicht

dumm. Er verstand die Zurechtweisung. Sein Gesicht rötete sich
noch mehr.

Einige der anderen Ritter versuchten, ein schadenfrohes Lächeln zu

verbergen. Dietleib war ob seiner anmaßenden Art nicht besonders
beliebt in dieser Runde. »Die Fahrer der Wagen waren altgediente,
von mir sorgfältig ausgewählte Getreue, die über jeden Verdacht
erhaben waren«, fuhr König Artus fort.

Wieder entstand betretenes Schweigen.
»Außerdem sind alle umgebracht worden«, sagte Markus von

Hohenstein schließlich und kratzte sich am grauen Bart. »Das

background image

schließt zwar nicht Verrat aus, doch es spricht auch nicht gerade
dafür.«

»Vielleicht wollten sich die Räuber den Mitwisser vom Hälse

schaffen«, sagte Dietleib von Auerswald und blickte beifallheischend
in die Runde. Einige nickten zustimmend, denn diese Folgerung war
nicht so einfach abzutun.

»Aber wir haben doch gehört, daß es gute Männer waren, die nicht

als Verräter in Betracht kommen«, ereiferte sich Markus von
Hohenstein.

»Gewiß, gewiß«, beeilte sich Dietleib zu beteuern, denn er wollte

nicht, daß der Eindruck entstand, er wolle König Artus' Urteilskraft
in Frage stellen. »Aber wer sonst könnte den Verrat begangen haben,
wenn nur die ausgewählten Männer und wir von dem geheimen
Transport wußten und der Überfall nicht von irgendwelchen
Wegelagerern begangen wurde, die zufällig unerwartete Beute
machten?«

Die Mienen der Versammelten verrieten Ratlosigkeit.
»Es wußte noch jemand von dem Plan«, sagte König Artus.
Überrascht richteten sich aller Blicke auf ihn.
Der König legte eine Pause ein, als wolle er die Spannung steigern.

Er legte die Hände pyramidenförmig gegeneinander und sah einen
nach dem anderen in der Runde an. Keiner wich seinem Blick aus.

»Ritter Roland«, sagte der König dann.
»Ha!« stieß Dietleib hervor, und dieser hämische Ausruf sagte

mehr als alle Worte.

Die meisten der Ritter wußten, daß Dietleib von Auerswald einen

tiefen Groll gegen Ritter Roland hegte, ja fast schon Haß.

Ritter Roland hatte das Herz einer jungen verwitweten Gräfin

erobert, auf die sich Dietleib Hoffnung gemacht hatte. Roland wußte
nichts von der vorherigen Verbindung der beiden, und im Grunde
hatte die sinnenfreudige Gräfin den ersten Schritt getan und Roland
bei einer Feier auf Camelot schöne Augen gemacht.

Doch Dietleib fühlte sich von Roland ausgestochen.
König Artus war nichts von der Rivalität zwischen den beiden

background image

Rittern zu Ohren gekommen, und seine Augenbrauen hoben sich
befremdet.

»Wie soll ich dieses >ha!< verstehen?«
Dietleib lächelte überheblich.
»Nun, ich könnte mir denken, daß dieser Ritter Roland ...« Er legte

eine bedeutungsschwere Pause ein, und als er eine gewisse Unmut in
König' Artus Miene zu erkennen glaubte, fuhr er anders fort als
beabsichtigt, »... zumindest nicht aus dem Kreis der Verdächtigen
auszuschließen ist.«

»Unerhört!« rief Harald von Uhlenbruch, ein älterer Ritter, der mit

Roland in väterlicher Freundschaft verbunden war. »Hier werden aus
persönlicher Feindschaft haltlose Verdächtigungen vorgebracht.«

»Wo ist er denn, der tolle Roland?« fragte Dietleib spöttisch und

funkelte Harald von Uhlenbruch angriffslustig an. »Ist er zu feige,
sich unseren Fragen zu stellen?«

Um Beifall heischend, blickte Dietleib in die Runde.
Harald von Uhlenbruchs Schnurrbart sträubte sich. Auch andere

Ritter blickten empört drein. Doch einige hielten Dietleibs Frage
offensichtlich für berechtigt und sahen fragend zu König Artus.

»Ritter Roland ist in meinem Auftrag unterwegs«, sagte der König

mit kühler Stimme, ohne jedoch Dietleib zurechtzuweisen oder
Roland betont in Schutz zu nehmen. »Wenn seine Ermittlungn
erfolgreich verlaufen, werden wir wissen, wer der Verräter ist.«

Die ruhig gesprochenen Worte schlugen wie ein Donnerschlag ein.
Wiederum setzte aufgeregtes Stimmengewirr ein, bis König Artus

mit einer leichten Geste Schweigen gebot.

»Eine Erklärung ist angezeigt«, sagte er in die erwartungsvolle

Stille. »Einer der Wagenfahrer war nicht gleich tot. Er erwachte aus
seiner Bewußtlosigkeit, als sich die Räuber davon überzeugten, daß
unter den Holzstämmen die Waffen und das Rüstzeug versteckt
waren. Er hörte, was die Räuber sprachen. Daraus ging eindeutig
hervor, daß sie von einem Verräter auf Camelot Hinweise bekommen
hatten. Und es fiel auch der Name des Verräters.«

Wieder sah er einen nach dem anderen an. Alle blickten gespannt.

background image

Keiner wich seinem Blick aus, »Die Räuber hielten den Mann wohl
für tot und ließen ihn liegen. Er wurde sterbend von einer Frau
gefunden. Ihr hat er gesagt, was er gehört hat, und diese Dame hat
bei einem Polizisten in Schönau ausgesagt. Über Umwege erreichte
mich dann die Nachricht aus dem Bayernlande per Kurier. Ritter
Roland weilte dort unten, um den Transport zu übernehmen und
weiterzuführen. Ich informierte ihn per Kurier über den Überfall und
gab ihm den Auftrag, mit dem Polizisten und der Dame zu sprechen.
Der Polizist konnte sich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern, die
ihm die aufgeregte Dame berichtete. Ein kleiner Polizist in einem
verträumten Ort. Der Mann maß der Aussage der Zeugin keine große
Bedeutung bei. Ritter Roland wird ihn und die Frau nach den
Einzelheiten befragen.«

König Artus legte eine Pause ein und verschränkte die Hände.
Dietleib von Auerswald öffnete den Mund, um etwas zu sagen,

schwieg dann jedoch.

»Ich erwarte Ritter Roland für morgen abend zurück«, fuhr der

König fort. »Und mit großer Wahrscheinlichkeit werden wir dann
wissen, wer der Verräter ist.«

*

Der Polizist von Schönau schnarchte.

Ritter Roland klopfte noch einmal von innen gegen die Tür. Das

Schnarchen wechselte die Tonart, doch sonst tat sich nichts. Rolands
Blick glitt durch den kleinen, schmucklosen Raum. Fliegen summten
um ein angebissenes Käsebrot, das neben den Stiefelspitzen des
Polizisten auf einem Stapel von Papieren lag. Zuerst dachte Roland,
es sei Kümmelkäse, wegen der vielen schwarzen Punkte. Doch bei
genauerem Hinsehen stellte er fest, daß das Käsebrot voller Fliegen
war.

Es war heller Nachmittag, und in den Sonnenstrahlen, die durch

die beiden kleinen Fenster in den Raum fielen, tanzten unzählige
Staubkörnchen.

background image

Roland schritt zu dem Schläfer.
»Guten Tag!«
Das Schnarchen verstummte, doch der Mann schlief weiter.
Ritter Roland hätte dem Polizisten glatt das Schwert wegnehmen

können.

Roland schüttelte leicht den Kopf, als das Schnarchen wieder

einsetzte.

Er neigte sich an das linke abstehende Ohr des Schläfers und

brüllte:

»Überfall!«
Der Mann sprang auf wie von einer Tarantel gestochen. Er riß die

Augen auf, starrte Roland an, als sei er ein Geist und stammelte:
»Gggnade!«

Roland lächelte.
»Keine Angst, du unerschrockener Kämpfer für Ordnung und

Recht. Ich suchte nur nach einer Möglichkeit, dich zu wecken. Bist
du Blasius Schulze?«

Die wäßrigen Augen blinzelten. »So ist es. Blasius Schulze.«
Er begriff wohl, daß von dem Fremden tatsächlich keine Gefahr

drohte, und seine Haltung straffte sich. Sein spitzes Kinn ruckte
trotzig vor, und seine bläulichgrauen Augen verloren den schläfrigen
Ausdruck.

»Und wer bist du?« fragte er ärgerlich. »Was maßt du dir an, mich

bei der Vesper zu stören, du nichtsnutziger Hunds ...«

»Ich bin Ritter Roland.«
Die wäßrigen Augen wurden groß. Der Mund klaffte auf.
»Oh, verzeiht, Ritter Roland. Ich wußte ja nicht ... ich habe Euch

schon erwartet. Ein Bote des Königs ...«

»Ich weiß«, unterbrach Roland.
Der schläfrige Polizist verwandelte sich verblüffend. Er wieselte

um den Schreibtisch herum, putzte mit einer Hand Staub von einem
Stuhl und rückte ihn für Roland zurecht. Dann nahm er Haltung an
und sagte dienstbeflissen: »Blasius Schulze, königstreu und
pflichtbewußt. Stehe ganz zu Diensten, Ritter!«

background image

Roland setzte sich. Als Blasius Schulze stramm stehenblieb,

forderte Roland ihn mit einem Wink auf, ebenfalls wieder Platz zu
nehmen und riet ihm, sich zu entspannen.

Das nahm Blasius wohl recht wörtlich. Er setzte sich und blickte

zu seinem Käsebrot. Dann zwinkerte er Roland, den er gerade noch
sehr unterwürfig behandelt hatte, zu wie ein Zechkumpan dem
anderen und legte einen Finger auf die Lippen.

Roland konnte sich keinen Reim auf das absonderliche Verhalten

des Mannes machen.

»Kommen wir zur Sache ...« begann er.
»Pst! Nicht bewegen!« flüsterte Blasius Schulze.
Er rollte ein Stück Papier zusammen und halte langsam damit aus.
Klatsch!
Die Papierkeule knallte auf das Käsebrot.
»Erwischt!« jubelte Blasius. Er hob die Papierkeule langsam an

und lugte auf die Beute. Drei Fliegenleichen garnierten das
angebissene Käsebrot. Es waren ältere Stubenfliegen gewesen, die
nicht mehr so flink der Attacke hatten entgehen können wie die
jüngeren.

»Fette Beute«, sagte Blasius erfreut, legte die befleckte

Papierkeule ab und nahm das Käsebrot. »Trotzdem 'ne ziemliche
Sauerei.«

Roland stimmte ihm zu.
»Ja, aber wir wollten zur Sache kommen.«
»Ahso, ja.«
Blasius Schulze wischte mit einer Hand die Fliegenleichen vom

Käse und biß herzhaft in die Schnitte.

»Mein Vesperbrot«, sagte er kauend und schmatzend. »Bin noch

gar nicht zum Essen gekommen. Die viele Arbeit, wißt Ihr.«

Roland wußte nur, daß ihm dieser Blasius auf den Geist ging.
Das war offenbar der Typ, der sich als unterwürfiger Diener

vorstellte, wenn er es für angebracht hielt, und der sofort
unverschämt wurde und nach der ganzen Hand griff, wenn man ihm
den kleinen Finger reichte.

background image

Roland änderte die Taktik.
»Hör mit dem Schmatzen auf und berichte mir von dem Überfall!«

fuhr er Blasius Schulze an.

Blasius verschluckte sich fast an einem Happen Käsebrot und

spielte schnell den Eifrigen.

»Nun, wie soll ich es sagen ...« begann er.
»Faß dich kurz.«
»Das war so, äh ...«
»Kürzer!«
Blasius zuckte zusammen. Dann berichtete er, zunächst knapp,

doch dann immer wortreicher, was er von einer gewissen Franziska
Hellwig erfahren hatte.

Für Roland gab es nur einen Schluß: Der geheime Waffentransport

war verraten worden, wie es König Artus in der versiegelten
Botschaft andeutete, die Roland durch Kurier erhalten hatte.

»Die Räuber erwähnten also einen Namen. Vermutlich den Namen

des Mannes, der ihnen Hinweise auf den Transport gab. Was sagte
diese Dame, als sie den Überfall meldete?«

»Franziska? Die braucht Ihr nicht Dame zu nennen. Das ist nur

eine Maid von der Alm. Und was für eine!« Er zwinkerte Roland
vertraulich zu, und seine Miene nahm einen verzückten Ausdruck an.

»Was sagte sie?« drängte Roland, den es herzlich wenig

interessierte, was diese Franziska für eine Maid war.

»Was sie sagte? Nun, sie war sehr aufgeregt. Überfall, Überfall!

sagte sie. Und dann erzählte sie, daß sie auf dem Weg zur Alm einen
sterbenden Mann gefunden hätte, der ihr noch etwas anvertraut
hätte.«

»Was?« fragte Roland, der Blasius die Antworten am liebsten aus

der Knollennase gedreht hätte.

»Nun, etwas von >geheim< und >Verrat< und >Mörder<.«
»Und den Namen?«
»Ach ja ... wartet ... sie sagte doch soviel! Etwas von Leib ...« Er

kratzte sich am Kinn und schien zu überlegen.

»Leibniz, Leibfried, Leib ...?« Roland fielen im Augenblick keine

background image

weiteren Namen mit Leib ein. Er überlegte, ob eine der in Frage
kommenden Personen so ähnlich hieß.

Blasius schüttelte den Kopf.
»Genau weiß ich es nicht mehr. Vor allem, weil sie auch noch

einen anderen Namen nannte. Ich glaube ... Diet ... Dietmar?«

Er scheuchte eine Fliege von seinem Kinn.
»Oder Dietrich?« überlegte er. »Vielleicht auch Dieter. Ja, ich

glaube Dieter im Ohr zu haben. Vielleicht ... Leibdieter?«

»Dietleib!« entfuhr es Roland.

*

Blasius Schulze blickte verdutzt. Dann schlug er sich vor die Stirn,
als wolle er eine Fliege totschlagen.

»Natürlich! Daß ich nicht gleich darauf gekommen bin. Das muß

es sein!«

Roland wollte es noch nicht recht glauben. Es gab einen Dietleib

unter dem kleinen Kreis der Personen, die von dem Geheimtransport
gewußt hatten:

Dietleib von Auerswald.
Roland glaubte das überhebliche Lächeln des Ritters zu sehen.

Dietleib zählte nicht zu seinen Freunden. Schon mehrmals war er mit
dem Mann zusammengerasselt. Das letzte Mal bei einer Feier auf
Camelot wegen einer Dame ...

Und es gab einige Punkte, die Ritter Roland nachdenklich

stimmten:

Dietleib war erst seit kurzer Zeit auf Camelot. König Artus hatte

ihn auf Empfehlung eines Verwandten in seine Dienste genommen.
Man erzählte hinter vorgehaltener Hand, daß Dietleib von Auerswald
einen lockeren Lebenswandel führe. Wie ein eitler Gockel gebärdete
er sich bei den Hofdamen. Er drang zwar selbst mit Vorliebe in
andere Reviere ein, tobte aber vor Eifersucht, wenn ihm jemand in
die Quere kam.

Alles in allem nicht der Sympathischste ...

background image

Roland verdrängte den Gedanken. Er wollte sich nicht von

Vorurteilen leiten lassen.

»Ihr wißt, wer dieser Haderlump ist?« fragte Blasius Schulze

neugierig.

»Vielleicht«, antwortete Ritter Roland ausweichend.
Er stellte noch einige Fragen, doch sie ergaben nichts mehr.
Es blieb bei Dietleib.
»Ist diese Franziska Hellwig vertrauenswürdig?« fragte Roland

nachdenklich.

»Franziska? Gewiß.« Blasius Schulze grinste schwärmerisch. »Das

ist eine prächtige Maid, die das Herz und alles sonst auf dem
richtigen Fleck hat.«

»Und wo finde ich sie?«
»Ihr wollt zu ihr rauf?«
Blasius Schulze grinste unverschämt, wie Roland fand.
»Nun, das ist ein beschwerlicher Weg«, fuhr der Polizist fort.

»Aber es lohnt sich. Sie lebt dort ganz allein.« Er zwinkerte Roland
zu, wie ein Schwerenöter dem anderen. »Ihr müßt nur auf der Hut
sein. Sie hat einen bissigen Köter. Soll ich Euch zum Schutz
begleiten?«

Das fehlte noch, daß ihm dieser Fliegenfänger Schutz anbot.
»Ich kann auf mich aufpassen«, sagte der Ritter mit dem

Löwenherzen grollend und wandte sich zur Tür.

»Das haben andere auch schon gesagt«, rief ihm Blasius Schulze

nach.

Roland schloß die Tür hinter sich etwas heftiger als es sonst seine

Art war.

Blasius Schulze war ihm mit seinem Geschwätz auf die Nerven

gegangen.

Roland fiel ein, daß er vergessen hatte, nach dem Weg zu

Franziska Hellwig zu fragen, doch er hatte keine Lust, zu Blasius
zurückzukehren und sich weitere dumme Bemerkungen anzuhören.
Gewiß war diese Franziska in Schönau bekannt und jemand anders
konnte ihm Auskunft geben.

background image

Roland ging zum Stall, wo er seinen Hengst in der Obhut eines

Stallburschen gelassen hatte.

Den Stallburschen konnte er zunächst nicht entdecken, doch dann

sah er im Halbdunkel neben einem Strohballen ein strammes
Hinterteil, das sich ihm entgegenreckte.

Entweder suchte der Stallbursche einen verlorenen Silbergroschen

im Stroh, oder er pennte wie der Polizist, dann allerdings in
absonderlicher Stellung.

Ritter Roland war nicht besonders gut gelaunt, und so gab er dem

Stallburschen einen Klaps auf den strammen Hintern.

Im Stroh regte es sich. Das Gesäß ruckte höher, die Gestalt richtete

sich auf und fuhr zu Roland herum.

Roland blickte verdutzt.
Es war eine Maid. Sie trug zwar derbe Männerhosen, doch alles

andere war äußerst weiblich. Ihre Augen schienen Blitze durch das
Halbdunkel auf ihn abzuschießen, und unter der dünnen Bluse wogte
es heftig.

»Verzeiht, Jungfer ...« begann Roland.
»Ich bin keine Jungfer!« unterbrach sie ihn zornig.
»Dann verzeiht, meine Dame.«
»Ich bin auch nicht Eure Dame!« Sie musterte ihn von oben bis

unten und wieder zurück, und ihre Miene verlor den zornigen
Ausdruck.

»Schlagt Ihr immer Frauen?« fragte sie spöttisch.
Roland schoß das Blut in die Wangen. Welche Unterstellung!

Außerdem konnte man den Klaps kaum als Schlag bezeichnen.

»Ich hielt Euch für den Stallburschen«, erwiderte er und ärgerte

sich darüber, daß ihm keine spritzigere Bemerkung einfiel.

Die Antwort schien sie zu besänftigen. Sie musterte ihn wieder,

und er musterte sie, und es entstand ein Schweigen, das etwas
Peinliches hatte.

Sie ergriff als erste wieder das Wort.
»Was starrt Ihr so? Habt Ihr noch nie eine Stallmaid gesehen?«
»Doch, doch, ich dachte nur wegen der Hosen ...«

background image

»Mannsbilder!« sagte sie abfällig. »Alle die gleichen. Bilden sich

ein, nur sie dürften Hosen tragen - ich meine richtige. Halten
unsereins gewiß für abartig, wenn wir uns kleiden, wie es die Arbeit
erfordert.«

»Keineswegs«, sagte Roland. »Doch durch die Männerhose ließ

ich mich dazu hinreißen, Euch irrtümlich einen Klaps zu geben.«

»Ah, das bin ich gewohnt«, erwiderte sie und lachte leise.
»Ich habe eine Bitte«, sagte Roland.
Sie trat etwas näher auf ihn zu, und das Licht der Stallaterne am

Ende des Stallgangs fiel auf eine Gesichtshälfte. Es war ein hübsches
Gesicht mit großen, dunklen Augen und vollen Schmollippen, das
von blonden Locken umrahmt wurde.

»Auch das bin ich gewohnt«, sagte sie, und ihre Stimme nahm

einen dunkleren Klang an. Sie lächelte mit halb geöffneten Lippen.
»Wohlan, sagt nur, was Ihr begehrt.«

»Nun, ich wollte fragen ...«
Sie schob sich dicht an ihn, bis ihr Busen ihn fast berührte.
»Seid Ihr von schüchterner Natur?«
Sie lachte leise.
»Ihr braucht Euch keinen Zwang anzutun und könnt frei reden.

Mein Bruder, der den Stall besitzt, ist im Wirtshaus. Ich habe ganz
allein Nachtdienst, wenn Ihr versteht, was ich meine.«

Sie blickte zu dem Stroh, ob zufällig oder wohlberechnet, und

Roland glaubte längst verstanden zu haben.

»Auch ich bin im Dienst«, sagte er. »Ich wollte mein Pferd

abholen.«

»Ach so.«
Klang es ein wenig enttäuscht, oder bildete er sich das nur ein?
Roland griff in seine Tasche und holte ein Goldstück hervor. Er

reichte es ihr lächelnd.

»Ich muß dann weiter«, sagte er. »Leider ...«
Sie blickte auf das Goldstück auf ihrer Handfläche, und ihre Augen

funkelten.

»Nehmt es nur«, sagte Roland. »Für den Klaps und ...«

background image

Eine Auskunft, hatte er sagen wollen, doch er kam nicht mehr

dazu.

Sie wich einen Schritt zurück und warf ihm das Goldstück vor die

Füße.

»Ich nehme kein Geld, falls Ihr das meint«, sagte sie zornig. »So

eine bin ich nicht. Holt Euren Gaul und verschwindet.«

Roland schluckte. Diese Stallmaid, die sich so offenherzig gegeben

hatte, schien doch von komplizierterer Natur zu sein, als er gedacht
hatte.

Roland ärgerte sich ein wenig ob dieser Abfuhr, die er doch gewiß

nicht verdient hatte. Er entschloß sich, die Maid einfach zu
ignorieren. Er ging zu den Stallboxen.

Der Hengst begrüßte ihn mit einem leisen Schnauben. Roland

tätschelte ihm den Hals. Manchmal hatte er das Gefühl, sich mit dem
Roß besser zu verstehen als mit gewissen Damen.

Beim Satteln warf er einen Blick über die Schulter. Die Stallmaid

hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Sie senkte hastig den Kopf, als
er hinsah und hatte die Hände vor dem Schoß verschränkt.

Sie wirkte fast gekränkt.
Nun, dachte Roland, auch solche Damen haben ihren Stolz.

Vielleicht hat sie mich mißverstanden. Oder ich sie.

»Das Goldstück war für eine Auskunft gedacht«, sagte er. »Aber

vielleicht seid Ihr so freundlich, schöne Dame, und beantwortet mir
meine Frage auch so.«

Ihr Kopf ruckte hoch. Bei dem Kompliment schienen ihre Wangen

zu erglühen und ihr Busen zu schwellen. Aber das konnte im
Halbdunkel auch eine Täuschung sein.

»Fragt nur ...« sagte sie leise.
»Ich muß zu Franziska Hellwig«, sagte Roland. »Könnt Ihr mir

den Weg beschreiben?«

»Zu Franzi? Ach so ...«
Und jetzt war ihre Stimme voller Enttäuschung, ja nahezu

Bitterkeit.

Sie atmete tief ein und aus, daß er es sogar ein paar Schritte

background image

entfernt hören konnte.

»Nun, da braucht Ihr kein Pferd. Es geht den Berg hinauf zur

Hellwig-Alm. Der Weg ist zu steil zum Reiten. Zu Fuß kommt ihr
besser zu Franziska auf die Alm. Ihr solltet Euch sputen, wenn Ihr
noch bis zur Dunkelheit auf ihr sein wollt.« Und etwas spitz fügte sie
hinzu:

»Gewiß wird Franzi schon sehnsüchtig auf Euch warten.«
Roland schüttelte den Kopf und sattelte wieder ab.
»Sie weiß gar nicht, daß ich komme.«
»Nicht?«
»Ja, mein Besuch wird sie überraschen.«
»Die läßt sich nicht so leicht überraschen«, sagte die Stallmaid.

»Die weiß besser als unsereine, was sie will.«

Erst Andeutungen von Blasius und nun von der Stallmaid.

Allmählich begann Ritter Roland auf diese Franziska Hellwig
neugierig zu werden.

Er kehrte zu der Stalldame zurück und fragte lächelnd:
»Beschreibt Ihr mir den Weg?«
»Ihr wart noch nie bei ihr droben?«
»Nein, ich kenne sie gar nicht.«
»Gewiß hat man sie Euch empfohlen?«
Roland konnte sich keinen Reim auf all diese seltsamen

Anspielungen machen.

»Ich habe dienstlich mit ihr zu reden«, sagte er ein wenig schroffer

als beabsichtigt. »Beschreibt mir den Weg.«

Das tat sie dann. Roland seufzte. Ein beschwerlicher Aufstieg bis

zur Alm. Dann der Abstieg. Das konnte spät werden. Er mußte sich
beeilen.

Er bedankte sich bei der Stalldame und begab sich auf den Weg.
»Sie hat einen bissigen Hund!« rief ihm die Maid noch nach, als er

den Flügel des Stalltores hinter sich zuzog.

*

background image

Es dunkelte, als Roland zur Almhütte gelangte. Gelber Lichtschein
fiel aus dem Fenster der Hütte, die von zwei Schuppen flankiert
wurde.

Kuhglocken läuteten in der Ferne, und Muhen begrüßte Roland auf

dem Weg.

Als er sich der Hütte näherte, schlug ein Hund an.
Ritter Roland dachte an die zweimalige Warnung. Damit es keine

Mißverständnisse gab, wenn ein Fremder im Dunkeln auf die Alm
schlich, kündigte er sein Kommen an.

»Hallo, ist da jemand?«
Das Echo des Rufes verhallte. Roland roch den würzigen Duft von

Gras, Blumen und Kühen. Er atmete tief ein, und sein Blick tastete
über die Hänge der anderen Berge. Der Mond ging auf, und die
ersten Sterne funkelten am Himmelszelt.

Es war schön in den Bergen.
Dann erinnerte er sich an den Auftrag und schritt schneller aus. Er

mußte sich sputen, wenn er noch vor Mitternacht wieder unten in
Schönau sein wollte.

Die Tür der Almhütte ging auf, und im gelben Schein einer Lampe

zeichnete sich die Silhouette einer Frau ab.

Eine wohlgeformte Gestalt, vom Licht umschmeichelt.
Etwas kleines Schwarzes huschte am Saum des langen Kleides

vorbei aus der Hütte, und am hellen Kläffen erkannte Roland, daß es
ein Hund sein mußte, der den Hang hinab förmlich auf ihn zu flog.

Ein kleiner Bursche, kaum größer als eine Katze, und vor lauter

Haaren war kaum zu erkennen, wo hinten und wo vorne war.

Das Wuschelhündchen war heran. Es tollte um Ritter Rolands

Beine, und aus dem hellen Kläffen wurde ein Winseln. Dazu wedelte
das Hündchen mit dem Schwanz, wie jetzt zu erkennen war.

Roland mußte lächeln.
Dieser süße Kleine sollte ein bissiger Hund sein!
Da hatte man ihm weiß Gott einen Bären aufgebunden!
Er war noch etwa zehn Schritte von der Frau entfernt, die ihm

stumm entgegenblickte, als Roland eines Besseren belehrt wurde.

background image

Aus dem Dunkel neben der Hütte schnellte ein gewaltiger Schatten

und flog heran wie eine Raubkatze. Lautlos, fast gespenstisch,
bedrohlich.

Instinktiv zuckte Ritter Rolands Hand zum Schwert.
Doch der große, schwarze Hund landete zwei Schritte vor ihm,

verharrte sprungbereit mit leisem Knurren und starrte ihn mit
funkelnden Lichtern an.

»Wer bist du und was willst' du?«
Die Stimme der Frau war scharf, doch wohlklingend.
Roland ärgerte sich ein wenig über die Anrede und den Tonfall,

doch er sagte sich, daß er Verständnis dafür haben mußte.

Auf einer einsamen Alm mußte man mißtrauisch gegenüber

fremden Besuchern sein, besonders als Frau, wenn man dort ganz
allein lebte.

»Ich bin Ritter Roland und komme im Auftrag des Königs, um

Euch einige Fragen bezüglich des Überfalls zu stellen.«

»Ritter Roland!«
Es klang überrascht und irgendwie erfreut.
»Kommt herein!«
Roland setzte sich in Bewegung.
Der große Hund knurrte.
»Xaver, Leopold, seid brav!«
Damit waren zweifellos die Hunde gemeint. Der große wedelte mit

der langen Rute, und der kleine tollte spielend um Roland herum, als
er zur Hütte schritt. Der kleine haarige Bursche sprang an Roland
hoch und japste freudig.

Ritter Roland streckte aus einem Reflex heraus die Hand nach ihm

aus, um das liebe Wuschelhündchen zu streicheln.

Das hätte er besser nicht getan.
Das kleine Hündchen biß zu. Recht herzhaft. Und nach dem Biß zu

urteilen, mußten das Größte an dem haarigen Knäuel die Zähne sein.

Roland war sekundenlang vor Schreck wie betäubt. Dann

schleuderte er den Hund von sich, der versuchte, sich in seine Hand
zu verbeißen, als wollte er zu den Knochen vordringen, um sie zu

background image

knabbern.

Das bissige Haarknäuel überschlug sich mit einem winselnden

Laut. Doch sofort wollte es von neuem angreifen.

»Leopold!« rief die Frau scharf. »Nun beiß ihn doch nicht tot!«

Und mit einem leisen Lachen: »Er ist ein berühmter Ritter!«

Da zog sich der kleine Leopold zurück.
»Hat er Euch schlimm gebissen?« fragte Leopolds Frauchen

besorgt.

Roland spürte, wie Blut über seinen schmerzenden Handrücken

lief. Er bemühte sich, seinen Groll zu verbergen.

»Nicht der Rede wert«, knirschte er. »Kaum ein Mückenstich von

diesem Winzling.«

Der Kleine kläffte beleidigt aus dem Hintergrund, und der Große

knurrte drohend und wirkte wie auf dem Sprung.

Roland hatte nicht vor, sich auf einen Kampf mit Franziska

Hellwigs Kötern einzulassen. Wenn er sie verletzte, würde sie ihm
möglicherweise aus Zorn keine Auskünfte geben.

Deshalb beeilte er sich, in die Hütte zu kommen.
Franziska wich lächelnd an der Tür zurück, doch sie machte ihm

nur wenig Platz, und als er sich an ihr vorbeischob, berührte er ihren
Busen.

Das und ihr Lächeln ließen ihn schlagartig das unangenehme

Zwischenspiel vergessen.

Sie schloß die Tür hinter ihm.
Ritter Roland sah sich um. Eine gemütliche Stube, einfach, aber

liebevoll eingerichtet. Ein Feuer prasselte im Kamin. Ein Strauß roter
Rosen in einer Steinvase auf dem Tisch, Margeriten und ein bunter
Strauß in Vasen auf einer Kommode und einem Wandbrett.

Der Tisch war zum Abendessen gedeckt. Nur für eine Person. Sie

lebte wohl tatsächlich nur mit ihren Hunden hier oben auf der Alm.

Roland wandte sich um.
Er sah sich Franziska genauer an. Eine atemberaubend schöne

Frau. Das schwarze Leinenkleid war am tiefen, viereckigen
Ausschnitt mit schmaler weißer Spitze verziert. Es gewährte einen

background image

tiefen Einblick auf samten gebräunte Haut. Das Kleid umspannte eng
ihren Oberkörper und fiel an der schlanken Taille ein wenig
glockenförmig hinab bis zu den Knöcheln ihrer nackten Füße.

Ihr Gesicht wurde von großen schwarzen Augen beherrscht. Die

schwellenden roten Lippen waren zu einem Lächeln verzogen. Ihr
glattes, schwarzes Haar, das bis auf die Schultern fiel, glänzte im
Schein der Lampe und des Kaminfeuers. Ihre Züge und ihre Haltung
hatten etwas Stolzes.

Welch eine Frau!
»Zufrieden?« sagte sie lächelnd, und es klang keineswegs wie eine

Frage, sondern wie eine Feststellung.

Sie schien bewundernde Blicke von Männern gewohnt zu sein und

genau zu wissen, wie schön sie war.

»Ja - sehr«, entfuhr es Roland, und er kam sich auf einmal wegen

dieser Antwort wie ein dummer Junge vor.

Ihr leises Lachen schien ihn zu verspotten.
»Ihr gefallt mir auch«, sagte sie mit weicher Stimme. »Der

berühmte Ritter Roland! Ich hörte vieles über Euch, von Eurer
Tapferkeit und Manneskraft ...«

Roland schluckte. Sein Puls beschleunigte sich bei ihrem Lächeln.
»Und ich sah mal ein Bild von Euch. Ja, der Maler hat Euch ganz

gut getroffen. Ritter Roland, der Mann, von dem die Frauen in
einsamen Nächten träumen.«

Roland war verlegen.
»Das ist gewiß Übertreibung«, sagte er.
»Na, ich weiß nicht«, erwiderte sie mit einem dunklen Lachen und

funkelndem Blick.

Diese Frau verwirrte ihn und brachte sein Blut in Wallung.
Er mahnte sich zur Ordnung und besann sich auf seinen Auftrag.
»Verzeiht die Störung«, sagte er. »Ich konnte meinen Besuch

leider nicht anmelden. Blasius Schulze berichtete mir bereits von
Eurer Aussage. Doch ich wollte mich vergewissern und noch einige
Fragen stellen.«

»Gerne stehe ich zu Eurer Verfügung«, sagte sie mit einem Blick,

background image

der ihm unter die Haut ging. »Doch erst möchte ich Eure Verletzung
versorgen. Nicht auszudenken, wenn der berühmte Ritter Roland an
einer Blutvergiftung stirbt, die mein Leopold verursachte.«

Die schwarzen Augen funkelten spöttisch, wie Roland fand.
Sie ergriff seine Hand. Sie hatte lange, zarte Finger, und die

Berührung war sanft. Sie wirkte so gar nicht wie eine Almmaid.
Offensichtlich pflegte sie sich sehr.

Sie blickte auf den blutenden Handrücken.
»Ziemlich tief - der Mückenstich«, sagte sie.
»Ach, nicht der Rede wert«, entgegnete Roland, obwohl die Hand

brannte und schmerzte. »Ich hätte nicht versuchen sollen, den
Kleinen zu streicheln. Gewiß hat er sich erschrocken und deshalb ein
bißchen zugeschnappt.«

Franziska schüttelte den Kopf.
»Da unterschätzt Ihr meinen Leopold. Das ist ein ganz Scharfer.

Der hätte so oder so zugebissen. Er hört nicht so gut auf mich wie
Xaver. Im Vergleich zu Leopold ist Xaver lammfromm. Sein
Äußeres und sein drohendes Gebaren lassen ihn gefährlicher wirken,
aber Leopold ist der bissigere. Die beiden arbeiten immer im
Gespann. Xaver lenkt ungebetene Besucher ab, und Leopold, das
vermeintlich harmlose Schoßhündchen, beißt zu.«

»Interessant«, sagte Roland, und er war tatsächlich verblüfft.
Franziska hielt immer noch seine Hand.
»Kommt, Ritter«, sagte sie. »Ich werde die Wunde versorgen.«
Sie zog ihn mit sich und drückte ihn auf das weiche Lager beim

Kamin.

Dann ging sie mit leicht schwingenden Hüften zu einem Schrank

und holte etwas daraus hervor. Mit einem Fläschchen, einer Dose
und Verbandsstoff kehrte sie zurück. Sie war für solche Fälle
offenbar bestens ausgerüstet.

Sie setzte sich dicht neben ihn. Er spürte ihren Oberschenkel an

seinem und nahm den Duft von irgendwelchen Blüten wahr. Er
konnte nicht genau bestimmen, welche es waren, doch es duftete
sinnenbetörend.

background image

Franziska öffnete das Fläschchen.
»Es wird ein bißchen weh tun, Ritter...«
»Ihr braucht mich nicht so förmlich anzureden.«
»Nun, es wird ein bißchen brennen - Roland.«
»Ich werde es gewiß überleben«, erwiderte Roland bewußt

spöttisch, weil er sich darüber ärgerte, daß sie sich offenbar über ihn
lustig machte.

Dann preßte er die Zähne zusammen, als sie die gelblichbraune

Flüssigkeit auf die Wunde träufelte.

Es brannte, als hätte ihm jemand ein rotglühendes Eisen auf den

Handrücken gedrückt. Er glaubte es fast zischen zu hören.

»Nun noch ein wenig Pulver darauf, und alles ist im Lot«, sagte

Franziska. Mit geschickten Händen legte sie ihm dann einen Verband
an.

Er bedankte sich höflich.
Sie blieb neben ihm sitzen, und ihr Oberschenkel berührte seinen.
»Ihr lebt ganz allein hier oben?« fragte Roland, um das Gespräch

zu eröffnen.

Sie nickte.
»Ich war Tänzerin, bevor ich nach einer Enttäuschung hier in die

Einsamkeit der Berge zu meinen alten Eltern flüchtete. Sie sind vor
einiger Zeit verstorben, und ich führe das hier weiter. Ich weiß noch
nicht, wie lange, aber im Augenblick gefällt mir das Leben hier -
auch wenn ich mich manchmal sehr einsam fühle.«

»Der Ort ist nicht weit«, warf Roland ein.
»Ach, Schönau ist ein Klatschnest, und die dummen Mannsbilder

dort können mir gestohlen bleiben.«

Sie lachte leise, doch Roland entging nicht, daß es ein wenig bitter

klang.

»Die Männer wünschen mich zum Teufel, weil sie nicht so leicht

bei mir blankziehen können.«

Sie blickte ihn an, und ihre schwarzen Wimpern senkten sich.
»Oh, ich vergaß, daß Ihr ein Ritter seid, Roland. Blankziehen

nennen es die Kerle hier. In Euren Kreisen heißt es sicherlich -

background image

Damen den Hof machen.«

Roland war zu verwirrt, um eine Antwort darauf geben zu können.

Ihr Lächeln schien ihn zu verzaubern. Am liebsten hätte er sie in die
Arme genommen.

»Und die Weiber«, fuhr sie fort, »die halten mich für ein

Lotterluder, weil sie annehmen, jeder Kerl dürfte bei mir
blankziehen.«

»Und ...?« hörte sich Roland fragend sagen.
»Nicht jeder«, erwiderte sie. »Da müßte schon der richtige

kommen.«

Sie sah ihm tief in die Augen.
Sein Herz begann zu hämmern. Und er wußte nicht, wie es

geschah. Er hielt sie plötzlich in den Armen!

Ihre Lippen waren dicht vor seinen, und er spürte, wie sich ihr

Busen heftig an seiner Brust hob und senkte.

Er küßte sie.
Ihre Lippen waren weich und warm, doch sie blieben ihm

verschlossen. Sie verwehrte ihm den Kuß nicht, atmete schneller
dabei, und er glaubte ihr Herz an seiner Brust pochen zu hören. Doch
eine innere Stimme sagte ihm, daß sie den Kuß nicht erwiderte, ihn
nur geschehen ließ.

Und dann war plötzlich alles vorbei.
Die Berührung ihrer Lippen war fort, und die Frau sagte leise:
»Ihr seid gekommen, um mir Fragen zu stellen.«
Er nahm die Arme von ihr.
Wie hatte er sich so gehen lassen können!
Sie mußte ja denken, er wollte zudringlich werden, nur weil sie

allein lebte und ihn mit ihrer Schönheit erregte. Wenn er ehrlich war,
so hatte sie ihn nicht ermuntert, allenfalls mit ihrem Lächeln. Gewiß
hatte sie ihre Worte über die Kerle von Schönau eher als Wink mit
dem Zaunpfahl gemeint, daß Zurückhaltung angebracht sei.

Er stellte seine Fragen, und allmählich entwickelte sich das

Gespräch sachlicher. Ihre Miene war ernst, als sie sich daran
erinnerte, wie sie den Sterbenden gefunden hatte.

background image

»Dietleib?« Sie schüttelte den Kopf. »Das hat er nicht gesagt, und

das habe ich auch nicht bei Schulze, dieser Schlafmütze, ausgesagt.
Allenfalls, daß der Mann einen Pfeil im Leib hatte. Ich erinnere mich
genau, was er sagte. Es war nicht viel. Er sagte: Ȇberfall ... geheim
... Verrat ... und etwas von einer Frau.«

»Von einer Frau?«
»Vermutlich seine Ehefrau. Ich war natürlich aufgeregt. Ich fragte

ihn, wer was verraten und wo es einen Überfall gegeben hatte. Doch
er sagte nur noch einen Namen, der mit Diet... begann. Der Rest war
unverständlich.«

Roland nagte an der Unterlippe. Dieser verdammte Blasius

Schulze, der ihm den Namen Dietleib in den Mund gelegt hatte!

Natürlich konnte es auch Dietleib bedeuten, doch es war keinerlei

Beweis. Mit Diet... fingen nur allzu viele Namen an. Allein unter den
Personen, die von dem geheimen und getarnten Transport gewußt
hatten, gab es einen Dietherr, Dietmar und Dietrich, abgesehen von
dem Dietleib.

Er stellte noch weitere Fragen, doch es kam nichts mehr dabei

heraus.

»Seid Ihr damit zufrieden?« fragte Franziska schließlich, als ihm

keine Fragen mehr einfielen.

»Nicht ganz«, bekannte Roland in Gedanken.
»Gerne hätte ich Euch zufriedengestellt«, sagte sie leise und senkte

die langen Wimpern.

Er lauschte dem Klang ihrer Worte nach. Nein, das klang wie eine

höfliche Floskel und war nicht doppelsinnig gemeint, oder?

Er erhob sich.
»Ich danke Euch - für alles. Verzeiht, wenn ich Euch Umstände

machte.«

Ein Kuß, dachte er grimmig amüsiert, andere Umstände hab' ich

ihr ja nicht gemacht.

Täuschte er sich, oder errötete sie leicht, weil auch sie etwas in

dieser Richtung dachte?

»Ihr könnt zum Abendbrot bleiben, wenn Ihr wollt«, sagte sie.

background image

Erfreut nahm er die Einladung an.
Franziska schnitt einen Laib Roggenbrot an. Dazu gab es Schmalz,

Käse, kalten Schweinebraten und Eier. Zum Mahl kredenzte
Franziska Wein.

Sie plauderten über dies und das, vor allem über die Berge, die

Franziska so liebte, und es entwickelte sich eine vertrauliche
Atmosphäre zwischen ihnen. Roland hatte fast das Gefühl, er kenne
diese Frau schon lange Zeit. Ihm gefiel nicht nur ihre Schönheit,
sondern auch ihre Art.

Widerstrebend sagte er dann, daß er nicht länger stören wolle. Er

hoffte, sie würde widersprechen, daß von Störung keine Rede sei und
ihn zum Verweilen ermuntern. Vielleicht sogar die Nacht über ... Ein
Gedanke, der von neuem ein prickelndes Gefühl in ihm weckte.

Doch Franziska sagte nichts dergleichen.
Sie reichte ihm an der Tür die Hand zum Abschied. Sie sah ihm in

die Augen. Es war ein langer, undurchschaubarer Blick.

Schade, dachte er.
Da überraschte sie ihn.
Plötzlich schmiegte sie sich an ihn und küßte ihn. Sanft und

zärtlich!

Roland glaubte, sein Herz, das vom ersten Augenblick an für diese

Frau entflammt war, müßte vor Freude zerspringen.

Doch der Kuß währte nur kurz, viel zu kurz. Er wollte sie gerade in

die Arme schließen, da löste sie sich schon von ihm.

»Geh, Ritter«, sagte sie leise.
»Aber ...«
»Ich bitte dich - geh!«
Damit trat sie von ihm fort und öffnete die Tür.
»Xaver, Leopold!«
Sofort waren die Hunde zur Stelle. Beide knurrten. Diesmal

besonders wütend der große Xaver, und in Roland stieg der Verdacht
auf, daß Xaver nicht so harmlos war, wie Franziska gesagt hatte.
Vermutlich war er das schwere Geschütz, das aufgefahren wurde,
wenn der kleine Hund nicht ausreichte. Wahrscheinlich war Xaver

background image

auf ein bestimmtes Kommando abgerichtet, das Franziska gewiß gab,
wenn sie sich einen ungebetenen Besucher ernsthaft vom Leib halten
wollte.

Unbewußt streckte Roland noch einmal die Hand nach der schönen

Frau aus.

»Geh, Roland«, sagte sie, bevor er die richtigen Worte finden

konnte.

Beide Hunde knurrten wie zur Bekräftigung. Xaver spannte sich

zum Sprung. Der Hund hätte den Ritter mit dem Löwenherzen nicht
geschreckt, doch Franziskas Aufforderung klang endgültig.

Es war, als hätte man ihm einen köstlichen Wein gezeigt und ihn

nur einen Topfen davon nippen lassen.

Er bemühte sich, seine Enttäuschung zu verbergen.
»Auf Wiedersehen«, sagte er mit belegter Stimme.
»Auf Wiedersehen.«
Ein letzter Blick, und es war Roland, als hätte er eine schöne

Blume ansehen und nicht pflücken dürfen.

Er schalt sich einen Narren. Was hatte er erwarten können? Gar

nichts. Er hatte einen Auftrag erledigt und sich dabei in Gefühle
verstrickt, die nicht erwidert wurden. Wie hatte er nur denken
können, Franziska hätte auf ihn gewartet!

Er schritt schnell den Berghang hinunter zum Pfad, der von der

Alm ins Tal hinab nach Schönau führte.

Als er einmal zurückblickte, stand Franziska als Schatten vor dem

gelblichen Schein der Lampe in der offenen Tür. Er hob die Hand
und winkte, doch sie winkte nicht zurück.

*

Ritter Roland war denkbar schlechter Laune, als er sich auf den Weg
zum Stall begab.

Seine Ermittlungen hatten im Grunde zu nichts geführt.
Dann hatte er bei Franziska kein Glück gehabt, was ihn noch mehr

schmerzte, wenn er ehrlich war.

background image

Und als er dann müde gegen Mitternacht in Schönau eingetroffen

war, hatte er in dem einzigen Gasthof kein Zimmer bekommen.
Grinsend hatte ihm der Wirt erklärt, daß eine Reisegruppe bei ihm
nächtige. Er habe sogar seine Vorratskammer und den Baderaum als
Quartiere hergerichtet. Am besten versuche es der Herr im nächsten
Ort. Aber bis er dort sein würde, wäre die Nacht ohnehin zu Ende.

Roland war ärgerlich, müde und reizbar, als er den Stall betrat, um

sein Roß zu holen und die Nacht in Ermangelung eines Quartiers mit
Reiten zu verbringen. Am nächsten Tag konnte er dann eine längere
Rast einlegen.

»Ihr seid nicht bei Franziska geblieben?« fragte die Stallmaid und

musterte ihn überrascht.

»Nein, verdammt!« entfuhr es ihm gereizt.
Sie hob die Lampe an, als wolle sie ihn beleuchten. »Ah, Ihr seid

gebissen worden. Von ihr?« Sie lachte leise. »Ich hatte Euch
gewarnt.«

»Ja, verdammt ...«
»Ihr seid verstimmt«, stellte sie fest. »Nun, das kann ich verstehen.

Erst der mühsame Aufstieg, und dann ist es gewiß anstrengend, von
ihr wieder herunterzukommen.«

Er hatte nicht übel Lust, der Stallmaid ein paar zornige Worte zu

sagen, doch sie kam ihm zuvor.

»Schnauzt mich nicht an!« schnauzte sie, daß er verblüfft den

Mund wieder schloß.

Darin lächelte sie, und Rolands Unmut verlor sich wider Willen.

Irgendwie imponierte ihm diese Stalldame.

»Ihr habt bestimmt kein Quartier mehr gefunden«, sagte sie

ruhiger.

»So ist es.« Er sprach ebenfalls ruhiger. Die Stallmaid konnte

schließlich nichts für seinen Ärger.

»Gewiß seid Ihr deshalb so übellaunig«, sagte sie.
»Ich?« fuhr er sie von neuem gereizt an. »Übellaunig? Keine Spur!

Ich ...»Er verstummte ob ihres heiteren Lachens. Und gegen seinen
Willen hellte sich seine grimmige Miene auf, und er mußte lächeln.

background image

Wiederum fühlte er sich bemüßigt, sich zu entschuldigen. Es war
bestimmt kein Glückstag für ihn gewesen. Erst klopfte er irrtümlich
einer Dame auf den Po, dann machte er sich falsche Hoffnungen bei
Franziska und schließlich ließ er bei der falschen Dame Dampf ab.
»Verzeiht, ich wollte nicht grob sein.«

Sie nickte lächelnd. Ihr Blick war herzlich, und da schimmerte

noch etwas anderes in ihren Augen, was er nicht recht zu deuten
wußte.

»Ihr könnt im Stroh schlafen«, sagte sie. »Decken sind auch da.

Schließlich habt Ihr dafür bezahlt.«

Sie trat einen Schritt zur Seite und leuchtete mit der Lampe.

Roland folgte ihrem suchenden Blick. Das Goldstück funkelte am
Boden. Sie hatte es nicht aufgehoben.

Jetzt bückte sie sich. Dabei gewährte sie ihm einen tiefen Einblick

in ihre Bluse. Sie blickte auf, fing seinen Blick auf, und er fühlte sich
wie ein ertappter Sünder.

Sie steckte das Goldstück in die Tasche der zu weiten Männerhose.
»Ich lasse Euch die Lampe hier«, sagte sie und stellte sie am

Boden ab. »Gute Nacht.«

Damit schritt sie davon.
Er blickte ihr nach.
»Gute Nacht.«
Sie verschwand im Dunkel am Ende des Ganges zwischen den

Boxen. Dann klappte eine Tür.

Rolands Blick glitt zum Strohlager und den Decken. Es wirkte

einladend. Er gähnte und ging mit der Lampe hin. Eine Wolldecke
breitete er über dem Stroh aus, praktisch als Laken, und die zweite
diente als Überdecke. Erst legte er sich angezogen hin, doch dann
zog er sich bis auf die Unterwäsche aus.

Als er sich unter der Decke ausgestreckt hatte, schloß er die

Augen. Eine Weile beschäftigten sich seine Gedanken mit den
Ereignissen dieses Tages und der halben Nacht.

Er dachte an seinen Auftrag. Er hatte schon gehofft, mit dem

Namen Dietleib bei König Artus aufwarten zu können, doch jetzt

background image

würde er praktisch mit leeren Händen nach Camelot zurückkehren.
Mit einem »Diet...« war nicht viel anzufangen ...

Es roch gut im Stall, nach Pferd und Leder und Stroh. Er hatte

lange nicht mehr in einem Stall genächtigt. Er fühlte sich behaglich,
und die Lider fielen ihm vor Müdigkeit zu.

Er sah noch einmal Blasius Schulze vor seinem geistigen Auge.

Dann sah er die nette Stallmaid. Wie hieß sie eigentlich? Ach egal.
Am Morgen würde er Schönau verlassen und sie und Franziska
vergessen.

Franziska!
Er glaubte, sie lächeln zu sehen. Ach, es war nichts gewesen außer

einem geraubten Kuß. Und einem geschenkten! Warum nur hatte sie
ihn geküßt und dann abgewiesen?

Bei dem Gedanken übermannte ihn der Schlaf.
Er träumte von Franziska.
Sie lag nackt in seinen Armen und küßte ihn voller Zärtlichkeit!

Ihre zarte Hand tastete über seinen Körper hinab und streichelte ihn!

Er legte die Arme um sie. Er spürte weiche, warme Haut.
Sie seufzte an seiner Wange, als er ihr Streicheln erwiderte. Sie

schmiegte sich verlangend an ihn. Ihr Haar kitzelte ihn an der
Wange. Und ihre Hand, diese zärtliche Hand, weckte ein prickelndes
Gefühl in seinen Lenden.

Er drehte sich ihr mehr zu. Etwas raschelte.
Gewiß das Stroh.
Stroh? Ja, er spürte, daß er im Stroh lag.
Der Gedanke verwirrte ihn. Wie kam er mit Franziska ins Stroh?

Weshalb hatte sie ihn in den Stall mitgenommen, wenn sie doch in
der Almhütte waren?

»Franzis ...«
Ihre Lippen verschlossen ihm den Mund. Eine Weile gab er sich

ganz dem Genuß des Kusses hin.

Dann löste sie heftig atmend ihre Lippen von seinem Mund.
»Ich bin's nur, die Edeltraut«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Plötzlich war er hellwach.

background image

Er kannte die Stimme.
Es war die Stallmaid.
Sie lag an ihn geschmiegt nackt auf dem Strohlager.
Und sie hatte ihn auf recht wonnevolle Weise geweckt.
Er öffnete die Augen. Es war dunkel im Stall bis auf den

schwachen Mondschein, der durch ein Fenster hereinfiel. Vermutlich
war die Lampe ausgegangen, oder Edeltraut hatte sie gelöscht.

Er tastete nach ihr, und seine Hand berührte etwas Pralles, Rundes.
»Wieso nur?« gab er flüsternd zurück, und seine Hand konnte

kaum die pralle Rundung umfassen.

Sie lachte leise. »Ich dachte, du träumst von dieser ...«
Er fand ihre Lippen wie von selbst, und diesmal verschloß er ihr

den Mund, der so gar nicht verschlossen war.

»Du hast mir vom ersten Augenblick an gefallen«, wisperte sie

nach langer, langer Zeit außer Atem. »Da wußte ich noch nicht, daß
du ein Ritter bist.«

Ihre Zunge spielte zärtlich mit seinem Ohrläppchen.
»Und woher weißt du es jetzt?« fragte er.
»Ich habe mich bei Blasius Schulze erkundigt«, bekannte sie. »Er

hat mir alles gesagt.«

»Alles?«
»Weshalb du zu Franziska gingst. Gefiel sie dir - ich meine als

Frau?«

»Ich bin nicht auf Brautschau«, erwiderte er ausweichend.
Sie lachte leise. »Gewiß hat sie dir gefallen. Alle Männer sind

verrückt nach ihr. Gefalle ich dir auch ein bißchen?«

»Sehr.«
Er zog sie fester an sich.
»Denkst du jetzt schlecht von mir, weil ich zu dir gekommen bin

wie eine ...«

Er legte ihr einen Finger auf die Lippen.
Sie knabberte scherzhaft daran.
»Es ist das erste Mal, daß ich im Stall meinen Bruder vertrete«,

flüsterte sie.

background image

»Er feiert mit Freunden und übernachtet bei ihnen. Nicht, daß du

meinst, ich würde sonst mit einem Kunden ...«

»Das wäre mir nie in den Sinn gekommen.« Es war ein wenig

gelogen, und er fügte hinzu: »Allerdings hätte man deine Worte auch
mißdeuten können.«

»Ich wollte sehen, wie du reagierst«, sagte sie. »Den meisten

Mannsbildern sieht man das an der Nase an, was sie denken. Doch
du hast mich trotzdem wie eine Dame behandelt. Obwohl ich ein
bißchen zornig war, als du mir das Goldstück in die Hand drücktest.
Da dachte ich, er ist doch wie die anderen.«

Sie seufzte.
»Ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet«, fuhr sie fort. »Vorhin

habe ich gehofft, du würdest mehr als nur Gute Nacht sagen. Ich
kämpfte mit meinem Stolz. Er hat verloren. Ich konnte es nicht mehr
aushalten. So bin ich aufs Ganze gegangen. Jetzt schäme ich mich,
weil ich so kühn war, einen Ritter ...«

»Ein Ritter ist auch nur ein Mann«, sagte Roland und lächelte in

der Dunkelheit.

Ihre Hand glitt an seinem Körper hinab.
»Und was für einer«, hauchte sie.
Er küßte sie, und sie erwiderte den Kuß voller Glut. Heiß wallte es

in ihm auf.

»Du warst so zornig und gereizt vorhin«, flüsterte sie dann. »Und

jetzt...« Sie verstummte unter seinen Zärtlichkeiten.

Von Zorn keine Spur mehr, dachte Roland, doch gereizter denn je,

und zwar auf angenehme Weise.

»Magst du mich?« fragte sie leise.
»Das fragst du noch?« Roland zog sie auf sich.
»Oh, Roland!«
Und dann sprachen sie lange, lange nichts mehr.
Denn mit vollem Munde spricht man nicht.

*

background image

Ritter Roland dachte an Edeltraut. Es war eine Nacht im Stroh
gewesen, die ihm unvergeßlich bleiben würde. Über Edeltraut hatte
er Franziska völlig vergessen.

Er glaubte noch Edeltrauts trauriges Lächeln beim Abschied zu

sehen.

»Werden wir uns wiedersehen, Roland?«
»Ja, das werden wir.« Sein Herz hatte geantwortet, bevor er

überlegt hatte.

Da war ein glückliches Strahlen in ihren Augen gewesen, die nicht

dunkel waren, wie es im schwach beleuchteten Stall den Anschein
gehabt hatte, sondern hellbraun. Überhaupt sah Edeltraut bei
Tageslicht anders aus, viel hübscher. Zum Abschied hatte sie statt
der derben Stallburschenhose ein Kleid getragen, in dem ihre sehr
weibliche Figur viel besser zur Geltung gekommen war.

Er würde wieder zu ihr reiten, sobald wie möglich ...
Doch zuerst mußte er König Artus berichten. Der Gedanke war

ihm unbehaglich. Viel gab es nicht zu sagen. Vermutlich würde der
König enttäuscht sein.

Flüchtig dachte er daran, daß er auf Camelot seine Knappen Louis

und Pierre wiedersehen würde. Sie ruhten sich auf Camelot aus und
warteten auf seine Rückkehr. Sie waren nicht in die Geheimaktion
eingeweiht worden.

Der Hengst schnaubte und riß Roland aus seinen Gedanken.
Hufschlag trommelte heran.
Ein Reiter jagte in gestrecktem Galopp um die Wegbiegung. Der

Mann hatte es offenbar eilig, als käme er von einem langen Kreuzzug
und wollte noch rechtzeitig seine Gemahlin mit ihrem Geliebten auf
frischer Tat ertappen.

Dann erkannte Roland den Reiter, und er trieb sein Roß zum

Galopp.

»Volker!«
Es war Volker vom Hohentwiel, der Ritter und berühmte

Minnesänger, Rolands Freund.

Volkers Zähne blitzten im markanten, leicht gebräunten Gesicht,

background image

als er lachend neben Roland seinen Fuchswallach zügelte.

»Roland! Gut daß ich dich erwische!«
Roland reichte ihm voller Wiedersehensfreude die Hand.
»Wie geht's dir, alter Haderlump?« fragte Roland lachend. »Gewiß

reitest du wie der Teufel, weil du zu einer Schönen willst, die es
ebenso wenig erwarten kann wie du.«

Volker schüttelte den Kopf. Seine Miene war plötzlich ernst.
»Wie geht's?« fragte Roland. »Es ist doch alles in Ordnung?«
Besorgt musterte er den Freund.
Volker vom Hohentwiel lächelte gezwungen.
»Mir geht's gut, und alles ist soweit in Ordnung«, sagte er ernst.

»Doch dir könnte es gleich schlecht ergehen. Deshalb meine Eile.«

Roland blickte ihn überrascht an.
»Da wartet jemand auf dich«, erklärte Volker. »Nicht weit von

hier.«

»Wer?«
»Den Namen hat er mir nicht verraten«, antwortete Volker, und

jetzt grinste er schon wieder heiter.

»Und was will er?«
»Er will dich ein bißchen tot machen.«

*

Roland schluckte. Er überlegte schnell, welche Feindschaft er sich in
der letzten Zeit zugezogen haben konnte, doch es fiel ihm keiner ein,
der als Mörder in Frage kommen konnte.

»Warum?« fragte er.
Volker vom Hohentwiel zuckte mit den Schultern.
»Er handelt vermutlich im Auftrag. Der König hat kundgetan, daß

du bei deiner Rückkehr nach Camelot den Namen des Verräters
preisgeben würdest. Ist es so?«

Volker sah Roland erwartungsvoll an.
Roland schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur eine Namenssilbe.

Damit läßt sich allenfalls der Kreis der Verdächtigen einengen.«

background image

Volkers Miene verriet Enttäuschung. »Schade. Wir alle dachten,

diese Zeugin würde den Verräter entlarven. Na, jedenfalls ist jemand
äußerst nervös geworden und hat einen Mörder gedungen, der dich
abfangen soll. Du wärst ahnungslos in den Tod geritten.«

Roland begriff noch nicht ganz.
»König Artus hat kundgetan, ich wüßte ... aber warum hat er das

getan? Er kann sich doch an seinem kleinen Finger abzählen, daß er
mich damit unnötig in Gefahr bringt.«

Volker lachte. »Laß ihn das von dem kleinen Finger lieber nicht

hören. Es ist ihm klar, Roland, und deshalb hat er mir den Auftrag
gegeben, Schutzengel für dich zu spielen. Ich war bei der
Besprechung nicht dabei, doch er hat mir gesagt, daß er die anderen
absichtlich so informiert hat, daß der Verräter befürchten muß, du
könntest ihn ans Messer liefern. Seit zwei Tagen reite ich den Weg
ab, auf dem du kommen mußt, und seit heute morgen beobachte ich
einen Bogenschützen, der sich am Wegesrand versteckt, wartet und
alles für einen Todesschuß vorbereitet. Ich gehe jede Wette ein, daß
er nicht dort lauert, um ein Kaninchen zu schießen, das des Weges
hoppelt.«

»Der König hat mich als Köder benutzt, um den Verräter zu einem

Fehler zu verleiten?« Roland wollte es noch nicht glauben.

»So ist es.«
»Ziemlich riskant«, murmelte Roland.
Volker knuffte ihn freundschaftlich vor die Brust.
»Nun sei mal nicht sauer, Roland. Artus traut dir und mir einiges

zu. Wir schnappen uns den Kerl, und dann wird er uns singen, wer
sein Auftraggeber ist. Und wenn er nicht will, begleite ich ihn leise
auf der Laute.«

Roland mußte lächeln. Volker vom Hohentwiel hatte gar keine

Laute dabei.

Doch Roland wußte, wie der Freund die Worte meinte.
Volker hatte einmal leise auf der Laute gespielt. Er war einer

Räuberbande in die Klauen gefallen. Man wollte für den berühmten
Minnesänger ein Lösegeld fordern. In Gefangenschaft bat er seinen

background image

Bewacher, doch ein bißchen auf der Laute spielen zu dürfen. Der
Räuber, ein großer Musikliebhaber, willigte ein.

»Aber ganz leise, damit mein Herr nicht in seiner Hütte gestört

wird.«

Volker, seiner Fesseln ledig, nahm die Laute, zupfte ein paar leise

Akkorde und schmetterte dem Räuber dann die Laute über den
Schädel. Er entkam aus dem Räuberlager, und später wurde die
Bande gefaßt.

Seither wußten Volkers Freunde, was Volker meinte, wenn er leise

Laute spielen wollte.

»Wie packen wir den Kerl am besten?« fragte Roland.
»Ganz einfach«, erwiderte Volker grinsend. »Du wirst dich von

ihm erschießen lassen!«

*

Kastor beobachtete gelangweilt einen Tausendfüßler, der unter einem
Stein hervorgekrochen war und über seinen Köcher lief, den er neben
sich abgelegt hatte.

So'n kleines Ding soll tausend Füße haben? dachte er. Lachhaft! Er

schätzte höchstens drei mal zehn Füße.

Er grübelte eine Weile darüber nach, ob ihm der Pfarrer, zu dem

ihn damals seine Eltern in die Schule geschickt hatten, etwas über
Tausendfüßler erzählt hatte. Nein, er konnte sich nicht erinnern.
Vielleicht hätte er doch regelmäßiger den Unterricht besuchen sollen,
anstatt mit einer kleinen Bande von Freunden Obst und Hühner zu
klauen und Leute aus dem Hinterhalt mit Steinschleudern und
selbstgebastelten Pfeilen zu beschießen. Nun, das war gewiß ein
gutes Training für spätere Zeiten gewesen, sozusagen die
Grundausbildung für einen gestandenen Räuber, doch manchmal
bereute Kastor doch, nicht richtig Lesen und Schreiben gelernt zu
haben.

Und vor allem hatte er nichts über Tausendfüßler erfahren.
Neugierig neigte sich Kastor vor und versuchte, die Füße zu

background image

zählen. Das Ding bewegte sich, und Kastor kam mit dem Zählen
nicht zurecht.

Das war auch etwas, das er nie ganz begriffen hatte. Bis zehn ging

es wie geschmiert, und dann kam das große Rätselraten. Er hatte sich
angewöhnt, immer in Zehnern zu rechnen. Das hatte ihm nicht mal
der Pfarrer beigebracht. Das hatte er von klein auf selbst
herausgefunden, und ein größerer Junge, der Anführer der kleinen
Bande, hatte gar die Zahlen dafür gewußt, weswegen ihn alle
bewundert hatten. Zehn geklaute Äpfel waren gut durch fünf zu
teilen, jeder bekam zwei. Nur einmal hatte es ein Problem gegeben,
als sie nur zu dritt gewesen waren und zehn Hühnereier beim Bauern
Hartmann geklaut hatten. Sie waren in Streit geraten, weil sich die
Eier nicht aufteilen ließen.

Der kleine Bruno, im Kreis der kleinen Räuber Bruno der

Bettnässer genannt, war auf die pfiffige Idee verfallen, das Ei in drei
gleiche Teile zu schlagen.

Der Anführer hatte es ihm vor Wut an den Kopf geworfen, und

somit war das Problem aus der Welt gewesen.

Kastor fixierte den Tausendfüßler.
Tausend Füße? Das mußte vielmal zehn sein. Höllisch viel.
Und er kam und kam nicht über dreimal zehn hinaus.
Kastor ließ das keine Ruhe. Er wollte es genau wissen.
Er zog sein Messer aus der Lederscheide am Gürtel und drückte

mit der Schneide den Tausendfüßler platt.

Er war ein verkommener Kerl und dachte nicht daran, daß er damit

das Leben einer Kreatur auslöschte. Er verschwendete keinen
Gedanken an die Tränen und die Trauer der Angehörigen des
Tausendfüßlers.

Ja, Kastor war ein herzloser Gesell.
Er preßte die Messerklinge fest auf den Tausendfüßler, in der

Hoffnung, daß sich damit die Beine gut abspreizten und er somit
besser zählen konnte.

Neugierig zog er das Messer zurück und betrachtete sein Opfer.
Es sah ziemlich übel zugerichtet aus, und fast hatte es den

background image

Anschein, das Viech hätte ihm noch im Tode einen Streich gespielt
und die Füße unter den Leib gezogen, um sein Geheimnis mit in die
Ewigkeit zu nehmen.

Kastor schob die Messerspitze unter - die Tausendfüßlerleiche.

Dann begann er zu zählen.

Seine Vermutung bestätigte sich. Schon bei der Hälfte stellte er

fest, daß es kaum mehr als dreimal zehn Beinpaare sein konnten.

Vielleicht war es ein Jungtier gewesen? Ob die Beine erst später

nachwuchsen wie die Haare bei einem Säugling?

Kastor wurde jäh aus seinen tiefsinnigen Betrachtungen gerissen.
Hufschlag nahte von Süden.
Er spähte über den Weg.
Den Platz für den Hinterhalt hatte er ideal gewählt. Er lag

zwischen Büschen im Schatten am Wegesrand, und der Weg
verbreiterte sich an dieser Stelle und bog nach Westen ab. Er hatte
einen hervorragenden Überblick und konnte selbst nicht entdeckt
werden.

Der Reiter war noch weit genug entfernt, doch es galt, sich

vorzubereiten.

Hoffentlich war es der richtige Mann und nicht wieder ein völlig

anderer wie schon ein paarmal an diesem Tag.

Kastor wischte das Messer mit dem Tausendfüßler an einem

Grasbüschel ab und schob es in die Lederscheide.

Egal, wie viele Füße das Viech hatte. Er, Kastor, würde nach

getaner Arbeit zehn goldene Eier mehr haben, und das war wichtiger
als alle Tausendfüßler der Welt.

Mit ruhiger Hand zog er einen Pfeil aus dem Köcher und ergriff

den Bogen.

Er legte den Pfeil auf die Sehne und spannte den Bogen mal kurz

zur Probe.

Auch das hatte er in jungen Jahren gelernt, und er war stolz darauf:

Das Handwerkszeug mußte immer tadellos in Ordnung sein.

Er schätzte die Entfernung zu dem Reiter. Jetzt waren es noch etwa

zehn mal zehn Klafter. Genau auf zehn Schritt Entfernung würde der

background image

Pfeil treffen. Kastor hatte es abgemessen und einen kleinen weißen
Stein als Markierung auf den Weg gelegt, damit er nicht zu früh oder
zu spät schoß.

In solchen Dingen war Kastor äußerst sorgfältig.
Er spähte angespannt zu dem Reiter, der sich im Trab näherte.

Zufrieden lächelte er. Ja, das war das richtige Pferd und der richtige
Mann. Er hatte auch lange genug gewartet und nicht mehr gewußt,
wie er die Zeit totschlagen konnte.

Kastor warf einen Blick zu dem weißen Markierungssteinchen und

hob den Bogen mit dem Pfeil auf der Sehne. Er zielte über den
Markierungsstein hinweg auf einen Baumstamm auf der anderen
Seite des Weges, wo er in etwa der richtigen Höhe eine weiße
Markierung in den Stamm geritzt hatte. Der Reiter würde ihm genau
die Brust zuwenden, und dann brauchte er die Zielrichtung nur noch
ein wenig anzupassen.

Der Reiter hielt jetzt den Kopf gesenkt. Er hatte einen langen Ritt

hinter sich und war gewiß ebenso müde wie sein Roß.

Gleich kann er ausschlafen, dachte Kastor, und zwar für immer.
Noch etwa zehn Klafter bis zum Markierungsstein.
Kastor konzentrierte sich.
Dann war es soweit.
Er sah das blaugraue Wams des Reiters, das im Schein der

Nachmittagssonne rötlich schimmerte, und korrigierte ein wenig
Pfeil und Bogen.

Jetzt!
Er schoß den Pfeil ab.
Genau ins Herz. Perfekt.
Der Reiter zuckte zusammen und stürzte blitzartig aus dem Sattel.

Das Pferd fiel in Galopp und jagte weiter, als befürchte es, auch von
einem Pfeil getroffen zu werden.

Der Reiter überschlug sich mehrmals im Staub, rollte weiter und

landete fast am anderen Wegesrand.

Kastor nickte zufrieden vor sich hin. Der Ritter und damit der

Auftrag war erledigt.

background image

Er konnte schon den zweiten Teil der goldenen Eier abholen.
Plötzlich weiteten sich Kastors Augen vor Entsetzen.
Der vermeintlich Tote sprang auf und warf sich in Deckung der

Büsche!

Das konnte doch nicht wahr sein! Er hätte jeden Eid geschworen,

daß er genau getroffen hatte.

Sein Blick zuckte über den Weg. Sein Mund klaffte auf. Der Pfeil

lag nur ein Stück vom Markierungssteinchen entfernt auf dem Weg.
Er mußte förmlich vom Herz des Ritters abgeprallt sein!

*

Das war natürlich eine irrige Annahme. Man nannte Roland zwar den
Ritter mit dem Löwenherzen, doch auch Löwenherzen sind
verwundbar. Es sei denn, sie sind durch einen Panzer geschützt.

Löwen verfügen selten über solche Möglichkeiten, um ihr Leben

zu verlängern, doch für Ritter Roland hatte König Artus, der ihn ja
bewußt in diese heikle Situation gebracht hatte, keine Mühen
gescheut, um Rolands Leben zu erhalten.

Volker vom Hohentwiel hatte einen Brustpanzer und ein Wams

mitgebracht, und beides hatte Ritter Roland statt des leichten
Kettenhemdes angezogen. Dazu diente ein spezieller Hut zu seinem
Schutz, in den Eisen eingearbeitet war, so daß bei gesenktem Kopf
der Pfeil abprallen mußte.

Doch wahrscheinlicher war, daß ein Heckenschütze das größere

Ziel wählte - die Brust.

Roland hatte nur einen leichten Anprall gespürt und sofort

gehandelt. Er hatte ja von Volker erfahren, daß der heimtückische
Schütze bei der Wegbiegung lauerte, und sich darauf eingerichtet.

Roland war heilfroh, daß der Kerl nicht zuerst auf seinen

prächtigen Hengst geschossen hatte. Immerhin bestand die
Möglichkeit, daß sich der Schütze seiner Treffsicherheit nicht so
sicher war und erst das Roß als allergrößtes Ziel erledigte, um dann
den Reiter zu töten, wenn er am Boden lag. Oder daß er vermeiden

background image

wollte, daß das Opfer, falls es nicht tödlich getroffen wurde, im
Sattel blieb und mit dem Roß entkam.

Roland hatte sich aus dem Sattel geworfen, sich geschickt abgerollt

und war in Deckung gesprungen, denn er mußte mit einem weiteren
Pfeil rechnen. Brust und Kopf waren zwar geschützt, doch Roland
wollte nicht das Risiko eingehen, an weniger gut geschützten
Körperteilen getroffen zu werden. Er wußte, daß jetzt Volker zur
Stelle sein würde. Volker war vorausgeritten, um sich dann zu Fuß
anzuschleichen, damit sie den üblen Burschen in die Zange nehmen
konnten.

Roland zückte sein Schwert und spähte zwischen den Büschen

hindurch. Auf der anderen Seite des Weges sah er Bewegung und
hörte Geräusche. Zweige bewegten sich, Blätter raschelten, Schritte
waren zu vernehmen.

Roland sprang auf.
Volkers Stimme ertönte.
»Ergib dich, oder ...«
Roland hetzte über den Weg. Volker hatte den Kerl gestellt.
Ein Schrei gellte.
Roland stockte der Atem. Angst um Volker erfaßte ihn! Sollte der

Freund von dem verhinderten Mörder mit einem Trick hereingelegt
worden sein?

Der Schrei ging in ein Röcheln über.
»Roland!«
Ritter Roland atmete auf. Volkers Stimme.
»Alles in Ordnung?« rief Roland.
»Nicht ganz. Aber du kannst kommen.«
Roland eilte zwischen die Büsche. Dann verharrte er jäh.
Ein Mann lag am Boden. Ein Schwert ragte aus seiner Brust. Sein

wachsbleiches Gesicht war vor Schmerzen verzerrt. Die zitternden
Hände umkrampften das Schwert.

Blut tränkte das Wams.
Volker vom Hohentwiel stand in angespannter Haltung vor dem

Mann und hielt ein Messer in der Hand.

background image

Seine Miene war bestürzt.
»Er wollte sich nicht ergeben«, sagte Volker mit belegter Stimme.

»Er stürmte auf mich zu und holte mit dem Messer aus. Es sah
verdammt gefährlich aus. Auf ein paar Schritte Entfernung hätte er
mich gewiß nicht verfehlt. Für einen Schwerthieb war die Distanz zu
groß. So schleuderte ich mein Schwert. Ich zielte auf die Schulter,
doch er sprang zur Seite - ausgerechnet zur falschen - und so
erwischte ich ihn voll. Sein Messer zischte keine Handbreit an
meinem Ohr vorbei.«

Das schreckliche Röcheln des Mannes war leiser geworden. Sein

Kopf war zurückgesunken. Blut sickerte aus seinem Mundwinkel.

Roland kniete sich neben dem Mann nieder. Er sah bereits den

glasigen Frost des nahen Todes in den Augen des Mannes.

»Hilf...«
Kaum hörbar war der wimmernde Laut des Verbrechers. Eine

Blutblase zerplatzte vor seinem Mund.

Roland wußte, daß keine Macht der Welt dem Mann mehr helfen

konnte.

»Erleichter dein Gewissen«, sägte Ritter Roland ruhig, doch

eindringlich. »Wer hat dich beauftragt, mich aus dem Hinterhalt zu
töten?«

Die Brust des Mannes hob sich unter einem ächzenden Atemzug.

Es war ein schlimmer Anblick, denn das Schwert, das aus der Brust
ragte, hob und senkte sich mit.

»Wie heißt der Mann?« fragte Volker vom Hohentwiel drängend.
Wieder ein zitternder Atemzug, ein rasselnder Laut. Die Augen des

Mannes schienen für einen Moment klarer zu werden.

»Kein ... Mann ...«, sagte der Sterbende mit erstickter, doch

deutlich vernehmbarer Stimme.

Roland und Volker tauschten einen überraschten Blick.
»Kein Mann?« wiederholte Roland.
Die Lippen des Sterbenden zuckten. Es war, als sammele er noch

einmal Kraft.

»Frau ...«

background image

Das klang wie ein Hauch, doch Roland hatte es ebenso deutlich

verstanden wie Volker.

»Eine Frau hat dich beauftragt?« vergewisserte sich Roland.

»Welche Frau?«

Er bekam keine Antwort mehr.
Es hatte den Anschein, als wollte der Sterbende noch etwas sagen,

doch dann sank sein Kopf zur Seite.

Der Mann war tot.
Roland kannte nicht den Namen des Mannes, der ihn hatte

ermorden wollen. Er wußte nicht, daß es Kastor war, der noch vor
ein paar Minuten an seine Jugendzeit gedacht und nachgegrübelt
hatte, wie viele Beine ein Tausendfüßler tatsächlich haben mochte.

Er wußte nur, daß dieser Mann im Auftrag einer Frau gehandelt

hatte.

Im Angesicht des Todes überwand Roland seine Abscheu vor dem

verhinderten Mörder.

Er drückte dem Toten die Augen zu.
Dann blickte er zu Volker, der ebenso benommen war wie er. Und

Volker vom Hohentwiel sprach aus, was Roland dachte:

»Kein Zweifel, er hat den Mordauftrag von einer Frau erhalten!«

*

König Artus hörte sich mit ernster Miene Rolands und Volkers
Bericht an.

»Wir wollten den Kerl natürlich lebend«, sagte Volker zerknirscht,

»doch er schleuderte sein Messer, und mein Schwert traf ihn
unglücklich ...«

König Artus winkte mit einer leichten Handbewegung ab. »Ich bin

sicher, daß ihr beide euer Bestes getan habt.«

Er blickte Roland an. Roland berichtete, was er in Schönau

erfahren hatte. Während er sich bemühte, Franziskas Worte so genau
wie möglich wiederzugeben, schlug er sich plötzlich vor die Stirn.

»Frau! Auch Franziska sagte, daß der Sterbende von einer Frau

background image

gesprochen hat.«

Der König musterte Roland. »Franziska?«
»Die Zeugin«, erklärte Roland. »Ja, sie sagte, er erwähnte eine

Frau, doch sie nahm an, daß damit die Ehefrau gemeint war. Doch
offenbar haben die Räuber über diese Frau geredet, die auch der
Mann meinte, der mich töten wollte. »Dann müßte sie die Verräterin
sein«, murmelte Volker vom Hohentwiel.

König Artus schüttelte den Kopf.
»Allenfalls eine Kontaktperson, die die Hinweise des Verräters

weitergibt«, sagte er. »Schließlich habe ich keine Frau in den
geheimen Plan eingeweiht.«

Roland überlegte, welche Frauennamen mit »Diet...« in Betracht

kamen. Im Augenblick fiel ihm nur Dietlinde ein, doch er kannte
keine Dietlinde auf Camelot. Es war einfach zu wenig, was er wußte.
Vielleicht gab es auch gar keinen Zusammenhang zwischen dem
»Diet... und der Frau. »Wir sind also keinen Schritt
weitergekommen«, stellte der König fest. »Prompt fiel der Verräter
auf die Falle herein, die ich ihm stellte, und gab einen Mordauftrag.
Mit Sicherheit wissen wir jetzt nur, daß Ritter Roland mit größter
Wahrscheinlichkeit nicht zu den Verrätern gehören kann.«

Roland blinzelte. Das klang ja fast, als hätte ihn der König in den

Kreis der Verdächtigen mit einbezogen!

Der König schien Rolands Gedanken zu erraten.
»Natürlich genießt er mein volles Vertrauen, und ich hätte ihn

niemals zu den Verdächtigen gezählt«, sagte er mit einem leichten
Lächeln. »Obwohl ...«

»Obwohl?«
Roland hatte sich gerade entspannt. Jetzt war er von neuem

betroffen.

»Nun, es gab Stimmung gegen ihn. Ich hörte, er ist einer unserer

Damen zugetan, einer Gräfin, die eine recht lustige Witwe sein soll.«

Roland schoß das Blut in die Wangen. Er hatte nicht gedacht, daß

sich sein Techtelmechtel mit Katharina so schnell herumsprechen
würde.

background image

»Wir lernten uns auf der Feier näher kennen ...« begann Roland

mit einem Schulterzucken.

»Er braucht keine Erklärungen abzugeben«, sagte König Artus.

»Er wird selbst wissen, welchen - Damen er sich zuwendet. Doch er
sollte sich im klaren darüber sein, daß er sich damit Feinde schafft.«

Roland blickte verdutzt. An diese Möglichkeit hatte er gar nicht

gedacht. Überhaupt, es war nur ein kurzes Abenteuer gewesen.
Weshalb spielte der König die Sache so hoch?

»Feinde?« fragte er. »Aber wieso?«
»Nun, ich deutete an, daß diese Dame recht - lebenslustig ist,

nachdem sie schon drei verstorbene Gatten betrauert hat. Sie hält viel
von Abwechslung. Und der letzte in ihrer Gunst könnte sich leicht
den Groll all seiner Vorgänger zuziehen, wenn er versteht, was ich
damit sagen will.«

Roland verstand. Die Worte hatten ihn wie einen Schlag in die

Magengrube getroffen.

Der König deutete an, daß Katharina nicht wählerisch mit ihren

Liebschaften war! Gewiß, Roland hatte gehört, daß über sie
geklatscht wurde, doch er hatte sich keine großen Gedanken darüber
gemacht.

König Artus lächelte leicht, als er Rolands Betroffenheit bemerkte.
»Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird«, sagte er, als

wolle er Roland aufmuntern. »Ich wollte ihm nur ein wenig die
Augen öffnen, und ich bin sicher, daß er den richtigen Schluß ziehen
wird.«

Er betonte »Schluß«, und Roland hatte das Gefühl, daß der König

ihm damit nahelegen wollte, mit Katharina Schluß zu machen.

Es war ohnehin nur eine Nacht mit ihr gewesen, zwar eine äußerst

aufregende, doch Roland hatte nicht vorgehabt, eine dauerhafte
Bindung mit Katharina einzugehen. Sie war eine Frau, die einem
Mann Himmel und Hölle zugleich bereiten konnte ...

Doch jetzt regte sich Trotz in Roland. Was gingen den König seine

Privatangelegenheiten an?

»Doch ziehen wir jetzt andere Schlüsse«, fuhr König Artus fort:

background image

»Erstens, der Verräter ist nach wie vor auf Camelot zu suchen. Er
muß entlarvt werden. Zweitens, Waffen und Rüstungen müssen nach
wie vor nach Verona gebracht werden, damit sich mein Neffe gegen
die Rebellen verteidigen kann. Er steht mit dem Rücken zur Wand,
und die Zeit drängt. Er ...«

Ein Gedanke stieg in Roland auf, und es drängte ihn so sehr, ihn

auszusprechen, daß er dem König keck ins Wort fiel.

»Die andere Seite! Haben wir überhaupt daran gedacht, daß dort

der Verräter stecken könnte?«

Der König lächelte milde und schien es Roland nicht zu verübeln,

daß er ihn einfach unterbrochen hatte.

»Das habe ich in Erwägung gezogen, doch diese Möglichkeit

scheidet aus. Mein Neffe hat eine Zusicherung von mir auf sein
Hilfeersuchen bekommen, aber das ist auch schon alles. Er weiß
weder, wann das benötigte Material geliefert wird, noch auf welchem
Wege.«

Volker vom Hohentwiel wollte etwas sagen, doch jetzt schien des

Königs Geduld strapaziert zu sein.

»Laß er mich fortfahren. Wir wissen, daß der Verräter nach wie

vor seine Fäden zieht, mal dahingestellt, ob er tatsächlich den Diet ...
im Namen hat und sich einer Frau als Mittelsperson bedient. Folglich
wird der Verräter auch den nächsten Transport verraten ...«

»Er braucht ja nichts davon zu erfahren«, warf Roland ein.
Der König lächelte. »Natürlich nicht. Aber er soll davon erfahren.

Wir werden zu einer List greifen. Ihr beide werdet die einzigen sein,
die diese List in vollem Umfang kennen. Die anderen, die bisher
Eingeweihten, werden nur einen Teil des Plans erfahren, den ich
ersonnen habe und mit dem ich zwei Fliegen mit einer Klappe zu
schlagen gedenke. Nun hört gut zu.«

Das taten sie.
Der Plan war riskant, doch zugleich so raffiniert, daß er eigentlich

gelingen mußte.

Wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischenkam.

background image

*

Die anderen Ritter waren begeistert, als König Artus sie im Tafelsaal
in den vermeintlich ganzen Plan einweihte.

Ein Haupttrupp mit gerüsteter und gut bewaffneter Eskorte sollte

Camelot verlassen - der vermeintliche Waffentransport.

Zugleich sollten ein paar harmlose Holzfäller auf einem anderen

Weg gen Süden aufbrechen und Holz transportieren. Nur ein paar
Männer ohne Begleitschutz, doch auf ihren Wagen sollten die
Waffen und Rüstungen versteckt sein.

Soweit die Version, die König Artus erzählte.
Dietleib von Auerswald machte sich wieder einmal zum Sprecher

der anderen.

»Ein wahrlich geschicktes Ablenkungsmanöver«, lobte er den

König. »Die Räuber müssen annehmen, der große, gerüstete Trupp
sei der Transport, und in Wirklichkeit bringen ein paar ungeschützte
Männer die wertvolle Fracht fort. Genial. Es sei denn ...»Er
verstummte unvermittelt und nagte an der Unterlippe. »Es sei denn?«
fragte der König.

Dietleib lächelte entschuldigend.
»Es sei denn, auch diesmal wird das Geheimnis verraten.«
Er bedachte Ritter Roland mit einem finsteren Blick.
Der König winkte ab. »Ich deutete es schon kurz an. Der Verräter

ist entlarvt, dank Ritter Rolands Nachforschungen.«

Aufgeregtes Stimmengewirr setzte ein.
»Wer ist es?« rief Markus von Hohenstein, der graubärtige Ritter,

angespannt.

»Er ist nicht in diesem Kreis zu suchen«, sagte König Artus

geheimnisvoll, und keiner außer Roland und Volker wußte, daß
König Artus ein doppeltes Spiel trieb. »Die Zeugin, die Ritter Roland
aufsuchte, hat ihn jedoch genau beschrieben und seinen Namen
genannt. Wir brauchen zum geeigneten Zeitpunkt nur noch
zuzugreifen.«

Erleichterung war in der Runde zu spüren. Der Gedanke, daß ein

background image

Verräter in den eigenen Reihen sein könnte, hatte keinem behagt.

Auch Dietleib wirkte zufrieden.
Er starrte Roland an und murmelte. »Und ich dachte schon ...« Er

senkte den Blick, als Roland ihn scharf ansah.

»Es besteht also kein Risiko, daß diesmal etwas verraten wird«,

fuhr König Artus fort. Er sah Volker vom Hohentwiel an. »Die
Holzfäller, die Ritter vom Hohentwiel führen wird, werden nicht in
den Plan eingeweiht. Sie werden denken, eine Holzlieferung zu
fahren. Erst in Bayern wird die Fracht vor der Fahrt durch die Berge
vertauscht.«

Der König nannte den Ort, den Zeitpunkt und noch weitere

Einzelheiten. Er ging ja davon aus, daß dieser Plan verraten wurde
und wollte die »Holzfäller« keiner Gefahr auf dem gesamten Weg
aussetzen. Die Räuber sollten erst zuschlagen, wenn die Fracht
angeblich vertauscht war. Und dann würden sie eine große
Überraschung erleben. Statt Waffen und Rüstungen würden drei
Dutzend entschlossene Kämpfer auf den Wagen versteckt sein ...

Und die Waffen und Rüstungen würden gar nicht von den

Holzfällern, sondern von dem gut gerüsteten und bewaffneten
Haupttrupp transportiert werden ...

Davon wußten die anderen nichts, und es herrschte die einhellige

Meinung, daß der König einen raffinierten Plan erdacht hatte, was ja
auch der Fall war.

Als der König die Versammlung für beendet erklärte und sich die

Runde auflöste, schob sich Dietleib von Auerswald auf dem Gang an
Ritter Roland heran.

»Auf ein Wort noch ...«
Roland blieb stehen. Volker, an Rolands Seite, grinste wissend.
»Ich gehe schon voraus zu den Knappen, Roland«, sagte er.
Er ließ Roland und Dietleib allein.
Dietleib wirkte verlegen.
»Ich muß gestehen, daß ich einen gewissen Verdacht hegte«, sagte

er zögernd.

Roland hatte inzwischen von Harald von Uhlenbruch erfahren, daß

background image

Dietleib versucht hatte, während seiner Abwesenheit gegen ihn
Stimmung zu machen.

Er musterte Dietlieb, und er mußte wieder daran denken, daß der

Verräter, der vermutlich mit einer Frau gemeinsame Sache machte,
einen Namen mit Diet... hatte. Folglich war Dietleib, der ihm
ohnehin unsympathisch war, nicht aus dem Kreis der Verdächtigen
auszuschließen.

»Es - tut mir leid«, sagte Dietleib von Auerswald, und Roland

merkte ihm an, daß er sich die Worte abringen mußte. »Ich - möchte
mich in aller Form entschuldigen.«

Er streckte Roland die Hand hin. Dietleibs Blick war offen. Roland

spürte, daß es ehrlich gemeint war.

Er ergriff die Hand. Er war der letzte, der eine ehrlich gemeinte

Entschuldigung ausschlug.

Dietleibs Händedruck war schlaff. Das war wiederum etwas, was

Roland an dem Mann nicht leiden konnte.

Dietleib zog seine Hand schnell zurück, und sein gezwungenes

Lächeln erstarb, als hätte er eine Lampe gelöscht.

»Nun, da der Form genüge getan ist«, zischte Dietleib, »möchte ich

noch ein anderes Wörtchen mit dir reden.«

Roland maß ihn mit kühlem Blick, ohne etwas zu sagen. Er ahnte,

was kommen würde.

»Laß die Finger von Katharina, oder ...«
»Oder?« fragte Roland kalt.
»Oder wir unterhalten uns weiter.« Dietleib klopfte bezeichnend

auf sein Schwert.

Dann machte er auf dem Absatz kehrt und schritt davon.
»Ich stehe jederzeit zur Verfügung«, rief Roland ihm nach.
Er wußte inzwischen von Dietleibs Eifersucht und Feindschaft.

Harald von Uhlenbruch hatte es ihm ausführlicher gesagt als König
Artus. Es wäre Roland nicht in den Sinn gekommen, sich wegen
Katharina zu duellieren, doch sein Ritterstolz verbot es ihm, klein
beizugeben, wenn Dietleib die Sache auf die Spitze treiben wollte.

Nachdenklich schlenderte Roland weiter. Wenn er ehrlich war,

background image

mußte er sich eingestehen, daß ihn Katharina gar nicht mehr so sehr
interessierte. Gewiß, sie konnte einen Mann verrückt machen, doch
inzwischen hatte er Edeltraut kennengelernt. Edeltraut war nur eine
Maid, die ihrem Bruder gelegentlich bei der Arbeit im Stall aushalf,
doch sie war bezaubernder als alle Gräfinnen der Welt. Sie war
anders als Katharina, nicht so besitzergreifend, mehr Himmel als
Hölle, während bei Katharina die Grenzen zu zerfließen schienen ...

Doch jetzt war Katharina noch mehr zu einer Herausforderung

geworden. Wenn er sich von einem Augenblick zum anderen
zurückzog, würde man erst recht über ihn tuscheln und ihn vielleicht
gar der Feigheit bezichtigen ...

»Roland!«
Er blickte auf. Katharina tauchte am Ende des Ganges auf.
Wenn man vom Teufel spricht ... dachte er.
Sie eilte auf ihn zu und blickte ihn an, als könnte sie nicht fassen,

ihn wiederzusehen.

Ja, sie war von erregender Schönheit, eine üppige reife Frau

Anfang Dreißig, die schon so viele Erfahrungen hinter sich hatte, daß
kein Spiel ihr fremd war. Rotblondes gewelltes Haar umrahmte ein
Gesicht, das hochmütig wirkte. Doch in den Armen eines Mannes
verlor sich dieser Ausdruck. Da sprach sie auch nicht mehr so
gewählt. Dann ließ sie sich gehen, wie Roland es selten bei Frauen
erlebt hatte.

»Ich dachte nicht, dich so bald wieder zu sehen«, sagte sie mit

dunkelgetönter Stimme und spielte mit dem güldenen Medaillon, das
aufreizend im tiefen Tal zwischen den großen Brüsten ruhte. Sie trug
stets tief dekolletierte Kleider von einem französischen Schneider.

Sie duftete nach einem schweren süßlichen Parfüm, das fast etwas

Berauschendes hatte. Roland mußte an den Hauch von Blütenduft
denken, den er bei Franziska wahrgenommen hatte, und in diesem
Augenblick war ihm Katharinas Duft ein wenig aufdringlich.

Er lächelte.
»Ich beeilte mich, nach Camelot zurückzukehren«, sagte er.
Der Blick ihrer braunen Augen schien tief in seine Seele

background image

einzudringen.

Dieser Blick war es, bei dem er jedesmal das Gefühl hatte, dieser

Frau verfallen zu sein.

Sie befeuchtete leicht die sinnlichen Lippen mit der Zungenspitze.
»Gab es dort unten in Birkenau nicht etwas Passendes für den

großen Ritter?«

Diese Augen, dieses Lächeln!
Roland wurde es heiß.
»Schönau«, korrigierte er und fügte mit belegter Stimme hinzu.

»Ich war dienstlich dort und ...«

Sie lachte. »Du brauchst keine Entschuldigungen vorzubringen,

Roland. Ich bin sicher, daß schon irgendeine Dorfschöne die Dienste
des großen Ritters zu schätzen wußte.«

Roland ärgerte sich über seine Verlegenheit.
Diese Frau war eine einzige Herausforderung. Eine gefährliche

Schönheit. Ein Spiel mit dem Feuer.

»Gewiß hattest auch du inzwischen keine Langeweile«, sagte er

und freute sich über diesen Konter.

Sie lachte leise und spielte wieder mit dem Medaillon.
»Gewiß nicht. Doch irgendwie fehlte mir etwas.«
Ihr Blick lockte ihn.
»Heute nacht...« begann sie, und er wußte, daß er nicht

widerstehen konnte, selbst wenn er gewollt hätte. Manchmal hatte er
das Gefühl, sie verfüge über hypnotische Kräfte.

Sie legte eine wohlberechnete Pause ein und schien seine

Gedanken zu lesen. Es leuchtete zufrieden in den braunen Augen auf.

Sie weiß genau um ihre Macht, dachte Roland.
»Heute nacht wird der große Ritter vergebens an mein Gemach

klopfen«, sagte sie.

Roland kam sich vor wie ein dummer Junge, dem man eine

Zuckerdose hinhält und sie wegzieht, wenn er danach greifen will.

Dieses Gefühl hatte er vor kurzem auch gehabt. Richtig - nachdem

Franziska ihn geküßt und dann fortgeschickt hatte.

»Ich hatte nicht vor zu klopfen«, erwiderte er absichtlich kühl,

background image

doch seine Stimme klang belegt, und ihr Lächeln verriet ihm, daß sie
genau wußte, daß er log.

»Oh«, sagte sie spöttisch. »Und ich dachte schon, du wärst vor

Sehnsucht brennend nach Camelot zurückgekehrt.«

»Eher vor Durst brennend«, erwiderte er, und er hoffte, daß sein

Lächeln spöttisch genug ausfiel.

Sie lachte wieder.
»Mich dünkt, du hast dich ein wenig verändert.« Sie musterte ihn

prüfend. »Nun, es war natürlich ein Scherz von mir, um dich auf die
Probe zu stellen.« Sie wandte den Kopf. Zwei Ritter tauchten am
Ende des Ganges auf.

»Meine Kammer wird dir offenstehen«, flüsterte sie schnell. »Aber

komm erst nach Mitternacht.«

Noch ein verheißungsvoller Blick, der Rolands Blut in Wallung

brachte, dann schritt sie hoheitsvoll weiter.

Roland setzte ein wenig benommen seinen Weg fort. Die beiden

Ritter grinsten anzüglich, als sie ihn passierten.

Roland unterdrückte einen Fluch. Inzwischen pfiffen die Spatzen

von den Türmen des Schlosses, daß er etwas mit Katharina hatte.
Zum Teufel, er selbst hatte kein Sterbenswörtchen erzählt. Konnte
das Weib mit ihren Liebschaften nicht diskreter sein?

Roland war an diesem Abend hin- und hergerissen von Gefühlen.

Er zechte mit den Knappen, doch er war nicht recht bei der Sache.
Ständig beschäftigte ihn die Frage: Sollte er zu Katharina gehen oder
nicht?

Eine kleine Lektion konnte ihr nicht schaden, oder?
Kurz vor Mitternacht, als er sich immer noch nicht schlüssig war

und zwei Seelen in seiner Brust miteinander rangen, gesellte sich
Volker vom Hohentwiel zu ihnen. Volker trug mit allerlei Späßen
dazu bei, daß es eine heitere Runde wurde, und bei Wein, Plauderei
und Würfelspiel vergaß Roland Katharina.

Erst als er weinselig und müde im Bett lag, fiel sie ihm wieder ein.
Eine Weile spielte er mit dem lockenden Gedanken, sich wieder

anzukleiden und zu ihr zu gehen. Doch dann fielen ihm die Augen

background image

zu, und er schlief tief und fest.

Das war gewiß auch besser so.
Denn Katharina hätte Roland in dieser Nacht nicht geöffnet.
Dietleib war bei ihr.
Das hatte sie gewußt, als sie mit Roland gesprochen hatte. Doch sie

hatte Dietleib nicht vor Mitternacht weggeschickt, wie sie es zu
diesem Zeitpunkt noch vorgehabt hatte.

Das Gespräch mit Dietleib war interessanter gewesen, als sie

gedacht hatte. Dietleib wußte mit überraschenden Neuigkeiten
aufzuwarten. Und später war er dann eingeschlafen.

Katharina verzichtete darauf, ihn zu wecken.
Roland würde umsonst klopfen.
Sie wartete vergebens darauf.
Es ärgerte sie, weil sie fest davon überzeugt gewesen war, daß er

ihrer Lockung nicht widerstehen konnte. Doch dann brachte sie sein
Fernbleiben mit den Dingen in Zusammenhang, die sie von Dietleib
erfahren hatte. Und da glaubte sie zu wissen, weshalb Roland nicht
kam.

Lange lag sie wach neben dem tief schlafenden Dietleib.
Und ihr Zorn auf Roland verflog und wurde von kühlen

Überlegungen abgelöst.

Die neue Entwicklung der Dinge erforderte neue Taten. Sie

schmiedete Pläne und kam zu dem Schluß, daß sie Roland ohnehin
bald vergessen konnte.

Schade um den großen Ritter ... dachte sie noch.
Dann schlief auch sie ein.

*

Tage waren vergangen.

Die Sonne lugte über den Berghang im Osten und färbte mit ihren

rötlichen Strahlen den Morgennebel, der wie ein zartes Gespinst in
der Schlucht lag.

Ritter Rolands Blick tastete über die steil abfallenden Berghänge

background image

zur Brücke, die sich über die Schlucht spannte. Es war ein friedlicher
Anblick. Nichts wies auf Gefahr hin.

Es war auch nicht mit Gefahr zu rechnen. Roland dachte an König

Artus' Plan. Danach mußte der Verräter die Räuber auf die
vermeintlichen Holzfäller hinweisen, die angeblich die wichtige und
wertvolle Fracht beförderten. Die Falle würde zuschnappen.

Dennoch blieb Roland wachsam. Irgendwelche Räuber und

Wegelagerer, die gar nichts von dem raffinierten Spiel wußten,
konnten sich von dem Transport fette Beute erhoffen und aus dem
Hinterhalt zuschlagen ...

Roland versammelte sein Roß und warf einen Blick zurück.
Wie ein gewaltiger Wurm wand sich die Kolonne aus Wagen und

Reitern über den Bergweg hinauf zur Brücke. Helme und Rüstungen
schimmerten im Sonnenschein. Das Rumpeln der Wagenräder, der
Hufschlag und gelegentliches Peitschenknallen der Fahrer, allesamt
sorgfältig ausgesuchte Männer, hallten durch die Schlucht zu ihm
herauf.

Der Ritter mit dem Löwenherz trieb sein Roß auf die Brücke.

Dumpf pochten die Hufe über die schweren Eichenbohlen.

Tief unten in der Klamm schlängelte sich ein Bach durch die

Felsbrocken, von denen der Grund übersät war. Majestätische
Fichten, zwischen denen noch die Schatten der Nacht nisteten,
erhoben sich am gegenüberliegenden Hang.

Nichts regte sich ringsum. Kein Vogel ließ sich sehen und hören,

kein Wild floh vor der nahenden Kolonne. Die Stille hatte etwas
Beunruhigendes für Roland.

Wieder überlegte er, ob es einen Fehler in König Artus' Plan geben

konnte. Doch dann sagte er sich, daß es keinen Grund zur Sorge gab.
Sie waren zwei Dutzend bewaffneter Männer, die zu kämpfen
wußten, wenn es nötig sein sollte. Wenn Räuber auftauchten, würden
sie sich blutige Köpfe holen.

Er warf einen Blick über die Schulter. Die Wagen waren jetzt auf

der Brücke. Stimmen schallten durch die Fahrgeräusche und den
Hufschlag der vielen Rösser. Ein Pferd scheute wiehernd, und sein

background image

Reiter parierte es.

Der letzte Wagen war auf der Brücke. Die gepanzerte und mit

Lanzen und Schwerten bewehrte Nachhut folgte.

Roland war noch ein Dutzend Klafter vom anderen Ende der

Brücke entfernt, als es geschah.

Und ihm und allen Männern des Transports stockte der Atem.
Ein Bersten und Knirschen erfüllte plötzlich die Luft. Die Brücke

erzitterte. Entsetzte Schreie ertönten.

Die Brücke stürzte ein!
Und für Ritter Roland und die Männer des Transports tat sich der

Schlund der Hölle auf.

*

Louis lauschte dem Klang der Laute und der sanften volltönenden
Stimme, die aus einem der Wagen am Rande des Lagerplatzes
drangen.

Volker vom Hohentwiel, der berühmte Minnesänger, brachte schon

wieder ein Ständchen dar.

Der schwarzbärtige Knappe grinste. »Eines muß man sagen, dieser

Volker hat eine bewundernswerte Ausdauer. Die ganze Nacht war er
schon zugange, und mir scheint, er bereitet die hübsche Diethilde
schon wieder auf die Minne vor. Hör nur, wie er mit der Stimme
schmeichelt. Klingt ja fast, als streichele er verzückt an den Lauten.«

Da verstummten Lautenklang und Volkers schmeichelnde Stimme.

Ein helles, fast juchzendes Lachen erklang. Diethilde schien die
Ballade genossen zu haben.

»Jetzt streichelte er gewiß an was anderem«, fuhr Louis fort, und

seine Zähne blitzten im schwarzen Bart, als er Pierre zulächelte.

Pierre lächelte nicht. Seine Miene war äußerst betrübt.
»Was ist, Pierre?« fragte Louis. »Ist dir eine Laus über die Leber

gelaufen, oder bist du gar eifersüchtig, weil Volker die hübsche
Anhalterin mitgenommen hat?«

Pierre schüttelte leicht den Kopf. Seine Miene war mißmutig.

background image

»Ich hab' die ganze Nacht kein Auge zugetan«, erwiderte er

bekümmert.

Louis lachte leise. »Kein Wunder, wenn im Nebenwagen ein Paar

der Minne frönt. Diese Diethilde muß ein heißes Herzchen sein. Sie
sieht aus wie eine Madonna, und ich hielt sie für eine Jungfer, die
kein Wässerchen trüben kann. Aber nach allem, was ich so zwischen
Wachen und Träumen mitbekam, muß der Schein trügen. Doch
gegen sechs heute morgen müssen die beiden eingeschlafen sein. Sag
nur, da konntest du immer noch nicht pennen.«

Pierres Gesicht verzog sich schmerzlich.
»Das ist es nicht. Ich habe einen schlimmen Zahn.«
Louis musterte ihn. Erst jetzt bemerkte er, daß Pierre ein bißchen

blasser war als sonst. Und in der Tat wirkte die linke Wange noch
etwas molliger als die mollige rechte.

»Du solltest mit Kamille spülen«, riet Louis.
»Hab' ich«, sagte Pierre kläglich, »die ganze Nacht. Deshalb

konnte ich ja auch nicht schlafen.«

»Schon besser?« fragte Louis mitfühlend.
»Kein bißchen. Ich hab' das Gefühl, der Zahn sei größer als mein

Kopf, und tausend Trolle hämmerten darin herum.«

Jetzt war seine Miene der Inbegriff der Wehleidigkeit.
Louis bezweifelte, daß es so schlimm sein konnte. Er kannte

Pierre. Manchmal konnte der bei einem Wehwehchen tun, als liege
er im Sterben. Vermutlich war sein Seelenkummer der wahre Grund.
Schon seit ihrem Aufbruch von Schloß Camelot war er schweigsam
und verdrießlich gewesen, was gewiß darauf zurückzuführen war,
daß ihn die Zofe Christhilde hatte abblitzen lassen.

»Laß mal sehen«, forderte Louis ihn auf.
Pierre öffnete den Mund.
Louis musterte Pierres Beißer und konnte den Übeltäter nicht

entdecken. Allerdings war das Zahnfleisch an der linken Seite ein
wenig rot und geschwollen.

Vermutlich machte Pierre wieder aus einer Mücke einen Elefanten.
»Kein Weisheitszahn«, brummte Louis. »Na, da ist bei dir ohnehin

background image

kaum etwas zu erwarten.«

Pierres Miene wurde bei Louis' Scherzchen noch verdrossener.
»Du solltest es weiter mit Kamille versuchen«, fuhr Louis fort.

»Du wirst sehen, das wirkt Wunder.«

»Kein bißchen wirkt es«, maulte Pierre.
Louis zuckte mit den breiten Schultern. »Nun, wenn das nicht hilft,

dann müssen wir wohl oder übel zu anderen Mitteln greifen.«

»Und?« fragte Pierre mißtrauisch.
Louis klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Ich hab' eine

Zange dabei. Ich ziehe dir das Beißerchen, und zackzack tut dir kein
Zahn mehr weh.«

Das blanke Entsetzen spiegelte sich in Pierres Augen.
»Ich - ich versuch's doch lieber nochmal mit Kamille«, sagte er

hastig.

Louis grinste.
»Wie du willst. Aber du weißt, daß du auf mich als Freund immer

zählen kannst.«

Er wandte den Kopf und lauschte. Schwache Geräusche drangen

aus dem Wagen, die nur einen Schluß zuließen.

»Sie setzen zum Finale an«, sagte Louis. »Dann werde ich schon

mal die Rösser einschirren, damit wir aufbrechen können, bevor
Diethilde von neuem entflammt.«

Er erhob sich im Gras.
»Wir hätten das Holz schon längst abliefern können, wenn Volker

dieses Frauenzimmer nicht unterwegs aufgegabelt hätte«, murmelte
Pierre.

»Es eilt doch nicht«, sagte Louis, »Es ist nicht mehr weit, und wir

haben noch bis morgen abend Zeit. Du solltest dich an das Leben
eines Fuhrmannes gewöhnen. Ich kannte mal einen, der sagte: Stets
langsam fahren, in der Hölle wirst du schon früh genug garen.«

»Blöder Spruch«, sagte Pierre und betastete seine etwas molligere

Wange. »Außerdem bin ich kein Fuhrmann.«

»Zur Zeit doch«, gab Louis zurück. »Sogar Volker vom

Hohentwiel, berühmter Minnemann und Ritter, ist zu einem solchen

background image

bestimmt worden.«

»Kannst du das verstehen?« fragte Pierre. Die Knappen waren ja

nicht in den Plan eingeweiht. Ihnen würde erst ein Licht aufgehen,
wenn sie, statt das Holz abzuliefern, zwei Dutzend bewaffnete
Männer an Bord nehmen würden. Roland hatte sich zwar für seine
Knappen verbürgt, als er sie für diese Aufgabe vorgeschlagen hatte,
doch König Artus hatte abgewunken.

»Natürlich sind sie vertrauenswürdig, doch ich möchte vermeiden,

daß einer außer uns dreien den ganzen Plan kennt. Alle anderen
erfahren nur Teile, aus denen sie nur einen Schluß ziehen sollen: Daß
die Beute bei den Holzfällern zu holen ist. Die Räuber könnten sich
vergewissern wollen, und es ist besser, die Knappen erfahren erst im
letzten Augenblick einen Teil des Spiels. »Ich begreife das alles
nicht«, seufzte Pierre, als Louis auf seine Frage mit den Schultern
zuckte.

»Ich auch nicht«, erwiderte Louis. »Vielleicht hat Artus im

Augenblick schlechte Verdauung, was ihm auf den Geist schlägt,
oder er hat Krach mit seiner Alten.«

»Wie sprichst du vom König?« Pierre, der vor seiner Zeit als Ritter

Rolands Knappe Page auf Schloß Camelot gewesen war, fand Louis'
Worte reichlich respektlos.

Louis grinste. »Auch Könige sind nur Menschen. Allerdings finde

ich es nicht sehr menschlich, uns mit einer Fuhre Holz auf eine
langweilige Reise zu schicken, anstatt uns mit Ritter Roland einen
neuen abwechslungsreichen Auftrag zu geben.«

»Aber Roland hat doch gesagt, er brauchte Erholung nach dem

letzten aufregenden Fall, in dem er ganz alleine einen Verräter zur
Strecke gebracht hat.«

Louis kraulte seinen Bart.
»Wenn ich's mir recht überlege, sah er gar nicht so

erholungsbedürftig aus, eher recht tatendurstig. Nun, er wird bei
Artus den Erholungsbedürftigen vorgetäuscht haben, weil er
befürchtete, Artus könnte ihn wie Volker vom Hohentwiel zum
Holzfahrer ernennen.«

background image

»Das glaube ich nie und nimmer«, murmelte Pierre. »Ich hörte auf

Camelot, er soll eine andere wichtige Aufgabe übernehmen.«

»Dann hätte er uns mitgenommen«, widersprach Louis. »Ich

glaube eher, daß er uns für eine Weile loswerden wollte, damit er der
schönen Gräfin den Hof machen kann.«

Zum ersten Mal an diesem Morgen zeigte Pierre die Andeutung

eines Lächelns. »Katharina hat eher ihm den Hof gemacht.«

Louis lachte leise.
»Und gewiß das Bettchen dazu«, sagte er und schlenderte zu den

Pferden, die am Bach zwischen den Pappeln und Weiden
angebunden waren.

Pierre tastete besorgt seine Wange. Er hatte das Gefühl, die

Schwellung nähme von Minute zu Minute zu.

*

Ritter Roland hatte derweil andere Sorgen als seine Knappen. Einen
Augenblick lang war er wie betäubt, als die Brücke über der Schlucht
erbebte und ein Bersten und Krachen von den steilen Hängen hallte,
als stürze ein gewaltiger gefällter Baum zu Boden.

Schreie gellten. Gespannpferde wieherten, und Rösser scheuten auf

der Brücke, deren Eichenbohlen sich senkten.

»Zurück!« brüllte ein Mann der Eskorte, riß sein Pferd herum und

jagte es in Panik gegen die Gespannpferde des ersten Wagens. Das
Tier scheute zur Seite, prallte gegen das Geländer, und die Wucht des
Aufpralls war so groß, daß die hölzerne Barriere brach.

Kopfüber stürzte der Reiter aus dem Sattel und verschwand mit

einem markerschütternden Schrei in der Tiefe. Niemand sah es. Jeder
war in diesem Augenblick des Schreckens mit sich selbst beschäftigt.

Ritter Roland parierte sein scheuendes Roß. Mit einem schnellen

Blick erfaßte er, daß es kein Zurück gab.

Hinter ihm brach die Brücke in zwei Hälften. Die ersten

Eskortenreiter wurden bereits in die Tiefe gerissen, und die
Fuhrpferde des nachfolgenden Gespanns rutschten schon hinab, auf

background image

die tödliche Bresche zu.

Die Bohlen senkten sich unter der Hinterhand von Rolands Hengst.
Roland handelte verzweifelt, ohne zu überlegen. Er wußte, daß es

ums Überleben ging. Er trieb den Hengst zum Sprung, obwohl er die
Entfernung bis zum Ende der Brücke kaum schaffen konnte.

Wie von einem Katapult geschnellt, sprang das Roß. Es war ein

gewaltiger Satz, und das prächtige Tier schaffte es. Roland hatte
Mühe, beim Aufsetzen im Sattel zu bleiben. Die Rüstung behinderte
ihn, machte ihn unbeweglicher. Die Hinterhand des Hengstes
rutschte ab, und in das Gellen der Schreie und Krachen und Bersten
mischte sich das Poltern von Gestein. Der halbe Weg schien sich
unter den Hufen des Hengstes zu lösen und den Brückenbohlen in die
Tiefe zu folgen.

Noch einmal streckte sich das Roß, schnellte sich auf den rettenden

Weg.

Roland schwankte im Sattel, doch in diesem Augenblick hätte er

jubeln mögen. Nur ein Gedanke beherrschte ihn:

Geschafft!
Da verspürte er einen harten Schlag gegen die gepanzerte Brust,

und es war ihm, als fege ihn eine gigantische Faust vom Pferd.

Für einen Augenblick glaubte er noch etwas Braunes zwischen den

Fichten oberhalb des Weges wahrzunehmen, eine schnelle
Bewegung, und dann stürzte er aus dem Sattel.

Er überschlug sich in der Luft, sah für einen Moment durch die

Luft wirbelnde Reiter und Rösser und in die Tiefe stürzende
Brückenteile. Ein grauenvoller Anblick, der ihm förmlich das Blut in
den Adern erstarren ließ. Dann sah er in der Drehung den tiefen
Grund der Schlucht, gezackte Felsbrocken, auf denen er
zerschmettert werden würde. Dann war die Drehung zu Ende, und
ein Baum schien auf ihn zuzurasen und ins Riesige zu wachsen.

Aus! durchfuhr es ihn.
Er glaubte noch ein weiteres Bersten und Knacken zu hören. Etwas

Grünliches schlug ihm ins Gesicht. Dann prallte er auf.

Schlagartig hüllten ihn Finsternis und Totenstille ein.

background image

*

Diethilde lachte hell. Sie saß neben Volker vom Hohentwiel auf dem
Wagenbock, und Volker hatte ihr gerade einen Witz erzählt.

Sie war ein schlankes, doch an den richtigen Stellen

wohlgerundetes Persönchen, blond, blauäugig und sommersprossig.

Das Gesicht hatte tatsächlich etwas Madonnenhaftes, wie der

Knappe Louis Volker zugeraunt hatte, als die Maid um Mitfahrt
gebeten hatte.

Volker kannte sich nicht so recht mit Madonnen aus, doch er war

überzeugt davon, daß Diethilde keine war. Er hielt sie eher für eine
kleine Abenteurerin, die keinen Genuß ausließ. Schier unersättlich
schien sie zu sein. Bei einer Rast in einer Dorfschänke hatte sie ihn
um Mitfahrt gebeten, und eine Rast weiter waren ihre anderen
Wünsche offenkundig geworden.

Jetzt schmiegte sie sich an ihn, und ihr Blick sagte ihm, daß sie die

nächste Rast schon kaum erwarten konnte.

Volker vom Hohentwiel flogen die Herzen der Damen nur so zu -

einmal war ihm sogar ein Höschen von einer Gräfin zugeflogen, der
es ob seines Gesangs wohl zu heiß geworden war. Dennoch hatte er
selten solch eine Diethilde kennengelernt.

»Du bist mir schon ein seltsamer Holzfäller.«
Die Worte, die sie ihm ins Ohr hauchte, rissen Volker aus seinen

Gedanken. Zugleich alarmierten sie ihn.

Hatte das zweifelnd geklungen oder gar lauernd?
Er dachte an den Geheimauftrag, und eine innere Stimme mahnte

ihn zur Vorsicht.

»Wieso?« fragte er leichthin.
»Na, Holzfäller habe ich mir immer anders vorgestellt.«
Volker lauschte dem Klang der Stimme nach. Das hörte sich recht

harmlos und unbeschwert an.

»Kräftiger?« fragte er.
Sie lachte leise. »Bestimmt nicht. Doch nicht so gutaussehend und

einfühlsam und zärtlich.«

background image

Volker lachte, daß die weißen Zähne in dem kühngeschnittenen,

leicht gebräunten Gesicht blitzten.

»So kann man sich irren«, sagte er und versuchte zu verbergen, daß

er ein wenig geschmeichelt war.

»Die Holzfäller, die ich kenne, vom Hörensagen versteht sich,

sollen ungehobelte Kerle mit schwieligen Pranken sein.«

»Das sind gewiß Vorurteile.«
Volker bedachte sie mit einem Lächeln, doch das alarmierende

Gefühl war wieder da.

Teufel, sollte sie nicht zufällig aufgetaucht sein?
Unsinn, dachte er, niemand außer König Artus, Ritter Roland und

mir ist in den Plan eingeweiht. Wenn die Geheimaktion verraten
worden war, dann wußte der Verräter, wo die Fracht aufgeladen
wurde und brauchte vorher keinen Spitzel einzusetzen. Außerdem
hatte Diethilde bislang nicht die geringsten neugierigen Fragen
gestellt.

»Aber ich habe noch von keinem Holzfäller gehört, der Laute

spielen und so schöne Balladen singen kann und alles und so.«

Ihr Blick verriet ihm, was sie mit »alles und so« meinte.
»Ah, die Leute erzählen viel«, sagte Volker. »Ich kenne ein paar

Kollegen, die besser mit Fiedel und Laute umgehen können als mit
der Axt. Einer von ihnen hat mir das Lautenspielen beigebracht. Ein
richtiger Künstler ist das. Früher dichtete er Balladen, doch davon
konnte er nicht leben. So wurde er Holzfäller. Holz ist nun mal
gefragter als Dichtung.«, Diethilde lachte. »Du bist mir ein rechter
Meister der Zunge. Als Meister der Axt kann ich mir dich gar nicht
vorstellen.«

»So kann man sich irren.« Volker wollte schnell vom Thema

ablenken. Sein Mißtrauen war inzwischen verflogen. Nein, das war
kein Aushorchen gewesen, eher das Interesse einer verliebten Frau,
die sich wunderte, daß ihr Galan anders ist, als sie zunächst gedacht
hatte.

»Da fällt mir noch ein Holzfäller-Witz ein, den neulich Holzfäller-

Heini bei der Arbeit erzählte«, sagte Volker. Flugs modelte er einen

background image

uralten Scherz als »Holzfäller-Witz« um, damit Diethilde auf andere
Gedanken kam.

»Da sagte der alte Holzfäller zu dem jungen Paar, das ihn bei

dräunendem Unwetter in den Bergen um Rat ersuchte: Wenn es
donnert und blitzt Dann sei gewitzt Und merke dir den weisen
Spruch: Den Eichen weich Die Buchen such!«

Diethilde lachte. »Den Spruch kenne ich auch.«
Volker nickte.
»Und so ließ sich das Pärchen beim Gewitter im Schutz einer

Buche nieder. Und pardeutz - da schlug der Blitz in die Buche,
anstatt in die Eichen. Und das letzte, was sie hörten, war der Blitz,
der mit krachendem Donnerschlag sagte: >Wie man sich doch irren
kann.<«

Diethilde lachte erheitert.
Da ertönte ein lauter Fluch vorn beim ersten Wagen.
Louis zügelte heftig das Gespann.
Volker vom Hohentwiel spähte angestrengt nach vorn, an dem

Wagen vorbei, den Pierre ebenfalls anhielt. Dort vorn, hinter der
Wegbiegung, versperrte ein Baumstamm den Weg.

Volkers Blick zuckte nach links und rechts. Nichts regte sich

zwischen den Büschen und Bäumen. Doch Volker bezweifelte, daß
der Baumstamm rein zufällig dort auf den Weg gefallen war.

»Was - ist los?« fragte Diethilde angespannt.
Das hätte Volker ebenso gern gewußt. Es war mit keiner Gefahr zu

rechnen gewesen. Niemals sonst hätte er einer Frau die Mitreise
erlaubt. Wenn die Aktion verraten worden war wie erwartet, dann
mußten die Räuber davon ausgehen, daß die Beute noch gar nicht auf
den Wagen war. Daß die Waffen und Rüstungen überhaupt nicht mit
diesen Wagen transportiert werden würden, daß sie nur den Köder
für die Falle spielen sollten, konnte der Verräter nicht wissen. Daß
wußten nur der König und Roland außer ihm, Volker.

Es konnte allerdings ein zufälliger Überfall sein. Doch welche

Wegelagerer interessierten sich schon für einen kleinen
Holztransport? Allenfalls Kerle, die zu faul waren, selbst Bäume zu

background image

fällen, oder?

In diesem Augenblick ertönte eine rauhe Stimme zwischen den

Büschen am Wegesrand.

»Ergebt euch, oder ihr fahrt zur Hölle!«

*

Roland hörte Stimmen. Er hatte das Gefühl zu schweben. Es dauerte
eine Weile, bis er erkannte, daß er sich tatsächlich in einer Art
Schwebezustand befand. Er hing in einem Baum, einer Fichte, wenn
ihn nicht alles täuschte.

Wie zum Teufel kam er dahin?
Sein Schädel schmerzte, und er hatte Mühe, einen klaren Gedanken

zu fassen.

Er überlegte eine Weile. Dann setzte die Erinnerung ein, und er

erschrak so sehr, daß er fast vom Baum abgestürzt wäre.

Sie waren überfallen worden! Obwohl der Verräter annehmen

mußte, daß die Waffen und Rüstungen auf einem anderen Weg und
mit anderen Wagen transportiert wurden. Folglich würden die
Räuber auch nicht in die Falle tappen, die König Artus so raffiniert
geplant hatte!

Scheinbar raffiniert.
Roland klammerte sich an der Zweiggabelung fest. Er hatte

unglaubliches Glück gehabt. Sein Schutzengel mußte in Hochform
gewesen sein. Die Fichte hatte seinen Sturz gebremst. Er wäre sonst
auf dem Grund der Schlucht zerschmettert. Er war so in den Zweigen
eingeklemmt, daß er in seiner Bewußtlosigkeit nicht heruntergefallen
war.

Allmählich wurde sein Blick klarer, und die Kopfschmerzen und

das Schwindelgefühl ließen etwas nach.

Er spähte hinunter. Tief unter ihm waren durch einen Spalt

zwischen anderen Fichten die Trümmer der Brücke, zerstörte Wagen,
tote Pferde und reglose Gestalten zu erkennen. Zwei gepanzerte
Männer lagen im Bach auf dem Bauch und waren mit Sicherheit tot.

background image

Roland schluckte. Der Anblick versetzte ihm einen Schock.

Vermutlich war er der einzige des Trupps, der mit dem Leben
davongekommen war. Er schloß für einen Moment die Augen und
kämpfte gegen das Gefühl der Übelkeit an. Wieder hörte er entfernte
Stimmen.

Er lauschte, doch er konnte nicht verstehen, was gesprochen

wurde. Er drehte den Kopf und spähte angestrengt in die Richtung,
aus der die Stimmen zu ihm herüberdrangen.

Fichten versperrten ihm die Sicht.
Die Räuber schafften offenbar die Beute aus der Schlucht.
Ob er es wagen konnte, von der Fichte zu klettern?
Wenn er sie nicht sehen konnte, konnten sie ihn auch nicht sehen.

Er mußte näher an sie heran. Vielleicht gelang es ihm, sie zu
belauschen oder ihnen gar zu folgen.

Er begann mit dem Abstieg. Erst jetzt bemerkte er, daß er

Hautabschürfungen und Platzwunden davongetragen hatte, und daß
sein Körper schmerzte, als hätte er sich sämtliche Knochen
verstaucht.

Er biß die Zähne zusammen. Mehrmals drehte sich alles vor seinen

Augen, und er mußte beim Klettern innehalten und warten, bis das
Schwächegefühl nachließ.

Irgendwann, nach einer scheinbaren Ewigkeit hatte er es dann

geschafft.

Er schlich näher zu den Geräuschen und spähte zwischen den

Fichten am Berghang hervor. Jetzt konnte er die Verbrecher sehen.

Vier Männer banden Kisten an ein Seil. Die Kisten wurden nach

oben gezogen.

Roland schlich noch weiter vor und verharrte im tiefen Schatten

zwischen den Baumstämmen.

»Das war's«, sagte eine heisere Stimme.. Ein rotbärtiger Mann

winkte hinauf. »Anschließend könnt ihr uns hochziehen.«

Roland sah zu, wie sich der erste der vier Männer das Seil um den

Leib schlang.

Er mußte ebenfalls aus der Schlucht gelangen. Doch wie konnte

background image

ihm das schnell gelingen? Die Räuber würden ihn gewiß nicht an
ihrem Seil hochhieven. Und wenn er wartete, bis sie verschwunden
waren, machten sie sich mit der Beute über alle Berge, bevor er ein
Pferd fand.

Er dachte kurz an sein Roß. Im Grunde hatte ihm der Hengst mit

seinem gewaltigen Sprung das Leben gerettet und war der eigentliche
Schutzengel gewesen. Das Tier war sicherlich oben am Weg
weitergelaufen und irgendwann stehengeblieben. Vielleicht hatten
die Kerle es nicht eingefangen ...

Roland blickte den Hang hinauf. Der Aufstieg war steil und

schwierig, doch nicht unmöglich. Schnell legte er den Brustpanzer
ab, der ihn nur behinderte.

Seine Knie zitterten, und er war schweißgebadet, als er den

Berghang erstiegen hatte.

Er lauschte mit angehaltenem Atem. Einen Augenblick lang

glaubte er nur seinen Herzschlag zu hören. Dann konnte er
Geräusche ausmachen. Irgendwo rechts vom Weg.

Er schlich weiter.
Dann sah er zwischen den Baumstämmen die Wagen. Männer

hasteten hin und her. Pferde wurden eingeschirrt. Eine rauhe Stimme
gab Kommandos.

»Beeilt euch, ihr lahmen Säcke. Wir müssen verschwinden!«
»Wozu die Hetze?« rief ein anderer Mann. »Glaubst du, die Toten

stehen wieder auf?«

Roland glaubte einen Kloß in der Kehle zu haben.
»Das nicht, aber jemand könnte zufällig auftauchen«, erwiderte der

Mann mit der rauhen Stimme, offenbar der Anführer der
Verbrecherhorde.

»Da passen unsere Posten schon auf«, maulte der andere, »Noch

ein Widerwort, und ich lege dich dort unten schlafen!«

Roland kniff die Augen zusammen und spähte zu den Wagen hin.

Männer kletterten auf die Fahrerbänke. Eine Peitsche knallte. Der
erste Wagen setzte sich in Bewegung.

Wenn ich jetzt ein Pferd hätte, dachte er, könnte ich den Kerlen zu

background image

ihrem Versteck folgen und ...

Ein anderer Gedanke nahm Gestalt an. Es war riskant, doch er war

entschlossen, es zu wagen.

Die Wagen fuhren über den gewundenen Weg am Waldrand

vorbei.

Ritter Roland duckte sich hinter einen Baumstamm. Das Herz

klopfte ihm bis zum Hals, als er auf den letzten Wagen wartete. Er
spannte sich zum Sprung.

Dann sprang er auf. Er klammerte sich am Heckbrett fest und zog

sich hinauf unter die Plane.

Völlig außer Atem landete er auf irgendwelchen Kisten.
Er lauschte. Nur die Fahrgeräusche und der Hufschlag waren zu

hören. Nichts wies darauf hin, daß die Verbrecher ihn bemerkt
hatten.

Er wartete, bis sich sein Atem normalisiert hatte. Vorsichtig zog er

dann die Plane ein Stück zur Seite und spähte aus dem Wagen. Kein
Reiter folgte den Wagen.

Zufrieden ließ er die Plane sinken. Es war nicht damit zu rechnen,

daß die Kerle den Wagen durchsuchten. Sie würden ihn geradewegs
in ihr Versteck bringen. Er brauchte nur rechtzeitig auszusteigen,
bevor sie die Fracht abluden!

*

Es waren sechs Räuber, die zwischen den Bäumen und Büschen am
Wegesrand hervorsprangen. Schwerter blitzten, und einer der
Männer war mit einer Armbrust bewaffnet.

Volker vom Hohentwiel sah, daß Louis zornig zum Schwert griff.

Er wollte den Knappen mit einem schnellen Ruf stoppen, doch Louis
ließ sich nicht mehr aufhalten.

Mit einem gewaltigen Satz sprang er vom Wagen und stürmte mit

erhobenem Schwert auf den ersten Gegner zu, dessen Augen sich
weiteten und der plötzlich wie versteinert wirkte.

Volker hatte sich ergeben wollen, denn er hielt einen Kampf für

background image

sinnlos, und außerdem war bei ihnen ja nicht viel zu holen. Doch als
er sah, daß Louis dem ersten Räuber mit wuchtigem Schlag das
Schwert aus der Hand hieb, entschied er sich ebenfalls fürs Kämpfen.

Er zückte sein Schwert und sprang vom Wagen.
»Runter!« raunte er dabei Diethilde zu. »Bring dich in Sicherheit.«
Federnd landete er auf dem Weg und stellte sich zum Kampf.
Die Räuber hatten offenbar nicht mit Widerstand gerechnet und

waren von Louis' überraschender Attacke irritiert.

Doch jetzt lösten sie sich aus ihrer Erstarrung. Gleich zwei Kerle

stürmten auf Louis zu.

Volker parierte den Angriff eines großen, breitschultrigen Kerls,

dessen stoppelbärtiges Gesicht von einer enorm großen Hakennase
beherrscht wurde.

Der Kerl wußte höllisch gut die Klinge zu schlagen. Er war

offensichtlich der Anführer und der Kampfstärkste. Während er mit
Volker die Klinge kreuzte, gab er seinen Männern Kommandos, die
von kühlem Kopf und guter Übersicht zeugten. Obwohl doch seine
ganze Konzentration Volker gelten mußte, dirigierte er nebenbei
seine Männer.

»Wilfried, Hannes, erledigt den Schwarzbart!«
»Volker, laß die Scheißarmbrust, und schlag den anderen vom

Wagen!«

Da habe ich aber einen verdammten Namensvetter! dachte Volker

vom Hohentwiel.

Entsetzt sah er aus den Augenwinkeln, wie Pierre vom Wagen

geschlagen wurde, wie Louis zwar einen Gegner zu Boden streckte,
im nächsten Augenblick jedoch von einem anderen Mann hinterrücks
mit dem Schwert getroffen wurde.

Volker kämpfte mit wilder Entschlossenheit weiter. Er parierte

eine Attacke des Hakennasigen und konterte. Funken flogen, als
Volker den Gegner mit heftigen Schlägen zurücktrieb.

Dann hörte Volker Diethilde aufschreien.
»Gib auf, oder ich mach deine Freundin kalt!« brüllte einer der

Räuber.

background image

Volker erschrak. Sein Blick zuckte zu dem Mädchen. Ein blonder,

bärtiger Kerl hielt sie umklammert und drückte ihr sein Schwert in
die Seite!

Der Mann mit der Hakennase nutzte eiskalt seine Chance, als

Volker für einen Sekundenbruchteil abgelenkt war.

Volker konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen, als der Gegner

nach geglückter Finte zuschlug. Der Schwerthieb streifte Volker
noch an der Schulter. Die Klinge schrammte mit hellem Klang über
das leichte Kettenhemd.

Volkers Arm war auf einmal wie betäubt. Er strauchelte.
Ein weiterer Hieb schleuderte ihn zu Boden.
Er stürzte in den Sand des Fahrwegs und sah den Hakennasigen

drohend über sich aufragen. Der Mann holte zum Schlag aus, und in
seinen kleinen schwarzen Augen, die tief in den Höhlen lagen,
funkelte böser Triumph. Verzweifelt wollte Volker sein Schwert
hochreißen, das ihm beim Sturz gottlob nicht entfallen war.

Doch da traf ihn etwas von hinten am Kopf. Er schlug mit der Stirn

zu Boden und verlor das Bewußtsein.

Der Hakennasige atmete tief ein und aus.
»Gut gemacht, Wilfried«, lobte er den Räuber, der Volker

hinterrücks niedergestreckt hatte. »Der Knabe schlägt eine verdammt
flotte Klinge.«

»Schluß«, korrigierte Wilfried und zeigte grinsend eine Zahnlücke.
»Aber ich hatte ihn ja ohnehin schon fest im Griff«, fügte der

Anführer hinzu.

Er blickte von Volkers regloser Gestalt zu Louis und Pierre, die

ebenfalls ohnmächtig am Boden lagen.

»Hätte nicht gedacht, daß die Kerle trotz unserer Überzahl

kämpfen«, sagte er und kratzte sich an den bläulichschwarzen
Bartstoppeln. »Na ja, die Dummen werden eben nicht alle.« Dann
sah er grinsend zu Diethilde. Sie wurde längst nicht mehr mit dem
Schwert bedroht.

Sie war auch gar nicht ernsthaft bedroht worden.
»He, Diethilde, hast du gepennt, oder was? Du solltest Panik

background image

mimen und uns Bleich vor die Schwerter springen. Da hätten wir uns
den Kampf erspart. Statt dessen bleibst du auf deinem heißen Hintern
sitzen und hältst Maulaffen feil! Warum hast du deine Rolle nicht
eingehalten?«

Diethilde zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wollte ich mal ein

richtiges Mannsbild gegen dich kämpfen sehen«, sagte sie
schnippisch.

*

Roland hob die Wagenplane an und spähte vorsichtig hinaus. Die
Wagen rumpelten eine Steigung hinauf. Links erhob sich ein
bewaldeter Hang, rechts ragte eine kahle Felswand empor.

Die Dämmerung brach herein. Roland fragte sich, wann die Fahrt

endlich zu Ende sein würde.

Inzwischen hatte er sich mit einem Schwert bewaffnet. Waffen gab

es genug in den Kisten, von denen einige beim Sturz in die Schlucht
beschädigt worden waren.

Eine kleine Streitmacht hätte er damit bestücken können.
Doch er hatte keine Streitmacht zur Verfügung. Er war ganz auf

sich allein gestellt, und gegen die Übermacht der Räuber gab es
keine Chance in einem offenen Kampf.

Er hatte mit dem Gedanken gespielt, die Kisten mit den Waffen

vom Wagen zu werfen, damit sie den Räubern nicht in die Hände
fielen, sich dann jedoch dagegen entschieden. Die Geräusche
konnten gehört werden, und es war besser, er verhielt sich
mucksmäuschenstill. Die Räuber sollten durch nichts gewarnt
werden. Wenn sie den Verlust der Waffen in ihrem Versteck
entdeckten, würden sie sich leicht zusammenreimen können, daß die
Kisten nicht von selbst vom Wagen gefallen sein konnten. Dann
würden sie danach suchen und auf der Hut sein. Nein, sie sollten sich
ganz sicher fühlen.

Mit jeder Minute schien Rolands Spannung noch zu wachsen.
Er zermarterte sich den Kopf, weshalb der Plan schiefgegangen

background image

war. Der Verräter mußte König Artus' doppeltes Spiel durchschaut
haben. Eine andere Erklärung fand Roland nicht.

Immer wieder ließ er sich durch den Kopf gehen, was er in diesem

Fall bisher erfahren hatte. Er rief sich Franziskas Worte in
Erinnerung und dachte an die letzten Worte des Mannes, der ihn aus
dem Hinterhalt hatte töten wollen.

Im Auftrag einer Frau.
Damit gewann Franziskas Bemerkung Gewicht. Auch sie hatte

davon gesprochen, daß der sterbende Mann des überfallenen
Transports etwas von »Frau« gesagt hatte. Er hatte nicht nachgehakt,
weil Franziska erklärt hatte, damit sei wohl die Ehefrau des Mannes
gemeint gewesen. Jetzt hatte es den Anschein, als hätte der Sterbende
damit eine wichtige Information geben wollen.

Bald werde ich mehr wissen! dachte Roland. Er war dem

Geheimnis auf der Spur. Er wollte rechtzeitig aus dem Wagen
klettern und sich dann im Schutz der Dunkelheit in das Versteckt der
Banditen schleichen. Es kam nur auf den richtigen Zeitpunkt an.
Wenn er zu früh ausstieg, mußte er zu Fuß der Kolonne folgen und
verlor wertvolle Zeit, und wenn er zu spät ausstieg, verlor er
vermutlich seinen noch wertvolleren Kopf.

Der Wagen hielt plötzlich und für Roland unerwartet an. Stimmen

ertönten.

Vorsichtig hob Roland die Plane an und erschrak. Er sah zwei

dunkle Gestalten schräg hinter dem Wagen bei einem Felsbrocken.

Roland hatte das Gefühl, die Männer würden ihm genau in die

Augen starren.

Der Wagen fuhr mit einem Ruck wieder an. Ein Pferd wieherte,

eine Peitsche knallte. Das Räderrasseln hallte von Felsen wider. Der
Weg führte durch einen schmalen Einschnitt, in dem es finster war.

Roland ließ die Plane langsam sinken. Die beiden Männer,

offenbar Wachtposten, hatten sich nicht gerührt. Er schalt sich einen
Narren. Natürlich hatten sie ihn im Dunkel unter der Plane nicht
bemerken können.

Er mußte noch einen Augenblick warten, bis ihn die Kerle nicht

background image

mehr sehen konnten, und dann aussteigen. Das Versteck konnte nicht
mehr weit sein.

Er zog die Plane wieder einen Spalt hoch und spähte über die

Heckklappe. Die Posten waren nicht mehr zu sehen.

Nichts wie raus!
Roland konnte den Gedanken nicht in die Tat umsetzen. Schon

wieder hielt der Wagen.

Schlurfende Schritte näherten sich.
»Alles klar?« fragte eine tiefe Stimme.
»Alles klar«, erwiderte ein anderer Mann, wohl einer der Fahrer.
»Da wird sich die Gnädige aber freuen«, sagte die Baßstimme.

»Vor einer halben Stunde erst eingetroffen, und schon wird sie
bedient.«

»Sag nur, die ist da?«
»Selbiges deutete ich an. Viktor war auch überrascht, daß sie sich

persönlich herbemühte, statt Kastor zu schicken. Kastor hat's
erwischt.«

»Krank geworden?«
»Tot geworden«, erwiderte die Baßstimme.
Der andere fluchte. »Wie ist das passiert?«
»Er sollte einen Ritter umlegen, doch der Ritter war damit nicht

einverstanden.«

Kastor hieß also der Kerl, der mich ermorden sollte! Dachte

Roland. Und die Frau, die den Mordauftrag gegeben hatte, hielt sich
bei diesen Räubern auf!

Besser konnten sich die Dinge gar nicht entwickeln.
»Wie sieht es eigentlich aus?« fragte der Fahrer.
»Ein scharfes Luder.«
»So scharf wie Diethilde?«
»Da kannst du Diethilde glatt vergessen.« Der Mann mit der

Baßstimme lachte.

Diethilde! dachte Roland. Der Name, der mit Diet... begann. Hatte

der Sterbende die Frau gemeint, die offenbar ein Räuberliebchen
war?

background image

»Viktor wollte sie gleich auf sein Lager bitten«, fuhr der Räuber

mit der Baßstimme fort.

»Diethilde?«
»Quatsch. Die ist noch mit den Jungs unterwegs. Außerdem

braucht die nicht gebeten zu werden.«

»Und - hat Viktor ...?«
»Sie vertröstete ihn auf später, wenn die Ware da ist. Viktor wird

mächtig froh sein, daß ihr so schnell kommt.«

»Nun, dann wollen wir ihn nicht unnötig warten lassen.« Der

Fahrer schnalzte mit der Zunge, der Wagen ruckte an.

»He, Jungs, nehmt mich mit ins Lager. Hab' keine Lust, zu

wandern.«

»Kletter rauf!«
Roland erstarrte.
Schritte näherten sich dem Wagenheck und verstummten. Die

Plane wurde zur Seite gezogen.

Eine dunkle Gestalt tauchte auf.
Einer der Räuber kletterte zu ihm auf den Wagen!

*

»Keine Beute!«

Die Räuber fluchten. Nur Diethilde blieb gelassen.
»Damit war zu rechnen.«
Der hakennasige Walther, der die kleine Schar anführte, starrte sie

mißmutig an.

»Wieso? Du meinst, daß die Ware doch mit dem anderen Trupp

transportiert wird?«

Diethilde zuckte mit den Schultern. »Für diese Möglichkeit ist ja

vorgesorgt. Aber ich glaube eher, daß diese Männer hier den
Transport durchführen. Weshalb sonst sollten sie als Holzfäller
verkleidet durch die Gegend fahren?«

Walther musterte sie finster. »Was ist nun? Hast du etwas erfahren,

oder hast du nur dein Vergnügen bei den drei Kerlen gesucht?«

background image

Diethilde lächelte, und ihr Gesicht hatte so gar nichts

Madonnenhaftes mehr. Es war ein Lächeln, bei dem nicht nur
Walther, sondern auch die anderen unruhig wurden.

»Gewiß hatte ich mein Vergnügen«, erklärte sie freimütig und in

einem Tonfall, als plaudere sie über das Wetter. »Allerdings nur bei
einem. Doch der reichte für drei.«

Sie musterte Walther amüsiert. »Eifersüchtig?«
Dann blickte sie einen nach dem anderen an, als sei die Frage auch

an sie gerichtet. So verstanden sie es auch, und sie las ihre
Reaktionen in ihren Blicken.

»Ich doch nicht!« Walther tat empört, doch in Wirklichkeit tobten

Zorn und Eifersucht in ihm. Schon manches Mal hatte er mit dem
Gedanken gespielt, Diethilde zu erwürgen, weil sie sich mit jedem
einließ, der ihr gefiel. Und praktisch gefiel ihr alles, was männlich
war. Eine mannstolle Hexe!

Er, Walther, hatte sie damals zu Viktor ins Lager gebracht, auf

ihren Wunsch hin, und er hätte den Tag verfluchen können.
Sämtliche Kerle hatte sie verrückt gemacht, und sie war so etwas wie
die heimliche Herrin der Bande geworden. Selbst Viktor, der
Anführer, war wie Wachs in ihren Händen.

Walther wollte schnell ablenken.
»Du hattest zweierlei Aufgaben zu erfüllen«, sagte er tadelnd. »Du

solltest dich mit den Kerlen anfreunden, sie aushorchen und uns bei
dem Überfall als Geisel in die Hände fallen, damit ein Kampf
vermieden wird. Schließlich wußten wir nicht, daß wir es nur mit
drei Mann zu tun bekommen. Es hätten auch ein Dutzend sein
können. Doch selbst gegen die drei mußten wir kämpfen. Außerdem
hast du uns kein Zeichen gegeben, ob die Beute auf den Wagen ist
oder nicht.«

Diethilde zuckte mit den Schultern. »Ich konnte nicht viel

herausfinden. Das sind keine dummen Jungen, die sich so leicht
verplappern. Doch ich nehme an, daß sie die richtige Fracht erst
später in Empfang nehmen. Volker, der gewiß ein verkappter Ritter
ist, wollte mich nur bis Erlenhain mitnehmen. Auf keinen Fall weiter.

background image

Vermutlich nehmen sie dort die Ware an Bord. Klar, daß er dann
keinen Fremden mehr mitnehmen darf.«

Walther kratzte sich an den Bartstoppeln und spuckte aus. »Dann

war unser Überfall also für die Katz. Ich möchte wissen, weshalb
man auf Camelot diesmal nicht genau Bescheid wußte wie bisher.«

Diethilde strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn.
»Du hast doch gehört, daß sie vorsichtiger sein mußte als bisher,

weil man einen Verdacht hatte.«

Walther blickte unschlüssig in die Runde.
»Und was machen wir jetzt?«
»Ganz einfach«, erklärte Diethilde lächelnd. »Ihr reitet nach

Erlenhain. Dort wartet ihr auf mich. Nehmt euch ein Zimmer im
Gasthof und laßt euch nicht sehen.«

»Und du?«
»Ich werde noch eine Nacht mit meinen neuen Freunden

verbringen.«

Ihr hexenhaftes Lächeln vertiefte sich, als Walther zu fluchen

begann.

*

Ritter Rolands Gedanken überstürzten sich. Wenn es ihm nicht
gelang, den Räuber lautlos auszuschalten, war alles aus. Und wenn es
ihm gelang, mußte er damit rechnen, daß man den Kerl vermißte und
daß eine große Suche begann.

Roland entschied sich in Sekundenschnelle. Es war besser, er

versteckte sich und wartete auf eine Möglichkeit, sich unbemerkt
vom Wagen stehlen zu können.

Er duckte sich zwischen zwei Kisten und hielt den Atem an. Es

war stockdunkel im Wagen unter der Plane, und es mußte schon mit
dem Teufel zugehen, wenn der Räuber ihn auf dem gewiß kurzen
Weg ins Lager entdeckte.

Es ging mit dem Teufel zu.
Der Räuber stolperte in der Dunkelheit gegen eine offene

background image

Waffenkiste. Metall klirrte leise. Ein dumpfer Aufprall folgte.

Der Mann wollte sich aufrappeln und tastete haltsuchend um sich.
Er stieß einen Laut des Erschreckens aus, als er einen

menschlichen Körper berührte.

Ritter Roland spürte die Hand an seiner Schulter und verlor keine

Sekunde. Er schnellte sich auf die Gestalt zu, die er im Dunkel mehr
erahnte als sah.

Er prallte gegen den Mann und warf sich über ihn.
Der Räuber wollte schreien. Roland erstickte den Aufschrei im

Ansatz. Auf gut Glück schlug er mit der geballten Rechten zu. Und
er traf. Ein Schmerz zuckte von seiner Faust bis zur Schulter hinauf.
Er spürte, wie die Gestalt unter ihm erschlaffte.

Gebannt lauschte er.
Nichts wies auf Gefahr hin. Die Fahrgeräusche und das Pochen der

Hufe hatten die Geräusche des kurzen Kampfes im Wagen übertönt.

Roland rieb schnell ein Zündholz an und schirmte das Flämmchen

mit der Hand ab.

Der Räuber, ein schmächtiger Gesell mit einem buschigen,

hellblonden Schnauzbart, war bewußtlos. Roland entdeckte im
schwachen Schein der Zündholzflamme einen Strick auf der
Ladefläche und zog ihn heran, um damit den Räuber zu fesseln.

Wo sollte er den Mann verschwinden lassen? Jeden Augenblick

konnte der Wagen im Lager der Bande eintreffen. Vermutlich wurde
dann die Fracht abgeladen. Er konnte den Räuber nicht auf dem
Wagen lassen.

Roland packte den Bewußtlosen unter den Achseln und zog ihn zur

Heckklappe. Er wollte gerade mit dem Räuber aussteigen, als der
Wagen die Fahrt verlangsamte und mit einem Ruck schließlich
stehenblieb.

Ritter Roland fühlte sich wie in einer Falle.
Angespannt spähte er durch eine Ritze in der Wagenplane. Er sah

rötlichen Feuerschein.

An den Geräuschen und den Rufen einiger Männer erkannte er,

daß die Wagenkolonne am Ziel war.

background image

»He, Benno, wir hörten schon, daß ihr Erfolg hattet«, rief jemand.
»War doch klar«, erwiderte Benno selbstbewußt. »Du hättest mal

sehen sollen, wie alle in die Schlucht purzelten. Wir brauchten
überhaupt nicht zu kämpfen.«

Jemand lachte.
Roland dachte an die Toten und preßte die Lippen aufeinander.
»Ihr sollt gleich zu Viktor kommen und ihm berichten«, hörte er

Bennos Gesprächspartner sagen.

»Wird gemacht. Viktor wird zufrieden sein. Ich wette, heute nacht

steigt 'ne große Feier. Ist Diethilde mit den anderen schon zurück?«

»Noch nicht. Die werden ganz schön sauer sein, daß sie umsonst

unterwegs waren und ihr den Erfolg buchen könnt.«

»Schirrt die Gäule aus und versorgt sie!« rief Benno.
Schritte erklangen. Ein Pferd schnaubte.
Jemand klopfte gegen die Heckklappe.
»Eh, Vitus, pennst du oder was?«
Bennos Stimme. Der Räuber ahnte ja nicht, daß er mit seinen

Worten den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.

Was tun?
Einen Moment lang hielt Roland den Atem an. Doch schnell

entschied er sich für einen Bluff. Wenn sich dieser Vitus nicht
meldete, würde Benno mißtrauisch werden und nach ihm sehen.

Roland imitierte die tiefe Stimme des Räubers und murmelte

undeutlich:

»Komme schon.« Dabei verschob er eine Kiste, als würde er sich

aufstemmen.

»Du kannst den Jungs bei den Pferden helfen«, rief Benno.
Genau das konnte Roland nicht.
Doch er atmete auf. Im Augenblick schöpfte niemand Verdacht.

Schritte entfernten sich.

Roland hörte Männerstimmen und das Lachen einer Frau. Die

Ankömmlinge wurden von ihren Kumpanen begrüßt.

Es war anscheinend eine große Bande.
Roland konnte nur hoffen, daß sich niemand weiter für Vitus

background image

interessierte und daß es ihm gelang, in der Dunkelheit unbemerkt
vom Wagen zu gelangen.

Er befand sich mitten in der Höhle des Löwen.
Und es war ihm völlig klar, daß sein Leben keinen Pfifferling mehr

wert war, wenn sie ihn entdeckten.

*

Louis fluchte. »Verdammt, verdammt!«

Er stand an einen Baum gefesselt im Wald und fühlte sich ebenso

erbärmlich wie Volker vom Hohentwiel und Pierre, die sich in der
gleichen mißlichen Lage befanden.

»Fällt dir nichts anderes ein?« murmelte Volker und bemühte sich

zum xten Male vergebens, die Stricke zu sprengen, mit denen er so
eng an den Baumstamm gefesselt war, daß er sich kaum zu bewegen
vermochte.

Louis schickte einen ellenlangen Fluch hinterher, um seinen

Einfallsreichtum zu beweisen.

Trotz der üblen Situation mußte Volker vom Hohentwiel lächeln.
Selbst Pierre, dessen linke Wange inzwischen noch geschwollener

war und der von Zahnschmerzen geplagt wurde, verzog das Gesicht
zu einem säuerlichen Grinsen.

»Irgendwann muß uns doch jemand finden!« knirschte Louis, als

ihm kein Fluch mehr einfiel.

»Irgendwann«, stimmte Volker mit gepreßter Stimme zu. »Aber

bis dahin sind die Kerle über alle Berge, und wenn ich mir vorstelle,
daß Diethilde in ihrer Gewalt ist...«

Er sprach nicht weiter. Er machte sich bittere Vorwürfe, daß er

Diethilde mitgenommen hatte.

Er ahnte ja nicht, welch durchtriebenes Luder dieses

Räuberliebchen war.

»Ich verstehe nicht, weshalb sie uns hier angebunden haben«,

seufzte Pierre.

»Ist doch klar«, brummte Louis. »Sie wollten verhindern, daß wir

background image

ihnen folgen.«

»Sie haben uns bewußtlos zurückgelassen, und zu Fuß hätten wir

sie nicht einholen können.«

»Vielleicht haben sie befürchtet, daß wir uns irgendwo Pferde

besorgen können.«

Volker versuchte mit Blasen und Kopfschütteln eine Mücke von

seiner Nasenspitze zu vertreiben. Die Mücke ließ sich nicht
verscheuchen. Sie schien zu wissen, daß der große Mensch die
Hände nicht bewegen konnte und ein hilfloses Opfer war.

Herzhaft stach sie zu.
»Irgend etwas kommt mir an der ganzen Sache komisch vor«,

murmelte Volker. »Ich hatte fast den Eindruck, daß sie es mehr auf
Diethilde abgesehen hatten als auf die Beute. Habt ihr gesehen, wie
sie sie angestarrt haben?«

»Jaja«, brummte Louis.
»Als wüßten sie genau, daß sie bei uns ist«, murmelte Pierre.
»Beute ist bei Holzfällern ohnehin nicht zu erwarten«, sagte Louis.

»Schließlich haben wir nur Holz ...«

Er verstummte unvermittelt und drehte den Kopf zu Volker. »Oder

gibt es da irgend etwas, in das wir nicht eingeweiht sind?«

Volker überlegte, ob er den Knappen jetzt sagen sollte, was

tatsächlich gespielt wurde. Wie es aussah, war der Plan ohnehin
gescheitert. Was machte es da schon aus, wenn er den Knappen
reinen Wein einschenkte?

Der Gedanke an Wein ließ ihn schlukken. Seit er aus seiner

Ohnmacht erwacht war, hatte er einen trockenen Mund, und
inzwischen verspürte er quälenden Durst.

»He, ich fragte mich die ganze Zeit über, was dieser blöde

Holztransport soll«, sagte Louis mißtrauisch, als Volker schwieg.
»Mir kommt da der Verdacht, daß mehr dahinter steckt. Hatten wir
vielleicht unwissentlich mehr als Holz auf den Wagen?«

Volker schüttelte den Kopf. »Es war nur Holz.«
»Und Diethilde«, warf Pierre ein. »Ich vermute, die Kerle haben

uns nur ihretwegen überfallen. Wenn es nicht unmöglich wäre,

background image

könnte man fast meinen, sie hätten genau gewußt, welchen Weg sie
nahm, denn der Hinterhalt war ja vorbereitet.«

»Nichts ist unmöglich«, brummte Louis. »Ich erinnere nur daran,

daß sie sich praktisch aufgedrängt hat. Vielleicht war sie auf der
Flucht vor den Kerlen und versprach sich von uns Schutz?«

Louis stellte noch einige Spekulationen an, doch er wurde aus

seinen Grübeleien gerissen.

Hufschlag näherte sich. Alle drei Gefesselten drehten die Köpfe.

Ein Reiter galoppierte von Süden heran.

Louis begann sofort zu brüllen, um den Reiter auf sie aufmerksam

zu machen. Pierre vergaß seine Zahnschmerzen und rief ebenfalls
laut.

Dann tauchte der Reiter zwischen den Bäumen auf, die sich etwa

hundert Klafter entfernt zu lichten begannen. Er trieb das Roß durch
den Wald.

Ihre Rufe waren gehört worden.
»Den schickt uns der Himmel«, sagte Louis, als er erkannte, daß

der Reiter die Richtung änderte und auf sie zuhielt. »He, das ist ja gar
kein Reiter, sondern ...«

»Diethilde!« rief Volker ebenso überrascht.
»Die gute Fee«, murmelte Pierre.
Diethilde war atemlos und wirkte aufgeregt. Ihre Bluse war

zerrissen, das Haar zerzaust. Sie parierte das Roß und schwang sich
behende aus dem Sattel.

Aus großen Augen blickte sie zu den gefesselten Männern. Dann

heftete sie den Blick auf Volker und strahlte ihn an.

»O mein Gott, ich dachte schon, ich finde euch nicht.«
Sie zog einen Dolch aus den Satteltaschen des Pferdes und eilte zu

den Männern, um sie von den Fesseln zu befreien. Dann warf sie sich
Volker in die Arme.

»Himmel, habe ich eine Angst ausgestanden«, schluchzte sie.

»Diese Kerle, oh, es war grauenvoll ...«

Volker legte die Arme um das Mädchen, das an seiner Brust

erzitterte.

background image

»Wie konntest du ihnen entkommen?« fragte er mit belegter

Stimme.

Sie hob den Kopf und sah ihm lächelnd in die Augen.
»Oh, das war ganz einfach. Die Kerle zwangen mich, mit ihnen zu

fahren. Sie wollten erst einmal einen Vorsprung gewinnen. Sie
dachten, sie hätten große Beute gemacht. Nach einer Weile hielten
sie an und untersuchten die Ladung der Wagen. Doch ihr hattet ja nur
Holz geladen. Sie fluchten und ließen die Wagen zurück. Sie wollten
mich in ihr Versteck verschleppen ...«

Diethilde verstummte mit einem Schluchzen und barg den Kopf an

Volkers Brust.

Volker streichelte ihr sanft übers Haar.
Sie fuhr mit atemloser Stimme fort.
»Der Anführer, dieser brutale Kerl - er schickte seine Männer unter

einem Vorwand weg. Dann - fiel er über mich her. Doch ich konnte
einen Stein packen und ihn damit niederschlagen. Ich flüchtete zu
Fuß ...«

»Das ist nicht sein Pferd?« fragte Volker überrascht.
»Nein, es ist eines der Wagenpferde. Ich war so aufgeregt, ich

wollte nur weg.«

Volker nickte verständnisvoll. Er schob Diethilde sanft von sich

und blickte zu den Knappen.

»Wir müssen verschwinden. Bestimmt sind sie ihr gefolgt und

können jeden Augenblick auftauchen. Waffenlos haben wir keine
Chance.«

Diethilde schüttelte den Kopf und lächelte. »Nein, so eilig ist es

nicht.«

»Aber die anderen werden ihren Anführer finden und ...«
»Ich habe ihn gut versteckt«, erklärte Diethilde. Sie wirkte stolz

und beinahe heiter. »Außerdem habe ich ihn gefesselt und geknebelt
- mit meinem Spitzentuch. Es kann lange dauern, bis ihn seine
Freunde finden. Gewiß warten sie lange in ihrem Versteck vergebens
auf ihn, und bis sie ihn entdecken, sind wir längst in Erlenhain.«

»Prächtig«, sagte Louis anerkennend.

background image

Auch Volker fand bewunderswert, wie umsichtig Diethilde

gehandelt hatte - trotz ihrer Aufregung.

Irgendein Gedanke wollte Gestalt annehmen, doch noch konnte

Volker ihn nicht ganz erfassen. Eine abenteuerliche Geschichte, die
Diethilde da erzählt hatte. Fast schon ein Stoff, aus dem sich eine
Ballade machen ließ. Doch irgend etwas störte daran. Aber was?

Es war gewiß Zufall, daß ausgerechnet in diesem Augenblick das

Pferd schnaubte und Volker unwillkürlich hinblickte.

Irgend etwas fiel ihm an dem Pferd auf. Es war zweifellos eines

der Wagenpferde, doch ...

Es war gesattelt und trug Satteltaschen!
Vermutlich hatte sie den Sattel vom Roß des Räubers genommen,

dachte Volker. Aber warum hat sie dann nicht gleich das Pferd samt
Sattel genommen?

Der Gedanke bestürzte ihn. Da meldete sich wieder das

mißtrauische Gefühl, das er schon einmal gehabt hatte: Als Diethilde
von »seltsamer Holzfäller« gesprochen hatte. Und es fielen ihm die
Bemerkungen der Knappen ein, daß sie sich ihm praktisch
aufgedrängt hatte.

»Wo stehen die Wagen?« fragte er nachdenklich.
»Nicht weit von hier«, erwiderte Diethilde.
»Ah, und der gefesselte Anführer dieser Haderlumpen ist gleich in

der Nähe. Fein, dann nehmen wir den Kerl mit.«

»Nein - das kostet uns doch nur Zeit.« Diethilde drängte sich

wieder an ihn. »Wir sind mindestens eine halbe Stunde lang geritten,
nachdem wir die Wagen zurückgelassen hatten. Ich - habe doch ein
bißchen Angst, daß die Kerle ihren Anführer früher finden. Vielleicht
konnte er sich auch befreien. Laß uns verschwinden.« Und leise, daß
nur er es hören konnte, fügte sie hinzu. »So haben wir noch eine
Nacht für uns.«

Volker lächelte, und nichts verriet seine Gedanken.
Jetzt roch er förmlich, daß etwas an der Geschichte faul war, die

Diethilde erzählt hatte.

Es gab zu viele Widersprüche.

background image

Eine halbe Stunde lang wollte sie den schweren Sattel samt

Satteltaschen geschleppt haben, um dann eines der Gespannpferde zu
satteln? Nun, das war möglich, doch es paßte zeitlich nicht ganz.
Volker wußte zwar nicht genau, wie lange er bewußtlos gewesen
war, doch es war noch keine Stunde vergangen, seit er gefesselt am
Baum zu sich gekommen war.

Natürlich konnte sich Diethilde in der Zeit verschätzt haben, doch

Volkers Mißtrauen ließ sich nicht mehr zurückdrängen. Auf dem
Weg zu den Wagen plauderte er harmlos mit ihr, und sein Verdacht
verstärkte sich immer mehr.

Diese »belanglosen« Äußerungen von ihr ergaben für Volker

Gewicht, während die Knappen keinerlei Schlüsse daraus zogen,
weil sie keine Zweifel hegten. Sie wußten ja nicht soviel wie Volker.

»Alles ging so wahnsinnig schnell, und ich war so aufgeregt«,

sagte Diethilde. »Nichts wie weg, dachte ich ...«

»Das war richtig«, sagte Volker lächelnd, doch er dachte:
Wiederum ein großer Widerspruch. Wenn sie nur an Flucht

gedacht hätte, wäre sie kaum auf die Idee gekommen, den Anführer
zu fesseln und zu knebeln und den Sattel mitzunehmen. Letzteres
war ohnehin unverständlich; sie hätte gleich das gesattelte Pferd
nehmen können.

»Walther war ganz schön sauer, als er nur Holz auf den Wagen

fand, statt der Beute, die er sich gewiß erhofft hatte ...«

Sie sprach den Namen aus, als sei es ein alter Bekannter, und bei

»statt der« zögerte sie, als hätte sie etwas Bestimmtes auf der Zunge
gehabt.

»Walther?« fragte Volker in verständnislosem Tonfall.
Sie lachte, und es klang etwas gezwungen. »Der Anführer. So

sprachen ihn die anderen jedenfalls an.«

Das war eine einleuchtende Erklärung, doch es konnte Volker

nicht über die anderen Ungereimtheiten hinwegtäuschen.

Später beobachtete Volker, wie sie sich mit ihrem Spitzentuch

Schweiß von der Stirn tupfte.

Das Spitzentuch, mit dem sie den Räuber angeblich geknebelt

background image

hatte? Oder besaß sie ein zweites?

Wiederum später, in der Nacht, stellte sie dann einige Fragen.

Nach dem weiteren Fahrtweg von Erlenhain aus, wo sie die Fracht
abliefern sollten, ob sie dann frei hätten oder eine andere Ladung
transportieren müßten und derlei mehr. Sie ging dabei äußerst
vorsichtig und geschickt vor, doch sie konnte Volker nicht mehr
täuschen.

Er drehte den Spieß um und täuschte sie, indem er ihr

entsprechende Antworten gab.

Und er war überzeugt davon, daß sie den Köder schluckte, den er

ausgelegt hatte.

*

Roland atmete auf. Er hatte Glück gehabt. Niemand hatte mehr an
Vitus gedacht.

Roland hatte den gefesselten und geknebelten Räuber unbemerkt

vom Wagen zwischen Büsche und Felsbrocken ins tiefe Dunkel am
Fuß des Berges gebracht, der den kleinen Talkessel im Westen
begrenzte.

Im nachhinein hatte sich die Vorsichtsmaßnahme als überflüssig

erwiesen; Roland hätte den Gefangenen auch auf dem Wagen lassen
können. Die Wagen standen abseits der drei Blockhütten, die der
Bande als Quartiere dienten, weit genug entfernt, und Vitus hätte
sich nicht durch Geräusche bemerkbar machen können. Die Wagen
wurden auch nicht abgeladen, wie Roland angenommen hatte.

Er hätte eine Unterhaltung zwischen zwei Räubern belauscht, aus

der hervorgegangen war, daß die Fracht am nächsten Tag, als
Lieferung eines Krämers getarnt, weiterbefördert werden sollte.

Die Räuber feierten in dieser Nacht den geglückten Raubzug.
Sie saßen um ein großes Lagerfeuer. Roland lief das Wasser im

Munde zusammen und sein Magen knurrte vor Hunger, als ihm der
Duft des Wildschweins in die Nase stieg, das die Räuber am Spieß
brieten und verzehrten. So gestärkt tranken die Männer und johlten,

background image

als ein Mädchen zum Spiel zweier Musikanten tanzte, die recht
eigentümlich musizierten.

Ein Räuber blies in völlig unberechenbaren Zeitabständen in eine

Flöte und entlockte ihr dreieinhalb Töne, deren Folge kaum als
melodisch zu bezeichnen war, und sein Begleiter hieb dazu
unregelmäßig mit einer Keule auf ein Holzfaß, in dem etwas
blechern schepperte.

Kein Wunder, daß die Tänzerin des öfteren aus dem Takt geriet

und einmal fast ins Feuer plumpste. Vielleicht war sie aber auch
betrunken. Sie kreischte, als sie auf einem glimmenden Ast am
Rande des Feuers landete. Sie sprang auf, und ihr Tanz wurde so
temperamentvoll, daß er schon an einen Veitstanz erinnerte. Einer
der Räuber half geistesgegenwärtig und kippte seinen Becher mit
Wein oder Met über den angesengten Popo der Dame, um das Feuer
zu löschen.

Ihr Kreischen ging im Johlen der Räuber unter.
Ja, die Stimmung war recht ausgelassen, und Roland frohlockte. In

ein paar Stunden würden die Räuber vermutlich allesamt berauscht
einschlafen.

Sein Blick glitt zu den Hütten jenseits des Lagerfeuers. Das Fenster

der größten Hütte war schwach erhellt. Roland hatte dort Schatten
vor dem Lichtschein beobachtet. Ein Mann und eine Frau hielten sich
in der Hütte auf. Vermutlich Viktor, der Räuberhauptmann, und die
Frau, die mit ihm gemeinsame Sache machte. Die Frau, die nach
allem, was Roland belauscht hatte, zumindest das Bindeglied
zwischen der Bande und dem Verräter auf Camelot sein mußte,
vielleicht sogar die eigentliche Anführerin.

Roland wog alle Möglichkeiten ab.
Er spielte kurz mit dem Gedanken, abzuwarten, bis die Räuber

schliefen, sie der Reihe nach einzukassieren, auf die Wagen zu
verfrachten und mit ihnen aus dem Lager zu verschwinden.

Das wäre ein tolldreister Coup!
Die Fracht sichergestellt und die Bande geschnappt!
Doch dann mußte Roland über sich selbst lächeln. Er war allein,

background image

und es waren zu viele Räuber. Außerdem gab es noch die Wachen
am Zugang zu dem kleinen Talkessel. So verlockend der Gedanke
auch war, er ließ sich nicht in die Tat umsetzen.

Vielleicht war es das beste, er wartete einfach ab, bis die Bande am

nächsten Tag mit dem Wagen losfuhr, reiste als blinder Passagier mit
und sorgte unterwegs für Verstärkung, auf daß die Kerle gestellt
wurden.

Oder er wartete gar nicht erst bis zum Morgen ab. Wenn es ihm

gelang, zu belauschen, wohin die Waffen und Rüstungen weiter
transportiert wurden, konnte er sich noch in der Nacht davonmachen
und dafür sorgen, daß die Räuber am Zielort oder auf dem Weg
dorthin geschnappt wurden. Zu Fuß konnte er über dem Berg aus
dem Talkessel gelangen und ging kein Risiko ein, entdeckt zu
werden.

Ja, das war das sicherste.
Er schlich zu der Hütte. Die tiefe Dunkelheit am Fuße der Berge

war seine Verbündete. Und die Feier beim Lagerfeuer half ihm
zusätzlich.

Zehn Minuten später verharrte er im Schatten neben dem

rückwärtigen Fenster der Hütte. Keiner konnte ihn vom Lagerfeuer
aus bemerken.

Die Fensteröffnung war von einer Decke verhüllt, die von Motten

zerfressen war. Schwacher Lichtschein sickerte durch die Löcher.

Roland lauschte mit angehaltenem Atem.
Er vernahm leise und gedämpfte Stimmen. Viktor und die Frau

sprachen miteinander.

Doch es war nicht das, was Roland zu hören hoffte.
Es war eher Liebesgeflüster.
Ein recht einseitiges, aus dem hervorging, daß sie nicht so wollte

wie er.

Roland neigte sich zu einem der größeren Löcher in der Decke und

spähte in die Hütte.

Er sah einen großen, stämmigen Mann, der in seiner weinroten

Samttracht, die mit Silber verziert war, wie ein Edelmann wirkte.

background image

Natürlich täuschte die noble Hülle. Die Frau sprach den Mann mit

Viktor an, und das war der Anführer dieser Verbrecherbande.

Der Mann zog die Frau an sich. Mit einem leisen Lachen entzog

sie sich ihm. Dabei gab sie den Blick auf Viktor frei, den sie halb
verdeckt hatte.

Viktors Gesicht sah nicht ganz so edel aus wie die Kleidung.
Es war ein Gesicht, in dem ein ausschweifendes Leben seine

Spuren hinterlassen hatte. Die breite Nase war gewiß einmal
gebrochen. Unter den grauen Augen dicke, rötliche Tränensäkke.
Zwei tiefe Falten kerbten die Wangen bis zu den Winkeln des
schmallippigen Mundes, was seiner Miene etwas Verkniffenes gab.

Die Frau konnte Roland nur von hinten sehen. Eine üppige Figur,

Roland stutzte. Irgend etwas kam ihm bekannt vor.

Das Kleid!
In diesem Augenblick wandte sich die Frau von Viktor ab, schritt

zum Tisch und schenkte sich Rotwein aus einem Krug ein.

Und im Schein der Kerzen sah Ritter Roland ihr Gesicht.
Es war Katharina.

*

Viktor verharrte und starrte die verwitwete Gräfin an. Er hielt noch
eine Hand nach ihr ausgestreckt, als wolle er sie festhalten. Ringe
blitzten und funkelten an seinen dicken Fingern. Langsam ließ er die
Hand sinken.

»Weshalb zeigst du dich so spröde, meine Süße«, sagte er

ärgerlich, und seine schwarzen Augenbrauen zogen sich zusammen.
»Du hast mir versprochen, daß es eine große Feier gibt, wenn die
Ware da ist.«

Langsam schritt er auf sie zu. Breitbeinig blieb er einen Schritt vor

ihr stehen.

Sie wandte sich ihm zu. Sie lächelte mit leicht geöffneten Lippen

und sah ihn unter halbgesenkten Lidern an.

»Du kannst es wohl kaum erwarten«, sagte sie spöttisch.

background image

Er starrte auf das Medaillon in ihrem Ausschnitt.
»So ist es. Die Ware ist da. Und nun pack deine aus.«
Seine Stimme klang belegt.
»Gewiß, die Ware ist da. Ihr werdet morgen früh aufbrechen, um

sie zu meinem Bruder, dem kleinen Rebellen, zu bringen. So weit, so
gut.«

»So weit, so gut«, äffte er ihren Tonfall nach. »Soll ich vielleicht

noch warten, bis dein Bruder den Aufstand gegen den Grafen von
Verona gewonnen hat?«

Sie schüttelte leicht den Kopf und nippte an ihrem Glas.
»Weshalb strapazierst du meine Geduld?« fragte er gereizt. »Ich

habe alles zu deiner vollen Zufriedenheit erledigt. Jetzt bist du an der
Reihe, meine Forderungen zu erfüllen.«

»Habe ich nicht gut bezahlt?« fragte sie.
Er nickte langsam. »Das stimmt. Doch außer Gold und einigen

Waffen und Rüstungen von der Beute versprachst du mir einen
zusätzlichen Preis.«

In seinen Augen glitzerte es.
»Gewiß, den wirst du bekommen, wenn alles erledigt ist.«
Sie prostete ihm zu.
»Es ist alles erledigt worden«, brauste er auf.
»Noch nicht ganz«, entgegnete sie. »Da gibt es noch ein kleines

Problem, das zu einer Gefahr für mich und damit auch für dich
werden könnte.«

»Du meinst den Ritter, diesen Roland, der im Auftrag des Königs

herumschnüffelte? Zugegeben, Kastor hat versagt. Doch jetzt ist der
Ritter ebenso in der Hölle wie alle anderen des Trupps.«

Sie nickte. »Es war gut, daß ich nicht auf den Schachzug des

Königs hereinfiel und dich beauftragte, beide Trupps zu überfallen.«

»Du hättest mehr herausfinden müssen«, sagte er mißmutig. »Du

sitzt doch an der Quelle.«

»Die Quelle sprudelte diesmal nicht so wie sonst.«
»Jedenfalls hättest du uns ersparen können, daß ich ein halbes

Dutzend meiner Männer umsonst losschicken mußte - dazu noch

background image

Diethilde.«

»Du vermißt sie wohl sehr«, sagte Katharina spöttisch.
Er streckte die beringten Hände aus und legte sie auf ihre Hüften.

Er zog sie an sich.

»Jetzt nicht mehr«, sagte er mit belegter Stimme.
Katharina hielt das halbvolle Rotweinglas vor sich, und es war für

Viktor wie eine Barriere.

Diese Frau brachte ihn noch um den Verstand.
»Wir beide werden unermeßlich reich sein, wenn mein Bruder mit

seinem Feldzug Erfolg hat«, sagte Katharina. »Es dürfte also auch in
deinem Interesse sein, wenn ein letzter kleiner Schönheitsfehler
beseitigt wird.«

Das kühlte ihn etwas ab. Er gab sie frei und trat an den Tisch, um

sich ebenfalls Rotwein einzuschenken. Hastig trank er. Dann wischte
er sich mit dem behaarten Handrücken über den Mund.

»Glaubst du etwa, daß meine Männer mich belügen und daß dieser

Ritter noch am Leben sein könnte?«

»Nein. Nach der Schilderung deiner Leute bin ich überzeugt

davon, daß es keinen Überlebenden gab. Damit ist Roland keine
Gefahr mehr.«

»Du meinst, er hatte eine heiße Spur und bereits den König

eingeweiht?«

Katharina schüttelte den Kopf. »Wenn Roland etwas Hieb- und

Stichfestes gewußt hätte, so hätte ich das erfahren. Und wenn er beim
König nur eine Vermutung äußerte, so kann mir nicht viel
geschehen. Niemand weiß, daß der Anführer der sogenannten
Rebellen in Verona mein Bruder ist. Außerdem ist er auch kein
leiblicher, sondern als Waise angenommener Halbbruder. Nein, auch
von daher läßt sich keine Verbindung zu mir herstellen. Roland lebt
nicht mehr, und sollte mich jemand verdächtigen, werde ich empört
alles als lächerliche Verleumdung abtun, sollte das überhaupt nötig
sein.«

Viktor grinste. »Sage ich doch. Niemand kann dir etwas beweisen.

Außer mir. Und ich werde natürlich schweigen, wenn du meine

background image

Gemahlin bist.«

Sie lächelte leicht und nippte an ihrem Rotwein.
»Wie kommst du überhaupt zu der Annahme, jemand könnte dir

auf die Schliche gekommen sein?« fragte er.

»Deine Männer haben beim letzten Überfall geschludert. Einer der

Transportleiter war nicht tot. Er wurde sterbend gefunden und nannte
noch einen Namen.«

»Etwa deinen?« fragte Viktor verwundert. »Aber den kennt doch

keiner meiner Männer. Oder meinen?«

»Nein, aber einen Männernamen, den man mit mir in

Zusammenhang bringen könnte.«

Viktor stellte sein Glas ab. Er nagte an der Unterlippe. Seine

Augenbrauen zogen sich zusammen, und die Falten um seine
Mundwinkel schienen sich zu vertiefen.

»Soll ich den Kerl umlegen lassen?«
»Nein, den kann ich noch gut gebrauchen, falls in Verona noch

mehr Waffen benötigt werden. Aber du kommst der Sache schon
näher. Es gibt noch eine Person, deren Aussage mir gefährlich
werden könnte, wenn sie wiederholt wird. Zum Glück war das, was
sie bisher sagte, nicht besonders präzise. Doch wenn man sie gezielt
befragt, könnte sie sich vielleicht noch an etwas Genaueres erinnern.
Deshalb muß sie zum Schweigen gebracht werden.«

Viktor grinste. »Warum hast du das denn nicht gleich gesagt. Ich

schicke sofort meinen besten Mann los.«

»Nein, dein bester Mann wird für den Transport nach Verona

gebraucht. Diese Aufgabe wirst du selbst erledigen. Sozusagen als
Liebesdienst. Das ist der Preis, den ich fordere.«

Sie spielte mit dem Medaillon und bedachte ihn mit einem

lockenden Lächeln.

Viktor starrte sie einen langen Augenblick an.
»Also gut«, sagte er zögernd. »Wie heißt der Mann, den ich ins

Jenseits schicken soll?«

Katharina lächelte zufrieden und selbstsicher. Sie hatte von Anfang

an keinen Zweifel gehegt, daß ihr raffinierter Plan aufgehen würde.

background image

Und es bereitete ihr ein ungemeines Vergnügen und ein
überwältigendes Gefühl der Macht, Männer wie Schachfiguren in
ihrem gefährlichen Spiel hin- und herzuschieben.

Auch Viktor war eine Figur für sie, und nicht mal ein König oder

ein Läufer - nur ein gemeiner Bauer. Er war ein Werkzeug, dessen
sie sich bedient hatte, solange sie es gebraucht hatte.

Jetzt brauchte sie ihn nicht mehr.
Sie dachte nicht daran, mit ihm Lager und Besitz zu teilen.
Es war an der Zeit, ihn loszuwerden.
Viktor würde von drei Zeugen bei einem Mord beobachtet werden.

Ehrbare Leute, deren Aussagen Gewicht haben würden. »Rein
zufällig« würden sie am Ort der Tat sein, und Viktor würde nach
dem Mord selbst sein Leben lassen und nicht mehr plaudern können.

Um Viktors Räuber würde sich das Bruderherz kümmern. Bei der

Übergabe der Waffen und Rüstungen würden die Räuber ahnungslos
in die tödliche Falle tappen.

Niemand würde je herausbekommen, wer hinter allem gesteckt

hatte.

Katharina hatte lange an diesem Plan gebrütet. Zu Beginn war sie

noch bereit gewesen, Viktor an dem zu erwartenden Reichtum nach
den Eroberungen ihres Bruders zu beteiligen.

Doch dann hatte Viktor klargemacht, daß er mehr wollte.
Er wollte sie.
Aber sie hatte ganz andere Pläne. Sie hatte vor, großen Hofstaat zu

halten und den Reichtum in vollen Zügen zu genießen. Nicht mit
diesem primitiven Räuberhauptmann an ihrer Seite, aus dem nie ein
vornehmer Herr werden würde, und wenn er sich in goldene Schale
warf.

Nein, das war nicht der richtige Mann für die Zukunft, die sie sich

vorstellte.

Er hatte gesagt, daß er sie in der Hand habe und sie ihm deshalb in

Zukunft gefügig sein müsse.

Gefügig?
Nie war sie einem Mann Untertan gewesen, sondern immer die

background image

Männer ihr. Doch die wenigsten hatten das gewußt und sich stolz für
große Herzensbrecher gehalten.

Bei diesem Gedanken hätte sie am liebsten laut aufgelacht, aber sie

behielt sich eisern unter Kontrolle.

»Wen soll ich töten, auf daß du für immer mir gehörst?« fragte

Viktor angespannt.

»Eine Frau«, erwiderte Katharina. »Sie heißt Franziska und lebt in

Schönau.«

*

Ritter Roland war noch wie betäubt von dem Gehörten.

Katharina war die Verräterin!
Sie ließ von Viktors Bande Waffen und Rüstungen rauben, um

damit ihren Halbbruder in Verona zu versorgen, der gegen einen
Verwandten von König Artus Krieg führte. Gewiß war das kein
Aufstand von Unterdrückten, sondern ein großangelegter Beutezug.
Und mit dem Raub der Waffen wurden zwei Fliegen mit einer
Klappe geschlagen: König Artus' Verwandter wartete vergebens auf
die Hilfe im Kampf gegen vermeintliche Rebellen, und Katharina
sorgte dafür, daß ihr Bruder mit genau diesen Waffen gestärkt wurde.

Katharina, diese Schlange, hatte alle Fäden gezogen. Die Überfälle

waren zwar von Viktors Räubern begangen worden, doch im Grunde
war Katharina für den Tod der vielen Männer verantwortlich.

Er hatte gewußt, daß sie eine gefährliche Frau war, daß es ein Spiel

mit dem Feuer war, sich mit ihr einzulassen, doch nie hätte er
gedacht, daß sie so über Leichen ging.

Roland lief ein Schauer über die Wirbelsäule, als er daran dachte,

wie kalt sie über seinen - vermeintlichen - Tod geredet hatte. Und
wie sie fast im Plauderton einen weiteren Mordauftrag gegeben hatte.

Sie wollte Franziska umbringen lassen!
Das werde ich zu verhindern wissen, dachte Roland. Ich werde vor

Viktor in Schönau sein und ihn in Empfang nehmen. Und die Räuber
müssen auf dem Weg nach Verona geschnappt und der Transport

background image

sichergestellt werden.

Dann blieben nur noch Katharina und ihr Halbbruder, denen das

Handwerk gelegt werden mußte. Und der Mann auf Camelot, von
dem Katharina ihre Informationen hatte. Leider war der Name nicht
gefallen. Doch er mußte in Katharinas Bekanntenkreis zu finden sein.
Wenn sie nach Camelot zurückkehrte, würde sie dort auf Schritt und
Tritt beschattet werden und ...

Ein Geräusch riß Roland aus seinen Gedanken.
Er wirbelte herum, und seine Rechte zuckte instinktiv zum

Schwert.

Ein Schatten schnellte aus dem Dunkel hinter der Hütte auf ihn zu.
Er war entdeckt!
Roland duckte sich, doch er konnte dem Hieb nicht mehr ganz

ausweichen. Etwas knallte gegen seine Schulter, daß er das Gefühl
hatte, der Arm werde ihm abgerissen.

Roland stürzte.
Im nächsten Augenblick war der Schatten schon über ihm.
Verzweiflung stieg in Roland auf.
Ein Alarmschrei, und alles war aus. Nicht nur für ihn, sondern

vermutlich auch für Franziska.

Hände krallten sich um Rolands Hals. Die Luft wurde ihm knapp.

Tränen schössen ihm in die Augen.

Keuchende Atemzüge schlugen ihm ins Gesicht.
Blindlings schlug er im Dunkeln zu. Seine Faust traf klatschend,

und die Umklammerung lockerte sich.

Roland hatte nur einen Gedanken: Er mußte verhindern, daß der

Räuber schrie und seine Kumpane alarmierte.

Er packte mit der Linken das Gelenk einer Hand, die ihn würgte,

und schlug wieder mit der geballten Rechten zu.

Der Gegner stieß einen ächzenden Laut aus, doch er schrie nicht.
Roland riß mit der Linken die Hand des Kerls von seinem Hals.

Die Rechte löste sich von selbst von seinem Hals.

Roland atmete tief ein. Seine Hände Schossen vor, umklammerten

den Gegner und erstickten einen Schrei, wie Roland annahm.

background image

Im nächsten Augenblick erschrak Roland bis ins Mark.
Der Räuber hatte die Umklammerung nur gelöst, um ein Messer zu

ziehen.

Roland spürte, wie die Klinge über seinen Handrücken ratschte. Er

warf sich zurück.

Der Angreifer setzte nach.
Roland riß die Füße hoch und trat zu. Es gab einen dumpfen Laut,

als seine Stiefelspitze etwas traf.

Der Schatten taumelte zurück und sank zu Boden.
Roland warf sich auf ihn, doch der Mann leistete keinerlei

Gegenwehr. Er mußte ihn voll getroffen haben.

Schweratmend richtete sich Roland auf. Er lauschte.
Vom Lagerfeuer schallte Lachen herüber. Dort hatte man gewiß

nichts von dem Kampf hinter der Hütte bemerkt.

Und in der Hütte?
Kein Laut war zu hören. Die plötzliche Stille zerrte an Rolands

Nerven.

Er spähte durch eine Loch in der Decke und atmete auf.
Katharina und Viktor tranken gerade Wein. Deshalb das

Schweigen. Nichts wies darauf hin, daß sie etwas von dem Kampf
gehört hatten.

Ein Glück, daß der Räuber nicht zu einem Schrei gekommen war.
Viktor prostete jetzt Katharina zu.
»Auf die Zukunft, meine Liebe.«
»Auf die Zukunft«, erwiderte Katharina lächelnd.
Die wird anders aussehen, als ihr Verbrecher euch das vorstellt!

dachte Roland grimmig.

Er zog sich zurück. Jetzt war Eile geboten. Er mußte

verschwinden, sich ein Pferd besorgen und alles in die Wege leiten,
damit dem Mörderpack das Handwerk gelegt wurde.

Doch zuerst mußte er den Räuber aus dem Verkehr ziehen wie den

anderen, diesen Vitus. Bei der Hütte konnte er zu schnell gefunden
werden.

Roland fand ein Taschentuch in der Hosentasche des Bewußtlosen

background image

und band es ihm vor den Mund. Dann wuchtete er sich die schlaffe
Gestalt über die Schulter und schlich durch die Dunkelheit davon.

Der Mann regte sich erst, als Roland mit ihm in sicherer

Entfernung von den Hütten und vom Lagerfeuer war. Er stieß ein
schwaches, vom Tuch gedämpftes Ächzen aus und zappelte mit den
Beinen.

Roland legte den Kerl recht unsanft hinter einem Felsbrocken ab,

der die Sicht auf das Lager verdeckte. Es widerstrebte ihm, den
Mann von neuem mit einem Schlag auszuschalten; die gedämpften
Laute waren keine Gefahr.

Der Mann stemmte sich auf die Ellenbogen auf. Sein Gesicht geriet

in einen Streifen schwachen Mondlichts.

Roland stutzte.
Er packte den Mann am Kragen und zerrte ihn weiter vor, um sein

Gesicht besser sehen zu können.

Seine Augen weiteten sich vor Überraschung.
Der Mann war Dietleib von Auerswald.

*

Dietleib starrte Roland ebenso überrascht an.

»Roland!«
Es klang dumpf und undeutlich hinter dem Tuch hervor.
»Dreckiger Verräter«, sagte Roland verächtlich.
Das Bild hatte sich abgerundet. Das letzte Stückchen des Mosaiks

paßte.

Katharina war die Verbindung zu den Räubern, und Dietleib von

Auerswald war der Verräter auf Camelot, der ihr alle Hinweise gab,
die sie für die Überfälle brauchte.

Dietleib, das mußte der Name sein, den einer der Männer des

überfallenen Transports noch aufgeschnappt hatte, bevor er von
neuem das Bewußtsein verloren hatte. Franziska hatte von dem
Sterbenden nur noch Diet... gehört, doch Blasius Schulze, der
verschlafene Polizist, hatte zufällig den Nagel auf den Kopf

background image

getroffen. So dachte Roland.

In Wirklichkeit hatten zwei der Räuber über Diethilde gesprochen,

doch das sollte erst später ans Tageslicht kommen.

Dietleib schüttelte heftig den Kopf.
»Das Leugnen nutzt dir nichts mehr«, zischte Roland. »Dein

gemeines Spiel ist zu Ende. Und bald auch dein Leben.«

Wiederum schüttelte Dietleib den Kopf.
»... kein ... Verräter ...« glaubte Roland zu verstehen.
»Gib dir keine Mühe. Ich habe belauscht, was deine Komplizin

Katharina mit Viktor besprochen hat.«

Roland überlegte, wie er Dietleib fesseln konnte. In Ermangelung

von Stricken mußte er den Hosengürtel nehmen. Er würde den Kerl
mitnehmen und in sicheren Gewahrsam geben ...

Roland hielt das Messer in der Hand, und dennoch überraschte

Dietleib ihn.

Bevor Roland es verhindern konnte, Schossen Dietleibs Hände

hoch und rissen das Tuch vom Mund.

Roland sprang auf ihn zu und holte mit dem Messer aus. Dietleib

ließ ihm keine Wahl. Roland war entschlossen, zuzustechen, um zu
verhindern, daß Dietleib die Räuber alarmierte. Menschenleben
standen auf dem Spiel. Das von Franziska und gewiß von vielen
anderen Menschen, wenn der Räuberbande nicht das Handwerk
gelegt wurde und Waffen und Rüstungen in die Hände von
Katharinas Halbbruder fielen, die damit in einen Krieg ziehen
würden.

Roland holte zum Stoß mit dem Messer aus.
Doch Dietleib schrie nicht.
»Ich bin kein Verräter!« flüsterte er hastig und hob die Hände vors

Gesicht, als könnte er damit den Messerhieb abwehren. Roland
verharrte.

Er drückte Dietleib die Messerspitze gegen die Brust.
»Bevor du schreist, hast du die Klinge zwischen den Rippen!«

drohte er.

»Ich schreie nicht«, flüsterte Dietleib. Er zog die Hände vom

background image

Gesicht und starrte Roland in die Augen. »Ich hatte Angst, du
könntest die Räuber mit einem Schrei alarmieren.«

Das klang glaubwürdig. Wenn Roland es recht bedachte, hätte

Dietleib vor und während seines Angriffs Gelegenheit gehabt, die
Räuber aufmerksam zu machen.

»Ich hielt dich für einen von der Bande«, flüsterte Dietleib.

»Deshalb griff ich dich an. Ich habe herausgefunden, wer der
Verräter ist. Es ist Katharina.«

»Ich weiß«, erwiderte Roland. »Versuch nicht, ihr die Schuld

allein anzulasten. Du hast ihr die Informationen gegeben, die sie
brauchte.«

»Ja«, murmelte Dietleib leise und tonlos. »Diese Schuld bekenne

ich.«

Das Geständnis überraschte Roland trotz allem. Er hatte

angenommen, Dietleib würde versuchen, sich herauszulügen.

»Wir sollten verschwinden«, raunte Dietleib und sah sich besorgt

um. »Wenn sie uns finden, bringen sie uns um. Ich weiß, wie wir die
Bande schnappen können.«

»Ich auch«, erwiderte Roland gereizt.
Er vermutete, daß Dietleib irgendeinen Trick versuchen wollte. Als

Komplize der Räuber brauchte er kaum Angst davor zu haben,
entdeckt zu werden.

Roland hatte Dietleib ohnehin mitnehmen wollen. Deshalb erklärte

er sich einverstanden.

»In Ordnung«, sagte er. »Verschränke die Hände im Nacken und

geh vor mir her. Bei einem Fluchtversuch und beim geringsten Laut
hast du das Messer im Rücken!«

Dietleib unternahm keinen Fluchtversuch und verhielt sich ebenso

leise wie Roland. Auf Zehenspitzen schlich er vor Roland aus dem
Talkessel den westlichen Hang hinauf. Roland rutschte einmal auf
einem Moospolster ab. Dietleib blieb stehen und hielt ihm die Hand
hin, um ihn hochzuziehen.

Roland verzichtete auf Hilfe und war auf der Hut, weil er mit

einem Angriff rechnete.

background image

Doch Dietleibs Verhalten verstärkte die Zweifel, die in Roland

aufgekeimt waren. Sein Gefühl sagte ihm, daß Dietleib doch nichts
Böses im Schilde führte. Dennoch blieb Roland wachsam.

Unbehelligt gelangten sie über den Berg aus dem Talkessel.
Roland ließ sich erschöpft von dem beschwerlichen Auf- und

Abstieg und der Anspannung am Fuß einer Tanne nieder.

Er gab Dietleib mit dem Schwert, das er gegen das Messer

getauscht hatte, einen Wink.

Dietleib setzte sich ihm gegenüber hin.
»Dann erzähl mal dein Märchen«, sagt Roland. »Aber immer noch

leise.«

Dietleib nickte. »Die Wachtposten sind zwar am südlichen Zugang

zum Talkessel, aber es könnte sein, daß irgendeiner durch die
Gegend streift und uns zufällig entdeckt.«

Er suchte in der Dunkelheit Rolands Blick. Das Weiße seiner

Augen schimmerte.

»Ich konnte dich nicht leiden, doch ich danke dem Herrn, dich

lebend zu sehen«, fuhr Dietleib fort. »Sie sagten, du seist tot wie die
anderen Männer des Transports.«

Die Stimme klang jetzt erstickt. Dietleib schlug die Hände vors

Gesicht. Seine Schultern zuckten.

Ritter Dietleib von Auerswald weinte!
Roland schluckte. Ein Trick, mit dem der Mann sein Mißtrauen

und seine Wachsamkeit einschläfern wollte?

Nein, sein Gefühl sagte ihm, daß das nicht gespielt war. Dietleib

war tatsächlich erschüttert.

»Und ich bin am Tod dieser wackeren Männer mitschuldig.« Mit

zitternder Hand wischte sich Dietleib über die Augen.

Roland sagte nichts. Er verspürte ein Gefühl, daß er nicht ganz zu

erklären vermochte. Eine Mischung aus Rührung und Mitleid.

Er hatte Dietleib nie gemocht, doch irgendwie sah er ihn jetzt in

einem anderen Licht als zuvor. Welche Schuld er auch immer auf
sich geladen hatte, er bekannte sich ehrlich dazu und litt darunter.

Stockend sprach Dietleib weiter. »Ich - habe Katharina erzählt, was

background image

sie wissen wollte. Es - es war, als hätte sie eine übernatürliche Kraft,
eine Macht über mich, der ich mich nicht widersetzen konnte. Ich
war verrückt nach ihr. Ich war ihr hörig. Und dann, wenn wir im Bett
lagen, animierte sie mich, Kräuterlikör mit ihr zu trinken. Er enthielt
irgendein Rauschmittel, wie ich inzwischen weiß. Ich - ich war nicht
mehr Herr meiner Sinne. Ich fühlte mich wie schwerelos. Sie hatte
leichtes Spiel mit ihren geschickten Fragen. Vielleicht habe ich sogar
noch im Schlaf ausgeplaudert, was sie wissen wollte. Ich weiß es
nicht. Wenn ich nach diesen Nächten erwachte, konnte ich mich an
nichts Genaues mehr erinnern. Hat sie es bei dir auch auf diese
Weise versucht?«

»Nein«, sagte Roland. »Wir haben keinen Kräuterlikör getrunken

Doch erzähl weiter.«

»Als die Sache mit dem Verrat ruchbar wurde, war ich empört wie

alle anderen. Ein Hundsfott von Verräter in unseren eigenen Reihen!
Wie konnte ich ahnen, daß ich selbst den Verrat begangen hatte,
ohne es zu wissen! Ja, ich gebe zu, daß ich sogar dich verdächtigte.
Doch nach dem Mordanschlag auf dich war mir klar, daß du der
Verräter nicht sein konntest. Und mir fiel ein, daß sich Katharina
beiläufig bei mir erkundigt hatte, wann mit deiner Rückkehr zu
rechnen sei, woher du kommst und weitere Einzelheiten. Nun, das
war kein Geheimnis auf Camelot, und ich gab ihr Auskunft. Ich war
eifersüchtig, weil ich dachte, sie hätte Sehnsucht nach dir. Im
nachhinein fiel mir dann auf, daß sie mich ausgehorcht hatte. Ich
wäre also auch an deinem Tod schuld gewesen, wenn der
Mordanschlag gelungen wäre.«

Roland schwieg. Dietleibs Betroffenheit war echt. Roland spürte

förmlich wie die Selbstvorwürfe in Dietleib fraßen.

»Als sie mich in der letzten Nacht wieder in ihrem Schlafgemach

empfing, war ich mißtrauisch«, fuhr Dietleib fort. »Sie stellte zwar
geschickt die scheinbar beiläufigen Fragen, doch wenn man einmal
einen Verdacht hat, ist man hellhöriger. Ich war also vorsichtiger mit
meinen Worten und beschränkte mich auf ausweichende Antworten.
Sie drängte mir wieder den Kräuterlikör auf. Und es war wie immer.

background image

Ein Rausch, ein süßer und doch so schlimmer Rausch. Doch diesmal
verflog er schneller als sonst. Der verdammte Trunk war wohl nicht
so stark wie sonst. Vielleicht lockerte er mir nicht wie sonst die
Zunge. Dennoch gab ich ihr genügend Auskünfte - da will ich nichts
beschönigen. Doch am Morgen konnte ich mich an einiges erinnern,
was wir geredet hatten. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Ich
wollte es noch nicht wahrhaben. Immer wieder sagte ich mir, das
kann nicht sein.«

Wieder wischte er sich mit fahriger Hand über die Augen.
»Ich wollte mir letzte Gewißheit verschaffen«, fuhr er fort.

»Katharina verließ Camelot mit einer Kutsche. Sie fuhr in der
Dunkelheit und ganz allein. Keiner dachte sich etwas dabei, denn sie
war für ihre Kapriolen bekannt. Man munkelte, sie fahre zu einem
heimlichen Stelldichein. Ich dachte mir etwas anderes. Ich folgte ihr
heimlich und beobachtete, wie sie sich mit einem Reiter traf. Leider
konnte ich nicht belauschen, was sie besprachen. Sie muß dem Reiter
alles erzählt haben, was sie von mir erfahren hatte. Dazu reichte sie
ihm einen Brief, in dem gewiß das Wichtigste notiert war. Der Reiter
verschwand, und sie fuhr weiter. Ich wollte mir den Reiter
schnappen, um ihn auszuquetschen. Doch in der Dunkelheit verlor
ich ihn aus den Augen.«

Er legte eine Pause ein und atmete tief und seufzend, bevor er

fortfuhr:

»Ich ahnte, daß ich das Unheil verhindern konnte, wenn ich diesen

Reiter abfing, bevor er preisgeben konnte, was er von Katharina
erfahren hatte. Verzweifelt suchte ich nach der Fährte. Da kam
Katharina mit der Kutsche. Zuerst wollte ich ihr den Hals umdrehen.
Doch dann entschloß ich mich, ihr weiter zu folgen. Sie führte mich
zum Versteck der Bande. Doch die Räuber hatten längst auf ihre
Botschaft hin gehandelt.«

»Wie bist du unbemerkt an den Wachen vorbeigekommen?« fragte

Roland.

»Sie hielt in der Nähe des Verstecks an und gab ein Signal für die

Wachen. Da war ich gewarnt und wußte, daß das Versteck in der

background image

Nähe sein mußte. Über den Berg im Osten gelangte ich in das
versteckte Tal. Ich konnte Viktor und Katharina belauschen.«

Er erzählte ausführlich, was er gehört hatte. Überrascht stellte

Roland fest, daß Dietleib auch das wußte, was er selbst hatte
belauschen können. Dietleib hatte an der Seitenwand der Hütte
gestanden und gleichzeitig gelauscht. Erst später hatte er Roland
entdeckt und für einen Räuber gehalten.

Dietleib wußte jedoch viele Einzelheiten mehr als Roland. Er

kannte zum Beispiel die Route, die der Transport nehmen würde. Er
hielt sich ja seit etwa zwei Stunden nach Katharinas Ankunft im
Räuberlager auf.

»Es bleibt mir nur noch eines, um meine Schuld wenigstens zum

Teil wieder gutzumachen«, sagte Dietleib mit dumpfer Stimme. »Ich
werde Katharina und die Räuber zur Strecke bringen.«

Und mit noch leiserer Stimme fügte er hinzu: »Und dann werde ich

die Konsequenzen ziehen und meinem Leben ein Ende setzen.«

»Mit ersterem bin ich völlig einverstanden«, sagte Roland. »Und

das andere wirst du dir aus dem Kopf schlagen. Laß uns jetzt beraten,
wie wir uns die Aufgaben teilen und alles in die Wege leiten.«

*

Diethilde lachte. Volker hatte gerade wieder einen »Holzfällerwitz«
erzählt.

Volker gab sich heiter und unbeschwert, und nichts verriet seine

Anspannung.

Er wußte, daß es nicht mehr lange dauerte, bis sie überfallen

wurden.

Er selbst hatte mit den Informationen, die er Diethilde gegeben

hatte, dafür gesorgt.

In Erlenhain hatte er belauscht, was Diethilde mit ihren Kumpanen

besprochen hatte. Dann hatte er Diethilde angeboten, sie weiter
mitzunehmen. Er sei verrückt nach ihr, hatte er gelogen.

Sie hatte das Angebot nur zu gern angenommen. Sie müsse nur

background image

noch im Gasthof die Rechnung bezahlen. Dort hatte sie die Kumpane
informiert.

Sie ahnte nicht, daß bei der letzten Rast die ohnehin geplanten

Vorkehrungen für die Falle getroffen worden waren.

Während Volker, die Knappen und Diethilde im Gasthof gespeist

hatten, waren zwei der Wagen ausgetauscht worden. Sie waren nur
mit ein wenig Holz zur Tarnung und Panzerung beladen und
transportierten drei Dutzend gerüstete und bewaffnete Männer, die
sich ja nach König Artus' Plan an diesem Ort bereitgehalten hatten,
damit die Räuber gefaßt wurden.

Daß der Verräter diesmal keine präzisen Angaben erhalten hatte

und deshalb, um ganz sicherzugehen, beide Transporte hatte
überfallen lassen, das hatte König Artus ja nicht ahnen können.

»Ach, ich bin so glücklich, daß du mich noch weiter mitgenommen

hast«, sagte Diethilde und schmiegte sich auf der Fahrerbank gegen
Volker. »Nie werde ich die schönen Stunden mit dir vergessen, du
süßer Holzfäller du.«

Volker lächelte sie an, und nichts verriet seine Gedanken.
Dieses verkommene Luder mit dem madonnenhaften Gesicht

erlaubte sich auch noch ironische Scherze.

Sie ging davon aus, daß bei der letzten Rast die Waffen und

Rüstungen in Empfang genommen worden waren. Das hatte sich ja
Volker, wie es aussah, entlocken lassen, natürlich nur in
Andeutungen. Sie wußte genau, daß gleich ihre Kumpane zur Stelle
sein würden und daß sich alles wie beim ersten Mal abspielen würde.
Diesmal nur mit dem Unterschied, daß sie mit der Beute
verschwinden würden.

»Nie werde ich die schönen Stunden mit dir vergessen ...»Das war

schon als höhnischer Abschied gemeint, »Auch ich werde dich nicht
vergessen«, erwiderte Volker grinsend. »So eine wie du ist mir
wirklich noch nie untergekommen.«

Sie lachte, denn sie ahnte nicht den Doppelsinn seiner Worte.
Und dann war es auch schon soweit.
Diethildes Kumpane erwiesen sich als wenig einfallsreich. Der

background image

Überfall lief nach der gleichen Art ab wie der erste. Eine günstige
Stelle, ein Baumstamm als Blockade hinter der Wegbiegung, und
dann stürmten die Räuber zwischen Büschen und Bäumen am
Wegesrand hervor.

»Keine Bewegung, oder ...«
Weiter kam Walther, der Anführer, nicht mehr. Einer der

Bogenschützen auf den beiden ersten Wagen schoß durch einen Riß
in der Wagenplane seinen Pfeil ab.

Der Pfeil traf Walther in die rechte Schulter. Schreiend taumelte er

zurück und stürzte zwischen die Büsche.

Die Räuber erstarrten vor Schreck.
Die Planen der Wagen flogen hoch. Männer mit Schwertern und

Lanzen sprangen von den Wagen. Ein Pfeil traf den Räuber mit der
Armbrust. Röchelnd sank er zu Boden.

»Gebt auf, ihr habt keine Chance!« rief Louis und sprang mit

blitzendem Schwert vom Wagenbock herab.

Nur einer der Räuber war vernünftig genug, die Ausweglosigkeit

seiner Lage zu erkennen. Er ließ sein Schwert fallen, hob die Hände
und flehte um Gnade. Sie wurde ihm gewährt.

Die anderen waren so dumm zu kämpfen ...
Volker blickte zu Diethilde. Sie saß starr neben ihm, mit

fassungsloser Miene, und ihre Augen spiegelten das Grauen wider.

»O Gott...« stöhnte sie und preßte eine Hand auf den Mund.
Dann zuckte ihr Blick zu Volker, und sie begriff anscheinend erst

jetzt, daß er ihr und ihren Kumpanen eine Falle gestellt hatte.

Sie sprang auf und wollte vom Wagen klettern.
Volker vom Hohentwiel hielt sie fest und tippte ihr sein Schwert in

die Seite.

»Du bleibst hier, du falsches Aas«, sagte er. »Und ich wette, du

wirst mir einige interessante Fragen beantworten, bevor du im
Kerker über dein verkommenes Leben nachdenken kannst.«

Und so war es dann auch. Diethilde sagte alles, was Volker wissen

wollte. Sie hoffte auf mildere Bestrafung, wenn sie alles verriet -
Namen, Zahl der Räuber, ihre bisherigen Untaten und zukünftigen

background image

Pläne und das Versteck.

Diethilde war ja über alles bestens informiert. Sie wußte mehr

Einzelheiten als jeder von Viktors Räubern. Da sie mal hier und mal
da nächtigte, hatte sie mal hier und mal da Einzelheiten erfahren.
Nicht zuletzt von Viktor selbst.

Zwei tote Räuber wurden begraben, die verletzten Räuber und

Diethilde wurden von einigen Männern des Trupps als Gefangene
bewacht.

Volker, die Knappen und der Rest von König Artus' Mannen

machten sich auf den Weg zum Versteck der Räuber.

Sie waren nicht mehr sehr weit entfernt, als ein Reiter auftauchte:

Dietleib von Auerswald.

Roland hatte Dietleib in den Teil des Plans eingeweiht, den König

Artus nur Volker und ihm preisgegeben hatte. Dietleib sollte die
Männer des Königs informieren, die vermutlich vergebens auf
Volker und die Knappen warteten, ohne genau zu wissen, zu
welchem Einsatz sie bestimmt waren.

Dietleib war erleichtert, daß Volker und die Knappen noch lebten.

Er und auch Roland hatten angenommen, sie seien bei einem
Überfall der Räuber ums Leben gekommen wie die Männer des
anderen Transports.

Roland war völlig fertig, als er diese Möglichkeit in Betracht zog.

Seine Knappen und sein Freund Volker tot! Er hat Tränen in den
Augen gehabt. Wie glücklich wird er sein, wenn er sie wiedersieht!

Dietleib erzählte alles, was er wußte, nur eines verschwieg er:

Seine Rolle bei der ganzen Sache.

»Roland wird also den Räuberhauptmann Viktor in Schönau

schnappen«, sagte Volker zufrieden. »Gut. Katharina ist kein
Problem. Wir schicken einen Boten nach Camelot, der den König
informiert, und dort wird sie gebührend in Empfang genommen. Und
die Bande greifen wir uns statt im Versteck, wenn sie unterwegs mit
den Wagen ist.«

Sie kannten die Fahrtroute der Wagen. Sie legten einen Hinterhalt

und überraschten die Bande. Es gab ein paar Tote und Verletzte,

background image

doch dann gaben die Räuber auf. Und es gab noch eine erfreuliche
Überraschung: Einer der Räuber hatte Rolands Roß geritten.

»Lief doch prächtig«, zog Volker zufrieden Bilanz. »Roland wird

sich freuen, seinen Hengst wiederzubekommen. Dank Dietleibs
Informationen war das Ganze kinderleicht. Wo ist er eigentlich?«

Dietleib war nicht mehr bei dem Trupp. Irgend jemand erinnerte

sich daran, daß der Ritter nach Süden davongeritten war.

»Wo mag er hin sein?« überlegte Volker. Niemand wußte eine

Antwort darauf.

*

Mondschein tauchte die Alm in silbriges Licht.

Viktor blickte zum erleuchteten Fenster der Almhütte. Diese

Franziska war also da. Ganz allein sollte sie dort oben leben. Sicher
eine verhutzelte, ärmliche Almbäuerin, dachte er, an der sich
niemand vergreift.

Das machte die Sache einfacher.
Viktor hatte schon viele Menschen getötet, doch niemals eine Frau.

Doch Katharina verlangte es. Bei dem Gedanken an Katharina
grinste er, und sein Gesicht verlor etwas den verkniffenen Ausdruck.
Wenn er diese Sache erledigt hatte, würde Katharina ihm gehören ...

Ein Hund schlug an, und das helle Kläffen riß ihn aus seinen

Gedanken.

Die Tür der Hütte wurde einen Spalt geöffnet. Jemand spähte

hinaus. Etwas Dunkles lief den Hang hinunter und flog förmlich auf
Viktor zu.

Viktor legte instinktiv die Rechte aufs Schwert. Dann entspannte er

sich. Ein winziger, wuscheliger Hund tollte kläffend um ihn herum.

»Wer ist da?« rief eine Frauenstimme.
»Grüß Gott. Seid Ihr Franziska Hellwig?«
»Ja.«
»Ich habe einen Brief für Euch.«
»Ihr könnt kommen.« Die Tür wurde aufgeschoben. Die Frau zog

background image

sich scheinbar völlig arglos in die Hütte zurück.

Viktor schritt schneller aus. Er war nur noch ein paar Klafter von

der Tür entfernt, als ein dunkler Schatten auf ihn zuflog. Viktor
erschrak.

Es war ein großer Hund, der dicht vor ihm landete und bedrohlich

knurrte.

»Xaver, Leopold, gebt Ruhe!« rief die Frau aus der Hütte.
Das Knurren und Bellen ging in ein Winseln über. Der große Hund

trollte sich, doch der kleine sprang um Viktors Beine herum und
schnappe nach seinen Stiefeln.

Viktor wich aus und wäre fast gestolpert. Wütend trat er nach dem

Hund.

Im nächsten Augenblick stieß er einen Fluch aus. Das Hündchen

schnellte an ihm hoch und biß ihn in die Hand.

»Verdammter Köter!«
Viktor schleuderte den kleinen Hund von sich.
Der große Hund knurrte und duckte sich zum Sprung.
»Xaver! Leopold!« rief die Frau in der Hütte.
Viktor tastete zu seiner blutenden Hand und beeilte sich, zur Hütte

zu gelangen. Er trat ein, zog die Tür zu und erstarrte.

Die Frau war da. Noch dazu eine Schönheit, die er nicht erwartet

hatte. Doch sie war nicht allein. Ein Mann mit einem Schwert in der
Hand stand gleich neben der Tür.

Viktor schalt sich einen Narren. Er hätte damit rechnen müssen,

daß sich zufällig ein Besucher bei Franziska aufhielt.

Viktor zwang sich zu einem Lächeln. Kein Grund zur Aufregung.

Den Kerl würde er schon überlisten.

»Guten Abend. Ah, Ihr seid bestimmt Herr Hellwig.«
Der Mann lächelte.
»Guten Abend, Viktor. Ich heiße nicht Hellwig, sondern Roland.«
Und damit setzte ihm Roland das Schwert an die Kehle.
Viktor erbleichte.
»Ritter - Roland. Aber ...«
»Du dachtest, ich weile nicht mehr unter den Lebenden? Da siehst

background image

du, wie man sich irren kann. Dreh dich um und streck die Pfoten
hoch.«

Viktor zögerte. Dann ließ er die Schultern hängen und wandte sich

scheinbar resigniert langsam um. Doch als Roland das Schwert etwas
zurückzog, handelte Viktor. Aus der Drehung heraus sprang er
Roland an.

Franziska, die von Roland zum Kamin geschickt worden war,

damit sie nicht in Gefahr geriet, schrie auf.

Doch Roland war auf der Hut gewesen. Gedankenschnell wich er

zur Seite aus, und Viktor stürzte an ihm vorbei und prallte zu Boden.
Bevor der Räuberhauptmann sein Schwert zücken konnte, streckte
Roland ihn mit einem schnellen Hieb nieder. Reglos blieb Viktor
liegen.

Roland blickte zu Franziska.
»Das hätten wir«, sagte er. »Gib mir die Stricke.«
Franziska brachte die Stricke, die schon für Viktors

Gefangennahme bereitlagen. Roland fesselte den Verbrecher an
Händen und Füßen.

Als er sich aufrichtete, sah er, daß Franziska ihn lächelnd

betrachtete.

Er trat zu ihr. »Danke für die Hilfe.«
»Das war doch selbstverständlich. Aber - ich dachte, du würdest

mich mal bei anderer Gelegenheit hier besuchen - nicht nur
dienstlich. Es enttäuschte mich ein bißchen, daß du nur an ihn
dachtest.« Sie nickte zu Viktor hin.

Roland blickte sie verblüfft an. Sein Puls beschleunigte sich.
»Aber ich dachte ...«
Da schlang sie die Arme um ihn und küßte ihn zärtlich wie bei der

ersten Begegnung zum Abschied.

»Es war ein Ritter, der mir das Herz brach«, sagte sie dann. »Nach

dieser Enttäuschung flüchtete ich in die Einsamkeit der Berge. Und
ich hörte vieles über dich, Roland. Deshalb wollte ich mein Herz mit
einem Panzer umgeben. Deshalb schickte ich dich fort. Doch als du
weg warst, sehnte ich mich schon nach einem Wiedersehen. Ich

background image

hoffte, daß du wiederkommst. Und der Panzer? Jetzt ist er völlig
geschmolzen.«

Roland hielt sie in den Armen, und ein tiefes Glücksgefühl

durchpulste ihn.

»Ich habe viel nachgedacht«, fuhr Franziska fort. »Hier oben hat

man Zeit zum Denken. Dieser Ritter damals - er wollte sich nicht
binden. Und auch dich wird es wohl weiter von Abenteuer zu
Abenteuer treiben. Deshalb will ich nicht, daß du mir in einem
schwachen Moment etwas versprichst, was du nicht zu halten
vermagst. Ich werde keine Ansprüche stellen - für die Zukunft meine
ich. Ich werde glücklich mit dem sein, was mir der Augenblick
schenkt.«

Wieder küßte sie ihn zärtlich.
In diesem Augenblick schlugen draußen die Hunde an.
Roland schob Franziska sanft von sich. Er warf einen Blick zu

Viktor. Der Verbrecher war noch bewußtlos. Roland eilte neben das
Fenster und spähte durch einen Spalt in der Gardine hinaus. Dann
stockte ihm der Atem. Er erkannte die Gestalt, die dort draußen
erschrocken verharrte, als der große Xaver aus der Dunkelheit auf sie
zuschnellte und knurrend vor ihr verharrte, während Leopold
kläffend um die Frau herumtollte.

»Katharina!« stieß Roland hervor.
»Die Verräterin, die mit den Räubern gemeinsame Sache macht?«

fragte Franziska. Roland hatte ihr in groben Zügen alles erzählt.

»Ja. Und ich möchte wissen, was sie hier treibt.«
Katharina wollte ihren hinterlistigen Plan in die Tat umsetzen. Sie

hatte Viktor beobachtet, als er in der Hütte verschwunden war. Sie
hatte den Aufschrei einer Frau vernommen. Viktor mußte den
Auftrag erledigt haben. Jetzt wollte sie zu ihm gehen. Er würde
überrascht, doch nicht argwöhnisch sein. Sie wollte ihm eine
einleuchtende Erklärung geben, weshalb sie ihm gefolgt war. Und
dann wollte sie ihm einen Dolch ins Herz stoßen und alles so
arrangieren, daß es aussah, als hätte es einen Kampf zwischen Viktor
und Franziska gegeben. Schreiend wollte sie dann ins Tal laufen und

background image

aussagen, daß sie zufällig Zeugin des Mordes geworden sei. Ihren
ursprünglichen Plan, für fremde Zeugen zu sorgen, hatte sie aus
Zeitmangel aufgegeben. Sie hielt ihn auch für überflüssig. Niemand
kannte sie in dem kleinen Ort, und keiner konnte eine Verbindung
zwischen Viktor und ihr herstellen.

»Viktor, Viktor!« rief sie jetzt. »Bist du da? Ich bin's, Katharina!«
In diesem Augenblick stieß Roland die Tür auf und sprang mit dem

Schwert in der Faust aus der Hütte. »Oh, Viktor, schaff mir die Köter
vom Hals. Ich ...«

Dann erkannte sie, daß es nicht Viktor war. Ihr Mund klaffte auf,

und ihre Augen weiteten sich. Sie starrte Roland an, als sehe sie
einen Geist.

Doch sie faßte sich schnell.
»Roland? Oh, Roland, welch ein Zufall. Ich war auf Besuch in

dieser Gegend und hörte, daß du hier sein sollst. Ich hatte solche
Sehnsucht nach dir und ...«

»Xaver, faß!«
Franziska rief es zornig aus der Hütte.
Da flog der große schwarze Hund wie ein Schatten auf Katharina

zu. Er riß die schreiende Frau zu Boden, In Panik schlug Katharina
um sich, und ihr Kreischen hallte über die Alm.

Roland verharrte an der Tür. Sekundenlang war er erschrocken.
»Pfeif den Hund zurück!« rief er Franziska zu. »Er zerfleischt sie

ja!«

Franziska tauchte gelassen hinter Roland in der Tür auf.
»Keine Sorge«, sagte sie. »Xaver beißt nicht zu. Dazu bedarf es

noch eines zusätzlichen Kommandos. Aber das bleibt nun wirklich
mein Geheimnis, für den Fall, daß ich dich wieder los werden
möchte.«

Roland mußte lächeln. Franziska hatte also für den Notfall

vorgesorgt. Deshalb konnte sie es auch wagen, ganz allein auf dieser
Alm zu leben.

»Xaver, sei lieb!« rief Franziska.
Xaver ließ sofort von der Frau ab, deren Schreie in ein Wimmern

background image

übergegangen waren. Todesangst mußte sie ausgestanden haben.

Sie rappelte sich auf. Es sah nicht gerade anmutig aus. Ihr Kleid

war eingerissen.

»Dein falsches Spiel ist aus«, sagte Roland.
Sie warf sich herum und rannte wie von Furien gehetzt den Hang

hinunter. Der kleine Wuschelhund folgte ihr, sprang um ihre Beine
herum und schnappte nach ihrem Kleid. Mehrmals stolperte
Katharina, raffte sich wieder auf, warf einen gehetzten Blick zurück
zu Roland und rannte weiter.

»Bleib aus der Reichweite des Gefangenen«, sagte Roland zu

Franziska. »Ich schnappe mir die unfeine Dame, bevor sie sich aus
dem Staub macht.«

Roland gürtete sein Schwert und lief los.
Katharina hatte einen Vorsprung von gut hundert Klafter, doch sie

konnte ihm nicht entkommen. Spätestens im Tal würde er sie fassen.

So lange brauchte er nicht zu warten.
Katharina blieb plötzlich stehen, als wäre sie gegen ein Hindernis

geprallt.

Eine Gestalt löste sich aus dem Dunkel bei einigen Kiefern und trat

in den Mondschein.

»Dietleib!« rief Katharina. Sie lief auf ihn zu, mit vorgestreckten

Armen, und wollte sich ihm an den Hals werfen. »Hilf mir,
Geliebter!«

Dietleib benahm sich nicht wie ein Kavalier. Sein Zorn auf diese

Frau, die ihm so übel mitgespielt hatte, war so groß, daß er sämtliche
Manieren und alle Ritterlichkeit vergaß.

Ungerührt wich er im letzten Augenblick zur Seite.
Katharina strauchelte auf dem Hang, wurde von ihrem Schwung

weiter gerissen und schlug der Länge lang hin. Bäuchlings
schrammte sie noch ein Stück den Hang hinunter.

Dietleib trat zu ihr und starrte auf sie hinab. Er zog sein Schwert.
»Dietleib!« rief Roland entsetzt und hetzte auf ihn zu.
Dietleib wandte den Kopf. »Ich hab' dich schon gesehen, Roland.

Keine Sorge. Dieses Drecksstück ist meines Schwertes nicht würdig.

background image

Das Schwert ist für mich bestimmt, da jetzt alles erledigt ist.«

Roland zog sein Schwert und war mit zwei langen Sätzen bei

Dietleib.

»Sei vernünftig!«
»Du kannst mich nicht daran hindern!« keuchte Dietlieb.
»Und ob!«
Roland griff an. Dietleib parierte den Schwerthieb. Wütend

konterte er. Hell klirrten die Schwerter, und Funken stieben.

Dietleib war ein guter Schwertkämpfer, und Roland hatte einige

Mühe. Doch dann lenkte Katharina Dietleib ab. Sie sprang auf und
wollte flüchten. Dietleib sah es aus den Augenwinkeln und schlug sie
mit der Breitseite der Klinge nieder.

Dann wirbelte er zu Roland herum. Darauf hatte Roland nur

gewartet. Mit wuchtigem Hieb schmetterte er Dietleib das Schwert
aus der Hand. Dietleib rutschte aus und stürzte.

Er starrte zu Roland empor.
»Stoß schon zu!« keuchte er.
Roland schüttelte den Kopf. »Jetzt hör mir mal gut zu. Du hast

nicht wissentlich Verrat begangen. Du hattest das Pech, auf eine
falsche Schlange hereinzufallen. Das ist deine ganze Schuld. Und als
du deinen Fehler erkanntest, hast du alles getan, um ihn
wiedergutzumachen.«

»Ich kann mit der Schmach nicht leben«, sagte Dietleib gepreßt.

»Stoß zu!«

»Bist du ein Ritter oder ein Feigling? Denn es bedarf mehr Mut,

Problemen, und seien sie noch so groß, gefaßt ins Auge zu sehen und
sie zu meistern, als vor ihnen zu fliehen. Wenn du ein Ritter bist,
stellst du dich den Richtern auf Erden. Wenn du ein Feigling bist,
dann nimm dein Schwert und flüchte in den Tod. In diesem Fall bist
du meines Schwertes nicht würdig!«

Damit gürtete Roland sein Schwert und wandte sich ab. Er

durchlebte bange Sekunden voller Anspannung. Wie mochte
Dietleibs Entscheidung ausfallen? Niemand würde ihn jemals von
einem Selbstmord abhalten können. Irgendeine Gelegenheit würde er

background image

immer finden. Er allein mußte die Entscheidung treffen, und Roland
konnte nur hoffen, daß seine bewußt verächtlich gesprochenen Worte
den Mann zur Besinnung brachten.

Er lauschte angestrengt und dachte schon, Dietleib würde sein

Schwert ergreifen und sich töten.

»Wir - müssen sie fesseln«, rief da Dietleib recht lebendig. »Hast

du Viktor?«

Roland verharrte. Er lächelte.
Dietleib hatte die richtige Entscheidung getroffen. »Ja«, sagte er

aufatmend. »Ich habe Viktor.«

»Die anderen haben wir auch geschnappt«, sagte Dietleib. »Deine

Knappen und Volker leben. Und dein Pferd haben wir auch. Die
Räuber hatten es mitgenommen. Volker veranlaßt, daß Katharinas
Bruder geschnappt wird, wenn er vergebens auf den Transport
wartet. Statt Waffen und Rüstungen zu bekommen, wird er in Ketten
gelegt werden.«

»Welch gute Kunde!« sagte Roland bewegt. »Dies ist wohl der Tag

der schönsten Überraschungen.«

Er schritt zu Dietleib, der immer noch am Boden hockte.
Er reichte ihm die Hand.
Dietleib ergriff sie zögernd.
»Ich wußte, daß du dich für den Weg eines Ritters entscheiden

wirst«, sagte Roland in überzeugtem Tonfall, obwohl er sich dessen
nicht ganz sicher gewesen war. »Verzeih meine Worte.«

Damit zog er Dietleib hoch.
Dietleib drückte Rolands Hand noch einmal, bevor er sie losließ,

und Roland spürte, daß es ein stummer Dank war.

Dietleib setzte verlegen zu einer Erklärung an. »Ich - ich weiß

nicht, weshalb ich erst durch deine Worte ...«

»Vertrödeln wir nicht unsere Zeit«, unterbrach Roland ihn schnell.

»Wir sollten uns beeilen, die Gefangenen nach Schönau zu bringen.
Blasius Schulze wird sie getrennt einsperren. Und morgen bringst du
sie nach Camelot und legst sie dem König zu Füßen.«

»Und mich kannst du dann gleich dazu legen«, sagte Dietleib mit

background image

einem gezwungenen Lachen. Es sollte wie Galgenhumor klingen,
doch Roland hörte die Bitterkeit aus Dietleibs Worten heraus.

»Irrtum«, sagte er. »Was du dem König zu erklären hast, kannst du

ihm selbst sagen. Und zwar im Stehen. Ich sagte, du lieferst die
Gefangenen an. Auf meine Begleitung wirst du leider verzichten
müssen.«

Dietleib starrte ihn an. Seine Miene war verständnislos, dann stahl

sich ganz langsam ein Lächeln um seine Lippen.

Roland spürte, daß Dietleib zutiefst bewegt war ob des Vertrauens,

das ihm entgegengebracht wurde.

»Und ich konnte dich nicht leiden!« entfuhr es Dietleib.
»Ich dich auch nicht«, bekannte Roland lächelnd.
»So kann man sich irren«, sagte Dietleib verlegen.
»So kann man sich irren.«
Sie blickten sich in die Augen, und sie wußten, daß die Zeit der

Feindschaft vorüber war.

»Aber weshalb willst du nicht mitkommen?« fragte Dietleib

schließlich.

Roland dachte an Franziska. Gewiß würde sie ihn zum Essen

einladen. Und diesmal würde sie ihn nicht nur einen Tropfen von
ihrem guten Wein nippen lassen. Und dann war da auch noch
Edeltraut. Er hatte ihr sein Wort gegeben. Er mußte sich zumindest
von ihr verabschieden.

Er lächelte.
»Hier gibt es noch allerhand für mich zu tun.«

ENDE

background image

»Wer wagt es, mich in meiner Ruhe zu stören?!« brüllte der
Burggraf. Aus verquollenen Augen starrte er seinem Sohn Walram
entgegen, dessen harte Schritte über den Steinboden der Halle
polterten. Wulf von Wolfeneck spuckte auf den mit Essensresten
bedeckten Tisch, als er seinen Ältesten erkannte. »Wo treibst du
dich herum, Haderlump?«

»Spiel dich nicht so auf!« brüllte Walram zurück. »Ich weiß, um
was es geht. Ich soll eins von den Weibern von Ludgershall
heiraten, damit die Ludgershaller Ruhe vor unseren Schwertern
haben. Aber, beim Sensenmann, ich werde weiterhin jedem
Ludgershaller, der mir seine Visage in den Weg hält, die Kehle
durchschneiden!«
»Du hast recht«, gurgelte der betrunkene Vater. »Aber laß dir
meinen Plan erklären. Es soll nämlich keine richtige Hochzeit
werden, sondern eine Bluthochzeit. ..«

Die Bluthochzeit

kommt in 14 Tagen als Ritter-Roland-Band 25 in die
Zeitschriftenläden. Holen Sie sich diesen Abenteuer-Roman
für nur DM 1,60.


Wyszukiwarka

Podobne podstrony:
Ritter Roland 18 Joachim Honnef Hochzeit mit dem Mordgesellen
Ritter Roland 13 Joachim Honnef Das rothaarige Luder
Ritter Roland 21 Joachim Honnef Wittich der Schrecken vom Hotzenwald
Ritter Roland 10 Joachim Honnef Die Siegesfeier der Banditen
Ritter Roland 25 Joachim Honnef Die Bluthochzeit
Ritter Roland 16 Joachim Honnef Die Bärenfalle
Ritter Roland 23 Joachim Honnef Ein Engel als Köder
Ritter Roland 07 Joachim Honnef Überfall im Morgengrauen
Ritter Roland 08 Joachim Honnef Gorgar der Tyrann
Ritter Roland 11 Günther Herbst Bauernaufstand
Ritter Roland 19 Günther Herbst Der Racheschwur
Ritter Roland 09 Götz Altenburg Der falsche König Artus
Ritter Roland 17 Götz Altenburg Hassos wilde Horde
Ritter Roland 06 Günther Herbst Die geteilte Herzogskrone
Ritter Roland 02 Ekkehart Reinke Im Waffenzelt
Ritter Roland 30 Ekkehart Reinke Die Schlacht um Camelot
Ritter Roland 14 Günther Herbst Die blutige Gräfin
Ritter Roland 22 Günther Herbst Die Blutbestie
Ritter Roland 03 Ekkehart Reinke Der Kampf mit dem Drachen

więcej podobnych podstron