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2

Dan Roberts 

Letzte Hürde vor der Hölle 

Apache Cochise 

Band Nr. 18 

Version 1.0 

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3

Prolog 

Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder. 
Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder 
früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen.
 

Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von 

Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen 
erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete 
Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch 
veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine 
erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht 
begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten 
Rasse führten.
 

Man kann sagen, die damaligen Weißen und Mexikaner 

waren alles andere als weitblickend, eher nur von einer 
hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines Panthers 
glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der Indianer 
eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für einen 
Apachen-Skalp.
 

Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer 

mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur 
und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder 
bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des 
Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«?
 

Mitnichten. Zum Teil gab es vorausschauende und 

mitfühlende Männer in der Army, die aber wegen ihrer 
»Humanitätsduselei« nicht zu Wort gelangten, aber den 
Untergang der roten Rasse voraussagten und mit den 
Indianern fühlten.
 

Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuer- 

und beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest 
steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von 

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4

vielen Amerikanern heutzutage bagatellisiert und, wenn die 
Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung 
abgetan wird.
 

Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden 

Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur 
schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen 
vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den 
Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische 
Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung 
trieb, nicht mit ansehen muß.
 

Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die 

Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft, 
ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos 
im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen 
Arizonas.
 

Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet? 
Sicherlich nicht, denn kein nomadisierendes Volk in Europa, 

Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden. 
Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren 
Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den 
Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen 
werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden 
in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum 
Leben brauchten. Zu alten Zeiten war daher für die Apachen 
die Welt noch in Ordnung. Erst als der weiße Mann mit seinen 
überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten 
Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich 
das große graue Leichentuch über die Stämme und 
Sippenverbände. 

Ganz bestimmt wäre vor 100 und mehr Jahren 

möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den 
Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger 
Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments 
gegen die rote Rasse gewesen wäre.
 

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5

Es hat nicht an klardenkenden und verantwortungsbewußten 

Leuten gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im 
Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu 
ihrem Recht zu verhelfen.
 

Es ist nicht Aufgabe dieser Einleitung, anzuklagen und zu 

richten, denn niemand von uns kann sagen, daß er es 
womöglich hätte besser machen können. Sie alle in der 
damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren Kinder einer harten 
und erbarmungslosen Epoche, und sie waren Bewohner einer 
rauhen Umwelt. 

Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen 

Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter 
authentische Aufzeichnung amerikanischer Geschichte, die in 
Romanform für den deutschen Sprachraum noch nicht oder nur 
in Kurzform gebracht wurde.
 

Die guten und schlechten Weißen, die anständigen Apachen 

und die grausamen, tauchen namentlich in der Story auf und 
geben der Geschichte einen dramatischen, wenn auch 
makabren Hintergrund.
 

Ihr Martin Kelter Verlag. 

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6

*** 

Apachenland. 

Tausend Canyons, tausend Felsen und zahllose Verstecke. 

Am Tag glühte die Sonne, tauchte Pinien, Kakteen und 
Felsenwüste in gnadenlose Hitze. 

Dieses Land bot den weißen Menschen unzählige Rätsel und 

Gefahren. 

Dieses Land war ein Paradies für Klapperschlangen, 

Skorpione, Eidechsen und Wölfe. 

Der weiße Mann konnte zahllose Gebiete finden, die für ihn 

und seine Lebensweise besser geeignet waren. 

Aber hier, im Südwest-Territorium, lockte das Gold, lockten 

die Gerüchte vom schnellen Reichtum. 

Apachenland – das Land des heißen Sandes, der 

unwegsamen Bergfestungen, der erbarmungslosen Krieger, 
deren Grausamkeit aus dem Kampf ums Überleben geboren 
war. Denn die Ureinwohner dieser Halbwüste, der Kakteen- 
und Felsenwildnis waren den Eroberern im Weg. 

Schon mehr als einmal hatten die eisenharten Krieger der 

verschiedenen Stämme den vorwärts drängenden Spaniern, 
Weißen und später den Mexikanern Einhalt geboten. 

Das Gold lockte den weißen Mann. 
Jener gelbe Dreck, mit dem die Apachen erst später 

umzugehen lernten. Denn bei ihnen taugte ein so weiches 
Metall zu nichts. Ihre Künste dienten dem Überleben. Und für 
Pfeilspitzen, Dolche oder gar Kochgeräte war das gelbe Metall 
zu weich. 

Erst spät – zu spät – lernten die Krieger, daß dieses gelbe 

Eisen den Geist der Weißen verwirrte, ihnen als begehrtes 
Tauschmittel diente und imstande war, Unfrieden unter den 
Eroberern zu stiften. 

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7

Und jetzt ging es ums Überleben, um die nackte Existenz der 

Stämme, um ihre ureigenste Art des Lebens, die sie seit 
Jahrhunderten vervollkommnet hatten. 

Große Führer ahnten, wußten, daß der Kampf vergebens war. 

Aber sie alle folgten dem Ruf des Blutes, das im Kampf so 
heiß durch die Adern wallte. Sie folgten dem Ruf, der gebot, 
die Rasse zu erhalten, den Fortbestand zu sichern und den 
jungen und jüngsten Knaben das Kämpfen zu lehren, ihnen zu 
zeigen, wie ein wahrer Krieger die schwachen und hilflosen 
Weißen besiegte. 

Und inmitten der tausend Canyons, der schrundigen 

Felswände lagen die Bergfestungen der Krieger, die 
Apacherias. 

Sie waren wie Burgen, wie steinerne Forts. Uneinnehmbar 

für die Truppen der Weißen, die zudem noch durch die 
Sandhölle ziehen mußten, um überhaupt in die Nähe der 
Apacherias zu gelangen. 

Noch immer waren die Apachen die eigentlichen Herren der 

Halbwüste. Und weil sie in diesem öden Gebiet überlebten, 
weil sie alle Wasserstellen kannten und von einer Handvoll 
Nahrung existieren konnten, zogen sie sich den Haß der 
Weißen zu. 

Doch nicht alle weißen Männer dachten, daß nur ein toter 

Apache ein guter Apache war. 

Lieutenant Haggerty war der Chiefscout im Südwest-

Territorium. Er war Cochises Freund, der Bruder des großen 
Führers, der als Nachfolger von Mangas Colorados der 
angesehenste Häuptling der Apachenstämme war. 

Aber die einzelnen Gruppen lebten nach den Befehlen ihres 

Chiefs. Victorio, der unversöhnliche Weißenhasser, stand 
Cochise feindlich gegenüber. 

Niemand kann heute noch sagen, aus welchem Grunde 

gerade Victorio, den die weißen Männer »Old Vic« nannten, 
jeden Menschen mit heller Haut töten wollte. 

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8

Cochise dagegen hatte erkannt, daß der Strom der 

Einwanderer, die alle Flüsse und Creeks, alle Wasserlöcher und 
kleinen Seen besetzten, kaum aufzuhalten war. Seine Politik 
ging dahin, den Stämmen zumindest die Eigenständigkeit zu 
erhalten, die alte Lebensweise zu bewahren. 

Ein weiterer Freund des großen Führers war Thomas 

Jeffords. Der Postmeister der Butterfield Overland Mail, 
oberster Postmann des ganzen Territoriums, hatte in kühnem 
persönlichem Einsatz dem Chief abgerungen, daß die Kutschen 
durchs Apachenland fahren durften. Zudem war es Jeffords, 
der die Sprache der Chiricahuas beherrschte, gelungen, dem 
Häuptling einen Stützpunkt auf dem Apachen-Paß abzuringen. 

Hoch oben stand die Station, die aus dem spitzgiebeligen 

Haupthaus, den Ställen und Werkstätten und den Corrals 
bestand. Aber nur eine der Quellen hatte Cochise dem weißen 
Mann zugestanden. Denn Wasser war kostbar in diesem Land. 
Und die Ponys der Krieger benötigten ebenfalls Wasser, wenn 
sie von den Raubzügen zurückkehrten, die in alle 
Himmelsrichtungen führten. 

Zwischen den Dragoon Mountains und den Chiricahua-

Bergen (wie sie heute noch heißen) lag das größte Jagdgebiet 
des gleichnamigen Stammes. Und der Führer, der Jefe dieses 
Stammes, war Cochise. 

Er war ein großer, hochgewachsener Mann, sechs Fuß und 

zwei Inches groß. Er hatte einen mächtigen Brustkorb und eine 
Adlernase und besaß die Kraft eines Bären. Und zudem war er 
der Schwiegersohn des legendären Mangas Colorados – wie 
ihn die Spanier genannt hatten: Rotärmel –, der vor Cochise 
der größte Führer der wilden Stämme gewesen war. 

Cochise, Chief der Chiricahuas. 
Die Apacherias – die Bergfestungen der eisenharten Krieger. 
Die letzte Hürde vor der Hölle. Dies waren die Apachen, die 

in der Halbwüste zu überleben vermochten und noch die Kraft 
zu wilden, erbarmungslosen Kämpfen besaßen. 

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9

»Mein Vater«, sagte Naiche leise und blickte in die tanzenden 
Flammen des Feuers, »warum verstehe ich nicht, was du 
denkst?« 

Cochises Sohn lauschte, wartete auf die Antwort, aber sie 

kam nicht. 

»Victorio ist hier«, fuhr Naiche fort, »mit ihm kamen Chato, 

Nana und Loco. Sie gehören nicht zu jenen, die so denken wie 
du. Von unserem eigenen Volk sitzt Ulzana mit am Ratsfeuer. 
Auch er haßt die Weißen, und ich frage mich, mein Vater, ob 
du den richtigen Weg gehst. Denn die weißen Menschen 
nehmen unser Wasser, unser Land und bauen merkwürdige 
Pflanzen darauf an. Es ist unser Wasser, unser Land, ich weiß 
es.« 

Cochise saß dicht an der Hütte. Seine dunklen Augen 

blickten zu den züngelnden Flammen und wirkten 
unergründlich. 

»Naiche, mein Sohn«, erwiderte der Jefe, »du willst, daß wir 

alle weißen Menschen davonjagen oder töten. Du hörst auf die 
Worte der Männer, die nur Mord, Brand und Tod kennen. 
Siehst du nicht, daß die Weißen so zahlreich sind wie die 
Sandkörner in der Wüste? Erkennst du nicht, daß tausend 
kommen, wenn wir hundert töten? Was nutzen uns die Skalps 
im Rauch der Feuer? Hundert Skalps nehmen wir, und tausend 
Männer brechen in die Berge ein. Sie kommen mit modernen 
Gewehren, mit Waffen, die hundertfach den Tod bringen. Die 
Weißen sind wie ein Sandsturm, Sohn, ein einzelnes Korn läßt 
dein Auge tränen, und du reibst es aus. Aber wenn der Wind 
die Wüste peitscht, gehst du unter.« 

Naiche schwieg lange. Der hochgewachsene, junge Krieger 

blickte in die tanzenden Flammen des Feuers. Die dunklen 
Augen des Apachen schienen Dinge zu sehen, die nur inmitten 
dieses Flammenspiels existierten. 

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»Aber wir Krieger überstehen auch einen Sandsturm«, sagte 

Cochises Sohn schließlich und lächelte. 

Der Chief verzog das Gesicht ein wenig, als er antwortete: 

»Aber wie, Sohn? Überlege und sage mir, wie wir den 
Sandsturm überleben? Reiten wir auf unseren Mustangs gegen 
die brennende Gewalt an?« 

»Nein, wir verkriechen uns«, erwiderte Naiche nachdenklich 

und nickte nach einer langen Weile. 

»Ja, wir bieten der Urgewalt keinen Widerstand«, fuhr 

Naiche fort. »Willst du damit sagen, daß wir auch den Weißen 
keinen Widerstand bieten sollen? Sie nehmen uns alles, bis auf 
das letzte Wasserloch. Und wir sind doch Krieger.« 

Cochises Gesicht war eine unbewegliche Maske. Nicht 

einmal Naiche, der seinem Vater sehr nahe stand, erriet in 
diesem Moment die Gedanken des Häuptlings. 

Sie waren schwer und voll düsterer Zukunftsahnungen. Denn 

wenn eines Tages die Freunde der Apachen, die wenigen 
Weißen, nicht mehr in diesem Land lebten, gingen die Stämme 
unter. 

»Ich gab dem einarmigen Soldatenvater mein Wort«, sagte 

Cochise langsam. »Und ich erwarte, daß Victorio sein Wort 
hält. Wenn wir jedes Bleichgesicht töten, das wir sehen, dauert 
es nicht lange, bis mehr und mehr Pferdesoldaten kommen. 
Hellauge weiß, was er sagt, und er hat recht.« 

Ja, Thomas Jeffords, von den Indianern Hellauge genannt, 

hatte schon vor langen Tagen davor gewarnt, die Weißen 
einfach niederzumachen. Denn einmal mußte die Geduld der 
Militärs zu Ende sein. Und dann würden die Pferdesoldaten die 
Chiricahuas förmlich überschwemmen. 

Naiche schwankte in seinem Denken. Denn einmal war er ein 

Apache, ein großer Krieger, dem der Kampf Freude bereitete. 
Und zum anderen war er Cochises Sohn. 

Zwischen den unversöhnlichen Weißenhassern wie Victorio 

von den Mimbrenjos und Ulzana, einem bedeutenden 

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 11

Unterhäuptling der Chiricahuas und Cochise, klafften die 
Ansichten weit auseinander. 

Die Krieger und Ältesten und Häuptlinge, die jedes 

Bleichgesicht vernichten wollten, waren in der Überzahl. Und 
doch respektierten sie Cochises Entscheidung, keinen offenen 
Kampf zu beginnen. 

Naiche hörte ein winziges Geräusch. Er sah auf, wandte den 

Kopf und erkannte Chan-ank. Er war der älteste Mensch, den 
Naiche je gesehen hatte. Mehr als siebzig Winter und Sommer 
lasteten auf den dünnen, eingefallenen Schultern des alten 
Kriegers. Er ging gebeugt, wie unter der Last seiner Jahre, 
unter der Last der Erinnerungen. Dürr, vertrocknet und weise 
wie ein alter Uhu war Chan-ank, der im Rat der Ältesten der 
Mann mit den meisten Sommern war. 

»Jefe, die Gäste sitzen am Ratsfeuer«, sagte der alte Krieger 

mit seiner seltsam rasselnden Stimme, die irgendwoher aus 
seiner schmächtigen Brust zu kommen schien. 

Der Stoßende Adler, wie sein Name in der Sprache der 

Weißen lautete, konnte den großen Führer ermahnen, durfte 
sich das erlauben, denn sein Wort galt viel im Rat der Ältesten. 
Und er stand auf Cochises Seite. 

All die zahllosen Jahre hatten den Verstand des Alten 

geschärft. So geschärft, wie sie ihm seine Kraft genommen 
hatten, die Kraft, die Muskeln und die Zähne. Aber sein Gehirn 
war geschärft worden und er dachte weiter als bis zum 
nächsten Tag, weiter als über die Apacherias der Chiricahuas 
hinaus. 

Chan-ank, der Stoßende Adler, dachte an seine Enkel, die 

sich schon im Kampf gegen die Gelbhäutigen im Süden 
ausgezeichnet hatten. Er dachte an seine Urenkel, die nach 
seinem Willen noch richtige Kämpfer werden sollten. Aber das 
ließ sich nicht durchführen, wenn Victorio und sein Anhang 
ihre Ansichten durchsetzten, wenn sie alles Land zwischen den 
Mogollons im Norden und der unsichtbaren Grenze im Süden 

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 12

mit Brand, Blut und Tod überzogen. 

Der alte Krieger wußte, daß es ums Überleben ging. Und 

wenn die Apachen am Leben blieben, konnten sie auch die 
alten Sitten und Riten untereinander bewahren. Und damit war 
die Zukunft gesichert. 

Aber das war ein Wunschtraum, geboren aus der Not, 

gestützt von der unbändigen Gier nach dem Überleben des 
Volkes, der Stämme. 

»Gehen wir, mein Sohn«, sagte Cochise, »ich spreche zu den 

Männern. Ich werde ihnen von meinen Träumen erzählen, die 
mir der Bote des Todes in der Nacht brachte. Und diese 
Träume sind voller Bitterkeit und Not. Und sie zeigen, daß es 
nur einen Weg gibt, unser Volk vor dem Untergang zu 
bewahren.« 

Geschmeidig stand Naiche auf. Höflich wartete er, bis auch 

Cochise sich erhoben hatte. Der wiederum ließ Chan-ank den 
Vortritt. Aber der Alte stützte sich schwer auf den starken Arm 
des Jefes, zwang den hochgewachsenen Mann zu sich hinab 
und raunte ihm ins Ohr: »Du mußt kämpfen, Sohn, kämpfen 
und den anderen zeigen, daß die Chiricahuas keine Weiber 
sind. Nur so wirst du sie überzeugen. Sei klug wie der Luchs, 
schnell wie die Schlange und listig wie ein Wüstenwolf, der die 
Beute in die Falle lockt.« 

Cochise lächelte. Er antwortete nicht, denn sie waren schon 

dicht neben dem großen Feuer, in dessen Lichtkreis die 
Häuptlinge und Unterführer der anderen Stämme saßen. 

Victorios langes Haar fiel ihm bis über die Schultern. Kein 

Stirnband bändigte die Flut, und das wilde Gesicht des 
Mimbrenjos verhieß jedem Gegner nur den Tod. 

Naiche wartete, bis sein Vater den Stoßenden Adler zu 

seinem Platz geleitet hatte, wartete, bis sich auch der Chief 
gesetzt hatte und reihte sich dann mit gekreuzten Beinen in den 
Kreis des Rates ein. 

»Meine Brüder«, begann Cochise, und seine Augen schienen 

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plötzlich die Flammen des Feuers aufzusaugen. »Wir sind 
zusammengekommen, um zu beraten.« 

»Wir sind gekommen«, sagte Victorio scharf, »um einen 

Entschluß zu fassen. Die Weißen sind wie tollwütige Wölfe. 
Sie rauben und morden. Sie töten jeden Apachen. Sie nehmen 
alles, was uns gehört. Wir wollen beschließen, sie zu 
vernichten und für alle Zeiten davonzujagen.« 

Naiche holte tief Luft. Der wilde Anführer der Mimbrenjos 

hatte die Regeln der Gastfreundschaft selbst verletzt, grob 
verletzt, und irgend jemand mußte ihn zurechtweisen. 

Doch der Sohn des großen Chiefs brauchte nicht 

einzugreifen. Chan-ank hob die dürre, faltige Rechte, die einer 
Adlerklaue glich, und sagte mit brüchiger Stimme: »Du bist 
mir ein Sohn, wie mir jeder Apache ein Sohn ist, Victorio. 
Aber von einem Sohn verlange ich, daß er die Gesetze achtet, 
vor allem die Gesetze der Gastfreundschaft.« 

Victorios Blick wurde stechend, als er den ausgemergelten 

Alten anstarrte. Doch dann senkte der Jefe der Mimbrenjos den 
Kopf und blickte in die Flammen. 

Die Zurechtweisung kränkte ihn, jedoch hatte er sie verdient. 

Die Hitze, die lodernde Glut in Victorios Adern, war für kurze 
Zeit gekühlt. 

Cochise lächelte sekundenlang. Außer Naiche und dem 

Stoßenden Adler bemerkte keiner der Männer am Ratsfeuer, 
daß der Jefe amüsiert war. 

Als der Häuptling fortfahren wollte, als er von seinen 

Träumen und Eindrücken über die Weißen erzählen wollte, 
erklang auf einmal weit entfernt eine Trommel. 

Der Rhythmus war allen bekannt. Gespannt richteten sich die 

Krieger auf, versuchten, mit ihren Blicken die Dunkelheit zu 
durchdringen. Und sie wußten doch, daß der Bote noch weit, 
sehr weit entfernt war. Aber der Ruf der Trommel ließ sie alle 
Schlimmes ahnen. 

Zugleich blickten sie auf Cochise, der seine Absichten 

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blitzschnell änderte. Jetzt war nicht die Zeit von seinen 
Träumen zu erzählen. Die Signaltrommel meldete, daß ein 
Bote in die Bergfestung kam. Ein Krieger der Apachen, der 
einen langen, harten und staubigen Weg hinter sich hatte. 

Lange Zeit später gellte der durchdringende Pfiff des 

Jagdfalken auf – ein weiteres Signal. 

Und als der Ruf der Spottdrossel ertönte, verfielen die 

Ratsmitglieder in eine Haltung betonter Gleichgültigkeit. 

Dieser Ruf kündigte an, daß der Bote in wenigen Minuten 

die Apacheria erreichte. 

Die Pferde und Mulis waren müde. Seit Tagen marschierten sie 
unter glühender Sonne nach Osten. Von Casa Grande bis zum 
Aravaipa Creek mochte die Entfernung etwa hundert Meilen 
Luftlinie betragen. 

Aber eine gerade Strecke zu reiten, war unmöglich. Denn der 

Trail folgte uralten Pfaden, die von den Vorfahren der Apachen 
gefunden und benutzt worden waren. 

Die ersten Weißen, die in dieses Land des heißen Sandes 

gekommen waren, mußten ebenfalls diese Wege benutzen. 
Einige hatten versucht, auf anderen Trails zum Ziel zu 
kommen. Sie alle waren tot, der mörderischen Hitze zum Opfer 
gefallen. 

»Verdammt!« rief eine helle Stimme, »Moment mal, ich 

komme gleich nach. Mein Pferd hat sich den Huf vertreten, 
glaube ich.« 

Sofort lenkte der Führer der Karawane sein Maultier zur 

Seite. Schwer stampften die Hufe durch den Sand. Die scharfen 
Körner schoben sich zwischen die Haare des Fells und rieben 
auf der Haut wie eine Feile hin und her. 

Lange hielten die Tiere diese Strapazen nicht mehr durch. Es 

war zum Glück nicht mehr sehr weit bis zum Ziel des Trecks. 

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Höchstens einen Tag noch, und die zwanzig Männer und eine 
Frau erreichten dann den Aravaipa Creek. 

Gold hieß das magische Wort, das die Weißen die 

unsäglichen Strapazen aushalten ließ. Die Gerüchte sprachen 
von reichen Funden am Nebenfluß des San Pedro. Doch wie es 
dort aussah, ob überhaupt noch für einundzwanzig Personen 
genügend Claims vorhanden waren, das wußte kein Mensch zu 
sagen. 

Aber all diese Unwägbarkeiten hielten Menschen dieses 

Schlages nicht davon ab, das Glück zu suchen und zu 
versuchen. 

Der Mexikaner zügelte sein Muli, schob den flachkronigen 

schwarzen Hut in den Nacken und lächelte. Tomeo Avellan 
lächelte gerne. Er wußte, daß er gut aussah, und er wußte, daß 
er am besten aussah, wenn er seine strahlend weißen Zähne 
zeigte, und die dunklen Augen förmlich funkelten. 

»Senora Lynb«, sagte Tomeo, »wir alle haben Sie gewarnt. 

Es ist schlimm für eine Stute, diesen Trail zu gehen. Wenn Sie 
wenigstens einen kräftigen Hengst genommen hätten!« 

Lynn Rogers runzelte die Stirn: Eine kleine Staubwolke fiel 

von ihrer Haut. Lynn fuhr sich mit der Zungenspitze über die 
Lippen, schmeckte den bitteren, alkalihaltigen Schmutz und 
verzog das Gesicht. 

»Ja, ich weiß«, erwiderte sie, »alle haben mir das hundertmal 

gesagt, aber ich reite nicht auf einem Muli, niemals!« 

Tomeo lächelte immer noch. Diese Frau gefiel ihm. Sie 

gehörte zur besonderen Art, zu jener Art, die der Mexikaner 
begehrenswert fand. Er konnte sich nur schwer von der 
Vorstellung lösen, daß die schöne Lynn Rogers eines Tages mit 
ihm ziehen würde. 

Aber was hatte ein Mexikaner, ein Greaser, schon einer 

weißhäutigen Frau zu bieten? Selbst wenn sie im tiefsten 
Inneren schlecht war, abgrundtief schlecht, wie Tomeo 
vermutete, würde sie doch den Männern ihrer eigenen Rasse 

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 16

den Vorzug geben. 

»Und was soll diese Anspielung auf einen Hengst?« fragte 

Lynn mit scharfer Stimme. »Avellan, Sie wissen, daß ich so 
etwas nicht leiden kann. Es ist nicht nötig, daß Sie dauernd Ihre 
männliche Überlegenheit zeigen. So überlegen sind Sie 
nämlich nicht. Sie haben inzwischen zwei Feldflaschen geleert, 
allein heute, und meine erste ist noch halb gefüllt.« 

Der Mexikaner bewegte die Lippen und murmelte unhörbar 

einen ellenlangen Fluch. Diese verdammte Kuh! Soll sie doch 
austrocknen in der Hitze und am Ziel wie ein schlaffer 
Hautsack aussehen. Es war ihm egal, ja, vollkommen egal. 
Wenn sie nur nicht so schön gewesen wäre. 

Bevor sich Tomeo zu einer Antwort aufraffen konnte, ritt Ed 

Cooper heran. 

Der schlanke dunkelhaarige Amerikaner machte nicht viel 

Worte. Er saß ab, stapfte durch den Sand zu Lynns Pferd, hob 
den linken Vorderhuf hoch und betastete das Gelenk. 

Pfeifend ging der Americano zu seinem Muli zurück und 

kramte in der Satteltasche, bis er eine Blechdose herausholte, 
deren Lackierung völlig zerkratzt war. Außerdem zog Cooper 
eine lange Binde hervor, die vor langer Zeit sicher mal weiß, 
nun aber grau war. 

Immer noch pfeifend trug Ed die Salbe aus der Dose auf das 

Gelenk auf und legte einen strammen Verband an. 

»Siehst du, Greaser, so wird das gemacht«, sagte Cooper 

grinsend zu Tomeo. »Die anderthalb Tage bis Klondyke am 
Aravaipa Creek schafft die Stute schon. Und dann hat sie jede 
Menge Zeit, um sich zu erholen.« 

Lynn lächelte verführerisch. Der Mexikaner biß die Zähne so 

fest zusammen, daß sie knirschten. Denn dieses Lächeln galt 
dem Americano und nicht Tomeo. 

Ein paar Minuten später hatten die beiden Männer und die 

Frau wieder ihre Positionen im Mulitreck eingenommen. Es 
ging weiter. Immer im gleichen ermüdenden Trott marschierten 

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die Maultiere nach Osten. 

Aber kaum einer der staubigen, verschwitzten und 

goldhungrigen Kerle dachte an die Strapazen. Sie schwelgten 
bereits im Erz, im Waschgold und in den Nuggets, die sie aus 
dem Creekbett und den Hängen der Berge herausholen würden. 

Keiner von ihnen dachte daran, daß nur wenige das große 

Glück haben würden, die Bonanza zu finden und mit der Beute 
ungerupft zu entkommen. 

Denn für die Apachen waren alle Weißen willkommene 

Beute. Und diese zwanzig Männer und die eine Frau zogen ins 
Apachenland. 

Die Aravaipas betrachteten das Gebiet zwischen den Galiuro 

Mountains im Südwesten, den Pinalenos im Nordosten und 
dem Quartsite-Höhenzug im Norden als ihr ureigenstes 
Jagdgebiet. Hohe Berggipfel, so der Sunset mit über 
siebentausend Fuß, der Mount Graham mit mehr als 
zehntausend und der Gipfel des Quartsites mit knapp 
fünftausend Fuß bildeten die weithin sichtbaren Grenzmarken 
dieses Landes. Das eigentliche Jagdgebiet besaß eine Größe 
von über fünfhundert Quadratmeilen. Aber auch die Berghänge 
und Täler dieser bewaldeten Umfriedung aus Gestein zählten 
die Aravaipas unter ihrem Häuptling Eskaminzin noch zu ihren 
Jagdgründen. 

Doch wenn das gelbe Eisen lockte, kannten die Weißen keine 

Furcht mehr. Wenn sie die Gier nach Gold antrieb, wenn ihr 
Blick starr und fiebrig zugleich wurde, setzten die meisten 
Männer selbst ihr Leben ein, um an den begehrten Schatz zu 
kommen. 

Doch was trieb eine Frau dazu, sich einer derart harten und 

erbarmungslosen Männergesellschaft anzuschließen? 

Lynn Rogers war eigentlich nur eine Abenteuerin. 
Ihr Mann hatte sie schon vor Jahren verlassen, um irgendwo 

im Westen sein Glück zu machen. Sie hatte ihn nie 
wiedergesehen und nie von ihm gehört. Eines Tages hatte die 

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 18

Post ein unscheinbares, schmutziges Päckchen gebracht, dessen 
graues Papier zerfleddert war. Dieses kleine Paket enthielt 
alles, was von Buck Rogers übriggeblieben war. 

Lynn hatte nur die Lippen zusammengepreßt und den 

gesamten Inhalt des Paketes weggeworfen. 

Was nutzten ihr Erinnerungen? Alles was Buck ihr 

beigebracht hatte, war der Umgang mit Karten und Würfeln 
gewesen. Und das war alles, was sie konnte. 

Zuerst fuhr sie auf den großen Dampfschiffen, die den 

Mississippi bis nach New Orleans hinuntersteamten. Das Glück 
war launenhaft, aber für Lynn reichte fast immer zum Leben, 
was sie am Pokertisch gewann. Und wenn einmal eine Partie 
schiefging, nun, als Frau hatte sie ja noch andere 
Möglichkeiten. Schließlich mußte sie leben und war nicht 
besonders wählerisch in ihren Methoden. 

Jetzt aber hatte sie der Ruf des Goldes nach Arizona gelockt. 

Hier begann etwas Neues. Hier entrissen harte Männer dem 
heißen Boden unter tausend Gefahren die Schätze, die die Erde 
jahrelang gehütet hatte. 

Lynn verstand es, sich durchzusetzen. Sie war hart wie ein 

Maultierabhäuter, biegsam wie ein Ulmenholzbogen und 
gefährlich wie eine Stange Dynamit, an dem die Lunte glomm. 

Die Stute ging langsamer als sonst. Die Zerrung behinderte 

das Tier, doch Lynn wußte, daß es durchhalten würde. Noch 
eine Nacht mußten die Menschen im Freien kampieren. 
Morgen, irgendwann im Laufe des Nachmittags, erreichten die 
Goldsucher Klondyke, die kleine Ansiedlung am Aravaipa 
Creek. 

Für eine Frau gab es ganz sicher eine Unterkunft, und wenn 

diese aus einer alten Zeltplane bestand. 

Und morgen nachmittag konnte sich auch das Pferd erholen. 
Lynn dachte über die Männer nach, die sie in ihrem Treck 

aufgenommen hatten. Natürlich machte sich ein jeder dieser 
zerlumpten, hageren Kerle Hoffnungen. Zugleich wußten die 

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meisten jedoch auch, daß ihre Chancen dünner als ein Haar 
vom Kopf der schönen Frau waren. 

Lynn Rogers wußte genau, daß sie sich an die erfolgreichen 

Männer halten mußte, um selbst Erfolg zu haben und 
Sicherheit zu finden. Denn hier im wilden Land zwischen den 
schroffen Bergen und der erbarmungslosen Halbwüste, drehten 
einsame Männer schneller durch als andernorts. Dabei ging es 
nicht nur um die Tatsache, daß Lynn eine schöne, 
begehrenswerte Frau war. Nein, sie wußte, daß sie in wenigen 
Tagen genauso zerlumpt und abgerissen wie die Digger 
aussehen würde. 

Es ging um den Erfolg beim Goldsuchen. Lynn war davon 

überzeugt, daß sie nur gewinnen konnte, wenn sie sich an 
Männer wie Ed Cooper, Torneo Avellen und Captain Jack 
hielt. 

Aber noch erkannte sie nicht, wer die endgültige Führung 

dieser Gruppe übernehmen würde. 

War es Captain Jack, der erfahrene, bärenstarke Digger? 
Auf sein Wort hörten die anderen. Er hatte sich nach den 

ersten Tagen der Vorbereitung Cooper und Avellan als Helfer 
ausgewählt. Nach welchen Gedanken hatte Jack gehandelt, als 
er den geschmeidigen Ed und den katzenhaften Mexikaner 
aussuchte? 

Niemand wußte, was in diesem Kopf vorging, der von 

struppigen grauen Haaren bedeckt war. 

Und niemand wußte, welche Art Männer in Klondyke lebten. 

Würden sie dem Druck der neuen Goldsucher nachgeben? War 
noch Raum genug für weitere erfolgversprechende Claims? 
Oder mußten die Neuen mit Mord und Raub ihre heiße Gier 
nach Gold durchsetzen und befriedigen? 

Lynn brauchte das Gold, brauchte die Dollars, denn in 

Tombstone war sie auf Gambler gestoßen, die alle Tricks 
kannten und ihr beinahe den letzten Cent aus der Tasche 
gezogen hatten. 

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Lynn war sicher, daß sie zu neuem Reichtum kommen 

würde. Zu richtigem Reichtum, nicht nur ein paar hundert 
Dollars, die in wenigen Wochen verschwunden sein würden. 

Die schöne Frau hob den Kopf, blickte über das Land, über 

dem Hitzeschleier wabberten. Die bewaldeten Hänge der 
Bergketten wirkten wie ein erlösender Farbtupfer in dem 
grausandigen Land. Doch auch dieses Grün der Pinien wirkte 
matt und stumpf unter dem Staub, den der Morgenwind bis 
nahe an die Gipfel der Berge geweht hatte. 

Lynn kniff die Lider etwas zu, um besser sehen zu können. 

Im ersten Moment glaubte sie, daß sie sich geirrt hätte, doch 
dann entdeckte sie einen zweiten und dritten Indianer. 

»Da, Indianer!« rief die Abenteuerin und streckte die Rechte 

zu den Hängen hin aus. 

Sofort brüllte Captain Jack, der an zweiter Stelle ritt, eine 

Reihe von Befehlen. Wie eine lang gedrillte Truppe vollführten 
die Goldsucher die Umstellung ihres Trecks. Nun marschierten 
die Mulis nicht mehr hintereinander, sondern in einer Art 
Kreis, der zwar selten genau rund war, aber doch seine 
Funktion erfüllen würde. 

Und die bestand darin, angreifenden Apachen besser 

Widerstand leisten zu können. 

Aber waren Aravaipas nicht friedliche Indianer? Ging nicht 

die Rede davon, daß ihr Führer Eskaminzin nicht gegen die 
Weißen kämpfen wollte? 

Bis zum Untergang der Sonne folgten die drei Krieger auf 

ihren zähen Ponys dem Treck. Und als der Widerschein des 
Tagesgestirns blutrot auf den Hängen der Pinaleno Mountains, 
auf den glatten Granitschroffen des Mount Graham lagen, 
verschwanden die Krieger, als hätten die Wacholdersträucher 
sie verschluckt. 

Es war still an den Feuern des Trecks an diesem Abend. Der 

Übermut der Goldsucher hatte einen Dämpfer bekommen, nur 
wenige, so Captain Jack, machten sich keine Sorgen, noch 

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nicht. Denn auch die friedlichen Aravaipas bestanden darauf, 
daß ihr Jagdgebiet nicht von Weißen angetastet wurde. 

War aber Gold im Spiel, galten die Versprechungen der 

Weißen so viel wie ein ausgetrocknetes Wasserloch in der 
Wüste. 

Eskaminzin, Chief seines Stammes, saß vor dem Jacale, der 
ihm als Anführer zustand. Der Häuptling blickte zu den Alten, 
die vor dem Ratsfeuer hockten und miteinander murmelten. 

Er wußte, was die Männer des Rates besprachen. Und er 

wußte, was sie von ihm fordern würden, wieder einmal 
forderten: den Kampf gegen die weißen Eindringlinge 
aufzunehmen und sie zu vernichten. 

Zahlreiche Krieger standen auf der Seite der Alten. Doch 

Eskaminzin war der Häuptling der Aravaipas. Sein Wort galt, 
und wenn einer der jungen, heißblütigen Krieger gegen dieses 
Wort verstieß, sprach er unnachsichtig Strafen aus. Und diese 
Strafen fraßen an der Ehre eines Kriegers, der doch nur das tat, 
wozu er seit frühester Kindheit ausgebildet worden war: rauben 
und töten. 

Aber Eskaminzin spürte, genau wie Cochise, die 

Überlegenheit der weißhäutigen Menschen, die wie ein 
Heuschreckenschwarm über das dürre Land herfielen. Der 
Chief der Aravaipas ahnte, daß die große Zeit der Siege, des 
Kämpfens für die Apachen aller Stämme so gut wie vorbei 
war. Es galt, den Sippen das Überleben zu ermöglichen. Die 
Tugenden der Apachen mußten erhalten bleiben. Alle, auch die 
kleinsten Kinder, sollten lernen, wie sich ein Mann im 
wasserlosen Gebiet am Leben erhält, wie er die Tiere der 
Wüste aufspürte und als Nahrung verwenden konnte. Diese 
Dinge mußten bestehen bleiben. Aber zusätzlich waren andere 
zu lernen, Kenntnisse und Fähigkeiten, der verhaßten 

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Bleichgesichter zu übernehmen. Denn war es schlecht, einen 
Teil der Nahrung anzubauen? War es schlecht, Rinder zu 
züchten, sich von ihrem Fleisch zu ernähren? Natürlich durfte 
die althergebrachte Lebensweise nicht zu plötzlich verändert 
werden. Es war wichtig, den jungen Kriegern und Kindern 
beizubringen, daß die Traditionen, die in Jahrhunderten 
erworbenen Fähigkeiten der Apachen, erhalten bleiben mußten, 
daß sie heilig waren. 

O ja, Eskaminzin konnte in dieser Zeit als der hellsichtigste 

aller Apachenführer gelten. Seine Politik war die des Friedens. 
Und noch ahnte er nicht, daß er eines Tages einen blutigen 
Feldzug gegen die Bleichgesichter führen und fast 
hundertfünfzig seiner Leute der Rache verrückter Weißer zum 
Opfer fallen würde. 

Eine Handtrommel erklang leise, aber eindringlich. Da, das 

Signal. Die Späher kehrten ins Lager zurück. 

Eskaminzin blickte zu den Alten hinüber. Die zahnlosen 

Greise waren verstummt. Ihre Gesichter wirkten trotz aller 
Falten angespannt. Die Alten, gebeugt unter der Last vieler 
heißer Sommer und karger Winter warteten auf die 
Nachrichten. Erst wenn sie die neuesten Erkenntnisse 
verarbeitet hatten, würden sie Eskaminzin bedrängen. 

Das Pochen steigerte sich, wurde schnell, wild und hart. 
Und jeder Krieger, jede Squaw wußte, was diese Zeichen zu 

bedeuten hatten. Es war die Meldung über den Tod zweier 
Krieger. 

Der Jefe blickte aus den Augenwinkeln zu den Alten. Er sah 

den kaum unterdrückten Triumph in den Gesichtern der 
Männer am Ratsfeuer. Für ein paar Sekunden verspürte 
Eskaminzin heißen Zorn in sich aufwallen. 

Diese alten Eidechsen, sie besaßen keine Zähne  mehr, aber 

Fleisch wollten sie haben. Sie hatten keine Kraft mehr in den 
dürren Armen, aber besser als der beste Krieger wollten sie 
sein. 

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Seit Jahren schon hatte keiner der Alten auch nur einen Fuß 

vor das Lager gesetzt, und doch wollten sie besser wissen als 
er, was für den Stamm gut war. 

Zwei schrille Schreie stiegen zum Himmel. Sie endeten in 

einem traurig klingenden Triller, der an Eskaminzins Ohren 
zerrte und schnitt. 

Sekunden später stimmten zwei Squaws den Trauergesang 

an. 

Der Chief setzte sich gerade hin. Die Hände lagen auf den 

Knien der unterkreuzten Beine. Das Gesicht des Häuptlings 
war unbewegt, aber die dunklen Augen loderten in finsterem 
Feuer. 

Wieder zwei der besten Krieger tot, dachte er. Mir bleiben 

nur noch sechs mal zehn Krieger, die unsere Sippe schützen 
können. Wenn die Weißen unser Lager finden, kommen sie 
wie der aufgepeitschte Sand im Wüstensturm über uns. Sie 
zermalmen uns, denn mit sechzig Kämpfern sind wir den 
modernen Waffen der Bleichhäutigen hoffnungslos unterlegen. 

Zwei Apachen ritten auf ihren Mustangs im Schritt bis zum 

Rand der Lagerfeuer. Am langen Zügel folgten jedem Pony ein 
Pferd, auf dessen Rücken ein toter Mann lag. 

»Nalecha und Yanka«, murmelte der Chief laut genug, daß 

es die beiden überlebenden Späher hören konnten. »Warum 
mußten sie Bu ins Land des Todes folgen?« 

Quachan und Setonya, die beiden überlebenden Späher, 

starrten ihren Häuptling mit ausdruckslos wirkenden 
Gesichtern an. Aber Eskaminzin war erfahren genug, um die 
gespielte Ruhe der beiden zu durchschauen. 

Mit harten Worten verspottete er sie, stachelte ihren Unmut 

an und rief: »Vier Krieger ritten davon, als die Sonne am 
Morgen erschien. Zwei sind tot. Zwei stehen vor mir und 
wagen kein Wort zu sprechen. Es ist recht, daß die beiden im 
Tal des Todes sind, denn auch sie sind wohl Feiglinge 
gewesen, die ihrem Jefe nicht berichtet hätten. Sind denn die 

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Krieger alte Weiber geworden? Ja, es ist recht, daß die 
Bleichhäutigen unser Land nehmen, wenn von einem Trupp 
Späher nur die Hälfte der Männer lebend in unser Lager 
zurückkehrt. Warum seid ihr gekommen, Quachan und 
Setonya? Reitet wieder, zeigt euch den Bleichgesichtern und 
sagt zu ihnen, daß ihr Aravaipas seid, daß ihr gerne von den 
Kugeln der Weißhäutigen sterben wollt.« 

Quachan legte die Rechte an den Griff des mexikanischen 

Dolches, der seine erste Kriegsbeute war. Der Krieger wußte, 
daß diese eine Herausforderung zum tödlich endenden 
Zweikampf bedeutete, aber Quachan war zu erregt, denn die 
Worte des Chiefs waren der reine Hohn. 

»Geht doch, geht zu den Weißen«, rief Eskaminzin 

dramatisch, »ruft ihnen zu, daß ihr die Skalps der Eindringlinge 
wollt und wartet ab, ob sie euch ihre Haare geben. Seid ihr 
Krieger? Nein, ihr seid Eidechsen, schnell, aber auch 
furchtsam.« 

Setonya, der Besonnere der beiden, trat einen Schritt vor und 

sagte halblaut: »Verspotte nicht uns, verspotte die Toten. Sie 
rochen Blut, Beute und Skalps. Wir konnten sie nicht 
zurückhalten.« 

»Und meine Befehle?« fragte Eskaminzin. 
Quachan und Setonya senkten die Köpfe. Es fiel ihnen 

schwer, ihre toten Freunde des Ungehorsams zu beschuldigen, 
aber ihnen blieb keine andere Wahl. 

»In einem halben Mond mißachteten zehn Krieger meine 

Befehle«, fuhr der Häuptling fort. »Acht tote Männer zeugen 
von ihrem Unverstand, ihrer Dummheit. Ja, ich glaube, es ist 
Usens Wille, daß unser Volk stirbt.« 

Erschreckt fuhren die Kämpfer zusammen, als der Chief den 

Namen der Gottheit erwähnte. Sie hielten ängstlich Ausschau 
nach einem Naturzeichen, das die Worte des Führers 
unterstreichen würde. 

Als lange Minuten nichts geschah, atmeten die Krieger auf. 

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Manitu war wohl noch nicht bereit, den Untergang der 
Aravaipas zuzulassen. 

»Jefe, sie wollten nicht glauben, daß es Weiße gibt, die 

scharfe Augen wie der Wüstenfalke haben«, sagte Quachan 
halblaut. »Nalecha und Yanka verließen ihren Posten, zeigten 
sich den Bleichgesichtern und verhöhnten sie. Mit Kugeln aus 
den Gewehren, die so schnell schießen, wie ein alter Mann 
lachen kann, trafen die Weißhäutigen unsere Freunde.« 

Lange brütete Eskaminzin mit gesenktem Kopf über diese 

Tatsachen. Es war bei allen acht Kriegern ungefähr das gleiche 
gewesen. 

»Geht, bringt sie ihren Weibern«, befahl der Jefe. »Sie sollen 

die Sitte achten und den Kriegern den Weg in die unendlichen 
Jagdgründe nach Art der Sippe leicht machen. Geht, ich will 
euch nicht mehr sehen.« 

Die Alten am großen Feuer hatten jedes Wort verstanden. 

Langsam standen sie auf. Mit schlurfenden Schritten näherten 
sich die Ältesten der Aravaipas dem Häuptling, der die 
Geschicke des Stammes lenkte. 

»Dies ist unser Land«, sagte der Sprecher der Alten. »Das 

sind unsere Jagdgründe, seit undenklich vielen Sommern. Am 
Fluß des hellen Wassers haben die Blaßhäutigen eine Stadt 
errichtet. Jacales aus Holz und Stein stehen dort. Wie die 
Krötenechsen wühlen sie sich in die Erde, graben nach dem 
weichen Eisen, das die Farbe der Sonne hat und kreischen wie 
die Kinder, die Loco-Kraut gegessen haben, sobald sie das 
schlechte Eisen finden.« 

Der Sprecher holte Luft. Sein faltiges Gesicht mit den 

eingefallenen Lippen verzog sich zu einer grausiglistig 
wirkenden Grimasse. 

»Geh hin, Eskaminzin, zeige ihnen, wo es dieses weiche 

Eisen gibt. Führe sie in die Berge, in die Schlucht des 
hundertfachen Todes. Unsere tapferen Krieger brauchen sich 
nicht zu zeigen. Die Würmer machen der weißen Brut ein 

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schnelles Ende. Und diejenigen, die entkommen, laufen in 
unsere Kriegslanzen und Pfeile.« 

Der Chief schüttelte entschieden den Kopf. Nein, dieser 

Vorschlag kam überhaupt nicht in Frage. Denn im Tal des 
hundertfachen Todes gab es unzählige Schlupfwinkel und 
kleine Pfade, die einem geschickten Mann die Flucht 
ermöglicht hätten. Und entkam nur ein Bleichgesicht, so 
dröhnten wenig später die Trompeten der Pferdesoldaten im 
Lager der Aravaipas. Squaws, Alte und Kinder konnten 
niemals rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. 

Und ein Angriff der Blaujacken war gleichbedeutend mit 

dem Tod des ganzen Stammes. Die Aravaipas würden auf ein 
paar ziellos umherstreifende Krieger reduziert werden. Diese 
Kämpfer würden nur noch für ihre Rache leben und so 
vielleicht den großen Krieg zwischen Apachen und Weißen 
auslösen. 

»Was willst du denn unternehmen, Chief?« fragte einer der 

Alten. 

Das Wort Chief hatte, wie er es aussprach, einen spöttischen, 

herausfordernden Klang. 

Bedächtig antwortete der Häuptling: »Ich bin ein Mann des 

Friedens. Ich muß mein Volk schützen. Und ich muß die Alten 
schützen, denen die heiße Sonne und der trockene Sand den 
Geist ausgedörrt hat, den sie einst von Manitu erhielten.« 

Die Ältesten zischten wütend, rückten vor, schwangen 

drohend ihre dürren Arme. 

»Ich bin ein Mann des Friedens«, wiederholte Eskaminzin, 

»ich stehe zu Cochise, der ebenfalls den Kampf mit den weißen 
Eindringlingen vermeiden will. Was hilft es uns, wenn einer 
der Bleichgesichter aus dem Tal der hundert Tode entkommt? 
Wenn er die Nachricht verbreitet, daß dort eine Höhle in den 
Berg führt, daß in dieser Höhle das gelbe Eisen in armdicken 
Strängen im Felsen liegt? Dann kommen Tausende, ihr Alten.« 

Das Tal der hundert Tode. Es lag mitten in dem Gebirgszug, 

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den die Weißen Galiuro Mountains nannten. Ein schmaler 
Canyon, kaum so breit wie ein Dutzend Pferde, zog sich weit 
in die Felsenwildnis hinein. Aber kein Gras, kein Bergkraut 
und kein Moos wuchs dort. Es gab nur heißen, glühenden 
Sand, Gestein und Klapperschlangen in unzählbarer Menge. 

Auf halber Höhe führte ein Stollen in den Berg. Noch heute 

widerstanden die schweren Stützpfosten dem Druck der 
Gesteinsdecke. Die Eisenmänner, die Ritter der spanischen 
Krone, hatten vor vielen Sommern das Goldvorkommen 
entdeckt und angefangen auszubeuten. Aber auch die 
gepanzerten Ritter waren den Apachen nicht gewachsen 
gewesen. Die erbarmungslosen Krieger hatten alle 
Eindringlinge getötet und sich gefragt, was diese Menschen mit 
dem wertlosen, weichen Metall anfangen wollten. 

Aber die Kenntnis von diesem reichen Lager war den 

Aravaipas über die Jahrhunderte hinweg immer erhalten 
geblieben. 

»Was unternimmst du, Chief?« fragte einer der Ältesten. 

»Willst du wie ein Kind zusehen, daß die Weißhäutigen unser 
Land nehmen, unser Wasser trinken und unser Wild jagen?« 

»Ich halte mich an das Wort des Friedens, das Cochise für 

die Stämme sprach«, erwiderte Eskaminzin listig. »Ich werde 
einen Boten zu dem großen Häuptling schicken und ihm 
berichten lassen, was hier geschieht.« 

Die Alten sahen sich an, und auf einmal war der grimmige 

Gesichtsausdruck verschwunden. Zufrieden nickten sich die 
Ältesten zu. Auf einmal waren sie der Meinung, daß 
Eskaminzin doch ein listiger Halunke war. Denn er schob nun 
Cochise, dem Anführer der Chiricahuas, die Entscheidung zu. 
Sollten doch die Krieger des großen Chiefs den Bleichhäutigen 
die Köpfe einschlagen. Für die Aravaipas blieben noch 
genügend Skalps übrig, die sie im Rauch ihrer Feuer trocknen 
konnten. 

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Drei junge Krieger liefen zum Rand der Feuer, die vor den 
Jacales loderten und den Streifen markierten, der allein den 
Angehörigen des Stammes vorbehalten war. 

Nur auf Einladung durfte ein Fremder diese Linie 

überschreiten. 

Cochise musterte die Häuptlinge, die mit ihm am Ratsfeuer 

saßen. Victorios wildes Gesicht, das von der schulterlangen 
Haarmähne umrahmt wurde, wirkte hart. Die hohen 
Wangenknochen verstärkten diesen Eindruck noch. 

Der Mimbrenjo schien zu wittern, daß etwas auf den Chief 

der Chiricahuas zukam, das Victorios Position im Machtkampf 
um die Oberherrschaft aller Apachen stärken konnte. 

Charos Haare hingen lang bis auf den Oberkörper herab. Das 

dunkle Stirntuch hielt dem Unterführer die Augen und das 
rundliche, großflächige Gesicht frei. 

Nana und Loco genossen bei ihren eigenen Sippen höchstes 

Ansehen. 

Nana stand auf der Seite des Krieges, auf Victorios Seite. 

Loco dagegen war davon überzeugt, daß die Apachen nur 
gemeinsam mit den Weißen ihr Überleben sichern konnten. 

Charo wußte nicht, was er wollte. Er war unentschlossen, 

zögerte und ließ sich nicht in eine Richtung drängen. 

Ulzana, der zum Stamm der Chiricahuas gehörte, haßte jeden 

Weißen wie den Aussatz. Der Unterhäuptling hätte selbst die 
Gesetze der Gastfreundschaft gebrochen, wenn dadurch einer 
dieser verhaßten Bleichhäutigen zu Tode gekommen wäre. 
Doch er wagte nicht aufzumucken, wenn er in Cochises Lager 
weilte. 

Der Schlag der Trommel wurde hektischer. Er schien sich 

der Apacheria zu nähern, so schnell, als jage der Trommler auf 
einem galoppierenden Mustang heran. 

Cochise hatte die Posten selbst ausgesucht, die Männer und 

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die Orte, an denen sie wachen sollten. Und der Ruf der kleinen 
Handtrommel bewies dem Chief, daß sich ein Freund der 
Apacheria näherte. Denn nur Freunde wurden so angekündigt. 
Feinde meldeten die Späher und Posten mit den Rufen der 
Wildtiere. So lauteten die Befehle des Häuptlings, und keiner 
der Krieger wagte es, diese Befehle in unmittelbarer Nähe des 
Lagers zu mißachten. 

Cochise unterdrückte ein Lächeln, als er die anderen 

Häuptlinge, die Gäste der Chiricahuas, musterte. Der große 
Führer, Schwiegersohn und Nachfolger des legendären Mangas 
Colorados, war zufrieden. Die Unterhäuptlinge würden alle in 
wenigen Minuten sehen und hören, wie Cochise entschied. 

Keine Sekunde kam dem großen Führer der verschiedenen 

Apachenvölker der Gedanke, daß der Bote eine schlechte 
Nachricht bringen könnte, eine Nachricht, die Cochise selbst 
vor große Schwierigkeiten stellen würde. 

Er wußte, daß von seinen Handlungen, von seinem Denken 

und seinen Taten der Frieden im Apachenland abhing. Nur er 
konnte die wilden, heißblütigen Krieger zurückhalten, die auf 
Raubzug ausreiten wollten. Nur er vermochte die Männer zu 
zügeln, die Skalps und Beute in die Jacales ihrer Sippen 
bringen wollten. 

Der Hufschlag verstummte abrupt. Ein paar kehlige Worte 

klangen auf. Victorio richtete sich gespannt auf und wandte 
den Kopf. Er kannte diese Laute, diese Sprache. Es war die 
Sprache der Aravaipas, die südwestlich der San Carlos 
Reservationen lebten. Mehr als einmal hatten Mimbrenjo-
Krieger Zuflucht bei diesem Volk gesucht und waren als 
Stammesangehörige ausgegeben worden, wenn die 
Pferdesoldaten kamen. 

Mehr als einmal hatten die Aravaipas den Mimbrenjos 

gestohlene Pferde, Mulis und Rinder abgekauft. 

Victorio sah nicht mehr erwartungsvollgespannt aus. Ein 

Schimmer der Zufriedenheit lag auf seinen Zügen. Sicher 

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rechnete der wilde Membrenjo-Häuptling damit, daß der Bote 
Ärger für Cochise brachte. 

Und Ärger für den großen Chief bedeutete Freude für 

Victorio. Denn sein Wort war Krieg, Kampf bis zum letzten 
Pfeil, zur letzten Lanze. Und solange noch ein Apache die 
Hand mit dem Schädelbrecher heben konnte, sollte er 
zuschlagen, um die verhaßten Weißen zu töten. 

Die Schritte näherten sich. Schattenhaft, von den tanzenden 

Flammen beleuchtet, entdeckte Cochise die gedrungene Gestalt 
eines fremden Kriegers hinter dem Feuer. 

»Quachan von den Aravaipas kommt als Bote«, sagte der 

Mann laut. »Ich komme in Frieden an das Feuer des 
Häuptlings.« 

»So tritt näher«, lud Cochise den Krieger ein. »Setz dich an 

dieses Feuer und sprich. Wir hören deine Botschaft, Quachan.« 

Langsam ging der Bote zum Flammenkreis, sah sich 

unauffällig um und kam zu dem Schluß, daß seine Meldung 
eigentlich nicht für die Ohren der anderen Häuptlinge bestimmt 
war. Denn Eskaminzin bat um Hilfe. Der Chief der Aravaipas 
wollte nicht mit Feuer, Pfeilen und heißem Blei über die 
weißen Eindringlinge herfallen. Eskaminzin war für den 
Frieden, den Cochise dem einarmigen General Howard 
versprochen hatte. 

Aber wenn dieser Friede von goldhungrigen Weißen 

gebrochen wurde, so mußten auch die Aravaipas sich wehren. 

»Sprich, Bruder«, sagte Cochise ruhig, »du kommst zur 

rechten Zeit. Diese Männer hier, die Führer ihrer eigenen 
Stämme sind, fordern von mir den Krieg. Und doch wissen sie, 
was ich entschieden habe. Sprich, Quachan, und sage mir, ob 
auch Eskaminzin den Krieg fordert.« 

Der Krieger setzte sich mit gekreuzten Beinen etwas 

seitwärts von dem großen Chief, denn so verlangte es die Sitte. 

»Oh, Cochise, Häuptling der Chiricahuas, Führer aller 

Stämme unseres Volkes«, begann Quachan, »die Aravaipas 

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 31

leben friedlich in dem Land, das ihnen vom Vater der 
Pferdesoldaten zugesprochen wurde. Die Jagd ist gut und 
reichlich. Keiner unseres Stammes leidet Hunger oder Durst. 
Unsere Pferde sind stark und zäh und tragen uns viele Stunden, 
bis sie Gras brauchen und Wasser. Die Wüste ist unsere 
Heimat, und wir sind ihre Kinder.« 

Cochise nickte anerkennend. Sogar Victorio mußte 

widerwillig anerkennen, daß dieser Bote die Sitten beachtete 
und beherrschte. 

»Und doch, Cochise«, fuhr Quachan fort, »lebt unser Volk 

nicht in Frieden. Den Frieden, den du mit den Blaßhäutigen 
ausgehandelt hast, gibt es für uns Aravaipas nicht. Die 
Weißgesichter kommen in unser Land und durchwühlen den 
Boden unserer Berge nach dem gelben Eisen. Die Männer 
trinken das brennende Wasser, schreien und johlen und 
vertreiben das Wild, wenn sie auf die Jagd gehen. Der Fluß, der 
den Namen unseres Volkes trägt, ist dunkel von aufgewühlter, 
durchspülter Erde. Er ist rot vom Blut unserer Krieger und 
Squaws, die den weißen Jägern in die Hände fielen.« 

Abermals machte Quachan eine Pause. Sie war 

wohlberechnet, denn auch der Bote kannte die Standpunkte der 
verschiedenen Häuptlinge. Und um ihren Fragen oder 
Vorwürfe sofort entgegenzutreten, fuhr er fort: »Keiner unseres 
Stammes hat die Weißen gereizt. Eskaminzin ist geritten und 
hat ihnen gesagt, daß sie auf unserem Land nach dem gelben 
Eisen suchen. Unser Häuptling sagte ihnen, daß der Vater der 
Pferdesoldaten das verboten hat, aber die lachten unseren Chief 
aus, der doch in ihrer eigenen Sprache zu ihnen redete. 
Eskaminzin will keinen Krieg, denn du hast Frieden geboten, 
Cochise. Doch es kommt zum Krieg, wenn die Weißen nicht 
unser Land verlassen. Sie haben das gelbe Metall gefunden, 
und sie wollen immer mehr. Eskaminzin will nicht töten, will 
keine Bleichgesichter in das jenseitige Land schicken, denn er 
weiß, daß hundert kommen, wenn er zehn tötet. Aber sie hören 

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 32

nicht auf die Worte unseres weisen Anführers. Sie verspotten 
ihn und lachen. Eskaminzin schickt mich, damit du kommst 
und mit den Bleichgesichtern sprichst. Sie werden dem Führer 
aller Stämme glauben, wenn er ihnen sagt, daß sie nicht in 
unserem Land nach dem weichen gelben Metall suchen 
dürfen.« 

Eskaminzin war ein sehr geschickter Mann, stellte Cochise 

fest. Ihm war klar, daß der Chief der Aravaipas Hilfe brauchte. 
Aber der Stolz eines Apachenhäuptlings ließ es nicht zu, offen 
um diese Hilfe zu bitten. Doch diese Botschaft, in der 
Eskaminzin indirekt dem großen Führer vorwarf, er sei schuld 
daran, daß die Aravaipas nicht mit Tod und Feuer über die 
weißen Eindringlinge kommen durften, verpflichtete Cochise 
zur Hilfe. 

Lächelnd blickte er in die Runde, musterte jedes einzelne 

Gesicht. Begegnete den Blicken seiner Freunde und seiner 
Widersacher, sah in dem einen Besorgnis und in dem anderen 
offenen Hohn. 

Ja, sie alle warteten auf seine Entscheidung, auf sein Wort. 

Er konnte die Hilfe nicht ablehnen, dann hätte er für alle Zeiten 
bei den Stämmen als Feigling gegolten. 

Cochises Feinde waren sicher der Ansicht, daß Eskaminzin 

dabei war, die Seiten zu wechseln, seine Friedensliebe gegen 
den Kampf auszuwechseln. Und aus diesem Grund hatte er 
diese Botschaft geschickt. 

Aber Cochise selbst kannte den Chief des kleinen Stammes 

gut genug. Der Anführer der Chiricahuas wußte, daß 
Eskaminzin in Not war. 

»Quachan, du bist unser Gast«, sagte Cochise gelassen. »Laß 

dir an einem Feuer Nahrung geben, laß dir den Ort zeigen, an 
dem du schlafen kannst. Meine Antwort lasse ich dich wissen, 
Krieger.« 

Damit war der Bote entlassen. Er stand auf und verließ das 

Ratsfeuer. 

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 33

Cochise blickte in die zuckenden Flammen. Das Knacken 

des dürren Holzes durchbrach ab und zu die nächtliche Stille. 
Weit entfernt heulte ein Wolf seinen Jagdruf heraus. Und ein 
Nachtvogel segelte lautlos über die Apacheria und versetzte 
eine Menge Krieger, Alte und Squaws in Unruhe. 

Denn dieser Vogel war die Eule. Bu brachte die Sterbenden, 

die Toten in das jenseitige Reich, in dem die Krieger auf 
schnellen, nie ermüdenden Mustangs jedem nur denkbaren 
Wild nachstellten. In diesem Land gab es keine Weißen, keine 
Landräuber und keine Pferdesoldaten und Mexikaner. 

Wenn ich mit meinen Kriegern ins Land der Aravaipas ziehe, 

überlegte Cochise sich, kann das einen Krieg auslösen. Reite 
ich nicht, so redet Victorio von der Feigheit der Sandechse, die 
sich Cochise nennt. Und Victorios Reden laufen schneller von 
Mund zu Mund, als sich ein Buschfeuer von Strauch zu 
Strauch schwingt. 

Naiche beobachtete das ausdruckslose Gesicht seines Vaters. 

Der Sohn des großen Cochise musterte jeden Inch des 
Oberkörpers, der Schultern und Muskeln, aber nichts verriet, 
daß sein Vater intensiv über die Worte des Boten, über 
Eskaminzins Absichten nachdachte. 

Ich muß reiten, überlegte der Häuptling der Chiricahuas. 

Selbst wenn wir den Vettern nicht helfen können, wenn wir 
untergehen im Kampf gegen die Bleichgesichter, so ist das ein 
Zeichen. Mein Zeichen, ich setze es in dieses wilde, trockene 
Land, das unser Land war, und nie wieder allein das Land der 
Apachen sein wird. 

Naiche sah den Brustkorb, der sich unter gleichmäßigen 

Atemzügen hob und senkte. Selbst die Adern am Hals seines 
Vaters traten nicht stark hervor, wie es manchmal bei 
Menschen geschieht, die sich mit all ihrer Willenskraft 
zusammennehmen. 

Victorios schwarze Augen wirkten wie die Kanten 

zerbrochenen Glases im Schein der  Flammen. Der Chief der 

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Mimbrenjos wartete nur auf eine Schwäche Cochises, um dann 
sofort die Situation auszunutzen. 

Victorio, der Weißenhasser, Victorio der Kriegshetzer, er 

besaß viele Anhänger. Vor allem unter den kampferprobten 
Kriegern aller Stämme gab es viele, die sich lieber auf dem 
Rücken eines Mustangs den Weißen entgegengeworfen hätten, 
als nach Cochises Wort lebten. 

Kampf, Raub, Mord und Tod, Skalps und Beute, Weiber, die 

vor Angst kreischten, das heiße Wallen des Blutes, all das war 
das Leben der Apachenkrieger. Das war Apachenrecht. Und 
wenn der offene Angriff keinen Erfolg versprach, so nahmen 
sie zu einer der tausend Listen Zuflucht, die jedes Kind schon 
kannte, jedes Apachenkind. 

Und all dies – so wußte Cochise und wußte Eskaminzin – 

würde sich in der nächsten Generation ändern. 

Was blieb, war die Tradition, die Kunst des Überlebens in 

Wüste und Halbwüste, die unendliche Geduld dieser 
Menschen, wenn es darum ging, einen persönlichen Erfolg zu 
erringen. 

Cochise lächelte leicht. Seine dunklen Augen schienen die 

hellen Flammen des Feuers gar nicht wahrzunehmen. 

Victorio freute sich zu früh. Der Chief würde dem 

Mimbrenjo zeigen, wie ein wahrhaft großer Anführer einer 
solchen Herausforderung entgegentrat. 

Cochise selbst würde mit einer Anzahl ausgesuchter Krieger 

zu den Aravaipas reiten. Der oberste Häuptling selbst würde 
den Kampf gegen die Eindringlinge aufnehmen und ihnen 
zeigen, wo ihr Platz war: überall, doch nicht im Apachenland. 

Cochise hob den Kopf, starrte Victorio spöttisch an und sagte 

laut: »So hört denn meine Entscheidung. Ich lade euch ein, 
meine Freunde und Brüder, ich lade euch zu einem Ritt in die 
Richtung des Winters ein. Wir treiben unsere Mustangs jedoch 
nicht bis zu den Eisfelsen, in dem der Winter haust, nein, wir 
reiten zu unseren Vettern, den Aravaipas. Denn wir müssen 

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ihnen zeigen, was sie gegen die Bleichhäutigen unternehmen 
sollen. Wir haben für den Frieden gestimmt, und es liegt an 
uns, diesen Frieden einzuhalten.« 

Cochise machte eine Pause, musterte die Männer, die mit 

ihm um das Ratsfeuer saßen, und lächelte hart. 

»Ich wähle zwölf Krieger aus, die uns begleiten. Mehr 

Kämpfer brauchen wir nicht, um die Weißhäutigen 
davonzujagen. Ich habe gesprochen.« 

Respektvoll erhoben sich die anderen Männer, als der Chief 

aufstand. 

Cochise schaute geradeaus. Wenigstens schien es so. Aber in 

Wirklichkeit sah er prüfend die Gesichter der Gäste an, sobald 
er den Flammenkreis verlassen hatte. 

Und er sah, was er erwartet hatte. Die Freunde des Krieges 

zeigten Verwirrung in ihren Zügen, während die Befürworter 
des Friedens besorgt aussahen. 

Aber er wußte, was er tat. Er mußte ein Zeichen setzen, 

mußte allen Zweiflern zeigen, daß durch den persönlichen 
Einsatz ein Auflodern des glimmenden Feuerbrandes im 
Südwesten verhindert werden konnte. 

Die Sonne stand hoch am Himmel, als die Reiter ihre Tiere 
zügelten. Die Mulis senkten die Köpfe. Mit den hornigen 
Lippen rupften sie Dornengewächse und Disteln ab und 
zermalmten das staubige Grün zwischen den Zähnen. 

Lynn Rogers Stute entlastete den verletzten Fuß. Für das 

Pferd gab es hier kein Futter. 

»Da ist der Fluß«, rief Captain Jack. 
»Los, Jungs, galoppieren wir hin und nehmen uns unseren 

Teil!« brüllte einer der Digger hinter dem Anführer der kleinen 
Gruppe. 

Sofort wandte sich Tomeo Avellan im Sattel um. Der 

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Mexikaner hielt mit der Rechten den Griff des Revolvers 
umklammert. 

Die Gruppe unter Captain Jacks Führung durfte nicht 

auseinanderfallen. Denn genau das hatte der grauhaarige 
Anführer seinen beiden Unterführern eingehämmert. 

›Wenn wir in Klondyke eine Chance haben wollen‹, hatte er 

gesagt, ›dann müssen wir unsere Leute zusammenhalten. Ich 
nehme nur solche Männer mit, die auf mich hören, meine 
Befehle befolgen. Denn mit zwanzig Kerlen in eine bestehende 
Siedlung einzubrechen, das gibt immer Ärger. Und ich will 
Gold finden, versteht ihr? Es ist mir egal, was ich dafür 
anstellen muß.‹ Tomeo musterte den Schreihals eingehend und 
kam zu dem Schluß, daß der Bursche wohl nur übermütig war, 
denn er machte keine Anstalten, sein Muli in Trab zu bringen. 

Captain Jack hatte sich gar nicht umgedreht. Er verließ sich 

auf den Mexikaner und Ed Cooper, den Coltmann. 

Was die beiden nicht wußten, hätte ihnen sicher ein böses, 

verbissenes Grinsen abgenötigt: Captain Jack hatte dieses 
Geschrei extra bei dem Goldsucher bestellt. Denn hier, kurz 
vor dem Ziel, wollte der Anführer der goldgierigen Männer 
überprüfen, ob er sich auf sie verlassen konnte. Jack war 
nämlich nicht damit zufrieden, einfach etwas gelben Staub aus 
dem Boden zu kratzen. Er wollte mehr, wollte sich zum 
Anführer der kleinen Ansiedlung am Aravaipa River 
aufschwingen, die aus dreckigen, zerrissenen Zeltplanen, 
windschiefen Bretterhütten und Erdlöchern bestand. 

Denn nur als Boß der Digger gelang es ihm, an die wirklich 

guten Claims heranzukommen und dort satten Gewinn zu 
machen. 

Lynn Rogers preßte ihrer Stute die Absätze in die Flanken. 

Das Tier ging ein paar Schritte vor, bis es dicht neben Jacks 
Muli stand. 

Ed Cooper pfiff eine Melodie und schaute den Mexikaner an. 
Tomeos olivfarbenes Gesicht wirkte verkniffen. Seine 

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schwarzen Augen drohten und die Lippen bewegten sich, als 
fluchte der Mann lautlos. 

»Okay, reiten wir ins Tal«, sagte Jack laut und hob die 

Rechte. 

Minuten später kletterten die Mulis über Felsenpfade zum 

seichten Wasserlauf hinab, der den Namen eines 
Apachenstammes trug. 

Jack zog den breitkrempigen Hut tiefer in die Stirn. Seine 

Augen lagen im Schatten. Der Reiter jedoch konnte die 
Umgebung unauffällig mustern. 

Lynn hielt ihr Pferd an der Seite des Mulis. Die schöne Frau 

schob ihren flachkronigen Hut etwas zurück. Das Haar, das 
hervorquoll, hatte die Farbe reifer Kastanien. Besorgnis stand 
im Blick der graublauen Augen, als Lynn den Anführer fragte: 
»Captain, dort unten sind eine Menge Männer. Haben wir 
überhaupt Aussichten, einen ordentlichen Claim zu ergattern?« 

Jack lächelte breit und erwiderte: »Wir bekommen unseren 

Teil schon, verlaß dich darauf, Girl.« 

Seine Stimme hatte selbstsicher geklungen. Offenbar war er 

davon überzeugt, dachte Lynn. Sie beobachtete ihn, sah, wie er 
immer wieder die Berghänge musterte, die Claims und 
Schürfstellen ansah und immer ruhiger und vergnügter wurde. 

Vergebens fragte sich die schöne Frau, was diesen Mann so 

zufrieden machte. Der bullige, mittelgroße Captain Jack, dem 
strähnige graue Haare unter der Stetsonkrempe hervorsahen, 
war ein As auf seinem Gebiet. Sicher, aber konnte es denn sein, 
daß die Goldsucher am Aravaipa alle die falschen Claims 
abgesteckt hatten? 

Zum erstenmal in ihrem Leben wünschte sich Lynn, daß sie 

von irgendwas mehr verstünde. 

»Da, sie haben uns gesehen«, sagte sie und streckte die Hand 

aus. 

Etwa ein Dutzend Männer verließen ihre Claims. Die Digger 

hielten alle Schrotflinten und Revolver in den Händen. 

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»Sie wissen nicht, was sie tun sollen«, sagte Jack mit einem 

verächtlichen Unterton in der Stimme. »Sie sind wie 
Maulwürfe. Wenn's haarig wird, graben sie sich wieder ein.« 

Aber ganz so schien es nun doch nicht zu sein, denn die 

Goldsucher bildeten einen weiten Halbkreis. Wenn die Reiter 
nicht abschwenkten, waren sie von mehr als der gleichen 
Anzahl Männer in wenigen Minuten umzingelt. Und diese 
Männer hatten ihre Waffen schußbereit. 

»Nur die Ruhe«, sagte Captain Jack gelassen. »Die werden 

sich noch wundern, mächtig wundern.« 

Lynn verspürte einen Anflug von Furcht, als sie den 

grauhaarigen Anführer der Digger von der Seite her ansah. 
Was hatte Jack vor? Wollte er den Männern in Camp Klondyke 
heißes Blei zu schmecken geben? Wollte er mit Gewalt einen 
Anteil am Goldfeld erbeuten? 

Noch ungefähr hundert Pferdelängen trennten die beiden 

Gruppen. 

Jack sah sich um, musterte die Talhänge, die Felsformationen 

und grinste breit, als er die unterschiedlich gefärbten 
Gesteinsschichten betrachtete. 

»Es sind Narren«, sagte der Grauhaarige leise zu Lynn, 

»alles nur verdammte Narren, die keine Ahnung von Gold 
haben.« 

Jack verhielt sein Muli ein halbes Dutzend Längen vor dem 

Mann, der die Winchester an der Hüfte hielt. 

»Was wollt ihr?« fragte der Bursche mit unsicherer Stimme. 

»Hier ist alles zu. Jeder Fußbreit Boden ist vergeben. Ihr findet 
nicht mal mehr 'nen Platz, auf den ihr 'nen Eimer stellen könnt. 
Ihr seht, daß wir vorbereitet sind. Wenn ihr angreift, fließt Blut. 
Das sind unsere Claims, Mann. Besser für euch, ihr 
verschwindet wieder.« 

Captain Jack schob sich den Stetson in den Nacken. Die 

eisblauen Augen funkelten spöttisch, als er erwiderte: »Mister, 
du hast ja die Hosen voll. Ich rieche das bis hierher.« 

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Der Digger stieß einen zornigen Ruf aus, riß die Winchester 

an die Schulter und legte mit dem Daumen den Hahn zurück. 
Es knackte metallisch, als der Hammer einrastete. Ein winziger 
Ruck mit dem Finger genügte, und Captain Jack fing eine 
Kugel ein. 

»Wir wollen euch gar nicht eure Claims wegnehmen«, sagte 

der bullige Mann laut. »Was habt ihr denn schon aus dem 
Boden gekratzt? Ich wette, daß ihr nur ein paar Goldtaschen 
gefunden habt. Vielleicht ein Dutzend, mehr nicht.« 

Der Digger ließ die Winchester sinken und starrte Jack lange 

an. Jeder sah, daß der Mann angestrengt überlegte. Schließlich 
lächelte er schlau und fragte: »Aber du weißt genau, wo mehr 
Gold zu finden ist, was?« 

Jack nickte nur. Ja, das wußte er, doch konnte es  auch 

genausogut anders kommen. Aber alles wies darauf hin, daß 
unterhalb der Ansiedlung der Claims größere Chancen für gute 
Funde bestanden. 

»Wir wollen nur durch den Fluß reiten«, sagte Jack 

freundlich. »Ihr seht ja dann, wo wir unsere Claims abstecken.« 

Lynn nahm den Hut ab. Ihr kastanienfarbenes Haar fiel bis 

über die Schultern. Der Sprecher der Digger starrte die schöne 
Frau an, als hätte er in den letzten zehn Jahren so etwas nicht 
mehr gesehen. 

Einer der Burschen, die den Halbkreis bildeten, pfiff grell. 
Eine Bewegung ließ Lynn den Kopf wenden. Aus einer 

Brettertür, die ein wenig stabiler als die anderen aussah, trat 
eine Frau. Mit wiegenden Hüften kam sie näher und lächelte 
Lynn an. 

»Gott sei Dank, daß du hier bist«, sagte die Mexikanerin mit 

rauher Stimme. »Wir sind nur zu dritt. Verstärkung können wir 
gut gebrauchen. Komm so lange zu mir, bis dir die Männer 
eine Hütte gebaut haben, ja? Ich bin Elena.« 

Lynn lächelte schwach und sagte: »Elena, ich bin 

hergekommen, um Gold zu suchen. Ich bin nicht gekommen, 

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um schmutzige Männer zu verwöhnen.« 

Die Mexikanerin lachte laut und zeigte ihre perlweißen 

Zähne. 

»Du bist eine närrische Frau«, rief Elena, »noch, aber das 

wird sich schnell ändern. Weißt du, wie wenig Gold es hier 
gibt? Die Männer sind unzufrieden, aber sie haben noch Geld 
in den Taschen. Denk mal darüber nach, weiße Frau.« 

Die Mexikanerin lachte leise vor sich hin. Aber sie konnte 

nicht verhindern, daß sich ein bitterer Ausdruck über ihr 
Gesicht legte. Es war wohl doch nicht so viel zu verdienen, wie 
sie Lynn gerade weismachen wollte. 

»Was ist nun mit euch?« fragte der Sprecher der Digger laut. 

»Wollt ihr kämpfen oder wollt ihr verschwinden?« 

Captain Jack deutete mit der Rechten auf den Fluß, wies in 

die Richtung Strömung und sagte: »Wir wollen weiter, dorthin, 
Mister. Und wenn ihr uns aufhaltet, wird es eine blutige Sache. 
Darauf gebe ich dir mein Wort.« 

Der Anführer der Digger lachte laut und erwiderte, immer 

wieder von lautem Gelächter unterbrochen: »Okay, geht nur 
hin, macht euch lächerlich. Jeder weiß, daß das Gold am Hang 
liegt, höchstens noch am Fuß des Hanges. Wie sollte dort in 
den Sand und zwischen das Gestein Gold kommen? Reitet 
doch, ihr Narren. Je eher ihr dort anfangt, desto eher gebt ihr 
wieder auf und verschwindet.« 

Ein paar Burschen hinter Jack wurden unruhig. Sie rutschten 

in den Sätteln hin und her und tasteten nach den Schaufeln und 
den Hacken. 

Aber der Boß drehte sich halb im Sattel um und sagte über 

die Schulter: »Laßt mich nur machen, Männer. Ich verstehe 
mehr vom Boden als diese komischen Clowns da vorne. Das 
sind Narren, darauf verwette ich mein Leben.« 

Die Überzeugung, mit der Jack gesprochen hatte, ließ die 

goldhungrigen Männer verstummen. Und als der Anführer 
seinem Muli die Zügel freigab, folgten ihm alle Digger. Lynn 

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ritt an zweiter Stelle. Allen war klar, daß sie ihre Wahl 
getroffen hatte. Und manch ein Mann sagte sich, daß er dies 
hätte voraussehen können. Denn Frauen wie Lynn Rogers 
waren immer an der Spitze zu finden. Nur dort fiel für sie 
genügend ab. 

Prüfend schaute sich der Reiter um. Es gab nur Sand, Felsen 
und Kakteen. Unter der glühenden Hitze lag das Land wie 
ausgestorben vor John Haggerty. 

Der Scout ritt weit im Norden umher. Ein Gefühl hatte ihn 

hierher getrieben, nur ein Gefühl, aber er wußte, daß er sich auf 
die Warnungen verlassen konnte, die er spürte. 

Doch was ging in diesem trostlosen Gebiet vor? Es war 

selbst für Apachen zu karg und unwegsam. Dornbüsche und 
Disteln wucherten hier. Palmlilien reckten ihre Stämme steil in 
die Höhe. Im Schatten der Sanddünen wuchsen Agaven. 

Es war zu still im Land, dachte John. Die Krieger 

beschäftigten sich damit, Tizwin, den Agavenschnaps, zu 
brauen. Und wenn genügend Apachen berauscht waren, würde 
es wie ein Feuermeer über Südarizona rauschen: das wilde Blut 
der Krieger, ihre Gier nach Kampf und Beute. 

Haggerty schüttelte den Kopf. Was sollten diese Gedanken? 

Es war ruhig und das war gut so. Es bedeutete, daß die 
aufsässigen Chiefs dem Wort des großen Cochise gehorchten, 
daß sie die Weißen in Ruhe ließen. 

Aber der Scout wußte, daß diese Ruhe trügerisch war. Der 

geringste Anlaß genügte, um die Kämpfer auf die Rücken ihrer 
Ponys zu treiben und erneut den Krieg aufflackern zu lassen. 

Grau und braunrot glänzten die Felsen im Schein der 

Mittagssonne. 

Konata, dachte der Scout, ja, ich reite zu Konata. Der 

Aravaipa ist ein guter Farmer. Sein Tal liegt nicht weit von 

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hier. Vielleicht erfahre ich sogar was von dem Mann. 

Ein kurzer Ruck am Zügel genügte, und der Graue änderte 

die Richtung. 

Hinter den Felsen lag Konatas Tal. Es war nicht breit, kaum 

eine Viertelmeile, aber dafür besaß es das Kostbarste, was in 
diesem Land zu finden war: ausreichend Wasser. Selbst in den 
trockensten, heißesten Sommern versiegte der Bachlauf nicht, 
der aus den Felsen rann und nach etwa zwei Meilen im Sand 
versickerte. Aber dort war das Tal schon zu Ende. 

Das ist einfach kein Land für Weiße, dachte Haggerty, als er 

auf die kahlen Felsen zuritt. Hier überleben nur Apachen. Was 
suchen wir hier? Es ist der Drang in uns, der uns treibt. Der 
Drang zu sehen, was hinter dem nächsten Hügel liegt, was auf 
der anderen Seite des Flusses wächst. Und wir bilden uns ein, 
daß dort besseres Land, ein besseres Leben auf uns wartet. 

Aber das alles ist Unsinn. Warum können wir nicht zufrieden 

sein mit dem, was wir besitzen, was wir uns erarbeitet haben? 

John Haggerty wußte keine Antwort auf diese Frage. Es lag 

wohl in der Natur der weißen Rasse, sich die Erde Untertan zu 
machen, wie es schon in der Bibel stand. Aber John hatte 
begründete Zweifel an dieser Ansicht. 

Der Sand gab unter den beschlagenen Hufen des Pferdes 

nach. Ein schwacher Wind brachte heiße Luft mit. Wenn er 
selbst erst in der Schlucht war, ging es besser. Denn dort 
kühlten die Steinwände die Luft. Und die Feuchtigkeit des 
Bachlaufes brachte richtige Erfrischung. 

Woher dieses Wasser kam, wußte niemand. John nahm an, 

daß irgendwo in den gewaltigen Felsen ein großer Hohlraum 
existierte, eine mächtige Höhle, die das Regenwasser aufnahm 
und speicherte. Ein Abfluß hatte sich im Laufe ungezählter 
Jahrhunderte gebildet und entließ nun das kostbare Naß ins Tal. 

Konata zog seinen Nutzen daraus. Der Aravaipa war nicht 

mehr jung. Er hatte sicher schon weit über vierzig Sommer 
hinter sich gebracht. Der Mann galt als einer der besten Krieger 

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des Stammes, doch er war des Kämpfens, des Beutemachens 
müde geworden. Vor zehn Sommern, so berichteten die 
Männer des Stammes, hatte sich Konata eine schöne, kräftige 
Squaw genommen und war mit ihr in die Felsenschlucht 
gezogen. 

Seit dieser Zeit hatte der Aravaipa nie wieder den 

Maulbeerholzbogen gegen einen Feind abgeschossen. 

Aber seine Pferde waren berühmt. Seine Schafe und die 

wenigen Rinder waren prächtige Exemplare, die jeden 
Vergleich mit den Tieren aushielten, die auf den fetten Weiden 
von Colorados Blaugrastälern aufgewachsen waren. 

Haggerty lenkte sein Pferd in die zerklüftete Wildnis der 

Felsklippen. Eine nadelspitze Gesteinsnase versperrte den 
Weg. John rutschte im Sattel so weit nach links, zog das rechte 
Bein aus dem Steigbügel, daß für den Leib des Tieres gerade 
genug Platz zum Durchschlüpfen blieb. 

Nachdenklich betrachtete der Scout die violett schimmernde 

Spitze, die künstlich geschliffen war. Dieser Farbton bewies 
John, daß Gift auf dem Gestein lag. Wahrscheinlich Gift aus 
der verrotteten Milz eines Rehs, gemischt mit Nesseln und 
anderen Pflanzen. E'estlus nannten die Apachen dieses tödliche 
Zeug und benutzten es sogar auf der Jagd. Denn das Fleisch 
getroffener Tiere verdarb nicht, nur unmittelbar um die 
Pfeilwunde herum schnitten die Krieger das Fleisch des 
Beutetieres ab und warfen es weg. 

Konata war vorsichtig, stellte Haggerty fest. Vielleicht hatte 

er Grund dazu. Aber das würde der Scout schon erfahren. 

John ließ sein Pferd im Schritt gehen. Er wollte es einem 

eventuellen Beobachter so leicht wie möglich machen. 
Vielleicht mußte Konata erst überlegen, wer dieser 
bleichgesichtige Mann war, der in das Tal eindrang. Denn es 
war mehr als acht Monate her, seit der Scout den Apachen 
besucht hatte. 

Endlich erreichte John den Bachlauf. Das Pferd blieb von 

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selbst stehen und trank. Haggerty saß ruhig im Sattel und 
musterte die Umgebung. Der Scout spürte, daß er beobachtet 
wurde, aber er konnte den Mann, der irgendwo zwischen den 
zerklüfteten Schroffen der Talwände hockte, nicht entdecken. 

Konata saß auf der obersten Corralstange, als John heranritt. 
»Ich grüße dich, Krieger«, sagte der Scout und hob die 

Linke, die vom Herzen kam, mit ausgestreckter Handfläche 
Konata erwiderte den Gruß, sagte aber kein Wort. Sein Blick 
ging an dem Weißen vorbei, verlor sich in dem Gewirr der 
Felsen. 

»Wenn ich nicht willkommen bin, so reite ich wieder«, fuhr 

Haggerty fort und zupfte am Zügel. »Wenn hier Dinge 
passieren, die nicht für die Augen eines Bleichgesichtes 
bestimmt sind, so sage mir das, Krieger. Du weißt, daß ein 
Freund alles hören und ertragen kann, was ihm der Freund 
sagt.« 

Konata machte eine undeutliche Handbewegung, die alles 

oder auch gar nichts bedeuten konnte und sagte leise. »Bleib, 
Falke, laß dein Pferd saufen, nimm dir Wasser, ruhe dich aus.« 

Haggertys Sinn für unangenehme Dinge war bis zum 

äußersten angespannt. Auf einmal wußte der Chiefscout, was 
ihn in den Norden des Landes geführt hatte: Konatas Wissen 
war es, denn daß der Apachenfarmer etwas verbarg, war 
Haggerty klar. 

Doch wie sollte er den Mann zum Sprechen bringen? 
Niemals war es einem Weißen gelungen – auch keinem 

Mexikaner – aus einem Mann der Wüste etwas 
herauszubringen, was der nicht preisgeben wollte. 

Die Tür des Farmhauses öffnete sich, als John absaß und den 

Sattelgurt lockerte. 

Gawa-chora kam heraus. Sie war eine Schönheit, selbst für 

die Begriffe der Weißen. Die Squaw besaß fast überhaupt keine 
typischen Gesichtszüge der Apachen, war aber doch eine 
reinblütige Aravaipa. 

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Ein Kind von etwa einem Jahr hielt sich am Lederrock der 

Mutter fest und trippelte unsicher hinter ihr her. Neugierig sah 
der Kleine den Gast an, denn er hatte wohl noch nie in seinem 
kurzen Leben ein Bleichgesicht gesehen. 

Gawa-chora lächelte, als sie den Weißen sah und kam mit 

geschmeidigen Schritten näher. 

»Falke«, sagte sie sanft, »du bist der Mann, den Tla-ina liebt. 

Ich möchte wissen, was im Herzen eines Weißen vorgeht, 
wenn ihn eine Apachenfrau liebt.« 

Haggerty hielt in seiner Beschäftigung inne, schaute Gawa-

chora an und versuchte ein Lächeln. Es schien nicht besonders 
gut auszufallen, denn ein hellwacher Ausdruck trat in die 
schwarzen Augen der Squaw. 

»Das ganze Land scheint es zu wissen«, erwiderte John leise. 

»Wie kommt das eigentlich? An dem Tag, an dem ich das 
herausfinde, werde ich ein reicher Mann sein. Denn dann 
brauchen die Weißen keinen Telegraphen mehr. In dieser 
menschenleeren Wüste verbreiten sich Nachrichten schneller 
als durch die singenden Drähte.« 

»Du siehst viel, Falke«, entgegnete Gawa-chora, »aber du 

siehst einen Apachen nur dann, wenn er gesehen werden will. 
Die Krieger bringen uns auch das Geschwätz der Weiber an 
den Kochfeuern. Aber sprich, Falke, was sagt dein Herz zu 
Tla-inas Liebe?« 

Haggerty spürte die Spannung, die in der Luft lag. Er fragte 

sich, was wohl von seiner Antwort abhängen würde. Denn 
auch Konata schien auf die Worte des Weißen zu warten. 

»Es singt, Gawa-chora«, erwiderte John leise. 
Er wußte nicht, daß ein trauriger Ausdruck in seine Augen 

trat, daß so etwas wie Sehnsucht in seinem Gesicht stand, als er 
redete. 

»Es singt ein schwarzes Lied, Gawa-chora«, fuhr Haggerty 

fort. »Denn die Gedanken der Apachen sind dunkel, wenn sie 
an Tla-ina und Falke denken. Und die Gedanken der Weißen 

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sind wie die dunkelste Nacht des Jahres, wenn sie davon 
hören.« 

Die Squaw nickte. Ein kleiner Junge ließ ihren Rock los und 

marschierte schwankend auf John zu. Mit dem feinen Gespür 
des Naturkindes hatte der Kleine wohl erkannt, daß dieser 
merkwürdige Fremde mit der kranken Haut zu ihnen gehörte. 

Haggerty überlegte nicht lange. Er hob das nackte Kind 

hoch, setzte es in den Sattel und gab ihm die Zügel in die 
winzigen Hände. Jauchzend hüpfte der Junge auf und ab, 
während der Scout sein Pferd langsam im Kreise führte. 

Konata sagte einige kurze Sätze in der Stammessprache. Der 

Farmer redete so schnell, daß John nur zwei Worte deutlich 
verstand. Und diese Worte hießen Essen und Gast. 

Innerlich atmete der Scout auf. Er wußte, er hatte eine Hürde 

überwunden. Aber noch konnte er nicht sagen, woraus dieses 
Hindernis bestanden hatte. Denn Konata war ein freundlicher 
Mann. Es mußten schwerwiegende Dinge geschehen sein, 
wenn der Farmer auf einmal derart zurückhaltend war. 

»Falke, du bist willkommen«, sagte der Apache auf einmal 

laut. »Du wirst sehen und hören. Und du wirst nicht nur wie ein 
weißer Mann denken, wenn du alles weißt. Das sehe ich, denn 
ich besitze eine Gabe, die manche von uns Wüstenwanderern 
kennen. Wir sehen, wenn ein Mann ehrlich ist. Und dein Name 
ist weithin bekannt. Du bist Cochises Blutsbruder. Du bist 
unser Freund. Vielleicht kannst du meinem Volk helfen. Aber 
davon später. Komm jetzt und sieh dir meine Tiere an, Falke. 
Sieh auch das eine Tier und sage mir, wie weit es gelaufen ist. 
Danach sprechen wir weiter.« 

Wortlos folgte Haggerty dem Aravaipa in den Corral, an den 

sich der Stall anschloß, der aus rohen Brettern und Balken 
erbaut war. 

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»Ist es nicht leichtsinnig«, sagte Victorio scheinheilig zu 
Cochise, »einem jungen Krieger wie Naiche den Befehl über 
deine Festung anzuvertrauen?« 

Die Chiefs, mit Cochise an der Spitze, und zwölf 

ausgewählte Chiricahua-Krieger, ritten nach Norden. Naiche, 
der Sohn des großen Führers, hatte das Kommando über die 
neue Apacheria übernommen. Cochise wußte, daß er sich auf 
seinen Sohn verlassen konnte. Denn Naiche verstand, wie sein 
Vater dachte, welches Ziel er verfolgte. Und das konnte er von 
den meisten seiner Krieger nicht sagen. Ja, selbst Victorio, der 
doch auch ein großer Führer war, vermochte nicht weiter als 
bis zur nächsten Sanddüne zu sehen. 

Bitter dachte Cochise daran, daß kaum einer der 

Apachenhäuptlinge sich darüber klar war, daß die Weißen die 
Sieger bleiben würden. Sicher, es war gut und richtig, den 
Eindringlingen Niederlagen zuzufügen, sie aufzuhalten, wo 
dies möglich war. Es war nicht nötig, ihnen jede einzelne 
Wasserstelle der Halbwüste zu zeigen. Denn in ihrer maßlosen 
Gier würden die Bleichhäutigen sofort den Boden umpflügen 
und das karge Naß, das Dutzende von Pferden und Kriegern 
am Leben erhalten konnte, einfach versickern lassen. 

»Naiche ist mein Sohn«, sagte der Chief zu Victorio und 

lächelte spöttisch. »Er weiß, was er zu tun hat. Er ist ein junger 
Mann, der die Befehle seines Vaters befolgt.« 

Cochise machte eine kurze Pause, sah Victorio eindringlich 

an und fuhr genauso laut fort: »Im Gegensatz zu vielen anderen 
Häuptlingen, die das Wort ihres obersten Führers gering 
achten.« 

Victorios wildes Gesicht wurde noch grimmiger. Er hatte die 

Zurechtweisung deutlich verstanden. Denn seiner 
Großzügigkeit war es zu verdanken, daß immer wieder 
Mimbrenjo-Trupps aus den San Carlos Reservationen 
verschwanden und raubend und mordend blutige Fährten durch 
das Land zogen. 

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»Wir wollen nicht über Dinge reden«, sagte Chato 

überraschend, »die gleichgültig sind. Wir reiten nach Norden, 
zu unseren Vettern, den Aravaipas, um ihnen zu helfen. Wie 
diese Hilfe aussehen wird, entscheidet Cochise. Danach kann 
Victorio spotten, wenn er es noch vermag.« 

Chato hatte zum erstenmal Stellung bezogen. Aber was hatte 

das zu bedeuten? War der Häuptling zu einem Entschluß 
gekommen? Oder ging es ihm nur darum, während des Rittes 
von drei Tagen Ruhe und Frieden aufrechtzuerhalten? 

Am späten Nachmittag erreichten die Wachen der 

verschiedenen Stämme ein Wasserloch, das allgemein bekannt 
war. Weiße, Indianer und Mexikaner tränkten hier ihre Tiere 
und füllten ihre Schläuche und Flaschen, wenn sie diesen Weg 
zogen. 

Umsichtig teilte Cochise die Posten ein. Bis seine Späher aus 

dem unübersichtlichen Land zurückkehrten, mußte die Quelle 
unter der Felsplatte bewacht werden. 

Es dauerte nicht lange, bis ein rauchloses Feuer brannte. 

Immer wieder schob einer der Apachen trockene Zweige und 
Kaktusstengel nach. Die Fleischbrocken, mit ein wenig Salz 
eingerieben, garten an jungen grünen Ästen über den Flammen. 

Schweigend saßen die Häuptlinge um das Feuer. Victorio 

beschimpfte sich innerlich selbst, daß er an diesem Zug 
teilgenommen hatte. Denn ein einziger Hinweis an einen 
Weißen genügte, und die Führer der großen Stämme waren 
verraten. 

Ein ferner, krächzender Ruf ließ Cochise aufmerken. Es war 

der Schrei des Geiers, der durch die Halbwüste hallte. Doch 
kein dunkler Punkt schwebte am Himmel, kündete davon, daß 
ein Aasvogel in der Nähe war. 

Das Fleisch war gar. Mit Fingern und Zähnen zerkleinerten 

die Apachen ihr Essen und tranken das kristallklare Wasser der 
Quelle dazu. 

Als Cochise zu seinen Posten ging, sagte einer der Krieger: 

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»Sechs Pferdesoldaten reiten in Richtung Sonnenaufgang. 
Weitere sechs nehmen die Richtung, in der die Sonne stirbt, 
Chief.« 

Der Häuptling nickte nur. Er wußte, daß General Howard 

zahllose kleine Patrouillen aussandte. Cochise hielt das für gut, 
denn einmal beruhigten die Soldaten die Weißen, und zum 
anderen zwangen die Uniformierten die Krieger, die nach 
Süden zogen, zu großen Umwegen. 

Nicht, daß auch nur ein Pferdesoldat einem Apachen 

gefährlich geworden wäre, ganz bestimmt nicht. Aber die 
Mimbrenjos und Tontos wollten sich nicht damit aufhalten, 
eine Armeepatrouille auf ihre Fährte zu locken, die dann kreuz 
und quer das Land durchforschte. Es war wichtiger, in Mexiko 
Beute zu machen. 

Cochise kniff die Augen etwas zusammen. Weit entfernt, am 

südöstlichen Horizont, stieg eine Staubfahne in den 
Nachmittagshimmel. Gegen die Sonne war der Schleier kaum 
zu sehen, aber er hatte das Gehör eines Wüstenluchses und die 
Augen eines Goldadlers. Das Zeichen wiederholte sich noch 
dreimal. 

Kurze Zeit später schmetterte die Spottdrossel einige kurze 

Triller. 

Cochise ging zum Feuer und setzte sich. 
»Was sehen deine Späher?« fragte Loco. 
»Vier Gelbhäutige«, erwiderte der Chief, »sie erreichen 

diesen Ort nicht.« 

Und so war es auch. 
Denn die müden Pferde der Mexikaner trotteten langsam 

durch den Sand. Mühsam kämpften die Tiere gegen die immer 
wieder nachrieselnde Masse an. 

Die Reiter waren genauso müde wie ihre Pferde. Leere 

Wasserflaschen, zwei ausgehöhlte Kürbisse, hingen von den 
Sattelhörnern herab und schlugen im Takt der langsamen 
Gangart der Pferde gegen ihre Leiber. 

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Die Mexikaner hielten die Augen halb geschlossen. Trotz der 

wagenradgroßen Sombreros, deren Krempen Schatten 
spendeten, wirkten die Reiter von der Hitze niedergedrückt. 

Als die ersten roten Krieger aus dem Sand aufschnellten, war 

es schon zu spät. 

»Apachen!« gellte die Stimme des vordersten Mannes, aber 

er brachte kein weiteres Wort mehr hervor. 

Eine eiserne Lanzenspitze bohrte sich in sein Herz. Die drei 

anderen Gelbhäutigen rissen ihre Revolver noch heraus, aber es 
war zu spät. Sie wurden alle getötet. 

Sechs Chiricahuas berieten sich kurz. Einer der Krieger 

entfachte ein kleines Feuer. Wenig später stiegen die ersten 
Rauchballen zum Nachmittagshimmel auf. Die fünf anderen 
Apachen plünderten die Mexikaner aus und grunzten erfreut, 
als sie schwere Beutel fanden, in denen es verheißungsvoll 
klingelte. 

Jeder der Toten hatte einen Ledersack mit mehr als fünfzig 

Goldstücken bei sich. Vier Pferde mit Sätteln, Waffen und 
Patronen und das Gold und die Messer, all das war 
willkommene Beute. Wenn erst die Rotte Kämpfer aus den 
Dragoon Mountains hier eintraf, war diese Beute so gut wie in 
Sicherheit. 

Fünf der Krieger machten sich wieder auf den Weg. Der 

sechste trieb die Pferde vor sich her in Richtung Süden. Auf 
Wegen, die nur die Apachen kannten, kam der sechste Späher 
später der Gruppe nach, die nach Norden zu den Vettern ritt. 

John Haggerty bewunderte die Pferde des Aravaipa-Farmers. 
Die Tiere wirkten kräftig, ausdauernd und zäh. Jedes sah so 
aus, als könne es eine Woche durch die Wüste rennen, ohne 
auch nur einen Tropfen Wasser zu benötigen. 

Und dann sah der Scout das letzte Tier. 

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Es stand hinter den anderen, schien sich verstecken zu 

wollen, sorgte immer dafür, daß zwei oder drei Zuchttiere vor 
ihm hin und her liefen. 

»Wie lange ist dieses Pferd gelaufen, Falke?« fragte Konata 

und beobachtete den Weißen genau. 

Haggerty zögerte mit der Antwort. Auf den ersten Blick sah 

es so aus, als sei das Tier ziemlich erschöpft und abgetrieben. 
Lange konnte es noch nicht in diesem Corral stehen. Aber John 
spürte, daß etwas anderes hinter Konatas Frage steckte. 

»Nicht so lange, wie es aussieht«, antwortete der Scout 

schließlich. »Aber der Reiter trieb es an, forderte ihm alle Kraft 
ab.« 

Zufrieden nickte der Apachenfarmer. 
»Es ist die Strecke gelaufen, die ihr zwanzig Meilen nennt«, 

sagte Konata. »In drei Tagen hat sich das Pony erholt. Aber ob 
sich sein Reiter erholt, weiß ich nicht.« 

John sah den Apachen offen an und entdeckte Wut in dessen 

Augen. Konata hielt sich nur unter Aufbietung aller Kräfte 
zurück, stellte John fest. Viel fehlte nicht, und der friedliche 
Farmer würde sich in eine erbarmungslose Kampfmaschine 
zurückverwandeln. 

»Wo ist der Mann?« fragte der Scout leise. 
Der Farmer riß die Stalltür auf. Das Licht fiel in breiter Bahn 

in das dämmerige Innere und riß den Gang zwischen den 
Boxen und Futterraufen aus dem Halbdunkel. 

»Hinten, links«, sagte Konata, »ich bleibe hier und wache. Er 

weiß, daß du ein Freund der roten Männer bist, Falke.« 

Haggerty schluckte. Der Apachenfarmer war sich offenbar 

nicht bewußt, daß John immer noch seiner eigenen Rasse näher 
stand als der der Apachen. Aber Freundschaft, wahre 
Freundschaft, hatte schon vor vielen Jahrhunderten Wunder 
vollbracht. 

Zögernd ging Haggerty auf die letzte Box zu, verharrte an 

der Wand aus dünnen Brettern und machte schließlich noch 

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zwei Schritte. 

Fast wäre der Scout zusammengezuckt, denn der Mann, der 

auf der Pferdedecke lag, war kaum noch als Mensch zu 
erkennen. Er ähnelte eher einem Bündel roten Fleisches, 
zerschlagen wie er war. 

Erschüttert hockte sich John hin. Forschend betrachtete er 

den Kopf, suchte Gesichtszüge, Formen zu erkennen, aber es 
war unmöglich. Fest stand für Haggerty, daß der Mann 
zumindest ein Halbblut war. In diesem Moment wünschte sich 
der Chiefscout nichts sehnlicher, als die Kerle vor die Fäuste 
zu bekommen, die diesen armen Hund so zugerichtet hatten. 

»Wer bist du?« wisperte der total zerschlagene Mann kaum 

hörbar. 

Die Worte drangen undeutlich, verwischt zwischen den 

geschwollenen, aufgeplatzten Lippen hervor. »Kenne ich dich? 
Ich kann dich nicht sehen. Meine Augen sind wie tot. Graue 
Schleier erkenne ich, mehr nicht.« 

»Ich werde Falke genannt«, antwortete John. »Vielleicht sagt 

dir das etwas.« 

»Ja, du bist der Blutsbruder des großen Chiefs«, raunte der 

Halbindianer. »Was suchst du hier? Kommst du wegen der 
Weißen?« 

Haggerty wurde hellhörig. Jetzt konnte er das packen, was er 

fühlte. 

»Das kann ich dir noch nicht sagen«, erwiderte John ehrlich. 

»Ich hatte das Gefühl, ich müßte in den Norden reiten. Das ist 
alles.« 

Es dauerte ein paar Sekunden, bis das Halbblut antwortete. 
»Das ist gut, Falke«, murmelte der Fremde schwach: »Du 

bist wie ein Apachenkrieger. Ich fühle es. Und nur darum bist 
du der Bruder des großen Häuptlings. Hör zu, ich habe nicht 
mehr viel Zeit. Entweder bringt mich Bu, der Todesbote, in die 
ewigen Jagdgründe, oder aber ich gehe ins Paradies ein, wie 
mich mein Vater lehrte.« 

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Haggerty beugte sich vor, betrachtete die Wunden, sah 

Knochen gegen braunrote Haut drücken und wußte, daß der 
Mann wirklich keine Chance mehr hatte. 

»Ich heiße Will Jackson und Fuchsspäher, und ich glaube 

beides nicht«, fuhr der tödlich Verletzte fort. »Es wird sein, als 
ob der Wind eine Kerzenflamme löscht, weiter nichts. Alles 
bleibt, wie es ist, nur Fuchsspäher lebt nicht mehr. Doch wen 
kümmert das schon?« 

John dachte blitzschnell nach. Es war sinnlos, diesem 

Menschen etwas vormachen zu wollen. Er fühlte, daß der Tod 
schon die Hand nach ihm ausstreckte. Aber es war möglich, 
den Mann zufriedener, ruhiger sterben zu lassen. Dafür 
handelte sich der Scout unter Umständen etwas ein, das über 
seine Kräfte ging. 

Haggerty dachte an die Tatsache, daß Halfcasts weder bei 

den Weißen noch bei den Indianern eine Chance hatten. Von 
beiden Rassen wurden diese Mischlinge abgelehnt und mußten 
den Weg der Außenseiter nehmen. Jenen Weg der immer 
haarscharf an allen Gesetzen beider Rassen entlangführte. 

»Ich kann dir nichts versprechen, Fuchsspäher«, sagte 

Haggerty, »aber wenn du mir erzählst, wer dich so zugerichtet 
hat, kümmere ich mich darum.« 

Das Zucken in dem verquollenen Gesicht sollte wohl ein 

Lächeln darstellen, überlegte John. 

Ohne weiter nachzudenken, ergriff er die Hand des fremden 

Halbblutes, hielt sie fest und drückte sie leicht. 

»Gut, Falke«, röchelte der Mann, »sehr gut, das mußt du 

auch. Es geht um den Frieden. Dies alles hier, zwischen den 
Bergen das Land, ist Apachenland.« 

»Ich weiß, Eskaminzin ist ein kluger Chief«, erwiderte John. 

»Er hat die Garantie, daß dieses Gebiet den Aravaipas zur Jagd, 
zu ihrem Leben, erhalten bleibt.« 

Abermals verzerrte sich das Gesicht des halbtoten Mannes. 
»Garantie des weißen Mannes«, murmelte er, »was nutzt das 

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schon? Weniger als ein leerer Wasserschlauch in der Wüste.« 

Haggerty spürte die Unruhe in sich. Sie steigerte sich immer 

mehr. In wenigen Sekunden wußte er, was in diesem Land 
geschah, was ihn hergetrieben hatte. 

»Gold, Falke«, röchelte Fuchsspäher, »zerbricht alle 

Versprechen. Das Gerücht von Gold macht alle Verträge 
ungültig.« 

»Wo wird hier Gold gesucht?« fragte John hart. »Das bringe 

ich in Ordnung. Sind die Aravaipas in Gefahr?« 

»Ja, sie beobachten die Siedlung«, sagte das Halbblut kaum 

hörbar. »Immer wieder suchen die Späher den Ruhm, die Beute 
und starben. Klondyke liegt am Fluß, am Aravaipa Creek. Aber 
es gibt noch andere hier, die den Apachen…« 

Der Halbindianer zuckte wie unter einem unsichtbaren 

Peitschenhieb. Sein Körper verkrampfte sich, bäumte sich auf 
und sank nach Sekunden schlaff und leblos auf die Pferdedecke 
zurück. 

Reglos hockte John vor dem Toten. Haggertys Gedanken 

waren unruhig, beschäftigten sich mit den weitreichenden 
Folgen dieser ungesetzlichen Ansiedlung am Fluß des 
Stammes. 

Langsam beugte sich der Chiefscout vor, legte sanft die 

Pferdecke über dem toten Halbindianer zusammen und stand 
auf. 

»Ich bestatte ihn nach den Sitten meiner Väter«, sagte 

Konata hinter John. »Er war mehr Apache als weißer Mann, 
Falke. Was wirst du tun? Eskaminzin will Frieden halten. Seine 
Krieger sind wild und verwegen. Sie beobachten die Weißen, 
die wie Sandechsen den Boden zerwühlen. Immer wieder stirbt 
einer der Späher. Und der Häuptling hat nur sechs oder sieben 
Hände guter Krieger. Was wirst du tun, weißer Mann, den 
Cochise Bruder und Falke nennt?« 

Fort Thomas lag nicht weit entfernt. Zu General Howard 

mußte John einige Stunden länger im Sattel sitzen, als nach 

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Fort Thomas. Aber dies war eine Nachricht für den 
Kommandeur. Denn Howard hatte allen Weißen verboten, im 
Südwestterritorium Land zu besetzen, das vertraglich den 
Apachen zugesichert war. Und die Army sorgte mit sanftem 
Druck dafür, daß diese Verträge auch eingehalten wurden. 

»Wie viele Weiße graben am Fluß nach Gold?« fragte 

Haggerty den Farmer. 

»Zehn Hände und noch zwei«, erwiderte Konata. »Und nur 

der große Geist weiß, wann noch mehr kommen. Vier Hände 
kamen gestern. Wenig später trabte das Pony, das du gesehen 
hast, auf meinen Hof. Fuchsspäher lag bewußtlos auf dem 
Rücken des Tieres. Er hatte sich mit Lederriemen 
festgebunden. Ich weiß von ihm, daß er einer der ersten am 
Fluß war. Aber als die neuen Männer kamen, jagte der Chief 
den Fuchsspäher davon. Er wehrte sich, und nun ist er im Land 
des Todes. Ja, hole die Pferdesoldaten, Falke. Sie sollen die 
Bleichhäutigen davontreiben. Eskaminzin will keinen Krieg, 
wenigstens keinen zwischen Aravaipas und Weißen.« 

»Ich reite sofort«, sagte Haggerty und verließ den Stall. 
Wenige Minuten später hatte der Scout sein Pferd getränkt 

und die Wasserflasche gefüllt. Die Hufeisen klopften hart auf 
dem festgestampften Boden vor den Häusern, als John seinem 
Tier die Zügel freigab. 

Argwöhnisch hatten die Digger, die schon seit Wochen die 
Abhänge der Berge nach dem begehrten gelben Metall 
durchwühlten, die zwanzig Männer und die Frau beobachtet. 

Unter Captain Jacks Führung steckten sich die neuen 

Goldsucher Claims am Ufer des Creeks ab. Einigen wurde es 
doch unbehaglich, als die Kerle weiter südlich laut lachten. 
Jack jedoch hielt seine Männer eisern zusammen. 

»Nimm das Stück neben meinem«, raunte der Anführer der 

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schönen Frau zu. 

Sie befolgte diesen Rat und sah, daß links und rechts von ihr 

und Captain Jack jeweils Ed Cooper und Tomeo Avellan ihr 
Land markierten. 

Lynn kam der Verdacht, daß Jack mehr als alle anderen 

wußte. So war es nicht. Der bullige Mann setzte nur seine 
Kenntnisse ein, die er in mehr als zehn Jahren auf Goldfeldern 
der Staaten gesammelt hatte. 

Als Captain Jack seine erste Pfanne auswusch und für mehr 

als vier Dollar Gold fand, und die zweite und dritte Pfanne 
mehr als je zehn Bucks brachten, verstummten die Spötter 
schlagartig. 

Auch Lynn, Ed und Tomeo hatten Glück. 
Alles andere vollzog sich innerhalb von zwölf Stunden ganz 

von selbst. Auf einmal war Jack der angesehendste Mann in 
Klondyke, der ungekrönte König der Diggersiedlung am 
Aravaipa Creek. 

Gegen Mittag des folgenden Tages trieb sich ein Fremder im 

Wasser herum. 

Jack griff zur Winchester und spannte den Hahn. 
»Verschwinde, Bastard«, rief der grauhaarige Goldsucher, 

»du stehst auf meinem Claim.« 

Der Halbindianer kümmerte sich nicht darum. Er betrachtete 

aufmerksam den Grund und stand reglos wie eine Statue. 

Jack drückte ab. Die Kugel riß dem Halbblut den Hut vom 

Kopf. Bevor der Mann mit der bronzefarbenen Haut zum 
Revolver greifen konnte, schlug Jack zu. Er hatte die 
Winchester durch die Hand rutschen lassen, packte sie am Lauf 
und benutzte das Gewehr wie eine Keule. Der Kolben traf das 
Halbblut in den Magen. 

Captain Jack warf das Gewehr hinter sich. Tomeo fing die 

Waffe auf, lud durch und richtete seine Aufmerksamkeit auf 
die Umgebung. 

Captain Jack drosch mit beiden Fäusten auf den würgenden 

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Mann ein, der sich mühsam hochgestemmt hatte. Er war zu 
keiner Abwehr fähig, denn Jacks Fäuste fetzten wie 
Schmiedehämmer die kümmerliche Deckung auseinander, die 
der Halbindianer mit beiden Armen bildete. 

»Dir werd' ich's zeigen, du verdammter Bastard!« brüllte der 

neue King des Diggercamps, »auf meinem Claim 
herumzuschnüffeln, was? Und in der Nacht heimlich den 
goldhaltigen Sand aus der Strömung holen.« 

Mit erbarmungslosen Schlägen trieb Jack den neugierigen 

Mann ans Ufer. Als der Halbindianer endlich zusammenbrach, 
schnaufte der vierschrötige grauhaarige Mann. Nachdem er 
seinen Atem beruhigt hatte, brüllte er: »Wer weiß, ob das nicht 
ein Späher der verfluchten Roten ist? Ich schlage vor, wir 
hängen ihn irgendwo auf.« 

Jack besaß einen feinen Sinn für solche Situationen und 

spürte, daß er mit dem Vorschlag nicht durchkommen würde. 

Ein paar Männer brüllten ihre Zustimmung heraus, aber die 

Mehrheit lehnte ab. Jacks Macht war noch zu neu, nicht 
genügend gefestigt, um es auf eine wirkliche Probe ankommen 
zu lassen. Also gab er nach. 

»Er muß verschwinden«, rief der erfolgreiche Digger. 

»Wenn ihr ihn davonjagt, wird er seine roten Freunde 
alarmieren.« 

Allen war klar, was Captain Jack damit sagen wollte: Es 

würde besser für alle sein, wenn sie den Halbindianer 
aufknüpften. 

Die Digger ließen sich nicht darauf ein. Sie banden den 

bewußtlosen Mann auf sein Pferd und jagten das Tier mit 
Stockhieben davon. 

»Narren, verdammte, blutige Narren«, murmelte Jack 

verbissen, als die anderen wieder zu ihren Claims gingen. 

Lynn blicke den kräftigen Anführer mit ausdruckslosem 

Blick an und fragte: »Was hast du gegen Indianer?« 

Jack grinste wild, bevor er antwortete: »Ich kann die roten 

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Stinker nicht ausstehen. Und Halfcasts erst recht nicht.« 

»Wenn der Bursche entkommt, wenn er wirklich auf 

Apachen trifft«, sagte Lynn nachdenklich, »dann bricht über 
uns die Hölle herein, denke ich.« 

Jack lachte laut, aber es lag kein freundlicher Ton in diesem 

Lachen. Es wirkte hart, hörte sich brutal an und zeigte der 
schönen Frau, daß der Anführer zu der Art Menschen gehörte, 
die sie eigentlich nicht mochte. 

»Wir pumpen die roten Dreckskerle so voll Blei, daß sie 

nicht mehr laufen können«, prahlte Captain Jack. »Was sind 
schon ein paar stinkende Apachen, Girl? Nichts sind sie, gar 
nichts. Mach dir keine Sorgen. Solange ich hier was zu sagen 
habe, passiert dir nichts.« 

Lynn ging zu ihrem Claim zurück. Nachdenklich betrachtete 

sie Jack, der sich nach seiner Waschpfanne bückte und 
weitermachte, als sei gar nichts geschehen. 

»Ein harter Mann, nicht wahr«, sagte Tomeo Avellan und 

lächelte gezwungen. »Er hat was gegen Leute, die keine weiße 
Haut besitzen. Mich hat er nur mitgenommen, weil ich ein 
guter Kämpfer bin. Und wenn es gegen Apachen geht, ist Jack 
jeder recht. So sieht das aus, Senora Lynn.« 

Sie wußte, daß Tomeo sie warnen wollte. Sicherlich verlor 

Captain Jack in anderen Situationen die Beherrschung, und es 
war gut für sie, dies zu wissen. 

Lynn Rogers schuftete wie alle anderen auf dem Claim. Sie 

fand weniger als Jack, aber immer noch so viel, daß sich schon 
jetzt der Trail durch das heiße, staubige Land gelohnt hatte. 

Captain Jacks Ausbruch hatte etwas in Gang gesetzt, von 

dem die Digger selbst noch nichts ahnten. Die meisten Männer 
waren unzufrieden. Denn gute Ausbeute gab es nur auf 
wenigen Claims. Und so suchten sie nach einem Opfer, an dem 
sie sich abreagieren konnten. 

Sie fanden es, als sich ein weiterer Halbindianer in der 

Dämmerung davonmachen wollte. 

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Wie ein Mann brüllte die Meute auf. Das Halbblut sprang auf 

sein Muli, trieb dem Tier mit aller Gewalt die Absätze in die 
Flanken, aber es war zu spät. 

Nachdem die Goldsucher den Mann zusammengedroschen 

und durchsucht hatten, setzten sie ihn auf sein Muli und jagten 
das Tier mit Steinwürfen davon. 

Captain Jack war zufrieden. Die Kerle machten ihm nach, 

was er ihnen gezeigt hatte. Morgen würde er versuchen, seine 
Macht richtig auszuspielen, zu erweitern. 

Der bullige Mann ging langsam hinter dem Muli her, das im 

Schritt davonmarschierte. Die Winchester hielt der 
Indianerhasser in der Armbeuge. 

Plötzlich durchschnitt ein scharfes Schwirren die Luft. Zwei 

der Digger gurgelten unverständlich auf und brachen 
zusammen. 

Captain Jack sah die wippenden Pfeilschäfte in ihren Hälsen 

und rannte im Zickzack los. Er hatte nur eine Chance, wenn die 
Indianer aus ihren Deckungen aufwuchsen und wieder 
Kriegspfeile von den Sehnen schnellen ließen. 

Jack entdeckte den ersten Krieger fast sofort und ließ sich auf 

die Knie fallen. Noch während er die Erschütterung des 
Aufpralles spürte, riß er die Winchester hoch und feuerte. 

Der Krieger wuchs förmlich hinter den zerbrochenen 

Stämmen auf, die seine Deckung gebildet hatten, und brach 
vornüber zusammen. 

Ein Pfeil zischte so dicht an Jacks Kopf vorbei, daß er ein 

paar der strähnigen grauen Haare abschnitt. 

Der bullige Mann warf sich zur Seite, rollte dreimal um sich 

selbst, gelangte wieder auf die Knie und schoß. Der Indianer 
sprang auf, lief humpelnd davon, versuchte ein paar 
Dornbüsche zu erreichen, aber Jack tötete den Krieger mit der 
zweiten Kugel. 

Die Goldsucher rannten mit ihren Waffen herbei, stürmten an 

Captain Jack vorüber, der die verschossenen Patronen aus der 

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Gurtschlaufe ersetzte und ein grimmiges Gesicht zog. 

»Da habt ihr es«, rief er scharf, als die Digger zurückkamen, 

»ich wette, dieser Indianerbastard war ein Späher der Apachen. 
Das hier ist doch Apachenland, Männer. Wir müssen auf der 
Hut sein. Gibt's noch mehr verdammte Rothäute hier unter 
euch?« 

Einen Moment redeten die Digger aufeinander ein. 
»Nein, das waren die einzigen, Captain«, antwortete ein 

Mann. »Was sollen wir jetzt machen? Wenn die Apachen 
kommen, sehen wir sie nicht. Sie fallen über uns her. Und mit 
viel Glück erwischen wir nur ein Dutzend und schicken sie zur 
Hölle.« 

»Quatsch«, erwiderte Jack scharf, »stellt Posten auf. Haltet 

die Augen offen, Männer. Auch die Apachen kochen nur mit 
Wasser. Ihr seht ja, daß ich zwei erwischt habe.« 

»Dafür sind aber zwei von uns tot«, erwiderte ein bärtiger 

Goldsucher. »Und die Indianer sind keine Apachen, sondern 
Wichitas. Ich frage mich, was die Kerle so weit westlich 
wollen.« 

Jack spürte, daß die anderen zu sehr auf den Bärtigen hörten, 

und brüllte laut: »Männer, es ist doch egal, welchem Stamm 
die Indianer angehörten. Hauptsache ist, daß sie tot sind. Und 
für mich ist nur ein toter Indianer ein guter Indianer. Hinterher 
kümmert es mich nicht, ob er gekommen ist, mir guten Tag zu 
sagen oder mir den Kopf abzuschneiden.« 

Mehr als die Hälfte der Digger lachte, und das war ein gutes 

Zeichen, fand Jack. Es sah so aus, als könnte er sich noch 
steigern. Wenn er erst mal der anerkannte Boß hier war, würde 
er alles ganz anders aufziehen. Die anderen sollten für ihn 
arbeiten. Sie würden beteiligt, sicher, aber zu einem geringen 
Teil. Auf jeden Fall bekamen sie so viel, daß sie das Gold 
wieder in einem Laden lassen konnten, in dem Jack Schnaps 
verkaufte. 

Mann, das würde eine Sache. Er holte sich auf diese Art 

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jeden Cent, der hier zu verdienen war. 

Er bemerkte nicht den nachdenklichen, ja, furchtsamen 

Blick, den Lynn Rogers ihm zuwarf. Die schöne Frau witterte, 
daß sie bei Captain Jack wohl auf den falschen Mann gesetzt 
hatte. Er verstand zwar eine Menge vom Boden und vom Gold. 
Als Mensch hingegen war er zu machtgierig. Und Lynn hatte 
sich geschworen, sich niemals beherrschen zu lassen. 

»Noch ein Tag«, sagte Cochise, »dann erreichen wir 
Eskaminzin.« 

Ulzana, Unterhäuptling der Chiricahuas, antwortete nicht. Er 

hatte beschlossen, seinem Chief einstweilen nicht mehr zu 
antworten. 

Ulzana war ein Weißenhasser, einer jener Männer, die sofort 

einem fanatischen Kampfesauftrag gegen die Eindringlinge 
zugestimmt hätten. Er stand auf Victorios Seite, würde die 
tapferen Krieger der Chiricahuas lieber in einen aussichtslosen 
Kampf, in den Tod führen, als mit friedlichen Mitteln die 
Gefahren beilegen. 

Quachan, der Aravaipa, der die Männer führte, lenkte sein 

Pony an die Seite des großen Führers aller Stämme. 

»Wir kommen an, wenn die Sonne den höchsten Stand 

überschritten hat«, sagte Quachan. »Wenn wir während der 
Nacht reiten, erreichen wir Eskaminzin schon zu der Stunde, in 
der die Sonne aufgeht.« 

Cochise lehnte ab. Es wäre unziemliche Hast, zu früh bei 

dem befreundeten Häuptling zu erscheinen. Schließlich ging es 
um ein Problem, das mit friedlichen Mitteln gelöst werden 
sollte. Sonst hätte Eskaminzin nicht nach Cochise geschickt. 
Denn der Anführer wußte, daß Quachan der Überbringer eines 
Hilferufes war. 

Sicherlich wurde Eskaminzin den Kriegstreibern in seinem 

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eigenen Stamm nicht mehr so ganz Herr. Um seine Position zu 
sichern, schob er Cochise, dessen Ansichten er teilte, den 
zerbrochenen Bogen zu. 

Victorio gab seinem weißen Mustang die Zügel frei. Der 

Mimbrenjo brauchte einen scharfen Ritt, brauchte das 
Austoben im wilden Land, um nicht an allem zu ersticken, was 
er bisher mitgemacht hatte und noch erleben würde. 

Cochises Gesicht war unbewegt, als er ihm nachschaute. 

Aber der Chief der Chiricahuas ahnte, daß Victorio etwas ganz 
anderes vorhatte. 

»Ich sehe mir das Land an«, sagte Cochise und gab seinem 

Schecken die Zügel frei. 

Schräg zur Marschrichtung galoppierte das Tier in die 

Wildnis. Nach wenigen Yards schon war keine Spur, kein 
Hufabdruck mehr zu erkennen. Apachen sind Meister darin, 
ihre Fährten unsichtbar zu machen, gar keine zu hinterlassen. 

Der Jefe ritt so weit, bis er sicher war, nicht mehr im 

Blickfeld seiner Begleiter zu sein. Erst dann änderte Cochise 
die Richtung. In spitzem Winkel jagte er dorthin, wo er 
Victorio vermutete. 

Eine zerrissene Landschaft, mit hoch aufragenden Klippen, 

karg bewachsen mit Wacholderbüschen, Kugelkakteen und 
Dornbüschen mußte das Ziel des Mimbrenjos sein. 

Um Cochises Lippen spielte ein wissendes Lächeln. Die 

Späher der Chiricahuas waren genausogut wie jeder andere 
Späher eines beliebigen Apachenstammes. Und er wußte 
genau, daß ihre Gruppe von Kundschaftern der Mimbrenjos 
umschwärmt wurde. 

Cochise fürchtete nicht um sein Leben. Das würde Victorio 

nicht wagen, aber der große Führer fürchtete um den Frieden 
im Land, um die Zukunft der Apachenvölker. 

Darum wollte er wissen, was Victorio, der Weißenhasser und 

Kriegstreiber, seinen Spähern mitteilen würde. 

Dort hinten, inmitten der Klippen, des vom Winde 

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zerfressenen Landes, dort würde der Mimbrenjo mit seinen 
Kundschaftern zusammentreffen. 

Cochise leitete seinen Schecken hinter eine Gruppe von 

riesigen Palmlilien. Der Mustang schnaubte leise, als sein Herr 
ihm mit gespreizten Fingern durch die Mähne fuhr und ihm den 
Hals klopfte. Das Tier senkte den Kopf. Es würde hier warten, 
bis der Reiter zurückkehrte. Denn das waren die großen 
Erfolge des indianischen Einreitens, bei dem der Wille des 
Pferdes nicht brutal gebrochen wurde. 

Die Männer der roten Rasse nahmen sich Zeit, stellten die 

Freundschaft zwischen Mensch und Tier – oder wie sie sagten: 
zwischen zwei Lebewesen – her und erreichten so eine 
lebenslange Treue des Pferdes gegenüber seinem Herrn. 

Cochise glitt zu Boden. Die Riesenyuccas warfen Schatten, 

den der Chief ausnutzte. Nach wenigen Körperlängen konnte 
nur noch das geübte Auge eines Spähers den grauen, 
staubbedeckten Leib des hochgewachsenen Häuptlings vom 
gleichfarbigen Untergrund unterscheiden. 

Der Häuptling kroch wie eine Schlange voran. Er hatte eine 

weite Strecke bis zu den Felsen zurückzulegen. Cochise wußte, 
daß er sich Zeit lassen konnte. Der Mimbrenjo würde gerade 
erst dort eintreffen. Die Klippen galten bei Victorios Kriegern 
als Treffpunkt. Und nur der Große Geist wußte, wann die 
Kundschafter dort eintrafen. 

Cochise arbeitete sich ruhig weiter vor. Er glitt in eine 

Mulde, die tief unter dem Rand Wasser enthalten mußte. An 
den Rändern der kaum mannslangen Senke wuchs gelber 
Wüstenlöwenzahn. An dem schmalen Abhang wucherten rote 
Verbenen und weiße Blumen, die nur einen indianischen 
Namen hatten. 

Als Cochise auf der anderen Seite der kleinen Vertiefung 

wieder hinaufgleiten wollte, verharrte er reglos. 

Vor ihm, im grellen Sonnenlicht, inmitten des heißen Sandes, 

lagen drei Klapperschlangen. 

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So vorsichtig sich der Häuptling auch bewegt hatte, die Tiere 

waren durch die kaum merkliche Vibration des Bodens 
gewarnt worden. Zwei Köpfe hoben sich, pendelten hin und 
her, und die gespaltenen Zungen zuckten förmlich aus den 
Mäulern. 

Cochise atmete gleichmäßig durch. 
Er summte beruhigend. 
Es dauerte nur wenige Minuten, bis die erste Schlange den 

Kopf senkte. Ihr Leib krümmte sich. Lautlos glitt das Reptil 
davon, verschwand hinter einem umgestürzten Kaktus und kam 
nicht mehr hervor. Sekunden später folgten die beiden anderen 
Klapperschlangen, und Cochise arbeitete sich behutsam weiter 
vor. Er wußte genau, daß eine grobe Erschütterung die Tiere 
zum Angriff gereizt hätte. 

Ohne weitere Schwierigkeiten gelangte er an den Fuß der 

kahlen, steil aufragenden Klippen, die wie von Riesenhand in 
die Landschaft geworfen wirkten. 

Zwischen den dicken, senkrechten Felsplatten wucherte 

spärliches Gras, wuchsen Kräuter, deren Blätter schlaff auf 
dem Boden lagen. Es war lange her, seit hier Regen die 
natürlichen Zisternen der Felsengruppe gefüllt hatte. 

Cochise kroch vorwärts. Nun kam es nur noch darauf an, 

kein Geräusch zu verursachen. Er brauchte weder Victorio 
noch seine Späher zu sehen. Es genügte, wenn er ihre Stimmen 
hörte. 

Kein Laut war zu hören. Nur der schwache Wind raschelte 

im Sand und pfiff unendlich leise, wenn er sich an den 
schmalen Felsen brach. 

Der Chief lag reglos. Stunden schienen zu vergehen, aber das 

Zeitgefühl eines Apachen war nicht vorhanden, wenn er auf 
Feinde, auf Beute lauerte. 

»Victorio«, sagte eine Männerstimme halblaut, »Jefe, ich bin 

gekommen, wie du befohlen hast. Ich war jeden Tag da.« 

»Chantuan, ich reite mit Cochise zu den Aravaipas«, 

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erwiderte der Häuptling der Mimbrenjos. »Eskaminzin ist 
entweder zu einem alten Weib geworden oder aber er hat sich 
etwas ganz Besonderes ausgedacht.« 

Cochise hörte zu, wie sein ewiger Widersacher Victorio dem 

Späher berichtete, was bisher geschehen war. Der große 
Häuptling verzog keine Miene. Sollte doch der Mimbrenjo das 
Gerücht verbreiten lassen, daß Cochise den Frieden auf seine 
Art erhielt. 

»Ich weiß nicht, was der Chiricahua machen wird«, fuhr 

Victorio fort. »Aber auf jeden Fall muß er sein Gesicht wahren. 
Er wird es nicht auf einen offenen Kampf ankommen lassen. 
Denn dann ist seine Rede vom Frieden so viel wert wie der 
Skalp eines Bleichgesichtes, das keine Haare mehr hat. Aber er 
darf auch keine Möglichkeit haben, auszuweichen. Meine 
Krieger sollen aufbrechen. Reite schnell, Chantuan, hole die 
Krieger. Kein Weißer, kein Apache außer unseren Männern 
darf nach Süden gelangen. Wenn Cochise seine Aufgabe an die 
Blauröcke weitergeben will, so darf sein Bote nie bei dem 
einarmigen Hund ankommen.« 

Cochise verzog grimmig die Lippen. Victorio versuchte 

alles, um den Führer der Stämme zu stürzen, seine Worte, sein 
Handeln zu untergraben. Aber das sollte ihm nicht gelingen. 
Denn hörten die kleineren Häuptlinge nicht mehr auf Cochise, 
dann brach der Krieg über das Land herein. Die 
Bleichgesichter kamen mit Kanonen und Gewehrmaschinen, 
wie sie Thomas Jeffords einmal beschrieben hatte. 

Cochise hatte genug gehört. Lautlos kroch er zurück. Er 

wollte vor dem Mimbrenjo wieder bei der Gruppe sein, die 
nach Norden ritt. Denn Victorio brauchte nicht zu wissen, daß 
sein Plan bekannt war. 

Cochise mußte nun einen ganz bestimmten Weg gehen, denn 

er konnte nicht mehr mit der Übermacht der Krieger die 
Weißen vertreiben. 

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Klondyke lag im grauen Licht der Morgendämmerung. Über 
den Pinalenos kroch unendlich langsam die Sonnenscheibe 
empor. 

Müde blickten die fünf Männer zu den Bergen, die den Fluß 

einschlossen. Matt glänzten die Nadeln der Pinien, und ein 
Eselhase hoppelte zwischen den Kräutern, die am Berghang 
wuchsen, auf der Suche nach besonderen Leckerbissen, umher. 

Keiner der Wächter bemerkte den plötzlichen Satz, den das 

Tier machte. 

Mit einen gewaltigen Sprung setzte der Hase davon, schlug 

einen Haken und jagte auf eine Senke zu, die dicht mit 
Gestrüpp bewachsen war. Ein letzter Satz brachte das Tier 
mitten zwischen die Sträucher, wo es zitternd, mit angelegten 
Ohren, hocken blieb und sich dicht an den Boden schmiegte. 

»Nichts los«, sagte einer der Posten und gähnte. 
Angewidert sah der zweite Mann auf die schwärzlich 

verfärbten Zahnstummel seines Kameraden und grunzte nur. 

»Ich möchte wissen, warum wir hier rumhocken«, fuhr der 

erste mit gelangweilt klingender Stimme fort. 

Der zweite Mann überlegte, ob er antworten sollte, fand die 

Anstrengung aber zu groß und hielt den Mund. Immerhin hatte 
er schon drei Stunden Wache hinter sich. In ein paar Minuten 
mußte die Ablösung kommen. Und danach konnten die 
jetzigen Posten endlich wieder nach Gold graben. 

Denn schließlich waren sie hergekommen, um die große 

Bonanza zu finden und nicht, um in die Dunkelheit zu starren. 
Wenn die Indianer kamen, dann jedenfalls nicht in der Nacht. 
Davon waren die meisten weißen Männer überzeugt. 

Und sie alle hier hatten den Rothäuten ja schon gezeigt, was 

ihnen blühte, wenn sie sich zu nahe an die Siedlung der 
Weißen heranwagten. 

Wo zum Teufel blieb nur die Ablösung? Die verdammten 

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Kerle schnarchten und dachten gar nicht daran, ihre Freunde 
abzulösen. 

Das Grau des Morgens hellte sich etwas auf. Die ersten 

Lichtstrahlen griffen über die Gipfelzüge der Pinaleno 
Mountains und rissen die Zweige der Dornbuschwüste aus der 
Dämmerung. 

Die Wächter beobachteten das Camp, denn sie verfluchten 

ihre Ablösung. 

Und in diesem Moment geschah es. 
Wie  Pumas waren die Krieger herangeschlichen. Nun lagen 

sie kaum zwei Schritte von den Posten entfernt. Hinter jedem 
Weißen lauerten zwei Indianer auf ihre Chance. Denn die 
Posten durften keinen Laut von sich geben, keinen Alarm 
schlagen. Keiner von ihnen durfte noch den Abzug 
zurückreißen und die schlafenden Goldgräber aufschrecken. 

Ein leises, kaum hörbares Zischeln ertönte. Den Bruchteil 

einer Sekunde später zischelte es überall. 

Plötzlich wuchsen die roten Kämpfer förmlich aus dem 

Boden. Schlingen legten sich um die Hälse der Weißen, 
geschwungen von Händen, die in dieser Art des Tötens 
hundertfach geübt waren. 

Der Überfall mißglückte, denn einem der Posten gelang es 

noch, den Abzug seiner Winchester durchzudrücken. Der 
Schuß peitschte über das Tal. Auf einmal wimmelte es dort 
unten von Bewaffneten. 

Die Indianer ließen die Schlingen zurück, versuchten, sich 

mit weiten Sätzen in Sicherheit zu bringen, aber eine Salve aus 
mehr als drei Dutzend Gewehren mähte die Krieger nieder. 

Captain Jack erfaßte sofort, daß die fünf Kämpfer nur der 

Vortrupp waren, der die Posten ausschalten sollte. Durch die 
Knallerei waren die übrigen Angreifer gewarnt. Vielleicht 
änderten sie in letzter Sekunde ihre Taktik. 

»Hört mir zu!« brüllte Jack mit seiner Stentorstimme, die 

mühelos das aufgeregte Geschrei übertönte. »Nur der Teufel 

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weiß, von welcher Seite die Rothäute kommen. Wir müssen 
einen Kreis bilden. Los, verteilt euch. Die Männer mit 
Schrotflinten erledigen die Kerle, die durchkommen. Schießt 
nicht zu früh. Vergeßt nicht, daß die Schrotladungen nach etwa 
hundert Yards zu weit streuen. Laßt die Roten rankommen. 
Brennt ihnen die Ladungen auf das Fell, wenn sie noch dreißig 
Yards entfernt sind.« 

Jack rannte los. Er hielt auf die Hütten zu, die ein Stück 

weiter flußaufwärts standen. Das stabilste Gebäude war das der 
Freudenmädchen, und auf dessen flaches Dach wollte sich Jack 
hinaufziehen. 

Hufe dröhnten, als der bullige Anführer der Goldsucher noch 

zwei Dutzend Yards von der Hütte entfernt war. 

Mindestens achtzig Pferde galoppierten aus beiden 

Richtungen durch den Aravaipa Creek. Das flache Wasser 
spritzte hoch auf, und die ersten Pfeilwolken senkten sich von 
den Hängen der Berge herab. 

Vereinzelt dröhnten Gewehre, und Pulverrauch quoll 

zwischen den kurzen Bäumen und den Büschen der 
ansteigenden Talwände auf. 

Im Zickzack rannte Jack weiter. Er wartete auf das schnelle 

Hämmern moderner Winchestergewehre, auf den tödlichen 
Bleihagel, den ein geübter Schütze aus einer solchen Waffe 
abfeuern konnte. Doch statt des Stakkatogeräusches der 
Karabiner wummerten nur Vorderlader und großkalibrige 
Büffelbüchsen. 

Innerlich atmete Captain Jack auf. Er hatte dafür gesorgt, daß 

seine Männer die modernsten Waffen besaßen. Denn schon 
lange vor Beginn des Trecks ins Apachenland war Jack 
klargewesen, daß sie niemals ohne Auseinandersetzung mit den 
Roten davonkommen würden. Zwanzig Gewehre bedeuteten 
selbst in den Händen ungeübter Schützen eine gewaltige 
Feuerkraft. Wenn die Digger nur mit jedem dritten Schuß einen 
Indianer oder ein Pferd erwischten, so bedeutete dies immer 

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noch hundertzwanzig Treffer. 

Jack erreichte die Bretterwand des Freudenhauses und hörte 

Elenas Stimme. 

»Legt euch flach hin, ihr Schnepfen«, rief die Mexikanerin, 

»die Kugeln zischen durch die Wände wie durch Ziegenfett.« 

Jack schob das Gewehr auf das flache Dach und zog sich mit 

beiden Händen hinauf. Sekunden später lag er auf dem Bauch, 
die Winchester schußbereit vor sich. Er zielte auf den 
vordersten Reiter, der von Norden her durch das Bett des 
Aravaipa galoppierte. 

Jack drückte ab. Der Indianer warf beide Arme hoch und 

rutschte vom Pferd. Jack legte die Patronenschachtel, die er aus 
seinem Zelt mitgenommen hatte, dicht vor sich. 

Wie ein Automat lud der vierschrötige Mann durch und 

feuerte. Jede seiner Kugeln traf. Die Angreifer, die aus 
nördlicher Richtung heranjagten, bildeten innerhalb weniger 
Sekunden ein wirres Knäuel aus Toten, Verwundeten und 
sterbenden Pferden, die grell wieherten und schrien. 

Drei, vier Pfeile schlugen dicht neben Captain Jacks Kopf 

ein. Die Schäfte wippten noch, als sich der Digger herumwarf 
und die letzten beiden Schüsse auf die Krieger abfeuerte, die 
von Süden durch das Tal herangaloppierten. 

Jack preßte mit schnellen Bewegungen Patronen in die 

Ladeklappe seines Gewehres. 

Bald waren die Angreifer nahe genug heran. Warum zögerten 

die Idioten denn noch, dachte Jack. Aber da donnerten auch 
schon die Parker- und Greenerflinten, und ein vernichtender 
Schrothagel fuhr wie ein Ungewitter zwischen die Roten. 

Aus den Hügeldeckungen dröhnten immer wieder zwei 

Gewehre in regelmäßigen Zeitabständen. Allmählich schossen 
sich die Kerle ein. Eines der Geschosse riß Jack den Stiefel am 
Schaft auf, ein anderes traf die Munitionsschachtel in dem 
Moment, als der Goldsucher sich vom Dach wälzte. 

Jack hörte eine weitere Salve der Schrotflinten und schluckte 

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ein paarmal, um das Dröhnen und Klingeln aus den Ohren zu 
vertreiben. 

Die Berittenen rissen ihre Pferde herum. Weit beugten sich 

die Reiter von den Pferderücken hinab, rissen ihre verwundeten 
Freunde hoch und trieben die Tiere mit schrillen Schreien an. 

Kein Schuß fiel mehr, kein Pfeil wurde abgefeuert, nur die 

gellenden Rufe der flüchtenden Indianer durchbrachen die 
Stille. Ab und zu schlug ein Pferd mit den Hufen hilflos in der 
Luft. Das Wasser des Aravaipa färbte sich rot von Blut. 

Jack blinzelte zur Sonne hinauf, die gerade zu einem Viertel 

über die Gipfel der Pinalenos gestiegen war. Der gesamte 
Angriff hatte kaum länger als zehn Minuten gedauert. 

»Also los, Männer«, brüllte Captain Jack. »Räumen wir auf, 

Leute. Das werden sich die verfluchten Roten merken. Mit uns 
können sie nicht umspringen wie mit 'nem einsamen Farmer. 
Ich wette, die Apachen stimmen jetzt ein mächtig großes 
Geheul an, wenn die Krieger wieder bei ihren Sippen sind.« 

Der bärtige Goldsucher, der schon vor einiger Zeit gesagt 

hatte, daß die beiden erschossenen Späher keine Apachen 
gewesen waren, ging zum Wasser und betrachtete die toten 
Angreifer genau. 

Anschließend kam der Mann zu Jack und sagte laut: »Mister, 

das sind keine Apachenkrieger. Das sind Caddos und Wichitas. 
Die Kerle leben weit im Osten, eigentlich jenseits des Rio 
Grande. Ich schätze, die Kerle sind auf einem Raubzug. Die 
Apachen stehen uns noch bevor.« 

»Halt dein Maul«, sagte Jack leise, aber scharf. »Das 

brauchen diese Narren doch nicht zu wissen. Es genügt, daß sie 
den Angriff abgeschlagen haben. Jetzt fühlen sie sich stark und 
unverwundbar und werden auch die Apachenkrieger zur Hölle 
schicken.« 

Der Bärtige lächelte mitleidig und erwiderte: »Du hast von 

Apachen so viel Ahnung wie meine tote Grandma von 
Klapperschlangen. Du wirst dich noch wundern, Mister Jack.« 

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Der vierschrötige Mann registrierte, daß ihn der Bärtige nicht 

mit Captain ansprach und war auf der Hut. Denn dieser Kerl 
schien ein Widersacher zu sein. 

»Was habe ich mit deiner toten Grandma zu schaffen?« 

fragte Jack lässig. »Ich bin nicht tot.« 

»Grandma hatte die Schlange mit 'nem Regenwurm 

verwechselt, darum starb sie«, erwiderte der Bärtige grinsend. 
»Und genauso wird's dir auch ergehen, wenn du Apachen mit 
Wichitas und Caddos verwechselst. Das eben war ein 
Theaterstück aus der Sonntagsschule gegen einen 
Apachenangriff. Aber mach du nur, was du willst, Jack.« 

Wut und Unglauben beherrschten Jack, als der Bärtige 

davonging. Aber was von seinen Worten zu halten war, würde 
sich bestimmt in den nächsten Tagen herausstellen. 

Der vierschrötige Anführer der Digger beaufsichtigte das 

Aufräumen und verzog das Gesicht, als die fünf toten Posten 
an ihm vorbeigetragen wurden. 

Hätten die Narren besser aufgepaßt, wären sie noch am 

Leben. 

Jack war der Meinung, daß die Goldsucher gewarnt waren. 

Und die neuen Wächter verhielten sich wohl wachsamer als die 
Toten. 

Captain Jack irrte sich mächtig. Denn die neuen Posten 

waren voller Triumph. Hatten sie nicht gezeigt, wie sie mit den 
verdammten Roten fertig geworden waren? Ha, sie sollten nur 
kommen, dann gab es keinen mehr, der noch davonlaufen 
konnte. 

Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, nickte 
Cochise dem Aravaipa-Führer zu. Quachan gab seinem Pony 
die Zügel frei und ließ es galoppieren. 

Der Bote sollte dem Häuptling des Stammes die Ankunft der 

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Häuptlinge ankündigen. 

Quachan war etwa eine halbe Stunde geritten, als er von 

Norden her einen Mustang kommen sah, der im jagenden 
Galopp die gleiche Richtung nahm. 

Der Krieger erkannte das Pferd seines Freundes Setonya und 

stieß den Ruf des Jagdfalken aus, der zwischen ihnen das 
vereinbarte Zeichen war. 

Setonya verhielt sein Tier etwas. Quachan holte auf, und als 

er seinen Fuchs neben dem Freund verhielt, gab der dem 
eigenen Tier wieder die Zügel frei. 

Gemeinsam jagten die beiden Mustangs auf das Lager der 

Aravaipas zu. 

In kurzen, schnellen Sätzen schilderte Setonya den Angriff 

auf die Bretterstadt der weißen Eindringlinge. 

Quachan war klar, das dies die Lage verschärft hatte. Selbst 

Cochise würde es schwer haben, die Bleichhäutigen zum 
Abzug zu bewegen. Denn nun fühlten sich die Weißen stark, 
unbesiegbar. Hatten sie doch den Angriff einer räuberischen 
Horde Indianer abgeschlagen. 

Daß es marodierende Caddos und Wichitas waren, machte in 

ihren Augen keinen Unterschied aus. 

Eine Trommel dröhnte hell, als die beiden Freunde das Lager 

erreichten. Sie sahen zwei abgetriebene Mustangs im Grastal 
stehen und wußten, daß Eskaminzin schon durch die anderen 
Späher von dem Überfall erfahren hatte. 

Quachan lief zum Jacale des Chiefs. Setonya folgte 

langsamer, denn seine Nachricht war nicht mehr so dringend. 

»Cochise ist auf dem Wege hierher«, meldete Quachan 

seinem Jefe. »Er bringt Victorio und die Unterhäuptlinge mit.« 

Eskaminzin hatte fest damit gerechnet. Er gab eine Reihe von 

Befehlen, und Sekunden später flammten Feuer auf. Die 
Squaws steckten große Fleischbrocken auf Hartholzstäbe und 
hielten sie über die Flammen. Andere Frauen schleppten 
Kürbisse herbei, die Tizwin, den vergorenen Agavenschnaps 

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enthielten. 

Eine Reihe von Kriegern, die Bögen auf den Rücken, gefüllte 

Pfeilköcher an den Seiten, liefen auf ihre Posten. Denn Cochise 
sollte wie der Mann empfangen werden, der er war: Als der 
Oberhäuptling aller Apachenstämme. 

Dumpf hallten die Trommeln in einem lockeren Rhythmus. 

Der Geruch des garenden Fleisches zog über das Lager. Und 
manch ein Krieger, manch eine Squaw verspürte die Vorfreude 
auf den Genuß des Mulifleisches, das für alle Apachen eine 
Delikatesse war. 

Und dann kam Cochise. Er saß stolz und gerade auf seinem 

hageren Pinto, der wie geschaffen für die Wüste schien. 

Victorio ritt eine halbe Länge hinter dem großen Häuptling. 

Der Mimbrenjo wollte wohl betonen, daß der Unterschied 
zwischen ihm und Cochise nicht mehr als eine halbe 
Pferdelänge betrug. 

Hinter den beiden ritten Chato, Nana und Loco und Ulzana. 

Ihren Mustangs folgten die Tiere der zwölf Krieger, die der 
Chief als Ehrenwache mitgenommen hatte. 

Wie es die Sitte erforderte, stand Eskaminzin auf, ging den 

Besuchern ein paar Schritte entgegen und hob beide Arme halb 
in die Höhe und zeigte die Handflächen. 

»Du bist der Gast des Stammes, Cochise«, rief Eskaminzin 

laut, »und das, was ein Krieger des Stammes dir zufügt, hat er 
mir zugefügt. Sei willkommen bei den Aravaipas, Vetter.« 

Cochise erwiderte die Worte mit der vorgeschriebenen 

Antwort. Auch der große Chief erwähnte mit keinem Wort 
seine Begleiter. Natürlich galt die Gastfreundschaft auch für 
die Ehrenwache, aber daß Eskaminzin Victorio nicht genannt 
hatte, trieb dem Mimbrenjo den heißen Zorn in die Augen. Er 
beschloß, daß der Aravaipa diese Beleidigung irgendwann 
einmal büßen würde. 

Halbwüchsige Knaben liefen heran und führten die Pferde zu 

einem Grasfleck, durch den sich ein fußbreiter Wasserlauf 

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wand. Im trockenen Land war dies als besondere Ehrung 
anzusehen. 

Wenig später saßen die Gäste vor dem großem Feuer, das nur 

ein paar Schritte von Eskaminzins Jacale entfernt loderte. Der 
köstliche Duft des gebratenen Mulifleisches, der Geruch des 
Tizwin und die Wurzeln, die in der Glut geröstet worden 
waren, zeigten, daß der Chief der Aravaipas ein Festmahl 
vorbereitet hatte. 

Cochise beobachtete den befreundeten Häuptling unauffällig. 

Nichts wies darauf hin, daß der Anführer des kleinen Stammes 
ihn auf eine hinterhältige Art reinlegen wollte. 

»Holt die Alten, holt den Rat der weisen Männer 

zusammen«, rief Eskaminzin. »Sie sollen mit uns essen, denn 
sie haben zusammen mit mir entschieden, daß Cochise unser 
oberster Richter ist und ihm zusteht, die Feinde des Friedens 
zurechtzuweisen.« 

Ein paar alte Krieger schlurften heran. Cochise sah die 

grinsenden, faltigen Gesichter, den verhaltenen Spott in den 
Augen dieser Alten und wußte plötzlich, daß der Häuptling der 
Aravaipas einen schlauen Schachzug durchgeführt hatte. 

Zuerst reichte Eskaminzin dem Gast das beste Stück Fleisch. 

Danach bot der Führer des kleinen Stammes auch Victorio 
Mulibraten an. Ohne auch nur eine Geste des Dankes nahm der 
Mimbrenjo an und aß sofort. 

Es dauerte lange, bis alle satt waren, bis die ausgehöhlten 

Kürbisse mit Tizwin die Runde machten. 

Cochise war als erster mit dem Essen fertig gewesen. Er 

blieb in allen Dingen des täglichen Lebens maßvoll. Nur in 
seinem Zorn konnte er sich selbst verlieren. 

»Ich bin gekommen«, begann Cochise, und trank einen 

winzig kleinen Schluck des Agavenschnapses, »weil ich von 
weißen Eindringlingen im Land der Aravaipas hörte. Natürlich 
weiß ich, daß du genügend mutige Krieger hast, um solche 
Probleme schnell und nach Art unserer Rasse zu lösen. Aber du 

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weißt, daß ich Frieden mit dem einarmigen Soldatenvater 
geschlossen habe. Für die Dauer von sechs Mondzeiten soll 
kein Apache einen Weißen angreifen.« 

Victorio nahm einen gewaltigen Schluck, stieß hörbar auf 

und rief laut: 

»Was sollen diese Worte, Cochise. Die weißen Hunde sind 

ohne Gesetz, ohne Recht. Howard hat dir versprochen, die 
Bleichgesichter aus unserem Land fernzuhalten. Was 
geschieht: sie kommen zu unserem Vetter Eskaminzin und 
bauen eine Stadt, weil sie verrückt nach Gold sind. Ich sage: 
vertreiben wir diese weißen Gesetzesbrecher nicht. Ich sage: 
töten wir sie! Töten wir sie nach Art unserer Väter. Denn das 
ist unser Recht, das ist Apachenrecht im Apachenland.« 

Tadelnd sah Cochise den Mimbrenjo an. Victorios schwarze 

Augen schienen in einem unheimlichen Feuer zu glimmen. Die 
Haare hingen ihm strähnig auf den Schultern, und der ganze 
Mann strahlte nur unterdrückte Wut und Kampfesgier aus. 

Er brannte darauf, sich mit Gewehr und Kriegsbeil auf dem 

Rücken eines feurigen Mustangs mitten in die Schlacht zu 
werfen. Er witterte Blut, das Blut der Weißen, und hörte 
sicherlich schon die Schreie der Krieger, die zum Töten 
aufriefen. 

»Victorio, ich habe vom Frieden gesprochen«, sagte Cochise 

sanft. »Und ich bin gekommen, unseren Vetter Eskaminzin 
zum Frieden zu ermahnen.« 

»Wie willst du diese Bleichhäutigen friedlich aus diesem 

Land jagen?« fragte Victorio herausfordernd. »Sie suchen 
Gold, und das hält sie hier, das läßt sie sich in den Boden 
krallen wie der Adler seine Beute krallt.« 

»Warte ab, Mimbrenjo«, erwiderte Cochise gelassen. »Du 

wirst es sehen. Du hast mein Wort, Victorio.« 

Der Häuptling starrte den hochgewachsenen Führer der 

Chiricahuas an und rief: »Was werde ich sehen? Einen Krieger, 
der zu den Blauröcken reitet und nach Hilfe ruft? Sehe ich 

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Pferdesoldaten, die ins Tal der Aravaipas kommen und ihre 
Rassegefährten davontreiben? Ist das deine Kunst, Cochise? 
Denn du hast dich doch mit den Weißhäutigen verbündet. Du 
verrätst die Apachen, du verrätst deine eigene Seele.« 

Cochise lächelte freundlich als er erwiderte: »Ich reite nicht 

zu den Blauröcken, Vetter. Und wenn ich zu General Howard 
wollte, würden mich deine Krieger nicht aufhalten.« 

Victorios Gesicht wurde sofort glatt und ausdruckslos. Der 

Mimbrenjo überlegte fieberhaft, was Cochise wußte. Wer hatte 
ihm hinterbracht, daß die Mimbrenjos das Land abgeriegelt 
hatten? Woher wußte der große Häuptling, daß Victorio aus 
dieser Sache eine Machtprobe entwickelt hatte, um Cochise 
bloßzustellen und ihm seine Anhänger abzugewinnen? 

»Wenn mein Bruder Eskaminzin einverstanden ist«, sagte 

der Chief, »nehme ich mich der Sache an.« 

Der Anführer der Aravaipas nickte und drückte mit blumigen 

Worten seine Zustimmung aus, während er seinen alten 
Kriegern, die den Rat des Stammes bildeten, zublinzelte. 

Die zahnlosen Greise unterdrückten ihre Heiterkeit kaum 

noch. Sie hielten Cochise für einen Narren, denn was wollte 
der mit zwölf Kriegern gegen die Weißen am Fluß ausrichten? 
Außerdem war dies die beste Gelegenheit zu zeigen, daß 
Cochises Friede keiner sein konnte. Denn die Weißen drangen 
weiterhin in das Land der Apachen ein und wußten doch, daß 
diese Halbwüste die letzte Hürde vor der Hölle war. 

Cochise nahm noch einen kleinen Schluck Tizwin und 

lauschte den Trommeln. Ein Instrument unterschied sich von 
dem Rhythmus der anderen. 

Der Krieger spielte die Melodie, die die Männer des 

Stammes zum Kampf aufrief. 

»Wann willst du zu den Weißen reiten?« fragte Eskaminzin 

laut und sah Cochise eindringlich an. 

»Wir haben gegessen«, erwiderte der Chief. »Ich reite, wenn 

uns das Essen in unseren Bäuchen nicht mehr behindert.« 

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Der Ruf der Kriegstrommeln wurde kräftiger, lauter. 

Durchdringend überlagerte die Melodie die Rhythmen der 
anderen Instrumente und übertönte selbst noch den Klang der 
einsaitigen Apachenfiedel, die nun einfiel. 

Cochise sah auf. Genau gegenüber stand ein Krieger von 

vielleicht zwanzig Sommern. Das Gesicht des Mannes war 
durch die flackernden Flammen kaum zu erkennen. Zudem 
stand die Sonne so steil, daß sie alle Augen blendete, die zu 
dem Aravaipa blickten. 

Abrupt verstummte das Dröhnen der Trommel. 
»Sag uns Kriegern, Jefe«, rief der Mann, »warum wir nicht 

Beute machen sollen? Sag uns, warum du verboten hast, Skalps 
zu nehmen. Sag uns, warum du die Bleichgesichter schützt. 
Wir Krieger wollen töten. Wir wollen das Blut der 
Weißhäutigen sehen, wollen ihr Gewimmer im Todeskämpf 
hören und unser Land von ihnen befreien.« 

Eskaminzin sprang geschmeidig auf. Mit drei langen 

Schritten erreichte der Häuptling den Krieger, holte aus und 
schlug ihn mit der Faust nieder. Der Aravaipa fiel wie ein 
Baum. Seine Haare lagen nur eine Handbreit von der Glut 
entfernt. Und Eskaminzin machte sich daran, den Mann ins 
Feuer zu schieben. Denn er hatte es gewagt, die heilige 
Gastfreundschaft zu verletzen und damit auch seinen eigenen 
Chief tödlich beleidigt. 

Cochise hob die Linke ein wenig und rief halblaut: »Nein, 

Bruder, laß den Krieger leben. Er ist ein junger Wolf, der aus 
dem Rudel ausbrechen möchte. Er wird der Vater vieler Söhne 
sein. Und seine Söhne werden noch in fünfzig oder mehr 
Sommern nach Art der Apachen leben. Aber kämpft er jetzt, 
stirbt er. Tötest du ihn, bringt er deinem Stamm keine Söhne 
mehr. Laß den jungen Wolf leben, Eskaminzin. Ich schenke dir 
dieses Leben.« 

Der Häuptling der Aravaipas blickte Cochise über die 

Flammen hinweg an und erkannte, daß der große Anführer 

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seine Worte ernst meinte. 

Sofort ergriff Eskaminzin die Gelegenheit und sagte: »Gut, 

aber über dieses Leben müssen wir allein sprechen.« 

Cochise nickte und stand auf. Er folgte dem Aravaipa hinter 

die Jacales zum Grasplatz der Pferde. Hier konnte kein Krieger 
anschleichen und die beiden Männer belauschen. 

John Haggerty war mit der Wildnis vertraut. Nicht nur seiner 
Freundschaft mit Cochise wegen hatte er den Titel eines 
Lieutenants von General Howard verliehen bekommen. 

John war einer der besten Scouts des Südwestens. Er 

vermochte sich fast wie ein Apache unsichtbar zu machen, fand 
Wasser an Orten, die jedem anderen Weißen nur ein müdes 
Lächeln entlockt hätten und wußte all seine Sinne zu 
gebrauchen. 

Und so spürte Haggerty, als er nach Süden ritt, daß etwas 

vorging in dem wilden Land, dessen Kargheit beinahe schon 
wieder schön zu nennen war. 

John entschloß sich, den kräfteraubenden Trail nach Fort 

Buchanan zu nehmen. Das Pferd war stark genug, um diese 
Strecke bewältigen zu können. Der Scout mußte die 
Greasewood Mountains durchqueren, die sich südöstlich an die 
Pinalenos anschlossen. Hatte John diesen Gebirgszug hinter 
sich gebracht, lagen noch etwa fünfzig Meilen vor ihm, bis er 
das Fort erreichte. 

Haggerty wußte nicht, daß Victorios Krieger das Land 

abgeriegelt hatten. Trotz Kenntnis dieser Tatsache wäre er auf 
jeden Fall geritten. Denn wenn im Land der Aravaipas 
Goldsucher den Boden umwühlten, so zählte das Leben des 
Scouts nicht viel. Es ging um den Frieden im Südwesten, 
darum, Howards und Cochises Versprechen nicht als Lügen 
erscheinen zu lassen. 

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John lenkte das Tier zu einer Rinne, die während des 

spärlichen Regens als Wasserlauf diente. Der Staub lag in 
diesem Arroyo fast zwei Inches hoch, denn schon lange war 
kein Wasser mehr vom Himmel auf die ausgedörrte Erde 
gefallen. 

Nach den ersten Schritten des Pferdes zog John am Zügel. 

Der Scout vermochte nicht zu sagen, was ihn mißtrauisch 
gemacht hatte, aber er achtete auf die Warnungen seines 
Instinktes. 

Aufmerksam musterte Haggerty die Überkante der schrägen 

Rinne, senkte seinen Blick zu den glatten Wandungen und dem 
Staubbett auf dem Boden. Es wirkte unberührt, aber was hatte 
das schon zu bedeuten? Es gab zahllose Wege in die Berge, 
und mehr als zwei Dutzend führten dorthin, wo dieser Arroya 
mündete. 

Eine schwache, kaum wahrnehmbare Bewegung ließ John 

aufmerken. Er sah wieder hinauf. Eine dünne, nur gegen das 
Licht der Sonne kaum zu erkennende Staubfahne wirbelte 
durch die Luft. 

Haggerty sog tief die Luft in die Lungen. 
Das hier waren Apachentricks. Vielleicht lag dort oben 

wirklich ein Krieger auf der Lauer, wartete nur auf den 
Weißen, der arglos heraufritt und tötete das verhaßte 
Bleichgesicht. 

Genausogut konnte es ein anderer Trick sein. Ein zweiter 

roter Kämpfer lauerte auf dem Ausweichpfad, und sein 
Kumpan warf dort oben den Sand in die Luft, um den Weißen 
zum anderen Weg zu treiben. Aus diesen verschiedenen 
Möglichkeiten ließen sich eine ganze Menge böser Situationen 
zusammenstellen. Und fast jede konnte für den Scout tödlich 
enden. 

Haggerty preßte entschlossen seinem Pferd die Absätze in 

die Flanken. Das Tier griff weit aus, stieß sich mit den 
Hinterbeinen ab und trabte fast durch die Rinne nach oben. 

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Mit dem letzten Ausgreifen gewann das Pferd den flachen, 

steinigen Rand und spürte plötzlich Johns Faust zwischen den 
Ohren. Erschreckt machte es einen Satz nach vorne. 

Ein Revolver wummerte. Die Kugel fauchte eine Armlänge 

an Haggerty vorbei. Seine Witterung hatte ihn nicht getrogen. 
Die Feinde lauerten hier oben. 

Während der Scout das Pferd in Galopp brachte, sah sich der 

Reiter schnell um. Es war lange her, seit er diesen Weg 
genommen hatte. Verändert hatte sich nicht viel. Die Büsche 
waren ein wenig größer geworden, und die schrundigen Felsen 
lagen noch immer so, wie er es in Erinnerung hatte. 

In wilden Zickzacksprüngen lenkte Haggerty das Pferd auf 

die mehr als mannshohen Felsen zu. Zwischen ihnen wollte er 
sich bis zu den Gelbkiefern vorarbeiten, die etwa hundert Yard 
entfernt wuchsen. Die Deckung der jungen Bäume war für 
John ausreichend. 

Wenn aber zwischen diesen Kiefern Apachen lauerten, stand 

es schlecht um ihn. 

Ich muß durch, dachte der Scout. Wenn die Aravaipas die 

Weißen töten und davonjagen, kommen in ein paar Wochen 
Tausende von goldhungrigen Kerlen und metzeln zuerst die 
Apachen nieder, bevor sie nach Gold suchen. Dann flammt der 
Krieg wieder auf, und Cochise und ich stehen auf 
verschiedenen Seiten und müssen gegeneinander kämpfen. 

Das Pferd schnaufte laut, gehorchte aber den scharfen 

Rucken der Zügel. Dicht an den Felsen hetzte es vorbei, und 
mehr als einmal war Johns Bein in Gefahr, von vorstehenden 
Gesteinszacken aufgerissen zu werden. 

»Hooco, Falke, ich sehe dich!« rief ein Krieger kehlig hinter 

John. »Warte auf mich, Falke, du bist eine Made, weiß wie 
eine Made, die im fetten Boden lebt. Warte, Falke, damit ich 
dir deinen Skalp nehmen kann!« 

Haggerty stieß einen kurzen Fluch aus. Der Sprachfärbung 

nach war ein Mimbrenjo hinter ihm her. Und Victorios Krieger 

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hielten sich nicht an Cochises versprechen, keinen Weißen zu 
überfallen. 

Die Zweige zwischen den Kiefern schwankten. Kein 

Windhauch fächelte über den Berghang. John zog gewaltig am 
Zügel, riß das Pferd förmlich nach rechts, aber es war zu spät. 

Zwei Mimbrenjo-Krieger trieben ihre kleinen, zähen Ponys 

an und preschten aus der grünen Deckung hervor. 

»Komm zu uns, Falke!« brüllte einer der Indianer spottend, 

»schenk uns deinen Skalp!« 

John sah, daß die beiden Apachen die Richtung änderten. Sie 

trennten sich. Einer der Krieger ritt am Rand der Gelbkiefern 
entlang, versperrte dem Scout die Flucht nach vorne, und der 
zweite Apache schnitt John den Weg aus dem Felsengeröll 
heraus ab. 

Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis die Pfeile 

schwirrten. 

Da, drei dumpfe Schläge. Die Eisenspitzen hatten das 

Sattelleder durchbohrt. Erschreckt stieg das Pferd vorne hoch, 
als es die Wunden spürte. Haggerty hatte alle Hände voll zu 
tun, aber als das Tier schrill wieherte, als es den Schmerz des 
stechenden Eisens spürte, das durch die Sattelbewegungen 
immer mehr Haut aufriß, mußte John aufgeben. 

Er zog die Winchester aus dem Scabbard, lud durch und 

schnellte sich aus dem Sattel. Der Scout prallte hart auf, drehte 
sich blitzschnell um die eigene Achse und stieß sich mit den 
Füßen ab. 

Als er sich umwandte, war der Sattel des Pferdes gespickt 

von Pfeilen. Und jetzt schlugen drei der tödlichen Geschosse in 
den Hals des Tieres. Es röchelte, knickte mit den Vorderbeinen 
ein und brach zusammen. 

Grimmig zog Haggerty das Gewehr an die Schulter und 

feuerte. Der Apache vor der Kiefernwaldung wurde wie von 
einer gewaltigen Faust von seinem Pony gefegt. 

Die beiden anderen stießen schrille Schreie aus. Ihre 

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Mustangs reagierten auf den leichtesten Zügeldruck, auf die 
winzigsten Bewegungen der Beine und Hacken. Mit 
sinnverwirrenden Sprüngen, die vor und zurück, nach links, 
rechts, schräg zur Seite führten, näherten sich die Pferde der 
beiden Mimbrenjos den Bäumen. 

John pendelte mit dem Gewehr hin und her. Wenn er endlich 

einen Krieger im Visier hatte, abdrücken wollte, vollführte 
dessen Pony einen unerwarteten Satz. 

Zorn stieg in dem Scout auf, und Zorn war ein schlechter 

Ratgeber. 

Haggerty holte tief Luft und jagte einen Fächer von acht 

Kugeln zu den beiden Reitern hinüber. 

Das linke Tier steilte vorn hoch, hilflos fuhren die Hufe 

durch die Luft, und der Mimbrenjo schnellte sich wie ein 
braunroter Ball von seinem Pony. Der Krieger landete unsanft 
mit dem Kopf und Nacken auf einem kniehohen Stein und 
bäumte sich auf, bevor er reglos liegenblieb. Der Kopf hing 
seltsam schief zur Seite. Der Apache mußte sich das Genick 
gebrochen haben. 

Voller Wut stieß der letzte Kämpfer seinen Schlachtruf aus 

und jagte heran. John wartete bis zum letzten Moment und 
feuerte. Der Indianer war sofort tot. 

Haggerty zog Patronen aus den Gurtschlaufen und lud die 

Winchester auf. Wo drei Mimbrenjos auf der Lauer lagen, 
konnten noch mehr sein. 

Lange wartete der Scout ab. Er besaß die Geduld der 

Apachen, wenn es darauf ankam. 

Während der Wartezeit überlegte John, daß er zu Fuß nach 

Fort Buchanan marschieren mußte. Der einzige Ausweg war 
ein Indianermustang. Für einen toten Krieger wäre das 
Einfangen eines Ponys kein Problem gewesen. Haggerty 
jedoch trug den Geruch der Weißen mit sich, und das machte 
die Sache ungeheuer schwierig. 

Die Sonne war ein großes Stück weiter nach Westen 

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gewandert, als der Scout schließlich die Deckung der 
Gelbkiefern verließ und lautlos zu dem ersten toten Krieger 
schlich. 

Der Apache war in den ewigen Jagdgründen, daran hatte 

John keinen Zweifel. Auch der zweite Angreifer lebte nicht 
mehr. Haggerty huschte zu dem dritten Mann hinüber. 
Irgendwas warnte den Scout. Aufmerksam betrachtete er den 
Mimbrenjo. Es konnte sein, daß er sich das Genick gebrochen 
hatte. Aber genausogut war es möglich, daß sich der Krieger 
verstellte. 

Abschätzend blickte John auf die Adern am Hals. Die Sonne 

blendete den Weißen, so daß er nicht sehen konnte, ob sie 
pulsierten. 

Es knackte metallisch, als Haggerty den Hahn der 

Winchester zurücklegte. Schußbereit das Gewehr in den 
Fäusten, pirschte sich der Chiefscout weiter. 

Als er noch drei Schritte von dem Krieger entfernt war, kam 

Leben in den Indianer. Er schnellte sich zur Seite, hielt 
plötzlich einen Colt in der Hand und feuerte. 

John sah fast genau in die orangerote Blume des 

Mündungsfeuers, spürte einen scharfen Schmerz am Hals und 
drückte ab. Der Krieger war tot, jetzt war er tot. Aber vorher 
hatte er länger als zwei Stunden in glühender Sonne gelegen 
und nur darauf gewartet, dem verhaßten Bleichgesicht das 
Leben nehmen zu können. 

Haggerty griff mit der Linken zum Hals. Als er die Finger 

zurückzog und betrachtete, waren sie naß von Blut. Ruhig 
erforschte John die Wunde. Sie schlug nicht im Takt seines 
Herzens, also hatte er eine Chance. 

Der Scout löste das Halstuch und klemmte es zwischen die 

Zähne, als er zu den Bäumen zurückging. Dort, im 
Halbschatten, mußte eine bestimmte Pflanze wachsen, deren 
Blätter blutstillend wirkten, wenn sie zu einem Brei zerkaut 
und auf die Wunde gestrichen wurden. 

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John suchte lange. Es dämmerte bereits, als er die Pflanze 

fand. Brach denn wirklich schon der Abend herein? 

Mühsam wandte Haggerty den Kopf. Die Sonne stach grell 

in seine Augen. Nein, es war noch heller Tag. Der Blutverlust 
hatte den Scout geschwächt. Er verlor langsam die Besinnung. 

Schnell, dachte er, ich muß mich verbinden. 
Er rupfte mit unsicheren Bewegungen Blätter ab, steckte sie 

in den Mund und kaute mühsam. Jedes Zusammenbeißen der 
Zähne jagte einen höllisch heißen Schmerz durch die 
Halswunde. 

Endlich schien der Brei richtig zu sein. Mühsam holte der 

Scout die Masse aus dem Mund und verlor beinahe die Hälfte 
davon. Lange Zeit stierte Haggerty auf den Boden, auf die 
braungefärbten Nadeln und fand den Anblick der hellgrünen 
Flecken des Breis auf diesem Untergrund lustig. 

Er kam wieder zu sich, und sofort spürte er den Schmerz. 

Dies war das sicherste Zeichen, daß sein Kopf halbwegs klar 
wurde. John schmierte sich den Rest des schon trocknenden 
Gemisches auf die Verletzung und hoffte, daß die Kugel sauber 
gewesen war. Denn sonst war eine Blutvergiftung fällig. Und 
die verlief in neunzig von hundert Fällen tödlich. 

Mit ungeschickten Fingern knotete John das Halstuch so fest 

um den Hals, daß er gerade noch Luft bekam. 

Erschöpft hielt er inne und dachte nach. Aber während er 

versuchte, die Gedankenfetzen zu haschen, fiel er zur Seite auf 
das weiche Polster aus Piniennadeln und versank in 
Bewußtlosigkeit. 

Victorios Krieger hatten ihre Aufgabe erfüllt: Der Weg nach 

Süden, die zahllosen Trails und Pfade, die nur den Apachen 
bekannt waren, blieben für jeden Menschen gesperrt. 

Und der einzige Weiße, der Scout John Haggerty, lag 

besinnungslos im Schatten der Kiefern. Nur er hätte das 
erneute Auflodern der Kämpfe verhindern können. Aber er 
hatte keine Chance. 

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Cochise sah Eskaminzin lächelnd an und sagte: »Berichte, 
mein Bruder, was bringen die alten Männer vor? Reden sie 
vom Krieg? Stehen in ihrem müden Geist die Heldentaten ihrer 
Jugend wieder auf?« 

Der Aravaipa lächelte ebenfalls. 
»Häuptling«, erwiderte er respektvoll, »du weißt, daß ich 

mein Volk bewahren will. Du weißt, daß wir Vieh züchten und 
Äcker bauen. Aber jetzt sind die weißen Männer an unseren 
Fluß gekommen und waschen das Gold aus dem Sand. Sie 
durchwühlen die Hänge der Berge, zerstören die Wurzeln der 
Bäume und Sträucher, und der spärliche Regen rinnt auf dem 
nackten Gestein davon.« 

Cochise nickte. Er kannte als Sohn der Halbwüste jedes 

Wasserproblem, das nur denkbar war. Aber hier ging es nicht 
um das kostbare Naß. Hier ging es um mehr. 

»Die Alten, die zahnlosen Männer des Rates«, fuhr 

Eskaminzin fort, »sie fordern, daß meine Krieger mit Pfeilen 
und Kriegsgeschrei über die Eindringlinge herfallen.« 

Abermals nickte der große Chief. Cochise erweckte den 

Eindruck eines Felsens, den nichts erschütterte. 

»Aber du willst Frieden halten, Bruder«, sagte er. »Das ist 

gut und klug von dir. Der Rat der Alten stimmte also deinem 
Vorschlag zu, mich herzuholen, und mich die Eindringlinge 
vertreiben zu lassen?« 

»So ist es, Bruder«, antwortete Eskaminzin. 
»Du weißt, was das bedeuten kann?« fragte der Häuptling. 
Der Aravaipa senkte den Kopf. Ja, Eskaminzin wußte, was 

geschah, wenn es zu Blutvergießen kam. 

Cochise stand als Lügner und Wortbrecher vor den Weißen. 

Sie würden sich nicht länger den Befehlen der Blaujacken 
fügen, sondern wie die Sommerheuschrecken über das wilde 
Land der Apachen herfallen. Zahllose Scharmützel, ja, Kriege 

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waren die Folge davon. Und dann, wenn die Weißen in Not 
gerieten, kamen auch mehr Blauröcke in den Südwesten. Und 
das mußte das Ende der freien Stämme sein. 

»Victorio hat seine Krieger angewiesen, jeden Pfad nach 

Süden abzuriegeln«, sagte Cochise halblaut. »Der Mimbrenjo 
ist mein Widersacher. Er spricht zu seinen Männern von 
Mangas Colorados, der ein Mimbrenjo war. Er spricht davon, 
daß er als Führer größer, weiser, geschickter und 
kampflüsterner war als ich es bin.« 

»Weiche nicht ab von deinem Pfad«, sagte Eskaminzin 

unruhig. »Du mußt den Weißen verständlich machen, daß ein 
jeder Chief den Befehl über seine Männer hat, daß du als 
oberster Führer nur Einfluß besitzt, wenn auch die kleinen 
Jefes der anderen Stämme zustimmen. Sie halten sich an dein 
Wort, sicher, aber immer wieder schicken sie ihre Krieger aus, 
um Weiße auszurauben und zu töten. Es ist kein Krieg, der 
über unserem Land liegt, es ist die Kampfeslust unserer 
Männer, Cochise.« 

Eine Weile standen die beiden Führer auf dem Grasteppich 

und sahen den Mustangs zu, die ruhig weideten. 

»Gut, ich werde selbst nachsehen«, sagte Cochise 

schließlich. »Meine Kundschafter beobachten sicher schon das 
Lager der Weißen und berichten mir, wenn ich zu ihnen stoße.« 

»Was hast du vor?« wollte der Aravaipa wissen. »Welchen 

Weg nimmst du, Cochise?« 

Er lächelte hart, unnachgiebig, als er antwortete: »Den der 

Herausforderung, des Spottes und der Beleidigung. Du weißt, 
daß jeder Bleichhäutige von sich glaubt, jedem Indianer 
überlegen zu sein.« 

Eskaminzin nickte. In seinen Augen funkelte Erregung. 
»Ich brauche deine Krieger, Bruder«, fuhr der Chief fort. 

»Sie alle sollen die Gewehre nehmen, die du für sie verwahrst. 
Die Gewehre sind wichtig, glaube mir.« 

Der Aravaipa hob die Rechte. 

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Fragend sah Cochise den Mann an, der sagte: »Wichtiger als 

du glaubst. Denn nicht nur die Weißen plündern unser Land. 
Die alten Feinde, Wichitas und Caddos, fallen über uns her. Sie 
erschlagen Weiße, rauben und morden, und die Blaujacken 
sehen in den Apachen die Gegner. Meine Späher berichten von 
mehr als doppelt so vielen Kriegern, wie ich besitze. Die 
Wichitas haben einen Angriff auf das Lager der Goldsucher 
durchgeführt und wurden zurückgeschlagen. Die Gewehre der 
Bleichgesichter brachten den Tod über die Wichitas und ihre 
Freunde. Aber die Goldsucher haben einen Sieg errungen und 
fühlen sich stark und mächtig.« 

Cochise spürte, wie ihn Erregung ergriff. Dies war genau die 

Situation, die er brauchte. Die Überheblichkeit der 
Bleichgesichter gegenüber den Indianern brachte ihm nur 
Vorteile. In ihrem Hochmut würden die Goldsucher bereit sein, 
seine Herausforderung anzunehmen. Es war möglich, einige 
Dinge zugleich zu erledigen. 

Einmal die Weißen zu vertreiben und zweitens Victorio 

bloßzustellen, der darauf setzte, daß es einen heißen Kampf 
und dadurch das Auflodern des Krieges geben würde. 

»Wir nehmen uns die räuberischen Wichitas vor«, versprach 

Cochise. »Ich wünschte, Falke wäre in der Nähe. Denn das 
sind Dinge, die er wissen sollte.« 

Der Chief ahnte nicht, daß Haggerty nur ein paar Dutzend 

Meilen entfernt bewußtlos zwischen halbhohen Kiefern lag, 
angeschossen von Victorios Mimbrenjoposten. 

»Aber zuerst müssen die Goldgräber das Land verlassen«, 

sagte Eskaminzin ernst. »Du solltest wissen, Cochise. In 
unseren Bergen gibt es ein Tal, das bei meinem Volk einen 
bestimmten Namen hat. Es heißt Schlucht des hundertfachen 
Todes. Klapperschlangen leben dort, und nur sie beherrschen 
dieses Tal. In längst vergangener Zeit fanden die Eisenmänner 
dort Gold in der Bergwand. Heute noch führt eine Höhle in den 
Felsen. Und durch diese Wände ziehen Goldadern, die so dick 

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wie unsere Arme sind. Du siehst, es ist notwendig, daß die 
Weißen davonreiten. Der Fluß führt nicht viel des gelben 
Eisens mit sich. Wenn die Weißen ungeduldig werden, 
durchstreifen sie mein Land. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis 
sie in die Schlucht des hundertfachen Todes gelangen und die 
Höhle der Eisenmänner finden. Und was dann geschieht, 
kannst du dir vorstellen.« 

Innerlich erschrak der große Häuptling. Von der Existenz 

dieser Mine hatte er nichts gewußt. Aber sicherlich besaß jeder 
Stamm solche uralten Geheimnisse. Es galt, sie auf jeden Fall 
vor den Bleichgesichtern zu bewahren. Denn wurde die Lage 
eines Goldstollens bekannt, blieb den Apachen nur noch der 
Tod im Kampf, der Untergang. 

»Die alten Männer wollten die Weißen in dieses Tal locken 

und das Gewürm die Arbeit machen lassen«, fuhr Eskaminzin 
fort. »Ich hielt das für einen schlechten Plan. Denn wenn auch 
nur ein Bleichgesicht entkommt, wenn auch nur ein Weißer die 
Höhle findet, besteht wieder Gefahr für uns.« 

Die Folgen wären unabsehbar. Cochise war einer jener 

wenigen Indianer, die weiter sahen als bis zur Wand ihres 
Jacales. Er bedachte die Zukunft seiner Rasse, hörte von 
Vettern, die weit entfernt im Norden gegen die Eindringlinge 
Schlachten schlugen und zurückweichen mußten, hörte von 
dem merkwürdigen Eisenweg, der von rauchenden und 
stöhnenden Maschinen befahren wurde und von den singenden 
Drähten, mit denen sich die Bleichgesichter auf geheimnisvolle 
Weise über weite Strecken hinweg verständigten. Dies alles 
waren unverständliche Dinge, fast Wunder, für einen 
Naturmenschen wie Cochise. Das Leben der Apachen war 
darauf ausgerichtet, sich selbst und die Sippe am Leben zu 
erhalten, zu überleben. Es gab keinen Raum für unnütze Dinge. 
Der nackte Existenzkampf in Wüste und Halbwüste forderte 
den Kriegern alles ab. 

Und gerade weil das so war, ahnte Cochise, daß diese 

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Lebensweise zum Untergang verurteilt war. 

Der weiße Mann, weitaus weniger zäh und listig als ein 

Apachenkrieger, überlebte dank seiner anderen Kenntnisse und 
Fähigkeiten. Er zwang dem Wasser seinen Willen, den Weg 
der Weißen auf. Er verwandelte kargen Boden in fruchtbares 
Land, er züchtete Tiere, die als Nahrung dienten, aber er taugte 
nicht im Kampf. Ging diese Fähigkeit verloren, wenn man sich 
mit den Dingen der Weißen beschäftigte? 

Cochise wußte es nicht. Und er würde es niemals erfahren. 

Er konnte nur dafür sorgen, daß sein Volk überlebte und nicht 
ausgerottet wurde. Dies war sein Ziel, und um sein Ziel zu 
erreichen, wandte er jede List an, derer ein Apachenführer 
fähig war. 

»Zeige mir den Weg zu dem Ort der Bleichgesichter«, sagte 

Cochise zu Eskaminzin. »Ich werde sie beobachten und dann 
entscheiden. Bereite deine Krieger darauf vor, daß sie sich 
ringsum verteilen. Sie sollen auf halber Höhe der Talwände 
warten. Wenn der Rennkuckuck einmal ruft, müssen deine 
Männer über die Köpfe der Weißen schießen. Ruft er zweimal, 
müssen sie töten.« 

Cochise verschwendete kein Wort daran, daß seine Befehle 

und seine Zeichen unbedingt beachtet werden mußten. Das 
setzte er voraus. 

Er sah Eskaminzins besorgtes Gesicht und sagte: »Wenn die 

Weißen abziehen, nimmst du die Gewehre wieder an dich. Ich 
weiß nichts von Waffen, die dreizehnmal hintereinander 
feuern, mein Bruder.« 

Der Aravaipa-Führer wirkte erleichtert. Denn die 

Winchesterbüchsen stammten aus einem Beutezug und sollten 
so wenig wie möglich gesehen werden. Sie waren das 
gefährlichste Mittel des Stammes, wenn er sich gegen eine 
Übermacht zur Wehr setzen mußte. 

Cochise pfiff leise, und sein Pony trabte heran. Das Tier rieb 

seine Nüstern an den Schultern seines Herrn und schnaubte. 

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Sekunden später ritt er in die Richtung, die ihm der Aravaipa 

gewiesen hatte. Und nach etwas mehr als zwei Stunden stand 
Cochises Plan fest. 

Er saß inmitten eines Feldes von Holzgras und hatte seine 

Späher gesprochen. 

Sie berichteten, was er selbst auch beobachtet hatte. Die 

Weißen waren nachlässig bei der Bewachung der Goldfelder. 
Es mußte so sein, wie Cochise gedacht hatte. In maßloser 
Überlegenheit schien es den Bleichgesichtern, daß ihnen nichts 
mehr zustoßen konnte. 

Die Wachen blickten mehr zum Fluß hin als in die Berge und 

die Taleinschnitte im Norden und Süden. 

Cochise saß auf, klopfte dem Pferd den Hals und strich ihm 

durch die Mähne. Das Tier schnaubte unter der Liebkosung 
und ging an. 

Der Häuptling würde ganz normal heranreiten, warten, bis 

ihn jemand bemerkte, und dann zu den Eindringlingen reden. 

Die Krieger der Aravaipas lagen in ihren Stellungen. Das 

andauernde Fiepen der Taschenratte war das Zeichen gewesen. 

Captain Jack schuftete wie ein Verrückter auf seinem Claim. 
Aber nur wenig Gold kam zum Vorschein. Die Ausbeute war 
nicht der Rede wert. Wenn es so weiterging, holte Jack an 
einem langen Tag, der von Sonnenaufgang bis 
Sonnenuntergang dauerte, für ungefähr fünf Dollar Goldstaub 
und Flitter aus dem Boden. Und das war ein Lohn, der ihm zu 
gering für den Aufwand, die Umstände und die Gefahren 
erschien. 

Der Erfolg der letzten Tage war geschmolzen wie Schnee in 

der Sonne. Die Gruppe um Captain Jack hatte voll 
Begeisterung die Goldtaschen geplündert, die im Laufe der 
Jahrtausende entstanden waren. Jeder der Männer – und auch 

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Lynn Rogers – besaßen mehr als dreihundert Dollar in Gold. 
Aber damit war es jetzt vorbei. Nun begann die Schinderei für 
ein paar Cents, und die Digger, die schon seit Wochen hier 
schufteten, konnten sich ein schadenfrohes Grinsen nicht 
verkneifen. 

Dabei war Jack sicher, daß in diesem Gebiet eine Menge 

Gold verborgen sein mußte. Er wußte jedoch auch, daß er ohne 
eingehende Untersuchung, ohne Sprengstoff und erfahrene 
Bergmänner die Bonanza nicht finden konnte. 

Hätte er geahnt, wie nahe eine richtige Mine lag, wäre er 

sicher übergeschnappt. Denn ein Stollen im Berg, durchzogen 
von armdicken Goldadern, das war der Traum eines jeden 
Schürfers. 

Jack warf mit einem Fluch die Schaufel zu Boden. 
Nein, das war Schinderei. Mit hartem körperlichem Einsatz 

war hier nichts zu holen. Der Anführer blickte zum 
Nachbarclaim hinüber. 

Lynn Rogers arbeitete stetig weiter. Sie sah nicht auf, sah 

sich nicht um. Die Frau warf zwar bei jedem Heben der 
Schaufel nur halb so viel Erde in ihren Waschtrog, aber sie gab 
nicht auf. 

Captain Jack schüttelte unwillig den Kopf. Dieses Weib, sie 

war wie ein Falke unter lauter Tauben. Jack blies die Wangen 
auf und betrachtete interessiert die Beine, die sich unter dem 
straffen Stoff der Hose abzeichneten. 

Einer solchen Frau mußte ein Mann schon etwas bieten, um 

sie an sich zu binden. Mit einem Beutel Gold, ohne Aussicht 
auf mehr, gab sich Lynn Rogers sicher nicht zufrieden. 

Jack hatte das dringende Bedürfnis, zu Elena und ihren 

Freundinnen zu gehen. Er wandte sich um, konnte aber das 
Bild des schlanken, geschmeidigen Frauenkörpers nicht 
vergessen. 

Jack marschierte auf die größte Hütte zu. Dort gingen die 

Mädchen ihrer Arbeit nach. 

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Der vierschrötige Mann erwachte aus seinen Gedanken, 

schüttelte sie ab, wie ein Puma das Wasser nach dem Bad im 
klaren Bergsee, und blieb wie erstarrt stehen. 

Diese verruchten Hundesöhne. 
Die Posten, die das Diggercamp, die kleine Stadt Klondyke 

bewachen sollten, schauten zu, wie ihre Diggerfreunde 
arbeiteten. 

Jähe Wut schoß in Jack hoch. Er merkte nicht, daß er beide 

Hände zu Fäusten ballte. Mit schweren Schritten stampfte er 
auf die Posten zu, die den Nordzugang bewachen sollten. 

Ein Mann verließ seinen Standort. Er ging immer schneller, 

rannte nun und lief auf seinen Claim zu. 

Jack wurde schneller. Er schnitt dem zerlumpten Kerl den 

Weg ab, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn durch. 

»Was fällt dir ein, du Ochse«, brüllte Jack. »Du bist zur 

Wache eingeteilt. Du und die anderen, ihr seid dafür 
verantwortlich, uns vor dem nächsten Indianerangriff zu 
warnen. Wie kommst du dazu, deinen Posten zu verlassen, du 
hirnverbrannter Narr?« 

Der Kerl wich Jacks Blick aus und erwiderte: »Mann, da 

arbeitet ein Bursche auf meinem Claim. Auf meinem Claim, 
verstehst du? Er holt mein Gold raus, und ich schaufle nachher 
nur noch Dreck.« 

»Das ist mir egal«, sagte Jack scharf. »Du hast Wachdienst, 

verschwinde auf deinen Posten, bevor ich dich 
zusammenschlage!« 

Der dünne Goldsucher straffte sich. Seine Augen glitzerten 

auf einmal drohend, und er sagte: »Das solltest du besser nicht 
versuchen, Mister. Du bist nicht unser Anführer. Du bist nur 
ein gewalttätiger Hurensohn, der hier einfach kommandieren 
will.« 

Jack holte tief Luft. Die Adern am Hals schwollen an. Noch 

beherrschte sich der vierschrötige Mann, aber lange dauerte es 
nicht mehr, bis ihm der Geduldsfaden riß. 

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»Hör zu, Maulwurf«, erwiderte Jack leise, »ich bin der 

einzige Mann hier, der wirklich was von Gold versteht. Das 
hast du doch wohl begriffen, oder nicht?« 

Unwillkürlich nickte der Digger, Jack hatte recht. 
»Ich war in Kalifornien dabei, in Montana und bei dem 

großen Fund in Cripple Creek in Colorado«, fuhr Jack fort. 
»Ich weiß, wovon ich rede. Und ich weiß auch, daß die 
Apachen die schlimmsten Roten sind, die es gibt. Weißt du 
überhaupt, daß uns gestern gar keine Apachen angegriffen 
haben? Das waren umherziehende Wichitas und Caddos. Sie 
kommen aus New Mexico, von der anderen Seite des Rio 
Grande. Die Apachen, die Wüstenkrieger, haben wir noch vor 
uns. Was sagst du jetzt?« 

Der aufrührerische Gesichtsausdruck des dürren Diggers 

machte einer unbestimmten Angst Platz. 

»Das waren keine Apachen?« fragte der Kerl mit unsicherer 

Stimme. 

»Nein, die kommen noch«, entgegnete Jack hart, »heute oder 

morgen, sie kommen, verlaß dich darauf. Und wir haben nur 
eine Chance, wenn ihr Posten wachsam wie die Luchse seid. 
Hast du das begriffen, du blutiger Narr?« 

Der Digger nickte langsam und wandte sich um. Mit 

gleichmäßigen Schritten marschierte er auf seinen Posten 
zurück und spähte aufmerksam nach Norden. 

Jack war zufrieden. Diesen Kerl hatte er in Trab gebracht. 

Aber die anderen waren genauso nachlässig. Sie kamen sich 
wohl ziemlich großartig vor, weil sie einen Indianerangriff 
abgeschlagen hatten. Wenn sie doch nur richtig darüber 
nachdenken würden. Ihnen mußte doch klar sein, daß nur das 
verheerende Feuer der zwanzig Gewehre der neuen Goldsucher 
das Camp gerettet hatten. 

Voller Grimm stapfte Captain Jack zu dem nächsten Wächter 

hinauf und brüllte den Mann zusammen. Der Kerl schien 
überhaupt nicht zu begreifen. 

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Er grinste breit, zeigte seine schwärzlichen, abgebrochenen 

Zähne  und sagte mit New Orleans-Dialekt in der Stimme: 
»Mistah, was geht's dich an? Bist du hier der Boß, he? Zahle 
ich Steuern an dich?« 

»Du bist dümmer als ein Ochse«, erwiderte Jack bitter. 

»Wenn die Apachen kommen, fährst du sicher als erster zur 
Hölle.« 

»Spiel dich nicht so auf«, entgegnete der Kerl. »Wenn es mir 

paßt, beobachte ich das Land. Jetzt habe ich was besseres zu 
sehen. Wenn dir das nicht paßt, Mann, denn verschwinde doch. 
Dich hat keiner gerufen, und wir haben dich nicht zu unserem 
Anführer gewählt, kapiert?« 

Jack wollte zuschlagen, wollte seinen Zorn, seinen Grimm an 

diesem Großmaul auslassen, aber er hielt sich zurück. Denn 
wenn er so anfing, hörten bald die anderen überhaupt nicht auf 
ihn. Und Jack wollte ja in Klondyke die Macht an sich reißen 
und nicht nur am Gold, sondern an jedem Cent verdienen, der 
ausgegeben wurde. 

Er wandte den Kopf etwas und schaute in die Richtung, in 

die auch der Posten blickte. 

»Ach du dicker Nugget«, murmelte Jack angewidert, als er 

durch die Fensterhöhle des Freudenhauses sehen konnte. 

Die Girls hatten den Fetzen Tuch zurückgeschlagen, ihnen 

war es wohl zu warm geworden. Und Glasscheiben oder 
Ölpapier gab es hier in der Wildnis nicht. 

»Hoffentlich denkst du daran«, sagte Jack und wies mit der 

Hand auf das Bretterhaus. »Wenn dir die Roten den Skalp 
abziehen, dann hast du in der Hölle wenigstens eine schöne 
Erinnerung.« 

»Hau doch endlich ab«, erwiderte der Kerl aus New Orleans 

nur und ließ sich nicht weiter stören. 

Jack marschierte davon. Er spürte unbändige Wut in sich. 

Mit solchen Idioten war wirklich nichts anzufangen. 

Der Bärtige, der den selbsternannten Captain schon zweimal 

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gereizt hatte, kroch aus einem Erdloch und grinste. Der Mund 
wirkte wie ein Loch im schwarzen Gestrüpp des Bartes. 

»Na, das läuft wohl nicht so, wie du dir das vorstellst, Jack«, 

sagte der Mann. 

Der bullige Digger blieb stehen und starrte den Bärtigen ein 

paar Sekunden lang an und verzog dann sein Gesicht zu einer 
bösen Grimasse. 

»Habe ich dir das zu verdanken?« fragte Jack rauh. »Du hast 

doch schon zweimal gestänkert, Mister.« 

Der Bärtige lachte laut und erwiderte: »Mach du nur dein 

Spielchen. Ich amüsiere mich darüber, weiter nichts.« 

»Was weißt du von den Apachen hier?« fragte Jack aus einer 

plötzlichen Eingebung heraus. »Ich kenne mich mit Indianern 
aus, aber nicht mit diesen roten Teufeln. Komm mit zu meinem 
Claim. Ich gebe dir 'nen Whisky aus.« 

Der Bärtige nickte und ging neben Jack her. Lynn hielt mit 

dem Schaufeln einen Moment inne. Der Schweiß lief ihr über 
das Gesicht und hatte die kastanienfarbenen Haare in nasse 
Strähnen verwandelt, auf die sich der Staub wie eine graue 
Puderschicht gelegt hatte. 

»Also los«, forderte Jack den Bärtigen auf, nachdem der 

einen großen Schluck aus der Blechflasche genommen hatte, 
die Whisky enthielt. 

»Sie kommen«, behauptete der andere, »aber wir sehen sie 

erst, wenn sie neben uns aus dem Boden wachsen. Das hier ist 
das Land der Aravaipas. Ihr Chief ist friedlich, will keinen 
Krieg mit den Weißen. Aber wenn er die anderen Stämme um 
Hilfe ruft, wird von uns keiner am Leben bleiben.« 

»Ich denke, Cochise hat mit diesem General einen 

Friedensvertrag geschlossen«, sagte Jack unruhig. 

»Hat er«, erwiderte der andere, »aber wir dürfen nicht hier 

sein. Das hat Howard den Apachen garantiert. Und wenn uns 
die Soldaten erwischen, jagen sie uns davon.« 

Captain Jack knirschte mit den Zähnen. Wut überzog sein 

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Gesicht, als er sagte: »Diese verfluchten Blaubäuche und 
stinkenden Roten, Mann, das ist ein freies Land. Und ich grabe 
dort ein Loch, wo es mir gerade paßt.« 

»Solange dir keiner die Schaufel wegnimmt«, erwiderte der 

Bärtige. »Ich habe ein mächtig schlechtes Gefühl, Jack. Heute 
wird noch irgendwas passieren, verlaß dich darauf. War ganz 
gut, daß du die Posten geweckt hast, aber sie nutzen uns nichts, 
wenn die Apachen angreifen.« 

Unwillkürlich schaute sich Jack um. 
Lachend sagte der andere: »Du siehst einen Apachenkrieger 

erst dann, wenn er dir den Kopf abschneidet. Und dann ist es 
für dich zu spät.« 

Der bullige Jack schüttelte sich und antwortete: »Ein 

scheußliches Gefühl ist das, Mann. Wann kommen sie?« 

»Wenn sie kommen, dann kurz vor Einbruch der 

Dämmerung«, erwiderte der Bärtige. »Sie machen einen 
Angriff und ziehen sich zurück. Aber sie bleiben die ganze 
Nacht in der Nähe, um uns verrückt zu machen. Am Morgen 
greifen sie dann wieder an. Aber ich weiß nicht, ob ich einen 
großen Kampf wittere. Cochise wird ziemlich sauer sein, wenn 
er davon erfährt. Er ist der größte Führer, ein schlauer Fuchs, 
dieser Häuptling.« 

Nach einer Weile, als die Männer nochmals getrunken 

hatten, sagte Jack: »Wenn ich ihn vor die Mündung bekäme, 
deinen schlauen Fuchs Cochise, ich würde ihm eine Kugel 
geben. Er ist doch nur ein Roter wie alle anderen auch.« 

Der Bärtige schüttelte nachsichtig den Kopf und erwiderte: 

»Ohne ihn wären wir schon alle tot. Dann hätten wir aber im 
Südwesten einen richtigen Krieg.« 

Der Goldsucher wandte sich um, wollte wieder zu seinem 

Claim gehen und weiterarbeiten. Aber er blieb wie gebannt 
stehen. 

»Was ist denn los? Hat dich was gebissen?« fragte Jack. 
»Da hast du den großen Chief«, sagte der Digger halblaut. 

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»Dort oben, auf dem Hügelkamm, hockt er auf seinem 
Mustang und beobachtet uns.« 

Jack fuhr herum, kniff die Lider zusammen und sprang mit 

einem Satz vor, bückte sich und riß die Winchester hoch. 

Die Entfernung war für einen sicheren Schuß ideal. 
Aber als Captain Jack abdrücken wollte, schlug der Bärtige 

die Waffe zur Seite und brüllte: »Bist du verrückt? Denkst du, 
Cochise ist allein gekommen? Wir alle sterben in zwei 
Sekunden, wenn du den Häuptling auch nur verwundest. Da, er 
kommt zu uns ins Tal runter. Wir müssen abwarten, was er von 
uns will, Jack. Erst dann können wir überlegen und handeln.« 

Jack atmete schwer und verfluchte den Bärtigen. Denn sicher 

hätten die Krieger erst mal ihren toten Chief geborgen, wenn 
ihn die Kugel erwischt hätte. Für die Digger wäre Zeit genug 
geblieben, eine richtige Verteidigung zu organisieren. 

Aber Jack hatte keine Ahnung von der listigen 

Kampfesweise der Apachen. Sie griffen in einer solchen Lage 
niemals offen an, wie die Wichitas oder andere Reitervölker 
des Nordens es machten. 

Die Apachen überraschten die Feinde. 

John Haggerty öffnete die Augen und blinzelte zur Sonne hoch. 
Aber da war keine Sonne mehr, da war nur noch der azurblaue 
Himmel, dessen Farbe allmählich dunkler zu werden schien. 

»Bei allen Höllenkatzen«, fluchte John, »diesmal bin ich 

wirklich weg gewesen.« 

Er blickte nach Westen, die Sonnenscheibe stand glutrot über 

den Bergen. In weniger als drei Stunden war es völlig dunkel. 
Der Chiefscout lag hier unter Pinienästen und spürte die 
Schwäche in allen Gliedern. 

»Es ist der Blutverlust«, murmelte John und tastete nach dem 

Verband. 

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Er war trocken und saß fest. Wenigstens das war in Ordnung, 

dachte Haggerty und überlegte, was er nun anfangen könnte. 

Ich brauche ein Pferd, dachte der Scout, als er sich erhob. 
Drei tote Tiere lagen nicht weit entfernt. Zwei waren 

Indianerponys, und der dritte Kadaver war mal Johns zäher 
Grauer gewesen. 

Aber wo trieb sich der vierte Indianermustang herum? 
Haggerty schöpfte Hoffnung. Zugleich spürte er 

Niedergeschlagenheit, denn es war für einen weißen Mann sehr 
schwer, ein Apachenpony einzufangen. Die Tiere scheuten den 
Geruch der Weißen, schreckten vor ihnen zurück, wie es ihnen 
die Krieger beigebracht hatten, die Mustangs wurden sanft 
gezähmt, an den Herrn und Reiter langsam gewöhnt und nicht 
brutal eingebrochen, wie es oft mit den Pferden der Weißen 
geschah. 

Der Scout machte sich auf den Weg. Es dauerte fast eine 

halbe Stunde, bis er die Fährte des Ponys fand. Johns Schritte 
waren unsicher. Schwankend marschierte er hinter den 
Hufabdrücken her. 

Die Spur führte in einen schmalen Einschnitt, dessen Boden 

aus kahlem Fels bestand. Die fast senkrecht aufragenden 
Wände wirkten stumpf. Auf winzigen Vorsprüngen hatte der 
Wind Erde abgelagert und Samen hingetragen. 

Kräuter wucherten dort, aber die Hitze hatte ihren Tribut 

gefordert. Die Blätter der Gewächse hingen schlaff herab. 

Keine Fährte mehr. 
John stolperte unsicher weiter. Der Mustang konnte nur 

weitergelaufen sein. Es sei denn, er war wie eine Spinne die 
Steilwände hinaufgekrochen, aber daran glaubte der Scout 
nicht so recht. 

Die Schlucht wurde breiter. John horchte angestrengt, als er 

den kühlen Hauch von Wasser zu spüren glaubte. Der 
schwache Mann schritt schneller aus, konnte seine Ungeduld 
kaum zügeln, denn wenn es hier Wasser gab, war auch der 

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Mustang dort. 

Haggerty hatte Glück. 
Das Pferd stand an einer Pfanne in den Felsen, in der es 

silbrig aufglänzte. Das Tier wieherte, warf den Kopf hoch, daß 
die goldfarbene Mähne wallte und sprang zur Seite. 

»Jetzt habe ich dich«, sagte Haggerty zufrieden. 
Aber er hatte das Pony noch nicht. Es sollte noch fast eine 

Stunde dauern, bis er den jungen Hengst so in die Enge 
getrieben hatte, daß er nach den aus Gras geflochtenen 
Indianerzügeln greifen konnte. 

Zitternd stand der Mann neben dem Kopf des Pferdes, sog 

der Mustang den unvertrauten Geruch ein. 

Und dann zog sich John Haggerty mühsam auf den Rücken 

des Pferdes. 

»Lauf nach Süden«, raunte der geschwächte Mann. »Ich muß 

zum Fort, muß zu Howard. Die Hölle bricht in Arizona auf, 
wenn ich meine Meldung nicht machen kann.« 

Der Mustang marschierte los, umrundete die Wasserpfanne 

und ging mit kurzen, schnellen Schritten durch die Schlucht. 
Vor den Kiefern schlug das Tier die Richtung nach Westen ein. 

Haggerty erwachte aus seiner Benommenheit und riß am 

Graszügel. 

»Nach Süden, dummes Vieh«, krächzte der Scout, »du mußt 

nach Süden.« 

Das Pony ließ sich nicht beirren. Es ging weiter nach 

Westen, suchte sich seinen Weg selbst und kletterte wie eine 
Bergziege über Pfade, die kaum einen halben Yard aus den 
Steilwänden herausragten. 

So sehr sich Haggerty auch bemühte, wenn er halbwegs bei 

Bewußtsein war, er vermochte den Willen des Pferdes nicht zu 
ändern. Das Tier ging geradewegs auf die San Carlos 
Reservation zu. Von dort waren die Mimbrenjo-Krieger 
gekommen, und dorthin trieb es das Tier zurück. 

John ergab sich in sein Schicksal. Er konnte nichts, aber auch 

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gar nichts daran ändern, denn er war schwach und matt. 

Sollten ihn doch Victorios Krieger gegen irgendwas 

eintauschen. Sollten sie ihn töten, es war egal, vollkommen 
egal. 

Immer wieder verlor er das Bewußtsein für Minuten, dann 

wieder gewann er aus einer verborgenen Quelle seines Körpers 
neue Kraft und riß sich zusammen. Aber die Zeiten der 
Besinnungslosigkeit wurden immer länger, dauerten an, und 
die Zeit, in der er wach war, konnte man nach Minuten zählen. 

Nur der Instinkt hielt den verwundeten Mann auf dem 

Pferderücken. 

Es dunkelte bereits, als das Pony stehenblieb und warnend 

schnaubte. Es warf den Kopf hoch, sog tief den Geruch ein und 
wieherte laut und grell. 

Vor dem Tier lag eine mit halbhohen Bäumen und 

Sträuchern bewachsene Ebene, die an der Felswand zu enden 
schien, die für Greasewood-Gebirge die höchste Erhebung war. 
Ein Pfad führte um den Fuß dieses Gipfels herum. Und dieser 
Weg war den Mimbrenjos bekannt. 

Sekunden später dröhnten Hufe über den Boden. Ein 

Dutzend Reiter jagte heran. Braunhäutige Gestalten duckten 
sich hinter die weit vorgestreckten Köpfe mit den wehenden 
Mähnen. In Sekundenschnelle war der Mimbrenjo-Mustang 
umzingelt. Kräftige Hände packten zu, hoben den verletzten 
Weißen aus dem Sattel und ein Krieger sagte in einer fremden 
Sprache: »Wah! Das ist John Haggerty. Er ist der Häuptling 
aller Scouts in diesem Land. Kana-Wanka wird zufrieden sein 
mit dieser Beute.« 

John spürte nichts. Er war bewußtlos. Sein geschwächter 

Körper brauchte Ruhe, den tiefen, heilenden Schlaf. Aber noch 
schwankte er zwischen zwei Mustangs, gehalten von den 
Händen der Wichita-Krieger, die ihren Fang zu ihrem Versteck 
brachten. 

Das Mimbrenjo-Pony war eine weitere willkommene Beute. 

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 101

Drei Krieger folgten der Fährte zurück, holten Johns 

Ausrüstung und die Winchester und plünderten die toten 
Späher der Mimbrenjos aus. 

Als Haggerty die Augen aufschlug, blickte er in die Flammen 

eines halbhoch lodernden Feuers. 

Außer dem Knacken des Holzes in der Glut und den 

Geräuschen von Pferden war nichts zu hören. Selbst die 
Nachttiere, die doch in diesen bewaldeten Hängen lebten, 
verhielten sich still. 

Unwillkürlich tastete John nach der Halswunde. Er spürte 

einen neuen, frischen Verband und fühlte sich für Sekunden 
zufrieden. Aber hatte er denn Grund, zufrieden zu sein? 

Langsam stemmte sich der verletzte Scout hoch. Er blickte in 

die dunklen Augen eines Kriegers. 

Der Mann war kein Apache, das sah Haggerty sofort. Er 

schätzte, daß der Wächter zu den Wichitas gehörte, die weit im 
Osten lebten, jenseits des Rio Grande. Aber immer wieder 
zogen starke Banden dieses Stammes zusammen mit ihren 
Verwandten, den Caddos, aus, um Raubzüge durchzuführen. In 
den Wichitas und Caddos vereinigten sich das Können der 
Krieger mit den Hinterlistigkeiten der Weißen. 

Was hatte dieser Trupp hier zu suchen, hier in Eskaminzins 

Land? 

»Der Häuptling will mit dir reden«, sagte der Wächter und 

verschwand aus dem Lichtkreis des Feuers. 

Sekunden später kam der Krieger mit einem untersetzten, 

kräftigen Mann zurück, der so etwas wie Würde ausstrahlte. 
Aber dieses Gefühl verschwand sofort, als der Chief grinste 
und sagte: »Du bist wertvoll, John Haggerty. Du bist gute 
Beute für uns.« 

Verdammt, woher kennt mich der Kerl? dachte John. 
»Wir haben Späher überall«, prahlte der Anführer der 

räuberischen Bande. »Wir wissen von dir und deiner 
Freundschaft zu Cochise. Darum sind wir hier. Wir rauben die 

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 102

Aravaipas aus, die sich wie alte Weiber benehmen und nicht 
kämpfen. Aber ihr Häuptling ist ein schlauer Fuchs. Er hat den 
großen Chief zu Hilfe geholt. Cochise kämpft gegen die 
weißen Goldgräber. Er wird sie davonjagen, das weiß ich 
sicher. Aber dann steht er gegen uns. Und meine Horde zählt 
mehr als hundert Krieger.« 

»Was willst du von mir?« fragte Haggerty. »Warum hast du 

mich verbinden lassen? Ich stehe jetzt auf, Mann. Und ich 
nehme mir ein Pferd, meine Waffen und setze meinen Weg 
fort, als wäre ich euch nie begegnet.« 

Der Chief lachte laut auf und rief: »Du bleibst hier, 

Haggerty. Ich bin Häuptling Gelbschlange, und ich bestimme, 
ob du getötet oder vorher lange Stunden gemartert wirst. Du 
mußt kräftig werden, weißer Mann, damit du die Martern lange 
aushältst.« 

John rührte sich nicht. In seinem Gesicht zuckte kein 

Muskel, und sein Blick blieb fest. 

Enttäuscht fuhr Gelbschlange fort: »Vielleicht verkaufen wir 

dich auch an die Pferdesoldaten oder an Cochise. Das weiß ich 
noch nicht. Aber wenn unsere Feinde zu nahe kommen, stirbst 
du. Sie werden nicht wagen, den obersten Späher der 
Blaubäuche zu gefährden.« 

Cochise war in der Nähe. Dies zählte für Haggerty. Wenn er 

nur die Gelegenheit bekäme, ein paar Rauchzeichen zu geben. 
Sicher ließ sich der Häuptling von Kundschaftern abschirmen. 

Haggerty schöpfte Hoffnung. 
Aber als der Tag anbrach, verschwand sie wie die Dunkelheit 

vor der Sonne, denn die Wichitas ließen ihn keine Sekunde aus 
den Augen. Offensichtlich wußten sie seinen Wert genau 
einzuschätzen und wollten ihn als Druckmittel behalten. 

John dachte an Cochise und hoffte, daß er die Goldsucher 

mit friedlichen Mitteln zum Abzug bewegen konnte. 

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 103

Cochise saß gelassen auf seinem hageren, zäh wirkenden 
Mustang, als er in das Tal der Aravaipas ritt. Die 
Bleichgesichter hatten ihn gesehen. Und er hatte bemerkt, daß 
der bärtige Mann dem anderen das Gewehr aus den Händen 
schlug. Der Bärtige schien klug zu sein, klüger als der andere, 
der vor kurzer Zeit die Wächter zurechtgewiesen hatte. 

Es war nutzlos gewesen, denn zu diesem Zeitpunkt waren die 

Chiricahuas und die Krieger Eskaminzins bereits in ihren 
Stellungen. 

Kein Weißer sieht einen Apachen, wenn er das nicht will, 

dachte Cochise und blickte in das Tal hinab. 

Die Bleichgesichter standen reglos. Sie starrten zu dem 

einzelnen Indianer hin, der so gelassen zu ihnen herabritt. 

Furcht kroch den Diggern in die Knochen. Mit den 

schwieligen Fingern umklammerten sie ihre Werkzeuge, 
packten die Schaufelstiele und Hacken fester, waren bereit, 
damit um sich zu schlagen. Nur den wenigsten kam der 
Gedanke, daß Werkzeuge kümmerliche Waffen gegen einen 
Trupp Apachen sein mußten. 

Cooper streckte den Kopf aus seinem Erdloch und zog sich 

hoch. Mit zwei langen Schritten war der Revolvermann neben 
Captain Jack. Von der anderen Seite lief Tomeo Avellan über 
Lynns Claim zu der Gruppe. 

»Sollen wir den Kerl zur Hölle schicken, wenn er in 

Schußweite ist?« fragte Cooper kalt. 

Lynn sah den Mann an. Er wirkte plötzlich hart und 

erbarmungslos. Nichts erinnerte sie mehr an den freundlichen 
Reiter, der auf dem Trail in dieses Flußtal ihrem Pferd geholfen 
hatte. 

»Nein, auf keinen Fall«, erwiderte der Bärtige an Jacks 

Stelle. »Der Häuptling kommt nur, wenn ihn eine Streitmacht 
von Kriegern absichert. Wir sterben alle, wenn hier auch nur 
ein Schuß fällt.« 

Lynn verspürte trotz der Sonnenhitze einen kühlen Hauch in 

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 104

ihrem Nacken. Es war, als hätte der Atem des Todes sie 
gestreift. Die schöne Frau spürte auf einmal ganz deutlich, daß 
dies hier kein Land für sie war. Jeder Weiße mußte verloren 
sein, der sich hier niederließ. Es sei denn, er genoß die 
Freundschaft der Apachen. Und die war schwerer zu erringen 
als der Job des Präsidenten. 

Ich gehe zurück, dachte Lynn. Wenn ich heil hier 

wegkomme, reite ich nach Tucson. Dort gibt es für eine Frau 
wie mich sicher genügend Möglichkeiten. Da gibt es 
Minenbesitzer, die vor Geld geradezu stinken, die nicht mehr 
laufen könnten, wenn sie all ihre Dollars mit sich 
herumschleppten. 

Cochise zügelte seinen Mustang ein halbes Dutzend Längen 

vor Captain Jack. Prüfend musterte der Häuptling die Gruppe 
der Weißen, er sah, daß eine Frau dabei war und erkannte, daß 
sie wie die Männer den Boden durchwühlte. 

»Ich bin Cochise«, sagte der Häuptling mit kräftiger, weithin 

hallender Stimme. »Dies ist unser Land, Apachenland. Meine 
Brüder, die Aravaipas haben mich geholt. Ihr tut Unrecht, 
Bleichgesichter, Unrecht nach euren eigenen Gesetzen. General 
Howard, der Vater der Pferdesoldaten, hat dieses Land den 
Aravaipas zugesprochen. Geht. Ihr müßt verschwunden sein, 
wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat.« 

Captain Jack lachte laut und rief: »Was ist, wenn wir nicht 

gehen? Das ist freies Land, Mann. Und wohin ich meinen Fuß 
setze, bestimmt kein General und kein Apache. Wir bleiben!« 

Cochise schüttelte leicht den Kopf. Der große Chief hatte den 

bulligen Weißen schon durchschaut. Er spielte den Anführer, 
aber in Wahrheit gab es keinen Boß bei diesen Maulwürfen. 
Jeder sorgte für sich und versuchte, so viel wie möglich zu 
ergattern. 

»Du wirst es erleben, was geschieht«, erwiderte Cochise 

ruhig. »Ihr tut Unrecht. Folgt dem Recht, folgt dem Wort, das 
der Soldatenvater mir und allen Stämmen gab.« 

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Jack holte tief Luft. Wider Willen war er von dem Häuptling 

beeindruckt. Wie selbstsicher, gelassen er auf seinem Mustang 
saß. Er erweckte den Eindruck, als könne ihm einfach nichts 
passieren, als sei er gegen alles gefeit, was losbrechen könnte. 

»Paß auf, Häuptling«, rief Captain Jack, »wir suchen hier nur 

Gold, verstehst du? Wir suchen nach dem gelben Eisen, das für 
euch nutzlos ist. Wir können etwas damit anfangen, Chief, aber 
das begreifst du sicher nicht. Warum ist das schlecht? Wenn 
der Boden nichts mehr hergibt, ziehen wir ab. Früher nicht, das 
verspreche ich dir.« 

Cochise lächelte spöttisch und erwiderte: »Ich weiß genau, 

was die Bleichgesichter mit dem Gold anfangen. Sie lieben es, 
geben ihr Leben dafür, und so werdet auch ihr eure Leben 
hergeben müssen. Ihr habt bis zum höchsten Stand der Sonne 
Zeit, nicht mehr. Und es ist unser Gold, unser Land, es ist 
Apachengold, Bleichgesicht. Ihr dürft mitnehmen, was ihr 
gefunden habt. Cochise ist großmütig. Ihr gelangt ohne Gefahr 
für euch in das Gebiet der Weißen.« 

Captain Jack witterte einen Vorteil. Warum gab sich der 

Chief so großzügig? Hatte er gar keine Krieger in der 
Hinterhand? War er allein gekommen? 

»Du verdammter Hundesohn«, rief Jack, »du willst uns 

bluffen, weiter nichts. Wir bleiben, und wir geben dir zwei 
Minuten Zeit zu verschwinden. Bist du dann noch in 
Gewehrschußweite, durchlöchern wir dich.« 

Cochise griff zum Kampfbeil, das an der Seite seiner 

hirschledernen Hose in einer Schlinge baumelte. 

»Für deine Beleidigung müßte ich dich töten, weißer Mann«, 

sagte der Häuptling laut. »Aber ich gab mein Wort, daß ihr 
abziehen könnt.« 

Captain Jack bekam immer mehr Mut. Er schüttelte die Hand 

des Bärtigen ab, der ihn zurückhalten wollte und trat zwei 
Schritte vor. 

»So sieht also ein Apache in Wirklichkeit aus«, höhnte Jack. 

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»Du bist ein Weib, Cochise, kein Kämpfer. Warum fürchtest 
du dich vor uns? Weißt du überhaupt, wie viele Gewehre auf 
dich gerichtet sind? Ein Ruf von mir genügt, um dich zur Hölle 
zu schicken.« 

Dem Chief war nicht anzumerken, daß seine Geduld beinahe 

erschöpft war. 

»Los, jagen wir ihn davon!« brüllte Jack und lief auf das 

struppige Pony zu. 

Er schwang die Winchester wie eine Keule. Vier, fünf andere 

folgten dem selbsternannten Anführer des Camps. Sie rissen 
ihre Schaufeln und Hacken hoch und waren entschlossen, den 
verdammten Apachenhäuptling wie eine Ratte zu erschlagen. 

»Los, geben wir's dem Hund«, brüllte Jack, »wir sind schon 

mal mit Rothäuten fertig geworden. Den hier schaffen wir auch 
noch!« 

Fast zwei Dutzend Digger folgten diesem Ruf. Die anderen 

zogen sich etwas zurück, sahen sich um, musterten die Hügel, 
die Deckungen und warteten auf das Eingreifen der Krieger, 
die irgendwo verborgen sein mußten. 

Plötzlich erklang laut der Ruf eines Wüstenvogels. Der 

Rennkuckuck rief einmal. 

Und dieser Ruf war noch nicht verhallt, als es geschah. 
Mehr als fünfzig Gewehre peitschten. Ein Bleihagel fuhr 

zwischen die Weißen, zerstörte Wasserschläuche, zerschlug 
Kaffeekannen und Gepäck, und zahlreiche Kugeln prallten als 
Querschläger von den Schaufelblättern ab und sirrten jaulend 
davon. 

Innerhalb von zwei Sekunden stand das Pony mit dem 

großen Häuptling allein an dem Platz, wo er sein Tier verhalten 
hatte. 

»Wir sind keine Caddos und keine Wichitas«, sagte der 

Chief, »wir bekämpfen den weißen Mann mit seinen eigenen 
Waffen. Meine Krieger haben zahlreiche Gewehre, moderne 
Gewehre, und ihr wißt nicht einmal, wo meine Krieger stecken. 

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Ich will kein Blutvergießen. Ich will den Frieden, den ich 
versprochen habe, halten. Geht, reitet davon, ihr seid nicht in 
Gefahr, wenn ihr abzieht. Ich weiß, daß ihr kaum Gold 
gefunden habt. Was hält euch, hier in unserem Land?« 

Captain Jack stand gebückt vor dem Pferd. Das Pony bleckte 

die Zähne. Jack hatte den Eindruck, der struppige 
Indianermustang lache ihn aus. 

Und das brachte den stämmigen Mann fast um den Verstand. 
»Kampflos verschwinden wir nicht!« brüllte er. »Hier gibt's 

Wasser. Ich könnte Pferde oder Rinder züchten. Dies ist gutes 
Land, denn der Creek ist hier.« 

Die meisten Digger schüttelten die Köpfe. Sie waren hinter 

schnellem Reichtum her, nicht hinter harter Arbeit. Captain 
Jack schien einen Sonnenstich zu haben. 

»Dann kämpfe doch, Jack«, rief einer der Goldsucher, »los, 

tritt doch gegen Cochise an.« 

»Das werde ich auch!« brüllte Jack und beugte sich noch 

weiter vor. 

Seine Arme hielt er ausgebreitet, als wolle er den Chief in 

einer gewaltigen Umarmung an seine Brust ziehen und 
zerquetschen. 

»Na los, Jack«, hetzte ein anderer, »wir müssen abziehen, 

das ist klar. Gold gibt's auch kaum noch. Was sollen wir also 
noch hier? Aber vorher gönnen wir uns noch einen kleinen 
Spaß, wenn wir dir zusehen, wie der Apache dich fertigmacht.« 

»Ja, du hast doch in den letzten Tagen die Schnauze am 

weitesten aufgerissen, Jack«, schrie ein anderer. »Wenn 
Cochise gewinnt, ziehen wir bis Mittag ab. Gewinnst du, 
bleiben wir ungeschoren, bis auch das letzte Gramm Gold 
gefunden ist. Ist das ein fairer Vorschlag?« 

Aufmerksam beobachtete der Häuptling den untersetzten 

stämmigen Weißen. 

»Ich nehme an«, stieß Jack hervor. 
»Halten die Bleichgesichter ihr Wort?« fragte Cochise laut. 

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»Reitet ihr bis zum höchsten Stand der Sonne, wenn sie wieder 
erscheint?« 

Ein paar Sekunden lang schwirrten die Stimmen der 

Goldsucher so laut durcheinander, daß selbst das Murmeln des 
Creeks nicht mehr zu hören war. 

»Ja, Chief«, rief der Bärtige dann, »wir halten unser Wort. 

Dürfen wir das Gold mitnehmen, das wir gefunden haben?« 

Erstaunt blickte Cochise auf den Bärtigen und sagte: »Ich 

habe euch doch mein Wort gegeben.« 

»Also los, spannen wir einen Seilcorral«, rief ein zerlumpter 

Digger und rannte davon. 

Der Apachenführer wartete reglos auf dem Rücken seines 

Ponys, bis die Vorbereitungen getroffen waren und sah zu, was 
die Weißhäutigen machten. 

Wenige Minuten dauerte es nur, bis der Ring fertig war. 
Captain Jack zog sich das verschwitzte Hemd aus und warf es 
achtlos zur Seite. 

»Welche Waffen nehmen wir?« fragte der bullige Mann laut. 
Die Zuschauer wurden still, als sie die mächtigen 

Muskelstränge auf Jacks Oberkörper, an seinen Armen und den 
Schultern sahen. 

Das versprach ein spannender Kampf zu werden. 
»Wähle deine Waffe, Bleichgesicht«, antwortete Cochise und 

saß ab. 

»Messer«, erwiderte Jack kurz und grinste zufrieden, als der 

Chief zustimmend nickte. 

Auch Cochise legte sein ledernes Hemd ab, löste das 

Kampfbeil aus der Schlaufe und warf es auf das Hemd. Der 
Indianer überragte den Weißen um mehr als Kopfeslänge. Und 
auch er besaß einen muskelbepackten Oberkörper. 

Die Sonne stand schon schräg, leuchtete auf die 

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bronzefarbene Haut des Chiefs, ließ die Muskelstränge 
hervortreten. 

»Also los!« rief Captain Jack und stürmte vor. 
Er rannte geduckt auf Cochise zu, hielt das Messer in der 

Linken und schien einen Stoß von unten nach oben führen zu 
wollen. Aber das war nur ein Trick. Im letzten Moment würde 
Jack die Hand drehen, etwas zur Seite reißen und schräg 
zustoßen. 

Cochise bewegte nur den Oberkörper, wich dem Stoß aus 

und vollführte mit dem Messerarm eine blitzschnelle 
Bewegung. 

Auf Jacks weißer Haut erschien ein roter Strich, klaffte 

auseinander, und Blut quoll hervor. 

Der Weiße stieß einen unartikulierten Schrei aus und wurde 

vorsichtiger. Wie ein Raubtier seine Beute, so umkreiste Jack 
den großen Häuptling, wartete nur auf die Gelegenheit, ihm 
sein Messer in den Leib zu rennen. 

Aber Cochise war auf der Hut. Er verfolgte jede Bewegung, 

ahnte jeden Angriff voraus und konterte erbarmungslos. 

Die Zuschauer verfolgten gespannt den Kampf. Lediglich der 

Bärtige sah sich um und runzelte die Stirn. Lynn bemerkte die 
Bewegung, blickte ebenfalls zu den Talwänden und erschrak. 

Mehr als sechzig Krieger standen hinter Steinen, Büschen 

und Baumgruppen und beobachteten genauso gespannt wie die 
Weißen den Zweikampf am Rio Aravaipa. 

Lynn sah den Bärtigen an. 
»Zu viele für uns«, raunte der Mann, »machen wir uns bereit. 

Wenn der Häuptling verliert, fallen die anderen über uns her. 
Los, zeigen wir, daß wir auf jeden Fall abziehen. Sie lassen uns 
dann durch.« 

»Glauben Sie, daß Jack eine Chance hat?« wollte Lynn 

wissen. 

»Eigentlich nicht, aber man kann nie wissen, auf wessen 

Seite das Glück gerade ist«, erwiderte der Bärtige. 

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Die Zuschauer brüllten begeistert auf, als Cochise ausglitt 

und zu Boden fiel. Er fing sich mit der Linken ab, wollte sich 
herumwerfen, aber da nahm Jack seine Chance wahr. 

Mit einem gewaltigen Satz sprang er vor, stieß sich ab und 

flog beinahe zwei Yards weit durch die Luft. Das Messer mit 
der langen Klinge hielt der Goldsucher wie eine Lanze 
vorgestreckt. Er wollte sich auf den Indianer werfen und ihn an 
den Boden nageln. 

Aber Cochises Fall war nur ein Trick gewesen. Der Apache 

glitt wie eine Schlange zur Seite, streckte den Messerarm vor 
und prellte seinem Gegner das Messer aus der Hand. 

Geschmeidig wie ein Puma kam Cochise wieder auf die 

Füße. Er lächelte spöttisch, als er sein Messer wegwarf und 
sagte: »Ich bin fair, Bleichgesicht. Komm, kämpfe mit mir.« 

Captain Jack stand keuchend vor dem hochgewachsenen, 

muskelbepackten Häuptling. Schweiß lief ihm in Strömen über 
Gesicht und Oberkörper. 

Ein Hoffnungsschimmer, dachte Jack. Die meisten Roten 

sind uns Weißen im körperlichen Zweikampf unterlegen. 

Er stürmte vor, steppte zur Seite und packte blitzschnell zu. 

Mit beiden Armen umschlang er Cochises Hüften, wollte den 
großen Krieger zu Boden zwingen, aber wie ein Fels stand der 
auf seinen Beinen. 

Fast bedächtig wirkten seine Bewegungen, als er sich etwas 

vorbeugte. Und dann ging alles sehr schnell. Jack wirbelte 
schreiend durch die Luft, prallte zwei Yards weiter schwer zu 
Boden und rappelte sich benommen wieder auf. Rote Schleier 
tanzten vor seinen Augen. Wut war es, Wut und 
Benommenheit, die seine Sinne verwirrte. Er mußte doch 
einsehen, daß er Cochise unterlegen war. 

Aber wild brüllend jagte Captain Jack auf den Indianer zu. 

Der Chief packte ihn, drehte den schweren Körper herum und 
legte Jack den Arm von hinten so um den Hals, daß er ihm die 
Luft abschnürte. 

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»Der Kampf ist aus«, sagte der Häuptling laut, und sein 

Atem ging kaum schneller als vorher. 

»Wir ziehen ab«, rief der Bärtige. »Mit der Morgensonne 

reiten wir, Häuptling. Tötest du deinen Gegner?« 

Cochise war großmütig. Er lockerte seinen Griff, ließ Jack zu 

Boden gleiten und wandte sich ab. Mit einem Satz übersprang 
der Häuptling die Seile, die den Kampfplatz abteilten und ging 
zu seinem Mustang. 

Captain Jack konnte die Niederlage nicht verwinden. Die 

roten Schleier verschwanden, und nur kalte Wut blieb in dem 
besiegten Mann zurück. 

Eine Armlänge entfernt glänzte etwas Metallisches auf dem 

Boden. 

Es waren die Revolver, die Ed Cooper und der Mex 

fallengelassen hatten, als die Warnsalve der Krieger 
aufgepeitscht war. 

Mit einem Ruck schob sich der Weiße vor, packte einen Colt 

und warf sich herum. Knackend rastete der Hahn ein. 

»Fahr zur Hölle, du roter Hund!« brüllte Jack wie von Sinnen 

und drückte ab. 

Aber als er den Abzugswiderstand überwand, spürte er einen 

harten Schlag gegen den Hals. Ein heißer, scharfer Schmerz 
nahm dem Mann die Besinnung, nahm ihm das Leben. 

Cochise hatte gerade das Kampfbeil in die Schlinge hängen 

wollen, als er das Knacken hörte. Sofort reagierte der 
Häuptling, warf sein Tomahawk und tötete Captain Jack. 

Abwartend stand er neben seinem Pony. Wenn die Weißen 

nun zu den Waffen griffen, waren sie verloren, war der Frieden 
wieder einmal im Südwesten verloren. 

Aber die Goldsucher wagten nicht, gegen mehr als sechzig 

kampfbereite Krieger vorzugehen, die moderne Gewehre in 
den Fäusten hielten. 

Cochise holte sein Kampfbeil und sein Messer, säuberte 

beides, zog sein Hemd an und schwang sich auf sein Pony. 

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Als er zwischen den Stämmen der Kiefern verschwand, 

atmeten die Weißen auf. Sie hatten genügend Zeit, ihre Sachen 
zu packen und sich marschbereit zu machen. Irgendwo in 
Arizona gab es sicher noch Gold. Irgendwann lachte ihnen das 
Glück, fanden sie die große Bonanza, von der jeder träumte. 

Cochise hingegen stieß zu seinen Kriegern, betrachtete 

spöttisch Victorios mürrisches Gesicht und sagte nichts. Der 
Mimbrenjo hatte eine Schlappe erlitten. Seine fein 
gesponnenen Listen, seine Versuche, waren mißlungen. Der 
große Häuptling hatte keine Hilfe benötigt, um mit den 
Eindringlingen in Eskaminzins Land fertig zu werden. 

Cochise dachte an die Wichitas. Sobald die Weißen weit 

genug entfernt waren, mußte er sich um die räuberischen 
Krieger kümmern. Auch sie durften keine Unruhe in das Land 
tragen. Denn alles fiel auf die Apachen zurück und konnte den 
kaum gefestigten Frieden gefährden. Vielleicht sollte er in 
diesem Fall die Pferdesoldaten um Hilfe bitten, dachte der 
Häuptling. Er ahnte nicht, daß sein Blutsbruder John »Falke« 
Haggerty Gefangener der Wichitas war und niemanden 
sehnlichster herbeiwünschte als Cochise. 

Cochise würde kommen, denn er kämpfte für sein Land, 

seine Rasse und seine Freunde, zu denen er vor allen anderen 
John zählte. 

ENDE