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Blaulicht
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Linda Teßmer
Der letzte Besuch
Kriminalerzählung
Verlag Das Neue Berlin
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1 Auflage
© Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1979
Lizenz-Nr.: 409-160/105/79 · LSV 7004
Umschlagentwurf: Peter Laube
Printed in the German Democratic Republic
Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin
622 387 5
00045
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Karin, Karin… Kopfschüttelnd blickt Hanni Lübken zu ihrer
Kollegin hinüber, die am Schreibtisch sitzt, emsig Zahlen kritzelt
und so tut, als sei die Welt in Ordnung.
Hanni Lübken steckt in der Zwickmühle. Wie soll ich das
Beate beibringen, geht es ihr pausenlos durch den Kopf. Immer
noch klingt ihr die unsichere Stimme Beates in den Ohren, als sie
mit ihren Problemen zu ihr kam. Beate, mittelschlank, braunes
Haar und ein fast faltenloses Gesicht trotz ihrer fünfzig Jahre,
deren Platz am Schreibtisch leer ist.
Wie ratlos sah sie aus, als sie das Foto des Mannes zeigte und
von dem Geld sprach, das sie ihm gegeben hatte, ohne Quittung
und ohne Sicherheit. Seine Worte: »Eine mündliche Zusage wird
doch reichen, wo wir doch jetzt zusammenziehen und das Geld
sowieso in einen Topf kommt…«
Hanni warnte vor allzu großer Vertrauensseligkeit und
betrachtete mit gemischten Gefühlen das gutaussehende
Männergesicht, energische Züge, sanfter Blick, angegraute
Schläfen – ein Mann Anfang Fünfzig, den man durchaus als
Frauentyp bezeichnen konnte. Für gewöhnlich ohne Vorurteil,
gab sie zu bedenken: »Du, sei vorsichtig, der könnte bei zwanzig
sammeln gehen.« Sie legte ihr nahe, kein Geld ohne Quittung zu
verleihen.
Der Gedanke an Beate quält Hanni. Schließlich hatte der
Mann sie bereits zum zweitenmal zur Kasse gebeten. Beate war
verunsichert, klagte, er sei undurchsichtig. Da mußte man doch
helfen. Was heißt hier falsch angebrachte Kollegialität? Hanni
sucht nach einer Rechtfertigung. Karin sollte doch nur seine
Bekanntschaft machen, um herauszufinden, was das für ein
merkwürdiger Zeitgenosse ist. Wer kann denn wissen, daß
Karin… Mein Gott… Das muß ja wirklich ein
außergewöhnlicher Mann sein, wenn sogar Karin ihm auf den
Leim gegangen ist. Noch zwei Tage zuvor war sie empört über
sein Verhalten gegen Beate. Du lieber Himmel! Wenn man sich
vorstellt, daß Beate und Karin…
Bekümmert sieht Hanni, wie Karin Brandt ihren Arbeitsplatz
verläßt und hinausgeht. Wilma Fox, die andere Kollegin, schaut
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ihr nach, ein merkwürdiges Lächeln im Gesicht. Ob sie etwas
gemerkt hat? Hanni Lübken fingert nervös an einer Mappe. Sie
will ebenfalls zur Tür, aber der aufmerksame Blick der anderen
hält sie davon ab. Schließlich nimmt sie die Mappe, murmelt
etwas von Konstruktionsbüro und verläßt eilig den Raum. Sie
findet Karin Brandt in der Garderobe. Die junge Frau steht vor
dem Spiegel und kämmt sich das lange Haar. Sie sind allein.
Durch das Fenster ist der Werkhof zu sehen. Arbeiter laden
gerade Eisenstangen auf. Hanni Lübken lehnt sich gegen einen
der grauen Metallschränke und sieht die andere im Spiegel an.
Karin weiß, daß sie auf etwas wartet. Flüchtig hebt sie die
Schultern. »Na und? Der Mann gefällt mir auch.«
Wieder diese rücksichtslose Offenheit. Bestürzung überzieht
das sympathische Gesicht Hannis. Sie starrt auf Karins Rücken:
»Und Beate? Das kümmert dich wohl gar nicht?«
Karin kämmt weiter ihr Haar, aufreizend gelassen. Sie ist
schön, doch fehlt es ihr offenbar an Fairneß und Verständnis,
denkt Hanni. Sie tut, als sei es eine ganz und gar
selbstverständliche Sache, Jentscher in dem Lokal anzusprechen
und ihn der anderen auszuspannen.
Was ist das nur für eine Einstellung? Hanni Lübken verhehlt
ihr nicht, wie sie darüber denkt: »Für Beate ist es noch einmal
eine Chance, die letzte vielleicht. Das dürfte auch dir klar sein.
Und was ist es für dich? Ein kleiner Flirt? Was sonst?«
»Beate ist zu alt für ihn. Dafür kann sie nicht. Aber es ist nun
mal so. Bei mir liegt er biologisch richtiger.« Unbekümmert
kokettiert Karin mit ihrem Spiegelbild.
Ihre sichere, selbstbewußte Haltung reizt Hanni über alle
Maßen. »Du glaubst, weil du jünger bist, besitzt du einen
Freibrief. Aber Beate braucht den Mann. Was sie seinetwegen
angeschafft hat, was sie alles tut. Mensch, Karin…«
»Zugegeben, sie hat mehr Geld als ich. Aber ich weiß schon,
wie ich ihn halte.« Das klingt ein bißchen frivol.
Jeder weitere Protest Hannis prallt an Karins flüchtigem
Achselzucken ab.
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»Und Jentscher? Weißt du überhaupt, wie er sich entscheiden
wird?«
»Klar, daß er sich ’ne Jüngere wünscht.« Auch diese Worte
sind leicht hingeworfen.
Hanni Lübken beginnt auf und ab zu gehen. Sie leidet unter
dem Bewußtsein, Beate Döring einen schlechten Dienst
erwiesen zu haben, und kann das unbesorgte Gehabe der
anderen plötzlich nicht mehr ertragen. Vom Hof kommt ein
metallenes Krachen und Getöse, dann eine schimpfende Stimme
und Hammerschläge.
»Beate wird schon noch einen anderen finden. Laufen doch
genug ’rum.«
Damit ist die Sache für Karin offenbar abgetan. Aber für
Hanni noch nicht. Außer sich vor Entrüstung, schlägt sie so hart
mit der Faust auf den Rand des Waschbeckens, daß ihr die Hand
weh tut. »Du, das sag’ ich dir, wenn du das nicht in Ordnung
bringst, erzählt ich allen, was du für’n Typ bist!«
Der Tag verblaßt, aber es ist noch nicht dunkel. Zwei
Volkspolizisten tun ihr möglichstes, die Neugierigen zu
verdrängen, die sich vorm Aufgang 12 des Neubaublocks in der
Waldstraße angesammelt haben. »Bitte weitergehen! Nicht
stehenbleiben… Hier gibt’s nichts zu sehen…«
Als die Bahre mit der Toten an. Leutnant Koch
vorbeigetragen wird, hört er seinen Namen rufen. Er sieht die
hochgewachsene Gestalt seines Mitarbeiters an der Haustür
stehen und winken. Kriminalmeister Stender ist zehn Minuten
früher eingetroffen und berichtet: »Treppensturz. Die Frau heißt
Beate Döring. Innere Blutungen, sagt der Arzt. Ihre
Armbanduhr steht auf sechzehn Uhr dreiundvierzig. Nicht
abgelaufen. Das Glas war zerbrochen. Sicher vom Sturz. Der
Tod soll erst später eingetreten sein.«
Koch geht ins Haus. »Wer hat sie gefunden?«
Der junge Kriminalmeister folgt dem Genossen. »Ihre
Schwester. Um halb sechs. Die beiden haben zusammen gelebt.«
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Sie steigen die Treppen hinauf. Zwischen dem dritten und
vierten Stock markiert weiße Kreide die Stelle, wo die Tote
gelegen hat. Vor der unteren Scheibe des Flurfensters, das bis
zum Boden reicht, ein schmiedeeisernes Gitter. Blutflecke
darauf. Koch wendet sich ab. »Unfall?«
Stender wiegt zweifelnd den Kopf. »Sie müssen die Zimmer
oben sehen. Überall rumgewühlt. Als wenn da jemand in großer
Eile was gesucht hat. Die Spurensicherung war schon hier.«
Minuten später kann sich Leutnant Koch in Beate Dörings
Wohnung davon überzeugen. Die Räume sind offenbar frisch
tapeziert, Türen und Fenster gestrichen, es riecht noch schwach
nach Farbe. Im Wohnzimmer, ansonsten wohl ein behaglicher
Raum, ein heilloses Durcheinander. Schubfächer aufgezogen.
Wahllos Gegenstände herausgeworfen, Bücher und Wäsche auf
dem Boden. Die Kriminalisten sprechen der Schwester der
Toten ihr Mitgefühl aus. »Bedauerlich, Frau Budzislawski…«
Dieser Name steht neben dem der Toten auf dem Türschild.
Erna Budzislawski, etwa Mitte Fünfzig, eine mollige Frau mit
gelblichem Haar, das Gesicht blaß und vom Weinen
angeschwollen, sitzt am Tisch und starrt verstört vor sich hin.
»O Gott… o Gott…« In ihrem Schmerz kann sie keine anderen
Worte finden. Sie wirkt erschüttert, unglücklich und vergißt,
Platz anzubieten.
Mit einem schwachen, entschuldigenden Lächeln kommt
Koch gleich zur Sache. »Wer kann hier was gesucht haben?«
Die Frau zuckt hilflos die Achseln. Ihre Hände zittern. Sie
scheint mit ihren Nerven am Ende zu sein und stammelt
mühsam: »Beate… Mein Gott… Wie konnte das bloß passieren?
Ich hab’…« Sie kämpft mit den Tränen. »Ich war einkaufen,
sonst wär’ ich früher…« Sie schluchzt. »Beate war krank
geschrieben.«
Einige Minuten Schweigen. Die Kriminalisten lassen ihr Zeit,
sich zu sammeln. Plötzlich einsetzendes Motorengeräusch
unterbricht die Stille. Die Autoreparaturwerkstatt gegenüber,
denkt Koch flüchtig. Wieder deutet er ein Lächeln an. »Fehlt
was?«
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»Ja.« Mit einer Zigarette versucht Erna Budzislawski sich
wieder in die Gewalt zu bekommen. »Das Geld.«
»Geld?« Stender zieht Taschenbuch und Kugelschreiber
hervor.
»Dreihundert Mark. Die haben in der Schale gelegen. Weiß
nicht, wofür. Aber sie sind weg.«
»Karge Beute.« Stender notiert.
Frau Budzislawski stößt einen langen Seufzer aus und zieht an
ihrer Zigarette. »Ob Beate Feinde hat? Neider? Nein, bestimmt
nicht. Das Scheckheft ist da. Der Schmuck auch. Sonst keine
besonderen Wertsachen in der Wohnung, nein.«
Dann – vielleicht ist es die Reaktion auf Kochs freundliches
Lächeln – springt es plötzlich von ihren Lippen, hastig,
überstürzt, als dränge es sie, etwas zu erklären. »Sie hat sich
abgekapselt – Beate, von allem, seit dem Tode ihres Mannes.
Vor drei Jahren. Sie wurde aus der Bahn geworfen, irgendwie.
Die Ehe war gut, wissen Sie. Mein Schwager: Direktor beim
VEB Meßgerätebau. Er ging auf im Beruf, und sie half ihm. Zu
Hause. So ’ne Art Privatsekretärin. Nachher wußte sie nichts
mehr mit sich anzufangen. Depressionen. Fühlte sich einsam,
ausgeschlossen. Dabei ging es ihr gut. Das Geld vom Wagen,
vom Boot, die I-Rente. Aber sie brauchte jemand, mit dem sie
sprechen konnte. Ich kenne das nicht so. Ich war immer allein,
nie verheiratet, doch einsam – nein. Vor acht Monaten zog ich
her. Sie wollte es. Alles war schön und gut. Aber dann merkte
ich, daß ich ihr als einzige Kontaktperson wenig nutzte. Sie
selbst erkannte auch, sie konnte nicht ewig trauern. Ich sagte ihr,
du mußt ’raus. Besorgte sogar Arbeit, in meinem Betrieb. Stahl-
und Walzwerk. Sie mußte ja irgendwie wieder ’rein. Und
Sekretärin, das lag ihr doch. Die Kollegen sind auch nett. Beate
lebte richtig auf. Was haben wir alles unternommen: Theater,
Busfahrten, Ausflüge nach Sanssouci und Rheinsberg. Wie nett
war es doch, bevor er kam…« Sie bricht jäh ab und bewegt die
Hand vor dem Gesicht, als wolle sie etwas verjagen.
Koch blickt von seinem Notizbuch auf. »Wer?«
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Frau Budzislawski drückt die Zigarette aus und spricht
langsam weiter. »Sie muß blind gewesen sein, daß sie den
Menschen nicht durchschaute. Der wollte doch nur irgendwo
unterkriechen. Ich sagte ihr: ›Du hast dich total an ihn verloren.
Ich wette, der hat noch mehr Frauen.‹ Doch davon wollte sie
nichts wissen, behauptete: ›Der hat keine andere.‹ Ja, das sagte er
ihr. Sie hörte ja nicht auf mich. Tat, als gäbe es nur diesen einen
Mann. Sie ließ sogar die Wohnung machen, kaufte neue Sachen
– alles für ihn. Ich sagte: ›Da werde ich ja bald meine Koffer…‹«
Ein Schluchzen erstickt weitere Worte. Von Koch sanft
gedrängt, gelingt es ihr, fortzufahren. »Wir wollten doch
zusammenbleiben, immer. Und außerdem hoffte ich, sie wird
schon wieder vernünftig werden.« Sie bedeckt ihr Gesicht mit
den Händen und weint.
»Wie heißt der Mann?«
»Jentscher. Klaus Jentscher.« Ihre Haltung ist so erschöpft,
daß Koch, nachdem Stender Jentschers Adresse notiert hat, die
Befragung abbricht.
Draußen ist es kälter geworden. Die Schaufenster der
Ladenstraße vis-à-vis sind erleuchtet, obwohl die Geschäfte
bereits geschlossen haben. In der Autoreparaturwerkstatt an der
Ecke wird noch gearbeitet; der Lärm ist nicht zu überhören.
Stender schaltet die Scheinwerfer ein. »Eine von den Frauen, die
ewige Keuschheit als Tugend betrachten. Womöglich sieht sie in
jedem Mann so etwas wie einen persönlichen Feind. Soll es alles
geben.« Er gibt Gas. Der dunkelgrüne Wartburg rauscht der
Innenstadt zu.
»Muß nicht leicht für Beate Döring gewesen sein, mit ihr zu
leben.« Koch hält dem Genossen sein Zigarettenpäckchen hin
und nimmt selber eine.
Stender nickt dankend. »Ich tippe auf Eifersucht. Die
Budzislawski wollte ihre Schwester für sich haben. Ist doch
eindeutig, daß sie den Mann nicht leiden kann. Trotzdem sollten
wir uns diesen Jentscher etwas genauer ansehen.«
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»Da werden wir gleich mal Genossen Zimmermann ansetzen,
der ist auf so was geeicht. Was sagte Frau Budzislawski, wo
wohnt der Mann: Grünau? Regattastraße?« Und da Stender ihm
einen fragenden Blick zuwirft, fügt er hinzu: »Na, ich würde
sagen, wir fahren mal hin.«
»In Ordnung.« Stender wendet unverzüglich den Wagen. Er
ist ein Freund rascher Entschlüsse.
In fünfzehn Minuten haben die Genossen Grünau erreicht. In
der Regattastraße heben sich die hohen Reihenhäuser gegen
einen dunklen Himmel. Kurz darauf schrillt die Klingel an
Jentschers Tür. Die Frau, die öffnet, macht einen gepflegten
Eindruck. Klein an Wuchs, adrett gekleidet, knöpft sie ihre Jacke
zu und mustert die Besucher erstaunt. Nur flüchtig wirft sie
einen Blick auf den Dienstausweis, den Stender ihr hinhält.
»Kein Grund zur Beunruhigung. Wir möchten nur Herrn
Jentscher sprechen.«
Die etwa Vierzigjährige zeigt sich reserviert. Knappe
Auskunft: »Der ist seit zwei Tagen nicht hier gewesen.«
»Aha…?« Koch deutet ein fragendes Lächeln an. Ruhig und
gefaßt gibt sie zu verstehen, daß sie seit acht Wochen geschieden
sind. Da ihr ehemaliger Mann keine andere Wohnung finden
könne, müsse man sich damit abfinden, noch eine Weile unter
dem gemeinsamen Dach zu leben. Ȇbrigens haben wir uns
gütlich geeinigt. Nicht gerade schön. Aber was hilft’s? Man muß
da durch.«
Jentschers momentanen Aufenthaltsort weiß die Frau nicht.
»Wo arbeitet er denn?« erkundigt sich Koch.
»Nahrungsmittelkombinat. Aber nur bis fünf.«
Eine Auskunft, wenn auch keine sehr erschöpfende. Wieder
draußen auf der Straße, meint Stender: »Jetzt verstehe ich auch,
warum Jentscher zu Beate Döring ziehen wollte.«
Koch nickte. »So ’ne Scheidung ist was Furchtbares, aber
danach fangen die Probleme erst richtig an.«
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In der Ferne das Rasseln der Straßenbahn. Koch blickt auf
seine Armbanduhr. 18.32 Uhr. Zu spät, Jentscher zu erreichen,
aber noch früh genug, die Ermittlungen fortzuführen. Koch ist
immer bereit, zu tun, was menschenmöglich ist, um einen Fall zu
klären. Flüchtig denkt er an die einsamen Abende zu Hause:
Zeitung, Bierchen, Mattscheibe. Das Mädel geht ihre eigenen
Wege. Ja, wenn Änne noch… Zum Friedhof müßte er auch mal
wieder.
»Da können wir ja noch zum Stahlwerk fahren. Vielleicht ist
jemand da, der uns weiterhelfen kann. Oder haben Sie was
anderes vor?«
Hierauf schüttelt der junge Kriminalmeister den Kopf, wenn
auch ein bißchen trübe. »Meine Frau hat ja keine Zeit, büffelt
wie verrückt. Juristin!«
»Schade«, bedauert Koch, »daß meine Tochter nicht auch…
Aber sie will ja unbedingt Kinderärztin werden.«
Gegen sieben kommen die Männer von der K im Stahl- und
Walzwerk an. Soweit Lampen die Sicht ermöglichen:
Werkhallen, in denen Arbeiter an mächtigen Öfen glühendes
Eisen formen. Die Kriminalisten informieren den Werkschutz
über ihr Anliegen. Schon nach wenigen Minuten erscheint ein
bärtiger, lebhafter Mann, der sie in den Raum führt, in dem
Beate Döring gearbeitet hat.
»Eine Brigade von vier Frauen.«
»Um Himmels willen!« ruft Stender. »Botanischer Garten.« In
der Tat sieht man mehr Grünzeug als Mobiliar.
»Zwei Sekretärinnen und zwei Sachbearbeiterinnen«, erklärt
der Mann, auf die Schreibtische deutend.
Koch sieht sich um. »Arbeitet Frau Budzislawski auch hier?«
»Nein.« Der Mann schüttelt den Kopf. »Die ist in einer
anderen Gruppe. Buchhalterin.«
Während sich die Ermittelnden den Schreibtisch und den
Kleiderschrank der Toten ansehen, aber nichts Bemerkenswertes
finden, hören sie aufmerksam zu, was der Mann über jede
einzelne der vier Frauen zu sagen hat. Die Information
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beschränkt sich auf allgemeine Dinge: Kollegialität,
Einsatzfreudigkeit, gute Kollektivarbeit.
»Wir brauchen die Adressen.« Stender hat schon sein
Notizbuch in der Hand. »Bitte, schnell, wenn’s geht.«
Es geht schnell.
Wilma Fox, Sachbearbeiterin, wohnt nicht weit entfernt vom
Stahlwerk. Wohl gerade beim Kuchenbacken gestört, starrt die
untersetzte Frau die Männer von der K eine Sekunde lang an,
ehe sie herausbringen kann: »Kein Irrtum möglich? Wirklich
Beate? Wir arbeiten schon ein halbes Jahr zusammen. Sie war
mir die Liebste von allen. Wie schrecklich. Gerade jetzt, wo sie
einen Lebenspartner gefunden hatte. Sie war so glücklich. Wir
haben uns alle darüber gefreut. Allerdings in den letzten
Tagen…«
»Ja?« Koch wirft ihr ein fragendes Lächeln zu.
»Na ja«, kommt die zögernde Antwort, »sie machte einen –
wie soll ich sagen – deprimierten Eindruck. Das hing sicher mit
ihrer Krankheit zusammen. Wenn man mit dem Magen zu tun
hat… Fehlte auch schon eine Woche. Ich wollte eigentlich heute
nachmittag hin, von der BGL aus, Vertrauensposten, wissen
Sie… Ach, wär’ ich doch bloß hingegangen, wär’ ich doch bloß.«
»Was kam denn dazwischen?« Koch zeigt sein unbeirrbares
Lächeln.
»Na, mein Mann, der hat morgen Geburtstag. Kleine Feier
abends: Kaffee, Kuchen, Kartoffelsalat… Deshalb war ich froh,
daß Karin… Ich hab’ ja auch nur zwei Hände.«
»Ihre Kollegin Karin Brandt hat Ihnen den Besuch
abgenommen?«
»Ja.«
Die Kriminalisten fahren nach Blankenburg. Das Haus, in
dem Karin Brandt wohnt, steht hinter einem von Sträuchern
umrahmten Vorgarten. Stender drückt auf den Klingelknopf.
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Karin Brandt, die dabei ist, Tee zu machen, zeigt sich nervös,
verwirrt und ziemlich wortkarg. Koch muß seine Frage
mehrmals wiederholen. Als sie die Teekanne auf den Tisch stellt,
zittern ihre Hände so, daß der Deckel auf den Boden fällt. Im
nächsten Augenblick laufen ihr die Tränen über die Wangen.
»Es tut mir ja so leid. Sie dürfen nicht glauben, daß ich…« Sie
fährt sich mit der Hand übers Gesicht, um den Tränenausbruch
zu dämmen.
»Was glauben?« Kochs Tonfall hat etwas Beruhigendes.
»Es tut mir schrecklich leid.« Sie wagt die Männer nicht
anzusehen und ist offenbar bemüht, ihrer Stimme Festigkeit zu
geben. »Sie dürfen mich bitte nicht falsch verstehen, aber Beate
und ich… Sie war so etwas wie ’ne mütterliche Freundin. Aber
dann… Der Brief! Wenn ich den bloß nicht geschrieben hätte,
das war nicht gerade fair… Aber es gibt Momente…
Entschuldigen Sie, ich kann im Augenblick nicht klar denken.«
»Wann abgeschickt?« fragt Koch.
»Gestern.«
»Um was ging es denn?«
Sie schüttelt den Kopf und will nicht darüber sprechen, selbst
dann nicht, als Stender sie darauf aufmerksam macht, daß sie es
doch erfahren würden, spätestens, wenn der Brief eintrifft.
»Also, was war es?«
Da sie noch immer zögert, kommt Koch auf ihren Besuch bei
Beate Döring zu sprechen.
»Ja also«, bekennt sie mit schwerer Zunge, »ich wollte…«
»Was?«
»Es tat mir plötzlich leid. Manchmal schreibt man was… Man
sollte nicht schreiben, wenn… Ich meine, bei einem
Gespräch…«
»Sie gingen also hin?«
Ihre Augen sind dunkel vor Erregung, und ihre. Stimme
schwankt. »Ich war nicht da.«
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»Warum nicht?« Stender wird langsam ungeduldig, während
Kochs Lächeln nicht einen Moment abbricht.
»Ja also, es handelt sich darum…« Karin Brandt, der
offensichtlich das Gewissen schlägt, gesteht, daß sie zu feige war
hinzugehen. Leise und stockend spricht sie von Klaus Jentscher.
»Ich sollte mir den Mann ansehen. Es war Hannis Idee – Hanni
Lübken, meine Kollegin. Wegen Beate. Die war so verknallt in
ihn. Hanni wollte wissen, ist er das wert oder nicht. Ich weiß
nicht, ob Sie’s begreifen können, aber dann passierte es – das mit
Klaus und mir. Es war wie ein Blitzschlag. Wir kennen uns ganze
acht Tage, aber wir mögen uns, sehr sogar. Er hat mir das
Gefühl gegeben, daß ich nicht allein bin, daß ich… Er ist der
erste, der mir richtig was bedeutet!« Ihr Kopf sinkt nach vorn,
als ob er plötzlich zu schwer für weitere Worte geworden ist. »Er
wollte das ordnen, wollte mit Beate sprechen. Aber Hanni sagte,
ich soll selbst…«
»Mit ihr reden?«
Sie nickt. Für einen Augenblick ist es still. Kochs Lächeln
bleibt, wenn auch ein wenig zweifelnd. »Und Sie waren wirklich
nicht da? In der Waldstraße? Heute nachmittag?«
»Nein«, flüstert sie mit kaum hörbarer Stimme.
»Wann haben Sie Feierabend?«
»Um vier.«
»Und Sie gingen gleich nach Hause?«
»Ja.«
»Hat Sie jemand gesehen? Ich meine… nur der Form halber.«
»Ich weiß nicht. Ich glaube nicht.«
»Schön, um noch einmal auf Herrn Jentscher zu kommen:
Haben Sie ihm von Frau Lübkens – sagen wir – Auftrag erzählt?
Weiß er, daß Sie seine Bekanntschaft suchten, um…?«
Bei dieser Frage ist es mit Karin Brandts Fassung endgültig
vorbei. »Um Himmels willen! Das darf er nicht erfahren.
Niemals. Sie werden doch nicht…?«
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Zehn Minuten später im Wagen. Stender steuert zügig durch die
Innenstadt. »So, das ist ja schon was. Zwei Frauen und ein
Mann. Nicht neu, aber…«
»Dieser Jentscher«, Koch bläst eine Rauchwolke gegen die
Windschutzscheibe, »das scheint einer von der Sorte, die
während des Rennens ohne viel Federlesens die Pferde
wechseln. Mich würde interessieren, wie die Döring es
aufgenommen hat. Immerhin ging für sie so einiges in die
Binsen.«
»Wie schon!« Stender glaubt genug Phantasie zu besitzen, sich
das auszumalen. »Sie hat Theater gemacht, Krach geschlagen,
Tränen, Bitten, Drohungen. Man weiß doch, wie so was vor sich
geht; mehr oder weniger hysterisch. Sie dreht durch, und peng –
Kurzschluß.«
»Moment, es ist noch nicht ’raus, durch wen sie es erfahren
hat«, wendet Koch ein.
»Hört sich an, als ob Sie an Frau Brandt denken.«
»Oder die Kollegin Lübken, obwohl die…« Koch läßt den
Satz unbeendet. »Das heißt…« Er drückt die Zigarette aus und
zündet sich eine neue an. »Wir wissen nicht einmal, ob Beate
Döring überhaupt schon davon wußte. Frau Budzislawski hat
nichts erwähnt. Wie auch immer, wir werden uns mit Frau
Brandt beschäftigen müssen.«
Das Gespräch mit Beate Dörings Kollegin Hanni Lübken bringt
neue Informationen. Die sympathische Frau wirkt wie vor den
Kopf geschlagen. Sie setzt wiederholt zum Sprechen an, ohne
einen Ton hervorzubringen. Bloß nichts über Karin sagen, denkt
sie verzweifelt. Großer Gott! Bloß kein Wort. Der Schmerz über
Beates Tod verbindet sich mit der Angst, daß Karin etwas damit
zu tun haben könnte. Nur keine Panik, redet sie sich selber zu.
Tief und ruhig durchatmen. Kraftlos deutet sie den
Kriminalisten an, Platz zu nehmen. Die merken, wie verstört die
Frau ist, doch gelingt es Koch, das Gespräch behutsam wieder
auf Beate Döring zu bringen. Nach und nach erzählt Hanni
Lübken, was sie über die Sache weiß.
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»Es war ungefähr vor acht Wochen. Beate schrieb auf eine
Heiratsannonce. Ihrer Schwester sagte sie davon nichts, weil sie
Einwände befürchtete, vielleicht genierte sie sich auch ein
bißchen. Jedenfalls lernte sie Klaus Jentscher kennen. Der Mann
sieht verdammt gut aus, müssen Sie wissen, und Beate verliebte
sich Hals über Kopf in ihn. Er muß es geschickt verstanden
haben, ihr Mitleid zu erregen, tat wohl manchmal todunglücklich
und klagte über seine Geschiedene, sie verüble ihm die
neugewonnene Freiheit und plage ihn mit häuslichen Schikanen.
Dann wollte er Geld von Beate. Angeblich verlangte die
Anwältin seiner Frau höheren Unterhalt für die beiden Töchter
und Nachzahlungen.«
An dieser Stelle macht Hanni Lübken eine Pause. Sie hat
plötzlich das Bedürfnis, einen Schluck Wasser zu trinken. Mit
einer Entschuldigung geht sie in die Küche, kommt aber sofort
zurück. Sie ist gefaßter und spricht ruhiger und
zusammenhängender.
»Beate war verunsichert, brauchte jemand, dem sie sich
anvertrauen konnte. Kurz und gut, sie kam zu mir. Wissen Sie,
ihre Schwester, die hat kein Verständnis dafür. Sie ist ganz nett,
aber diese Probleme, die kennt sie eben nicht.«
»Hat sie ihm das Geld gegeben?« unterbricht Leutnant Koch.
»Nicht gleich. Sie fand, daß dies kein guter Anfang für eine
Partnerschaft sei. Das sagte sie ihm auch. Aber dann… Sie liebte
ihn nun mal, weil er – wie sie mir vorschwärmte – so schön ist
und so unglücklich und so gutmütig und so großzügig und von
seiner Geschiedenen so ausgenommen wird. Na ja…«
Hanni Lübken zerknüllt ein Taschentuch zwischen ihren
Fingern. »Scheußlich für mich. Ich habe ihr ja noch zugeraten zu
diesem Mann, anfangs, als sie noch unsicher war, ob sie nun
oder nicht… Sie müssen wissen, ich bin selbst gut verheiratet,
glücklich sogar. Wir haben zwei Kinder und… Übrigens wollte
er dann noch mal was haben – wieder wegen seiner Frau.«
»Und Frau Döring? Wie reagierte sie?« wirft Stender ein.
»Sie ging zu seiner Frau.«
»Tatsächlich?«
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»Leicht ist ihr das wahrlich nicht gefallen. Sie wollte
versuchen, die Frau von weiteren Forderungen abzubringen.
Aber dann…«
»Dann?«
»Na ja, Frau Jentscher war wohl ganz anders, als er sie
geschildert hat – weder hysterisch noch gemein, einfach nett,
neutral. Die will gar nichts von ihm, nur was ihr vom Gericht
zugesprochen wurde, und ihre Ruhe will sie haben. Jentscher
hatte das alles erfunden, weil er Geld brauchte. Beate hat’s mir
erzählt, Wort für Wort. Es muß ja schlimm für sie gewesen sein.
Da gibt’s nämlich ’ne Menge Frauen, mit denen er telefoniert
und wo er gelegentlich schläft, die er in teure Restaurants
ausführt; nach der Devise, immer charmant, immer galant, der
Gentleman zahlt. Bei anderen holt er das wieder ’raus. Beate war
nicht die einzige, die er angepumpt hat. Für sie stürzte alles ein.
Sie wußte nicht, wie sie nach Hause kam. Aber dann packte sie
die Wut. ›Schweinerei‹, sagte sie zu mir. ›Wenn ich rauskriege,
daß das wirklich so ist, geh’ ich in seinen Betrieb.‹«
Hanni Lübken senkt den Kopf. Ihre Schultern zucken. »Wenn
sie bloß nicht so geweint hätte. Wenn ich ihr bloß hätte helfen
können. Ich wäre sogar hingegangen und hätte mit ihm
gesprochen, aber das wollte sie nicht. ›Um Gottes willen‹,
beschwor sie mich, ›halt dich da ’raus, sonst tut es mir noch leid,
daß ich’s dir erzählt hab’. Sag’s bloß nicht weiter.‹ Und ich mußte
versprechen, niemandem etwas zu sagen. Hab’ ich auch nicht.
Nur Ihnen jetzt, aber das ist ja was anderes.«
»Auch der Kollegin Brandt nicht?« Kaum ausgesprochen, sieht
Koch, wie bestürzt sie ist.
Hanni Lübken wird schlecht vor Schreck. Bis zu diesem
Augenblick hat sie mit keinem Wort die peinliche Sache mit
Karin erwähnt – und jetzt das. Sie ringt mit einer Antwort.
»Nein«, bringt sie endlich heraus.
»Aber Sie wissen, daß Frau Brandt und Jentscher…?«
Sie nickte. »Das war vorher, ein paar Tage vorher.«
»Heißt das, Sie haben Frau Brandt nicht über den Mann
aufgeklärt?«
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Sie schüttelt den Kopf. »Ich hab’ versprochen, nicht zu
reden.«
»Aber ich bitte Sie, Frau Lübken…«
»Ich hab’s Beate versprochen. Das ist mies, ja, zugegeben. Mir
ist auch nicht wohl dabei. Aber ich hab’ schon mal – weil ich
dachte… Die Karin hat sich auch schäbig verhalten. Sie ist zu
jung, Herr Leutnant, daran liegt’s. Sie hat keine Probleme in
dieser Hinsicht, weiß noch nicht, was das bedeutet, älter zu
werden. Und ich hoffte ja immer noch… Ach, ich weiß nicht,
was ich hoffte. Ich weiß nur, daß ich mir vorkomme wie –
wie…« Sie findet den passenden Vergleich nicht und sieht hilflos
von Koch zu Stender. Aber das Bestreben, sich alles von der
Seele zu reden, gibt ihr Kraft fortzufahren: »Ich habe es auch
nicht übers Herz gebracht, Beate von dem Verhältnis der beiden
zu erzählen. Dann hätte ich ihr doch sagen müssen, daß
Jentscher inzwischen schon zu Karin hingezogen war.«
»Jentscher! Ist Ihnen der Mann persönlich bekannt?«
erkundigte sich Koch.
»Nein.«
Es ist Mittwoch. Sechzehn Stunden nach dem Tod der Beate
Döring. Draußen weht ein frischer Wind. Mit dem Tageslicht ist
der Nebel gekommen und macht alles grau. Während sich
Kriminalmeister Stender noch einmal in die Waldstraße begibt,
um in der Nachbarschaft der Döring nach eventuellen
Hinweisen zu suchen, beteuert Karin Brandt dem Leutnant, daß
Jentscher nur einen Koffer bei ihr abgestellt hat und dann wieder
weggegangen ist, wohin, wisse sie nicht. Mit zweifelndem
Lächeln blickt Koch auf die Frau, die hastig die Tür hinter sich
zugezogen hat, damit die Kollegen nicht mithören können.
»Aber Sie wollen mir doch nicht weismachen…«
»Ich schwöre, es ist die Wahrheit.« Karin Brandt blickt
unruhig den Korridor des Verwaltungsgebäudes entlang. »Soviel
ich weiß, hat er sich drei Tage Urlaub genommen. Will was
erledigen.«
»Was?«
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»Das hat er nicht gesagt.«
Etwas später findet Koch auf seinem Schreibtisch eine
Information; Genosse Zimmermann hat sie hinterlassen.
Danach arbeitet Klaus Jentscher seit sechs Jahren im
Nahrungsmittelkombinat. Abteilungsleiter. Mehrere
Auszeichnungen. Verdient gut, trotzdem ständig in
Geldverlegenheit. Frauengeschichten. Ein Mann mit beruflichem
Erfolg und übersteigerten Ansprüchen. Zur Zeit Urlaub.
Koch sieht auf das Papier in seiner Hand, als ob es ihm noch
mehr verraten könnte. Dann legt er es auf den Schreibtisch
zurück, zieht den Stuhl vor und läßt sich nieder. Selbst wenn
Jentscher mit Beate Döring eine Auseinandersetzung gehabt hat,
reicht das nicht aus, um einen Verdacht gegen ihn zu
rechtfertigen, ebensowenig wie gegen Karin Brandt, obschon
gerade die beiden…
Koch raucht und überlegt und drückt bereits die dritte
Zigarette aus. Er fragt sich immer wieder, wie Beate Döring auf
Frau Jentschers Eröffnungen reagiert hat. Hanni Lübken konnte
darüber keine Auskunft geben. Tatsache ist, daß sich ihr
Magenleiden verschlimmerte. Aufregung ist Gift für einen
kranken Magen. Das bewegte Leben des Klaus Jentscher muß
sie wie ein unerwarteter Hieb getroffen haben. Jeder Mensch
reagiert anders – wie Beate Döring? Was tat sie? Gab sie auf?
Siegte ihr Stolz? Oder machte sie Jentscher die Hölle heiß? In
dem Fall: Wie reagierte der Mann? Koch denkt an seine Tochter;
achtzehn Jahre, sehr selbstbewußt. Er stellt sich vor, wie sie sich
verhalten würde, und muß erkennen, daß er nicht imstande ist,
darauf eine Antwort zu geben. Unwillkürlich beschleicht ihn. ein
ängstliches Staunen… Man kennt niemanden so gut, wie man
glaubt.
Gegen halb neun kommt der Obduktionsbefund. Nach
Feststellung der medizinischen Sachverständigen ist Beate
Döring eine halbe Stunde nach dem Sturz gestorben; verblutet.
Kein Zeichen von Gewaltanwendung. Wäre rechtzeitig Hilfe
gekommen, hätte sie möglicherweise gerettet werden können.
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Dem Leutnant fällt die Armbanduhr ein, die um 16.43 Uhr
stehengeblieben ist. Der Tod ist demnach um 17.13 Uhr herum
eingetreten. Gegen 17.30 Uhr wurde sie von Erna Budzislawski
gefunden. Was ist um 16.43 Uhr geschehen? Wer hat in der
Wohnung etwas gesucht? Und was?
Das Ergebnis der Fingerabdrücke führt auch nicht weiter. Sie
können von allen möglichen Leuten stammen.
Koch drückt seinen breiten Rücken gegen die Stuhllehne.
Erneut kreisen seine Gedanken um Karin Brandt und Klaus
Jentscher. Er ist überzeugt davon, daß Karin Brandt ihnen nicht
alles gesagt hat. Man muß sie noch einmal befragen, sie in die
Enge treiben. Schließlich wollte sie Beate Döring gestern
nachmittag besuchen. Kurz entschlossen greift er zum Telefon
und gibt die Anweisung: »Genosse Zimmermann soll das Alibi
von Karin Brandt überprüfen.«
Ja, wenn man ihr nachweisen könnte, daß sie gestern am
Spätnachmittag in der Wohnung war, geht es ihm durch den
Kopf.
Die Wohnung. Als Beate Döring sie zum letztenmal verließ,
hat sie die Tür nicht zugezogen, sie stand auf nach Erna
Budzislawskis Bericht. Oder ließ der letzte Besucher sie offen?
Die Tote trug Rock, Bluse und Hausschuhe. Der
Wohnungsschlüssel hing am Schlüsselbrett. Sie wollte demnach
nicht ausgehen. Was veranlaßte sie also, die Wohnung zu
verlassen? Geleitete sie den Besucher hinaus? Gab es Streit? Ein
Handgemenge, das möglicherweise drinnen begann und im
Hausflur fortgesetzt wurde? Denn es ist doch kaum möglich,
daß sie mit Gewalt aus der Wohnung gebracht wurde.
Anzunehmen, daß sie dann um Hilfe gerufen hätte. Niemand hat
Hilferufe wahrgenommen. Allerdings wurde der Sturz auch nicht
gehört. Kochs Meinung nach hätte man ihn hören müssen.
Und Erna Budzislawski? Sie sagt zwar, sie sei erst um 17.30
Uhr nach Hause gekommen, aber Leute, die das bezeugen
können, kann sie nicht nennen. Sie könnte ja auch… Um 16 Uhr
ist Feierabend. Vom Stahlwerk bis zur Waldstraße sind es mit
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dem Bus knappe zwanzig Minuten. Aber das Motiv? Eifersucht?
Wegen Jentscher?
Eine Sekunde später hängt er wieder am Telefon. »Hallo,
Genossen, könnt ihr mal ein bißchen Detektiv spielen: Erna
Budzislawski, Waldstraße 12 – wie sie so ist, was sie tut, früher
getan hat, Wohnung, Umgang, pipapo… Moment –
sechsundfünfzig, unverheiratet. Hört euch doch mal bei
Freunden und Verwandten um, wie das Verhältnis zu ihrer
Schwester war…«
Mit einer Tasse starkem Kaffee versucht Koch seinen
Lebensrhythmus anzuheizen. Dann steht er auf und holt Hut
und Mantel. Er muß noch einmal mit Frau Jentscher sprechen.
Es geht darum, die Frau nach Einzelheiten zu fragen, nach
irgend etwas, was Beate Döring möglicherweise vergaß, ihrer
Kollegin zu erzählen – vielleicht auch nicht wollte.
Es ist noch nicht ganz halb zehn, als Koch zum zweitenmal an
Jentschers Tür klingelt. Seine vage Hoffnung, Klaus Jentscher
anzutreffen, erfüllt – sich nicht. Frau Jentscher ist offenbar
gerade im Begriff wegzugehen. Sie wirkt distanziert, aber
keineswegs peinlich berührt, als Koch von Beate Döring zu
sprechen beginnt. Natürlich kann sie sich an diese Frau erinnern;
offenbar für sie eine von vielen, für die sie nur ein unbeteiligtes
Achselzucken hat. Sie schaut dabei ständig auf ihre Armbanduhr
und entschuldigt sich, sie sei spät dran heute morgen, um zehn
würde das Kaufhaus geöffnet, in dem sie als Verkäuferin arbeite.
Aber Koch übergeht diesen Einwand. »Dauert nur eine
Sekunde.«
»Ja, dann kommen Sie bitte ’rein. Warten Sie, ich mach’ das
Fenster zu, sonst zieht’s.« Sie geht voran ins Wohnzimmer.
Koch bringt das Gespräch sofort wieder auf Beate Döring.
Freilich muß er dann Satz für Satz aus der Frau herausholen, die
keineswegs geneigt scheint, von sich aus etwas dazu beizutragen,
den rätselhaften Unfall aufzuklären. Kochs Lächeln vertieft sich.
»Ich wüßte gern, wie Frau Döring auf die Tatsache, daß da noch
andere Frauen sind, reagierte?«
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»Sie wollte Namen und Adressen.« Frau Jentscher spricht mit
einer Ruhe, wie man sie bei Frauen in ähnlicher Situation selten
antrifft. Eine Haltung, für die Koch ehrliche Bewunderung hegt.
Doch er läßt sich das nicht anmerken.
»Haben Sie etwa…?«
»Nicht doch, nicht doch.«
»Das war gut so.«
»Wieso? Ich konnte ihr gar nichts sagen, weil ich sie nicht
weiß. Aber ich gebe zu, daß ich es sonst auch nicht getan hätte.«
Auch das ist ziemlich sachlich gesagt. »Und was das Notizbuch
betrifft…«
»Notizbuch?«
»Ganz recht.«
»Da stehen die Namen und Adressen drin?«
»Ich nehme an.«
»Das haben Sie ihr gesagt?«
»Ja. Aber ich glaube nicht, daß ihr das nutzte.«
»Und warum nicht?«
»Nun, er hat es immer bei sich.«
»Äußerte Frau Döring die Absicht, sich das Notizbuch zu
verschaffen?«
»Absicht? Keine Ahnung. Warum sollte sie mir das auch
erzählen?«
»Wenn Frau Döring… Nehmen wir mal an, sie hat sich das
Notizbuch angeeignet – was dann? Wie würde sich Ihr
geschiedener Mann verhalten? Sie kennen ihn doch –
entschuldigen Sie…«
»Ich – ach, wissen Sie…«
»Ist er jähzornig?«
»Aber nein, gar nicht.«
»Gewalttätig?«
»Ganz gewiß nicht.«
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»Trauen Sie ihm zu, daß er Beate Döring…?«
»Also hören Sie – das weiß ich nicht. Ich bin mit ihm, zum
Glück, nicht mehr verheiratet…« Sie gebraucht einen Tonfall,
der den Abschluß einleitet, mit einer Stimme, in der es nicht
einmal verächtlich aufblitzt, die beherrscht und klar klingt. Doch
auf dem Wege zur Tür fängt sie noch einmal von der Wohnung
an. »Ehrlich gesagt, ich hoffte, er würde… Na ja, Sie müssen das
verstehen, die häusliche Sphäre hier… Keine schöne Situation.
Allein die Küche; sie ist so eng. Manchmal stehen wir so dicht
beieinander, daß wir uns berühren. Das ist nicht einfach, weder
für ihn noch für mich. Sie wissen, was ich meine…?«
»Ja, ich weiß, was Sie meinen.«
»Also, ich hoffte, er würde zu Frau Döring ziehen. Ich hoffte
es sehr, denn sie war, wenn ich das mal sagen darf, die Favoritin.
Sie ließ ja auch ihre Wohnung für ihn schönmachen. Soviel ich
weiß, hat er ihr sogar den Maler besorgt. Er ist eben auch ein
hilfsbereiter Mensch.«
Es scheint, als strömen diese Worte beinahe unfreiwillig über
ihre Lippen, aber als sie gesagt sind, merkt Koch, daß die Frau
doch nicht ganz so ruhig ist, wie sie tut.
Ein paar Stunden später weiß Koch mehr. Stenders
Nachforschungen in der Waldstraße bringen die erste heiße
Spur. Endlich gibt es einen Hinweis. Die Frau aus dem
Erdgeschoß sagte aus, daß ein Mann, sehr groß und schlank, mit
graumeliertem Haar, der schon oft bei Beate Döring gewesen ist,
gestern nachmittag nach oben gegangen und fast unmittelbar
danach wieder heruntergekommen ist. Kurz darauf wurde die
Döring tot am Fuß der Treppe gefunden.
Koch erhebt sich. »Das könnte Jentscher gewesen sein.«
»Sie sagen es«, kommentiert Stender. »Die dreihundert Mark –
vielleicht für ihn…«
»Oder er hat sie einfach mitgehen lassen.«
»Angenommen, daß sie ihm eine Szene gemacht hat und…«
»Genau.«
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»Dumm, der Mann hat Urlaub.«
»Seine Kollegen… Vielleicht wissen die…« Stender, wieder
einmal impulsiv und ungeduldig, blickt auf seine Armbanduhr
und drängt, sofort zum Nahrungsmittelkombinat zu fahren.
Der Nebel hat sich verzogen. Als der Dienstwagen der
Kriminalpolizei an der Spree vorbeifährt, kommt die Sonne
hervor. Der Gebäudekomplex des Kombinats steht bereits im
hellen Sonnenlicht.
Nachdem die Kriminalisten ihren Wagen auf dem Parkplatz
abgestellt haben, begeben sie sich zum Pförtnerhäuschen und
fragen nach Jentschers Kollegen. Der bejahrte Pförtner im
Rollkragenpullover, der gerade in einen Disput mit einem
Kraftfahrer verwickelt ist, ruft irgendwo an und zeigt ihnen dann
den Weg. »Na, dann gehen Sie mal in die Kantine. Die machen
grad Mittag, links ’runter. Der flache Bau.«
Der große, moderne Raum mit den farbigen Mosaikwerken an
den Wänden ist erfüllt von Bratengeruch und Stimmengewirr.
Koch und Stender erkundigen sich nach Jentschers Kollegen.
Ein Mädchen, das einen Teller mit Gulasch und Rohkost vor
sich her balanciert, zeigt auf einen Tisch an der Wand, an dem
drei Männer sitzen, die ihre Steaks verzehren und sich angeregt
unterhalten. Der ältere, ein Mann in den Vierzigern, mit
spärlichem Haarwuchs und einem dünnen Schnurrbart, blinzelt
freundlich, als sich die Kriminalisten setzen, während die beiden
anderen kaum Notiz von ihnen nehmen, so eifrig diskutieren sie
über das Fußballspiel, das am Sonntag vom Fernsehen
ausgestrahlt wurde.
Der Schnurrbärtige, ein ausgesprochen gemütlicher Typ, ist
mit seinem Steak beschäftigt. Kauend bestätigt er Zimmermanns
Ermittlungen, daß Jentscher sich drei Tage Urlaub genommen
hat. »Er wollte verreisen.«
Stender nickt. »Der Mensch muß auch mal ausspannen.«
Doch er denkt: Gerade jetzt? »Wo ist er denn hin?«
»Keine Ahnung. Irgendwohin.« Der Mann beeilt sich, dem
Kollegen das allerbeste Zeugnis auszustellen. »Der ist schon in
Ordnung, weiß genau, was Sache ist, und dabei immer ruhig,
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verliert selten die Geduld. Immer neue Rezepte, neue Versuche,
der ganze Diätkram, Fließband, Datenverarbeitung – all das ist ja
wirklich kein Kinderspiel, aber bei ihm klappt’s reibungslos, ganz
prima… Wirklich.«
»Darf ich mal ganz schlicht und einfach fragen«, stoppt
Stender den Redefluß.
»Bitte, bitte.«
»Seine Frauengeschichten?«
Der Mann zögert, stochert ein paar Sekunden schweigend in
dem Rotkohl auf seinem Teller und weicht dann geschickt aus.
»Gott, na ja, hier kümmert sich niemand drum. Gewiß, er gefällt
den Frauen, soviel ist sicher. Gut auch, daß er einen Schlußstrich
gezogen hat. Für so einen Mann ist es besser, wenn er
unverheiratet bleibt. Jeder Mensch hat das Recht auf ein bißchen
Privatleben. Ich muß sagen, da hat er ganz ri…«
»Sie erlauben, daß ich unterbreche«, schneidet Stender ihm das
Wort ab. »Können Sie uns Namen nennen? Namen von
Frauen?«
Er schüttelt verneinend den Kopf. »Ja, also, ich bin da nicht
so informiert. Viel erzählt der nicht. Er gehört zu den Männern,
die genießen und schweigen, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Wird er nie abgeholt?«
»Ich weiß nicht. Ist mir nicht aufgefallen.«
»Ja oder nein?« Stender gibt sich Mühe, seine Ungeduld zu
meistern.
»Ich möchte sagen: nein.« Unter den prüfenden Blicken der
Kriminalisten fühlt er sich scheinbar so befangen, daß er nicht
weiteressen kann. Er legt Messer und Gabel auf den Teller, greift
in seine Tasche und zieht Zigaretten hervor. »Na ja, ein
Bekannter hat’s mir erzählt. Aber nicht, daß es nachher heißt…«
Er reibt sich verlegen die Nase, weiß offenbar nicht, wie er sich
verhalten soll. »Ich meine… Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber
Ärger kann ich nicht gebrauchen. Jentscher ist ’n prima Kumpel.
Ich will mich nicht mit ihm verkrachen.«
»Keine Sorge. Er erfährt nichts«, beruhigt Koch.
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»Also dann: Patting heißt sie, Inge Patting. Hab’ sie mal
gesehen. Sieht verflucht gut aus.«
»Wissen Sie, wo sie wohnt?«
»Das nicht, aber wo sie arbeitet. Sprechstundenhilfe bei
Doktor Bauers. Hautarzt.«
Gerade wird der letzte Patient ins Sprechzimmer gerufen.
»Moment bitte…«, versucht Stender die Sprechstundenhilfe
zurückzuhalten, aber sie winkt freundlich ab. »Sie müssen
warten.«
Nach etwa zehn Minuten kommt der Patient wieder heraus,
ein Rezept in der Hand und im Gehen den Mantel zuknöpfend.
»Dreimal zehn Tropfen, nicht mehr.« Die Stimme der
Sprechstundenhilfe, deren dunkler Klang den Kriminalisten
vorhin schon auffiel, begleitet ihn zur Tür, während ihre Augen
bereits die Männer von der K auffordern: Der nächste, bitte.
Mit dem Anflug eines Lächelns erhebt sich Koch, gefolgt von
seinem Mitarbeiter, der den Dienstausweis hervorholt. »Frau
Patting?«
Sie nickt und kann den Schreck nicht ganz verbergen. »Mein
Gott«, entfährt es ihr. »Doch nicht wegen Heino?«
»Heino?« Stender steckt seinen Ausweis wieder ein.
Eine Hand auf der Türklinke, in der anderen ein
aufgeschlagenes Schreibheft, das sie jetzt unwillkürlich ans Herz
preßt, macht sie den Eindruck, als ziehe ihr jemand den Boden
unter den Füßen weg. »Der Junge ist manchmal so schwierig. Ich
hab’ Angst, daß er Dummheiten macht. Er hat doch nicht
etwa…? Die Stereoanlage… Ich meine – es geht ihm nicht
schnell genug mit dem Sparen.«
»Nein, nein, darum handelt es sich nicht«, sagt Koch mit dem
ihm eigenen freundlichen Lächeln, das offenbar auch Frau
Patting für ihn einnimmt. Während sie aufatmet, wirft sie ihm
einen dankbaren Blick zu.
»Was denn?«
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Die Frau, selbst in dem schlichten weißen Kittel attraktiv, ist
fast so groß wie Stender, nicht mehr ganz jung, vierzig vielleicht,
wenn das geschickte Make-up auch etwas darüber
hinwegtäuscht. Eine Strähne ihres rötlichen Haares ist nach vorn
gefallen und verleiht dem Gesicht einen besonderen Reiz.
»Wir haben ein paar Fragen«, sagt Stender.
»Wegen Herrn Jentscher«, fügt Koch hinzu.
Ihre tiefe Altstimme wird ein bißchen höher: »Ist was mit
Klaus?«
»Sie sind mit ihm befreundet?« Kochs Verbindlichkeit tut ihr
offensichtlich wohl. Dennoch zögert sie ein paar Atemzüge mit
der Antwort. »Ich weiß zwar nicht, warum Sie sich dafür
interessieren, aber es stimmt, ich bin mit ihm befreundet.«
»Na schön, dann wissen Sie sicher, wo wir ihn finden
können.«
Sie schüttelt den Kopf, hält noch immer die Tür offen, will
etwas sagen, doch in diesem Augenblick ruft eine Stimme aus
dem Arztzimmer: »Frau Patting!« Sie wendet sich rasch um und
geht hinein. Als sie wiederkommt, ist sie völlig ruhig und zeigt
die wohltuende Ausgeglichenheit, die von einer erfahrenen
Krankenschwester ausgeht. »Entschuldigen Sie.« Mit einer
knappen Geste schlägt sie vor, sich zu setzen. »Ja also, es tut mir
wirklich leid, daß ich Ihnen nicht helfen kann.« Möglicherweise
sieht sie die Skepsis in Stenders Gesicht, denn sie versucht zu
erklären. »Wissen Sie, unser Verhältnis… Na ja, Heino ist so
begeistert von Jentscher. Er hängt an dem Mann. Ich glaube, er
würde für ihn durchs Feuer gehen. Obwohl, ich mag ihn auch.
Vielleicht nicht so… Ich meine, ich bin kein Teenager mehr,
betrachte die Dinge sachlicher. Klaus ist ein patenter Kerl, sieht
gut aus und ist wer. Ehrlich gesagt, es belastet mich, daß der
Junge so lange ohne Vater leben mußte, sein eigener kümmert
sich überhaupt nicht um ihn. Ich selbst war auch recht allein.
Kurz und gut, wir wollen heiraten. Zeitweilig wohnt er schon bei
uns.
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Die Verhältnisse bei ihm zu Hause… Jetzt war er allerdings
ein paar Tage nicht da. Er wollte erst wieder am Wochenende
kommen.«
Nun ja, das ist eine Erklärung. Offenbar weiß sie nicht, was
die Kriminalisten wissen. Die beiden Männer schauen einander
an. Koch muß dabei an die anderen Frauen denken, vor allem an
Beate Döring.
»Haben Sie Jentscher durch die Annonce kennengelernt?«
»Annonce? Nein. Wieso? Wann denn?« Ihre Überraschung
wirkt echt.
»So vor acht bis zehn Wochen.«
»Aber da kannten wir uns schon, fast ein halbes Jahr. Das
versteh’ ich nicht. Warum hat er…?« Sie sieht die Kriminalisten
mit dem Ausdruck einer großen Verwirrung an. Koch versucht
abzulenken.
Er erkundigt sich nochmals nach ihrem Sohn.
»Wissen Sie, eine Scheidung ist furchtbar, aber wenn man ein
Kind hat, gibt es um so mehr Probleme. Der Junge ist in einem
Alter… sechzehn… Wie gesagt, es läuft nicht alles so, wie es im
Buche steht. Er hat ’ne Menge gute Eigenschaften, aber… Sie
wissen doch, wie das ist mit der Pubertät.« Sie machte eine
kleine, hilflose Handbewegung. Dann kommt sie noch einmal
auf Jentscher. »Seitdem er ihn kennt, hat sich einiges geändert.
Klaus weiß genau, wie er den Jungen packen kann, das können
andere nicht. Dem gelingt, was mir nie gelingen würde. Zum
Beispiel die Sache mit der Stereoanlage. Heino wünscht sich
brennend eine, müssen Sie wissen. Und Klaus fand das auch
ganz in Ordnung, machte ihm aber klar, daß ich dafür so viel
Geld nicht aufbringen kann, und schlug vor, malern zu gehen.
Wir wollen gern ein paar hundert Mark dazugeben, aber den
Rest muß er selbst verdienen. Klaus vermittelte Heino sogar
einen Job, bei einer Frau Döring. Sie ist, was ich so gehört hab’,
zufrieden.«
Kriminalisten werden oft mit Überraschungen konfrontiert,
aber diesmal wäre dem jungen Stender beinahe ein Ah
entfleucht. Koch denkt, sie hat wirklich keine Ahnung von
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Jentschers Eskapaden. Man müßte sie informieren. Aber er tut
es nicht.
»Versteht der Junge denn was davon?«
»Ja, sicher. Er ist doch Malerlehrling. PGH ›Einheit‹. Zu
Hause hat er auch alles gemacht.« Es ist zu hören, daß sie stolz
auf ihren Sohn ist.
»Letzte Frage: Hat Herr Jentscher Sie schon mal um Geld
angehalten? Vielleicht ein Darlehen zur Erfüllung gewisser
Pflichten?«
»Geld?« Ein Gedanke, der ihr offenbar absurd erscheint und
worüber sie nur den Kopf schütteln kann.
»Der Jentscher muß ja ein besonderer Mann sein, wenn er
Frauen so verschiedener Art an sich binden kann«, sagt Koch
später zu Stender, während er sich nachdenklich auf dem Sitz
zurücklehnt.
Der Kriminalmeister gibt Gas, schert aus und zwängt den
Wartburg an Fahrzeugen vorbei vom Parkplatz zur Straße.
»Hoffentlich weiß er, daß er auf dem Vulkan tanzt.«
»Und jetzt auch noch der Junge.«
»Der ist sicher schnell dahintergekommen, daß Jentscher und
Beate Döring…« Stender steuert durch die Stadt. »Und wenn er
sich sozusagen geschworen hat, der Mann und seine Mutter…«
Er läßt den Verdacht unausgesprochen.
Koch verzichtet, darauf einzugehen. Doch insgesamt läßt ihn
diese Möglichkeit nicht los. Wer weiß schon, was im Kopf eines
Sechzehnjährigen vorgeht.
Im Präsidium wartet Zimmermann mit neuen Informationen. Er
klappert schon mit der Kaffeekanne, als sie Kochs Büro
betreten. Seine Stimme klingt eifrig und ein bißchen gewichtig.
»Nichts von schwesterlicher Liebe. Die beiden haben sich
überhaupt nicht verstanden. Im Gegenteil, die Döring merkte,
daß es ein Fehler war, ihre Schwester in die Wohnung zu holen.
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Es gab oft Streit. Und die Budzislawski nur die Gebende, so
war’s auch nicht. Mehr ein gegenseitiges Geben und Nehmen.
Beide profitierten davon.« Der kleine, quirlige Kriminalmeister,
Vater von fünf Kindern, stellt den Kaffee auf den Schreibtisch.
»Extra stark.«
Koch reibt sich die Hände. »Schenk ein, Genosse, wir sind
durstig. Und laß die Kanne gleich hier stehen.«
Für gewöhnlich gehen sie in den Ratskeller essen, aber heute
ist es ein bißchen spät geworden. Stender kramt Kekse aus der
Schublade. Zimmermann schenkt ein und stellt vor jeden eine
Tasse hin.
»Frau Budzislawski besaß vorher nur ein Zimmer. Hinterhaus.
Feuchte Wände. Klo ’ne Treppe tiefer. Zum erstenmal hat sie
hier eine komplette Wohnung. Und auch sonst soll die Döring
großzügig gewesen sein.«
Koch bricht einen Keks durch, steckt ihn in den Mund und
kaut nachdenklich. »Sie muß sich abgeschoben gefühlt haben,
ausrangiert, aufs Abstellgleis.«
»Mehr noch«, ereifert sich Zimmermann. »Mit ansehen, wie
ihre Schwester das Nest für den neuen Hausherrn putzt.«
»Kann zu Haß führen.« Stender setzt die Tasse ab.
»Ich habe mit der Nachbarin gesprochen«, fährt Zimmermann
fort, »eine redselige Frau. Sie erklärte, am Tag vor dem Unfall,
also vorgestern, hat’s nebenan einen großen Krach gegeben. Sie
sei gerade beim Treppenfegen gewesen und habe so einiges
mitgekriegt. Sie sollen sich böse Dinge gesagt haben. Es ging um
die Wohnung.« Koch betrachtet den halben Keks zwischen
seinen Fingern. »Wenn Beate Döring ihre Schwester
ausquartieren wollte…«
»Sieht fast so aus.« Zimmermann nickt.
»Wie wär’s, wenn wir sie mal fragen?« Schnell und
entschlossen wie immer schiebt Stender seine Ein-Meter-
zweiundachtzig in die Höhe.
»Moment.« Zimmermann ist noch nicht fertig. »Wollen Sie
nicht wissen, was mit Karin Brandt ist?«
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»Haben Sie was erfahren?«
»Na klar – wie immer.«
Stender grinst. »Geben Sie nicht so an.«
»Also sie ist gleich nach sechzehn Uhr, als sie das Werk
verließ, zu einem Kollegen namens Scharzt in den Wagen
gestiegen. Aber der Mann ist heute auf Dienstreise, jedenfalls vor
morgen nicht zu erreichen.«
Koch nickt langsam und verzehrt seinen Keks. Ihm geht
etwas anderes durch den Kopf: Heino Patting. Eine halbe
Stunde ist vergangen, seit er anfing, darüber nachzudenken, und
nicht einen Augenblick hat er den Faden verloren. Plötzlich eine
Vorstellung. Eine Annahme. Vielleicht ist der Junge in Jentscher
so vernarrt, daß… Jungs in dem Alter tun oft merkwürdige
Dinge, um ihrem Idol zu gefallen. Er erinnert sich an Inge
Pattings Worte: Der würde für ihn durchs Feuer gehen. Das
heißt Variante Nummer eins: Jentscher hat ihn hingeschickt, um
nach etwas zu suchen – wonach? Variante Nummer zwei: Der
Junge, wütend und ärgerlich auf Beate Döring, die er als
Störenfried zwischen Jentscher und seiner Mutter betrachtet, ist
von sich aus hingegangen, um… Koch bekommt einen Krümel
in die Kehle und muß husten. Egal, er muß mit dem Jungen
sprechen.
Bei der PGH »Einheit« erfährt Koch, daß alle Kollegen auf der
Baustelle in Marzahn sind. Also fährt er dorthin. Er fragt sich
durch, es klappt über Erwarten gut. Ein grauer Kombi steht vor
dem Block, in dem die Lehrlinge arbeiten. Der Mann, der dabei
ist, Blechbehälter auszuladen, blickt erst auf, als er von Koch mit
»Verzeihen Sie…« angesprochen wird.
»Was gibt’s denn?«
Koch stellt sich vor. »Ich möchte gern Heino Patting
sprechen.«
»Können Sie.« Der Mann deutet zum zweiten Aufgang.
»Hoffentlich hat er nichts ausgefressen!«
»I wo.«
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»Täte mir auch leid. Sie finden ihn da drinnen, gehen Sie ruhig
’rein.«
Im Haus riecht es nach Öl und Farbe. Koch sieht sich um. All
die jungen Leute hier sind eifrig damit beschäftigt, Türen und
Fensterrahmen eine weiße Farbe zu geben. Er findet Heino
Patting allein in einem Raum. Der lange, schlacksige Junge mit
dem dunklen Haar blickt verwirrt auf, als Koch sich zu erkennen
gibt. Aber dann versucht er es auf die schnoddrige Tour. Er
steckt die Hände in die Hosentaschen, um lässig zu wirken und
ein bißchen provozierend und knurrt mit einem Gesicht, das
seine Worte Lügen straft: »Döring, Döring – sagt mir nichts.«
»Klar sagt dir das was.« Die Mundwinkel zu der Andeutung
eines Lächelns verzogen, reicht Koch dem Jungen die Hand,
kollegial, beinahe kumpelhaft, um ihn zu ermuntern. Heino weiß
nicht, was er damit anfangen soll, und betrachtet den Mann von
der K argwöhnisch. Dabei behält er die Hände in den Taschen
seiner Jeans und stößt ein kurzes, unziemliches Wort hervor.
Aber dieses stachelige Benehmen ist, scheint dem Leutnant, nur
eine Tünche, die er möglicherweise immer vorgibt, wenn er nicht
weiß, wie er sich verhalten soll. Aber bei Koch kommt er damit
nicht durch. Ohne sein Lächeln zu verlieren, geht er jetzt aufs
Ganze und sagt ihm frank und frei, daß er, Heino, gestern
nachmittag in der Wohnung dieser Frau Döring gewesen ist.
»Ach, das war richtig blöd«, klingt es leise, aber trotzig. Dann
ändert sich seine Haltung, offenbar sieht er ein, daß er den Mann
von der Kripo nicht abschrecken kann. Seine Hand, fleckig von
Farbe, schiebt sich impulsiv dem Leutnant entgegen. »Ulkige
Tante, die, doofer Typ. Hat sich beinahe überschlagen, wie gut
ich sei, fix und prima die Arbeit und all so’n Schmus.
Dreihundert Mäuse wollte sie ausspucken, weil alles so schön…
O Mann, war das ’n Gesülze.«
»Dafür waren also die dreihundert Mark.«
»Hätte ich vorher gewußt, wofür der ganze Zauber sein soll…
Mensch, ich bin doch nicht bescheuert.«
»Jentscher?«
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Koch sieht, wie dem Jungen das Blut ins Gesicht steigt. »Ich
hab’ erst nichts gewußt. Kriegte das nicht mit. Aber dann… Ich
Idiot ich! Hätte mich selbst… Mann o Mann, so’n Scheiß.«
»Du hast recht, unbestreitbar recht, Heino, so was ist nicht in
Ordnung.«
»Und dann auch noch rausreden. Sagt: ›Ich helfe der Frau
doch nur. Guck mal deine Mutter an, wie die aussieht, und nun
sag selbst…‹« Der Sechzehnjährige scheint empört und
enttäuscht zugleich.
»Du warst doch gestern nachmittag da?«
»Darf ich mir nicht mein Geld abholen, wenn ich’s mir
verdient habe?«
»Natürlich kannst du das.«
»Aber Frau Döring… Also ehrlich – kam es zum Streit?«
»Weshalb fragen Sie nicht die Döring?«
»Sie kann nichts mehr sagen, sie ist tot.«
»Was?« Heinos Gesicht wird kalkig. Er kramt ein Taschentuch
hervor und wischt Stirn und Mund ab. »Um Himmels willen, Sie
denken doch nicht… ›Miese Ratte‹, sagte sie zu mir, ›miese
Ratte‹, und faselte was von einem Notizbuch. Ich hätte sie
aushorchen wollen und all so’n Käse. Dabei fuchtelte sie wie ’ne
Irre mit den Piepen vor meiner Nase, heulte und keifte und
wollte mich rausschmeißen. Mensch, ich glaube, die hatte ein
paar intus, was die alles so gequatscht hat. Dabei ist sie’s
gewesen, die… Ach, Scheiße!«
»Und was geschah dann?«
»Wie soll ich das wissen? Ich bin abgehauen.«
»Mit dem Geld?«
Er nickt. »Hat nicht viel gefehlt, und sie hätte es mir vor die
Füße geknallt, Mann, war die wütend; aber das hat sie dann doch
nicht getan.«
»Wann? Wann war das?«
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Der Junge zuckt die Schultern. »So zwischen vier und fünf,
genau weiß ich das nicht mehr.«
Fast um dieselbe Zeit sitzt Kriminalmeister Stender Frau
Budzislawski gegenüber. Er spürt ihre Abneigung. Sie gibt sich
unzulänglich und streicht eine Ewigkeit ihren schwarzen Rock
glatt. Ihr ist unbehaglich zumute, denkt Stender; bereits bei der
Begrüßung merkte er, daß sie wenig erbaut über seinen Besuch
war. Er mußte seine Fragen mehrmals wiederholen, da sie
offenbar nicht verstanden hat, kein Wunder bei dem Lärm, der
von draußen hereinkommt. Stender wird allmählich ungeduldig.
Endlich macht Frau Budzislawski das Fenster zu. Aber der
Krach der Motoren aus der Autoreparaturwerkstatt dringt
trotzdem ins Zimmer. Sie wendet sich um, scheint irgendwie
kraftlos und setzt sich auf die Couch. »Streit wäre zuviel
gesagt…«
»Wie würden Sie es denn nennen?«
»Jetzt mache ich mir Vorwürfe.« Unsicher sucht sie nach den
richtigen Worten. »Hätte ich nur den Mund gehalten…«
»Das ist eine Erkenntnis, die man immer erst hinterher
gewinnt.«
Ihre Unsicherheit verwandelt sich in Empörung. »Beate wollte
mich nicht mehr bei sich haben. Der fremde Mann war ihr
lieber, stellen Sie sich das vor, lieber als die eigene Schwester. Ich
habe ihr gesagt, du kannst mich nicht einfach fallen lassen wie
’ne heiße Kartoffel. Sie hat mir Undankbarkeit vorgeworfen, und
ebendeshalb…«
Verbittert schließt sie die Augen, scheint ihre Gedanken
konzentrieren zu wollen und versucht sich zu erinnern…
»Es war vor einer Woche. Ich weiß noch, ich war gerade im
Badezimmer und spülte meine Strumpfhosen. Das leichte
Plätschern von Wasser, das Blubbern des Heizkörpers, im
Wohnzimmer ging der Fernseher – Sie müssen wissen, daß ich
solche Feierabendstunden liebe. Da hörte ich die Tür gehen.
Beate kam. Ich wußte nicht, woher, aber ich ahnte, daß etwas
passiert war: Sie befand sich in einem Zustand, in dem sie – wie
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man so sagt – die Mauern Babylons hätte niederreißen können.
Ihr Ton klang nervös, gereizt, dennoch nicht unfreundlich. Und
dann sagte sie es… Kurz und gut, ich sollte mich nach einer
Wohnung umsehen. Im Geiste hatte ich diesen Augenblick
schon oft erlebt, aber nie gedacht, daß es so weh tun könnte.
Dann packte mich die Wut. ›Also du, Anfang Fünfzig, schämst
dich nicht, mit einem Mann ins Bett zu gehen. Das ist
verwerflich und nie im Sinne unserer Mutter und auch nicht
deines Mannes.‹
Zugegeben, es war hart, aber an ihren Worten hatte ich auch
zu schlucken. Ich spürte die Spannung, die zwischen uns lag.
Beate schaltete mit einem energischen Ruck den Fernseher aus.
›Da muß ich ja lachen.‹
Aber ich fand herzlich wenig Belustigendes daran. Heftig –
glauben Sie mir bitte, so bin ich sonst nicht – warf ich ihr vor:
›Ich hab’ dir geholfen. Das darfst du nicht vergessen.‹
›Du bist dabei auch nicht schlecht gefahren, denke ich.‹ Mein
Einwand schien sie zu erregen. ›Wer konnte denn wissen, wie
sich die Dinge entwickeln.‹
›Auf einmal bin ich dir nicht mehr gut genug. Einfach
abservieren, das kannst du mit mir nicht machen, laß dir das
gesagt sein. Mich hat noch niemand rausgeschmissen.‹
›Erna…‹
›O ja, ich weiß, du hast dich revanchiert: schöne Wohnung,
abgelegte Kleider, Geschenke…‹
›Du kannst es mir nicht übelnehmen, daß ich noch einmal neu
anfangen will.‹
›Und ich? Was wird aus mir? Jetzt kann ich auch nicht mehr
allein sein. Jetzt bist du dran, mir zu helfen.‹ Ich wehrte mich,
war einfach unglücklich. Ich hoffte auf Beates Einsehen, auf eine
Wandlung, und alles hätte gut werden können.
Aber meine Vorwürfe erreichten sie wohl nicht. Ich fühlte
mich mies, und mir wurde übel bei dem Gedanken, meine
Koffer packen und wieder allein sein zu müssen. Irgendwo in
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einem Zimmerchen einsam am Tisch sitzen und die Tapete
knistern hören.
Beate blieb verständnislos, nannte es altjüngferliches Gehabe,
das sie kaum noch ertragen könne. Sie verlangte von mir, ihr
Verhalten zu akzeptieren und zu begreifen, daß sie alles auf- und
hingeben würde, um sich die Liebe des Mannes zu erhalten.
Denn seit sie Jentscher liebe, wisse sie, daß sie nur in einer
Partnerschaft Erfüllung finden könne. Doch was ich auch
anführte und wie ich mich dagegen wehrte, Beate war zu
keinerlei Kompromissen bereit, und ich begriff allmählich, daß
das der Anfang vom Ende unserer guten Beziehungen war. Ich
suchte zwar noch nach Argumenten, klammerte mich an die
Wohnraumproblematik, aber es war alles sinnlos.«
Frau Budzislawski löst ihre gefalteten Hände und legt sie
unmerklich zitternd auf den Schoß. »Ich bin überzeugt davon,
daß Jentscher Beate animierte, mich rauszuwerfen. Ein wenig
trifft mich auch Schuld daran, ich bin ihr gegenüber immer zu
schwach gewesen. Habe ihr nie etwas abschlagen können,
konnte mich nie richtig durchsetzen. Sie war eben meine einzige
Schwester. Unser Vater… Sie war noch so klein, als er starb,
wissen Sie. – Ihretwegen habe ich mal eine gute Partie abgelehnt,
ich wollte sie nicht allein lassen. Aber dann… Na ja, das ist lange
her.«
»Möglicherweise befand sich Ihre Schwester in einem
Dilemma. Von dieser Seite müssen Sie’s auch mal sehen.«
»Ich weiß nicht, was da vorging. Sie hat mit mir darüber ja
nicht gesprochen. Aber ich spürte doch, daß Beate nicht
glücklich war. Sie nahm ab, hatte keinen Appetit. Und dann die
Magenschmerzen! Aufregung schlug ihr immer auf den Magen.
Vor drei Tagen hörte ich sie nachts weinen. Ich wollte wissen,
was los war. Sie gab keine Antwort, tat, als ob sie schlief.«
Erna Budzislawski schluchzt und schaut an Stender vorbei.
Um ihr Zeit zu geben, sich zu fassen, geht er ans Fenster und
zündet sich eine Zigarette an.
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Die Stimme hinter ihm sagt: »Jetzt kann ich mir ungefähr
denken… Der Brief heute…« Sie holt einen zusammengefalteten
Zettel vom Schrank.
»Bitte.«
Stender schlägt ihn auf und liest die wenigen Zeilen, die Beate
Döring schonungslos mitteilen, daß Klaus Jentscher sich für eine
andere entschieden hat. Darunter die Unterschrift: Karin Brandt.
»Sie ist gestern nachmittag hier gewesen.« Frau Budzislawski
sagt das sehr bestimmt.
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Weil in der Küche Kekse, Kaffee und eine Büchse Fleisch
liegen, genau die Dinge, die bei Krankenbesuchen mitgebracht
werden. Es gibt da solche Fonds, wissen Sie, vom FDGB.«
Stender, hellhörig für die versteckte Anspielung, gibt zu
bedenken, daß eine andere Kollegin… Sie schüttelt den Kopf.
»Im Aschenbecher lag eine halbgerauchte Zigarette. Karin
Brandt ist meines Wissens die einzige, die raucht.« Ehe Stender
antworten kann, fügt sie hinzu. »Da fällt mir übrigens noch
etwas ein, die Sache mit dem Schlüssel.«
»Schlüssel?«
»Der Wohnungsschlüssel. Er hing am Brett. Sonderbar, denn
Beate hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, beim Verlassen der
Wohnung den Schlüssel stets mitzunehmen, auch dann, wenn sie
einen Besuch nur hinausgeleitete. Ihr war die Tür schon
mehrmals zugeschlagen, und sie mußte die Nachbarn bemühen,
diese wieder zu öffnen. Ich verstehe deshalb nicht…«
»Jedenfalls ist anzunehmen – und das wollen Sie ja wohl damit
sagen –, daß Ihre Schwester davon abgehalten wurde, den
Schlüssel an sich zu nehmen«, unterbricht sie Stender.
Donnerstag. Zwei Tage nach dem Tod der Beate Döring. Klaus
Jentscher ist noch immer mit unbekanntem Ziel verreist. Sein
Vorgesetzter im Nahrungsmittelkombinat und Frau Jentscher
werden gebeten, sofort zu melden, wenn er auftaucht. Der ewig
ungeduldige Stender schlägt in der Dienstbesprechung vor,
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Fahndung einzuleiten. Aber Koch schüttelt den Kopf. »Haben
Sie schon mal daran gedacht, daß er unschuldig sein könnte?«
»Deshalb wird er mir nicht sympathischer«, brummt der junge
Kriminalmeister.
Am selben Tag, nach fünf, kommt Frau Budzislawski ins
Präsidium. Stender weiß es schon, als Koch ihn rufen läßt.
»Schauen Sie da.« Koch deutet auf ein grünes Notizbuch, das
auf dem Schreibtisch liegt.
Stender begreift sofort. »Hat sie ihm das Ding also doch
weggenommen. Vermutlich ist es das, was in der Wohnung
gesucht wurde. – Und damit kommen Sie erst jetzt?«
Vorwurfsvoll und ein wenig ungehalten blickt er auf Frau
Budzislawski, die aufgeregt auf dem Besucherstuhl sitzt.
Koch lenkt ein, freundlich, geduldig und immer mit
Verständnis für Probleme anderer. »Sie hat’s erst jetzt gefunden.«
»Im Keller. In dem Karton, in dem Beate die Sachen ihres
Mannes aufbewahrte: Brille, Armbanduhr, Portemonnaie und so
weiter – im Umschlag mit seinen Auszeichnungen«, fügt Frau
Budzislawski erregt hinzu. »Sie wollte es vor mir verstecken, ist
mir vollkommen klar. Ich wär’ auch gar nicht draufgekommen,
wenn ich nicht ihre Geburtsurkunde gesucht hätte.«
Stender nimmt das Büchlein in die Hand und blättert darin.
Namen und Adressen von Frauen springen ihm ins Auge.
»Sehen Sie selbst, was hab’ ich gesagt! Ich wußte doch gleich,
daß mit dem etwas nicht stimmt.« Frau Budzislawski macht
ihrem Herzen in beinahe triumphierenden Sätzen Luft. »Der
Mann ist ein Heiratsschwindler. Er hat sie auf dem Gewissen.
Wer weiß, wie viele der schon ins Unglück gestürzt hat. So etwas
gehört eingesperrt. Jetzt kann ich auch verstehen, warum Beate
so gereizt war – und neulich erst, am Telefon, sie war schrecklich
wütend. Ich kam grad nach Hause. Als sie mich hörte, legte sie
auf, aber ›Café Krone‹ habe ich doch noch verstanden. Da
wollten sie sich wohl treffen.«
Koch sieht sie aufmerksam an. »Wann war das?«
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»Das müßte, warten Sie mal – ich war beim Schuhmacher. Am
Montag.«
»Einen Tag vor dem Unfall?«
»Ja.«
Nachdem Frau Budzislawski gegangen ist, meint Stender: »Ich
möchte hundert zu eins wetten, daß sich Beate Döring rächen
wollte.«
»Ist das nicht verständlich?« erwidert Koch. »Alles, was sie
sich erträumt hatte, war dahin; alle Hoffnungen, Pläne, die
Arbeit mit der Wohnung, die Vorbereitungen, das war doch nur
für Jentscher gedacht. Außerdem hatte sie Geld verloren und
sich mit ihrer Schwester überwerfen. Nach allem, was wir eben
gehört haben, war ihr nicht nach Resignation zumute, eher nach
Aufbegehren. Sicher sagte sie sich: Wenn ich ihn nicht
bekomme, kriegt ihn eine andere auch nicht.«
Stender nickt und hofft, daß ihnen damit der Schlüssel zur
Aufklärung des Falles gegeben ist – ein ganz einfacher Schlüssel.
»Im Café gelang es ihr, sich das Notizbuch anzueignen. Am
nächsten Tag ging er in ihre Wohnung, um es ihr wieder
abzujagen, baute dabei auf seinen Charme, und als der nicht
verfing… Kein Wunder, daß er jetzt Manschetten hat.«
»Die naheliegendste Erklärung, ja.« Koch lächelt, wenn auch
etwas skeptisch. »Heino Patting war auch am
Dienstagnachmittag in der Wohnung. Und Erna Budzislawski?
Kein Alibi. Ja, und die Brandt? Sobald Genosse Zimmermann
diesen Scharzt gesprochen hat… Der Möglichkeit sind mehrere.«
Aber dem jungen, tatendurstigen Kriminalmeister dauert das
alles zu lange. Wieder regt er eine Fahndung nach Jentscher an.
Und wieder schüttelt der erfahrene Leutnant den Kopf. »Morgen
ist Jentschers Urlaub zu Ende. Warten wir ab, ob er seinen
Dienst antritt.«
Am anderen Morgen, gegen acht, klingelt das Telefon in Kochs
Büro. Eine Nachricht vom Nahrungsmittelkombinat: Jentscher
ist pünktlich zum Dienst erschienen.
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Klaus Jentscher, ein Mann wie ein Kleiderschrank, mindestens
eins achtzig groß, bewegt sich mit der Leichtigkeit eines
Sportlers zwischen Kisten, Kartons und Verpackungsmaterial
aus Zelluloid- und Zellophanpapier. Er gehört zu den
Ewigjugendlichen, finden die Kriminalisten, die ihn hier in dem
kleinen Raum neben der Versandabteilung aufstöbern. Der
Besuch scheint ihn nicht aufzuregen. »Das mußte ja kommen, so
hysterisch wie die war.«
Koch versucht zu lächeln, aber es wird nichts Rechtes draus.
Im übrigen sieht der Mann wirklich gut aus. Aber auf Koch,
Menschenkenner und scharfer Beobachter, wirkt er etwas
gekünstelt und theatralisch.
Auch Stender ist wenig beeindruckt, und wie gesagt, Geduld
ist nicht seine Stärke. »Wie hat sie Ihnen denn das Notizbuch
weggenommen?«
»Das war ganz schön raffiniert!« Ohne Verlegenheit, eher
mißmutig stößt Jentscher eine Kiste beiseite. »Sagt, sie hat ’ne
neue Telefonnummer, besteht darauf, daß ich’s mir notiere, und
schwupp, reißt sie mir das Buch unter den Händen weg.« Er gibt
ein empörtes, unverständliches Wort von sich, das er schnell in
Husten umwandelt, als er merkt, daß es fehl am Platz ist. »Ich
spiele ja gern mit, aber es gibt gewisse Grenzen.«
»Als Spiel kann ich den Fall nicht betrachten.« Obwohl Koch
jede Voreingenommenheit gegen Jentscher vermeiden möchte,
klingt seine Stimme schärfer als beabsichtigt.
»Bezichtigte mich der Heiratsschwindelei, sagte: ›Gib die
Frauen auf, oder ich geh’ zur Polizei.‹ Erpressung, glatte
Erpressung. Na, ich bitte Sie, was soll ich denn mit so einer?«
Jentscher läßt die Worte mit gespielter Entrüstung über seine
Lippen rollen. »Drei Tage Bedenkzeit hat sie mir gegeben:
entweder – oder… Ich bin erst mal nach Lübbenau gefahren,
um mich zu erholen. Hab’ Bekannte da.«
»Hat sie nicht noch etwas anderes gesagt?« will Stender
wissen. »Zum Beispiel: Du hast alle angepumpt, mein Lieber?«
»Oder haben Sie’s nicht getan?« fügt Koch hinzu.
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Diese Frage hat Jentscher wohl nicht erwartet. Nervös
beginnen seine Hände mit einem Bindfadenknäuel zu spielen.
»Was, zum Teufel, soll das? Ich hab’ nur geholfen, Geschäfte für
sie abgewickelt – mehr nicht. Das Geld wird einem ja quasi
aufgedrängt. Denken vielleicht…« Er bricht ab, ärgert sich
scheinbar über die Frauen. Seine Augen spiegeln einen
Schimmer Verdruß, aber auch Stolz und ein wenig
Überheblichkeit.
Koch möchte hinzufügen: Die Sache mit den Geldanleihen,
für uns sind das betrügerische Handlungen. Aber er hält sich
zurück, denn er weiß, daß der Mann sich nicht strafbar gemacht
hat, solange die Frauen keine Klage erheben. Jentscher braust
auch schon auf. »Ach, seien Sie doch still. Es ist meine Sache,
mit wem ich ins Bett gehe.« Er beruft sich auf seine
Unbescholtenheit, seine verantwortungsvolle Stellung und das
Recht, sein Freizeitleben nach eigenem Belieben zu gestalten.
Und das ginge der Polizei – bitte sehr – herzlich wenig an.
»Überhaupt – ich hab’ mich noch nicht entschieden, bin noch
auf der Suche. Wenn ich mich doch wieder einmal binden sollte,
will ich mich abgesichert haben.« Er wirkt nahezu ehrlich. Aus
seiner Sicht ist es offenbar ganz natürlich.
Koch lächelt ein bißchen. »War Beate Döring tatsächlich die
Favoritin?«
»War sie, ja. Aber dann kam Karin.«
Er scheint keine Ahnung zu haben, was Karin Brandt
veranlaßte, seine Bekanntschaft zu suchen, geht es Koch durch
den Kopf. »Aber Sie haben Beate Döring die Heirat
versprochen.«
»Ja, was tut man nicht alles, um aus der Wohnung der
Geschiedenen zu kommen. Oder glauben Sie, daß es schön ist,
noch immer Seite an Seite…« Er macht eine resignierende
Geste.
Koch aber denkt: O Gott, wenn ich nicht wüßte, was das für
ein hundsgemeiner Kerl ist… Hoffentlich passiert das meiner
Tochter nicht. – Er schüttelt seine Abneigung ab. »Also,
kommen wir zum Tag des Unfalls.«
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»Da war ich unterwegs. Wegen ’ner Wohnung«, erwidert
Jentscher kühl.
»Wann?«
»Nachmittags.«
»Können Sie’s nicht genauer sagen?«
»Nach Feierabend. Nach fünf.«
»Die Adresse?«
»War niemand da.«
»Ah!«
Stender bekämpft seine Ungeduld. »Waren Sie nicht auch in
der Waldstraße?«
Jentscher wird einen Schein blasser, fängt sich aber schnell.
»Sie wollen mir doch nicht unterstellen, daß ich…«
»Waren Sie da?« bohrt Stender weiter.
»Warum sollte ich?«
»Möchten Sie, daß wir Sie der Zeugin gegenüberstellen, die Sie
dort gesehen hat? Zur kritischen Zeit.«
Jentscher zuckt zusammen, als habe ihm jemand einen Schlag
versetzt.
»Also?«
Schweigen.
»Dann werden wir Ihnen mal auf die Sprünge helfen«,
beschließt Stender und wendet sich zur Tür.
»Moment, ich überleg’ ja schon.« Jentscher drückt die Hand an
die Stirn, und nachdem er sich vom Schreck erholt hat, beeilt er
sich, den Besuch bei Beate Döring zuzugeben. »Ich wollte noch
mal mit ihr reden. Aber sie war ja tot. Die Tür stand offen. Und
da dachte ich… Schließlich ist es mein Notizbuch.«
»Ach so, wenn sie noch gelebt hätte…?« Stender macht sich
eine Notiz.
»Aber ich sagte Ihnen doch, als ich kam, war sie tot. Ich bin
überzeugt davon, daß sie nicht mehr lebte.«
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»Es ist Ihnen hoffentlich klar, daß Sie sofort Arzt und Polizei
hätten verständigen müssen.«
Jentscher schluckt ein paarmal. »Bitte, glauben Sie mir doch,
sie war tot. Ich habe im Krieg genug Tote gesehen. Ich weiß,
wenn jemand tot ist.«
»Trotzdem wäre es Ihre Pflicht gewesen…« Kochs Ton zeigt
harte Kritik.
»Wollte ich, wollte ich ja«, versichert Jentscher hastig. Er hat
Mühe, zu seiner anfangs gezeigten Unbefangenheit
zurückzufinden. »Aber in meiner Situation! Bedenken Sie
doch…«
»Die Sache wird noch ein Nachspiel haben, Herr Jentscher.«
»Aber wer kann mir denn übelnehmen, daß ich erst mal mein
Notizbuch… Ich meine, das hätte jeder andere ebenfalls getan.
Sie auch.«
Kochs winziges Lächeln erstarrt. »Das mag Ihr Stil sein,
meiner nicht.«
»Aber dann haben Sie’s doch nicht gemeldet«, wirft Stender
ungeduldig ein. »Warum nicht?«
»Weil, weil… Herrgott noch mal, weil ich das Ding nicht
finden konnte! Sie können’s glauben oder nicht, ich hatte
plötzlich das Gefühl, nichts wie weg hier. Halte dich da ’raus,
sonst denken die noch, du hast…«
Als Uhrzeit gibt er etwa 17.20 Uhr an. Es mag dahingestellt
bleiben, inwieweit das stimmt; die Kriminalisten können ihm
nichts Gegenteiliges beweisen. Koch fragt dann noch nach den
300 Mark. Die will er nicht gesehen haben. Also, folgert der
Leutnant, ist Heino Patting vor ihm dagewesen. Das deckt sich
auch mit der Aussage des Jungen. Als Koch auf ihn zu sprechen
kommt, wird Jentscher noch mißmutiger. »Auch so ’ne Sache.
Erst will er uns partout zusammen haben, die Inge und mich,
und dann tut er sich schwer. Fühlt sich plötzlich unverstanden,
ausgestoßen, spielt verrückt, platzt einfach ins Schlafzimmer
’rein und bombardiert uns mit Gegenständen und Ausdrücken –
ersparen Sie mir Einzelheiten. Und seine Mutter!. Du lieber
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Gott! Daß mir nur niemand dem Söhnchen was tut. Da kann
man wirklich genug kriegen. Jetzt wundert sie sich, daß ich mich
nicht mehr sehen lasse. Der Junge hat’s wohl auch kapiert,
schaltet um, so schnell kann man gar nicht denken, will, ich soll
zurückkommen. Das ist ja direkt eine fixe Idee bei dem
geworden. Was der schon alles versucht hat…«
Kurz vor Mittag erscheint Zimmermann in Kochs Büro: »Etwas
Neues, für euch, Kollegen. Ich habe soeben mit diesem Scharzt
aus dem Stahl- und Walzwerk gesprochen. Es stimmt, er hat
Frau Brandt mit seinem Wagen mitgenommen. Gleich nach vier.
Ecke Waldstraße, bei der Autoreparaturwerkstatt, wollte sie
’raus.«
»Na also.« Koch steht auf und gibt Stender ein Zeichen, ihm
zu folgen.
Dann ist es soweit. Karin Brandt muß Farbe bekennen. Kochs
Lächeln ist nicht mehr so freundlich, und Stender sagt ihr
unverblümt: »Zurückgehaltene Informationen, das kann ziemlich
ins Auge gehen.«
Die junge Frau, arg betroffen, versteht die Warnung und
versucht gar nicht zu leugnen; sie erzählt – wie sie beteuert –
diesmal alles, was an jenem Spätnachmittag in Beate Dörings
Wohnung geschehen ist, wobei die Erinnerung an die
Peinlichkeit der Situation ihr die Röte ins Gesicht treibt. »Sie war
in einer miesen Verfassung, als sie mir die Tür öffnete. ›Was, du
traust dich her‹, schleuderte sie mir sofort entgegen. ›Schnell mal
reinkommen und die Dinge vom Tisch fegen. Du machst es dir
verdammt einfach, du…‹ Sie wußte also schon Bescheid. Klaus
Jentscher mußte es ihr gesagt haben. Ich bereute, daß ich
gekommen war. Denn sie sah aus, als wollte sie jeden
Augenblick explodieren.
›Also gut, wenn du meinst, machen wir uns Luft‹, schrie sie
mich an. ›Kommt ein Mann daher, der dir gefällt, den du haben
willst, und schon zählt nichts anderes mehr für dich, Freunde,
Anstand, Fairneß. Du rennst ihm nach, verdrehst ihm den Kopf,
mein Gott, bist du ’ne Kollegin!‹«
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Karin Brandt machte eine Pause. Es fällt ihr offenbar schwer,
weiterzusprechen. Aber sie reißt sich zusammen. »Ihr Zorn
steigerte sich bei jedem Wort. Dazu der scheußliche Krach von
nebenan. Diese Autoreparaturwerkstatt! Sie hielt sich die Ohren
zu, klagte über Kopfschmerzen, nahm Tabletten, dabei zitterte
sie vor Aufregung und war mühsam bestrebt, sich aufrecht zu
halten. Ich glaube, sie hatte einige Kognaks getrunken. Sie sagte:
›Wenn du dich nicht zwischen uns gedrängt hättest, wäre alles in
Ordnung gewesen. Aber ich schwöre dir, am Ende wird er doch
mich heiraten. Mich. Du wirst ihn nicht bekommen und eine
andere auch nicht. Überhaupt, eine Unverschämtheit, mir
heimlich nachzuspionieren und sich dann an ihn ranzumachen.
Feine Methode, sich einen Mann zu angeln.‹ Dann wurde sie
auch noch zynisch: ›Du hast es wohl nicht ertragen können, daß
ich und nicht du…‹
›Das ist nicht wahr‹, schrie ich sie an. ›Wir haben es für dich
getan, nur für dich. Wir wollten wissen, was das für einer ist.
Frag doch Hanni.‹
Kaum ausgesprochen, hätte ich mir die Zunge abbeißen
mögen. Es war mir einfach rausgerutscht. Ich wollte mich
verteidigen. Sie sollte nicht denken, daß ich… Mein Gott, dachte
ich, jetzt wird sie damit zu Jentscher laufen. Sie fuhr auch gleich
hoch.
›Hanni? Hat sie dir etwa erzählt… Das ist der Gipfel! Man
denkt, man kann sich auf ’ne Kollegin verlassen, und jetzt geht
das durch den ganzen Betrieb. Du Spitzel, du… Verschwinde!
’raus!‹«
Wieder machte Karin Brandt eine Pause. Sie schließt die
Augen. Ihr Atem geht hastig. Nach ein paar Minuten fährt sie
fort. »Ich konnte es einfach nicht fassen, wie sie sich verändert
hatte. Dann sprach sie, beinahe triumphierend, von einem
Notizbuch, das angeblich Klaus gehörte. Würdest du einen
Mann heiraten, der kriminell ist?’ warf sie mir an den Kopf. Ich
erschrak, begriff das alles nicht, verstand eigentlich nur, daß
Beate das Leben eines anderen zerstören wollte. ›Und mein
Leben?‹ schrie sie außer sich. So hatte ich sie noch nie gesehen,
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das Gesicht ganz blaß und in kalter Wut verzerrt. Sie sah mich
einen Augenblick stumm an.
Ich fühlte, was sie alles noch sagen wollte, alles, was Jentscher
für sie war. Doch ich hatte genug, rannte zur Tür, hörte sie noch
rufen, aber ich war wütend und kümmerte mich nicht darum.
Nur fort, dachte ich, nur fort, und lief, ohne mich umzusehen,
die Treppe ’runter. Ich war einfach fertig.«
»Wie spät war es, als sie das Haus verließen«, unterbricht sie
Koch.
»Ich weiß nicht. Ich kann mich wirklich nicht erinnern.«
»Ungefähr?«
»Nein. Ich hab’ doch in dieser Situation nicht auf die Uhr
geguckt.«
Stender klappt mißbilligend sein Notizbuch zu. Jede Fiber
seines Körpers ist voll Ungeduld. »Ich wundere mich, daß Sie
uns das nicht sofort mitgeteilt haben.«
Karin Brandt sitzt zusammengekauert da. »Ich fühlte mich so
elend, daß ich… Ich konnte nicht mehr… Ich… Was glauben
Sie, was ich durchgemacht habe, als ich hörte, daß Beate…«
Koch sagte nichts von dem, was er gern sagen möchte. Seine
Gedanken kreisen um einen bestimmten Punkt. Karin Brandt
hat sich durch die provozierenden Worte der Beate Döring
hinreißen lassen, etwas zu sagen, was bis zu dem Zeitpunkt nur
ihr und Hanni Lübken bekannt war und wovon Jentscher
niemals erfahren sollte. Hanni Lübken, so lautet ihre Aussage,
will sich nie wieder in fremde Probleme einmischen. Kaum
anzunehmen, daß sie den Mann informieren wird. Beate Döring
hingegen wäre – wie Karin Brandt selbst erkannte – mit dieser
Mitteilung todsicher zu Jentscher gegangen. Karin Brandt mußte
also damit rechnen, daß er davon erfahren würde. Um das zu
verhindern… Der Verdacht liegt nahe, doch Koch läßt ihn nicht
laut werden. Die Motive der anderen Verdächtigen sind ebenso
stark. Wer ist schuldig am Tode der Beate Döring? Karin Brandt,
Klaus Jentscher, Heino Patting oder Erna Budzislawski? Alle
waren am Dienstagnachmittag in der Wohnung. Wer zuletzt?
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Die Sonne ist längst untergegangen und der Himmel bekritzelt,
als hätte ein Kind darauf gemalt: In Kochs Büro brennt Licht.
Die Uhr an der Wand zeigt Viertel vor sechs. Koch und Stender
rekonstruieren den Fall; Möglichkeiten werden in Betracht
gezogen und Vermutungen aufgegriffen. Stender zündet sich die
letzte Zigarette an. »Sie haben ihr alle nichts Gutes gewünscht.
Der Wunsch und die Tat sind nahe Verwandte.«
Koch lächelte müde, doch es läßt sich nicht einfach
weglächeln, daß die Sache festgefahren ist. »Bleibt noch eins:
Lokaltermin.«
Stender stimmt lebhaft zu. »Jedenfalls ist es einen Versuch
wert.«
Koch nickt. Er weiß nicht, ob sich seine Hoffnung erfüllt,
aber er hat wenigstens das beruhigende Gefühl, etwas zu
unternehmen.
Sonnabend. 10 Uhr. Als Karin Brandt in die Waldstraße einbiegt,
stehen die Kriminalisten und Frau Budzislawski bereits an der
Stelle, wo Beate Döring gelegen hat. Heino Patting und Klaus
Jentscher kommen, eine Treppe Abstand zwischen sich, herauf.
In diesem Augenblick fällt Karin Brandt etwas ein: Bananen. Sie
bleibt stehen und blickt auf das Gemüsegeschäft vis-à-vis. Da
gab’s doch… am Dienstagnachmittag… Die Uhrzeit, fahrt es ihr
durch den Kopf. Da müßte man doch die genaue Uhrzeit… Sie
führt den Gedanken nicht zu Ende, stürmt los, ins Haus, die
Treppen hoch. »Herr Leutnant, eben ist es mir wieder
eingefallen! Da drüben gab’s Bananen. Als ich wegging, wurden
sie gerade abgeladen. Ich wollte noch welche kaufen, für meine
Mutter, aber es war so voll, und ich…«
Die anderen schauen sie verwundert an, verstehen nicht, doch
Koch nickt und wirft Stender einen raschen Blick zu; der nimmt
bereits die ersten Stufen nach unten. Im übrigen geht alles sehr
schnell. Die Verkaufsstellenleiterin kann sich an die Lieferzeit
der Bananen erinnern; der Fahrer hat seine Uhr mit der ihren
verglichen: 16.38 Uhr. Um 16.43 Uhr ist Beate Dörings
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Armbanduhr stehengeblieben. Eine Differenz von fünf Minuten.
Das Abladen dauerte etwa zehn Minuten. Wenn Frau Brandt das
Haus um 16.43 Uhr verlassen hat… Koch wendet sich an Karin
Brandt. »Sie waren der letzte Besucher.«
Sie wollte sich entlasten und hat das Gegenteil erreicht.
Naivität oder was sonst? fragen sich die Kriminalisten. So dumm
kann kaum einer sein, daß er…
Bestürzung und Entsetzen auf seiten der anderen. Alle Blicke
sind auf Karin Brandt gerichtet. Die errötet, dann wird sie blaß,
ist nun ganz und gar betroffen und verwirrt. Heino Patting und
Erna Budzislawski rücken unbewußt von ihr ab. In Jentschers
Augen sieht man ungläubiges Staunen.
»Blödsinn«, protestiert er. Dazu das unerträgliche Getöse der
Motoren aus der Autoreparaturwerkstatt. Ein Geräusch, das
geradezu körperlichen Schmerz verursacht und die
Verständigung erschwert.
»Es ist völlig klar, nicht wahr, Frau Brandt«, drängt Stender.
»Kleines Handgemenge – und dabei haben Sie sie die Treppe
runtergestoßen.«
In Karin Brandts Gesicht arbeitet es. Sie öffnet den obersten
Knopf ihrer Jacke, offenbar wird ihr heiß, und erst nach endlos
scheinendem Zögern stammelt sie: »Nein.« In dem Bemühen,
sich zu verteidigen, beginnt sie zu stottern: »Aber ich, ich…
Wieso denn…? Das – das ist nicht… Ich habe alles erklärt. Was
ich sagte, ist die Wahrheit. Als ich ging, war sie in der Wohnung.
Möglich, daß sie mir folgen wollte, aber…«
Stender unterbricht: »Woraus schließen Sie das?«
»Na, so’n Gefühl. Hastige Schritte, etwas fiel hin…«
»Was?«
»Das weiß ich nicht. Ich hab’ mich nicht mehr umgesehen. Ich
rannte weg. Wirklich. Glauben Sie mir doch.«
»Schön, es hat also kein Handgemenge gegeben«, lenkt Koch
ein. »Nehmen wir an, Beate Döring wollte Frau Brandt
zurückhalten, überspringen wir einfach, warum. Sie lief ihr nach,
war erregt und, wie wir wissen, nicht ganz nüchtern, dazu die
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Wirkung der Tabletten. Stolpern oder Ausrutscher? Es kann
sein, daß es ein Unfall war, aber…
«
»Mit Todesfolge«, wirft Stender dazwischen.
»…aber«, fährt Koch fort, »warum sind Sie ihr nicht zu Hilfe
gekommen, Frau Brandt? Das Poltern müssen Sie doch gehört
haben.«
»Unterlassene Hilfeleistung nennen wir das«, fügt Stender
hinzu.
»Nein…«, wehrt sich Karin Brandt. »Ich kann nur sagen, daß
ich nichts gehört habe.« Noch immer sitzt ihr der Schreck in den
Gliedern.
Plötzlich schweigen die Motoren in der
Autoreparaturwerkstatt. Prompt darauf ein langgezogener
Heulton; irgendwo in einer Wohnung unter ihnen jault ein
Hund. Unwillkürlich heben alle den Kopf und lauschen. Dann
setzt das Dröhnen von nebenan wieder ein. Das Hundeheulen
versinkt darin und ist nicht mehr zu hören.
Das bringt Koch auf einen Gedanken. »Der Lärm«, sagt er,
»der Motorenlärm.«
Stender hat schnell begriffen. »Der Lärm übertönte das
Geräusch des Sturzes.«
»So könnte es gewesen sein.« Koch nickte, obschon ihm nicht
ganz wohl dabei ist. »Möglicherweise ist niemand schuld. Kein
Verbrechen. Unfall.«
Großes Aufatmen. Langsam weicht das beklemmende Gefühl,
das diese Konfrontation mit dem Ereignisort bei allen ausgelöst
hat. Sie empfinden Erleichterung. In Karin Brandts Gesicht
kehrt die Farbe zurück. Jentscher, wieder forsch wie eh und je,
blickt bereits auf seine Armbanduhr, während Heino Patting sich
schon der Treppe nähert. Nur Frau Budzislawski gibt sich nicht
zufrieden. »Das glaube ich nicht. Denken Sie doch an den
Schlüssel. Der hing am Brett. Beate hatte die feste
Angewohnheit…«
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»Ach, nun fangen Sie nicht wieder von vorne an«, versucht
Jentscher, etwas ärgerlich, die Sache zu beenden. »Sie haben
doch gehört, was der Leutnant gesagt hat.«
»Trotzdem«, beharrt sie. »Beate wäre nie ohne Schlüssel
rausgegangen.«
»Ach was, wenn man aufgeregt ist.« Jentscher nimmt Karins
Hand. »Komm.«
»Auch dann nicht«, gibt Erna Budzislawski heftig zurück.
»Also, da hört sich doch alles auf. Jetzt will sie Karin noch…«
Jentscher wird hitzig. »Sie müssen doch am besten wissen, wie
hysterisch Ihre Schwester sein konnte. Und dann noch die
Tatsache, daß die Lübken jetzt im ganzen Betrieb erzählen wird,
wie mies die Karin ist, daß sie sich nicht an ihre Rolle gehalten
hat. Private Dinge werden durchgehechelt. Das reicht Ihnen
wohl nicht, wie?« Er stockt.
Karin Brandts Augen werden dunkel vor Schreck. »Du weißt
es also…?« Jentscher schweigt. Angst packt ihn. »Das habe ich
Beate doch erst…« Karin Brandt löste ihre Hand aus der seinen,
starrt ihn an und begreift.
»Es scheint so, als ob Sie uns neulich nicht die Wahrheit
gesagt haben, Herr Jentscher.« Koch spricht aus, was alle
denken. »Sie haben mit Beate Döring gesprochen, nach Frau
Brandt. Woher wollen Sie sonst wissen, daß Hanni Lübken Frau
Brandt beauftragt hat, Ihre Bekanntschaft zu machen?«
Jentscher steht einen Augenblick reglos, fieberhaft einen Ausweg
suchend, dann werden seine Glieder schlaff. Er kapituliert. »Ich
sah Karin ins Haus gehen und wartete oben, eine Etage höher,
bis sie ging. Der Gedanke, daß Beate ihr von dem Notizbuch
gesagt haben könnte, brachte mich in Wut. Als sich Beate
weigerte, es herauszugeben, fing ich an zu suchen. Sie wehrte ab,
schlug zu. Ich auch. Dann rannte sie ’raus, um Hilfe zu holen.
Ich hinterher, wollte sie zurückhalten. Ich weiß nicht wie, auf
einmal war’s passiert…«