2
Frank Callahan
Cochises lange Jagd
Apache Cochise
Band Nr. 20
Version 1.0
3
Prolog
Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder.
Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder
früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen.
Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von
Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen
erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete
Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch
veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine
erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht
begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten
Rasse führten.
Man kann sagen, die damaligen Weißen und Mexikaner
waren alles andere als weitblickend, eher nur von einer
hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines Panthers
glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der Indianer
eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für einen
Apachen-Skalp.
Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer
mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur
und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder
bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des
Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«?
Mitnichten. Zum Teil gab es vorausschauende und
mitfühlende Männer in der Army, die aber wegen ihrer
»Humanitätsduselei« nicht zu Wort gelangten, aber den
Untergang der roten Rasse voraussagten und mit den
Indianern fühlten.
Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuer-
und beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest
steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von
4
vielen Amerikanern heutzutage bagatellisiert und, wenn die
Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung
abgetan wird.
Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden
Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur
schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen
vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den
Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische
Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung
trieb, nicht mit ansehen muß.
Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die
Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft,
ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos
im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen
Arizonas.
Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet?
Sicherlich nicht, denn kein nomadisierendes Volk in Europa,
Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden.
Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren
Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den
Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen
werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden
in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum
Leben brauchten. Zu allen Zeiten war daher für die Apachen
die Welt noch in Ordnung. Erst als der weiße Mann mit seinen
überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten
Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich
das große graue Leichentuch über die Stämme und
Sippenverbände.
Ganz bestimmt wäre vor 100 und mehr Jahren
möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den
Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger
Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments
gegen die rote Rasse gewesen wäre.
5
Es hat nicht an klardenkenden und verantwortungsbewußten
Leuten gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im
Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu
ihrem Recht zu verhelfen.
Es ist nicht Aufgabe dieser Einleitung, anzuklagen und zu
richten, denn niemand von uns kann sagen, daß er es
womöglich hätte besser machen können. Sie alle in der
damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren Kinder einer harten
und erbarmungslosen Epoche, und sie waren Bewohner einer
rauhen Umwelt.
Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen
Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter
authentische Aufzeichnung amerikanischer Geschichte, die in
Romanform für den deutschen Sprachraum noch nicht oder nur
in Kurzform gebracht wurde.
Die guten und schlechten Weißen, die anständigen Apachen
und die grausamen, tauchen namentlich in der Story auf und
geben der Geschichte einen dramatischen, wenn auch
makabren Hintergrund.
Ihr Martin Kelter Verlag.
6
***
Der neue Tag erhob sich über die Range wie ein weißer
Schwan mit ausgebreiteten Flügeln. Es wurde langsam Tag im
Land der Chiricahuas, aber dieser Tag würde nicht anders sein
als alle die anderen, die mit sengender Sonne über das
ausgedörrte Land hinweggezogen waren.
In den Canyons dagegen war es noch dunkel. Nur hier oben
auf dem Höhenrücken, der den Canyon rechtsseitig flankierte
und seinen Erosionsabraum in breiten Bahnen in die Tiefe
schickte, brach der Tag an.
Die hellgekleidete Gestalt, die die ganze Nacht über das rote
Dämonenauge des Feuers tief unten in der Schlucht beobachtet
hatte, stand auf und breitete die Arme dem gleißenden Licht
entgegen. Betete der von Gestalt mächtige Indianer die
aufgehende Sonne an oder sprach er mit seiner unsichtbaren
Gottheit, die er mit dieser Geste verehrte?
Cochise bewegte sich um keinen Zoll, während er tief in
Andacht versunken mit den Geistern der Verstorbenen sprach
und die der Lebenden beschwor, Recht über dem Volk der
Apachen walten zu lassen und über ihrem Land.
In dem Augenblick, als sich die Sonne mit ihrem äußersten
Rand über die Gebirgskette der fernen Chiricahua Mountains
erhob, brach Cochise seine Andacht ab. Er ging zu seinem
Pferd in der Senke, gab ihm Futter aus einem mitgeführten
Sack und tränkte es. Zuerst das Pferd, dachte der Jefe der
Apachen. Ohne Pferd war er in dieser Einöde der Dragoon
Mountains verloren.
Anschließend bereitete er sich ein frugales Mahl, das aus
Maiskörnern, Trockenfleisch und Wasser bestand.
Gesättigt wandte er sich wieder dem Canyon zu. Auch dort
unten wurde es langsam grau. Verschwommene Umrisse beim
7
Feuer ließen Bewegungen erkennen. Das Feuer flackerte
wieder, genährt von aufgelegten Zweigen.
Cochise legte sich auf den Fels und ließ seine dunklen Augen
durch die Schlucht gleiten. Von Minute zu Minute erkannte er
mehr. Einen Moment lang verspürte er den Drang, sein Pferd
zu besteigen, damit es ihn so schnell wie möglich zu seiner
Sippe brachte.
Aber er gab dem Drang nicht nach. Viele Tage lang hatte er
versucht, den düsteren Gedanken über die Geschehnisse der
letzten Tage zu entkommen, indem er nicht mehr an die
Vorfälle bei Fort Thomas dachte, aber es gelang ihm nur
schwer.
Viele Jahre lang war er bemüht gewesen, das Verhältnis der
Apachen zu den Weißen zu verbessern. Vergeblich. Die
vergangenen Tage und Nächte lagen immer noch so düster und
genauso dunkel in seiner Erinnerung und unterschieden sich
kein bißchen von der Zukunft, von der er nicht wußte, was sie
ihm und seinem Stamm bringen würde.
Sein Zögern im Salbei des Höhenzuges vor wenigen Minuten
war nicht grundlos gewesen. Die Jahre hatten nichts geändert,
weder der grausame Kampf gegen die Gelbgesichtigen und
Weißen noch die Einstellung der Weißen gegen die Roten.
Inzwischen war es auch in dem steinigen Canyon taghell
geworden. Am Feuer bewegten sich vier Gestalten, die der
Apache einwandfrei als Weiße erkannte. Sie bereiteten ein
Frühstück und unterhielten sich lautstark über Dinge, die
Cochise leider nicht verstehen konnte.
Ein seltsames Kleeblatt hockte dort unten bei dem rauchlosen
Feuer. Cochises Erinnerung belebte sich. Seine Gedanken
suchten in weiter Ferne nach Bildern, die mit den Gesichtern
dieser Hartgesottenen identisch waren.
Sie erschienen, diese Bilder, wenn auch verschwommen und
unklar, halb verdeckt von der vergangenen Zeit. Diese vier
Weißen kannte er. Zuerst erschien ihm der schnurrbärtige
8
Sternträger Drew Marley, der als Vertreter des Gesetzes in
dieses Land gekommen war, um Banditen zu fangen.
Danach schälten sich blaß und farblos die Konturen aller
jener Männer heraus, mit denen Marley es zu tun hatte. Dort
unten saßen der Geierköpfige, der Bärtige, der schielte, der
Dürre und der kleine Dicke, den sie Fatty genannt hatten.
Cochises Gesicht wurde grimmig. Die Haut über seinen
Wangenknochen wurde so straff wie ein zum Trocknen
ausgespannter Skalp. Die vier Weißen machten keine
Anstalten, ihr Lager nach dem Frühstück abzubrechen.
Gedanken gingen durch Cochises Kopf. Es waren
wohlüberlegte Gedanken, getragen von der Not seines Volkes
und den stets zunehmenden Ausmaßen des Krieges zwischen
der weißen und der roten Rasse.
Er mußte hinunter in den Canyon, um die Männer zu
belauschen. Daß sie etwas im Schilde führten, war klar. Nur
was sie vorhatten, konnte er nur von ihnen selbst erfahren.
Er kroch rückwärts, erhob sich und huschte zu seinem Pferd.
Das Pony am Zügel führend, schritt er am Canyonrand entlang,
nach einem Abstieg suchend und nach einem Versteck, wo er
das Tier zurücklassen konnte.
Den Abstieg fand er, schließlich auch ein Versteck für den
Pinto. Ein Hohlweg schnitt tief in die Bergflanke und führte
nach unten. Als er ihn halb durchschritten hatte, klaffte zu
seiner Rechten ein breiter Spalt im gewachsenen Fels.
Cochise stellte sein Pferd in die Klamm und band es an
einem Felszacken fest. Gewandt wie eine Raubkatze glitt er in
die Tiefe. Der Canyon tat sich vor ihm auf, er roch Holzfeuer
und bratendes Fleisch. Ohne mit der Wimper zu zucken, eilte
er durch den Canyon. Die Basen der Canyonwände waren mit
hochstaudigem Unkraut bewachsen. Es kam ihm zustatten, sich
ungesehen dem Lagerplatz zu nähern.
Salbei und breitblättrige Unkrautpflanzen streckten sich wie
eine Zunge bis nahe zum Feuer. Cochise glitt auf Händen und
9
Zehenspitzen durch den Wildbewuchs und verstand so
geschickt sich zu verbergen, daß ihn die emsig schwatzenden
Weißen nicht sehen konnten.
Nur vor den Pferden mußte er sich in acht nehmen. Pferde,
die unter Weißen aufgewachsen waren, mochten keine
indianische Ausdünstung. Es gelang ihm, die angehalfterten
Tiere in einem weiten Bogen zu umgehen, ohne daß sie
überhaupt Notiz von ihm nahmen.
Noch etwa zwanzig Yards. Steine, die die Erosion vom
Schluchthang abgetrennt und in die Tiefe geschickt hatten,
versperrten ihm den Weg. Wie eine Schlange wand er sich
herum.
Noch sieben Yards, nicht zu weit, um etwas zu verstehen,
wenn sie laut genug sprachen. Weiße sprachen immer laut, so
laut, als wollten sie mit ihren Reden und der Lautstärke eine
innere Angst und Unruhe überwinden.
Ein grimmiges Lächeln überflog das strenge Antlitz des
Apachen. Cochises Hand glitt zum Messer in den hellen
Leggins. Der Griff fühlte sich wie der Handschlag eines alten
Freundes an, der seine eigene Hand wohltuend berührte.
Cochise legte noch zwei weitere Meter zurück. Er verharrte,
umgeben von Sagebusch und Yuccas. Zwei Schritte weiter, nur
zwei kleine Schritte, wuchs eine Riege von Tamarisken, deren
helle Blüten einen betäubenden Duft ausströmten.
Jedoch konnten zwei Schritte zu zweihundert werden, wenn
auf der anderen Seite die Gefahr lauerte, von vier bewaffneten
Weißen überrascht zu werden.
Der Häuptling blieb im Unkraut liegen und strengte sein
Gehör an. Die krötigschleimige Stimme des Dicken tropfte
monoton und irgendwie gedämpft zu dem Geierköpfigen über
das Feuer hinweg. Cochise konnte deutlich den hüpfenden
Adamsapfel des raubvogelnasigen Mannes sehen und den
kalten Blick, mit dem er Fatty bedachte.
»Seit Wochen irren wir in diesen verdammten Canyons
10
umher und kommen zu keinem Entschluß. Ich bin dafür, die
Suche nach der Mine abzubrechen und nach Tombstone
zurückzukehren.«
»Bist du wahnsinnig?« fragten der Dürre und der Schieler
wie aus einem Mund.
»Nicht wahnsinnig, nur überlegend. Unser Proviant geht zu
Ende, die Wasserflaschen sind leer, unsere Gäule abgetrieben
und halb verhungert. Wie sollen wir uns noch länger in dieser
höllischen Einöde aufhalten, wenn es am Notwendigsten
fehlt?«
»Wenn wir die Mine finden, werden unsere Mühen reichlich
belohnt.«
»Ja, wenn! Im Augenblick sieht's so aus, als würden wir sie
nie finden. Möglicherweise stolpern wir in der
entgegengesetzten Ecke dieses Landes herum, wie blinde
Hühner, ihrem Glück vertrauend, irgendwann ein Korn zu
finden.«
»Du Hundesohn«, sagte der bärtige Schieler in die
wiederkehrende Stille hinein. Und das war alles. Von da an
hörte Cochise nur noch ein kurzes, rasch ersterbendes Flüstern
beim niedergebrannten Feuer.
Nach etwa zwanzig Sekunden, die ihm wie Stunden
schienen, ertönte ein kurzes Schnaufen vor Cochise. Er
blinzelte zu den Männern hinüber und wunderte sich über ihr
Verhalten. Sie würfelten. Fatty hatte gerade den Lederbecher
ergriffen und die drei Würfel gut gemischt auf die Decken
rollen lassen. Er stieß einen gedämpften Jubelruf aus.
Cochise hätte sich liebend gern ein weiteres Stück
vorgewagt, konnte dies jedoch wegen der Gefahr gesehen zu
werden nicht. Wenn sich einer erhob, mußte er unweigerlich
den kauernden Apachen erblicken, und alle waren sie so
schwer bewaffnet, daß Cochise dieses Risiko einfach nicht
eingehen konnte.
»Vierzehn«, sagte der Bärtige. »Laß sehen, Dicker.«
11
Cochise hörte die Würfel klappern, danach einen kurzen
Ausruf:
»Sechzehn! Na, was sagst du jetzt?«
»Die anderen müssen auch noch, Hugh. Das Spielglück ist
wetterwendisch, du wirst schon sehen.«
Cochise sah, daß der Dürre nun an der Reihe war. Ein
glucksendes Geräusch ertönte.
»Dreimal die Sechs! Wir kehren nicht um, Jungs! Was
meinst du, Hugh?«
»Ganz deiner Meinung, Latte. Wir sind nicht die vielen
Meilen geritten, um jetzt die Flinte ins Korn zu werfen. In einer
Stunde reiten wir, basta!«
»Und was willst du essen und trinken, wovon die Klepper
wieder auf die Beine bringen?«
Cochise wartete gespannt auf Antwort. Er wagte es sogar, ein
wenig den Kopf zu heben, um die Galgenvögel zu mustern. Die
sarkastische Entgegnung kam:
»Vor rund einer Woche sahen wir in dem östlichen Tal eine
nomadisierende Indianerfamilie. Die nehmen wir uns vor.
Lieber auf einem halbwilden Bronco reiten als auf unseren
verhungerten Zossen. Und Proviant haben die roten Kerle auch,
verlaßt euch drauf!«
»Du willst sie alle…?« Der Geierköpfige machte das Zeichen
des Kehledurchschneidens .
»Was liegt dir an ein paar dreckigen Rothäuten? Irgendwann
müssen sie doch daran glauben. Ja, so!« Sein Finger glitt über
seinen Hals.
Cochises Wangenmuskeln spannten sich so an, daß die Haut
wie Pergament wirkte. Langsam glitt er rückwärts. Er hatte
genug gehört und war sich darüber klar, daß er die Sippe
warnen mußte. Er kannte den Ältesten der Familie als einen
tapferen Krieger und ausgezeichneten Chief.
Er war weit genug vom Lager der Weißen entfernt, als diese
aufbrachen.
12
Cochise huschte in den Hohlweg und eilte zu seinem Pferd.
Eine halbe Stunde später war er bereits auf dem Plateau und ritt
in östlicher Richtung davon.
*
Das »Bird-Cage-Theatre« in Tombstone platzte aus allen
Nähten. Tabakrauch quoll wie finstere Gewitterwolken unter
der Decke und suchte verzweifelt nach einem Ausgang.
Männer unbekannter Herkunft und zweifelhaften Berufs
scharten sich um die Spieltische und an der Theke. Es waren
harte Männer, Abenteurer, die ihr Glück in den Silberminen
und am Spieltisch suchten.
Und nicht nur im »Vogelkäfig-Saloon«. Sämtliche Kneipen
in Tombstone erwachten bei Sonnenuntergang zu einem
einseitigen hektischen Leben, das bis in die frühen
Morgenstunden andauerte und zu keiner Minute zum Erliegen
kam. Selbst die zahlreichen Freudenhäuser mit den
traditionellen roten Lampen über den Türen und die
Tingeltangels, die nach den ersten Silberfunden wie Pilze aus
dem Boden geschossen waren, konnten sich nicht über
mangelnden Zuspruch beklagen.
An einem Ecktisch saßen drei wettergegerbte Gestalten mit
einem vierten Mann beim Pokerspiel zusammen. Dollarnoten
in der Mitte des runden Tisches mit dem grünen Filzbelag und
dem mächtigen Aschenbecher aus getriebenem Silberblech
stapelten sich. Ein Spiel ohne Limit schien sich anzubahnen.
Der vierte Spieler, ein schlanker Mann mit blassem Gesicht,
scharfen Augen und einem Schnurrbart nach neuester Mode
unter der geraden Nase, konnte als Berufsspieler gelten, wenn
man seine dunkle Kleidung als Maßstab für eine solche
Vermutung annehmen durfte. Wyatt Earp war es auch.
Berufsspieler, später Bordellbesitzer und noch später ein
ausgekochter Revolvermann, der es mit der Waffe mit jedem
13
Kunstschützen dieses Landes aufnahm, ließ keinen der
Minenarbeiter aus dem Blick. Obwohl er seinen Karten die
nötige Aufmerksamkeit widmete, verließen seine kalten Augen
keinen Augenblick lang die Mienen und Gesten der Mitspieler.
Wyatt hatte dreimal hintereinander gewonnen und einen
prächtigen Gewinn für sich verbuchen können. Aus Erfahrung
wußte er, daß eine Glückssträhne bei den anderen Spielern
Neid und Mißgunst auslöste. Besonders bei den Verlierern.
Er kaufte zwei Karten, erhöhte um hundert und forderte. Sie
legten geradezu widerwillig ihre Blätter auf den Tisch, und ihre
gierigen Augen gingen rundum. Wyatt hatte schon wieder das
bessere Blatt und wollte die gewonnenen Dollars nehmen.
»Ihr Glück ist einfach sagenhaft, Fremder«, nörgelte ein
hochgeschossener Miner und legte seine abgearbeitete Hand
auf das Geld.
»Ja?«
»Ich meine es. Wäre es möglich, daß Sie dem Glück ein
wenig nachgeholfen haben? Nur so, mit ein paar flinken
Fingerbewegungen?«
Earp sah auf.
»Was wollen Sie damit sagen, Mann?«
»Daß Sie ein Falschspieler sind.«
Stühle wurden in aller Hast aus der Schußlinie gerückt. Zwei
der Mitspieler sprangen auf und wichen bis an die
nahegelegene Wand zurück. Eine tödliche Stille breitete sich
im Lokal aus, eine Stille, die geradezu darauf zu warten schien,
daß sie von detonierenden Revolvern unterbrochen wurde.
Von der Theke herüber näherten sich die bulligen Gesichter
zweier Rausschmeißer.
Earp erwiderte: »Nehmen Sie das mit dem Ausdruck des
Bedauerns zurück, oder…«
»Oder?«
Der Mann sprang auf und zog. Er hatte sein Schießeisen
bereits aus dem Gürtel, als Earps Hand zur Hüfte glitt. Wyatt
14
machte nicht viel Umstände. Er drehte das Halfter so, daß sich
die Öffnung auf den Fremden richtete und drückte ab.
Erst danach zog er den Revolver aus dem Leder und ließ die
anderen in die rauchende Mündung blicken.
»Pfoten hoch, Leute! Sie haben gesehen, daß er zuerst zog?«
»Wir haben nichts gesehen«, sagte einer der Mitspieler
maulend und quängelnd.
»So, Sie haben nichts gesehen. Wohl ein Kumpel von
Ihnen?«
Die beiden Gorillas waren in greifbare Nähe gerückt. Wyatt
gab ihnen mit dem Colt einen Wink und dirigierte sie beide zu
den Spielern an der Wand. Totenstille breitete sich im
»Vogelkäfig« aus. Selbst das reizlose Kichern der
Animiermädchen war verstummt, das Klirren der Gläser und
das knisternde Geräusch sich mischender Karten zwischen
geschickten Händen.
Auch das gurgelnde Geräusch fließenden Fusels in
schwammtrockene Kehlen war nicht mehr zu hören, etwas, was
es im »Vogelkäfig« so gut wie nie gab.
»Mach keinen Quatsch, Mann«, sagte der eine
Rausschmeißer grollend.
»Quatsch mache ich nie, aber ich wehre mich, wenn ich mit
'nem Revolver bedroht werde. Oder soll ich mich von jedem,
der nicht verlieren kann, erschießen lassen?«
Wyatt gab einem der käsebleichen Mitspieler ein Zeichen mit
dem Revolverlauf.
»Nimm dein Halstuch, Freund, und lege das Geld da hinein.
Danach trittst du wieder zurück. Kapiert?«
»Bin nicht taub.«
Der Mann tat, was Wyatt von ihm verlangte. Als das
Halstuch verknüpft war, kam Earps nächster Befehl:
»Schieb es rüber, schnell, bevor mein Finger zu jucken
anfängt!«
Mit der Linken griff er nach dem gewichtigen Säckchen,
15
seine Rechte mit der Waffe bedrohte alle Waffentragenden im
Spielraum. Langsam setzte sich der Spieler zur Ausgangstür
hin ab. Die Atmosphäre schien mit reiner Energie geladen zu
sein, so still war es. Man hörte Fußgelenke knacken, wenn
irgend jemand sein Gewicht verlagerte, und den stoßweisen
Atem der bis zum Zerreißen angespannten Menschen.
Wyatt erreichte unangefochten die Zwischentür. Niemand
hielt einen berufsmäßigen Revolvermann auf, der so schießen
konnte wie dieser Fremde. Seine Ellbogen durchstießen den
Perlenvorhang. Dahinter war kein Widerstand. Earp glitt wie
eine Raubkatze auf zwei Beinen hinaus und setzte sich in
Bewegung.
Mit langen Schritten durchmaß er den Vorraum und setzte
mit einem langen Sprung durch die Eingangsöffnung. Nacht
und Stille nahmen ihn auf. Wie ein gehetztes Wild rannte er zur
Fremont Street, durchmaß die schmale Gasse zwischen Flys
Photo Atelier und dem Harwood Haus, um auf die Third Street
zu gelangen.
Er schaffte es. Erregtes Gebrüll, durchsetzt mit wütenden
Flüchen verebbte in seinem Rücken. Bis zum Mietstall waren
es noch fünfzig Yards. Er ging langsam, um nicht zufälligen
Passanten den genauen Weg seiner Flucht anzugeben.
Die Situation war nicht neu für ihn. Schon oft hatte er vom
Spieltisch und aus Städten fliehen müssen, wenn sein Colt
mitgesprochen hatte. Die Routine, die er jedesmal hatte
sammeln können, kam ihm dann beim nächsten Mal zustatten.
Wyatt Earp lächelte breit und stieß die Seitentür in den
Mietstall auf. Hier blieb er erst einmal stehen, um seine Augen
an die trübe Stallfunzel zu gewöhnen. Er nahm das Bündel
Scheine aus dem nach Schweiß riechenden Halstuch und
verstaute sie in der Brusttasche. Das Hartgeld schob er in die
Hosentasche und erfreute sich eine Weile am Klimpern der
Geldstücke.
Er hatte wieder Geld und fühlte sich als Mensch erster
16
Klasse, wobei er keine Minute lang an den Toten dachte, dem
er es abgenommen hatte.
Wyatt merkte auf. Schlurfende Schritte drangen aus dem
Hintergrund und kamen durch den Mittelgang. Ein seltsames
Individuum, das nach Ammoniak stank wie alles hier im Stall,
blieb vor ihm stehen und wackelte mit den Ohren.
Wyatt kannte den Stallmann. Er gab ihm eine Handvoll
Kleingeld und befahl ihm, sein Pferd zu satteln und mit einem
Futtersack auszurüsten. Schweigend machte sich der Mann an
die Arbeit.
Zehn Minuten später bestieg Earp sein Pferd und ritt aus dem
Stall. Wohlweislich benutzte er die Seitentür. Aus dem
Zentrum von Tombstone klangen laute Geräusche. Stimmen,
Flüche und das Wiehern aufgeregter Pferde dröhnten, ebbten
ab und kehrten wieder.
Der Mann, der die Flucht aus der Stadt ergriff, wußte, was
das Dröhnen zu bedeuten hatte. Der Sheriff stellte mit seinen
Deputys ein Aufgebot zusammen, und das bedeutete nichts
Gutes für einen Mann, der auf der Flucht war.
Wyatt Earp ritt die Third Street hinunter und bog in die Allen
Street ein. Die Straßen waren dunkel. Sein ausgeruhtes Pferd
trug ihn rasch zur mexikanischen Siedlung, durch diese
hindurch und zu den Minengebieten hinaus. Straßen gab es hier
nicht mehr, und wenn man von Beleuchtung sprach, meinte
man die Sterne und den Mond.
Mit jeder Pferdelänge ließ er den Minen-Distrikt hinter sich
liegen. Mannshohe Yuccas, Felsen und Kakteen umgaben ihn.
Die Wüste hatte ihn aufgenommen.
Das Aufgebot ritt nach Osten, um ihn zu fangen, er aber
suchte seinen Fluchtweg im Westen. Von Minute zu Minute
entfernten sie sich weiter voneinander.
Im Morgengrauen wendete Earp sein Pferd. Er wollte nicht
nach Westen, dort gab es für ihn nichts zu verdienen. Ein
Spieler mußte unter Menschen sein, die er schröpfen konnte.
17
Wenn er an das Aufgebot dachte, amüsierte er sich. Da ritten
zehn oder mehr ausgewachsene und schwer bewaffnete Männer
einem Phantom nach, während das Wild stillvergnügt hinter
ihnen ritt und sich ins Fäustchen lachte.
Bei Sonnenaufgang war er schon wieder an Tombstone
vorbei und legte in einem Canyon eine kurze Rast ein. Zuerst
tränkte und fütterte er sein Pferd und rieb ihm mit einem
Striegel den Alkalistaub aus dem Fell.
Vor ihm lagen die südlichen Ausläufer der Dragoon
Mountains. Südlich davon erstreckte sich die wasserlose Wüste
bis nach Bisbee und weiter zur mexikanischen Grenze. Von
ihm aus östlich gesehen kletterten die Chiricahua Berge mit
ihrem Peak 9000 Fuß hoch in den azurblauen Himmel.
Ein wildes, irres und tödliches Land, wenn man in ihm nicht
Bescheid wußte. Im Augenblick hatte er keine Ahnung, wo
sich die Posse aufhielt. In diesem Gewirr von Schluchten
konnte man wochenlang nebeneinander reiten, ohne mehr als
den Staub des anderen zu sehen.
Nach dem kalten Frühstück, das er mit Wasser
hinunterspülte, nahm er dem Pferd den Futtersack ab, tränkte
es noch einmal aus der Feldflasche und stieg in den Sattel.
Stunden vergingen. Es wurde drückend heiß und so schwül,
daß ihm förmlich der Schweiß aus allen Poren floß. Er, ein
wüstenerfahrener Mann, wußte genau, was er zu tun hatte, um
nicht zuviel Körperwasser zu verlieren.
Als die Sonne im Zenit stand, stieß er auf einen Salzstock. Er
stieg ab, brach ein faustgroßes Stück ab und lutschte daran.
Salz band Wasser im Körper und verhinderte
Schweißausscheidungen.
Am späten Nachmittag mußte er wieder eine Rast einlegen.
In einem ruhigen Seitental, in dem sogar eine Quelle sprudelte,
riskierte er ein Feuer und kochte sich eine warme Mahlzeit.
Das Pferd graste die saftige Vegetation in der Quellennähe ab.
Kein menschlicher Laut störte die Stille der Wildnis. Kojoten
18
heulten in der Ferne, das waren die einzigen Laute außer
Vogelstimmen. Wyatt kochte Bohnen, briet ein Stück
Trockenfleisch in viel Fett und würgte das zähe »Steak«
schließlich mit Abscheu hinunter.
Als er nach dem Essen mit dem Kochzeug zur Quelle ging,
um es mit Wasser und Sand zu reinigen, glaubte er einen
fremden Laut zu vernehmen. Er kniete still an dem Wasserloch
und spannte alle seine Sinne an.
Da war etwas in der Nähe, etwas, was vorher nicht
dagewesen war. Sein erster Gedanke galt dem Aufgebot. Er
schüttelte den Kopf, wußte er doch, daß es Weißen nie
gelungen wäre, sich unsichtbar seinem Lager zu nähern.
Also Indianer!
In diesem Gebiet gab es nur Apachen, und sie waren so
gefährlich, wie Hornissen im Schwarmflug. Langsam richtete
er sich auf, das Geschirr in der Linken, die rechte Hand
brauchte er notfalls, sich zu wehren.
Während er zum Feuer zurückging, suchten seine Augen die
Schlucht und ihre Ränder ab. Er sah nichts, hörte nichts mehr,
aber sein wildniserfahrenes Gehör blieb geschärft.
Er war nicht auf der Jagd, er wurde gejagt!
Aber wer schlich sich an ihn heran? Das Aufgebot? Indianer?
Eine dritte Gruppe, von deren Existenz er keine Ahnung hatte?
Seine Sinne blieben scharf wie Messerklingen. Aus den
Augenwinkeln beobachtete er sein Pferd. Es hatte zu grasen
aufgehört, spielte mit den Ohren und hielt seinen Blick auf ein
Tamariskengehölz gerichtet, das sich weiter oben in der
Klamm ausbreitete. Ein paar Säulenkakteen wuchsen dort, und
auch Yuccas, die in voller Blüte standen.
Earp sammelte die Lagergegenstände ein und verstaute sie in
den Satteltaschen. Er schüttelte die lähmende Kälte seiner
Gedanken ab und bewegte sich voller Furcht zu seinem Pferd.
Das Feuer war heruntergebrannt und am Erlöschen.
Nach ein paar Sekunden, die ihm wie die Ewigkeit
19
vorkamen, befand er sich bei seinem Pferd, das keinen Blick
von den Tamarisken ließ. Er legte die Satteltasche auf die
Pferdekruppe und befestigte sie. Ohne Übergang ertönte ein
kurzes pochendes Geräusch links von ihm, das in einem
kratzenden Schaben endete.
Doch plötzlich wurde aus diesem seltsamen monotonen
Geräusch ein schmetternder Trompetenstoß eines Hornisten,
der hinter dem Kamm des nächsten Hügels zur Attacke blies.
Wyatt warf sich herum, den blitzschnell gezogenen Revolver in
der Hand. Diese verdammte Einbildung!
Kavallerie gab es weit und breit nicht in dieser trostlosen
Einöde, und einen blasenden Hornisten schon gar nicht. Was
hatte ihn getrogen und seine Nerven derart gereizt, daß er den
Anbruch des Jüngsten Gerichts erlebte?
Wyatt spannte alle Muskeln, die wie Taue unter der Haut
seiner Arme hervortraten Der Revolver wurde schwer wie Blei.
Die Hand, die ihn hielt, zitterte und wurde gefühllos.
Eine Weile blieb es still. Er wagte nicht, den Pferdesattel zu
besteigen und orientierte sich nach dem Fächerspiel der
Pferdeohren. Die Tamarisken waren es. Gewiß, nur dort konnte
sich ein Mensch oder ein größeres Raubtier verbergen.
Aber die Panik kam erst.
Wyatt Earp vernahm ein seltsames Geräusch, das er kannte.
Es war das Klatschen eines nassen Wischtuches auf einer
Tischplatte aus Hickoryholz. Selbstverständlich kannte er
dieses Geräusch sehr genau. Oft genug, wenn er zu schießen
gezwungen worden war, hatte es es vernommen – den
Einschlag einer Kugel in weiches Fleisch.
Er krümmte sich zusammen, fiel in die Knie und wartete auf
den Schuß, der jedoch ausblieb. Kein Pulverwölkchen stieg
irgendwo auf, keine Detonation eines Abschusses erklang.
Nichts!
Sein Pferd wurde unruhig. Es spürte die Last des Sattels und
wollte aus dieser Schlucht weg. Sein Reiter war aber anderer
20
Meinung. Aus Erfahrung wußte er, daß er dem vermeintlichen
Feind nicht den Rücken zudrehen durfte, und das mußte er,
wenn er den Tamarisken Lebewohl sagen und die Klamm
verlassen wollte.
Als immer noch nichts geschah, kein Angriff erfolgte, kein
Schuß fiel, erhob sich Earp wieder von den Knien und ließ die
Hand mit dem Revolver sinken.
Langsam, Schritt für Schritt und zögernd, stahl er sich
vorwärts, stets bereit, sich fallenzulassen und zu schießen. Das
Gestrüpp lag dunkel, staubig und geradezu einladend vor ihm.
Ein Vogel zwitscherte und flog auf, als Wyatt die ersten
Zweige berührte und sie zur Seite bog.
Nichts.
Der Mann drang ein, schob Zweige und Ranken zur Seite
und schlug ein paar Zecken tot, die ihm in die Hand bissen und
sich festsaugen wollten.
Gleich darauf stand er auf einer winzigen Lichtung. Er
erkannte die Ursache des Klatschens. Vor ihm lag ein Indianer
mit einem Pfeil in der Brust. Er war kein Apache, dieser tote
Indianer. Aber es war ein Apachen-Pfeil, der ihn vom Leben
zum Tod befördert hatte.
Gehetzt blickte Wyatt Earp umher. Wo es Apachen-Pfeile
gab, mußte es auch Apachen geben, die sie abschossen. Nichts
rührte sich. Keine Bewegung erschütterte die Flora, kein
Knirschen von einem Mokassin auf erdigem Grund war zu
hören.
Alles blieb still und nicht der leiseste Laut störte das
andächtige Schweigen in dieser Natur-Kathedrale. Wyatts
Revolver zirkelte in die Runde. Den Finger hielt er am Abzug
des gespannten Colts.
Die Nerven des einsamen Mannes signalisierten Gefahr,
immer wieder Gefahr, aber er wußte nicht, woher die Gefahr
kommen konnte. Wenn Apachen in der Nähe waren, würde er
sie nicht eher sehen, bis sie gesehen werden wollten. Und dann,
21
das wußte er, war es zu spät.
Lange musterte er den toten Indianer. Er war mit Leggins
bekleidet. An den Füßen trug er hochschäftige
Wüstenmokassins, deren Ränder eine geschickte Squaw mit
Perlen und den Hauern von Ebern verziert hatte. Sein
Oberkörper war nackt. Neben ihn lag ein kleiner Kriegsbogen
und ein Köcher mit Pfeilen. In seinem Gürtel steckte ein
Messer. In seinem aufgesteckten Haarknoten waren zwei
Federn.
Earp wußte, daß Apachen keine Federn als Schmuck trugen.
Sie hätten sie beim Anschleichen in der zerklüfteten
Bergwildnis nur gestört. Er konnte sich nicht erklären, von
welchem Stamm der fremde Rote war und was er hier zu
suchen hatte.
Übergangslos zuckte Wyatt Earp zusammen und ließ sich
fallen. Reaktion und Herumwerfen auf der Erde waren eins.
Sein Colt ruckte hoch. Der Pfeil, der an seinem Kopf
vorbeigezischt war, hatte ihn nur um die Stärke einer Hand
verfehlt.
Zwei weitere Pfeile drangen aus dem Dickicht und schlugen
vor seinem Kopf in die Erde. Sie waren mit solch einer Wucht
abgeschossen worden, daß sie sich bis zur Hälfte ihrer Länge in
den Humusboden gruben.
Nachdem der Anschlag auf ihn fehlgeschlagen war, sah er sie
überraschend aus dem Dickicht auftauchen. Chiricahuas! Sechs
an der Zahl, junge Krieger noch. Sie zogen die Pfeile auf ihren
Bogen bis zu den Ohren durch.
Die Entfernung betrug nicht mehr als fünf Meter. Die beiden
ersten Roten erwischte er mit schnellen Kugeln. Der nächste
Schuß ging daneben, und er brauchte eine vierte Kugel, um
dem dritten Krieger einen schnurgeraden Scheitel zu ziehen.
Der Mann war nur verwundet, als er zu Boden ging und ein
wütendes Heulen ausstieß. Als sich Wyatt Earp den restlichen
Kriegern zuwandte und sie aufs Korn nehmen wollte, stutzte
22
er. Ihre Bogen waren entspannt, locker lagen die Pfeile an den
Sehnen, aber die scharfen Spitzen mit den Widerhaken waren
zu Boden gerichtet.
Alle starrten sie an ihm vorbei auf etwas, was sich in seinem
Rücken befand. Mit Gewalt mußte er den Kopf so weit drehen,
daß er die Quelle und sein Pferd erkennen konnte.
Im nächsten Augenblick glaubte Wyatt Eis im Blut zu haben.
Er fühlte seinen Herzschlag aussetzen. Als sein Blutdruck
wieder einsetzte und den Lebenssaft zum Gehirn pumpte,
wurde ihm schwindlig.
Hinter ihm stand ein hochgewachsener Indianer mit einem
mächtigen Brustkorb und einer Adlernase. Gebieterisch
streckte der Indianer, ganz in weißes Leder gekleidet, seine
Hand gegen die roten Krieger aus.
Der kaltschnäuzige Revolvermann vergaß alles um sich
herum. Die seltsame Kraft, die von dem Krieger ausging,
schlug auch ihn in Bann. Wyatt wußte plötzlich, wen er vor
sich hatte. Die legendäre Gestalt des mächtigen Chiricahua-
Häuptlings war noch zu gut in seinem Gedächtnis verankert,
als daß er diese jemals hätte vergessen können.
Earp hatte Cochise im Lager der Schollenbrecher gesehen,
und Cochise ihn. Auf seinen strengen Zügen lag kein
Wiedererkennen, aber Wyatt wußte, daß Cochise ihn erkannt
hatte.
Cochise stand immer noch reglos mit ausgestreckter Hand.
Die befehlende Geste war zu deutlich, um mißverstanden zu
werden. Der Chief würde nicht bis in die Ewigkeit in dieser
Reglosigkeit dort stehen, stumm wie ein Fisch, und trotzdem
mit unmißverständlicher Befehlsgewalt. Die Kraft, die dieser
Mann ausströmte, übertraf alles, was der Revolvermann und
Spieler bei einem anderen Mann gesehen hatte.
»Du bist ein guter Schütze, Bleichgesicht. Stecke deinen
Revolver ein, niemand wird dich belästigen.«
Dann sagte er etwas zu den Apachen. Wyatt verstand kein
23
Wort. Aber als er wieder zu den Kriegern hinüberblickte,
waren sie verschwunden. Ihre Toten und den Verwundeten
hatten sie mitgenommen. Nur der fremde Indianer lag noch so
auf der Erde, wie ihn Wyatt angetroffen hatte.
»Du bist schuldlos am Tod meiner Krieger«, fuhr Cochise
mit seiner sonoren Stimme fort. »Wer angegriffen wird, muß
sich wehren. Sie waren noch zu jung, um zu erkennen, daß sie
es mit einem großen weißen Jäger zu tun hatten.«
»Du kennst mich, Chief?« fragte Earp mit belegter Stimme.
»Ich sah dich, das genügt. Du reitest in das Land der
Chiricahuas?«
Wyatt steckte seinen Revolver ins Halfter zurück.
»Eigentlich nur hindurch. Werden deine Krieger mich
aufhalten?«
»Nicht, wenn ich es nicht will.«
»Willst du es?«
Cochise wechselte mit Earp einen langen Blick.
»Ich denke nicht«, sagte er mit tiefer Stimme. »Aber die da
können dir den Weg versperren, wenn sie wollen.« Er deutete
auf den toten Indianer.
Wyatt Earp fragte: »Wer ist der Indianer? Kein Apache,
wie?«
Cochises Antlitz blieb ehern.
»Ein abtrünniger Mohawk aus der Sierra Pinta. Sie kommen
manchmal bis ins Land der Chiricahuas, um Frauen zu stehlen.
Sein Schicksal war ihm vorgezeichnet.«
»Nie davon gehört«, sagte Earp. »Ich kann also reiten, Jefe?«
Mit würdevoller Geste deutete Cochise nach Nordosten.
»Wir haben eine kurze Strecke den gleichen Weg. Komm!«
Earp ging zu seinem Pferd. Der Häuptling pfiff auf zwei
Fingern. Aus einem Dickicht brach ein braungescheckter Pinto
mit einer weißen Bleß und weißen Strümpfen. Kein harter
Sattel zierte den Pferderücken, kein ledernes Zaumzeug. Eine
bescheidene Navajodecke diente dem Häuptling als Sitz, und
24
gelenkt wurde das Pferd mit Schenkeldruck und geflochtenen
Grasseilen.
Als die beiden Männer das Tal verließen, kreisten Bussarde
am Himmel. Earp deutete hinauf und sagte mit belegter
Stimme:
»Wir hätten den roten Mann begraben sollen, wie es
Christenpflicht ist, Jefe.«
Cochises abweisende Antwort war: »Ich verstehe nicht,
wovon du redest. Man begräbt seine eigenen Toten, nicht die
des Feindes. Laß uns schneller reiten.«
»Du hast es eilig, Häuptling?«
»Sehr. Eine meiner Familien ist in Gefahr, von Weißen
ausgelöscht zu werden. Von vier Weißen«, setzte er düster
hinzu.
Wyatt beschleunigte die Gangart seines Pferdes und starrte
Cochise schweigend an. Ein gewisser Ton in der sonoren
Stimme ließ ihn hellhörig werden. Eine Frage von hoher
Bedeutung drängte sich ihm auf. Warum hatte Cochise seine
Krieger nicht mitgenommen und sie ziehen lassen? War er sich
seiner Stärke so sehr bewußt, es mit vier bewaffneten Weißen
aufzunehmen, oder hatte er andere Beweggründe?
Wyatt Earp konnte nicht wissen, daß dieser große
Indianerhäuptling noch immer unter der verlorenen Schlacht
gegen die California-Volunteers am Apachen-Paß litt. Sein
indianischer Stolz hatte einen Stoß erhalten, den er nicht leicht
überwinden konnte. Wenn er in Einzelhandlungen sein
ramponiertes Ansehen bei seinem Stamm wiederherstellen
wollte, so war das nur verständlich.
Aber Cochise sprach nicht darüber, und Earp wußte nichts
davon. Er wunderte sich lediglich, daß der Apache ständig die
Geschwindigkeit seines Mustangs steigerte und dem Tier das
Letztmögliche abverlangte.
Sie gelangten tiefer in die Canyons und weiter nach Osten,
aber ein Ende des mörderischen Rittes war nicht abzusehen.
25
*
Die Schlucht öffnete sich zu einem Kessel und verengte sich
danach wieder. Ein Creek durchlief das Tal und bewässerte es
bis an die Basen der steil aufsteigenden Hänge. Busch- und
Bauminseln boten an heißen Tagen Schatten, saftiges Gras
Nahrung für Pferde und Schlachttiere. In der Mitte des Tales,
nahe beim Wasserlauf, erhob sich ein Jacale aus dem hohen
Gras. Aber war das noch eine indianische Behausung?
Rauch kräuselte zum Himmel, und wenn der Wind durch das
Tal stieß, trieb er Asche und Funken mit sich fort. Cochise und
Earp hielten bei Sonnenuntergang auf der Anhöhe und suchten
nach einem Abstieg.
Cochise knirschte mit den Zähnen. Er war zu spät
gekommen, vielleicht nur um die Zeit, die die Weißen eine
Stunde nannten. Der Jacale war abgebrannt, seine Bewohner
getötet und die Pferde geraubt worden.
Eine Sekunde lang dachte er an Te-kli-tan, den Schreienden
Kriegsadler.
Wenn er überlegend und zurückdenkend die Augen schloß,
vermeinte er seinen Kriegsschrei in den Bergen widerhallen zu
hören. Aber der Schreiende Kriegsadler war nicht mehr, und
alles, was Cochise in diesem Augenblick erlebte, war
Einbildung.
»Sieht nicht gut aus, Jefe«, murmelte Earp mitfühlend.
»Verdammt, wer hat das getan?«
»Weiße.«
Wyatt Earp, der absolut nichts gegen die indianische Rasse
hatte, wenn sie ihn in Ruhe ließ, schüttelte den Kopf.
»Unmöglich! Heiliger Affensteiß, Weiße sollen das getan
haben?«
Cochise nickte. Er ließ sich Zeit mit seiner Suche nach einem
Abstieg. Hilfe kam sowieso zu spät, die Täter waren über alle
Berge, und Tote konnte er nicht zum Leben erwecken.
26
»Ja, weiße Männer. Ich kenne sie. Vier.« Cochise hob wie
zur Bekräftigung vier Finger.
»Was, du kennst sie? Teufel«, knurrte Earp, »du wirst diese
sinnlose Bluttat rächen, Chief?«
Cochise gab keine Antwort. Er trieb sein Pony wieder an und
lenkte es zu einem Spalt hinüber, der sich in zahlreichen
Windungen in die Tiefe schlängelte.
»Sie benötigten eine halbe Stunde, bis sie unten waren und
ihren Pferden die Absätze in die Weichen gruben. Asche und
grauer Rauch trieb ihnen mit dem Wind entgegen. Earp
hustete. Seine Augen tränten und trübten seinen Blick. Er riß
sich erst wieder zusammen, als sein Pferd scheute und
zurückwich. Vor dem Tier lag ein verstümmelter Indianer, bei
dem bereits Cochise kniete. Der Häuptling stand auf und
schüttelte den Kopf. »Sie erschossen ihn und trieben ihre
Pferde über den Toten hinweg. Gehen wir weiter!«
Wyatt stieg aus dem Sattel, ließ sein Pferd stehen und folgte
dem Häuptling der Apachen. Von der Hütte war nichts
stehengeblieben. Hinter dem Aschehaufen stießen die beiden
auf die Leichen dreier Frauen. Auch sie und ein Kind, das ein
Stück weiter entfernt zusammengekrümmt am Boden lag,
waren erbarmungslos niedergeschossen worden.
Cochise knirschte hörbar mit den Zähnen. Wyatt, dem der
Ekel den Magen umdrehte, konnte den Indianer verstehen. Wer
in seinem Leben das Weinen verlernt hatte, konnte es wieder
lernen.
Wenigstens fünfzehn Tote, Männer, Frauen, Kinder und
Greise, waren das Fazit eines scheußlichen Raubüberfalls.
Es ist kein Wort davon dokumentarisch überliefert, aber es
ist geschehen.
Cochises strengem Gesicht war nichts davon anzusehen, was
er dachte.
Wyatt wischte sich mit dem Handrücken über die feuchten
Augen, und Cochise, der es sah, revidierte im stillen sein Urteil
27
über diesen zwielichtigen Mann.
»Ich reite«, sagte er.
»Großer Gott, wohin? Die Toten müssen beerdigt werden.«
»Nein, nicht von uns. Sie haben ein Anrecht auf ein
indianisches Begräbnis, Wyatt. Meine Krieger werden sich
darum kümmern.«
Er bestieg seinen Pinto und schlug den Weg zum Talausgang
ein. Earp folgte ihm wortlos. Schluchten und Canyons nahmen
die beiden Reiter wieder auf, der Weg ging weiter nach Osten,
und so war es dem Revolvermann recht, mit Cochise zu reiten.
Je weiter er sich von Tombstone und dem Aufgebot entfernte,
desto sicherer konnte er sich fühlen.
Die Nacht brach nach einem Abschied des Tages mit
farbenprächtiger Lichtsinfonie herein. Schatten lösten den
glasklaren Strahlenkranz im Westen ab, und dann versank
alles, Berge, Täler und Reiter, in Dunkelheit.
Koniferengeruch strömte von den Hängen in die Täler, und
der Duft, den das Land ausströmte, befreite die Seele des
Weißen von den ärgsten Ängsten.
Höher und höher ging es hinauf. Wyatt hatte längst die
Orientierung verloren und ritt hinter dem Häuptling her. Um
Mitternacht hielt Cochise bei einer Quelle an. Er stieg ab,
führte das Pferd zur Abkühlung im Kreis, und ließ es erst
später saufen.
Wyatts Blick saugte sich an der hochgewachsenen Gestalt
fest. Sterne und ein halbvoller Mond leuchteten auf eine Szene
herab, die der Weiße sich nie hätte vorstellen können. Er war in
Gesellschaft des berühmtesten Mannes an der Indianergrenze.
Eines Mannes, der zu Lebzeiten schon zur Legende geworden
war.
Sein gebleichter Jagdrock hatte Fransen aus Skalphaaren an
den Nähten. Die langen Beine steckten in Leggins, die an den
Nähten reichlich verziert und mit dünnen Tiersehnen vernäht
waren. Um den Hals trug der Häuptling als einzigen Schmuck
28
eine Kette mit den Eckzähnen eines Grislys.
Jeder Zoll ein Führer, so stand Cochise vor Earp und fixierte
ihn aus dunklen Augen.
»Du mußt nicht mit mir reiten, Hellauge. Mein Weg ist nicht
dein Weg, meine Rache nicht deine. Reite, wenn du willst.«
Wyatt schüttelte den Kopf. Er fühlte sich so im Bann dieses
roten Mannes, daß es keiner weiteren Überlegung mehr
bedurfte, um auf einen Weiterritt ohne den Jefe zu verzichten.
Er drehte sich herum und suchte nach Brennmaterial.
Cochise entzündete ein rauchloses Feuer und unterhielt es mit
dem, was Wyatt an Holz heranschleppte. Schweigend packten
beide ihren Proviant aus. Earp bot Cochise Speck an, den
dieser mit einem Schütteln des Kopfes ablehnte.
An seine eigene Kost gewöhnt, wollte sich Cochise mit dem
begnügen, was ihm immer als Nahrung gedient hatte:
Getrocknetes Fleisch mit den Früchten des
Wildkirschenbaumes. Sie nannten dieses fette und gallenbittere
Zeug Pammikan, sie, die Apachen.
Earp backte in einer kleinen Pfanne Pfannkuchen und ließ
Speck aus. Als er einen fragenden Blick auf Cochise warf,
lehnte der auch diese Speise ab.
»Müssen wir wachen?« fragte Earp.
Cochise nickte. »Nicht wegen des roten Mannes, dem das
Land gehört, mehr wegen der Weißen.«
»Du glaubst sie noch in der Nähe?«
»Sie können nicht weit gekommen sein. Mustangs sind keine
zahmen Pferde und gehorchen den Bleichgesichtern nicht. Ich
werde sie in meine Hände bekommen.«
»Du wirst sie töten?«
»Sie haben getötet und werden gerichtet werden.«
Es blieb eine Weile still am Feuer. Nur das Knistern der
Flammen unterbrach die Lautlosigkeit der Gebirgsnacht. Wyatt
konnte förmlich erkennen, wie die ganzen Jahre des Kampfes
und der Not an dem Indianer vorbeiglitten. Vor seinem inneren
29
Auge sah er alles wieder und fragte sich nun gewiß ganz still
und stumm, was daran falsch gewesen war. Die Kämpfe in
Sonora gegen die Mexikaner, die Kriege gegen die Armee der
Weißen, gegen den einarmigen General Howard, gegen die
»Falken« und gegen seinen Freund Thomas Jeffords.
Alle defilierten an ihm vorbei, schemenhaft, aber ihre
Körperlosigkeit störte den berühmten Häuptling nicht. Seine
einzigen Freunde unter den Weißen waren Haggerty und
Jeffords. General Howard konnte er bis zu einem gewissen
Grad ebenfalls als seinen Freund betrachten, aber dem General
waren Grenzen gesetzt, und das wußte Cochise.
Unter den indianischen Führern hatte er nicht einen einzigen
Freund. Geronimo und Victorio strebten die Macht über alle
Stämme an. Nana wurde alt und gleichgültig. Chato, Ulzana
und Chihuahua standen allem, was sich nicht auf Beute bezog,
gleichgültig gegenüber.
Alchesay, Eskaminzin, Loco und viele andere unterstützten
ihn lediglich in seinem Kampf gegen die Weißen und die
olivfarbigen Eroberer, aber sie waren ohne Herz bei der Sache.
Verlassen konnte er sich nur auf Naiche, seinen
Zweitältesten Sohn. Cochises Gedanken verloren sich in einem
uferlosen Meer aus Erinnerungen, Gegenwartsvisionen und aus
einer unerklärlichen Angst vor der Zukunft.
Wyatt, der ihn beobachtete, konnte sich nahezu in das
düstere Schweigen des Jefe einfühlen. Seine harten,
nachdenklichen Linien glätteten sich schließlich wieder, und
Cochise hob den Kopf.
Mit deutlicher Stimme sagte er: »Sie kommen.« Mehr nicht,
kein Hinweis darauf, wer kam. Aber Wyatt verstand ihn. Er
stand vom Feuer auf und rückte den schweren Patronengürtel
zurecht.
»Sag mir, wo, Cochise. Ich werde sie in Empfang nehmen.«
»Tief unten im Canyon. Sie reiten nach Osten wie wir.«
»Erwarte mich zum Morgengrauen zurück, Cochise. Adios,
30
Häuptling!«
»Halt!«
Gebieterisch streckte Cochise seine Hand gegen Earp aus.
»Ich werde die Strafe vollstrecken. Es ist mein Land, es
waren meine Leute. Mir gehört die Rache, sonst niemandem!«
*
Ulzana streifte mit vier Kriegern durch die Canyons der
Dragoon Mountains. Der krummbeinige Ulzana hockte auf
seinem Pinto wie ein gebeugter Affe auf einem Kamelhöcker.
Der Tag versprach heiß zu werden, für Indianer gerade das
richtige, um in Kampfstimmung zu geraten.
Aber es gab nichts zu kämpfen. Die Schluchten des großen
Gebirges waren so leer wie die Taschen eines Tramps. Bei
einem Wassertümpel, der durch eine spärliche Quelle gespeist
wurde, hielten die Chiricahuas ihre Pferde an und sprangen von
den Reitdecken.
Holz für ein rauchloses Feuer gab es genug. In der Nähe
fristeten Kandelaberkakteen ein karges Leben mit Schwärmen
von Fliegen, die in ihrer runzligen Außenhaut nisteten. Einer
der Rothäute, Tal-bort genannt, ein älterer Krieger mit Rang
und Namen, machte sich daran, die trockenen Seitenarme eines
Kaktusses mit dem Tomahawk abzuschlagen.
Gleich darauf knisterte das Feuer. Die Apachen zogen ihren
Proviant aus den Fransengeschmückten und mit bunten Perlen
bestickten Taschen und breiteten ihn auf einer Satteldecke aus.
Der Proviant bestand im wesentlichen aus Maiskörnern und
einem Kaninchen, das einer von ihnen mit einem Messerwurf
getötet hatte. Als es über dem Feuer an einem Drehstock briet,
breitete sich ein angenehmer Bratenduft in der Schlucht aus.
Apachen redeten nie viel, diese hier waren aber besonders
schweigsam. Wenn sie sich bewegten, geschah dies mit der
bekannten katzenhaften Geschmeidigkeit und mit der
31
Lautlosigkeit eines Panthers.
Ulzana wußte, worum es ging. Die anderen auch. Aber was
sie wußten, behielten sie für sich und sprachen nicht einmal
andeutungsweise am Feuer darüber. Alles jedoch wußte auch
der schlaue Apache nicht.
Zum Beispiel hatte er keine Ahnung, daß sich kaum drei
Meilen von ihm entfernt vier Weiße in einem Canyon näherten,
die von Cochise und einem weiteren Weißen verfolgt wurden.
Und daß sich von Norden her ein einzelner Reiter näherte,
konnte Ulzana auch nicht wissen. Dieser einzelne Weiße war
John Haggerty, der Falke, wie ihn Tla-ina, Cochises Schwester,
nannte, und ihr Bruder ebenfalls.
John war auf dem Weg in die östlichen Dragoons. Er
befolgte einen Befehl Howards, der zu erfahren versuchte, wo
Cochise seine Apacheria nach dem Verlassen der Bergfeste in
den Chiricahua-Mountains gesucht und gefunden hatte.
Was Howard und Haggerty allerdings nicht einmal ahnen
konnten, war, daß der schlaue Jefe inzwischen seinen
Stützpunkt dreimal gewechselt hatte, weil ihm der Boden unter
den Mokassins zu heiß geworden war.
Der zentrale Teil des Muttergebirges bereitete sich darauf
vor, eines der größten Abenteuer dieser Zeit zu erleben, und
man konnte fast den Eindruck haben, daß sich die Berggipfel
und die hochgelegenen Plateaus vornüberneigten, um die
bevorstehende Auseinandersetzung mit anzusehen.
Daß es mit den Mördern zu einer Auseinandersetzung
kommen würde, war sonnenklar. Nur der Zeitpunkt stand nicht
fest. Cochise bestimmte diesen selbst und ließ ihn sich nicht
aufnötigen.
Nach einer Stunde hatten die Apachen ihr Mahl
eingenommen. Sie löschten das Feuer mit Sand und wollten
ihre Mustangs besteigen, als ihre scharfen Ohren Geräusche
vernahmen. Ulzana knurrte wie ein Hund über seiner
Futterschüssel, drehte sich um und starrte in den Canyon
32
hinein.
Licht und Schatten wechselten zwischen den schroffen
Klippen miteinander ab und boten zusammen mit der wild
wuchernden Vegetation einen makabren Hintergrund.
Aus diesem Höllenschlund heraus kamen vier Reiter. Sie
machten einen gehetzten Eindruck und waren sich scheinbar
der Gefahr bewußt, die sie von allen Seiten umgab. Als sie die
Apachen bei der Quelle bemerkten, stießen sie gellende
Schreie aus, rissen ihre Pferde herum und jagten den Weg
zurück.
Nicht nur Ulzana hatte bemerkt, daß sie Apachen-Ponys
ritten und zwei weitere als Ersatzpferde am Zügel führten. Er
stieß einen hetzenden Schrei aus, schwang sich im Lauf auf
seinen Pinto und gab ihm die Fersen zu fühlen. Die anderen
Chiricahuas schlossen sich ihm an.
Als sie durch den Canyon stoben, als hätte sie der Teufel mit
seinem Schwanz gepeitscht, hatten sie weder Augen für ihre
Umgebung noch für die Canyonränder. Nur Ulzana, der alte
Fuchs, warf dann und wann einen Blick in die Runde.
Unvermittelt tauchte weit voraus die hellgekleidete Gestalt
Cochises hoch oben auf einer Klippe auf. Er streckte
abwehrend die Rechte gegen die Apachen aus.
Ulzana zügelte sein Pferd und rief den anderen ein paar
Worte zu. Sie hielten an und starrten auf den Häuptling der
Apachen, der in der Zeichensprache zu ihnen redete.
»Laßt sie in Ruhe«, sagten die Zeichen. »Ich bin derjenige,
der sie zu Tode hetzen und töten wird.«
Ulzana sank auf seinem Pferd zusammen wie eine leere
Hülle, der man die Stütze entzogen hatte.
»Der Häuptling will sie, laßt ab von der Jagd, Brüder!«
»Zastee! Tötet!« schrie Ainy-ahi-ta wild.
Ulzana streckte seine Hand gegen ihn aus und erwiderte
murrend »Cochise ist der Jefe aller Stämme. Widersetzt euch
nicht seinem Befehl.«
33
»Wir wollen die Weißen«, entgegnete Ainy-ahi-ta
widerspenstig. »Wir wollen Beute und Skalps, deswegen sind
wir ausgezogen. Ein schneller Handstreich, ein Coup, und wir
haben sie!«
»Cochise will es nicht.«
Als Ulzana einen zweiten Blick auf die Höhe warf, war
Cochise verschwunden. Statt seiner stand ein Weißer dort oben
und starrte hinab.
Wyatt Earp konnte die haßglühenden Blicke der Chiricahuas
zwar nicht erkennen, aber er ahnte sie. Die geballten Hände
sprachen eine zu deutliche Sprache.
Brüsk drehte er sich von der Felsplatte weg und verschwand.
Sechzig Meter unter ihm murmelten zwei Lippenpaare:
»Zastee! Wir kriegen auch dich, weißer Mann!«
»Er gehört zu dem Häuptling«, entgegnete Ulzana. »Beim
Ewigen Geist, laßt ihn in Ruhe!«
»Was machen wir jetzt?« fragte Ascha, der dritte der Gruppe.
»Keine Skalps, keine Beute. Sollen wir mit leeren Händen in
unsere Jacales zurückkehren?«
Ulzana wandte sich zu ihm um.
»Wir waren nicht hinter den Weißen her«, erwiderte er
streng. »Oder hat einer von uns gewußt, daß wir ihnen in
diesem Canyon begegnen werden?«
Sie schüttelten die Köpfe.
»Also«, fuhr Ulzana fort, »können wir uns nicht darauf
berufen, daß wir Jagd auf sie machten. Cochise wird es uns
nicht glauben.«
»Wir haben sie aber zuerst gesehen«, trumpfte Bapto auf.
»Nein, nicht wir. Der Chief ist ihnen gefolgt, deshalb hat er
die Erstrechte. Laßt uns nach Süden reiten.«
»Und was wird unser Ziel sein, Ulzana?«
»Wollten wir nicht zum Rio Bavispe?«
»Das wollten wir«, sagten sie alle wie aus einem Mund.
»Aber wenn wir das tun, dürfen wir in den Canyons nicht
34
einmal laut atmen.«
»Was meinst du, Ascha?« Ulzana schüttelte nicht verstehend
den Kopf.
»Sie sind ebenfalls nach Süden geflohen, und sie haben vor
uns Angst. Stimmt das, Brüder?«
Ascha schaute jeden an, und sie nickten beipflichtend.
»Sie werden sich irgendwo verstecken, weil sie nicht nach
Süden, sondern nach Sonnenaufgang wollen. Wenn sie uns
hören, ergreifen sie wieder die Flucht. Cochise will sie aber in
diese Richtung treiben, habt ihr begriffen?« Er deutete mit der
ausgestreckten Hand in nordöstliche Richtung.
Ulzana runzelte seine Stirn. Langsam begriff er. Ascha, der
Hecht, hatte recht.
»Wir werden diesen Canyon verlassen und einen anderen
nehmen, der auch zum Bavispe führt. Wenn wir bei der
Gabelung den Weg nach Osten einschlagen und bei den drei
Quellen wieder nach Süden reiten, weichen wir den Weißen
aus. Wer weiß einen besseren Weg?«
Alle vier Apachen schüttelten die Köpfe. Sie warfen
unruhige Blicke in die Runde, als befürchteten sie, von irgend
jemand beobachtet zu werden.
Ulzana gab das Zeichen zum Anreiten und grub seinem Pinto
die Absätze in die Weichen. Das Pferd blieb jedoch stehen. Es
scheute nicht vor der aufgerichteten Gestalt in heller
Wildlederkleidung, die die Hand gegen den Trupp ausstreckte.
Es blieb einfach stehen und spielte mit den Ohren.
Cochise machte das Zeichen des Friedens. Ulzana mit
seinem Pulk Chiricahuas erwiderte das Zeichen. Sekundenlang
herrschte Schweigen. Man wartete auf das Wort des
Häuptlings, dem kein anderer zuvorkommen durfte.
Cochise sprach nicht laut, aber was er sagte, drang bis in den
letzten Winkel des Canyons.
»Unrecht ist geschehen, Ulzana. Schreiender Kriegsadler
wurde mit seiner Familie von vier weißen Männern getötet,
35
sein Jacale verbrannt, seine Pferde gestohlen. Selbst Kinder
und Greise verschonten die weißen Mörder nicht. Das
vergossene Blut schreit nach Rache.«
»Zastee!« schrien die fünf Apachen wie aus einem Mund.
Cochise nickte. »Zastee! Tötet! Wer Blut vergießt, dessen
Blut wird selbst vergossen werden. Die bleichgesichtigen
Mörder sind geflohen und verstecken sich in den Canyons.
Meine Brüder werden sie finden und langsam in die Ebene vor
Dos Cabezas treiben. Dort wird Cochise die Strafe
vollstrecken.«
»Zastee!« grunzte der Chor gutturaler Stimmen.
Steingefrorene Wasserspeiergesichter hingen mit glühenden
Augen an den Lippen des Jefe.
Wieder nickte Cochise. Eine solche Treibjagd war ganz nach
dem Herzen der Apachen. Unsichtbar bleiben, sich dann und
wann mal kurz blicken lassen, lautlos, still wie die gefleckte
Raubkatze im Süden, um dann plötzlich zuzuschlagen. Die
Krieger verstanden ihren Häuptling, der wieder die Hand hob,
um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
»Die Toten müssen nach Apachenbrauch den Ewigen
Jagdgründen übergeben werden. Zwei deiner Krieger, Ulzana,
reiten zur Festung in den Bergen und kehren mit zehn Kriegern
in das Tal Tek-li-tans zurück. Du, Ulzana, bleibst auf der
Fährte der Mörder.«
Cochise machte eine abschließende Handbewegung, nickte
den Kriegern kurz zu und verschwand so schnell und
geräuschlos, wie er gekommen war.
*
Wyatt Earp zuckte zusammen, als Cochise wie aus dem Nichts
gezaubert vor ihm auftauchte. Er war plötzlich dort, wo vor
einer Sekunde noch Luft gewesen war, und sein Erscheinen
war so geräuschlos, als hätte ihn der Hauch des Großen Geistes
36
an jener Stelle erscheinen lassen, zu der Wyatt mit bleichem
Gesicht herumschwang.
»Die Jagd beginnt«, sagte Cochise einfach.
Earp wußte, was er meinte. Er bedauerte die Weißen nicht,
weil sie seiner Hautfarbe waren. Mord blieb Mord. Ein
Revolvermann mordete nicht. Dazu war er viel zu stolz. Ein
echter Revolvermann, der mit seiner Waffe seinen
Lebensunterhalt verdiente, bewahrt einem anderen so viel
Vorsprung, daß es gesetzlich und moralisch nicht als Mord
ausgelegt werden kann, wenn die Revolver gesprochen hatten.
Das war die haarscharfe Grenze des ungeschriebenen
Gesetzes, und sie war Earp sehr deutlich bewußt. Nicht
edelmütig war das, nur praktisch. Jeder Mann mit einem
Revolver ist sein eigener Richter, wenn er ihn abdrückt. Wenn
er es nicht ist, wird ein anderer Richter das Urteil über ihn
sprechen. Und auf Mord stand immer der Tod am Galgen.
»Eine schlimme Jagd«, sagte er, um überhaupt etwas zu
sagen. »Wird sie lange dauern?«
»Du kannst reiten, niemand hält dich.«
»Wir haben den gleichen Weg«, sagte Earp lächelnd, ohne
über die schroffen Worte Cochises beleidigt zu sein. »In deiner
Gesellschaft bin ich wenigstens vor deinen Kriegern sicher.«
Cochise antwortete nicht. Er ging zur Mulde hinüber und
tränkte seinen Pinto aus einem Wasserschlauch. Wyatt tat es
ihm nach. Wenn er bei dem Häuptling blieb, litt er keinen
Wassermangel. Cochise fand selbst dort noch Wasser, wo ein
Weißer nur harten Fels gesehen hätte.
»Reiten wir«, sagte der Jefe und deutete mit ausgestreckter
Hand über das weite Plateau.
Cochise schien hier oben jeden Stein zu kennen, jeden
Sumachstrauch und jede Yucca. Als in der Ferne eine Insel aus
Speerdorn und Tamarisken auftauchte, hielt er darauf zu. Earp
empfand das verstaubte Grün als wohltuend in der weiten
Fläche aus erosiertem Gestein mit seinem monotonen Überzug
37
aus Wüstenlack.
Hinter der spärlichen Flora fiel das Gelände steil in die Tiefe.
Für Wyatt ein Beweis, daß der Canyon in fünfzig Meter Tiefe
einen Knick beschrieb.
Cochise ritt in einen Hohlweg mit himmelanstürmenden
Wänden und einer bemerkenswerten Kühle, die Tiere wie
Reiter erfrischte. Es ging nach unten. Schweigend verließen sie
das mesaartige Tableau und drangen wieder in die Welt der
Canyons und halbdunklen Schatten ein.
»Jetzt sind wir wieder Jäger«, sagte Earp kopfschüttelnd.
»Nein«, erwiderte der Häuptling, »die Gejagten.«
»Verstehe ich nicht, Chief.«
Cochise deutete mit dem Daumen über die Schulter.
»Sie sind hinter uns.«
»Und deine Krieger?«
»Machen die Treiber.«
»Verdammter Apachentrick!«
Über Cochises strenges Gesicht flog ein Hauch von Glanz.
Er verstand den Weißen und wußte, daß Hochachtung vor der
indianischen Kriegsführung aus ihm sprach.
Der Nachmittag verging. Unermüdlich legten die Pferde
Meile um Meile, Kehre um Kehre, Strecke um Strecke zurück.
Die Einöde menschenleerer Canyons umgab sie mit
Schweigen, Fliegen und brütender Hitze.
Die Fliegen wurden zur Plage, die Hitze zur Qual.
Pfeilschnell schossen Pferdebremsen durch die Schluchten, und
wenn sie stachen, war das wie der Biß einer Klapperschlange.
Erste Schatten sanken wie dunkle Wolken in die Täler,
rollten die Canyonwände herab und gruben sich in
Gesteinsspalten. Cochise lenkte seinen müden Pinto zu einer
klammartigen Schlucht, die im rechten Winkel vom Canyon
abzweigte.
Nach ein paar Metern verbreiterte sich der Spalt zu einem
ovalen Kessel. Es gab eine Quelle, viel saftiges Gras und
38
trockenes Holz. Koniferen stiegen am Ende in die Höhe und
wiegten ihre immergrünen Häupter im leichten Abendwind.
Cochise stieg ab, führte sein Pferd zu einem Tümpel und ließ
es saufen. Wyatt befreite sein Tier von der Last des Sattels und
gab es mit einem Klaps auf die Hinterhand frei.
Bevor sich die Dunkelheit ganz über das Land legte, brannte
ein winziges Kochfeuer. Während sich der Häuptling mit einer
einfachen Mahlzeit begnügte, briet Wyatt Speck und Bohnen
und kochte Kaffee. Ein angenehmer Duft flutete durch das Tal
und regte die Magensäfte des Weißen an.
Sie hatten kaum gegessen, als Cochise den Kopf hob. Ein
fremder Laut stand glashell in der Dunkelheit. Beschlagene
Hufe stießen klirrend gegen Steine und erzeugten Töne wie in
einer Kathedrale.
Schweigend stand Cochise auf und neigte lauschend den
Kopf.
Earp wollte sich ebenfalls erheben, aber eine Handbewegung
des Häuptlings hielt ihn davon ab.
»Die Mörder?« fragte der Revolvermann.
Cochise schüttelte den Kopf.
»Ein fremder Reiter. Ich nehme ihn mir vor.«
»Ich begleite dich, falls es mehr sind.«
Verächtlich winkte Cochise ab.
»Ein Reiter. Er kommt durch den Canyon. Ganz bestimmt
wird er den Rauch unseres Feuers riechen und herkommen.«
Wie ein Schatten verschwand der Häuptling. Wyatt Earp
vernahm nicht das leiseste Geräusch. Da war nur ein Huschen
und Gleiten, ein leichter Windhauch, wie vom Flug einer
Libelle, mehr nicht.
Banges Schweigen beim Feuer. Earp durchflog die nahe
Vergangenheit und durchforstete sein Gehirn nach ähnlichen
Begebenheiten. Er fand nichts, gar nichts. Cochise war absolut
souverän und unnachahmlich als Häuptling der Apachen, und
er war allen anderen weit überlegen.
39
Cochise hatte die mannsbreite Enge hinter sich gelassen und
war in den finsteren Canyon hinausgeritten. Von Nordosten her
näherte sich ein einzelner Reiter.
Er saß locker und bequem, wie es Männer taten, die viel im
Sattel saßen und große Strecken zurücklegen mußten. Sein
Gesicht lag im Schatten einer herabhängenden Hutkrempe.
Bekleidet war er mit Wildlederstiefeln und über dem Hemd
trug er eine lederne Weste. Sein Halstuch flatterte rot im
Reitwind.
Dieser Weiße war gefährlich. Cochise sah es an seiner
wachen Haltung und den flinken Augen, die alles zu bemerken
schienen. Nur nicht den kauernden Apachen, der sich, so gut es
möglich war, seiner Umgebung anpaßte.
Cochise konnte den fremden Reiter nicht erkennen, dazu war
es zu dunkel. Der Mond war noch nicht aufgegangen, und
Sterne waren nicht zu sehen. Am Canyonrand wuchsen
Yuccas. Sie streckten ihre Faserstengel in die Höhe wie
Comanchenspeere und standen so dicht und reglos wie
Soldaten.
Wie ein großer Wurm kroch Cochise hinter die verstaubte
Vegetation und blieb bewegungslos liegen. Der Reiter mußte
nahe an der Pflanzensammlung vorbeikommen und würde
nicht eher etwas von der Anwesenheit eines Apachen wissen,
bis dieser hinter ihm saß und ihm das scharfe Messer an die
Kehle setzte.
Er kam näher, der ahnungslose Fremde. Er pfiff nicht und
sprach nicht mit sich selbst, wie das gern Männer taten, die
lange Zeit mit ihrem Pferd allein durch die Wildnis ritten.
Der Fremde kam lautlos heran. Cochise war es, als hätte sein
Pferd Katzenpfoten anstatt beschlagener Hufe. In diesem
Augenblick stieß es gegen einen Stein und hob sofort den Huf
an. Cochise wunderte sich über so viel Verstand bei einem
Pferd.
Noch zehn Pferdelängen war der Reiter entfernt. Er ritt
40
locker und irgendwie gelöst. Der Häuptling bewunderte die
Haltung des Fremden. Apachen ritten anders, mehr auf ihren
eigenen Schutz bedacht.
Das dunkelbraune Pferd näherte sich mit jedem Schritt mehr
der Gefahrenstelle und nickte beim Gehen, als sei es mit allem
einverstanden, was sein Reiter wollte.
Noch drei Pferdelängen.
Cochise spannte alle seine Muskeln an und machte sich fertig
zum Sprung.
Zwei Längen noch, eine. Da geschah es!
Das Tier witterte den Indianer, der seinen Eigengeruch
zwischen den stark duftenden Yuccas verborgen gehalten hatte,
und stieg mit den Vorderbeinen schlagend in die Höhe.
Cochise sprang auf. Mit zwei langen Schritten unterlief er die
rotierenden Hufe und blickte in eine Revolvermündung.
Cochise mußte keinen Bruchteil einer Sekunde überlegen, wie
er zu handeln hatte. Seine Reaktion geschah blitzartig, viel zu
schnell für den Weißen.
Die Revolverhand wurde gepackt, zur Seite gedrückt und
nach unten gezerrt. Der Mann kam Cochise entgegengeflogen
und stürzte mit hartem Aufprall vor die Füße des Jefe.
Sofort war dieser mit gezücktem Messer über ihm und setzte
ihm die scharfe Klinge an die Kehle.
»Jesus Christus! Cochise!«
John Haggertys Schrei füllte den halben Canyon aus.
»Falke!«
Cochises Messer verschwand. Der Häuptling erhob sich,
reichte seinem Freund die Hand und zog ihn auf die Beine.
Johns Pferd hatte sich bis an die Basis der Felswand
zurückgezogen und stand dort zitternd.
Beide klopften sich den Staub aus der Kleidung und starrten
sich dabei an. Haggerty grinste.
»Eine Meisterleistung, roter Mann, mich derart zu
überraschen!«
41
»Hellauge ließ mich in seinen Revolverlauf blicken. Das
kann nur der Falke.«
Sie empfanden mehr als Sympathie füreinander, das wurde
deutlich, sie waren Freunde. Cochise wußte von Haggertys
Aufgabe, der Armee als Scout zu dienen. Er wußte aber auch,
daß er diesem Mann vertrauen konnte. Seine Schwester Tla-ina
liebte den Falken mit der ganzen Faser ihres jungen Herzens,
aber John Haggerty war Scout für die Armee und ständig
unterwegs.
»Du reitest auf rotem Land, Falke. Wohin führt dein Weg?«
»Dorthin und dorthin«, sagte John und deutete nach
Nordosten.
»Zu den Jacales der Chiricahuas?«
»Nicht unbedingt.« Haggerty sah dabei weg.
Cochise wußte, daß er log. Zwecklügen waren keine Lügen,
nur Taktik in einem immerwährenden Krieg zwischen Weiß
und Rot. Er sagte nichts hierauf, starrte John nur an.
Zwei wissende Augenpaare kreuzten sich, bis Haggerty von
einer Bewegung in Cochises Rücken abgelenkt wurde. Sein
Colt wirbelte hoch, der Hahn knackte, und der lange
Revolverlauf reckte sich einem Weißen entgegen, der sich
langsam und zögernd aus der dunklen Canyonnacht schob.
Cochise, der die Bewegung in seinem Rücken gespürt hatte,
schüttelte den Kopf. Haggerty ließ die Waffe sinken und trat
zur Seite. Überraschen konnte man den Scout nur schwer. Das
war bisher nur einem gelungen: Cochise.
»Wer sind Sie? Bleiben Sie stehen und geben Sie sich zu
erkennen!«
»Hallo, Haggerty! Wie geht's?«
John erkannte den anderen trotz der schlechten Sicht.
»Hallo, Wyatt Earp! Immer zur nächtlichen Stunde
unterwegs?«
»Wie Sie, Haggerty, wie Sie!« Earp lachte, trat heran und
reichte dem anderen die Hand.
42
»Gewiß, wie ich. Schlimm, wenn man nachts reiten muß, um
sich sein Brot zu verdienen.«
Earp lachte. Er wußte genau, worauf Haggerty anspielte und
machte mit seinen folgenden Worten keinen Hehl daraus, daß
er von einem Aufgebot verfolgt wurde.
»Sie haben recht, John. Sie sind wieder einmal hinter mir
her.«
»Hoffentlich nicht Cochise mit seinen Chiricahuas?«
Beide grinsten sich an.
Der Scout fragte: »Wieder was ausgefressen, Wyatt?«
»Ein Spielchen in Tombstone. Man nannte mich
Falschspieler und griff zur Waffe. Ich mußte mich doch
wehren.«
»Klingt einfach, wie?« antwortete Haggerty und warf einen
Blick in Cochises verschlossenes Gesicht.
»Du bist auf der Jagd, Jefe, ich seh's dir an. Wer ist das
Wild?«
»Vier weiße Mörder.«
Haggerty witterte sofort neue Komplikationen. Er wich
zunächst dem Thema aus und drehte suchend den Kopf.
»Ich rieche Rauch. Wo ist das Lager?«
Cochise machte eine flüchtige Handbewegung und deutete
auf den engen Spalt der Klamm.
»Komm mit, Falke. Du wirst es sehen.«
In der Nähe flatterte ein Ziegenmelker-Pärchen. Cochise
beachtete die Geräusche nicht. Mit den Stimmen der Natur
vertraut, wandte er sich an Haggerty und ignorierte das heftige
Flügelschlagen zwischen den Surnachstauden.
»Du bist den ganzen Tag unterwegs, Falke, du wirst Hunger
haben. Der Mann mit dem schnellen Revolver wird dir zu
essen machen.«
»Ich habe keinen Hunger, Chief.«
Er folgte Cochise zu dem Spalt, gleitend und mit erhobenem
Kopf, wie er überall durch Türen und fremde Eingänge ging.
43
Er war glücklich, auf Cochise gestoßen zu sein, ersparte es ihm
doch den Verrat an einem alten Freund. Doch er gestattete
diesem neuen Gefühl nicht, den Blick seiner Augen zu trüben,
noch seinen wolfsähnlichen Gang zu verzögern.
Auch entfernte er nicht seine rechte Hand von den schwarzen
Walnußholzschalen seines Revolvergriffes, wie er auch nicht
vergaß, spähende Blicke in den ovalen Kessel zu schicken. Mit
einem einzigen Blick erfaßte er alles, auch, daß Cochise ihm
seine Ausrede nicht glaubte.
Das alles, was John ständig wieder und wieder in die
Waagschale werfen mußte, war der Preis, den das Überleben in
dieser gnadenlosen Wildnis forderte: diese unbewußte
Wachsamkeit, dieses ständige Auf-der-Hut-sein, besonders in
Regionen wie dieser und während der dunklen Nacht.
Earp beobachtete den Scout. Wyatt erkannte mit einem
einzigen Blick, daß er einen Mann der Superklasse vor sich
hatte, einen Mann, der in diesem Land Bescheid wußte und alle
Schliche und Tricks kannte.
Sie setzten sich. Cochise ließ das Feuer wieder aufflammen
und sorgte mit Nachschub an trockenen Zweigen für Licht. Als
Haggerty ihm Fragen stellte, beantwortete er sie alle
wahrheitsgemäß. Er erzählte von dem Spiel in Tombstone, von
seiner Flucht, später sprach er über seine Brüder, vergaß sein
Leben nicht und das, was er erreichen wollte.
Cochise und Haggerty hörten schweigend zu. John war sich
darüber klar, daß Earp ein typisches Kind seiner Zeit war.
Aufgewachsen mit einem Revolver, der Gewalt zugeneigt, ging
er jeder Gefahr mit kühner Stirn entgegen und bot seine
behaarte Brust jedem Pfeil und jeder Kugel dar.
Cochise hatte ähnliche Gedanken. Sie bezogen sich jedoch
mehr auf eine zu erwartende Gefahr durch diesen Mann.
Ihm selbst konnte Earp nicht mehr gefährlich werden, weil er
ihn kannte. Aber er konnte Unheil anrichten unter seinen
Kriegern, die ihn nicht kannten.
44
Haggerty und Cochise wechselten einen Blick über das Feuer
hinweg. Beide dachten gleich, wie Zwillinge, die einem
einzigen Ei entstammten. Und doch waren die beiden Männer
so verschieden wie Tag und Nacht.
Earp hatte sich thematisch erschöpft. Er fing an, von dem zu
berichten, was den schweigsamen Indianer betraf. Er erzählte
Haggerty von dem Massaker an der indianischen Familie. Er
sprach über alles, was dem Scout neu war. Wyatt hörte erst auf
zu reden, als irgendwo in der Bergwildnis ein grausig
anzuhörender Schrei ertönte, der sich mit zahlreichen Echos
fortpflanzte, bis er sich anhörte, als würden sich die Seelen der
Gemarterten und sinnlos Hingeschlachteten dieser Welt in
diesem Landstrich ein klagendes Stelldichein geben.
Noch einmal dieser furchtbare Schrei. Dann lag die
monotone Stille wieder wie ein Leichentuch über dem
schluchtenreichen Land. Earp und der Scout waren
aufgesprungen. Nur Cochise war sitzengeblieben und regte
kein Glied.
Im Canyon dröhnten Hufe auf steinigem Grund, jagten in
rasendem Stakkato an der Felsspalte vorbei, verfolgt vom
Jagdschrei eines Timberwolfes.
»Wölfe…? Hier…?« Haggertys Stimme wurde vom Zweifel
befallen.
Cochise winkte ab.
»Menschliche Wölfe, Falke, Chiricahuas.«
Earp verstand und setzte sich wieder. Haggerty jedoch blieb
weiterhin stehen, die Hand am Revolver.
»Ich verstehe nicht, Jefe.«
Wyatt Earp erklärte es ihm. Nach und nach beruhigte sich
der Scout und nahm am Feuer Platz. Es war kurz vor dem
Erlöschen. Weder Cochise noch ein anderer legte
Brennmaterial nach. Bodendunst erhob sich am Ende des
Kessels. Über das flüchtige Lager hinweg strich Bu, die Eule,
der Totenvogel für die Apachen.
45
Cochise war zwar nicht frei von Aberglauben, aber die Eule
erregte ihn nicht sonderlich. Für den wildniserfahrenen
Indianer war sie ein Raubvogel und kein Götterbote.
In den Canyons wurde es wieder still. Vorbei war die wilde
Jagd, vorbei die Schreie in den Schluchten. Kein Laut störte
mehr die Stille der verschlafenen Nacht.
*
Sie hielten atemlos auf einem Hang. Das Geröll unter den
Pferdehufen geriet ins Rutschen und kollerte polternd die
schräge Ebene hinab.
Dan Laurel, der Geierköpfige, gestikulierte wild mit den
Händen. Bevor er sich erklären konnte, gewahrte Josuah
Lemmon eine flüchtige Bewegung oben am Hang, stieß einen
Warnruf aus und riß das Gewehr aus dem Scabbard.
»Nicht schießen!« brüllte Fatty und wollte der Zaunlatte das
Gewehr entreißen.
Es blieb beim Wollen. Lemmon schoß zwar nicht, ließ sich
aber auch nicht die Waffe wegnehmen. Vier Männer starrten
aus entzündeten Augen den Hang hinauf, sahen aber keine
Bewegung mehr, und sei sie noch so flüchtig.
»Was war das?«
»Ein Wolf.«
»Hier? Nonsens!«
»Doch, es war ein Wolf«, beharrte Dan Laurel auf seiner
Meinung.
»Und warum durfte ich dann nicht auf ihn schießen?« fragte
Zaunlatte.
»Wegen der Indianer, du armer Tropf«, erwiderte Hugh
Bennet, der Schieler.
Kaum hatte Hugh die Worte ausgesprochen, ertönte ein
Wolfsschrei, der die Männer zusammenzucken ließ. Nicht der
tierische Laut war es, der sie jäh in Entsetzen versetzte,
46
sondern die Ahnung, daß sich, hinter dem Schrei Indianer
verbergen konnten, die sich gegenseitig signalisierten. Eine
halbe Meile weiter stand nadelspitz und gefährlich anzuhören
der Antwortschrei in der Luft.
»Reiten wir fort«, sagte Lemmon angstbebend.
Dan Laurel hob den Kopf wie ein witternder Hund und
antwortete: »Wohin? Kannst du mir sagen, wohin, wenn es
sich um Apachen handelt?«
»Weg, nur weg!«
»Dummer Kerl! Sind es Chiricahuas, kommen wir nicht weit.
Sind's nur Wölfe, brauchen wir nicht zu fliehen.«
»Aber wir müssen doch was tun!«
Hugh Bennet drehte sich zu dem Dicken herum. Er runzelte
die Stirn und strich sich bedächtig den brustlangen Bart.
»Wir werden auch was tun, Dummkopf! Aber wir lassen uns
nicht durch ein bißchen Geschrei in die Flucht jagen und dann
irgendwo in einer dunklen Ecke des Gebirges abmurksen.
Warten wir ab. Aber haltet die Gäule fest, daß sie uns nicht
durchgehen.«
Eine Weile geschah nichts. Stille lag über dem Hang. Fliegen
schossen im Sonnenuntergang durch den Canyon, verfolgt von
dunklen Gebirgsschwalben. Auf einer Klippe saß ein Dutzend
Bussarde und spähte nach einem Abendessen aus.
Es gab einfach nichts, was die abendliche Stille gestört hätte.
Oder doch? Lautlos und geschmeidig zuckte ein grauer
Schatten weiter oben in Kammnähe durch die dürftige
Vegetation. Einmal war er kurz zu sehen, dann wieder einen
langen Augenblick lang nicht. Weit hinten im Canyon bewegte
sich ebenfalls etwas.
Das Auge eines Weißen war nicht scharf genug, diese
flüchtigen Bewegungen zu erkennen und als das zu
identifizieren, was sie waren: Alles, nur keine Wölfe.
Der folgende Wolfsschrei ließ die Pferde mit den
Vorderbeinen in die Höhe gehen. Unter Angstgewieher warfen
47
sie sich herum und fegten in einem halsbrecherischen Tempo,
den Hang wieder hinab in den Canyon.
Fatty fluchte wie ein Bürstenbinder. Lemmon, der Dürre,
schrie mörderisch und zeigte seine Angst mit aller
Deutlichkeit. Eine Angst, die auch von den anderen geteilt
wurde.
Das waren keine Wölfe. Wölfe, die ihren Jagdschrei in den
sinkenden Tag schickten, konnte man sehen. Wölfe verbargen
sich nicht, wenn sie ein Wild zu hetzen begannen, selbst wenn
dieses Wild Menschen waren.
Im Canyon beruhigten sie die Pferde. Als sich die vier
Outlaws wieder sammelten, wandte sich Hugh Bennet an Fatty:
»Morg«, sagte er, »Morg, hast du in deinem Leben schon
mal solche Wolfsschreie gehört?«
Morg Burthe schüttelte heftig den Kopf.
»Nein«, sagte er voll Argwohn, was jetzt wohl in dem
langsamen Verstand des anderen vorgehen mochte. »Warum
willst du das gerade von mir wissen?«
»Es war nur so ein Gedanke, Junge. Vergiß es.«
»Dir Bastard traue ich nicht weiter als ich dich sehe.«
»So schlecht mußt du nicht von mir denken.«
Morg Burthe konnte nicht mehr antworten. Von drei Seiten
gleichzeitig dröhnte der Wolfsschrei, diesmal lauter und
aggressiver als vorher. Unvermittelt setzten sich die Pferde aus
dem Stand in Galopp in Bewegung und warfen fast die Reiter
ab.
In heller Panik stoben die Ponys durch die Schlucht, verfolgt
von den wilden Schreien grauer Wölfe. Es gab kein Halten
mehr. Hugh Bennet verschwand zuerst mit seinem Gaul hinter
der nächsten Kehre, ihm folgten der Dicke, Zaunlatte und
schließlich Dan Laurel, der Geierköpfige.
Hinter Steindeckungen hervor kamen drei vergnügte Krieger
in ihrer traditionellen Wüstenkleidung. Sie lachten, hieben sich
auf die Schenkel und schwangen voller Triumph ihre
48
Kürbisrasseln.
Es war ein mächtiges Spektakel, das hinter den flüchtenden
Weißen herraste, und es war genau die gewünschte Richtung,
in die die Outlaws ritten.
Tal-bort warf sich in die Brust und rief den Kampfschrei der
Chiricahuas in die herabsinkende Dunkelheit. Die beiden
anderen stimmten ein, zerrten aus geschützten Verstecken ihre
Ponys und folgten den Weißen. Von nun an durften sie nicht
wieder zur Ruhe kommen.
»Sollen wir unsere Taktik nicht ändern?« Kleiner Fisch
wandte sich an Ulzana.
»Wie ändern?«
»Sie müssen bald merken, daß es keine Wölfe sind, die sie
jagen. Ich meine, der Schrei eines Pumas tut's auch.«
Ulzanas Augen suchten die Hänge des Canyons ab, die sich
deutlich von den dunkler und dunkler werdenden Hängen
abzeichneten. Kein Cochise war dort oben und sah ihnen zu.
»Nein«, erwiderte er in seiner gutturalen Sprache. »Es
genügt. Der Jefe wird sie am Ende der Canyonregion stellen
und bestrafen. How!«
Das abschließende Wort ließ die beiden anderen Apachen
schweigen. Wenn Ulzana auch kein Häuptling war, so zählte
sein Wort im Rat der Alten. Jüngere Krieger hatten danach in
der Regel keine Stimme mehr.
Lange nach Anbruch der Dunkelheit vernahmen die scharfen
Ohren der Chiricahuas die Huftritte der verfolgten Pferde vor
sich in der langen Schlucht. Sie trieben ihre Pintos an und ritten
in einem leichten Galopp den anderen nach.
Noch hielt Ulzana die Zeit für nicht gekommen, die Weißen
wieder ein wenig anzuspornen. Auch Indianerpferde brauchten
Ruhe und konnten nicht ständig im gestreckten Galopp rennen.
Als die Weißen die Gabelung hinter sich gelassen hatten,
schlugen sie ihren Weg in einen Canyon ein, der genau nach
Osten führte und erst nach ein paar Meilen wieder in nördliche
49
Richtung verlief.
Für Ulzana schien die Zeit gekommen, Cochises Befehl
Nachdruck zu verleihen. Er drehte sein breitflächiges Gesicht
Tal-bort zu und zischte:
»Schrei wie der große Wolf, Kleiner Fisch, und schrei laut.«
Tal-bort ließ ein lautes Heulen erklingen, das sich mit
zahllosen Echos an den Hangwänden fortsetzte. Sofort darauf
klapperten weit vor ihnen wieder unbeschlagene Hufe.
Zwei Gruppen fegten durch die Schlucht, wirbelten Staub auf
und ließen ihn zurück. Die eine Gruppe schrie begeistert, die
andere angsterfüllt. Apachentaktik.
Was sie noch hinter sich ließen – eine klammähnliche
Seitenschlucht, in der ein Feuer brannte und zwei weiße
Männer bangen Herzens der verklingenden wilden Jagd
lauschten.
Nur Cochises Gesicht blieb unbeweglich. Earp und Haggerty
musterten ihn fragend, aber der Häuptling gab mit keinem
Zeichen zu erkennen, daß er von der Verfolgungsjagd wußte.
Nachdem alles in ihrer Umgebung ruhig geworden war, und
die Stille der Nacht sich auf den Kessel senkte, nahmen sie ihre
Decken und bereiteten sich ein Nachtlager.
Kaum graute der Morgen im Osten, wurde Haggerty vom
Rauch des Lagerfeuers geweckt. Er richtete sich auf und sah
den Indianer bereits vor den Flammen sitzen.
Earp schlief noch, als sich Haggerty von den Decken
befreite, aufstand und zum Feuer ging. Er setzte sich wortlos,
aber mit einem flüchtigen Kopfnicken, dem Jefe gegenüber.
»Du bist früh auf den Beinen, Cochise.«
»Es ist Tag«, erwiderte der Häuptling und deutete über die
Schulter nach Osten. Seine Stimme klang lakonisch.
»Wird ein schwerer Tag, wie?«
Cochise nickte. »Ein heißer Tag, Falke, ein sehr heißer Tag.«
Haggerty lächelte. Er erhob sich, ließ aus seiner Feldflasche
Wasser in einen Henkeltopf laufen und stellte ihn auf die
50
Flammen.
»Cochise ist auf der Jagd?«
»Apachen sind immer auf der Jagd.«
»Es fragt sich nur, wen sie jagen?«
Cochise blickte über das Feuer hinweg auf den Weißen der
sein Freund sein könnte, wenn die Gegensätze, für die sie sich
beide einsetzten, nicht so groß gewesen wären. John hielt dem
Blick stand.
»Der Falke ist nicht in dieses Land gekommen, um zu jagen.
Weder Tier noch Menschen. Tla-ina wird betrübt sein, wenn
sie erfährt, daß ihr weißer Freund die letzte Bergfeste der
Chiricahuas auskundschaften will, um es an die Soldaten zu
verraten.«
John Haggerty zuckte zusammen. Sein Blick irrte zur Seite,
sah Wyatt Earp an, der zum Feuer kam und die letzten Worte
Cochises vernahm.
»Das werden Sie doch nicht tun, Scout, oder doch?«
»So lautet mein Auftrag. Es bedeutet jedoch nicht, daß
General Howard einen Angriff auf Cochises Lager führen will.
Howard ist der Freund aller roten Männer.«
»How!«
Wyatt und Haggerty starrten Cochise an. Das How war die
Bekräftigung dessen gewesen, was sie alle dachten. Wenn
General Otis O. Howard nicht wäre, würde es an der
Indianergrenze anders aussehen. Der Mann, der im
amerikanischen Bürgerkrieg seinen rechten Arm verlor, war
wirklich alles andere als ein Indianerfeind.
John nahm das kochende Wasser vom Feuer und brühte
Kaffeepulver auf.
»Es ist schon schlimm«, sagte er, »wenn sich Freunde
gegenübersitzen, die aus verschiedenen Gründen keine Freunde
sein dürfen. Das ist sehr schlimm, Mr. Earp!«
Cochise erwiderte kein Wort. Earp zuckte die Achseln. Von
Freundschaften hatte der kaltschnäuzige Revolvermann und
51
Berufsspieler noch nie viel gehalten, ganz besonders nicht von
Freundschaften solcher Art.
Wenn er auch persönlich nichts gegen die Apachen hatte,
wenn sie ihn in Ruhe ließen, so war es ihm doch völlig
gleichgültig, was die Armee über Indianer dachte und warum
sie einen Mann wie Haggerty in die Berge schickte.
Er warf einen langen Blick auf den Scout, wie um seine
Gedanken zu ergründen. Aber John sah man nicht an, was er
dachte oder fühlte. Seine Gedanken waren irgendwo streifend
in der Bergeinsamkeit, suchend nach Tla-ina, dem Mädchen,
das er liebte und doch nicht besitzen durfte, weil in der Armee
Squaw-Männer ohne Ansehen waren.
Earp sah ein schmales Gesicht, braunes, gewelltes Haar, das
lang in Haggertys Nacken floß. Der Scout hatte helle Augen,
eine hohe Stirn und schmale Lippen über einem energischen
Kinn. Dieser Mann wußte, was er wollte. Das dachte Wyatt
Earp in diesem Augenblick.
Dankbar nahm er den Becher mit kochend heißem Kaffee
entgegen und setzte ihn an die Lippen.
»Danke«, murmelte er und musterte nun den Häuptling.
Cochise begnügte sich mit Wasser aus der Quelle. Dazu aß er
knochentrockene Tortillas und eine Handvoll Beeren aus einem
Lederbeutel.
Earp setzte sich, blies lange in die dampfende braune Brühe
und war sich bewußt, daß er mit dem Erscheinen des Scouts
auf tiefgreifende Probleme gestoßen war, die nicht nur in den
rassischen Unterschieden zu suchen waren. Zwischen Cochise
und Haggerty gab es ein ganz tiefes Geheimnis, über das aber
keiner in Gegenwart dritter sprach.
Nach einer Weile vergaß Earp seine Gedanken und gab sich
ganz dem Frühstück hin. Danach drehte er eine Zigarette und
zündete sie mit einem brennenden Ast an. Er rauchte, studierte
die Gesichter der seltsamen Weggenossen und wartete auf das
Zeichen zum Aufbruch.
52
Es wurde von Cochise gegeben. Die drei Männer standen
auf, löschten das Feuer, sattelten die Pferde und stiegen auf.
Cochise übernahm die Spitze und verließ den Kessel durch die
Klamm.
Im Canyon brütete bereits die erste Morgenhitze. Ein
Falkenpärchen tummelte sich über ihren Köpfen und stieß
pfeifende Schreie aus. Wyatt ritt hinter Cochise und Haggerty.
Die beiden unterhielten sich leise. Ein paar Worte konnte der
Spieler verstehen.
Cochise sagte: »Wir werden eine andere Wegstrecke
einschlagen müssen, wenn wir ihre Spur nicht verlieren
wollen.«
»Weißt du eine, Häuptling?«
»Es ist mein Land«, war die kurze Erwiderung. »Täler und
Berge wurden mir von meinen Ahnen anvertraut, damit ich sie
gut verwalte. Das habe ich getan, bis die Weißen vordrangen.«
John Haggerty erwiderte nichts darauf. Er hätte auch nichts
Entlastendes sagen können. Cochise fuhr fort:
»Der Krieg wird erst beendet sein, wenn es keine Indianer
mehr gibt, nicht hier, nicht anderswo. Irgendwann wird alles,
was du siehst, Falke, den Weißen gehören. Und dann bleibt
ihnen nichts weiter übrig, als sich gegenseitig zu bekämpfen.«
»Du siehst zu schwarz, Jefe. Kein weißer Häuptling will den
roten Mann aus seinem Stammesgebiet vertreiben.«
Cochise drehte den Kopf herum und schaute Haggerty von
der Seite her lange an.
»Deine Worte sind Pfeile, Falke. Sie treffen mein Herz und
lassen es bluten.«
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Die Weißen treffen nie die richtigen Worte, die Indianer
verstehen könnten. Manchmal reden sie doppelzüngig,
meistens aber unverständlich.«
»Das ist die Verschiedenart der Sprachen.«
Cochise schüttelte den Kopf, deutete voraus in den breiter
53
werdenden Canyon und zeigte auf einen abschüssigen Hang,
der zu einer lichtlosen Schneise zwischen zwei Bergkuppen
führte.
»Dort ist unser Weg.«
Earp in seinem Rücken berührte mit den Fingerspitzen seinen
sonnenverbrannten Hals, und ein Grinsen breitete sich über
sein Gesicht.
»Donnerwetter«, sagte er, »dort hinauf, das will schon was
heißen!«
Sein Grinsen gehörte keinem Schwachsinnigen oder einem
gefühllosen Mann. Es war das Grinsen des Spielers, der eine
Karte ausspielte, von der er wußte, daß sie schlecht war. Wyatt
Earp wußte genau, wo er war, woher er kam und wohin er
gehen mußte. Es schreckte ihn nicht. Er würde grinsen, wenn
er vor einem abschußbereiten Revolver stand oder wenn man
ihm die Schlinge um den Kopf legte. Das war seine Art. Er
würde sie weder verfluchen noch anspucken, und er würde
nicht die Hände falten zu einem Gebet. Nicht laut jedenfalls.
»Dort hinauf?« fragte er. »Ich denke, da sind wir mit unseren
Gäulen schneller wieder unten als wir denken.«
Weder Cochise noch Haggerty gaben Antwort. John hielt
sein Pferd mit einem Zügelruck an. Cochise folgte seinem
Beispiel. Sein markantes Gesicht mit den dunklen Augen war
auf den sattelähnlichen Spalt dort oben gerichtet.
Was sah er? Mehr als die Weißen?
Earp schüttelte hinter seinem Rücken den Kopf. Dort oben in
dieser Wildnis führte kein Weg mehr weiter. Keinem Weißen
wäre es jemals eingefallen, hinaufzureiten, um nach einem
Weg zu suchen.
»Das ist eine Sackgasse.«
Er straffte sich, als er das sagte, und seine Augen saugten
sich an einer Bresche in der hinteren Felswand fest, die den
schräggeneigten Hang abschloß.
Cochises Hand zuckte vorwärts.
54
»Reiten wir«, sagte er lakonisch.
Er trieb sein Pferd tatsächlich den Hang empor und
verschwand hinter aufragenden Basaltfelsen.
*
Morg Burthe wischte sich immerfort Schweiß und Staub aus
dem Gesicht. Die Hitze in den engen Canyons war infernalisch,
und nicht nur die Hitze. Der Wind wehte Staub und Sand von
den Hängen und trieb beides in die Abgründe.
Hugh Bennet und Dan Laurel ritten an der Spitze des Trupps.
Josuah Lemmon und Laurel befanden sich in einem Zustand
erbarmungswürdiger Hilflosigkeit und Angst. Die Angst um
das Leben war es, die ihnen überall Wölfe und Apachen
suggerierten, wo nur nackter Fels war. Ihre Phantasie spiegelte
ihnen Trugbilder vor, die unter normalen Umständen einem
kranken Gehirn entsprangen. Sie sahen bewaffnete Krieger auf
grauen Wölfen reiten, und diese Wölfe hielten
scharfgeschliffene Messer in den Fängen.
Hugh Bennet, der schielende Bärtige, war aus einem anderen
Holz geschnitzt. Er sah keine Phantombilder und fürchtete sich
weder vor den Apachen noch vor den eingebildeten Wölfen. So
lange er ein geladenes Gewehr und seinen Colt hatte, fürchtete
er nichts auf dieser Welt. Morg Burthe fürchtete die Hitze, den
Staub und die Berge mehr als die Apachen. Auch er vertraute
seinen Waffen und seiner eingebildeten Schießkunst.
So ritten sie schnaufend, fluchend und keuchend durch den
Canyon, der kein Ende nehmen wollte. Einmal war er schmal,
sehr schmal, dann wurde er breit wie ein Tal. Aber in allen
Fällen waren die Hänge schroff und unbesteigbar. Nicht einmal
wilde Bergziegen hätten sie bezwingen können, geschweige ein
unbeschlagenes Pferd mit einem Reiter auf dem Rücken.
Als die Sonne im Zenit stand und ihre glühenden Pfeile
senkrecht in die Schlucht schickte, war der Dicke nahe am
55
Aufgeben. Auch die anderen hingen auf den Pferderücken wie
trunkene Affen auf einem Schleifstein.
Ein gewaltiger Schrei in ihrem Rücken riß sie gemeinsam
hoch. Noch einmal klang der Wolfsschrei an einer anderen
Stelle auf. Die gestohlenen Indianerpferde waren zu
abgetrieben, um noch spontan auf die Rufe der Wildnis zu
reagieren. Sie ließen die Ohren hängen und trotteten weiter
ihren Weg.
Hugh Bennet riß das Gewehr aus dem Scabbard und schickte
mit schnellem Hebelgriff eine Patrone in die Kammer. Der
Schuß, wahl- und ziellos abgefeuert, donnerte durch die
Schlucht, und die Kette von Echos ließ Sand und Steine von
den Steilhängen regnen.
»Idiot!« sagte Josuah Lemmon erregt. »Mußt du auch noch
die Apachen auf uns aufmerksam machen?«
Bennet tippte sich an die Stirn.
»Selber Idiot! Was glaubst du, du Einfaltspinsel, wer die
verdammten Schreie ausstößt?«
Schweigen legte sich wieder wie eine Wolke aus grauem
Staub über die Reiter. Sie waren ausgepumpt, müde und
verzweifelt. Dan Laurel rang mit seinem Gewissen und hätte
den Überfall auf die Apachensippe gern ungeschehen gemacht.
Gebete aus seiner Kindheit fielen ihm ein, er stammelte sie mit
aufgesprungenen Lippen und zundertrockener Zunge.
Sie hatten längst kein Wasser mehr und würden auch keins in
dieser Einöde finden, das wußten sie alle, ohne daß ein Wort
darüber verloren wurde. Ihr eigener Wille war durch die
Apachen ausgeschaltet worden. Sie unterlagen fremdem
Denken und Wollen und wurden gelenkt.
Sie wurden zur Schlachtbank geführt, ohne daß sie sich
wehren konnten. Jeder wußte es, ohne darüber zu reden. Alle
hofften sie auf ihr sprichwörtliches Banditenglück, das ihnen
rechtzeitig einen Ausweg aus dieser mißlichen Lage zeigen
würde.
56
Als die Pferde auf die Wolfsschreie nicht mehr oder nur
schwach reagierten, wandten die Chiricahuas eine andere
Taktik an. Geröll prasselte ohne erkennbare Ursache von den
Canyonhängen zwischen die steifen Pferdebeine.
Die gepeinigten Tiere stießen seltsam anzuhörende
Angstschreie aus, die geradezu menschlich klangen. Noch
einmal rafften sie alle Kräfte zusammen und stoben in langen
Sätzen einige hundert Meter tiefer in den endlosen Canyon.
»Wenn wir kein Wasser finden, sind wir noch vor
Sonnenuntergang erledigt«, grunzte Bennet hitzetrunken.
»Mein Schinder macht's keine Meile mehr«, gab Morg
Burthe zurück.
Die Zaunlatte und der Geierköpfige verzichteten auf einen
Dialog. Jedes Wort bedeutete Anstrengung und Qual, und wer
quälte sich schon ohne Notwendigkeit.
Nach einem leichten Galopp fielen die Tiere wieder in einen
gleichgültigen Zuckeltrab. Er wischte sich den Schweiß aus
dem Gesicht, und das fortwährend. Es war heiß, und die Hitze
würde noch zunehmen.
»Pferd«, sagte er, »sie treiben uns, sie, die Brüder deines
roten Herrn. Sie wollen es jetzt schaffen. Das können sie auch,
denn sie kennen das Land, wir nicht. Oder weißt du, Pferd, was
vor uns liegt?«
Das Pferd schnaubte nicht einmal. Es wackelte ein wenig mit
den Ohren, aber das war eine Reaktion auf die Fliegen, die sich
bei ihm festsetzten und seinen Schweiß tranken.
»Na, dann eben nicht«, murmelte Bennet und blinzelte gegen
die Sonne. Übergangslos hatte er den Eindruck, als ritten sie in
eine völlig falsche Richtung. War es das beginnende Wüsten-
Koma, der totale Blackout, hervorgerufen durch Hitze und
Wassermangel, oder spielte ihm die Sonne lediglich einen
Streich?
Der Gedanke entlockte ihm ein fades Grinsen, das kaum
seine Bartspitzen in Bewegung brachte. Für ihn und die
57
anderen war es völlig gleich, ob die Sonne, die Hitze oder der
Durst ihnen Wahnvorstellungen vorgaukelte.
Es gab keinen anderen Weg für sie. Weder über die Hänge
noch rückwärts. Weiter mußten sie, immer geradeaus, einmal
nach Osten, dann nach Norden und schließlich in die von den
Roten gewünschte Richtung Nordosten.
»Ich kann nicht mehr«, keuchte der Dicke.
Hugh Bennet sah in dem sich wieder einmal verbreiternden
Tal eine grüne Buschinsel. Er hielt darauf zu und streckte die
Hand aus.
»Wir legen dort drüben eine Rast ein, Jungs. Und wenn der
Teufel selbst uns zu vertreiben versucht, diesmal hat er kein
Glück.«
Ein dumpfes Ächzen in seinem Rücken war die ganze
Antwort.
*
»Hier führt kein Weg mehr weiter.«
Haggerty hielt sein Pferd an und schwang sich aus dem
Sattel. Wyatt Earp sah die Barriere, nickte und tat es John
gleich. Cochise war ein Stück weitergeritten und drehte sich
nun um. Earp bewunderte das Pony des Apachen. Es kletterte
wie eine Gemse, obwohl es unbeschlagen war, und es schien
kein bißchen ermüdet zu sein.
»Die weißen Männer mögen mir folgen, es geht weiter.«
»Zum Teufel, dort vorn ist Schluß!«
Cochise schüttelte den Kopf und wies mit der Hand auf die
Bresche in der Felswand ganz links. Erodiertes Gestein
bedeckte den langen und sehr breiten Hang bis zur Basis der
emporkletternden Felsen.
Haggerty und Earp folgten der weisenden Hand, sahen aber
nicht mehr, als sie von unten auch gesehen hatten.
»Kommt!« forderte sie der Apache auf. »Dort oben ist
58
Wasser.«
»Wir können dort bestenfalls einen Milcheimer unter einen
Bullen stellen und warten, bis Milch kommt«, knurrte Earp
wütend.
Hinter ihm war ein Aufgebot her, und er kraxelte mit einem
verrückten Scout und einem noch verrückteren Chiricahua in
der Einöde herum, ohne überhaupt zu wissen warum. Mürrisch
schwang er sich wieder auf seine durchgewetzten Stiefelsohlen
und zerrte sein Pferd hinter sich her. John Haggerty folgte.
Sie gelangten auf eine Plattform und blieben wieder stehen.
Klettern bei dieser abscheulichen Hitze war Schwerstarbeit,
aber keiner der beiden Weißen wollte das zugeben und hinter
dem Indianer zurückbleiben.
Mit einiger Mühe konnte man bis zu jener Lücke in der
abschließenden Wand hinaufgelangen. Der Geröllschutt und
die Fächerhalde aus Bruchsteinen, die sich unter der Felslücke
ausbreitete und mit dornigem Gestrüpp durchsetzt war, würde
sogar einem Pferd den Aufstieg erlauben.
»Ich nehme meine Behauptung zurück«, sagte Earp. »Man
kann tatsächlich die Wand erreichen. Vielleicht finden wir
sogar einen Weg nach drüben, mehr kann man wirklich nicht
verlangen.«
Cochise gab keine Erklärung und keine Zustimmung.
Unmittelbar vor ihm breitete sich eine flache Mulde aus, in der
Stachelzeug und Cholla-Kakteen wuchsen. Stechpalmen aller
Zwerggattungen gaben sich hier oben ein verlorenes
Stelldichein.
Cochise gab das Zeichen zum Weitergehen. Sie führten ihre
Pferde beim Zügel, um ihnen den Aufstieg zu erleichtern. Die
Sonne glitt auf ihrer lautlosen Bahn nach Westen und ließ den
späten Nachmittag ahnen.
Haggerty blieb stehen und sah einem Gecko zu, der sich auf
einem Stein sonnte und träge auf die Reiter blinzelte. Als die
Echse merkte, daß der Mensch sie beobachtete, glitt sie von
59
ihrem Sonnenplatz und verschwand.
Meter für Meter gelangten sie höher hinauf. Als Wyatt Earp
einmal kurz nach links blickte, sah er die dunkle Mündung
einer mächtigen Höhle. Er machte Haggerty und Cochise
darauf aufmerksam. John nickte gleichgültig, Cochise reagierte
überhaupt nicht.
Merkwürdig war nur, daß er nach weiteren hundert Metern
die Richtung änderte und die Höhle ansteuerte. Earp sagte kein
Wort mehr. So war er nun einmal. Ein Mann in diesem rauhen
Land lebte nicht nur mit seinem Pferd und seinem Revolver
zusammen, er hatte sich auch eine auf ihn passende
Weltanschauung zurechtgelegt. Wyatts Weltanschauung hieß:
mach dir niemals Gedanken über Dinge, die dich nichts
angehen.
Sie keuchten weiter, rieben sich den brennenden Schweiß aus
den Augen und spuckten Sand und Staub zur Seite. Sie hatten
die größte Strecke bewältigt und näherten sich dem
Höhlenmund. Cochise verschwand zuerst in dem tunnelartigen
Gewölbe.
Earp näherte sich zögernd. Cochise hatte Wasser
versprochen, aber diese kostbare Flüssigkeit war nirgendwo zu
sehen. John Haggerty zerrte sein Pferd an Wyatt vorbei und
verschwand in der zunehmenden Dämmerung der mächtigen
Höhle.
Die Pferde drängten auf einmal vorwärts und zogen nach
rechts. Wyatt Earp, der inzwischen den beiden Gefährten
gefolgt war, ließ dem Tier seinen Willen. Wasser plätscherte.
Stagmiten glänzten in einem fluoreszierenden Licht. Gelb, grün
und rosa war vorherrschend.
Earp blieb stehen. Wo waren sie? In einer Zauberwelt? Seine
Augen kreisten und suchten nach Anhaltspunkten. Haggerty
rief ihm zu:
»Kommen Sie herüber, Wyatt. Köstliches Wasser!«
Earp stolperte hin. Zu seinen Füßen lag ein Steinbecken.
60
Wasser tropfte von den Wänden und der Höhlendecke. Es war
kühl hier unter der Erdoberfläche, und sehr still. Wenn das
plätschernde Tropfen nicht gewesen wäre, hätte man meinen
können, in einer verwunschenen Welt zu sein. Wyatt hörte das
laute Schlürfen der Pferde und das gluckernde Geräusch sich
füllender Feldflaschen. Neben ihm kniete der Scout und
tauchte seine Flaschen in das Becken.
Von Cochise sah er im Augenblick nichts. Der Häuptling
hatte sich in den absolut dunklen Teil der Höhle verzogen.
Wyatt hörte ihn irgendwo herumrumoren und wunderte sich.
Apachen bewegten sich sonst mit einer katzenhaften
Lautlosigkeit, die nachzuahmen jedem Weißen schwerfiel.
Haggerty hatte seine Flaschen gefüllt und reichte sie Earp,
der ihm seine leeren gab. Cochise tauchte wie ein Geist aus der
Tiefe der Grotte auf und hielt Pechfackeln in den Händen. Earp
und Haggerty wunderten sich, wo Cochise die Fackeln
gefunden hatte.
Mit dieser Höhle mußte es eine besondere Bewandtnis
haben, wenn der Häuptling so genau in ihr Bescheid wußte.
Gleich darauf brannte einer der Leuchtstäbe und schickte ein
gelbes Licht in den Hintergrund.
»Es wird Zeit«, sagte der Jefe und nahm sein Pferd beim
Zügel.
Die beiden Weißen folgten schweigend und staunend. Je
tiefer sie in die Höhlengewölbe eindrangen, desto
gespenstischer wurde es um sie herum. Gigantische
Stalagmiten und Stalagtiten wuchsen von oben und unten in die
Höhe, und manche hatten sich bereits in der Mitte gefunden.
Die Säulen schillerten in allen Farben und sandten das
aufgenommene Licht von den Fackeln wieder in alle
Richtungen aus, so daß die Grotte wie beleuchtet schien.
»Wohin wenden wir uns?« fragte der Scout.
»Auf die andere Seite der Bergkette. Wir sparen dreißig
Meilen Sonnenglut.«
61
Haggerty zuckte die Achseln und stapfte hinter Cochise her,
der zielgenau seinen Weg fand. In dieser unterirdischen Pracht
blieb Wyatt Earp plötzlich stehen. Er starrte zu einer
Nischengalerie hinüber und zuckte zusammen, dabei wurden
seine Augen groß wie Untertassen.
»Allmächtiger!«
»Was ist, Wyatt?« Haggerty hielt ebenfalls an und sah in die
gleiche Richtung wie Wyatt.
»Und? Was sehen Sie? Den Geist Ihrer Großmutter?«
»Wenn's nur das wäre, Mann. Sind Sie denn blind?«
»Kaum. Ich weiß seit einer Stunde, daß wir uns in einer
geheimen Begräbnisstätte der indianischen Bewohner dieses
Landes bewegen.«
»Mumien«, sagte Wyatt. »Das sind doch Mumien, oder
nicht?«
Cochise hatte ebenfalls angehalten. Er legte seinen Arm um
den Hals des geduldigen Pintos und folgte Earps weisender
Hand.
»Schon die Hohokams begruben ihre Toten in dieser Höhle«,
sagte er.
»Beim Satan, wer sind die Hohokams?«
»Die Uralten, die vor uns hier lebten.«
»Apachen? Chiricahuas?«
»Keine Chiricahuas, weißer Mann, Hohokams.«
»Na gut, Hohokams. Wer waren sie, woher kamen sie, wo
sind sie geblieben?«
Cochise schüttelte den Kopf und ging weiter. Earp wandte
sich an Haggerty:
»Ist er plötzlich taub geworden? Mr. Haggerty, sagen Sie
selbst, daß einen so was interessiert. Bitte sagen Sie es!«
»Schon, Wyatt. Aber im Augenblick haben wir anderes zu
tun. Ich rate Ihnen jedoch, nie allein hierher zurückzukehren,
um die Ruhe der Toten zu stören. Apachen verstehen in
solchen Dingen keinen Spaß.«
62
»Ich denke nicht mal im Traum daran. Großer Gott, was
sollte ich in diesem Gewölbe? Mumien zählen, oder was?«
»Gold könnte Sie vielleicht locken. Ich gebe Ihnen zu diesem
magischen Wort die Erklärung, daß die Uralten kein Gold
kannten. Sie wußten vielleicht von seiner Existenz als Metall,
hatten aber keine Ahnung von dem Wert des Edelmetalls.
Lassen Sie ja die Finger von solchen Expeditionen!«
Cochise drehte sich um und warf Haggerty einen dankbaren
Blick zu. Er ahnte, was in der Spielernatur Earps vorging und
war dem Scout dankbar für seine Worte.
Vor ihnen wurde es heller. Ein riesiges graues Oval stand am
Ende der Höhle und ließ Sonnenlicht durch.
»Wir haben es geschafft«, sagte Haggerty befreit, während
Cochise still blieb.
Earp rief fast jubelnd: »Endlich wieder aus den Katakomben
heraus! Dem Himmel sei Dank! Unter all den Mumien wurde
es mir richtig unheimlich und…«
»Tote tun den Lebenden nichts, Wyatt.«
Sie stolperten mit ihren Pferden ins Freie und standen auf
einem Plateau, von dem aus sie weit über den Abgrund und die
Ebene blicken konnten.
Die Sonne neigte sich dem Horizont zu und schenkte dem
verbrannten Land lange Schatten. Über den Berggipfeln im
Westen und Osten flammten Lichter, als würden Zinnen und
Grate brennen. Kiefern und Föhren wuchsen an den Abhängen
und gingen weiter unten in Laubwald über.
Ein märchenhaftes Land. Wyatt deutete zu dem links
gelegenen Hangteil und stieß einen leisen Pfiff aus. Ein Hirsch
mit einem Rudel trat aus dem Unterholz und streckte der roten
Sonne sein mächtiges Geweih entgegen.
»Unser Abendessen erwartet uns bereits«, sagte er und
grinste in Erwartungsfreude.
Cochise winkte ab. »Wir dürfen nicht schießen, Hellauge.«
Er deutete auf einen tiefen Einschnitt und fuhr fort: »Dort sind
63
die weißen Männer, die ich verfolge. Bei Tagesanbruch sehen
wir sie.«
Wyatt sah etwas anderes. Von Westen her drang ein Trupp
Berittener in die Ebene vor und stieß bei einem alleinstehenden
Salzstock auf einen Trupp Kavallerie. Unbehagen erfüllte den
Revolvermann. Er ließ sich von dem Scout dessen Fernrohr
reichen und stellte es auf die gewünschte Entfernung ein.
Haggerty grinste, als er Wyatts betroffenes Gesicht
bemerkte. Cochise, der sich seinen Teil dachte, sagte nichts.
Unbeweglichen Gesichts musterte er das Land zu seinen
Füßen.
Jedes einzelne Gesicht studierte Earp über vier Meilen
Entfernung, und die grimmigen Gesichter der Zivilisten sowie
ihre Abzeichen auf den Jackenaufschlägen gaben ihm zu
denken.
Sheriff Hallifax unterhielt sich mit einem Lieutenant, der
emsig mit den Händen redete und ständig nach Westen wies.
Was sie sich zu sagen hatten, konnte Earp natürlich nicht
herausfinden. Nach einer Weile trennten sich die beiden
Reitertrupps und nahmen ihre unterbrochene Richtung wieder
auf.
Die Schatten wurden bereits grau und undurchsichtig, als
beide Trupps hinter Hügeln und Bodenfalten verschwanden.
Stille kehrte ein und legte sich wie eine Decke über die Einöde.
»Wir bleiben am besten hier oben«, sagte Haggerty zu
Cochise.
Der Häuptling nickte.
»Ein Feuer leuchtet von hier aus weit über das Land. Ich
wünsche nicht, daß irgend jemand unser Feuer sieht. Kehren
wir in die Höhle zurück.«
Er wendete sein Pferd, saß auf und ritt auf den Höhlenmund
zu.
»Schon wieder in diese Gruft. Verdammt, fällt der Rothaut
denn nichts Besseres ein?«
64
»Seien Sie still, Wyatt. Seien Sie um Gottes willen still! In
diesen Dingen verstehen Apachen keinen Spaß.«
»Ich mache auch keinen Spaß, Scout. Verdammt will ich
sein, wenn mir zum Spaßen ist!«
»Kommen Sie, Mann, und halten Sie den Mund. Wir müssen
Cochise nicht unbedingt verärgern.«
»Glauben Sie, ich fürchte mich vor ihm?«
Wyatt Earp fuhr auf und griff zum Revolverkolben.
»Sie sind ein Narr, Wyatt, ein blutiger Narr und ein
verdammtes Greenhorn! Dort unten in der Ebene lauert ein
Aufgebot auf Sie, die Armee ist auf Sie aufmerksam gemacht
worden, und Sie blöder Hund spielen den starken Mann. Sie
sind nicht nur ein Greenhorn, sondern auch ein ausgemachter
Dummkopf. Meinen Sie, es hätte dem Häuptling keine
Überwindung gekostet, Weiße durch ein indianisches
Heiligtum zu führen?«
»Mierda!« Earp spuckte zur Seite. Er zwang sich aber dazu,
die Zügel seines Pferdes zu ergreifen und das Tier in den
dunklen Mund des Berges zurückzuführen.
Silbrig und lichtgetönt standen die Stalagmiten im
Hintergrund wie Wächter vieler vor Jahrhunderten
Verstorbener. Cochise hatte sein Pferd in einer Nische
untergebracht, die groß genug war, auch die Reittiere der
Weißen aufzunehmen.
Keine halbe Stunde später brannte ein Feuer aus den Resten
der Kienfackeln.
*
Von der Höhe des Plateaus aus sahen Cochise und seine
Begleiter das Aufgebot und die Kavallerie-Patrouille. Daß sie
selbst gesehen werden könnten, kam ihnen nicht in den Sinn.
Aber sie wurden gesehen. Und dieser Umstand machte
Cochises Plan, die vier Mörder am Ausgang des Canyons zu
65
stellen, zunichte.
Der Apache, der in der Höhle am Feuer saß und sinnend in
die Flammen starrte, wußte das alles nicht. Den neuen Tag
hatte er dazu auserkoren, das Gesetz der Apachen zu
vollstrecken. Earp und Haggerty saßen in seiner Nähe und
verzehrten ein frugales Mahl. Alle drei blieben sie schweigsam
und in sich gekehrt.
Wyatt Earp hatte besondere Grunde für sein Schweigen, und
diese Gründe verstand der Scout nur allzugut. Deswegen blieb
auch er stumm und beschäftigte sich mit Dingen aus seiner
Umwelt.
Cochise war von Natur aus schweigsam. Hinzu kam ein
unruhiges Gefühl in seinem Innern, das er sich nicht erklären
konnte. Ihm lag es nicht, sich einem Weißen anzuvertrauen,
auch nicht dem Falken, von dem er sehr viel hielt. Schließlich
war es John Haggerty gewesen, der sich immer wieder für die
Belange der Chiricahuas eingesetzt hatte und das Militär von
gewaltsamen Aktionen zurückhielt.
Lange nach Anbruch der Dunkelheit verließ Cochise die
Höhle und verschwand hinter dem Plateau. Außer dem
Knistern verbrennender Kienspäne war kein Laut zu hören.
Dann und wann stampfte eines der Pferde mit dem Huf oder
klirrte mit der Gebißstange.
Die Minuten vertickten im Becken der Zeit und ließen keine
Frage offen. Etwas störte John Haggerty. Er hob den Kopf und
lauschte. Ein kaum hörbares Klingen oder Singen wehte wie
ein Hauch durch die mächtige Felsenhöhle. Einmal ertönten
schwache Harfenklänge, dann waren es Schalmeien und
Geigen.
Nun vernahm auch Wyatt Earp die Geräusche. Er zuckte
zusammen und verfärbte sich. Wie erstarrt blieb er vor dem
Feuer sitzen und wagte kein Glied zu rühren. Nur seine Augen
glitten einmal hierhin und dahin, sie waren ständig unterwegs,
ohne jedoch auf den Grund der seltsamen Musik zu stoßen.
66
»Hören Sie das, John?«
Haggerty nickte. »Klar, bin nicht schwerhörig.«
»Was ist es?«
»Weiß ich nicht. Vielleicht der Wind?«
»Draußen ist es windstill, also kann's der Wind nicht sein.«
»Machen Sie sich keine Gedanken. In der Höhle sind Sie
sicher.«
»Sie auch?«
»Auch ich. Jeder. Niemand kennt sie, nur die Apachen.«
»Genügt das nicht?«
»Was meinen Sie damit, Wyatt?«
»Ach – nichts!« Wyatt stand auf und ging vor dem Feuer auf
und ab. Gleich darauf blieb er wieder stehen und wandte sein
blasses Gesicht Haggerty zu.
»Es wird besser sein, wenn ich mich auf den Weg mache.
Hier ist's unheimlich. Hören Sie nur diese Töne! Sphärische
Musik nennt man so was. Stimmt doch, wie?«
Haggerty zuckte die Achseln.
»Keine Ahnung, Mann. Jedenfalls sind die Töne kein Grund
zur Beunruhigung, weil sie natürlicher Art sind und nicht von
Menschen erzeugt werden.«
»Klingt gut, aber nicht gut genug. Es gibt zwischen dieser
Erde und dem Himmel Dinge, die wir uns nur ungenügend
erklären können. Indianischer Hokuspokus soll sehr nachhaltig
sein, habe ich mir sagen lassen.«
»Reden Sie doch keinen Unsinn, Mann. Die Töne werden
vom Wind erzeugt und nicht von Menschen. Weder von
lebenden noch von toten. Fragen Sie Cochise, der kann Ihnen
das Phänomen erklären.«
»Wo ist Cochise? Wie kann ich ihn fragen, wenn er nicht da
ist?«
»Cochise jagt.«
»Beim Henker! Mitten in der Nacht?«
Haggerty grinste und neigte zustimmend den Kopf. Düster
67
erwiderte er: »Menschen.«
Earp ließ den Kopf sinken. Er verstand, was der Scout
meinte. Er selbst wurde ja auch gejagt. Die Töne im
Hintergrund der Höhle schwollen zu einer gewaltigen Sinfonie
in Dur und Moll an. Orgeltöne im tiefsten Baß füllten die
Übergänge der einzelnen Tonlagen aus und erweckten ein
staunendes Unglauben in den Zuhörern.
Als Earp den Stalagmiten einen längeren Blick schenkte,
glaubte er huschende Schatten zu sehen, die sich im Reigen
wiegten. Totentanz? Er schüttelte den lähmenden Gedanken ab
und konzentrierte sich ganz auf den Höhlenausgang und das
Feuer. Nach einer Weile drehte er sich eine Zigarette und
zündete den Glimmstengel mit einem brennenden Kienast an.
Der erste Zug schon beruhigte seine Nerven. Mit einer
ärgerlichen Bewegung wischte er sich den kalten Schweiß vom
Gesicht und verfolgte mit wachen Augen jede Bewegung
Haggertys.
Ein Schatten stand plötzlich im Höhleneingang und hob sich
scharf von der hinter ihm liegenden Dunkelheit ab. Er kam
herein und setzte sich schweigend ans Feuer.
»Erfolg gehabt, Häuptling?« fragte Haggerty.
Cochise schüttelte den Kopf. Seine Miene zeigte den
Ausdruck eines verkrampften Hasses, gepaart mit einer
konsequenten Drohung und dem Willen zum Töten.
John Haggerty verstand den Apachen. Trotzdem versuchte
er, Cochise umzustimmen.
»Überlaß die Mörder dem Gesetz oder der Army, Chief. Ich
sorge dafür, daß Recht und Gesetz der Weißen sie wegen der
Morde an deiner Sippe zur Rechenschaft ziehen. Sie landen
alle vier auf dem Schafott, das verspreche ich dir.«
Cochises Antwort war kurz und eindeutig:
»In meinem Land bin ich Recht und Gesetz.«
John Haggerty schwieg lange. Nach dieser Abfuhr fehlten
ihm die Worte, einen vernünftigen Dialog fortzusetzen. Viele
68
Dinge fielen ihm ein, aber sie alle hatten keinen Bestand im
Angesicht der kalten Drohung, die aus dem Apachen sprach.
Um überhaupt was zu sagen, bemerkte er:
»Du warst unterwegs, Häuptling. Hast du sie gesehen?«
Cochise richtete den Blick in die Höhe und murmelte fast
unhörbar:
»Ich belauschte sie an ihrem Feuer. Sie wissen, wo wir sind.«
»Hast du etwas von der Posse gesehen, Rothaut?« fragte
Earp respektlos.
Cochise gab ihm keine Antwort, richtete seinen Blick auf
Haggerty und fuhr fort:
»Ich bestrafe sie bei Tagesanbruch für das, was sie Tek-li-
tans Sippe antaten. Mein großer weißer Freund kann mich nicht
davon abhalten. How!«
Haggerty war überrascht. Zum erstenmal nannte ihn Cochise
seinen weißen Freund. John wußte, wie spärlich und
zurückhaltend Apachen mit solchen Beteuerungen waren, und
er ahnte, daß in dem Häuptling etwas vorging, was ihn
verwirrte.
So sehr John darüber nachdachte, was es sein könnte, er fand
es nicht heraus. Ganz unerwartet erhob sich der Häuptling
wieder. Einen kurzen Augenblick lang stand er unschlüssig und
wie ratlos beim Feuer, angestrahlt von rötlichen und gelben
Flammen, dann wandte er sich spontan um und verließ die
Höhle. Über die Schulter rief er zurück:
»Sie kommen!«
Das war alles, so gut wie nichts, und Haggerty und Wyatt
Earp nahmen die flüchtig hingeworfenen Worte zur Kenntnis,
mehr nicht.
*
Stockfinstere Nacht. Die Sterne standen wie glimmende Punkte
hinter dem dichten Dunst, der von der Erde aufstieg. Der Mond
69
ging erst zwei Stunden nach Mitternacht auf und würde selbst,
wenn er am Himmel gestanden hätte, Cochise auf seiner
einsamen Pirsch wenig genutzt haben.
Er glitt wie ein Schemen auf einem unsichtbaren Pfad die
Geröllhalde hinauf und verschwand lautlos wie ein Wolf hinter
mächtigen Klippen aus Basalt und Porphyr. Weit vor ihm, wo
ein schmales Rinnsal als Sprühregen-Wasserfall in den
Hauptcanyon hinunterfiel, kamen vier Gestalten in gebückter
Haltung die Felsleiste herauf.
Sie näherten sich der Höhle, waren aber noch gut und gern
eine halbe Meile entfernt. Cochise wand sich kriechend über
die kaum zwei Fuß breite Leiste und gelangte schließlich in
eine Mondlandschaft aus Klippen, zerborstenen Felsen und mit
Wüstenlack bedecktes erodiertes Gestein.
Disteln und Zwergkakteen gaben sich hier oben ein einsames
Stelldichein, gelegentlich bewässert von einem bißchen Tau
und den geringen Niederschlägen, die hier oben fielen.
Am Ende der Leiste blieb er liegen, um seine Muskeln zu
entspannen und zu überlegen.
Er würde nicht bei jener Stelle haltmachen, die nach unten
führte, und die Stelle verteidigen, die genügend Platz für einen
Zweikampf bot.
Die Mörder, die den Berghang heraufkraxelten, waren mit
Revolvern und ihren Messern bewaffnet, also in der Überzahl,
dazu noch besser bewaffnet als der Apache. Cochise trug nur
sein Messer und seinen Tomahawk, aber dieser Waffen war er
sicher und von Kindesbeinen an gewöhnt.
Er kroch weiter. Die Leiste, waagerecht wie mit einem
Messer durchgeschnitten, wurde schmaler. Ein Stück weiter
war sie kaum noch einen Fuß breit. Links und rechts drohten
schauerliche Abgründe, die sich tief unten im Dunkel der
Schluchten verloren.
Cochise wußte nicht, wie es weiter oben aussah, und
fürchtete, es würde in zwanzig oder dreißig Meter Höhe
70
weitere Felsleisten geben, die ein Vorgehen seines Standortes
möglich machten. Das würde bedeuten, daß die Mörder in
seinen Rücken gelangten und bis zur Höhle vordringen
konnten.
Möglicherweise gab es auf der anderen Seite der nach
Norden führenden Berglehne einen dritten Zugang zur Höhle,
durch den die Weißen einsickern und seinen beiden Begleitern
in den Rücken fallen konnten. Das durfte er nicht riskieren,
weil Haggerty und Earp nicht gewarnt waren und keine
Ahnung von dem hatten, was hier draußen vorging.
Cochise wollte der Leiste so weit wie möglich folgen, bis er
vielleicht eine Stelle fand, wo er die Schulter gegen die Wand
pressen, kämpfen und sich den Rücken gegen die Übermacht
freihalten konnte.
Schießen konnten sie nicht. Sie wußten, daß er nicht allein
war. Sie hatten von ihrem Versteck aus gesehen, wie Cochise
mit seinen weißen Begleitern aus der Höhle getreten war und
die Posse sowie die Patrouille beobachteten.
Ein einziger Revolverschuß war in der Stille der Bergwelt
weithin zu hören und würde sofort seine Gefährten auf den
Plan rufen. Weiter kroch er wie ein Reptil, das ein Ziel hatte
und sich auf dieses Ziel konzentrierte.
Eine weitere Schwierigkeit tauchte für Cochise auf. Das
schmale Felsband, auf dem er sich vorwärtsbewegte, stieg an.
Es war glatt, wie poliert, und während er Meter für Meter
zurücklegte und dabei spähende Blicke in die Tiefe warf, sah er
rechts unten Dämme oder Mauern aus Stein.
Er traute seinen Augen nicht und fragte sich, was diese
Dämme, die sich über die schrumpfende Sohle der Schlucht
legten, zu bedeuten hatten. Wer sie angelegt, ahnte er: Die
Hohokams, die Urvorderen, die niemand von den Chiricahuas
mehr gekannt hatte. Aber zu welchem Zweck waren die
Dämme angelegt worden?
Cochise mußte sich wieder auf seine Kriech- und
71
Klettertätigkeit konzentrieren und vergaß schließlich die
Bauwerke. Die Felsleiste umspannte eine mächtige Klippe,
wurde breiter und stieg noch weiter an.
Hinter dem gigantischen Haifischzahn blieb Cochise
überrascht stehen. Ihm war plötzlich, als griffe eine kalte Hand
nach seinem Herzen.
Links unter ihm keuchten vier Männer den langgezogenen
Basalthang hinab. Rechts lag der Canyon mit den seltsamen
Steindämmen. Voraus aber gab es etwas, das seinen Blick
geradezu bannte. Er stand da wie versteinert und starrte auf das
imposante Bauwerk aus der Vorzeit indianischen Lebens, ein
Bauwerk, das man in einen hohen und breiten Felsspalt
hineingebaut hatte und das mit Stockwerken, Fenstern und
Türen versehen war.
Dunkel glotzten die Fensteröffnungen zu ihm herüber. Nur
die Schlucht trennte ihn und die Wohnburg der Urahnen, und
in dieser Schlucht zog sich Damm an Damm quer über den
felsigen Boden.
Cochise mußte seinen Blick von dem Bauwerk lösen und
sich seinen Feinden zuwenden. Sie waren inzwischen
verdammt nahe. Noch sahen sie ihn nicht und konnten nicht
wissen, daß er über ihnen war. Aber es war nur eine Frage von
Minuten, bis sie ihn sehen mußten Der Häuptling entschloß
sich, einen besseren Standort für den bevorstehenden Kampf zu
wählen und schob sich an der aufsteigenden Felswand der
Klippe weiter.
Sein Glück hielt an. Vor ihm führte ein recht brauchbarer
Pfad an dieser gut und gern zwanzig Meter hohen Felswand
hinauf. Es war ein Wildpfad, breit und sicher genug für
Bergschafe, Ziegen und Schwarzschwanz-Antilopen. Kein
Pferd aber wäre jemals hinaufgekommen, stellte der Häuptling
mit Befriedigung fest, als er bemerkte, daß sich der Pfad über
die Leiste hinaus nach unten fortsetzte.
Cochise beugte sich vor und verfolgte den Pfad, bis er tief
72
unter ihm zwischen den Wällen verschwand. Er hatte immer
geglaubt, jeden Abschnitt seines Landes zu kennen wie den
letzten Winkel seines Jacale, sah sich aber getäuscht. Apachen
kamen so gut wie nie in diese abgeschiedene Wildnis, wo es
für sie weder etwas zu jagen noch zu finden gab.
Unter ihm am Hang wurde es laut. Mörderisches Fluchen
tönte zu ihm herauf.
»Blöder Hund, mußt du mir unbedingt auf die Finger
treten?«
»Selber blöder Hund! Zieh sie doch weg!«
Zwei Stimmen schnauften im erbitterten Widerstreit. Eine
dritte fiel mit Kichern ein und eine vierte fluchte wegen des
Lärms, den die vorderen Männer machten.
Sie kamen höher, das war unbestreitbar, und wenn sich
Cochise seine Chance ausrechnete, stand sie gut. Immer nur
einer konnte sich auf die Felsleiste schwingen, und dieser eine
würde in sein geschwungenes Kriegsbeil oder in sein Messer
laufen.
Hier an dem Pfad würde er die Kerle erwarten. Die Kreuzung
Pfad/Leiste war breit genug, einem kämpfenden und
ausweichenden Krieger Stand zu bieten.
Mochten sie kommen!
Sie kamen. Der Mann mit dem Geierkopf und dem
springenden Kehlkopf war höchstens noch zwei Meter unter
der Leiste, als er den Pfad und das Bauwerk der Hohokams
sah. Er zuckte zusammen und hielt in seiner Kletterei inne.
»Warum gehst du nicht weiter?« ertönte eine bissige Stimme
von weiter unten.
»Halt die Klappe, Josuah, und brülle nicht wie ein Affe am
Spieß! Seht mal nach links, Jungs!«
Sie sahen und staunten. Niemand sagte ein Wort. Der Pfad
war weniger interessant für sie, es sei, sie hätten ihn früher
entdeckt und mühelos zum Emporklimmen benutzen können.
Jedoch fesselte sie das imposante Bauwerk auf der
73
gegenüberliegenden Seite der Schlucht. Dunkle Fensterhöhlen
gähnten sie an und schienen höhnisch herüberzulächeln.
»So was hier…? Nicht zu fassen! Haben das die Apachen
gebaut?« fragte Dan Laurel nach unten.
»Quatsch! Dazu sind sie viel zu dämlich. Irgendwer… Ich
weiß auch nicht, wer die Baumeister waren.«
»Sieh zu, daß du weiterkommst!« rief Fatty von ganz unten.
»Mir werden bereits die Hände gefühllos!«
Cochise hörte es an der Wand kratzen und knirschen. Kurz
darauf erschien eine Hand, die auf die Leiste übergriff. Eine
zweite Hand und ein Kopf erschienen.
Dan Laurel sah Cochise nicht, noch nicht. Als er seinen
Körper auf das Band aus gewachsenem Fels schwang, fiel wie
hergezaubert ein großer Schatten über ihn. Laurel schielte von
unten in die Höhe und stieß einen gewaltigen Schrei aus.
Die Streitaxt sauste auf ihn herab und schleuderte ihn zur
Seite. Einen zweiten Schrei ausstoßend kippte er über die
Leiste und stürzte mit rudernden Händen an seinen Genossen
vorbei in die Tiefe.
Aufschlag und Todesschrei verebbten in der stillen
Bergnacht. Im gleichen Moment wußte Cochise, daß er einen
großen Fehler gemacht hatte. Er hätte sie alle die Felsleiste
betreten lassen und danach erst angreifen dürfen.
Ein Schrei, ganze fünf Meter unter ihm, sagte ihm mit aller
Deutlichkeit, daß die Jagd vorbei war, kaum daß sie begonnen.
Hugh Bennets volltönende Stimme schrie:
»Zurück, Jungs! Schnell zurück, die Rothaut ist dort oben!«
Steine polterten in die Tiefe, Sand rieselte nach, und die
Flüche der drei Männer tönten so klar zu Cochise herauf, als
stünden sie vor ihm. Nach einer Viertelstunde verklangen alle
Geräusche auf der Canyonsohle.
Still wandte sich der Häuptling der Felsleiste zu und trat den
Rückweg an.
74
*
»Dieser mörderische Bastard! Wer hätte gedacht, daß die
verdammte Rothaut dort oben auf uns lauert?«
Josuah Lemmon stieß es voller Erbitterung heraus und schob
mit der Stiefelsohle Holz in die Flammen nach.
»Den hat's erwischt«, sagte Hugh Bennet und schüttelte sich.
»Wenn's hell wird, suchen wir nach ihm.«
»Willst du Tote wieder lebendig machen?« fragte Fatty
gehässig.
»Das kann niemand, aber er war unser Kumpel und verdient
ein anständiges Begräbnis, oder bist du anderer Meinung,
Dicker?«
Fatty spuckte aus und griff nach der Kaffeekanne, die auf
einem Stein neben dem Feuer stand.
»Wäre es nicht besser, die Gäule zu satteln und das Weite zu
suchen, bevor die Jagd auf uns wieder beginnt?«
»Klar wäre das besser. Aber wohin? Wir wollen zu der Mine,
die aber liegt im Südosten. Wir haben uns viel zu weit nach
Nordosten treiben lassen. Wißt ihr, wo wir überhaupt sind?«
Morg Burthe, der Dicke, stellte die leere Kanne zurück und
beschrieb mit der Hand einen Bogen um den halben
Himmelskreis.
»Vor uns liegt die Durststrecke zwischen den beiden
Gebirgen. Es gibt zwei Wege, die Mine zu erreichen: Der erste
führt über den Apachen-Paß nach Norden. Von Fort Bowie aus
dann stramm nach Osten bis zu den Peloncillo-Mountains, und
von da aus direkt nach Süden. Der zweite Weg nach Südosten
führt durch die Swisshelm-Mountains und die Pedregosa-Berge
nach Osten. Wasserarmes Land. Kein Grashalm wächst dort
unten, kein Baum und kein Strauch. Welchen Weg nehmen
wir, Hugh?«
Der bärtige Schieler strich sich den verfilzten Bart und
zuckte die Achseln.
75
»Den sichersten«, sagte er. »Mit sicher meine ich den Weg,
der am wenigsten von Apachen flankiert wird.«
»Dann über den Paß nach Fort Bowie, klar.«
»In zwei Stunden wird's Tag, Jungs«, fuhr Bennet fort. »Die
Gäule haben sich erholt, also brechen wir auf.«
»Und Dan? Habt ihr ihn schon vergessen?«
»Dan ist nebensächlich. Einem Toten können wir nicht
helfen, nur uns Lebenden. Noch Einwände?«
Niemand hatte sie. Morg Burthe ging zu den Pferden, die
abseits vom Lager in einem verfilzten Speerdorndickicht
standen. Sie waren am frühen Abend abgesattelt, gefüttert und
getränkt worden. Die vier Tiere machten einen ausgeruhten
Eindruck. Morg wußte aber, daß der Schein trog. Nach zehn
Meilen würden sie genauso schlapp sein wie tags zuvor. Den
Tieren fehlte Wasser und besseres Futter. Beides hatten sie
nicht. Wenn auch Indianerpferde genügsam waren und mit
wenig Wasser auskamen, so wurden sie doch scharf geritten
und strapaziert.
Der Dicke kehrte um und setzte sich in Feuernähe auf einen
Stein. Mit flinken Wurstfingern drehte er sich eine Zigarette
und zündete sie mit einem Streichholz an. Seine Gedanken
flogen zurück in jenes einsame Gebirgstal, das einer Apachen-
Sippe als Lebensraum gedient hatte. Längst hatten sie alle
bereut, was sie getan hatten und nicht mehr rückgängig
gemacht werden konnte.
Dan Laurel hatte die rächende Nemesis durch Cochises
Tomahawk erreicht, wer würde ihm folgen? Gab es für sie
überhaupt ein Entkommen aus dieser Berg- und Schlucht-
Wildnis? Ein kühner Gedanke schlich sich bei Fatty ein, ein
Gedanke, der mit den vier Pferden und dem freien Fluchtweg
zusammenhing.
Mit den Gäulen konnte er weit kommen und schneller als die
Apachen sein, wenn er sie Meile für Meile wechselte. Konnte
eines der Ponys nicht mehr weiter, brauchte er es nur zu
76
wechseln und das Tier zurückzulassen, so einfach war das.
Gedacht, getan. Der Dicke sprang lebhaft wie ein Gummiball
auf die Füße und verschwand in der Dunkelheit.
»Wohin willst du?« rief ihm Lemmon nach. Die Zaunlatte
blieb aber ruhig am Feuer sitzen und drehte nicht einmal den
Kopf.
»Die Hosen wenden, wohin sonst?«
»Entferne dich nicht so weit vom Lager, Fatty, das kann
gefährlich werden.«
»Für euch«, murmelte der Dicke genüßlich. »Nur für euch,
ihr Dummköpfe.«
Er legte seinem eigenen Pony den Sattel auf und führte es
aus dem Dickicht. Draußen halfterte er das Tier an. Auf diese
Art brachte er alle Pferde heraus und band sie zu einer Tropa
zusammen.
Morg Burthe hatte drei volle Wasserflaschen und einen
halben Schlauch für die Tiere, sowie Proviant für mindestens
eine Woche. Es mußte gehen.
Die beiden anderen besaßen nichts mehr, weder Wasser noch
Proviant, und der tote Laurel brauchte beides nicht mehr.
Langsam schwang sich der Dicke in den Sattel seines Ponys.
Das Tier, nur kurz an einen Sattel gewöhnt, versuchte
auszubrechen. Aber Morg hielt es an der Kandare.
Der lange Zug setzte sich in Bewegung und gewann den
Canyon. Still war es ringsum, lautlos still. Es war, als hielte die
Natur den Atem wegen des Verrats des Weißen an.
Wenn auch nicht der leiseste Laut ertönte, drei Augenpaare
beobachteten die Flucht des einen Weißen. Aber Blicke waren
lautlos und töteten nicht. Ulzana war sofort klar, was dort
vorging. Haß rumorte in ihm, blinder, tödlicher Haß. Kein
Apache hätte das je getan und seine Brüder im Stich gelassen.
Seine Hand tastete nach dem kleinen Kriegsbogen und dem
Köcher mit Pfeilen.
Sie zuckte wieder zurück, denn dieser Mann dort unten im
77
Canyon gehörte dem Häuptling aller Apachen und nicht ihm.
»Gehen wir, how!« sagte er mit seiner gutturalen Stimme.
»Die grauen Bergwölfe werden ihn treiben und jagen, bis er
zusammenbricht. Zastee! Tötet!«
»Zastee!« grunzten die anderen Antwort.
Gleich darauf war der Platz zwischen den Klippen leer.
Schatten verschmolzen mit anderen Schatten natürlichen
Ursprungs und lösten sich schließlich auf.
Fatty hatte den Canyonausgang fast erreicht und sah die
sternenglitzernde Wüste vor sich, als ihn der erste Wolfsschrei
erreichte. Mit satanischer Wildheit und täuschend echt brandete
er in Wellen durch die Schlucht. Ein zweiter und dritter folgte.
Aus dem Trab heraus gingen die Ponys in wilden Galopp
über und fegten durch das letzte Stück der schattenerfüllten
Schlucht. Auf dem quecksilbergebadeten Sand der Ebene
würden die Schatten der Pferde länger und dann wieder kürzer,
wenn die wilde Jagd durch eine Mulde ging.
Nur mit Mühe gelang es Morg Burthe, das durchgehende
Pony zu zügeln und die drei anderen Tiere zu beruhigen. Er
hielt an, um sich den Angstschweiß aus dem Gesicht zu
wischen. Ringsum Wüste, kalt glitzernde Steine und stachelige
Flora: Von einer nächtlichen Fauna war weit und breit nichts
zu sehen.
»Ich hab's geschafft!« sagte Morg laut und feixend. »In der
Wüste können sie mich nicht einholen. Jetzt müssen sie sich
schon an die anderen halten, diese verdammten
Skalpabschneider!«
Wie sehr er sich irrte, merkte er sofort. Ein helles Singen
kam mit Windeseile näher. Drei klatschende Schläge, als wenn
man mit einem nassen Handtuch auf eine Tischplatte schlägt,
drei tierische Aufschreie, Stöhnen, ersterbendes Wiehern und
drei Stürze von tödlich getroffenen Ponys.
Entsetzt riß Fatty sein Gewehr aus dem Scabbard und feuerte
blindlings in die Gegend. Ein Ziel hatte er nicht, und wenn er
78
einen der Apachen gesehen hätte, wäre der huschende Schatten
für ihn kein Ziel gewesen.
Morg Burthe schnitt die Verbindungsleine zu den toten
Pferden los und trieb sein Pony mit einem schrillen
Angstschrei an. Sein Ziel war eine Hügelgruppe vor ihm, die
ihm Sicherheit versprach, aber er erreichte die Hügel nicht.
Aus einer Bodenwelle ritt ein Krieger mit wehenden Haaren
und aufgelegtem Pfeil. Das Geschoß schwirrte heran und grub
sich mit einem unheimlichen Laut vor ihm in den Sattel. Mit
einem grellen Angstschrei riß Morg das ängstlich schnaubende
Pferd herum und preschte in einem stumpfen Winkel wieder zu
den Gebirgsausläufern zurück.
Auf einer Erhebung rechts von ihm stand plötzlich ebenfalls
ein berittener Apache. Ganz deutlich strahlte sein Stirnband ein
helles Licht aus, das es von den Sternen empfing.
Ein Pfeil zischte heran und trieb den Mörder geradewegs
nach Osten. Weiter draußen bellte ein Wüstenfuchs. Eine
Füchsin gab schmalzend Antwort, und schließlich lockte das
heisere Bellen eines dritten Fuchses.
Morg Burthe wußte, daß es keine Füchse waren, die ihr
Frühkonzert anstimmten. Sein Gesicht verzog sich in tödlicher
Angst. Herz und Pulse flogen, sein Blut gerann zu Eis. Und
wenn er daran dachte, was man sich über die Greueltaten der
Apachen erzählte, wurde ihm übel.
Zu allem Unglück, das ihn mit mächtiger Faust traf, wurde es
auch noch hell. Im Osten trieb eine Wand aus Licht über die
Berge und vergoldete die schneeigen Zinnen der Gipfel.
Sein Pferd stolperte weiter in eine Senke. Sie wurde von
haushohen, runden Hügelkuppen eingeschlossen. Als das volle
Licht des heraufziehenden neuen Tages die vegetationslosen
Hügel streichelte, ahnte Fatty, daß sein Verrat an den Freunden
umsonst gewesen war.
Auf jedem der drei Hügel hielt ein Apache auf seinem Pony,
den gespannten Pfeil auf den Weißen in der Senke gerichtet.
79
Gehetzt flog Morg Burthes Blick in die Runde. An der Basis
des dritten Hügels türmten sich Felsblöcke und eine stachelige
Flora. Ein Mann brauchte sich nur hinter einem dieser Blöcke
zu verstecken, die den Hügelrand säumten, und er beherrschte
mit seinem Gewehr die gesamte Senke und den steinernen
Wall.
Der Bandit holte tief Luft, sprang von seinem erschöpften
Pferd, lief taumelnd durch die Senke, immer gewärtig, von
einem Pfeil getroffen zu werden. Aber nichts geschah.
Als er den sicheren Hort hinter den Felsen erreichte und sich
auf die Erde warf und keuchend auf seine Fährte
zurückschaute, sah er, wo er hingeraten war.
*
Die gewaltige Sinfonie der Orgel- und Schalmeientöne wurde
leiser mit dem Scheiden der Nacht. Der Wind hatte sich
gedreht und strich an den Pfeifen der Stalagmiten vorbei wie
ein schleichendes Nachtgetier, das dem Tag ausweicht.
Wyatt Earp hatte seine Angst verloren. Er saß am Feuer und
legte Holz nach. Neben ihm hockte schweigend John Haggerty.
Eine Art Lethargie hatte den harten Mann befallen, der sich in
hundert Kämpfen mit den Indianern bewährt hatte.
Beide sprachen nicht miteinander, sie warteten stumm und
nachdenklich auf das Erscheinen Cochises. Jeder hatte seine
eigenen Gedanken über sein Fernbleiben und seine Absicht.
Earp war es egal, was der Häuptling mit den weißen Mördern
anstellte. Er hatte keine Bezugspunkte zu den Indianern und
ihrem Verhältnis zu den Weißen.
Haggerty dachte anders darüber. Er hätte es lieber gesehen,
wenn Cochise seine persönliche Rache zurückgestellt und die
Mörder an den Mitgliedern seines Volkes dem Gesetz der
Weißen überantwortet hätte. John Haggerty ahnte spätere
Verwicklungen mit der Armee, die sich für alle Weißen in
80
diesem Land verantwortlich fühlte, für die guten wie auch für
die bösen.
Abwechselnd starrten die beiden so charakterlich
verschiedenen Männer in den Höhlenmund und warteten. Der
Osten schickte die ersten schüchternen Strahlen über das
Gebirgsmassiv und legte einen Teppich aus gesponnenem Gold
und Silber auf das Plateau. Vögel begannen ihre ersten
Lockrufe und verkündeten einen verheißungsvollen Tag.
Ein breiter Schatten fiel in den Eingang. Haggerty schaute
auf und sah Cochise. Die hochgewachsene Gestalt in der
traditionellen Häuptlingskleidung der Apachen kam stumm
näher und setzte sich ans Feuer. Weder Haggerty noch Earp
stellten Fragen. Ihre hellen Augen studierten aufmerksam die
Gesichtszüge des Indianers, während sich die Reflexe des
Feuers in Johns Haar spiegelten.
»Einer«, sagte der Apache. »Die anderen werden ihm
folgen.«
Was sich inzwischen in der öden Bergwelt alles abgespielt
hatte, darüber sprach Cochise nicht. Ein Jefe brüstete sich nicht
mit Heldentaten und sprach nie über sich selbst.
Haggerty verzichtete darauf, den Häuptling erneut zu bitten,
die Bestrafung der Mörder der Armee zu überlassen. Es würde
vergeblich sein. Verbrechen, die an Apachen begangen worden
waren, wurden von dem Häuptling aller Apachen abgeurteilt.
So wollte es das Gesetz dieses wilden Volkes.
Draußen wurde es von Minute zu Minute heller. Wyatt Earp
ließ das Feuer ausgehen. Später ging er zu den Pferden und
hing ihnen die Futtersäcke um. Als alles getan war, kam er
gemächlich zu der erkalteten Feuerstelle zurück.
Mit seinen Gedanken war er weder bei Cochise noch bei dem
Scout. Sie drehten sich einzig und allein um das Aufgebot, das
er tags zuvor gesichtet hatte. In welcher Richtung war die
Posse weitergeritten?
Earp beabsichtigte sich von Cochise und Haggerty zu
81
trennen, und nur das Aufgebot hielt ihn von diesem Schritt ab.
Seine Gedanken brachen wie abgeschnitten ab, als weit
entfernt ein gedämpfter Wolfsruf ertönte. Cochise stand auf
und wandte sich Haggerty zu.
»Meine Krieger haben den zweiten Mörder gestellt. Der
Falke weiß es?« Als John nur nickte und nichts erwiderte, fuhr
der Häuptling fort: »Auch dieses Urteil wird vollstreckt werden
– von meiner Hand.«
Der Scout sagte wiederum nichts. Er hob nicht einmal den
Blick. Verstand Cochise, was in dem Scout vorging, was er in
diesem Augenblick dachte, fühlte und verhindern wollte?
Niemand sah es ihm an. Hochgewachsen, breitschultrig, mit
adlerartigem Ausdruck im Gesicht stand der Jefe vor den
beiden Weißen. In seiner Gestalt und in seinem Gebahren lag
etwas so Majestätisches, daß weder Haggerty noch Earp eine
Antwort riskierten, die der Häuptling der Apachen
mißverstehen könnte.
»Der dicke Mann wird sterben«, fuhr Cochise fort. »Von
dieser Hand.« Er hielt die Rechte mit dem Kriegsbeil in die
Höhe und setzte kalt hinzu: »How!«
Nach dieser Beteuerung verschwand er lautlos. Was
zurückblieb war ein bitterer Geschmack auf Haggertys Zunge
und die Erinnerung an Cochises How.
»Was kommt jetzt?« fragte Earp ein wenig zerstreut.
»Was soll kommen? Der zweite Mörder wird sein Leben
unter Cochises Kriegsbeil aushauchen. Er holt sie sich einen
nach dem anderen. Verdient haben sie es, zugegeben. Aber mir
wäre es lieber gewesen, der Häuptling hätte die Kerle einem
ordentlichen Militärgericht übergeben.«
Wyatt Earp zuckte die Achseln und setzte sich wieder auf
den Stein beim Feuer, der ihm vorher schon als Sitzplatz
gedient hatte.
»Apachenart, dagegen gibt's kein Rezept, John. Da kann man
auch nichts machen. Worte jedenfalls helfen nichts. Außerdem
82
müssen auch Sie zugeben, daß Cochise im Recht ist.«
Haggerty nickte und stand auf. Er schlenderte zum
Höhlenmund und trat auf das Geröllplateau hinaus. Die Sonne
hing wie ein messingfarbener Gong über dem Chiricahua-
Gebirge im Osten und beleuchtete eine so wilde Szenerie, wie
sie der erfahrene Scout noch nie gesehen hatte. Er stand da und
dachte an das Land zu seinen Füßen und seinen Auftrag.
Cochise wußte, was ihn in die Dragoon getrieben hatte. Er
hatte mit keinem Wort erwähnt, daß Haggertys Tun falsch war.
John dagegen ahnte, daß Cochises Apacheria so gut in diesem
Klippengebirge versteckt war, daß kein Weißer, und sei er ein
noch so guter Scout, die Festung je finden würde.
Als John Haggerty nach Westen blickte und seine Augen
über die Welt der Canyons und Felsenriffe gleiten ließ, sah er
eine dünne Staubwolke aus einem Canyon hochsteigen. Die
Staubsäule war so schwach zu erkennen, daß sie kaum von
Reitern herrühren konnte. Der Staub faszinierte den immer
wachen und mit seiner Umwelt vertrauten Scout.
Er drehte den Kopf nach hinten und rief:
»Bleiben Sie bei den Pferden, Wyatt, ich bin gleich zurück.«
»Wohin gehen Sie?«
»In den Canyons drüben weht Staub. Ich will wissen, wer ihn
aufwühlt. Es dauert keine halbe Stunde.«
Wenn er gewußt hätte, daß seine Erkundung bis lange nach
Mittag dauern würde, wäre er vielleicht nicht gegangen und
hätte Staub Staub sein lassen. Er wußte es aber nicht und
machte sich auf den Weg.
Um neun Uhr vormittags stahl sich die Sonne aus einer
Seitenschlucht in den Hauptcanyon. Haggerty konnte ihr Licht
noch auf dem gegenüberliegenden Hang des breiten Canyons
sehen, doch in der Seitenschlucht herrschte Halbschatten und
eine erstickte Hitze. Trotz der frühen Stunde strahlten die
Felsen eine Wärme wider, daß dem Scout der Schweiß aus
allen Poren brach.
83
Kein Windhauch strich über die Landschaft und kühlte das
Gestein. Als Haggerty in den Seitencanyon eintauchte,
orientierte er sich nach der Staubsäule. Sie wanderte langsam,
aber sie wanderte. Der erfahrene Scout wußte mit beinahe
absoluter Sicherheit, daß es sich dort drüben um Fußgänger
handelte, die den Staub aufwirbelten. Aber wer ging in diesem
Land schon zu Fuß?
Er benötigte etwa eine halbe Stunde, die schmale Schlucht zu
durchmessen. Fast ohne Übergang öffnete sich der
Canyonmund in den großen Hauptcanyon. John suchte nach
einem Versteck. Er fand es zwischen einigen Klippen, die von
Dornenhecken umgeben wurden. Es war ein nahezu ideales
Versteck, das er sich ausgesucht hatte. Als er zwischen die
Felsen eindrang, schnüffelte er lange und anhaltend. Kein
Staub hing hier in der Luft.
Je tiefer er in das Dornenzeug eindrang, desto mehr gab er
acht auf Schlangen und andere Tiere, die ihm gefährlich
werden konnten. Gerade die Klapperschlangen und die überaus
giftigen roten Sandvipern waren es, vor denen er sich in acht
nehmen mußte. Ein Biß von ihnen hätte genügt, ihn
mattzusetzen.
Unangefochten gelangte er bis zur Mitte der Steinanhäufung
und legte sich in eine Bucht von Sand und Geröll. Niemand
konnte ihn von außen sehen.
Er hatte kaum seinen Platz gefunden, als er die ersten
Geräusche vernahm. Ein zeterndes Fluchen und Murren drang
durch den hitzeglühenden Canyon, das in einem wilden und
gereizten Dialog auslief.
John grinste. Beinahe ahnte er, was seine Augen sehen
würden. Aber als er die beiden heruntergekommenen Outlaws
durch die Schlucht wanken sah, staunte er doch. Der Zufall
wollte es, daß Zaunlatte Josuah Lemmon bei den Klippen nicht
mehr weiter konnte. Stöhnend ließ er sich auf einen Stein
nieder und zog die Stiefel aus.
84
Hugh Bennet, der ein Stück weitergegangen war, kehrte
wieder um und ließ sich neben seinem Spießgesellen in den
heißen Sand sinken.
»Blasen, nichts als Blasen«, stöhnte der Dürre. »Den Hund
könnte ich in Stücke schneiden, daß er uns das angetan hat.«
»Fluchen und verwünschen hilft nicht, Josuah. Wir müssen
weiter. Wenn wir in diesem Zustand den Apachen in die Hände
fallen, können wir gleich unseren Geist aufgeben.«
»Schweinehund!«
»Was, ich?«
»Quatsch! Fatty meine ich. Er hat die Gäule geklaut und sich
aus dem Staub gemacht. Wir haben kein Wasser und keinen
Proviant, und dieses Miststück sitzt vielleicht schon irgendwo
in einer kühlen Kneipe und läßt sich ein kaltes Bier in den
Schlund laufen. Verdammt sei seine schmutzige Seele!«
John Haggertys Grinsen wurde breiter, geradezu triumphal
und triefend vor Schadenfreude. Ihm wurde langsam heiß in
seinem Versteck, aber er konnte sich nicht zurückziehen, weil
dies ohne Geräusche nicht abgegangen wäre.
»Die Mine können wir auch in den Schornstein schreiben«,
fuhr der schielende Bärtige fort. »Ohne Pferde und Proviant
kommen wir nie dorthin.«
»Haben wir alles dem Dicken zu verdanken«, knurrte
Lemmon finster. »Wenn ich ihn erwische, reiße ich ihm die
Därme bei lebendigem Leib heraus.«
»Du wirst ihn nicht erwischen«, antwortete Hugh Bennet
zynisch. »Der ist längst über alle Berge.«
»Wenn wir heil hier aus diesem Labyrinth von Schluchten
herauskommen, nehmen wir seine Spur auf. Irgendwo kriegen
wir ihn. Verdammt will ich sein, wenn ich den Verrat an
unserer Sache ruhig hinnehme.«
»Well, machen wir! Wie ist's, trampeln wir weiter?«
»Meine Füße«, jammerte Lemmon. »Sieh doch, alles voller
Blasen. In diesem Zustand kann ich keine hundert Schritte
85
mehr gehen. Ein Pferd, ein Pferd – ein Königreich für ein
Pferd!«
»Ach, halt die Klappe, Mann! Hier gibt's kein Pferd und du
hast kein Königreich zu verschenken. Armleuchter!«
»Werd ja nicht frech, Mann. Selber Armleuchter, dazu der
größte Dummkopf von ganz Amerika.«
Haggerty wurde es langsam zu dumm zwischen den
hitzeglühenden Felsen. Die Mittagszeit schlich vorüber und
keiner der beiden Kerle machte Anstalten zu verschwinden.
Die Hitze brodelte förmlich zwischen den Canyonwänden.
Schwärme von Bremsen flitzten wie abgeschossene Pfeile
hierhin und dorthin und bissen wie gereizte Klapperschlangen.
Sie raubten dem still Daliegenden fast den Verstand. Er
bekämpfte sie mit bloßen Händen, aber sie peinigten ihn so,
daß er beinahe den Verstand verlor und am liebsten
wutbrüllend aufgesprungen wäre.
Aber die Situation änderte sich schlagartig. Der Wolfsschrei
hallte von allen Canyonwänden zurück und pflanzte sich in
dürftigen Echos fort.
Hugh Bennet sprang wie elektrisiert auf die Füße, und
Lemmon hatte noch nie in seinem Leben so schnell die Stiefel
angezogen wie an diesem Mittag. Beide rissen ihre Revolver
aus den Halftern und sicherten nach allen Seiten. Nichts
geschah. Kein Wolf und kein Apache ließ sich sehen.
»Dieses Schwein haut mit den Pferden ab und überläßt uns
hier den Rothäuten! Verdammt«, heulte Lemmon
wutentbrannt, »das zahle ich ihm heim, und wenn ich ihm rund
um den Erdball folgen müßte!«
Daß zu diesem Zeitpunkt Morg Burthe gar nicht mehr lebte,
konnte der Bandit allerdings nicht wissen.
Die beiden Kerle machten so viel Lärm, daß es Haggerty
wagen konnte, sich aus dem Gefahrenbereich zu bringen.
Kriechend zog er sich zurück und tauchte unhörbar in den
gewundenen Canyon ein, der ihn über gewundene Pfade
86
wieder zurück auf das Hochplateau brachte.
Er mußte sich beeilen, obwohl Eile bei dieser infernalischen
Hitze geradezu eine Qual war. Wyatt Earp war ein
ungeduldiger Mann und konnte einen nicht mehr
gutzumachenden Fehler begehen, wenn er auf der Suche nach
dem Scout die Höhle verließ.
*
Morg Burthe erlebte einen Sonnenaufgang mit wenig
Begeisterung. Er konnte seinen Kopf drehen, wohin er wollte,
auf jedem Hügel hielt ein Apachen-Krieger auf seinem Pony,
in den Händen den gespannten Bogen.
Fatty ahnte, daß seine Flucht mißlungen war. Selbst sein
Verrat an den Spießgesellen hatte nicht dazu beitragen können,
der Rache der Chiricahuas zu entgehen. In seiner Angst
versuchte er sich alle nur möglichen Vorstellungen zu machen,
wie er den Rothäuten entkommen könnte. Aber es war nur
Gaukelspiel, mehr nicht. Selbst die Todesangst beflügelte seine
Inspiration nicht mehr, und die heraufziehende Hitze tat ein
übriges, ihn mutlos zu machen.
Gewiß, er hätte einen der Indianer aus seiner Deckung heraus
vom Pony schießen können. Aber nur einen. Die beiden
anderen hätten ihm anschließend mit ihren Pfeilen den Garaus
gemacht, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
Er verstand nicht, warum sie ihn nicht längst erledigt, mit
ihren Pfeilen wie ein Stachelschwein gespickt und skalpiert
hatten. Worauf warteten sie?
Die Angst um sein Leben drang mit jeder Minute tiefer in
seine Blutbahnen. Sie kroch wie ein unendlich langer Wurm
zum Herzen und ließ ihn in Angstschweiß ausbrechen. Morg
Burthe hatte Durst, er fühlte seinen Magen vor Hunger
rebellieren. Aber sein Pony stand viele Meter von ihm entfernt
und ließ geduldig den Kopf in der Sonnenglut hängen. Für ihn
87
waren es Meilen.
Minuten tropften wie flüssiges Blei in das unermeßliche
große Becken der Zeit. Kostbare Minuten. Die Sonne kletterte
höher und sandte glühende Pfeile auf die verbrannte Erde. Es
war, als wollte sie den Mörder bei lebendigem Leib rösten.
Der Dicke schloß die Augen und legte die heiße Stirn auf den
Unterarm. Ergab er sich ohne weiteren Widerstand seinem
Schicksal? Konnte er außer dem Tod noch etwas anderes
erwarten? Nein, er gab auf. Trotzdem riß er den bleischweren
Kopf noch einmal in die Höhe, als der laute Ruf »Zastee!« aus
drei rauhen Kehlen über die Mulde schallte.
»Töte!« schrie einer, ein anderer: »Cochise!« Diese Stimme
drang wie ein Jubelton in sein ausgetrocknetes Gehirn.
Morg folgte der Blickrichtung der Krieger, und im nächsten
Augenblick glaubte er, sein Herzschlag setze aus. Auf einem
vorstehenden Felszacken, genau über ihm, stand ein weiterer
Indianer. Er war von imposanter Gestalt und ganz in weißes
Wildleder gekleidet.
Eine Kette aus den Reißzähnen des mächtigen Grislys der
Berge zierte seine mächtige Brust. Die Rothaut breitete die
Arme aus und begrüßte die Krieger, die ein gellendes Geheul
anstimmten.
Es folgten Handzeichen in indianischer Zeichensprache, und
wie weggezaubert verschwanden die Krieger. Still und
verlassen lag das Land ringsum, und glühend heiß.
Morg warf einen ängstlich spähenden Blick zu dem Zacken
hinauf. Der Indianer stand noch immer dort und beobachtete
den Mann unter ihm zwischen den Gesteinsbrocken.
»Wer bist du, Rothaut?« krächzte Fatty.
Die Antwort grub sich tief in die Seele des Weißen und ließ
sein Herz beben:
»Cochise, der Häuptling der Apachen!«
Morgs Kopf fiel wieder auf den angewinkelten Unterarm.
Irgend etwas, ein vager Gedanke vielleicht, ließ ihn noch
88
einmal zu Cochise hinaufstarren.
»Du bist gekommen, mich zu töten?«
»Ich bestrafe dich für den Mord an der Sippe aus dem Stamm
der Chiricahuas.«
Es klang wie beiläufig, und Morg empfand die Worte wie
einen Richterspruch aus berufenem Mund. Morg wagte eine
weitere Frage:
»Wo sind deine Krieger? Ich sehe sie nicht mehr.«
»Ich befahl ihnen, weiter auf der Fährte der anderen Mörder
zu reiten. Zwei von euch sind noch am Leben. Sie werden
genauso bestraft werden wie du.«
»Sie haben deine Leute umgebracht, nicht ich!« schrie Morg
Burthe flehend. »Töte mich nicht, Cochise! Ich kann dir sagen,
wo sie sich versteckt halten, ich kenne den Weg!« brach es laut
und gellend aus der gequälten Brust. Todesangst ließ den
dicken Körper fünf Meter unter Cochise zittern.
»Ich brauche deine Hilfe nicht, Mörder. Ich weiß immer, wer
sich auf meinem Land in diesen Bergen aufhält. Du wirst
sterben und den gemordeten Kriegern in den Ewigen
Jagdgründen dienen, Kojote!«
»Nein!« gellte es aus dem Mann heraus. Er warf sich herum,
riß das Gewehr an die Schulter und gab einen Schuß auf den
Indianerhäuptling ab.
Seine Kugel traf nur Luft und schwirrte davon.
»Ich bin hier«, sagte Cochises Stimme ganz nahe bei dem
Weißen.
Fatty wirbelte herum, riß wieder das Gewehr in
Hüftanschlag. Er sah aber niemanden und fragte dann ganz
naiv:
»Wo? Wo bist du, Rothaut?«
»Hier!«
Noch einmal drehte sich der Weiße um seine Achse. Zu
sehen war niemand, nur Steine, Sand und Disteln.
»Zeige dich, damit ich dir deinen roten Wanst voll Blei
89
pumpen kann!« brüllte Morg Burthe mit sich überschlagender
Stimme. »Verdammter roter Bastard!«
Neben Morg fiel ein Stein zu Boden. Er wirbelte zur Seite,
stolperte und stürzte. Das Gewehr entfiel seiner Hand und
rollte zur Seite. Bevor sich der Weiße wieder aufrichten und
nach seiner Flinte greifen konnte, fiel ein Schatten über ihn.
»Kämpfe, weißer Mann, oder stirb!«
Fatty blieb erschöpft und verängstigt liegen. Vor ihm stand
Cochise mit gespreizten Beinen, das Kriegsbeil in der Faust.
Morg Burthe riß sich hoch und ließ sich wieder fallen. Er
machte seinen Rücken hohl und warf sich zur Seite, dabei
kreischte er in höchster Todesangst:
»Ich will nicht kämpfen! Nicht gegen dich, Apache!«
»Feigling, komm hoch! Du wirst kämpfen und von meiner
Hand fallen, gemäß dem Gesetz der Apachen!«
»Nein! Nein! Nein!«
Wie ein Tier versuchte Morg auf Händen und Füßen
davonzukriechen. Während er sich abmühte, dem
unerbittlichen Häuptling zu entkommen, fiel ihm der Revolver
im Gürtel ein. Er warf sich mit letzter Kraft auf den Rücken
und riß die Waffe heraus. Zum Spannen des Hahnes kam er
nicht mehr.
Kaum hatte er den schweren Colt in der Hand, da hob
Cochise den Arm und ließ das Kriegbeil fliegen. Die scharfe
Schneide traf den Weißen am Kopf. Mit einem Schrei und
einem verklingenden Ächzen fiel Morg Burthe tot zurück.
Cochise verzichtete auf den Skalp des Feiglings, nahm sein
Tomahawk vom Boden auf und wischte die Schneide an der
Kleidung des Toten ab. Eine lange Weile blieb Cochise stehen,
das adlerartige Gesicht der Sonne zugewandt. Er sprach nicht
mit sich selbst, er stieß keinen Jubelruf aus, denn einen
Feigling zu töten war keine Heldentat.
Er drehte sich um und verließ die Stätte des Todes. Kurz
darauf verschwand er zwischen den Klippen.
90
*
Haggerty erreichte atemlos und schwitzend die Höhle. Earp saß
beim erloschenen Feuer und stocherte mit einem Zweig in der
Asche.
»Eine halbe Stunde, mehr nicht«, sagte er mit beißender
Ironie.
»Tut mir leid«, erwiderte John Haggerty und strich sich mit
der Hand über das bräunliche Haar. »Beinahe hätten sie mich
erwischt.«
»Wer?«
»Zwei von den weißen Mördern.«
»Sonst noch jemand in der Mondlandschaft dort unten?«
»Wenn Sie das Aufgebot meinen, nein. Die sind weit weg.«
»Woher wissen Sie das?«
»Läßt sich doch denken, oder nicht?«
»Ich kann mir viel denken, Mann, aber dabei kommt nie
etwas heraus.«
Haggerty grinste, Wyatt grinste zurück. Alles war wieder in
bester Ordnung.
»Wo nur Cochise bleibt?« fragte Earp nachdenklich. »Er ist
doch nicht etwa abgehauen?«
»Ohne Pferd? Unsinn! Der Jefe weiß, was er tut.«
»Ich traue einfach keiner Rothaut, ob sie nun Cochise heißt
oder nicht.«
»Sie haben aber auch nichts gegen die Indianer?«
»Nein, habe ich nicht, solange sie mich in Ruhe lassen. Und
Sie?«
Haggerty schüttelte den Kopf, griff nach einer
Wasserflasche, nahm einen tüchtigen Schluck und spülte sich
den Mund aus. Erst danach trank er in kleinen Schlucken.
»Sie sind stets die Dummen, was sie auch anfangen«, setzte
der Scout das Gespräch fort. »In zehn bis zwanzig Jahren wird
es in Arizona keine wild lebenden Indianer mehr geben.«
91
»Apachen?«
»Alle Stämme.«
»Sie meinen, man bringt sie in Reservationen unter?«
»Zuerst. Später wird man sie deportieren. Ich weiß nicht
genau, was die Regierung mit den Roten vorhat, aber etwas
Gutes ist es auf keinen Fall.«
»Das gefällt Ihnen nicht? Dabei helfen Sie doch der Armee,
die Indianer auszurotten. Wie steht's damit, he?«
Haggerty gab keine Antwort. Er wußte, daß er sich
mitschuldig am Untergang der Apachen machte, und dieses
Wissen machte ihn krank, wenn er an Tla-ina, Cochises schöne
Schwester, dachte. Er trank noch einen Schluck von der
warmen Brühe und stellte die Flasche zur Seite.
»Warum geben Sie keine Antwort, John? Cochise scheint
große Stücke von Ihnen zu halten, wie ich bemerkt habe. Er
nennt Sie Falke.«
Haggerty erwiderte: »Ich habe ihm mal geholfen, er ist mein
Freund. Ich kann mich auf ihn verlassen und er sich auch auf
mich.«
»Soso«, sagte Wyatt abfällig. »Ein guter Freund der Roten.«
»Sie haben keinen Grund, auf Ihre weiße Haut besonders
stolz zu sein.«
In Johns Stimme lag offener Hohn.
»Wie kommen Sie gerade auf mich?«
»Weil Sie keinen Deut besser sind als ein roter Barbar. Sie
machen es mit Ihrem Schießeisen, wozu ein Indianer lediglich
sein Messer zur Verfügung hat.«
»Dumme Sprüche, Mann, ich habe noch keinen skalpiert.«
»Das nicht, aber erschossen. Selbstverständlich hatten Sie
immer den Notwehrparagraphen auf Ihrer Seite, klar, Sie
würden sonst nicht hier sitzen.«
Earp stand auf und ging zum Höhleneingang.
»Lassen wir das«, erwiderte er. »Jeder eben auf seine Art.
Ich bin ein Spieler, Sie ein braver Scout, der kein Wässerchen
92
im Apachenland trübt. Ich weiß Bescheid, Haggerty.«
»Darf ich erfahren, was Sie wissen?«
»Ich sagte, lassen wir das. Bei einem Streit können wir beide
keinen Profit machen, uns aber eine Menge Ärger einhandeln.«
John Haggerty trat einen langen Schritt auf Wyatt zu. Er riß
ihn an der Schulter zu sich herum und trat ganz nahe an ihn
heran.
»Hören Sie, Wyatt, so können Sie nicht mit mir reden! Wenn
Sie schon Andeutungen über meine Person machen, dann reden
Sie auch gefälligst weiter. Und noch etwas: Wenn Sie jetzt
ziehen, knalle ich Ihnen meine Faust aufs Kinn, daß Sie die
Engel im Himmel singen hören.«
»Lassen Sie mich los, Sie dämlicher Squaw-Mann!«
Aus Wyatt Earp sprach unvermittelt eine kalte Drohung. Er
schüttelte Haggertys Hand ab und wich zurück. Seine Hand
war in der Nähe der rechten Hüfte, aber er zog nicht.
»Squaw-Mann? Sind Sie denn von allen guten Geistern
verlassen?«
»Durchaus nicht, Freundchen. Die ganze Indianergrenze
spricht davon. Ich habe mir sagen lassen, sie soll recht hübsch
sein. Ihre Sache, Haggerty, die mich keinen Deut angeht. Nur
wird mir so verständlich, wieso es dazu kam, daß Cochise zu
Ihnen so freundlich ist. Das ist sonst nicht die Art der
Rothäute.«
»Ich weiß immer noch nicht, was Sie eigentlich mit einem
Squaw-Mann sagen wollen? Ich bin nicht verheiratet, weder
mit einer Weißen noch mit einer Roten. Und was Cochise
damit zu tun haben soll, ist sowieso unerfindlich.«
»Sie haben's doch mit seiner Schwester, oder stimmt das
etwa nicht?« drang Earps höhnische Stimme in Haggertys
Bewußtsein. »Mann, ich sagte, mir ist das völlig egal, Sie
sollten aber dann nicht so tun, als hätten Sie das Schießpulver
erfunden.«
Der Scout wurde fahl wie ein frisch bestaubtes Nudelbrett.
93
Seine Hand zuckte zum Revolver, hielt aber auf halbem Weg.
»Sie sind ein gottverdammter Lügner, Earp! Los, ziehen Sie
Ihre Kanone! Ziehen Sie! Wir werden sehen, wer von uns
beiden der Schnellere ist!«
Wyatt Earp grinste nur süffisant, griff aber nicht zum Halfter.
Brüsk drehte er sich herum und verließ die Höhle. Langsam
wurde John Haggerty wieder ruhig. Grimmig ballte er die
Hände und schüttelte sie hinter dem Spieler her.
Trotz allem war er dankbar, daß Cochise diese gehässigen
Worte nicht gehört hatte. Für Earps Leben hätte er keinen
Nickel mehr gegeben. Er nahm sich vor, mit keinem Wort mit
dem Häuptling darüber zu reden. Wyatt wäre es sonst schlecht
ergangen.
John Haggerty setzte sich auf einen der Feuersteine und
dachte über Earps Worte nach. Irgendwoher mußte der Spieler
das Gerücht haben, und daß es sich nicht weiter ausdehnte,
dafür würde er sorgen. Am Nachmittag würde er mit Wyatt
reden…
*
Die Sonne, groß und rund wie ein kupferner Gong, warf am
Nachmittag glühende Hitze über das ausgebrannte Land. Aus
dem breiten Canyon taumelten zwei völlig verwahrloste
Männer und brachen ein Stück außerhalb der Schlucht in die
Knie.
Längst hatten die Wolfsschreie ihren Schrecken für Hugh
Bennet und Josuah Lemmon verloren. Selbst die gelegentlich
abgeschossenen Pfeile der verfolgenden Apachen konnten sie
zu keinen schnelleren Bewegungen mehr veranlassen.
Die beiden Outlaws waren am Ende ihrer Kräfte, und die
wahnsinnige Hitze tat ein übriges, sie restlos auszupumpen.
Wasser hatten sie schon lange nicht mehr, Proviant fehlte
ebenfalls. Ihre Gesichter wirkten eingefallen und bleich, und
94
selbst die tagealten Bartstoppeln konnten das schreckliche
Schicksal dieser beiden Weißen nicht mildern.
Die Apachen sahen sie nicht. Krieger der Apachen sah man
nur, wenn diese gesehen werden wollten. Dafür wurden sie
gesehen. Auf einer die Schlucht überragenden Klippe stand ein
einzelner hochgewachsener Indianer mit mächtigem Brustkorb
und einer Adlernase, die diesen Mann geradezu profilierte.
Er beobachtete die beiden Weißen, sah mit handverdeckten
Augen zur Sonne und dann in die Wüste hinaus. Was er weit
draußen sehen konnte, gefiel ihm nicht. Eine Staubwolke glitt
wie eine Windhose über das karge Land. Sie kam näher.
Josuah Lemmon und Hugh Bennet sahen sie ebenfalls und
diskutierten heftig. Cochise sah deutlich, wie sie sich erregt
unterhielten und nach Norden deuteten.
Schon bald darauf schälten sich Reiter aus dem Staub. Sie
führten Packpferde mit sich und ein paar unbeladene Maulesel.
Die Männer mit den hellen Feldhüten trugen blaue Uniformen
und wurden von einem Captain angeführt.
Josuah Lemmon, der Mann, der so dürr und aufgeschossen
wie eine Zaunlatte war, richtete sich auf und winkte mit dem
Hut. Voller Grimm mußte Cochise mit ansehen, wie der Trupp
einschwenkte und auf seine sichere Beute zuhielt.
Nach wenigen Minuten hatte die Patrouille die beiden
Banditen erreicht. Soldaten sprangen von den Pferden,
versorgten die Verdurstenden mit Wasser. Cochise beobachtete
jede Bewegung dort unten mit Argusaugen.
Als die beiden nach etwa einer Stunde von den Soldaten auf
freie Maultiere gehoben wurden und mit dem Trupp nach
Osten ritten, wußte der Häuptling der Apachen, daß sie vorerst
seinem Zugriff entzogen waren.
Lange verfolgten dunkle Falkenaugen den Ritt der Patrouille.
Die Soldaten konnten aus Fort Buchanan im Südwesten des
Apachen-Passes sein, aber auch aus Fort Bowie im Nordosten
von Thomas Jeffords Bastion.
95
Wenn Cochise an diesen rotbärtigen Postmeister dachte, glitt
ein mildes Lächeln über seine Züge. Thomas war der zweite
Weiße, den er seinen Freund nannte. John Haggerty war ein
Kämpfer und Scout der Armee. Notgedrungen mußten sich alle
seine dienstlichen Maßnahmen gegen die Interessen der
Apachen richten, das verstand der Häuptling.
Jeffords dagegen hatte mit dem Militär nichts zu tun. Als
Postmeister der Butterfield Overland wollte er stets als Zivilist
verstanden werden, der sich wegen seiner exponierten Stellung
beim Paß mit den Chiricahuas, die das Land dort oben
kontrollierten, vertragen mußte. Außerdem war Thomas
Jeffords ein wirklicher Freund der Indianer, genau wie John
Haggerty.
Cochise warf einen letzten Blick nach Osten und suchte auch
den nördlichen Horizont ab. Von einer Sekunde zur anderen
war der Platz auf der Klippe leer.
Am Spätnachmittag kletterte der Häuptling wie eine Gemse
den Hang zur Höhle hinauf und traf Wyatt Earp sitzend auf
dem Plateau an. Er ahnte sofort, daß zwischen den beiden so
verschiedenartigen Männern etwas vorgefallen sein mußte.
Cochise stellte keine Fragen, betrat die Höhle mit einem
kurzen Kopfnicken zu Earp hin und setzte sich an die kalte
Feuerstelle. Während er aus einer Feldflasche seinen Durst
löschte, studierte er die finstere Miene Haggertys. Eine steile
Falte stand wie eine eingemeißelte Kerbe auf Johns
Nasenwurzel.
Mit wenigen Worten berichtete Cochise, daß ihm zwei der
Mörder entkommen waren. Haggerty blickte ihn nur kurz und
wortlos an.
»Die Jagd ist zu Ende, Jefe.«
»Sie beginnt, wenn die Mörder das feste Haus der Weißen
verlassen.«
»Du bist unerbittlich.«
Cochises Hand bewegte sich in einem Halbkreis.
96
»Alles Land gehört den Apachen. Es ist unfruchtbar und hat
nur wenig Wasser. Und doch gönnen es die Weißen dem roten
Mann nicht. Wenn eine Sippe von Weideplatz zu Weideplatz
zieht, wird sie verfolgt und getötet. Die Frauen der Chiricahuas
werden geschändet und entführt. Ist es denn nicht das vererbte
Recht des roten Mannes, sein Land, das ihn ernährt, zu
verteidigen und seine Toten zu rächen?«
John Haggerty gab keine Antwort. Er konnte keine geben,
weil er sehr wohl wußte, wie sehr der Häuptling recht hatte.
Das Unrecht, das man den Apachen angetan hatte, sprengte
immer wieder die freundschaftlichen Bande zwischen
einzelnen Weißen und Roten.
»Du verfolgst die Patrouille, Cochise?«
»Nicht sie, aber die Mörder.«
»Ich werde dich verlassen, Jefe. Man erwartet mich im
Hauptquartier.«
»Du sollst berichten, wo sich die Bergfeste der Chiricahuas
befinden?«
»Ich kenne sie nicht und kann nichts berichten.«
»Wollten uns die Soldaten angreifen?«
»Nein, Cochise. Der einarmige weiße Häuptling ist dein
Freund.«
»Warum will er dann wissen, wo wir leben?«
»Nur so. Man nennt das bei den Weißen strategische
Kriegsführung.«
»Die Soldaten des weißen Häuptlings werden uns niemals
finden, Falke. Was wirst du über uns berichten?«
»Ich werde lügen müssen, Cochise.«
»Du bist ein aufrechter Krieger, Falke, du kannst nicht lügen.
Was wirst du dem weißen Häuptling sagen?«
Die Kerbe auf Haggertys Nasenwurzel wurde tiefer und
länger. John machte ein sorgenvolles Gesicht und drückte
seinen Kummer in fahrigen Handbewegungen aus.
Cochise bohrte weiter: »Tla-ina befindet sich in meinem
97
Jacale. Wirst du sie den Weißen ausliefern?«
»Niemals!«
»Ist das ein Versprechen?«
»Ein heiliges, wenn du willst. Ich werde über den Paß reiten
und mit Thomas Jeffords über die Sache sprechen. Vielleicht
weiß er Rat?«
Cochise schüttelte den Kopf.
»Thomas ist kein Krieger. Er kann uns beiden nicht helfen.
Soll ich dir sagen, was du tun sollst?«
Cochise fühlte, daß sich der Scout in einem inneren
Zwiespalt befand und keinen Ausweg aus seiner nahezu
verzweifelten Situation sah. Er nahm ein dünnes Stück Holz,
ritzte Linien und Kreise in den Aschenstaub des Felsbodens.
»Wenn sie von dir fordern, sie in die Berge zu führen, dann
führe sie dorthin. Hier«, er deutete mit dem Stock auf einen
bestimmten Punkt, »leben wir in einem zerklüfteten Tal mitten
in den hohen Bergen, die ihr Weißen Dragoon-Gebirge nennt.
Führe sie dorthin. Willst du?«
Haggerty hob seinen Kopf. Er musterte Cochise lange und
eindringlich. Dann schüttelte er den Kopf.
»Sie verlangen es nicht von mir, jetzt noch nicht. Wie ich
sagte, ist das Strategie. General Howard soll in den Norden
versetzt werden, davon redet man jedenfalls im Hauptquartier.
Ein anderer General wird kommen, der die Befehlsgewalt an
der Arizonafront übernimmt. Für ihn sind diese Angaben
wahrscheinlich gedacht.«
»Der neue General wird den Krieg wieder beginnen?«
»Das glaube ich nicht, Cochise. Er bestimmt das auch nicht.
Seine Befehle erhält er aus Washington, und du weißt das recht
gut, wir sprachen einmal darüber.«
Cochise nickte. Er stand auf und reckte seinen sehnigen
Körper.
»Merke dir die Skizze, Falke, und wenn der Tag kommt, der
für die Chiricahuas ein entscheidender Tag sein wird, dann
98
führe die Soldaten zu jener Bergfeste, die ich dir aufzeichnete.
Wirst du das tun?«
John Haggerty stand ebenfalls auf. Er schüttelte den Kopf.
»Ich kann es nicht und werde es nicht tun können, Jefe. Viele
Jahre kämpfte ich für den Frieden zwischen unseren Rassen
und will jetzt nicht an der Sache zum Verräter werden.«
»Führe die Langmesser zu jenem Punkt«, sagte Cochise noch
einmal eindringlich. »Führe sie, Scout, sie werden nicht einen
einzigen Chiricahua antreffen.«
Haggerty ahnte, was in dem Häuptling vorging. Er schien zu
wissen, daß ein Scout Erfolge mit ins Lager zurückbringen
mußte, wenn man ihm weiterhin Vertrauen schenken wollte.
Nach einer längeren Pause intensiven Nachdenkens nickte er
schließlich.
»Gut, ich werde es so machen, wie es dein Wunsch ist,
Chief. Denke aber daran, daß sie Kanonen mitbringen werden,
wenn dieser Tag Wirklichkeit werden sollte.«
»Sie werden nur Steine treffen, und Steine bluten nicht.«
Nach diesen Worten drehte sich Cochise um und ging ein
Stück tiefer in die Höhle hinein. Bei seinem Pinto blieb er
stehen und musterte das Tier. Alles war unverändert, wie er
den Platz verlassen hatte.
Als er aufstieg und die Höhle verließ, stand Haggerty noch
an der gleichen Stelle und hob die Hand zum Gruß. Cochise
grüßte zurück. Auf dem Plateau wurde Cochise von Wyatt
Earp angehalten.
»Du reitest, Häuptling?«
»Mein Weg führt mich nach Norden.«
»Darf ich mit dir reiten, Chief?«
»Du behinderst mich.«
Earp grinste. »Ich mache mich unsichtbar, Chief. Nur bis
Fort Bowie, wenn es deine Richtung ist.«
Cochise nickte. »Komm«, sagte er, mehr nicht.
99
*
John Haggerty blieb in der Höhle, bis die Hufschläge draußen
verklangen. Nach Cochises Bitte fühlte er sich leer und wie
blutlos. Seine Befehlsgeber verlangten von ihm einen Verrat an
den Apachen. Cochise erwartete von ihm eine Täuschung
seiner eigenen Rasse. Johns Zwiespalt dämmerte mit seinem
Pulsschlag bis in die Abendkühle, und so oft er sich fragte, was
recht und unrecht war, geriet er in einen neuen Zwiespalt, der
sich beklemmend um Herz und Seele legte.
Wind kam draußen auf und brachte die unsichtbaren
Orgelpfeifen wieder zum Klingen. Ein seltsamer Wind. Er
befreite John nicht von seinem inneren Druck und gab auch
keine Antwort auf alle seine Fragen.
Müde ging er zu seinem Pferd. Er fütterte und tränkte das
Tier ausreichend und legte ihm schließlich den Sattel auf.
Als er es aus der Höhle führte, brach die Dämmerung über
das Land. Die Sonne war noch eben als schmaler
Kreisabschnitt über dem Horizont zu sehen und versank
schließlich ganz in einem Meer aus Dunst. Es wurde schnell
dunkel.
Haggerty wußte nicht, wie er von dieser Stelle aus in die
Ebene gelangen konnte. Den Geröllabhang wollte er nicht
benutzen, weil er keine Ahnung hatte, wie weit die
Verwitterung schon fortgeschritten war. Er kannte solche
Halden und wußte, daß es für ein Pferd ganz gefährlich war, sie
zu betreten.
John suchte nach Spuren, fand sie und führte das Tier am
Zügel auf der gut sichtbaren Fährte weiter. Auf einem
gewundenen Weg ging es an einer Felswand entlang nach
unten. Der Weg war allerdings nicht die Leiste, auf der Cochise
gegen die Mörder einer Apachen-Sippe ausgezogen war. Es
war aber auch nicht das schmale Band, das er benutzt hatte, die
Outlaws zu belauschen.
100
Die Chiricahuas kannten ihr Land, jeden Steg und Weg, das
mußte er ihnen zugestehen. Und doch wunderte er sich,
weshalb Cochise eine so gut sichtbare Spur hinterlassen hatte,
der ein Blinder mit einem Stecken hätte folgen können.
Ein Verdacht kam Haggerty. Wollte ihm Cochise etwas ganz
Bestimmtes zeigen? Wollte er ihm einen Hinweis auf etwas
geben, das beiden nutzen konnte?
Sein Pferd in seinem Rücken schnaubte kurz und unwillig.
John, gewohnt auf die Stimmen und Veränderungen in seiner
unmittelbaren Umgebung genau zu achten, blieb sofort stehen.
Seine hellen Augen glitten in die Runde, suchten, forschten
und fanden außer der Felsenlandschaft nichts, was auf eine
Gefahr hingewiesen hätte.
Heilige Stille lag über dem Land und drang in die tiefsten
Schluchten, sich ausbreitend wie eine dämpfende Decke. Doch
dann bemerkte der Scout etwas: dunkle Punkte in der grauen
Dunkelheit vor sich.
John Haggerty starrte, bis ihm die Augen tränten. Er rieb sie
trocken und blickte immer wieder auf das seltsame Gebilde,
das sich in der Schlucht wie ein Baudenkmal vergangener Zeit
erhob. Langsam ging er abwärts. Sein Pferd gab keine
Warnzeichen mehr von sich und klapperte mit harten Hufen
hinter ihm her.
Als er die Talsohle erreicht hatte, blieb er erst einmal
witternd und sichtend wie ein Raubtier stehen. Es war
tatsächlich ein Gebäude mit Fensteröffnungen und Türen. Aber
sie starrten blind und unbelebt in die Nacht, als seien sie müde,
stets das gleiche Bild anzustarren.
John fielen Berichte von Männern ein, die eine solche
Wohnsiedlung der Urbevölkerung schon gesehen hatten.
Niemand wußte, wer sie erbaut hatte und wie ihre Erbauer
ausgesehen hatten, auch die Apachen nicht. Die Weißen
allerdings ergingen sich in Vermutungen oder taten Fragen
nach solchen Bauten mit Achselzucken ab.
101
John setzte sich wieder in Bewegung. Die helle,
hochaufragende Wand mit den dunklen Fensteraugen sah
gefährlich aus. Wenn der Scout auch so gut wie keine Furcht
kannte und manchmal alles auf eine Karte setzte, um sein Ziel
zu erreichen, so erweckte doch der Anblick dieses
prähistorischen Bauwerks eine tiefe Niedergeschlagenheit in
ihm. Er konnte nicht sagen, was ihn bedrückte. Waren es die
dunklen Fensterhöhlen, der Hauch vergangener Jahrhunderte,
der aus den Fensterhöhlen strömte, oder war es die
unterschwellige Ahnung von der endgültigen Auflösung der so
stolzen und mächtigen roten Rasse?
Trotz aller Fragen, die sich ihm aufdrängten, verstand er nun,
weshalb Cochise die gut sichtbaren Spuren gelegt hatte. Das
hier hatte er ihm zeigen wollen.
Und was noch?
Haggerty blieb stehen und schüttelte sich wie im Fieber. Sein
Pferd berührte ihn mit seiner feuchten Schnauze und blies ihm
warme Atemluft in den Nacken.
Was, um Himmels willen, hatte ihm Cochise noch sagen
wollen?
John stand wie erstarrt, sah auf das Bauwerk, das seine
Geheimnisse für sich behielt. Und dann durchfuhr es den Scout
wie ein elektrischer Schlag.
So abweisend waren die dunklen Fensterhöhlen gar nicht. Im
Gegenteil. Plötzlich wirkten sie einladend und fordernd auf den
einsamen Mann. Das Pferd stieß ihn wieder an, absichtlich
oder unabsichtlich. Wer wollte das bei einem Pferd schon
wissen?
»Hör auf, Brauner«, sagte Haggerty murmelnd. »Siehst du
nicht, daß der Jefe uns was sagen wollte? Natürlich auch dir,
du dummes Pferd!«
Nichts rührte sich bei dem Bauwerk. Es erhob sich auf einem
Sockel aus rotem Sandstein und glitt schlank und glatt weit
hinauf in den dunklen Nachthimmel, an dem die ersten
102
blinkenden Sterne wie auf einem Samttuch aufgereiht
erschienen.
»Komm, Pferd, wir sehen uns das an.« Er marschierte los,
zerrte das Tier am Zügel. Aber der braune Wallach rührte sich
nicht vom Fleck.
»Pferd, was ist los? Hast du Angst? Die dort drüben tun dir
nichts, sie sind lange nicht mehr unter den Lebenden. Komm,
du brauchst keine Angst zu haben.«
Das Tier trottete hinter dem Scout her, als hätten es seine
gemurmelten Worte beruhigt. Vor der aufragenden Wand des
Bauwerks blieb Haggerty stehen und starrte bis zu seinem
höchsten Punkt hinauf. Die unbekannten Baumeister hatten es
in eine mächtige Felsnische gebaut und die Stockwerke
stufenartig angeordnet.
John fragte sich, wer oder welche Rasse in jener fernen Zeit
über so viel Bauverständnis verfügte, die statischen Belange
einer solchen Wehrburg zu beachten.
Endlich fand er ganz hinten an der linken Seite den Eingang.
Hier mußte sich einmal eine Tür befunden haben, aber sie war
verwittert oder von nachfolgenden Generationen zu Brennholz
benutzt worden.
John band sein Pferd an einen hochstämmigen Kaktus und
betrat eine Art Halle, die sich terrassenartig um den Kern des
Gebäudes wand. Die Geschosse wurden untereinander durch
Schrägen verbunden. Größere Absätze hatte man
wahrscheinlich mittels Leitern oder Kerbbalken überbrückt.
Überall lag Staub und Kot von Fledermäusen und Eulen.
Fuß- oder andere Abdrücke waren nirgendwo zu sehen. Kein
größeres Tier oder gar Menschen hatten seit undenkbarer Zeit
die Festung der Hohokams betreten.
John Haggerty studierte aufmerksam seine Umgebung.
Warum hatte Cochise ihn hierhergeführt, und was hatte er ihm
sagen wollen? John grübelte, kehrte gedanklich noch einmal zu
dem Gespräch zurück, das er mit dem Häuptling der Apachen
103
geführt hatte.
Cochise hatte ihn an seine Pflicht als weißer Scout erinnert
und sich selbst als den Mann bezeichnet, der seine eigenen
Pflichten ernst nimmt. Das war kein oberflächlicher
Gedankenaustausch zwischen den beiden so verschiedenartigen
Männern gewesen, aber er, Haggerty, hatte Cochises Angebot
gar nicht erst ernsthaft in Erwägung gezogen. Der Jefe hatte
das gespürt und entschloß sich, John einen weiteren gangbaren
Weg zu zeigen. Aber welchen?
Sinnloses Grübeln brachte Haggerty nichts ein, außerdem
störte ihn die Stille in diesem Haus und die Umgebung, die
vom Mythos einer längst vergangenen Rasse geprägt worden
war. War es das, was ihm Cochise hatte sagen wollen?
Der Scout schüttelte in Gedanken den Kopf. Er bezweifelte,
ob der Apache überhaupt jemals ein solches Gebäude der
Urvorderen betreten hatte. Wie alle Indianer war auch der
Häuptling der Apachen nicht ganz frei von den
Urvorstellungen des Götter- und Dämonenglaubens seines
Volkes.
Aber was war es? Wo ließen sich Zeichen Cochises
erkennen, wie ließen sie sich deuten?
John wandte sich ab und ging durch den Ausgang. Er sah
sein Pferd draußen stehen, spürte die warme Luft im Canyon,
der seine aufgenommene Sonnenhitze an die kühle Nacht
abgab. Er hörte das laute Knacken von Gesteinsspannungen,
das Rascheln von Sand, der von den Hängen rieselte.
John Haggerty kannte die Geräusche alle und ließ sich nicht
aufhalten. Bei seinem Wallach blieb er stehen und streichelte
seinen Hals.
»Ich weiß es nicht, Pferd. Weißt du es? Nein, du kannst es
gar nicht wissen, mit dir sprach der Jefe ja nicht. Laß es gut
sein, ich komme noch dahinter. Zunächst bringst du mich ins
Hauptquartier, damit ich meinen Bericht loswerde. Verdammt,
wie soll der Bericht aussehen?«
104
Nach diesem Gedankengang spürte er plötzlich, wie etwas
anderes infiltrierte, wie sich seine Überlegungen plötzlich von
dem abwandten, worüber er bisher nachgedacht hatte. Die
geistige Verkrampfung löste sich, und er sah Cochise am Feuer
sitzen und Striche und Punkte in den Staub zeichnen.
Wie ein Hammerschlag brach es bei ihm durch.
Übergangslos wußte er, was ihm der Häuptling hatte sagen
wollen. Der erfahrene Indianer hatte sehr wohl gewußt, daß
Haggerty nicht der einzige Scout war, der im Auftrag des
Generals in den Bergen nach Cochises Bergversteck suchte.
Keinem Apachen-Scout wären die zahlreichen Spuren
entgangen, die die Chiricahuas bei Besuchen in ihrer Apacheria
hinterließen. Sie führten jeden halbwegs intelligenten Scout
genau dahin, wo sich das Gros des Stammes aufhielt.
John Haggerty atmete befreit auf, bestieg sein Pferd und ritt
an. Um ihn nicht in einen inneren Zwiespalt zu treiben, hatte
ihm Cochise nicht mit Worten gesagt, wie sie beide das
Dilemma beseitigen konnten.
Aber John war alles klar. Er lachte so laut und glücklich, daß
sein Pferd unwillig die Ohren schwenkte. Noch einmal lachte
Haggerty schallend. Das Gesichtsfeld, das sich bei ihm
plötzlich erweitert hatte, ließ sogar deutlich die Perspektiven
von Cochises Plan erkennen.
Seine Späher würden ihm rechtzeitig berichten, wann die
Weißen heranrückten, und wenn ihre Haubitzen sich auf die
Bergfeste richteten, würden sie tatsächlich nur Steine treffen.
Cochise würde schon vorher mit seinen Sippen und dem
Gros des Familienverbandes die Feste verlassen und ungesehen
Zuflucht in dem Bau seiner Ahnen gefunden haben.
Auf alle Fälle deckten sich Johns Angaben mit denen anderer
Scouts, die auf Mokassins durch die Berge schlichen und mit
wachen Augen alles beobachteten.
Er, John Haggerty, Chef-Scout der Army in Arizona, würde
nicht einmal lügen müssen, um die Chiricahuas vom Untergang
105
zu bewahren. Das jetzige Lager der Apachen war tatsächlich
dort, wo es Cochise in seiner Zeichnung angegeben hatte.
John ritt weiter und gelangte durch eine enge Klamm in den
großen Canyon und von dort aus auf die Ebene.
*
Das erodierte Gestein lag hinter ihnen, vor ihnen die Ebene
zwischen den Dragoons und den Chiricahua Mountains. Im
Süden standen die Pilonen der Swisshelm-Berge wie Kerzen
im Sonnenglast. Ihre wenigen sehr hohen Gipfel glänzten wie
die Helme der alten Spanier, die vor zweihundert Jahren dieses
Land eroberten und dann doch nicht halten konnten.
Cochise ritt vor Wyatt Earp. Er blickte weder über die
Schulter zurück noch schaute er seitwärts. Seine dunklen
Adleraugen lagen mit einem seltsamen Ausdruck auf der
hügeligen Ebene im Nordosten.
Kein Halm wuchs auf dem von der Sonne verbrannten
Felsboden, kein Grün erfreute das Auge, nichts regte sich.
Unter Gottes gütiger Hand schien dieses Land bei der
Verteilung von Wasser und Vegetation zu kurz gekommen zu
sein.
Earp ritt eine halbe Pferdelänge hinter dem Häuptling. Wie
Cochise ließ er sein Pferd im Schritt gehen und versuchte auch
nicht, den Indianer zu überholen.
Am frühen Vormittag sahen sie voraus die bewaldeten
Höhen der nördlichen Chiricahua Mountains und später den
tiefen Einschnitt des Passes an der Flanke des Gebirgsstocks in
die Höhe klettern. Was hatte diese Paßstraße in den letzten
Monaten nicht schon alles gesehen und erlebt? Hier oben
verlor Cochise seinen erbitterten Kampf gegen die California-
Volonteers. An der gleichen Stelle wurde Victorio, der
Mimbrenjo, zutiefst gedemütigt und im Zweikampf gegen
Cochise besiegt.
106
Cochise blickte ausdruckslos hinauf. Was ging in diesem
Augenblick in seinem Kopf vor? Bedauerte er so manche Tat
und manche Fehlentscheidung, oder dachte er in diesem
Augenblick an Thomas Jeffords, seinen Freund?
Wyatt Earp, der von diesen Taten hier oben beim Paß nichts
wußte, trieb sein Pferd an und ritt an Cochises Seite.
»Reiten wir hinauf?« fragte er und deutete auf den Paßsattel.
Cochise schüttelte den Kopf.
»Der Weg ist näher, aber auch gefährlicher. Ich verfolge
Soldaten, von denen ich nicht weiß, was ihnen die weißen
Mörder erzählt haben.«
Wyatt nickte gleichgültig. Ihm war es schließlich egal, wohin
er ritt und wo er landete. Hauptsache für ihn war, dem
Aufgebot aus Tombstone auszuweichen und in keinen
Hinterhalt zu geraten.
»Was ist das dort drüben am Hang?« fragte er und deutete
auf eine sich aus dem Dunst abzeichnende Erhebung.
»Ein festes Haus der Weißen. Ihr nennt es Fort Buchanan.«
Südlich davon ragte der Giebel eines Ranchhauses in die
Höhe. Auch diese Ranch hatte ihre Vergangenheit, wenn sie im
Augenblick auch von einer Mexikanerin namens Martinez
schlecht verwaltet wurde. Der Rancher selbst war tot. Jeder
Fußbreit Boden hätte lange Berichte liefern können, wenn er
gekonnt hätte. Und jeder Meter dieser Landschaft hatte Blut
geleckt. Blut von Weißen und Apachen.
Das alles ging dem Häuptling der Apachen durch den Kopf,
während er seine Augen umherschweifen ließ. Schon sein
Schwiegervater Mangas Coloradas wollte die Versöhnung mit
den Weißen. Lange Jahre strebte er Freundschaft an und den
Frieden. Aber solange noch eine Rothaut auf dem Land der
Väter weilte, konnte es keinen Frieden geben.
Cochises scharfes Auge verfolgte die dünne Linie der
Paßstraße und die Staubwolke, die den Krümmungen folgte.
Sie resultierte aus einem großen Reitertrupp, der sich
107
paßaufwärts bewegte. Ihm war klargeworden, daß die
Patrouille nicht nach Fort Buchanan ritt, sondern den kürzesten
Weg nach Fort Bowie benutzte.
Seinem Adlergesicht waren seine düsteren Gedanken nicht
abzulesen. Er wußte, daß sich die Mörder seiner Sippe mit
jeder Minute weiter von ihm entfernten. Spielten aber
Entfernungen bei einem Chiricahua eine Rolle?
Der Weiterritt wurde zur Monotonie. Wyatt Earp fielen die
Augen zu, doch die stoßende Gangart seines Pferdes
verhinderte ein Einschlafen im Sattel. Die Tageshitze tat ein
übriges, ihn gegen seine Umwelt abzustumpfen.
Nicht so Cochise. Als Kind dieses Landes ertrug er Hitze und
Strapazen mit Leichtigkeit. Wyatt hatte sich in den
vergangenen Tagen oft gewundert, wie es der Häuptling fertig
brachte, immer frisch und sauber auszusehen. Nicht der
kleinste Schmutzfleck verunzierte seine Kleidung. Während er
selbst unangenehm nach Schweiß und Pferd roch, gelang es
dem Häuptling mit undefinierbaren Mitteln, sich absolut rein
zu halten.
»Legen wir heute keine Rast ein, Cochise?«
Der Häuptling gab keine Antwort. Er lenkte sein Pferd zu
einer Insel aus losen Steinen und Buschwerk und schwang sich
dort vom Pferd.
»Kein Feuer«, sagte er. »Sie können es von Fort Buchanan
aus sehen.«
»Auch das noch«, murrte der Weiße, »ich habe mich so auf
einen starken Kaffee gefreut.«
Cochise drang in das Dickicht aus Speerdorn, Yuccas und
dünnstämmigen Kakteen ein und zerrte sein Pferd hinter sich
her. Wyatt blieb noch draußen und schickte seine Blicke in die
Runde.
Mitten in der Felsenansammlung hielt das Schweigen zwei
gedehnte Minuten an. Dann rief der Häuptling mit gedämpfter
Stimme.
108
»Komm herein, Helläugiger, sie können dich mit ihren
Ferngläsern sehen.«
Wyatt Earp raffte sich auf und folgte dem gebahnten Weg bis
zu Cochises Lagerplatz. Steine und dichtes Buschwerk umgab
ihn. Nur der Bussard hoch in der Luft konnte sehen, daß sich
hier Menschen aufhielten. Earp sattelte ab und tränkte zuerst
das Pferd aus der Wasserflasche. Er ließ die warme Brühe
einfach in seine Hutkrone laufen und hielt dem Tier den Hut
hin.
Irgend etwas störte den Spieler jedoch bei seiner Tätigkeit.
War es der penetrante Geruch in seiner Umgebung oder das
leise Rascheln zwischen den Steinen? Er sah sich um, zuckte
zurück und verhielt sich stocksteif.
Eine Diamantklapperschlange ringelte sich zwei Schritte von
ihm entfernt auf einer flachen Steinkruppe und rasselte
aufgeregt mit dem Schwanzende.
Wyatt wollte sich herumdrehen und fliehen, das Weite
suchen. Nur fort von dieser gottverdammten Schlange, deren
Biß töten konnte.
Sein erlernter Wildnisinstinkt sagte ihm jedoch, daß die
Schlange schneller als er sein würde. Schweißgetränkt starrte
er das Reptil an, das ihn im Auge behielt, und so verharrten
beide lange Minuten.
»Leicht bewegen«, flüsterte die Stimme Cochises.
»Wie bewegen?« Wyatt bewegte kaum die Lippen. Angst
schnürte ihm die Kehle wie mit einem gestrafften Lasso zu.
»Nur den Kopf oder eine Hand.«
Wyatt verstand den Indianer nicht. Die Schlange lag
zusammengeringelt auf der Steinplatte, wo sie sich gesonnt
hatte. Sie behielt ihn genau im Auge, und wenn er auch nur die
geringste Bewegung machte, würde sie vorschnellen und
zustoßen.
Der Spieler wagte auch nicht, den Kopf etwas zu drehen, um
nachzusehen, was Cochise vorhatte. Er stand da wie Lots
109
Weib, förmlich zur Statue erstarrt. Er überlegte, ob er den
Revolver ziehen und versuchen sollte, den häßlichen kleinen
Schlangenkopf mit ein paar schnellen Schüssen zu treffen.
Aber Cochises Flüstern riß seine Gedanken wie mit einem
Messerschnitt ab.
»Hand bewegen«, kam es wie ein Hauch seitlich von Wyatt
Earp.
Er zwang sich dazu, Cochises Befehl zu folgen. Sofort
richtete die Diamantklapperschlange den Oberkörper auf und
ließ die beiden Giftzähne blitzen, dabei rasselte sie drohend mit
dem Schwanzende.
Ein leises Zischen glitt wie ein Lufthauch an Wyatt Earp
vorbei. Die Schlange bäumte sich auf und fiel dann unter
konvulsivischem Zucken in sich zusammen. Der lange,
unterarmstarke Körper streckte sich. Cochises Messer hatte der
Klapperschlange glatt den Kopf vom Rumpf getrennt.
»Allmächtiger!« stöhnte Wyatt Earp. Farbe kehrte in sein
Gesicht zurück, aber seine Hände flatterten noch wie die Flügel
einer Fledermaus. »Das vergesse ich dir nie, Chief!«
Cochise kam herüber, nahm sein Messer vom Boden auf,
reinigte es und schob es in die eingenähte Scheide in den
Leggins zurück. Sein Blick streifte den Spieler.
»Du wirst es schon morgen vergessen haben, Hellauge.«
»Nein, nie! Du kannst von mir verlangen, was du willst, und
du wirst es bekommen, wenn ich's besitze.«
Cochise winkte ab.
»Ruhe dich aus, weißer Mann, in einer Stunde reiten wir
weiter.«
»Warum so schnell?«
»Die Zeit drängt.«
»Wir holen sie sowieso nicht vor Fort Bowie ein.«
»Nicht deswegen, Bleichgesicht. Die Mörder des roten
Mannes entkommen mir nicht. Was sie auch anfangen, ich bin
immer in ihrer Nähe.«
110
»Zum Teufel, weshalb dann?«
Cochises Hand glitt im Norden um die halbe Himmelsrose.
»Deswegen, weißer Mann. Rauch-Signale des Todes, die
dem Häuptling der Apachen gelten. Wir haben keine Zeit zu
verlieren.«
Wyatt Earp sah die Rauchzeichen von den Hügeln und
Gipfeln aufsteigen und fragte sich in diesem Augenblick, wie
sicher er noch in der Gesellschaft der Rothaut war.
Ja, wie sicher? Er hatte sich dem Häuptling angeschlossen,
um vor seinen Kriegern Ruhe zu haben. Ihm genügte es, wenn
er sich auf die Posse aus Tombstone konzentrieren mußte und
auf andere Indianerstämme, deren Krieger im Land der
Chiricahuas streiften.
Trotz der Gefahr, die von allen Hügeln hinter dem Paß
sichtbar wurde, traf er die Entscheidung, noch ein Stück mit
dem Jefe zu reiten, bis er sicher sein konnte, dem Aufgebot
nicht mehr zu begegnen.
»Okay«, sagte er, »eine Stunde Rast, das wird meinem Pferd
genügen.«
Er setzte sich auf einen flachen Stein und nahm seinen
Proviant aus der Satteltasche.
ENDE