Im Rausch der Macht
von Götz Altenburg
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kleser: Larentia
Version 1.0
Berge und Wälder. Täler und Hügel. Licht und Dunkel.
Abends wurden die Schatten unwirklich lang. Der Winter
stand vor dem Höhepunkt. Die Wälder träumten unter
dickem Schnee. Bäche und Teiche und Flüsse erstarrten
im Frost. Ganze Wasserfälle waren gefroren.
Wenn die Sonne sank, entbrannte überall ein Feuerwerk
schönster Farben. Das war ein Schwelgen in Rot und
Blau, in Grün und Gelb, als lasse ein Engel Edelgestein
vom Himmel regnen. Der Schnee, die Erde, sie begannen
auf geheimnisvolle Art zu leben. Das Flirren und Sprühen,
das Blitzen und Gleißen dauerte, bis der letzte Schimmer
Licht verschwand. Dann wurde der Schnee stahlblau. Mit
der Nacht kam die Kälte. Niemand hörte den Schrei. Seit
dem frühen Morgen tobte die Jagd durch die Wälder. Mit
Hörnerklang, mit Hussa und Juchhei. Doch, daß da ein
Braunbär, riesengroß und besonders wütend aus
verschneitem Dickicht brach, das bemerkte nur die Spitze
der Jagdgesellschaft. Denn der Bär fegte sie auseinander
wie ein Windstoß leichte Spreu zerstieben läßt...
Die Bestie fiel brummend und grunzend über Berwin her, den
Herzog von Orplid. Sie überragte Herrn Berwin um mehr als
Haupteslänge. Dazu war sie breiter als jeder Schrank. In ihren
Pranken, die jetzt zum Schlag erhoben waren, steckte die Kraft von
einem Dutzend starken Männern. Ihre Bewegungen waren so schnell,
daß Menschenaugen ihnen kaum verläßlich folgen konnten. Sie riß
den blutroten Rachen auf, als wolle sie die ganze Welt verschlingen.
Ihre Zähne glichen kurzen, dicken, unheimlich scharfen
Elfenbeindolchen. Die im Vergleich zum Kopf winzigen Ohren
spielten unentwegt, als horchten sie auf Zeichen, die aus dem Walde
kamen.
Herzog Berwin versuchte, sich gegen das reißende Tier zu wehren.
Es blieb beim dem Versuch. Er bekam nicht einmal das Jagdmesser
aus dem Gürtel.
Der Bär gab Berwin eine letzte, mörderische Ohrfeige. Dann
versetzte er dem unglücklichen Mann einen derart heftigen Stoß, daß
der Herzog wie ein Katapultgeschoß unter seine Jagdbegleiter sauste.
Er riß die meisten davon zu Boden. Der Bär benutzte die allgemeine
Verwirrung, sich in die verschneiten Büsche zu schlagen. In eben
jene Deckung, aus der er auch gekommen war.
Entsetzt hatte die Jagdgesellschaft das Unglück verfolgt. Als erster
von allen fand der erfahrene Waffenmeister Waidenhold zu
vernünftigem Handeln zurück. Er warf sich die starke Armbrust über
den Rücken, schnallte sein breites Schwert vor die Brust, packte die
kurze Saufeder, den derben Jagdspieß, und heftete sich auf des Bären
Fährte. »Ich stell ihn und bring ihn!«
Das rief Waidenhold Ritter Roland zu. Der hatte im Augenblick
hinreichend damit zu tun, die Damen außer Sichtweite, das heißt,
heim, ins warme Schloß von Orplid zu bringen, in die Stammburg
des Herzoggeschlechts.
Waidenhold schien die eigenen Fähigkeiten maßlos überschätzt zu
haben. In wenig mehr als einer halben Stunde tauchte er wieder auf.
Allein. Mit leeren Händen.
Ritter Roland hatte bestimmt, daß sein Freund Volker vom
Hohentwiel, der Sänger, Königin Ginevra samt Begleitung zurück
führte. Herzog Berwin bot kein Anblick, den man Damen aussetzen
sollte. Daß dem Herrscher von Orplid nicht mehr zu helfen war,
bezeugte der Zustand des Schnees hinlänglich. Der winterweiße
Boden sah aus, als habe ein Purpurfärber seine Farbbottiche
umgekippt.
Waidenhold war wieder da. Der Waffenmeister wirkte leicht
verstört. »Das versteh, wer will und kann!«
»Mach dir nichts draus. Morgen schon wird die Herzogin ein
Generaltreiben auf Braunbären ansetzen. Da zählt es wenig, daß du
seine Spur verloren hast.«
Waidenhold stieg die Röte ins bärtige Gesicht. »Ich und eine
Bärenfährte verlieren? Nein. Der Fall liegt anders.«
»Und wie soll er liegen ... der Fall?« fragte Roland.
Waidenhold stand ziemlich unter Dampf. Das wurde allein schon
daran sichtbar, daß ihm der Atem wie eine kleine Wattewolke vor
dem Mund hing, wenn er sprach.
»Gleich hinter den nächsten Bäumen fließt ein breiter Fluß. Ein
Strom fast. Er führt Treibeis in Massen. Bis zum Ufer ist die
Bärenfährte klar und nicht zu übersehen. Dann jedoch bricht sie ab.
So alt ich auch geworden bin, mir ist noch kein Bär begegnet, der um
diese Zeit des tiefsten Schlafes ins Wasser zu bringen wäre.
Außerdem habe ich gesehen, wie er entkam, der Braunbär. Es sah
aus wie ein Nachen, das Ding, das ihm half. Ich sage dir, Herr, mit
dem Tode des Herzogs von Orplid hat es seine eigene Bewandtnis.
Wir werden noch schwer daran zu beißen und zu tragen haben. »Und
dachte niemand daran, den Nachen zu verfolgen?« So fragte König
Artus.
»Stellen Sie mir einen Kahn, Majestät, und ich werde nicht zögern,
die Verfolgung aufzunehmen.«
Roland wies seine Knappen Louis und Pierre an, den
verunglückten Herzog wegzuschaffen. »Wickelt ihn in Decken und
bringt ihn zwischen euren Rössern heim. Die Jagd wird sowieso
gleich abgeblasen. Da versäumt ihr nichts.«
Das stimmte. Denn kaum hatte Roland den Knappen ihre Befehle
gegeben, da blies Rifhari, einer der Leibjäger des Herzogs, seinem
toten Herrn das letzte Halali.
Alle nahmen die Kopfbedeckungen ab. Mit besinnlichen Mienen
lauschten sie den Tönen.
Louis und Pierre taten, was Roland befohlen hatte. Man hätte
glauben können, dergleichen Verrichtungen gehörten für sie zum
Alltag. Gewiß, Herzog Berwin von Orplid war ihnen so gut wie
fremd. Sie hatten ihn erst von Angesicht zu Angesicht gesehen, als
sie hierher, in dieses wildschöne Land, kamen. Orplid war für seinen
Reichtum an Wild mannigfacher Art berühmt. Deswegen hatten sie
sich über alle Maßen gefreut, als es hieß, sie dürften König Artus
sowie ihren Herrn, den Ritter Roland, begleiten. Gleich nach dem
Jahreswechsel waren sie von Camelot aufgebrochen. Herzog Berwin
von Orplid war der Mann Herzogin Ingers, der schönen, jüngeren
Halbschwester Königin Ginevras. Es hieß, die Schwestern hätten
sich immer glänzend verstanden. Jedenfalls hatte Königin Ginevra
Ingers Einladung begeistert angenommen. Auf ihr Betreiben war es
zurückzuführen, daß König Artus spontan beschloß, einen Jagd- und
Erholungsurlaub daraus zu machen. Davon konnte jetzt natürlich
keine Rede mehr sein. Man würde gerade so lange bleiben, um dem
Herzog die letzten Ehren zu erweisen. Dann kehrten sie alle
schleunigst nach Camelot zurück.
Die Knappen Pierre und Louis transportierten den Herzog
zwischen ihren Pferden. Die Tiere witterten den Geruch des Todes.
Das machte sie nervös.
Noch hielten sie sich in Hörweite der Jagdgesellschaft auf.
Bestimmt führte Waidenhold jetzt den Ritter Roland und jeden
anderen, der wollte, zum Fluß.
»Jetzt wird große Trauer einziehen, auf der Burg. Das paßt mir gar
nicht«, überlegte Pierre laut.
Knappe Louis schürzte zu den Worten seines Kameraden die
Lippen. »Wegen der orplidischen Magd, etwa?«
Pierre widersprach so hitzig, als fühlte er sich bei etwas ertappt,
was nicht der Ordnung entsprach. »Sie ist keine gewöhnliche Magd,
merk dir das!«
Louis' geschürzte Lippen formten ein Lächeln. »Ich weiß«, sagte er
in nachsichtigem Ton. »Ich hab' auch eine Gefährtin gewonnen auf
der Burg von Orplid.«
»Meine Gertruda lernt nur das Kochen auf der Burg und die
Haushaltführung, wie es sich für Herrschaften gehört.«
Louis nickte heftig.
»Das Nämliche erzählt mir auch die Meinige. Das heißt, genau
genommen ist sie noch gar nicht die Meinige, sondern verspricht mir
schon seit Tagen, es zu werden. Mit deiner Gertruda wird es sich
ähnlich verhalten. Weißt du, was der erfahrene Mann unter der
orplidischen Tour versteht, Kamerad?«
Louis brachte es immer wieder fertig, Pierre zu verblüffen.
»Was hat es denn damit auf sich?«
»Sie halten dich so lange hin, bis du kaum noch weißt, wie dein
echter Name ist. Dann schleifen sie dich zum Burgkaplan. Und wenn
der das Aufgebot verkündet hat, dann darfst du ...«
Louis' Rede brach ab. Weniger, weil Pierre ihm einen heftigen
Stoß gegeben hatte, sondern viel mehr, weil da dunkle Tropfen
immer heftiger aus der Plane drangen.
»Moment!«
Pierre mißverstand die Rede seines Kameraden gründlich.
»Lenk jetzt nicht ab, Louis. Das Kapitel diskutieren wir aus, das
verspreche ich dir. Ich glaube, du gönnst mir meine Gertruda nicht.«
»Das wäre ja ganz was Neues«, brummte Louis. »Da schau einer
her! Mir scheint, wir müssen umkehren, Pierre.«
Auch Knappe Pierre hatte sich aus dem Sattel geschwungen. Er sah
zu, wie Louis die Plane ordnete.
»Pack mit an. Wir müssen den Herrn neu einwickeln.«
Es ging ihnen um nichts anderes, als darum, keine Spur zu
hinterlassen. Um den Toten neu einzuwickeln, mußten sie ihn erst
einmal aus der Plane heben.
Dabei sah Louis etwas in dem grausam verunstalteten Körper des
Herzogs blitzen. Schnell griff er zu. Hielt ein Metallding hoch.
»Weißt du, was das ist?« Knappe Pierre gehörte nicht zu denen,
welche besonders schnell schalten. Außerdem ging ihm die Magd
Gertruda nicht aus dem Sinn.
»Ein Armbrustbolzen. Das ist doch nichts Besonderes.«
»So? Und wenn ich dir nun erkläre, daß dieser Bolzen von hinten
das Herz des Herzogs durchbohrte?«
»Aber den Herrn hat doch der Braunbär erschlagen«, beharrte
Pierre auf den ihm bekannten Tatsachen.
»Dummbart«, berichtigte Louis den Kameraden. »Vielleicht hätte
der Herr von Orplid die Ohrfeigen des Braunbären überstanden. Den
Bolzen im Herzen aber würde er auf keinen Fall geschafft haben.
Das Geschoß kam aus ziemlicher Entfernung und wurde von einer
besonders starken Armbrust abgeschossen.«
»Was du so alles weißt«, staunte Knappe Pierre erwartungsgemäß.
Louis deckte den in der Kälte schnell erkaltenden Körper neu zu.
»Wir müssen zurück.«
Den Knappen Pierre zog es verständlicherweise stärker in die Burg
Orplid als zu der Jagdgesellschaft, welche offenbar immer noch die
nächsten Schritte beriet.
Ritter Roland und Waidenhold hatten sich zu dem Fluß begeben,
den Waidenhold vorhin in seiner Meldung erwähnte. Als müsse es so
sein, gesellte sich König Artus zu den beiden. Jede weitere Ge-
sellschaft lehnte der König ab.
»Wenn ich Männer brauche, werde ich sie rufen. Der Klang
meines Hifthorns reicht weit.«
Wie zu erwarten, stimmten Waidenholds Angaben ganz genau. Der
Schnee zeigte die Fährte des Braunbären. Daneben waren des
Waffenmeisters eigene Fußabdrücke zu sehen. Die Spuren führten
genau zum Flußufer. Der Strom war breit wie ein See. Auch die
besten Jägeraugen konnten das gegenüberliegende Ufer nur
schemenhaft erkennen.
Wo die Bärenspuren und auch des Waffenmeisters Fährte endeten,
war deutlich im harschigen Schnee eine mit Rost gefärbte Kerbe zu
erkennen.
»Da ist ein eiserner Nachen aufgelaufen«, sagte König Artus.
Kaum war das Wort heraus, da schwirrte etwas durch die frostige
Luft. Das Gesirr ließ an einen besonders schnell fliegenden Vogel
denken. Es klirrte gegen König Artus' Kettenhemd. Ein Segen, daß
die Majestät es trug. - Behende schwang sich König Artus vom
Pferd. Er hob einen Armbrustbolzen aus dem Schnee.
Nicht nur der König, auch Ritter Roland und Waidenhold waren
getroffen worden. Doch die Rüstungen hatten gehalten.
»Da«, rief Roland und zeigte zur nächsten Flußbiegung. Dort
wuchs das Ufergebüsch besonders dicht. Jetzt gibt's einen Tanz, wie
Ihr ihn noch nicht allzu häufig erlebt habt. Wehrt Euch!«
Rasselnd fuhren drei blitzende Schwerter aus der Scheide.
*
Sie hatten offenbar weiße Leinentücher über ihren gewohnten Anzug
gezogen. Darunter aber waren sie so bunt, wie man sich
Paradiesvögel vorstellt.
Blau und rot waren die vorherrschenden Farben. Doch unter den
bunten Kitteln trugen sie ohne Zweifel Kettenhemden.
Wahrscheinlich nicht ganz so fein geschmiedet wie die Leichtpanzer
König Artus' und seiner Begleiter, dafür aber bestimmt genauso
wirkungsvoll.
Sie liefen zu sechst gegen die Cameloten an. Jetzt wurde deutlich,
daß sie auch unter ihren schreiend bunten, sechseckigen
Zipfelmützen Helme trugen.
Sie schrien nicht. Sie bewegten sich mit der schnellen, lautlosen
Sicherheit geübter Jäger. Doch die Schwerter in ihren Fäusten blitzen
gefährlich. Seltsame Waffen, diese Schwerter. Weder gerade noch
krumm. Vom Griff her blitzähnlich gezackt. Nicht besonders lang,
dafür aber breit.
Der Spätwintertag verabschiedete sich früh. Der Schnee im
Schatten der Waldtannen wurde blau. Das Eis im Fluß war in
Bewegung. In Ufernähe landeten die Schollen. In der Strommitte
floß das Wasser schneller. Da prallten dicke Eisschollen
gegeneinander. Das gab jedesmal einen so dumpfen Knall, als werde
ein schweres Eichentor mit einem starken, widderköpfigen
Rammbock bearbeitet.
Die drei Cameloten hatten sich Rücken an Rücken aufgestellt.
Keiner von ihnen besaß einen Schild. Doch sie würden es den
Angreifern so schwer wie möglich machen. Davon kündete der
entschlossene Ausdruck ihrer Augen.
Jetzt waren die grellbunten Männer am Feind. Sie tuschelten
einander etwas zu. Waidenhold ordnete diese zischende und von
explosiven Lauten beherrschte Sprache gleich ein. »Das sind Männer
aus der Finnmark. Wie ich schon ahnte. Paßt auf! Sie schlagen
entweder zwei Mal oder vier Takte lang. Dann stechen sie und
kommen dabei von unten.«
Jetzt prallte Stahl auf Stahl. Es ergab sich von selbst, daß jeder der
Camelot-Männer zwei Gegner bekam. Die Männer aus der Finnmark
griffen frontal an. Vier Schläge. Danach tauchte Ritter Rolands
Gegner fort. Er versuchte, mit seinem seltsam geformten Schwert
einen Stich anzubringen. Roland wich aus. Im Ausweichen aber
schlug er denkbar kräftig zu. Er traf den Finnmarker. Da half dem
Nordländer alle Tapferkeit nicht. Er sank stöhnend rücklings in den
Schnee.
Im gleichen Augenblick wurde Waidenhold beider Gegner Herr.
Den einen traf er mit dem Schwert, den zweiten mit der Eisenspitze
des Streitaxtstiels. Der verwundete Mann ging in die Knie und brach
dann endgültig zusammen. Dabei schleuderte er sein Schwert wie ein
Wurfmesser gegen Waidenhold. Doch es saß keine Wucht mehr
hinter dem Wurf.
Rolands zweiter Gegner war ein guter, geschickter Fechter. Immer,
wenn der Ritter aus Camelot glaubte, unmittelbar vor dem
entscheidenden Hieb oder Stoß zu stehen, wich der Feind wieselflink
aus.
Der starke Ritter aus Camelot ließ drei, vier Finten einander in
Serie folgen. Die Tricks kannte der Nordmarkmann offenbar nicht.
Im Bestreben, auszuweichen und zugleich am Mann zu bleiben, trat
er vor, zurück und seitwärts. Das sah aus, als tanze er. Plötzlich
stolperte er. Rolands Klinge blitzte. Sie traf da, wo sie treffen sollte.
Ächzend sank der Feind in den Schnee.
Jetzt wandten sich Roland und Waidenhold König Artus zu. Der
Herrscher von Camelot war an zwei starke Gegner geraten. Sie
mochten die kleine Krone gesehen haben, welche Artus auf dem
Lentner, dem Waffenrock, trug. Der König war ein geübter und
eleganter Fechter. Doch allein schon die zahlenmäßige Überlegenheit
der Feinde und sein Alter hatte ihn in die Verteidigung gedrängt. Er
mußte alle Aufmerksamkeit anspannen, um nicht getroffen zu
werden.
Da trennte Rolands Schwert den König von einem Gegner. Das
entsprach ritterlichem Brauch. »Ein Schwert genügt als Feind.«
König Artus kam durch die Erleichterung zu einem schnellen Sieg.
Das Blatt hatte sich gründlich gewendet. Waren die
Nordmarkmänner erst in der Mehrzahl gewesen, so standen sie
nunmehr einem überlegenen Gegner gegenüber.
Mit lautem Schrei warf Roland sein Schwert auf den Gegner. Das
geschah aber so, daß der Mann ohne Schwierigkeit ausweichen
konnte. In der nächsten Sekunde machte Roland einen mächtigen
Sprung. Er landete vor dem Gegner, duckte sich, unterlief das
sausende Schwert, packte zu und hatte seinen Mann in eisenhartem
Griff.
Der Nordmarker versuchte, sich zu wehren. Das gelang nicht.
Rolands Griff war zu fest. Der Nordmarkmann fuchtelte mit seinem
Schwert herum. Offensichtlich wollte er Roland von hinten
erwischen. Das Vorhaben mißlang. Rolands Griff wurde immer
härter.
Der Nordmarkmann wurde blau im Gesicht. In höchster Not ächzte
er. »Ich ergebe mich!«
Ehe Roland jedoch den Mann aus seinem Griff entließ, wandte er
sich an Waidenhold. »Nimmst du sein Schwert?«
Natürlich bückte sich Waidenhold. Gleich konnte der Nordmarker
frei atmen. Doch Roland ließ ihn noch nicht endgültig los. »Wir
werden fragen, warum sie uns angegriffen haben.«
Frage und Antwort folgten einander.
»Hat von euch schon jemand etwas von einem Eulenbund gehört,
ihr Herren?«
Einen Eulenbund oder Bund der Eulenbrüder kannte weder der
König noch Roland.
»Man müßte auf Burg Orplid fragen«, schlug Artus vor.
Roland untersuchte die Gefallenen. Der Gefangene hockte im
Schnee, bis Roland ihn packte.
»Da ist nichts mehr zu machen. Wenn ich nur herauskriegte,
warum sie uns angegriffen haben. Aber da stoße ich auf Granit. Er
sagt, wir wären Feinde des Eulenbundes. Wie aber kann jemand
Feind von etwas sein, was er gar nicht kennt?«
König Artus und Roland betrachteten den Mann, als Waidenhold
ihn jetzt festhielt.
Der Gefangene wirkte verschlagen. Das mochte aber auch an dem
fremdartigen Gesichtsschnitt, den hohen Wangenknochen und den
schrägen Schlitzaugen liegen. Außerdem trug der Mann einen ganz
lang herunter hängenden Oberlippenbart. Diese Zier machte ihn auch
nicht gerade anziehender.
Unaufhörlich sprach Waidenhold auf seinen Gefangenen ein.
Dessen Miene wurde immer verstockter. Auf der Stirn des
Waffenmeisters schwoll die Zornesader. »Aus dem ist nichts
herauszubringen. Nur seinen Namen sagt er. Aiko. Am Ende ist aber
auch der noch falsch. Verschiedenen Nordmarkern ist nicht zu
trauen. Der scheint mir zu der Sorte zu gehören. Könnt ihr vielleicht
ein paar Takte woanders hinschauen, liebwerte Herren und
Freunde?«
Waidenhold hob die Hand. Der Gefangene duckte sich.
In diesem Moment sprengten zwei Reiter aus dem Wald und zum
Flußufer. Louis und Pierre, die Knappen.
Was immer Waffenmeister Waidenhold vorgehabt hatte, es wurde
unterbrechen und wenigstens vorerst aufgeschoben.
»Hier!«
Pierre tat sein Bestes, die Pferde so zu zügeln, daß der tote Herzog
keine Gefahr lief, samt den verhüllenden Decken in den Schnee zu
stürzen. Louis federte blitzschnell aus dem Sattel. Er hielt seinem
Herrn den Bolzen hin. Auch König Artus sah, was Ritter Rolands
Knappe gefunden hatte. Mit gerunzelter Stirn vernahm er die
Meldung, welche zu dem Geschoß gehörte.
»Der Fall nimmt eine gar unerwartete Wendung.«
Ritter Roland stimmte den Gedanken des Königs zu. »Daher die
Nordmarkmänner in Orplid. Jemand hat sie gedungen, um den
Herzog zu beseitigen. Und warum der Angriff auf uns?« wollte
Roland noch nachdenklich wissen.
»Wir störten den Ablauf des Anschlages«, vermutete König Artus.
»Und wie paßt der Bär in die Geschichte?« fragte Waidenhold.
Die Frage kam Roland wie gerufen. »Die nordmarkischen Jäger
verstehen sich auf die Kunst, Bären abzurichten. Sie bringen den
Tieren die erstaunlichsten Dinge bei.«
»Bringen sie ihnen am Ende auch bei, Menschen anzufallen und
gar zu töten?« fragte Waidenhold.
»Alles, was einem Hunde beizubringen ist, kann auch ein Bär
erlernen«, antwortete Roland. »Vorausgesetzt, jemand gibt sich
genug Mühe. Daran und an Geduld für dergleichen Tücken hat's den
Männern aus der Nordmark noch nie gemangelt.«
Urplötzlich trat Waidenhold seitwärts und gab dem Gefangenen
einen derben Stoß. Dabei entfiel dem ein kurzes Messer mit
auffallend breiter Klinge.
»Denkst du.« Damit hatte Waidenhold den Nordmarker wieder
fester im Griff. Ebenso gewandt wie geschickt, stieß er ihn in
Richtung der Knappen.
»Louis und Pierre. Bindet den Kerl. Aber so, daß er sich nicht
mehr regen kann.« Es war Rolands Befehl.
Der Nordmarker, der vorgab Aiko zu heißen, warf ihm einen
mordsbösen Blick zu. Seine verkniffenen Lippen sagten etwas, was
ganz gewiß kein Glücks- und Segenswunsch war. Dann spuckte er
aus und traf Waidenhold.
»So was kann ich mir unmöglich gefallen lassen.«
Der Waffenmeister gab dem Nordmarkmann eine derartige
Ohrfeige, daß Aiko von den Beinen gerissen wurde. Jetzt ging das
Temperament des Gefangenen mit ihm durch. Er schrie und tobte.
Bis Waidenhold sagte:
»Wir stopfen dir einen Knebel zwischen die Zähne. Das Geschrei
ist ja unerträglich.«
Louis und Pierre mußten all ihre Kraft aufbieten, die Androhung in
die Tat umzusetzen. Der Gefangene wehrte sich verzweifelt.
Schließlich aber wurde er bezwungen. Jetzt war endgültig nichts
mehr von ihm zu hören. Doch seine zornig blitzenden Augen
drückten seine Meinung hinlänglich aus. Wenn Blicke töten könnten,
wären die fünf Cameloten auf der Stelle tot umgefallen. Der Mann
aus der Nordmark wurde gebunden und gezwungen, hinter den
Pferden her zu stolpern.
Burg und Ort Orplid lagen ziemlich weit von dem Jagdwald
entfernt. Zum Schluß wurde der Mann aus der Nordmark mehr
geschleift, als er aufrecht auf seinen Füßen lief.
Das Gros der Jagdmannschaft war, ohne auf den König zu warten,
zur Burg geritten. Der Bau war nicht so groß wie Schloß Camelot.
Doch er legte schon auf den ersten Blick Zeugnis von der
Wehrhaftigkeit seiner Erbauer und Bewohner ab. Dreifach legten
sich breite, tiefe Wassergräben um den Komplex. Dreifach schützten
steile Wälle die Anlage. Hinter den Wällen kamen hohe Mauern mit
abgesicherten Laufgängen auf den Mauerkronen.. Erst nach den
Wällen begann die eigentliche Burganlage mit Hof, Burgfried,
Ställen und Wohnhaus. Herzog Berwin von Orplid gehörte einem
Geschlechte an, das seit vielen Generationen über ein kleines aber
finanzgesundes Land mit arbeitsamer Bevölkerung regierte.
Die Kunde vom Tode des Herzogs mußte der Heimführung des
Toten vorausgeeilt sein. Jedenfalls waren die Fahnen auf Burgfried
und den Tortürmen auf Halbmast gesetzt.
Als der Zug mit dem toten Herrscher die erste Brücke passierte,
begannen im Hof dumpf klingende Luren den Trauergruß zu blasen.
Blakende Pechfackeln erleuchteten den Burghof. Der Dämmerung
blaue Schatten hatten sich schon hier eingenistet.
Herzogin Inger war auf die breite Freitreppe getreten. Schön und
groß und ohne Regung erwartete sie ihren toten Mann. Immer noch
bliesen die Luren.
*
Wer immer die Zeremonie überwachte, er hatte alles genau
aufeinander abgestimmt.
Just in dem Augenblick, da Herzog Berwin an seiner Frau
vorbeigetragen wurde, brach der Lurenruf ab. Der letzte Ton der
Bronzehörner hing in der kalten Winterluft, als solle er gefrieren. Am
Himmel glitzerte der erste Stern.
Dicht hinter Inger, der schönen Herzogin, stand Königin Ginevra.
König Artus winkte die Ritter Roland und Volker vom Hohentwiel
zu sich.
»Ehe mein Schwager Berwin aufgebahrt wird, sollte er genau
untersucht werden.«
Ritter Roland und sein Freund Volker nickten einträchtig. Der Fall
mußte erschöpfend geklärt werden.
»Damit wir alle genau Bescheid wissen, Majestät.«
König Artus ging zu Königin Ginevra und zu der Schwester.
Herzogin Inger sollte über alles informiert sein, was mit ihrem
Manne geschah.
Ohne einen Laut von sich zu geben, brach die rotblonde Frau
zusammen. Das geschah so schnell, als habe ein unsichtbarer Blitz
sie getroffen.
Zum Glück konnte König Artus die Schwägerin auffangen.
»Wer hilft mir?«
Roland und Volker vom Hohentwiel waren sofort zur Stelle.
»Tragen wir Ihre Erlaucht, die Herzogin, in ihre Kemenate?«
Die verwitwete Herzogin war jünger als Königin Ginevra. Auch
zeigte sie einen ganz anderen Gesichtsschnitt. Dennoch stand sie der
Herrin von Camelot an Schönheit nicht nach.
Roland zeigte nicht, daß er genau wußte, was in dem Freund
vorging. Er verstand Volker. Auch er empfand Herzogin Inger als
schön. Wie sie jetzt so dalag und die langen, dichten, goldblonden
Wimpern über den rosenfarbigen Wangen einen reizvollen Kontrast
zu ihrer makellosen Haut bildeten, mußte ein Mann schon einen
Stein in der Brust haben, um von dem Anblick unberührt zu bleiben.
Königin Ginevra zeigte den beiden Camelot-Rittern den Weg. Auch
die Zofen und persönlichen Dienerinnen der schönen Herzogin eilten
herbei. Über mangelnde Begleitung und Anteilnahme konnte sich
Frau Inger wahrhaftig nicht beklagen.
Königin Ginevra wandte sich an Roland und Volker. »Ich glaube,
wir könnten es jetzt den Zofen überlassen, ihre Herrin zu tragen.«
Gerade in diesem Augenblick brach ein Schrei über die Lippen der
Herzogin. Das hallte grauenhaft laut im Saal und in den Gängen der
Burg wider. Roland erkannte entsetzt, wie es um Herzogin Inger
stand. Die Frau erwartete ein Kind.
Wahrscheinlich hatte der Zustand ihrer Schwester Königin Ginevra
bewogen, gerade jetzt Orplid zu besuchen.
»Laß Dienerinnen und Zofen ihre Herrin tragen.«
Das raunte Roland seinem Freunde Volker zu. Volker vom
Hohentwiel aber hätte um nichts in der Welt Herzogin Inger aus
seinen Armen gelassen. Er wehrte die Frauen in einer Art ab, die
nicht mehr als einen Versuch zuließ, ihn von seiner Last zu befreien.
Roland blieb an der Seite seines Freundes. Für den starken Volker
war die Herzogin so leicht wie eine Feder. Roland raunte: »Überlaß
sie ihresgleichen, Volker. Sie kriegt ein Kind.«
»Dann muß ich ihr erst recht helfen.«
Volker vom Hohentwiel war nicht von seiner Meinung
abzubringen. Er wurde höchstens eine Kleinigkeit schneller, als die
Herzogin zum zweiten Male schrie.
Das Herzogspaar hatte Ingers Zustand nur denen verraten, die
unbedingt Bescheid wissen mußten. Für Berwin gab es keine größere
Freude, als sich auszumalen, wie es wohl wäre, wenn er mit seinem
Sohn spielte.
Bei ihrem dritten Schrei, bäumte Herzogin Inger sich so unsagbar
heftig auf, daß Roland zugreifen mußte. Um ein Haar wäre die Frau
Volkers Armen entglitten. Der Sänger schritt noch schneller aus.
Herzogin Inger brauchte keinerlei kosmetische Mittel. Wimpern,
Brauen, Lippen, Mund und Zähne wirkten so, wie sie von Natur aus
waren.
Es ging durch viele, verwinkelte Flure. Dann endlich betraten sie
die Kemenate, darin das Bett des herzoglichen Paares stand. Der
Raum besaß einen Kamin, darin prasselte ein Feuer aus besonders
wohl riechenden Hölzern. Offenbar hatten sich Herzogin und Herzog
heute hier einen gemütlichen Abend machen wollen. Eilfertig liefen
Dienerinnen und Zofen an dem Sänger vorbei. Sie schlugen die
Felldecken auf. Das breite Doppelbett hatte Bettücher aus reiner
Seide. Ein kaum vorstellbarer Luxus. Die meisten der Familien,
welche für die herzogliche Familie arbeiten mußten, schliefen damals
noch im Stroh.
»Bettet meine Schwester in ihrer gewohnten Umgebung.«
Der Anweisung Königin Ginevras gehorchte der ritterliche Sänger
sofort. Ingers Leib wurde hin und her geworfen. Roland mußte
unwillkürlich an einen Vulkan denken, der kurz vor dem Ausbruch
steht.
Zofen und Dienerinnen nahmen sich ihrer Herrin an. Dabei hing
dauernd ein hoher Ton im Raum, als weine jemand. Mägde
schleppten Zuber, Bottiche und Kannen mit heißem Wasser herbei.
»Und jetzt geht, meine Herren Ritter. Wir danken für eueren
Beistand. Die Hilfe, deren meine Schwester fürderhin bedarf, können
nur Frauen ihr geben.«
Im Hinausgehen sah Volker noch, daß und wie Herzogin Inger von
geschickten, flinken Zofenhänden entkleidet wurde.
»Komm, wir besorgen uns einen Humpen Wein. Damit setzen wir
uns an den Kamin in der Halle.«
Volker wehrte Rolands Vorschlag ab. »Ich werde ihr ein Lied
schenken. Ihr und dem Kind.«
»Mach, was du willst. Nur bleib hier nicht stehen. Du kannst ihr
nicht helfen und machst dich höchstens lächerlich.«
Der Herzogin setzten die Wehen zu. Ihre Schmerzensschreie
erschallten in immer kürzeren Abständen. Dann gesellte sich hier
und da eine Frauenstimme dazu. Das natürliche Geschehen nahm
also seinen Fortgang.
Plötzlich waren da noch ganz andere Geräusche in der Burg. Sie
drangen dorther, wo der Saal lag. Menschen schrien lauthals. Hörner
klangen. Glocken läuteten. Ritter Roland legte den Kopf schief.
»Hast du eine Ahnung, ob Orplid mit jemandem in Fehde liegt?«
»Es herrscht tiefster Friede.«
Roland ergriff den Arm des Freundes.
»Laß uns nachsehen, was es gibt.«
»Da steht kein Feind vor der Burg.«
Obschon er fest an seine Behauptung glaubte, folgte Sänger Volker
dem Freund. Je näher sie der Halle kamen, desto deutlicher wurde
ein eindeutiger Brandgeruch. War da ein Küchenjunge wieder einmal
zu sorglos mit Feuer oder Licht umgegangen?
Die Freunde aus Camelot kamen nicht bis zum großen Saal durch.
König Artus hielt sie an. Er stand wie ein einfacher Kriegsknecht in
der Menschenkette, welche Eimer auf Eimer zur Halle schaffte. Der
Rempter brannte lichterloh.
»Bleibt hier.«
Roland hatte Einwände.
»Und der Gefangene?«
»Um den kümmert sich Waidenhold.«
Das Feuer war aus unerkennbaren Gründen ausgebrochen. Es glich
einer Naturkatastrophe. Die meisten Räume der Burg waren mit Holz
getäfelt. Das sah schön aus und wärmte, doch bei Brandgefahr
erhöhte es die Gefahren.
Das Feuer mußte an vier, fünf Stellen zugleich ausgebrochen sein.
Da waren Brandstifter am Werk gewesen! Während Roland dieser
Gedanke durch den Kopf schoß, rannte Waidenhold in höchster
Aufregung herbei.
»Seht her!«
Der Waffenmeister zeigte zwei besonders fette Ratten vor.
»Die hingen in den Ketten, welche ich selber vor noch nicht ganz
zwei Stunden Aiko, dem Mann aus der Nordmark, angelegt habe.«
Roland und die neben ihm stehenden Volker und König Artus,
ließen zwar die Wassereimer nicht fallen, welche gerade
vorbeiwanderten, doch es flammte in ihren Augen.
»Er ist geflohen?«
Das stellten die drei Männer wie aus einem Munde fest.
Waidenhold nickte. »Ja. Das paßt alles haargenau zusammen. Der
Anschlag auf den Herzog, der Überfall auf uns. Jetzt das Feuer und
die Flucht des tückischen Nordmannes.«
Der Waffenmeister hatte recht. Irgend jemand, den kein Mensch
kannte, zog im Dunklen die Fäden dieses unheilvollen Ränkespiels.
König Artus bekam schmale Lippen.
»Wer das zu verantworten hat, muß dafür bezahlen.«
*
Was die Burg an Mannschaft und arbeitsfähigen Leuten aufzubieten
hatte, war bis zur Erschöpfung mit Löscharbeiten beschäftigt. Der
Einsatz war gut gemeint, aber er genügte leider nicht. Obschon die
Löscheimer immer schneller an die Brandherde kamen und ihr
Wasser in die lodernden Flammen spuckten, die Flammen griffen
immer weiter um sich.
Der Burgmeister schickte seine Männer aus.
»Holt alles aus Orplid her, was Beine hat, und das schnell.«
»Jawohl.«
Die Menschen aus dem Dorf kamen gehorsam. Doch auch jetzt
reichte die Zahl der Brandbekämpfer nicht aus. Immer weiter wurden
sie von den gierig das Tafelholz fressenden Flammen
zurückgedrängt. Gar bald mußten sie fürchten, die lodernden
Feuerzungen hätten sie eingekreist.
König Artus erkannte die Gefahr zuerst. »Alles zurück. Der Brand
schneidet uns den Weg aus der Burg ab.«
Das stimmte nur zu sehr. Doch der Burgmeister widersprach
heftig.
»Wir können die Burg doch nicht aufgeben, Mann.«
Als er erkannte, wen er da angesprochen hatte, wurde er
respektvoll.
»Halten zu Gnaden, Majestät, aber wir müssen unsere gute, feste
Burg Orplid retten.«
Ritter Roland fand, schlimmer und erbarmungsloser hätte das
Schicksal nicht zuschlagen können. Arme Herzogin. Armes Kind.
»Zurück!« befahl der König.
Während sie wichen, bereiteten sie dem vorrückenden Feuer
immer wieder neu ein hemmendes Bad. Das half, wenn auch nur für
Minuten.
Es war, als krieche der Brand auf den Steinen unter der Täfelung
weiter.
Ritter Volker brach nicht aus der Kette der Wasserträger. Doch er
sprach König Artus an.
»Wäre es nicht an der Zeit, Majestät, die Damen aus der Burg zu
bringen?«
»Richtig. Das machst am besten du mit Roland.«
Ritter Roland hielt nach seinem Waffenmeister Ausschau.
»Er hat doch vorhin erst hier gestanden.«
Artus lachte.
»Der ist längst auf der Spur des Nordmarkers, und das ist gut so.
Auf denn, meine Herren, bringt mir die Damen in Sicherheit.«
*
Herzogin Inger hatte einen gesunden, kräftigen Knaben zur Welt
gebracht. In typischer Weibermanier mutmaßten Dienerinnen und
Zofen, wem wohl der Junge ähnlich sah.
»Ganz der Vater!«
»Davon hat er höchstens die Statur.«
»Das Gesicht hat ihm die schöne Mama vererbt.«
In der Kemenate hatte man vom ausgebrochenen Brand und der
damit verbundenen Aufregung noch so gut wie nichts gemerkt.
Einem heftigen Windstoß ähnlich brachen die Ritter in den
Kindbettfrieden.
Ermattet lag die Herzogin in den Kissen und unter der Fülle ihrer
Bettpelze. Sie sah zauberhaft aus. Ihr weizenblondes Haar umstand
einem Heiligenschein ähnlich ihr zartes, nobles Gesicht.
»Draußen rufen sie Feurio, meine Damen. Wir sind gehalten, Sie
alle aus der Burg zu bringen.«
Herzogin Inger erklärte, unter allen Umständen in ihrer Kemenate
und im Bett bleiben zu wollen. Königin Ginevra kam zu Roland.
»Steht es so, daß wir ernsthaft an Auszug denken müssen?«
»Ja, meine Königin.«
Die Königin kannte Roland genau. Sie wußte, daß er niemals
übertrieb. Leichtfüßig ging sie zum Bett ihrer Schwester. Sie beugte
sich zu Inger nieder.
»Du, es muß zum Besten deines Söhnchen sein, daß ihr mitgeht,
ihr zwei, wenn die Herren uns aus der Burg schaffen.«
Die Herzogin lächelte ihrer Schwester voll Vertrauen zu. »Es soll
alles geschehen, was du für richtig hältst, Ginevra. Du warst immer
schon die Klügere von uns beiden.«
Das sagte sie so, als stelle sie die einfachste und natürlichste Sache
der Welt dar.
»Erlaube unserem Ritter Volker vom Hohentwiel, dich zu tragen.
Ritter Roland, unser wohl stärkster Degen, wird die Wiege mit
deinem Sohn transportieren.«
Die Wiege. Sie zeigte am Kopfende eine Herzogskrone. Darunter
das Wappen derer von Orplid. Der Säugling ruhte unter einem kleine
Gebirge wärmender Decken und Kissen.
Roland hatte sich der Wiege bemächtigt. Er trug sie, als sei das die
leichteste Sache der Welt. Königin Ginevra sah den besorgten
Ausdruck in den Augen ihrer Schwester. Sie streichelte ihr das
schöne Blondhaar.
»Bei Roland ist der kleine Berwin in den besten Händen. Er soll
doch Berwin heißen, unser liebes Patenkind, oder?«
»Wollt ihr denn Gevatter stehen, dein König Artus und du,
Schwester?«
Königin Ginevra lächelte fein. »Sofern du niemanden hast, dem du
die Patenschaft lieber überträgst als uns, ja.«
Volker vom Hohentwiel bekam das aufgeladen, was er am liebsten
trug. Die junge Mutter und Herzogin. Ihre Zofen hatten sie
gewaschen und hergerichtet.
Sie sah wieder frisch aus und strahlend schön. Sie lächelte Volker
ausgesprochen freundlich an. Der Ritter vom Hohentwiel errötete bis
unter die Haarwurzeln. Roland sah, daß Herzogin Inger sich einen
leichten Backenstreich verabfolgte. Er verstand, was dieses Zeichen
der Strenge gegen sich selbst zu bedeuten hatte.
Die Brandbekämpfer mußten derweil eine Doppelkette bilden.
Sonst wäre es unmöglich gewesen, die Damen aus der brennenden
Burg zu bringen. Brennende Burg?
Ritter Roland gestand sich ein, daß schon ein Wunder geschehen
müßte, die Burganlage von Orplid zu retten. Die goldenen Flammen
ließen an äußerst bewegliche, gierige Tiere denken. Ihr zuckender
Feuerbiß setzte hier knisterndes Holz in Brand und sprang dort vom
Täfelungsholz auf Möbel oder Dekorationsstoffe über.
Roland beschleunigte den Schritt. Bei der Brandbekämpfung fehlte
jeder Mann. Volker und er mußten so schnell wie möglich an die
Löscharbeiten zurück.
Sie brachten die Herzogin und Königin Ginevra samt ihren
Dienerinnen und Mägden in der strohgedeckten Mühle unter. Deren
Räder standen jetzt still. Der Müller mit seinen Knechten war beim
Löschen. Die Mühle würde voraussichtlich vom Feuer verschont
bleiben. Der Wind trieb den Funkenflug von der brennenden Burg in
die entgegengesetzte Richtung. Das Feuer hatte inzwischen den
gesamten Baukomplex erfaßt. Es sah so aus, als läge Burg Orplid
unter einer Glocke aus gleißender Helligkeit und sprühenden
Sternschnuppen, die immer wieder himmelwärts schössen.
Was hatte dieser bemerkenswerte Tag der Herzogin von Orplid
alles gebracht? Der Mann war verloren, sie hatte den Erben des
Herzogtums geboren. Und jetzt sank auch noch die Burg in Rauch,
Schutt und Trümmer. Allein jetzt zeigte sich, wie sehr Herzogin
Inger an Seelenstärke ihrer Schwester, Königin Ginevra glich. Sie
war bereits wieder in der Lage, Entschlüsse zu fassen.
Sie wehrte sich energisch dagegen, ins Wohnhaus der Mühle
gebracht zu werden.
»Mein Unglück soll nicht der Anlaß sein, andere gleichfalls ins
Unglück zu treiben. Der Müller ist ein braver Mann. Bis die Burg
aufgebaut ist, nehme ich im Diensthaus der Mahlknechte Quartier.
Das Mühlengesinde mag sich in den Stockwerken über den
Mahlwerken einrichten. Sagt dem Müller, daß ich für die Unterkunft
bezahle, wie es ordentlichem Brauch entspricht.«
Auch Königin Ginevra hatte offenbar das Bedürfnis, der Schwester
etwas Tröstliches zu sagen.
»Beim Wiederaufbau werden wir, mein Artus und ich, dir nach
Kräften helfen, Inger.«
Es geschah alles, wie die Herzogin wollte. Das Diensthaus der
Mühlenknechte erwies sich aber als eng. Die Zofen, Dienerinnen und
Mägde mußten tüchtig zusammenrücken, doch es würde eine Weile
gehen.
Noch erfaßte niemand aus dem Kreis der Frauen den ganzen
Umfang der Katastrophe. Sie gingen davon aus, daß der Brand ja
gleich von Anfang an bekämpft worden war. Also glaubten sie, ein
Burgflügel oder- deren mehr noch, würde wohl vor den Flammen
gerettet werden. Welch grausamer Irrtun.
Die Burg Orplid brannte bis auf die Grundmauern nieder. Die
Flammen wüteten so schaurig wild, daß nicht einmal Herzog
Berwins sterbliche Überreste aus dem lodernden Feuermeer gerettet
werden konnten. Die Burg der Väter wurde für den toten Herzog
zum Scheiterhaufen. Wie seine Vorfahren in grauer Zeit verbrannte
er. Damals waren die gefallenen oder gestorbenen Helden an den
Mast ihres Drachenbootes, ihrer »Knorr«, gebunden worden. Mit
Schwert, Helm und Brünne saßen Sie da in voller Rüstung. Die
besten Freunde zündeten das Boot an. Meist wurde gewartet, bis der
Südwind blies. Es galt als ein gutes Vorzeichen für eine Bestattung
auf hoher See, wenn das Drachenboot nach Norden trieb. Irgendwie
mußte diese Form der Beisetzung mit dem Walten höherer Mächte
verbunden sein. Denn nie wurden die verkohlten Reste einer solchen
»Knorr« gefunden.
Rauchgeschwärzt stießen Roland und Volker zu König Artus und
ihren Knappen Louis und Pierre inmitten der Löschmannschaften.
Längst hatten die Männer erkannt, daß Burg Orplid verloren war.
Doch sie gaben nicht auf. Immer wieder versuchten Wassergüsse,
den Triumph der Flammen zu vereiteln.
Die Frauen waren in den Nebengebäuden der Burgmühle gut
untergebracht. Wo Roland, Ritter Volker und sogar König Artus in
dieser Nacht ihre müden Glieder ausstrecken würden, wußte
niemand. Waidenhold verfolgte eine Spur, die des geflohenen
Gefangenen.
Die Löschmannschaften von Orplid blieben tätig, bis der nächste
Morgen graute.
Waidenhold war in aller Eile aus Orplid aufgebrochen. Lange sah
er hinter sich den Widerschein des Brandes, der den Himmel rötete.
Einige Male war er drauf und dran, umzukehren. Dann aber
entschied er sich dafür, den einmal eingeschlagenen Weg zu Ende zu
gehen.
»Orplid und auch dem Willen unseres Königs ist mehr gedient,
wenn ich die Täter bringe.«
Längst war dem Waffenmeister klar, daß Aiko aus der Nordmark
nicht allein geflohen war. Sein Begleiter mußte noch raffinierter sein,
als Aiko selber. - Waidenhold gönnte sich keine Rast. Die
Flüchtlinge, auf deren Spur er hing, hielten es genauso. Sie
benahmen sich, als wüßten sie, daß sie verfolgt wurden. Doch
langsam aber stetig holte Waidenhold auf.
Er saß auf seinem Pferd, einem derbstämmigen Schlachtroß
Brabanter Zucht. Daneben führte er ein Saumpferd am Zügel. Das
Tier war hoch bepackt. Jetzt standen sie vor dem zugefrorenen
Flußlauf.
Die Pferde wollten anfänglich nicht aufs Eis. Doch Waidenhold
schaffte es mit viel Zureden, daß sie ihm mißtrauisch schnaubend
folgten.
Der Strom brachte unter dem Eis gar unheimliche Geräusche
zustande. Immer wieder scheuten die Pferde. Doch sobald der
Brabanter die Hufe bewegte, folgte auch das Saumpferd dem
Beispiel. Waidenhold wischte sich den Schweiß von der Stirn, als
nach endlos langer Zeit das dröhnende Mahlen, Schieben, Rumpeln
und Knurren unter dem Eis plötzlich aufhörte. Sie hatten Glück
gehabt und die Stelle erwischt, wo an einer Flußbiegung sich das Eis
staute und eine Brücke von Ufer zu Ufer baute.
Waidenhold verlor Zeit. Die Spur der Flüchtigen war nicht mehr zu
sehen. Der Mond hatte sich hinter bleidunklem Gewölk verkrochen.
Wind kam auf. Zu allem Überfluß begann es zu schneien. Morgen
früh würde auch ein so geübter Mann wie Waidenhold die Fährte
nicht mehr aufnehmen können.
Immer wieder versuchte der Waffenmeister sein Glück. Ohne
Erfolg. Gerade musterte er das Ufer. Ob sie bei den Klippen etwa
untergezogen waren und auf ihn lauerten?
Ihm kam es so vor, als blitzte in ziemlicher Entfernung Licht. Ob
da irgendwo in der Einsamkeit Fischer wohnten?
Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht, da stürmte etwas
heran, als sei es aus den Wolken gefallen. Es stand auf vier starken
Beinen, lief leicht schräg und bewegte sich so flink, wie man es den
Wieseln nachsagt.
Die Pferde wieherten in höchster Angst. Das Etwas brummte.
Waidenhold begriff die Situation. Blitzschnell glitt er aus dem Sattel.
Zugleich verknotete er den Zügel des Saumpferdes mit dem
Zaumzeug des Brabanters. Dann klatschte er mit flacher Hand auf
den breiten Rücken des Kriegspferdes.
»Bring dich in Sicherheit aber renn nicht so weit weg, daß ich dich
nicht mehr finde.«
Das brummende Etwas hatte Waidenhold erreicht. Es richtete sich
auf und war ein übermannshoher, schrankbreiter, äußerst gereizter
brauner Bär.
»Hör zu«, sagte Waidenhold und sprach zu dem Tier wie zu einem
Menschen. »Ich will dir nichts Böses. Vor allem habe ich deinen
Winterschlaf nicht gestört. Sei vernünftig und laß mich meiner Wege
ziehen.«
Die Pferde waren in höchster Gangart dem Schauplatz allen
weiteren Geschehens enteilt. Der Braunbär aber erstrebte ungeachtet
der Mahnworte des Waffenmeisters nichts so sehr, wie Waidenhold
an die Haut zu kommen.
»Schade«, sagte der Waffenmeister. Er machte einen Ausfall mit
dem Schwert. Dabei gelang ihm ein Sonntagstreffer. Er drückte im
Stoß die Pranken des Bären zur Seite und fand das Herz des Tieres.
Waidenholds Schwert tauchte bis zum Heft ein.
Waidenhold hatte sich nicht flink genug zurückgezogen. Der
Braunbär bekam ihn zu packen. Er umschloß den Waffenmeister mit
beiden Pranken. Gegen die vitale Kraft dieser Umarmung half keine
Menschenstärke.
»Schade«, dachte Waidenhold. Die Sinne schwanden ihm. »Daß
Bären mein Schicksal sind, ist mir nicht neu. Daß mich ein weißer
Bär meiner nordischen Heimat eines Tages auslöschen würde, damit
habe ich gerechnet. Daß ein brauner Bär aus dem fremden Orplid den
Schlußpunkt hinter mein Leben setzt, scheint mir neu. Adieu,
Roland. Ich wünsch dir alles Glück der Welt.«
Waidenhold wurde schwarz vor Augen Das Ende war da. Es
bestand aus Schmerzen, krachenden Knochen und dröhnendem
Gebrüll.
*
24 Stunden nach dem großen Brand, schwelte die Asche immer
noch.
Von der Burg Orplid standen nur noch die Umfassungs- und die
Grundmauern.
Wie alle anderen Männer auch, so hatten die Knappen Louis und
Pierre unentwegt geschuftet. Trotz allen Mutes und ungeachtet der
Mühe, war wenig aus der brennenden Burg gerettet worden. Doch
hatte das Riesenfeuer keine Menschenleben gekostet.
Gemessen an der Unterbringung der Ritter Roland und Volker vom
Hohentwiel änderte sich für die Knappen so gut wie nichts. Sie
hatten eine Zeitlang in der gleichen Kammer gewohnt. Hier in Orplid
aber schienen Eintracht und Friede gefährdet.
Kam da doch Knappe Pierre am Mittag nach dem Brand mit einem
gar seltsamen Ansinnen heraus.
»Was muß ich dir geben oder sagen, damit du mich heute nacht
allein in der Unterkunft läßt?« So fragte Pierre.
Louis musterte den dicklichen Kameraden, als halte er Pierre für
ungewaschen, weil er ihn riechen konnte. Er rümpfte unübersehbar
die Nase. »Kriegst du etwa weiblichen ... ich meine Damenbesuch?«
»Ja.«
Es stellte sich umgehend heraus, daß Louis ähnliche Sorgen und
auch ein ähnliches Anliegen hatte. Er spielte mit einem Golddukaten.
»Die feine Münze könnte glatt ohne viel Umstände in deinen
Geldbeutel wandern, wenn du die kommende Nacht irgendwo im
Stroh verbrächtest.«
Entrüstet blies Pierre die Backen auf.
»Soll ich etwa neben Samum und unseren Pferden in die Stallstreu
kriechen?«
Louis schlug dem Kameraden auf die Schulter. »Nun tu doch bloß
nicht so, als hätte so was noch nie stattgefunden. Bei Samum kannst
du weder Flöhe noch Läuse, noch sonstwas fangen.« Knappe Pierre
war zu keinem Entgegenkommen bereit. »Wenn du mir meine ...
kleine Entspannung verdirbst, komme ich dir auch nicht entgegen.
Gleiches Recht für alle. Ich bin genausogut Knappe unseres Herrn
wie du.«
Louis' Augen leuchteten. »Hör zu! Warum halten wir es heute
nicht genauso wie schon das eine und andere Mal zuvor?«
»Du meinst, wir sollten ... du da, ich da ... jeder in seinem Bett die
Damen ... Damit darf ich meiner Gertruda nicht kommen, Louis.«
»Hast du sie denn schon gefragt?«
Es stellte sich heraus, daß Gertruda, die Erkorene Pierres und
Binutis, der Orplidische Wunsch des Knappen Louis, einander
kannten. Gertruda und Binutis hätten Schwestern sein können, so
sehr glichen sie sich. Sie waren schlank, ohne mager zu sein, hatten
respektable Oberweiten und stramme, lange Beine unter beweglich
breiten Hüften. Die Hinterteile waren so beschaffen und prall, daß
die Männer häufig in die Versuchung gerieten, darauf zu klatschen
oder in die Prachtpopos zu kneifen.
Die Mägde kicherten. Sie versteckten die errötenden Gesichter
hinter den Händen.
»Wenn du offiziell mein Bräutigam bist, laß ich über so etwas mit
mir verhandeln.« So Gertruda.
Ähnlich äußerte sich wohl auch Binutis. Die Verabredung war
schnell unter Dach und Fach.
»Nach dem Abendläuten?«
»Ja. Beschafft einen Krug Wein. Wir bringen Braten aus der
Küche mit.«
Die Mägde verabschiedeten sich von ihren Knappen mit einem
Kuß. Dabei versäumte trotz des hellen Tages weder Louis noch
Pierre, sich via Hand einen kleinen Vorschuß auf die Seligkeit der
kommenden Nacht zu verschaffen. Die Mägde sprangen lachend
davon. Beide waren jung und ansprechend temperamentvoll. Die
Erfahrenere, die etwas ältere Gertruda, neigte sich kichernd Binutis
zu. Sie eilten zur Küche.
Louis und Pierre sahen den Mädchen nach. Der Anblick der
wehenden Röcke und der wippenden Blusen weckte die Vorfreude
auf die Nacht noch eine Kleinigkeit mehr, als das der direkte Kontakt
vorhin schon getan hatte.
Der Tag ging ihnen viel zu langsam dahin. Das Warten und die
Ungeduld wurden gewürzt, indem Ritter Roland die Knappen zu
einem Streifzug rief. »Wir müssen herausfinden, wo Waidenhold
geblieben ist.«
Pierre maulte verstohlen. »Muß das sein nach so einer Plackerei,
wie das Löschen gewesen ist? Kann der alte Eigenbrödler nicht für
sich allein sorgen?«
Auch Louis war durchaus und im Grundsatz der Meinung, es wäre
jetzt schöner, irgendwo auf warmem Stroh zu liegen und zu träumen.
Doch er gab nicht nach. »Tritt deinen inneren Schweinehund in den
Hintern, Pierre. Dienst ist Dienst, und das sieht bei uns so aus, daß
wir eben unseren Herrn zu begleiten haben. Schnaps ist Schnaps und
der wird uns heute, wenn wir die Tagespirsch und das Abendbrot
hinter uns haben, von den bewußten Weiblichkeiten serviert. Komm,
sei kein Frosch und tu deine Pflicht.«
»Tu ich das nicht immer?« Pierre machte die Pferde zurecht. Dabei
ging er ein wenig ungeschickt zu Werke. Samum revanchierte sich
für zu stramm angezogenes Riemenzeug auf der Stelle durch einen
kneifenden Biß in Pierres Allerwertesten. Dazu wieherte der Hengst,
als lache er lauthals.
Volker vom Hohentwiel blieb in Orplid und in der Nähe der
Herzogin Inger, die jetzt Wöchnerin war. Roland trabte mit den
Knappen in den verschneiten Wald. Der Winter spielte seine Kälte
voll aus. Der Schnee knirschte unter den Stollenhufen der Pferde.
Bis zum Fluß zu gelangen, war es noch leicht.
Von da an jedoch wurde es nicht nur schwerer, sondern
glatterdings unmöglich, eine Spur auszumachen.
Ritter Roland hatte darauf bestanden, drei der besten Jagdrüden
mitzunehmen. Die schweren Hunde waren auch zu gebrauchen,
wenn es zum Kampf Mann gegen Mann kam.
Der Frost hatte den Fluß bis weit über die Strommitte hinaus zu
festem Eis gemacht. Schollen waren übereinander geschoben worden
und dann nahtlos gefroren. Der breite Strom sah jetzt aus wie eine
chaotische Landschaft, in welcher nur Eisriesen mit wirklichem
Genuß zu leben vermögen. Das Wasser strudelte nur noch in einer
Rinne von gut zwanzig Klaftern Durchmesser dahin. Die Weite
vermochte kein Mensch zu überspringen. Die Pferde wären sofort
untergegangen, hätte man sie in den Fluß gezwungen. Die Hunde
rannten aufgeregt bellend hin und her.
Das jenseitige Ufer war nur zu ahnen. Ritter Roland legte die
Hände wie eine aufgebrochene Muschel vor die Lippen.
»Hojohojotoho«, schallte der Jagdruf der Camelot-Mannschaft
über Fluß und Land.
Sie horchten der mächtigen Stimme nach. Drüben, am jenseitigen
Ufer, hinter den Vorhängen aus grauem Dunst, mußten Felsen liegen.
Denn das Echo beantwortete den Ruf. Sonst jedoch kam nichts.
Roland wandte sein Pferd.
»Wir reiten heim.«
Selten hatten die Knappen einen Befehl gehört, der ihnen mehr
gefiel. Sogar die rauhpelzigen Jagdhunde sahen irgendwie erleichtert
aus.
»Vertrauen wir auf das gute Glück und darauf, daß Waidenhold
bald zurückkehrt.«
Wieder begann es zu schneien. Nicht nur über dem Strom und den
Wäldern drum herum, sondern auch da, wo Waffenmeister
Waidenhold lag.
Es war ein Bett, worin er aufwachte. Die bunt karierten Vorhänge
schenkten den kleinen Fenstern eine gewisse Gemütlichkeit.
Pelzwerk und Daunenkissen machten das Bettzeug aus. Vor dem
Bett stand ein Schemel. In der Mitte des Raumes lud ein Wagentisch
auf breiten Eichenholzstempeln zum Platznehmen ein. Das Zimmer
war ziemlich groß.
Waidenhold brauchte lange, bis er zu sich kam, bis er begriff, daß
er zwar in fremder Umgebung, aber nicht allein war.
Allmählich erinnerte er sich. Sein Aufbruch von Orplid. Die
Fährte. Der vereiste Strom. Der angreifende Bär.
Hatte er laut gesprochen? Jedenfalls bekam er Antwort. Eine
wohlklingende, warmherzige Frauenstimme ging auf seine Gedanken
ein.
»Den Bären haben meine Leute im Hof auf die Fleischleiter
gespannt. Ein Wunder, daß er dich nicht erschlagen hatte. So starke
Bären sind rar bei uns. Dein Schwert hat genau sein Herz durchbohrt.
Auch Männer, die so treffen, sind selten. Solche, die eine
Bärenumarmung von der Art überstehen, trifft man noch seltener.«
Waidenhold wollte sich aufrichten. Es gab viel zu fragen und viel zu
klären. Doch ein stechender Schmerz im Kopf hielt ihn von weiteren
Versuchen, sich hochzuziehen, ab. Außerdem schmerzten Rippen
und Schultern.
Jetzt sah Waidenhold die Frau ganz deutlich. Sie hatte ein
breitflächiges, aber klares Gesicht mit großen, blauen Augen und
weizenblonden Haaren darüber. Die Haare trug sie offen.
»Wahrscheinlich willst du jetzt wissen, wie du hierher kommst.
Meine Männer haben dich gefunden. Ich ließ dich herbringen. Ich
bin Dalinde, die Frau des Fischmeisters Radbod. Ich habe dich
ausgezogen. Dein Zeug war patschnaß vom Geifer des Bären.«
Waidenhold war dieser Umstand peinlich.
*
Unschlüssig kehrten Roland und seine Knappen wieder zum Strom
zurück. Hier, mitten auf dem vereisten Fluß, waren Waidenholds
letzte Spuren zu erkennen gewesen. Hierhin mußten sie immer
wieder zurück, wollten sie das Knäuel entwirren.
Bis zum Beginn der Dämmerung hatten sie in immer anderen
Kreisen das Gelände durchstöbert.
Dann polterte plötzlich dumpfer Hufschlag aus dem Dunst. Das
Geräusch wurde schnell zu zwei Schatten. Die Schatten entwickelten
sich zu Pferden. Die drei aus Camelot erkannten die Tiere sofort.
»Waidenholds Brabanter.«
»Und sein Saumroß!«
»Da wird auch der Waffenmeister selber nicht allzu weit sein«,
stellte Roland fest.
»Hoffentlich!«
Die Flanken der Tiere zitterten verhalten. Sie suchten sichtlich die
Nähe der Menschen. Irgend etwas mußte sie ängstigen. Bevor einer
der drei Cameloten zu einer Äußerung kam, hechelte es schon aus
dem grauen Dunst. Der Fall wurde klar. Wölfe schnürten heran. Sie
glaubten offenbar, das Schicksal habe die von ihnen gejagten zwei
Pferde auf wundersame Weise und allein zu ihrem Vorteil vermehrt.
Daß sie einem grausamen Irrtum erlagen, wurde ihnen nicht mehr
bewußt.
Denn Ritter Roland und seine Begleiter zogen die schweren
Jagddolche nicht aus Spielerei. Die Wölfe griffen an. Laut heulend,
wie es ihre Art ist. Sie verloren gleich über ein Dutzend Tiere aus
dem Rudel. Was die Hiebdolche nicht schafften, das erlag den Hufen
der Pferde. Samum sowie die Reittiere der Knappen waren mit gutem
Beispiel vorangegangen. In diesem Falle hieß das, sie wendeten den
angreifenden Wölfen ihre Hinterteile zu. Sobald die grauen Vielfraße
in Schlagnähe gerieten, keilten sie aus. Sie trafen bei der Vielzahl der
Angreifer immer. Der schwere Brabanter sowie das Saumpferd
folgten ganz ohne Aufforderung dem Beispiel. Und für jeden, der
Wölfe nicht mochte, war es eine reine Freude, zu sehen, wie des
Brabanters breite Hufe tätig wurden und welchen Erfolg sie hatten.
Die Wölfe zogen sich jaulend zurück. Doch sie sammelten zu
neuem Angriff. Der Hunger ließ sie alle Gefahr vergessen. Der
zweite Sturm wurde genauso abgeschlagen wie die erste Attacke.
Nach dem dritten Angriff blieben nur so wenige Wölfe übrig, daß der
Rest der Tiere die Ruten zwischen die Hinterbeine klemmte und
schleunigst das Weite suchte.
Louis und Pierre begannen, die erlegten Wölfe abzupelzen.
Waidenholds Saumpferd kam ihnen sehr gelegen. Es konnte die Felle
nach Orplid schleppen.
Sie waren dabei, die letzten Felle zu verschnüren, da pfiff es an
Pierres Ohren vorbei. Zwei Pfeile, kurz, aber mit langen, scharfen
Spitzen, steckten im Schnee.
Die Richtung, aus welcher die Geschosse gekommen waren, ließ
sich schnell feststellen. Ritter Roland reagierte sofort. Er marschierte
dorthin, von wo vermutlich die Pfeile gekommen waren. Knappe
Louis nahm seinen Bogen zur Hand. Er legte einen Pfeil auf die
Sehne.
Das Tageslicht ließ mehr und mehr nach.
Langsam setzte Schneefall ein. Lautlos segelten die Flocken aus
den Tiefen des Himmels.
Ritter Roland war darauf eingestellt, einen Pfeil des gut getarnten
und mit Sicherheit heimtückischen Bogenschützen zu kassieren.
Allein, nichts geschah.
Knappe Louis folgte sichernd seinem Herrn. Knappe Pierre blieb
bei den Pferden zurück. Er hielt die Tiere am Zügel. Unaufhörlich
sprach er auf Samum ein. Dessen Stimmung war wichtig. Die
restlichen Pferde richteten ihr Verhalten stets nach Samums
Benehmen. Das war immer und überall so.
Knappe Pierre musterte aus schmalen Augen den Waldrand. Die
Gefahr kam dorther. Das war ihm klar.
Zunächst geschah nichts. Gleich würden Roland und sein Schatten
Louis den Wald erreicht haben. Knappe Louis wunderte sich, was
sein Herr machte. Roland hatte die Andeutung von Holzrauch in die
Nase bekommen. Als Köhlerssohn besaß er für so etwas eine
besonders feine Nase. Die rettete ihm das Leben. Ihm und
wahrscheinlich auch den beiden Knappen.
Der Ritter aus Camelot griff einfach in den Schnee. Er wurde
tatsächlich fündig. Ein zwar krummbeiniger aber ausgewachsener
Mann zappelte in Rolands Griff, als er sich aufrichtete. Der Kerl hielt
Pfeil und Bogen noch in der Faust, als er so unerwartet aus dem
Versteck gezerrt wurde.
Jetzt ließ er die lautlose Schußwaffe fallen. Er wollte an die Dolche
kommen, die er rechts und links im breiten Gürtel trug. Am Anzug
des Attentäters herrschten die Farben rot und blau vor. Genau wie bei
Aiko, dem Flüchtling aus der Burg Orplid.
Hatte der Zufall sie etwa das Versteck des Nordmarkers und seiner
Freunde finden lassen?
Knappe Louis mochte wohl glauben, vier Augen sähen mehr als
zwei, und vier Fäuste seien für reichere Beute gut. Flink tauchte
Louis in den Schnee. Nicht nur das. Er war für drei, vier Atemzüge
verschwunden. Unter dem Schnee entstand ein Höllenlärm. Eine
keifende Stimme meckerte irgendwelche Proteste. Louis fluchte
dagegen. Mit kräftigsten Ausdrücken. Dann kam der Knappe wieder
zum Vorschein. Er hielt einen weiteren Zappelmann im Griff. Ganz
offensichtlich gehörte auch der zu den Landsleuten des geflohenen
Aiko. »Ich hoffe, wir bringen ihn zum Reden.«
»Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß sich jemand in der
Winterkälte so gemütlich einrichten kann.«
Knappe Louis nickte zu den Worten seines Kameraden.
»Darin sind die Männer aus der Nordmark die reinsten Meister. Sie
bauen Schneehäuser, die einen ganzen Winter halten. Den Schnee
bearbeiten sie, wie unsereins Holz herrichtet.«
Louis richtete seinen Fang ähnlich wie ein Tragebündel her,
während er sprach. Das wüste Reden war dem Nordmarker
vergangen. Louis hatte ihm kurzerhand einen Knebel zwischen die
Zähne gestopft. Waidenholds Saumpferd bekam auch die beiden
Nordmänner noch zu tragen.
»Wir reiten zurück.«
Die Knappen nahmen diese Entscheidung Ritter Rolands
erleichtert auf.
Im Dorf Orplid warteten die Mädchen. Louis hatte zumindest eine
vage Ahnung, welche Aufgabe ihm für die kommende Nacht
zugedacht war. Seine sonst meist verschlossen wirkende Miene
wurde freundlich. Ob er es zugeben wollte, oder nicht, die Vorfreude
setzte ihm derart zu, daß ihm das Wasser im Munde zusammenlief.
Die Pferde schnaubten. Der Geruch der Wolfsfelle regte sie auf.
Das Saumroß mußte besonders festgehalten werden. Es rollte wild
die Augen und war mehrmals drauf und dran, fortzurennen. Die
gefangenen Nordmarker waren hinter das Saumroß gebunden
worden. Der Schnee machte ihnen ordentlich zu schaffen. Doch sie
torkelten unentwegt fürbaß.
Pierre traute den fremden Nordmännern nicht. Ihr Leben wies so
gänzlich andere Normen auf, daß man es mit der Angst bekam. Der
Knappe erinnerte sich, Waidenhold irgendwann über seine
Erlebnisse mit den Nordmarkern erzählen gehört zu haben. Der
Waffenmeister behauptete, so ein echter Nordmarkmann werde
schon gleich nach dem ersten Schrei und noch vor dem ersten Schlaf
in der Wiege und vor dem ersten Trunk aus der Mutterbrust vom
Vater mit dem Schwert gezeichnet. Rechts und links im Gesicht. Daß
der Kern dieser Erzählungen nicht aus der Luft gegriffen war, wurde
durch die beiden Gefangenen belegt. Ihre Gesichter wiesen Narben
auf. An beiden Seiten. Gut verheilte Narben zwar, aber sie hatten
unter dem spitzen Schwert gelegen und waren gezeichnet worden.
Waidenhold hatte viel von den Sitten, den Bräuchen und den
Gewohnheiten der Nordlandleute gewußt. Das verhalf dem Knappen
Pierre jetzt zu besonders genauer Beobachtung.
So sah er, daß der eine Gefangene es mit grotesken Verrenkungen
zuwege brachte, an ein Messer in der Stiefelfalz zu kommen. Er
schleuderte das Messer durch heftige Bewegungen der Beine hoch.
Dazu mußte er sehr viel Geduld aufwenden. Doch er schaffte es. Das
Messer flog schnell. Der Mann aus der Nordmark hatte die
Geschicklichkeit eines Akrobaten. Er fing das Messer mit der Beuge
seiner gefesselten Arme auf. Sofort streckte er den Kopf vor. Trotz
des Knebels mißbrauchte er den Kopf als Werkzeug. Der flotte
Zockeltrab des Saumpferdes störte ihn dabei nicht wesentlich.
Knappe Pierre tat so, als sähe er nichts. Er war hoch gespannt, wie
weit der Gefangene seine Dreistigkeit treiben würde. Es dunkelte
immer stärker.
Jetzt hatte der Nordmarker eine Hand frei. Nun folgte die zweite.
Ehe er damit zu Rande kam, fuhr ihm Pierre in die Parade.
»Du bist jemand, den man um sein Geschick heiß beneiden könnte.
Aber, was du vorhast, darf nicht sein. Her mit dem Stahl!«
Der Gefangene wußte genau, was Pierre meinte. Ehe er sich gegen
den Knappen zur Wehr setzte, riß er den Knebel aus seinem Mund.
Ein Sturzbach unverständlicher Laute quoll über seine Lippen. Ganz
bestimmt stellte keines dieser Worte ein Lob für Ritter Roland und
seine Knappen dar.
»Gib das Messer her!«
Der Nordmarker fuhr dem dicklichen Knappen heftig an die
Gurgel. Pierre strauchelte. Doch er gewann rasch wieder Tritt.
Langsam paßte er sich den Aktionen des Nordmarkers an.
Der zweite Gefangene wollte dem Beispiel seines Kameraden
folgen. Er begann gleichfalls, auf seltsam groteske Art zu hüpfen.
Ehe diese Sprünge aber ein Resultat zeitigten, hielt Knappe Louis die
Pferde an.
»Mit Verlaub«, sagte er zu Roland.
Sprach's und ging zu dem Gefangenen. Der ahnte wohl, was ihm
blühte. Er versuchte, Louis zu treten. Der Knappe wich geschickt aus
und spendierte dem tückischen Feind einen kräftigen Tritt dorthin,
wo kein Mann Schmerzen schätzt.
Zielstrebig setzte er nach. Bald hatte Knappe Louis den
Gefangenen unter. Er drückte den Kopf des Gegners so in den
harschigen Schnee, daß dem Nordmarker die Luft knapp wurde.
Knappe Louis sprach auf den Gefangenen ein.
»Wenn du das nochmal versuchst, dann ...«
Er schlug sich die Handkante gegen den Kehlkopf. Die Geste
mußte dem Nordländer klar gemacht haben, was ihn erwartete.
Jedenfalls machte er eine nachdenkliche Miene und wirkte sehr still.
Der Schnee dämpfte den Hufschlag der Rosse. Im eingefallenen
Abend machte die Ruine der Burg Orplid einen doppelt traurigen
Eindruck. Die Mägde Gertruda und Binutis drückten sich schon am
Mahlhaus herum, wo die meisten weiblichen Mitglieder des
Hofstaates jetzt wohnten. Beide waren festlich gekleidet. Die
Gesichter ließen an gerade genossene Bäder denken. Die Augen von
Gertruda und Binutis glänzten erwartungsvoll.
Roland sah das. Er lächelte insgeheim.
»Sobald die Gefangenen ausbruchssicher untergebracht sind,
brauche ich euch nicht mehr.«
Das sagte der Ritter aus Camelot laut genug, daß die Mägde es
mithörten. Deren Mienen hellten sich auf. Ähnlich wie die Knappen
konnten auch sie den Einbruch der Nacht kaum erwarten.
»Den Rest besorg ich allein.« Damit entließ Roland seine
Knappen. Sogar der sonst immer gemäßigte Louis verfiel in
Laufschritt. Roland hatte die beiden Nordländer fest am Strick. Sie
waren erfahren genug, den Ritter richtig einzuschätzen. Sie wehrten
sich nicht mehr.
Da kam Volker des Weges. Seine Stimmung schien leicht getrübt
zu sein.
»Weißt du, daß wir übermorgen früh heimreiten?«
»Was?«
Angesichts des ungelüfteten Geheimnisses, welches den Tod
Herzog Berwins umgab, kam Ritter Roland die Entscheidung König
Artus, nach Camelot heimzukehren, nicht richtig vor.
»Ist das amtlich?«
Volker vom Hohentwiel nickte zu Rolands Frage.
»Ja. Und es scheint keine Rolle zu spielen, daß Herzogin Inger sich
weigert, mit nach Camelot zu kommen.«
»Niemand kann die Herzogin zwingen, mit uns zu reisen.«
Was Roland sachlich feststellte, mochte richtig sein, tat Volker
vom Hohentwiel aber sehr weh. Volkers Meinung nach hätte König
Artus sich seiner Schwägerin gegenüber durchsetzen müssen.
Volker ahnte es mehr, als er es verläßlich wußte, daß auch Königin
Ginevra vergeblich all ihren Einfluß aufgeboten hatte, die Schwester
umzustimmen.
»Gerade im Augenblick werde ich mehr als je in Orplid gebraucht.
Unser Söhnchen soll hier aufwachsen. Wenn er sieben Jahre alt ist,
so schicke ich ihn gerne nach Camelot. Damit er in höfischer Zucht
erzogen wird.«
König Artus und Ginevra hatten sich seufzend angesehen.
Vielleicht verstanden sie die Entscheidung der Herzogin.
*
Waidenhold hätte es nie zugegeben. Doch er fühlte sich wohl in dem
großen weichen Bett.
»Du warst allein mit dem toten Bären ... als wir dich fanden. Die
Mannschaft muß dich im Stich gelassen haben«, vermutete die Frau.
»Ich war hinter zwei Männern her. Vielleicht sind sie hier
durchgekommen.«
Der Waffenmeister beschrieb Aiko genau. Dalinde dachte nach. Ihr
Gesicht hatte die Strenge des Ausdrucks verloren. Es wirkte
entspannt und gelöst. Sie streichelte Waidenhold. Dabei war im
Funkeln ihrer Augen so etwas wie Besitzerstolz.
»Wenn er so aussieht, wie du sagst, muß er zu den Skiren gehören,
die ...« Dalinde schwieg. Das geschah so abrupt, als fürchte sie üble
Folgen, wenn sie zuviel ausplauderte.
»Skiren?«
Waidenhold wußte, daß es im Norden der Finnmark
Nomadenstämme gab, welche sich als Skiren bezeichneten. Es
handelte sich um kleine, aber zumeist sehr kriegerische
Familienverbände.
Dalinde, die Frau des Fischmeisters, nickte. »Ja, Skiren. So nennen
sie sich. Jemand, der mit dem Bund der Eulenbrüder zu tun hat, muß
sie ins Land geholt haben.«
Eulenbrüder. Das Wort hatte doch auch der Finnmarker Aiko
gebraucht, den er verfolgte.
»Was ist das für eine Vereinigung?«
»Die Eulenbrüder?«
»Ja.«
»Das sind Männer, denen der Ruhm und die Wohlfahrt Orplids am
Herzen liegt. Es gehören Leute von Rang und Einfluß dazu.«
Waffenmeister Waidenhold klopfte einfach auf den Busch.
»Kennst du den Führer der Vereinigung?«
»Den kann ich nicht einmal vermuten. Wir beschäftigten mal zwei
Fischersknechte, denen nachgesagt wurde, sie seien Eulenbrüder.«
Waidenhold richtete sich halb auf.
»Frag sie aus! Stell mich ihnen vor! Ich habe Fragen an sie.«
Die Frau lachte. »Sie sind längst nicht mehr bei uns. Radbod regte
sich auf, weil sie ohne Voranmeldung einfach den Dienst verlassen
haben ... Aber das ist doch ...«
Wieder ließ Dalinde ihre Rede unvollendet. Sie schwieg. Es
mußten keine angenehmen Gedanken sein, welche ihr jetzt durch den
Kopf gingen.
Waidenhold sah die Frau fest an. »Woran denkst du jetzt, Dalinde?
An deinen Mann?«
Waffenmeister Waidenhold mußte richtig geraten haben. Die Frau
vertraute ihm. Denn sie sah ihn offen an, während sie sagte: »Ich
glaube, mein Mann Radbod ist im Strom ertrunken. Die meisten
Fischer hierzulande lernen nie schwimmen. Damit sie nicht lange zu
leiden haben, wenn sie auf See oder im Strom über Bord gehen.
Radbod bildete die Ausnahme. Er kann schwimmen. Das weiß ich
genau.«
»Und trotzdem ist er ertrunken?«
Die Frau blieb auch jetzt bei der Wahrheit. »Der Fluß gab seinen
Körper nicht heraus. Er wurde nie gefunden.«
Waidenhold bewegte sich, als wolle er von Dalinde abrücken.
»Vielleicht lebt er noch.«
»Nein. So etwas spürt eine Frau. Ich werde Radbod nie
wiedersehen. Das weiß ich.«
Waffenmeister Waidenhold dachte darüber nach, was er mehr und
nähere Einzelheiten über die Bruderschaft des Eulenbundes in
Erfahrung bringen könnte.
»Weißt du, was ich mir wünsche, Waidenhold, du starker Mann?«
Der Mann erriet ihre Gedanken nur halb. »Ich möchte wirklich, ich
könnte hier bleiben. Doch es ist mir nicht gegeben, mich wie ein
Dieb in der Nacht aus dem Dienst zu stehlen.«
Die flüsternde Stimme der Frau wurde ganz leise. »Ich möchte ein
Kind von dir!«
Waidenhold lachte. »Auch dann, wenn ich nicht weiß, ob ich
wieder hierher komme?«
Ihre Antwort kam ohne Zögern. »Auch dann! Ich wünsch es mir
sehr.«
»Kann man sich so etwas vornehmen? Ist das nicht allein vom
Zufall und vom Schicksal abhängig?«
»Ich glaube, unser Wille hat auch etwas damit zu tun. Komm! Sei
lieb zu mir!«
Waidenhold spürte die flammende Lohe der Liebe. Sie hüllte die
Frau und ihn ein wie ein großes, ganz weiches Tuch.
*
Ähnliche Leidenschaften erlebten in diesen Stunden drüben in Orplid
die Knappen Louis und Pierre.
Es mochte kurz vor Mitternacht sein. Da kratzte jemand an der
Kammertür der beiden. Blitzschnell war Pierre aus dem Bett. »Ich
mach schon auf«, raunte er dorthin, wo Louis sich unter den
Federbetten räkelte.
Mit erwartungsvoll glänzenden Augen betraten die Mägde die
Kammer. Sie kamen ohne Schuhwerk. Voran Gertruda. Dahinter
Binutis. Sie trugen beide dies und jenes, welches der Mensch zu
seiner Verpflegung braucht. Braten. Wurst. Gebäck. Bier. Wein.
Nicht zu vergessen, Wasser.
Pierre nahm die Gelegenheit wahr und schmuggelte seine Hände in
und unter Gertrudas Kleid. Die junge Frau hielt still.
»Zufrieden?«
»Das will ich meinen«, sagte Pierre. Die Stimme des Knappen
wurde vor lauter Spannung und Vorfreude heiser. »Komm!«
Sie setzte ab, was sie trug. Bis zum Bett waren es nur wenige
Schritte. Gertruda legte den Arm um die Hüften des Mannes. Dabei
kniff sie ihn zärtlich.
Die Knappen hatten die Öllämpchen so eingestellt, daß es nur
dämmerig in der Kammer war.
Auch Binutis setzte ab, was sie trug.
Dann reichte sie Louis die Hand. Ihre Augen blieben dabei
geschlossen. Die frische Haut des Mädchens wurde im Gesicht und
am Nacken sowie im Ausschnitt hektisch rot und gleich wieder blaß.
Trotz ihrer geschlossenen Augen mußte Binutis, wahrscheinlich
durch eifriges Blinzeln, ziemlich genau verfolgen, was um sie herum
geschah. So gewahrte sie zum Beispiel, daß Getruda ihr Kleid
einfach abstreifte und mit nichts als Luft auf der Haut sich ins Bett
legte. Auch Pierre zog sich aus. Dann gesellte er sich zu der Magd.
Gertruda machte es ihm leicht. Binutis errötete so, als stünde sie
gleich von Kopf bis Fuß in Flammen. Sah sie, daß Louis sich
entkleidete?
Ihre Hände zitterten, als sie die Verschlüsse ihres Kleides öffnete.
Dann fiel die Bekleidung. Sie lag wie eine leere Hülle zu Binutis'
Füßen. Louis saß auf dem Bett. Er streckte Binutis beide Hände
entgegen. Sie kam zu ihm. Nicht nur das. Sie glitt in seine Arme. Der
erfahrene Louis überstürzte nichts. Er begann, das Mädchen zu
streicheln. Binutis hatte einen straffen, gut proportionierten Körper.
Sie war nicht ganz so stämmig wie ihre Freundin Gertruda. Willig
überließ sie sich Louis' Führung. Der Knappe streichelte Binutis.
Zärtlich und an den richtigen Stellen. Das Mädchen bildete sich ein,
in den Flammen erfüllten Glücks zu vergehen. Was immer Binutis an
diesem Abend erwartet haben mochte, es war ganz anders, als es den
Schilderungen nach hätte sein müssen. Da gab es keine rohe Gewalt.
Nichts tat weh. Nur ein Bestreben beherrschte Binutis. Sie wollte
aufgehen und eins werden mit dem Mann, der nicht verbergen
konnte, daß er sie begehrte.
Verschiedene Male schon hatte Gertruda so eigentümlich
unterdrückt geschrien, als bekomme sie keine Luft mehr. Binutis
konnte der Versuchung nicht widerstehen. Sie schielte geschwind
dort hinüber, wo die Freundin und der Knappe Pierre lagen.
Sekunden später wuchs das lustvolle Glück beträchtlich. Binutis
hatte angenommen, nun sei keine Steigerung mehr möglich. Welch
ein Irrtum. Jetzt, wo sie dem Knappen Louis wirklich gehörte,
steigerte sich mit der Erfüllung der Durst des Mädchens nach Liebe
ins Unendliche.
Binutis wußte bestimmt nicht, daß sie genau so ächzte und stöhnte
wie vordem Gertruda. Genausowenig ahnte sie, wie oft ihr diese
Nacht die Erfüllung aller Sehnsüchte schenkte.
Der Hahn krähte zum dritten Male, als die Liebenden so weit ins
Leben zurückfanden, daß sie für so etwas ordinär Menschliches wie
Hunger und Durst aufnahmefähig wurden. Sie hüpften aus den
Betten. Ohne einen Faden Kleidung auf dem Leibe setzten sie sich zu
Tisch. Draußen mußte der klirrende Mittwinterfrost die Erde tüchtig
beißen. Die kleinen Fenster der Kammer waren dick befroren.
Getruda und Binutis kicherten.
»Das war fast wie bei einer Zusammenkunft der Eulenbrüder.«
War es Binutis, die das sagte? Eulenbrüder. Knappe Louis wußte
sofort, woran ihn der Name erinnerte. Waidenhold hatte das aus dem
entflohenen Nordmarker geholt, aber nichts damit anfangen können.
»Wer ist denn das, Schätzchen?« Louis zog das Mädchen an sich.
Er begann wieder, Binutis zu streicheln. Jeder, der zusah, erkannte,
daß die Magd eine Gänsehaut bekam. Sie hielt Louis die Lippen
entgegen. Der Mund war rot. Er erinnerte an eine aufgebrochene
Frucht. Louis küßte sie. Schon strebte Binutis ihm erneut mit ihrem
ganzen Körper entgegen.
Gertruda gab für die Freundin Antwort.
»Da müßte man den General fragen, den Herrn Ortwin Sengal.«
General. Ortwin Sengal. Was immer in dieser Nacht auch noch
geschehen würde, diese Angaben vergaßen die Knappen aus Camelot
nicht. Mochten sie dem Streben der Mädchen jetzt auch nachgeben
und wieder zu Bett gehen.
Ortwin Sengal. Der erste Schritt zur Lüftung des Geheimnisses um
die Eulenbrüder war vollzogen.
*
Bis Louis und Pierre, die Knappen, diese Zusammenhänge aber
begriffen, mußte noch sehr viel Zeit verstreichen.
König Artus und Gefolge nahmen Abschied von Orplid. Bei aller
Wertschätzung, aber es hatte den Anschein, als sehe Herzogin Inger
die Verwandten ganz gerne scheiden.
Am Abend vor dem Aufbruch erschien Waidenhold. Der
Waffenmeister kam allen, die ihn kannten, verändert vor. Das lag
beileibe nicht nur an seiner Verletzung, obwohl die Prellungen und
die gebrochenen Rippen starke Schmerzen bereiteten.
Von Dalinde hatte es einen langen und, wenn man ehrlich sein
wollte, auch schweren Abschied gegeben. Waidenhold hütete sich
wohl, so etwas wie Wiederkommen oder was sonst in die Zukunft
wies, zu versprechen. Der Waffenmeister hatte dem erlegten
Braunbären die Krallen gezogen. Auf eine Schnur gereiht, .ergaben
sie einen zwar wildexotischen aber dennoch schönen Schmuck.
»Für dich!«
Dalinde wurde vor Freude rot wie ein junges Mädchen. Sie legte
die Kette gleich um. Sie hatte gesehen, woran Waidenhold arbeitete
und sich wahrscheinlich gewünscht, daß der Schmuck ein Andenken
für sie sein sollte.
Dalinde hatte sich denkbar große Mühe gegeben, Waidenhold in
ihrem Hause zu halten.
»Bleibe wenigstens so lange, bis dein Arm, die Schulter und die
Prellungen abgeheilt sind.«
»Das hindert einen Mann wie mich kaum. Ich muß heimreiten.«
Der Brabanter und das Saumpferd hatten ihn im Stich gelassen.
Das wußte Waidenhold. Er nahm den Tieren ihr Verhalten nicht
übel. Jede Kreatur ist der Angst ausgeliefert. Doppelt, wenn ein Bär
die Angst ausstreut.
Dalinde sorgte dafür, daß Waidenhold gute Ersatzpferde bekam.
Die Witwe bewohnte ein recht großes Anwesen mit viel Personal. Im
Hofe sah der Waffenmeister den Bären noch gestreckt auf der
Sauleiter. Mägde waren unter der Anleitung eines Mannes mit
Metzgererfahrung dabei, das Raubtier zu zerwirken.
Waidenhold stieg in den Sattel. Zu Dalindes Kummer wandte er
kein einziges Mal den Blick. Sie stand im Hoftor ihres Anwesens, bis
er das Eis des Flusses erreichte.
Der Weg nach Orplid war Waidenhold genau beschrieben worden.
Im Dorf um die niedergebrannte Burg roch es immer noch nach
verkohltem Holz.
Es kam genauso, wie der Waffenmeister es sich wünschte. Ritter
Roland lief ihm als erster von der Camelot-Mannschaft über den
Weg.
»Waidenhold!«
Gewandt und schnell kam der Waffenmeister aus dem Sattel. Er
schnallte die Bärendecke von dem Beipferd. Ein Mann mußte schon
sehr stark sein, wenn er sich den noch feuchten Bärenpelz einfach
unter den Arm klemmen wollte. So, wie es jetzt Waidenhold tat. Er
warf das Bündel vor Ritter Roland in den Schnee.
»Der Anzug wärmte den Bären, welcher den Herzog von Orplid
schlug, Herr!«
Auch die Knappen Louis und Pierre hatten den Waffenmeister
gesehen. Sie rannten herbei. Ihre überschwängliche Freude wurde
von Waidenhold voll erwidert. Die Männer um Ritter Roland waren
mit diesem ganz zu einer echten Einheit zusammengewachsen. Auch
Volker vom Hohentwiel gehörte dazu.
Die Knappen bestaunten die Pferde, welche Waidenhold
mitgebracht hatte.
»Sag einmal, haben wir deinen Brabanter und dein Beipferd nicht
gestern erst heimgetrieben?«
Waidenhold lachte. »Wo ich herkomme, da pflegt man mit
Gastgeschenken nicht kleinlich umzugehen.«
Dalinde, die Fischersfrau hatte ihren Waidenhold im Stile großer
Familien ausstaffiert.
Roland nahm die Knappen und den Waffenmeister, welche alle
drei mehr seine Freunde, als seine Angestellten waren, mit ins Haus.
Beim Wein am schweren Eichentisch tauschten sie ihre Erlebnisse
aus. Der Bärenpelz, welchen Waidenhold mitgebracht hatte, lag nahe
beim Kaminfeuer. Man brauchte schon ziemlich widerstandsfähige
Geruchsnerven, um den Duft auszuhalten.
Der Waffenmeister erzählte gründlich und ließ keine Einzelheit
aus. Louis und Pierre, die Knappen, sahen einander vielsagend an.
Volker vom Hohentwiel nahm einen großen Schluck Wein. Der
bevorstehende Abschied von Orplid setzte ihm zu. Er hatte so sehr
darauf gehofft, die Herzogin würde ein ganz persönliches Wort für
ihn finden. Doch Volker hoffte und wartete vergebens. Die
Unterhaltung seiner Tischgesellen rauschte an ihm vorbei. Wenn
Volker sonst eine Ballade oder eines seiner Volkslieder vortrug,
konnte er des Beifalls und der höchsten Achtung seitens der
anwesenden Damen sicher sein. Hier in Orplid war das anders. Der
Beifall war da. Doch sonst räumte die Herzogin dem Sänger keinerlei
Vorrechte ein. Volker hatte als ehrenden Nachruf eine Ballade auf
den Tod Herzog Berwins komponiert. Er widmete das Werk der
schönen Herzogin Inger. Die junge Witwe und Mutter schickte ihm
einen reich bestückten Präsentkorb und ließ ihm mit artigen Worten
danken. Persönlich aber sprach sie den Sänger nicht an.
Auch die Eulenbrüder spielten in Waidenholds Bericht eine Rolle.
»Man müßte den Mann finden und sprechen, der in Orplid als die
rechte Hand Herzog Berwins galt.«
»Ortwin Sengal?«
Roland und sein Waffenmeister sahen einander bedeutsam an,
sobald der Name gefallen war.
Waidenhold reichte die Auskunft weiter, welche ihm Dalinde mehr
widerstrebend als freiwillig gegeben hatte. »Er hat ziemlichen
Einfluß im Lande. Auch bei den Eulenbrüdern.«
Knappe Louis mischte sich in die Unterhaltung.
»Haben die Eulenbrüder ihren Namen von dem Wappenvogel
Orplids?«
»Wahrscheinlich«, brummte der Waffenmeister.
Orplid führte die große Waldohreule, den Uhu, im Landeswappen.
Die Knappen und die beiden Ritter hörten dem Waffenmeister weiter
zu.
»Zu den Eulenbrüdern gehören nur besonders nationalbewußte
Männer. Sie behaupten von sich, niemandem läge das Wohl Orplids
und all derer, die zum Herzogtum gehören, mehr am Herzen als
ihnen. Gegen derartige Ansprüche sollte der Mensch immer
mißtrauisch sein. Meistens sind sie einseitig ausgelegt und gelogen.«
»Hat jemand diesen Ortwin Sengal schon zu Gesicht bekommen?«
Niemand hatte den Mann, der für Orplid so eine Art oberster
Befehlshaber sämtlicher Streitkräfte war, gesehen. Was sie über ihn
wußten, stammte aus dritter Hand und aus Quellen, deren
Verläßlichkeit nicht geprüft werden konnte. Es hieß, Ortwin Sengal
sei so eine Art Ziehbruder des toten Herzogs gewesen. Man erzählte
sich, die beiden seien zusammen aufgewachsen. Ortwin Sengal ging
der Ruf voraus, in allen Waffen und den damit zusammenhängenden
Künsten wohl erfahren zu sein. Jedes Turnier in Orplid hatte bisher
nur zwei Sieger gekannt. Den Herzog und Ortwin Sengal. Die beiden
seien auch in der Lage gewesen, den sogenannten Königssprung zu
vollführen. Dabei muß der Mann, welcher sich einen solchen Satz
zutraut in voller Bewaffnung über sieben nebeneinander stehende
Pferde springen, ohne eines der Tiere zu berühren und ohne bei der
Landung zu straucheln.
»Es juckt mich direkt, gegen diesen Wunderknaben zu buhurten.«
So sprach Ritter Roland. Und die Kampfesbegier, welche ihn
beseelte, färbte sein Gesicht rot.
Der Abschiedsmorgen kam. Es hatte in der Nacht mächtig
gefroren. Der Atem von Menschen und Pferden hing wie eine
rauchgraue, durchsichtige Glocke über der Gruppe aus Camelot.
Bis zuletzt hatten Königin Ginevra und König Artus versucht, die
Schwester und Schwägerin zur Mitreise zu bewegen. Vergeblich.
»Ich bleibe in Orplid. Mein Söhnchen und ich gehören hierhin und
nirgendwo sonst.«
König Artus sagte:
»Laß uns wissen, wenn du Hilfe brauchst, Inger.«
»Das werde ich gern tun.«
Mit brennenden Augen sah Volker vom Hohentwiel immer wieder
dorthin, von wo Herzogin Inger zu erwarten war. Wenn sie kam. Die
schöne Herzogin erschien nicht. Doch sie schickte eine Zofe. Der
folgten drei Knechte.
Die Zofe knickste.
»Mit besten Empfehlungen und Grüßen von meiner Herrin,
Herzogin Inger.«
Sie zeigte auf die drei Knechte. Die setzten vor Volker ab, was sie
schleppten. Im Schnee lag die prächtigste Parsche, welche man sich
nur denken konnte. Mit Parschen werden Streitrösser ausgestattet
oder vielmehr verhüllt. Das sind Lederdecken, auf welche dicht an
dicht Eisenplättchen genäht sind. Sie bedecken das damit versehene
Pferd vom Kopf und vom Widerrist bis zu den Hufen. Sie bieten
zumindest oberflächlichen Schutz gegen Hieb- und Stichwaffen
sowie gegen Pfeile.
»Danke.« Mehr vermochte Sänger Volker nicht zu sagen. Seine
Stimme klang rauh. Er hatte sie, die für ihn die schönste aller Frauen
war, nicht Auge in Auge sehen dürfen.
Volker vom Hohentwiel packte die Parsche und lud sie den
Saumtieren auf. Er trug die Lederdecke mühelos. Die drei Knechte
aus Orplid hatten ihre liebe Mühe gehabt, die Parsche zu tragen.
Ritter Volker konnte sicher sein. Die Herzogin erfuhr das brühwarm.
Die Zofe betrachtete den Sänger, als hielte sie ihn für eine Art
Weltwunder.
Der Zug der Cameloten brach auf. Als sie nach Orplid kamen,
wehte ihnen muntere Musik voraus. Heute gab es keine Lieder.
Was weder das Königspaar noch sonst jemand aus Camelot sah,
hätte Ritter Volker vom Hohentwiel ohne weiteres dazu gebracht,
seinen Aufenthalt in Orplid unbeschränkt zu verlängern.
Die Zofe kehrte zu ihrer herzoglichen Herrin zurück. Sie knickste
und wartete bescheiden neben der Tür.
»Der Auftrag ist ausgeführt, Herrin.«
»Und was sagte er?«
Die Stimme der schönen Inger hatte einen ungeduldigen Klang.
»Er hat sich bedankt, Herrin. Er war sehr bleich. Die Parsche,
woran drei starke Knechte schwer zu tragen hatten, nahm er einfach
auf und verlud sie.«
»In Ordnung, Gerdis. Laß mich jetzt allein.«
Das Zimmer im Mahlhaus der Burgmühle war heimelig
eingerichtet. Man vergaß durchaus, daß es sich hier um ein
Notquartier handelte. Ein Alkoven nahm das Bett auf. Hinter einem
bodenlangen Vorhang und gleich neben dem gekachelten Kamin
stand die Wiege mit dem Söhnchen des Herzogspaares.
Die Zofe empfahl sich. Kaum allein öffnete die Herzogin den
Vorhang. Dahinter befand sich nicht allein die Wiege. Auch ein
breiter, hoher Eichenschrank stand da. Die Schranktüren waren
geöffnet. Einem knorrigen Gnom ähnlich kauerte ein krummbeiniger
Mann in dem Schrank. Sein Gesicht hatte hohe Backenknochen,
leicht schräg stehende Augen und einen dünnen, langhaarigen
Schnurrbart. Auf dem Kopf trug er eine sechsfach gezipfelte Mütze.
Die Hauptfarben der Mütze waren blau und rot. In den nervigen
Fäusten hielt der Mann einen Hornbogen. Auf der Bogensehne lag
ein Pfeil mit besonders langer und bestimmt auch besonders scharfer
Spitze . Der Kerl grinste.
»Es wird meinen Herrn Sengal freuen, daß du vernünftig warst,
Frau Herzogin. Auch mir ist es lieber, daß ich dein Söhnchen
schonen durfte. Vergiß nie, daß ihr beide unter dem Schatten meines
Schwertes und meines Bogens lebt! Ihr entkommt mir nicht, so wahr
ich Tesched heiße.«
Die schöne Inger verzog den roten, vollippigen Mund, als
empfinde sie unbändigen Ekel vor irgend etwas.
»Auch du wirst eines Tages bekommen, was du verdienst,
Tesched. Laß mich allein.«
Der Mann kletterte aus dem Schrank. Er nahm den Pfeil von der
Sehne. Ehe Herzogin Inger begriff, was der Rentiermann vorhatte,
klatschte die flache Pfeilspitze schon gegen die Wange ihres Sohnes.
Der Säugling wurde prompt wach. Er schrie. Herzogin Inger sah aus,
als wolle sie unverzüglich über den Nordmarkmann herfallen.
Tesched lachte nur.
»Nimm ihn an die Mutterbrust, Frau Herzogin. Und keine Scheu
vor mir. Ich sehe sowas gern.«
Er wollte sich auf einen Schemel setzen. Herzogin Inger nahm
zwar ihr schreiendes Söhnchen aus der Wiege, doch sie trat den
Schemel geschwind und kräftig weg. Tesched purzelte zu Boden.
»Mach, daß du raus kommst!«
Der Nordmarker, der zu Ortwin Sengals Leibwache gehörte,
betrachtete die Frau von Kopf bis Fuß. Die Gier in seinen Augen war
unverkennbar.
»Du solltest deiner nicht so sicher sein, Frau Herzogin. Auch die
schönste Frau kann einen Mann nicht ewig fesseln. Vielleicht ist der
Tag nicht fern, wo Ortwin Sengal, der Himmel schenke ihm ein
langes Leben, deiner überdrüssig wird. Wenn er dich dann an einen
wie mich weiter gibt, so werde ich ihm für diese Gabe ergeben die
Füße küssen. Dir aber prügele ich dann erst den verdammten
Hochmut aus deinem Körper. Das verspreche ich dir.«
Tesched machte eine spöttische Verneigung und ging. Kaum war
sie allein, da fiel alle Sicherheit und alle Kühle von der Herzogin ab.
Sie zeigte sich so, wie sie war. Ein junges Weib, das nichts so
ersehnte wie Ruhe und Schutz für sich und das Kind. Dicke Tränen
rollten über ihr Antlitz.
»Himmel, warum hast du mich so verlassen? Warum brachte ich
nicht den Mut auf, mit nach Camelot zu reisen? König Artus mit
seinen Rittern hätten mich vor Sengal und der Tücke seiner
Kreaturen geschützt. Wo finde ich Hilfe?«
*
Auf Hilfe würde sie lange vergeblich hoffen, die schöne Herzogin
Inger. Über Abwechslung aber brauchte sie sich nicht zu beklagen.
Denn am gleichen Tage noch kam von Ortwin Sengal die Weisung,
Herzogin Inger möge sich mit Tesched und den anderen
Nordmarkern, welche er ihr schickte, zu ihm bewegen.
Was Sengal anordnete, war in Orplid Befehl. Daran hatte sich die
schöne Inger längst gewöhnt.
Ohne Klage, ohne jeglichen Einwand packte sie ihre und ihres
Sohnes Sachen. Sengal hatte angeordnet, daß sie ohne Begleitung
kommen sollte. Sie gehorchte. Sie reiste allein. Nur Tesched und
seine Landsleute waren bei ihr.
Kein Mensch in Orplid erfuhr, wohin die Herzogin reiste. Doch
manches wurde anders im Lande. Die Obrigkeit zog die
Steuerschraube an. Orplids Heer vergrößerte sich. Für den Neubau
der niedergebrannten Burg brauchte die Regierung Geld. Das sah
jeder ein. Doch kein Handwerker erschien. Die Brandstätte blieb
unaufgeräumt. Dafür hieß es nach einer Weile, Ortwin Sengal, der
Vertraute der herzoglichen Familie, verstärke laufend seine
Leibgarde. Es zögen immer mehr Finnmarker aus dem Norden nach
Orplid. Die Masse der Neuangeworbenen mußte sich in den Wäldern
verstecken. Im Alltag traten sie selten in Erscheinung.
Bald hatten die Menschen im Dorf und in den Weilern um die
zerstörte Burg sich an den bestehenden Zustand gewöhnt. Gerüchte
behaupteten, Herzogin Inger habe längst irgendwo anders in freierer,
schönerer und angenehmerer Lage eine neue Burg gebaut. Dort lebe
sie jetzt mit ihrem Söhnchen.
Alle Verordnungen, alle Erlasse waren von Inger, der Herzogin,
unterschrieben und gesiegelt. Ortwin Sengal trat noch weit weniger
in Erscheinung als die Herzogin. Von ihm existierte nicht einmal
eine Unterschrift.
Wurde schon in Orplid viel um den Verbleib der Herzogin
gerätselt, so gab ihr Verhalten den königlichen Verwandten in
Camelot noch weit härtere Nüsse zu knacken.
Königin Ginevra war daran gewöhnt, mit der Halbschwester
ständig in Kontakt zu stehen. Doch Herzogin Inger dachte offenbar
nicht daran, auf die Briefe zu antworten. Der ganze Frühling ging
hin. Schließlich ertrug Königin Ginevra die innere Spannung nicht
mehr. Sie sagte zu ihrem Mann:
»Ich habe die Briefe nicht gezählt, welche nach Orplid gegangen
sind. Es waren mehr als erforderlich, um gekränkt zu sein. Was nur
ist mit Inger geschehen?«
Diese Frage hatte sich König Artus wohl auch schon gestellt. Er
kam gleich mit praktischen Vorschlägen. Das königliche Paar erging
sich an diesem Frühsommerabend in den Gärten um Schloß Camelot.
Süßer Blütenduft wehte von den Rabatten her. In den Kirschbäumen,
die tüchtig Frucht angesetzt hatten, konzertierten Amseln. Am
nächtlich sich färbenden Himmel flirrte der erste Stern.
»Nichts wäre leichter, als uns über alles in Orplid Gewißheit zu
verschaffen.«
»So? Und warum tun wir das Einfache nicht?«
»Weil ich nicht weiß, ob es Inger recht wäre. Haben wir nicht
vereinbart, daß sie uns wissen läßt, wann sie Hilfe braucht?«
»Und wenn sie gehindert wird, sich an uns zu wenden?«
König Artus blieb stehen. »Wer oder was außer ihr selbst sollte sie
hindern?«
Königin Ginevra seufzte. »Einfach die Verhältnisse, Artus.«
»So laß uns einen Ritter zu ihr schicken.«
Ein Lächeln glitt über Königin Ginevras schönes Gesicht. »Etwa
unseren Volker?«
»Volker und Roland.«
Sie sprachen nicht darüber, welche Veränderung mit Ritter Volker,
dem Sänger von Camelot, vor sich gegangen war. Doch sie hatten die
Wandlung beide bemerkt.
»Der Sicherheit halber mag auch noch Waidenhold mit den beiden
reiten. Dann werden wir sehr bald wissen, was in Orplid geschehen
ist, meine Liebe.«
König Artus gab seinen Entschluß nicht noch am gleichen Abend
bekannt. Morgen sollten in Camelot die Sommerfestspiele beginnen.
Sie galten als Höhe- und Glanzpunkte im ritterlichen Leben.
Da wurde behurtet, geritten, mit allen Waffen geübt. Dem Besten
in allen Übungen winkte ein Eichenlaubkranz. Diesen Ehrenkranz
gab es in Gold, in Silber und im natürlichen Eichengrün. Königin
Ginevra verteilte die Kränze. König Artus überreichte den Siegern
der jeweiligen Klasse ein Geldgeschenk. Meistens handelte es sich
dabei um frisch geprägte, blitzende Dukaten.
Auf Anregung des Volker vom Hohentwiel war für die morgigen
Sommerfestspiele auch eine Springkonkurrenz angesetzt. Keine
Konkurrenz zu Pferde und in der Hindernisbahn, sondern ein
Springen der gewappneten Ritter über Pferde. Sieger sollte derjenige
werden, der den Königssprung schaffte, den Satz über sieben
nebeneinanderstehende Rösser.
Als die Konkurrenz ausgeschrieben wurde, hatte König Artus
versonnen gelächelt. »Weißt du noch? Am liebsten möchte ich
mitmachen. Es juckt mich sehr, zu erfahren, ob ich den Sprung noch
schaffe.« Er spaßte, denn sein Alter verbot ihm solche Betätigungen.
Königin Ginevra legte ihre Hand auf seinen Arm und drückte ihn.
»Für mich bleibst du auch ohne solche Sprünge der Größte, der
Schnellste und der Stärkste.«
Wie in Camelot üblich, waren die Spiele sorgfältig vorbereitet
worden.
Das Springen sollte die Wettkämpfe einleiten. Die Herren der
Tafelrunde formierten sich. Dumpfe Paukenschläge gaben den Takt
an, als sie in die Arena marschierten. Die Zuschauerbänke ringsum
waren bis auf den letzten Platz besetzt.
Das erste Pferd wurde in den Ring geführt. Ein hochbeiniger,
temperamentvoller Schimmelwallach. Ein Raunen ging durch die
Zuschauermenge. Der Glaube an die alten Götter lebte noch im
Volke. Wodans Lieblingstier war der Schimmel. Es hieß, derjenige,
der Haare von einem Opferschimmel in der Geldbörse trage, habe nie
über fehlende Dukaten zu klagen. Nach dem Schimmelwallach kam
ein Fuchs. Nach diesem ein Brauner, darauf ein Falbe. Anschließend
wurde eine Rappe gezwungen, neben den anderen Pferden Position
zu beziehen. Ein Schimmel beschloß wiederum den Block der
Rösser, über deren Rücken der Königssprung ging.
Die Ritter der Tafelrunde nahmen Aufstellung. König Artus setzte
sich auf den Thronsessel.
Ritter Wilhelmus ließ wieder und wieder anderen den Vortritt.
Diese Bescheidenheit entsprach durchaus nicht seinem Charakter.
Knappe Louis, der zu Ritter Wilhelmus' Kritikern gehörte, stieß Pier-
re an. »Merkst du was? Der alte Intrigant hat Grundeis in den
Rüstungshosen. Ich wette, er denkt sich einen Trick aus, um am
Springen vorbei zu kommen.«
»Sein Alter, ich verstehe ihn.«
»Unser Roland schafft den Königssprung noch als
Siebzigjähriger«, orakelte er.
»Wir haben gut reden, Louis. Wir dürfen zuschauen. Müßten wir
selber springen, so würde uns auch mehr als nur der Hosenboden
kalt.«
»Traust du mir etwa nicht zu, über die Pferde zu hüpfen?«
»Im Ernst, Louis, aber das schaffst du nicht.«
Ein empörter Blick überblitzte den dicklichen Pierre.
»Kleine Wette gefällig?«
Knappe Pierre nahm die Wette an. Dabei überlegte er, daß
Kamerad Louis wohl kaum Gelegenheit haben würde, den mächtigen
Sprung zu versuchen. »Um wieviel?«
»Um was immer du willst. «
»In Ordnung. Wenn ich gewinne, habe ich einen Wunsch bei dir
frei. Einverstanden?«
»In Ordnung.«
Pierre war- zuversichtlich und guter Dinge. Louis hatte wohl kaum
die Möglichkeit, irgendwelche Tricks anzuwenden.
Ein bunt gekleideter Herold setzte eine Lure an die Lippen. Lang
gezogen hallte das Signal für die Eröffnung des Springens über das
Land. Ritter Ermfried lief an. In Rüstung und Waffen. Die Panzer-
schuhe klirrten. Sie hinderten Ermfried am freien Lauf. Ritter Volker
vom Hohentwiel stand ziemlich am Ende der Schlange.
Ermfrieds Absprung klappte. Der Ritter federte weit kräftiger
hoch, als man ihm zugetraut hätte. Doch er mußte eine Kleinigkeit
zuviel Schwung genommen haben. Im wuchtigen Sprung über die
Pferde, taumelte er, schwankte, verfing sich mit Schwert und Lanze
in seinen gepanzerten Füßen, kippte und stürzte neben den
schnaubenden, tänzelnden Pferden ab. Er hatte dennoch Glück.
Unverletzt konnte er aufstehen. Kopfschüttelnd trollte er sich.
Der zweite Ritter lief an. Er schaffte den Sprung bis zum vierten
Pferd. Dann hatte auch er Schwierigkeiten und verlor die Balance. Er
stürzte zwischen die Pferde. Die Tiere stampften aufgeregt hin und
her. Es bedurfte der vollen Aufmerksamkeit der Pferdeknechte, den
edlen Ritter vor Leibesschäden zu bewahren.
Ritter Wilhelmus drückte sich so lange vor dem Sprung, bis sein
Neffe Douglas Heißsporn von der Aue anlief. Douglas, übereifriger
Aspirant auf einen Platz in der Tafelrunde, hatte das größte Pech
aller Teilnehmer. Zwar waren sein Harnisch und sein Schild
spiegelblank geputzt, doch er verfing sich mit der Schwertscheide in
den Füßen. Da dies genau in der Sekunde des Abhebens geschah,
kam ihm jeglicher Schwung abhanden. Nicht nur das. Er kippte,
einem jählings stürzenden Baum ähnlich, einfach der Länge nach
um. Er hielt sein Schwert so unglücklich, daß es flach, aber
nichtsdestotrotz kräftig, auf die Hinterhand des ersten Pferdes, des
Schimmels also, klatschte. Der Schimmelwallach war eine solch
derbe Berührung nicht gewöhnt. Er keilte aus. Dies geschah
haargenau in der Sekunde, da Douglas Heißsporn von der Aue sich,
mit dem Rücken zu den Pferden, nach dem schmerzhaften Sturz
aufrappelte. Der Schimmel traf mit beiden Hinterhänden die
Sitzfläche des Aspiranten Douglas. Die Hufeisen prallten auf starkes
Blech. Funken stoben. Douglas sauste wie ein außer Kontrolle
geratener Rammbock seinem Oheim Ritter Wilhelmus, vor die Füße.
Douglas erinnerte eindeutig an einen gerupften Hahn. Die
Straußenfedern auf seinem Helm waren geknickt. Am Helm selbst
ließ sich das Visier nicht mehr öffnen. Außerdem klemmte der
Verschluß. Das Rüstungsstück ließ sich nicht mehr abnehmen. Dabei
begehrte Aspirant Douglas im Augenblick nichts so sehr, wie sich
des Helmes zu entledigen. Denn durch den Sturz war ihm der Helm
bis weit über die Augen ins Gesicht geraten und schmerzte höllisch.
Im Moment konnte Ritter Wilhelmus mit dem unglücklichen
Neffen wenig anfangen. Er wehrte sich mit beiden Händen gegen den
Verwandten.
»Hinweg mit dir, Tölpel!«
Ritter Roland hatte mehr Mitgefühl. Er half dem verunglückten
Springer auf die Füße.
»Einen Moment Geduld nur.«
Er packte heftig zu. Volker vom Hohentwiel half dem Freund
dabei. Aspirant Douglas verlor jegliche Form und Haltung. Er heulte
wie vielleicht ein Teufel heult, wenn er mit Weihwasser in
Berührung gekommen ist. Kein Wunder. Denn als Douglas endlich
von dem klemmenden Helm befreit war, konnte jeder sehen, daß ihm
bei der Operation beinahe das halbe Haupthaar ausgerissen worden
war.
Roland machte eine artige Verbeugung zu Ritter Wilhelmus hin.
»Ich glaube, jeder wird Verständnis dafür haben, wenn Ihr Euch
jetzt Eurem Neffen widmen wollt und mir den Sprung abtretet,
Wilhelmus.«
Höchstens eine Natur wie Knappe Louis hörte den Stein, der bei
diesem Angebot vom Herzen Ritter Wilhelmus' plumpste.
»Natürlich, Ritter Roland. Selbstverständlich komme ich Eurem
Wunsche gerne nach und trete Euch meinen Sprung ab. Dies fällt mir
um so leichter, als ich in meinen grünen Jugendjahren mehrfach den
sogenannten Königssprung vollbringen konnte.«
Sprach's, stützte seinen stöhnenden Neffen und stolzierte
würdevoll vondannen.
Louis stieß Pierre an.
»Hast du da Worte? Sieh nur, wie er seinen lieben Neffen kneift
und stößt! Der und den Königssprung geschafft! Einen Pferdeapfel
hat er! Der ist zu seiner Zeit genauso aufs Schnäuzchen gepurzelt wie
der liebe Douglas.«
Was Knappe Louis über die intime Tuchfühlung zwischen Douglas
und dem Onkel Wilhelmus sagte, stimmte nur zu sehr. Ritter
Wilhelmus bearbeitete die Rippen des Neffen mit spitzem
Ellenbogen.
»Nichts als Ärger hat man mit einem Tölpel wie dir. Aber ich
kriege dich noch hin, mein Junge! Ich schaffe es, daß du wirklich ein
Ritter und Herr ohne Fehl und Tadel wirst.«
Die Zuschauer schrien, brüllten, jubelten und klatschten. Ritter
Wilhelmus schaute sich um. So wurde er Zeuge, wie Ritter Roland
als erster den Königssprung schaffte.
»Nicht zu fassen«, brummte Wilhelmus. »Glückt dem Kerl denn
alles?«
Ritter Wilhelmus sah aus, als bekomme er die Gelbsucht. Den
aktiven Teil des Leidens aber trug Neffe Douglas. Der übergab sich
nämlich, als werde sein Innenleben komplett nach außen gestülpt.
Ritter Wilhelmus stieß den unglücklichen Verwandten derb. »Nichts
wie heim mit dir, du Ferkel!«
*
Neben Ritter Roland schaffte nur noch Volker den Königssprung
glatt. Auf Anregung Rolands wurde Volker der erste Preis, der
goldene Eichenkranz also, zugesprochen. Roland selber gab sich mit
dem Silberpreis zufrieden.
Als Königin Ginevra Volker den Kranz überreichte, sagte sie:
»Wir haben eine Bitte an Euch, Ritter vom Hohentwiel.«
Ritter Volker zeigte sich begeistert. Er liebte nichts so sehr, wie im
Mittelpunkt zu stehen. »Stets zu Diensten, Majestät!«
»Wir, mein Gemahl und ich, wünschen, daß Ihr gemeinsam mit
Eurem Freunde Roland nach Orplid reist. Ihr sollt Euch durch
eigenen Augenschein überzeugen, wie es meiner lieben Schwester,
Herzogin Inger geht.«
Volker vom Hohentwiel sah aus, als werde der Tag jetzt erst
richtig hell. Sein Blick suchte Ritter Rolands Augen. »Jawohl,
Majestät.«
König Artus schaltete sich ein. »Kommt beide vor dem Abend zu
mir.«
Beide Ritter verließen das Turniergelände. Volker vom Hohentwiel
konnte seine Freude kaum zähmen.
»Ich würde am liebsten laut singen.«
Ritter Roland lächelte nachsichtig. »Das sieht man dir an!«
»Ob wir morgen schon reiten?«
»Der König schiebt nie etwas lange auf.«
Am Sport und den Darbietungen dieses Tages hatten die Freunde
kein Interesse mehr. Auch den Knappen war nicht entgangen, daß da
etwas Besonderes auf sie zukam. Louis stieß Pierre in die Seite.
»Wetten, daß du Orplid viel eher wiedersiehst, als du jetzt
ahntest?«
»Wenn das wahr würde!«
»Ich könnte eine tüchtige Portion von meiner Binutis auch ganz
gut vertragen«, gab Louis zu.
Knappe Louis machte, daß er in die Nähe seines Herrn kam.
»Heißt das, ich darf packen?«
Roland nickte.
»Genauso ist es. Nimm genügend Reservewaffen und
Aushilfspferde mit.«
Beide Knappen zeigten sich hoch erfreut.
»Für den Rest des Tages sind wir ja wohl entschuldigt.«
Es verstand sich am Rande, daß sie für Volker genauso sorgten wie
für ihren Herrn Roland.
Wann würden sie reiten? Morgen? Später?
Roland und Volker erfuhren abends Einzelheiten vom Königspaar.
Die Informationen waren wichtig für ihr Vorgehen in Orplid.
»Uns liegen Berichte vor, denen zufolge Orplid seine sämtlichen
Nachbarn im Norden mit Krieg überzogen hat.«
Solange Herzog Berwin lebte, war von militärischen Aktionen
Orplids und überhaupt von Aggressivität nicht die Rede gewesen.
Die Bewohner des Herzogtums arbeiteten, trieben Handel und waren
froh, daß sie auf diese Weise zu bescheidenem Wohlstand kommen
durften.
»Und was ist Sinn und Zweck dieser Unternehmungen, Majestät?«
König Artus sah seine Ritter an. »Die letzte Zielsetzung kennen
wir nicht. Wir nehmen an, es geht um reine Gebietserweiterungen.«
»Herzogin Inger ist die friedliebendste Person, welche man sich
überhaupt vorstellen kann.«
König Artus hob zu diesen Worten seiner Frau die Hand, als wolle
er abschwächen, was Königin Ginevra sagte. »Jedenfalls sind leider
sämtliche Einsatzbefehle, von welchen wir hörten, von der Herzogin
unterschrieben.«
König Artus mußte weit gründlichere Informationen über den Fall
Orplid haben, als er zugab.
»Wir stellen euch anheim, wie ihr vorgehen wollt. Wir bitten nur
um Diskretion.«
Diskretion. Es ging dem Königspaar darum, Herzog Berwins guten
Namen zu schonen.
»Die Orplider sind bisher recht erfolgreich bei ihren Operationen
gewesen. Die Nachbarn im Norden sind ihnen nicht gewachsen.
Wahrscheinlich werden die Truppen Orplids von jemandem geführt,
der organisatorische Talente hat. Ortwin Sengal. Das dachten Roland
und sein Freund Volker zur gleichen Sekunde. »Habt Ihr des Herzogs
besten Freund, diesen Ortwin Sengal jemals gesehen, Majestät?«
So fragte Roland. Es stellte sich heraus, daß weder König Artus
noch Königin Ginevra mehr als den Namen dieses Mannes kannten.
Irgendwann, vor vielen Jahren, war er ihnen einmal flüchtig
begegnet.
»Aber damals lebte Berwins Vater noch. Ich entsinne mich, der
alte Herzog hatte für Ortwin eine ausgesprochene Vorliebe.«
So König Artus. Roland wollte genau wissen, was alles sie
unternehmen durften, ohne sich aus dem Bereich der königlichen
Wünsche zu entfernen.
»Wenn er nun Dinge tut, die nicht unbedingt zum Wohle der
Herzogin Witwe sind, Majestät?«
»Ihr beide entscheidet völlig frei. Was immer ihr unternehmt, wird
von uns akzeptiert.«
»Ja«, bestätigte Königin Ginevra die Worte ihres Mannes. Sie
wollte auf diese Weise zeigen, daß Roland wie Volker ihr
uneingeschränktes Vertrauen besaß.
Nach Abschluß der Informationen wollten sich die Ritter
entfernen. König Artus aber hielt sie zurück. »Leistet meiner Königin
und mir noch einen Becher lang Gesellschaft, ihr Herren. Wer weiß,
wann wir das nächste Mal zusammen kommen.«
Der Mundschenk brachte Humpen und die Kanne. Der gute Wein
aus König Artus' Privatkeller mundete ausnehmend gut.
»Auf den Erfolg und den Abschluß einer glücklichen Fahrt.«
Die ritterlichen Freunde erwiderten den Trinkspruch ihres Königs.
»Auf daß in Camelot alles in so hervorragender Ordnung bleibe,
wie wir wünschen.«
Auch für Königin Ginevra fiel mittels Trinkspruch ein
Kompliment ab.
»Auf das Wohl der schönsten, klügsten und besten Dame in
Camelots höfischem Bereich.«
Königin Ginevra bedankte sich artig. »Auf euer Glück und Heil,
meine Herren Ritter.«
Während die Männer in spätestens drei Trinkzügen einen Humpen
leerten, trank Königin Ginevra nur mäßig.
Sie äußerte den Wunsch, Sänger Volker möge seine Laute holen
und singen. »Die Ballade vom großen Jäger, der seiner
Pirschleidenschaft zum Opfer fällt.«
Wann hätte Ritter Volker schon jemals den Wunsch einer Dame
abgeschlagen? Er holte sein Instrument und bald drangen die
wohlklingenden Akkorde aus der Königskammer. Die Ballade vom
großen Jäger besang und beschrieb das Ende Herzog Berwins von
Orplid. Dabei stellte sich heraus, daß Volker dem Lied neuerdings
noch einige Strophen mehr angefügt hatte.
Nachdenklich betrachtete die Königin den Sänger. Was sie dabei
dachte, verriet sie später ihrem Gemahl. Eingedenk der Tatsache, daß
die Herren mit Begleitung in der Frühe des nächsten Tages aufbre-
chen wollten, beendete König Artus den Abend zeitig.
Königin Ginevra wartete mit ihrem Kommentar zu ihren
Beobachtungen, bis sie mit dem König allein war.
»Ich glaube, er hat sein Herz an Inger verloren.«
Dem König gingen die letzten Takte des Liedes noch durch den
Kopf.
-Oh, schöne, junge Herzogin. Dürft ich doch tragen das Leid für
dich! - König Artus summte den Kehrreim.
*
Im Gegensatz zu den Rittern Roland und Volker hatten sich die
Knappen Louis und Pierre noch nicht zur Ruhe begeben.
Vor den Ställen, aus denen heraus warm der typische Roßgeruch
wehte, kam Louis auf das Thema des Königssprunges zurück. »Daß
wir gewettet haben, weißt du genau. Bilde dir ja nicht ein, ich würde
das vergessen.«
Pierre wollte nicht so recht heran. Andererseits lockte ihn natürlich
die Möglichkeit, etwas zu gewinnen.
»Wenn du den Königssprung schaffst, dann hast du bei mir einen
Wunsch offen. Ich muß dir den Wunsch erfüllen, sofern ich kann.«
Louis nickte.
»Richtig. Sofern du kannst.«
»Und wenn du es nicht schaffst?«
Louis griff in seine Taschen. Als er die Hand herauszog, klirrten
vier, fünf Goldstücke darin. »Ist das etwa kein würdiges Gegenstück
zu einem erfüllten Wunsch, Kamerad?«
Das ließ sich nicht leugnen. In Pierres Augen glitzerten
begehrliche Funken.
»Wie stellen wir es an, das Springen noch vor unserer Abreise
abzuhalten? Oder wollen wir warten, bis wir wieder zurück sind?«
»Nichts da. Was wir heut tun können, das geschieht. Gibt
außerdem wenig, was leichter war.«
Louis zeigte gleich, wie er sich die Durchführung dieser
gewissermaßen privaten Konkurrenz vorstellte. Er weckte die bis auf
zwei Mann wohlig dösende Stallwache.
»He, ihr, habt ihr Lust, etwas zu sehen, was nicht alle Tage
geboten wird?«
Die Frage und ein blitzendes Goldstück machten die Stallwachen
mobil. Jemand, der solche Reichtümer zu verschenken hatte, mußte
einfach ein großer Herr sein, wenn er im Augenblick auch nur das
Gewand eines Knappen trug.
»Um was geht es denn.«
Louis setzte die Stallknechte ins Bild. »Es dauert nicht lange. Wir
brauchen die Rösser nur für einen einzigen Sprung. Es sei denn, mein
Kamerad überlegt sich die Sache und wagt auch einen Satz.«
Pierre streckte beide Hände so abwehrend aus, als sei ihm wer
weiß welch übles Ansinnen gestellt worden.
»Davon ist nie die Rede gewesen, Louis. Du hast springen wollen.
Nicht ich.«
Louis lachte. Die Stallknechte führten die gleichen Pferde, welche
nachmittags als Sprunghürde gedient hatten, in einen der hinteren
Höfe. Hier sorgte der Mond für Beleuchtung.
Louis wappnete sich. Er lief an. Im Ansprung schon erkannte
Knappe Pierre, daß sein Kamerad den Riesensatz schaffen würde.
Louis schraubte sich hoch. Die Technik des Sprunges, der sowohl
in die Höhe als auch in die Weite führte, beherrschte er wie die
Ritter.
Sicher und ohne die aufgestellten Pferdeleiber auch nur zu streifen,
landete der Knappe federnd jenseits der lebendigen Barriere.
Die Stallknechte brachen in laute Beifallsrufe aus. Dann führten sie
die Pferde eilig fort.
Louis wandte sich an den Kameraden. »Nun, Pierre?«
»Gratuliere, Louis. Du hast gewonnen.«
*
Nicht allein die Stallknechte und die schnaubenden Pferde waren
Zeugen der nächtlichen Darbietung gewesen.
Als Louis hinter seinem Kameraden die Kammer betreten wollte,
hatte er das Gefühl, jemand beobachte ihn.
Er wandte sich um. Da stand ein heller Schatten in der Dunkelheit
des Schloßflures.
»Moment.«
Louis schloß die Tür. Dies geschah so plötzlich, daß Pierre
dümmlich hinterher kam.
»Ist noch was?«
»Ja, aber nichts für dich. Gute Nacht. Ich bin morgen früh zeitig
zurück.«
Was Pierre sonst noch sagen wollte, ging in der Entschiedenheit
unter, mit welcher Louis die Kammertür schloß. Der ehemalige
Gastwirt ging auf den hellen Schatten zu.
»Gilt das mir?«
Eine Woge vielfältiger Wohlgerüche hüllte ihn ein. Weich sagte
eine Frauenstimme: »Ja, das gilt dem tüchtigen Knappen, der den
Königssprung schaffte und den ich glücklich machen will heut
Nacht. Kommt.«
Die Kammer war so finster wie ein abgelöschter Kohlenmeiler.
Doch es roch überall so, wie die Frau duftete.
Kleidung raschelte. Je länger die Augen sich an die Dunkelheit
anpassen durften, desto mehr erkannte Louis. Von der prächtig
eingerichteten Kammer. Und von der Frau.
Sie hatte ihr langes Nachthemd abgestreift. Es lag jetzt zu ihren
Füßen. Daraus wuchsen schlanke, lange Beine. Genauso beschaffen,
wie Knappe Louis Frauenbeine liebte. Die Hüften darüber waren so,
daß dem guten Knappen das Wasser im Munde zusammenlief. Der
flache Leib mit dem unter dichtem Haar versteckten Schoß lockte
Louis. Die Brüste der Frau hatten gleichfalls das genau richtige Maß.
Sie schienen fest zu sein. Die junge Frau hatte kupferblondes Haar.
Das fiel ihr offen und lang bis fast auf die Hüften. Das aber, was den
Knappen Louis jetzt am meisten interessierte, konnte er nicht sehen.
Das Gesicht der Frau steckte unter einer Samtmaske.
Ihre angenehme Stimme sprach leise zu ihm. »Willst du nicht
meinem Beispiel folgen und dich ebenfalls ausziehen, Held der
Nacht, die uns gehört?«
Louis wollte ihr die Maske vom Gesicht streifen. Doch dies war
unmöglich. Sie entzog sich ihm. Auf eine Weise, die keinen
Widerspruch zuließ und den Respekt verlangte.
»Schwöre, daß du die Maske so lange auf meinem Gesicht lassen
wirst, bis ich selber sie lüfte.«
Nun, ihr Anblick hatte dem guten Louis so eingeheizt, daß er ihr
unbedenklich weit schwerere Dinge versprochen haben würde, als
das, was sie verlangte.
»Versprochen!«
»Du sollst nichts versprechen, sondern schwören!«
»Bei was?«
»Bei deinem Schwert und bei der Lust der Minne, die du so
schätzt, bei deiner Männlichkeit von mir aus.«
Höchstens der Blitz bewegte sich schneller, als Knappe Louis, der
jetzt ganz aus den Kleidern fuhr. Die Frau stand dicht neben ihm. Sie
lachte verhalten. In diesem Lachen schwangen ausgesprochen
wollüstige Töne mit.
Louis trug die Frau zum Lager. Dort entzog sie sich ihm. Sie lachte
gurrend. Unverkennbar stieg ihre Erwartung.
»Erst wollen wir richtig zärtlich zueinander sein, nicht wahr?«
»Und sie wies den Knappen ein. Sie zeigte ihm ohne Scheu, wie
sie die Liebe am meisten schätzte. Louis, der geglaubt hatte, erfahren
zu sein, lernte in dieser Nacht. Es dauerte lange, bis der Moment
kam, welchen Louis so sehr ersehnte. Danach lagen sie ruhig
nebeneinander. Sie streichelten sich und waren dankbar für den
Genuß, den sie sich bereitet hatten. »Ihr reitet morgen nach Orplid,
nicht wahr?«
Louis sah keinen Grund, aus dem Reiseunternehmen ein
Geheimnis zu machen. Sie lebten hier in Camelot. Da konnte man
den Menschen vertrauen.
»Ja. Interessiert es dich? Kennst du das Herzogtum?«
Die Frau kuschelte sich eng an den Mann. Sie nahm Louis' Hände
und legte sie auf ihre Brüste.
»So hab ich's gern. Ja, ich kenne Orplid. So, wie man eben das
Land kennt, in dem man geboren und aufgewachsen ist.«
»Und wie heißt du? Wo kommst du her?«
Wieder lachte sie. Auf diese rätselvolle, verschleiernde Weise.
Louis meinte, jetzt, wo sie einander doch so gut und gründlich
kannten, brauche sie aus ihrem Namen und ihrer Person kein
Geheimnis mehr zu machen.
»Alles zu seiner Zeit, mein starker, flinker Freund. Irgendwann
will ich dir sagen, was du wissen mußt. Vorläufig jedoch ist es noch
weit bis dahin. Wen sucht ihr in Orplid, die Ritter und du?«
»Da sind außer den Herren Roland und Volker noch der alte
Waidenhold sowie mein Kamerad Pierre zu nennen. Ja, was suchen
wir genau? Eigentlich geht es nur darum, herauszufinden, warum
ihre Durchlaucht, die Herzogin Inger, die Briefe ihrer königlichen
Halbschwester nicht beantwortet.«
»Und weiter?«
»Daneben sollen wir für Frieden sorgen in dem Land. An den
Grenzen herrscht ja Krieg, wie man hört.«
»Und was sollt ihr mit dem obersten Befehlshaber machen, mit
Ortwin Sengal?«
Für Sekunden schien Louis jegliche Liebeslust vergangen zu sein.
Er wiederholte den Namen. »Ortwin Sengal?«
Die Frau mußte mit König Artus und seiner Königin ganz hübsch
vertraut sein, wenn sie so viele Details über Orplid wußte.
Andererseits kam sie ja daher. Vielleicht wußte sie genug über die
inneren Verhältnisse im Herzogstum, um Wert oder Unwert der
einzelnen Machtverantwortlichen abzuschätzen.
»Der war Freund und Vertrauter Herzog Berwins, als der Herzog
noch lebte. Manche behaupten sogar, er wäre der Milchbruder
Berwins gewesen.«
Sie wußte tatsächlich genau Bescheid. Wer klug war, ließ keine
Möglichkeit außer acht und bediente sich ihrer. Die Reise nach
Orplid und von da aus vielleicht noch in andere Richtungen, würde
eine Fahrt durch Feindesland werden. Darüber machte sich Louis
nichts vor. Der Knappe hatte häufig genug für seinen Herrn Roland
den Kundschafter gemacht.
»Warum willst du mich aushorchen?«
Louis' Frage kam plötzlich. Die Frau wich nicht aus.
»Weil es wahrscheinlich so ist, daß ich euch helfen kann. Auf
jeden Fall müßt ihr nämlich zum Norden hin. Herzogin Inger und ihr
Söhnchen findet ihr nicht mehr in Orplid. Erfüllst du mir einen
Wunsch?«
Knappe Louis ließ sich nicht gerne im Bett zu Versprechungen
drängen. »Natürlich bin ich dir gern zu Gefallen. Aber ehe ich etwas
verspreche, muß ich schon wissen, um was es sich handelt.«
Sie sprach hauchleise in sein Ohr.
»Wenn du ihn siehst, wenn du Ortwin Sengal begegnest, so stoß
ihm dein Dolchmesser ins falsche Herz. Und drehe den Stahl um,
wenn er bis zum Heft im Fleische sitzt.«
Wie mußte die Frau diesen Ortwin Sengal hassen. Sie sagte noch
mehr. »Komm zu mir. Erfülle mich mit deiner Stärke und mache die
Nacht für uns beide unvergeßlich schön.«
Sie weiß viel mehr, als ich jetzt ahnen kann. Ich muß heraufinden,
was alles es ist und es für meinen Herrn und uns alle nutzbar
machen. So ging es Louis durch den Kopf.
Die Nacht war lang. Louis konnte sich nicht entsinnen, schon
jemals bei der Liebe eingeschlafen zu sein. Heute erlebte er auf
diesem Gebiet eine Premiere.
Er hielt die ebenso erfahrene wie reife Frau noch fest in den Armen
und spürte sie in jeder Faser, als bleischwere Müdigkeit, um nicht zu
sagen Erschöpfung, sein Bewußtsein auslöschte. Das war wie ein
Schlag mit einem schweren Streithammer.
Als der Knappe aufwachte, wummerten wuchtige Faustschläge
gegen die Kammertür. Nur mühsam rappelte sich Louis hoch. Der
Bettplatz neben ihm war leer. Doch die feinen Leinentücher rochen
nach dem Parfüm der Frau.
»Verflixt!«
Louis federte aus dem Bett. Er eilte zur Tür. Sein Kopf schmerzte,
als habe er gestern mehr Wein getrunken, als er vertrug.
»Warum hast denn du dich eingeschlossen, Louis?«
Knappe Pierre stand vor der Tür. Er machte sein Anliegen
dringend.
»Bist du etwa wieder eingeschlafen? Du hast mir doch ganz
vernünftig Antwort gegeben, als ich dich das erste Mal weckte. Mach
schon auf! Diesmal geh' ich nämlich keine Ruh', bis ich dich richtig
wach weiß.«
Louis mußte zugeben, keinen Schlüssel zu haben.
Pierre brach in ein wahrhaft klassisches Gelächter aus. Das, was er
hörte, steigerte Louis Mißmut bis zum Gehtnichtmehr. Er konnte sich
plastisch vorstellen, wie Pierre herumtanzte und sich auf die
Schenkel klatschte.
»Wir haben nur noch eine knappe halbe Stunde bis zum Abmarsch.
Die Herren sitzen schon beim Frühstück. Sieh endlich zu, daß du
fertig wirst.«
Louis hielt es für das Beste, weder Schlosser noch Schmied zu
bemühen. Er würde sich anziehen und aus dem Fenster turnen. Da sie
heute ihre Reise begannen, kam er bestimmt nicht mehr dazu, nach
der verschwundenen Frau zu fahnden. Er konnte die Geschichte dre-
hen und wenden wie immer er wollte, sie hatte ihn hereingelegt. Das
stand fest.
Bitter schoß es ihm durch den Kopf, wie leicht es doch war, einen
ausgewachsenen Mann zu fangen. Man brauchte ihn nur mit einem
willigen Weibchen zu locken. Der Köder zog immer.
Übrigens konnte er sich die Kletterpartie durch das Fenster und am
Spalier hinab sparen.
Er raspelte und feilte und drehte am Türschloß. Dann ging die Tür
unversehens auf. Knappe Pierre schaute in den Raum. Schnüffelnd
zog er die Nase kraus.
»Na, was dich fortgelockt hat, brauche ich nicht lange zu raten. Ich
rieche es noch.«
»Wenn du weiter so viel dummes Zeug redest, wird deine Nase für
die nächste Zeit komplett ausfallen. Du kriegst nämlich von mir was
drauf.«
Knappe Pierre entrüstete sich. »Ist das der Dank für meine prompte
und schnelle Hilfe?«
»Ich wäre auch so aus der Klemme gekommen«, behauptete
Knappe Louis.
»Roland hat übrigens schon nach dir gefragt!«
»Von mir aus!« Louis zog sich fertig an. Was sein Herr über ihn
dachte, war ihm beileibe nicht so gleichgültig, wie er tat.
»Sind die Sachen fertig?«
»Die haben Waidenhold und ich gepackt. Auch die Reservewaffen
und die Reservepferde sind ausgesucht und stehen bereit.«
Knappe Pierre hatte seine Zeit wahrhaftig nicht verschlafen.
Langsam kam Louis wieder zu klarem Denken.
»Bist schon in Ordnung«, raunte er dem Kameraden zu. »Wie hast
du die Tür aufgekriegt?«
»Mit einem Dietrich!«
Im Schloß waren nur die Leute wach, die zur Küche gehörten. Es
roch nach Frühstück.
Louis meldete sich bei seinem Herrn.
»Na? Ausgeschlafen, Louis?«
Waidenhold musterte den Knappen. Ein Lächeln umspielte seine
bärtigen Lippen. Der Waffenmeister brauchte keine Fragen zu
stellen. Er wußte auch so, womit Louis in der verflossenen Nacht
beschäftigt gewesen war.
»Ja.«
»Und wie heißt die ... Schöne?«
»Keine Ahnung!«
»Was? Hast du etwa über Ziel und Zweck unserer Fahrt
geplaudert?«
Louis schluckte.
Doch er blieb tapfer bei der Wahrheit. »Ich habe natürlich
angenommen, sie sei hier aus dem Schloß! Wenn ich es richtig
bedenke, so bin ich ihr auf den Leim gehüpft wie ein rechter
Gimpel.«
Nach und nach mußte Louis preisgeben, wie die Zusammenhänge
waren. Pierre und Waidenhold wandten sich ab. Ihre Schultern
zuckten, daß Roland mit dem ehemaligen Gastwirt Louis Mitleid
bekam und sich auf seine Seite stellte.
»Das hätte jedem von euch genauso passieren können. Wenn ihr
einen wehenden Rock an hübschen Beinen gewahrt, seid ihr schon
dahinter her. Eigentlich kann es jedem von uns so ergehen. Daß
Louis es nicht einmal fertig brachte, ihr die Maske abzunehmen,
spricht für die Durchtriebenheit der Frau. Daß sie ihn hierher in die
Gästezimmer lockte, könnte jede andere auch fertig bringen. Denn,
wenn die Hofhaltung keinen Besuch hat, stehen die Räumlichkeiten
ja leer. Meine Meinung ist die, daß die Dame unseren Weg nochmals
kreuzen wird, und dann müssen wir dreifach gewappnet sein. Kopf
hoch, Louis. Jedenfalls scheint sie keine Anhängerin des
Herzogtumsverwesers Sengal zu sein. Was unter Umständen ein
ziemlicher Vorteil ist. Sobald du gefrühstückt hast, brechen wir auf.«
*
So geschah es. Niemand aus Camelot verabschiedete sie. Das war
Roland genauso recht wie Volker.
Waidenhold machte den Vorreiter. Danach kam Roland auf seinem
Samum. Neben ihm ritt Volker vom Hohentwiel. Die beiden
Knappen bildeten den Schluß.
Louis mochte sich nicht besonders wohl im Sattel fühlen. Doch
seine Sinne waren in Ordnung. Er beugte sich vor, als richte er etwas
am Zaumzeug. Dabei raunte er seinem Kameraden zu: »Voraus
halbrechts steckt wer im Busch und verfolgt jede Bewegung von
uns.«
Sie hatten gerade die Grenze zum ersten Nachbarn im Westen
passiert. Das Land lag zwischen Camelot und Orplid. Die Knappen
musterten die Ritter und den voraus trabenden Waidenhold. Roland
und Volker war offenbar nichts aufgefallen. Der Waffenmeister
mußte mit seinen Gedanken ebenfalls ganz woanders sein, als bei
dem augenblicklichen Unternehmen.
Wahrscheinlich rechnete niemand damit, so nahe bei Camelot
angegriffen zu
werden. Vielleicht würden die unsichtbaren
Beobachter auch gar nicht angegriffen haben. Doch Knappe Louis
brachte die Dinge ins Rollen. Er hielt die Ungewißheit nicht mehr
aus.
»Das will ich genau wissen.«
Er sprengte ohne weitere Erklärung auf den Buschrand zu. Er sah
nichts. Hatte er sich etwa nur eingebildet, daß da jemand auf der
Lauer liege? Er untersuchte das kugelig gewachsene
Brombeergebüsch. Und er gewahrte die leichten Druckstellen im
Gras. Überhaupt, dieses Gras hatte es in sich. Es war so niedrig
gehalten, als hätten verschiedene Rehrudel hier ihren Lieblingsplatz
zum Äsen.
Knappe Louis lächelte. Er erkannte das Quadrat im Gras. Da hatte
irgend jemand, der sich auf dergleichen Dinge verstand, einen
Unterschlupf gebaut. Lief der Beobachtungsposten Gefahr, entdeckt
zu werden, brauchte er nur den in den Rasen säuberlich
eingebastelten Deckel zu lüften, ins Versteck zu kriechen und
abzuwarten, bis die Luft wieder rein war.
Louis band sein Pferd an. Dann ging er auf Zehenspitzen zu dem
Quadrat im Rasen. Behutsam griff er zu. Klappte dann mit
energischem Griff die Abdeckung hoch und schnellte gleichzeitig
mit dem Oberkörper zurück. Es brachte wenig ein, etwaigen
Schützen ein Ziel für ihre Pfeile zu bieten.
Die Kalkulation stimmte. Das Viereck ließ sich tatsächlich
hochklappen. Treppenstufen kamen zum Vorschein. Sie waren
sauber mit Holzleisten versehen. Die Konstruktion war von
jemandem gebaut worden, der sein Fach verstand.
»Komm raus, wer du auch sein magst, Kamerad.«
Louis Stimme hallte in dem ausgebauten Erdloch wider. Dem
Knappen wurde unbehaglich. Er pfiff schrill auf den Fingern. Das
Signal erreichte alle, die zur Gruppe gehörten. Waidenhold verhielt
auf der Stelle. Volker und Roland indes, die beiden Ritter, trabten
neugierig heran.
»Das kennen wir doch. Sollte man glauben, daß sich Finnmarker
so nahe bei Camelot herumtreiben?«
Urplötzlich fegten dicht hintereinander drei grellbunte Wollknäuel
aus dem Loch. Krummschwerter blitzten um die Wette mit kurzen
Jagdlanzenspitzen. Stahl klirrte gegen Stahl. Die drei vornehmlich in
rot und blau gekleideten, kleinwüchsigen Männer fielen über Louis
her. Offenbar glaubten sie, es nur mit ihm zu tun zu haben. Sie taten
baß erstaunt, als ihnen plötzlich vier Männer gegenüberstanden.
Waidenholds Aufmerksamkeit wurde durch das, was er da verfolgen
mußte, absolut gefesselt.
»Gebt ihnen, was sie brauchen.« Seine Donnerstimme hallte durch
den Wald.
Die Drei, welche da aus dem Versteck gekommen waren, hatten
Erfahrung.
Das wurde den Cameloten bereits nach den ersten Schwerthieben
klar.
Die Buntgekleideten stellten sich so auf, daß einer den ändern
abschirmte. Sie standen Rücken an Rücken. So bildeten sie eine
Einheit, der schwer beizukommen war.
Waffenmeister Waidenhold hielt es nicht mehr aus, nur Zuschauer
zu sein. Er sprengte herbei.
»Wer wird sich denn von solchem Prachervolk lang aufhalten
lassen?«
Sprach's und schleuderte seine Streitaxt, die Franziska. Mit Würfen
dieser Waffe hatte Waidenhold stets Glück. Das heißt, er besaß
hinlänglich Erfahrung im Umgang mit der Streitaxt. Es verging kaum
ein Tag, ohne, daß Waidenhold übte. Das Beil wirbelte durch die
Luft. Die breite Schneide blitzte im Tag. Der Stahl riß die
Dreiergruppe der Finnmarker auseinander. Der Mann, auf welchen
Waidenhold gezielt hatte, sank zu Boden. Die beiden übrigen
kümmerten sich nicht weiter um den Gefallenen. Hitzig drangen sie
auf die Cameloten ein. Sie hatten Bewegungen und Mienen, als seien
sie bereit und fähig, es mit der ganzen Welt aufzunehmen.
Der Strauß war so plötzlich über sie gekommen, daß keiner der
Männer um Ritter Roland seinen Helm oder die Sturmhaube hatte
aufsetzen können. Sogar Waidenholds Helm baumelte am
Sattelknauf. Louis wurde dieser Mangel als erstem schmerzhaft
deutlich. Zischend umfächelte eine scharfe Klinge seinen Kopf. Das
Haupthaar wurde ihm auf Spannenlänge gestutzt. Daneben begannen
seine Ohrspitzen unvermittelt so zu brennen, als seien sie loderndem
Feuer zu nahe gekommen.
»Meiner Seel, Louis, der ungehobelte Waldkater aus dem Norden
spitzt dir die Ohren an.«
Verunstaltungen gerade der Ohren galten als denkbar großer
Schimpf. So wurden unverbesserliche Betrüger dadurch kenntlich
gemacht, daß der Henker ihnen Kerben in die Ohrspitzen schnitt.
Nach der dritten Verurteilung wegen des gleichen Betrugsdeliktes,
ging ein Ohr verloren. Begegnete man in jenen Zeiten jemandem, der
keine Ohren mehr hatte, so war man schon durch diesen
Augenschein hinreichend gewarnt. Auch wenn einer durch kein
Zureden dazu zu bringen war, die Kopfbedeckung abzusetzen, so
hieß das, daß man einen vor sich hatte, der von irgendeinem
Scharfrichtersknecht zum Schlitzohr gemacht worden war.
Louis brüllte wie ein Stier, den rote Wut überkommt.
»Euch werde ich's zeigen.«
Er drang auf die Finnmarker ein wie das Wetter, das dem
Sonnentag zu Leibe geht. Und er hatte Glück. Sein Gegner wollte
besonders schlau sein und Louis unterlaufen. Doch das Manöver
klappte nicht. Der Finnmarker rannte voll ins Schwert des Knappen.
Das verhalf Louis zu einem leichten Sieg.
Roland brauchte genausowenig einzugreifen wie sein Freund
Volker. Waffenmeister Waidenhold preschte wie das schwere Wetter
heran. Doch auch ihm blieb nichts mehr zu tun. Knappe Pierre hatte
den letzten Gegner angenommen und geworfen. Er fiel mit einem
wahren Netz von Schwerthieben, Dolchstößen, Fußtritten und
Flüchen über den Finnmarker her. Er sah einem Berserker ähnlich.
Schaum stand vor seinem Mund. Genauso, wie man es jenen Recken
nachsagt, die erst durch den Genuß von reichlich Bilsensaft in die
Stimmung gerieten, die sie ihre Schlachten so siegreich schlagen
ließ. Der Finnmarker ging zu Boden.
Die drei Finnmarker als Bollwerk waren beseitigt. Ritter Roland
sah zuerst, was da jetzt als Nächstes auf sie zukam. Als seien sie glatt
aus dem Erdboden gewachsen, sperrten Reiter den Weg der
Cameloten. Louis zählte die Gegner. Er kam auf zwanzig stämmige
Männer. Sie hockten in der für Finnmarker typischen Weise im
Sattel. Vornüber gebeugt und mit denkbar hochgeschnallten
Steigbügeln. Das gab ihnen das Aussehen von reitenden Affen.
Würden sie zu Pferde angreifen? Da kamen die Herren aus Camelot
hübsch ins Gedränge. Denn jeder hatte vier Gegner.
Die rotblau gekleideten Finnmarker glitten aus den Sätteln. Wie
verabredet nahmen sie die Hornbogen vom Rücken. Die straff
gespannten Sehnen schrillten, als die kurzschäftigen, gefiederten
Pfeile darauf gelegt wurden. Ritter Roland und seine Freunde
verschanzten sich blitzschnell hinter den Schilden. Sirrend kamen die
Pfeile an. Nur Roland und Waidenhold hielten die Schilde instinktiv
so, daß die Geschosse abprallten. In die Schilde der ändern drangen
die Pfeile ein. Roland und seine Freunde stapften voran. Als erster
ging Ritter Roland. Dann kamen Volker und Waidenhold. Die beiden
Knappen machten den Schluß.
Wieder zischte eine Ladung Pfeile heran.
»Schräg halten«, kommandierte Roland. Sie folgten der Weisung.
Und prompt sirrten die abprallenden Geschosse himmelwärts. Sie
landeten irgendwo im Wald. Dreimal noch wehrten die aus Camelot
die Pfeilsalven ab. Dann waren sie am Mann. Beim ersten Klang
aufeinander prallenden Stahls scherten die Knappen aus. Sie
sicherten die Flanken. Roland, Volker und Waidenhold wurden tätig.
Ihre Schwerter mähten über die Nordmarker. Die Finnmarker
ihrerseits versuchten, aus ihrer Übermacht Kapital zu schlagen,
solange sie noch in der Überzahl waren. Das Vorhaben gelang nur
halb. Denn die Knappen Louis und Pierre verhinderten, daß die
Nordmarkmänner den Rittern und dem Waffenmeister in den Rücken
fielen.
Nach dem ersten Zusammenprall standen nur noch fünfzehn
Finnmarker gegen die Cameloten. Es dauerte nicht lange, da waren
weitere fünf Nordleute ausgeschaltet. Dann fochten sie gleich stark
fünf gegen fünf. Geschrei und Kampfeslärm erfüllten den Wald und
das Land.
Obschon er kämpfte und dabei alle Wachsamkeit seiner Sinne
brauchte, vergaß Waidenhold nicht, die Umgebung zu mustern. So
bemerkte er, daß zwei Reiter in höchster Gangart durch den Wald
sprengten. Sie mußten die Hufe ihrer Pferde so präpariert haben, daß
der für Galopp typische Hufschlag fast unhörbar wurde. Waidenhold
deutete mit dem Schwerte dahin. »Schau einmal nach, was es mit den
Vögeln auf sich hat, Louis.«
Im Nu hatte Knappe Louis erfaßt, um was es da ging. Ein
gewappneter Mann und eine Frau strebten dort in sichere Weiten.
Eine Frau! Siedendheiß fiel dem Knappen seine Bettgenossin ein, die
sich so gekonnt empfohlen hatte. Louis schlug seinem Pferd die
Zügel ermunternd auf den Hals. Er war mit einem Satz in den Sattel
gesprungen. Das Pferd wieherte gellend laut, ging hoch, drehte sich
auf der Hinterhand und bewegte sich dann genau in die Richtung,
welche Louis angab.
»Hei, die haben wir gleich.«
Louis Versprechen kam etwas zu voreilig. Denn das Paar, welches
er verfolgen wollte, gehörte zu denen, welche vom Reiten wirklich
etwas verstehen. Außerdem waren sie listig. Sie schlugen Haken wie
gescheuchte Hasen.
Unvermittelt waren sie verschwunden. Louis wußte, daß
Finnmarker und alle, die zu ihnen gehören, äußerst tückische
Menschen sind. Der Knappe wurde langsamer und vorsichtiger. Er
untersuchte den weichen Waldboden nach Spuren. Hier und dort und
drüben sah er genau, wo die beiden Flüchtlinge auf ihren flinken
Pferden geritten waren. Urplötzlich brach die Spur ab. Gab es hier
einen Zugang zu dem Versteck, das er drüben entdeckt hatte? Oder
lauerten sie etwa hinter dem Kuschelgesträuch dort am Rand der
Lichtung?
Ehe Louis dazu kam, einen Entschluß zu fassen, flog etwas
Dunkles durch die Luft. Es taumelte wie das Verhängnis selber
klobig auf Louis zu. Der Knappe wurde am Kopf getroffen. Ohne
einen Laut schwankte er nach rechts, glitt nach links und rutschte aus
dem Sattel. Sein Pferd beschnupperte ihn. Im Gras lag ein
Streitkolben, ein Instrument ähnlich einem Morgenstern. Offenbar
hatte Louis Glück im Unglück gehabt. Denn der Streitkolben hatte
seinen Kopf mit dem stumpfen Stiel getroffen. Wäre die Waffe mit
dem runden, stachelbesetzten Waffenigel gelandet, niemand auf der
Welt hätte Louis noch retten können.
Waffenmeister Waidenhold war als erster bei dem Knappen. Er
wies Pierre an.
»Halt die Augen offen. Sonst fallen die noch mit Pfeilen über uns
her. Von Finnmarkern ist alles zu erwarten, nur nichts Gutes.«
Inzwischen hatten die Finnmarker endgültig verloren. Die letzten
zwei ergaben sich. Sie konnten sich Roland und Volker verständlich
machen und wußten auch genug von ritterlichem Brauch.
»Wir bitten um Quartier.«
Ihre Sprache war kehlig hart. Sie ließen ihre Waffen fallen und
hoben die Arme hoch. Alle beide trugen hervorragend gearbeitete
Kettenhemden.
Da sie sich in der vorgeschriebenen Form ergeben hatten, stand
ihnen schonende Behandlung zu.
»Wenn wir Gefangene mit uns schleppen, belasten wir uns mehr,
als die Mission verträgt.«
»Wir können sie auch nicht nach Camelot zurückschaffen. Es muß
irgendwo in der Nähe, im nächsten Dorf zum Beispiel, eine
Möglichkeit geben, sie zu verwahren, bis wir heimreiten.«
Zunächst trieben sie die beiden Nordmarker dorthin, wo
Waidenhold den vom Pech betroffenen Louis untersuchte.
Der Waffenmeister brummte:
»Es hat ihn ziemlich derb erwischt, doch es ging nicht ans Leben.
Drei Wochen Bettruhe, und er ist wie neu.«
Man würde den guten Louis dort lassen, wo die beiden Gefangenen
ihre Verwahrung fanden.
Verwahrung. Dorf. Siedlung. Das war leicht gedacht, aber recht
beschwerlich zu finden.
Waidenhold half dem Knappen Pierre, die erbeuteten Waffen zu
verladen.
Für Louis wurde eine Trage gezimmert. Zwei Reservepferde
trugen das Gestell zwischen sich. Es ging weiter.
Die Sonne stand hoch am Himmel.
*
Sie brauchten einen vollen Tag, bis das erste Dorf in Sicht kam. Die
Männer und Frauen arbeiteten gemeinsam mit den Kindern auf den
Feldern. Jetzt war die Zeit, wo das Gemüse geerntet wurde.
So ganz sicher mußten sich die Menschen nicht fühlen. Sie hatten
jedenfalls Wachen aufgestellt. Die meldeten die Gruppe aus
Camelot. Die Menschen steckten die Köpfe zusammen. Dann
bildeten sie drei, vier Gruppen. Sie sahen Ritter Roland und seiner
Begleitung entgegen. Roland hob grüßend die gepanzerte Hand, als
er seinen Samum zügelte. Die Menschen rückten noch enger
zusammen. Ihre Augen blickten ernst. Angst ging von ihnen aus.
Roland trug sein Anliegen vor und bot Bezahlung aller
Aufwendungen und Mühen an.
Sie winkten ab.
»Wenn wir etwas für euch täten, so geschähe es aus Mitgefühl und
bedürfte keines besonderen Lohnes. Doch wie die Dinge liegen ...«
Sie wollten nicht heraus mit der Sprache. Ritter Roland fragte
ihnen ihre Sorgen geduldig ab. Es war so, daß sie die Kriegsmacht
Orplids fürchteten.
»Sind die bunten Krieger der Orpliden denn schon hier im
Grenzland gewesen?«
Sie bestaunten die Arglosigkeit, mit welcher Ritter Roland fragte.
»Sie kommen regelmäßig. Und sie erheben sogar Steuern bei uns.
Wer sich weigert, zu bezahlen oder für sie tätig zu werden, hat gar
bald Grund, seine Haltung zu bedauern.«
Es mußte Beispiele dafür geben, daß die aus Orplid mit
ausgesprochener Härte gegen alles vorgingen, was sich ihnen in den
Weg stellte.
»Was sollten wir dagegen tun? Etwa den großen König in Camelot
um Beistand bitten?«
So fragten einige. Andere drückten sich noch klarer aus.
»König Artus in Camelot feiert Feste und hält auf seiner prächtigen
Burg Turniere ab. Der ist außerdem mit den Machthabenden in
Orplid verwandt. Er wird nichts gegen sie unternehmen.«
Ritter Rolands Gesicht wurde zornrot.
»Recht oder Unrecht. Danach urteilt der König, dem ich mich
verschrieben habe. Niemals wird er auf Verwandtschaft Rücksicht
nehmen. Das sollte eigentlich jeder wissen, der Camelot kennt.«
Die Leute sagten offen, wo sie der Schuh drückte. Kein Zweifel,
sie sagten die Wahrheit. Danach mußte es so sein, daß die Orplider
auch hier durch Agententätigkeit und direkten Einsatz auf die völlige
Besetzung des Landes hinarbeiteten.
Je länger sie zuhörten, desto unwilliger wurden die Mienen
Rolands und Volkers. Waidenhold, der Waffenmeister, sprach das
erlösende Wort.
»Gut, daß ausgesprochen ist, wohin dieser Ortwin Sengal und seine
Kräfte zielen. Jetzt wissen wir, wo wir ansetzen müssen, um den
Feind wirkungsvoll zu packen.«
Waidenhold machte eine Geste, als werfe er irgend etwas fort.
»Laßt denen hier ihre Ruhe, wenn sie fürchten, wir unterlägen
gegen den Feind. Sie werden dann auch nicht an unserer Seite sein
und mit uns feiern, wenn wir über die Gegner triumphieren. Im
nächsten Dorf finden wir willigere Helfer.«
Die temperamentvolle Art, in der Waidenhold sprach, forderte den
Widerspruch der Dörfler heraus.
»Wer sagt denn, daß wir denen aus Camelot Hilfe versagen? Es
muß doch erlaubt sein, eins gegen das andere abzuwägen, oder?«
Die Belohnung, welche Ritter Roland angedeutet hatte, lockte,
mochten sie das auch noch so energisch und weit von sich weisen.
Sie betonten, eigentlich mit König Artus und den Seinen stets gute
Erfahrungen gemacht zu haben. Ihre Augen funkelten begehrlich. Es
wollte ihnen so schnell nicht einfallen, wie sie den Ritter dazu
bringen konnten, eine etwaige Belohnung wieder ins Gespräch zu
bringen.
»Der König aus Camelot war immer ein großzügiger Herr. Laßt
den Verwundeten und den Gefangenen bei uns, ihr Herren. Wir
wollen beides gut pflegen und versorgen, bis sie abgeholt werden.«
Roland nahm an. Er wählte mit Bedacht ein Hofwesen, welches
mitten im Ort lag. Hier war im Handumdrehen Hilfe zur Stelle, wenn
beispielsweise die Orplidkrieger auftauchten.
Um ganz sicher zu gehen, versprach Roland gebührende
Bezahlung, sobald Louis und die gefangenen Nordmarker abgeholt
wurden. Als Vorschuß gab er dem Besitzer des Hauses einen
Golddukaten.
Mit einem weiteren Dukaten wandte Roland einen ganz
besonderen Trick an. Er hielt die blitzende Münze hoch. Dann packte
er mit beiden Händen zu. Es war ihm nicht anzusehen, ob das, was er
da tat, schwer oder leicht war. Das Goldstück brach plötzlich in zwei
ziemlich gleiche Stücke. Eines warf Roland dem Hausbesitzer zu.
»Für den Fall, daß ich selber nicht kommen kann, wird der, den ich
schicke, sich durch das halbe Goldstück ausweisen. Du brauchst die
beiden Hälften nur gegeneinander zu halten. Klar?«
»Vollkommen verstanden, Herr Ritter.«
Es stand dem Hausbesitzer auf der Stirn, daß er diese Goldmünze,
die Roland aus Camelot vor ihrer aller Augen zerbrochen hatte,
niemals hergeben würde.
Erstaunlich, wie sehr das Beispiel Schule machte. Jetzt boten sich
immer mehr an. Sie erklärten, grundsätzlich helfen zu wollen und
überhaupt mit dem Herzen auf Seiten der Cameloten zu stehen. Brot
und Salz, die uralten Zeichen guter, gastlicher Aufnahme, wurden
gebracht. Ritter Roland und seine Begleiter nahmen davon.
»Bleibt noch bei uns. Vielleicht ist morgen schon der Zustand
eures Kameraden so, daß er mit euch weiterziehen kann.«
Roland winkte ab.
»Schönen Dank, aber das geht leider nicht. Wir haben schon zuviel
Zeit verloren. Was ich noch fragen wollte, war da in letzter Zeit eine
Frau mit den Sendboten Orplids unterwegs und hat bei euch hier Rast
gemacht?«
Sie antworteten völlig arglos. »Eine Frau? Nie. Manchmal zogen
schon Mädchen von hier und da mit den Nordmarkern. Doch das
waren immer andere Begleiterinnen.«
Die Orplidischen Krieger erschienen nur, um Steuern zu erheben
oder Naturalien zu beschlagnahmen.
»Auch auf gute Pferde waren sie erpicht. Damit aber konnten wir
leider so gut wie nie dienen. Wir sind Fischer. Die freie Zeit füllen
wir mit Ackerbau aus. Der eine oder andere hält auch Kühe und
Ziegen. Der Milch wegen.«
Pierre trennte sich nur schwer von seinem Kameraden.
»Wer soll unseren Louis pflegen? Er ist doch so gut wie hilflos.«
Ritter Roland blieb bei den einmal getroffenen Anordnungen.
»Louis ist zäh und weiß sich wohl zu helfen.«
»Und wenn sich wer, der im Sold der Orplidischen steht, an ihm
vergreift?«
»Waidenhold wird es schon nicht an eindrucksvollen Mahnungen
fehlen lassen, wie ich ihn kenne.«
Während er das sagte, sah Roland seinen Waffenmeister
bedeutungsvoll an. Waidenhold verstand. Jetzt, wo die Dörfler
ziemlich komplett versammelt waren, ließ sich eine Darbietung
anbringen, welche auch Übelgesinnte zu Wohlverhalten bringen
konnte.
Die stärksten Dörfler herauszufinden, war ein Kinderspiel, welches
auf den ersten Blick gelang. Zwei davon standen zufällig dicht
nebeneinander. Waidenhold ging auf die beiden zu.
»Nichts für ungut!«
Schon hatte er die Männer gepackt. Da half kein Zappeln und kein
Sträuben. Sie wurden hochgestemmt und nach allen Seiten
geschwenkt. Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten,
machten sie die Mienen von Männern, welche einer schweren Gefahr
entronnen sind. Waidenhold aber war mit seiner Demonstration noch
nicht fertig. Er zeigte auf die uralte Linde mitten auf dem Dorfplatz.
Irgend jemand hatte den dicken Stamm mit einer Zielscheibe
versehen.
»Wetten, daß mein Speer genau den schwarzen Punkt in der Mitte
trifft?«
Es meldete sich niemand, der hätte wetten wollen. Waidenhold
holte aus und warf seinen Speer. Wie angesagt, fuhr die schmale
Framspitze mitten ins Scheibenzentrum.
Die Männer spendeten Beifall. Auf diese Weise hofften sie, den so
unbändig starken und erfahrenen Waffenmeister freundlich zu
stimmen. Waidenhold lachte.
»Jetzt schaut genau hin. Meine Franziska wird den Ger-Schaft in
der Mitte treffen und spalten.«
Der Waffenmeister holte kurz aus. Wuchtig flog die Streitaxt. Sie
wirbelte nicht, sondern traf mit der Schneide voran den Speer. Der
Eschenschaft wurde gespalten. Die Axt fuhr noch so tief ins
Lindenholz, daß keiner der Dorfmänner die Waffe herausziehen
konnte. Vergeblich forderte Waidenhold sie auf, alle Scheu
abzulegen und kräftig zuzupacken. Schließlich legte der
Waffenmeister selber Hand an. Es war ihm keine Anstrengung
anzusehen. Doch es dauerte lange, bis die Axtschneide mit einem
ächzenden Laut sich vom Lindenholz trennte. Waidenhold steckte
die »Franziska« an ihren Platz im Wehrgehänge. Raunen erhob sich
ringsum. Die Männer beneideten Waidenhold seiner Stärke wegen,
die Frauen bewunderten ihn.
Die Dörfler schworen, auf Louis und die Gefangenen so
achtzugeben wie auf ihren Augapfel.
Die letzte Weisung, welche die Dörfler von Ritter Roland
bekamen, war die, die Walstatt im Walde aufzuräumen und die
Gefallenen zu beerdigen.
Die Menschen gaben ihnen das Geleit bis tief in den Wald.
»Glück und Segen sei mit euch!«
»Kommt gesund zurück.«
»Denkt an eure Freunde in Reusenbach.«
So hieß das Dorf.
Zwei Tage später waren sie in Orplid. Dort, wo vordem die Burg
Herzog Berwins gestanden hatte.
Waffenmeister Waidenhold blies die Lure. Jeder sollte wissen, daß
Freunde kamen. Die Signale waren unüberhörbar. Dennoch zeigte
sich kein Mensch zur Begrüßung der Gäste aus Camelot. Das
Burgdorf in Orplid schien glatt ausgestorben zu sein. Hier und dort
spähten neugierige Augen scheu um Häuserecken.
Die aus Camelot hielten vor dem Mahlhaus, welches Herzogin
Inger als Not- und Ausweichquartier hatte dienen sollen.
Die Burg sah so aus, wie sie sie vom Winter her in Erinnerung
hatten. Da war nicht einmal aufgeräumt worden. Ritter Roland fiel es
schwer, das Unbehagen zu zügeln, welches ihn befiel. Volker vom
Hohentwiel hatte einen hochroten Kopf.
»Das geht nie und nimmer mit rechten Dingen zu. Da muß irgend
etwas vorgefallen sein.«
Da die Menschen sich nicht blicken ließen, mußten die Cameloten
zu den Einwohnern in ihre Häuser gehen. Sie wurden empfangen, als
seien sie wahre Teufel oder doch mindestens mit dem bösen Blick
behaftet. Die Menschen machten gar seltsame Zeichen und Ge-
bärden. So hielten die Orplider die gespreizten Finger der rechten
Hand vor ihre Augen. Die linke Hand wies zugleich gestreckt und
geschlossen zu Boden. Das sollte vor allem Ungemach schützen, wie
zuversichtlich geglaubt wurde.
»Affentheater.« Ritter Roland machte keinen Hehl aus seiner
Kritik. »Wollt ihr uns nicht endlich sagen, wo sich eure Frau
Herzogin aufhält?«
Das wußte angeblich keiner. Weder im Burgdorf noch sonstwo.
Ritter Roland wollte Gewißheit. Er hörte nicht auf zu fragen.
Volker tat es ihm gleich. Ihn drängte es, der Herzogin zu helfen und
die schöne Witwe aus allen Schwierigkeiten zu erlösen.
»Wir wissen nichts.«
Das ließen Roland und sein Freund Volker nicht gelten.
»Es müssen doch einige unter euch sein, die früher zum Hofstaat
gehört haben.«
Grundsätzlich stimmte die Kombination wohl. Doch ob Zufall oder
genau berechnete Absicht, es war niemand vom Burgpersonal mehr
im Ort. Von der Herzogin-Witwe wußten sie nur, daß Inger samt
ihrem Söhnchen kurz nach dem Brand verreist war. Was konnten
einfache Menschen wie sie von den Plänen, die Absichten und
Wünschen so vornehmer Herrschaften wie der Herzogin-Witwe
wissen, der doch alles Land in Orplid gehörte?
Volker vom Hohentwiel begann, ganz anders zu fragen.
»Wo hat Ortwin Sengal sein Hauptquartier?«
Auch darüber bekamen sie nirgendwo sofort Auskunft. Ortwin
Sengal mochte ein fähiger Militär sein, doch beliebt war er in Orplid
auf gar keinen Fall.
Ritter Roland und seine Begleiter wären noch sehr lange über die
Situation in Orplid im unklaren geblieben, hätte sich nicht just in
diesem Augenblick vor der Mühle und weiter weg in der Nähe der
ausgebrannten Burg ein Höllenlärm erhoben.
Rauhe Stimmen schrien laute Kommandos.
»Zusammen bleiben!«
»Wer sich entfernt, wird aufgehängt.«
Neugierig sahen Roland und Volker nach draußen.
*
Was sie da wahrnahmen, sah zwar lustig aus, war indes von den
Männern, die dadurch betroffen wurden, gar nicht lustig gemeint.
Kam da ein langer Zug von Männergestalten des Weges. Sie
marschierten in Doppelreihe. Jeder war mit dicken Stricken an seinen
Nebenmann gefesselt. Auch verbanden raffiniert geschlungene
Knoten jeden in dem Zug mit dem Vorder- und dem Hintermann.
Rechts und links der Doppelreihe ritten blaurot gekleidete Reiter
auf kleinen, flinken Pferden.
Kaum hatten die Begleitreiter die Pferde Rolands und seiner
Gruppe gesehen, da wollten sie die Tiere unbedingt haben. Roland
hörte seinen Samum wiehern.
»Moment. Das darf doch nicht wahr sein!«
Ritter Roland sah sofort nach. Es ging inzwischen nicht mehr nur
um die Pferde. Pierre sowie Waidenhold befanden sich im Gedränge.
Den blauroten Reiter, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, Samum
mitzunehmen, wehrte Waidenhold zunächst ab. Doch als der
krummbeinige Mann den Waffenmeister mit der langen, derben
Treiberpeitsche schlug, riß Waidenholds Geduld.
Er griff zu. Sobald er die Peitschenschnur einmal gefaßt hatte, zog
er das Leder wie einen Strick ein. Zwangsläufig kriegte er das, was
am Griff der Peitsche hing, in die Fäuste. Den zornbebenden
Nordmarkreiter, der es nicht fassen konnte, daß der Graubart nicht
ängstlich vor ihm kroch. Waidenhold sprach den Mann in dessen
Landessprache an. Das erhöhte den Zorn des Peitschenträgers und
ließ ihn regelrecht Gift und Galle spucken. Letzteres sollte wörtlich
genommen werden. Waidenhold tat indes nicht das, womit der
Nordmarker wohl gerechnet hatte. Das heißt, er ließ ihn nicht los. Im
Gegenteil. Jetzt geriet der Mann aus der Finnmark erst richtig in
Waidenholds Griff. Der Waffenmeister knurrte grimmig:
»Ich sehe, du gehörst zu den bedauernswerten Geschöpfen, die
mehr gefüttert, als erzogen worden sind. Das wollen wir gleich
nachholen.«
Sprach's und ohrfeigte den ausgewachsenen Mann, daß es seine
Art hatte. Rechts und links. Dann warf er den Finnmarker so fort wie
ein beschmutztes Stück Papier.
»Lauf. Wenn ich dich nämlich nochmal zwischennehme, so
kommst du nicht so billig davon, das sei dir versprochen.«
Der Nordmarkmann, der zuvor schon sein Pferd verloren hatte,
machte tatsächlich, daß er weg kam. Erst aus sicherer Entfernung
hob er drohend die Faust. Schimpfte.
»Ich geh dir schon noch heraus. Und was die Drohung angeht, ich
würde in euer sogenanntes Heer aufgenommen, so werden eure
hohen Herren wenig Freude an mir haben.«
Schon war der nächste Interessent von Samum abzuhalten. Doch
da erschien auch bereits Ritter Roland auf dem Plan. Er erfaßte die
Lage mit einem Blick. Er trat ohne Fragen den Finnmarker, der von
seinem Pferd geklettert war, um gleich Samum zu besteigen, denkbar
kräftig ins verlängerte Rückgrat.
»Dir werd ich Manieren beibringen und zeigen, was bei uns auf
Pferdediebstahl steht.«
Waidenhold spendierte Beifall.
»Zeig es ihm, Herr. Mit denen kannst du nicht hart genug
umgehen. Diese Sprache verstehen sie.«
Der Unglückszug, welchen die Reiter begleiteten, kam ins Stocken.
Es dämmerte denen aus Camelot. Das Volk von Orplid mied heute
deshalb die Straßen und Plätze, weil rekrutiert wurde. Die Armee
brauchte Nachwuchs.
Waidenhold fand die Lösung, die allen half. Mit einer Stimme, die
laut war wie ein Sturmhorn, brüllte er.
»Hände weg von unserem Eigentum und Hände weg von uns
selber. Es wäre für uns ein Kinderspiel, euch Finnmarker so zu
versohlen, daß euch Hören und Sehen verginge. Doch wir wollen
niemanden kränken oder gar schädigen, der zu Ortwin Sengals
Armee gehört.«
Ortwin Sengal. Der Name, welcher anderenorts alles andere als
eine Empfehlung war, wirkte hier Wunder. Die Streitlust und die
diebische Gier der Nordmarkmänner war gebändigt. Sie schalteten
um und waren plötzlich die Freundlichkeit in Person. Es mochte eine
falsche Freundlichkeit sein, doch mit ihr ließ sich leichter und wohl
auch besser leben, als wenn sie sich mit ihren Schwertern hätten
durch die orplidischen Heermassen hätten durchklopfen müssen, bis
sie der Zufall endlich zum Oberbefehlshaber aller Bewaffneten
führte.
Waidenhold machte den Dolmetscher. Alle blaurot gewandeten
Finnmarker versammelten sich. Neugierig hörten sie zu.
Fragen flogen geschwind hin und her.
»Das sind Ritter aus Camelot?«
Dem, der die Frage stellte, stand deutlich genug in den Augen, daß
er dachte: Laßt nur! Auch Camelot gehört uns eines Tages.
Ein anderer meinte: »Die wollen mit uns zum Oberbefehlshaber
reisen?«
»Laßt sie ruhig. Besser und schneller als wir, kann ihnen wohl
niemand den Weg zu Ortwin Sengal zeigen.«
Die Blicke, welche sie hinter dem Rücken der Cameloten einander
zuwarfen, besagten: - Das müssen ja besonders dumme Hühner sein,
welche dem Fuchs den Einbruch in den Hühnerstall ersparen und
selber in seine Höhle wandern! - Waidenhold wußte recht genau, was
die Finnmarker dachten. Er seinerseits machte sich ebenfalls seine
eigenen Vorstellungen. Man würde ja sehen, wer am Ende Recht
behielt. Der Waffenmeister in seinem absolut gesunden
Selbstbewußtsein setzte auf Ritter Roland und seine Begleitung.
Sehr zu ihrem Nachteil hatten ein, zwei Dutzend Männer in
wehrfähigem Alter ihr Versteck verlassen. Sie mochten den Lärm im
Ort gründlich mißverstanden haben und der Meinung sein, sie hätten
nunmehr von den Rekrutierungsmannschaften nichts mehr zu
befürchten. Die blauroten Nordmarker kassierten sie sofort. Da gab
es an allen Ecken lautes Wehegeschrei. Ja, Frauen und Mädchen
boten sich den Nordmarkern zur Kurzweil an, wenn sie bereit wären,
den Mann, um den es den Weibsleuten ging, frei zu lassen.
»Ich sehe deutlich, in Orplid geht es drunter und drüber«, sagte
Ritter Roland.
Volker vom Hohentwiel stimmte dem Freunde zu.
»Um so größere Eile sollten wir entwickeln, Herzogin Inger
beizustehen. Ich kann mir nicht helfen, aber das größte Übel scheint
mir für das Land Orplid von diesem Ortwin Sengal auszugehen.«
»Möglich.«
Hier und da wollte der Handel »schnelle Liebe« gegen Freiheit
eines Mannes wohl klappen. Doch Waidenhold fuhr dazwischen.
Mochte dies auch noch so sehr gegen den Wunsch und Willen der
Nordmarker gerichtet sein. Er schimpfte mit den Frauenzimmern.
»Nichts da. Schämt ihr euch nicht, euch mir nichts dir nichts mit
solchen Teufeln einzulassen?«
Ein Nordmarker mit besonders breitem Rücken und von extrem
störrischem Wesen stellte sich gegen Waidenhold. Er griff den
Waffenmeister an.
Das bekam dem Nordmarker denkbar schlecht. Waidenhold gab
ihm eine Maulschelle, daß der Mann meterweit zur Seite flog. Er
rappelte sich aber unverdrossen auf und wollte nicht einsehen, daß er
verloren hatte. Er zog seinen »Pucko« diesen kurzen, starkklingigen
Finndolch, und drang auf Waidenhold ein.
Der Waffenmeister sah ihm gelassen entgegen. »Komm nur«, sagte
er lockend. »Komm her und du wirst in zwei Minuten bei mir mehr
zu lernen haben, als in den Jahren deines Lebens zuvor.«
Der Finnmarker griff an. Unmittelbar vor dem Mann wechselte der
Dolch in die andere Hand. Dieser Trick aber irritierte den
Waffenmeister nicht.
Waidenhold erwartete den Angriff. Und er fing ihn ab. Ehe der
Nordmarker sich versah, hatte der Waffenmeister dem Feind schon
die Waffe abgenommen.
Der Finnmarker wollte immer noch nicht aufgeben. Er zog das
Schwert, ein besonders schön gearbeitetes Stück. Schon hatte
Waidenhold die Axt zur Hand. Die Franziska wippte in seiner Faust.
»Du kannst dir auch einen gespaltenen Schädel holen, wenn dir
unbedingt danach ist. Es wäre klüger, wenn du einsähest, daß du
verloren hast.«
Sieh einer an. Der Nordmarker war entweder kluger Einsicht fähig
oder aber es handelte sich bei ihm um ein besonders durchtriebenes
Stück seiner Art.
Von einer Sekunde zur ändern wich jeglicher Zorn aus seinen
Mienen. Er lachte so breit, als gedenke er, die eigenen Ohren zu
verspeisen. Blitzschnell steckte er seinen Dolch weg. Und hielt
Waidenhold gar die Hand hin.
»Schlag ein, Kamerad. Als Verwandter der Herzogin ist euer
König Artus ja so etwas wie ein Verbündeter für uns. Wir wollen
Freunde sein. Einverstanden?«
Der Stimmungswechsel mochte andere beeindrucken. Bei
Waidenhold kam das weniger an. »Von mir aus.«
Es stellte sich heraus, daß der Gegner des Waffenmeisters in den
Reihen seiner blauroten Kameraden etwas zu sagen hatte. Jedenfalls
hörten die anderen auf ihn.
Waidenhold verlangte: »Ich will nicht, daß sich eure Männer am
hellichten Tag und unter unseren Augen mit unseren Weibern
vergnügen. Stell das also ab und sieh zu, daß sie sich zurückhalten.«
Vier, fünf Sätze in einer Sprache, die nicht einmal Waidenhold
kannte. Murrend fügten sich die Finnmarker. Sie hatten hinfort für
die Reize der Orplider Weiblichkeit keinen Blick mehr.
Sie trieben ihre Rekruten zusammen. Dann marschierten sie weiter.
Ritter Roland und Waidenhold ritten nebeneinander.
»Versuch doch, herauszufinden, wie lange wir bis zu Sengal
unterwegs sein werden.«
Wenig später wußte Waidenhold, daß sie in drei Tagen das
Hauptquartier des Heerführers erreichen würden.
Rolands Neugierde stellte weitere Fragen.
»Frag sie, ob sie auch schon drüben bei uns rekrutiert haben?«
Arglos erhielten der Waffenmeister Auskunft. »Wir rekrutieren
nicht, aber wir werben für den Bund der Eulenbrüder.«
Roland nickte. Dieser Ortwin Sengal mußte eine Natur sein, die
einfach an alles dachte.
Was die Nordmarker sagten, stimmte.
Drei Tage später zogen sie in Ortwin Sengals Hauptquartier ein.
Die Ritter aus Camelot und ihre Begleitung wurden wie die wahren
Wundertiere angestaunt.
»Gefällt dir die Lage nicht?« Das wollten Roland und Volker vom
Hohentwiel von Waidenhold wissen.
Der Waffenmeister krauste die Stirn. Er streichelte seinen Bart.
»Was heißt hier Gefallen? Man sollte den Herren aus der Nordmark
nicht alles glauben. Sie sind falsch. Andererseits gibt es auch
Ausnahmen unter ihnen. Die Ausnahmen können verdammt gute
Freunde sein. Ich kenne solche. Warten wir ab, was uns die nächsten
Tage bringen.«
Was blieb ihnen auch sonst übrig? Von den Nordmarkern, welche
den größten Teil von Orplids Heeresmacht stellten, wurden die
Cameloten gebührend angestaunt. Die Kunde von ihrem Eintreffen
im Lager mußte sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben.
Lurensignale erschallten. Die Blauroten mußten diese Signale
genau kennen. Sie nahmen Haltung an und gaben sich in jeder
Beziehung noch straffer als sonst.
Immer näher kamen die Signale. Dann erschien inmitten
ausgesuchter Leibwächter ein Mann, welcher eine Herzogskrone um
die Helmzier trug. Er war hochgewachsen, breitschulterig und
zeichnete sich durch flinke Bewegungen aus.
Er hatte ein freundliches Gesicht. Die Augen darin aber glänzten
wie blankes Eis. Auch dann, wenn seine schmalen Lippen lachten.
Roland hörte, wie sein Freund Volker flüsterte: »Wenn das Sengal
ist, dann steh ich mit dem Mann gar bald auf morgengrauer Heide.«
Volker vom Hohentwiel gefiel er also nicht. Wenn Roland ehrlich
seine Meinung sagte, so würde Ortwin Sengal niemals zu seinen
Intimfreunden gehören. Wenn dieser Mann im Kettenzeug Sengal
war.
Er war es. Er stellte sich selbst vor. Sein Lächeln huschte über
jeden der Cameloten hinweg. Auch über die Knappen. Nur Roland
hingegen reichte er die Hand.
»Laßt mich raten, ja?«
Roland nickte. »Von mir aus.«
Ortwin Sengal lächelte. »Ihr seid Roland, Herr Ritter! Roland, der
Vertraute König Artus' und Königin Ginevras! Ist es so?«
»Erraten!«
Ortwin Sengal lächelte, als dürfe er jetzt sicher sein, Roland bereits
voll für sich gewonnen zu haben.
»Darf ich mir erlauben, Euch und Eure ... Freunde heute abend zu
dem kleinen Bankett einzuladen, welches für uns angerichtet ist?«
Es wäre mehr als unhöflich gewesen, eine so freundliche
Einladung abzulehnen.
»Aber gerne. Werden wir die Ehre haben, Herzogin-Witwe Inger
zu begrüßen?«
Ortwin Sengal verriet mit keiner Miene, was in ihm vorging.
»Leider ist die Herzogin-Witwe samt ihrem Söhnchen nicht hier,
sondern auf einer Burg im Hinterland. Doch Ihr werdet reichlich
Gelegenheit finden, mit ihr zu reden. Haben der König und die
Königin von Camelot Euch irgendwelche Aufträge mitgegeben, die
für uns einfache Kriegsleute von Bedeutung sein könnten?«
»Was wir auszurichten haben, sind ausnahmslos Dinge, welche
Herzogin-Witwe Inger von Orplid angehen. Habt also Verständnis
dafür, Ritter Sengal, wenn wir mit diesen Ausrichtungen warten, bis
wir vor der Herzogin stehen.«
Ortwin Sengal verbarg seine Enttäuschung. Sein unruhiges
Temperament gestattete ihm offenbar nicht, länger bei den Fremden
zu bleiben.
»Nichts für ungut, die Herren, aber mir fällt ein, daß es dringende
Geschäfte gibt, die ich leider vergaß. Wir sehen uns beim Bankett. Es
ist eine gemütliche Runde beisammen. Sie dürfen alle ohne Waffen
erscheinen.«
*
Roland zog Waidenhold zur Seite, als sie fertig angekleidet waren.
»Willst du wirklich deine Waffen im Quartier lassen?«
Der Waffenmeister lachte dröhnend. »Ist es bei euch Sitte, den
Gast beim Mahle zu überfallen?«
Nun, sie gingen ohne Waffen zum Bankett. Schon als sie das
riesige Festzelt betraten, wollte es ihnen scheinen, einen schweren
Fehler begangen zu haben.
Es hielt sich eine Delegation aus einem der für Orplid
gegnerischen Nordstaaten im Hauptquartier auf. Es hieß, Ortwin
Sengal wäre dabei, gerade diesem Gegner seine
Friedensbedingungen zu diktieren.
Wohin sie auch blickten, nirgendwo sahen die Cameloten
jemanden, der ohne Waffen zum Bankett erschienen war. Zurück
konnten sie nicht mehr gehen. Waidenhold neigte sich seinem Herrn
zu. »Sie haben die Eingänge hinter uns dicht gemacht. Das sieht nach
Plan und Methode aus.«
Sie machten gute Miene zum unter Umständen für sie bösen Spiel.
Zunächst geschah gar nichts. Eine Musikkapelle der Nordmarker
spielte Weisen, welche für finnmarkische Ohren zwar schön sein
mochten, die aber dem musikalisch so feinsinnigen Volker vom
Hohentwiel wie Katzenmusik vorkamen.
Die Musik verstummte augenblicklich, als Ortwin Sengal samt
seinem Stab erschien.
Der Oberbefehlshaber der Orplidheere begrüßte die Delegation,
welche den Friedensvertrag aushandeln wollte ausführlich und
würdigte ihre im bisherigen Verlauf des Feldzuges bewiesene
Tapferkeit. Ritter Roland und seine Freunde erwähnte Sengal mit
keinem Wort.
Roland schwante Unheil. Er ließ nicht zu, daß er von seinen
Freunden getrennt wurde.
»Meinst du, es wäre etwas nicht in Ordnung?« So fragte Volker
vom Hohentwiel.
»Es ist überhaupt nichts in Ordnung, Volker. Das Schicksal muß es
schon verflucht gut mit uns meinen, wenn wir den morgigen Tag
erleben sollen.«
»So schlimm steht es?«
Roland nickte ernst.
»Noch viel schlimmer.«
Ortwin Sengal, der auf einer Empore saß oder besser thronte, sah
die Plauderei zwischen den Freunden. Er lachte verhalten in sich
hinein. Ungefähr so, als wisse er sehr genau, wann die Stunde der
Wahrheit für die aus Camelot schlug.
Ehe das eigentliche Bankett, die Mahlzeit aus Fleisch und
Fischgerichten aller Art, begann, wurde getrunken. Vor jedem Gast
stand ein fein versilberter Becher. Auch die Cameloten waren hierbei
nicht vergessen.
Die Tischbedienungen, schlanke, junge Pagen von angenehmem
Aussehen, schenkten ein.
»Bitte erst trinken, wenn der oberste Kriegsherr seinen Spruch
ausgebracht hat.«
Das raunten sie jedem einzelnen zu. Waidenhold schnupperte
mißtrauisch an seinem Wein. Das tat er gänzlich ungeniert. Ortwin
Sengal gewahrte dieses Zeichen von Mißtrauen. Das erheiterte ihn
einmal mehr.
Dann stand der Mann, den sie hier im Feldlager den obersten
Kriegsherrn nannten, auf. Er sagte nur wenige Worte.
»Wir sind zusammengekommen, um einen Vertrag zu feiern, der in
wenigen Tagen reif zur Unterschrift ist. Ich bitte alle, die mit mir
einer Meinung sind, nämlich der Meinung, daß es für die Gesamtheit
gut ist, das Wohl von Groß-Orplid sämtlichem anderen überzuord-
nen, mit mir ihr Glas zu erheben und zu leeren. Humpen ex!«
Ortwin Sengal ging persönlich mit gutem Beispiel voran.
Dröhnend laut wurde der Trinkspruch erwidert und erweitert.
»Auf Groß-Orplid! Auf Ortwin Sengal, den obersten Kriegsherrn!
Humpen ex!«
Überall im Bankett-Zelt blitzten die Silberhumpen. Es gehörte mit
zu den ungeschriebenen Gesetzen der Zeit, daß die Gäste so lange
trinken mußten, wie auch der Gastgeber trank.
Als Ortwin Sengal den Humpen absetzte, war das Trinkgefäß leer.
Der Wein war gut. Keine Frage! Doch bekam er auch gut? Um
hierüber urteilen zu können, mußte der nächste Morgen abgewartet
werden.
Wie die anderen Gäste, tranken auch Roland und seine Freunde
ihre Humpen bis zur Nagelprobe aus. Zum Zeichen dafür, daß sie
ehrliches Spiel trieben, kehrten sie die Silberhumpen um.
Wieder tat Ortwin Sengal etwas kund. »Die Heeresleitung von
Groß-Orplid gibt sich die Ehre, jedem unserer Staatsgäste den
Silberbecher der heutigen Banketttafel als Geschenk zu verehren.«
Brausender Beifall belohnte die Ankündigung. Ortwin Sengal
verstand die Kunst, die Gemüter der Menge zu bewegen. Die
Verteilung so kostbarer Gastgeschenke stellte eine gar noble Geste
dar.
Immer wieder suchten Ortwin Sengals Augen die Gruppe aus
Camelot. - Er hat irgendwas! Er wartet auf ganz bestimmte
Ereignisse! - So argwöhnte Ritter Roland. Da sah er, wie Pierre
einfach zusammenbrach.
»Pierre! Junge! Was fehlt dir?«
Pierre war nicht mehr in der Lage, Antwort zu geben. Ritter
Roland und sein Waffenmeister Waidenhold griffen gleichzeitig an
ihre Stirn. Es kam ihnen vor, als habe ihr Blick sich verschleiert.
Sie griffen aus, als wollten sie sich aneinander festhalten. Doch
heute konnte keiner dem andern Stab oder Stütze sein. Wie gefällte
Baumriesen brachen sie zusammen. Sie streckten sich unter den
Bänken. Es würde unmöglich sein, festzustellen, ob sie nun
eingeschlafen oder ohnmächtig waren. Volker vom Hohentwiel ging
als letzter hinüber in das Reich der grauen Träume. Der Sänger
gewahrte, wie Ortwin Sengal zu ihnen kam. Dem der Ohnmacht
verfallenen Mann erschien Sengal riesengroß.
Auch die Stimme des Befehlshabers der orplidischen Heere schien
auf unwirkliche Weise gewachsen zu sein.
»Schafft sie weg! Legt sie in Eisen! Jeden für sich. Ganz so, wie es
befohlen ist.«
Keiner der Cameloten nahm wahr, was nun mit ihm geschah. Sie
wurden in Keller geschafft, die mitten in dem Zeltlager lagen,
welches als Sengals Hauptquartier fungierte. Früher hatte über den
Verliesen eine Burg gestanden. Ortwin Sengal hatte sie erobert und
geschleift.
So kamen Ritter Roland, Volker vom Hohentwiel, Waidenhold und
Pierre in festes Eisen. Man hatte sie angeschmiedet wie Tiere.
Handeisen, Fußeisen, Halseisen, Leibeisen. Kein Mensch hatte
Aussicht, solche Fesseln jemals loszuwerden, wenn ihm keine Hilfe
zuteil wurde.
Sie waren in getrennten Verliesen untergebracht. Doch die
Trennung dazwischen bestand nur aus Gittern. Festen,
handgelenkdicken Eisen. Sie konnten die gesamten Kellerhöhlen
überblicken. Ritter Roland und Waidenhold wurden zuerst wach.
»Da sind wir ja hübsch hereingelegt worden.«
»Ja, Herr! Ich glaube, sie haben unseren Wein entsprechend
gewürzt. Was riecht das denn hier so eigentümlich? Mir will
scheinen, den Geruch kenne ich nur zu gut.«
Volker und Pierre schliefen noch. Ritter Rolands Augen hatten sich
langsam an die bestehenden Lichtverhältnisse gewöhnt.
»Waidenhold ... Siehst du auch, was ich dort drüben sehe? Ich
meine, kann es überhaupt möglich sein?«
Roland meinte den letzten Käfig im Kellerrevier. Da wanderten
vier riesige, dunkle Schattenwesen auf geschmeidigen, weichen
Sohlen hin und her. Immer hin und her.
»Ja, Herr«, sagte Waidenhold. »Ich roch es schon gleich beim
Wachwerden. Da marschieren Braunbären, wie es ihre Art ist, wenn
sie Langeweile haben. Denk dir was aus für den Fall, sie lassen die
Tiere zu uns herein.«
Es geschah zum ersten Male, daß Ritter Roland so etwas wie
blankes Entsetzen verspürte. »Sie werden doch nicht etwa ...«
Roland mochte den Satz gar nicht zu Ende denken und sprechen.
Waidenhold unterbrach ihn.
»Doch. Sie werden! Sie werden sich sogar einen ganz besonderen
Spaß daraus machen, die Bären auf uns zu hetzen. Sieh genau hin,
Herr. Jedes Tier trägt .einen Nasenring und ein breites Halsband. Der
Braunbär welcher den Herzog schlug, und dann der Hauptbär, der
mich anfiel, stammen aus dem gleichen Käfig. Die stummen
Wanderer da drüben sind ihre Kameraden ... Einen nach dem andern
und dann vier hintereinander, das trau ich mir zu, Herr. Aber vier von
dem Kaliber auf ein Mal! Ich fürchte, das ist auch für einen Mann
wie mich zuviel. Dennoch, wir dürfen nicht aufgeben.«
Schlüssel klirrten. Sechs auffallend starke Männer betraten den
Keller. Sie trugen Frischfleisch. Das warfen sie in den Bärenkäfig.
Brummend machten sich die Bestien über ihre Mahlzeit. Was
Waidenhold gesagt hatte, stimmte. Die Bären waren halb zahm. Sie
ließen sich von zwei Männern anfassen.
Die menschlichen Gefangenen bekamen nur zwei Krüge Wasser.
»Zum Eingewöhnen«, lachten die Kerkerbüttel.
»Wie lange will man uns hier festhalten?« begehrte Ritter Roland
auf.
Die Antwort kam prompt.
»Freiheit und Sonne sind für euch abgetan. Herren werdet ihr nie
wieder sein. 24 Tage liegt ihr hier in dem Loch. Ihr habt noch sechs
Tage Zeit.«
»Und dann?«
Der Kerkerbüttel zeigte dorthin, wo die Bären schmatzend
mahlzeiteten.
»Ist das so schwer zu erraten? Die dort drüben sind die Endstation.
Übrigens, es kommt noch jemand zu euch, den ihr kennt. Er wird
gerade durch Herrn Ortwin, den obersten Kriegsherrn willkommen
geheißen.«
Wie? 24 Tage schon sollten sie in diesem elenden, stinkenden
Loch sein? Unfaßbar! Roland griff an sein Kinn. Da stellte er fest,
daß ihm ein kapitaler Bart gewachsen war. Die Auskunft des Büttels
schien also doch der Wahrheit zu entsprechen. Wer war der Mann,
der gleich zu ihnen stoßen würde?
Es mochten zwei Stunden vergangen sein, da ging erneut die Tür
auf. Die Büttel schleiften jemanden herein, an dessen Körper
buchstäblich kein Streifen Haut ungeschlagen geblieben war. Der
Neue wurde angeschmiedet wie sie. Und da erkannten sie ihn.
»Louis!«
Der Name schallte so laut in den Kellergewölben wider, daß
Volker und Pierre wach wurden. Die Bären schreckten aus ihrem
dösenden Verdauungsschlaf. Sie brüllten. In der fauchenden Weise
ihrer Art.
Welch Wunder! Louis antwortete.
»Herr Roland. Heil und Gruß!«
»Du kannst noch reden, Louis? Bist du uns gefolgt. Ortwin Sengal
hat uns übertölpelt.«
Louis schien wie immer guten Mutes zu sein. Die rauhe
Behandlung hatte seinen Lebenswillen nicht gebrochen. Er erzählte,
wie es ihm gelungen war, hierher zu kommen. Er hatte drei volle
Wochen im Bett zugebracht. Und ihm war die beste Pflege zuteil
geworden, die sich ein Mann nur wünschen kann. Die Pflege einer
liebenden Frau nämlich.
»Es war die Frau von der letzten Nacht vor unserem Aufbruch in
Camelot. Sie heißt Sante Löfdottar und sie gehört zu den Menschen,
die genauso heiß hassen, wie sie lieben.«
Jeder erwartete wohl, jetzt würden Pläne zum gemeinsamen
Ausbruch geschmiedet. Was wirklich geschah, was gleich passierte,
erriet nicht einmal die wildeste Fantasie.
»Nein«, staunten Roland, Volker und die anderen. »Das ist doch
unmöglich.«
Was sie sahen, was sie erlebten, aber blieb. In stummer Wut hatte
sich Roland gegen die eisernen Fesseln gestemmt. Jeder würde ihm
beim ersten Blick gesagt haben, es sei sinnlos, sich gegen Eisen
dieses Kalibers aufzubäumen. Rolands Adern auf der Stirn, an den
Armen und den Beinen wurden fast genauso dick wie seine Muskeln.
Er brachte das Kunststück fertig, die Eisen auseinanderzubiegen.
Zuerst sprengte er seine Fesseln. Danach kam Volker vom
Hohentwiel an die Reihe. Ritter Roland wanderte von einem Verlies
zum ändern. Er bog die trennende Stäbe einfach auseinander. Die
Keller sahen schon nach dem ersten Durchgang aus, als hätten
Urweltriesen darin gewütet.
Als alle befreit waren, verbog Roland das Schloß zum Bärenkäfig
so, daß es ohne die sachkundige Hand eines Schmiedes wohl kaum
noch zu öffnen war. Dann warteten sie auf die Kerkerbüttel. Die
kamen kurz bevor sie selber zur Ruhe gingen. Sie kamen und wurden
überwältigt. Dann stiegen die fünf aus Camelot nach oben. Louis, der
erstaunlich frisch war, gab Ziel und Richtung an. »Wir müssen zu
Sante Löfdottar. Sie und ihre Mutter Mette helfen uns weiter. Mir
nach!«
*
Wann entdeckten die Lagerwachen, was in den Kellerverliesen
geschehen war? Sie bewegten sich flink wie die Mäuse. Jede
Sekunde rechneten die Ausbrecher mit Alarm.
Louis hatte sich den Weg, welchen sie jetzt bewältigen mußten,
genau beschreiben lassen. Dem ehemaligen Gastwirt war nichts von
aller Unbill anzumerken, der er ausgesetzt gewesen war. Im
Hauptquartier der orplidischen Heere wurden irgendwelche
Siegesmeldungen gefeiert. Es hieß, die Armeen des Herzogtums
seien schlechterdings unschlagbar. Allem Anschein nach hatte Louis
bei seinem Ritt ins große Feldlager weit mehr gesehen als Roland
und seine Freunde.
»Wo ich auch hinkam, überall war der Krieg schon gewesen. Er
hatte das Land mit Brand und Plünderung gezeichnet. Manchmal
stand kein Stein mehr auf dem ändern. Es wird viel Mühe, Zeit und
Dukaten kosten, wenn die Schäden beseitigt werden.«
Roland dachte an Vergeltung für das, war Ortwin Sengal seinen
Begleitern und ihm angetan hatte.
»Treffen wir ihn? Oder ist er bei einer seiner Unternehmungen im
freien Feld?«
»Mette Löfdottar weiß, wo der Diktator ist«, behauptete Louis.
»Und wo steckt Mette?«
»Nicht lange mehr und du wirst sie sehen. Beide Frauen, welche
Löfdottar heißen!«
Sie waren eine ganze Weile schon in kühlem Wald. Die Nacht
spannte das blitzende Funkelwunder ihres Sternnetzes über den
samtblauen Himmel. Der Weg führte steil bergan. Die Luft wurde so
würzig rein, wie sie sich nur in den kühlen Nächten des Nordens
atmen läßt.
Voraus leuchteten Lichter. Rötlich gelb. So, wie Kerzen hinter der
pergamentenen Durchsichtigkeit von Tierblasen brennen.
Roland fühlte sich glänzend aufgelegt. Es war ihm gelungen, wider
jede Wahrscheinlichkeit die Freiheit zu gewinnen. Er spürte einen
Muskelkater wie nie zuvor im Leben. Doch mit jedem Schritt fühlte
er neue Kraft. Er würde das letzte Gefecht gegen Sengal gewinnen.
Dessen war er sicher.
Die Lichter wurden deutlicher. Sie winkten von vier verschiedenen
Stellen. Stand man ganz nahe davor, so stellte sich das Ganze als
eine sehr wehrhafte Mauer um ein Bauerngehöft dar. Die Lichter
brannten auf den vier Ecktürmen.
Knappe Louis legte die Hände wie eine Muschel vor den Mund.
Der hohle Ruf der großen Waldohreule erschallte. Das klang richtig
unheimlich.
»Willst du uns etwa zu den Eulenbrüdern führen?« Roland stand
ganz dicht hinter dem Knappen Louis. Der sah seinen Herrn ergeben
an.
»Die Eulenbrüder sind keine Kraft mehr, auf welche sich Ortwin
Sengal stützen darf. Sie haben sich geteilt. Die, welche hier ihr
Zentrum unterhalten, sind die schärfsten Widersacher des Usurpators
Sengal.«
Der Ruf des Knappen wurde umgehend beantwortet.
»Schuhu... Schuhu!«
Ein Tor öffnete sich. Bis über die Zähne bewaffnete Männer
schwärmten aus. Sie nahmen die Ankömmlinge in die Mitte und
drängten sie in die Umzäunung. Jemand in einem hellen Kleid lief
geschwind Louis entgegen. Umarmte ihn.
»So hast du erreicht, was du wolltest, mein tapferer Mann.«
»Das ist Sante Löfdottar«, stellte Louis vor. Seine Stimme klang
stolz.
Roland sah ein ebenmäßiges, schönes Frauengesicht. Er fand,
Louis sei zu beneiden.
Sante sagte in Louis' Ohr:
»Bring hinter dich, was zu geschehen hat. Um so eher haben wir
Zeit für uns. Ortwin Sengal ist auf der Feste Landskron. Es heißt, er
will die Herzogin-Witwe Inger heiraten. Die Herzogin wird in
Landskron gefangen gehalten.«
»Und wie kommen wir in die Burg?«
Sante Löfdottar lächelte wie jemand, der sein Terrain gut
vorbereitet weiß. »Die Wachen Landskrons bestehen aus ehrlichen,
guten Eulenbrüdern. Sie stehen auf unserer Seite.«
Eng umschlungen gingen Louis und Sante ins Haus. Roland und
die übrigen folgten den beiden. Eine Frau von imponierender Größe
trat ihnen entgegen. Sie hielt eine Lampe hoch. Mit dem Licht
musterte sie jeden einzelnen. Bei Roland verhielt sie länger. »Du bist
der Ritter Roland von Camelot, nicht wahr?«
In ihrem faltigen Gesicht wetterleuchtete es heftig. »Dir glaube ich,
daß du den Tyrannen stürzen kannst. Der Sieg steht dir auf der Stirn.
Handele schnell!«
Es blieb ihnen nur knapp soviel Zeit, eine Erfrischung zu sich zu
nehmen. Dann ging es zu Pferde weiter. Roland vermißte seinen
Samum. Mette Löfdottar sagte tröstend: »Unsere Männer werden
sich um alles kümmern, was von deinem Eigentum in Sengals
Hauptquartier beschlagnahmt wurde.«
Roland glaubte der Frau. Sie strahlte Zuversicht aus. Beim
Aufbruch machten sich auch Mette Löfdottar und ihre Tochter Sante
fertig. Sante trug ein feines Kettenhemd. Die Panzerung schützte den
ganzen Körper vom Kopf bis zu den Füßen. Während des Marsches
nach Landskron ritt Sante auf Tuchfühlung neben Louis. Jedesmal,
wenn sich ihre Knie, ihre Beine oder die Hände berührten, lächelte
sie glücklich.
Als der junge Morgen den Himmelsrand im Osten rosig färbte,
hielt die stattliche Reitergruppe vor der trotzigen Burg Landskron.
Der Schrei der Ohreule klang von den dicken Mauern wider. Sofort
kam Antwort. Neben dem großen Südtor öffnete sich eine kleine
Pforte. Mäusen ähnlich, welche zu Bau schlüpften, verschwanden die
Ankömmlinge in der Festung.
Im obersten Stockwerk des Burgfrieds brannte noch Licht. Da
sprach Ortwin Sengal seit Stunden mit Herzogin Inger. Die schöne
Frau gab sich über den Mann keinerlei Illusionen mehr hin.
»Du weißt genau, daß du großes Glück gehabt hast. Hätte Berwin
dich auch nur ein Mal so erlebt wie ich, du hättest keinen Atem mehr
gehabt. Er war viel stärker als du.«
»Aber du hast ihn nicht geliebt.«
Das feine, stolze Gesicht der Herzogin wurde so rot, als stünde
Frau Inger vor einem Schmelzofen. Doch sie bekannte sich tapfer
zum Geheimnis ihres Lebens. »Nein ... Aber wir würden aufeinander
zugewachsen sein.«
Der Mann lachte. Das klang unangenehm. »Du wirst mich lieben.«
»Nie.«
Da griff der Mann in die Wiege, darin der junge Berwin schlief.
Ohne Rücksicht zerrte er das Kind aus den warmen Decken. Hielt es
an einem Fuß hoch.
»Es ist lange genug geredet worden. Du wirst mich auf der Stelle
heiraten, oder ... dein Sohn erlebt den kommenden Morgen nicht.«
Ortwin Sengals Stimme wurde drängend. »Weißt du, daß der
Burgkaplan aus Orplid Dorf bestellt ist und wartet? Weißt du, daß
die Köche bei Sonnenaufgang mit der Zurichtung des
Hochzeitsmahles beginnen werden? Es gibt keine Ausflucht mehr.
Mein Glück gegen das Leben deines Sohnes. Entscheide dich. Du
hast...«
Lautlos hatte sich die Tür zum Turmgemach geöffnet. Ritter
Roland stand im Raum. Louis folgte auf dem Fuß. Roland stieß
Ortwin Sengal mit elementarer Wucht die Faust ins Gesicht.
»Zieh verräterischer Hund. Zieh und wehre dich deines Lebens.«
Es war nur ein Leihschwert, welches Ritter Roland zur Verfügung
stand. Doch die Klinge war aus gutem Nordmannsstahl geschmiedet.
Knappe Louis hatte den schreienden Säugling aus Sengals Faust
gerettet und die Herzogin in sichere Deckung gezwungen.
Von da sah Inger zu, wie Ortwin Sengal sich gegen Roland wehren
mußte, wie er aber mehr und mehr auf die Verliererstraße geriet.
»Wer hat dich frei gelassen?« keuchte Sengal.
»Das wirst du nie erfahren, Verräter.«
Stahl klirrte gegen Stahl. Funken stoben. Sengal stolperte. Er
klammerte sich an sein Schwert. Roland schlug dem Gegner die
Faust in den Nacken. Sein ganzes Gewicht steckte hinter dem
Schlag. Sengal stürzte. Das eigene Schwert durchbohrte ihm die
Brust. Vier, fünf Atemzüge lang schwieg Roland.
Dann bot er Herzogin Inger den Arm.
»Darf ich Euch zu jemandem bringen, der Euch Grüße und viel
Wissenswertes von Eurer königlichen Schwester zu berichten hat?«
Herzogin Inger schaute vertrauensvoll und lächelnd zu Roland auf.
Volker vom Hohentwiel begegnete ihnen auf der Wendeltreppe im
Turm. Roland deutete auf den Freund.
»Seht, hohe Frau. Dies ist der Ritter, welcher darauf brennt, Euch
alles zu erzählen, was Eure Schwester ihm zu sagen aufgetragen
hat.«
Der Mann, dem die Herzogin Dankbarkeit zu schulden glaubte,
hieß Roland.
Doch das wandelte sich. Als sie alle gemeinsam nach Abwicklung
aller anstehenden Verbindlichkeiten, die der Erledigung harrten, nach
Camelot reisten, da hingen Ingers Blicke schwärmerisch an den
Lippen Volkers, des Sängers vorn Hohentwiel.
Vorher war es ihre Pflicht gewesen, die Armee Orplids aufzulösen.
Die Nordmarkmänner hatten versucht, gegen die Auflösung und ihre
Entlassung zu protestieren. Zwecklos. Die meisten Verhandlungen
mit den Finnmarkern waren Waidenhold übertragen worden. Der
kannte die Mentalität der Nordischen genau, und er wurde mit ihnen
fertig. Es sollte Waidenholds letzter Auftrag sein, den er in Rolands
Namen ausführte.
Mette Löfdottar und ihre Tochter Sante waren gefragt worden, was
sie für ihre Verdienste an Belohnung beanspruchten.
»Wir wollen in Frieden und in Ruhe leben.« Das hatten beide
Frauen erklärt. »Am liebsten lebten wir in Camelot. Wir werden uns
schon irgendwo nützlich machen können.«
Ortwin Sengal hatte ihren Haß geweckt, weil er Mettes Mann und
Santes Vater sowie Santes Bräutigam aus reiner Machtgier hatte
ermorden lassen.
Wie Mette vorausgesagt hatte, bekamen Ritter Roland und seine
Freunde all ihre Ausrüstungsstücke zurück, welche ihnen in Sengals
Hauptquartier abgenommen worden waren.
Samum begrüßte seinen Herrn mit freudigem Schnauben und
Wiehern. Zu den Gefangenen, die aus finnmarkischen
Gefangenenlagern befreit wurden, gehörte der Fischer Radbod leider
nicht.
Waidenhold beschloß deshalb, zu Dalinde zurückzukehren. Für
immer. Er bat Roland, ihn aus dessen Diensten zu entlassen.
Volker vom Hohentwiel erhielt seine Belohnung:
Das Jahr mündete in einen besonders schönen Herbst. Und an
einem Abend, wo Volker seine Blicke nicht von Herzogin Ingers
Schönheit hatte wenden können, klopfte es bei dem Sänger. Volker
glaubte, Roland wolle ihn nochmals sprechen und sagte forsch.
»Komm rein! Die Tür ist auf.«
»Die Begrüßung lobe ich mir«, sagte eine leise, aber glockenhelle
Stimme. Der überraschte Volker sah in Herzogin Ingers strahlende
Augen. Sie trug einen wunderbaren Silberfuchsmantel, der ihr bis auf
die Füße reichte. Als sie den Mantel öffnete, begriff Volker, warum
sie bei ihm war. Er eilte zu ihr, umarmte sie, hob sie hoch und trug
sie zum Bett. Sie küßte ihn. Und er spürte, daß weniger Dankbarkeit
ihre Handlungen lenkte, als viel mehr die Sehnsucht einer Erfüllung
suchenden Liebe. »Bevor du mit Roland losreitest nach Camelot,
wollen wir uns den Abschied verschönern ...«
ENDE
Liebe Abenteuer-Freunde,
in 14 Tagen erscheint einer der stärksten Romane, die bisher für
die Serie »Ritter Roland« geschrieben worden sind. In Günther
Herbsts
Das Duell um die
Grafentochter
lesen Sie von ergreifenden Schicksalen, atemberaubenden
Kämpfen und prunkvollen Festen. - Dies ist eine Geschichte,
die so spannend erzählt ist, daß man nicht zu lesen aufhören
kann, bis man weiß, ob auch bei dem Reitervolk der Tataren
Recht Recht bleibt.
Sie erhalten den Band 27 bei Ihrem Zeitschriftenhändler.
Schreiben Sie Ihre Meinung über den Roman an die Redaktion
Ritter Roland.