Hesse Hermann Gedichte

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Hermann Hesse

Gedichte

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Nacht

Mit Dÿmmerung und Amselschlag
Kommt aus den Tÿlern her die Nacht.
Die Schwalben ruhn, der lange Tag
Hat auch die Schwalben mþd gemacht.

Durchs Fenster mit verhaltenem Klang
Geht meiner Geige mþder Strich.
Verstehst du, schýne Nacht, den Sang -
Mein altes Lied, mein Lied an dich?

Ein kþhles Rauschen kommt vom Wald,
Daü mir das Herz erschauernd lacht,
Und leis mit freundlicher gewalt
Besiegt mich Schlummer, Traum und Nacht.

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Ballade vom Klassiker

Frþhe schon zum Klassiker berufen
fþhlte sich der Jþngling Emil Bums,
nahte, Gott im Busen, sich den Stufen
des Appoln geweihten Heiligtums.

Selten sah man wahrlich einen Dichter
so von herer Streberei beseelt,
bald schon sah er sich vom Chor der Richter
als des Volkes Liebling auswerwÿhlt.

Niemals gab er sich die kleinste Blýüe,
wich vom Pfad strengster Tugend nie,
sang von Gott und nationaler Grýüe,
was ihm ungeheuren Ruhm verlieh.

Leider war dem Hochpflug nicht gewachsen
dieses Edeldichters schwaches Herz,
und auf einer Vortragsreise durch Sachsen
ward er krank und schwang sich himmelwÿrts.

Eine Trauerfeier ohne gleichen,
der Bedeutung des Moments sich voll bewuüt,
schmþckte mit des Vaterlands Eichen
des verewigten Sÿngers Heldenbrust.

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Industrie, Finanz, Behýrde, Presse
stand ergriffen um das offne Grab,
Gerhard Hauptmann warf und Hermann Hesse
eine Schaufel voll Papier herab.

Unter andern herrlichen Trophÿen
in des Volksmuseums Heiligtum
sieht man seine Schreibmaschine stehen,
sonntags viel bestaunt vom Publikum.

Nie wird dieser alte Mann vergessen werden,
Deutschlands letzter Klassiker vielleicht,
denn fþrwahr, es findet sich auf Erden
keiner, der ihm nur das Wasser reicht.

Ja ich selbst, der ich den Bums erfunden,
der ihm Namen, Ruhm, Gestalt verlieh,
beuge mich beschÿmt und þberwunden
vor so viel Talent, so viel Genie.

Und so wallt des Gýttlichen Gedÿchtnis,
von der rauhen Wirklichkeit befreit,
seines Volkes edelstes Vermÿchtnis,
durch Jahrhunderte zur Ewigkeit.

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Beim Schlafengehen

Nun der Tag mich mþd gemacht,
Soll mein sehnliches Verlangen
Freundlich die gestirnte Nacht
Wie ein mþdes Kind empfangen.

Hÿnde lass von allem Tun,
Stirn vergiss du alles Denken,
Alle meine Sinne nun
Wollen sich in Schlummer senken.

Und die Seele unbewacht
Will in freien Flþgen schweben,
Um im Zauberkreis der Nacht
Tief und tausendfach zu leben

1911

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Brief von der Redaktion

"Wir danken sehr fþr Ihr ergreifendes Gedicht,
Das uns so tiefen Eindruck hinterlassen hat,
Und wie bedauern herzlich, daü es nicht
So recht geeignet scheint fþr unser Blatt."

So schreibt mir irgendeine Redaktion
Fast jeden Tag. Es drþckt sich Blatt um Blatt.
Es riecht nach Herbst, und der verlorne Sohn
Sieht deutlich, daü er nirgends Heimat hat.

Fþr mich allein denn schreib ich ohne Ziel,
Der Lampe auf dem Nachttisch les ich's vor.
Vielleicjht leiht auch die Lampe mir kein Ohr.
Doch gibt sie hell, und schweigt. Das ist schon viel.

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Bÿcher

Alle Bþcher dieser Welt
Bringen dir kein Glþck,
Doch sie weisen dich geheim
In dich selbst zurþck.

Dort ist alles, was du brauchst,
Sonne, Stern und Mond,
Denn das Licht, danach du frugst,
In dir selber wohnt.

Weisheit, die du lang gesucht
In den Bþcherein,
Leuchtet jetzt aus jedem Blatt -
Denn nun ist sie dein.

1918

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Das Glasperlenspiel

Musik des Weltalls und Musik der Meister
Sind wir bereit mit Ehrfurcht anzuhýren,
Zu reiner Feier die verehrten Geister
Begnadeter Zeiten zu beschwýren.

Wir lassen vom Geheimnis uns erheben
Der magischen Formelschrift, in deren Bann
Das Uferlose, Stþrmende, das Leben,
Zu klaren Gleichnissen gerann.

Sternbildern gleich ertýnen sie kristallen,
In ihrem Dienst ward unserm Leben Sinn,
Und keiner kann aus ihren Kreisen fallen,
Als nach der heiligen Mitte hin.

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Es fþhren þber die Erde
Strassen und Wege viel,
Aber alle haben
Dasselbe Ziel

Du kannst reiten und fahren
Zu zwein und zu drein,
Den letzten Schritt
Muüt du gehen allein.

Drum ist kein Wissen
Noch Kýnnen so gut,
Als daü man alles Schwere
Alleine tut.

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Der Dichter

Nur mit dem Einsamen
Scheinen des Nachts die unendlichen Sterne,
Rauscht der steinerne Brunnen sein Zauberlied,
Mir allein, mir dem Einsamen
Ziehen die farbigen Schatten
Wandernder Wolken Trÿumen gleich þbers Gefild.
Nicht Haus noch Acker ist,
Nicht Wald noch Jagd noch Gewerb mir gegeben,
Mein ist nur, was keinem gehýrt,
Mein ist sitþrzender Bach hinterm Waldesschleier,
Mein das fruchtbare Meer,
Mein der spielenden Kinder Vogelgeschwirre,
Trÿne und Lied einsam Verliebter am Abend.
Mein auch sind die Tempel der Gýtter, mein ist
Der Vergangenheit ehrwþrdiger Hain.
Und nicht minder der Zukunft
Lichtes Himmelsgewýlbe ist meine Heimat:
Oft in Flþgen der Sehnsucht stþrmt die Seele empor,
Seliger Menschheit Zukunft zu schauen,
Liebe, Gesetz besiegend, Liebe von Volk zu Volk.
Alle find ich sie wieder, edel verwandelt:
Landmann, Kýnig, Hÿndler, emsiges Schiffervolk,
Hirt und Gÿrtner, sie alle
Feiern dankbar der Zukunft Weltfest.

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Einzig der Dichter fehlt,
Er, der vereinsamt Schauende,
Er, der Menschensehnsucht Trÿger und bleiches Bild,
Dessen die Zukunft, dessen die Wetlerfþllung
Nicht mehr bedarf. Es welken
Viele Krÿnze an seinem Grabe,
Aber verschollen ist sein Gedÿchtnis.H. Hesse

Der Einsame an Gott
Einsam stehe ich, vom Wind gezerrt,
Ungeliebt und verlassen
In der feindlichen Nacht.
Schwer ist mein Gemþt und voll Bitterkeit,
Wenn ich Deiner gedenke,
Blinder Gott, der voll Grausamkeit
Immer das Unbegreifliche tut.
Warum lÿssest Du, wenn Du die Macht hast,
Warum lÿssest Du Hunde und Sÿue
Eines Glþckes genieüen, das nie
Dem verschmachtenden Edleren wird?
Warum peitschest Du mich, der Dich liebte,
Jagst mich alleine durch die Nacht,
Warum raubst Du mir alles,
Was Du doch jedem Erbÿrmlichen gýnnst?
Selten hab ich geklagt, und seltener
Dir im Unmut geflucht,
Jahrelang in glÿubiger Priesterschaft
Lebte ich Dir, nannte Dich Herr und Gott,

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Sah in Dir meines Daseins Kron und Sinn;
Immer ging ich, ob auch im Dunkeln oft,
Tastend dem Guten nach, immer war Liebe,
Immer Gþte und Reinheit mein hohes Ziel.
Dennoch hast Du, der meinen Feinden schmeichelt,
Niemals mir einen einzigen Traum,
Eine einzige Bitte erfþllt!
Niemals kannte ich andres als Kampf und Arbeit,
Wÿhrend drþben im Hause der Frýhlichen
Laute und Tanz und sþüer Gesang erscholl.
O und wie hast Du, mein Peiniger,
Wenn ich einmal in blinder Hoffnung
Zÿrtlicher Liebe mein Herz voll Vertrauen bot,
Wie hast Du mit Spott und Verachtung mich þberschþttet,
Daü ich grimmig entfloh, vom Gelÿchter der Frauen verfolgt!
Einsam nun und ohne Glauben an Glþck,
Schlaflos bei Nacht und am Tag voller Zweifel
Geh ich gottlos durch diese Welt,
Mir zur Qual und Dir zur traurigen Schande.
Trotzdem, o Gott, wenn auch Dein Finger tief
Und voll blinder Wollust in meiner Wunde wþhlt,
Trotzdem sollst Du mich nicht verzagen,
Nicht im Staube knien und weinen sehen.
Denn Dein heimlicher Wunsch, Grausamer,
Týnt ja doch unbesiegbar im Herzen mir,
Und das Leben zu lieben,
Und das sinnlose Leben wild und sinnlos zu lieben
Hab ich in aller Verfolgung

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Aller Versuchung niemals výllig verlernt.
Dich auch und Deine launischen Wege
Liebt mein Herz, indem es Dich trotzdem hýhnt.
Ja, ich liebe Dich, Gott, und ich liebe
Heiü die verworrene Welt, die Du schlecht regierst.
...Horch! Von drþben, wo die Frýhlichen sind,
Weht mir Lied und Gelÿchter,
Weiberschrei und silbernes Bechergelÿut.
Aber mit tiefer Wollust,
Sþüer und trunkener glþht als diesen Genþgsamen
Mir die Liebe zum Leben
In der glþcklos hungernden Brust.
Und ich schþtte zornig
Aus den schlaflosen Augen die Mþdigkeit,
Trinke Nacht und Wind, Sternschein und Wolkengebirg
Gierig mit atmenden Sinnen
In die unersÿttlich Seele ein.

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Der Liebende

Nun liegt dein Freund wach in der milden Nacht,
Noch warm von dir, noch voll von deinem Duft,
Von deinem Blick und Haar und Kuü - o Mitternacht,
O Mond und Stern und blaue Nebelluft!
In dich, Geliebte, steigt mein Traum
Tief wie in Meer, Gebirg und Kluft hinein,
Verspritzt in Brandung und verweht zu Schaum,
Ist Sonne, Wurzel, Tier,
Nur um bei dir,
Um nah bei dir zu sein.
Saturn kreist fern und Mond, ich seh sie nicht,
Seh nur in Blumenblÿsse dein Gesicht,
Und lache still und weine trunken,
Nicht Glþck, nicht Leid ist mehr,
Nur du, nur ich und du, versunken
Ins tiefe All, ins tiefe Meer,
Darein sind wir verloren,
Drin sterben wir und werden neugeboren.

1921

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(aus dem Glasperlenspiel 1932)
Doch heimlich dÿrsten wir ...

Anmutig, geistig, arabeskenzart
Scheint unser Leben sich wie das von Feen
In sanften Tÿnzen um das Nichts zu drehen,
Dem wir geopfert Sein und Gegenwart.

Schýnheit der Trÿume, holde Spielerei,
So hingehaucht, so reinlich abgestimmt,
Tief unter deiner heiteren Flÿche glimmt
Sehnsucht nach Nacht, nach Blut, nach Barbarei.

Im Leeren dreht sich , ohne Zwang und Not,
Frei unser Leben, stets zum Spiel bereit,
Doch heimlich dþrsten wir nach Wirklichkeit,
Nach Zeugung und Geburt, nach Leid und Tod

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Ein Brief

Mein hochgeehrter Herr von Klein,
Ihren schmeichelhaften Brief habe ich erhalten,
Der mich einlÿdt, in Ihrem werten Verein
Einen literarischen Abend abzuhalten.
Aber leider kann ich mich nicht verpflichten,
Noch im Januar kommenden Jahres zu existieren;
Das Existieren freut mich mitnichten,
Schon jetzt beginn ich die Lust daran zu verlieren.

Und was nun meine Dichtungen betrifft,
So wurde Ihnen darþber allzu Hþbsches erzÿhlt:
Fþr Ihren Verein wÿren sie das reine Gift.
Viele meiner Freunde habe ich damit gequÿlt,
Denn sie meinen, es sei des Dichters Beruf,
In des Bþrgers Interesse das Leben stramm zu bejahen,
Wie sie das von so manchem Dichter betÿtigt sahen,
Der berþhmte Romane und herrliche Dramen schuf.
Was mich betrifft, so schrieb ich zwar auch solche Sachen,
In der Lebensbejahung war ich frþher groü,
Heute muü ich darþber lachen,
Und wenn ich ehrlich sein will, muü ich gestehen:
Nein, mit dem allzuviel bejahten Leben ist nichts los.

Wenden Sie sich gþtigste an andre Adressen,
Wie der Kþrschner sie Ihnen zu Hunderten nennt;
An Kþrschners Schreibtisch bin ich lange genug gesessen,

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Nun ziehe ich vor, gleich dem verlorenen Sohn
Brþderlich zwischen den Schweinen zu sitzen,
Das heiüt in der Bar zwischen all den widrigen Fritzen
Cognac zu schlþrfen oder Flip oder eine Flasche Beaune.
Dabei ist mir verhÿltnismÿüig wohl,
Ich liebe Jazzmusik und den Alkohol,
Und mit diesem Bekenntnis zum Guten und Schýnen
Hoffe ich Sie, sehr geehrter Herr Groü und Klein,
Samt Ihrem so verdienstvollen Verein
Wieder einigermaüen zu versýhnen.

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Elisabeth

Dir liegt auf Stirne, Mund und Hand
Der feine, zÿrtlich helle Lenz,
Der holde Zauber, den ich fand
Auf alten Bildern zu Florenz.

Du lebtest schon einmal vorzeit,
Du wunderschýne Maigestalt,
Als Flora im beblþmten Kleid
Hat Botticelli dich gemalt.

Auch bist du jene, deren Gruü
Den jungen Dante þbermannt,
Und unbewuüt ist deinem Fuü
Der Weg durchs Paradies bekannt.

Wie eine weiüe Wolke
Am hohen Himmel steht,
So weiü und schýn und ferne
Bist du, Elisabeth.

Die Wolke geht und wandert,
Kaum hast du ihrer acht,

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Und doch durch deine Trÿume
Geht sie in dunkler Nacht.

Geht und erglÿnzt so silbern,
Daü fortan ohne Rast
Du nach der weiüen Wolke
Ein sþües Heimweh hast.

1900

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Entgegenkommen

Die ewig Unentwegten und Naiven
Ertragen freilich unsre Zweifel nicht.
Flach sei die Welt, erklÿren sie uns schlicht,
und Faselei die Sage von den Tiefen.

Denn sollt es wirklich andre Dimensionen
Als die zwei guten, altvertrauten geben,
Wie kýnnte da ein Mensch noch sicher wohnen,
Wie kýnnte da ein Mensch noch sorglos leben?

Um also einen Frieden zu erreichen,
So laüt uns eine Dimension denn streichen!

Denn sind die Unentwegten ehrlich,
Und ist das Tiefensehen so gefÿhrlich,
Dann ist die dritte Dimension entbehrlich.

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Fÿr Ninon

Daü du bei mir magst weilen,
Wo doch mein Leben dunkel ist
Und drauüen Sterne eilen
Und alles voll Gefunkel ist,

Daü du in dem Getriebe
Des Lebens eine Mitte weiüt,
Macht dich und deine Liebe
Fþr mich zum guten Geist.

In meinem Dunkel ahnst du
Den so verborgnen Stern.
Mit deiner Liebe mahnst du
Mich an des Lebens sþüen Kern.

1927

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Glÿck

Solang du nach dem Glþcke jagst,
Bist du nicht reif zum Glþcklichsein,
Und wÿre alles Liebste dein.

Solang du um Verlornes klagst
Und Ziele hast und rastlos bist,
Weiüt Du noch nicht, was Friede ist.

Erst wenn du jedem Wunsch entsagst,
Nicht Ziel mehr noch Begehren kennst,
Das Glþck nicht mehr mit Namen nennst,

Dann reicht dir des Geschehens Flut
Nicht mehr ans Herz, und deine Seele ruht.

1907

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Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fÿllt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, Im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

1905

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Jetzt bist du schon gegangen, Kind,
Und hast vom Leben nichts erfahren,
Indes in unseren welken Jahren
Wir Alten noch gefangen sind.

Ein Atemzug, ein Augenspiel,
Der Erde Luft und Licht zu schmecken,
War dir genug und schon zuviel;
Du schliefst ein, nicht mehr zu wecken.

Vielleicht in diesem Hauch und Blick
Sind alle Spiele, alle Mienen
Des ganzen Lebens dir erschienen,
Erschrocken zogst du dich zurþck.

Vielleicht wenn unsre Augen, Kind,
Einmal erlschen, wird uns scheinen,
Sie hÿtten von der Erde, Kind,
Nicht mehr gesehen als die deinen.

Es fþhren þber die Erde Strassen und Wege viel,
Aber alle haben dasselbe Ziel,
Du kannst reiten und fahren, zu zweien und zu dreien...
Den letzten Schritt musst du gehen allein.

Drum ist kein Wissen, noch Kýnnen so gut,
Als dass man alles Schwere nicht alleine tut.

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Julikinder

Wir Kinder im Juli geboren
Lieben den Duft des weiüen Jasmin,
Wir wandern an blþhenden Gÿrten hin
Still und in schwere Trÿume verloren.

Unser Bruder ist der scharlachene Mohn,
Der brennt in flackernden roten Schauern
Im ûhrenfeld und auf den heiüen Mauern,
Dann treibt seine Blÿtter der Wind davon.

Wie eine Julinacht will unser Leben
Traumbeladen seinen Reigen vollenden,
Trÿumen und heiüen Erntefesten ergeben,
Krÿnze von ûhren und roten Mohn in den Hÿnden.

1904

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Kennst du das auch, daü manches mal
Inmitten einer lauten Lust,
Bei einem Fest, in einem frohen Saal,
Du plýtzlich schweigen und hinweggehen muüt?
Dann legst du dich aufs Lager ohne Schlaf
Wie Einer, den plýtzlich Heimweh traf;
Lust und Gelÿchter ist verstiebt wie Rauch,
Du weinst, ohne Halt - Kennst du das auch?

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Klage

Uns ist kein Sein vergýnnt. Wir sind nur Strom,
Wir flieüen willig allen Formen ein:
Dem Tag, der Nacht, der Hýhle und dem Dom,
Wir gehn hindurch, uns treibt der Durst nach Sein.

So fþllen Form um Form wir ohne Rast,
Und keine wird zur Heimat uns, zum Glþck, zur Not,
Stets sind wir unterwegs, stets sind wir Gast,
Uns ruft nicht Feld noch Pflug, uns wÿchst kein Brot.

Wir wissen nicht, wie Gott es mit uns meint,
Er spielt mit uns, dem Ton in seiner Hand,
Der stumm und bildsam ist, nicht lacht noch weint,
Der wohl geknetet wird, doch nie gebrannt.

Einmal zu Stein erstarren! Einmal dauern!
Danach ist unsre Sehnsucht ewig rege,
Und bleibt doch ewig nur ein banges Schauern,
Und wird doch nie zur Rast auf unsrem Wege.

1934

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Knarren eines geknickten Astes

Splittrig geknickter Ast,
Hangend schon Jahr um Jahr,
Trocken knarrt er im Wind sein Lied,
Ohne Laub, ohne Rinde,
Kahl, fahl, zu langen Lebens,
Zu langen Sterbens mþd.
Hart klingt und zÿh sein Gesang,
Klingt trotzig, klingt heimlich bang
Noch einen Sommer,
Noch einen Winter lang.

1962

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Liebe

Wieder will mein froher Mund begegnen
Deinen Lippen, die mich kþssend segnen,
Deine lieben Finger will ich halten
Und in meine Finger spielend falten,

Meinen Blick an deinem dþrstend fþllen,
Tief mein Haupt in deine Haare hþllen,
Will mit immerwachen jungen Gliedern
Deiner Glieder Regung treu erwidern

Und aus immer neuen Liebesfeuern
Deine Schýnheit tausendmal erneuern,
Bis wir ganz gestillt und dankbar beide
Selig wohnen þber allem Leide,

Bis wir Tag und Nacht und Heut und Gestern
Wunschlos grþüen als geliebte Schwestern,
Bis wir þber allem Tun und Handeln
Als Verklÿrte ganz im Frieden wandeln.

1913

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Morgen - was wird morgen sein?

Morgen - was wird morgen sein?
Trauer, Sorge, wenig Freude,
Schweres Haupt, vergoüner Wein -
Du sollst leben, schýnes Heute!

Ob die Zeit im schnellen Flug
Wandelt ihren ewigen Reigen,
Dieses Bechers voller Zug
Ist unwandelbar mein eigen.

Meiner losen Jugend Brand
Lodert hoch in diesen Tagen.
Tod, da hast du meine Hand,
Willst du mich zu zwingen wagen?

Wir leben hin in Form und Schein
Und ahnen nur in Leidenstagen
Das ewig wandellose Sein,
Von dem uns dunkle Trÿume sagen.

Wir freuen uns an Trug und Schein
Wir gleichen fþhrerlosen Blinden
Wir suchen bang in Zeit und Raum
Was nur im Ewigen zu finden

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Erlýsung hoffen wir und Heil
In wesenlosen Traumesgaben
Da wir doch Gýtter sind und teil
Am Urbeginn der Schýpfung haben.

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Nachtgefÿhl

Tief mit blauer Nachtgewalt
Die mein Herz erhellt,
Bricht aus jÿhem Wolkenspalt
Mond und Sternenwelt.

Seele flammt aus ihrer Gruft
Lodernd aufgeschþrt,
Da im bleichen Sternenduft
Nacht die Harfe rþhrt.

Sorge flieht und Not wird klein,
Seit der Ruf geschah.
Mag ich morgen nimmer sein,
Heute bin ich da!

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Oft ist das Leben

Oft ist das Leben lauter Licht
Und funkelt freudefarben
Und lacht und fragt nach denen nicht,
Die litten, die verdarben.

Doch immer ist mein Herz bei denen,
Die Leid verhehlen
Und sich am Abend voller Sehnen
Zu weinen in die Kammer stehlen.

So viele Menschen weiü ich,
Die irren leidbeklommen,
All ihre Seelen heiü ich
Mir Brþder und willkommen.

Gebþckt auf nasse Hÿnde
Weiü ich sie abends weinen,
Sie sehen dunkle Wÿnde
Und keine Lichter scheinen.

Doch tragen sie verborgen,
Verirrt, und wissen's nicht,
Durch Finsternis und Sorgen
Der Liebe sþües Licht.

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Palmstrþm

Palmstrým kannte einen Herrn
namens Christian Morgenstern.

Dieser bloüe Name schon
war perfid und voller Hohn,

denn besagter Morgenstern
schien am Abend grad so gern.

Ferner war er ein Poet,
was der Bþrger kaum versteht.

Dieser Morgenstern verfaüte
- (tat er's, weil er Bþrger haüte?) -

stets Gedichte voller Hohn,
welche schon durch ihren Ton

jeden Glÿubigen und Braven
unfehlbar ins Schwarze trafen,

da sie Tag und Nacht verkehrten,
ja, oft jedes Sinns entbehrten.

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Alles schienen diese býsen
Spottgedichte aufzulýsen,

was man treu bisher verehrt.
Wer sie las, stand tief verstýrt.

Weder Herz war, noch Verstand,
weder Thron noch Vaterland

heilig diesem Morgenstern,
dennoch hatt' ihn Palmstrým gern

Palmstrým dachte: Jedes Tier
lobt den Herrn mit zwei bis vier

Flþgeln, respektive Beinen.
Ihrem Chor wird sich vereinen

auch dies arme Dichtervieh,
dem ja Gott sein Amt verlieh.

Auch in ihm, so toll er scheine,
triumphiert der Ewig-Eine.

Wÿhrend Palmstrým also dachte,
sah ihn Morgenstern und lachte.

"Dieser", sprach er, "dþnkt sich weise,

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duldet mich im Weltenkreise,

wÿhrend doch zu dem Behuf
ihn mein Dichtergeist erst schuf.

Oder sollte (ach, wer kennt es!)
all mein Dichtens letztenendes

auf nichts anderem basieren
als auf Palmstrýms Wunsch zu existieren?"

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Pfeifen

Klavier und Geige, die ich wahrlich schÿtze,
Ich konnte mich mit ihnen kaum befassen;
Mir hat bis jetzt des Lebens rasche Hetze
Nur zu der Kunst des Pfeifens Zeit gelassen.

Zwar darf ich mich noch kein Meister nennen,
Lang ist die Kunst und kurz ist unser Leben.
Doch alle, die des Pfeifens Kunst nicht kennen,
Bedaure ich. Mir hat sie viel gegeben.

Drum hab ich lÿngst mir innigst vorgenommen,
In dieser Kunst von Grad zu Grad zu reifen,
Und hoffe endlich noch dahin zu kommen,
Auf mich, auf euch, auf alle Welt zu pfeifen.

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Philosophie

Vom Unbewussten zum Bewussten,
Von da zurþck durch viele Pfade
Zu dem, was unbewusst wir wussten,
Von dort verstoüen ohne Gnade
Zum Zweifel, zur Philosophie,
Erreichen wir die ersten Grade
Der Ironie.

Sodann durch emsige Betrachtung,
Durch scharfe Spiegel mannigfalt
Nimmt uns zu frierender Umnachtung
In grausam eiserne Gewalt
Die kþhle Kluft der Weltverachtung.

Die aber lenkt uns klug zurþck
Durch der Erkenntnis schmalen Spalt
Zum bittersþüen Greisenglþck
Der Selbstverachtung.

1900

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Soirýe

Man hatte mich eingeladen,
Ich wuüte nicht warum;
Viel Herren mit schmalen Waden
Standen im Saal herum.

Es waren Herren von Namen
Und von gewaltigem Ruf,
Von denen der eine Dramen,
Der andre Romane schuf.

Sie wuüten sich flott zu betragen
Und machten ein groü Geschrei.
Da schÿmte ich mich zu sagen,
Daü ich auch ein Dichter sei.

1902

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Sonderling

Ich bin zuweilen wie ein wilder Mann,
Der Gýtter hýhnt und laute Nÿchte lang
Mit rohen Kameraden zechen kann
Und dem schon mancher scharfe Witz gelang.

Ich bin zuweilen wie ein schwaches Kind,
Das ohne Schuld krank wurde und verdarb,
Und dessen Lÿcheln ungeboren starb.
Und dessen Trÿume voll von Engel sind.

1901

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Sterbelied des Dichters

Bald geh ich heim,
Bald geh ich aus dem Leim,
Und meine Knochen fallen,
Zu den andern allen,
Der berþhmte Hesse ist verschwunden,
Bloü der Verleger lebt nich von seinen Kunden.

Dann komm ich wieder auf die Welt,
Ein Knÿblein, das allen wohlgefÿllt,
Sogar alte Leute schmunzeln
Aus wohlwollenden Runzeln.
Ich aber saufe und fresse,
Heiüe nicht mehr Hesse,
Liege bei den jungen Weibern,
Reibe meinen Leib an ihren Leibern,
Kriege sie satt udndrþcke ihnen die Gurgel zu,
Dann kommt der Henker und bringt mich auch zur Ruh.

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Dann kann ich wieder auf Erden
Von einer Mutter geboren werden
Und Bþcher schreiben oder Weiber begatten.
Ich bleibe aber lieber im Schatten,
Bleibe im Nichts und ungeboren
Und ungeschoren, im Jenseits verloren,
Da kann man þber alle diese Sachen
Lachen, lachen, lachen, lachen.

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Stufen

Wie jede Blþte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blþht jede Lebensstufe,
Blþht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muü das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschþtzt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hÿngen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uffs Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lÿhmender Gewýhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Rÿumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

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Traum

Aus einem argen Traum aufgewacht
Sitz ich im Bett und starre in die Nacht.

Mir graut vor meiner eigenen Seele tief,
Die solche Bilder aus dem Dunklen rief.

Die Sþnden, die ich da im Traum getan,
Sind sie mein eigen Werk? Sind sie nur Wahn?

Ach, was der schlimme Traum mir offenbart,
Ist bitter wahr, ist meine eigene Art.

Aus eines unbestochenen Richters Mund
Ward mir ein Flecken meines Wesens kund.

Zum Fenster atmet kþhl die Nacht herein
Und schimmert nebelhaft in grauem Schein.

O sþüer, lichter Tag, komm du heran
Und heile, was die Nacht mir angetan!

Durchleuchte mich mit deiner Sonne, Tag,
Dass wieder ich vor dir bestehen mag!

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Und mach mich, ob's auch in Schmerzen sei,
Vom Grauen dieser býsen Stunde frei!

1907-8

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Traurigkeit

Die mir noch gestern glþhten,
Sind heut dem Tod geweiht,
Blþten fallen um Blþten
Vom Baum der Traurigkeit.

Ich seh sie fallen, fallen
Wie Schnee auf meinen Pfad,
Die Schritte nicht mehr hallen,
Das lange Schweigen naht.

Der Himmel hat nicht Sterne,
Das Herz nicht Liebe mehr,
Es schweigt die graue Ferne,
Die Welt ward alt und leer.


Wer kann sein Herz behþten
In dieser býsen Zeit?
Es fallen Blþten um Blþten
Vom Baum der Traurigkeit.

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Vergünglichkeit

Vom Baum des Lebens fÿllt
Mir Blatt um Blatt,
O taumelbunte Welt,
Wie machst du satt,
Wie machst du satt und mþd,
Wie machst du trunken!
Was heut noch glþht,
Ist bald versunken.
Bald klirrt der Wind
úber mein braunes Grab,
úber das kleine Kind
Beugt sich die Mutter herab.
Ihre Augen will ich wiedersehn,
Ihr Blick ist mein Stern,
Alles andre mag gehn und verwehn,
Alles stirbt, alles stirbt gern.
Nur die ewige Mutter bleibt,
Von der wir kamen,
Ihr spielender Finger schreibt
In die flþchtige Luft unsre Namen.

1919

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Verzÿckung

Biegt sich in berauschter Nacht
Mir entgegen Wald und Ferne,
Atme ich Blau und kþhle Sterne
Und der Trÿume wunde Pracht,

O dann liegt die trunkne Welt
Wie ein Weib an meinem Herzen,
Lodert in verzþckten Schmerzen,
Deren Schrei betýrend gellt.

Und aus fernsten Tiefen her
Tiergestýhn und Flþgelschlagen,
Nachklang aus verschollnen Tagen
Grþner Jugendzeit am Meer,

Opferschrei und Menschenblut,
Feuertod und Klosterzelle,
Alles meines Blutes Welle,
Alles heilig, alles gut!

Nichts ist auüen, nichts ist innen,
Nichts ist unten, nichts ist oben,
Alles Feste will zerrinnen,

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Alle Grenzen sind zerstoben.

Sterne gehùn in meiner Brust,
Seufzer gehùn am Himmel unter,
Jedes Leben Herz und Lust
Brennt entzþckter, flackert bunter,

Jeder Rausch ist mir willkommen,
Offen steh ich jeder Pein,
Strýme betend, hingenommen

Mit ins Herz der Welt hinein.

1919

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Wie eine Welle

Wie eine Welle, die vom Schaum gekrÿnzt
Aus blauer Flut sich voll Verlangen reckt
Und mþd und schýn im groüen Meer verglÿnzt -

Wie eine Wolke, die im leisen Wind
Hinsegelnd aller Pilger Sehnsucht weckt
Und blaü und silbern in den Tag verrinnt -

Und wie ein Lied am heiüen Staüenrand
Fremdtýnig klingt mit wunderlichen Reim
Und dir das Herz entfþhrt weit þber Land -

So weht mein Leben flþchtig durch die Zeit,
Ist bald vertýnt und mþndet doch geheim
Ins Reich der Sehnsucht und der Ewigkeit.

1901

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Hesse ÿber die Liebe

Ohne Liebe zu sich selbst ist auch die Nÿchstenliebe unmýglich.
Der Selbsthaü ist genau dasselbe und erzeugt am Ende dieselbe
grausige Isoliertheit und Verzweiflung wie der grelle Egoismus.
Glþck ist Liebe, nichts anderes. Wer lieben kann, ist glþcklich.

Ohne Persýnlichkeit gibt es keine Liebe, keine wirklich tiefe
Liebe.

Den Sinn erhÿlt das Leben einzig durch die Liebe.Das heiüt:
je mehr wir zu lieben und uns hinzugeben fÿhig sind,
desto sinnvoller wird unser Leben.

Glþck ist Liebe, nichts anderes. Wer lieben kann, ist glþcklich.

Der Anfang aller Kunst ist die Liebe. Wert und Umfang jeder
Kunst werden vor allem durch des Kþnstlers Fÿhigkeit zur Liebe
bestimmt.

Genie ist Liebeskraft, ist Sehnsucht nach Hingabe.

Je weniger ich an unsere Zeit glauben kann, je mehr ich das
Menschentum verkommen und verdorren zu sehen meine,
desto weniger stelle ich diesem Verfall die Revolution entgegen,

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und desto mehr glaube ich an die Magie der Liebe.

Kein Mensch fþhlt im andern eine Schwingung mit,
ohne daü er sie selbst in sich hat.

Die Welt und das Leben zu lieben,auch unter Qualen zu lieben,
jedem Sonnenstrahl dankbar offenstehen und auch im Leid
das Lÿcheln nicht ganz zu verlernen - diese Lehre jeder echten
Dichtung veraltet nie und ist heute notwendiger und
dankenswerter als je.

Fþhle mit allem Leid der Welt, aber richte deine Krÿfte nicht
dorthin, wo du machtlos bist, sondern zum Nÿchsten,
dem du helfen, den du lieben und erfreuen kannst.

Die Welt zu durchschauen, sie zu verachten,
mag groüer Denker Sache sein.
Mir aber liegt einzig daran,die Welt lieben zu kýnnen,
sie und mich und alle Wesen mit Liebe und Bewunderung
und Ehrfurcht betrachten zu kýnnen.

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ûber Hermann Hesse

Hesse, Hermann, Pseudonym Emil Sinclair, geb. Calw 2. Juli
1877, gest. Montagnola (Schweiz) 9. August 1962, dt.
Schriftsteller.
Der Vater war ein deutsch-baltischer Missionsprediger, die
Mutter eine schweizerische Missionsarstochter. Hesse erhielt
eine pietistische Erziehung der er sich 1892 nach einjÿhrigem
Aufenthalt im evangelisch-theologischen Seminar Maulbronn
entgþltig entzog. Ab 1895 Buchhÿndlerlehre in Tþbingen, ab
1899 Buchhÿndler und Antiquar in Basel; ab 1904 freier
Schriftsteller. Lebte, von Reisen durch
Europa und Indien abgesehen, zurþckgezogen am Bodensee und
spÿter im Tessin (seit 1923) schweizerische
Staatsbþrgerschaft); wÿhrend des 1. Weltkrieges fþr die
Krieggefangenen tÿtig; 1946 erhielt er
den Nobelpreis fþr Literatur, 1955 den Friedenspreis des
Deutschen Buchhandels.
In seiner Erzÿhlkunst, geprÿgt von Goethe und Gottfried Keller,
begann Hesse als Neuromantiker mit stark autobiographischen
Werken, die seine krisenhafte Entwicklung, die aus den
Konventionen der engen Erziehung hinausfþhrte, darstellten.
Bereits hier anklingend, bestimmte der Gegensatz Geist - Leben
(Natur), dem er auf der Suche nach harmonischem Ausgleich in
immer neuen Variationen Ausdruck gibt, sein weiteres

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literarisches Schaffen. Stark beeindruckt von der indischen
Philosophien stellte er zeitweise das meditative Element in den
Vordergund, aber auch Einflþsse der psychanalytischen
Erkenntnisse lassen sichj (bes. im Roman "Der Steppenwolf",
1927) feststellen.
Eine Synthese versuchte Hesse in seinem Alterswerk "Das
Glasperlenspiel" (2 Bde., 1943), das, westliche und ýstliche
Weisheit vereinend, spielerisch die Form einer Chronik
verwendend, ein utopisches Bild geistiger Gemeinschaft
zeichnet. Hesses schlichte, musikalische Sprache ist
gekennzeichnet durch immpressionistische Bilder. Er schrieb
auch Lyrik, die oft volksliednah ist. Schuf Illustrationen
eigener Werke. Seine Bþcher wurden in viele Sprachen
þbersetzt.


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