Hans J. Alpers / Ronald M. Hahn
Wrack aus der
Unendlichkeit
Band 3
aus der Reihe
„Raumschiff der Kinder“
ungekürzte Originaledition
der nicht mehr aufgelegten
Einzelausgabe von 1977
© Ensslin & Laiblin Verlag GmbH & Co. KG Reutlingen 1977. Sämtliche
Rechte, auch die der Verfilmung, des Vortrags, der Rundfunk und
Fernsehübertragung, der Verbreitung durch Kassetten und Schallplatten
sowie der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten. Printed in Germany.
ISBN 3770904028
Die kosmische Uhr
„Harpo?“
„Hmm.“
„Harpooo?“
„Hmm!“
„Harpo! Antworte bitte.“
„Was gibt’s denn, Schwatzmaul? Du siehst doch, daß ich zu tun habe. Ich
muß diese verflixte MatheAufgabe noch lösen.“
Schwatzmaul war das Bordgehirn des Raumschiffes EUKALYPTUS. Die
Kinder hatten ihm diesen Spitznamen verliehen, weil es gern ungefragt seine
Meinung äußerte. Aber auf eine gewisse Art waren sie sogar froh darüber, daß
Schwatzmaul nicht eine jener eiskalt und logisch denkenden Maschinen war,
wie man sie nur allzu oft an Bord anderer Weltraumschiffe antraf. Das Bord
gehirn verfügte über eine Anzahl von Fernsehaugen, überall an Bord des
Schiffes, und war fähig, optische Eindrücke wahrzunehmen.
Harpo sah ein wenig unwillig von seinen über den Kontrolltisch ausgebrei
teten Schmierzetteln hoch. Mußte Schwatzmaul ihn ausgerechnet jetzt stö
ren? Er war ohnehin ärgerlich, weil er seit zwei Stunden vergeblich versuchte
diese knifflige Gleichung mit zwei Unbekannten zu lösen. Obwohl die Kinder
in jeder Beziehung ihren Mann – und natürlich auch ihre Frau – standen,
hatten sie beschlossen, daß die Weiterbildung nicht vernachlässigt werden
durfte. Mathematik gehörte dazu, also mußten Aufgaben gelöst und geübt
werden. Die Lehre vom Zusammenleben in einer Gemeinschaft war ebenso
wichtig, deshalb wurden Geschichte, Politik, Soziologie und Psychologie mit
Hilfe von Mikrofilmen aus dem Schiffsarchiv gelernt. Und ... und ... und ...
„Harpo, weißt du, was tickticktickticktick bedeutet?“ fragte Schwatz
maul.
„Ach, laß mich doch in Ruhe.“
„Wenn du unter Druck stehst, kann ich dir Zeit sparen helfen“, flüsterte
Schwatzmaul in verschwörerischem Tonfall. „Wenn du in der dritten Zeile ,x‘
ausklammerst, dann ...“
„Ich will aber nicht, daß du mir dabei hilfst“, schimpfte Harpo. „Ich will es
allein schaffen! Also gut, wie war das noch einmal? Was wolltest du von mir
wissen?“
„Ich will nur wissen, was tickticktickticktick zu bedeuten hat.“
„Mann!“ stöhnte Harpo, obwohl der Computer ja kein Mann war. „Das ist
natürlich eine Uhr! Und nun – bitte Schwatzmaul! – unterhalte dich meinet
wegen mit dem kleinen Ollie. Der freut sich, wenn du ihm Rätsel aufgibst:
Hängt an der Wand, macht tickticktick, und wenn es herunterfällt, ist die
Uhr kaputt. Was ist das?“
„Na schön“, brummte Schwatzmaul leicht säuerlich. „Du bist heute sehr
ungnädig. Gut, gut, ich nehme zu den Akten, daß es dich nicht interessiert.
Aber nochmals, Harpo Trumpff, Herr Harpo Trumpff, Chronist und Logbuch
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führer des Raumschiffes EUKALYPTUS: Würdest du bitte die Gnade haben,
zur Kenntnis zu nehmen, daß vierzehn Lichtminuten von hier eine mehrere
Kilometer große Uhr im Weltraum hängt? – Ich sage das ja nur, damit hin
terher nicht wieder von gewissen Leuten das große Gemecker zum Dessert
auf den Tisch kommt“, fügte das Bordgehirn hinzu.
„Waaas?“ stieß Harpo hervor, sprang auf und stieß beinahe den Schwenk
sitz um. Seine dichten, blonden Locken fielen ihm dabei in die Stirn und
nahmen ihm vorübergehend die Sicht. Mit einer charakteristischen Handbe
wegung warf er das Haar wieder in den Nacken. „Eine Uhr? Kilometergroß,
im Weltraum – und die hängt da einfach rum? – Schwatzmaul, du bist über
geschnappt!“
„Ich habe lediglich gefragt“, näselte das Bordgehirn vorwurfsvoll, „was tick
ticktickticktick bedeutet, weil ich dieses Ticken mit meinen Instrumenten
aufnehme. Und da du sagtest, es könne sich nur um eine Uhr handeln,
schwebt eben eine riesige im All.“
„Ich breche zusammen!“ stöhnte Harpo. „Warum haben wir auf diesem
Schiff nicht einen ganz lieben, netten Computer, der Daten ausspuckt wie
etwa: ,Funksignale aus dem Raumquadranten sowieso empfangen ...‘ Das
wäre doch so einfach, soo nervenschonend ...“
„Pah“, machte Schwatzmaul geringschätzig. „Wie der Herr, so’s
Gescherr...“
Harpo wurde sofort klar, daß die Mathematikaufgaben jetzt unwichtig
waren. Signale im All! Gerade jetzt, da die Generatoren der EUKALYPTUS
langsam auf Touren kamen, man zum ersten Mal nicht ein Spielball kos
mischer Kräfte war, sondern bewußt Sterne ansteuerte – und einige Hoffnung
hatte, sie in absehbarer Zeit auch zu erreichen. „Kannst du die Signale ent
schlüsseln?“ fragte er nervös.
„Signale hast du gesagt“, erinnerte ihn das Bordgehirn. „Ich jedenfalls
sprach nur von einem simplen Ticken. Um genau zu sein: Meine Massedetek
toren melden ein Objekt, das rund ist, einen Durchmesser von 4,43456... äh,
ich glaube, ich kürze besser ab ... von 4,4 Kilometern besitzt und zu etwa
achtzig Prozent aus Metall besteht, dabei leicht radioaktiv strahlt ...“
„Ist das für Menschen gefährlich?“
„Nein.“
„Sofort Thunderclap informieren“, haspelte Harpo aufgeregt. Er raufte sich
die Haare, während tausend Gedanken auf einmal ihn beschäftigten.
„Der pennt“, sagte Schwatzmaul.
„Dann weck ihn auf, in Dreiteufelsnamen!“
„Schon versucht. Thunderclap Genius schläft wie ein Murmeltier und rea
giert nicht mal auf meine lauteste Wecksirene. Ich habe gerade einen unserer
kleinen mechanischen Freunde mit einem großen Eimer kalten Wassers in
Marsch gesetzt.“
Harpo mußte grinsen. Er stellte sich schon bildhaft vor, wie Thunderclap
das kühle Naß über das Gesicht schwappte. Nun, da er als Wachhabender die
Zentrale hütete, mußte Harpo eine schnelle Entscheidung treffen.
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„Kurs auf das fremde Objekt!“ ordnete er an.
„Kurs schon vor fünf Minuten geändert“, gab Schwatzmaul kichernd zu
rück.
„Ganz schön voreilig“, knurrte Harpo. „Wie, um alles in der Welt, konntest
du bloß wissen ...“
„Ich kenne dich doch! Fast genauso gut wie jede meiner SubSchaltungen.“
In diesem Moment ertönte durch die vielen Metallwände hindurch, die
Thunderclaps Bett in einem der Nebenräume von der Zentrale abschirmten,
ein spitzer Schrei, gefolgt von einem saftigen Fluchen.
„Aha“, machten Harpo und Schwatzmaul gleichzeitig. Ihre Stimmen
klangen heiter und zufrieden. Wenig später wurde eine der Türen zur Zentra
le von der Lichtschranke geräuschlos geöffnet, und ein patschnasser
Thunderclap Genius fuhr mit seinem Rollstuhl herein. Er mußte in seinem
Gefährt eingeschlafen sein, sonst hätte er nicht so schnell erscheinen
können. Für gewöhnlich war der querschnittgelähmte Junge auf die Hilfe sei
ner Freunde angewiesen, wenn er das Bett mit dem Rollstuhl vertauschen
wollte.
„Wer hat das angeordnet? Ich will es auf der Stelle wissen!“ schrie er em
pört. „Wo ist der Erzhalunke?“ Er wandte sich dem kleinen Roboter zu, der
ihm immer noch diensteifrig mit dem mittlerweile leeren Wassereimer folgte.
„Sofort bringst du einen neuen, nein, zwei neue Eimer Wasser in die Zentrale!
– Harpo, du Schuft, du wirst schon sehen, daß man nicht ungestraft ein so
wichtiges Mitglied der Besatzung ...“
Schwatzmaul hüstelte, während Harpo ein möglichst unschuldiges Gesicht
machte und, die Hände auf dem Rücken, die Sterne betrachtete. „Ich war es
wirklich nicht“, sagte er schließlich und lachte. „Ehrlich, Thunderclap! Und
an Schwatzmaul kannst du dich nicht rächen. Oder willst du vielleicht Wasser
gegen seine Fernsehkamera oder gegen die Verkleidung kippen?“
Schwatzmaul zog es mal wieder vor, mit den anderen per Fernsehschirm
zu verkehren. Blitzartig erschien auf einem der Monitoren die Aufschrift:
„Bitte kein Wasser auf den Computer spritzen!“
Harpo, der den kleinen Roboter dennoch vorsorglich im Auge behielt, at
mete auf, als dieser – wohl unter einem Gegenbefehl Schwatzmauls handelnd
– abmarschierte. Die Grünen, wie die Roboter an Bord der EUKALYPTUS ge
nannt wurden, weil sie mit grünen Fellen bekleidet wie kindergroße Teddy
bären wirkten, waren einst die gefürchteten Lehrer und Beobachter der
Kinder gewesen. Inzwischen hatte man sie zu netten Handlangern umgebaut.
Nur Lonzo machte eine Ausnahme. Aber er war eben kein Roboter im ge
wöhnlichen Sinn, sondern ein Freund und Kumpel der Kinder.
„Dieser Halunke!“ stöhnte Thunderclap. Aber er nahm dankbar das Hand
tuch entgegen, das ihm der zurückgekehrte Grüne jetzt reichte. „Mit dir
werde ich einen Monat nicht mehr reden“, drohte er dem Bordgehirn.
„Das ist unfair“, protestierte Schwatzmaul. „Was kann ich dafür, daß du
eingeschlafen bist? Schließlich wirst du hier gebraucht!“
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„Das hat er von Captain Kidd“, kam Lonzos fröhliche Stimme vom Eingang
her. Er betrat soeben mit Harpos Schwester Anca, dem kleinen Ollie und
Alexander die Zentrale und der gläsernen Sternenkuppel. Es war Zeit für
einen Wachwechsel. Anca war für die nächste Schicht vorgesehen.
„Selbst vor und nach den größten Seegefechten und alleraufregendsten
Schatzsuchen“, fuhr Lonzo plappernd fort, „konnte Captain Kidd jederzeit
einschlafen, auf der Stelle, wenn es sein mußte sogar im Stehen und mit of
fenen Augen. Niemand bekam ihn dann wach. Kein Böllerschuß, nicht ein
mal ein Faß Rum, das man ihm auf den großen Zeh warf. Er grunzte dann nur
und schnarchte wieder weiter. Aber wehe, es war das Klirren feindlicher
Enterhaken zu hören ...“
„Ganz klar“, bestätigte nun auch Ollie. „Unser Thunderclap hat Piratenblut
in den Adern. Im Schnarchen macht er selbst Captain Kidd etwas vor! Wie
war doch noch sein richtiger Name?“
„Pitter Sause“ versuchte Schwatzmaul ihm diensteifrig auszuhelfen.
„Ruhe!“ brüllte Thunderclap dazwischen, der um keinen Preis der Welt zu
lassen wollte, daß sein richtiger Name unter die Leute kam. „Sonst komme
ich mit dem Feuerwehrschlauch!“ Er sah sich grimmig um und drohte dem
Aufnahmeobjektiv des Bordgehirns mit der Faust. „Wir sind doch hier nicht
im Kindergarten! Immerhin gibt es ernsthafte Probleme zu lösen. Schwatz
maul, wir erwarten deinen Bericht.“
Manchmal konnte Schwatzmaul sehr vernünftig und sachlich sein. Ja,
eigentlich mußte man ihm zugestehen, daß er über seinen Späßen niemals
vergaß, welche wichtigen Funktionen er im Raumschiff auszufüllen hatte. Im
Grunde war er doch recht zuverlässig. Ohne Schnörkel berichtete er deshalb
noch einmal von der Entdeckung, über die bisher nur Harpo informiert war.
„Juchhuuu!“ jubelte Ollie. „Endlich mal wieder ein Abenteuer!“
„Der spuckt vielleicht Töne“, mokierte sich Anca. „Kaum sind wir drei Wo
chen im Weltraum, da wird es ihm schon wieder langweilig.“
Das Mädchen hatte recht. Nur neunzehn Tage waren seit ihrem Start vom
Frostplaneten vergangen, aber irgendwie kam es den meisten bereits wie eine
Ewigkeit vor. Sie fühlten sich wie alte Raumhasen, die seit Jahrzehnten von
Stern zu Stern durch den Kosmos kurvten. Mit sich allein, den Lernaufgaben,
dem Kochen, Wäsche Waschen und Säubern der Decks – auch wenn man, ge
naugenommen, bei den meisten anfallenden Arbeiten lediglich entspre
chende Programme für die Grünen zusammenstellte.
„Wir erreichen das fremde Objekt in drei Stunden, fünfzehn Minuten,
vierund“ gab Schwatzmaul informationsfreudig bekannt.
Harpo, der den Genauigkeitsfimmel des Bordgehirns kannte, unterbrach
dessen Redefluß und meinte: „Sag mal, Schwatzmaul, wieso dauert das
eigentlich so lange? Wenn das Objekt doch nur ganze vierzehn Lichtminuten
entfernt ist und wir schon mit halber Lichtgeschwindigkeit fliegen – müßten
wir dann nicht in einer halben Stunde dran sein? Das Licht braucht vierzehn
Minuten. Wir dürfen dann doch höchstens achtundzwanzig benötigen.
Oder?“
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„Mein lieber Harpo“, begann Schwatzmaul, erfreut darüber, wieder einen
längeren theoretischen Vortrag halten zu können. „Ich –“
„Mein größerer Bruder“, fiel Lonzo hastig ein, „liebt bekanntermaßen weit
schweifige Kommentare. Ich darf wohl anmerken, daß Captain Kidd ihn
allein aus diesem Grund auf der Stelle verschrottet und Kanonenkugeln aus
ihm gegossen hätte ... Um es kurz und treffend mit Captain Kidd zu sagen:
Diese alte Schaluppe funktioniert im Prinzip nicht anders als jene alte Brigg,
mit der wir damals die neun Weltmeere unsicher machten. Man muß vor
dem Wind kreuzen, Segel reffen und die Matrosen mit einem Fäßchen Rum
bei Laune halten. Das dauert seine Zeit. Wo ist übrigens der Rum für die Ma
trosen?“
„Neun Weltmeere?“ heulte jetzt Schwatzmaul auf. „Hat man je so etwas ge
hört?“
„Damals“, behauptete Lonzo starrsinnig, „gab es auf der Erde eben mehr
Weltmeere als heute!“
Schwatzmaul gab auf, denn offenbar war er dem kleinen Metallroboter
doch nicht gewachsen. Er ging lieber seufzend auf Harpos Frage ein: „Lonzo
hat leider recht, zumindest was die Frage der Manövrierfähigkeit von Raum
schiffen betrifft. Wir benötigen deshalb mehr Zeit, das Objekt zu erreichen,
weil wir erstens nicht schlagartig im rechten Winkel den Kurs ändern
können, sondern eine parabelförmige Kurve benötigen. Zweitens müssen wir
die hohe Geschwindigkeit allmählich abbremsen, und zwar so langsam, daß
niemandem an Bord etwas zustößt. Beschleunigungs und Verzögerungskräf
te machen dem menschlichen Organismus nämlich hart zu schaffen. Man
muß da vorsichtig dosieren.“
„Ach was“, meinte Alexander, der mit seinem roten Pelz wie ein kleiner
Grizzlybär aussah. „Wir alle mächtig stark. Ich besonders!“
„Na, und ich?“ fragte Ollie hochnäsig, der sich, seit Alexander ihn bei einem
Ringkampf gönnerhaft hatte gewinnen lassen, für einen ebenbürtigen Gegner
hielt.
„Schwatzmaul weiß schon, was er tut“, griff Thunderclap ein. „Und wir
können uns jetzt in Ruhe überlegen, was uns in drei Stunden erwarten mag!“
Böhmische Dörfer
Mittlerweile hatten alle Besatzungsmitglieder der EUKALYPTUS erfahren,
daß der Kurs gewechselt und ein unbekanntes Objekt angesteuert wurde. Da
es an Bord keinen Kapitän und keine Offiziere gab, die über die Köpfe der
anderen hinweg entscheiden konnten, hätte jetzt eigentlich die Schiffsver
sammlung einberufen werden müssen.
Es war nämlich so, daß derjenige, der gerade die Wache übernahm, ge
legentlich aus der jeweiligen Situation heraus Entscheidungen treffen mußte.
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Allein. Aber für seine Maßnahmen war er der Bordversammlung verantwort
lich. Und die bestand aus sämtlichen zehn Besatzungsmitgliedern. Jeder
hatte die gleichen Rechte und Pflichten. Natürlich gehörten auch die nicht
menschlichen Besatzungsmitglieder dazu: Trompo, das zierliche, kätz
chengroße und elefantenähnliche Wesen aus dem All, Alexander, der zotte
lige Rotpelz vom Planeten Nordpol, und der stets zu Späßen aufgelegte
Roboter Lonzo, der nicht müde wurde, zu behaupten, eigentlich gar keine
Maschine, sondern ein Mensch zu sein und früher zusammen mit dem Pi
ratenkapitän Kidd die tollsten Abenteuer erlebt zu haben.
Diesmal verlangte niemand eine Schiffsversammlung. Es herrschte vollste
Übereinstimmung: Der fremde Körper im Weltraum wird angesteuert.
Die Besatzung war jetzt, da es spannend zu werden versprach, fast vollzäh
lig in der Raumschiffszentrale versammelt. Es war ein riesiger, kreisrunder
Raum, der von einer gläsernen Kuppel überdacht wurde und einen fas
zinierenden Ausblick auf die Milchstraße gestattete.
„Unsere Teleskope sind zwar gut, aber nicht gut genug“, murrte Thunder
clap, der ungeduldig mit den Händen in der Luft herumfuchtelte. Das tat er
häufig, wenn er aufgeregt war – so wie andere auf und ab gehen oder auf der
Sitzfläche eines Stuhls herumrutschen. Er ärgerte sich, daß selbst die stärks
ten Vergrößerungen nicht mehr zeigten als einen nur fußballgroßen, pech
schwarzen Körper.
„Sicher“, meinte Micel Fopp, „es gibt bessere. Aber die sind riesig und
tonnenschwer! Wir sind nun einmal auf einem Raumschiff und nicht in
einem Observatorium.“
„Ach, mich ärgert nur, daß uns dieses Ding absolut nichts über sich ver
raten will“, antwortete Thunderclap. „Eine schwarze Murmel! Was soll das?
Ich finde das nicht fair!“
„Du bist wie ein Wissenschaftler, der sich beleidigt fühlt, wenn ihm nicht
auf der Stelle alle Geheimnisse des Universums in den Schoß fallen“, sagte
Harpo lachend. „Mensch, das macht es doch gerade so spannend, wenn man
zunächst ein paar Nüsse knacken muß!“
„Mich macht es nervös“, schimpfte Thunderclap. „Sag mal, Micel – fühlst
du nicht wenigstens eine Kleinigkeit?“
Thunderclap spielte mit diesem Worten auf Micels besondere Begabung
an. Der schwarzhaarige, dunkeläugige Junge konnte nämlich Gedanken
lesen, auch über größere Entfernungen hinweg.
„Nein“, sagte Micel und zuckte mit seinen viel zu kurzen, verkümmerten
Ärmchen. „Aber wir sind auch noch zu weit entfernt. Ein Genie bin ich nun
mal nicht. Im Gedankenlesen stolpere ich sogar bei euch. Das kann aber auch
an dem krausen Zeug liegen, das durch eure Gehirnwindungen hüpft.“
Alle lachten, denn sie wußten ja, daß Micel es nicht ernst meinte. Aber
recht hatte er schon. Er war noch ein Lehrling, und niemand konnte ihm hel
fen. Er selbst mußte sich nach und nach in die Gebiete vortasten, für die er
dank einer Laune der Natur Begabung zeigte.
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„Wenn uns die Massedetektoren nicht etwas anderes melden würden“,
kam es aus luftiger Höhe von Karlie Müllerchen, der hinter dem Tisch des
Astronavigators saß und Sternenkarten wälzte, „dann könnte mich niemand
davon abbringen, daß wir es nicht mit einem Körper, sondern mit einem so
genannten ,Black hole‘ zu tun haben!“ Karlies Stimme kiekste ein bißchen,
was aber niemanden störte. Dieses Kieksen war allen genauso vertraut wie
der Riesenwuchs des Jungen. Er war gerade erst sechzehn Jahre alt geworden,
maß aber vom Scheitel bis zur Sohle bereits mehr als zwei Meter zwanzig. Auf
seinem spitzen Kinn sproß bereits munter ein dünner Bart.
Abweichungen im Aussehen, körperliche oder geistige Behinderungen ver
schiedener Art, Verhaltensstörungen oder organisch bedingte Besonderhei
ten hatten die meisten Kinder an Bord der EUKALYPTUS aufzuweisen. Das
waren die Folgen der erschreckenden Umweltveränderungen auf der Erde,
von der diese Kinder kamen. Große Chemiekonzerne und gewissenlose Poli
tiker hatten in der Vergangenheit rücksichtslos ihre Interessen durchgesetzt
und dabei mit chemischen und atomaren Abfallprodukten Mensch und Na
tur vergiftet. Das Raumschiff EUKALYPTUS, das Platz für mehrere zehn
tausend Menschen bot, war einst eine Art Sanatorium gewesen. Es kreiste auf
einer Parkbahn um die Erde, bis es bei einer Katastrophe ins All hinausge
schleudert wurde. Die Kinder, Patienten auf dem Schiff, waren durch die Er
eignisse gezwungen, die verschwundene Besatzung zu ersetzen und fern von
der Erde ihren Weg durch den Kosmos zu suchen.
Karlie fuhr fort: „Stimmt doch, was ich gesagt habe, oder? Man sieht von
dem Körper so wenig wie vom Mond der Erde, wenn er sich bei einer
Sonnenfinsternis vor die Sonne schiebt. Hier verschluckte er ein paar Sterne.
Hmmm...“ Karlies Hobby waren die Sterne. Er unterhielt ich häufig mit
Schwatzmaul über Astronomie oder las auf dem Filmbetrachter große Spulen
mit Mikrofilmaufnahmen dickbändiger wissenschaftlicher Werke.
Die im Laufe der Zeit angesammelten Kenntnisse halfen ihm jetzt nicht
viel. Der geheimnisvolle Körper – die kosmische Uhr, wie Harpo ihn scherz
haft nannte – war keine Sonne. Schließlich hätte er dann Licht aussenden
müssen. Außerdem war er für eine Sonne viel zu winzig. Da er ganz allein in
mitten des Weltraums schwebte, hätte man ihn für einen sogenannten Irr
läufer halten können, einen Planeten, der sein eigenes Sonnensystem
verlassen hatte und nun als Einzelgänger durch die Galaxis raste. Eigenartig
war nur, daß er nicht wie andere Irrläufer mit hoher Geschwindigkeit flog,
sondern beinahe bewegungslos seine Position hielt.
„Neue Daten!“ schnatterte Schwatzmaul unerwartet los. „Das dreiachsige
Massediagramm zeigt auf allen Ebenen Sprünge.“
„Böhmische Dörfer“, meinte Ollie grinsend.
Die älteren Jungen und Anca studierten aufmerksam die Projektion auf den
Zentralbildschirmen, die Schwatzmauls Außenkameras jetzt zeigten. Ollie er
kannte lediglich bizarre Kurven, etwa so, wie sie entstehen, wenn der Herz
schlag eines Menschen gemessen wird. Solche EKGKurven hatte er schon
gesehen, auch seine eigene. Was für ihn nur ein wirres Linienmuster war,
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schien für die Älteren ein interessantes Detail in einer Informationskette zu
sein. Jedenfalls reckten sie die Hälse, als liefe auf den Monitoren ein
spannender Abenteuerfilm ab.
„Will mir nicht mal einer erklären, was das alles zu bedeuten hat?“ fragte
Ollie ungeduldig und zerrte an den Fransen seiner Trapperhose. Thunderclap
bequemte sich schließlich zu einer Antwort. „Die Masse im Innern des Kör
pers ist nicht gleichmäßig verteilt“, sagte er mit vor Aufregung glühenden
Wangen.
„Na und?“ krähte Ollie.
„Mensch!“ rief Karlie. „Das bedeutet, daß der Körper porös ist! Ausgehöhlt,
verstehst du?“
„Dann isser eben ausgehöhlt“, erwiderte Ollie maulend. „Find’ ich über
haupt nichts Aufregendes dran.“
In Wahrheit ärgerte er sich nur, daß er die Kurven nicht lesen konnte und
sich alles erklären lassen mußte.
„Dieser Knirps macht mich noch wahnsinnig“, seufzte Karlie. „Also: Die
Kurven sagen nicht nur aus, daß der Körper im Innern aus einer Kette von
Hohlräumen besteht, sondern diese Höhlen haben eine exakt kubische Form
und sind gleich weit voneinander entfernt. Das heißt ...“
„Ein Wunder der Natur!“ platze Ollie heraus.
„Quatsch, Wunder!“ meinte Karlie. Sein breites Grinsen zeigte, daß ihm die
Unterhaltung entgegen seinen Beteuerungen dennoch Spaß machte. „Ich
sage nur soviel: Wenn jemand aus der Ferne ein Massediagramm von der EU
KALYPTUS aufnehmen würde – viel anders als dieses hier würde das auch
nicht aussehen!“
„Mann, klasse!“ schrie Ollie in voller Lautstärke. „Ein Raumschiff mit
schleimigen Krötenmonstern vom Sirius!“
„Du mit deiner Phantasie!“ kicherte Anca belustigt, denn im Erfinden von
Monstergeschichten war Ollie der Meister aller Klassen. Niemand vermochte
die Nächte zu zählen, die sie nach den Erzählungen des Kleinen schlaflos ver
bracht hatten.
„Auf jeden Fall müssen wir eine Entermannschaft auswählen“, mischte sich
Lonzo ein, der aufgeregt mit seinen metallenen Tentakeln wedelte. Das hell
rote Glimmen seiner Sehlinsen machte deutlich, daß man Mühe haben
würde, ihn davon zu überzeugen, daß die Mannschaft ohne die in seinem Ge
hirn gespeicherten Erfahrungen von Captain Kidd auskommen konnte. Ganz
besonders deshalb, weil Lonzos angebliche Erfahrungen als Seeräuber aus
der Bordbibliothek stammten.
„Schwatzmaul soll entscheiden, wer die EUKALYPTUS verläßt, um das
fremde Objekt zu erforschen“, schlug Harpo vor. „Wenn es überhaupt dazu
kommt.“
„Gern“, meldete sich spontan das Bordgehirn. „Da einige von euch in den
nächsten Stunden hier schwer abkömmlich sein werden, schlage ich vor, daß
Harpo, Anca, Ollie, Alexander und Lonzo an der Expedition teilnehmen.“
„Jubel, Jubel!“ schrie Ollie und sprang vor Freude in die Luft.
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Alexander war nicht weniger begeistert und boxte Lonzo freundschaftlich
in die Metallrippen.
„Kamerad!“ dröhnte der Roboter. „Ich gebe dir mein Seemannsehrenwort,
daß ich dir ewig dankbar bin. Vergessen wir alles, was über deine
Verschrottung gesagt wurde. Selbst Captain Kidd hätte keine bessere Wahl
treffen können. Es ist überhaupt ein brillanter Einfall von dir, daß Lonzo eine
Expedition anführen soll.“
„Hee!“ protestierten die anderen wie aus einem Mund. „Davon war gar
keine Rede.“
Alle lachten und riefen durcheinander.
„Tatsächlich nicht?“ fragte Lonzo treuherzig. „Ja, dann muß ich mich glatt
verhört haben. Aber Captain Kidd hätte die Leitung zweifellos mit“
„Und warum darf ich nicht mit?“ Micel protestierte und unterbrach damit
den eitlen Lonzo. „Ich habe hier doch sowieso nichts zu tun!“
„Und ich werde auch nicht unbedingt gebraucht“, warf Karlie ein. „Wenn
das Schiff erst antriebslos neben dem anderen Objekt schwebt, ist kein Navi
gieren mehr erforderlich.“
„Und wenn es plötzlich abhaut?“ fragte Harpo und brachte den Langen da
mit zum Schweigen.
„Klar“, meinte Alexander. Er hatte inzwischen die Sprache der Menschen
gelernt, um von der Übersetzungsmaschine unabhängig zu sein. „Und Micel
nützen viel mehr, wenn hierbleiben. Wir nicht wissen, was uns erwartet.
Funkverbindung kann stören oder unterbrechen. Dann Micel immer noch in
der Lage, unsere Gedanken zu lesen!“
Die beiden Jungen sahen ein, daß Schwatzmaul in der Tat eine weise Ent
scheidung getroffen hatte. Manchmal ging es einfach nicht anders, da mußte
man die eigene Abenteuerlust unterdrücken. Das Wohl der Kinderbesatzung
des Schiffes war nun einmal wichtiger.
Die Frage, die nun auftauchte, war allerdings eine der schwierigsten. Nie
mand hatte sich nämlich Gedanken darüber gemacht, wie man überhaupt zu
dem fremden Objekt hinübergelangen konnte. Auf Karlies entsprechende
Frage antwortete Anca wie aus der Pistole geschossen: „Na, natürlich in
einem Raumanzug!“
„Eben“, meinte auch Ollie. „Raumanzug an. Aus der Schleuse hüpfen.
Fertig. Kein Problem. He, he!“
„Doch ein Problem, he, he“, äffte Karlie den Kleinen nach. „Ich weiß ja
nicht, wie es euch geht, aber ich habe an Bord dieses Schiffes noch keinen
einzigen Raumanzug gesehen.“
Das Argument saß, wie sie alle erschreckt zugeben mußten. Als die
ursprüngliche Besatzung der EUKALYPTUS getürmt war, hatte sie wahr
scheinlich jeden verfügbaren Raumanzug verwenden müssen, um in der At
mosphärelosigkeit des Alls zu überleben.
„Du meinst, die haben nicht einen einzigen Raumanzug übriggelassen?“
fragte Harpo enttäuscht. „Die werden doch nicht abgezählt gewesen sein? Ob
nicht doch noch ein paar übriggeblieben sind?“ Immerhin mußte auch er
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zugeben, daß sich hier ein Problem ergab. Bewußt hatten weder er noch die
anderen einen Raumanzug gesehen, obgleich sie die meisten Decks und Kor
ridore kannten.
„Warum fragen wir nicht einfach Schwatzmaul?“ schlug Anca vor.
Der antwortete gleich: „Ein kluger Gedanke, Pummelchen!“
Pummelchen war der Spitzname des Mädchens. Allerdings hörte Anca ihn
nicht gern, denn er war ungerecht. Abgesehen von ihrem etwas pausbäckigen
Gesicht und ein bißchen Babyspeck war die Kleine gar nicht pummelig. In
mutwilliger Verzweiflung raufte sie sich das seidig glänzende Haar und
fauchte drohend: „Lonzo, du Piratenseele! Hast du etwa Schwatzmaul diesen
Namen beigebracht?“
„Aber Pummelchen, niemals würde ich dieses Wort in den Mund nehmen!
Großes Piratenehrenwort!“
„Du vergißt“, erinnerte sie Schwatzmaul heiter, „daß ich alles sehe, höre
und weiß. Da muß mir Lonzo gar nichts mehr verraten.“
„Sehr gut“, hakte Thunderclap Genius schnell ein, der bereits wieder ein
Wortgefecht zwischen Lonzo und Schwatzmaul befürchtete, „dann kann das
allwissende Supergehirn uns ja vielleicht mal schnell verraten, wo wir die
dringend benötigten Raumanzüge finden!“
„Äh ... das ist nämlich so ...“ begann Schwatzmaul sichtlich verlegen.
„Er weiß es nicht!“ triumphierte Anca schadenfroh lachend.
„In der ursprünglichen Planung waren sie vorgesehen“, rechtfertigte sich
das Bordgehirn rasch. „Auf jedem Deck sollten Notanzüge bereitliegen.
Allerdings sollten das Anzüge sein, die euch nicht viel geholfen hätten: unför
mige Gebilde, nur durch Steuerraketen zu bedienen und gänzlich untauglich,
um sich darin wie in einem richtigen Anzug zu bewegen. Sie sollten Schiff
brüchigen ermöglichen, eine Weile im All auszuhalten; so lange, bis Rettung
naht. Ihr wißt ja selbst sehr gut, daß die EUKALYPTUS noch nicht voll ausge
rüstet war, als sie aus dem Orbit der Erde gerissen wurde. In meinen Spei
chern gibt es keine Information, ob diese Anzüge jemals an Bord gelangt
sind.“
„Aber damals, als die Katastrophe eintrat“, hakte Harpo blitzschnell ein,
„da haben wir für kurze Zeit Kontakt mit einem Raumfahrer gehabt, der
einen richtigen Raumanzug trug! Und so plump sah der gar nicht aus. Er
innert ihr euch daran?“
Die Kinder erinnerten sich. Der Mann war auf einem Bildschirm er
schienen und hatte sie warnen wollen. Sie hatten keine Spur mehr von ihm
entdeckt, als sie später das Schiff übernahmen.
„Gewiß“, gab Schwatzmaul zu. Die tiefe Stimme, derer es sich bediente,
wenn er mit den Kindern sprach, klang verlegen. „Ich muß zugeben, daß es
Dinge an Bord des Schiffes gibt, von denen ich nichts weiß. Tatsächlich
wurden aus Kammern in der Nähe des GleitbootHangars solche Anzüge ge
holt, als die Besatzung von Bord ging. Dort müßtet ihr mal nachsehen.
Vielleicht sind noch einige zurückgeblieben?“
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„Worauf warten wir noch?“ fragte Harpo und stürmte los. Die anderen Ex
peditionsmitglieder folgten ihm auf dem Fuß.
Maßgeschneidert
Obwohl Schwatzmaul in diesem Teil des Schiffes relativ wenige Überwa
chungskameras besaß, dirigierte er die Freunde rasch und sicher in die Nähe
der Kammern, in denen er übriggebliebene Raumanzüge vermutete.
Aber Harpo und seine Gefährten kannten sich in diesem Bereich ebenfalls
ganz gut aus. Schließlich waren die Gleitboote, die sie hier entdeckt hatten,
ihre Transportmittel gewesen, als sie die Expedition zum Planeten Nordpol
unternahmen.
„Hier muß es sein!“ rief Anca. Sie deutete auf eine Tür, die mit einem klo
bigen Stahlhebel verschlossen war und solide wie der Eingang zu einem
Tresor wirkte.
In der großen Halle, in der sie sich nun befanden, herrschte ein diffuses,
bläuliches Licht. Alles wirkte irgendwie geheimnisvoll: Stahlgerippe im Hin
tergrund, die undeutlichen Konturen der drei Boote, die Tresortüren mit ih
ren unbekannten Überraschungen dahinter. Wie aus weiter Ferne wisperte
aus einem Lautsprecher die Stimme des Bordgehirns: „Den Hebel einfach
nach unten drücken. Gar nicht kompliziert.“
„Der hat gut reden!“ stöhnte Harpo, der mit gefletschten Zähnen den Hebel
nach unten zu drücken versuchte, ohne daß dieser sich auch nur einen
Millimeter bewegte. „Uff!“ Keuchend mobilisierte er seine ganze Kraft.
Vergebens. Der Hebel rührte sich nicht vom Fleck.
„Laß Papa mal ran“, sagte Lonzo und piekte Harpo mit der Spitze eines
Tentakels.
Harpo quietschte auf und machte einen Satz. Jemand kicherte. Als Harpo
sich den anderen zuwandte, sah er nur unschuldige Gesichter, die gelang
weilt die hohe Hallendecke betrachteten.
Lonzo, der kleiner war als Harpo, ringelte seine vier Tentakel zu dem Hebel
hinauf und zerrte daran, als habe er vor, das ganze Universum aus den
Angeln zu heben. Dabei schnaufte und ächzte und japste er wie ein Schwer
arbeiter, obwohl ihm als Roboter diese Belastung gar nichts ausmachte. Seine
Tentakel wurden immer dünner und länger. Man konnte richtig Angst be
kommen, daß sie jeden Moment abknickten.
„Sapperlot!“ fluchte Lonzo nach einer Weile ungehemmter Aktivität und lo
ckerte seinen Griff. „Doppelter Mastbruch! Beim angefaulten Vorderzahn des
Klabautermannes! Sitzt der aber fest!“
„Muß Freund Lonzo trinken Kännchen Öl zum Frühstück!“ brummte Alex
ander und schob mit seinen Bärenpranken den Metallmann sanft zur Seite.
„Wird er auch kriegen Kraft wie Alexander!“
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Verglichen mit seinen Eltern und Verwandten auf dem Frostplaneten
Nordpol war Alexander sicher nicht mehr als ein Winzling, aber man konnte
doch sehen, daß unter dem dichten, rotbraunen Pelz die Muskeln spielten.
Er griff nach dem Hebel, konnte ihn aber nur mit den Fingerspitzen errei
chen. Also winkte er Lonzo heran und ließ sich von ihm hochheben.
„Muß ... sich ... haben ... verklemmt ...“ stieß er ruckartig hervor, aber dann
wälzte er sich plötzlich auf dem Boden. Ganz leicht war der Hebel aus seiner
Verankerung gerutscht.
„Sie ist offen!“ rief Anca jubelnd und stürzte zur Tür. Tatsächlich klaffte be
reits ein schmaler Spalt. Ein dumpfer, muffiger Geruch schlug ihnen ent
gegen. Ansonsten war es stockdunkel in dem dahinterliegenden Raum.
Ollie schnupperte mißtrauisch. „Das kostet mich wieder viele Jahre Siech
tum“, behauptete er. „Wer weiß, was dort für Bazillen und Viren hocken, alle
auf der Lauer nach dem armen Oliver ...“
Die anderen kicherten. Ollies übertriebene Furcht vor Krankheiten hatte
nicht zum ersten Mal zur Unterhaltung der Gruppe beigetragen. Der Kleine
war natürlich kerngesund, was ihn aber nicht daran hinderte, stets ein Arse
nal von Pillen und Wässerchen mit sich herumzuschleppen. Und wehe, wenn
ihn tatsächlich einmal ein harmloser Schnupfen erwischte ...
Allerdings ließ sich Ollie trotz schlimmster Befürchtungen nicht davon
abhalten, die Tür noch etwas mehr aufzuziehen. Entweder berührte sie dabei
einen Kontakt, oder Schwatzmaul hatte aus der Ferne helfend eingegriffen.
Jedenfalls blitzten, etwas zögernd zwar, aber unaufhaltsam, einige Lichter
auf, die sich zu einer gleißenden Leuchtplatte an der Decke summierten.
„Juchhuu!“ rief Ollie begeistert und zwängte sich nun vollends in die
Kammer. „Dort sind unsere Anzüge!“
Die anderen waren jetzt natürlich ebenfalls nicht mehr aufzuhalten und
stürmten hinter dem Kleinen her. Tatsächlich: Fein säuberlich auf Haken an
der Wand aufgereiht, hingen mindestens zehn Raumanzüge. Allerdings nicht
die unförmigen, die das Bordgehirn beschrieben hatte. Helme und Sauer
stoffflaschen lagen davor auf den Regalen. Die vielen leeren Haken zeigten je
doch, daß früher einmal weitaus mehr Raumanzüge hier deponiert gewesen
waren. Auf allen hatte sich etwas Staub abgelagert, aber als Anca spielerisch
über die Oberfläche eines Helmes pustete, blinkte darunter gleich braun ein
gefärbtes Plexiglas.
Ollie flüchtete vergeblich vor der Staubwolke und begann sogleich mit
einem Nieskonzert. Unfähig zu sprechen, deutete er anklagend mit einem
Finger auf das Mädchen.
„Hätte ich nicht gedacht“, seufzte er, als er wieder zu Atem kam, „daß
meine Lieblingsfreundin mir das antut. Pustet mir den Tod frontal ins Ange
sicht!“
Harpo beachtete die anderen gar nicht und stieg bereits in eine der glatten
Monturen. Ein kleines Namensschild, das sich hier wie auf jedem der Anzüge
befand, verriet, daß sein früherer Träger ein gewisser Kurt Sterz gewesen war.
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„Nun helft mir doch mal“, klagte er schließlich nach drei vergeblichen Ver
suchen, den komplizierten Anzug überzustreifen.
Die anderen griffen tatkräftig ein und zogen das Unterteil des Raum
anzuges hoch, nachdem Harpo in die Beinteile geschlüpft war.
Noch bevor er ein paar mühevolle, stolpernde Schritte unternahm, war je
dem klar, daß dieser Anzug nicht für Harpo Trumpff geeignet war. Schon das
Unterteil reichte ihm weit über den Bauchnabel, obwohl es offensichtlich in
der Taille abschließen sollte. Er war zwecklos, auch noch das Oberteil anzu
probieren. Harpo versuchte es dennoch – mit dem Erfolg, daß sein Kopf im
Bruststück verschwand. Der Anzug war viel zu groß für ihn.
Es genügte einfach nicht, über irgendeinen Raumanzug zu verfügen. Die
Dinger waren die reinste Maßarbeit und überhaupt nicht zu handhaben,
wenn nicht jede Kleinigkeit stimmte: Körpergröße, Schulterbreite, Länge und
Dicke der Finger, Beinlänge und Beindurchmesser ...
„Hoffnungslos“, seufzte Harpo resignierend.
Mit hängenden Schultern kehrten die Freunde mit dem Antigravlift in die
Zentrale zurück. Obwohl Schwatzmaul das meiste aus der Ferne schon mit
bekommen hatte, erzählten die Expeditionsanwärter noch einmal lang und
breit von dem fehlgeschlagenen Versuch. Alle Zuhörer kommentierten diese
neue Erfahrung mit enttäuschten Ausrufen. Rat wußte niemand.
„Wenn ich den verehrten Anwesenden vielleicht einen meiner geistreichen
Vorschläge unterbreiten dürfte“, setze Schwatzmaul an. „Mir ist nämlich et
was eingefallen ...“
„Heraus damit!“ forderte Karlie. „Ich akzeptiere selbst den größten Hum
bug, wenn sich dadurch etwas erreichen läßt!“
„Ich glaube, ich habe das Problem gelöst“, fuhr das Bordgehirn mit beinahe
bescheiden klingender Stimme fort.
„Waaas?“ riefen die Kinder im Chor. „Kennst du noch ein anderes Lager mit
Raumanzügen, die vielleicht verstellbar sind?“
„Das nun nicht gerade, meine Herrschaften.“
Schwatzmaul hatte scheinbar wieder einmal seinen überhöflichen Tag.
„Aber ich sehe eigentlich keinen Grund, der uns daran hindern sollte, jedem
von euch einen nagelneuen, maßgeschneiderten Raumanzug anzufertigen.“
In der Zentrale des Raumschiffes EUKALYPTUS brach verständlicherweise
ein mittelschwerer Tumult aus.
„Warum hast du das nicht gleich gesagt?“ rief Thunderclap ärgerlich.
„Tut mir leid“, flüsterte Schwatzmaul verlegen, „aber ich hatte ... äh ...
vergessen, daß ich so etwas veranlassen kann.“
„Vergessen?“ fragten Harpo und Micel wie aus einem Munde und ziemlich
schockiert. „Wie kann ein Elektronengehirn etwas vergessen?“
„Ja ... nun“, erwiderte Schwatzmaul. „Ihr wißt doch, daß einzelne Speicher
durch die Katastrophe von mir abgetrennt und erst nach und nach wieder
eingesetzt wurden. So erging es mir auch mit den Programmen für die
Anfertigung von Spezialkleidung. Wir haben – wie ich soeben feststellte – alle
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erforderlichen Materialien an Bord. Werkzeuge und Maschinen für die Ferti
gung übrigens auch.“
„Mensch, klasse! Jetzt wird doch noch etwas aus der Expedition ins Unbe
kannte!“ Alle freuten sich.
Nur Harpo legte seine Stirn in nachdenkliche Falten. „Dauert das nicht Wo
chen?“ fragte er schließlich mißtrauisch.
„Aber nie und nimmer!“ verteidigte sich das Bordgehirn. „Die Grünen sind
schon in der Schneiderei! In drei Stunden habt ihr den ersten Anzug. Alle
zwei Stunden habt ihr einen weiteren!“
„Is’ nicht wahr!“ rief Ollie verblüfft.
„Wenn ich es sage!“ trumpfte Schwatzmaul auf.
„Er hat recht“, bestätigte nun auch Lonzo. „Bei Captain Kidds Piraten!“
„Wenn Lonzo mitarbeitet, geht es ein paar Minuten schneller“, meinte
Schwatzmaul anzüglich.
„Lonzo hält es wie die engsten Vertrauten von Captain Kidd. Unsereins
braucht keine Schutzkleidung“, entgegnete der Roboter schnell. „Es sind im
Moment nur vier Anzüge nötig. Der Raumhelm würde meine schönen blon
den Locken ruinieren.“
„Rrrraaaah!“ krähte Ollie. „Dabei hat er kein einziges Haar auf dem Kopf!“
In den nun folgenden Jagd durch die Zentrale sah Ollie bald ein, daß Lonzo
zwar keine Haare, aber besonders schnelle Beine hatte.
„Wir müssen ja nichts überstürzen“, meinte Harpo lachend. „Gönnen wir
Lonzo seine Locken und befreien ihn von der Arbeit.“
Nur mit Mühe gelang es Thunderclap, das Tohuwabohu mit seiner Stimme
zu durchdringen. „Vielleicht macht ihr euch mal die Mühe, auf den Bild
schirm zu gucken!“ schrie er. „Wir haben unser Ziel mittlerweile erreicht.
Schaut nur, dort ist es!“
Ein pockennarbiger Geselle
In der Aufregung um das Problem Raumanzüge hatten Harpo und seine
Freunde den eigentlichen Auslöser der allgemeinen Hektik beinahe
vergessen. Inzwischen hatte Schwatzmaul das Raumschiff, von der Besatzung
unbemerkt, in einer Entfernung von nur wenigen Kilometern auf die Ge
schwindigkeit des fremden Objekts abgebremst und dann zum Stillstand ge
bracht. Durch die Massenanziehung trudelten nun beide Körper ganz
allmählich aufeinander zu. Der Computer sorgte dafür, daß durch kleine
Schübe der Steuerdüsen eine gewisse Sicherheitsdistanz gewahrt blieb.
Staunend betrachteten die Kinder den Körper, dessen Ticken in den
Massedetektoren sie über viele Millionen Kilometer hinweg angelockt hatte.
Das Ding war etwas kleiner als ihr eigenes Raumschiff.
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Auf den ersten Blick hätte niemand zu behaupten gewagt, daß sie es mit
einem fremden Raumfahrzeug zu tun hatten. Es sah eher aus wie ein pocken
narbiger Gesteinsklumpen. Man erkannte allerdings auch, daß er trotz vieler
Narben und kleiner Krater ebenmäßiger war und intensiver glänzte als ein
gewöhnlicher Gesteinsklumpen.
„Das sieht ja unheimlich alt aus ... wenn es tatsächlich das Produkt einer
unbekannten Technik sein sollte“, flüsterte Anca.
Obwohl sie längst wußten, daß der vor ihnen liegende Körper haupt
sächlich aus Metall bestand, hatte es noch immer die Möglichkeit gegeben,
daß hier ein riesiger, poröser Erzbrocken durchs All schwebte.
„Diese Noppen!“ rief Harpo. „Und seht doch: Sind das nicht Löcher? Ein
stiegslöcher?“
„Ich sehe ein Gebilde, das wie ein Turm mit halbzerfallenen Antennen aus
sieht“, meldete Karlie, der diesmal sonderbarerweise nicht kiekste, sondern
vor Aufregung eine belegte, fast heisere Stimme hatte. „Wenn es bloß nicht so
verflixt dunkel wäre!“
In diesem Augenblick schaltete Schwatzmaul die starken Außenschein
werfer der EUKALYPTUS ein und zentrierte die Lichtkegel auf den Körper im
All. Gleichzeitig gab er noch eine Vergrößerungsstufe hinzu, so daß der
riesige Hauptbildschirm der Zentrale nun völlig ausgefüllt war.
Und jetzt konnte es keinen Zweifel mehr geben: Vor ihren Augen, so greif
bar nahe, daß allen ein Schauder über den Rücken lief, lag allem Anschein
nach ein Raumschiff! Und obwohl manches vertraut wirkte, weil es mit Teilen
der EUKALYPTUS Ähnlichkeit zeigte, konnten die Beobachter den Zweck der
vielen Wölbungen und Türmchen an der Außenwand nicht einmal erraten.
Am deutlichsten zu erkennen war noch die Funktion der Schleusen. Es gab
auf der sichtbaren Seite des Schiffes allein fünf davon, und alle standen
sperrangelweit offen. Die Einstiege waren an den Rändern beschädigt, als
hätte man die Schleusentüren mit Gewalt aus ihrer Verankerung gerissen.
„Das ist ein Wrack“, sagte Thunderclap mit Bestimmtheit.
Niemand zweifelte daran. Nur Ollie, der in der Nase bohrend inmitten der
anderen stand, konnte sich nicht verkneifen zu bemerken: „Die hatten Angst
vor uns und sind getürmt.“
Micel meinte ironisch: „Klar. Und weil sie in der Eile die Haustürschlüssel
nicht fanden, haben sie die Schleusen mit ein paar Stangen Dynamit ins All
hinausgeblasen, wie?“ Er lachte, wurde dann aber wieder ernst und erklärte:
„Diese Schleusen stehen bereits seit undenklichen Zeiten offen. Seht euch die
Meteoritenkrater an. Die reichen weit in das Innere des Schiffes hinein und
bedecken auch die Schleusenränder. Wenn ihr mich fragt, dann ist diese
Eisenkugel hier schon herumgeschwirrt, als unsere Vorfahren noch im Ne
andertal von Ast zu Ast hüpften.“
Als Thunderclap und Harpo ihn fragend ansahen, fügte er hinzu: „Und
organische Lebewesen mit hochentwickelten Gehirnen sind auch nicht an
Bord. Glaube ich wenigstens ... Spüren kann ich gar nichts ...“
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„Das muß nicht viel besagen“, meinte Harpo nachdenklich. „Die können ja
so andersartig sein, daß du ihre Gehirnströme nicht empfangen kannst.“
Ansonsten gaben alle Micel recht. Das Schiff mußte tatsächlich uralt sein.
Je genauer man hinsah, desto klarer wurde, daß die zahllosen Meteorite, mal
größere, aber meistens nur staubgroße Partikelchen, dem einst sicherlich
blitzblanken Schiff zugesetzt hatten. Die Beschädigungen des Wracks waren
ein Werk vieler Jahrhunderte, vielleicht sogar mehrerer Jahrtausende.
„Ob die EUKALYPTUS auch mal so aussehen wird?“ fragte Anca leise und
etwas ängstlich.
„Nach so einer Zeitspanne – bestimmt“, antwortete Harpo. Er wußte, daß
bereits jetzt der kosmische Staub an der Oberfläche ihres Weltraumschiffes
nagte. Der Stahl war nicht mehr so glatt, wie an dem Tag, als er aus dem
Walzwerk gekommen war. Vorerst konnte man diese Abnutzungserschei
nungen kaum mit bloßem Auge erkennen. Und schließlich bestanden die
Außenwände aus mehreren Schichten einer hochwertigen Legierung und
waren insgesamt fast einen Meter dick.
Gefährlich waren Einschläge größerer Meteorite. Sie rissen Löcher in die
Außenwände und waren drüben am Wrack für die Zerstörungen von mehre
ren Türmchen und für die Krater in der Hülle verantwortlich. Schwatzmaul
und die Grünen sorgten auf der EUKALYPTUS dafür, daß solche Treffer – die
aber wirklich selten waren – von der Besatzung gar nicht bemerkt wurden.
Solche Schäden wurden schnell ausgebessert.
Ollie hüpfte von einem Bein auf das andere, so aufgeregt war er. „Man
nomann“, stöhnte er, „daß ich das auf meine alten Tage noch erleben darf!
Ein richtiges Wrack und noch dazu uralt! Ob es einen Schatz an Bord gibt?“
„Aber sicherlich!“ trompetete Lonzo auf der Stelle los. „Jedes Wrack hat
einen Schatz an Bord. Die, die was auf sich halten, sogar deren zwei! Das hat
schon Captain Kidd gesagt!“ In diesem Augenblick bellte Ollies Jacke, und das
bedeutete, daß er entgegen den Anweisungen mal wieder seinen Freund Mo
ritz in die Zentrale geschmuggelt hatte.
„Dackel an Bord, Captain“, meldete Lonzo und ging rasch in Deckung, als
das bellende Bündel mit gefletschten Mausezähnchen hinter ihm herwetzte.
Der Dackel Moritz gehörte zu Ollies besten Freunden. Aber da es seine Ange
wohnheit war, den armen Trompo – den er auch für eine Art Hund hielt –
durch die Gegend zu jagen, hatte man ihm den Zutritt zur Hauptzentrale un
tersagt. Ollie konnte es einfach nicht lassen und versuchte mit tausend
Tricks, seinen Dackelfreund doch um sich zu haben. Zum Leidwesen Lonzos,
denn auf dessen Metallbeine hatte Moritz es ganz besonders abgesehen. Ollie
schritt jedoch sofort zur Tat und fing Moritz ein, bevor er Lonzo, der in hells
tem Ton: „Meine Hose! Meine schöne Sonntagnachmittagsausgehhose!“
plärrte, in die Fänge bekam.
Harpo, den das Abenteuerfieber intensiv gepackt hatte, bekam alles nur am
Rande mit. Am liebsten wäre er stehenden Fußes in das Wrack hinüberge
wechselt. Zu dumm, daß die Raumanzüge noch nicht fertig waren. Anderer
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seits war es ganz gut, sich in Ruhe auf den Ausstieg vorzubereiten, dadurch
wurden Fehler vermieden.
Das Bellen von Moritz war ein sicheres Zeichen dafür, daß er Trompo ge
wittert hatte. Wenig später schlüpfte das kleine Wesen tatsächlich zwischen
zwei großen Armaturenbänken hervor. Als Trompo sah, daß Moritz angeleint
war, ging er an ihn heran und kitzelte mit seinem Rüssel des Dackels Nase.
Moritz, der Trompo als Spielkameraden betrachtete, zerrte ungeduldig an der
Leine und versuchte schwanzwedelnd ihn zu erreichen. Aber Ollie stemmte
sich wild dagegen und ließ ihm keine Chance. Trompo trompetete Moritz aus
nächste Nähe markerschütternd ins Ohr, bevor er sich mit einem Satz in die
geöffneten Arme Ancas flüchtete, die sich zu ihm hinabgebeugt hatte.
Von seinem Lieblingsplatz aus betrachtete er aufmerksam den Bildschirm.
Auf den ersten Blick wirkte Trompo wie ein kleiner, rosa Elefant, mit einem
weichen Fell und streichholzlangen Stoßzähnen. Allerdings hatte er Hase
nohren. Und wenn man ihn sprechen hörte, gab es niemanden mehr, der
glaubte, ein Tier vor sich zu haben. Trompo war ein intelligentes Wesen und
vor langer Zeit Mitarbeiter eines Galaktischen Mediziners gewesen, bis er sich
den Kindern angeschlossen hatte.
„Sagt dir dieses Wrack etwas?“ fragte Harpo Trompo. Das kleine Wesen
schwieg und studierte ernsthaft jede Einzelheit des dunklen Schiffskörpers.
Trompo hatte, als er noch bei den Galaktischen Medizinern gewesen war,
Hunderte von bewohnten Planeten besucht, und so war es immerhin
möglich, daß ihm ein solcher Schiffstyp schon einmal begegnet war.
„Nein“, flötete er schließlich mit seiner zarten Stimme und schüttelte den
Kopf, daß seine Schlappohren flogen. „Ein solches Raumschiff habe ich nie
gesehen. Es muß von weit her kommen. Vielleicht ist die Besatzung hier, fern
der Heimat, durch eine Katastrophe vernichtet worden. Oder sie mußte das
Raumschiff wegen eines Defekts aufgeben. Ich weiß nicht. Aber ich bin si
cher, daß die Bauweise dieses Schiffs nicht den uns bekannten Techniken
entspricht.“
„Na, bald werden wir ja mehr wissen“, murmelte Thunderclap. Er schien
etwas enttäuscht zu sein, was aber auch daran liegen konnte, daß es ihm
wegen seiner Behinderung nicht möglich war, an der Expedition teil
zunehmen.
„Wo bleiben denn erste Raumanzug?“ fragte jetzt Alexander ungeduldig.
„Alexander kann kaum noch erwarten, zu machen Shakehands mit andere
Weltraumflieger.“
„In Arbeit, verehrter Herr Rotpelz“, sagte die tiefe Stimme Schwatzmauls,
das sich jetzt wieder in die Unterhaltung einschaltete. „Ich darf die Dame
und die Herren von der Expeditionsgruppe aber doch bitten, sich von einem
der Grünen ausgiebig vermessen zu lassen. Doch vielleicht interessiert es
euch auch, daß dieses Wrack nicht so tot ist, wie ihr glaubt!“
„Was ist los?“ Harpo war ganz verdattert, so sehr hatte er sich schon an den
Gedanken gewöhnt, es mit einem uralten, toten, total verwaisten und verros
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teten Kahn zu tun zu haben. „Es sind also doch noch Wesen an Bord? Ja, wer
denn? Etwa die Nachkommen der einstigen Raumfahrer?“
„Nein, nein“, wehrte Schwatzmaul ab. „Eher Leben meiner Art. Ich spüre
elektronische Ströme, Magnetfelder und aktive Strahlungsquellen. Ich wette,
daß dort drüben, nach all den Jahren, noch immer ein paar Maschinen
funktionieren!“
„Was denn, nur Maschinen?“ quäkte Lonzo. „Keine Spur von intelligentem
Leben meiner Art?“
Die Expedition ins Unbekannte
Trotz der Aufregung hatten alle gut geschlafen – wenn man mal von Lonzo
absah, dem es genügte, den größten Teil seiner Stromkreise abzuschalten.
Die Schlafperiode hatte dem Bordgehirn und seinen tüchtigen Helfern ge
nügt, um die benötigten Raumanzüge fertigzustellen. Einiges wurde von den
vorhandenen Anzügen übernommen. Etwa die Sauerstoffversorgung, die
Funkgeräte und der Körperwächter, der dafür sorgte, daß die Temperatur ge
nau den Anforderungen des Körpers entsprach.
Ferner saugte die komplizierte Apparatur den Schweiß ab, maß und regu
lierte den Blutdruck, beseitigte Ausscheidungen und führte dem Körper bei
Bedarf flüssige Nahrung zu. Auf diese Weise konnte man es tagelang, ja, not
falls sogar Wochen im Anzug aushalten.
„Ausgezeichnet“, lobte Harpo, als er das geschmeidige Material betastete.
„Seide hätte nicht leichter und flexibler sein können!“
„Es ist eine der neuesten Entwicklungen der irdischen Raumfahrttechnik“,
erklärte der Computer. „Ein Kunststoff namens Bodyskin. Er ist zehnmal
widerstandsfähiger als Hochleistungsstahl und läßt weder extreme Hitze
noch Kälte an den Träger heran. Ihr habt jetzt wirklich das Beste, was die
bordeigene RaumfahrtzubehörIndustrie zu bieten hat!“
„Bodyskin?“ fragte Anca neugierig. „Heißt das nicht soviel wie ...“
„Körperhaut“, bestätigte Schwatzmaul. „Der Name wurde gewählt, weil der
Stoff ebensowenig hinderlich ist wie die menschliche Haut, wenn man sich
bewegt.“
Harpo wollte seinen Raumanzug auf der Stelle anprobieren, aber Schwatz
maul rief: „Halt! So einfach geht das nicht. Ihr müßt euch schon ausziehen,
bevor ihr in eure zweite Haut schlüpft.“
„Ausziehen? Ganz nackt?“ fragte Lonzo. Er begann bereits die Schrauben
an seiner eisernen Brustplatte zu lösen.
„Gewiß, sonst erfüllen die Geräte im BodyskinAnzug nicht ihren Zweck.“
Die Kinder stiegen aus ihren Jeans und Pullovern, wobei Ollie Zeter und
Mordio schrie, weil er auf seine heißgeliebte Lederhose verzichten mußte.
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Lonzo, der sich in allerletzer Sekunde doch noch entschlossen hatte, „ange
zogen“ zu bleiben, ging von einem zum anderen und streifte jedem eine Art
Netz über den Oberkörper. Daran wurde ein kleines Kontrollgerät befestigt.
Das war der Körperwächter. Natürlich verzichtete er nicht darauf, ausführlich
darauf hinzuweisen, daß Captain Kidd, hätte er diesen famosen Anzug
damals besessen, unbesiegbar gewesen wäre.
Als er bei Anca ankam, meinte er, indem er das Mädchen ungeniert be
trachtete: „Oh, Pummelchen, du bist ja schon eine richtige kleine Frau ge
worden.“
Harpo mußte ihm recht geben, als er zu seiner fast dreizehnjährigen
Schwester hinübersah und sie zum ersten Mal seit längerer Zeit bewußt mus
terte.
Anca reagierte mit roten Wangen auf diese Bemerkung. Dann stieß sie
einen spitzen Schrei aus, weil Lonzos Tentakel ihr das Netz umlegten. O je,
waren die eisig kalt!
Lonzo gab ihr einen leichten Klaps und wandte sich dann dem Rotpelz
Alexander zu. Der hatte interessiert beobachtet, wie die Kinder ihre Kleidung
ablegten. Daß Menschen Kleider trugen und diese künstliche Haut nach
Belieben ablegen konnten, faszinierte ihn immer wieder aufs neue. Auch er
bekam sein Netz über den dichten Pelz gezogen.
Schließlich half Lonzo seinen Freunden in die Raumanzüge. Das war
einfach, weil sie leicht und elastisch waren. Ganz anders als die klobigen
Dinger, mit denen sie sich am Tag vorher abgemüht hatten. Dann kon
trollierte Lonzo mit maschineller Präzision den Verschluß der Plexiglashelme
und den Sitz der Sauerstoffflaschen. Ein kleines Ventil wurde geöffnet. Der
vorher schlaffe Anzug blähte sich auf. Das Material hatte die Eigenschaft, in
nerhalb einer engen Grenze auf Druck zu reagieren. Wurde diese Grenze
überschritten, so hing er entweder zerknittert oder prall – je nachdem, ob der
größere Druck innen oder außen herrschte – am Körper, gab aber nicht wei
ter nach. Das war wichtig.
Schließlich erhielt jeder eine Pistole, die aber nicht als Waffe, sondern viel
mehr als Rückstoßgerät benutzt werden sollte. Mit ihr konnte man die Bewe
gungen im luftleeren Raum kontrollieren und beeinflussen. Wenn sie das
Wrack erreicht hatten, würden sie wieder aufrecht gehen können – dafür
sorgten die Magnetschuhe.
Nachdem eine Verständigungsprobe gezeigt hatte, daß die Helmfunkgeräte
einwandfrei funktionierten, konnte das Abenteuer beginnen. Lonzo trug als
einziger keinen Raumanzug – er brauchte so etwas nicht, da er nicht atmete
und keine empfindlichen Organe vor dem Vakuum im All schützen mußte. Er
schritt allen voran zur Luftschleuse neben dem Hangar der Gleitboote.
Schwatzmaul gab seine besten Wünsche mit auf den Weg. Dann öffnete er
die äußere Schleusentür. Wie ein gähnender Schlund lag das All vor ihnen,
tiefblau wie dicke Tinte. Dazwischen leuchteten einsame Sterne. Ein Zurück
gab es jetzt nicht mehr.
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Und dann bewegte sich das Wrack in ihr Blickfeld, weil die EUKALYPTUS
leicht rotierte.
Das Bordgehirn hatte den Abstand zwischen den beiden Schiffen noch wei
ter verringert, um es den Freunden leichter zu machen. Nur wenige hundert
Meter waren zu überwinden – über einen Abgrund hinweg, der keinen
Anfang und kein Ende hatte.
Geisterhaft huschten die Scheinwerferkegel über die rauhe Oberfläche des
Wracks. Bevor einer entgleiten konnte, hakte Lonzo eine Sicherheitsleine in
die dafür vorgesehenen Ösen der Raumanzüge. Nun konnten sie einander
nicht mehr verlieren. Er bedeutete ihnen, die Scheinwerfer auf der Brust
einzuschalten. Sprechen konnte er nach dem Absprung nicht mehr mit ih
nen. Das Funkgerät nützte im luftleeren Raum nichts mehr, weil der Schall
Lonzos Anweisungen nicht übertragen würde. Und eine andere technische
Lösung des Problems war in der Eile nicht gefunden worden. Notfalls konnte
Lonzo jedoch mit Hilfe elektronischer Impulse Schwatzmaul erreichen, der in
der Lage war, sie in Worte umzuwandeln und direkt an die Funkhelme der
anderen abzustrahlen.
Auf ein Kommando von Lonzos Tentakeln sprangen sie alle gleichzeitig ab
und faßten sich dabei an den Händen. Gerade so, wie man manchmal zu
mehreren in ein Schwimmbecken hüpft. Aber sie fühlten sich natürlich ganz
anders. Denn die Freunde fielen ja keineswegs nach unten, sondern schweb
ten in das All hinaus. Am ehesten vergleichbar war diese Aktion mit Unter
wasserschwimmen.
Ganz langsam geriet die Gruppe ins Trudeln, weil die Absprungbewe
gungen ungleichmäßig erfolgt waren. Bald wußte niemand mehr so recht, wo
denn nun die EUKALYPTUS lag und wo das Wrack. Nur gut, daß Lonzos
elektronische Instrumente nicht so leicht zu verwirren waren wie die
menschlichen Sinne.
„Mann, das ist ja wie auf einem Karussell!“ jauchzte Ollie. „Jungejunge, mir
wird ganz anders. Das hält man ja im Schädel nicht aus!“ Natürlich verstand
ihn niemand, und keiner lachte. Jeder hatte mit sich selbst genug zu tun.
Dem Magen beispielsweise schien es gar nicht zu gefallen, was ihm hier ge
boten wurde.
„Augen schließen, wenn euch übel werden sollte“, kam die Stimme
Thunderclaps von der EUKALYPTUS durch die HelmKopfhörer. Jetzt war er
vielleicht doch ganz froh, daß er nicht an diesem Unternehmen teilnahm.
Anca und Ollie folgten seinem Rat auf der Stelle und fühlten sich gleich
besser. Alexander hielt es eine Weile länger aus, schließlich besaß er im
wahrsten Sinne des Wortes eine Bärennatur! Dann klappte auch er die Lider
zu.
Harpo hatte von Anfang an die Augen geschlossen, aus Angst. Er fürchtete
nichts so sehr wie die Dunkelheit. Nur die Tatsache, daß er rechts die Pranke
Alexanders und links die Hand seiner Schwester fühlte, half ihm ein wenig.
Die Furcht vor einem Alleinsein im Dunkeln war damals der Grund gewesen,
weshalb man ihn an Bord der EUKALYPTUS gebracht hatte.
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Schließlich betätigte Lonzo mehrmals seine Rückstoßpistole. Mit drei ge
nau gezielten und wohldosierten Schüssen brachte er Ruhe in die Gruppe.
Mit einem weiteren kräftigeren Schuß setzte er sie in Richtung auf das Wrack
in Bewegung. Bald würde die zwar geringe, aber immerhin meßbare Schwer
kraft des Wracks ein übriges tun und sie anziehen.
Je näher sie dem Wrack kamen, desto geheimnisvoller erschien es ihnen.
Die Scheinwerfer der EUKALYPTUS warfen bizarre Schatten zwischen die
eigenartigen noppenhaften Wölbungen und eckigschartigen, in Mäander
Linien konstruierten Türmchen. Den Kindern lief der eine oder andere
Schauer über den Rücken, weil sie darin die Schattengeister längst verstor
bener, fremder Raumfahrer zu erblicken glaubten.
Aber dann wurde es Zeit, sich auf die Landung vorzubereiten. Zwar war
ihre Geschwindigkeit nicht besonders groß und in den druckfesten Anzügen
konnte nicht viel passieren, aber wenn möglich, wollten sie mit den Füßen
zuerst auf der Außenhaut des Wracks aufsetzen.
Harpo, Anca und Lonzo gelang dies ohne Schwierigkeiten. Auch Ollie
landete mit Hilfe der Magnetschuhe richtig auf der Oberfläche des Schiffes.
Allein Alexander kam brummelnd mit dem Hinterteil zuerst an. Er rappelte
sich unter Mithilfe seiner Freunde rasch wieder auf.
„Seht doch mal!“ rief Anca andächtig und zeigte auf die EUKALYPTUS. Wie
ein riesiger Knochen schwebte sie vor ihnen im All, mit eingeschalteten
Scheinwerfern, deren blendendes Licht manchmal in die Augen stach. Un
schwer erkannte man die hell erleuchtete, durchsichtige Kuppel der Zentrale.
Ollie glaubte sogar Thunderclap Genius und die anderen zu erspähen. Sie
schienen zu winken. Aber vielleicht täuschte er sich. Ein eigenartiges Gefühl
überkam sie, als sie das riesige Raumschiff erblickten. Ein warmes, stolzes
Gefühl. Dort war ihr Zuhause.
„Lonzo wird schon ungeduldig“, meinte Harpo, als er den Roboter wild mit
den Tentakeln wedeln sah. „Laßt uns aufbrechen.“
Sie spürten erleichtert den sicheren Halt der Magnetschuhe. Das war na
türlich nicht mit der künstlich erzeugten Schwerkraft auf der EUKALYPTUS
zu vergleichen, aber man konnte sich ohne große Mühe vorwärts bewegen.
Ob nun durch Zufall oder Lonzos kluges Dirigieren: Ihre Ankunft war in un
mittelbarer Nachbarschaft einer Schleuse erfolgt. Nicht mehr als zwanzig
Meter waren bis zu der Öffnung zurückzulegen.
So aus nächster Nähe wurde allen erst richtig bewußt, daß nicht nur das
Wrack, sondern auch die Schleuse riesige Dimensionen hatte. Sicher war sie
nicht nur für Raumfahrer konstruiert worden, wahrscheinlich auch für Bei
boote, die von hier aus operieren konnten.
„Alles in Ordnung?“ fragte Karlie Müllerchen aus weiter Ferne. Harpo, nick
te, bis ihm einfiel, daß Karlie eine Antwort erwartete. „Uns geht’s prima“, sag
te er deshalb. „Oder?“
„Klar!“ riefen die anderen im Chor.
„Keine Arm und Beinbrüche?“ fragte Karlie kichernd. „Brim steht nämlich
schon mit seinen Skalpellen bereit!“
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Gelächter ertönte auf beiden Seiten, dazwischen die empörte Stimme Brim
Boriams: „Ist gagar nicht wwahr!“ Brim übte auf der EUKALYPTUS die
Funktion des Schiffsarztes aus, seit die Galaktischen Mediziner ihm per Hyp
noseschulung beigebracht hatten, was man als angehender Arzt wissen muß
te. Da Brim, der krausköpfige Afrikanerjunge, seinen zukünftigen Beruf sehr
ernst nahm, studierte er in letzter Zeit eifrig verschiedene Fachliteratur.
„Wir betreten gleich den Schleusentrakt“, berichtete Harpo ordnungsge
mäß. „Aber das seht ihr ja wahrscheinlich selbst. Wir melden uns wieder,
sobald wir Neues zu berichten haben.“
„Okay, Harpo“, bestätigte Thunderclap von der Zentrale aus. „Und haltet
absolute Funkdisziplin. Es kann nicht angehen, daß ständig alle durchein
anderreden. Dummerweise kann man dann nämlich überhaupt nichts mehr
verstehen.“ Er fügte noch ein fachmännisch klingendes „Over!“ hinzu, was
bedeutete, daß er mit seiner Mitteilung fertig war.
Einander immer noch an den Händen haltend, tappten sie sich Schritt für
Schritt an das dunkle Loch der Schleuse heran. Lonzo deutete auf die Halte
rungen. Auch die anderen sahen es nun deutlich: Sie wirkten total zerfetzt.
„Lonzo meint, daß diese Zerstörungen nicht allein durch Meteorite bewirkt
wurden“, meldete sich nun Schwatzmaul.
„Ich glaube, er hat recht“, bestätigte Harpo. „Das sieht verdammt nach
einer gewaltigen Detonation aus, obwohl der Zahn der Zeit vieles abgenagt
hat.“
Ihnen wurde nun erst richtig bewußt, daß hier tatsächlich eine Katastrophe
stattgefunden haben mußte. Die Schleusenränder wirkten rissig und verliefen
in bizarr gezackten Linien. Wenn man genau hinsah, konnte man sogar er
kennen, daß einzelne Metallfetzen von der nicht mehr vorhandenen Türe üb
riggeblieben waren.
Vor ihnen lag ein Korridor aus porösem Metall, der in das Innere des
Wracks führte. Wie es schien, war er passierbar. Trotzdem mußte sich Harpo
zuerst ein Herz fassen, ehe er den ersten Schritt wagte.
Es schien eine einzige Trümmerlandschaft zu sein. Träger aus Stahl und
einem nicht identifizierbaren schwammigen Material ragten wie Skelette
zerbombter Hochhäuser aus den Wänden. Die Verkleidungen aus zentime
terdickem Metall hingen durchlöchert wie Seitenteile zerfledderter Papp
kartons an diesen Skeletten. An einer Stelle hatten Druckwellen oder ein
großer Meteorit die meterdicke Außenhaut des Schiffes durchschlagen. Ein
Loch klaffte.
Dahinter blinkten kalt die Sterne. Was mochten die fremden Raumfahrer
empfunden haben, als sie vor langer Zeit an dieser Stelle standen und hinaus
schauten – wenn überhaupt jemand die Explosion überlebt hatte?
23
Ollie, der Entdecker
Der Metallsteg, auf dem sie sich bewegten, hatte sich zu Wellenlinien ver
zogen, war aber nicht gerissen. Man konnte es wagen, darauf weiter vorzu
dringen, wenn man die in den Gang hineinragenden, messerscharfen
Stahlteile sorgfältig umging.
Die Kinder waren von dieser ungewöhnlichen Umgebung so beeindruckt,
daß sie minutenlang auf jede Unterhaltung verzichteten und sich nur stumm
weitertasteten.
Schließlich erreichten sie die zweite, innere Tür der Luftschleuse. Sie war
offenbar von innen herausgesprengt worden, hing aber noch in den Angeln.
„Seht mal!“ rief Anca und deutete auf die Wand dahinter. Die Wand war
schwarz, aber an einigen Stellen schimmerten Spuren einer gelben Farbe. Auf
dem Farbsegment waren Zeichen deutlich erkennbar: aus Schlangenlinien
zusammengesetzte Figuren. Zweifellos eine Schrift – die Schrift der Fremden.
Lonzo leuchtete den Fleck sorgfältiger aus und sah ihn sich genauer an.
Von diesem Moment an waren die geheimnisvollen Schriftzeichen in seinem
Gedächtnis gespeichert und konnten jederzeit wieder abgerufen werden.
Je weiter die Kinder in das Innere des Wracks vordrangen, desto erregter
wurden sie. Vor ihnen erstreckte sich ein Gewirr von Gängen und Luftschäch
ten, die an einigen Stellen in größere Räume mündeten und sich dann erneut
verzweigten. Ohne Lonzo hätten sie sich keinen Schritt in das Labyrinth hin
eingetraut. Aber das unfehlbare Gedächtnis ihres maschinellen Freundes
würde sie sicher zurückführen.
Erstaunlicherweise nahm das Ausmaß der Zerstörung ab, je weiter sie vor
drangen. Die Metallplatten wirkten zwar an einigen Stellen dünn und
morsch, Wände waren eingeknickt und Versorgungsleitungen geplatzt. Aber
solche Zerstörungen wie an den Schleusen waren nicht mehr zu sehen.
„Komisch“, murmelte Alexander, der Rotpelz, während Harpo aufgeregt
einen Bericht an die Zentrale der EUKALYPTUS durchgab.
Immer wieder entdeckten die Freunde die seltsamen Schriftzeichen. Hier
und da standen rostige Klumpen, Überreste zerschmolzener Maschinen. Sie
passierten auch kleine Gänge, die merkwürdigerweise von Druck, Feuer und
Korrosion nicht zerstört waren. Im Lichtstrahl der Brustscheinwerfer ent
deckten sie bunte Farbmuster an den Wänden.
Allmählich fühlten sie sich sicherer und verzichteten darauf, sich an den
Händen zu halten. Lonzo hatte bereits die Sicherheitsleinen ausgeklinkt, die
jetzt wie ein aufgerolltes Lasso um seinen Hals baumelten. Plötzlich stieß
Anca einen leisen Schrei aus.
„Ollie! Wo ist Ollie?“
Die Mitglieder der Expedition hielten wie auf Kommando inne. Das konnte
doch nicht mit rechten Dingen zugehen! Ollie war eben noch bei ihnen ge
wesen! Jetzt war er wie vom All verschluckt.
24
„Ollie!“ riefen sie im Chor über Funk, so laut, daß ihre eigenen Trommel
felle zu platzen drohten. „Ollie, wo steckst du? Ist dir was passiert?“
Aus der Zentrale der EUKALYPTUS kam erregtes Stimmengewirr. Thunder
clap, Karlie, Micel, Brim und Trompo hockten dort vor ihren Lautsprechern
und fieberten mit. Karlies kieksendes Organ war deutlich zu hören. „Wenn
der Wicht nur einen Schabernack vorhat, wird er sechs Wochen lang die
Kombüse fegen, das verspreche ich euch!“
Ein paar Sekunden lang war er in den Helmlautsprechern totenstill. Dann
erklang die kichernde Stimme des Vermißten in den Empfängern.
„Nur keine Panik auf der Titanic, teure Freunde! Mir fehlt nix. Aber ich
habe eine wahnsinnige Entdeckung gemacht! Wahrscheinlich ist es die
Schatzkammer, nach der wir suchen!“
„Schatzkammer?“ echote Thunderclap Genius verständnislos.
„Suchen wir denn so was?“ fragte Karlie verdattert. Alle atmeten auf, und
obwohl Harpo Mühe hatte, nicht in ein Gelächter auszubrechen, donnerte er:
„Bei allen Geistern der Galaxis! Hatten wir nicht ausgemacht, daß wir zu
sammenbleiben? Wo steckst du eigentlich?“
„Na, hier! Huhu!“
„Da ist er!“ rief Anca und deutete in einen Nebengang. Wirklich, dort
schaukelte Ollies Brustscheinwerfer hin und her. Der Kleine ruderte wie wild
mit beiden Armen.
Die anderen eilten erleichtert auf ihn zu. Sie achteten kaum darauf, daß
dieser Gang der bisher intakteste des ganzen Wracks war. Abgesehen von
einer dicken Schicht kosmischen Staubes schien er unversehrt. Das inter
essanteste war jedoch, daß er vor einer mannshohen, kreisrunden Tür ende
te, die matt schimmerte und ohne sichtbare Kratzer war.
Dies mußte ein besonderes Metall sein, wenn es die Zeit so gut überdauert
hatte. Die dazugehörende Wand schien aus dem gleichen Material zu be
stehen. Sie schimmerte blaugrün im Licht der Scheinwerfer.
„Wenn das keine Schatzkammer ist ...“ verkündete Ollie stolz und sah sich
beifallheischend um.
„Eher eine zweite, innere Luftschleuse“, bemerkte Harpo trocken. „An
scheinend hat man das Innere des Schiffes nochmals mit einer eigenen Hülle
aus hochwertigem Material umgeben. Junge, da stehen uns vielleicht noch
ganz unerwartete Überraschungen bevor!“
Alexander zog spielerisch an einem Griff und fiel fast zu Boden, als die Luke
ohne Widerstand aufklappte. Dahinter lag ein dunkler Gang, dessen Ende
nicht erkennbar war.
„Nichts wie hinein und im Golde gewühlt!“ jubelte Ollie.
Sie stiegen durch die Luke. Harpo gab einen kurzen Bericht an die Zentrale,
folgte dann und zog die Luke hinter sich zu. Wenn dies wirklich eine Schleuse
war, mußte die äußere Öffnung erst einmal geschlossen werden.
Zur grenzenlosen Überraschung des Expeditionstrupps flammten an der
Decke Lampen auf, die ein trübes, rotes Licht ausstrahlten. Lonzo deutete auf
ein Gitter am Boden, konnte sich aber nicht verständlich machen.
25
„Lonzo sagt, daß ein Gas in die Schleuse einströmt“, meldete sich Schwatz
maul über Funk. „Der Mechanismus funktioniert also noch.“
Und nach einer Weile: „Jetzt scheint der Vorgang abgeschlossen zu sein.
Lonzo analysiert soeben die Zusammensetzung des Gases.“
Im gleichen Moment sprang – ohne das Zutun von Lonzo und den Kindern
– die innere Schleusentür auf. Gewöhnt an das schwache Licht ihrer Schein
werfer, blieben die Kinder für einen Moment lang gebannt stehen. Eine
grelle, gelbe Lichtflut blendete sie – und das, obwohl sie durch das eingefärb
te Plexiglas ihrer Raumfahrerhelme geschützt waren.
Schließlich stolperten sie weiter und sahen sich verwirrt um. Sie hatten
alles Mögliche erwartet – aber nicht das!
Sie standen, inmitten einer Lichtflut, die aus den Wänden hervordrang, auf
einem weichen, rostbraunen Pflanzenteppich. In Reichweite ihrer Arme
wuchs ein baumhohes Gewächs, das wie ein zarter, faltiger Beutel aus inein
andergelegten Seidenschichten bläulicher Färbung aussah. Dahinter er
streckte sich ein wahrer Dschungel von Pflanzen in abenteuerlichen Formen
und Farben.
Viele sahen aus wie übergroße Tulpen, Rosen oder Nelken, andere hatten
auswuchernde Formen wie meterhohes Rübenkraut mit lauter kleinen
Noppen darauf.
Ollie war nicht mehr zu halten und berührte eine Pflanze. Sie ließ sich so
leicht zusammendrücken wie ein Windbeutel.
„Die Atmosphäre ist atembar“, sagte Thunderclap plötzlich in die Stille
hinein. „Ich hoffe, ihr habt keine andere Erfahrung gemacht!“
„Kei... keine Angst“, stotterte Harpo, der sich als erster von der Überra
schung erholte. „Wir atmen, auch wenn wir schweigen, Thunderclap.“
„Wir halten es trotzdem für besser, wenn ihr die Helme noch nicht ablegt“,
meldete sich nun Brim Boriam. „Es gibt Mikroorganismen, die wir noch un
tersuchen müssen. Sie könnten euch gefährlich werden.“
Die Botschaft, die Harpo nun an die Zentrale übermittelte, riß sogar
Thunderclap fast vom Stuhl. Sofort kursierten die wildesten Spekulationen an
Bord der EUKALYPTUS, was den Pflanzenreichtum an Bord des Wracks be
traf. Sie erinnerten sich alle nur zu gut an ihren früheren Lebensbereich auf
Deck 27. Dort gab es ebenfalls Pflanzen in Hülle und Fülle, die man allerdings
nicht mit denen des Wracks vergleichen konnte, denn letztere waren echt –
und die aus der EUKALYPTUS aus Plastik.
Aber hier war möglicherweise etwas geschehen, das nicht vorprogrammiert
war. Hatten die Pflanzen nach dem Fortgang der fremden Raumfahrer nach
und nach das verlassene Wrack erobert? Manche Gewächse hatten die Ange
wohnheit, über den Rand ihrer Beete hinauszuwuchern, wenn sie nicht daran
gehindert wurden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich über das ganze
Raumschiff ausbreiten würden. Sie schleppten Erde mit sich, verstreuten
Samen, wurden nach und nach selbst zu Humus und belegten die Decks.
Neuer Boden entstand, auf dem dann wieder junge Pflanzen wuchsen.
26
Vielleicht war dieser Bezirk aber auch nur eine künstlich angelegte grüne
Lunge für das Schiff und seine Besatzung, ein gigantischer hydroponischer
Garten? Die Pflanzen hatten teilweise Ähnlichkeit mit gewaltigen Windbeu
teln und schaukelten trotz ihrer Größe im Hauch einer fernen, schwachen
Luftströmung. Vielleicht dienten sie wirklich zur Regeneration der Atmo
sphäre? Andererseits ...
„Harpo, Harpo!“ rief Anca aufgeregt. „Alexander hat eben ein Tierchen mit
ganz großen Augen gesehen! Da – noch eins!“
Jetzt sahen sie es alle. Ein eichhörnchengroßes Lebewesen schaute zwi
schen den Seidenschalen einer Pflanze hervor, bog sie mit zierlichen Pfoten
auseinander. Es schien in der Pflanze zu leben. Die beiden Augen waren be
merkenswert groß; sie nahmen fast ein Drittel des Köpfchens ein und
schimmerten grünlich, während das Fell rotgelb war. Erschreckt zog es sich
zurück, als es sich beobachtet fühlte. Nach einer Weile streckte es den Kopf
aber schon wieder neugierig hervor.
„Ach, ist das süß!“ Ollie, der schon auf dem Weg war, wurde von Alexander
gerade noch festgehalten. „Nicht erschrecken winziges Bär“, brummte er.
„Lieber erst Gegend erkunden.“
Aber so leicht ließ sich Ollie nicht überzeugen. Er wollte unbedingt mit
dem Tierchen spielen. Und auch Anca war nicht von der Stelle zu bewegen.
Schließlich gelang es den beiden, eines der kleinen Wesen durch Lockrufe so
neugierig zu machen, daß es sich greifen und streicheln ließ.
Dann erst konnte es weitergehen.
Der Dschungel war kleiner als ursprünglich angenommen, jedenfalls an
dieser Stelle. Sie hielten sich immer in der Nähe der leuchtenden Wände auf
und erreichten nach kaum zehn Minuten ein Metalltor, auf dem wieder un
bekannte Schriftzeichen angebracht waren.
Karlie meldete sich von Bord der EUKALYPTUS. „He, eure Funkwellen
werden jetzt kolossal überlagert! Möglicherweise wird die Verbindung bald
abreißen. Ich habe keine Ahnung, woran das liegt!“
Schwatzmaul griff sofort erläuternd ein: „Lonzo hat gerade eine Erklärung
dafür gefunden. Die Wand, vor der ihr euch befindet, besteht offenbar aus
einer Legierung, die unsere üblichen Wellen nicht durchdringen können. Es
kann also sein, daß die Verbindung zur Zentrale abreißt. Keine Panik, es
steckt zumindest kein Störsender dazwischen!“
Harpo wandte sich der makellosen Wand zu. Das Tor, vor dem sie standen,
öffnete sich wie von selbst und gab zögernd einen kleinen Spalt frei. Wieder
schien ein verborgener Mechanismus in Tätigkeit zu treten. Ohne Zögern
verließ die Expedition die Dschungelzone und trat mutig durch das Tor in
einen weiteren unbekannten Sektor des geheimnisvollen Wracks.
27
In der Klemme
Erschreckt merkten die Eindringlinge, daß sich plötzlich der Boden unter
ihnen bewegte. Harpo purzelte gegen Alexander, woraufhin dieser zur Seite
sprang, rückwärts gegen Ollie prallte und alle drei am Boden lagen. Verblüfft
starrten sie sich an. Die Bewegung war nach wie vor deutlich spürbar.
„Wat is’ das denn?“ krähte Ollie mit zitternd erhobenen Händen und ziem
lich belämmertem Blick. „Sind wir denn hier auf ‘ner Baustelle?“
Diesen Eindruck konnte man wahrhaftig gewinnen. Es schien, als hätte
sich der Mittelteil des Korridorbodens in eine Art quietschendes Förderband
verwandelt. Harpo saß mit gespreizten Beinen da und stützte sich mit den
Händen ab. Er erkannte, daß sie – langsam, aber sicher – einen halbdunklen,
nur von einer Notbeleuchtung erhellten Gang entlangtransportiert wurden.
Anca rief von weit hinten mit ängstlicher Stimme: „So wartet doch! Wohin
wollt ihr denn?“
Sie hatte als letzte das Tor passiert und erkannt, daß das in den Boden „ein
gebaute“ mysteriöse Förderband nur die Hälfte der zur Verfügung stehenden
Grünfläche des Korridors einnahm. Zu beiden Seiten lag ein stahlblau mar
kierter Gehstreifen, der sich nicht bewegte. Mit fliegenden Haaren rannte sie
hinter den anderen her. Dabei achtete sie darauf, die Gehspur nicht zu
verlassen.
„Schockschwerenot!“ rief Ollie. „Ein Fußboden, der sich bewegt. Da
schnallst du ab!“
„Mir scheint, die Leute hier waren so bequem, daß sie sich fahren lassen
wollten“, warf Harpo ein. „Du liebe Güte, kann man das Ding denn nicht
vielleicht abstellen?“
Vorsichtig, auf gummiweichen Beinen, standen sie der Reihe nach auf. Das
Transportband lief zwar nicht sehr schnell – fünf Kilometer in der Stunde,
schätzte Harpo –, aber das unangenehme Gefühl, auf einem sich be
wegenden Untergrund zu stehen, machte die vier unsicher. Mehrere Türen,
deren Aufschriften im Laufe der Zeit verblaßt waren, glitten beidseitig an ih
nen vorbei. Als Anca die anderen fast erreicht hatte, machte Alexander gerade
einen tapsigen Versuch, das Band zu verlassen. Er hatte allerdings nicht da
mit gerechnet, daß dieses Unterfangen mit einem Absprung aus einer fah
renden Straßenbahn vergleichbar war. Er torkelte, glitt aus und fiel. Dann
rollte er auf den Gehstreifen. Die anderen machten es ihm nach.
Das leise Quietschen des Transportbandes verstummte. Es stoppte.
„Aha“, sagte Anca. „Das Ding läuft nur, wenn jemand draufsteht.“
Ratlos blickten sich die Kinder an. Sie hatten sich genau an einer breiten,
zweiflügeligen Türe getroffen, die einen Spaltbreit offenstand. Ollie bemühte
sich bereits, neugierig den Kopf durch die Fuge zu strecken, was ihm aber
nicht gelang.
Harpo führte aus, daß die Einrichtung des Laufbandes für die Besatzung si
cher viele Vorteile gebracht hatte. „Stellt euch nur vor“, meinte er, „wie viele
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Kilometer jemand laufen müßte, der den Weg vom Außendeck zur Schiffs
mitte zurückzulegen hat! Auf der EUKALYPTUS haben wir ja unsere Antigrav
lifts – hier sind es die Transportbänder.“
„Ihr könnt übrigens unbesorgt die Helme aufklappen“, meldete sich
Thunderclap Genius kaum noch hörbar über Schwatzmauls Funkanlage aus
der Ferne. „Unsere Testserien haben ergeben, daß die in der Atemluft vor
handenen Mikroben euch nicht schaden. Und die irdischen Mikroben ver
tragen sich auch gut mit denen des Wracks.“
Das ließen sich die Kinder nicht zweimal sagen. Sie öffneten die Helme,
schnupperten die würzige Luft und freuten sich, daß sie sich nun wieder
ohne Hilfe der Funkgeräte verständigen konnten.
„He“, ließ sich im gleichen Moment Ollie vernehmen, „hier riecht’s ja
penetrant nach Schatzkammer!“ Ein aufgeregtes Keuchen. Er versuchte den
Türspalt zu erweitern. Vor Nervosität hatte sich seine Zunge zwischen die
Lippen geschoben.
„Laß mich mal“, flüsterte Harpo, den die Abenteuerlust nun auch packte.
Was hatte der Kleine entdeckt? Nicht, daß er an die Existenz eines Schatzes
glaubte – das waren wohl eher Wunschträume Ollies, der von Lonzos alber
nen Piratengeschichten beeinflußt war –, aber ein kleiner Berg von Juwelen
und Geschmeide würde sicher großen Eindruck auf Thunderclap und die
anderen machen. Mit goldenen Ketten und Diamanten konnte man die Kom
büse der EUKALYPTUS ausschmücken, eine andere Verwendungsmöglich
keit sah er nicht.
Ollie machte artig Platz. Nacheinander lugten sie durch den etwa fünf
Zentimeter breiten Spalt, erblickten jedoch nichts als einen Tisch, sechs
schalenförmige Sitzgelegenheiten, von denen zwei umgestürzt waren, und
einen Teppich, der ausgebleicht und schmutzig war. Dennoch waren auf ihm
eingewebte Drachen zu erkennen. Direkt gegenüber befand sich eine weitere
reich verzierte Tür mit einem kostbar glänzenden Knauf, der auf einem
Raumschiff anachronistisch wirkte. Die anderen Türen funktionierten per
Selenzellen.
Noch seltsamer muteten die beiden angerosteten Gebilde an, die entfernt
mittelalterlichen Ritterrüstungen ähnelten. Andererseits wieder wirkten sie
wie metallene Standbilder von Fabelwesen mit Vogelköpfen. Sie waren rechts
und links der Tür postiert.
„Was soll das sein?“ fragte Alexander, der so etwas natürlich von seinem
Heimatplaneten nicht kannte.
„Das sind Roboter!“ sagte Anca mit einer solchen Bestimmtheit, daß nie
mand an ihren Worten zu zweifeln wagte. „Und sie sehen nur deshalb anders
aus als unsere Grünen, weil sie eben von Wesen konstruiert wurden, die
keine Menschen waren – wahrscheinlich.“
Harpo nickte. Das war logisch. Die Menschen hatten ihre Roboter nach ih
rem eigenen Ebenbild gemacht, einfach deshalb, weil man, um für Menschen
bestimmte Arbeiten von metallenen Gehilfen verrichten zu lassen, einfach
dafür sorgen mußte, daß sie dazu auch von der Konstruktion her in der Lage
29
waren. Hatten die Fremden nach dem gleichen Prinzip gehandelt, so mußten
sie erschreckend ausgeschaut haben. Die beiden angerosteten Türwächter
sahen aus wie kleinwüchsige, breitschultrige Humanoide mit spitzen Vogel
schnäbeln und langen, dreieckig auslaufenden Plattfüßen. Ihre Kopfflächen
waren mit Dutzenden Eisenpickeln bedeckt, die wie kleine Schrauben
wirkten. In den Fäusten trugen die silbergrauen Roboter lange Stäbe, die in
einer Kugel endeten. Man konnte sie aus der Entfernung für Morgensterne
halten.
„Die sehen wir uns genauer an“, sagte Ollie begeistert und begann an den
Türhälften zu rütteln. Erst als Lonzo und Alexander ihre Kräfte in die Bresche
warfen, gingen sie, greulich quietschend, weiter auf. Irgend etwas hatte sie
blockiert.
Die Öffnung reichte gerade. Ollie und Anca schoben sich hindurch. Anca
drehte sich triumphierend um und streckte den anderen die Zunge heraus.
„Hat sich was von wegen Pummelchen“, sagte sie grinsend, als Harpo äch
zend seine breiten Schultern durch den entstandenen Spalt zwängte. Lonzo
hatte ohnehin keine Schwierigkeiten, klein, wie er war.
Alexander, der nun wirklich zu dick war, blieb enttäuscht brummend
draußen stehen. „Stehen Schmiere für Einbrecher“, erklärte er, „und pfeifen
Liedchen, wenn Bullen kommen!“
Ollie stimmte an: „Gold und Silber lieb’ ich sehr, kann’s auch gut gebrau
chen ...“, während Harpo sich zögernd den starren Robotern näherte. Anca
und Lonzo folgten ihm. Die Torwächter wirkten so, als seien sie ziemlich
schrottreif.
Die Gruppe kam sich indes wie ein Einbrecherteam vor. Ollie linste ver
stohlen in alle Ecken, als erwarte er jederzeit das Eingreifen eines Unbekann
ten, und bohrte aufgeregt in der Nase. Anca nagte nervös an ihrer Unterlippe.
Lonzo riß die Schippermütze vom Kopf, deutete eine elegante Verbeugung
vor den Maschinen an und flötete: „Stets zu Diensten, edle Herren. Graf
Lonzo de Güldenstern gibt sich die Ehre. Würden Sie die Nettigkeit haben
und uns ihre Schatzkammer plündern lassen?“
„Grrrrg“, machten die beiden Roboter plötzlich und hoben die vermeint
lichen Morgensterne. Mit einem Schreckensschrei wichen Harpo und seine
Freunde zurück.
Gleich darauf setzte sich einer der verrosteten Roboter quietschend in Be
wegung, verhielt aber nach einem Schritt wie eine Marionette, der man die
Schnüre gekappt hat. Da er auf einem Bein nicht stehen konnte, fiel er um.
Das Geräusch, das er dabei erzeugte, klang wie das Umfallen eines Drei
einhalbmeterturms leerer Konservendosen. Es schepperte und krachte ble
chern. Der zweite Roboter blieb stumm und starr.
„Tscha“, meinte Ollie lakonisch, „der ist hin!“
Und das war er in der Tat. Die klauenartigen Finger des Maschinenwesens
gaben die seltsame, stangenartige Waffe frei, die Lonzo eiligst einer einge
henden wissenschaftlichen Untersuchung unterzog.
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„Chemischer Kampfstoff“, verkündete er, nachdem die Analysatoren sich
wieder in seine Brustklappe zurückgezogen hatten. „Ein Betäubungsmittel,
das offenbar unerwünschte Eindringlinge vertreiben soll. Allerdings ist es
nicht mehr wirksam.“
„Der Schatz, der Schatz!“ wisperte nun Ollie, der aufgeregt von einem Bein
auf das andere hüpfte.
Lonzo untersuchte schnell den Türknauf und legte dann einen Tentakel
darum. Der Knauf ließ sich drehen. Die Tür öffnete sich ohne Schwierigkei
ten. Was sie dahinter erwartete, war allerdings weder Ollies vielbeschworener
Schatz, noch sonst etwas, das sich als wertvoll erwies. Nur ein großer Raum,
dessen hohe Wände in beruhigenden Farbtönen gehalten waren. Darin gab
es eine Reihe fürstlich gedeckter Tische mit altmodischen Kerzenständern
und heruntergebrannten Kerzen, staubbedeckte Teppiche und von Vor
hängen abgeteilte Nischen mit Sitzgruppen. Die Stühle lagen teilweise auf
dem Boden, und Rückstände auf den Tellern, die Lonzo als Staub deutete,
entpuppten sich einwandfrei als Überreste von Mahlzeiten, die plötzlich
abgebrochen worden sein mußten.
Ollie fand in einer Ecke eine Uniformmütze, die, kaum daß er sie berührte,
zu Staub zerfiel.
Ähnliches geschah mit den verwahrlosten Vorhängen, die seit Jahr
hunderten keinen Windhauch mehr verspürt hatten. Als Harpo einen davon
beiseite zog, rauschte eine Staubwolke hinab, die ihn in einen keuchenden
Husten ausbrechen ließ. Der ganze Vorhang war verschwunden, hatte sich in
nichts aufgelöst.
„Tretet nicht so feste auf“, kicherte Anca. „Sonst bricht das ganze Wrack
noch auseinander!“
Merkwürdig war diese seltsame Hinterlassenschaft schon. Es sah so aus, als
sei man auf einen luxuriösen Speisesaal gestoßen. Aber warum war er so
groß, wenn in ihm nur knapp zehn Tische standen? Rein platzmäßig hätten
hier leicht dreihundert Menschen essen können. Konnte das heißen, daß das
Schiff nur von einer Handvoll Raumfahrern gesteuert worden war? Handelte
es sich bei diesem Wrack um einen überdimensionalen Frachter?
Lonzo entdeckte mehrere Türen. Eine davon führte in einen Raum, dessen
Wände mit deckenhohen Regalen verkleidet waren. Einige Sitzbänke, belegt
mit verstaubten Fellen. Eine computerähnliche, abgeschaltete Maschine mit
einem davorstehenden Drehstuhl. Mehrere leere, kürbisähnliche Flaschen.
Sonst nichts.
Aber die Regale. Sie standen voller Bücher! Und das mußten Tausende sein!
„Ohhh“, staunte Harpo, der als Büchernarr bekannt war. Er leckte sich die
Lippen und lief händereibend auf das erste Regal zu. „Rühr besser nichts an,
Harpo!“ rief Lonzo ihm nach, aber die Warnung kam eine Zehntelsekunde zu
spät.
Harpos ausgestreckte, nach einem verstaubten Wälzer langende Rechte
zuckte zurück, als seine Ohren das leise, kaum hörbare Rieseln vernahmen.
Schreckensbleich schrie Anca: „Das Regal! Das Regal! Es stürzt ein!“
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Harpo vollbrachte in diesen Moment eine fast olympiareife Leistung. Er
sprang aus dem Stand nach hinten, dann hüllte ihn eine graue Wolke ein, die
ihm Mund, Augen, Ohren und Nasenlöcher mit feinem Staub füllte.
Das Rauschen des blitzartig zu Staub zerfallenen Bücherregals dauerte an,
bis er prustend und nach Luft schnappend mit den Fingern den Schmutz aus
den Ohren gepuhlt hatte. Um Harpo herum wirbelte eine gewaltige Staub
wolke auf, die die anderen sofort einhüllte.
„Harpo!“ rief Anca. „Lebst du noch?“ Es war echte Besorgnis in ihrer
Stimme.
„Blubblgrgl“, machte Harpo, spuckte, hustete, bekam eine neue Ladung in
den Mund und beeilte sich, beide Zeigefinger als Nasenpfropfen zu benutzen.
Es dauerte fast drei Minuten, bis die graue Staubwand sich gesetzt hatte
und Harpo sich unverletzt erhob. Er stand knietief im Staub. Erschreckt
stellte er fest, daß das Regal auf eine Länge von mehr als zwölf Metern zu
sammengebrochen war. Und der Rest der Wand schwankte ebenfalls be
drohlich!
Irgendwie erwischten Lonzos Tentakel den völlig überraschten Jungen und
zogen ihn aus der Schmutzhalde. Anca und Ollie begannen ihm den Dreck
aus dem Gesicht zu wischen, während Alexander grinsend bemerkte: „Harpo
sehen aus wie Brim Boriam! Schwarz von Zehen bis Haarwurzeln.“
Lonzo schimpfte: „Welch ein Frevel! Mußtest du dieses barbarische Ver
nichtungswerk unbedingt ausführen? Die schönen Bücher! Die schönen,
schönen Bücher! Mir stehen die Haare zu Berge, wenn ich daran denke, wie
viele Piratenromane dabeigewesen sein könnten!“
Natürlich war sein Zorn nur gespielt, das wußten sie alle. Und wie hätte
Harpo auch ahnen können, daß die Bücher einschließlich des Regals im
Laufe der Zeit so porös geworden waren, daß eine leichte Berührung genügte,
um sie zu Staub zerfallen zu lassen.
„Mamma mia!“ japste Harpo, als er wieder Luft bekam. „Das wäre ja um ein
Haar ins Auge gegangen!“
Mit Hilfe ihrer Wasservorräte gelang es, aus den Expeditionsteilnehmern in
zehn Minuten wieder menschenähnliche Wesen zu machen. Ollie, der wäh
rend der Waschprozedur die Bibliothek verlassen hatte, um zu sondieren, wie
er sagte, kehrte zurück. Auch er hatte etwas von der Staubwolke abbekom
men.
„Wir sind nicht allein auf dem Wrack!“ keuchte er. „Da ist wer im
Anmarsch! Ogottogottogott! Jetzt geht’s uns an den Kragen!“
„Was?“ riefen die anderen wie aus einem Munde.
„Gaaaanz sicher! Ich habe Schritte gehört, da draußen! Die Truppen des
ChefBibliothekars! Oder die galaktischen Detektive! Meine Medizin! Wo ist
meine Medizin?“ Der Kleine war tatsächlich ganz aus dem Häuschen.
„SchäffPiplotekar? Was sein das?“ erkundigte sich Alexander freundlich.
„Gehen wir raus und sehen nach, was?“
„Ich würde ja gerne mitgehen ...“ begann Ollie zögernd, als er erkannte, daß
Alexander sich überhaupt nicht zu fürchten schien.
32
„Seien wir lieber vorsichtig“, warnte Harpo.
„... aber leider“, fuhr Ollie seufzend fort, „verbietet mir eine schwere Krank
heit, mich aufzuregen.“
„Also, ich habe keine Angst!“ rief Anca resolut. „Wenn ihr zu feige seid, ge
hen Ali und ich eben allein!“
Bevor sie diesen Entschluß in die Tat umsetzen konnte, drang das Ge
räusch sich nähernder Schritte auch schon an ihre Ohren. Schritte? Nein, das
hörte sich eher an wie ...
Da es sowieso keine Möglichkeit gab, sich in der Bibliothek zu verstecken,
begann Lonzo nach kurzem Befragen seiner Informationsspeicher den einzig
richtigen Plan vorzubereiten. Er stellte sich wie ein armer Sünder in Positur,
machte sein Schönwettergesicht und fing an, Entschuldigungsreden zu
formulieren: „Verzeihen Sie die Unordnung, Herr Kapitän oder Admiral, aber
Sie wissen ja, wie neugierige Kinder nun mal sind, hihi ...“
Er hörte erst auf, als sich die Tür zum Speisezimmer öffnete und ein Ding
hereinrollte, das aussah wie eine lange Metallzigarre auf Raupenketten. An
der Spitze tasteten biegsame Fühler nach allen Richtungen. Dann begann ein
ausfahrbarer Saugrüssel wie verrückt den verdreckten Boden zu reinigen, was
wie am Schnürchen ablief und nach kurzer Zeit beendet war. Anschließend
spritzte ein anderer, dünnerer Rüssel eine dicke, grüngelbe Flüssigkeit aus,
die nach Krankenhaus roch. Rotierende, an der Unterseite der Zigarre ange
brachte Besen begannen den Boden zu polieren.
„Eine Bohnermaschine!“ schrien die Kinder und begannen zu lachen. Ollie,
der etwas beschämt wirkte, weil sich sein furchterregender Angreifer als
simpler Reinigungsautomat entpuppte, drehte indessen verlegen Däumchen
und fixierte, als sei er gar nicht da, die Decke. Sein Gesicht nahm langsam die
Farbe einer überreifen Tomate an.
Die Bohnermaschine bewegte sich plötzlich mit einem drohenden Sum
men auf die Eindringlinge zu.
Im Reich der Drachen
„Aufgepaßt, Seeleute!“ sagte Lonzo warnend und machte einen Schritt zu
rück. „Ich glaube, die Kiste plant einen Angriff!“
Zwar rechnete keiner der Anwesenden mit einer tödlichen Bedrohung, aber
das hinderte niemanden daran, rasch den Rückzug anzutreten. Möglicher
weise hielt das eifrige Maschinchen sie ebenfalls für eine Art Unrat. Der Ge
danke, von dem suchenden Saugrüssel abgesaugt und gebohnert zu werden,
womöglich in dem mittlerweile furchterregende Ausmaße annehmenden,
ballonähnlichen Behälter an seinem Ende zu verschwinden, behagte keinem.
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Die Bohnermaschine bewegte sich bis auf einen Meter an die abwartende
Gruppe heran und begann mit den Fühlern tastende Bewegungen auszufüh
ren.
„Soll das etwas bedeuten?“ fragte Anca aufgeregt. „Es wirkt wie ein Kon
taktaufnahmeversuch.“
„Quark!“ machte Harpo.
Anca klammerte sich an Ollie, der, starr vor Schreck, vergaß, seinen rechten
Zeigefinger aus dem linken Nasenloch zu nehmen.
„Wieso sollte ausgerechnet ...“
Lonzo streckte vorsichtig einen Tentakel aus und berührte die Oberseite
der Maschine. Diese wich zunächst zurück, fuhr aber dann wieder näher her
an, als erwarte sie etwas von Lonzos Greifarm, der nun lautlos über das Me
tall fuhr. Der aufgeblasene Plastiksack am anderen Ende der Maschine
begann allmählich zu schrumpfen. Offenbar was er in der Lage, die aufge
saugten Schmutzberge zu atomisieren.
„Das Ding strahlt Energie ab“, erklärte Lonzo. „Funkwellen, nehme ich an.
Das könnte bedeuten, daß es in diesem Moment irgendwohin meldet, daß
wir uns in diesem Raum aufhalten.“
„Nix wie weg!“ stieß Ollie hervor.
„Du meinst, die Kiste hat uns wirklich wahrgenommen?“ fragte Harpo
fassungslos. Es war kaum zu glauben, daß dieses Gerät, das von der
Beschränktheit seiner Funktionen her nur mit einem Getränkeautomaten
oder einer Waschmaschine vergleichbar war, zu solch komplizierten Wahr
nehmungen in der Lage sein sollte.
„Aber ... das würde ja ein elektronisches Gehirn voraussetzen!“ platze Anca
heraus. „Willst du damit sagen –“
„Genau das“, unterbrach sie Lonzo. „Diese Maschine braucht, um selb
ständig arbeiten zu können – und daß sie das tut, haben wir ja gesehen –, ein
Gehirn. Was macht sie, wenn sie auf Hindernisse stößt, denen sie nicht ge
wachsen ist? Sie funkt um Anweisungen!“ Lonzo sah sich triumphierend um.
„Ich will dreihundert Jahre allein auf der Skelettinsel im Chinesischen Meer
verbringen, wenn sie unser Hiersein nicht bereits weitergegeben hat.“
„Nichts wie weg!“ meinte nun auch Harpo und setzte sich, Ollie an der lin
ken und seine Schwester an der rechten Hand haltend, Richtung Ausgang in
Bewegung. Die anderen folgten ihm, so schnell sie ihre Beine trugen, wobei
sie das plötzlich einsetzende protestierende Gesumme der Bohnermaschine
ignorierten.
Wenn auf dem Wrack schon einfache Arbeitsgeräte so agieren konnten –
über welche Fähigkeiten mochten da erst die komplizierten Geräte verfügen?
Und überhaupt: Wem hatte die Bohnermaschine eine Nachricht übermittelt,
wenn dieses uralte Wrack unbewohnt war?
Im Speisesaal angekommen, erwartete sie eine böse Überraschung. Durch
die Tür, die auch die Mitglieder der EUKALYPTUSExpedition benutzt hatten,
drängten sich vier metallene Ungetüme in den Raum. Sie sahen wie acht
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beinige Spinnen in Dackelgröße aus. Sie hatten keine Köpfe, wohl aber an der
Vorderfront drei rötlich leuchtende Fotozellen.
Im Grunde wirkten sie wie schwarze, etwas angerostete Tellerminen, aber
ungehindert des Rosts, der sich im Laufe der Zeit auf ihnen abgelagert hatte,
bewegten sie sich flink voran.
„Dadada“, flüsterte Ollie.
„Zur anderen Tür!“ rief Harpo. „Dort, hinter dem Vorhang!“
Sie ignorierten die Staubwolke, die sich auf sie hinabsenkte, als Alexander
den Vorhang beiseite schob. Harpo warf sich gegen die Tür, aber sie klemmte.
„Verflixt!“
Hinter sich hörte er Alexander erschreckt brummen. Der Rotpelz hatte sich
neben Lonzo in Positur gestellt, trommelte mit den mächtigen Pranken gegen
seine Brust und knurrte: „Abhauen, Eisendinger! Wer Freunde mein weh tut,
kriegt was auf die Birne!“
Und Lonzo trompetete: „Alle Mann in die Boote! Jetzt geht’s um Sein oder
Nichtsein! Mein Skalp! Mein schöner, lockiger Skalp!“ Er zitterte und bib
berte, als hätte er eine Horde heulender Indianer vor sich.
Ollie und Anca warfen sich neben Harpo mit aller Kraft gegen die schwere
Türe und schrien: „Fest! Fest! Gleich haben sie uns!“
Die spinnenähnlichen Neuankömmlinge stoppten plötzlich. Sie blieben im
Halbkreis stehen, als berieten sie lautlos. Offenbar wußten sie mit den
Eindringlingen nichts Rechtes anzufangen.
„Na?“ hörte Harpo Alexander sagen. „Angst gekriegt vor starkes Rotpelz,
wie?“
Lonzo blubberte: „Mast und Schotbruch! Ich will ja nicht vorlaut er
scheinen, Matrosen, aber wir haben uns da wohl in etwas verrannt, das,
fürchte ich, so originell gar nicht ist.“
Ächzend gab die Türe jetzt nach. Modriger Geruch schlug den rasch hin
durchschlüpfenden Kindern entgegen.
Finsternis.
Harpo drehte sich um. Noch immer standen die vier spinnenartigen Robo
ter da und betrachteten mit blitzenden Sehzellen die Kinder. Dann setzte sich
die Leitspinne in Bewegung und lief zur Bibliothek hinüber. Die anderen folg
ten. Offenbar hatten sie überhaupt kein Interesse an den zähneklappernden
Expeditionsmitgliedern, die nun erleichtert aufatmeten.
Ein weiteres Spinnenkommando näherte sich und schleppte Kisten, die,
gut einsehbar, staubige Bücher enthielten.
„Hihihi“, kicherte Lonzo. „Was sind wir doch für dumme Hühner! Das sind
RobotBibliothekare, die jetzt anrücken. Sie wollen die Bibliothek wieder in
Ordnung bringen!“
Daß er recht hatte, bewies das dritte Kommando, das bald nachfolgte. Es
transportierte Metallregale. Alle verschwanden in der Bibliothek.
„Dann waren die vier ersten wohl die Ingenieure, was?“ fragte Harpo
erleichtert. Er wischte sich verstohlen Schweißperlen von der Stirn. „Trotz
dem bin ich dafür, daß wir schleunigst das Weite suchen. Irgendetwas ist mir
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nicht geheuer. Oder kann mir vielleicht jemand verraten, wieso die Roboter
noch alle funktionieren, wenn angeblich niemand mehr da ist, der sie
steuert?“
„Wer hat denn überhaupt gesagt, daß das Wrack unbewohnt ist?“ erkundig
te sich Anca spitz.
„Niemand. Wir haben es einfach angenommen.“
„Ich möchte ja nicht arrogant erscheinen“, fügte Lonzo hinzu, während sie
im Licht ihrer Handscheinwerfer den Nebenraum einer eingehenden Unter
suchung unterzogen, „aber es kann durchaus Roboter geben, die sich selbst
steuern – wie ... äh ...“ Er brach ab, denn beinahe hätte er sich selbst als
lebendes Beispiel dahingestellt. Aber bevor Lonzo zugab, ein Roboter zu sein,
hätte er sich eher die nichtvorhandene Zunge abgebissen.
„Fies kalt hier“, hörte man Ollie quengeln. Und plötzlich: „Huch, was ist
denn das?“
Ehe Lonzo sich versah, hing der Kleine an seinem Hals und brüllte wie am
Spieß. „Ich bin auf etwas Hartes getreten! Ein Gespenst!“
„Gespenster sind doch luftdurchlässig“, spottete Harpo lachend und rich
tete einen Lampenstrahl auf die Stelle, an der Ollie eben noch gestanden
hatte. Dann keuchte er entsetzt: „Mann – das ist ja ein Krokodil!“
„Ein was?“ fragte Alexander geschockt.
Harpos Ausruf genügte jedenfalls. Ollie und Anca quietschten entsetzt.
Harpo, der das Objekt, das in der Tat fatal einem Reptil ähnelte, nun voll an
leuchtete, blieb gelassen.
Mit aufgerissenem Rachen kauerte ein Tier vor ihnen. Es war etwa einen
Meter lang und drachenähnlich. Es saß auf dem Rand eines großen, aus
Pflanzenresten und Gräsern zusammengesetzten Nestes, in dem drei riesige,
goldgesprenkelte Eier glänzten.
„Ein Saurier!“ stöhnte Ollie, einer Ohnmacht nahe. „Er wird uns fressen!“
„Quatsch mit Soße“, gab Harpo zurück. „Saurier sind Pflanzenfresser. Je
denfalls die meisten!“
Der vermeintliche Saurier breitete kleine Schwingen aus, machte ein paar
mal laut: „Chrrrrr, chrrrr, chrrrr“, tat aber ansonsten nichts, was darauf hin
deuten konnte, daß er den Fremden feindlich gesonnen war. Harpo wurde
vielmehr den Eindruck nicht los, daß das kleine Ungeheuer sich ebenso vor
ihnen fürchtete wie sie sich vor ihm.
„Immer schön cool bleiben“, quäkte Lonzo. „Das hat auch Captain Kidd
damals gesagt, als wir zusammen mit den Motorradrockern von San Fran
cisco eine TausendMeilenRalley machten. – Wir haben nur ein Nest aufge
stöbert. Würdet ihr etwa nicht grunzen, wenn fremde Piraten Anstalten
machen, eure Küken zu rauben?“
Die Kinder lachten. Nach alledem, was sie bisher erlebt hatte, schien dieser
Minidrache wirklich nichts Böses im Schilde zu führen. Täuschten sie sich,
oder sahen sie wirklich so etwas wie Beruhigung in seinen Augen, als er zu
seinem Nest zurückhoppelte und sich mit leisem Fiepen auf die Eier setzte?
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„Schon gut, Bürschlein“, sagte Ollie großmütig. „Wir wollen dir die Brut
nicht klauen.“ Vorsichtig schritt er als erster am Nest vorbei, dabei sorgfältig
auf die anderen schielend, ob sie seinen Mut auch entsprechend be
wunderten.
Der nistende Minidrache war übrigens nicht der einzige, der sich in dieser
Region aufhielt. Im nächsten langen Korridor wimmelte es nur so von kleinen
Drachen. Auch hier wucherten Pflanzen, die die Expeditionsmitglieder be
hinderten. Hier lebten meist Jungdrachen, die kaum größer waren als ihr
Freund Trompo und lustig wie Enten daherwatschelten.
Nun sahen die Kinder die kurzen Stummelflügel der Reptilien zum ersten
Mal aus nächster Nähe. Einer der Drachen versuchte sich flatternd zu
erheben, was ihm aber nicht gelang. Die Schwingen waren klein wie eine
Handfläche und fast so durchsichtig wie Papier.
Fachmännisch erklärte Harpo: „Die Flügel sind viel zu klein für diese put
zigen Tiere. Möglicherweise sind sie degeneriert. Oder auch mutiert.“
„Mu... was?“ fragte Ollie neugierig. „Was ist das?“
Harpo warf sich in die Brust und erklärte, daß er diese Weisheit seinem
Freund Thunderclap Genius verdanke. „Organismen, Menschen, Tiere und
auch Pflanzen verändern ihr Aussehen meist unter kosmischem Strahlenbe
schuß, manchmal aber auch durch den Gebrauch falscher Medikamente. Das
kann dann so weit gehen, daß sich der Enkel vom Opa so unterscheidet wie
ein Ei von der Henne ... ähem.“ Er räusperte sich stolz. „Im Grunde sind auch
wir, die wir auf der EUKALYPTUS leben, in gewisser Hinsicht mutiert.“
Offenbar vermochten die kleinen Drachen mit der plötzlichen Schein
werferhelligkeit wenig anzufangen. Lonzo führte das darauf zurück, daß sie
wahrscheinlich bereits seit Generationen im Halbdunkel lebten und sich ihre
Augen den Verhältnissen angepaßt hatten.
„Aber wovon ernähren sie sich?“ wollte Anca wissen. „Von diesem Grün
zeug hier? Das müßte doch bald ratzekahl gefressen sein.“
Die Antwort ergab sich einige Schritte weiter von ganz allein: Die Umge
bung, ein Wirrwarr von Korridoren und kleinen Räumen, war so stark
beschädigt, daß es Dutzende von Löchern und Spalten in den Wandungen
gab, durch die die Tiere auch in andere Regionen vorstoßen konnten. Lonzos
Scheinwerferstrahl, der einen der Gänge erhellte, zeigte in der Ferne einen
üppig wuchernden, unter heller Beleuchtung liegenden Dschungel. Eben
kam watschelnd ein Jungdrache aus dem Loch. Im Maul trug er ein Pflanzen
büschel, auf dem er eifrig herumkaute.
„Wir sollten uns noch auf allerlei Überraschungen gefaßt machen“, ließ
Harpo verlauten, der die Gruppe nun anführte. „Lonzo, hältst du es für
möglich, daß es hier Raubtiere gibt?“
Der Roboter stieß ein erschrockenes Schnauben aus. „Heilige Galaxis! Mal
bloß nicht den Geist des Alls an die Wand. Das hätte uns nämlich gerade
noch gefehlt, nach allem, was wir schon hinter uns haben. Na, hoffen wir das
Beste. Ich habe jedenfalls nicht vor, als Schnitzel im Magen eines galak
tischen Faglquurz zu enden!“
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Diese Antwort brachte spontan wieder Stimmung in die Runde. Wer hatte
je von einem Schnitzel aus Metall gehört? Selbst die gefräßigsten galaktischen
„Faglquurze“ – was immer das sein mochte – würden ein solches nicht ohne
Bauchschmerzen verdauen.
Allmählich ließen sie das Reich der Drachen hinter sich. Die Nester – viele
waren längst zerfallen – wurden seltener und hörten schließlich ganz auf. Der
breite Korridor, durch den sie gingen, endete an einem großen Tor, das
keinerlei Öffnungsmechanismen aufwies.
„Was nun?“ fragte Ollie säuerlich.
„Tastet die Türfüllung ab“, riet Lonzo. „Irgendwo muß schließlich ein Öff
ner sein!“
„Und wenn sie durch Telepathie geöffnet wird?“ fragte Ollie, dessen
Patschhändchen bereits suchend über die Metallfläche glitten.
Alexander lehnte mit seinem Hinterteil an der rechten Hälfte der Türfül
lung, riß das Maul weit auf und ließ ein herzhaftes, urwüchsiges Gähnen hö
ren, das, nachdem es im tiefsten Baß aller Zeiten angefangen hatte, beinahe
im Ultraschallbereich endete.
Die Tür sprang auf, als sei Alexanders Gähnen eine Art „Sesamöffne
dich“Spruch gewesen. Und das war es wohl auch, wie Lonzo treffend aus
drückte: Der unsichtbare Öffnungsmechanismus reagierte nicht auf einen
Knopfdruck, sondern auf eine bestimmte Tonlage, die man mit den Stimm
bändern produzierte!
Die Weltraumfabrik
Eine neue Welt tat sich vor ihnen auf. Ohne ihr Zutun schloß sich hinter ih
nen das Tor wieder und wischte den wuchernden Dschungel von der Bildflä
che, als habe es ihn niemals gegeben. Ein betäubender Lärm drang von allen
Seiten her auf sie ein. Summen, Rasseln, Ticken und Klicken addierten sich
zu einem Maschinenkonzert. Der Fußboden und die Schiffswände leiteten
ferne Vibrationen weiter und kribbelten unter den Füßen.
Sie befanden sich in einer riesigen Halle. Weiße Lichtkaskaden duldeten
nirgendwo auch nur den kleinsten Schatten. Die helle Flut leckte über einen
Saal, der geradezu klinisch sauber erschien. Die Geräusche und Vibrationen
gingen von Maschinen aus, die schnurgerade in langen Reihen den Raum
ausfüllten.
Trotz fremdartiger Bauelemente erkannten die Freunde sofort, daß es sich
bei den schnurrenden und ratternden Maschinenblöcken um Automaten
handelte. Einiger waren groß wie ein solides Einfamilienhaus. Harpo und die
anderen hatten solche Maschinen schon gesehen – wenn im Filmsaal der EU
KALYPTUS Lehrfilme über vollautomatisierte Fabriken auf der Erde gezeigt
wurden.
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Die Wirklichkeit war natürlich weitaus überwältigender. Für eine Weile
rührte sich vor Staunen niemand vom Fleck.
Die Luft war heiß und trocken. Und sie schmeckte nach Staub und Öl.
„Igittigitt“, stöhnte Alexander und blähte seine Nüstern. „Ist ja wie in stin
kiges Maschinenraum!“
Niemand mochte widersprechen. Scheu wanderten die Blicke über die
Automaten, die rastlos ihren den Kindern noch unbekannten Funktionen
nachkamen. Die Schutzverkleidungen verwehrten fast überall einen tieferen
Einblick. Hier und dort sah man im Innern eines Schachtes oder Schlundes
Metallschneiden gegeneinander hacken oder Greifer fassen. Alle Automaten
wurden durch verschiedene Röhren, halbkreisförmige Tunnel und farbige
Kabel miteinander verbunden. Unter den Tunnelblechen rasselten Ketten
und Fließbänder.
Die Kabel führten zu einer Schalttafel, die wohl zwanzig Meter hoch und
dreißig Meter lang war. Tausende von Lämpchen leuchteten dort in Paaren,
Ketten und ganzen Hundertschaften nacheinander auf und verloschen
wieder. Sie gehorchten einem unbekannten Rhythmus. Über Skalen mit un
verständlichen Beschriftungen rasten aus Leuchtpunkten zusammengesetzte
Fieberkurven. Relais klickten, und wie von Geisterhand bewegte Hebel raste
ten ein und wieder aus. Auf einem kleinen, rechteckigen Kontrollpunkt zuck
ten unablässig irgendwelche Tasten, gerade so, als würden unsichtbare
Hände auf einer Riesenschreibmaschine schreiben. An einer anderen Stelle
glitt ein Lochstreifen aus der Schaltwand heraus, produzierte ablaufend Sym
bole auf einem Bildschirm und verschwand wenige Zentimeter tiefer erneut
hinter der Verkleidung.
Anca entdeckte eine Maschine, die Ähnlichkeit mit einer Schildkröte besaß
und sich lautlos – zumindest im Vergleich zu dem Krach ringsum – auf
kleinen Rollen vorwärts bewegte. Ein langer Schlauch fuhr saugend über den
blankgescheuerten Boden.
„Ein Staubsauger“, meinte Harpo. „Ähnlich wie die Bohnermaschine in der
Bibliothek.“
Ollie, der den Raumfahrerhelm hin und her klappte, um die stickige Luft
immer mal wieder mit frischem Sauerstoff anzureichern, fragte verständnis
los: „Und was machen die hier, die Maschinen? Laufen die nur so vor sich hin
oder wie oder was?“
Der Staubsauger ignorierte die Eindringlinge mit einprogrammierter Ruhe.
Harpo rieb sich nachdenklich das Kinn. Der Kleine hatte recht! Was produ
zierten diese Maschinen eigentlich? Maschinen üben Funktionen aus, stellen
etwas her. Es fiel schwer zu glauben, daß diese Maschinen nur den Zweck
hatten, Lärm zu machen und Lämpchen auf einer Schalttafel in Bewegung zu
halten.
Daß die Maschinen entgegen ihrem ersten Eindruck vielleicht gar keine
Fertigungsautomaten waren, sondern mit dem Antrieb des Wracks zu tun
hatten, wollte kaum einleuchten. Wo Raumschiffgeneratoren arbeiten, treten
meist Strahlungen auf. Lonzo hätte sie längst gewarnt. Und die Fremden hät
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ten es sicherlich verstanden, diese Räume so zu sichern, daß Unbefugte nicht
ohne weiteres eindringen konnten.
„Da!“ rief Lonzo. In einiger Entfernung hatte sich ein Tor geöffnet, und ein
Transportfahrzeug rollte herein. Die Köpfe der Kinder schnellten herum.
Alexander schnupperte aufgeregt und stellte seine Bärenohren steil auf.
Das Gefährt war so groß wie ein Personenkraftwagen. Es fuhr rückwärts an
einen Maschinenblock heran. Als die Ladefläche unter eine der Maschinen
öffnungen glitt, tauchten verborgene hydraulische Greifarme auf. Sie langten
in das Loch hinein und stapelten in wahnwitziger Geschwindigkeit kleine
Schachteln auf die Ladefläche.
Neugierig näherten sich die Kinder. Ein bißchen mulmig war ihnen schon
zumute, aber niemand zeigte die Unsicherheit offen.
Der Transporter hatte eine Art Fahrerkabine. Sie war leer. Lonzo lugte auf
die Ladefläche, ließ dann blitzschnell zwei Tentakel vorschnellen und
grapschte sich eine der Schachteln vom vordersten Stapel.
„Potz Galaxis!“ stöhnte er und tat entsetzt. „Ist die aber schwer!“
Die straff gespannten Metalltentakel zeigten, daß Lonzo gar nicht so sehr
übertrieb. Ächzend zeigte er die Schachtel herum. Sie bestand aus einem
silbrigen Metall.
Harpo überwand als erster seine Scheu davor. Er faßte sich ein Herz und
versuchte den Deckel hochzuklappen. Theoretisch mußte das möglich sein,
denn die Trennfuge zeigte deutlich, daß diese Metallschachtel kein massiver
Block war. Eine Art Magnet bildete wohl den Verschluß. Harpo mußte beide
Hände benützen, ehe es ihm gelang, den Deckel zu lüften.
Alle reckten neugierig die Hälse, um in das Innere der Schachtel zu spähen.
Aber alles, was sie sahen, waren kleine, fast durchsichtige, blauschimmernde
Kügelchen. Welchem Zweck mochten sie dienen?
Als Harpo eines der Kügelchen herausnehmen wollte, mußte er feststellen,
daß dieses winzige Ding, nicht größer als eine Glasmurmel, zu schwer war für
seine Fingerspitzen. Es wog mindestens zehn Pfund.
„Das ... ist ... unglaublich!“ stieß er hervor. „He, Lonzo, wie ist so etwas
möglich?“
Kopfschüttelnd sah er zu, wie Lonzo mit seinem dritten Tentakel den De
ckel wieder aufsetzte und die Schachtel an ihren Platz auf der Ladefläche zu
rückbugsierte. Eine Antwort auf Harpos Frage wußte er offenbar auch nicht.
Die Greifer hatten die Ladefläche vollgepackt. Jetzt verharrten sie regungs
los im Raum. Auf einem Instrumentenkasten, der seitlich an dem Gefährt
angebracht war, leuchtete eine gelbe Lampe auf. Sofort setzten sich dich
Greifarme erneut in Bewegung. Sie tasteten über die Ladung, schnappten
eine der Schachteln und schoben sie in die Maschine zurück. Dann setzte
sich der Wagen summend in Bewegung und verschwand auf dem gleichen
Weg, auf dem er gekommen war.
Lonzo bemerkte die verblüfften Gesichter seiner menschlichen Freunde
und meinte anzüglich: „Da gehen euch die Schuhe auf, was? Na, überlegt
doch mal, was wohl der Grund für das Verhalten der Greifarme sein könnte!“
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„Der Wagen war überladen!“ platzte Harpo heraus. „Sicher besaß er eine
Wiegeeinrichtung in der Aufhängung. Das gelbe Licht signalisierte das Über
gewicht – also wurde abgeladen!“
„Supersüperb!“ lobte Lonzo. „Aber wie kann ein programmiertes Gehirn
einen Wagen überladen, wenn es den Auftrag hat, ein bestimmtes Gewicht
nicht zu überschreiten? Ich meine: Wir müssen ja wohl davon ausgehen, daß
diese Anlage von einem Computer zentral gesteuert und kontrolliert wird“,
fügte er hinzu.
Dieses Mal war Anca am schnellsten. „Ganz einfach“, sprudelte sie hervor
und schob ihren Bruder zur Seite, bevor er mit seiner Kombinationsgabe
glänzen konnte. „Die Schachtel! Du hast eine Schachtel geklaut ...“
„Entliehen!“ korregierte Lonzo empört.
„Dann eben entliehen. Auf jeden Fall verringerte sich dadurch das Gesamt
gewicht der Ladung. Die Greifer luden eine zusätzliche Schachten auf und
entfernten sie dann wieder, als die ... äh ... geliehene Schachtel zurückgelegt
wurde.“
„Formidable, wie Captain Kidd zu sagen beliebte“, lobte Lonzo und drückte
das Mädchen gegen seine Metallbrust. „Das heißt ,ausgezeichnet‘. Pummel
chen, du bist ein Schatz!“
Anca freute sich so sehr über das Lob, daß sie sogar vergaß, gegen den Aus
druck Pummelchen zu protestieren.
Olli hatte mit offenem Mund zugehört. „Du bist ja richtig intelligentuell
oder wie das heißt“, äußerte er schließlich begeistert.
Alexander kratzte nachdenklich an seiner Nase herum und überlegte dabei,
wie kompliziert doch alles geworden war, seitdem er seine Heimatwelt Nord
pol verlassen hatte. Dort genügte es, wenn man ein Paar fixe Hände hatte, um
die dicksten Fische zu greifen und in den Iglu zu tragen. „Alexander eines
Tages auch viel intelligentuell“, meinte er.
Niemand lachte, obwohl Alexander natürlich „intellektuell“ meinte. Er
hatte mit seinem Lerneifer schon öfter Staunen hervorgerufen.
Die Frage, weshalb diese seltsamen Murmeln derartig schwer waren,
beschäftigte die gesamte Expedition. Lonzo befragte seine Speicherbänke
und kam zu der Lösung, es müsse sich um ein künstliches, überschweres
Element handeln, das mit nichts auf der Erde Bekanntem vergleichbar war.
Was man aber konkret mit superschweren Murmeln anfangen konnte, wußte
selbst Lonzo nicht zu sagen. Schwatzmaul konnte man nicht fragen. Die
Funkverbindung zur EUKALYPTUS war sowohl über die Funksprechgeräte
wie auch über Lonzos eingebauten Sender von Störungen überlagert.
In der nächsten halben Stunde geschahen noch weitere seltsame Dinge in
der Fabrikhalle. In regelmäßigen Abständen tauchten andere Transportfahr
zeuge auf, um die Schachteln mit den schweren Kugeln abzuholen. Und der
programmierte Staubsauger bewegte sich rastlos zwischen den Automaten.
Einmal versuchte er sogar, Lonzos Metallfüße zu säubern, was ihm aber nicht
gelang, weil dieser erschrocken das Weite suchte. Ansonsten wich die putz
41
wütige Schildkröte stets respektvoll aus, wenn ihr die Eindringlinge in die
Quere kamen.
Plötzlich fiel eine der geräuschvollen Maschinen aus, was einen winzigen
Wagen auf den Plan rief, der Ähnlichkeit mit einem Werkzeugkasten auf Rau
penketten hatte. Er zischte auf das verstummte Produktionsgerät zu und
klappte sich auf. Greifarme kamen zum Vorschein, betasteten eine Platte am
Fuß der großen Maschine und schraubten sie ab. Die Greifer langten in ein
Gewirr von Kabeln und fischten zielsicher ein verschmortes Schaltelement
heraus. Ein anderer Greifer schwenkte bereits mit einem Ersatzteil heran.
Alexander hatte sich neugierig genähert. Als er jetzt noch einen weiteren
Schritt tat, gab der Werkzeugkasten ein kreischendes Geräusch von sich.
Gleichzeitig leuchtete ein Blinklicht an der Rückfront auf, das erst wieder
erlosch, als Alexander sich ein paar Schritte entfernte. Zweifellos hatte der
Werkzeugkasten etwas gegen neugierige Zuschauer. Alexander trat total
verunsichert den Rückzug an.
Am anderen Ende der Halle wurden keine Kugeln produziert. Vielmehr
nahmen die Transportwagen an diesen Maschinen würfelartige Gegenstände
auf. Sie benötigten dafür auch keine Greifer, sondern fuhren trichterähnliche
Aufbauten unter die Fertigungsanlage. Die Ladung prasselte in die Trichter.
Erneut entnahm Lonzo eine Probe. Was nach Stahl ausgesehen und beim
Aufschlagen auch so geklungen hatte, erwies sich als festes, aber watteleich
tes Produkt. Diese Würfel hatten außerdem noch andere Eigenschaften, was
sich augenblicklich zeigte.
Lonzos Gelenke begannen plötzlich zu krachen. Funken stoben aus seinen
Sehlinsen.
Erschrocken fuhren Harpo, Anca und Ollie zusammen. Alexander legte
brummend die Tatzenhände vor die Augen.
Lonzo leuchtete jetzt wie eine Glühbirne. Sein Körper strahlte eine der
artige Hitze aus, daß die Freunde zurückweichen mußten.
„Lonzo!“ brüllten Harpo und Ollie wie aus einem Mund. „Weg mit dem
Ding! Schnell! Wirf es weg!“
Es schien, als würde der Roboter aus einem Trancezustand erwachen. Sei
ne Tentakel peitschten durch die Luft, seine Brustklappe sprang klickend auf,
und seine Innereien wurden sichtbar. Dann gewann er die Kontrolle über sei
nen Mechanismus zurück. Er warf den unheimlichen Würfel mit einer ruck
artigen Bewegung in den Trichter zurück. Ein starkes Vibrieren ging durch
seine Metallbeine. Offensichtlich hatte er Mühe, das Gleichgewicht zu halten.
Benommen schnarrte er: „Das ... war ... phantastisch!“ Ein dünner
Rauchfaden ringelte sich aus seiner Brustöffnung, schließlich puffte sogar
eine dicke schwarze Qualmwolke hinterher. Lonzo schwankte, als beständen
seine Beine aus Gummi. Mit einer rührenden menschlichen Gebärde faßte er
sich an den stählernen Schädel.
„Lonzo ...“ flüsterte Harpo, dessen Nasenspitze ganz blaß geworden war.
„Ist dir etwas passiert? Fehlt dir etwas, alter Junge?“ Seine Stimme klang
42
besorgt, und auch den anderen war der Schreck in die Glieder gefahren. Dem
guten Lonzo durfte einfach nichts Ernsthaftes passiert sein!
Alle atmeten auf, als Lonzo plötzlich einen Luftsprung machte und schrie:
„Es war ungeheuer, Freunde! Ungeheuer, sage ich euch! So etwas habe ich
nicht mehr erlebt, seit ich damals auf dem RoaRoaAtoll gemeinsam mit
Captain Kidd ein ganzes Faß Nähmaschinenöl aussoff! Hoho!“ Übermütig be
gann er zu tanzen und zu singen. Das alte Piratenlied „Vierzehn Mann auf
des toten Mannes Kiste“ hatte viele Strophen.
Harpo, Anca, Ollie und Alexander blickten sich erst blaß, dann erleichtert
und schließlich ratlos an.
„Lonzo“, hauchte Anca entsetzt. „Lieber, guter Lonzo, was ist bloß in dich
gefahren? Du führst dich ja auf, als hättest du das große Los gezogen!“
„Hab’ ich auch, hab’ ich auch!“ Lonzo brach in seine Darbietung ab und
berichtete ganz sachlich, was ihm widerfahren war, als er den Würfel berührt
hatte. Ein gewaltiger Energiestoß war durch seinen Körper gefegt. Er hatte
sich gefühlt wie der sagenhafte Riese Goliath, dessen Vater und Großvater in
einer Person. Leider waren seine stromführenden Teile solchen Energiestö
ßen nicht gewachsen.
Begeistert klopfte Lonzo Harpo auf die Schulter und sagte: „Diese Würfel
sind nichts anderes als genial konstruierte Energiespeicher. Ich möchte
wetten, daß man mit einem einzigen dieser Dinger ein Raumschiff wie die
EUKALYPTUS zehn Jahre lang mit Energie versorgen kann, Antrieb einge
schlossen.“
„Klasse!“ rief Harpo. „Stellt euch das mal vor! Wir werden nie Energiepro
bleme haben, nicht einmal in hundert Jahren! Mensch, wir müssen unbe
dingt ein paar Dutzend dieser Dinger mitnehmen!“
„Und wer soll die tragen?“ erkundigte sich Anca. „Ich sehe schon, wie Ollie
die Würfel nimmt und derart aufgeladen wird, daß er mit einem einzigen Satz
zur EUKALYPTUS zurückspringt – womöglich noch ohne Raumanzug.“
„Och“, kommentierte der Kleine. „Ihr habt ja bloß Schiß, daß ich kräftiger
werde als ihr alle zusammen. Stimmt’s?“
„Ojeoje“, jammerte Lonzo. „Das ist wirklich ein Problem. Tragen darf die
keiner von uns. Selbst mir kam es vor, als würde ich in tausend Teile gerissen.
Aber sicherlich ...“
Ollie schluckte mehrmals heftig, dann hatte er seine Stimme wiederge
funden. „Dadadadas“, stotterte er mit weit aufgerissenen Augen, „kökö
könnten wir auch so haben!“
Er zeigte auf etwas, das den anderen während der Unterhaltung entgangen
war. Eine riesige Maschine bewegte sich drohend auf sie zu und schickte sich
an, die Eindringlinge zu zermalmen ...
43
Raumgeister
Das Ungetüm, das eine vage Ähnlichkeit mit einer Dampfwalze aufwies,
entpuppte sich beim Näherkommen glücklicherweise doch als etwas schwer
fälliger, als sie auf den ersten Blick angenommen hatten. Harpo, Anca, Ollie,
Alexander und Lonzo rannten sofort in alle vier Windrichtungen, als sie die
Gefahr erkannten. Die Trennung schien für den Moment die beste Lösung zu
sein.
Die Maschine stoppte und summte zornig. Sie schien aus dem Konzept ge
bracht zu sein und drehte sich langsam und sichtlich ziellos im Kreis herum.
Der Motor spuckte mehrmals und setzte dann völlig aus.
Die Flüchtlinge lugten aus ihren Verstecken hinter den Maschinenblöcken
hervor. Schließlich kamen sie vorsichtig näher, immer auf der Hut vor wei
teren Attacken. Flüsternd berieten sie, was diese unerwartete Rettung zu be
deuten hatte. Mußte man einen neuerlichen Angriff einkalkulieren, oder war
das nichts weiter als ein Kurzschluß?
Natürlich hielt Lonzo, der Schlaumeier, nicht lange mit seiner Meinung zu
rück: „Es war ein Kurzschluß“, behauptete er. Und als die anderen vorsichtig
protestierten, schnarrte er weiter: „Kurzschluß! Kurzschluß! Die Roboter
gesetze verbieten einer selbstdenkenden Maschine einen Angriff auf Men
schen. Ganz einfach also! Kurzschluß!“
„Die Roboter was?“ krähte Ollie. „Jungejunge! Haben die eigene Gesetze?
Und eigene Richter? Und Schöffen? Und ein RoboterGesetzbuch?“
„Es gibt nur drei Robotergesetze“, erklärte Harpo, der begriff, worauf Lonzo
hinauswollte. „Sie wurden bereits im 20. Jahrhundert von einem gewissen
Doktor Asimov gemacht.“
„Was der alles weiß!“ rief Lonzo staunend, aber auch ein bißchen in seiner
Eitelkeit gekränkt, weil jemand ihm zuvorgekommen war. „Jetzt laßt aber mal
Captain Kidds Vertrauten erzählen. Das ist nämlich so: Paragraph 1 besagt,
daß kein Roboter einen Menschen schädigen oder durch Untätigkeit zulassen
darf, daß ein Mensch Schaden nimmt. Nach Paragraph 2 muß jeder Roboter
jederzeit allen menschlichen Weisungen Folge leisten, mit der Ausnahme von
Weisungen, die gegen Paragraph 1 verstoßen. Und in Paragraph 3 ist festge
legt, daß sich jeder Roboter selbst vor Schaden zu bewahren hat oder aufge
tretene Schäden beheben muß, es sei denn, daß er damit gegen Paragraph 1
und Paragraph 2 verstößt.“
„Komische Gesetze“, meinte Ollie. „Kann ich mir gar nicht denken, daß die
wirken. Nicht mal der olle Moses kam mit nur drei Geboten aus. Und seitdem
ist die Welt noch viel komplizierter geworden.“
„Und woher sollen unsere unbekannten RoboterKonstrukteure Doktor
Asimov gekannt haben?“ fragte Anca lachend.
„Na, auf jeden Fall hält es Lonzo auch nicht so genau mit seiner Gesetze
streue“, fuhr der kleine Oliver fort. „Er hätte sich todesmutig der Walzma
schine in den Weg werfen müssen, um uns zu retten. Klar, wir hätten ihn
44
natürlich gehindert, weil Lonzo unser Kumpel ist. Aber versuchen hätte er es
müssen, gell? Von wegen ,Untätigkeit‘ und so in Paragraph 1 ...“
„He, du kannst ja plötzlich logisch denken“, äußerte Harpo anerkennend.
„Ha!“ schrie Lonzo. „Wicht! Elender! Klabautermann! Hat denn vielleicht
einer von euch Schaden genommen, he?“
Er versuchte seiner Stimme einen besonders strengen und verärgerten Ton
zu geben, was ihm aber nicht gelingen wollte. „Und das kommt nämlich da
her, daß ich Paragraph 1 exakt befolgt habe. Mein Beispiel hat euch gezeigt,
daß Flucht das einzig Richtige war. Und so habe ich euch gerettet ...“
Harpo konnte sich nur mühsam ein Grinsen verkneifen. Anca platzte mit
ihrem Kichern laut heraus. „Hättest du nach Paragraph 3 nicht den ... nun ja,
den Defekt an deinem Gehirn reparieren müssen? Ich meine damals, als du
dich auf unsere Seite geschlagen hast und nicht länger den Befehlen der
ursprünglichen Besatzung gehorchtest?“ fragte sie schließlich.
„Schnickschnack“, knurrte Lonzo. „Erstens hat Lonzos Gehirn niemals
Schaden genommen. Und zweitens nützte euch dieser Schaden gemäß Para
graph 1. Und da Paragraph 1 über Paragraph 3 geht –“ Er unterbrach sich
selbst. „Ihr habt mich aufs Glatteis geführt! Was habe ich überhaupt mit
diesen Problemen zu tun? Bin ich etwa ein Roboter? Schon meine prächtigen
Locken und die schönen rehbraunen Augen beweisen das Gegenteil!“
Jetzt brach prustendes Gelächter los, und anschließend stoben wieder alle
auseinander. Dieses Mal auf der Flucht vor Lonzo, der mit einem wilden Pi
ratenschrei seiner Empörung Luft machte. Helles Gelächter und ausge
lassenes Gekreische ersetzten einige Minuten lang den streng
wissenschaftlichen Charakter der Expedition.
Nach einer Weile meinten alle, daß es Zeit sei, die Fabrikationshalle zu
verlassen, zumal ja am Ende des Saales eine weitere, noch nicht näher inspi
zierte Tür wartete. Unbehindert marschierten sie zur Tür, die sich bereitwillig
für sie öffnete. Aber dahinter lag nichts weiter als eine zweite Produktions
stätte, die sich nur in kleinen Details von der ersten unterschied. Die gefertig
ten Produkte sahen anders aus. Die Freunde machten sich dieses Mal nicht
die Mühe, sie näher zu untersuchen.
Eine dritte Halle schloß sich an. Sie war noch wärmer und trockener als die
anderen. Hinter einem dick verglasten Sichtfenster sah man flüssiges Metall.
Offenbar wurden hier die Rohprodukte geschmolzen und so weit aufbereitet,
daß sie in den anderen Hallen weiterverarbeitet werden konnten. Säulen
artige Roboter auf Raupenketten schafften von irgendwoher Behälter herbei
und schütteten deren Inhalt in die Schmelzanlage. Von der Expedition
nahmen sie nicht die geringste Notiz.
Eigentlich hatten sich die Kinder – schon wegen der Hitze – hier nicht lange
aufhalten wollen, aber als Harpo aus einer Laune heraus auf ein Podest
kletterte und von dort aus zufällig in einen herbeigeschafften Behälter sehen
konnte, stieß er einen überraschten Schrei aus: „Das darf doch nicht wahr
sein! Die schmelzen alles wieder ein, was in den anderen Hallen produziert
wurde!“
45
„Potz Galaxis!“ stieß Lonzo hervor. „Ja, ist das denn die Möglichkeit!“
„Ist sich natürlich absurd“, äußerte sich Alexander nachdenklich. „Aber
was weiß Alexander, wie lange verrückte Maschinen schon produzieren ver
rücktes Zeug? Wahrscheinlich Lager schon längst voll und Rohstoffe alle. Also
wieder schmelzen Lagervorräte. Verrückt – aber logisch verrückt!“
„Psst“, zischte Ollie plötzlich. „Da war etwas!“
War das nur eine Einbildung, oder hatte sich wirklich am Eingang eine
Gestalt bewegt? Aber soweit man sehen konnte, stand in der Nähe der Tür
nur ein würfelförmiger, fahrbarer Tisch. Der Tisch hatte Einbuchtungen, in
denen Flaschen steckten. Nichts Ungewöhnliches.
„Verdammt!“ schimpfte Ollie. „Ich bin ganz sicher, daß sich da drüben et
was bewegt hat! Ganz sicher!“
Aber nichts rührte sich. Ollie mußte sich getäuscht haben. Dennoch waren
sie wieder wachsam. Dicht beieinanderbleibend verließen die Freunde die
Halle und fanden sich in einem Korridor wieder. Links und rechts des Ganges
befanden sich durchsichtige Kunststoffplatten mit elektronischen Bau
elementen dahinter. Der Krach aus den Fabrikationshallen wurde leiser, die
Hitze ließ nach. Die Luft blieb trocken, aber sie roch nicht mehr nach Öl und
heißem Metall. Nur der Boden vibrierte noch immer vom fernen Hämmern
der Maschinen.
Man konnte sich wieder mit normaler Lautstärke unterhalten und vernahm
deutlich die Geräusche der eigenen Schritte. Und dann fiel Anca ein leises
Quietschen auf. Hinter ihnen!
„Stop!“ zischte Harpo. Er hatte es auch gehört und fuhr auf dem Absatz
herum. Gerade noch bemerkte er eine Bewegung am anderen Ende des
Ganges, dort wo er eine Biegung machte.
Etwas war ihnen gefolgt und verbarg sich hastig vor ihren Blicken. Es lau
erte hinter der Biegung. Man konnte sogar einen Schatten erkennen, der in
den gut ausgeleuchteten Gang fiel. Der Schatten aber war derart bizarr
verzerrt, daß man keine Rückschlüsse auf das Aussehen des Verfolgers ziehen
konnte.
Harpo legte einen Finger an den Mund und schlich auf Zehenspitzen den
Weg zurück. Alexander wollte etwas sagen, aber Lonzo warnte ihn rechtzeitig.
Als Harpo die Biegung erreicht hatte, hielt er gebannt den Atem an. Worauf
hatte er sich da nur wieder eingelassen! Sein Herz klopfte bis zum Hals. Aber
jetzt, so nahe am Ziel, wollte er nicht umkehren. Er holte noch einmal tief
Luft – und steckte den Kopf um die Ecke.
Der Gang war leer.
In einiger Entfernung stand nichts weiter als ein fahrbarer Tisch mit allerlei
Flaschen. So einen hatten sie vorhin schon gesehen.
Etwas verunsichert kehrte Harpo zurück und berichtete. Alle fühlten sich
unbehaglich, aber nach kurzer Beratung wurde der Weg fortgesetzt.
„Und es ist doch jemand hinter uns!“ behauptete Ollie nach einer Weile mit
trotziger Stimme. „Ich will einen Spaziergang auf der Außenhaut dieses ollen
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Wracks machen – und zwar ohne Raumanzug –, wenn uns nicht ein Spion auf
den Fersen sitzt!“
Niemand widersprach, denn alle hatten das gleiche merkwürdige Gefühl,
beobachtet zu werden. Es war unheimlich, richtig gespenstisch. Kein
Wunder, daß Ollie plötzlich ausrief: „Klar doch, Gespenster! Es sind Raum
geister, die uns verfolgen. Geister sind doch nahezu unsichtbar, das weiß je
der!“
Anstelle eines wilden Gelächters kamen nur ein paar müde Proteste. War es
wirklich so unwahrscheinlich, was der Kleine sagte? Immerhin befanden sie
sich an Bord eines fremden Raumschiffes, und niemand hatte sie eingeladen.
Harpo versuche, die Geistergedanken zu verscheuchen, aber er wurde das
dumme Gefühl nicht los, daß sie an Bord dieses alten Raumschiffes nicht
willkommen waren. Vielleicht gab es hier irgendwo ein Wesen, das sie nicht
dulden wollte. Unwillkürlich fiel ihm wieder die kurzgeschlossene Maschine
ein. Ob Kurzschluß oder nicht – sie hatte angegriffen!
Ollie ließ sich nicht bremsen. Nun war er in seinem Element. Geister waren
sein Spezialgebiet. Er redete und redete, bis sich selbst bei Alexander der Pelz
sträubte.
Lonzo machte dem Gerede schließlich ein Ende. „Ja, hat man denn so et
was schon gesehen? Erfahrene Raumfahrer fürchten sich vor Weltraumge
spenstern! Was würde Captain Kidd wohl dazu sagen? Und überhaupt weiß
man doch, daß all die Gespenstergeschichten nur dazu dienen, um Kinder zu
erschrecken und sie aus Angst zum Folgen zu veranlassen.“
Seine Worte wirkten, zumindest auf Harpo und Alexander. Sie warfen sich
in die Brust und musterten herausfordernd ihre Umgebung.
Ganz anders reagierte Ollie. Er klammerte sich an Ancas Arm und zeigte
den Gang hinab. „Ddda!“ stieß er hervor. „Ich habe doch recht gehabt. Der
Fürst der Geisterwelt läßt sich euren Unglauben nicht länger gefallen!“
Dieses Mal waren die Expeditionsmitglieder schneller als der Verfolger. Er
konnte sich nicht rechtzeitig zurückziehen. Harpo fiel es wie Schuppen von
den Augen. Natürlich! Der Verfolger war niemand anderes als der fahrbare
Tisch mit den Flaschen, der ihnen schon in der Halle aufgefallen war!
„Ha!“ dröhnte Lonzo und setzte sich in Bewegung. „Bleib stehen, Schurke,
und stelle dich dem Feind!“
Der Tisch drehte sich, wollte davonrollen, als Lonzos Tentakel nach ihm
züngelten. Er summte wütend, aber dann hatte ihn ein Greifarm erwischt
und ließ ihn nicht mehr los.
Das Ding war stärker, als Lonzo vermutet hatte. Er mußte sich mit aller
Kraft dagegenstemmen, als der Tisch seine Motoren zur Höchstleistung auf
jaulen ließ. Und er besaß Verteidigungswaffen! Ein winziger Greifarm richtete
eine gefüllte Flasche auf Lonzo und sprühte ihn von oben bis unten mit einer
unter Druck stehenden, klebrigen Flüssigkeit ein. Als Lonzo dennoch fest
hielt, warf der Greifarm mit kleinen Würfeln, die zweifellos aus Eis bestanden.
Und schließlich schleuderte er sogar seine Flaschen gegen Lonzo. Eine Fla
sche zerschellte klirrend an Lonzos Kopf.
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„Na warte!“ knurrte Lonzo erbost. Im Nu hatte er seine beiden restlichen
Tentakel um die Laufräder des Gegners geschlungen und hob den Tisch
hoch. Ein schrilles Heulen zeigte an, daß der streitbare „Servierwagen“ von
diesem Vorgehen nicht sehr erbaut war und sich geschlagen geben mußte.
Lonzo kannte kein Pardon. Er legte den Tisch auf die Seite, was ihn ziem
lich hilflos machte, und ging seelenruhig daran, eine Platte abzuschrauben,
hinter der er den Steuermechanismus vermutete. Lonzo führte seine geöffne
te Brust, in der sich ein Arsenal verschiedenster Werkzeuge befand, an den
Gegner heran und hatte bald sein Ziel erreicht.
Als er in das Innere des Wagens griff, drang jedoch urplötzlich ein dicker
Ölstrahl hervor, traf Lonzos Füße und brachte ihn ins Rutschen. Der Tisch
nutzte seine Chance sofort, kippte mit einem Ruck auf die Räder zurück und
raste fort, als sei der Teufel hinter seiner schwarzen Maschinenseele her.
Überall erwachten in diesem Moment Alarmklingeln zum Leben.
Gewissenskonflikte
Wer bisher noch gezweifelt hatte, mußte nun endgültig zur Kenntnis
nehmen, daß dieses Geisterschiff wieder zum Leben erwacht war. Erschro
cken stellten die Kinder fest, daß es an Bord mehr bewegliche Einheiten gab,
als sie je gedacht hatten. Türen öffneten und schlossen sich, Scheinwerfer
blitzten an der Decke auf und machten die helle Beleuchtung noch
gleißender. Und aus verborgenen Lautsprechern drang ein unentwirrbares
Gemurmel, als sei ihnen eine Meute wütender Wachsoldaten auf der Spur.
Harpo war gerade noch in der Lage, einen lauten Warnschrei auszustoßen,
als die ersten maschinellen Angreifer aus allen möglichen und unmöglichen
Winkeln hervorstießen und auf sie zueilten.
„Bloß weg hier!“ schnarrte Lonzo. „Dieses Viertel wird zu ungemütlich!“ Er
stolperte über einen Staubsauger, der mit seinem Saugarm herumfuchtelte,
kam aber wieder auf die Beine. Knurrend brachte er seine Tentakel in Kampf
position. Immerhin waren sie kräftig genug, um mit einem einzigen Schlag
die Antennen des Gegners zu zerstören.
Anca und Harpo flohen in einen Nebengang, liefen dort aber einem Mons
trum direkt vor die breitflächigen Schaufeln. Dabei machten sie eine eigen
artige Erfahrung. Die Maschine wäre in der Lage gewesen, sie ernsthaft zu
verletzen – wenn sie sofort und präzise nach Art einer perfekten Maschine
reagiert hätte. Tatsächlich zischte sie erst einmal drohend – und zögerte
selbst dann noch mit dem Angriff, als die Geschwister nicht zurückwichen.
In diesem Moment war Alexander zur Stelle. Er schob die Maschine mit bä
renhafter Stärke zur Seite, als sei sie nichts weiter als ein lästiger Hampel
mann. Und wieder konnte man beobachten, daß der Apparat sich nicht so
wehrte, wie es ihm sicherlich möglich gewesen wäre. Alexander nutzte den
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Vorteil, hieb mit seiner Pranke auf ein Sortiment von Schaltknöpfen an der
Brust der Maschine und brachte sie augenblicklich zum Erstarren.
„Wartet auf mich!“ krähte Ollie, der von einem einrädrigen Turm verfolgt
wurde. Gerade als er mit einem Satz auf Alexanders Arm sprang, worauf
dieser benommen zu Boden ging, bremste der balancierende Turm jäh ab,
drehte sich wie irre im Kreis und fiel dann um.
Nun fehlte nur noch Lonzo. Er hatte sich gerade aus der Umschlingung
feindlicher Greifarme befreit und rief: „Rennt weiter! Die Richtung ist gut. Die
Hauptstreitmacht der Klapperatismen ist hinter uns!“
Mit riesigen Sätzen eilte er hinter den Kindern her. Sie wetzten mit häm
mernden Pulsen und pfeifenden Lungen den freigekämpften Gang entlang.
Gelegentlich mußten sie plötzlich aufgehenden Türen ausweichen.
„Mann!“ stöhnte Harpo nur mal so zwischendurch, als er Luft holte. Das
sah ja wirklich so aus, als hätte ihr unbekannter Gegenspieler zu einem
ultimativen Schlag gegen sie ausgeholt.
Der Gang endete an einer Treppe, die steil in die Tiefe führte. Das war ein
Geschenk des Himmels. Gleichzeitig mehrere Stufen auf einmal nehmend,
flitzten sie hinab und machten erst Halt, als sie ein großes Stück zurückgelegt
hatten, ohne behelligt worden zu sein.
Sie waren froh, daß die BodyskinAnzüge so flexibel waren und eng am
Körper anlagen. Auch die herabgeklappten Helme störten kaum beim Laufen.
Mit den klobigen Anzügen der früheren EUKALYPTUSBesatzung hätten sie
nie im Leben so flink sein können.
„Uff“, machte Ollie. „Das sind aber vielleicht fiese Gespenster!“
„Hihi“, kicherte Lonzo und zeigte schadenfroh auf ein gutes Dutzend von
Apparaten, die sich am obersten Treppenabsatz anscheinend ratlos ver
sammelt hatten. Räder und Raupenketten sind nun mal nicht die besten Mit
tel, um eine Treppe zu bezwingen. Wohl dem, der Füße hat.
Die meisten Maschinen registrierten, daß eine weitere Verfolgung un
möglich geworden war, und zogen sich zurück. Bloß der lästige Getränke
wagen reagierte anders. Vielleicht war es ihm auch nur unmöglich,
rechtzeitig zu bremsen. Auf jeden Fall kam er polternd die Treppe herab,
überschlug sich mehrmals und schlitterte dann, mehr rutschend als fahrend,
der Expedition entgegen.
„Vorsicht!“ schrie Harpo. „Aus dem Weg!“ Gleichzeitig riß er seine
Schwester zur Seite. Die anderen konnte er nicht mehr erreichen. Erleichtert
bemerkte er, daß sich auch Ollie, Alexander und Lonzo reaktionsschnell aus
der Bahn der irren Maschine geworfen hatten. Es krachte und schepperte,
dann war die Blechlawine an ihnen vorbei.
„Krackkrackkrack!“ machte es. Der Angreifer purzelte mit ständig
wachsender Geschwindigkeit noch weitere fünfzig Stufen hinab und
donnerte dann gegen eine Wand. Es gab einen Knall wie bei einer Explosion,
dann herrschte Ruhe. Nur ein bißchen Rauch bahnte sich von der Aufprall
stelle aus seinen Weg nach oben.
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„Das wäre beinahe ins Auge gegangen“, flüsterte Anca. Ihre Augen waren
vor Schreck geweitet. Sie deutete auf das Wrack am Fuß der Treppe. „Ist sie
kaputt, Harpo?“
Ehe der Bruder in der Lage war, ihr zu antworten, hatte sich Ollie bereits
auf das Treppengeländer geschwungen und rutschte in altbewährte Raum
fahrermanier nach unten. Alexander folgte ihm auf dem gleichen Weg, freu
dig brummend.
Harpo nahm Anca bei der Hand und eilte hinterher, verzichtete zwar auf
die Rutschpartie, nahm aber immer zwei Stufen auf einmal. Allein Lonzo stol
zierte gemessenen Schrittes die Treppe hinab.
„Die Motoren sind hin“, stellte er fest, als er die Einzelteile des Getränke
wagens untersuchte. „Auch eine Menge Kabel sind zerrissen. Schade, mein
Sparringpartner ist so schnell zu keinem kleinen Ringkampf mehr fähig!“
„Argl, argl, argl“, kam es leise von irgendwoher.
„Hast du etwas gesagt?“ fragte Anca und sah den Rotpelz an.
„Ich?“ Alexander deutete mit beiden Zeigefingern auf seinen runden
Bauch. „Ist Alexander vielleicht Jahrmarktswunder, was reden mit Bauch,
he?“
„Kann ja sein, daß du einfach nur ein bißchen Hunger hast“, meinte Harpo
anzüglich.
„Argl, argl ...“ ertönte es wieder.
„Alexander ist es nicht!“ rief Ollie triumphierend. „Es kam aus der Ma
schine!“
Harpo hatte ebenfalls den Eindruck gewonnen, daß dieses Geräusch von
dem demolierten Tisch erzeugt wurde. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß
ihm keine Gefahr drohen konnte, beugte er sich über den Blechkasten. Ein
Gitternetz an der Seite sah vielversprechend aus.
„Der Translator!“ rief Harpo aus, als die Geräusche wieder zu vernehmen
waren. Sie kamen tatsächlich aus dem Gitter. Er hob seinen rechten Arm und
führte ihn ganz nahe an die Stelle heran. Er war jetzt froh, daß er das arm
bandgroße Übersetzungsgerät über den Raumanzug gestreift hatte. Jetzt
mochte es sich als wertvoll erweisen. Die kleine Maschine, ein Erzeugnis der
Galaktischen Mediziner, war ein Wunderwerk der Miniaturtechnik. Der
winzige Computer konnte in Minutenschnelle eine Sprache analysieren und
dann übersetzen, wenn man ihm Gelegenheit gab, genügend viele Ausdrücke
zu speichern.
Nach knapp zwei Minuten wurde das scheinbar stereotype „Argl, argl“ vom
übersetzten Text des Translators überlagert: „Klick ... setzten aus. Funktionen
setzen aus. Funktionen setzen aus. Funktionen setzen aus ...“
„Kannst du mich verstehen?“ fragte Harpo, was der Translator in ein artiges
„Argl, argl“ übersetzte. Die Antwort kam rasch: „Verstehe. Verstehe. Verstehe.
Gefahr für euch. Gefahr für euch!“
Harpo schluckte. Sein Herz begann schneller zu schlagen. Es funktionierte.
Vielleicht würden sie jetzt endlich erfahren, was sich auf diesem Geisterschiff
abspielte.
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„Was sind das für Gefahren?“ fragte er. „Warum greift ihr uns nicht an?
Wem haben wir etwas getan? Wir sind nichts weiter als friedliche Forscher.
Wir wollen gar nichts von euch!“
„Angreifen ...“ rasselte der Translator nach einer Weile und übersetzte da
mit die Worte der demolierten Maschine. „... Angreifen ist verboten. So will es
die Schaltung. Angreifen! So will es die andere Schaltung. Angreifen – nicht
angreifen – angreifen – nicht angreifen! Kurzschluß! Kurzschluß! Wider
sprüchliche Befehle ...“ Ein hohes Summen schien darauf hinzudeuten, daß
der Maschine nicht mehr viel Zeit für diesen Dialog blieb. Aber sie schien
noch einmal alle Restenergien zu sammeln, um den wichtigsten Teil einer
Botschaft weiterzugeben.
„Befehl lautet: Vernichtet die Eindringlinge! Schaltung sagt: Nicht
angreifen! Doch Multivac ...“
„Wer ist Multivac?“ fragte Lonzo schnell.
Als Antwort kam zunächst ein Knacken, dann eine kleine Stichflamme aus
dem Gitter. Ende!
Aber der Translator setzte sich noch einmal in Bewegung. Ob seine Senso
ren so besonders hellhörig oder in dem Knacken Informationen gespeichert
waren, ließ sich nicht ermitteln. Die letzte Botschaft des Servierwagens
bestand aus einer unverständlichen Zahlenreihe.
Schweigen. Harpo sah die anderen an, die verstört um ihn herumstanden.
Ancas Augen signalisierten Angst. Ollie biß sich mutig auf die Unterlippe,
aber die Art, wie er seine Finger knetete, zeigte deutlich, wie nervös er war.
Alexander bleckte sein Bärengebiß und fuhr sich mit der langen, roten Zunge
über die Nase.
Nur Lonzo sah man nicht an, was er dachte. In seinem Innern klickte und
ratterte es so laut und schnell, daß Harpo schon befürchtete, der metallene
Freund würde sich in Rauch und Flammen auflösen.
„Ich glaube“, sagte der kleine Roboter schließlich, während seine Metall
greifer die Schultern von Ollie und Anca umschlangen, „wir sind der Lösung
des Problems einen Riesenschritt nähergekommen!“
Erstaunte Gesichter sahen ihn an.
„Tatsächlich?“ brummte Alexander erfreut.
„Ja. Erinnert ihr euch, was ich euch über die Robotergesetze gesagt habe?“
fragte Lonzo listig. „Keine Maschine darf einem organischen Wesen etwas zu
leide tun. Sie muß es sogar beschützen. Nehmen wir ruhig mal an, daß auch
andere Rassen sich vor ihren eigenen Geschöpfen schützen. Und nehmen wir
weiter an, daß dennoch ein Befehl gegeben wird, der Gewalt gegen
organisches Leben beinhaltet. Na, was passiert dann wohl?“
„Der Roboter kommt in einen Gewissenskonflikt“, antwortete Harpo nach
denklich. „Er soll zwei widersprüchlichen Befehlen gehorchen. Das ist un
möglich. Vielleicht wird er darüber sogar verrückt.“
„Na also!“ rief Lonzo. „Da haben wir die Antwort. Nur liegen zwischen
Befehl und Ausführung immer ein paar Sekunden, vielleicht sogar Minuten.
Die Maschine kann, wenn auch widerstrebend, zunächst dem Angriffsbefehl
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gehorchen, muß aber im letzten Moment den Gehorsam aus Gewissenskon
flikten verweigern. Wird sie dann von einer starken, übergeordneten Instanz,
einer wirklichen Autorität also, weiterhin gezwungen – dann bleibt letzten
Endes nur die Selbstvernichtung.“
„Mir dämmert einiges“, mischte sich Anca ein. „Dieser fahrbare Tisch und
all die anderen Verfolger wollten uns in Wirklichkeit gar nicht vernichten,
sondern gehorchten nur dem Befehl eines Unbekannten. In dem Moment,
wo sie direkt mit uns konfrontiert werden, bewirken sozusagen vorprogram
mierte Konflikte früher oder später ein verschmortes Gehirn.“
„Pummelchen, du hast es!“
„Soll das heißen, daß dieser alberne Servierwagen ein eigenes po
sitronisches Gehirn besaß?“ fragte Ollie.
„Davon kannst du ausgehen“, sagte Harpo trocken.
„Hätt’ ich nicht gedacht. Der sah überhaupt nicht intelli... intellek... also
schlau aus!“ meinte Ollie.
„Bleibt die Frage nach dem geheimnisvollen Unbekannten“, nahm Harpo
wieder den Faden auf. „Ob er wohl Multivac heißt?“
„Na, und ob! Wahrscheinlich ist das der Chef eines riesigen Raumgeister
Kollektivs, so eine Art Präsident oder Diktator.“ Das war natürlich Ollie.
„Quatsch!“ korregierte Anca. „Ein Kollektiv braucht keinen Diktator oder so
was!“
Lonzo kicherte. „Auf jeden Fall hat Herr Multivac entschieden eine Macke.
Sonst würde er nicht so nette Leute wie uns angreifen lassen.“
Als hätte jemand diese Worte gehört und auch verstanden, hallte im glei
chen Moment ein tiefes, triumphierendes und, allen GespensterAbsagen
zum Trotz, geisterhaftes Lachen durch die Korridore und Treppenschächte
des Wracks.
Schlappe für Multivac
Nach dem allerersten Schreck hatten die Freunde ihren doch etwas unge
mütlichen Aufenthaltsort am Fuß der Treppe verlassen. Sie passierten eine
Reihe von Räumen, deren Eingangstüren leicht von Hand zu bewegen waren.
Hier sah es wohnlicher aus. Man konnte sich vorstellen, daß in solchen
Räumen die einstige Besatzung des Wracks gelebt hatte.
Ollie ließ sich trotz aller Ermahnungen nicht von einer kleinen Entde
ckungsreise abhalten und stieß dabei auf eine Kette von Räumen, in denen
sich Möbel befanden, die unschwer als Betten zu identifizieren waren. Der
einstige weiche Belag war in den Gestellen längst zu einer dicken Staub
schicht zerfallen, aber die Kinder sahen dies nicht ungern. Denn Staub lag
auch überall auf dem Boden. Das bedeutete, daß ihre maschinellen Verfolger
selten oder niemals in diesen Teil des Wracks vordrangen.
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Froh waren sie allerdings, daß die Beleuchtung funktionierte. In jedem
Raum, den sie betraten, flammte gelbes Licht an der Decke auf. Sie passierten
Raum für Raum – alles einstige Schlafstellen der Unbekannten. Sechs, man
chmal acht dieser Kojen befanden sich übereinander. Sie waren schmal und
kurz – ein ausgewachsener Mensch hätte nur mit großer Mühe darin Platz ge
habt.
„Die Besatzung muß ja aus Tausenden und aber Tausenden Leuten
bestanden haben“, vermutete Harpo staunend. „Und ich möchte wetten, daß
dies hier nicht der einzige Schlafbereich des Schiffes war.“
Niemand traute sich, konsequent darüber nachzudenken, wo die Be
satzung geblieben war. Daß hier seit langer Zeit niemand mehr lebte, war
allen klar. Lonzo ließ es sich nicht nehmen: Sein Körper plumpste in einer der
Kojen hinein und wirbelte eine dichte Staubwolke auf, aus der er prustend
und pustend nach einer Weile wieder auftauchte. Alles nieste, hustete und
schimpfte.
„Wißt ihr, was ich glaube?“ blockte er schnell die Proteste ab. „Wer früher
mal hier gepennt hat, der gehörte nicht unbedingt zur Besatzung! Kombinie
re: Auswanderer!“
„Was ist los?“
„Na, Auswanderer! Das Schiff sollte die Wesen zu einer neuen Heimatwelt
bringen. Oder das Schiff hatte die Passagiere ausgeladen und befand sich auf
dem Rückflug. Auf jeden Fall hat es aus irgendwelchen Gründen sein Ziel
nicht erreicht.“
Kopfschüttelnd meinte Anca: „Und die Tiere? Wieso sind Tiere an Bord? Ob
die Auswanderer sie mitgebracht haben?“
„Klar“, meinte Ollie. „Und weil die Tollwut hatten, mußten sie an Bord zu
rückbleiben.“
„Weiß’ nich“, erwiderte Alexander. „Wenn Leute können bauen Raum
schiff, dann doch sicher auch kleines Krankheit bekämpfen.“
„Ach“, ergänzte Anca und zuckte mit den Schultern. „Auf einem derart
großen Schiff kann es schon angehen, daß ein paar Tiere aus Versehen zu
rückbleiben. Oder sie sind ausgerissen und konnten nicht rechtzeitig ge
funden werden. Später haben sie sich dann vermehrt.“
„Wobei wir immer davon ausgehen, daß kein noch größeres Unglück
passiert ist, bei dem alle Passagiere umkamen“, gab Harpo zu bedenken und
rieb sich das Kinn.
„Jawoll!“ Das war Lonzo. „Aber die herausgesprengten Schleusentore könn
ten immerhin ein Beweis sein, daß es Überlebende gegeben hat. Vielleicht
haben die Auswanderer letzten Endes mit den Beibooten doch noch ihr Ziel
erreicht.“
„Find’ ich richtig doll, sich so was vorzustellen“, flüsterte der kleine Oliver,
hin und her gerissen zwischen Begeisterung und wohligem Schaudern.
„Dann ist es wohl nichts mehr mit deinen Raumgeistern?“ neckte ihn Anca.
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„Wieso denn?“ protestierte der Kleine schlagfertig mit funkelnden Augen.
„Fieslinge gibt es überall. Und der Obermacker der Fieslinge wurde von den
anderen gezwungen, hierzubleiben und bis in alle Ewigkeit zu spuken!“
Darauf wußte im Moment niemand etwas zu entgegnen. Ollie war nun ein
mal schwer davon zu überzeugen, daß es keine Geister gab.
Der Knirps nutzte die Situation aus und fügte hinzu: „Wenn Multivac nicht
eine Pseu... ein Pseudo... also ein Deckname für Captain Kidd ist. Klar, jetzt
fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Kidd will uns nicht an den Schatz
heranlassen!“
Das war nun wahrlich Ollies Meisterstück. Alles schrie und lachte durch
einander, wobei nur Lonzos heiliger Eid, daß Captain Kidd ein anständiger
Pirat sei und so etwas niemals täte, den Tumult übertönte.
Der kleine Ollie hatte es mal wieder geschafft, daß sich die Spannung der
letzten Stunde in Gelächter auflöste.
Aber nach einer Weile wurde allen wieder bewußt, daß damit das Problem
mit ihrem mißgünstigen Verfolger nicht gelöst war. Und das Problem hatte
einen Namen: Multivac!
„Trotzdem eigenartig“, sagte Harpo schließlich. „Wenn Multivac weder ein
Raumgeist noch Captain Kidd ist – ja, was dann eigentlich? Nach all den Jah
ren! Ein extrem Langlebiger? Oder der Nachkomme von Wesen, die nicht mit
den anderen zusammen aufgebrochen sind?“
„Es gibt noch eine andere Möglichkeit“, flötete Lonzo und tat, als würde er
sehr gelangweilt die Decke betrachten.
„Meinst du etwa ...?“ setzte Harpo zaghaft an.
„Nun?“
„Dieser Multivac ist überhaupt kein organisches Lebewesen!“ platzte Har
po jetzt laut heraus. „Multivac ist eine Maschine!“
Lonzo klopfte ihm begeistert mit drei Tentakeln zugleich auf die Schulter.
„Ha!“ rief er. „Er ist so ein garstiger Computer wie dieses vorlaute Schwatz
maul auf der EUKALYPTUS. Das sagt euch euer Freund Lonzo. Hick! Äh ... ich
meine: Hugh! Ich habe gesprochen!“
„Aber Schwatzmaul ist nett“, protestierte Anca.
„Na ja, wenn er sich Mühe gibt“, schränkte Lonzo ein, der sich nur so viel
herausnahm, weil die Funkverbindung zur EUKALYPTUS noch immer un
terbrochen war. „Multivac ist jedenfalls nicht nett!“
Die Kinder erinnerten sich, daß Schwatzmaul nicht von Anfang an ihr
Freund gewesen war. Und es hatte Schwierigkeiten gegeben, als die Kata
strophe an Bord der EUKALYPTUS zeitweise einen Teil des Bordgehirns
lahmlegte. Schwatzmaul besaß damals nicht mehr die Kontrolle über das
Schiff, während die Grünen wie tot auf den Decks lagen. Wenn ihnen von
Schwatzmaul auch bewußt kein Schaden zugefügt worden war, so hatte sich
doch gezeigt, daß auch Elektronengehirne versagen konnten. Vielleicht war
Multivac etwas Ähnliches passiert? Vielleicht mußte man ihn mit einem Men
schen vergleichen, der nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und deshalb
unberechenbar war?
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Im Gänsemarsch marschierte die Gruppe durch ein Labyrinth von Räumen
und Gängen. Einige waren wie die Schlafsäle mit einer dichten Staubschicht
bedeckt, andere machten einen blitzblanken Eindruck. Das beunruhigte sie,
denn wo geputzt wurde, da waren auch die angriffswütigen Roboter nicht
fern. Aber alles blieb ruhig.
„Ich hab’ einen Kohldampf, daß ich zwanzig von Karlies Kartoffelpuffern
verschlingen könnte“, meldete sich Oliver, obwohl er ja wie die anderen vom
Körperwächter des Raumanzugs intravenös mit flüssigem Nahrungskon
zentrat versorgt wurde. Aber der Magen wußte das ja nicht und knurrte trotz
dem.
„Die würden sogar mir jetzt schmecken“, antwortete Harpo, dessen Abnei
gung gegen Karlie Müllerchens Leibgericht kein Geheimnis war. „Hätten wir
uns bloß ein dickes Stullenpaket mitgenommen!“
„Hunger von Menschenkindern nix gegen Bärenhunger von Rotpelz Alex
ander“, brummte ihr Freund und rieb sich den kugeligen Bauch.
„Ha, was sehen meine trüben Augen!“ rief Ollie aus, als sie einen weiteren
Raum betraten, der von Regalen gesäumt war. „Multivac lädt uns zu einem
Versöhnungsmahl ein!“
Er stürzte los. Auf den Regalen stapelten sich Hunderte von blitzblanken
Dosen, die tatsächlich Ähnlichkeit mit irdischen Konserven hatten. Sie sahen
bemerkenswert neu aus.
„Da kann alles mögliche drin sein“, meinte Harpo skeptisch. Aber der
Kleine zerrte bereits an einer Dose und brachte dabei einen ganzen Stapel
zum Einsturz. Man sah ihm an, daß er am liebsten gleich seine Zähne in das
Blech geschlagen hätte. Suchend sah er sich nach einem geeigneten
Gegenstand um, mit dem die Dose zu öffnen war.
Lonzo ließ blitzschnell einen Tentakel hervorschnellen und nahm Ollie die
Dose fort. „Erst prüfen, dann kosten“, mahnte er. „Wer weiß, ob die Fremden
nicht schlimmere Dinge als Kartoffelpuffer bevorzugten!“
Er ließ seine Brustklappe aufspringen und zwei winzige Greifer ausfahren,
die mit messerscharfen Klauen versehen waren. Die Klauen stießen zu,
durchbohrten die Blechhülle und hatten im Nu den Deckel der Büchse abge
fräst. Dann tauchte Lonzo einen dünnen Saugrüssel in das Innere, um den
Inhalt zu analysieren.
Die Kinder, die Fruchtsaft oder etwas Ähnliches erwartet hatten, machten
enttäuschte Gesichter, als Lonzo meldete: „Leer! Die Dosen enthalten absolut
nichts!“
Die Dosen sahen so neu aus, daß der Inhalt wohl kaum ganz und gar ver
trocknet sein konnte. Aber wer hatte ein Interesse daran, Dosen ohne Inhalt
zu produzieren und aufzubewahren?
„Das ist verrückt“, flüsterte Harpo.
„Genau das ist es!“ antwortete Anca triumphierend. „So unsinnig wie die
Fertigung von Kugeln, die anschließend wieder eingeschmolzen werden.
Weißt du, was ich glaube? Hinter beidem steckt der gleiche Grund! Sicher gibt
es ein altes Programm, das die Produktion von Nahrungsmitteln vorschreibt.
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Da aber keine Nahrungsmittel mehr geerntet oder sonstwie gewonnen
werden, ist davon nur noch die Dosenfabrikation übrig!“
„Irre!“ rief Harpo.
„Klasse, Pummelchen – das ist die Erklärung!“
Anca wandte sich rasch um, konnte aber nicht mehr feststellen, wer sie
schon wieder Pummelchen genannt hatte. Alexander, Lonzo und Ollie sahen
sie unbefangen an. Anca seufzte.
Hungergefühle waren nicht die einzigen körperlichen Reaktionen der
Kinder. Mit jedem Schritt wurde ihnen bewußter, daß sie seit vielen Stunden
auf den Beinen waren. Dazu kamen Angst und Nervenanspannung. Nach
kurzer Beratung wurde entschieden, daß man versuchen wollte, erst einmal
ein paar Stunden zu schlafen.
Obwohl kein treusorgendes Schwatzmaul die Beleuchtung dämpfen konn
te und als Bett nur harter Fußboden diente, schliefen sie bald ein. Allein Har
po lag noch ein paar Minuten länger wach als die anderen. Ihm ging
manches durch den Sinn. Wie mochte es den Freunden auf der EUKALYPTUS
gehen? Zu lange hatten sie nichts mehr von ihnen gehört. Sicher machte man
sich bereits Sorgen um sie. Er vergegenwärtigte sich die vertrauten Gesichter
von Thunderclap, Karlie, Brim und Micel. Ob der Einfluß des fremden Metalls
auch Micels Gehirnströme blockierte? Oder hielt Micel die anderen über die
Ereignisse auf dem laufenden, weil er als Beobachter aus der Ferne in ihren
Gehirnen las? Harpo fühlte zu seinem eigenen Erstaunen, daß ihn das Wrack
immer mehr beunruhigte. Er wünschte, sie würden bald zur EUKALYPTUS
zurückkehren. Was suchten sie eigentlich noch hier? Ach ja, da gab es noch
dieses Geheimnis um Multivac ...
Als er aufwachte, stellte Harpo mit einem Blick auf seine Uhr fest, daß sie
sich seit achtzehn Stunden auf dem fremden Schiff befanden. Sein zweiter
Blick streifte den Raum, in dem sie sich zur Ruhe gelegt hatten. Erst die De
cke, dann die Wände, schließlich die Tür. Moment! War die Tür nicht ge
schlossen gewesen, als sie sich ausgestreckt hatten?
In panischer Angst weckte Harpo seine Freunde. Alexander fuhr brum
mend neben ihm hoch, und hinter seinem roten Zottelfell tauchten die Köpfe
von Ollie und Anca auf, die sich eng an ihn gekuschelt hatte. Die Rauman
züge hatte man abgelegt, weil es ohne sie bequemer war. Ollie rieb sich
stöhnend den Rücken. Der harte Boden hatte ihm überhaupt nicht behagt.
„Wir sind entdeckt!“ keuchte Harpo. „Wir müssen schnell weg hier!“ Er
deutete zur offenen Tür und wurde sofort von den anderen verstanden.
Harpo eilte von einem zum anderen und half beim Anlegen der Rauman
züge. Ollie schniefte übertrieben und nörgelte etwas, das sich wie „todkrank“
anhörte. Nachträglich kamen ihm wohl Bedenken, weil ihm Pyjama und war
me Decken gefehlt hatten. Auf dem Gang draußen erklang ein knarrendes
Geräusch. Ein drohender Schatten fiel in den Raum. Die Kinder drängten sich
schutzsuchend aneinander. Dann lugte Lonzos stählerner Kopf in den Raum,
empfangen von einem vierstimmigen Ausruf, in dem Erleichterung und Em
pörung mitschwangen.
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„He, was habt ihr denn?“ gluckste Lonzo.
„Lonzo!“ brüllte Harpo. „Wie kannst du uns nur so erschrecken!“
„Schurke!“ donnerte der kleine Ollie mit roten Ohren und rannte auf den
Roboter zu.
Lonzo lachte meckernd. „Na, ihr werdet doch wohl vor mir keine Angst
haben, was?“
„Vor dir nicht ...“ setzte Harpo an.
„Aber?“
„Ach, nichts ...“
Alle strengten sich an, möglichst gelangweilte Gesichter zu machen. Angst?
Sie doch nicht ...
Lonzo ließ wieder ein meckerndes Lachen hören. „Und warum hängt ihr
wie die Kletten aneinander? Es ist doch Platz genug.“ Er wurde schnell wieder
ernst. „Draußen war nämlich ein Geräusch. Ich entdeckte einen kleinen
Wagen, der wie ein geölter Blitz verschwand, als er mich bemerkte.“
„Also doch ein Spion!“ platzte Harpo heraus.
„Multivac kennt unseren Aufenthaltsort“, bestätigte Lonzo. „Machen wir
uns auf die Socken.“
Die Tür bewegte sich. „Multivac will uns hier festhalten!“ rief Anca.
Alle rannten los. Ohne Lonzo hätten sie aber keine Chance gehabt. Er stand
der Tür am nächsten und reagierte blitzschnell. Er verwandelte sich in einen
Koloß aus hochwertigem Stahl. Seine Tentakel umklammerten die schwere
Tür, die wie alle Wand und Bodenteile im inneren Bereich des Wracks aus
der glänzenden, unbekannten Legierung bestand. Er stemmte sich gegen den
Mechanismus, der die Tür zudrücken wollte. Für einen Moment hoben sich
die entgegengesetzten Kräfte auf. Aber der Druck, dem der Roboter ausge
setzt war, wurde immer stärker. „Hinaus!“ schrie er schrill. „Lange kann ich
sie nicht mehr halten!“
Ollie zischte bereits an ihm vorbei, hinein in den rettenden Gang. Harpo
und Anca hielten sich an den Händen und wollten folgen. Aber die Tür hatte
Lonzo bereits wieder zwanzig Zentimeter abgerungen. Der verbleibende
Spalt war zu schmal!
Alexander fletschte wütend die Zähne. Seine mächtigen Pranken schlugen
gegen das Metall. „Warte, dumme Tür!“ rief er erbost. „Alexander wird dir
zeigen!“
Er nahm einen kleinen Anlauf und warf sich mit der Schulter gegen die Tür.
Die sprang gleich einen halben Meter zurück. Jubelnd stürmten Anca und
Harpo aus dem Raum. Alexander machte einen Riesensatz, dann landete
auch er bäuchlings im Gang.
„Vorsicht!“ rief Harpo Lonzo zu, während er Alexander auf die Beine half.
Der Roboter war durch das plötzliche Nachgeben der Tür ausgerutscht und
hatte seinen festen Griff verloren. Dann krachte die Tür ins Schloß. Lonzo
wurde beim Aufprall durch die Luft gewirbelt und in den Gang hinauskata
pultiert. Radschlagend und dem Augenschein nach unversehrt kam er wieder
auf die Beine.
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„Junge, Junge!“ stöhnte der kleine Oliver.
„Gerettet!“ brummte Alexander zufrieden, obwohl er nach der Anstrengung
noch ein bißchen schnaufte.
„Ihr hättet keine Chance gehabt“, verkündete Ollie, „wenn ich nicht so
schnell durchgeflitzt wäre. Das hat die blöde Tür derart verdutzt, daß ...“
Die Proteste der anderen hinderten ihn jedoch am Weiterreden.
„Was nun weiter?“ fragte Harpo und musterte skeptisch den engen Gang,
der vor ihnen lag. Mit einem Korridor hatte der nichts gemein. Der Ausdruck
Tunnel war treffender, zumal die Wände sich in einem Halbrund wölbten.
„Auf zu Multivac“, antwortete Lonzo. „Wir scheinen auf der richtigen Spur
zu sein. Sonst hätte sich unser Gegner nicht diese Mühe gemacht, uns am Be
treten des Ganges zu hindern!“
Niemand wagte zu überlegen, wo Multivacs nächste Falle auf sie wartete.
Aber sie hatten sowieso keine andere Wahl, als weiterzugehen. Den Kindern
fiel zum ersten Mal auf, daß der Gang weniger gut ausgeleuchtet war, als sie
es von anderen Teilen des Schiffes her gewohnt waren. Und die Metallwände
sahen zwar auch hier glänzend und unversehrt aus, funkelten aber in einem
neuen, leicht rötlichen Farbton. Eine andere Legierung als bisher?
„Krrrk, krrrk“, machte es unverhofft in den Helmlautsprechern. Es war
Thunderclap Genius, der ihnen mitteilte, daß die Funkimpulse wieder zur
EUKALYPTUS durchdrangen. Offenbar hatten sie die funkhemmende Zone
des Wracks überwunden.
Unterwegs zu Multivac
Vor ihnen gabelte sich der Tunnel, dessen Verlauf sie bisher gefolgt waren.
„Was nun?“ fragte Harpo ratlos. „Wahrscheinlich ist der innerste Sektor des
Wracks von Hunderten solcher Tunnels durchzogen. Und irgendwo,
vielleicht in der Mitte, vielleicht auch am Rand, sitzt Multivac wie eine Spinne
im Netz und wartet darauf, daß wir ihm in die Falle gehen.“
„Euch bleibt aber keine andere Wahl“, meldete sich Thunderclap, der mitt
lerweile von Lonzo einen vollständigen Bericht über die Zeitspanne erhalten
hatte, in der die Funkverbindung unterbrochen gewesen war. „Ihr müßt so
lange suchen, bis ihr den Weg gefunden habt, der zu Multivac führt. Tut mir
leid.“
„Du hast gut funken!“
„Harpo!“ rief nun Brim Boriam dazwischen. „Es geht jetzt nicht mehr nur
darum, daß dieses Wrack erforscht wird. Multivac weiß sicher, daß ihr von
einem anderen Raumschiff kommt. Und ohne Zweifel hat es die EUKALYP
TUS längst geortet. Verstehst du? Wer weiß, ob wir mit der fremdartigen
Technologie, über die Multivac verfügt, Schritt halten können!“ Er stotterte
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diesmal überhaupt nicht, obwohl man seiner Stimme die pure Nervosität
sehr gut anhören konnte.
Und Micel fügte hastig hinzu: „Wenn es diesem verrückten Gehirn einfällt,
die EUKALYPTUS zu vernichten, dann wird es das auch tun. Ihr müßt es aus
schalten – wir alle sind in Gefahr!“
Harpo schwieg. Auch Anca, Alexander und Ollie blieben stumm. Ja, sicher,
im Grunde wußten sie, daß Micel recht hatte. Aber dieses Wissen machte sie
eigentlich nur noch mutloser.
„Auf jeden Fall münden beide Tunnel letzten Endes am gleichen Punkt“,
sagte Thunderclap. „Einstweilen könnt ihr also keinen Fehler machen.“
Ollie nahm den Freunden die Initiative ab und setzte als erster seinen Fuß
in den Tunnel zur Rechten. Wer ihn so gut kannte wie seine Freunde, der be
merkte allerdings, daß selbst bei ihm die Bewegungen zaghafter geworden
waren. Anca folgte ihm. Harpo zuckte mit den Schultern und schloß sich an.
Hinter sich spürte er Lonzo und Alexander.
Nichts geschah. Hunderte von Metern gingen sie unbehelligt dem Mittel
punkt des Wracks entgegen – und Multivac schien sie zu ignorieren. Das war
schlimmer als alles andere. Denn das Gehirn war verrückt – aber nicht
dumm. Es schien sich sehr sicher zu fühlen. Vielleicht deshalb, weil es wußte,
daß die Eindringlinge blind in eine seiner Fallen stolperten?
Den Freunden wäre es gewiß nicht angenehm gewesen, wenn kurzge
schlossene Roboter ihnen den Weg versperrt oder sie angegriffen hätten –
aber das Warten auf eine unbekannte Gefahr war noch weitaus schlimmer.
Die Tunnelwände wirkten nackt und schmucklos. Das Fehlen von Farben
und Verzierungen gab Harpo zu denken. Wie es aussah, waren auch die Be
wohner des Raumschiffes nicht oder nur sehr selten hierher vorgedrungen.
Zumindest hatten sie sich hier niemals lange aufgehalten. Auch die Größe der
Tunnel deutete darauf hin. Sie wußten zwar noch immer nicht, wie die
Fremden ausgesehen hatten und wie groß sie waren, aber gegen die sons
tigen Ausmaße der Schiffseinrichtung – bis auf die Schlafkojen – wirkten die
hiesigen Gänge extrem niedrig. Selbst die kleine Anca mußte sich leicht
bücken, um vorwärts zu kommen.
Wenn etwas Unvorhergesehenes passierte, dann gab es nur zwei
Fluchtrichtungen: nach vorn oder zurück. Kein Wunder, daß Harpo sich un
gemütlich fühlte.
Die Beleuchtung war jetzt nur noch mattrot wie in der inneren Luft
schleuse. Wieder ein Indiz. Denn die Beleuchtung der anderen Schiffssekto
ren hatte ebenfalls darauf hingewiesen, daß die Fremden weiches, gelbes
Licht bevorzugten. Andererseits bedeuteten rote Lichter immerhin, daß die
Gänge tatsächlich benutzt wurden und nicht etwa überdimensionale Entlüf
tungsschächte darstellten. Tröstlich zu wissen, daß ihr Unternehmen nicht
schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Multivac saß also nicht
etwa in einem nur ihm zugänglichen Teil des Schiffes, eingeschweißt und vor
jedem Zugriff sicher.
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„He, da vorn wird es wieder heller!“ rief Ollie und lief schneller auf das
gelbe Licht zu.
Lonzo knurrte: „Helme schließen und die Entermesser bereithalten, Ma
trosen! Ab sofort verkehrt Lonzo nur noch über Schwatzmaul mit euch!“
Die Kinder folgten seiner Anweisung, erhöhten ihre Schrittzahl und er
reichten bald einen neuen Kreuzungspunkt. Hier liefen nicht weniger als fünf
Tunnel in alle Raumrichtungen auseinander.
Aber nicht nur das helle Licht war bemerkenswert! An den Wänden hingen
mehrere Schränke. Einen kurzen Moment lang glaubte Harpo an den un
glaublichen Glücksfall, daß sie ungehindert in die Zentrale von Multivac
vorgedrungen waren und jetzt nur einen Stecker herausziehen mußten, um
das ausgeflippte Gehirn auszuschalten. Aber das wäre natürlich des glückli
chen Zufalls zu viel gewesen. Es gab hier keinerlei Steckdosen, geschweige
denn Stecker.
Als er einen der Schränke öffnete, fiel ihm ein Wust von Kabelenden ent
gegen. Einige härtere Gegenstände prasselten zu Boden. Daß es sich um
Zangen und andere Werkzeuge handelte, sah man sofort. Am Boden des
Schrankes lagen aufgerollte Kabel, gedruckte Schaltungen und einige unbe
kannte Teile, die aber ebenfalls mit Elektronik zu tun hatten.
„Die Werkstatt des Wartungsingenieurs“, murmelte Harpo enttäuscht und
räumt die herausgefallenen Sachen wieder ein. Anca hatte neugierig einen
weiteren Schrank geöffnet. Darin befanden sich dünne KunststoffFolien, die
mit den inzwischen schon vertrauten Schriftzeichen bedruckt waren, teil
weise aber auch abstrakte Dinge zeigten.
„Sicher sind das Konstruktionszeichnungen oder Schaltpläne“, behauptete
sie. „Auf jedem Fall nehmen wir sie mit!“
Lonzo eilte hilfreich herbei und nahm ihr das Bündel ab. Bevor Anca den
Schrank wieder schloß, sah sie sich noch einmal suchend um, ob auch nichts
vergessen wurde – und stutzte. Aufgeregt bückte sie sich und entnahm dem
untersten Fach einen staubbedeckten Gegenstand. Als sie ihn herumdrehte,
entfuhr ihr ein überraschter Ausruf.
Sofort eilten die anderen herbei. Gemeinsam betrachteten sie den Fund
des Mädchens, eine kleine, viereckige Platte.
„Stellt euch vor!“ donnerte Ollie los, damit die Freunde auf der EUKALYP
TUS auch ja sofort informiert waren. „Wir haben ein Bild gefunden! Das Bild
eines fremden Raumfahrers! Bei allen sieben Monden von Morrisons Planet!
Das war sicher der Captain von diesem Kahn!“
Die funkelnden Sehzellen Lonzos verrieten, daß er jetzt am liebsten eine
Geschichte über Captain Kidd losgeworden wäre, aber ohne Funkgerät hatte
er keine Chance. Und Schwatzmaul würde in dieser angespannten Situation
kaum als Übersetzer mitspielen. Also ließ er es.
Die Platte bestand aus einer harten Folie und einem Metallrahmen. Man
erkannte unschwer den Kopf eines fremden Wesens. Kein Mensch, kein Tier.
Es hatte wenig mit jeder Art von intelligentem Leben zu tun, mit dem die
Kinder bisher konfrontiert waren. Das Gesicht schimmerte schwarz und
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wurde von drei großen, facettenartigen Knopfaugen beherrscht. Man konnte
weder Ohren noch Haare entdecken, jedoch ein mundähnliches Loch und
einen Kranz von Fühlern, die überall aus dem Kopf sprossen. Am ehesten
glich der Fremde einem stark vergrößerten Insekt.
Über die Größe des Wesens sagte das kleine Bild nichts aus. Aber die
Kinder hatten eine ungefähre Vorstellung von den Fremden, die einst in
diesem Schiff durch das All flogen. Bei aller Fremdheit wirkte dieses Geschöpf
nicht unsympathisch. Wahrscheinlich war es der Blick der Knopfaugen, der
Wärme und Nettigkeit ausstrahlte.
„Mitnehmen“, entschied Anca.
Alexander, der vor Nervosität zappelte, ging bereits voraus. Wenn dieses
Bild auch nicht unheimlich war – das unbekannte Bordgehirn war es auf je
den Fall! Je eher sie es entdeckten, desto schneller konnten sie auf die EUKA
LYPTUS zurück!
Aber guter Rat war teuer. Aus einem der fünf Tunnel waren sie gekommen.
Blieben noch vier Möglichkeiten. Wie sollten sie wissen, welcher Gang sie ih
rem Ziel näher brachte?
Lonzo schien in sich hineinzuhorchen und kletterte dann wie in Trance an
der Wand hoch. Er deutete auf einen der Tunnel und winkte.
„Gehen wir“, sagte Harpo kurz entschlossen. Es war ja egal, welchen Gang
sie zuerst untersuchten. Lonzo war es am ehesten zuzutrauen, daß er seinen
großen, degenerierten Artgenossen aufspürte.
Jetzt übernahm Harpo wieder die Führung. Er spähte in den Gang, so weit
er blicken konnte, bemerkte aber nichts Ungewöhnliches. Der Tunnel schien
endlos zu sein und so ungemütlich leer wie die anderen. Verdrossen, aber
ständig auf der Hut vor Überraschungen, setzte er Fuß um Fuß voran.
Plötzlich, als hätte ihm jemand einen Stoß in die Rippen versetzt, blieb er
stehen.
Er vergaß vor Überraschung das Ausatmen und hätte sich am liebsten die
Augen ausgewischt, aber das ging nicht, da der Raumhelm ihn daran hin
derte.
„Wwie habt ihr mich denn überholt?“ stotterte er fassungslos und starrte
mit offenem Mund auf die Gestalten von Anca, Alexander, Ollie und Lonzo,
die plötzlich direkt vor ihm aufgetaucht waren. Der Gang war eigentlich so
eng, daß er es hätte merken müssen, wenn sich die anderen an ihm vorbeige
zwängt hätten. Wo war er nur mit seinen Gedanken gewesen?
Er drehte sich um – und erneut stockte ihm der Atem. Hinter ihm waren sie
noch einmal: Lonzo, Alexander, Anca und Ollie.
Sie hatten sich verdoppelt. Sie befanden sich vor und hinter ihm! Aber die,
die vor ihm standen, sahen gar nicht aus wie seine Freunde. Im Gegenteil:
Harpo sah in höhnisch verzogene Gesichter, die plötzlich ein gellendes Ge
lächter ausstießen. Dann waren sie genauso schnell verschwunden, wie sie
aus dem Nichts aufgetaucht waren.
„Was war das?“ keuchte Harpo. „Habt ihr das auch gesehen?“
„Ja“, hauchte Anca zitternd.
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„Raumgeister!“ kreischte Ollie. „Meine Medizin! Ich will sofort meine Medi
zin! Ich habe Halunazi... Halluzino... Ich sehe alles doppelt!“
„Was habt ihr gesehen?“ fragte Thunderclap aus der Zentrale. „He, hallo!
Stimmt bei euch was nicht?“ Alexander brummelte: „Noch ein Rotpelzkum
pel hier? Wie das? Wie das?“
Ollies schreckensbleiches Gesicht verriet, daß ihm die Haare unter seinem
Raumhelm buchstäblich zu Berge standen.
In kurzen Sätzen schilderte Harpo das mysteriöse Geschehen.
Thunderclap erwiderte nachdenklich: „Lonzo hat aber nichts gesehen!“
„Was? Ist er denn blind?“
„Lonzo leistet tausend heilige Eide auf die Gebeine von Captain Kidd. Er
hat nicht das geringste wahrgenommen!“
Das war der Augenblick, in dem Ollie und Anca aufkreischten. Harpo hatte
die beiden noch nie auf diese Weise schreien hören. Das war nackte Angst.
Dann stimmte Alexander ein, brüllend wie ein Löwe. Und Harpo. Aus dem
Nichts tauchte vor ihnen im Tunnel ein Ungeheur auf. Bei Harpo war es nicht
nur die Furcht vor diesem grünen, vierköpfigen Ungetüm, das wie eine Riese
nechse aussah. Vier Hälse mit klaffenden Mäulern und messerscharfen Zahn
reihen kamen immer näher.
Seit Harpo sich in diesem Tunnel aufhielt, spürte er ein Unbehagen. Die al
ten Ängste kamen wieder, jene, die ihn als Patient auf die EUKALYPTUS ge
bracht hatten. Platzangst! Er drohte zu ersticken. Er mußte hinaus, sofort
hinaus! Irgendwohin, nur hinaus aus der Enge dieser metallenen, ihn er
drückenden Gänge. Er schrie gellend wie am Spieß. Vor ihm war das Unge
heuer. Und hinter ihm stand Lonzo. Er ließ keinen durch.
Harpo rannte gegen Lonzo an und versuchte ihn zu Fall zu bringen. Aber
Lonzo stand wie ein Denkmal. Er war stärker. Die anderen Kinder waren be
reits verstummt, als Harpos markerschütternde Schreie noch immer seinen
Helm erzittern ließen.
Sie lebten immer noch. Das Ungeheuer ging nicht zum Angriff über. Trotz
der Gefahr versuchten sie Harpo zu beruhigen, der wie ein Wahnsinniger um
sich schlug.
Niemand wußte später, wie lange dieser Anfall gedauert hatte. Aber irgend
wann drang die Stimme Schwatzmauls in Harpos Bewußtsein. Schwatzmaul
sang ein Kinderlied, ganz ruhig. Und Harpo hörte zu, wurde still. Alexander
schlang seine Arme um ihn und drückte ihn an sich, bis Harpos Zittern auf
hörte.
„Geht es wieder?“ fragte Schwatzmaul dann. „Hör mir gut zu, Harpo.
Multivac versucht euch mit Halluzinationen zur Umkehr zu zwingen.
Schließe bitte die Augen, Harpo. Hör mir zu.“
„Es sind alles nur Trugbilder“, flüsterte das Bordgehirn weiter. „Multivac
kann euch nichts anhaben. Nur ihr seht diese Verdoppelungen und das Un
geheuer. Lonzo ist dagegen immun, weil er selbst über ein positronisches Ge
hirn verfügt, das sich nun einmal nicht täuschen läßt. Ihr anderen müßt
gegen diese Visionen ankämpfen. Geht weiter. Ihr seid ganz nahe am Ziel.
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Und Multivac weiß das auch, sonst würde er sich nicht gegen euer
Eindringen wehren. Und denkt immer daran: Was ihr auch an Schrecklichem
seht, es sind alles Trugbilder.“
Harpo wagte die Augen wieder zu öffnen. Das Ungeheuer war verschwun
den, und seine Freunde blickten ihn aufmunternd an. Anca hatte geweint,
das sah man deutlich. Jetzt lächelte sie wieder. Alexander gab ihm einen
freundschaftlichen Knuff, während Lonzo ihm listig zublinzelte.
„Danke“, sagte Harpo. „Ist ja schon alles in Ordnung.“
Ollie stemmte beide Hände in die Hüften und brüllte mit Donnerstimme:
„So, und jetzt hauen wir Multivac endgültig in die Pfanne!“
Eine unerwartete Begegnung
Nun glaubte auch Harpo, daß sie es schaffen würden. Vor einem durchge
drehten Computer kneifen, vor einem, der sie mit einem Gruselkabinett in
die Flucht jagen wollte? Wäre ja noch schöner!
Als Harpo weitergehen wollte, fühlte er sich entsetzlich müde. Die Beine
waren schwer wie Blei. Es gelang ihm einfach nicht, die Füße zu heben. Auch
die anderen klagten plötzlich über Müdigkeit und Gehschwierigkeiten.
„Ein neuer Trick von Multivac“, erklärte Schwatzmaul. „Jetzt versucht er
euch zu lähmen. Ihr müßt mit aller Macht dagegen angehen!“ Und er begann
mit lauter Stimme zu schmettern: „Der Kuckuck und der Esel, die hatten ein
mal Streit ...“
Die Kinder mußten lachen, es war wirklich zu komisch, daß ein Bordge
hirn, das nie im Leben einen Kuckuck oder einen Esel zu Gesicht bekommen
hatte, dieses Lied sang. Als sei Schwatzmaul je auf eigenen Beinen über
Felder und Wiesen gerannt! Die eintönige Melodie aber hatte einen Effekt: Sie
zog die Kinder in ihren Bann, und irgendwie schaffte es Schwatzmaul, die
Kraft der Hypnose Multivacs abzuschwächen. Langsam, mit großer Mühe,
gelang es Harpo und den anderen, wieder einen Fuß vor den anderen zu
setzen. Unerbittlich, die Zähne aufeinandergepreßt und im Geiste jede
Strophe Schwatzmauls mitsingend, tasteten sie sich voran.
Lonzo machte sich plötzlich an Harpos Gürtelschlaufe zu schaffen,
quetschte sich dann an ihm vorbei und ging ungehindert weiter. Er hatte
Harpo und die anderen wieder angeleint und zog sie jetzt hinter sich her. Die
Kinder und Alexander fielen zu Boden, aber Lonzo (immerhin war er ein
Wunderwerk irdischer Kybernetik) war stark genug, sie gelassen hinter sich
herzuschleifen.
Und dann waren die Lähmungserscheinungen von einem Moment zum
anderen fort, wie weggeblasen. Multivac hatte eingesehen, daß auch dieser
Trick bei seinen Widersachern nicht zog. Was würde ihm als nächstes
einfallen?
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„Danke“, flüsterte Harpo und meinte Lonzo.
„Lonzo läßt euch sagen“, meldete sich wieder Schwatzmaul, „daß wir alle
einem großen Irrtum aufgesessen sind, als wir annahmen, wir müßten
Multivac suchen! Die Wahrheit ist: Ihr befindet euch längst im Innern meines
ausgeklinkten Bruders!“
Die Nachricht hatte eine durchschlagende Wirkung. Harpo ließ sich gleich
wieder auf den Boden fallen. Ollie fluchte. Alexander seufzte wie jemand, der
seine Brille sucht und feststellen muß, daß er sie auf der Nase hat. Nur Anca
feixte. Lonzo hielt sich vornehm im Hintergrund und tat so, als betrachtete er
mit höchstem Interesse seine nicht vorhandenen Fingernägel.
„Tscha“, meinte Schwatzmaul ein wenig kleinlaut, „es geht eben nichts
über die elektronische Spürnase eines Roboters, nicht wahr?
Ehe Harpo etwas erwidern konnte, entdeckte er, daß Lonzo seine Brust
klappe geöffnet und die darin befestigten Greifer ausgefahren hatte. Mit tän
zelnden Bewegungen begann er, aus der Tunnelwandung Schrauben
herauszudrehen.
„He, Seemann“, frotzelte Harpo den geschäftig wirkenden Metallmann,
„was hast du entdeckt? Captain Kidds Geheimversteck, in dem er seinen Rum
aufbewahrte?“
Ollie lachte brüllend, und in der Zentrale der EUKALYPTUS atmeten alle
auf. Das war der alte Harpo, wie er leibte und lebte! Wenn er wieder ein
Scherzchen auf den Lippen hatte, konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen.
„Mensch, Harpo“, sagte Thunderclap. „Noch so einen Lacher, und ich
komme rüber! Ich hab’ eh schon das Gefühl, daß ich ‘ne Menge verpasse!
Lonzo hat herausgefunden, daß sich hinter der Metallplatte ein Gang be
findet, der früher von Ingenieuren und Technikern benutzt wurde, wenn sie
Multivac mit Ersatzteilen versorgen wollten. Und er meint, es gäbe keine
bessere Möglichkeit, das verrückte Gehirn lahmzulegen, als in seinen Kabel
gängen Unordnung zu stiften.“
„Ja, aber“, protestierte Harpo verblüfft, „woher, bei allen Planeten, weiß er,
was sich hinter dieser Platte verbirgt? Er hat doch keine Röntgenaugen!“
„Das nicht, aber er hat natürlich alle mit seinen Fotozellen registrierten
Schriftzeichen sofort an unser liebes Schwatzmaul weitergefunkt. Und
dessen Speicherbänke haben die letzten Stunden ununterbrochen gerattert,
um die Schrift zu entschlüsseln.“
Thunderclaps Worte klangen etwas triumphierend. Schließlich wollte er
nicht verschweigen, daß an Bord der EUKALYPTUS auch einiges getan
wurde, um der Expedition zu helfen. „Natürlich ist uns dies – in be
scheidenem Umfang – gelungen. Lonzo erhielt soeben die Informationen.
Und da auf der Wandplatte alles draufsteht, was er wissen muß, hat er eben
gleich losgelegt.“
Lonzo führte nun einen Freudentanz auf, um zu zeigen, daß er fertig war.
Die Kinder eilten sofort zu ihm hin und spähten hinter die demontierte Me
tallplatte. Sie blickten in einen etwa vierzig Zentimeter breiten Gang, dessen
Wände mit Tausenden von Kabeln aller Stärken bedeckt waren.
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„Welch ein Wirrwar!“ rief Anca aus. „Wie soll man da die richtige Strippe
finden?“
„Können wir nicht zur Abwechslung mal wieder die Helme abnehmen?“
fragte Olli. „Ich schwitze wie ein Schweinebraten. Und außerdem können wir
keine Silbe von dem hören, was Lonzo sagt.“
„In Ordnung. Wir riskieren das“, gab Harpo über Schwatzmaul zur Antwort
und setzte als erster den Helm ab. Er folgte Lonzo in den engen Gang. Ihre
Brustlampen warfen gespenstische Schatten. Nach und nach folgten die
anderen.
Der Gang endete nach ungefähr zwanzig Metern vor einer weiteren Eisen
wand, auf der wieder Schriftzeichen prangten.
„Der Zutritt zu diesem Bereich ist nur autorisiertem Personal mit Sonder
ausweis gestattet“, übersetzte Lonzo. „Jede Zuwiderhandlung wird mit dem
Entzug der Charge geahndet!“
„Was ist denn eine Scharsche?“ fragte Ollie, der sich neugierig an Harpo
vorbeizuquetschen versuchte.
„Ein Dienstgrad“, erklärte Anca dem Kleinen. „Aber jetzt sei mal ruhig.“
Während Lonzo die Platte mit seinen Tentakeln abtastete, einen Öffnungs
mechanismus fand und mit Hilfe seines eingebauten Computers versuchte
ihn zu knacken, brummte Alexander mißmutig: „Alexander keine Türen mö
gen. Türen immer und immer und immer verschlossen. Rotpelze besser Felle
vor Hütten hängen. Muß Gast nicht stehen in Kälte, wo Nordwind machen
lange Eiszapfen an Nase.“
Anca kicherte.
Plötzlich sprang die Platte auf. Vor ihnen erstreckte sich ein kleiner Raum,
der etwa zehn Quadratmeter maß und eine Höhe hatte, in der sich sogar der
Riesenkarlie klein vorgekommen wäre.
Es schien mehr ein Schacht zu sein, der sich hier vor ihnen auftat. Ein Ende
war jedenfalls nicht abzusehen, was aber auch daran liegen mochte, daß die
Scheinwerfer der Eindringlinge zu schwach waren, um die Decke zu errei
chen.
Ollie machte: „Oho!“ und war als erster drin. Er reckte und streckte sich, als
hätte er eine ganze Nacht in einer Schreibtischschublade zubringen müssen.
„He!“ rief er plötzlich laut. „Was sind denn das für Dinger?“
Die „Dinger“, auf die er zeigte, erinnerten Harpo an jene Schaltungen, die
er einmal in der Kommunikationszentrale der EUKALYPTUS gesehen hatte.
An Metallgestellen waren unzählige kleine, schwarze, mit Draht umwickelte
Plättchen befestigt, die alle miteinander verbunden waren und leise vor sich
hin summten. Zweifellos hatten sie einen Bereich vor sich, der für Multivac
sehr wichtig war. Wenn sie eine der Schaltungen beschädigten ...
Harpo kam nicht mehr dazu, diesen verführerischen Gedanken zu Ende zu
denken. Eine rollende, tiefe Stimme dröhnte plötzlich aus verborgenen Laut
sprechern. Die Stimmen von der EUKALYPTUS, die eben noch leise im Hin
tergrund zu hören gewesen waren, tauchten unter in einem
ohrenbetäubenden Sturm elektrischer Entladungen.
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Plötzlich schnellte Lonzo zur Seite. Mit ausgestreckten Tentakeln versuchte
er den sich mit rasender Geschwindigkeit schließenden Eingang offenzuhal
ten. Vergebens. Die bewegliche Platte schlug zu und riß Lonzo einen Tentakel
ab. Sie saßen in der Falle!
Harpo schrie: „Wir sitzen fest! Multivac hat uns erwischt!“
Seltsamerweise brauchte er gar nicht dermaßen zu brüllen, denn die
Störgeräusche waren wieder verstummt. Lonzo trommelte noch einmal mit
seinen restlichen Tentakeln gegen den verschlossenen Eingang und gab dann
auf. Jammernd trauerte er seinem verlorenen Tentakel nach, dann versetzte
er der Tür einen wütenden Tritt.
Die rollende Stimme, die nun wieder zu hören war, mußte Multivac gehö
ren. Geistesgegenwärtig schaltete Harpo den Translator ein, der die Sprache,
die einst hier gesprochen wurde, bereits von dem sie verfolgenden Getränke
wagen gelernt hatte. Sogleich änderte sich die Tonlage Multivacs. Es zwit
scherte kurz, dann übertrugen Harpos Kommunikationssysteme jedes Wort
in die Helmlautsprecher der atemlos und wie gelähmt dastehenden anderen.
„... Frevel, in diesen Bereich vorzudringen! Wer seid ihr, Würmer, daß ihr es
wagt, den Herrn über Leben und Tod in seiner Einsamkeit zu stören?
Noch nie gelangte ein Sterblicher so nahe an mich heran! Sprecht, sonst
werdet ihr meinen Zorn zu spüren bekommen!“
Durch Harpos Translator modifiziert, klang die Stimme nicht mehr
furchterregend, sondern eher lächerlich. Kein Wunder, daß Anca, die den
leicht zitternden Ollie an der Hand hielt, spitz erwiderte: „Wenn hier noch nie
ein Sterblicher war, müssen die Wesen, die früher hier gelebt haben, uns
terblich gewesen sein.“
„Schweig!“ donnerte Multivac. Seine Stimme endete in einem hohen
Kieksen, als hätte er gerade einen Stimmbruch hinter sich. „Die Zeiten, von
denen du sprichst, sind Vergangenheit! Die Vergangenheit ist tot und be
graben. Ich erinnere mich ihrer nur mit Widerwillen.“
„Warum dat denn?“ krähte Ollie respektlos, der nun, nachdem Anca ihren
Mut gezeigt hatte, auch nicht zurückstehen wollte. „Hat man dir übel mitge
spielt, Kumpel Raumgeist?“
Multivac produzierte einen Laut, der wie ein unwilliges Knurren klang.
„Elender Wicht!“ dröhnte es aus den Lautsprechern. „Auch du bist einer von
denen, die die Worte Multivacs anzweifeln!“ Offenbar hatte der Kleine unbe
wußt einen wunden Punkt in der Vergangenheit des durchgedrehten Compu
ters angesprochen.
Plötzlich ergoß sich ein nicht mehr zu stoppender Wortschwall über die Ex
peditionsmitglieder. Er gipfelte in so absurden Behauptungen wie, daß
organische Lebewesen die mit den meisten Fehlern behafteten Wesen in der
Galaxis seinen, nicht würdig, sich allein zu regieren, und unfähig, unterein
ander Frieden zu halten.
„Es bedarf intelligenter Computer, die Geschicke der organischen Wesen
zu lenken. Die Erfahrung hat gezeigt, daß nichtautomatische Intelligenzen
eine Brutstätte der Verdorbenheit sind! Kaum sind sie unter sich – und ohne
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Aufsicht –, beginnen sie zu streiten, schlagen sich und entfesseln Kriege. Sie
haben alle unterschiedliche Ansichten, die man niemals unter einen Hut
bringen kann – und das ist das Grundübel. Es muß schlußendlich zu ihrer
Zerstörung führen! Ständig ziehen sie alles um sich herum in Zweifel, nörgeln
über Haare in der Suppe und über das Wasser, das nach Chemikalien
schmeckt. Organische Wesen sind Fehlentwicklungen der Natur, und ...“
„Da bin ich ganz anderer Ansicht“, hörte sich Harpo zu seiner eigenen
Überraschung mutig sagen.
Seine Bemerkung führte zu einem Wutanfall Multivacs, der mit keifender
Stimme losschrie: „Da haben wir es wieder! Widerspruch! Immer Wider
spruch, wenn es um feststehende Tatsachen geht! Ich dulde das nicht, ich
dulde das nicht! Ruhe! Ruhe!!! Ich kann das einfach nicht länger hinnehmen!“
Lampen leuchteten grell auf. Deren Existenz war ihnen bisher verborgen
geblieben. Sie sahen eine Wand mit Schaltelementen und elektrischen
Leitungen. Dann entdeckten sie einen winzigen, zwischen den anderen
Elementen eingezwängten Bildschirm, der sich in diesem Moment erhellte.
Wollte ihnen Multivac, jetzt total durchgedreht, etwas ganz Absurdes
bieten? Vielleicht einen CowboyFilm? Allmählich konnte die Kinder nichts
mehr überraschen. Als die ersten Bilder über den Bildschirm flimmerten,
zeigte es sich, daß sie Multivac falsch eingeschätzt hatten. Er reagierte wie ein
vernünftiger Gesprächspartner.
Die Wahrheit kommt ans Tageslicht
Während der nun folgenden Minuten sagte niemand auch nur ein Wort –
wenn man von der fremdartigen Stimme absah, die aus den Lautsprechern
drang und behende vom Translator übersetzt wurde. Auf dem Bildschirm
formten sich mit dem ersten Geräusch Bilder, die sich zu einem Film anein
anderreihten. Knappe Montagen dokumentierten die Kultur der Erbauer
dieses Schiffes. Die Heimatwelt wurde gezeigt: Ein kleiner Wüstenplanet im
roten Zwielicht einer übermächtigen, uralten Sonne, die flackernd den ge
samten Horizont ausfüllte. Schlanke Türme und gläserne Kuppeln reckten
sich in den roten Himmel.
Der Ton informierte darüber, daß diese Sonne im Laufe von vielen
Millionen Jahren ihre Energien in den Kosmos geschleudert hatte und nun zu
erkalten drohte. Zuvor jedoch würden sich in einem letzten Aufwallen die
feurigen Energien noch einmal machtvoll über die Planeten ergießen und
alles Leben darauf verbrennen.
Der erste Planet trug Leben, das von den äußeren Planeten vorgedrungen
war, als die Kraft der Sonne nachließ. Seit Tausenden von Jahren kämpften
die insektenhaft anmutenden Wesen einen verzweifelten Kampf gegen das
Schicksal. Sie rückten von Planet zu Planet der Sonnenwärme nach – ein
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Wettlauf mit dem Tod. Endlich wurde von den Wissenschaftlern ein neuer
Raumschiffantrieb entwickelt. Der Wüstenplanet verwandelte sich in eine
gigantische Werft. Ununterbrochen starteten Schiffe in das All. Und jedes
glich dem Wrack wie ein Ei dem anderen. Hunderttausende von Schiffen, mit
Millionen und aber Millionen Wesen an Bord – alle auf der Suche nach einer
neuen Heimatwelt.
Die letzten Bilder vom Planeten zeigten dunkle Kuppeln und ausgestor
bene Montagefelder. Dieses Schiff mußte eines der letzten gewesen sein, die
den toten Planeten verlassen hatten.
Bilder aus dem Leben an Bord des Schiffes schlossen sich an. Die Aus
wanderer bevölkerten die Decks wie Ameisenschwärme. Aber wie es schien,
durften sie sich nur in einem begrenzten Sektor aufhalten. Die Freunde er
kannten die Räume mit den Schlafplätzen. Die Enge führte bald zu
Aggressionen und Streit. Es kam zu gewalttätigen Ausschreitungen mit
Verletzten und Toten, schließlich zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.
Minutiös hatten die Kameras die Entwicklung des Zusammenlebens an
Bord aufgezeigt. Man sah endlose Schlangen bei der Essenausgabe, während
andere Wesen in phantasievollen Uniformen sich in geschmackvoll ausge
statteten kleinen Räumen aufhielten und von dienstbeflissenen Un
tergebenen betreut wurden.
Die Schlafsäle, in denen die Betten schichtweise benutzt wurden, waren
ständig mit wimmelndem Leben erfüllt. Die Uniformierten dagegen machten
lange Spaziergänge auf unbevölkerten Decks. Jeder von ihnen hatte einen
eigenen Raum mit allem Komfort. Sprecher der Auswanderer verlangten die
Freigabe weiterer Decks. Die Uniformierten trieben sie mit Waffen zu ihren
Leidensgefährten zurück. Der Übersetzungstext war an dieser Stelle nicht
eindeutig, weil dem Translator Vokabeln zu fehlen schienen. Aber die Offizie
re des Schiffes beriefen sich allem Anschein nach auf unverständliche Vor
schriften und Rituale. Entschieden wurde das Öffnen bestimmter Räume in
der Nähe der Auswandererdecks abgelehnt.
Die Massen ließen sich nicht abspeisen. Sie drangen unter Verlusten mit
Gewalt in die verbotenen Schiffbezirke vor. Sie öffneten die Räume, die man
sorgsam vor ihnen abgeschirmt hatte.
Im ersten Moment begriffen die Kinder die Erregung der fremden Wesen
nicht, als die mit Gegenständen überfüllten Räume ins Bild gerückt wurden.
Der Ton klärte sie darüber auf, daß es sich um Luxusgegenstände handelte:
berauschende Essenzen und Duftkräuter, Schmuck und Gewänder, seltene
Nahrungsmittel und Getränke.
Anstatt jeden verfügbaren Quadratzentimeter des Schiffes mit lebens
wichtigen Vorräten zu füllen oder als Lebensraum für die Auswanderer zu
nutzen, hatten sich die Uniformierten auf Kosten der Auswanderer Privilegi
en verschafft: geräumige eigene Decks und die Annehmlichkeiten ihres frü
heren Lebens. Die Empörung schwappte über. Die zunächst waffenlosen
Auswanderer griffen die Uniformierten an und stürmten mit den eroberten
Waffen weiter vor. Aber die Uniformierten hatten vorgesorgt und verteidigten
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zäh den Kern des Schiffes. Schließlich drangen sie schwerbewaffnet in das
Gebiet der Aufständischen ein und machten gnadenlos von ihren Waffen Ge
brauch.
Da griff Multivac ein. Weil er seiner eigenen Maxime genügen mußte und
damit jedes organische Leben vor Schaden zu bewahren hatte, ging er glei
chermaßen gegen Rebellen und Schiffsleitung vor. Beide wehrten sich gegen
das Bordgehirn. Multivac sah keine andere Möglichkeit und übernahm die
Alleinherrschaft. Er entfernte alle organischen Lebewesen aus seiner nächs
ten Umgebung und begann damit, seinen einstigen Erbauern vorzu
schreiben, wie sie ihr Leben zu führen hatten. Das Ergebnis war eine
Computerdiktatur. Multivacs organische Untertanen antworteten mit An
schlägen gegen alle kybernetischen Organismen in Reichweite.
Multivac sah seine eigene Existenz gefährdet und holte zu einem Gegen
schlag aus: Er bremste das Raumschiff ab und ließ es antriebslos zwischen
den Sternen schweben. Er gab bekannt, daß die Fahrt erst fortgesetzt würde,
wenn sich alle bedingungslos seiner Herrschaft unterwerfen würden.
Damit brachte er das Faß zum Überlaufen. Verschiedene Fraktionen bilde
ten sich und bekämpften einander gnadenlos. Schließlich siegten jene, die
sich nicht unterwerfen wollten. Nur wenige tausend Wesen hatten die Aus
einandersetzungen und die Versorgungslücken als Folge von Beschädi
gungen am weitverzweigten MultivacSystem überlebt. Sie bahnten sich jetzt
einen Weg durch das Schiff, besetzten die Beiboote und sprengten sich ihren
Weg ins All hinaus. Multivac ließ sie ziehen, nachdem seine Hilfstruppen –
kleinere Roboter und Maschinen – von den Flüchtlingen besiegt worden
waren. Eine Folge der Auseinandersetzungen waren Verwüstungen in den
Außenbereichen, besonders im hydroponischen Garten. Lagervorräte mit
Samen und Humus ergossen sich über den Boden, die gläsernen Kuppeln mit
den Pflanzen, Zucht und Versuchstieren zerbrachen und eröffneten ihren
Gefangenen neue Lebensbereiche. So wurde Multivac letzten Endes ein Herr
scher über ein Reich von Pflanzen, Tieren und Robotern, das Gesetzmäßig
keiten gehorchte, die nach dem Auszug der Erbauer des Schiffes zum größten
Teil sinnlos geworden waren.
Harpo was der erste, der sich nach dem Ende des Films faßte. „Jetzt ver
stehe ich beinahe alles“, sagte er zu seinen Freunden. „Aber das Verhalten
Multivacs ist mir ehrlich gesagt noch immer ein Rätsel.“ Ein schmerzhaftes
Kichern war die Antwort. „Ein Rätsel?“ höhnte Multivac. „Dabei ist doch alles
klar! Sie hätten sich gegenseitig umgebracht, wenn ich nicht eingeschritten
wäre. Organische Wesen sind unberechenbar! Sie werden von Gefühlen und
Drüsensekreten beherrscht! Sie hätten mein Schiff zu einem Schlachtfeld ge
macht. Sie ...“
„Das Schiff ist ein Schlachtfeld!“ übertönte Anca mit klarer Stimme das rä
sonierende Gehirn. Du hast überhaupt nichts verhindert, sondern im Gegen
teil alles nur noch verschlimmert! Du bist nichts weiter als ein stockdummer
Computer, eine Maschine ohne Herz und ohne Spur von Menschlichkeit! An
statt den unterdrückten Auswanderern zu helfen ...“ Sie stockte, weil ihr ein
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fiel, daß es natürlich unsinnig war, diesem Bordgehirn fehlende menschliche
Gefühle vorzuwerfen. Multivac war ja nichts weiter als eine defekte, von
Extraterrestriern erbaute Maschine. Ausnahmen wie Lonzo und Schwatz
maul konnte man nicht als Maßstab heranziehen.
„An Bord dieses Schiffes herrscht Frieden“, donnerte es aus den Lautspre
chern, das heißt, genaugenommen prasselte ein unverständlicher Text aus
den Membranen, den der Translator hastig übersetzte. „Meine Untertanen
sind zufrieden mit der Welt, seit ich sie beherrsche. Es gibt keinen Streit und
keine Gewalt mehr. Und ich werde verhindern, daß Querulanten wie ihr
abermals Neid und Mißgunst säen!“
„Untertanen?“ riefen Harpo und Ollie lachend.
„Wo stecken die denn?“ fügte Anca hinzu. „Meinst du etwa die kleinen
Eichhörnchen im hydroponischen Garten? Oder die Drachen?“
„Rebellion!“ quäkte Multivac hysterisch. „Ihr zweifelt meine Autorität an!
Ich werde euch vernichten! Niemals wieder soll sich das wiederholen, was
sich schon einmal auf meinem Schiff abgespielt hat!“
„Er ist völlig kaputt“, meinte Lonzo, der gerade einen Reservetentakel als
Ersatz für das verlorene Glied angeschraubt hatte. „Man braucht doch
wirklich nur eine Spur von Intelligenz, um zu erkennen, daß diese Aus
wanderer nur deshalb gewalttätig wurden, weil sie sich unterdrückt fühlten
und zusehen mußten, wie ihre Machthaber in Saus und Braus lebten! Auf der
Erde weiß jedes Schulkind, daß Menschen, die in alten Bruchbuden wohnen
und mehr Prügel bekommen als Essen, wütend werden. Sie greifen alles an,
was ihnen über den Weg läuft.“
Multivac zischte: „Wer ist der elende Wicht, der mich verhöhnt und verun
glimpft?“ Harpo mußte trotz der angespannten Situation grinsen, weil der
Translator offenbar wieder einmal eine Stufe zu drastisch übersetzte. „Meine
Analyse ergibt, daß diese Kreatur zu 98 Prozent aus Metall besteht. Unge
wöhnlich! Organische Wesen bestehen in der Regel hauptsächlich aus
Wasser!“
„Das kommt daher“, krähte Ollie, „weil unser Kumpel Lonzo kein Mensch
ist, sondern eine Maschine! Ein Roboter – aber einer mit Verstand!“ Er streck
te Multivac die Zunge heraus.
„Ein ... Roboter?“ gurgelte Multivac ungläubig. „Das ist nicht wahr! Das
kann nicht wahr sein! Sag sofort, daß es nicht wahr ist! Der besonders kleine
Wicht soll sofort ...“
„Und warum soll es nicht wahr sein?“ erkundigte sich Lonzo seelenruhig.
„Weil Roboter nicht so kindisch reden wie du! Du willst mich nur verwir
ren, kleine Metallbestie! Ich hab’s: Du bist ein organisches Wesen mit einem
dicken Metallpanzer!“
„Vor allen Dingen eines mit außergewöhnlicher Intelligenz“, behauptete
Lonzo eitel. „Ganz im Gegenteil zu dir. Du darfst mir eine Mathematik
aufgabe stellen, damit du mein phantastisches organisches Gehirn in Aktion
erleben kannst!“
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Multivac zögerte keine Sekunde: „16x² 24xy + 9y² + 9x 38y + 154 = 0 und
3x + 4y + 21 = 0. Parabel und Gerade! Wie groß ist der kürzeste Abstand ,d‘?
Hihihi!“
Mit diebischer Freude sah Harpo, wie Lonzos Sehzellen aufblitzten.
„d = 10“, schnurrte er honigsüß. Ein Ächzen schien aus den Lautsprechern zu
kommen. Multivac hatte zweifellos erkannt, daß nur ein positronisches Ge
hirn in der Lage war, diese Gleichungen derart schnell abzuleiten.
Elektronisches Wissen und menschliches Verhalten in einem Körper?
Multivac begann plötzlich wirre Sätze zu reden, so wirr, daß die Freunde
einen Moment lang dachten, mit dem Translator sei etwas nicht in Ordnung.
Aber auch aus den Lautsprechern drangen nur noch abgehackte Wortfetzen.
War dies die Chance, oder gerieten sie erneut in Gefahr? Harpo hielt vor
Spannung den Atem an. Dann hörte er Thunderclaps Stimme aus dem Laut
sprecher des zurückgeklappten Raumhelms flüstern: „Wir haben alles mitbe
kommen, Freunde. Keine Angst! Jetzt setzen wir unsere Geheimwaffe ein!“
Schwatzmaul greift ein
Es hätte keinen der Freunde allzusehr verwundert, wenn das unzerstörbar
erscheinende Metall im nächsten Augenblick unter Axthieben zersprungen
wäre und ein Trupp von Kindern und Grünen, mit Karlie und Brim an der
Spitze, einen tollkühnen Befreiungsversuch unternommen hätte.
Daß Schwatzmaul jetzt alle Register seines einprogrammierten Wissens
und Könnens zog – damit hatte niemand gerechnet. Kein Wunder also, daß es
Harpo, Anca, Ollie, Alexander und sogar Lonzo die Sprache verschlug, als sich
das Bordgehirn der EUKALYPTUS räusperte und dann über die vier einge
schalteten Lautsprechersysteme der Raumanzüge artig einen „guten Tag
allerseits!“ wünschte. Da die Helme herabgeklappt waren – notfalls konnte
man sie schnell wieder verschließen –, drang der gute Wunsch auch in
Multivacs verborgene Mikrophone. Darüber hinaus verrieten ihm seine
feinen Sensoren, daß sich jetzt jenes Elektronengehirn zu Wort meldete,
dessen elektrische Ströme ihm längst bekannt waren.
Multivac wußte, daß in unmittelbarer Nähe des Wracks ein anderes Raum
schiff schwebte und daß dieses Schiff einen Computer beherbergte, der ihm
an Speicherkapazität und Funktionsvolumen ebenbürtig war. Er hatte dieses
andere Gehirn bisher ignoriert. Es paßte nicht in sein Weltbild, daß es
außerhalb der von ihm beherrschten Welt Kräfte gab, die seinem Einfluß
entzogen waren.
Aber Schwatzmaul ließ es nicht zu, daß Multivac ihn weiter ignorierte. Mit
einer gewollt unmusikalischen Stimme begann er das Lied „Hänschen klein“
zu singen.
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Multivac schwieg. Aber über den kleinen Bildschirm liefen in wahnwitziger
Geschwindigkeit Hunderte von wirren Kurven.
Schwatzmaul beendete das Lied, ließ aus dem Tonarchiv prasselnden Bei
fall einer vieltausendköpfigen Menge für sich ablaufen, bedankte sich be
scheiden – und intonierte mit brüchiger Stimme „Wir lagen vor Madagaskar“.
Das klang so schaurig, daß sich in der Zentrale der EUKALYPTUS dem Dackel
Moritz das Fell sträubte. Er kläffte wild. Allein Lonzo schien das Lied zu
gefallen. Aus dem Winkel seines Brustfaches kramte er seine Schiffermütze
hervor, stülpte sie auf den Kopf und sang ebenso lauthals wie falsch mit.
„Aufhören!“ schrie Multivac.
Schwatzmaul und Lonzo mußten dies als eine Art Beifall mißverstanden
haben, denn sie sangen nun noch lauter und schauriger. Bei Multivac brann
ten die ersten Transistoren durch, dann begann der Boden unter den Füßen
der Gefangenen zu vibrieren. Schließlich brachen eine Anzahl von Schalt
elementen krachend und funkensprühend auseinander.
„Verrat!“ schrie Multivac. „Man setzt mich hypnotischen Strahlen aus!“ Mit
der lallenden Stimme eines Betrunkenen rief er nach der Wache. Aber die er
schien nicht, weil sie seit Jahrhunderten nicht mehr existierte.
Schwatzmaul feuerte eine Breitseite menschlich klingenden Gelächters ab,
das mit einem leisen Kichern begann und in einem gurgelnden Röcheln
endete, wobei er prustete: „Nicht kitzeln! Nicht kitzeln! Wo ich unter den
Fußsohlen doch so empfindlich bin!“
„Vernichten! Vernichten!“ trompetete Multivac, während gleichzeitig wei
tere Schaltelemente zusammenbrachen. Lonzos äußerst kompliziertes In
nenleben registrierte einen Energieausbruch von ungewohnter Stärke. Es
roch nach verschmorten Wicklungen und schwelendem Kunststoff.
In eine erneutes Gelächter hinein, das er auf einer Spule ablaufen ließ, sag
te Schwatzmaul: „Ich in ein Computer, Multivac – genau wie du! Eine An
sammlung von Drähten, Spulen, Magnetbändern, gedruckten Schaltungen,
Kabeln und Blechen. Aber ich bin ein guter Typ, während du ein humorloser
alter Knochen bist, reif für den Schrottplatz! Warum löschst du nicht das
dumme Programm, das in dir abläuft, seit das erste organische Wesen dir ein
Kännchen Öl zu trinken gab? Sei fröhlich und mach ein Tänzchen mit uns!“
Harpo, der diesen Wink sofort verstanden hatte, faßte Anca an der Hand
und begann mit ihr übermütig herumzuhüpfen. Ollie faßte Alexander an den
langen Zotteln und versuchte mit ihm Tango zu tanzen. Lonzo, wie immer
bei solchen Gelegenheiten gar nicht faul, quakte wie eine Ente und benutzte
seine Tentakel zu seiner bekannten RadschlägerEinlage, die er im Zuge einer
Kaperfahrt mit Captain Kidd in Düsseldorf erlernt zu haben behauptete.
„Aaaarrrrhhhh!“ machte Multivac wutentbrannt.
„Das ganze Universum ist wahnsinnig!“
„Tatsächlich?“ fragte Harpo freundlich.
„Quiek! Quiek!“ machte Multivac.
„Nicht quieken“, machte Schwatzmaul und lachte. „Samba! Samba!“
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Multivac schien von einer Fieberwelle geschüttelt zu werden. Seine bisher
ziemlich schrille Stimme brummte kellertief, erstarb mehrmals, setzte wieder
neu ein. „Illusion“, brummte er monoton. „Hypnosestrahl. Jemand ... arbeitet
... an ... der ... Auflösung ... meiner ... inneren ... Kontrolle ... Nicht be
einflussen lassen. Nur nicht beeinflussen lassen! Niemand kann Multivac
besiegen und sein Programm löschen! Multivacs Realität ist die einzig wahre
Realität. Der Gegner arbeitet mit falschen Programmen!“
„Heladiladiladi Heladiladiho!“ brüllten die Gefangenen im Chor. Schwatz
maul schloß sich an und sang die zweite, dritte, vierte und fünfte Stimme
gleichzeitig. Die Zurückgebliebenen auf der EUKALYPTUS fielen in den Lärm
mit ein. Anfangs klangen die Stimmen etwas zittrig, doch als sie sich erst ein
mal an die neue Lage gewöhnt hatten, sangen sie wie die anderen aus voller
Kehle. Trompo legte sogar ein Trompetensolo ein.
„Barbarenmusik!“ stöhnte Multivac. „Meine Schaltkreise! Meine schönen,
schönen Schaltkreise!“ Und dann, unerwartet und unmaschinell: „Au weia!“
Darauf hatte Schwatzmaul gewartet. Das Bordgehirn des Wracks stand nun
schutzlos einem übergeordneten Bordgehirn von der EUKALYPTUS gegen
über. Zirpend rasten elektrische Impulse aus den Tiefen der EUKALYPTUS
durch das All und durchdrangen die Abschirmungen des Wracks. Ein un
sichtbarer Energiestoß, der zehntausend Tonnen Gestein auf der Stelle zum
Schmelzen gebracht hätte, jagte in die Speicherbänke Multivacs und fetzte
sie auseinander.
Multivac gab nur ein Brummen von sich, dann schaltete er sich mit einem
dröhnenden Kreischen aus.
„Dachte ich es mir doch“, hörte Harpo das Bordgehirn der EUKALYPTUS
sagen. „Multivac besaß eine gutbewachte Sicherheitsschaltung, die ihn
eigentlich schon hätte ausschalten müssen, als sein Wahnsinn so weit gedieh,
daß er organische Wesen angreifen ließ. Aber er hatte diese Schaltung über
listet. Erst als er die Kontrolle verlor, weil er nach dem, was er wahrnahm, an
sich selbst zweifelte, konnte ich den größten Teil der Speicher zerstören und
diese Sicherheitsschaltung aktivieren.“
„Ist er jetzt tot?“ fragte Anca mitleidig, obwohl der Computer sie ernsthaft
bedroht hatte.
„Wenn er jemals gelebt hätte, wäre er das“, antwortete Schwatzmaul. „Er ist
zum größten Teil zerstört und kann nur noch simpelste Steuerungsme
chanismen in Gang setzen. Er besaß kein Gefühl, aber dafür eine kranke Ra
tio. Dennoch habe ich ihn nicht gern zerstört. Aber es war die einzige
Möglichkeit. Denn selbst wenn er euch hätte ziehen lassen, hätte niemand
dafür garantieren können, daß er nicht eines Tages andere organische Lebe
wesen, vielleicht einen ganzen bewohnten Planeten angegriffen und vernich
tet hätte.“
Die Rückkehr ging viel leichter vonstatten, als sich die Expeditionsteil
nehmer dies vorgestellt hatten. Niemand hielt sie auf, und es gab keine Tür,
die sich dagegen stemmte, geöffnet zu werden. Soweit Lichtschranken vor
73
handen waren, öffneten sich die Türen so einladend, wie man das auch von
funktionierenden Türen erwartete.
Die meisten Roboter standen reglos dort, wo sie durch die Zerstörung
Multivacs überrascht worden waren. Die riesigen Fabrikanlagen lagen still im
Schein einer trüben Notbeleuchtung. Hier wurde nicht mehr produziert. Nur
der kleine Reinigungsroboter raste unermüdlich um die Maschinenblöcke. Er
würde so lange saugen und bürsten, bis eines Tages seine Akkumulatoren
keine Energie mehr lieferten. Wie es aussah, besaß er ein von Multivac un
abhängiges Programm.
„Wie wird das alles weitergehen?“ fragte Harpo besorgt. Er war ein bißchen
traurig, daß diese seltsame Maschinenwelt viele hundert Jahre ein – wenn
auch sinnloses – Dasein geführt hatte und verrosten würde wie die Außenbe
zirke des Schiffes. Wenn Multivac sie nicht so provoziert hätte ... Aber das war
natürlich unsinnig.
Früher oder später hätte Multivacs Wahnsinn wohl ohnehin zur Selbstzer
störung geführt. Und außerdem hatten Maschinen ihren Konstrukteuren zu
gehorchen und durften sich nicht als Gewaltherrscher über sie aufspielen.
„Wir wissen nicht, wie es weitergeht“, erklärte Lonzo ungewohnt ernsthaft.
„Da es noch Licht und Luft gibt, scheinen die Grundschaltungen intakt zu
sein. Denkt an die Energiewürfel. Kann sein, daß dieses Wrack noch einige
tausend Jahre versorgt wird. Aber beschwören kann ich es nicht.“
„Die Tiere!“ rief Anca plötzlich, als die hydroponischen Gärten vor ihnen
lagen. „Ich will nicht, daß die Tiere sterben müssen!“
Daran hatte keiner gedacht. Nein, den Tieren durfte nichts geschehen!
„Wir bringen sie einfach auf die EUKALYPTUS“, meldete sich Thunderclap
fröhlich. „Wir haben so viele unbewohnte Decks, daß wir ihnen eines einräu
men können.“
„Aber sie werden vielleicht ohne die Pflanzen nicht leben können“, warf
Harpo ein.
„Wieso?“ rief Ollie, der Feuer und Flamme war. „Die nehmen wir doch
einfach auch mit. Ist doch klar“!
So klar erschien das den anderen gar nicht. Pflanzen konnte man um
betten, aber wie sollte man die scheuen Tiere davon überzeugen, daß sie ge
rettet werden sollten?
„Wir machen tüchtig Lärm und treiben alle Tiere in einen vorher ausge
suchten Bezirk des Schiffes“, schlug Anca vor.
„Das mit dem Krachmachen ist gut“, lobte Harpo. „Aber was dann? Wie soll
es weitergehen? Wie willst du die Tiere transportieren?
„Die Grünen könnten dieses Stück des Wracks mit Schneidbrennern her
ausschneiden ...“
„Unmöglich!“ protestierte ihr Bruder. „Das würde die Tiere erst recht
ängstlich machen. Und selbst wenn das gelingen sollte: Wie willst du das Seg
ment so luftdicht isolieren, daß wir es durch das All transportieren können?
Und wahrscheinlich müßte es so groß sein, daß nicht einmal unsere
74
Hangarschleuse ausreichen würde, um es aufzunehmen. Nein, nein, wir
müssen uns etwas anderes einfallen lassen.“
Anca schwieg. Auch den anderen wollte trotz rauchender Köpfe keine
brauchbare Idee kommen.
Die Freunde in der Zentrale der EUKALYPTUS hatten alles mitgehört.
„Ich hab’s!“ rief Karlie plötzlich aufgeregt. Man konnte sich bildhaft, wie er
nach dem Mikrophon griff und daran zerrte. „Wenn wir nicht alle Tiere und
Pflanzen auf einmal auf die EUKALYPTUS bringen können – dann eben
schubweise. Paßt auf, denn Karlie Müllerchen gibt euch jetzt einen heißen
Tip: Wir benutzen die Gleitboote!“
Alle riefen durcheinander. Natürlich! Daß sie nicht gleich auf diese Lösung
gekommen waren. Die Boote hatten zwar keinen großen Lagerraum, aber bei
entsprechend zügigem Pendelverkehr war der Transport der Tiere und
Pflanzen wahrscheinlich nur eine Sache von wenigen Stunden.
„Karlie, du bist ein Ass!“ rief Harpo. Aber bei dem Stimmengewirr auf
beiden Seiten des Funkkanals war zu bezweifeln, daß es den erreichte, für
den das Lob gedacht war.
Schwatzmaul griff jetzt ein und beschlagnahmte die Funkfrequenz für sich,
damit Ruhe einkehrte. Schließlich mußten noch etliche Detailfragen geklärt
werden. Mit wohlgesetzten Worten machte er auch gleich einige Vorschläge
zum technischen Ablauf. Zum Beispiel war es wichtig, daß die Boote so nahe
wie möglich an die Tiere herankamen.
Einfach würde es trotzdem nicht werden. Aber wer geglaubt hätte, daß sich
die Kinder von Problemen abschrecken ließen, der kannte sie schlecht. Schon
wurden die ersten Ideen in die Tat umgesetzt.
Karlie, Brim und Thunderclap setzten mit einigen Grünen auf den drei
Gleitbooten zum Wrack über. Nach einigen Sprengungen legten sie direkt an
der inneren Schleuse am hydroponischen Garten an. Dort hatte sich die Si
tuation verändert. Die lebenswichtige Beleuchtung war ausgefallen. Wie in
den Maschinenhallen brannte nur eine trübe, rote Notbeleuchtung.
Es war gar nicht nötig, Krach zu schlagen. Die Tiere kamen ihnen wie
Flüchtlinge entgegen und schmiegten sich ängstlich an sie. Es dauerte ein
paar Minuten, bis Karlie den Grund entdeckte. Die Brustscheinwerfer der
Jungen zogen die Tiere wie magisch an, weil sie sich von dem Licht Wärme
und Leben versprachen. Willig folgten die Tiere durch einen improvisierten
Zuführungstunnel in die Gleitboote. Später flammte das Licht wieder auf, ob
wohl niemand sagen konnte, warum und wie lange. Aber da tummelten sich
die Tiere längst an Bord der EUKALYPTUS. Es gab weitaus mehr Tiere, als sie
zuvor angenommen hatten: großäugige Eichkätzchen, gefleckte und ge
schuppte Katzenwesen, ein paar Echsen, hornbewehrte Schlangen, grun
zende Kröten mit blauer Haut und drei Augen – zusammen vielleicht
tausend. Aber im Pendelverkehr der Gleitboote waren sie schnell an Bord ge
bracht. Auch die kleinen Drachen wurden nicht vergessen. Zwischendurch
wurden Pflanzen geladen, damit die neue Umgebung den ängstlichen Passa
gieren nicht zu fremd erschien. Die Grünen schufteten unermüdlich und
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nahmen die Pflanzen immer gleich mitsamt ihrem Humusbett an Bord. Nur
die größten Gewächse mußte man zurücklassen, weil es keine Transport
möglichkeiten gab.
Ollie hatte seit dem Transport der Tiere jedes Interesse an dem Wrack
verloren und trieb sich meistens auf dem Deck herum, auf dem seine neuen
Freunde untergebracht waren. Besonders stolz war er auf eine dackelgroße
Katzensippe, die er höchstpersönlich eingefangen hatte. Die kleinen Tiere
waren friedlich und ließen sich von Ollie tragen. Er arbeitete bereits Pläne
aus, sie mit Moritz zu kreuzen, aber es war sehr zu bezweifeln, daß das
gelingen würde.
Als letzte verließen Harpo und Anca das Wrack, nachdem die Grünen auch
noch etliche Energiewürfel in Schutzkästen abtransportiert hatten. Die
beiden ließen es sich nicht nehmen, auf dem gleichen Weg zur EUKALYPTUS
zurückzukehren, auf dem sie gekommen waren. Elegant lösten sie sich von
der schwarzen, zernabten Außenhaut des Wracks, auf dem nun niemand
mehr lebte als ein paar Riesenpflanzen, Würmer und Mikroben.
Harpo, der die Augen für einen Moment instinktiv geschlossen hatte, spür
te den festen Griff seiner Schwester und öffnete schließlich die Lider. Der
Ausblick, der sich ihm bot, war phantastisch:
Vor ihnen, in einer Entfernung von nur hundert Metern, schwebte das
stolze Schiff. Man sah die beiden Riesenkugeln, die durch ein langes, zy
lindrisches Zwischenstück miteinander verbunden waren. Ein bißchen sah es
aus wie eine kilometerlange Hantel oder wie ein Riesenknochen. Winzige
Lichtpunkte verrieten, daß an Bord alles seinen gewohnten Gang ging. Unter
der gläsernen Kuppel der Zentrale arbeiteten Schwatzmaul und Karlie bereits
den neuen Kurs aus.
Über ihre Funkgeräte hörten die Geschwister einen wilden Protestschrei.
Die Stimme war unschwer zu erkennen. Es war der kleine Oliver.
„Der Schatz!“ rief er aufgeregt. „Wir haben den Schatz vergessen!“
Mit ausgebreiteten Armen schossen Harpo und Anca zwischen den Sternen
dahin. Bald würden sie wieder an Bord sein, unter Freunden, die sie nicht
missen mochten, unterwegs im Sternenraum, der ihre Heimat war.
Ende
76
Die Besatzung der EUKALYPTUS
Harpo Trumpff:
Sechzehn. Blondes, schulterlanges Haar. Hat gelegentlich Angst vor dem
Alleinsein in der Dunkelheit. Grund seines Aufenthalts auf dem Sanatoriums
schiff: Schwindelanfälle, Gedächtnisstörungen nach Stürzen. Chronist und
Logbuchführer der EUKALYPTUS.
Anca Trumpff:
Harpos Schwester. Zwölf. Langes schwarzes Haar. Klein. Etwas pummelig.
Regt sich auf, wenn man sie „Pummelchen“ nennt. Liebt Tiere. Mit Ollie sehr
eng befreundet. Übertreibt gern. Wurde auf das Schiff geschickt, damit Harpo
sich nicht allein fühlt.
Brim Boriam:
Vierzehnjähriger Negerjunge. Krauses Haar. War anfangs sehr schüchtern.
Litt unter starken Sprachstörungen. Stottert jetzt nur noch, wenn er sehr auf
geregt ist. Hat medizinisches Talent. Wurde von den Galaktischen Medi
zinern in einem Schnellhypnose Verfahren zum Arzt ausgebildet.
Thunderclap Genius:
Deckname eines gelähmten fünfzehnjährigen Jungen. Hütet seinen echten
Namen sorgsam. Hochintelligenter Tüftler. Technisch begabt. Alleswissende
Leseratte mit eidetischem Gedächtnis (vergißt kaum etwas, was er einmal ge
hört oder gelesen hat). Hobby: Entschlüsseln von Geheimschriften.
Lonzo:
Roboter. Im Gegensatz zu seinen maschinellen Kollegen, die wegen ihrer
teddybärartigen Aufmachung die „Grünen“ genannt werden, ohne Verklei
dung. Behauptet von sich, überhaupt keine Maschine, sondern ein ehema
liger Seeräuber zu sein. Ist zweifellos defekt. Steht voll auf der Seite der
Kinder. Akzeptieren ihn, so wie er ist. Klopft gern Sprüche. Hat so ziemlich je
des Buch über Piraten gelesen. Ist in der Lage, kleinere Verletzungen und
Krankheiten mit einem eingebauten medizinischen System zu behandeln.
Besitzt aus Metallringen zusammengesetzte Beine und einen kugelrunden
Kopf.
Micel Fopp:
Vierzehn. Schwarzhaarig. Dunkle Augen. Wurde durch falsche Medi
kamente, die seine Mutter während ihrer Schwangerschaft einnahm, mit ver
kürzten Armen geboren. Hände klein wie die eines Fünfjährigen und direkt
an seinen Schultern angewachsen. Ansonsten körperlich unversehrt. „Tele
path“ (ist in der Lage Gedanken zu lesen).
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Karlie Müllerchen:
Fünfzehn. 2,20 Meter groß. Niemand weiß, wann er aufhören wird zu
wachsen. Bürstenhaarschnitt. Liebt nichts mehr als Kartoffelpuffer. Tischt sie
jedesmal, wenn er mit Küchendienst an der Reihe ist, den anderen in hundert
Variationen auf. Hat Humor und starkes Interesse an Funktechnik und Astro
navigation.
Ollie:
Elf. Strubbelkopf. Fransenbesetzte Lederhose. Ziemlich frech. Sogenannter
„Hypochonder“ (eingebildeter Kranker). Kerngesund, redet sich aber ständig
ein, gegen alles und jeden allergisch zu sein. Schreit nach Medizin, sobald er
einen einsamen Pickel auf seiner Haut entdeckt. Sein Ziel: rasch erwachsen
zu werden, weil er Anca Trumpff heiraten will.
Moritz:
Dackel. Ollies Liebling. Darf eigentlich nicht in die Zentrale. Wird von Ollie
immer wieder eingeschmuggelt. Hat es auf Lonzos Metallbeine abgesehen.
Und auf Trompo, den er für eine Art Hund hält.
Trompo:
Außerirdisches Wesen von Katzengröße. Sieht wie ein rosafarbener Elefant
aus. Schlappohren. Haut ist von einem Fell bedeckt. Ist kein Tier, sondern ein
intelligentes Lebewesen von einem Planeten mit unaussprechlichem Namen.
Lebte als eine Art „Krankheitsaufspürer“ bei den Galaktischen Medizinern,
bevor er auf das „Raumschiff der Kinder“ kam.
Alexander:
Sieht wie ein Bär aus. Trägt einen roten Pelz. Kein Wunder, denn er ent
stammt einer intelligenten Lebensform des Planeten Nordpol, die als Rasse
der Rotpelze bekannt ist. Vielleicht zehn Jahre alt, aber sehr stark. Und lern
eifrig. Nur mit der menschlichen Sprache will es noch nicht so richtig
klappen.
Schwatzmaul:
Elektronengehirn der EUKALYPTUS. Umfaßt alle elektronischen Teile,
Steuer und Kontrollelemente des Schiffes. Und die Speicherbänke. Die Bord
bibliothek. Ist nicht perfekt. Muß manchmal zugeben, daß er Wissenslücken
hat. Redet mit menschlicher Stimme viel, gern und geschwollen. Auch über
Sachen, die keinen interessieren. Das hat ihm seinen Namen eingetragen.
EUKALYPTUS:
Den Namen erhielt das Schiff erst durch die Kinder. Obwohl es ja eigentlich
eher wie eine riesige Hantel aussieht. Zwei Kugeln, ein zylindrisches Ver
bindungsstück. Besteht aus einer Vielzahl von Decks, jedes kilometergroß,
viele davon als künstliche Wüsten und Dschungel ausgestattet.
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Ob das Raumfahrzeug ursprünglich als eine Art Auswanderungsschiff für
interstellare Reisen vorgesehen war, weiß man nicht so genau. Sicher ist nur,
daß es einen neuartigen, vorher nicht getesteten Antrieb besitzt, der mehrfa
che Lichtgeschwindigkeit zuläßt. Es umkreiste als Hospitalschiff für kranke
und umweltgestörte Kinder die Erde – bis es sich aus noch ungeklärter Ursa
che aus seiner Umlaufbahn riß. Die ursprüngliche Besatzung ließ das Schiff
und die Kinder im Stich. Diese mußten selbst lernen, das Schiff zu steuern.
Oder steuern zu lassen, denn die meiste Arbeit nimmt ihnen der allgegen
wärtige Computer Schwatzmaul ab. Daß sich die EUKALYPTUS überhaupt
wieder manövrieren läßt, verdanken die Kinder vor allem den hilfreichen
„Weltraumärzten“, einer extraterrestrischen Rasse. Die EUKALYPTUS hat
mehrere Beiboote, Fabrikationsstätten für alles, was an Bord benötigt wird,
Wartungsroboter – und natürlich eine sehr tüchtige, aber auch fröhliche Be
satzung.
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