background image

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

background image

Alexander Calhoun 

Gefährlich wie ein Vipernbiß 

Apache Cochise 

Band Nr. 1 

Version 1.0 

background image

Prolog 

Als die weißen Amerikaner Mitte des 19. Jahrhunderts den 
Südwesten der USA zu besiedeln begannen, stießen sie auf ein 
indianisches Volk, das bereits die Spanier und Mexikaner hatte 
teuer dafür bezahlen lassen, daß sie unbefugt in ihre 
Jagdgründe eingedrungen waren.
 

Die etwa ein Dutzend umfassenden Apachen-Gruppen und 

Großsippen, am gefürchtetsten die Chiricahua-Apachen, 
widersetzten sich der Niederwerfung durch die Weißen mit 
allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln.
 

Sie überfielen zunächst Postkutschen, Frachtwagenzüge, 

Armeepatrouillen, Farmen, abseits gelegene Ranches und 
kehrten anschließend wieder zu ihren Stützpunkten in den 
Bergen zurück, den sogenannten »Apacherias«, die bei den 
Weißen der damaligen Zeit als uneinnehmbar galten.
 

Der Widerstand flammte zum blutigsten und grausamsten 

Grenzkrieg der Indianergeschichte auf, als Cochise von 
Mangas Colorados die Führung der Stämme übernahm.
 

Cochises Weitblick ließ ihn letztlich erkennen, daß der 

Untergang der roten Rasse eine von den Weißen beschlossene 
Sache war, die Anspruch erhoben auf alles Land zwischen den 
Dragoon Mountains im Südosten, dem Mogollon-Rim im 
Westen und der Gran Desierto im Süden.
 

Cochises Chiricahuas, die Kerntruppe seiner Streitmacht, 

blieb im Angesicht der unaufhaltsamen Flut weißer Siedler, 
Goldgräber und Desperados nur noch eine Devise: Raube, 
ohne erwischt zu werden, töte, ohne getötet zu werden. Ein 
Kampf ohne Erbarmen entflammte in den Canyons, Tälern und 
Wüsten. Ein Kampf, dessen Schilderung in dieser Serie nicht 
die ganze Brutalität wiedergeben kann, wie sie uns die 
Geschichte überliefert hat.
 

background image

1871 gelang es Cochise, die meisten Stämme der Apachen zu 

einer einzigen Widerstandsfront gegen die Eindringlinge aus 
Nord und Süd, Weiße und Mexikaner, zu vereinen. Die 
blutigsten Massaker auf beiden Seiten waren die Folge.
 

Auf ihren flinken Ponys überfielen die Krieger in kleinen 

Gruppen Wagenzüge und Posthaltereien im Norden, um am 
nächsten Tag schon Farmer und Goldgräber im Süden oder 
eine Patrouille der Army im Westen anzugreifen.
 

Militär und Siedler waren macht- und hilflos und ohne eine 

Möglichkeit gezielten Widerstandes den ständigen 
Apachenangriffen ausgesetzt.
 

Wenn 1870 General Sherman nach Washington schrieb: 

»Wir führten einen Krieg gegen Mexiko, um Arizona zu 
bekommen, wir sollten jetzt einen Krieg führen, um dieses Land 
wieder loszuwerden«, so kennzeichnen diese Worte die 
verzweifelte Hilflosigkeit des Militärs.
 

Diese nach authentischen Überlieferungen verfaßte Serie soll 

dem größten aller indianischen Führer ein Denkmal setzen: 
Cochise.
 

Dem Wirken dieses Mannes und seinem Weitblick für 

politische Veränderungen ist es zu verdanken, daß diese Story 
mit ihrer ganzen Dramatik wahrheitsnah niedergeschrieben 
werden kann.
 

Unsere Autoren fühlen sich verpflichtet, neben der 

Herausstellung der abenteuerlichen Charaktere, die in jener 
Zeit Geschichte machten, auch der historischen Wahrheit die 
Ehre zu geben.
 

Nichts soll verschwiegen, nichts hinzugefügt oder entstellt 

werden. 

Ihr Martin Kelter Verlag 

background image

*** 

Der Wind frischte auf, als der Reiter von der Mesa 
herunterkam zu der Schlucht, die sich am Fuße der Anhöhe 
hinzog. Er spähte mit entzündeten Augen zur anderen Seite des 
Canyons hinüber, sah aber nichts, was Gefahr für ihn bedeutet 
hätte. 

Der Reiter sah gut aus. Hochgewachsen und breitschultrig 

saß er gerade im Sattel und stemmte die Stiefel mit den kleinen 
Radsporen fest gegen die Steigbügel. Mit der Linken hielt er 
sich am Sattelhorn fest, die Rechte führte die Zügel. 

John Haggerty wußte, daß er nicht allein in der abgelegenen 

Bergwildnis war. Abgesehen von den beiden anderen Scouts, 
die weiter westlich ritten, folgten ihm Chiricahuas, unsichtbar 
und lautlos wie Panther auf der Jagd. 

John hielt seinen Wallach mit einem Zungenschnalzen an 

und blickte nach Westen in die Sonne hinein. Wie ein 
purpurner Gong hing sie über dem Mogollon Rim und drückte 
den Tagesdunst tiefer in die Täler. 

Von Bill Harwig und Lefty Roman, dem Halbindianer, war 

nichts zu sehen. Waren sie von den Apachen weiter nach 
Westen abgedrängt worden? Oder hatten sie sich einfach nur 
verirrt, darauf hoffend, irgendwann auf eine Schlucht zu 
stoßen, die aus dem Gebirge führte? 

John lauschte. Es war still hier oben am Mesarand, einfach 

zu still, um natürlich zu wirken. Nichts bewegte sich. Es war 
direkt unheimlich. Er wußte, was dies zu bedeuten hatte. Er 
wußte es nur zu genau. Sie hatten ihn eingeholt und 
beobachteten jede seiner Bewegungen aus sicheren Verstecken. 

Fünf waren es vermutlich, oder auch mehr. So sicher konnte 

man bei Chiricahuas nie sein. Vielleicht noch einmal fünf bei 
Harwig und weitere bei Roman. Im günstigsten Falle also 15. 

background image

Die fünffache Übermacht. 
John registrierte Bewegung da draußen, aber sie war kaum zu 

erkennen. Nach einer Weile konnte er das verstaubte Blau von 
Uniformen ausmachen. 

Er lächelte. Sie hatten die Patrouille gefunden, die seit zwei 

Wochen überfällig war. 

Haggerty ritt bis an den Canyon und starrte hinab. Trübe 

spiegelte das Wasser einer Tinaja, in deren Nähe zwei 
Antilopen grasten. Wenigstens dort unten waren keine 
Apachen. Links von dem Wasserbecken sah er die seltsame 
Steinformation, die von oben aussah, als hätten Giganten vor 
Jahrtausenden im lässigen Spiel tonnenschwere Quader 
aufgetürmt. Die Schlucht war etwa 100 Yards breit. Kein Licht 
fiel von Westen dort hinein. Breite Schatten glitten an den 
Felshängen entlang, stauten sich am Ende, um dann den Weg 
wieder zurückzufließen. 

Ein Geräusch ließ Haggerty aufblicken. 
Drüben hielt ein einzelner Indianer auf einem Pinto. Nur die 

Schluchtbreite trennte die beiden Erzfeinde. Gekleidet war er 
wie alle Apachen in diesem Land: graues Calicohemd, wollene 
Hosen, kniehohe Wüstenmokassins. Um die Stirn trug er das 
farbige Schweißtuch wie einen dünngewickelten Turban. 

Die beiden Männer blickten sich über die Distanz hinweg 

finster an. Der Indianer, hochgewachsen, schlank, mit einem 
mächtigen Brustkorb und einer großen Adlernase, saß 
unbewegt auf seinem Pferd und starrte herüber. 

John Haggerty unterließ jede verdächtige Bewegung. 100 

Yards waren für eine Sharps oder eine Winchester keine 
Entfernung, und an einem Mann seiner Größe und Breite 
konnte selbst der einfältigste Indianer kaum vorbeischießen. 

Hinter sich vernahm John ebenfalls Geräusche, auch zu 

seiner Rechten. Sie waren da und lauerten auf eine günstige 
Gelegenheit. Er trieb seinen Wallach vorwärts, aber das große, 
starke Tier kam ihm seltsam matt vor. 

background image

John wischte sich den Schweiß von der Stirn und verteilte 

den Staub gleichmäßig über die gesamte Gesichtspartie. Dabei 
beobachtete er die schnellen, kaum wahrnehmbaren 
Bewegungen drüben bei den Klippen. 

Wilde Tiere? Wölfe? 
Nein. Die zeigten sich nicht am hellen Tag und schon gar 

nicht so dicht bei den Menschen. 

Nun sah er die Patrouille wieder. Sie war vollzählig. 12 

Dragoner mit einem Lieutenant an der Spitze. Ein Scout in 
Zivil sicherte die rechte Flanke. Nach einigen Sekunden 
verschwand die Patrouille wieder in einer Wolke aus Staub. 

Unablässig belauerten sich der fremde Indianer und 

Haggerty. Die Rothaut machte keine Anstalten, zum Gewehr 
zu greifen. Sie hielt mitten im Sonnenlicht, umflossen von den 
roten Strahlen, wie ein Standbild aus Bronze. 

Der Indianer war kein einfacher Krieger, darüber war sich 

John klar. Er mußte eine Führerrolle innehaben, wenn er nicht 
gar Cochise selbst war. John kannte den legendären Häuptling 
nicht persönlich. Aber der Gestalt nach konnte er recht gut 
jener Mann sein, der seit Jahren die Grenze in Atem hielt und 
alle Sippen der Apachen vereinigte. 

Dies war nicht einmal Mangas Coloradas gelungen, weder 

ihm noch einem anderen vor ihm. 

In diesem Augenblick wurde John durch eine Salve 

abgelenkt. Die Hälfte der Patrouille sank in den Staub. Trotz 
der dicken Schwaden, die über die Ebene hinwegzogen, konnte 
er jede Einzelheit dort unten erkennen. 

Plötzlich sah er Harwig und Roman aus den Klippen jagen. 

Aber kurz darauf zügelten beide ihre Pferde und kehrten wieder 
in den Schutz der Felsen zurück. Eine zweite Salve hatte auch 
den Rest der Dragoner aus den Sätteln geholt. 

Von drei Seiten glitten dort unten Chiricahuas an die 

Gefallenen heran, skalpierten und plünderten sie. Herumirrende 
Pferde wurden eingefangen, Waffen verteilt. Und als John 

background image

aufblickte, saß der Indianer noch immer unbeweglich auf 
seinem Pferd und verfolgte mit stoischer Gelassenheit das 
grausame Treiben. 

Durch den Canyon preschten im Galopp zwei Reiter. Bill 

Harwig und Lefty Roman. Sie sahen herauf und winkten. Als 
sie um die Kehre preschten, bemerkten sie auch die Rothaut 
auf der anderen Schluchtseite. 

Nach Osten hin stieg der Canyon und endete auf der Mesa. 

Hier angelangt, hatten die beiden Scouts jetzt zwei Ziele. Sie 
konnten sich mit John vereinen oder den Indianer angreifen. 
Sie zogen es vor, den anderen Weg zu wählen, um sich zu 
ihrem Gefährten zu gesellen. 

»Schweinerei, was?« rief Roman schon von weitem. »Wie 

konnte das nur geschehen?« 

Bill Harwig parierte sein Pferd vor John. Seine Rechte 

machte eine wischende Bewegung in Richtung des Indianers 
auf dem gegenüberliegenden Canyonrand. 

»Am liebsten würde ich mir den Burschen kaufen, John. 

Muß ein Häuptling von den roten Kerlen sein. Soll ich?« 

John erwiderte: 
»Laß es bleiben. Sie sind hinter uns in den Klippen, Jungs. 

Paßt auf, daß sie nicht zu nahe an uns herankommen. Warum 
habt ihr euch aus meiner Sichtweite entfernt?« 

Roman wischte sich Staub und Schweiß aus dem Gesicht und 

schob den grauen Feldhut in den Nacken. 

»Ging nicht anders, Amigo. Wir mußten einem Trupp 

Chiricahuas zu Fuß ausweichen. Willst du die verdammte 
Rothaut dort drüben laufenlassen?« 

»Geht nicht anders, wir müssen zum Camp zurück, um zu 

melden, was mit der Patrouille geschah.« 

»Teufel!« fluchte Harwig. »Verdammtes, mörderisches 

Pack!« 

»Spar deinen Atem, Bill. Sinnlos. Der Krieg ist an der 

Indianerfront zur vollen Heftigkeit entbrannt. Wir werden noch 

background image

einiges mitmachen, bevor der Aufstand niedergeschlagen ist.« 

Lefty Roman warf einen letzten Blick über die Schlucht und 

zog sein Pferd am Zügel in die neue Richtung. 

»Es würde mich interessieren, was der Kerl dort drüben 

vorhat.« 

Harwig folgte ihm grinsend. 
»Das müßtest du eigentlich wissen, Lefty. Er ist doch dein 

Blutsbruder.« 

Roman drehte sich im Sattel um. 
»Ich bin zur Hälfte Yuma, Bruderherz, und kein Apache. 

Mein Vater soll ein Bastard gewesen sein, die eine Hälfte Mex, 
die andere New Orleans. Im alten Europa nennt man das 
Franzose.« 

Bill Harwig lachte. Selbst John Haggerty konnte sich ein 

Grinsen nicht verkneifen. Die beiden Scouts frotzelten gern. 
Das lockerte die Verkrampfung und hob die Stimmung. 

Ein Hohlweg nahm sie auf. Links und rechts stiegen die 

Felswände 30 Fuß und mehr in die Höhe. Es war dämmerig 
hier unten und kühl. 

John hatte die Mitte der aufwärts führenden Klamm fast 

erreicht, als es begann…  

Graue Schatten überall. Wolfsgleich stürzten sie sich auf die 
berittenen Weißen. Halbnackte Gestalten, tief auf den Hals 
ihrer Ponys gebeugt, stoben den Hohlweg herab, drangen von 
hinten in ihn ein. 

»Stehen und kämpfen!« schrie John und riß den Revolver aus 

dem Halfter. 

»Runter von den Gäulen!« brüllte Roman. »Treibt sie den 

Weg zurück, das verwirrt sie.« 

John schoß auf einen angreifenden Apachen. Der ließ seine 

Streitaxt fallen und legte sich still aufs Gesicht. Ein anderer 

background image

Krieger sprang über ihn hinweg und stürzte sich auf Haggerty. 
Wieder krachte ein Schuß. Die Rothaut wurde halb 
herumgerissen und gegen die Felswand geschleudert. 

Auch Bill und Lefty feuerten, was die Läufe hergaben. 

Pulverdampf zog träge durch den Hohlweg und verdeckte die 
Sicht. Es half nichts. Panik hatte die Scouts gepackt, ließ sie 
zurückweichen. Die Chiricahuas brachen über sie herein. 

»Bleibt stehen und kämpft!« schrie John. »Wenn nicht, 

machen sie euch fertig!« 

Er drückte erneut ab, traf einen Krieger tödlich. Einem 

anderen war es gelungen, so nahe an Lefty Roman 
heranzukommen, daß er ihn packen konnte. Der Scout schlug 
mit dem Revolverkolben zu und stieß ihn von sich. 

In einer zweiten Welle griffen die Chiricahuas von vorn und 

hinten gleichzeitig an. John warf einem Krieger den 
abgeschossenen Colt an den Kopf und griff zum Gewehr. Der 
Henry-Stutzen war kurzläufiger als die Enfields oder eine 
Sharps. Er umklammerte den Lauf der Waffe und ließ sie wie 
eine Keule über seinem Kopf kreisen. 

Die Rothaut, die von dem stählernen Geschoß getroffen 

worden war, richtete sich mit schmerzverzerrtem Gesicht hinter 
einem Felsen auf, zog die Sehne des kurzen Bogens aus dem 
Holz des Maulbeerbaums bis ans Ohr zurück und ließ den Pfeil 
schwirren. 

Der bohrte sich in die rechte Brustseite des Halbindianers, 

blieb zitternd stecken und riß den Mann von den Beinen. John 
wollte sich über ihn beugen, den Verwundeten schützen. Aber 
Lefty stieß ihn zurück. 

»Hau ab, Mann, bevor sie auch dich massakrieren.« 
John und Bill machten sich auf die nächste Attacke gefaßt. 

Sie kam und überrollte die beiden Army-Scouts. Bill Harwig 
wurde von einer Kriegskeule an der Schläfe getroffen und 
brach zusammen. John erwischte ein geschleuderter Stein. Er 
taumelte. 

background image

Beinahe müde und wie gleichgültig gegen alles, was um sie 

herum geschah, legte er sich neben Roman und schloß die 
Augen. 

Als er wieder zu sich kam, lag er gefesselt neben einem 

Feuer, das Wärme und einen harzigen Geruch verbreitete. 

Mehr als 20 Chiricahuas befanden sich im Lager. Sie trugen 

die Trophäen mit Stolz, die sie der hingemetzelten Patrouille 
abgenommen hatten: Militärjacken, Feldhüte, Stiefel, Waffen. 

Neben John stöhnte Roman. Der Pfeil ragte noch immer aus 

seiner Brust und bewegte sich zitternd bei jedem Atemzug. Bill 
war ebenfalls wieder bei Bewußtsein. Er fluchte mörderisch 
und ununterbrochen. 

Ein Apache kam vorbei, trat ihm in die Seite und schleuderte 

ihm höhnisch mit dem Mokassin Sand ins Gesicht. Alle waren 
sie gefesselt. An einem Nachbarfeuer brieten die Apachen 
Pferdefleisch. Der süßliche Duft zog zusammen mit einem 
Schwarm schwarzer Fliegen über die Mesa, trieb ab und 
verteilte sich in den Canyons. 

Es ging auf den Abend zu. Schatten fielen und krochen wie 

müde Schlangen aus den Klippen. Die Chiricahuas schwatzten, 
lachten und brüsteten sich mit ihren Heldentaten. 

Plötzlich wurde es still. 
Ein hochgewachsener Indianer näherte sich den Feuern und 

blieb vor den Gefangenen stehen. Lange starrte er auf John 
Haggerty. 

»Wer bist du?« 
»Du kennst mich. Wir sahen uns drüben beim Canyon. Bist 

du der Anführer dieser Rotte?« 

»Ich bin Cochise«, erklärte der Indianer ohne Pathos in der 

Stimme. »Und du?« 

»John Haggerty. Was hast du mit uns vor?« 
»Wir werden euch töten, weißer Mann. Wir werden es 

langsam tun und mit Bedacht. Unsere Weiber werden euch ins 
Gesicht spucken, unsere Kinder mit Steinen auf euch werfen, 

background image

und wenn ihr auf der Schwelle des Todes steht, werden wir 
euch den Alten überlassen.« 

Das war also Cochise, der berühmte und gefürchtete 

Häuptling. John starrte den Mann an, lange, eindringlich, ohne 
Unterlaß. 

Cochise war schlank, trotz seines mächtigen Brustkorbs. Die 

kühne Adlernase wirkte nicht entstellend, eher aristokratisch. 
Unter den Wangenknochen zeichneten sich starke Muskeln ab, 
die ständig zuckten und wellenartige Bewegungen auf dem 
braunen Gesicht hervorriefen. Der Häuptling war etwas größer 
als John, ungefähr einsachtzig. 

»Das hast du gut gesagt, Cochise«, erwiderte John und 

verzog die Lippen zu einem Grinsen.

 

»Für jeden von uns, den 

ihr umbringt, werden zehn, hundert, tausend von euch sterben.« 

»Wie bei Pinos Altos?« fragte Cochise grimmig. »Oder wie 

im Camino des Diablo, Bleichgesicht?« 

»Das war nicht die Armee«, antwortete John kühn. »Die 

Chiricahuas begannen mit dem sinnlosen Kampf. Denk an das 
Gemetzel von Tubac am Santa Cruz. Nicht mal Frauen und 
Kinder wurden von deinen Kriegern verschont.« 

»Hundert Pesos für einen Chiricahua-Skalp, fünfzig für den 

einer Frau, fünfundzwanzig für die Kopfhaare eines Kindes. 
Was willst du, Bleichgesicht? Winselst du um dein Leben?« 

Cochise wandte sich ab, aber Johns Zuruf hielt ihn zurück. 
»Was haben wir mit dem Kopfgeld zu tun, Häuptling? Die 

Armee nimmt keine Skalps. Du mußt dich an die Mexikaner 
halten, wenn du uns das ankreiden willst. Vergiß nicht, wie 
deine Krieger bei Signal Crossing wüteten.« 

Cochise schüttelte den Kopf. 
»Chiricahuas waren nie so weit im Norden.« Er wollte sich 

wieder umdrehen, aber Johns Zuruf hielt ihn ein zweites Mal 
zurück. 

»Willst du den Verwundeten neben mir mit einem Pfeil in 

der Brust krepieren lassen, Cochise?« 

background image

»Er stirbt so oder so. Weshalb also die Mühe?« 
»Mit dem Sterben hat's noch 'ne Weile«, sagte John 

wegwerfend. »Binde mir die Hände los, daß ich diesem 
tapferen Krieger helfen kann.« 

Der Häuptling zögerte. Schließlich murmelte er etwas in 

seiner Sprache und gab zwei Kriegern einen Wink. Sie kamen 
herbei und lösten die Fesseln von Johns Händen. Haggerty 
stand auf, rieb sich die Handgelenke und sagte: 

»Danke, Cochise. Wo habt ihr mein Pferd? Ich brauche die 

Satteltaschen.« 

»Wozu?« 
»In ihnen ist gute Medizin, die dem Scout hilft.« 
»Einem Hund von einem Yuma«, entgegnete Cochise und 

spuckte aus. Trotz seiner Verachtung für den Halbindianer gab 
er den Befehl, Haggertys Satteltaschen zu bringen. 

Von mehr als 40 Argusaugen bewacht, packte der Scout den 

Inhalt auf eine Decke. Das Feuer flackerte, zauberte zuckende 
Lichtreflexe auf den sandigen Boden. John wischte sich den 
Schweiß aus den Augen, griff dann nach dem schmalen Stilett 
und hielt die Klinge in die Flammen. 

Als sie heiß wurde, legte er das Stilett auf ein sauberes 

weißes Leinentuch und griff nach einer kleinen Flasche. Er 
schüttelte sie. Enttäuscht legte er sie zur Seite und griff zum 
Messer. 

»Nicht zu tief, John, um Himmels Willen!« krächzte Lefty. 
»Du roter Bastard hast gestern nacht den Alkohol gesoffen«, 

knurrte Haggerty und grinste dabei. »Jetzt mußt du's eben ohne 
Betäubung aushalten. Halt still!« 

»Ein Mann in dieser Situation braucht dann und wann mal 'n 

Schnaps.« 

Haggerty setzte sich auf Leftys Brust und machte mit dem 

Messer einen Schnitt nach unten. Das Stilett drang in das 
Fleisch und trennte die Muskeln. Lefty stöhnte, blieb aber bei 
Bewußtsein. 

background image

Beifällig grunzten die Apachen. Blut lief über Johns Hände, 

als er einen weiteren Querschnitt machte und den Pfeil packte. 
Mit einem kurzen Ruck riß er ihn heraus. 

Lefty fiel in Ohnmacht. Die Chiricahuas traten näher und 

tuschelten. Mit Wasserspeiergesichtern starrten sie aus der sie 
einhüllenden Dunkelheit in das Feuerlicht und nickten. 

»Mensch, John, mach schon«, drängte Harwig aufgeregt. »Er 

stirbt dir unter den Händen.« 

»Ist schon raus.« 
John hielt den Pfeil hoch und warf ihn Cochise mit der 

blutigen Feuersteinspitze zuerst vor die Füße. 

»Ist noch mal gutgegangen«, sagte er und fing an, die Wunde 

mit dem Rest Alkohol aus der Flasche zu desinfizieren. 
Schließlich verband er die Schulter und richtete sich auf. 

»Wird er's überleben?« 
»Wenn keine Blutvergiftung eintritt, bestimmt.« 
»Genug«, brummte Cochise. Er gab in seiner Sprache 

Befehle und wandte sich ab. 

Zwei Krieger stürzten sich auf John Haggerty und warfen ihn 

zu Boden. Er wehrte sich nicht, weil es angesichts der 
Übermacht sinnlos gewesen wäre. Im Nu war er wieder 
gefesselt. 

Mitten in der Nacht erwachte John. Roman hatte so laut 

gestöhnt, daß er sich trotz seiner Hand- und Fußfesseln 
aufrichtete. Sofort stand ein Krieger neben ihm und stieß ihn 
wieder zurück. 

»Laß mich los, verdammter roter Bastard!« 
Ein Schlag ins Genick warf John wieder auf den harten 

Boden. Die Sinne schwanden ihm, Stille und Vergessen hüllten 
ihn ein.  

Um das Jahr 1870 bestand Santa Magdalena am Oberlauf des 

background image

San Pedro, aber noch diesseits der mexikanischen Grenze, aus 
nicht mehr als zehn armseligen Hütten aus Adobeziegeln, 
wovon die Hälfte Cantinas und Bars waren. Im ›Gouadeloupe‹, 
einer armseligen Spelunke aus wackligen Tischen und 
Reihenbänken, ging es jede Nacht hoch her. 

Baconora und Whisky flossen in Strömen, und wenn nicht 

gerade ein großes Spiel im Gange war, prügelten sich die 
Männer aus reinem Übermut und schlugen alles kurz und klein. 

Nicht selten fielen auch Revolverschüsse. Und jedesmal, 

wenn eine Schießerei stattgefunden hatte, trug man einen Mann 
oder mehrere mit den Füßen zuerst hinaus auf den Boot Hill 
mit seiner winzigen Kapelle und den verdorrten und 
verwitterten Grabkreuzen. 

Einige waren aus Stein gemeißelt, aber es war immer 

dasselbe, was man auf ihnen der Ewigkeit anvertraut hatte. 

Der Name, geboren am… Gestorben durch eine Kugel am… 
In dieser Vollmondnacht ging es wieder einmal tüchtig rund. 

Tabakschwaden drangen durch die doppelteilige Schwingtür 
und zerwehten rasch im kalten Mesawind. 

Ein Mann betrat den halbverfaulten Gehsteig, fluchte wegen 

des Windes, der ihm feinen Sand ins Gesicht schleuderte, und 
betrat die Kneipe. Insgesamt gab es acht Tische mit je fünf 
Stühlen. Ganz hinten war die Bar. Bar? Jedenfalls etwas, was 
man bei einiger Phantasie Ausschank nennen konnte. Leere 
Bierfässer, darüber eine zollstarke Bohle, davor eine rostige 
Stange zum Aufstützen, Gläser, Flaschen, Flaschen und wieder 
Flaschen. 

Gut und gerne 30 Männer aller Hautfarben und Rassen waren 

anwesend, zum Teil bereits betrunken, zum Teil stocknüchtern 
und mit kalten Augen. An zwei Tischen wurde gespielt. Der 
Fremde ging, verfolgt von den Augen der Nüchternen, bis zu 
einem Mitteltisch und blieb hinter einem Spieler stehen. 

Dieser Mann war besser gekleidet als die anderen. Eine 

geblümte Weste spannte sich über einen Bauchansatz, eine 

background image

Weste mit einer dicken goldenen Uhrkette und Knöpfen aus 
Perlmutt. Er hielt eine Zigarre zwischen den fleischigen Lippen 
und musterte mit wasserhellen Augen den Kartenfächer in 
seiner Linken. Als er die Hand auf seiner Schulter spürte, 
schob er den breitrandigen Stetson in den Nacken und sah auf. 

»Ich muß dich sprechen, Hank.« 
»Doch nicht jetzt. Siehst du nicht, daß ich ein Bombenspiel 

habe?« 

»Unwichtig. Komm mit!« 
Das war ein unmißverständlicher Befehl. Der füllige Typ 

warf seine Karten mit einem unwilligen Schnaufen auf den 
Tisch und erhob sich. Er war unbewaffnet, was in diesem Land 
schon eine Menge bedeutete. 

Der andere, der ihn zum Mitkommen aufgefordert hatte, trug 

seinen Revolver tief an der Hüfte und das Halfter mit einem 
Riemen am Knie befestigt. 

Sie gingen zur Hintertür hinaus. Lauernde Blicke folgten 

ihnen, bis sich die Tür in ihrem Rücken schloß. Es war 
sternenhell auf dem unkrautbewachsenen freien Platz zwischen 
Kneipe und Toilette. 

»Hank, Mercroft ist tot. Apachen schnappten ihn beim 

Leguan Arroyo und brachten ihn um.« 

»Der arme Kerl. Was jetzt?« 
»Du bist der Boß, ich dein Segundo. Was sollen wir tun?« 
Hank Doolin zuckte mit den Achseln. Sein Gesicht drückte 

alles und nichts aus. 

Pokerface. 
»Was wir tun sollen? Einen neuen Mercroft finden. Die Welt 

ist voller Mercrofts, und ich denke, die Welt wird uns einen zur 
Verfügung stellen. Wo sind die Jungs?« 

»Im Lager.« 
»Gut, da sollen sie auch bleiben, bis von mir neue Order 

kommt. So, Mercroft hat's also erwischt? Passiert uns alles 
früher oder später. Woher weißt du es?« 

background image

»Ich war im Heereslager. Auch die Armee hatte starke 

Verluste in den letzten Wochen. Cochise geht ganz schön ran. 
Alle Wetter, der versteht sein Handwerk.« 

»Kein Wunder«, sagte Hank Doolin mit einem schmelzenden 

Lächeln auf den Zügen. »Was man den Chiricahuas so alles an 
Greueltaten anlastet, macht selbst einen kaltblütigen Häuptling 
nervös.« Er lachte ein fettes Lachen und stieß Elvis Wash hart 
gegen die Brust. »Du reitest zurück, El. Ich komme ins Lager. 
Wir besprechen die Details für den nächsten Coup und suchen 
gemeinsam einen neuen Mercroft. Alles klar?« 

»Okay. Bis morgen also. Good bye, Boß.« 
Wash ging um das Haus herum und knüpfte die Zügel seines 

Pferdes vom Hitchrail los. Seine Vorsicht, das Pferd nicht 
unmittelbar vor der Kneipe anzubinden, in der er sich gerade 
aufhielt, hatte sich schon oft bezahlt gemacht. Er stieg auf und 
ritt in die Nacht hinein. 

Hank Doolin ging zum Spieltisch zurück und verlangte ein 

neues Päckchen Karten. Hier an der Grenze hielten sich nicht 
nur Engel auf, und ein vorsichtiger Spieler kalkulierte das ein. 

Bis Mitternacht ging das Spiel ohne Höhepunkte weiter. 

Gäste kamen und gingen. Kurz nach Mitternacht ritt ein 
größerer Trupp in das Nest und hielt vor der Kneipe nebenan. 
Fluchend polterten Männer in die Bar und ließen ihre müden 
Pferde stehen, wo sie gerade standen. 

Hank Doolin hob den Kopf und lauschte. Drüben ging es zu 

wie bei einem Scharmützel. Als kurz darauf ein Schuß fiel, 
warf Doolin die Karten hin und erhob sich. 

»Bin müde, Freunde. Ein andermal geht's weiter. Adios, 

Hombres!« 

Er ging.  

Die Wüste sah im Sternenlicht aus wie satiniert. Alles glänzte 

background image

und funkelte, wirkte glatt wie ein poliertes Brett. Das Zeltlager 
zwischen den Hügeln machte einen verlassenen Eindruck. 
Alles schlief, nur die Posten gingen ihre Runden und wurden 
alle zwei Stunden durch andere abgelöst. 

Aus einem flachen Zelt trat ein Zivilist und ging bis in die 

Mitte des Lagers. Vor einem mittelgroßen Zelt blieb er stehen. 
Die Pferde im nahen Seil-Corral äugten neugierig herüber, 
blieben aber ruhig. Um die Zeltgruppe herum kam der Posten 
mit geschultertem Gewehr, und als er den Scout erkannte, 
nickte er. 

»Noch unterwegs, Mr. Miller? Bei dieser Schwüle kann man 

auch keinen Schlaf finden, was?« 

»Das ist es nicht, Ed. Major Tanner will mit mir die morgige 

Route der Patrouille besprechen. Schließlich kenne nur ich die 
Wege bis hinüber zu den Chiricahua Mountains.« 

Der Posten ging weiter. Miller betrat das Zelt und blieb 

stehen. Es war still und heiß. Kein Luftzug bewegte die Plane. 
Das Zelt hatte zwei Räume, die von einer Zwischenplane 
getrennt wurden. Das hintere Abteil diente dem Offizier als 
Schlafraum, das vordere als Besprechungszimmer. Ein Tisch 
und mehrere Feldstühle standen dort, bedeckt mit Karten dieses 
Gebietes. 

»Major Tanner! Ich bin's, Miller!« 
Keine Antwort. 
Die beinahe absolute Lautlosigkeit legte sich bedrückend auf 

die Seele des Scouts. Nur der Sand knisterte draußen, und 
wenn ein Posten vorbeischlenderte, knirschte es. 

»Hallo, Major Tanner!« Am liebsten hätte er noch gesagt: 

Verdammt noch mal, Sir! 

Er wartete ein paar Minuten, dann öffnete er die Zeltklappe. 

Es stank nach Schnaps und Schweiß und nach noch ein paar 
anderen Dingen. Eine Kerze steckte im Hals einer Flasche. Ihr 
Licht fiel auf einen Klapptisch und ein zerwühltes Lager. Der 
Offizier lag quer über der Bettstatt, mit dem Rücken auf dem 

background image

Kissen, die Hände flach an den Schenkeln. 

Seine braunen Augen starrten unentwegt geradeaus. Sein 

schütteres Haar hing ihm wirr durcheinander in die 
schweißnasse Stirn. Er trug seine Dragonerhosen und die 
Stiefel, aber von der Hüfte an aufwärts war er nackt. Schweiß 
rann ihm durch die spärlichen dunklen Haare auf der Brust. 

»Major Tanner, Sir!« 
Die dunklen Augen sahen Miller an, erkannten ihn aber 

nicht. 

Der Scout schaute sich im Raum um. Flaschen lagen am 

Boden, Whiskyflaschen. Eine weitere stand halbvoll auf dem 
Tisch, angestrahlt vom Kerzenlicht. Daneben ein 
umgeworfenes Glas in einer Schnapslache. 

»Mr. Tanner, Sir!« 
»Was wollen Sie, Scout?« 
»Sie haben mich rufen lassen, Sir. Es ist wegen der Patrouille 

morgen, Erinnern Sie sich?« 

»Deswegen stören Sie mich? Scheißleben hier draußen… 

Sand, Hitze, Staub und – Chiricahuas. Wie soll das ein Mensch 
nur aushalten?« 

»Sie haben mich bestellt, Sir. Lieutenant Smith' Patrouille ist 

seit Tagen überfällig. Colonel Richard krank, die Männer sind 
übermüdet. Disziplinlosigkeit macht sich in der Truppe 
breit…« 

»Ist das alles, Mann? Was denken Sie, warum ich mich 

besaufe? Hier draußen ist das Leben nur im Suff auszuhalten. 
Noch was?« 

»Die Scouts Haggerty, Roman und Harwig sind ebenfalls seit 

drei Tagen überfällig. Major, wir müssen die Route für die 
morgige Patrouille besprechen.« 

»Gehen Sie zum Teufel!« Plötzlich richtete sich Tanner auf. 

»Geben Sie mir die Flasche, Mann!« 

Miller widerstand einer plötzlichen Regung, den Offizier 

vom Bett hochzureißen und ihm in seine betrunkene Visage zu 

background image

schlagen. 

»Du irischer Scheißkerl, gib mir die Flasche!« fauchte 

Tanner wütend. 

»Major Tanner, Sie sind jetzt Kommandant des Lagers und 

der einzige Offizier, der noch diensttauglich ist. Die anderen 
sind entweder krank oder auf Patrouille.« Müde fügte er hinzu: 
»Sie sollten aufstehen und das Trinken sein lassen.« 

Tanner bewegte sich blitzschnell. Seine rechte Hand zuckte 

mit dem gespannten Dienstrevolver hoch. Die Mündung kam 
Miller mächtig groß vor. 

»Her mit der Flasche, Scout!« 
Miller rührte sich nicht. 
»Sie müssen jetzt das Kommando übernehmen, Major.« 
Die dunklen Augen blickten abwesend, drückten 

Verständnislosigkeit aus. 

»Die Flasche, Mann!« 
Miller hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. Er nahm 

die Flasche beim Hals und trat ans Bett. Tanner richtete den 
Revolver auf Millers Bauch. 

»Ich sollte dich wegen Ungehorsam im Dienst töten, du 

irischer Scheißkerl. Du dämliches, loyales, patriotisches 
Stinktier!« 

»Ich bin kein Ire, Sir. Meine Eltern kamen aus Old 

Germany.« 

»Aha, ein Dutchman.« 
»Nein, ein Deutscher.« 
»Alle gleich, die verdammten Schlauberger, die von drüben 

kommen und die Armee auf den Kopf stellen wollen. Hau ab!« 

»Die Route, Sir.« 
»Weißt du was, German? Leute wie du sind Pack, Pöbel, 

Abschaum. Dreck aus allen Gossen Europas.« 

»Dreck und Unflat kommt nur aus den Gossen Amerikas, 

Sir.« 

»Wie? Was hast du gesagt? Wurm, das kommt dir teuer zu 

background image

stehen.« 

Es gelang ihm mühsam, auf die Füße zu kommen. 

Schwankend stand er vor dem Scout, die geballte Rechte zum 
Schlag erhoben. Miller war aber schneller. Seine Faust traf den 
Major aufs Kinn. Genau auf den Punkt. Mit einem Röcheln fiel 
der Offizier zurück, verdrehte die Augen und begab sich in das 
Reich der süßen Träume. 

Miller stand da, als hätte sich nichts ereignet. Seine großen 

Hände ballten sich wieder, öffneten sich, dann ging er hinaus 
und blieb im Wüstenwind stehen, um sich umfächeln zu lassen. 

Der glutheiße Gilawind wütete über dem Zeltlager. Bis zum 

nächsten Fort, über dem das Sternenbanner wehte, waren es 
lange und tödliche Meilen. 

Ein unheimliches Gefühl beschlich den Scout. Er hatte einen 

Offizier besinnungslos geschlagen, und was das hieß, wußte er 
nur zu gut. 

Er mußte weg, sein Leben retten. Aber wohin? Das Land 

ringsum wurde von den Apachen aller Stämme abgeriegelt. Er 
würde nicht weit kommen, keine zehn Meilen. 

Trotzdem, sie würden ihn vor ein Feldgericht und dann an 

die Wand stellen. In diesem Fall war es ein Pfahl. Aber was 
machte das schon aus? 

Er ging zu seinem Zelt, packte alles zusammen, was seine 

Habe betraf. Proviant hatte er als Scout genug, auch 
Konserven. Aber Wasser brauchte er. Die nächste Quelle war 
am Apache-Paß, 20 Meilen vom Lager entfernt. 

Nachdem er alles beisammen hatte, ging er mit knirschenden 

Schritten zum Corral, sattelte sein Pferd und belud es. Als er 
aus dem Zeltlager ritt, stieß er auf den Posten. 

Der Mann hob seine Hand und rief: 
»Ich beneide Sie wirklich nicht, Mr. Miller. Guten Ritt und 

gesunde Rückkehr!«  

background image

Am Abend des zweiten Tages – sie ritten über die Mesa mit 
einem Ziel, das nur Cochise zu kennen schien – erreichten sie 
eine breite Schlucht. Johns Pferd hob den Kopf und witterte 
Wasser. Aber wo? Lefty Roman, den man quer zum Sattel auf 
sein Pferd gebunden hatte, war schon wieder ohne Bewußtsein. 
Haltlos pendelte sein Kopf hin und her. 

Die Chiricahuas teilten sich. Vor dem Canyon zog die eine 

Gruppe nach rechts, nach Osten weiter, die andere, unter 
Führung des berühmten Häuptlings, nach Westen. Am Ende 
der Schlucht überbrückte eine Felsenrampe den 
Höhenunterschied. 

Cochise gab das Zeichen, in die Tiefe zu reiten. Langsam 

folgte er dem Trupp. Nachdem sie alle den Grund des Canyons 
erreicht hatten, sah John Haggerty die Wickiups. 

Aus dem Grüngürtel stacheliger Büsche hoben sie sich wie 

graue Elefantenrücken ab und verstärkten mit ihren Ausmaßen 
und ihrem Aussehen den gefährlichen Eindruck der 
Landschaft. Rauch hob sich träge über die Jacales und hing wie 
eine Dunstglocke über der Apacheria. 

Ein Wall aus Steinen umgab das Lager. Sie durchritten 

diesen Wall an einer offenen Stelle, die durch sehr dichtes 
Strauchwerk besonders gut geschützt wurde. 

Erstmalig in seinem Leben sah John eine der 

Hochgebirgsfestungen der Chiricahuas. Er wußte von ihnen nur 
durch Erzählungen der Scouts und von Indianern anderer 
Stämme, die die Apacherias mehr als die Pest fürchteten. 

Der Trupp hielt an. Man löste die Fußfesseln der Gefangenen 

und riß sie brutal von den Pferden. Bill Harwig fiel so 
unglücklich, daß seine ganze rechte Seite taub wurde. Er 
fluchte in allen Tonarten und spuckte einem Krieger ins 
Gesicht. 

»Mach keinen Blödsinn, Bill, sie mißhandeln dich sonst.« 
»Sauhunde! Kein Funken Menschlichkeit in ihren…« 
»Mensch, sei still!« 

background image

Cochise kam heran. Lautlos wie eine große Katze bewegte er 

sich auf den dicken Sohlen der Mokassins. Sein Gesicht wirkte 
verschlossen, abweisend. Er wandte sich an John Haggerty: 

»Deine Stunden sind gezählt, Bleichgesicht. Meine Krieger 

werden dich morgen bei Sonnenuntergang töten und…« 

»Warum nicht gleich, Häuptling?« unterbrach John ihn. 
»Nicht alle meine Krieger sind anwesend. Sie müssen erst 

verständigt werden. Hast du einen Wunsch?« 

Humane Seiten bei einem Chiricahua? John traute seinen 

Ohren kaum. 

»Well, ich habe einen Wunsch. Behandelt meinen 

schwerverwundeten Gefährten etwas menschlicher. Siehst du 
nicht, daß er am Verbluten ist?« 

Cochise zuckte mit den Achseln. 
»Es wird ihm tausend Martern und Qualen ersparen. Laß ihn 

sterben.« 

»Ich will nicht, daß er stirbt. Ich will, daß er am Leben bleibt. 

Gib mir ein Wickiup.« 

»Du wirst im Freien übernachten, es ist so oder so egal.« 
»Ich verlange ein Wickiup! Oder soll später die Kunde 

umgehen, daß der große Häuptling der Chiricahuas einem 
Sterbenden eine letzte Bitte abschlug?« 

»Kunde? Von was? Von wem?« 
»Vom Krieg an der Grenze. Vom großen Kampf der roten 

gegen die weiße Rasse. Von einem Indianerführer, der weit 
über diesen Kontinent hinaus bekannt ist, vor dem sich die 
Weißen fürchten und vor dem sie zittern.« 

»Du zitterst nicht, obwohl der sichere Tod neben dir steht.« 
»Ich habe das Zittern und Fürchten verlernt, Cochise. Wer 

die Wüsten und die Gebirge dieses Landes kennt, braucht sich 
nicht zu fürchten. Der Tod sagt mir nichts, er stand immer an 
meiner Seite, seit ich das Gebiet der Chiricahuas betrat.« 

Cochises Kopf hatte sich gesenkt. Er dachte nach und wurde 

sich nicht darüber schlüssig, ob es Mut oder Angst war, was 

background image

aus dem Weißen sprach. Langsam wandte er sich ab. 

John blickte ihm nach. Eine wahrhaft fürstliche Erscheinung, 

die sich mit einer sanften Handbewegung und ruhiger Stimme 
an die Krieger wandte. Cochise sprach eine Weile auf seine 
Leute ein, die ihm mit stoischem Gleichmut zuhörten. Dann 
verschwand er im wallenden Bodennebel. 

Abseits von den anderen Jacales, aber noch im geschlossenen 

Ring des Steinwalls, bauten Frauen und Halbwüchsige in aller 
Eile ein kleines Wickiup. Als es errichtet war, brachte man die 
Gefangenen und den Verwundeten hinein. Ein Feuer wurde 
entzündet, Decken und Felle wurden gebracht. Kurz darauf 
erschien eine alte Squaw mit einem tönernen Gefäß und stellte 
es auf die Flammen. Alles das geschah völlig lautlos und 
schweigend. 

John bemühte sich um Lefty Roman. Er war noch ohne 

Bewußtsein und lag wie tot auf den Decken. Sein bleiches 
Gesicht mit der spitzen Nase verriet, wie sehr ihm der 
Transport auf dem harten Pferderücken zugesetzt hatte. John 
Haggerty gab keinen Nickel mehr für Leftys Leben. 

»Wird er diese Tortur durchhalten?« fragte Bill Harwig. 
»Keine Ahnung, schließlich bin ich kein Arzt. Nur weiß ich, 

zu welchen Strapazen Menschen fähig sind, wenn sie 
überleben wollen und noch einen Funken Hoffnung haben.« 

»Besteht eine?« 
»Sieht nicht so aus, Bill. Sie werden uns martern und 

schließlich das Herz bei lebendigem Leib aus der Brust reißen. 
Oder sie nehmen uns den Skalp bei vollem Bewußtsein. Ich 
kann dir nicht sagen, was sie tun werden.« 

»Tolle Aussichten! Sag mal, kocht das alte Schreckgespenst 

etwa für uns? Riecht appetitlich. Was ist das?« 

Die Alte war fertig, nahm den Topf vom Feuer, stellte ihn 

auf einen erhitzten Stein und verließ das Wickiup. Nach ein 
paar Minuten kam ein Junge und stellte mit scheuen 
Seitenblicken auf die Weißen Holzteller und ebenso viele 

background image

Holzlöffel neben das Tongefäß. Auch er verschwand ohne 
einen Laut. 

Harwig ging zum Feuer, hob den Topf hoch und schnüffelte. 
»Fleisch«, sagte er. »Mann, Fleisch, und noch etwas. Aber 

ich finde nicht heraus, was es ist. Gemüse?« 

»Gemüsepflanzen. Sie kennen sich da aus und verstehen es, 

schmackhafte Gerichte aus Wildgemüse herzustellen. Probier 
mal.« 

Bill tauchte einen Löffel in das Gefäß und kostete. 
»Großartig! Komm zum Feuer, John.« 
John Haggerty warf einen letzten Blick auf den 

Verwundeten. Lefty war noch immer ohne Bewußtsein. John 
ließ sich neben Bill im Schneidersitz nieder, direkt am 
ersterbenden Feuer. Sie aßen. 

Es schmeckte wirklich ausgezeichnet. 
Ein leichter Luftzug strich durch den Jacale. John Haggerty 

sah auf, aber niemand hatte die Behausung betreten. Sein 
zweiter Blick streifte Roman. 

Lefty war tot, gestorben, während sie gegessen hatten. Still 

und heimlich war er hinübergegangen. 

Seine mageren, abgezehrten Hände hatten sich in die 

schmutzigen Decken verkrallt, die weit offenen Augen starrten 
nach oben. 

Auf seinem schmalen, eingefallenen braunen Gesicht lag ein 

sonderbarer Ausdruck, fast wie Erleichterung, denn das 
Halbblut war für immer fertig mit dem Schnaps und der 
unverstandenen Welt. 

»Lefty ist tot«, sagte John Haggerty zu Bill. »Einer weniger, 

den sie nicht mehr martern können.« 

»Es ist so unheimlich hier drin. Bringen wir ihn hinaus.« 
Haggerty sagte: 
»Er war unser Kamerad, ein guter Kamerad, der zwar den 

Schnaps mehr liebte als sich selbst… Trotzdem: Lefty war 
neben dir mein bester Kumpel und ein ausgezeichneter Scout.« 

background image

»Danke«, murmelte Bill Harwig. »Verdammt, John, ich kann 

seine toten Augen nicht mehr sehen. Bring ihn raus.« 

John stand auf, und dann ging er zum Eingang, der mit einer 

zerschlissenen Armeedecke verhängt worden war. 

Als er ins Freie trat, streckte sich ihm eine federgeschmückte 

Lanzenspitze entgegen. John faßte zu, riß die Lanze samt 
Rothaut zu sich heran und stieß den polierten Schaft wieder 
von sich. 

Der Krieger fiel nach hinten, stolperte und stürzte. Mit einem 

Wutschrei sprang er wieder auf die Füße und warf sich mit 
gezücktem Messer auf den Weißen. 

Der Scout ließ ihn kommen. Als die Klinge vor ihm 

hochzuckte, wich er einen Schritt zurück, dann zur Seite. Die 
Rothaut sauste an ihm vorbei. John schlug ihm die Handkante 
in den Nacken und die geballte Rechte gegen die Schläfe. 

Mit einem abgrundtiefen Grunzen fiel der Apache auf die 

Knie und schließlich flach auf den Boden. Jemand trat aus dem 
Schatten. Mit einem Wutschrei stürmte er auf John Haggerty 
zu und zückte ein Messer. 

»Verdammter Hund!« 
John wich aus, hob die Hand. 
»Ich hatte nichts Böses vor, Cochise«, sagte er und wich 

immer mehr vor den wütenden Angriffen zurück. »Der Yuma 
ist gestorben. Ich wollte dich nur bitten, den Leichnam aus dem 
Jacale tragen zu dürfen.« 

»Kojote! Lügner!« 
»Ich lüge nicht, Apache.« 
Wieder drang Cochise auf den Weißen ein. John Haggerty 

machte eine Finte, sprang zurück zur Seite, dann wieder vor, 
und im hohen Bogen wurde das Messer aus Cochises Hand 
geschleudert. Waffenlos standen sich beide gegenüber. 

»Rufe nach deinen Kriegern und laß mich jetzt in Stücke 

reißen.« 

»Ich brauche keine Krieger, um mit dir fertig zu werden«, 

background image

sagte Cochise ohne den gewohnten Pathos seiner Rasse. 

Der zu Boden gegangene Apache erhob sich wieder und 

wollte auf den verhaßten Weißen eindringen. 

Ein Zuruf stoppte ihn. Cochise sagte etwas in seiner Sprache. 

Der Angesprochene brummelte eine Antwort und verschwand 
in der armseligen indianischen Behausung. Schon bald darauf 
kam er zurück. 

Der kurze Dialog der beiden Rothäute sagte John nichts, er 

hörte aber aus dem Tonfall heraus, daß sich der Apache vom 
Tode eines der drei Scouts überzeugt hatte. 

Cochise wandte sich ihm wieder zu. 
»Du hast die Wahrheit gesagt, der Yuma ist tot. Geh und setz 

dich beim Feuer nieder. Kommst du noch einmal heraus, ist es 
um dich geschehen. Der Tote wird durch meine Krieger 
abgeholt.« 

Stolz wandte er sich um und verschwand in der Dunkelheit.  

Hank Doolin verließ Santa Magdalena im Morgengrauen. Er 
tat es heimlich und verstohlen wie ein Dieb. Als die 
Ansiedlung hinter ihm lag, schlug er den Weg nach Westen 
ein. Die Pahute Range war sein Ziel. 

Langsam stahl sich das erste schüchterne Grau im Osten über 

die Wüste. Licht folgte, zuerst zaghaft, dann stärker, 
drängender. Aus dem hellen Grau wurden Spektralfarben, die 
sich fächerartig über die Ebene ausbreiteten und die 
Nachtkonturen verschwinden ließen. 

Als sich der Reiter einmal umblickte, entdeckte er im 

Nordwesten einen dunklen Punkt, der sich im spitzen Winkel 
näherte. Doolin war sich im ersten Augenblick nicht sicher, ob 
er einen Weißen oder eine Rothaut vor sich hatte. Erst eine 
Weile später konnte er feststellen, daß es ein Weißer war. 

Der Mann mußte ihn erkannt haben, denn er streckte sich in 

background image

den Steigbügeln und winkte. Doolin winkte zurück. Es dauerte 
noch eine Viertelstunde, bevor sie zusammentrafen. 

Hank Doolin musterte den anderen eingehend, während der 

ihn freundlich grüßte. Der Mann trug Wildlederkleidung, hohe 
Stiefel und einen Militärhut. 

»Hallo, Sir! Ich bin Curt Miller, Scout der Armee in Arizona. 

Wohin des Weges, und warum so früh am Tag?« 

Doolin lächelte und zeigte sein prächtiges Gebiß. 
»Hank Doolin, Händler, Mister. Und warum so früh? Hm, 

Morgenstund' hat Gold im Mund. Oder ist es nicht so?« 

Miller nickte, ritt neben Doolin her, der sein Pferd wieder in 

Bewegung gesetzt hatte. 

»Ein Händler also? Mit was handeln Sie? Waffen?« 
»Warum ausgerechnet Warfen? Nein. Ich tausche bei den 

indianischen Stämmen alles nur Mögliche gegen Felle und 
Landesprodukte ein, die ich gewinnbringend an die Weißen 
verkaufe. Man muß leben, Mr. Miller. Sagen Sie, sind Sie 
Deutscher oder so was?« 

Miller lachte. 
»Meine Eltern kamen 1824 über den großen Teich. In Old 

Germany hießen wir Müller. Sind Sie ebenfalls deutscher 
Abstammung?« 

Hank Doolin lachte ebenfalls und zwinkerte mit einem Auge. 
»Keine Spur. Meine Großeltern kamen aus dem alten Irland, 

und ich, mein Freund, bin mittlerweile ein waschechter Yankee 
geworden. Wohin reiten Sie?« 

»Irgendwohin.« 
»Sie haben kein festes Ziel?« 
»Nicht unbedingt. Die Armee hat mich entlassen, weil sie 

keine Scouts in dieser Region mehr benötigt. Macht nichts, 
irgendeinen Job finde ich bestimmt.« 

Doolin wußte sehr genau, daß die Arizona-Army knapp an 

guten Scouts war und kaum einen entlassen würde, wenn nicht 
ein zwingender Grund vorlag. Dieser Miller mußte etwas 

background image

ausgefressen haben, was ihm die Armee ankreidete. Mercroft 
fiel Doolin ein, der alte Mercroft, den die Apachen getötet und 
dann skalpiert hatten. Mercroft war ein guter Scout gewesen, 
für seine, Doolins Zwecke. Der neue Mercroft stand vor ihm. 
Er mußte es nur geschickt anfangen. 

»Sie suchen einen Job, Mister?« 
»Sicher, wenn ich nicht verhungern will.« 
»Ich könnte Ihnen etwas Geeignetes anbieten, Mr. Miller. 

Kennen Sie die Paßstraßen nach Mexiko?« 

»Wie meine leeren Hosentaschen, Sir. Als aufrechter Mann 

und Bürger dieses Staates kann und darf ich Ihnen nicht 
verheimlichen, daß ich von der Armee gesucht werde. Wenn 
ich der Feldgendarmerie in die Hände falle, rettet mich keine 
Macht der Welt vor dem Erschießungskommando.« 

»Ehrlichkeit hilft immer weiter, Mr. Miller. Was haben Sie 

ausgefressen?« 

»Eigentlich gar nichts. Ein betrunkener Offizier wollte mich 

schlagen. Ich kam ihm zuvor und legte ihn bewußtlos auf die 
Bretter.« 

»Und dann türmten Sie?« 
»Genauso war es.« 
»Okay, Sie sind eingestellt. Zweihundert im Monat und für 

jeden Coup einen fetten Bonus.« 

»Coup?« echote Miller gedehnt. »Was bezeichnen Sie als 

Coup?« 

Doolins Gesicht wurde abweisend kalt. Er sah geradeaus und 

ließ keinen Blick von der Range, die wie eine feste Wand aus 
dem Morgendunst wuchtete. 

»Jedes gelungene gute Geschäft ist für mich ein Coup«, 

antwortete er ausweichend. »Nun, einverstanden?« 

»Ich müßte noch etwas mehr wissen, bevor ich mich 

entscheide, Sir. Sie sprachen von den Paßstraßen nach Mexiko 
und in diesem Zusammenhang von Geschäften. Schmuggeln 
Sie?« 

background image

Doolin nickte. 
»So ungefähr, Miller.« Aus seiner Stimme klang eine 

gewisse Erleichterung. »Wir schleusen Dinge nach Sonora, die 
es drüben nicht gibt. Dafür bringen wir andere Waren herüber, 
die in den Staaten teuer sind. Meine Freunde und ich 
organisierten das Geschäft vor rund fünf Jahren. Bis heute sind 
uns weder die Rurales drüben noch die Armee hier auf die 
Schliche gekommen. Nun?« 

»Wenn das so ist, mache ich mit. Wohin reiten wir jetzt?« 
»In unser Versteck. Ich mache dich dort mit den anderen 

Jungs bekannt. Etwas einzuwenden?« 

»Nein, Boß, absolut nichts. Du erwähntest gerade die Armee. 

Seit wann ist sie hinter Schmugglern her?« 

Doolin machte eine vage Handbewegung. 
»Da ist noch eine andere Sache, die ich erwähnen muß. Die 

Army interessiert sich selbstverständlich nicht für illegale 
Grenzgänger, das ist Sache des US-Marshals von Arizona und 
seinen Deputys. In diesem Land existiert eine Bande, die unter 
verschiedenen Verkleidungen einmal Weiße und dann wieder 
Indianer überfällt. Die Kerle treiben ein seltsames, unerkanntes 
Spiel. Die Armee nimmt an, daß sie Weiße gegen Rothäute 
hetzen, um im Trüben fischen zu können. Eine sehr gewagte 
Sache in einem Land, das vollständig von Cochise beherrscht 
wird.« 

»Weiß er von den Machenschaften dieser Bande?« 
»Glaube ich nicht. Er hält die Bleichgesichter im 

Allgemeinen für die Übeltäter, besonders die Army. 
Umgekehrt sieht's ebenso aus. Was man wirklich denkt, ist mir 
nicht bekannt.« 

»Wer sind diese anderen? Kennst du sie, Boß?« 
Doolin lachte herb und sarkastisch. 
»Dann wäre ich wohl nicht mehr am Leben. Nein, Junge, 

niemand kennt sie. Die Armee würde wahrscheinlich ein 
Vermögen für einen heißen Tip zahlen, aber die Burschen sind 

background image

zu schlau und zu gut organisiert, um in eine Falle zu gehen.« 

Miller sagte nichts mehr. Sein Gehirn lief auf Hochtouren. 

Durch einen puren Zufall war er an die richtige Stelle gelangt, 
die für ihn richtungsweisend sein konnte. 

Doolin hielt sein Pferd an, zog ein Fernglas aus der 

Satteltasche und justierte es auf eine gewisse Stelle weit 
draußen in der Wüste. 

»Wir bekommen Besuch«, sagte er. »Patrouillen im Norden, 

Osten und Westen. Sie kämmen das Land durch.« 

Miller wischte sich den Schweiß von der Stirn. 
»Das gilt mir«, sagte er und stieß einen Seufzer aus. »Was 

jetzt? Sie werden mich fassen.« 

»Es sind nur noch zwei Meilen bis zur Range. Wenn wir uns 

beeilen und du deiner Rosinante kräftig die Flanken kitzelst, 
schaffen wir es und lachen sie aus – Adelante!«  

Ein gewaltiges Dröhnen weckte die beiden Scouts. Setzte das 
Wummern kurzweilig aus, füllten dumpfer Gesang und das 
Klirren von Rasseln und Tamburins die Pausen. 

»Allmächtiger! Was geht dort draußen vor?« Bills Stimme 

klang belegt, mit einem bangen Unterton. »Ist's eigentlich 
schon Tag?« 

John warf die Decken ab und erhob sich. Auf nackten Füßen 

schlich er zum Eingang und spähte durch ein handtellergroßes 
Loch in der Decke. Im gleichen Augenblick setzte das Dröhnen 
der großen Baumtrommeln wieder ein. Der Erdboden zitterte, 
die Schallwellen wurden von den Felswänden zurückgeworfen. 

Draußen graute der Morgen. Es mochte gegen fünf Uhr früh 

sein. Durch den Canyon zogen dünne Nebel wie Geisterarme. 

»Siehst du was?« 
»Nichts Genaues, Bill. Eine Zeremonie oder etwas 

Ähnliches. Was, zum Teufel, treiben die Kerle nur?« 

background image

»Geh doch mal hin und frag' sie.« 
Bill kam zur Öffnung, spähte über Johns Schulter und sah 

nichts als Nebelschwaden und sich bewegende Silhouetten. 
Plötzlich verstummten die Trommeln. Eine Stille trat ein, die 
die Weißen fast lähmte. 

»Vorsicht, da kommt jemand!« rief Bill und zog sich zurück. 
Cochise trat ein. Er mußte sich bücken, um nicht mit dem 

Kopf gegen das starke Geäst der Zweighütte zu stoßen. Er ging 
gemessenen Schrittes zum Feuer und schob mit der 
Mokassinspitze die kalte Asche zur Seite. 

»Er war ein Yuma«, erklärte er. »Wir bestatteten ihn nach 

indianischer Sitte.« 

Die beiden Weißen schwiegen. Sie musterten den 

hochgewachsenen Häuptling und warteten darauf, daß er noch 
etwas sagte. 

»Ein Yuma und ein Feind der Chiricahuas. Dazu stand er im 

Dienst der Weißen.« 

»Macht das einen Unterschied?« fragte John Haggerty 

vorsichtig. »Ein Feind, rot oder weiß, bleibt immer ein Feind.« 

»Aber wenn der Feind tot ist, ist er kein Feind mehr, 

Bleichgesicht. Bei Sonnenuntergang werdet ihr ihm folgen.« 

»Mann, hau bloß ab!« brummte Bill Harwig angewidert und 

spuckte aus. »Ich hielt die Chiricahuas immer für tapfere 
Krieger, die einen gefangenen Gegner ehren und achten, aber 
ich habe feststellen müssen, daß sie feige, hinterhältige und 
blutgierige Mörder sind, die sich an Wehrlosen vergreifen. 
Wenn ihr Mut habt, Cochise, dann laßt uns um unser Leben 
kämpfen.« 

»Gib dir keine Mühe, Bill«, flüsterte John. »Sie können nicht 

anders handeln, weil ihr Leben von der Region diktiert und 
bestimmt wird, in der sie leben.« 

»Zastee!« sagte Cochise kalt. »Töte!« 
»Ja, töte und fahr anschließend zur Hölle«, sagte der Scout 

und wandte sich ab. 

background image

Cochise und John Haggerty musterten sich lauernd. 

Stechende schwarze Augen starrten in Haggertys braune. Ihre 
Blicke schienen aneinander zu klirren wie sich kreuzende 
Degenklingen. Dann glitt der Blick des Chiricahuas zur Seite, 
zum erkalteten Feuer hin, und der Häuptling setzte einen Fuß 
auf einen Stein. 

Eine Sekunde lang überlegte sich John, ob er Cochise kurz 

entschlossen in seine Gewalt bringen sollte. Aber schließlich 
sagte er sich, daß Krieger draußen standen und nur darauf 
lauerten, ihnen bei einer solchen Gelegenheit das Fell zu 
gerben. 

Als hätte Cochise Haggertys Gedanken erraten, ging er zur 

Öffnung und hob die Decke. John erstarrte. Sie waren nackt, 
ungeachtet der kühlen Morgenluft, und trugen nur einen 
Lendenschurz aus Wildleder und hohe Wüstenmokassins, fest 
um ihre sehnigen Waden geschnürt. Ihre breiten, flachen 
Gesichter wirkten leer und ausdruckslos, und ihre Kohlenaugen 
bewegten sich kaum. 

»Sie warten auf dich, Bleichgesicht«, warnte Cochise. 

»Riskiere nichts, was du nicht verantworten kannst.« 

Ein weiterer Krieger betrat den Jacale. Er war kleiner als der 

Häuptling, aber breitschultriger und stämmiger. John erkannte 
ihn. Er war der Indianer, den er zu Boden geworfen hatte. 

Cochise deutete auf ihn. 
»Das ist Wakashi, ein Unterhäuptling der Mimbrenjos. Du 

hast ihn vor seinen Kriegern lächerlich gemacht, weißer Mann, 
und das ist nur mit Blut abzuwaschen. Du wirst mit ihm 
kämpfen!« 

John rührte sich nicht. Er suchte nach einer körperlichen 

Schwäche bei der Rothaut, fand aber keine. Einhundertachtzig 
Pfund Muskeln und Sehnen, kein Gramm Fett unter der 
braunen Haut, dafür Hinterlist, Tücke und Haß in den 
glimmenden Teufelsaugen. 

»Ich werde dich töten, Bleichgesicht«, stieß Wakashi 

background image

grimmig hervor. 

John schien so in seine Gedanken versunken zu sein, daß 

man hätte denken können, er wäre allein in der Zweighütte und 
es gäbe keine Solovorstellung für einen erbarmungslosen 
Häuptling und ein halbes Dutzend der blutgierigsten Krieger 
im ganzen Südwesten. 

»Du gibst keine Antwort«, zischelte der Mimbrenjo 

haßerfüllt. »Ist dir das Herz in die Hosen gerutscht, 
Bleichgesicht?« 

Bill Harwig schob sich ein Stück näher heran. Er wußte 

nicht, was in diesen Sekunden in John Haggerty vorging, aber 
er war gewappnet, zu allem bereit. Waffen hatten sie nicht, 
dafür verfügten die beiden Rothäute über ein ganzes Arsenal. 

John reagierte nicht auf das gehässige Gezischel des 

Indianers. Er sah Cochise an, als wartete er auf eine 
Entgegnung des Häuptlings. Achselzuckend wandte er sich an 
den Mimbrenjo: 

»Ich bin einverstanden. Wann? Mit welchen Waffen und zu 

welchen Bedingungen?« 

Cochise antwortete statt des Unterhäuptlings. Er sagte: 
»Gekämpft wird um die Mittagszeit, wenn die Sonne am 

höchsten steht. Niemand soll einen Vorteil haben. So ist es bei 
uns Sitte und Brauch«, fügte er hinzu, beeindruckt von der 
Gelassenheit des Weißen. 

»Zastee!« krächzte Wakashi, diesmal schon ungeduldiger. 
Cochise beachtete ihn nicht. »Gekämpft wird mit Messer, 

Beil, Lanze und Schleuder. Jeder nimmt die Waffe, die er am 
besten beherrscht… Eine Waffe.« 

Draußen schallte Geschrei durch das Tal. Frauen kreischten, 

riefen Cochises Namen. Er neigte den Kopf, als lauschte er 
einer inneren Stimme. Spontan drehte er sich um und verließ 
die Buschhütte. Wakashi folgte. 

»Warum schreien die Weiber so laut?« wollte Bill wissen. 
»Bleib vom Eingang weg«, gab John Haggerty zurück. 

background image

»Möglicherweise ist tatsächlich etwas passiert.« 

Klagerufe, jammernde Schreie vieler Squaws, zitterten durch 

die indianische Siedlung. Männer versorgten sich lauthals mit 
Informationen. 

Unerwartet schnell öffnete sich der Eingang wieder. Cochise 

stand in der Öffnung. Die strenge indianische Fassung war von 
ihm abgefallen. Er fixierte John Haggerty. 

»Bist du ein Medizinmann bei den Weißen?« 
»Nein. Ist jemand erkrankt?« 
»Tla-ina wurde von der Peitschenspinne gestochen.« 
»Wer ist Tla-ina?« 
»Meine Schwester. Rette sie!« 
John stutzte. Ein Skorpion hier oben in der kalten 

Bergwildnis? Etwas stimmte nicht. 

»Komm!« sagte er nur und verließ das Wickiup. Cochise 

übernahm die Führung und steuerte den großen Häuptling-
Jacale an. Niemand hinderte Bill, ihnen zu folgen. Die 
Behausung wurde von Fackeln und einem hell brennenden 
Feuer erleuchtet. Auf einem Lager kauerte ein junges Mädchen 
und hielt mit der Linken das rechte Handgelenk umklammert. 
Rauch stieg zwischen den Flammen auf und drang durch eine 
Deckenöffnung ins Freie. 

John schnüffelte wie ein Jagdhund. Ein strenger Essiggestank 

wehte durch den Jacale. Er wußte, was der Geruch zu bedeuten 
hatte. Sie hatten den Skorpion zertreten und einfach 
liegengelassen, weil sie dem Mädchen helfen wollten. 

Mehr als zehn anwesende Frauen wichen vor dem Scout 

zurück. Sie bedeckten ihre Gesichter mit den Händen, stießen 
leise, wimmernde Töne aus und wiegten ihre Oberkörper. John 
wunderte es, daß kein Medizinmann zugegen war. Die 
Schamanen waren sonst erpicht darauf, sich bei solchen 
Gelegenheiten zu produzieren. 

John nahm die schmale braune Hand zwischen seine starken 

Finger und betrachtete sie. Vom Gelenk an war sie rot und 

background image

geschwollen. Die Einstichstelle sah seltsam weiß und gelb aus, 
wie tätowiert. Haggerty sah hoch. Ängstliche Blicke streiften 
ihn. 

Dunkle Augen, sanft und vertrauensselig in ihrer Jugend. Sie 

konnte höchstens zwanzig sein, war schlank, nicht größer als 
einssechzig, und sie trug das schwarze Haar lang bis auf die 
runden Schultern. 

Ihr graziler Körper steckte in gebleichtem Wildleder. An den 

Füßen trug sie perlenverzierte Mokassins. 

John ließ die Hand sinken und wandte sich hastig an 

Cochise. »Ich brauche dein Messer. Glüh es im Feuer aus!« 

Der Häuptling verstand und handelte ohne Umschweife. 
Er hielt die scharfe Klinge über die Flammen und wischte sie 

schließlich an seinem Jagdrock ab, den er wegen der 
Morgenkühle über das Hemd gezogen hatte. John nahm das 
Messer aus seiner Hand und setzte die Spitze an. 

Bevor er schnitt, warf er einen beruhigenden Blick auf das 

schöne Gesicht des Apachenmädchens. Rehbraune Augen 
musterten ihn stumm, vielleicht fragend, aber ohne Angst. 

»Bill, halt ihre Hand fest – ganz fest, am Gelenk. Ja, so ist's 

gut. Jetzt!« 

Johns Stimme klang heiser und erregt. Er machte einen 

Kreuzschnitt, drang tiefer mit der Messerspitze ein. Das Blut 
kam in dicken Tropfen und floß in der Hand zusammen. Er hob 
die Hand an seinen Mund und saugte das Gift aus der tiefen 
Wunde. 

»Pressen, Bill, pressen!« keuchte er und saugte wieder, als 

hinge sein eigenes Leben davon ab. Hin und wieder spuckte er 
Blut und Gift zur Seite, während Bill das Handgelenk zu den 
Fingern hin massierte. 

Cochise und die Weiber standen still dabei. Selbst Wakashi 

machte ein Gesicht, als wäre es ihm beim Anblick des 
leidenden Mädchens übel geworden. John spuckte Blut aus und 
saugte wieder und immer wieder, bis das Fleisch schon fast 

background image

weiß wirkte. 

Dann stand er abrupt auf und sah Bill Harwig an. 
»Gib mir deinen Tabak.« Er schob sich eine dicke Prise in 

den Mund und kaute den bitteren Tabak. Dann packte er 
wieder die willenlose Hand, zog die Wundränder auseinander, 
spuckte die Tabakbrühe hinein und preßte die Wunde wieder 
zusammen, bis Blut und Tabaksaft durch die braunen Finger 
tropften. 

Schließlich erhob er sich von den Knien und drehte sich zu 

dem Chiricahua um. 

»Meine Satteltaschen! Cochise, schnell, schnell!« 
Der Häuptling gab Befehle. Jemand verließ den Jacale und 

kam nach kurzer Zeit schon wieder zurück. John warf die 
Taschen auf die Erde, wühlte in ihren Fächern. Er zog ein 
Leinentuch heraus und zerriß es in Streifen. 

Mit flinken Bewegungen verband er die Hand. Tla-ina sah 

ihn dabei forschend an. Ihre großen, sanften Augen blickten 
wie abwesend auf den Weißen vor ihr, in sein schweißnasses 
Gesicht, auf das verklebte braune Haar, das sich in weichen 
Wellen an seinen Kopf schmiegte. 

Und in diesen sonst so unergründlichen indianischen Augen 

erkannte er ein so starkes Mitleid und eine so bedingungslose 
Liebe, wie er es nie in seinem Leben bei einer anderen Frau 
erlebt hatte. Ein Mitleid, das sie für sich selbst und nicht für 
den fremden weißen Mann hätte empfinden müssen. 

John Haggerty wußte, woran sie dachte und was sie 

empfand. Es war nicht nur Dankbarkeit.  

In Santa Magdalena ging es wieder einmal hoch her. Im 
›Gouadeloupe‹ blieb es in dieser Nacht zwar ruhig, aber gleich 
nebenan war der Teufel los. 

Das ›Galiuro‹ war brechend voll und kein freier Stuhl mehr 

background image

zu haben. Das ohrenbetäubende Tosen und Brüllen füllte die 
Town bis in ihren letzten Winkel. 

Der Saloon war voll von Männern aller Altersstufen und 

Rassen. Mischlinge wie Mestizen und Mulatten, Weiße, 
Mexikaner und zivilisierte Indianer saßen an den Tischen oder 
standen vor dem Tresen. Sie diskutierten, lachten, schwatzten, 
tranken Bier, Whisky oder Baconora. 

Nur an einem Ecktisch war es nicht so lautstark. Sechs 

kaltgesichtige Hombres ließen die Flasche kreisen, trugen ihre 
Hüte verwegen nach hinten geschoben und jene Lässigkeit zur 
Schau, die Männern eigen war, die sich in der Wildnis 
bewegten und auf ihre Waffen verließen. 

Über den Bergen ging der Mond auf, färbte den Himmel 

quecksilberfarben, und die Sterne, die nach und nach 
hervortraten, wirkten wie glitzernde Punkte hinter einer 
Mattglasscheibe. Wind trieb Tumbleweed durch die Gassen 
und fegte Staub und Unrat über die Gehsteige. 

Die Stimmung im ›Galiuro‹ steigerte sich von Stunde zu 

Stunde, wurde ausgelassener und lauter. Nach der zweiten 
Flasche drehten sich die Gespräche an dem Ecktisch um ganz 
bestimmte Dinge. Ein hochgewachsener Blondhaariger ergriff 
das Wort und murmelte, ohne kaum die Lippen zu bewegen: 

»Wieder die gleiche Art, wie schon so oft. Überfall auf ein 

indianisches Lager, Tote, keine Zeugen… Zum Teufel, Gilbert, 
wenn jetzt nicht die Hölle losbricht, dann sind die Chiricahuas 
alle Engel.« 

Gilbert Davis nickte. Der Mann mit dem gelben Gesicht und 

den verschwommenen Augen wirkte desinteressiert. Aber wer 
ihn kannte, wußte, daß sein Desinteresse nur wie eine Maske 
war, hinter der er geschickt seine Gedanken verbarg. 

»Richtig, immer die gleiche Art. Eine höllische Methode, 

verdammt schwer durchschaubar. Was meinst du, Mort? Wer 
steckt hinter der ganzen Sache?« 

Mortimer Gale wies mit dem Daumen über die Schulter. 

background image

»Du findest sie alle im ›Gouadeloupe‹, Gil. Ausgekochte 

Typen und skrupellos wie Banditen. Die nehmen einem 
blinden Hund noch den Knochen weg.« 

Während sich die beiden im Flüsterton unterhielten, 

schwiegen die anderen, beobachteten lauernd die Gäste. 

Gilbert Davis nahm das Gespräch wieder auf und stieß Mort 

leicht mit dem Ellbogen in die Seite. 

»Bist du da sicher? Ich glaube, du meinst den Kerl mit der 

geblümten Weste und der dicken Uhrkette. Kennst du ihn?« 

»Er fiel mir nur auf. Überlegen, dieser Mann, dazu 

selbstherrlich und… Nun ja, der Hombre weiß, was er will. Da 
steckt mehr hinter, ich fühle es. Ein durchtriebener Kerl treibt 
ein teuflisches Spiel an der Grenze, um sich die Taschen zu 
füllen.« 

»Aber doch nicht mit dem armseligen Krimskrams, den die 

Rothäute besitzen. Was haben die denn schon an 
Wertgegenständen?« 

»Darum geht's nicht. Der wahre Grund für die Überfälle ist 

mir leider nicht bekannt, Gilbert. Okay, wenn wir davon 
ausgehen, daß sie außer Schmuck, primitiven Waffen und ein 
paar Pferden nichts besitzen, muß man doch vermuten, daß es 
um ganz andere Dinge geht.« 

»Wir müssen es herausbekommen, Mort. Wenn wir die 

Zügel schleifen lassen, graben wir uns selbst das Wasser ab. 
Und wenn die Regierung noch mehr Militär und Sternträger in 
dieses Land schickt, können wir uns mitsamt unseren 
Geschäften begraben lassen.« 

Gilbert Davis warf einen erwartungsvollen Blick auf 

Mortimer Gale und griff nach der Flasche, die ihm sein 
Nachbar zuschob. Er füllte sein Glas, gab die Flasche weiter. 

»Diese verfluchte Bande! Abschaum der Grenze!« fauchte 

Gale. »Wir leben ebenfalls von den anderen, aber wir halten 
uns an die Weißen und lassen die Indianer in Ruhe. Wenn wir 
Wagenzüge, Postkutschen und ein paar Banken überfallen, so 

background image

sind es immer nur Weiße, die darunter leiden müssen. Wir 
leben auf diese Art nicht schlecht, Gil. Wenn wir jedoch diesen 
Höllenhunden nicht bald das Fell über die Ohren ziehen, sind 
wir erledigt.« 

»Man müßte feststellen, wo sie ihr Hauptquartier haben. 

Dann können wir mit denen kurzen Prozeß machen. Überfall – 
aus!« 

»So einfach ist das nicht, Gilbert. Unser Verdacht stützt sich 

nur auf Vermutungen. Wenn der Kerl mit der bunten Weste 
tatsächlich etwas damit zu tun hat, wird es nicht leicht sein, an 
die Bande heranzukommen oder ihre wahren Absichten zu 
erfahren. Ein ganz ausgekochter Hund.« 

Gil ließ der eigene Einfall keine Ruhe. Er bohrte weiter. 
»Man müßte in Erfahrung bringen, wo das Zeug bleibt, das 

sie den Rothäuten klauen. Pferde – hm, die kann man 
verscheuern. Aber für Steinbeile und Feuersteinmesser zahlt 
doch niemand auch nur einen Penny. Interessant ist, daß die 
Überfälle in einem Gebiet stattfinden, das nur von den 
Chiricahuas besiedelt ist.« 

»Ja«, sagte Gale und krauste seine Stirn. »Es fängt in den 

Mogollons an und endet im zerklüfteten Gebiet der Chiricahua 
Mountains im Osten. Im Norden ist der Gila die Grenze, im 
Süden der Camino del Diablo. Aufgefallen ist mir noch, daß 
die Überfälle manchmal an zwei Stellen gleichzeitig 
stattfinden. Die Bande muß mit Leuten der gleichen Art ganz 
gut bestückt sein, mindestens dreißig. Meinst du nicht auch?« 

Gil zuckte mit den Achseln und schwieg. Dafür schaltete sich 

Howard Lee ein. Howard war der Spezialist der Bande – mit 
dem Revolver und mit Dynamit. Dynamit brauchte er, wenn er 
den Safe einer Bank knackte, den Revolver, um Town-
Marshals, Sheriffs und Bankangestellte umzulegen. 

»Das sind dreißig Meilen nach Süden«, sagte Lee näselnd. 

»Was ist das schon? Unser Operationsgebiet erstreckt sich bis 
nach Tombstone hinauf.« 

background image

»Well, und weitere dreißig bis zu den Emery-Plains und 

Animas in Neu-Mexiko«, warf Gilbert Davis ein. »Mann, ist 
das vielleicht nichts?« 

Er erhielt keine Antwort. Die Schwingtür schlug auf. Ein 

kühngesichtiger Mann, nicht sehr groß, dafür aber 
breitschultrig, trat ein. Seine Kleidung war von Staub bedeckt 
und wirkte abgerissen. Er blieb an der Tür stehen und ließ seine 
Blicke kreisen. Dunkle, stechende Augen unter dichten Brauen, 
gebräunte Haut, kantiges Kinn, schmale Lippen und eine 
gerade Nase. 

Diese Augen waren etwas länger auf die sechs Männer am 

Ecktisch gerichtet. Etwas wie Vorsicht glitt über seine Züge, 
und sein Körper spannte sich wachsam. 

»Wer ist der Mann?« fragte Gil seinen Kumpel Mort. 
Mort erwiderte: 
»Ich sah ihn einmal zusammen mit dem Kerl, der die bunte 

Weste trägt.« 

Howard Lee murmelte: 
»Ein Hombre, der wie alle Sterblichen kein heißes Blei 

verträgt.« 

Zwei Desperados lachten, die anderen blieben ernst und 

zurückhaltend. Sie alle fühlten, daß sich etwas anbahnte, was 
sie nicht mehr im Griff hatten. Ihre Blicke folgten instinktiv 
dem Fremden, der sich mit klirrenden Sporen in Bewegung 
setzte. Er trug seinen Revolver links, den Kolben nach vorn 
gedreht, und das Halfter hing tief am Schenkel. 

»Dieser Typ gefällt mir nicht«, brummte Gale. »Zu gelassen 

und selbstsicher, zu – zu…« 

»Wie ein Revolvermann«, unterbrach Howard Lee ihn. 
»Ja, wie ein Revolvermann. Könnte ein Sternträger sein«, 

folgerte Mortimer Gale grübelnd. 

»Wir müssen es genau wissen«, sagte Gil und stand auf. 

»Der Boß spießt uns auf, wenn wir einen Blechschlepper in der 
Stadt dulden.« 

background image

Mort hielt ihn fest. 
»Laß mich's machen«, sagte er. »Besser noch, wenn Howard 

hingeht.« 

Lee erhob sich sofort, ging mit wiegendem Schritt zum 

Tresen. Urplötzlich schien sich eine düstere Wolke in der 
Kneipe auszubreiten und sich beklemmend auf die Gemüter 
aller Anwesenden zu legen. Mit dem feinen Instinkt 
aufmerksamer Beobachter ahnten sie, daß es hier Stunk geben 
mußte. Karten fielen klatschend auf die Tische. Gläser standen 
leer und unbeachtet in Lachen verschütteten Alkohols. 

Der Stranger stand an der Theke und beobachtete Howard im 

Spiegel über dem Gläserschrank. Lee tippte ihm auf die 
Schulter, aber der Fremde drehte sich nicht um. Howard Lee 
tippte noch einmal. 

»Ist was? Spuck's aus und verschwinde, Mann!« 
»Auf ein Wort, Fremder.« 
Langsam drehte sich der Mann um. 
»Ja?« 
»In dieses Kaff verirren sich selten Fremde. Wir wollen 

wissen, wer du bist.« 

»Wer – wir?« 
»Die Gentlemen am letzten Tisch in der Ecke.« 
Der Fremde warf einen gleichgültigen Blick nach hinten. 
»Interessieren mich nicht. Verschwinde!« 
Howard Lee machte den ersten Fehler. 
Er legte gönnerhaft die rechte Hand auf die Schulter des 

kleineren Mannes und drückte leicht zu. Der andere wirbelte 
zur Seite. Seine Faust schoß hoch und landete auf dem Punkt, 
der alle geschwungenen Fäuste magisch anzuziehen schien. 

Lee wurde nach hinten geschleudert und landete zwischen 

den Tischen. Im Saloon wurde es so still wie in einer Kirche 
vor dem Vaterunser. Gil und Mortimer Gale sprangen 
gleichzeitig auf und rissen ihre Revolver aus den Halftern. 

Aber sie waren bei weitem nicht schnell genug. Der Fremde 

background image

zog und schoß. Drei Schüsse krachten. Drei Lampen 
zersplitterten an der Decke und gossen brennendes Kerosin 
über die Gäste. Es wurde dunkel, und als schließlich die 
Hintertür klappte, wußte jeder, daß der Fremde entkommen 
war. 

Der Keeper brachte neue Zylinder und zündete die Lampen 

wieder an. Als das gelbliche Licht den Raum mehr schlecht als 
recht ausleuchtete, kam Lee langsam in die Senkrechte. Er 
bedachte Gil, Mortimer und die anderen mit einem wütenden 
Grunzen. 

Mortimer schrie: 
»Los, hinter ihm her! Alle Mann! Worauf wartet ihr 

Holzböcke? Der Kerl ist ein Spitzel, und wenn wir ihn 
entwischen lassen, bricht uns der Boß alle Knochen im Leib.« 

Sechs Männer verließen in aller Eile den Saloon durch die 

Vorder- und Hintertür. Alle redeten aufgeregt durcheinander. 

Die Gemüter erhitzten sich, aber niemand war da, der sich 

hätte einen Reim auf das Geschehene machen können. 

Eine Stunde vor Mittag. 

Sie starrten sich an, als hätten sie sich nie im Leben gesehen. 

Cochises Gesichtsausdruck wirkte unsicher, verursacht durch 
die Schuld, die er neuerdings John Haggerty gegenüber 
empfand. 

Im Hintergrund kauerten Sho-shu-li, seine Squaw und seine 

Schwester. Das Mädchen lag mit verbundener Hand auf dem 
Lager und ließ keinen Blick von den beiden Weißen. John 
Haggerty machte einen erschöpften und ausgebrannten 
Eindruck. Die Operation hatte ihn mehr mitgenommen, als er 
sich zugestehen wollte. 

Stille herrschte im Jacale. Die anderen Squaws waren nach 

draußen gegangen und tuschelten hier und da. Nicht ein 

background image

einziger Krieger ließ sich sehen. 

»Am Abend muß ich den Verband erneuern«, sagte Haggerty 

mit schwerer Zunge. »Einverstanden?« 

Cochise blickte ihn ernst und sehr nachdenklich an. 
»Wird Tla-ina nicht wieder ohne deine Hilfe gesund?« 
John zuckte mit den Achseln. 
»Ich weiß es nicht. Der Verband muß regelmäßig erneuert 

werden, sonst tritt eine Blutvergiftung ein. Kein Mensch 
könnte deine Schwester dann noch retten.« 

»Wakashi ist ein großer und starker Krieger, Bleichgesicht. 

Er wird dich besiegen und töten.« 

Ein leiser Schreckensruf ertönte hinter dem Häuptling. Bevor 

John Haggerty antworten konnte, schlug die Decke beim 
Eingang zurück. Ein junger Krieger betrat den Raum. Seine 
Ähnlichkeit mit Cochise war verblüffend. Die gleiche 
Adlernase, den gewölbten Brustkorb, die hochgewachsene 
Gestalt… 

Cochise drehte sich zu ihm um, deutete auf John Haggerty 

und sagte in spanischer Sprache: 

»Das ist der weiße Mann, der die zweite Tochter meines 

Vaters vor dem Stich der Peitschenspinne rettete. Mein Sohn 
Naiche.« 

Der junge Krieger, höchstens 18 Jahre alt, trat mit ernstem 

Gesicht vor und reichte John nach europäischer Sitte die Hand. 

»Ich bin Naiche«, sagte er, drückte die dargebotene Rechte 

und wies auf die ältere Squaw. »Meine Mutter Sho-shu-li. In 
deiner Sprache heißt das ›Regenbogen‹. Wir alle stehen in 
deiner Schuld, Weißauge.« 

Haggerty sagte: 
»Niemand schuldet mir etwas, Naiche. Was in meinen 

bescheidenen Kräften steht, werde ich tun, um ›Sanfter Wind‹ 
zu retten.« 

Cochises Miene drückte Zweifel aus. 
»Vielleicht bist du in einer Stunde tot, Bleichgesicht.« 

background image

In seinen Worten lag etwas, das Antwort von Haggerty 

forderte. 

John erwiderte: 
»Ich fürchte den Mimbrenjo nicht, und er wird mich auch 

nicht besiegen. Was meinst du, Bill? Schafft er es?« 

»Du bist im Gebrauch ihrer Waffen ungeübt, mein Junge. 

Nimm dich in acht. Zu große Selbstsicherheit ist hier nicht 
angebracht.« 

Naiche ließ den Scout keine Sekunde aus den Augen. Wenn 

er nach einem Anzeichen von Furcht in Johns Zügen suchte, 
sah er sich getäuscht. Dieser weiße Mann war so furchtlos wie 
ein Apache. Er legte Haggerty eine Hand auf die Schulter und 
sagte leise: 

»Ich schulde dir das Leben Tla-inas, Weißauge. Ich werde 

für dich kämpfen.« 

Wieder ein erstickter Schreckensruf aus dem Hintergrund. 

›Sanfter Wind‹ richtete sich auf dem Ellbogen auf und suchte 
den Blick Cochises. Der Häuptling stand mit gesenktem Kopf 
und wiegte leicht seinen Oberkörper. Mit belegter Stimme 
sagte er: 

»Ein Chiricahua kämpft nicht mit einem Mimbrenjo, kein 

Apache kämpft gegen einen anderen Apachen. Das wäre der 
Untergang unseres Volkes.« 

Nach diesen Worten verließ er den Jacale. Die beiden Frauen 

und Naiche starrten ihm nach. Nach einer Weile wandte sich 
der Häuptlingssohn wieder an John. 

»Mein Vater hat entschieden. Ich werde dem Großen Geist 

ein Opfer bringen und für dich beten, Weißauge.« Er schien 
nachzudenken und fügte hinzu: »Sei auf der Hut, Wakashi ist 
heimtückisch und gemein wie eine Klapperschlange.« 

»Ich werde auf mich aufpassen, Naiche. Wann bringt man 

mir die Waffen zur Auswahl?« 

»Du wirst es rechtzeitig erfahren.« Naiche wandte sich ab, 

kehrte aber noch einmal um. »Wenn du zu ›Sanfter Wind‹ 

background image

mußt, dann gehe hin. Niemand wird dich belästigen.« 

»Danke«, sagte John Haggerty und gab Bill einen 

verstohlenen Wink.  

Sie verließen das Wickiup hinter dem Häuptlingssohn und 
gingen zu ihrem eigenen Jacale. Bill fiel Johns tiefer Ernst auf 
und blieb stehen. Sofort spürte er die Lanzenspitze seines 
Bewachers in seinem Rücken. Aufgebracht drehte er sich um. 

»Hau ab, du Laus!« schrie er unbeherrscht. Die Rothaut wich 

tatsächlich ein paar Schritte zurück. Bill ging weiter. 
Unentwegt schaute er den Freund an. »Was ist mit dir, John? 
Angst vor dem Kampf?« 

»Quatsch! Ich denke nach.« 
»Ist das jetzt der richtige Zeitpunkt dafür? Mann, 

konzentriere dich auf den Kampf! He, worüber denkst du 
nach?« 

»Über die Tatsache, wie ein Skorpion in die Berge kommt. 

Ich meine, es lohnt sich, darüber nachzudenken.« 

»Finde ich nicht. Warum soll es hier keine Skorpione 

geben?« 

John Haggerty kicherte. 
»Der Mangel an Schlaf hat deinen Geist lahmgelegt, wie? 

Skorpione sind Wüstenspinnen, die Wärme und ihre gewohnte 
Umgebung brauchen. Fällt bei dir jetzt der Nickel?« 

»Gar nichts fällt. Tu mir den Gefallen, John. Hör auf mit dem 

Unsinn. Skorpione leben überall, auch hier im Gebirge.« 

»Idiot«, sagte der Scout aufgebracht. »Ich sage dir, es gibt 

keine Skorpione hier oben. Viel zu kalt.« 

Sie betraten ihr Wickiup und unterhielten sich am 

brennenden Feuer weiter. Irgend jemand, wahrscheinlich die 
alte Squaw, hatte inzwischen das Frühstück hingestellt. Auf 
einem Stein lagen flache Brotkuchen, sogenannte Tortillas, 

background image

gebratene Fleischscheiben und ein Topf mit einem Brei, der 
ausgezeichnet duftete und noch besser schmeckte. 

Während sie sich über das Essen hermachten, dabei klares 

Quellwasser tranken, dachten sie beide über ihr Gespräch nach. 
Bill Harwig kapierte allmählich. Er runzelte die Brauen und 
schob sich grübelnd zwei Stücke Fleisch gleichzeitig in den 
Mund. 

»Well, was meinst du zu der Sache?« 
John verstand sofort. 
»Ein Attentat«, sagte er. 
»Wieso? So was gibt es doch nur unter den Weißen.« 
»Nahm ich bisher auch an. Aber ein hochgiftiger Skorpion in 

dieser Bergwildnis läßt mich jetzt anders denken.« 

Bill Harwig mußte das erst verarbeiten und brummte ein paar 

Töne vor sich hin, die ebensogut der Ausdruck einer 
Begeisterung über das Essen sein konnten. Nach einer Weile 
fragte er: 

»Wer?« 
John zuckte mit den Achseln. 
»Wenn ich das nur wüßte. Unter den Chiricahuas wird es 

auch schlechte Charaktereigenschaften wie Haß, Neid, Ärger 
wegen verschmähter Liebe und Ähnliches geben.« 

»Wer, zum Teufel, tut so was? Dieses unschuldige Mädchen 

– so hübsch, so…« 

»Vorsicht, Bill! Keine Schwärmereien. Wir können nicht mal 

ahnen, wie sie so etwas auffassen. Möglicherweise…« 

Wieder wurden sie gestört. Cochise trat ein und blieb hinter 

John stehen. Er trug die traditionelle Wüstenkleidung der 
Apachen, ohne die Wildlederjacke. Draußen war es inzwischen 
wärmer geworden. 

Als John Haggerty sich weder umdrehte noch sonst zu 

erkennen gab, daß er die Anwesenheit des Häuptlings bemerkt 
hatte, setzte sich Cochise schweigend beim Feuer nieder und 
starrte in die Flammen. 

background image

»Du hast alles überlegt, weißer Mann. Zu welchem Resultat 

bist du gekommen?« 

John wußte, was er meinte. 
»Der Anschlag auf das Leben deiner Schwester wird sich 

wiederholen. Aber dann wird es kein Skorpion sein.« 

Cochise nickte. Bill Harwig stieß die Arme in die Höhe und 

fragte laut: 

»Bei allen Dämonen dieser Erde, wovon redet ihr?« 
»Wir unterhalten uns über das Attentat. ›Sanfter Wind‹, hoffe 

ich, wird mit dem Leben davonkommen. Das schließt natürlich 
einen weiteren Mordversuch nicht aus. Cochise weiß das so gut 
wie ich.« 

Der Häuptling nickte mit ernstem Gesicht. Tiefe Falten 

hatten sich um seine Nasenflügel eingegraben, und unter seinen 
Augen lagen braune Schatten. 

»Du sprichst klug, Bleichgesicht. Rede weiter! Wen hast du 

im Verdacht?« 

John Haggerty wehrte ab. 
»Ich bin ein Weißer, Cochise, deshalb kenne ich eure Sitten 

und Gebräuche nicht. Für mich steht fest, daß man die 
Peitschenspinne aus der Ebene heraufgebracht und in den 
Jacale der Frauen geschmuggelt hat. Der Grund ist mir 
allerdings nicht klar, und wen sie stechen sollte, kann ich dir 
auch nicht sagen.« 

Cochise hob den Kopf. Seine dunklen Augen funkelten. Die 

Hand, die er gegen den Scout ausstreckte, zitterte. 

»Töte ihn, Bleichgesicht! Töte ihn! Zastee!« 
Mit einem Sprung stand er auf den Beinen und verließ die 

Laubhütte. Wie benommen blickten ihm die beiden Weißen 
nach.  

Der Reiter paßte sich der Dunkelheit der Nacht an und trieb 

background image

sein Pferd unbarmherzig durch die Canyons der Pahute Range. 
Lange nach Mitternacht tauchte er in eine langgezogene, 
gewundene Schlucht ein und parierte dort sein Tier. Er gönnte 
dem Pferd eine Verschnaufpause von einer halben Stunde, 
stieg dann wieder auf und ritt im gemäßigten Tempo weiter. 

Als die ersten Bodennebel durch die Täler zogen, lenkte er 

sein Pferd in einen engen Canyon und gelangte schließlich in 
ein grasbewachsenes breites Tal, das von einem Wasserlauf 
durchquert wurde. Drei Blockhäuser standen so trutzig unter 
Hickorybäumen, als wollten sie der ganzen Welt Widerstand 
bieten. 

Der Reiter glitt aus dem Sattel, brachte sein Pferd in einen 

Stallanbau, rieb es gründlich ab und warf ihm Hafer und Heu 
vor. Zu trinken bekam es nichts. 

Der Mann verließ den Stall, steuerte die linke der drei 

Blockhütten an und drückte die Tür auf. Stille empfing ihn, 
Dunkelheit und der scharfe Geruch von Whisky. 

»Du bist schon zurück, Elvis?« 
Die Stimme klang weder trunken noch müde. Wash blieb 

stehen und gewöhnte seine Augen an die Dunkelheit. 

»Warum machst du kein Licht, Boß?« 
»So kann ich besser denken. Warum bist du schon wieder 

zurückgekommen? Du solltest herausfinden, was man in der 
Stadt über den Überfall auf die Indianer erzählt. Warum…« 

»Moment, Boß, sachte! Hör mich erst mal an.« Elvis Wash 

konnte Hank Doolins Kopf und die Schultern in der Finsternis 
ausmachen. »Sie wollten mich umbringen. Wahrscheinlich 
erkannten sie mich.« 

»Wer?« 
»Die andere Bande.« 
»Verdammt! Schon wieder? Du bist getürmt. Wie ich dich 

kenne, hast du wie ein Dieb in der Nacht Reißaus genommen, 
als sie dich anpöbelten.« 

»Das mußte ich, wenn ich am Leben bleiben wollte«, 

background image

verteidigte sich Wash. »Wenn ich nicht die Lampen 
ausgeschossen und durch die Hintertür geflüchtet wäre, stünde 
ich jetzt nicht hier.« 

»Okay, setz dich!« 
Wash nahm Platz. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit 

gewöhnt und erkannten nun Einzelheiten. 

Doolin schob sich ein bißchen zur Seite. 
»Weiter!« 
»Was weiter? Ich habe dir alles gesagt.« 
»Du hattest einen Auftrag. Was hast du in Erfahrung bringen 

können?« 

»Nichts. Es blieb keine Zeit dazu. Du mußt einen anderen 

schicken, Boß, den man in Santa Magdalena nicht kennt. Das 
verdammte Nest ist das reinste Tollhaus. Wenn die mich noch 
einmal sehen, lynchen sie mich.« 

»Ich schicke den Neuen oder reite selbst hin«, sagte Doolin, 

kaum beeindruckt von Elvis' Selbstverteidigung. »Morgen früh 
breche ich auf. Hau dich jetzt in die Falle, Elvis.« 

Wash stand auf und verschwand so lautlos wie ein Gespenst. 

Doolin schenkte sich ein Glas voll und trank genüßlich. Er war 
allein in der Hütte, und nur wenn er allein war und sich 
unbeobachtet fühlte, trank er. 

Seine Leute schliefen alle – dachte er. 
Er sah nicht, wie draußen eine Gestalt um die Blockhütte 

strich und schließlich das Ohr an den Fensterladen legte. Der 
Mann hatte schon vorher gelauscht, als Wash seinen Bericht 
abgegeben hatte. Er war lediglich in die schützende Dunkelheit 
zurückgewichen, als der Outlaw die Blockhütte verließ und zu 
seiner Unterkunft schlenderte. 

Als der heimliche Lauscher nichts vernahm, verließ er seinen 

Horchposten und öffnete die Tür des nächsten Blockhauses. 
Elvis Wash stand vor seiner Koje und kleidete sich aus. 

»Hey!« sagte Curt Miller, zog sich einen Stuhl heran und 

setzte sich an den Tisch. »Wo bist du gewesen, El?« 

background image

»In Santa Magdalena. Spezialauftrag vom Boß. Nichts draus 

geworden. Mist! Man erkannte mich, und ich mußte flüchten.« 

»Ganz schön sauer, wie?« 
»Der Boß? Klar, der ist sauer. Gesagt hat er allerdings 

nichts.« 

»Besinn dich!« 
»Wozu?« fragte Wash mißmutig. »Warum sich anstrengen? 

Ist doch alles egal, oder nicht? Er reitet bei Tagesanbruch 
selbst in die Stadt. Soll er doch. Ihm geht es mehr um die 
andere Bande. Er will feststellen, was man über unseren letzten 
Coup redet. Ich weiß wirklich nicht, was er sich bei der ganzen 
Sache denkt.« 

»Wann habt ihr denn das Ding gedreht?« 
»In der Nacht vor vier Tagen. Du warst noch nicht hier. Hat 

nicht 'ne Bohne eingebracht. Nur Plunder, sage ich dir. Da sind 
die anderen besser dran. Die nehmen jeden Monat eine 
Postkutsche aus oder eine Bank. Und glaub's mir, dieses 
Geschäft lohnt sich.« 

Miller begriff. Er drehte sich eine Zigarette und zündete sie 

über der Kerosinlampe an. In der hinteren Doppelkoje 
schnarchte ein Mann mit offenem Mund. Sonst war es still in 
der Blockhütte, wie in einer Gruft. 

Miller wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen und Wash mit 

gezielten Fragen hellhörig machen, aber er konnte sich die 
nächste Frage nicht verkneifen. 

»Ihr überfielt ein Indianerlager, machtet die Leute nieder 

und… ja, was denn noch? Zum Teufel, das bringt doch nichts 
ein. Doolin sagte mir, er brauche einen Scout, der die Pässe 
nach Sonora kennt.« 

»Das ist es doch. Wir könnten leben wie Gott in Frankreich, 

wenn Doolin nur etwas vernünftiger wäre. Was er mit dem 
Krimskrams anfängt, den wir erbeuten, weiß der liebe 
Himmel.« 

Wash war ehrlich entrüstet. Er starrte Miller an und machte 

background image

eine höhnische Grimasse. 

»Ich nahm an, daß er die Beute nach Mexiko bringt und dort 

verscheuert. Wozu braucht er sonst einen Scout?« 

Wash lächelte höhnisch. 
»Was sollen wohl die armen Schweine von Peone mit dem 

indianischen Plunder anfangen? Sie sind so arm, daß sie sich 
nicht mal 'ne Hand voll Mais kaufen können. Alles Unsinn.« 

»Dann kapiere ich das Ganze nicht«, sagte Miller und drehte 

sich eine neue Zigarette. 

»Wir schon lange nicht, Hombre. Einer hatte mal 'ne Idee. 

Als er sie lautwerden ließ, holte Doolin ihn aus den Stiefeln.« 

»Was für eine Idee?« 
»Ach, nur so. Ich rede nicht gern darüber. Man weiß nie, auf 

welchem Weg es wieder zu Doolin gelangt.« 

Miller tat gleichgültig. 
»Du kannst mir vertrauen, El. Die Armee sucht mich, und 

wenn sie mich kriegt, stellt sie mich an die Wand. Bis nicht 
Gras über die Sache gewachsen ist, habe ich draußen keine 
Chance.« 

Wash kam zum Tisch und setzte sich im Unterzeug auf einen 

Stuhl. 

»Er machte mich zu seinem Segundo, weil ich eine ziemlich 

schnelle Hand habe. Aber ich bin ihm weniger wert als ein 
Hund, dem man einen Fußtritt gibt. Buster Liven erzählte 
damals jedem, der ihm zuhörte, Doolin gäbe die Beute der 
anderen Bande. Keine Ahnung, ob da was dran ist. Kannst dir 
selbst einen Reim darauf machen.« 

Miller dachte darüber nach. Nach einer Weile sagte er: 
»Das hätte nur Sinn, wenn die anderen den Plunder 

gebrauchen können. Zum Beispiel bei einem 
Postkutschenüberfall oder auf einen Wagenzug. Die 
Beutestücke als Hinweis auf den Täter bei einem gesprengten 
Tresor zurückzulassen, wäre des Guten zuviel getan. Niemand 
würde das glauben.« 

background image

»Das war auch Busters Meinung«, entgegnete Wash, stand 

auf, setzte sich auf die Bettkante und zog die Wollsocken aus. 

»Deswegen mußte er sterben«, sinnierte Miller. »Okay, 

gehen wir schlafen. Morgen ist auch noch ein Tag.«  

Die Sonne stand genau im Zenit. Schatten gab es nicht. Sogar 
der Wind war eingeschlafen. 

Wakashi stand John Haggerty gegenüber. Beide waren bis 

zum Gürtel nackt. 

Die Auswahl der Waffen war ihnen nicht schwergefallen. 

Der Indianer hatte die Lanze  gewählt, John den Tomahawk. 
Mit dem Kriegsbeil konnte er zur Not umgehen, die anderen 
Waffen waren ihm weniger vertraut. 

In einem weiten Kreis standen Krieger, Frauen und Kinder. 

Schweigend sahen sie zu, wie sich die Gegner umkreisten. 
John hielt Ausschau nach ›Sanfter Wind‹, aber er sah sie 
nirgendwo. Auch Cochise und Naiche konnte er nicht 
entdecken. 

Der Apache griff an. Er sprang vor und wieder zurück, 

fintete mit der Lanze, wich einem Beilhieb aus und sprang mit 
einem Riesensatz aus dem Gefahrenbereich. Krieger 
murmelten beifällig. 

Wieder stieß Wakashi mit der Lanze vor. John drehte sich 

um seine Achse und drückte den Speer zur Seite. Unmittelbar 
vor ihm bewegte sich Wakashis schwarzhaariger Kopf. 

Ehe John die Streitaxt heben und zuschlagen konnte, war 

Wakashi schon wieder blitzschnell ausgewichen. Lange Zeit 
ging der Kampf so weiter. Dann und wann kamen Zurufe der 
umstehenden Krieger, sonst war kein Laut zu hören. 

John wußte, daß es ein Kampf auf Leben und Tod war, und 

daß er nicht die geringste Rücksicht zu erwarten hatte. Er war 
auf der Hut, beging nicht den kleinsten Fehler und ließ den 

background image

Indianer kommen. 

Wakashi kam. Tödliche Entschlossenheit strahlte aus seinen 

Augen, trieb ihn an. Die Lanze  zuckte vor, wurde am 
Armriemen zurückgerissen. John war mit einem tänzelnden 
Schritt zur Seite geglitten und versuchte, einen Beilhieb 
anzubringen. 

Das mißlang. 
Als er sich halb umdrehte, sah er Naiche neben dem 

Häuptlingsjacale stehen. Der junge Chiricahua schien sehr 
besorgt zu sein. John wußte, warum. Mit seiner hellen Haut 
machte er nicht gerade eine gute Figur neben dem Indianer. 

Wieder griff Wakashi wütend an. Die Lanze zuckte vor, zur 

Seite und zurück. Die Apachen konnten es fast so gut wie die 
Comanchen in den Plains, obwohl die Lanze nicht ihre 
Hauptwaffe war. 

Wakashi tänzelte auf seinen kniehohen Wüstenmokassins 

heran und fintete wieder. Diesmal fiel John nicht auf ihn 
herein. Er blieb seelenruhig stehen und ließ die scharfe 
Feuersteinspitze an seiner Brust vorüberzischen. 

Dann schlug er zu. Knirschend brach das Eschenholz. Ein 

lauter Schrei aus mehr als 40 Männerkehlen toste zu den 
Hängen empor. 

Wakashi war waffenlos. John hatte mit einem Schlag den 

Schaft seiner Lanze gebrochen. 

Aber die Rothaut gab keineswegs auf. Den Rest des 

Lanzenschaftes wie einen Knüppel schwenkend, stürzte er sich 
auf den verhaßten Weißen. Wieder war es John Haggerty, der 
die Nerven behielt. 

Der Unterhäuptling griff mit seinen plumpen Händen nach 

ihm und versuchte, dem Gegner den zersplitterten Schaft ins 
Gesicht zu stoßen. John war schneller. Er wirbelte herum, 
Wakashi entgegen. 

Seine Rechte traf seinen Gegner am Kinn, trieb ihn gegen 

den Ring aus Menschenleibern zurück. Ein tiefes Knurren 

background image

entrang sich Johns Kehle, und er schlug wieder zu. Wakashi 
sackte auf die Knie, packte einen Stein und schleuderte ihn mit 
aller Kraft auf den Weißen. 

Der Stein traf John Haggerty am Kopf, betäubte ihn fast, und 

dann stürzte sich der Apache auf den großen Scout, trat mit den 
Füßen nach ihm, schlug auf ihn ein, keuchte wie verrückt. 

»Hau mit der Axt zu!« schrie Bill Harwig wütend. »Mäh ihn 

einfach um!« 

Die Apachen brüllten: 
»Zastee! Töte!« 
John hieb nach den Beinen des Gegners, aber Wakashi 

sprang wie eine Feder über das gefährliche Kriegsbeil hinweg. 
Der Indianer war stark, hatte Muskeln so hart wie Stahl. Er 
drängte Haggerty bis zu einem Felsbrocken, der auf der 
Grasnarbe lag. 

John berührte den Felsen mit seinem Rücken. Wakashi kam 

auf ihn zu, trat nach ihm und wollte sich von der Seite her auf 
den verhaßten Weißen stürzen. 

Da stieß sich der Scout mit dem Rücken ab, gab sich einen 

Vorwärtsschwung und legte alle Kraft in den vorschnellenden 
Arm. 

Seine geballte Hand erwischte den Indianer voll. Blut rann 

ihm aus der Nase. 

Er schüttelte sich wie ein Bison, an dessen Flanken Wölfe 

hingen. 

John setzte nach, drosch mit schwingenden Fäusten wild auf 

den Chiricahua ein. Das Beil lag vergessen am Boden. 

Wakashi schnappte röchelnd nach Luft, flog gegen den Fels. 
Mit glasigen Augen stand er vornübergebeugt, und als ihn 

Johns Faust voll auf den Punkt traf, rutschte er an dem Stein 
herab, blieb liegen, rührte sich nicht mehr. 

»Mach ihn fertig!« rief Bill Harwig und gestikulierte wie 

wild mit den Armen. 

»Zastee!« schrien die Rothäute voller Zorn. 

background image

Dann wieder der Scout: 
»Töte ihn, John, bevor er dich später umbringt!« 
John hatte genug vom Kampf, trat zurück, gab dem 

Tomahawk einen verächtlichen Tritt und ging auf die 
festgeschlossene Mauer der Krieger zu. 

Naiche trat ihm entgegen. 
»Du darfst ihn nicht am Leben lassen, Hellauge. Das ist 

gegen das Gesetz der Chiricahua. Töte ihn!« 

»Ich schenke ihm sein Leben«, sagte John Haggerty einfach. 
»Er wird es dir kaum danken«, flüsterte Naiche ihm zu. 

»Töte ihn, noch ist's Zeit!« 

John schüttelte den Kopf, ging mit raumgreifenden Schritten 

zu seinem Wickiup und verschwand darin. Bill folgte ihm und 
hielt ihn am nackten, schweißnassen Arm fest. 

»Mensch, bist du von Sinnen? Wie kannst du nur die Rothaut 

am Leben lassen? Los, Mann, schnapp ihn dir und schick ihn 
zum alten Manitu!« 

John blieb beim erkalteten Feuer stehen. Er sah Bill an, 

lange, wie geistesabwesend. 

»Ist nicht schon an der Grenze getötet worden?« fragte er. 
»Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun«, herrschte 

Harwig ihn an. »Wenn er sich eines Tages deine Haare um die 
Finger wickelt und sein Skalpmesser an deiner Kopfhaut 
ansetzt, weißt du, was du falsch gemacht hast.« 

John Haggerty setzte sich auf sein Lager, drehte sich eine 

Zigarette und zündete sie mit dem letzten Streichholz an. 

»Ich bin Sieger geblieben. Mal sehen, was jetzt kommt. 

Irgendwie befriedigt mich der Kampfabschluß nicht.« 

»Kein Wunder, Mann. Du hättest ihn umbringen sollen. 

Einer weniger – was macht das schon aus?« 

»Viel«, antwortete John ernst, lehnte sich zurück und schloß 

die Augen.  

background image

Am Abend wurde John Haggerty von Cochise abgeholt. Der 
Jacale war hellerleuchtet. Ein großes Feuer brannte in seiner 
Mitte, und über den Flammen briet das Viertel einer Antilope. 

Tla-ina, ›Sanfter Wind‹, blickte ihm entgegen. Ihr Gesicht 

war gerötet, tiefe Schatten lagen unter ihren sanften Augen. 

John erschrak. Mit einem langen Schritt stand er bei ihrem 

Lager, ergriff ihre Hand. Das letzte Stück war festgeklebt. Mit 
einem kurzen Ruck riß er das Leinen von der Wunde. 

Die sah nicht gut aus. Tabaksaft war scheinbar doch nicht 

das richtige Desinfektionsmittel. Noch war keine 
Blutvergiftung eingetreten, aber wenn John die Wunde richtig 
beurteilte, konnte sie noch während der Nacht eintreten. 

Als er sich aufrichtete, stand Naiche neben ihm. Der junge 

Mann machte eine besorgte Miene. Er sagte etwas zu Cochise, 
und der Häuptling sagte: 

»Unsere Medizinmänner kennen Kräuter, die Entzündungen 

hemmen, Weißauge. Dürfen sie sich um die kranke Hand von 
›Sanfter Wind‹ kümmern?« 

John Haggerty nickte. 
»Ich glaube, ich bin mit meinem Latein am Ende. Laß den 

Medizinmann herkommen.« 

»Was ist das, Latein?« 
John machte eine vage Handbewegung. 
»Eine Sprache unserer Gelehrten. Naiche, hol den 

Heilkundigen deines Volkes.« 

Der junge Krieger ging vor das Wickiup, sprach draußen mit 

jemand und kam sofort darauf zurück. John setzte sich auf Tla-
inas Lager und hielt die kranke Hand in seinen Händen. 

»Wir kriegen das schon wieder hin, keine Angst«, sagte er in 

spanischer Sprache. 

»Ich habe keine Angst, wenn du in meiner Nähe bist«, 

flüsterte das Mädchen. 

Cochise saß beim Feuer und drehte die Astgabel mit dem 

Fleisch. Er warf einen seltsamen Blick herüber, schwieg sich 

background image

jedoch aus. Was er dachte, darüber war sich John klar. 

Die Klappe beim Eingang wurde zur Seite geschlagen. Ein 

alter Apache trat ein und murmelte einen Gruß. Naiche erklärte 
ihm, worum es ging. Der alte Mann setzte sich ans Feuer, zog 
ein Rohledersäckchen aus den Falten seines Jagdrocks, öffnete 
es und nahm eine Prise grauen Pulvers heraus. Er schüttete das 
Zeug in ein Tongefäß und gab Wasser zu. Langsam verrührte 
er das Ganze über dem Feuer zu einem Brei. 

Die Mischung stank bestialisch. John hätte sich am liebsten 

die Nase zugehalten, wagte es aber nicht. Die schmale Hand in 
der seinen zuckte. Aber kein Klagelaut kam über die Lippen 
des Mädchens. Endlich war der Schamane fertig, kam mit dem 
Gefäß herüber. 

Während er die heiße Salbe auf die Wunde strich, beachtete 

er den Weißen nicht. Als er fertig war, sagte er etwas in seiner 
Sprache zu Naiche, der die Worte übersetzte. 

»Büffelhorn sagt, die Wunde muß wieder verbunden werden, 

Weißauge. Hast du noch Stoff?« 

John nickte, stand auf und ging zu seinen Satteltaschen, die 

unbeachtet in einer Ecke des Wickiups lagen. Er nahm das 
Leinen heraus, riß einen langen Streifen ab und machte sich 
daran, die kranke Hand des Mädchens frisch zu verbinden. 
Dann stand er auf und warf den alten Verband ins Feuer. 

Der Medizinmann murmelte etwas Unverständliches, packte 

sein Pflanzenpulver ein und verließ die Behausung. John setzte 
sich zu Cochise und Naiche ans Feuer. ›Regenbogen‹ schnitt 
von der Antilope Scheiben ab und servierte sie auf kleinen 
Brettern. Jeder zerteilte sein Fleisch mit dem Messer und 
benutzte die Spitze als Gabel. Es gab frisch gebackene 
Brotfladen dazu, Tortillas. 

Nach dem Essen reichte der Häuptling kleine Holzschalen 

mit Tizwin herum, einem gegorenen Getränk aus Agave. John 
nippte daran und fand das Zeug nicht einmal schlecht. 

»Ich habe Washaki besiegt«, sagte John Haggerty auf 

background image

spanisch. »Wann werde ich gemartert?« 

Die tönernen Wasserspeiergesichter des Häuptlings und 

seines Sohnes starrten ihn ausdruckslos an. 

»Morgen. So verlangt es das Gesetz der Chiricahuas«, 

antwortete Cochise mit tiefem Ernst. 

»Morgen«, wiederholte John Haggerty und nickte zu seinen 

Worten. »Morgen also? Okay, Jefe, dann eben morgen. Ein 
guter Tag zum Sterben, wie jeder andere.« 

Cochise und Naiche warfen sich einen langen Blick zu. 

Naiche schüttelte leicht den Kopf, aber Cochise ignorierte das 
Zeichen. Tla-ina sprach zu ihrem Bruder, doch John verstand 
sie nicht. Er hörte lediglich den drängenden Ton in ihrer 
Stimme. 

Naiche übersetzte die Worte des Mädchens, und in jedes 

Wort, das er sagte, legte er ein besonderes Gewicht. 

»›Sanfter Wind‹ bat soeben um dein Leben, Hellauge, aber 

der Jefe verschließt sein Ohr gegen ihre Stimme. Wir werden 
sehen…« 

Naiche ließ den letzten Satz ausklingen und beschäftigte sich 

mit einer zweiten Fleischportion, die er sich von dem Wildbret 
abschnitt. War es eine Verlegenheitsgeste? 

»Was tut Wakashi?« fragte John Haggerty interessiert. 

»Sinnt er auf Rache?« 

Cochise nickte. 
»Sein Haß wird ihn eines Tages töten – oder der Stachel 

einer Peitschenspinne.« 

»Oder der Biß einer Klapperschlange dich, der einer 

Sandviper deinen zweiten Sohn«, entgegnete John gefühllos. 
Er mußte deutlicher werden, um den Chiricahua aus der 
Reserve zu locken. 

»Ich rieche Schlangen«, sagte Cochise düster. »Keinem wird 

es gelingen, mich umzubringen.« 

»Der Mimbrenjo?« 
»Ich habe nicht behauptet, daß Washaki ein Mörder ist.« 

background image

Naiche fügte hinzu: »Ich bin der zweite Sohn. Tonka, der 
Erstgeborene, fiel im Kampf gegen die Gelbhäutigen.« 

Gemeint waren Mexikaner. 
Naiche sprach noch einmal den Weißen an: 
»Du meintest mich?« Unglauben lag in seiner Stimme. 
John antwortete: 
»Dich, Naiche. Der Jefe hat keine weiteren Söhne mehr.« 
Der junge Krieger erhob sich, strich sich die Leggins glatt 

und wandte sich schweigend ab. Als er das Wickiup verlassen 
hatte, herrschte Stille beim Feuer. 

»Du hast ihn verletzt«, sagte Cochise. 
»Das wollte ich nicht, bei Gott, das wollte ich wirklich nicht. 

Es war nur als Warnung gemeint, Jefe.« 

»Ich weiß es, und Naiche weiß es morgen auch.« 
Als John den Kopf einmal wandte, sah er den flehenden 

Blick des jungen Indianermädchens. Er verstand nicht, was 
sich abspielte, was die Rothäute dachten und fühlten. Er 
wischte sich die fettigen Hände an den Hosenbeinen ab und 
ging zum Ausgang. Niemand hielt ihn auf.  

Durch die Gran Desierto schleppte sich mühsam ein Zug von 
vier hochbeladenen Murphis. Flaniert wurde er von drei blau 
gekleideten Reitern auf jeder Seite, angeführt von einem 
Sergeant, dem ein Scout in Zivil voranritt. 

Der ständige Kampf gegen Hitze, Treibhausluft, Reptilien 

und wehenden Sandteufeln hatte die Männer zermürbt und bis 
auf die Knochen ausgelaugt. Am meisten aber machten ihnen 
die Fata Morganen zu schaffen, die während der größten 
Tageshitze um die Mittagszeit auftauchten, sie narrten, ihnen 
Trugbilder vorgaukelten und schließlich hinter den nächsten 
Sanddünen verschwanden. 

Sergeant Bill McCleff hielt sein stolperndes Pferd an und 

background image

wartete. Auch der Scout konnte nicht mehr weiter. Er glitt vom 
Sattel, ließ sich in den Schatten sinken. Seine haarige Hand 
fuhr sich über das heiße, verschwitzte Gesicht. 

Langsam näherten sich die schwerbeladenen Fahrzeuge. Von 

je sechs stämmigen Gäulen gezogen, mahlten sich ihre Räder 
durch den pulverfeinen Sand und ließen lediglich zwei breite 
Reifenspuren zurück. 

Sergeant McCleff ritt noch die wenigen Yards bis zu dem 

Scout und ließ sich ebenfalls wie tot aus dem Sattel fallen. 

»Hast du schon mal solch eine Hitze erlebt, Horus?« 
»Nein«, erwiderte der Scout. »Die Hölle kann nicht 

schlimmer sein. Wieviel Wasser haben wir noch?« 

»So gut wie nichts mehr, Horus. Was wir noch haben, ist für 

die Pferde.« 

»Wir Menschen können verrecken, wie?« 
»Uns fragt niemand, ob wir's wollen. Man sagt uns nur: 

›Sergeant McCleff, Sie bringen den Wagenzug sicher nach Fort 
Apache‹. Die haben ja am grünen Tisch keine Ahnung, wie die 
Wüste aussieht. Die Gila ist schon schlimm, aber die Desierto 
ist schlimmer als die Hölle. Ich komme mir vor, als würde ich 
täglich aufs Neue geröstet.« 

»Wirklich kein Wasser, Bill? Nicht einen einzigen Tropfen?« 
»Nicht mal die Hälfte eines Tropfens, Horus. Tut mir leid, 

ich habe meine Befehle.« 

»Befehl hin, Befehl her. Wenn wir hier krepieren, ist dem 

Fort auch nicht mehr zu helfen. Wir müssen mehr an uns 
denken, Sergeant.« 

Bill McCleff zuckte mit den Achseln. 
»Du solltest eigentlich wissen, daß unsere Chancen, hier 

herauszukommen, so gut wie Null sind. Du kannst dich mit 
deinem Zossen in Sicherheit bringen und morgen das Gebirge 
erreichen. Ich kann's nicht. Mir sind die Männer und die 
Frachten anvertraut.« 

»Ohne Wasser hält mein Gaul keine drei Stunden mehr 

background image

durch. Wie soll ich unter diesen Umständen die Berge 
erreichen?« 

»Beim Camino del Diablo gibt es mehrere Quellen. Die 

Indianer kennen sie, und die Scouts kennen sie teilweise auch. 
Horus, hau ab. Ich schaff's schon mit den Jungs.« 

Der Scout warf einen sehnsüchtigen Blick nach Norden, 

zuckte zusammen, bedeckte dann die Augen mit der Hand 
gegen die starke Sonnenblendung. 

»Indianer!« stieß er hervor. »Mehr als zehn.« 
Bill McCleff fuhr hoch. Weggewischt waren Müdigkeit und 

Durst. Er sah sie in einem langen Zug hintereinander 
herankommen. 

»Apachen«, sagte er. »Chiricahuas oder Tontos. Wenn sie 

uns zu dicht auf die Pelle rücken, fassen sie uns aus der 
Flanke.« 

»Die Wagen sollen schneller aufrücken.« 
Der Sergeant drehte sich um und winkte mit dem grauen 

Feldhut. Die Fahrer und das Begleitpersonal hatten die Indianer 
bereits gesehen und trieben ihre Zugtiere mit lauten Zurufen 
an. Aber es half nichts. Die Rothäute auf ihren flinken Ponys 
waren schneller als die schwerfälligen Murphys. 

McCleff erkannte, was ihnen drohte. Sie waren so nahe 

gekommen, so daß er ihre Kriegsbemalung erkennen konnte. 
Ocker, gelb und erdrot. 

»Es sind Chiricahuas«, sagte er. »Und ein Unterhäuptling 

führt sie an.« 

»Ein Häuptling«, bemerkte Horus trocken. »Vielleicht 

Victorio oder Nana?« 

»Oder Cochise selbst.« 
»Ausgeschlossen. Cochise ist der Stammesführer, der Jefe. 

Wenn er Krieger anführt, ziehen sie einen schwarzen Streifen 
quer durch die Kriegsbemalung. Was befiehlst du, Bill?« 

»Kugelspritzen raus und drauf! Sobald sie angreifen, muß 

jeder Schuß sitzen. Wenn nur die Wagen schneller fahren 

background image

würden.« 

Die Indianer griffen nicht an. Außer Schußweite ritten sie an 

den Fahrzeugen vorbei und sammelten sich hinter dem Treck. 

»Allmächtiger!« stieß Bill entsetzt hervor. »Diese feigen 

Schweine rollen die Murphys von hinten her auf. Warum 
unternimmt Corporal Nubock nichts?« 

In diesem Augenblick ging der Zauber eine Viertelmeile 

entfernt los. Die Apachen ritten an, feuerten eine Salve auf die 
Soldaten ab, die die Hälfte der Männer aus den Sätteln riß, und 
dann jagten sie auf ihren flinken Ponys an der rechten Seite der 
Kolonne vorbei und schossen auf alles, was Zügel hielt. 

»Schießen, Nabock!« brüllte McCleff. »Ich bringe dich vor 

ein Kriegsgericht, du Höllenhund, wenn du nicht den Befehl 
zum Feuern gibst.« 

Corporal Nubock sollte nie mehr ein Kriegsgericht erleben. 

Die erste Salve hatte ihn bereits aus dem Sattel geholt. Er lag 
auf dem glutheißen Boden und starrte aus blicklosen Augen in 
den messingfarbenen Himmel. Wehender Sand deckte ihn zu. 

Der Kampf war bald entschieden. Die sporadischen Schüsse 

der wenigen Dragoner verstummten. Es wurde so still in der 
Wüste, daß Bill McCleff sie hören zu können glaubte. 

»Das ist das Ende, Bill«, sagte Horus. »Bereite dich auf den 

Tod vor.« 

»Den Teufel werde ich. Laß sie nur kommen. In meinem 

Colt stecken sechs Kugeln, in der Enfield eine weitere.« 

Wie hüpfende Buschgeister stoben sie erneut auf ihren Ponys 

heran. Bevor Horus und Bill zum Zielen kamen, schmetterte 
die Salve aus ihren weittragenden Gewehren zwischen die 
beiden Männer. Bill starb in den Stiefeln. Als er in den Sand 
fiel, war er schon tot. Horus gab noch einen Schuß ab, der aber 
nicht traf. Dann schickte ein Querschläger auch ihn auf den 
letzten Trail. 

Horus Darris erstickte an seinem eigenen Blut. Er merkte 

nicht mehr, wie die Rothäute abdrehten und sich an den Wagen 

background image

zu schaffen machten, die Pferde ausschirrten und die Planen 
von den Aufbauten rissen. Er hörte auch den schrillen Pfiff 
nicht mehr, mit dem der Anführer seinen Leuten ein 
bestimmtes Zeichen gab oder eine Nachricht vermittelte. 

Und wenn er gesehen hätte, wie ein Indianer die Stätte des 

ungleichen Kampfes abritt und wahllos Pfeile, zersplitterte 
Bogen und beschädigte Streitäxte auf den Boden warf, hätte 
sein Verstand vollends ausgesetzt.  

Nacht. 

Bill Harwig schnarchte leise, aber nervenzerfetzend. John 

konnte nicht schlafen. Er mußte immerzu an den Skorpion und 
an den Kampf mit dem Mimbrenjo denken. 

Auch die steinerne Miene Cochises drängte sich in seine 

Vorstellung, und John fragte sich, weshalb der Jefe die leisen 
Zurufe seiner Schwester mißbilligt hatte. 

Auch Naiche erschien in dem ständigen Wechsel von Schlaf 

und Wachträumen. Er nickte ihm wiederholt zu. Seine Lippen 
bewegten sich, doch John vernahm keinen Laut. 

Tief in seinem Unterbewußtsein rangen verschiedene 

Gefühle miteinander. Am stärksten war bei ihm der Drang, zu 
seiner Einheit zurückzukehren. Zu vieles war geschehen, 
worüber sich das Oberkommando Gedanken machen mußte, 
und mehr noch, wovon er nichts wußte, weil ihn die lange 
Isolation im Chiricahua-Lager davon abhielt, seine Pflicht zu 
tun. 

Ein Geräusch vor der Laubhütte schreckte ihn auf. Er tappte 

zum Eingang und spähte hinaus. Der Platz vor dem Jacale war 
leer, aber er hätte schwören mögen, daß er gesehen hatte, wie 
sich etwas bei Cochises Wickiup bewegte. 

Ein Knistern in seinem Rücken ließ ihn sich umwenden. Bill 

Harwig war erwacht und richtete sich auf. Verschlafen rieb er 

background image

sich die Augen. 

»Still!« zischte John Haggerty. »Keinen Mucks!« 
Bill erhob sich von seinem Lager, ging zu Haggerty. Wie ein 

Hauch klang seine Stimme an Johns Ohr: 

»Ist da was?« 
»Keine Ahnung. Wir müssen fliehen. Wenn sie uns wieder 

schnappen, werden sie uns nicht gleich die Ohren abschneiden. 
Cochise will nicht mehr unbedingt unser Blut.« 

Bills Augen funkelten wild. 
»Uns nichts tun? Wenn sie uns fangen, John, ziehen sie uns 

den Skalp bei lebendigem Leib ab. Diese roten Teufel sind die 
Verderbtheit selbst.« 

John grinste. 
»Gesprochen wie ein Bronco.« Noch leiser fügte er hinzu: 

»Ich werde mich draußen ein wenig umsehen. Wir müssen 
wissen, wo sie Posten aufgestellt haben.« 

»Ich lasse dich nicht allein gehen«, flüsterte Bill grimmig 

entschlossen. 

John Haggerty nickte, schob sich durch den Vorhangspalt 

hinaus und drückte sich eng an die Hüttenwand. Es war keine 
Menschenseele zu sehen. Trotzdem hatte er das Gefühl, von 
hundert Augen beobachtet zu werden. John hatte alle 
Möglichkeiten einer Flucht und ihre Chancen einkalkuliert. 
Aber etwas hatte er vergessen: die Person eines einzigen 
Mannes im Camp. 

Wie eine große Katze glitt er zu dem großen Wickiup 

hinüber. Rauch drang aus der Deckenöffnung. Zu hören war 
nichts. Er spähte zurück. Bill stand draußen und beobachtete 
ihn. Plötzlich meldete Johns Instinkt eine drohende Gefahr. 

Er blieb stehen und kauerte sich zusammen. Eine Gestalt 

wuchtete vor ihm hoch. Stahl blitzte im verschwommenen 
Sternenlicht. Die Masse eines Menschen fiel auf ihn, und als er 
die Hand zur Abwehr hob, griff er mitten hinein in das 
herabzuckende Messer. 

background image

Der Scout riß die Beine in die Höhe, traf den Gegner in der 

Magengegend. Keuchen, gedämpfter Schmerzenslaut. Und 
dann sah er den hellen Fleck einer Holzperlenkette mit dem 
Medaillon auf der nackten Brust. 

Wakashi! 
Zähnefletschend stürzte sich der Mimbrenjo erneut auf den 

verhaßten Weißen. John bekam ihn an der Schulter zu fassen, 
wälzte sich auf ihn und drückte ihn mit der Last seines Körpers 
gegen den Boden. 

»Verdammter weißer Hund!« 
John hielt dem Indianer den Mund zu, aber Wakashi biß ihn 

so fest, daß der Scout seine Hand wieder lösen mußte. 

Der Mimbrenjo versuchte einen Messerstoß von unten nach 

oben. Wenn er getroffen hätte… John Haggerty hatte keine 
Zeit, sich das auszumalen. 

Seine Hand packte das Messer mitsamt den Fingern, die das 

Heft umschlossen, und drückten es nach außen. Mit einem 
Schmerzensschrei ließ Wakashi die Waffe fahren. Schnell griff 
John danach. 

Er hob die Klinge, und als der Indianer sich unter ihm 

aufbäumte, stieß er zu. 

Unter ihm erschlaffte der sehnige Körper, streckte sich, lag 

dann ruhig. Gebrochene Augen starrten zu den Sternen. 

Müde richtete John Haggerty sich auf. Bill stand immer noch 

dort drüben und blickte herüber. Eine Hand legte sich auf 
Johns Schulter. Er wirbelte herum, das Messer zum Stoß 
erhoben. 

»Willst du mich ebenfalls töten?« fragte Cochise gelassen. 
Der Scout ließ das Messer fallen, gab ihm einen Stoß mit 

dem Fuß. 

»Nein, Jefe, dafür gäbe es keinen Grund.« 
Cochise starrte auf den Leichnam. 
»Du hast nachgeholt, was du versäumtest.« 
»Er griff mich an, ich mußte ihn töten. Sein Geschrei machte 

background image

das Lager rebellisch.« 

Über die harten Züge des Häuptlings glitt es wie Verstehen. 
»Du wolltest dich davon überzeugen, wieviel Wachen um 

das Lager postiert sind?« Cochise schüttelte den Kopf. »Du 
wärest niemals entkommen, weißer Mann.« 

»Kann ich mir denken«, brummte John und wurde hellhörig. 
Füße knirschten im Sand. Jemand kam um das Wickiup. Das 

Gesicht der Wache verzerrte sich auf eine schreckliche Weise, 
als sie den Toten erkannte, und dann stieß der Indianer einen 
Schrei aus, der Tote hätte aufwecken können. 

»Allmächtiger Gott im Himmel!« keuchte Haggerty heiser. 

Er wollte sich umdrehen, zu seiner Behausung zurückkehren, 
aber er konnte nicht. 

Ein Gewehrlauf bohrte sich in seine Brust, ließ ihn mitten in 

der Bewegung erstarren. Die flammende Wut in den Augen des 
Indianers und die Gnadenlosigkeit verhießen nichts Gutes. 

Immer mehr Rothäute tauchten auf. Sie beobachteten den 

Weißen kalt und teilnahmslos, als nähmen sie Maß für die 
bevorstehende Marter. 

Johns Zeit war abgelaufen.  

Im großen Armeelager östlich von Tucson donnerte der 
einarmige General Oliver O. Howard mit der Faust auf den 
Tisch. Howard war ein Mann, den nichts aus der Ruhe bringen 
konnte, aber die Nachricht, die ein indianischer Scout 
überbracht hatte, erschütterte ihn. 

Howard runzelte die Stirn, starrte die beiden Colonels finster 

und abschätzend an, als wollte er in ihren Gehirnen nachlesen, 
was sich dort unten in der Gran Desierto abgespielt hatte. 

Es gelang ihm nicht. Colonel White senkte den Blick. 

Colonel Gary Walberg starrte auf die gegenüberliegende 
Zeltwand, an Howard vorbei. Wenn sein Vorgesetzter in dieser 

background image

Form die Stirn runzelte, braute sich allemal ein Hurrican 
zusammen. 

»Was haben Sie dazu zu sagen, meine Herren?« 
White antwortete: 
»General… Sir. Ich kann nur das wiederholen, was ich 

immer festgestellt habe: wir sind zu schwach. Um diesen 
Cochise in seine Schranken zu verweisen, benötigen wir ein 
weiteres Truppenkontingent von 4000 Infanteristen, Dragonern 
und Haubitzen. Der Train müßte verstärkt werden, der 
Nachschub besser organisiert und auf einen moderneren Stand 
gebracht…« 

»Ach was!« unterbrach Howard ihn schnarrend. »Sie wissen 

doch, daß Washington uns keinen einzigen Mann mehr zur 
Verfügung stellt. Sie halten uns vor, wir könnten nicht mal die 
San Carlos Reservation im Griff halten, und, das soll in diesem 
illustren Kreis ruhig einmal ausgesprochen werden, sie halten 
mich für einen Tölpel.« 

»Sir!« 
»Es ist so. Ihre Empörung hilft uns nicht weiter. Sherman 

ließ es unmißverständlich durchblicken. Schwamm drüber, 
Gentlemen. Wir sind in einer prekären Lage, die fast an 
Ausweglosigkeit grenzt.« 

Er klatschte die flache Hand auf den Tisch, daß Tintenfaß 

und Federkiel einen Luftsprung machten. 

»Jeder Tag bringt uns Meldungen dieser Art, lesen Sie 

selbst.« Howard schob den beiden Offizieren ein Stück Papier 
über den Tisch. »Das war vorgestern. Was gestern geschah, 
wissen wir noch nicht, und was morgen geschieht, noch 
weniger.« 

Die Offiziere beugten sich über die Meldung. Ihre Lippen 

bewegten sich beim Lesen, Walberg sprach den Text sogar 
halblaut vor sich hin. 

»Camp San Carlos/Arizona, 6. Mai 1870. Aufgenommen von 

Lieutenant Stephan O'Neil, Wachoffizier. Zur Sache: Kurz vor 

background image

Mitternacht kehrte eine drei Mann starke Apachen-Patrouille 
aus dem südlichen Teil des Territoriums zurück. Die Apachen 
sagten einstimmig aus, in der wasserlosen Wüste Gran Desierto 
auf einen ausgebrannten und beraubten Wagenzug der Armee 
gestoßen zu sein, von dem der Brand nichts weiter 
übriggelassen hatte, als die schwer brennbaren dicken 
Wagenbohlen und die eisenbeschlagenen Reifen. Fahrer und 
der militärische Begleitschutz unter der Führung des 
fronterfahrenen Sergeant Bill McCleff und des weißen Scouts 
Horus Darris, wurden allesamt tot, von Raubvögeln völlig 
verstümmelt, vorgefunden. Den äußeren Umständen nach zu 
schließen, war der Treck, der die Forts Buchanan und Apache 
mit Nachschub versorgen sollte, von Chiricahuas angegriffen 
und vernichtet worden. gez.: Lieutenant O'Neil Offizier der 
Wache.« 

Walberg und White hoben die Köpfe gleichzeitig und 

blickten sich betreten an. Colonel White faßte sich zuerst. 

»Dort unten, so weit im Süden, also auch.« 
»Nun?« fragte Oliver O. Howard gereizt, »ist das etwa 

nichts? Hat's Ihnen die Sprache verschlagen, oder was ist mit 
Ihnen los?« 

White faßte sich ein Herz, ging zum Kartentisch und zog den 

Plan des südlichen Territoriums aus dem Stapel. Seine 
Fingerkuppe blieb auf einem bestimmten Punkt liegen. Als er 
sich umdrehte, stand eine steile Falte auf seiner Stirn. 

»Sir, ich halte es für unwahrscheinlich, daß hier Apachen am 

Werk waren. Wie schon so oft wird Cochise eine Sache in die 
Schuhe geschoben, die er nicht beging. Sehen wir uns 
gemeinsam die Karte an, Gentlemen. Hier und hier…«, er 
tippte auf das steife Papier, »ja, und hier kann der Überfall 
stattgefunden haben. Drei Stellen, die so unübersichtlich sind, 
daß nur sie in der ganzen Wüste in Frage kommen.« 

»Na also«, murmelte der General lustlos. 
White hob die Hand, wechselte einen schnellen Blick mit 

background image

Colonel Walberg. 

»Nein«, sagte er. »General… Sir. Ich verwette meinen Kopf, 

daß der Apache mit dieser Sache nichts zu tun hat.« 

»Andere Indianer etwa? Die Utes oder Yumas?« 
»Wenn ja, nur in Verbindung mit Weißen. Damit komme ich 

schon zu dem, was ich sagen will. Weiße und Indianer, Weiße 
und Utes oder Yumas. Wir wissen, daß gerade die Yumas gern 
mit den Weißen zusammenarbeiten. Alle anderen Stämme sind 
untereinander verfeindet und schließen keine Bündnisse 
untereinander ab.« 

»Danke«, sagte Oliver O. Howard nachdenklich. »Ich 

glaube, Sir, ich verstehe Sie immer noch nicht.« 

White hob den Kopf und streckte ein wenig die Brust heraus. 
»Desperados«, sagte er leise. Dann mit mehr Festigkeit in der 

Stimme: »Seit langem habe ich den Verdacht, daß eine Bande 
von Outlaws sich der indianischen Tarnung bedient, um ihre 
Verbrechen zu kaschieren und den Verdacht auf die Apachen 
zu lenken. Es kann nicht anders sein.« 

»Nun gut. Was schlagen Sie vor?« 
»Eine Garnison am Camino del Diablo, die in der Lage ist, 

alle Wege nach Mexiko zu kontrollieren und auch die Gran 
Desertio mit Patrouillen beschicken kann.« 

»Und woher soll ich die Garnison nehmen, Colonel White?« 
Der schwieg resigniert. 
Walberg hatte eine spontane Idee. 
»Sie können sich direkt mit diesem Vorschlag an General 

Philip Sheridan wenden, Sir. Die California Volunteers unter 
General James Carleton beteiligen sich brennend gern an der 
Jagd auf Cochise.« 

Vor dem Zelt knirschten die Stiefel zweier Posten. Staub 

rieselte an der Westseite des Leinenzelts. Das waren die 
einzigen Geräusche. 

»Wir können es versuchen«, sagte Howard nach einer Weile 

schleppend. »Ich werde Ihrem Rat folgen, Gentlemen. Gute 

background image

Nacht.«  

Der nächste Tag verging in quälender Langeweile. John hatte 
am Morgen Tla-inas Wunde untersucht und festgestellt, daß die 
Entzündung zurückgegangen war. Die erwartete Marterung war 
ausgeblieben, und außer einem langatmigen Palaver war nichts 
geschehen. 

John Haggerty beobachtete die Alte, die unter asthmatischem 

Schnauben und Prusten das Feuer entfachte und aufgespießte 
Fleischstücke über den Flammen briet. Ihre braunen 
Wurzelknotenhände bewegten sich dabei flink und zielstrebig. 

Zu dem gerösteten Fleisch gab es gebackene Tomaten und 

süße mexikanische Kartoffeln, die in der heißen Asche 
gedämpft wurden. Sie lebten gar nicht schlecht in ihren 
Apacherias, die Chiricahuas. 

Nach dem Abendessen kam Naiche. Er schleppte eine Decke 

an den verknüpften Enden zum Feuer und schlug die Zipfel 
zurück. John bekam Stielaugen. 

Seine und Bills Waffen, die Satteltaschen und alles, was 

ihnen gehört hatte, lag säuberlich verpackt auf der Decke. 

»Heute nacht ist Vollmond«, sagte Naiche. »Die Krieger der 

Chiricahuas haben sich entschlossen, euch die Freiheit zu 
geben. Cochise fühlt sich zu Dank verpflichtet und…« 

John unterbrach ihn mit einem Zischen und deutete auf die 

Alte. Naiche hob beide Finger an die Ohren und schüttelte den 
Kopf. Die Squaw war taub. 

»Die Chiricahuas lassen euch ziehen, aber nehmt euch vor 

den Mimbrenjos in acht. Was hast du nun vor, Hellauge?« 

»Ich bin Scout der Army, Naiche, das erklärt alles.« 
»Dann werden wir uns eines Tages als Feinde 

gegenüberstehen. How!« Er griff in sein Calicohemd, nahm 
etwas Weißes heraus, ein Amulett, und reichte es Haggerty. 

background image

»›Sanfter Wind‹ schickt es dir als Zeichen ihrer Dankbarkeit. 

Meine Mutter Sho-shu-li schließt dich in ihre Gebete an den 
Großen Geist ein und erbittet sichere Wege für dich. Ich gehe 
jetzt.« 

»Stop!« sagte John mit einem leichten Kratzen im Hals. 

»Und du, Naiche? Wie denkst du über mich?« 

Naiches Augen blieben ausdruckslos. 
»Drei Tage bleiben wir Freunde, Hellauge. Danach wird es 

wieder so sein wie zuvor. Wenn wir uns mit der Waffe 
gegenüberstehen, wird einer von uns beiden sterben. How!« 

Er verließ den Jacale. Bill trat näher, starrte auf sein 

Eigentum. 

»So viel Menschlichkeit und Entgegenkommen hätte ich von 

diesen Armabschneidern wirklich nicht erwartet. Im Geist sah 
ich meinen schönen Skalp schon vor einem Jacale trocknen.« 

»Laß das, was du gerade sagtest, keinen Apachen hören, 

Bill.« 

»Was denn?« 
»Armabschneider. Nur die Cheyennes schneiden den Toten 

nach einem Kampf die Arme als Trophäe ab, dafür skalpieren 
sie nicht. Los, nimm deine Sachen zu dir!« 

»Verschwinden wir jetzt schon?« 
»Wir warten, bis der Mond aufgeht. Ohne Pferde kommen 

wir sowieso nicht weit. Ich bin sicher, daß die Mimbrenjos eine 
regelrechte Treibjagd auf uns veranstalten. Well, lassen wir uns 
überraschen.«  

Zwei Stunden vor Mitternacht fingen im Lager die 
Baumtrommeln an zu wummern. Zahllose Stimmen schrien 
durcheinander. Das »Zastee! Zastee!« wurde immer wieder 
gebrüllt. 

Bill warf einen kurzen Blick auf Haggertys sorgenvolles 

background image

Gesicht und fragte: 

»Was hat das zu bedeuten, John?« 
»Schlechte Medizin für uns, denke ich. Irgend etwas ist den 

Leuten wie eine Laus über die Leber gelaufen.« 

»Haben wir einen Fehler gemacht?« 
»Warten wir's ab, ich weiß es nicht. Pst, da kommt jemand!« 
Cochise trat ein. Sein Gesichtsausdruck wirkte düster. Eine 

tiefe Nachdenklichkeit beschattete auch seine Augen. Er setzte 
sich auf Haggertys Lager. 

»Du kennst die große Wüste im Süden, weißer Mann?« 
»Die Gran Desierto? Ja.« John wartete ab. Er mußte nun 

vorsichtig, wachsam und zu allem bereit sein. »Was ist mit 
ihr?« 

»Frachtwagen der Blauhemden wurden vernichtet – von 

Chiricahuas. Nur, kein Chiricahua betritt je dieses wasserlose 
Land, das den Utes und Yumas gehört.« 

»Du willst damit sagen, daß es nicht die Chiricahuas waren?« 
Cochise nickte. 
»Ich bin für Frieden, Bleichgesicht. Für jeden Weißen, den 

wir töten, treten zehn, hundert, tausend andere an seine Stelle. 
Wir Indianer sind wie Inseln in einem Meer von Weißen.« 

John Haggerty gab keine Antwort. Er wußte von alledem und 

rechnete mit dem Untergang der roten Rasse. Durch die 
Auflehnung der Indianer wurde er aufgehalten, aber nicht aus 
der Welt geschafft. Im Norden kämpften sie gegen die Armee 
und die weißen Eindringlinge, im Süden gegen die 
expandierenden Mexikaner. Ein hoffnungsloser Kampf. 

»Was kann ich für dein Volk tun, Jefe?« fragte John 

Haggerty mit einem Würgen in der Kehle. 

»Nichts«, antwortete der Häuptling. »Du allein bist zu 

schwach.« Er stand auf, streifte Haggerty noch einmal mit 
einem kurzen Blick und ging zum Hüttenausgang. Dort blieb er 
stehen und sagte über die Schulter: »›Sanfter Wind‹ wird sich 
von dir mit zwei Pferden verabschieden. Nehmt euch in acht, 

background image

Bleichgesichter!« 

Und weg war er. 
Was er zurückließ, war der bittere Geschmack der 

Hilflosigkeit auf Johns Zunge. Der Scout stand neben dem 
Feuer, den Kopf gesenkt, die Augen halb geschlossen. Ein 
Frosthauch lief über seinen Rücken, und die Kälte, die da 
heraufkroch, nahm auch Besitz von seinem Denken und 
Fühlen. 

Das Wummern der großen Trommeln hallte wieder durch die 

Nacht. Es brach ab, begann von neuem, um dann vom scharfen 
Keckern der Rasseln und Kürbiskerne kurz unterbrochen zu 
werden. 

Bill Harwig schlich zum Eingang, lüftete die Decke etwas. 

Ihm verschlug es die Sprache. 

»Allmächtiger!« stöhnte er. »Jesusmariaundjoseph! Hast du 

so was schon gesehen, John? Das ist Höllenphantasie, eine 
Ausgeburt des Jenseits, eine – eine… Mensch, mir verschlägt's 
die Sprache.« 

»Was ist los?« 
»Komm her und sieh dir das an!« 
John ging hin, starrte auf eine Szene, die dem Inferno von 

Dante entnommen sein konnte. 

Zwischen den Hütten brannte ein riesiges Feuer. Um die 

Flammen tanzte eine Kriegerhorde, halbnackt, die Oberkörper 
mit Fett eingerieben. Stahl blitzte im züngelnden 
Flammenschein. Kalter Stahl, mit Bärenfett eingerieben und an 
einem Sandstein geschärft. 

Ein Heulen und animalisches Brüllen brauste durch das Tal, 

daß die beiden Weißen glaubten, die Erde berste, und die 
Hänge glitten donnernd und brausend den aufgestülpten 
Erdmassen entgegen. 

Die Nacht war keine Nacht mehr, sie wurde zu einem 

grellbeleuchteten Winkel von Luzifers Reich, zu einem Inferno 
von Flammen und Heulen. Satans Horden waren losgelassen 

background image

und steigerten sich durch den Kriegstanz in eine ekstatische 
Raserei, für die es nicht genügend Worte gab, um sie zu 
beschreiben. 

»Großer Gott«, flüsterte Bill Harwig entsetzt. »Wenn die 

über uns herfallen…« 

John sprach mit leiser, drohender Stimme. 
»Sie sollen uns ja vom Hals bleiben, oder der alte Spinner da 

vorn hat eine Kugel in seinem feisten Wanst.« 

»Wer ist der alte Geißbock?« 
»Einer ihrer Schamanen, was weiß ich. Er schürt zum Krieg 

gegen die Weißen, Bruderherz. Das kann uns beiden das Leben 
kosten, noch ehe der Zauber zu Ende geht.« 

»Um Gottes willen, John«, murmelte Bill wie gelähmt. »Ich 

habe ja schon mehr als einmal erlebt, daß sie uns an den 
Kragen wollten, aber so doch noch nicht.« 

John Haggerty grinste. 
»Bis jetzt hatten wir immer Schwein gehabt. Wird schon 

weiterhin klappen.« 

Draußen schnaubte ein Pferd. Es klang von der Rückseite der 

Hütte. Ein Huf stampfte, ein zweiter. Das kurze Schnaufen 
klang aus, eine Gebißkette klirrte. 

Bevor sich die beiden Weißen umdrehen konnten, ratschte 

etwas durch die dünnen Zweige der hinteren Wand und teilte 
sie. Eine Hand winkte. Diese Hand trug einen weißen Verband. 
John lief hin, sprang über das inzwischen erkaltete Feuer und – 
starrte in Tla-inas Gesicht. Große Augen sahen ihn an. 

»Komm«, hauchte das Mädchen, »komm schnell!« 
John war verwirrt. Die drängende Stimme verriet höchste 

Gefahr. 

»Schichobe«, fragte sie, »alter Freund, erkennst du mich?« 
Er nickte. Bill drängte an ihm vorbei, war schon draußen, als 

John immer noch im Jacale stand und dem mörderischen 
Gebrülle lauschte. 

»Sikisn«, sagte John leise. »Ich bin dein Bruder.« 

background image

Sie nickte, ergriff seine Hand, zerrte ihn heraus. Als er sie 

streifte, fühlte er ihre festen Brüste unter der Felljacke. Die 
Nacht war kalt und dunstig. Den tanzenden Chiricahua schien 
das nichts auszumachen. Als John Haggerty aufblickte, sah er 
die gesattelten Pferde vor sich. Ihre eigenen Pferde. 

›Sanfter Wind‹ drängte sich an ihn, schob ihre gesunde Hand 

unter sein Hemd. Ihre Finger berührten das Amulett. Sie 
lächelte und schien befriedigt. 

»Komm!« hauchte sie. »Du mußt fort. Sie betrinken sich mit 

Tizwin, Cochise wird sie nicht lange zurückhalten können.« 

Das war es. John Haggerty hatte es gewußt. Etwas war 

eingetreten, was die Rothäute völlig aus dem Häuschen trieb. 

Die Dunkelheit nahm sie auf und hängte ihren mitleidigen 

Umhang vor die grausige Szene beim Feuer. Halbblind tappte 
John in die Finsternis und betete still in sich hinein, daß bald 
der Mond aufgehen möge. 

›Sanfter Wind‹ sprach ein leidliches Spanisch. Ihre Stimme 

klang wie das Geläut von Glocken in einem Kirchenstuhl. Sie 
drängte weiter, weg von dem unheimlichen Platz. 

Ein schmaler Canyon nahm sie auf, der auf die Mesa führte. 

Nach einer halben Stunde waren sie oben und rangen 
schweißgebadet nach Luft. Das Mädchen stand so nahe neben 
dem Scout, daß er ihren Herzschlag fühlte. 

»Du mußt nach Westen, immer nach Westen, Schichobe. 

Werden wir uns wiedersehen?« 

Er drehte sich zu ihr herum, nahm ihre Oberarme zwischen 

seine Hände. Sanft zog er sie an sich. 

Eine elementare Gewalt ging unvermittelt von ihr aus. Sie 

schlang ihre Arme um seinen Nacken und küßte ihn. 

John Haggerty fühlte sich plötzlich in den Mittelpunkt 

ungewollter Geschehnisse gerissen, die ein heftiges Verlangen 
in ihm auslösten, ein Verlangen nach diesem schönen 
Indianermädchen. Sie küßten sich wieder und wieder, während 
Bill grinsend aber diskret sich abwandte und die Pferde mit 

background image

blinkenden Augen zusahen. 

Als sie beide Atem schöpfen mußten, hielt der Scout das 

Mädchen von sich ab. 

»Wir sehen uns wieder, das verspreche ich. Ich habe dir und 

Naiche mein Leben zu verdanken, dafür erhaltet ihr…« 

Sie schüttelte den Kopf. 
»Nicht mir und Naiche, sondern Cochise. Danke ihm, nicht 

uns.« 

»Wie kann ich das?« 
»Indem du den Krieg verhinderst.« 
»Großer Gott, dafür bin ich nicht der richtige Mann«, sagte 

er in bescheidener Selbsteinschätzung. 

»Du mußt reiten, Schichobe. Schnell reiten. Der Große Geist 

sei mit dir.« 

Plötzlich war sie fort, als hätte der Erdboden sie verschluckt. 

John wollte ihr folgen, sie noch einmal in seine Arme 
schließen, ihren Herzschlag, ihre Lippen spüren. Aber Bills 
Zuruf hielt ihn zurück. 

»Benimm dich nicht wie ein balzender Auerhahn, Mensch. 

Ein Squawman hat in diesem Land noch nie viel gegolten. Los, 
reiten wir!« 

Sie schwangen sich in die Sättel und stoben in die Nacht 

hinein.  

Santa Magdalena kurz vor Mitternacht. In den beiden 
führenden Bars stieg die Stimmung auf den Höhepunkt und 
schien mehr und mehr auszuufern, zu entgleisen. 

Es regnete immer noch. Kalter, ekelhafter Regen, der den 

Schlamm auf der Main Street peitschte, als hätte er eine 
persönliche Wut auf all dieses baufällige Mauerwerk, das sich 
hinter den falschen Fassaden versteckte. 

Aber niemand betrat die Straße. Die ›Gouadeloupe‹, und die 

background image

›Galiuro‹ waren bis auf den letzten Sitzplatz gefüllt. Selbst vor 
den primitiven Theken standen die Durstigen in Dreierreihe 
und verlangten nach Bier und Schnaps. 

Hank Doolins Hauptquartier war das ›Gouadeloupe‹. 

Nebenan residierte die andere Bande, die Männer, die die 
großen Coups landeten und mit dem Geld nur so um sich 
warfen. 

Doolin störte das nicht. Neben ihm saßen Elvis Wash, Fred 

Honda, Hugh McDonnel und Curt Miller. Sie alle tranken 
übermäßig, nur Miller nicht. Wachsam beobachtete er alles, 
was um ihn herum vorging. 

Er beteiligte sich auch nicht an dem mäßigen Pokerspiel. Er 

nahm nur die Kommenden und Gehenden unter die Lupe, die 
Kaltäugigen mit den tiefgeschnallten Revolvern. Sie kamen 
herein, naß wie gebadete Katzen, schüttelten sich die Nässe aus 
den Jacken, schlurften sporenklirrend zum Tresen, 
genehmigten sich dort einen und verschwanden wieder, um 
nebenan Bericht zu erstatten. 

Doolin machte das genauso. Einmal stand Elvis Wash auf, 

um der Nachbarkneipe einen Besuch abzustatten, dann Honda 
oder McDonnel. Nur Miller blieb sitzen und beobachtete. 

Jetzt war McDonnel dran. Er verließ den Saloon, tastete sich 

draußen durch den Regen und stieß die Schwingtür zum 
›Galiuro‹ auf. Rauch schlug ihm wie eine Brandwolke 
entgegen. 

Am Hintertisch saßen die Figuren, die seinem Stammlokal 

regelmäßig Besuche abstatteten. Mortimer Gale führte das 
Kommando. In seinem Rücken stand Wade Grey, der Mann 
mit den harten Fäusten und einem schnellen Revolver. Als 
McDonnel das Lokal betrat, schlossen sich seine Augen zu 
Schlitzen. 

Er tippte Mort auf die Schulter und wies zu dem Eintretenden 

hinüber. 

»Schon gesehen«, brummte Gale. Seine Stimme klang 

background image

angetrunken und gereizt. »Wenn er frech wird, gib's ihm, 
Wade.« 

»Okay, Boß, wird gemacht. Der verdammte Spitzel will doch 

nur schnüffeln.« 

»Tun wir doch auch.« Buck Daniels lachte. »Der verdammte 

Kleinkrieg gegen die anderen macht doch Spaß, oder nicht?« 

Mort fauchte: 
»Armleuchter, Mann. Du kriegst was auf dein großes Maul.« 
McDonnel kam durch den Mittelgang, stolperte über Greys 

vorgestellten Fuß und kam fluchend wieder auf die Beine. 
Mortimer Gale blickte an ihm vorbei auf Grey. Der wartete auf 
Befehle, die Hände schon geballt. Er wippte auf den Zehen, 
entspannt, aber wachsam. Die Beine leicht gespreizt und gut 
ausbalanciert. Schlägerstellung. Er war bereit, brutal 
loszulegen, wenn Mort das Zeichen gab. 

In dieser Nacht sollte ein neuer Coup besprochen werden, 

dazu konnte man unangenehme Mithörer nicht gebrauchen. 

Die anderen Gäste, Peone, Vaqueros, kleine Tagediebe und 

anderes Gesindel, waren harmlos. 

»Hau ab!« sagte Grey frostig. »Du hast hier nichts zu suchen. 

Verdufte, Junge!« 

»Ich will einen Drink«, sagte McDonnel widerspenstig. 

»Und ich nehme einen Drink. Basta!« 

Mortimer Gale stemmte die Hände auf die Tischplatte und 

stand auf. Kalte, unpersönliche Augen musterten den Mann 
frecher Antworten. 

»Gib's ihm, Wade!« zischelte er. »Heute können wir keinen 

von drüben gebrauchen.« 

Wade Grey trat breitbeinig, gewichtig wie ein Bison, auf 

Hugh McDonnel zu. 

»Verdufte!« wiederholte er krächzend. »Du hast die Wahl. 

Du kannst rausgehen oder rausfliegen. Na, wie möchtest du's 
haben? Du kannst auch rausgetragen werden, mit den Füßen 
zuerst. Willst du das?« 

background image

McDonnel ließ sich keinen Augenblick einschüchtern. Er 

lächelte und stieß sich von der Tresenstange ab. 

»Okay, Gartenzwerg, dann fang mal an!« 
Er sah die Faust kommen, aber es gelang ihm nicht, ihr 

auszuweichen. Der Schlag ließ ihn gegen die Theke prallen. Es 
gab ein dumpfes Geräusch, und er rutschte zu Boden. Zu zweit 
stürzten sie sich auf den Hilflosen, traten ihn, bearbeiteten ihn 
mit den Fäusten, wenn er versuchte, sich zu erheben. 

Als McDonnel nur noch röchelte, blutig am Boden lag, gab 

Mortimer Gale den Leuten einen Wink. 

»Los, raus mit ihm! Schmeißt ihn einfach auf die Straße. 

Wenn der Boß kommt, weiß er, daß wir für Ruhe und Ordnung 
in diesem Kaff sorgen. Los, feuert ihn durch die Tür!« 

Drei Mann packten McDonnel, wuchteten ihn hoch, und 

unter dem Johlen der anderen Gäste warfen sie ihn einfach 
durch die aufgehende Schwingtür in den Straßenschlamm. 

Mort Gale stellte sich auf den Tisch, warf die Hände empor 

und brüllte: 

»Eine Runde für alle! He, Keeper, schenk die Gläser voll! 

Eine Runde für jeden Mann, der für uns ist!«  

Cochise hockte mit gekreuzten Beinen am Feuer. Der 
Höllenlärm draußen hatte sich gelegt. Nach und nach waren 
seine Krieger, voll mit Tizwin, ins feuchte Gras gesunken. 

Im Morgengrauen würden sie aufwachen, verkatert und mit 

bleischweren Köpfen. Still würden sie sich dann in ihre 
Wickiups verdrücken und weiterschlafen bis zum Abend. 
Inzwischen aber waren die beiden Weißen in Sicherheit. 

Das hatte Cochise gewollt, und Naiche, sein Sohn, 

unterstützte ihn dabei. Der Scout würde seinen Bericht 
abgeben. Der Chief der Blauhemden mußte irgendwann 
erkennen, daß er, der Jefe, den Frieden wollte. 

background image

Friede? 
Was bedeutete dieses Wort in einer Zeit, die darauf abgestellt 

war, Land zu gewinnen, eine Bonanza zu finden oder Schollen 
zu brechen? 

Mit gefurchter Stirn überdachte der Führer der Chiricahuas 

die Gesamtlage. Sie waren weniger geworden, seine 
Chiricahua-Krieger. Die ständigen Kämpfe gegen Mexikaner 
und Weiße rieben sie langsam auf. Die Sippen zogen sich 
immer tiefer in die schützenden Berge zurück, verkrochen sich 
in die entlegensten Canyons, wurden immer schwerer 
erreichbar und des ständigen Kampfes langsam müde. 

In der Nacht kam ein zurückkehrender Späher in die 

Apacheria geritten. Er berichtete Cochise von dem ständigen 
weiteren Vordringen der Armee, von neuen Stützpunkten, die 
wie Pilze aus dem Boden wuchsen. 

Cochise entließ ihn, schickte drei andere Krieger los, die 

halbwegs nüchtern geblieben waren, und riet ihnen, sich in 
keinen Kampf mit den Weißen einzulassen. 

Der Zeitpunkt für die große Auseinandersetzung war noch 

nicht da. 

Er brauchte die Unterstützung anderer Apachenstämme, 

wenn er erfolgreich gegen die Armee der Amerikaner antreten 
wollte. 

Auch bei den Weißen gab es kluge und weiterdenkende 

Köpfe, die irgendwann erkennen mußten, daß der rote Mann 
ein Anrecht auf die ererbten Jagdgründe hatte. Weiß und Rot 
konnten miteinander leben, wenn sie sich gegenseitig 
respektierten. 

Naiche trat ein. Der junge Indianer hatte sich am Feuertanz 

der Krieger nicht beteiligt. Er setzte sich neben Cochise. 

»Sorgen quälen dich, Vater?« 
»Ja, Naiche. Ich fühle mich ohne Beine und ohne Wasser in 

einer gluterfüllten Wüste. Die Zeit des roten Mannes ist 
vorbei.« 

background image

Der junge Indianer nickte. Sein Gesicht wirkte so düster wie 

das seines Vaters. Die große Ähnlichkeit zwischen den beiden 
war unverkennbar. Von beiden ging eine Ausstrahlung aus, die 
kein Indianer der westlichen Region besaß. 

»Es sind die Soldaten, die dir Kummer bereiten?« 
»Sie und die anderen Weißen, die unser Land 

überschwemmen. Mit den Gelbhäutigen im Süden können wir 
fertig werden, nicht aber mit den Helläugigen, die unser Land 
wie Heuschreckenschwärme überfallen.« 

»Wir werden sie vernichten.« 
»Die Chiricahuas sind zu schwach, Sohn.« 
»Mit den anderen Sippen zusammen schaffen wir es. Die 

Tontos sind gute Krieger, die Mimbrenjos, die Mescaleros im 
Osten und unsere Vettern, die Yaquis, im Süden.« 

Cochise schwieg. Lange saß er im tiefen Nachdenken 

versunken. Als er wieder zu sprechen begann, klangen seine 
Worte sachlich. 

»Wir werden sie angreifen, wo wir sie treffen, Sohn. Wir 

sind die Herren der Berge, der Wüsten und der Canyons. 
Niemand kann unserer Kampfesleidenschaft widerstehen. Wir 
kennen die Wasserstellen und brauchen sie, den Mesquite, den 
fruchtbaren Boden für den Mais. Wir müssen von den Tieren 
der Berge leben, von den Pflanzen in den Tälern. Wir müssen 
kämpfen. Es ist unser Land, von unseren Vätern vererbt. Die 
Wüste gehört uns, die Quellen, Tinajas und die Pozitos. Alles 
Land von Nord nach Süd, Ost nach West, alle Flüsse gehören 
uns – alles, alles, was wir sehen, die Berge, die Täler, alles 
gehört den Chiricahuas. Wir lassen uns nicht vertreiben.« 

Er schwieg, rieb sich die Augen. Seine Hände sanken und 

legten sich flach auf die Oberschenkel. 

»Wie und wo willst du sie angreifen, Vater?« 
»In der Ebene, in der Wüste, dort, wo wir sie einzeln oder in 

kleinen Gruppen antreffen. Da unten, wo wir immer gelebt 
haben, sind wir ihnen überlegen. Es sind ihre Postkutschen, die 

background image

mehr und mehr Weiße in unser Land bringen. Wir vernichten 
sie. Es sind die Wagenzüge, die Massen von Einwanderer 
bringen. Wir vernichten sie. Es sind die Soldaten, die sie 
beschützen, die Festungen bauen, die wir nicht angreifen 
können. Wir vernichten sie.« 

Cochise stand auf und ging hinaus. Naiche blickte ihm nach. 

Ihm wurde bewußt, daß in diesem Moment der grausamste 
aller Guerillakriege begonnen hatte. Ein Guerillakrieg, der 
keinen Pardon kannte und keinen verlangte.  

Der neue Tag graute bereits, als die beiden Scouts auf der 
Flucht vor den rachebrütenden Mimbrenjos über die Mesa 
peitschten und nach einem abwärtsführenden Canyon suchten, 
der nach Westen oder Norden führte. 

Pfeilschnell zogen regenschwarze Wolken von Westen, 

zerteilten sich an den weißen Gipfeln der Dragoons und luden 
dort den Regen ab, auf den man in der Wüste so dringend 
wartete. 

John drängte es, seinen Vorgesetzten so schnell wie möglich 

Bericht zu erstatten. Der sinnlose Kampf mußte ein Ende 
nehmen, damit das Land zur Ruhe kommen und aufgebaut 
werden konnte. 

Cochises Taktik war nicht zu durchschauen. Auf 

Massenunternehmungen ließ er sich nicht ein. Statt dessen 
überfielen seine kleinen Kriegsgruppen Reisende, Prospektoren 
und Siedler. Truppen, die ihre Verfolgung aufnahmen, mußten, 
wenn sie zu ihrem Stützpunkt zurückkehrten, erfahren, daß die 
Chiricahuas mittlerweile ein halbes Dutzend Orte in der 
entgegengesetzten Richtung heimgesucht hatten. 

Offensichtlich wußten sie über die Stationierung und die 

Bewegungen beinahe aller Soldaten und Zivilisten auf ihrem 
Territorium bestens Bescheid. Ihre Späher waren überall 

background image

unsichtbar zugegen. Und zweifellos war Cochise auch bei 
vielen dieser Beutezüge mit von der Partie. 

Cochise handelte nicht planlos oder gar spontan. Er ließ sich 

Zeit, hörte sich stundenlang geduldig die Berichte der Späher 
an, bevor er Entscheidungen traf. Aber nicht alle Massaker, die 
die Weißen so in Rage brachten, gingen von ihm aus. John 
Haggerty dämmerte es, was Cochise mit ihrer Freilassung 
bezweckt hatte. 

Zwei Gründe drängten sich zuerst in seine Überlegungen. 

Der erste Grund: Dankbarkeit. Der zweite: Übermittlung 
selbstgefaßter Meinungen und eigener Anschauungen über den 
sinnlosen Krieg in den Bergen. Cochise ging mit einer 
Schlauheit vor, die einem General der amerikanischen Armee 
alle Ehre gemacht hätte. Dieser Mann wußte, was er wollte. Er 
wußte es sogar haargenau. Scheinbar verstand er es, jeden 
seiner Gegenspieler genau einzuschätzen, nachdem er ihn lange 
genug taxiert hatte. Und John Haggerty war ja eine ganze 
Woche in seiner Gewalt gewesen. 

Cochise ahnte, daß der Scout schnurstracks zu seinem 

Kommando reiten würde, um Bericht zu erstatten. Und genau 
das lag in seinem Sinne. Ausgekochter Bursche, dachte John 
und ließ keinen Blick von der Hochebene. 

Bill Harwig, der vorausritt, zügelte so plötzlich sein Pferd, 

daß John beinahe aufgeritten wäre. Zehn Yards vor ihnen fiel 
die Mesa so steil in die Tiefe, daß sie bei dem milchigen Grau 
dort unten so gut wie nichts erkennen konnten. 

John kratzte sich unschlüssig seinen tagealten Bart. Von hier 

aus gab es keinen Weg in die Ebene. Mit einem Mal sah er eine 
Bewegung. Er gab Bill, der ständig über die Schulter schaute, 
einen Wink. Gemeinsam zogen sie sich in den Schutz einiger 
Klippen zurück. Ein Bär tappte am Mesarand entlang. 

Der Bär war es, der John stutzig machte. Bären waren keine 

Nachtjäger. Während dieser Zeit schliefen sie im Gebüsch oder 
in abgelegenen Höhlen. Etwas mußte das Raubtier 

background image

aufgescheucht haben. 

Der Bär war verschwunden. Etwas anderes trat an seine 

Stelle, bewegte sich vorsichtig weiter, hielt an, um gleich 
darauf wieder auf den Abgrund zuzugehen. 

Zwei Menschen. Apachen. 
Chiricahuas? 
John und Bill hätten es nicht zu behaupten gewagt. Auch die 

anderen Stämme zogen sich mehr und mehr zu Cochise hin, 
weil sie sich von ihm Hilfe und Schutz versprachen. 

Es konnten Mimbrenjos sein, aber auch Tontos oder Krieger 

eines anderen Stammes. Als sich einer der beiden einmal 
umdrehte und der Wind ihm ins Gesicht blies, sah Bill die 
Kriegsbemalung! 

Mimbrenjos! 
Sie hatten die Verfolgung aufgenommen und jagten auf ihrer 

Fährte. 

Cochise hatte es angedeutet und mit seiner Warnung 

bekräftigt. Sie kauerten sich tiefer in den Schatten und hielten 
ihren Pferden die Nüstern zu, damit ihr Schnauben sie nicht 
verriet. Mit ihren Blicken suchten sie die flache Strecke ab, die 
sich am Canyon entlang hinzog. 

John zuckte mit den Achseln. Nur zwei, damit wäre fertig zu 

werden. Aber wie viele waren noch in der Nähe? Er wußte es 
nicht und gebrauchte wieder seine breiten Schultern, um seine 
Resignation auszudrücken. Bis zum Camp der Dragoner waren 
es noch etwa zwölf Meilen, wenn er richtig schätzte. Aber 
selbst diese kurze Strecke konnte eine todbringende Strecke 
sein, wenn die Mimbrenjos hinter ihnen her waren. 

Er sah sie wieder. Sie kamen zurück. Anscheinend hatten sie 

ihre Spur verloren und liefen zum Ausgangspunkt zurück. 
Lautlos wie große Katzen glitten sie heran. Und ebenso lautlos 
waren sie plötzlich verschwunden. 

John ließ sich nicht täuschen. Er kannte ihre Art, sich 

unsichtbar zu machen, wenn sie etwas Feindliches bemerkt 

background image

oder Verdacht geschöpft hatten. Langsam zog er den Colt, 
spannte aber den Hahn nicht, dessen Klicken sie verraten hätte. 

Da waren sie wieder. 
Tief gebückt schlichen sie auf die Gruppe der Klippen zu. 

John gab Bill einen Rippenstoß und zeigte mit dem Kopf die 
Richtung. 

Bill stieß den Hauch über die Lippen. So leise das Geräusch 

war, John zuckte trotzdem zusammen. Apachen hatten scharfe 
Ohren. Sie konnten noch Geräusche wahrnehmen, die Weiße 
nie gehört hätten, außerdem waren sie mit der Wildnis besser 
vertraut. 

Bill Harwig brachte seinen Mund dicht an Johns Ohr. 
»Wo sind sie?« flüsterte er. 
John zog kurz die Schultern hoch. Er sah sie nicht mehr. 

Keine Bewegung verriet den Standort der Indianer. Seinen 
Körper stemmte er gegen den Pferdeleib, damit sich das Tier 
nicht bewegte. 

Dunst zog von der Ebene herauf, kroch wie Geisterfinger 

über die Mesa, verdeckte teilweise die Sicht. John und Bill 
starrten sich die Augen aus dem Kopf, sahen die Mimbrenjos 
jedoch nicht. 

Plötzlich steilte Bills Pferd und wieherte voller Angst. 
Der Scout wurde vorwärtsgestoßen und stolperte genau in 

das geschwungene Messer, das sein Leben abrupt beendete. 
Mit einem Röcheln sackte er in die Knie. 

John Haggerty zog den Hahn mit dem Daumen zurück und 

ließ ihn wieder vorschnappen. Die Feder riß den Schlagbolzen 
nach unten, der auf die Zündkappe der Patrone schlug. Ein 
blaugelber Strahl schoß donnernd aus dem Revolverlauf. 

Der erste Angreifer riß die Arme in die Höhe und stürzte auf 

Bill. Der zweite sprang über die beiden Toten hinweg und warf 
sich auf den verhaßten Weißen. 

Klinge prallte gegen Revolverlauf. Es gelang dem Scout, das 

Knie hochzureißen und dem Mimbrenjo in den Magen zu 

background image

rammen. Mit einem Schmerzensschrei krümmte die Rothaut 
sich zusammen. 

John hob die Waffe und schlug mit dem langen Lauf zu. Es 

klang dumpf und trocken. 

Der Indianer brach unmittelbar vor dem Scout zusammen 

und starb. 

Haggerty bückte sich, drehte Bill auf den Rücken. 

Gebrochene Augen starrten ihn an. Eine kalte Wut kroch in 
John empor, eine Wut, die keine Grenzen und keine humanen 
Gefühle mehr zu kennen schien. 

Zuerst Lefty Roman, das Halbblut, nun Bill Harwig. Wenn 

das sinnlose Morden so weiterging, würde es bald keinen 
Weißen und keinen Indianer mehr in den Dragoons geben. 

John konnte für seinen Freund nichts mehr tun. Er mußte 

weg. Möglicherweise schlängelten sich weitere 
Apachengruppen an ihn heran, um auch ihn zu töten. Er konnte 
Bill nicht mal ein anständiges Grab bereiten. 

Das mußte eine Patrouille später tun und Bill beerdigen. 
Er schwang sich auf sein Pferd, nahm Bills Tier am Zügel 

und ritt an.  

Leute, die von diesen Dingen nichts verstehen, behaupten 
immer, daß das Erwachen aus einem Niederschlag nicht 
schmerzhaft sei. Hugh McDonnel hätte dies in diesem 
Augenblick nicht beschworen. Es wäre ein glatter Meineid 
gewesen. 

Als er sich im Straßenschlamm wälzte, um auf die Beine zu 

kommen, war so etwas wie wirbelnde Dunkelheit um ihn. Eine 
Schwärze, von bunten Lichtern durchwirkt. 

Ein seltsames Zerren zwischen seinen Rippen ließ ihn kurz 

und krampfhaft atmen. Und als er schließlich auf seinen Füßen 
stand und der Schlamm von seinem Körper zu Boden floß, 

background image

wurde ihm erst klar, daß er wieder bei Bewußtsein war. 

Wie eine riesige Erdkröte suchte er händerudernd und nach 

Gleichgewicht ringend die Tür zum ›Gouadeloupe‹. Als er 
eintrat, verstummten alle Gespräche sofort. Hank Doolin 
sprang trotz seines Flush, das er im Poker hatte, vom Stuhl auf 
und eilte ihm entgegen. 

»Verdammt, wer hat dich so zugerichtet?« 
»Die anderen, wer denn sonst. Ihnen paßt es nicht, wenn wir 

ihnen so auf die Zehen treten.« 

»Wer war es? Genau!« 
»Gale und dieser Grey, zwei ganz harte Brocken. Ich bringe 

sie um. Du kannst dich drauf verlassen, Boß.« 

»Schon gut, schon gut«, sagte Doolin beschwichtigend. »He, 

Miller, nimm ihn mit durch die Hintertür und reinige seine 
Kleider. Draußen ist ein Brunnen.« 

Miller erhob sich, warf McDonnels Arm über seine Schulter 

und schleppte den schwer Angeschlagenen hinaus. 

Es war tatsächlich ein Brunnen da. Mit der Winde zog Miller 

den vollen Eimer hoch, spreizte die Beine und brachte sich in 
Position. Zu all dem Regen, den der nachtdunkle Himmel auf 
die Erde schleuderte, kam nun die kalte Dusche über Hugh, der 
sich schnaufend und prustend nach hinten warf, um dem 
zweiten Schwall aus dem Eimer zu entgehen. 

»Ich bring sie um!« schrie er. »Ich bring sie beide um!« tönte 

es in die Regennacht hinaus, während seine Hände von oben 
nach unten glitten und den Schlamm von seiner Kleidung 
schabten. 

»Ich reiße ihnen die Haare einzeln aus, die Zähne schlage ich 

ihnen ein. Diese verdammten Hunde!« 

»Sei still!« sagte Miller und hing den Eimer wieder an den 

Haken. »Reg dich doch nicht auf, Hombre. Was wollten sie 
denn von dir?« 

»Mich nicht reinlassen, was denn sonst. Du weißt, was der 

Boß befahl: um jeden Preis herausbekommen, was sie tun, was 

background image

sie vorhaben, was sie…« 

»Geschenkt. Komm, gehen wir rein, der Regen ist 

scheußlich.« 

Miller öffnete die Hintertür, ließ Hugh vorgehen und 

ignorierte dessen ständiges Schimpfen. Wärme, Tabakqualm 
und Fuselduft schlugen ihnen entgegen. Mit einem Blick stellte 
Miller fest, daß Hank Doolin nicht mehr anwesend war. 

Er wandte sich an Wash: 
»Wollte Hank mit uns heute nacht nicht über den nächsten 

Coup sprechen?« 

Wash nickte. 
»Kommt noch, Curt, nur Geduld. Er ist mal kurz 

rausgegangen.« 

»Wohin, bei diesem Sauwetter?« 
Wash zuckte mit den Achseln. 
»Geheimnisvoll sind die Wege des Herrn.« 
»Schöner Herr«, maulte McDonnel. »Sieht seelenruhig mit 

zu, wie man mich verprügelt und rührt keinen Finger.« 

Wash fixierte ihn kurz. Das hämische Lächeln verriet nicht 

seine wahren Gedanken. Miller war es, als hätte Doolins 
Segundo etwas vor den anderen zu verbergen. Ein kühner 
Gedanke dämmerte ihm. Mit einem Ruck wandte er sich 
wieder der Hintertür zu. 

»Wo willst du hin?« fragte Wash. 
»Wo wir alle mal hin müssen, wenn's drückt.« 
Und schon war er draußen. Das freistehende 

Toilettenhäuschen beachtete er nicht. Eng an die Hauswand 
gepreßt lief er durch den Schlamm, stolperte über Unrat und 
leere Flaschen. Die Hinterfront des ›Galiuro‹ war 
hellerleuchtet. Grölender Gesang und das melodische Klimpern 
und Zupfen einer Gitarre drangen weit hinaus in die 
Dunkelheit. 

Die Kneipe hatte ein winziges Hinterzimmer, in dem 

gewöhnlich Flaschenreserven aufgestapelt waren. Das war 

background image

auch an diesem Tag so. Curt Miller warf einen Blick durch das 
schmutzblinde Fenster – und zuckte zurück. 

Auf einem Regal stand eine leere Flasche mit einer 

brennenden Kerze. Zwei Männer saßen auf Kisten, unterhielten 
sich, gestikulierten dabei. 

Der eine war Mortimer Gale, der andere… 
Miller sah noch einmal hin. Er kannte den Mann und doch 

wieder nicht. Ein gelber Regenumhang, wie ihn Cowboys zum 
Schutz gegen schlechtes Wetter trugen, bedeckte seinen 
Oberkörper bis zu den Füßen. 

Ein betrunkener Kerl kam durch die Hintertür, um zum 

Toilettenhäuschen zu gehen. 

Curt duckte sich hinter einen Stapel leerer Flaschen und 

verhielt sich still. Als das Planschen schwerer Stiefel auf 
morastigem Grund verstummte, wagte sich Miller wieder ans 
Fenster. 

Der Fremde mit dem tief herabhängenden Schlapphut, dem 

gelben Umhang und den Handschuhen an den Händen, redete 
unermüdlich und geduldig auf Mortimer Gale ein. Curt legte 
sein Ohr gegen das Fensterholz, aber verstehen konnte er 
nichts. 

Deshalb sah er den Burschen, der zur Toilette gegangen war, 

erst dann, als er weniger als drei Yards entfernt war und auf ihn 
zugestürmt kam. Er hatte sein Gesicht in den aufgeschlagenen 
Kragen einer dicken Wolljacke vergraben und fummelte mit 
einem nassen Streichholz herum, um sich eine angerauchte 
Zigarette anzuzünden. Dabei stand er schwankend auf den 
Beinen. 

Er rammte Miller, öffnete den Mund und sagte: 
»Wer, zum Teufel…« Er verlor im selben Augenblick seine 

Zigarette, starrte ihr nach, wie sie im Schlamm versank, und 
schimpfte: »Verfluchter Mist!« schaute dann hoch, grinste 
blöde und brabbelte: »Sorry, Mister, ich – ich habe dich nicht 
gesehen.« 

background image

»Schon gut.« 
»Scheißwetter, was?« 
Während dieser Bemerkung nestelte er in seinen Taschen 

herum. 

»Ja«, sagte Miller und versuchte ein Grinsen, während ihn 

die Ungeduld plagte. 

»So was nennt man Indianerwetter.« 
Um ihn loszuwerden, hätte ihm Miller gern zugestimmt. 

Aber in diesem Moment krachte das zusammenstürzende Haus 
auf seinen Kopf und drückte ihn mit dem Gesicht in den 
Matsch.  

Die Sonne sank hinter die Felsen. Die Mulden in der Wüste 
und die Täler in den Bergen hatten sich mit dunklen Schatten 
gefüllt. Die grauen, kahlen Steinwände schienen jeden Weg aus 
dieser trostlosen Einöde zu versperren. 

Bis auf den einsamen Mann, der sein großes braunes Pferd 

am Zügel führte, war nirgendwo in dieser unermeßlichen 
Eintönigkeit eine Spur von Leben zu entdecken. Der heiße, 
trockene Wüstenwind fegte diesem Mann Sand und Unrat ins 
Gesicht, aber er störte sich nicht daran. Er wußte, daß er sich 
verirrt hatte, daß es von dieser Stelle aus keinen Weg in die 
Ebene gab. 

Die vergangene Nacht, den ganzen Tag war er geritten, 

verfolgt von Mimbrenjos, getrieben vom Verlangen, dem 
Armeeoberkommando seine Meldung zu überbringen. 

Nun war John Haggerty ziemlich am Ende. Durst peinigte 

ihn, quälender Durst und bleierne Müdigkeit. Aber er durfte 
sich nicht ausruhen. Sie waren ihm ganz dicht auf den Fersen. 

Vor einem Erdspalt blieb er noch einmal stehen und drehte 

sich suchend um. Die untergehende Sonne bestrahlte eine 
Klippenkette und tauchte sie in ein Blutrot. Dort oben bewegte 

background image

sich etwas. 

John kniff die Augen zusammen, fixierte die Gestalt, die hell 

und leuchtend vor dem purpurnen Himmel stand und die Arme 
ausbreitete. Ein Indianer. 

Cochise! 
Betete der Jefe? Nein, er signalisierte. 
Seine Arme hoben sich, der rechte winkelte ab, der linke 

schlug einen Kreis. Und schließlich sah der Scout, wem 
Cochise Befehle übermittelte. Jenseits der Erdspalte, weit 
hinten vor der Basis der Mesa, ritt eine Patrouille der Army. 

Staub wallte über der reitenden Truppe, zog mit ihr, leuchtete 

in den Strahlen des Sonnenuntergangs. Und dieser Staub war 
es, der die Patrouille nicht mehr aus Cochises Klauen ließ. 

John Haggerty sondierte das Gelände. Wild, zerklüftet und 

zersplittert schob es sich in eine Wüstenvegetation hinein, die 
aus Stachelgewächsen und Riesenkakteen bestand. Die gelben 
und roten Blüten der Ocatillobüsche klebten wie farbige Tupfer 
in der monotonen Landschaft. 

Haggerty sah Cochise immer noch hoch oben auf der Klippe 

stehen und mit den Armen rudern. 

Aber wo waren die Mimbrenjos? 
Er zog den Henry-Stutzen aus dem Scabbard, tätschelte dem 

erschöpften Wallach den Hals und entsicherte das Gewehr. 

Hier konnte er nicht weiter. Der Erdspalt war mindestens drei 

Yards breit und 350 Fuß tief. John mußte zurück, um sich 
einen anderen Abstieg zu suchen. Und das wiederum ging 
nicht, weil ihm die Mimbrenjos den Weg versperrten. 

Die Patrouille im Westen war verschwunden. Von Cochise 

sah John nichts mehr. Nur der ewig wehende Wind jaulte und 
warf Sand und Tumbleweed gegen die Dragoons. Langsam 
verlöschte das rote Himmelslicht. 

John zerrte sein müdes Pferd weiter, das entsicherte Gewehr 

in der Armbeuge. Er behielt die Richtung nach Westen bei und 
blickte sich immer wieder um, um nach den Mimbrenjos 

background image

Ausschau zu halten. Nach einer Viertelstunde geriet er in ein 
verwirrendes Labyrinth aus mächtigen Felsbrocken, die sich 
wie Türme aufeinanderstapelten. Speerdornbüsche und 
Manzanitas wuchsen in den Spalten. John musterte die wirre 
Ansammlung von Felsen und stacheliger Vegetation. 

Sie bot Schutz vor der anbrechenden Nacht und den 

Mimbrenjos. Kurz entschlossen bahnte er sich einen Weg in 
das Innere der Felsenburg. Seltsam, der Weg führte plötzlich 
abwärts. John zögerte einige Sekunden lang, dann ging er 
langsam weiter. 

Der Wallach hinter ihm schnaubte leise, aber unwillig. John 

wußte, was dem Tier fehlte. 

»Sei still«, sagte er. »Ich habe genauso Durst wie du.« 
Es ging abwärts. Zerklüftete, zerrissene Wände strebten 

seitlich empor. Der Boden der finsteren Klamm war geborsten. 
Handbreite Spalten klafften, ließen Mann und Pferd stolpern. 
Die Echos seiner Schritte und die der klirrenden Eisen des 
Pferdes schallten wie Hammerschläge auf einem Amboß. 

Der große Mann, der sein Pferd führte, war allein in dieser 

abgeschiedenen Ecke der Welt, wo die Einsamkeit schon 
manchen Weißen in den Wahnsinn getrieben hatte. 

Schüsse! 
Unvermittelt blieb der Scout stehen. Eine ganze Salve 

donnerte und brachte die Wände des natürlichen Kamins zum 
Zittern. Sand rieselte. Nagetiere huschten zu Johns Füßen und 
verkrochen sich ängstlich quietschend. Wieder eine Salve, die 
in sporadisch gelenktes Gewehrfeuer überging. 

Der Scout wußte, was die Knallerei zu bedeuten hatte. 

Cochise griff die Patrouille an, die sich heftig wehrte. 

Und er wußte noch etwas. Wenn er weiter in die Tiefe kam, 

würde er mitten in das Kampfgeschehen hineinplatzen. 

Der Wind sprang um, wurde kälter, hüllte Roß und Reiter 

erbarmungslos in beißenden Staub. Die Nacht brach an, und bis 
der Mond aufging, würde es sehr dunkel werden. John mußte 

background image

weiter, der Patrouille zu Hilfe eilen. Heftig zerrte er am Zügel, 
aber das Pferd blieb störrisch und wollte keinen Schritt mehr 
machen. Vielleicht hatte es auch Angst vor dem steil nach 
unten führenden Weg und vor dem Schießen. 

John zwang ihm seinen Willen auf, zog es förmlich. Es war 

dämmerig, als er auf die breite Schlucht stieß, die in die Wüste 
hinausführte, und der wehende scharfkörnige Sand griff mit 
rauhen Fingern nach ihm. Die Hufe des Wallachs schlugen 
gegen den Fels und hallten durch den Abend wie die Glocken 
einer Kathedrale. 

Ununterbrochen krachten Gewehr- und Pistolenschüsse. 

Vorn im Canyon sah John Rauch. Etwas brannte. Die 
schwarzhaarigen Teufel hatten mit ihren Brandpfeilen irgend 
etwas in Flammen gesetzt. 

John ließ das bockende Pferd stehen und rannte weiter. Vor 

der Kehre verhielt er, um sich zu orientieren. Hinter der 
Krümmung breitete sich der Canyon zu einem ovalen Rund 
aus. Trockene Büsche und verdorrte Kakteen brannten 
lichterloh und schickten einen beißenden Rauch zum Himmel. 

Mitten in einer Insel aus Steinen und klobigen Felsen hatte 

sich die Patrouille verschanzt. Sie schoß, was die Läufe 
hergaben. 

Aber auf was schossen die Soldaten? 
Kein Apache war zu sehen, nichts rührte sich im Dickicht an 

den Canyonwänden. Trotzdem: die Uniformierten waren 
eingeschlossen und konnten weder vorwärts noch rückwärts. 
Ihre Pferde steilten und wieherten aus Angst. 

Wieder krachte es, als wäre der Weltuntergang angebrochen. 

Vereinzelte Schreie hallten herüber. Und dann brandete ein 
Geheul auf, daß es John eiskalt über den Rücken rieselte. 

Von allen Seiten brachen graue Gestalten wie Dämonen aus 

einem unbekannten Reich über die Soldaten herein. Messer 
blitzten, Pfeile schwirrten, fanden ihre Ziele, löschten Leben 
aus. 

background image

In wenigen Minuten war alles vorbei. John Haggerty, den das 

Entsetzen gepackt hatte, lag hinter dem Stacheldickicht und 
starrte ungläubig auf das tanzende, schreiende Hölleninferno, 
das sich vor dem brennenden Hintergrund abspielte. 

Und dann floh er, die Angst einer möglichen Entdeckung im 

Nacken.  

Sein Pferd stolperte vor Schwäche. John sprang ab, nahm die 
Feldflasche vom Sattelhorn und schüttelte sie. Eine Handvoll 
brackigen Wassers, mehr nicht. Er setzte seinen Feldhut ab, 
schüttete das Wasser in die Krone und ließ das Pferd saufen. 

»So, mein Alter, mehr kann ich nicht für dich tun. Nur noch 

fünf Meilen, die mußt du aushalten.« 

Der Wallach warf den Kopf in die Höhe, blähte die Nüstern. 

Das bißchen Feuchtigkeit hatte ihn sichtlich belebt. Dann 
schnaubte er warnend. 

John wirbelte herum – und stand wie versteinert. 
Keine halbe Meile vor ihm schnellte eine sechsspännig 

gezogene Postkutsche der Butterfield Overland aus einem 
Canyon und folgte einem unsichtbaren Weg. Schüsse fielen. 
Der Fahrer hieb mit der langen Peitsche unermüdlich auf die 
Gäule ein, um das Letzte aus ihnen herauszuholen. Auf dem 
Bock schoß der Begleitmann – grimmig, in Panik. Schuß auf 
Schuß fegte in den dichtgeschlossenen Pulk verfolgender 
Apachen. 

Allen Rothäuten voran preschte ein hochgewachsener 

Indianer in der traditionellen Wüstenkleidung der Chiricahuas. 

Cochise. 
Hinter ihm ritt Naiche, sein zweiter Sohn, auf einem Pony, 

das Gewehr in der freien Hand. 

Aus dieser Distanz sah es aus, als folgte dem Jefe ein zweiter 

Cochise, so groß war die Ähnlichkeit zwischen den beiden 

background image

Apachen. 

Der Braune an Johns Seite wieherte leise. Ahnte er, was sich 

dort vorn abzuspielen begann? Das grelle Kriegsgeschrei der 
Chiricahuas klang grauenerregend, untermalt von den Schüssen 
der Reisenden aus der Kutsche. 

John Haggerty wunderte sich nicht wenig und schüttelte 

mehrfach den Kopf. Chiricahuas kämpften nicht in der Nacht. 
Dort drüben aber wurde gekämpft. 

Zwei Rothäute stürzten von ihren Ponys und blieben liegen. 

Aber auch in der Kutsche gab es Verluste. Aus dem rechten 
Wagenfenster hing der Oberkörper eines Mannes, einen 
gefiederten Pfeil im Rücken. 

Im gleichen Augenblick sank auch der Begleitmann auf dem 

Bock zusammen. Die hochbordige Concord kam näher, 
beschrieb eine Schleife, dem unsichtbaren Weg folgend, und 
hielt dann direkt auf den Scout zu. 

Mierda! Das fehlt mir gerade noch, dachte John und fluchte 

lautlos. 

Die Stagecoach drehte nach Nordosten ab und änderte die 

Richtung. Wie ein Kometenschweif galoppierten die Ponys 
hinter dem Fahrzeug her. 

Was der Fahrer auch anstellte, den brüllenden Teufeln zu 

entkommen, es gelang ihm nicht. Sie holten mehr und mehr 
auf, ritten bereits im toten Winkel hinter der Kutsche. Einer 
schwang sich auf das Kastengestell, kletterte nach oben und 
warf sein Kriegsbeil. Tödlich getroffen, fiel der Fahrer seitlich 
vom Sitzbock. 

Noch ein paar Schüsse fielen aus dem Innern der Kutsche, 

aber sie verstummten gleich darauf. 

Verwehende Schreie. Richtige Todesschreie. 
Die Pferde wurden von braunen Fäusten angehalten, 

ausgeschirrt und von zwei anderen Kriegern übernommen. 
Noch einmal peitschte ein Revolverschuß durch die Nacht. 

Kein Indianer griff sich an die Brust und stürzte. John wußte, 

background image

was der einzelne Schuß zu bedeuten hatte. Lieber tot, als den 
Rothäuten in die Finger fallen. So dachten die meisten Weißen. 

Ein Apache schoß einen Brandpfeil auf das Fahrzeug ab, das 

daraufhin sofort lichterloh zu brennen begann. 
Zähneknirschend verfolgte John Haggerty das blutige 
Schauspiel, ohne helfen zu können. Es wäre auch sinnlos 
gewesen. Gegen zwanzig Chiricahuas hätte er keine Chancen 
gehabt. 

Das Drama neigte sich drüben seinem Ende zu. Wie eine 

riesige Fackel brannte die Concord lodernd zum Himmel. John 
konnte jede Einzelheit erkennen. 

Cochise bestieg einen Hügel, blieb mit verschränkten Armen 

stehen, während seine Krieger die Toten skalpierten und 
ausplünderten. 

Schließlich war auch dieses Kapitel eines gnadenlosen 

Kampfes abgeschlossen. Die Apachen scharten sich um den 
Hügel, schwangen triumphierend die blutigen Skalps. Als 
Cochise die Arme hob und zu reden begann, verstummte das 
Geschrei. Ehrfürchtiges Schweigen ließ die Stimme des 
Häuptlings weithin erschallen. Der Jefe sprach lange und 
eindringlich. John Haggerty hätte wer weiß was dafür gegeben, 
wenn ihm die Rolle eines unbemerkten Lauschers vergönnt 
gewesen wäre. 

Als Cochise schwieg, den rechten Arm ausstreckte und nach 

Südwesten wies, wurde John klar, daß in dieser Nacht weitere 
Brandfackeln zum Himmel lodern und zahllose Weiße ihr 
Leben lassen sollten. 

»Koh Cheez!« schrien die Chiricahuas. »Koh Cheez!« 
Danach kam das »Zastee! Töte!«  

»Mr. Haggerty, Sie waren eine Woche lang Cochises 
Gefangener?« fragte General Oliver O. Howard ziemlich 

background image

maliziös. »Wie Sie sagten, sind Sie ihm nicht entkommen, 
sondern er ließ Sie und den Scout Harwig frei? Ist das nicht ein 
wenig zu außergewöhnlich, um glaubhaft zu klingen?« 

John Haggerty rieb sich die übermüdeten Augen, nahm kurz 

Haltung an, während er den Grimm hinunterschluckte. 

»Sir, ich bin Scout und kein Fabulierer. Was ich sagte, 

stimmt wie der Punkt auf dem i. Cochise ließ uns frei.« 

Colonel White räusperte sich und warf Haggerty einen 

warnenden Blick zu, den dieser mit einem Schulterzucken 
beantwortete. 

»Sie können sich keinen besonderen Grund erklären?« bohrte 

Howard weiter. 

»Doch, Sir. Zwei Gründe. Der erste ist eine gewisse 

Dankbarkeit, weil ich seiner Schwester half. Der zweite kann 
wohl in der Tatsache gesehen werden, daß der Jefe durch mich 
eine Nachricht an das Oberkommando in Arizona übermitteln 
will.« 

»Wie lautet die Nachricht?« 
»Friede, Sir. Friede, bevor der letzte Weiße und der letzte 

Indianer sich gegenseitig umgebracht haben.« 

»Friede?« Howard lachte verächtlich. »Mann, wissen Sie 

überhaupt, was Sie da reden? Die Apachen überfielen in den 
letzten drei Tagen vier Patrouillen, zwei Farmer, einen 
Wagenzug und zwei Postkutschen. Nichts als Tote und Asche 
blieben zurück. Und da sprechen Sie von Frieden?« 

»Ja, Sir, ganz bewußt. Berücksichtigen Sie ihre Mentalität, 

Sir, dann wissen Sie, warum sie die Weißen angreifen. Cochise 
will den Krieg nicht, er wird ihm von den Kriegern 
aufgezwungen. Wenn er nichts tut, um sie bei Laune zu halten, 
schlagen sie ungezielt los. Apachen fühlen sich nicht unbedingt 
an einen bestimmten Häuptling gebunden, sie schulden ihren 
Führern keinen blinden Gehorsam und keine 
Gefolgschaftstreue.« 

Howard erwiderte: 

background image

»Ich kann Sie nur schwer verstehen, Haggerty. Tut mir leid. 

Trotzdem, was schlagen Sie vor?« 

Johns Hand strich über den wochenalten Stoppelbart. 
»Ich schlage eine Unterredung mit dem Jefe vor, Sir. Sie und 

er, sonst niemand. Wenn Sie es geschickt anfangen, General, 
kann's zum Erfolg führen.« 

»Ich soll bei einer Rothaut um Frieden nachsuchen? Sind Sie 

des Teufels?« 

»Er ist kein gewöhnlicher Indianer, Sir… General. Sprechen 

Sie mit ihm, und Sie werden verstehen, was ich meine.« 

Howard ging im Zelt auf und ab. Mitunter warf er unruhige 

Blicke auf die beiden Colonels, die sich mit keinem Wort 
äußerten. 

»Sie meinen wirklich…?« setzte Howard noch einmal an. 

Und als Haggerty nickte, fuhr er mißmutig fort: »Also, 
meinetwegen. Wie wollen Sie die Besprechung 
zusammenbringen und wo?« 

»Ich reite morgen zu Cochise zurück und werde ihn darum 

bitten. Termin und Ort werde ich von ihm erfahren. Nur Sie 
und er«, fügte er noch einmal warnend hinzu. 

White trat vor. 
»Pardon, General, darf ich eine Frage an den Scout richten?« 
»Bitte.« 
White fixierte Haggerty. Als er zu sprechen begann, klang 

Sarkasmus aus seinen Worten. 

»Was eigentlich macht Sie so sicher, Mr. Haggerty, daß 

Cochise wirklich Wert darauf legt, sich mit der Armee über 
einen Frieden zu unterhalten? Steht er so hoch in Ihrer 
Wertschätzung, Scout, oder ist es das Mädchen, von dem Sie 
sprachen? Sie haben es doch geheilt, nicht wahr?« 

Johns Augen verengten sich. 
»Colonel, was wollen Sie damit sagen?« 
»Sie ist eine Wilde, Mr. Haggerty.« 
»So, eine Wilde?« John räusperte sich. Nur der Anstand 

background image

verbot ihm, dem Offizier ins Gesicht zu schlagen. »Colonel 
White, ich habe unter den Weißen mehr Wilde kennengelernt 
als unter den Apachen. Gehen Sie doch mal nach Tucson, 
Tombstone oder Sentinel, besuchen Sie die Kneipen, die 
Tingeltangels und die Hurenhäuser, und wenn Sie dann noch 
der Meinung sind, daß dort keine Wilden verkehren, wird 
Ihnen der Begriff Wilder niemals klarwerden.« 

White wurde rot. Er hatte eine scharfe Erwiderung auf der 

Zunge, aber Howards eisige Miene ließ ihn verstummen. 

»Das war nicht wörtlich zu verstehen«, räumte er widerwillig 

ein. »Nicht in diesem Sinne. Ich meine, sie haben keine 
Religion, keinen Gott…« 

»Ach, schweigen Sie!« unterbrach Haggerty ihn grimmig. 

»Sie haben sehr wohl eine Religion, und sie haben einen Gott, 
den sie den Großen Geist nennen. Er hat nur einen anderen 
Namen, aber er ist der gleiche Gott.« 

Er drehte sich um, salutierte vor General Howard. 
»Ich darf mich empfehlen, General… Sir. Sobald ich 

Cochises Zusage habe, melde ich mich. Guten Abend, 
Gentlemen.« 

Die Zeltklappe fiel mit einem seltsamen Schmatzen hinter 

ihm zu.  

Der Regen kühlte seine Stirn und durchnäßte gleichzeitig seine 
Kleidung. Mühsam raffte er sich auf, stützte sich mit 
gespreizten Händen gegen die Hauswand. Es fiel Miller 
schwer, seine Gedanken zu ordnen und herauszufinden, was 
geschehen war. 

Etwas war auf seinen Kopf gekracht. Hatte der Kerl, der 

ständig an seiner Hose herumgefummelt hatte, ihn 
niedergeschlagen, oder war es durch die offene Hintertür 
geschehen? 

background image

Langsam bekam er wieder Gewalt über seinen Körper. Das 

Drehen vor seinen Augen hörte auf und wich mehr und mehr 
einem Übelkeitsgefühl, das über den Magen heraufzog. 

Miller seufzte, erbrach sich und lehnte sich schließlich mit 

dem Rücken an das Haus. Es gelang ihm nicht, die Dinge in 
den Griff zu kriegen. Schließlich fiel ihm sein Lauscherposten 
bei der anderen Kneipe ein. Er schleppte sich hin und warf 
einen Blick durchs Fenster. Die beiden Männer saßen immer 
noch dort, redeten und tranken. Lange konnte er also nicht 
ohne Bewußtsein gewesen sein. 

In diesem Moment sah er den Mann im Schlapphut von der 

Seite. Er trug die Bandana bis zu den Augen hochgezogen und 
die Hutkrempe so tief in der Stirn, daß von seinem Gesicht 
nichts zu erkennen war. Auch zu hören war nichts. 

Die beiden sprachen so leise, daß ihre Worte kaum bis zum 

Fenster drangen. Aber dann erhob sich Mortimer Gale, stieß 
versehentlich gegen das Regal. Flaschen klirrten und ergaben 
einen seltsamen hellen Unterton zu den murmelnden Stimmen 
der beiden Männer. 

»Du wirst dich also darum kümmern«, sagte der Maskierte 

dumpf. »Die Beute muß morgen nach Mexiko gebracht und 
dort bei Alfonzo Spade abgegeben werden. Alles Weitere ist 
dann nicht mehr deine Sache.« 

Miller wagte einen kurzen Blick durchs Fenster. Als sich 

Gale zufällig herumdrehte, zuckte er zurück. 

»Hast du vergessen, daß wir die Gran Desierto durchqueren 

müssen, Boß, wenn wir Nogales erreichen wollen?« 

»Und?« 
»Gegen einen Trupp räuberische Apachen habe ich mit den 

paar Leuten keine Chance. Kürzlich wurde wieder ein 
Wagenzug der Armee aufgerieben.« 

»Die Indianer werden dich in Ruhe lassen, dafür garantiere 

ich«, entgegnete der Maskierte. »Du kennst doch den Weg 
durch den Camino del Diablo?« 

background image

»Mir wäre es lieber, du würdest mir diesen Scout mitgeben, 

der sich bei dir vor der Armee verkriecht.« 

Der Maskierte winkte ab. 
»Das geht nicht, Mort. Ausgeschlossen. Ich traue dem Kerl 

immer noch nicht ganz. Er schnüffelt mir einfach zuviel herum. 
Überall steckt er seine Nase rein und kümmert sich um jeden 
Dreck, der ihn nichts angeht. Also, kennst du den Weg?« 

Gale nickte. Miller sah die Kopfbewegung und konzentrierte 

sich nun voll auf das Gespräch. Der Maskierte erhob sich 
ebenfalls und machte ein paar Schritte zur Tür. Dort blieb er 
stehen. 

»Sechzehn Maultiere«, sagte er. »Sechzehn hochbeladene 

Packmulis. Das wird nicht einfach werden, Mort. Schaffst du 
das?« 

Gale zuckte mit den Achseln. 
»Wir sind zu sechst, es müßte eigentlich zu schaffen sein. 

Mir machen nur die Apachen Sorgen.« 

»Ich sagte, die kannst du vergessen. Also, in acht Tagen 

sehen wir uns wieder. Vaya con dios!« 

Er verließ den Raum. Miller zog sich hastig zurück. Es 

regnete immer noch Bindfäden, hinzu war ein kalter Wind 
gekommen, der vom Gebirge herunterfegte. 

Als er die ›Gouadeloupe‹-Bar erreicht hatte, öffnete er 

vorsichtig die Hintertür. Seine durchnäßten Stiefel quietschten, 
als er eintrat und die Tür hinter sich schloß. Zahlreiche Augen 
starrten ihn an. Miller setzte sich auf seinen alten Platz und 
krümmte sich ein wenig zusammen. Doolin war noch nicht 
zurückgekehrt, dafür waren die anderen alle da. 

Fred Honda warf ihm einen nachdenklichen Blick zu und 

fragte: 

»Lange weggeblieben, wie? War's schön?« 
Miller wußte nicht, was der Outlaw meinte. Ausweichend 

antwortete er: 

»Es ging. Muß was Verkehrtes gegessen haben. Na, wird 

background image

schon wieder.« 

Er nahm sein Bierglas in die Hand und trank. Gleichzeitig 

schlug die Tür auf und Hank Doolin trat ein. Er schüttelte das 
Wasser aus dem Wolfsfellmantel, den er wegen der nächtlichen 
Kühle übergezogen hatte, und kam an den Tisch. Sein Blick 
fiel zufällig auf den Boden. 

Ein schmales Rinnsal schlängelte sich unter dem Tisch 

hervor, ausgehend von einem Paar durchweichter Stiefel und 
nasser Hosenbeine. 

Doolin stutzte. 
»Wo bist du gewesen?« fragte er mißtrauisch. 
Honda lachte. 
»Er hat's in den Därmen«, krächzte er und schniefte. »Und 

wenn's bei einem Mann da zwickt, muß er, ob's nun regnet oder 
nicht.« 

Doolin verzog seinen Mund. 
»Halt's Maul, Fred! Ich habe euch allen eingetrichtert, nur zu 

reden, wenn ihr gefragt werdet. Von mir gefragt. Verstanden?« 

»Okay, Boß, war nicht so gemeint.« 
Curt Miller sah sich in der Runde um. Von diesen Männern 

hatte ihn keiner niedergeschlagen, das war sicher. Sie alle 
hatten ihre Plätze nicht verlassen, während er draußen gewesen 
war. 

Und Doolin? 
Nein, der auch nicht. Es mußte ein kleinerer und 

schwächlicherer Typ gewesen sein, der ihn ins Reich der 
Träume geschickt hatte. Mit einem harten Gegenstand, der 
jedoch nicht so hart gewesen war, um seinen Schädel zu 
verletzen. 

Miller fiel ein, daß er Doolin eine Antwort schuldig war. Er 

sah auf und sagte mit betonter Sicherheit: 

»Muß was mit dem Magen sein, Boß. War schon zum 

zweitenmal draußen, aber…« 

Doolin hatte sich gesetzt und einen langen Schluck aus 

background image

seinem Glas genommen. Unwirsch winkte er ab. 

»Hört mal her, Jungs«, sagte er. »Morgen reiten wir nach 

Westen und kümmern uns ein bißchen um den Camino del 
Diablo. Freunde von mir brauchen ein sicheres Geleit bis zur 
Wüste. Wir reiten alle, ohne Ausnahme, auch diejenigen, denen 
es in den Därmen rumort. Kapiert?« 

Elvis Wash nickte. 
»Okay, Boß. Darf man fragen, was das für Freunde sind?« 
»Freunde«, erwiderte Doolin und warf einen finsteren Blick 

zu Wash hinüber. »Gute Freunde. Noch was?« 

Wash schüttelte den Kopf. 
»Was machen wir, wenn uns Apachen angreifen? Im 

Augenblick ist dort unten der Teufel los. Cochise fällt über 
alles her, was eine weiße Haut hat und…« 

»Sie greifen uns nicht an«, unterbrach Doolin ihn hart. 

»Kümmert euch um eure Angelegenheiten und überlaßt die 
Führung der Bande mir. Noch etwas: In der Nähe von Nogales 
gibt's 'ne Pferderanch. Alles ausgesuchte Zuchttiere. Ich denke, 
wir nehmen das Geschäft mit, wenn wir schon so weit im 
Süden sind.« 

Elvis Wash und Hugh McDonnel wechselten einen schnellen 

Blick. Miller sah die stummen Zeichen der Augen und erkannte 
ihren Sinn. Wenn er sie nicht zu deuten gewußt hätte, wären sie 
ihm spätestens bei Hugs Worten klargeworden. 

»Zuchtpferde sind aber 'ne Menge mehr wert als der 

Krimskrams, den wir bei den Rothäuten einheimsen, Boß. Ich 
denke, du erhöhst unseren Anteil um ein Beträchtliches. 
Immerhin ist auch das Risiko für die Bande größer und die 
Abwicklung der Geschäfte gefährlicher. Die geringste 
Unaufmerksamkeit, und wir haben einen Sternschlepper auf 
unserer Fährte. Wie siehst du die Sache, Boß?« 

Doolin schien sie anders zu sehen, nicht als gutes Recht 

seiner Männer, von einer größeren Beute auch mehr Anteil zu 
erhalten. Sein Gesicht überzog sich wie mit Gewitterwolken. 

background image

»Wir teilen immer ehrlich«, antwortete er. »Zwei Fünftel für 

mich, der Rest für euch. So war's vereinbart. Schließlich muß 
ich alles planen und mir Gedanken darüber machen, wo sich 
der nächste Coup lohnt…« 

»Großer Gott!« unterbrach Fred Honda ihn mit gespieltem 

ehrfürchtigem Staunen und heuchlerischer Einfalt in der 
Stimme. »Diese Masche – nein!« Seine Hand fiel klatschend 
auf den Tisch. »Haben wir jemals einen lohnenden Coup 
ausgeführt, der was einbrachte?« fragte er mit beißender Ironie. 
»Plunder! Flitterkram und Glasperlen, wertloses Zeug, das sich 
nicht einmal mitzunehmen lohnte. Wie du das Zeug an den 
Mann bringen und dafür noch gute Dollars bekommen 
konntest, wird für alle Zeiten dein Geheimnis bleiben.« 

»Werde nicht unverschämt, Fred.« 
Aber Honda ließ sich nicht einschüchtern. 
»Coup? Pah! Mich und die Jungs würde interessieren, von 

welchem lohnenden Unternehmen du überhaupt sprichst.« 

Doolin stand auf und stemmte die Fäuste auf den Tisch. 
»Hört zu«, knurrte er wütend, »ihr könnt jederzeit aussteigen 

– alle! Solche Schlappschwänze wie euch kriege ich überall. 
Los, haut ab! Verduftet, wenn euch meine Anordnungen nicht 
mehr gefallen!« 

Betretenes Schweigen. Zurückhaltung. Sie hätten sich 

absetzen und verschwinden können, und niemand hätte sie 
vermutlich daran gehindert. Aber wohin? Die andere Bande 
wollte sie nicht. Sie, die Geldschrankknacker, Posträuber und 
Waffenhändler lebten im Überfluß, wären aber nie bereit 
gewesen, einen Anteil ihrer Beute abzugeben. 

Millers Blicke glitten an den Gesichtern der Männer entlang, 

die die Köpfe hängen ließen. 

Doolin hatte sich wieder in der Gewalt, pochte hohnvoll und 

siegessicher mit den Knöcheln auf den Tisch und ging. 

Niemand rief ihm etwas nach. Eine lange Weile schwiegen 

die Banditen, grübelten vor sich hin. Curt Miller berichtigte 

background image

seinen anfänglichen Verdacht. 

Doolin war nicht gleichzeitig auch der Boß der anderen 

Bande, wie er draußen vor dem Fenster vermutet hatte. Er hatte 
den Maskierten mit dem Halstuch und im gelben Mantel 
gesehen. Doolin aber war mit einem Pelzmantel 
hereingekommen. 

Er stand auf. 
»Ich muß schon wieder«, sagte Miller und verließ den Saloon 

durch die Hintertür.  

Der Mond ging auf, als John Haggerty den westlichen Teil des 
Passes erreichte. Eine weite, ebene Fläche lag vor ihm, und an 
ihrem Rand erhoben sich die Berge gegen den Nachthimmel. 

Seit drei Tagen war er unterwegs, um Cochise zu finden. 

Schlucht für Schlucht, Ebene für Ebene hatte er abgesucht. 
Aber der Jefe blieb mit seinen Kriegern wie vom Erdboden 
verschluckt. 

Der Wallach wieherte verhalten. Haggerty hob schnell den 

Kopf. 

»Witterst du etwas, Junge?« 
Da vorn ragte irgend etwas dunkel auf. 
»Bäume, bei Gott!« murmelte der Scout. »Tatsächlich 

Bäume.« 

Wo es die gab, war vermutlich auch Wasser. Aber wo 

Wasser war, da hielten sich womöglich auch Apachen auf. Sie 
kannten die Gewohnheiten der Weißen. Die liefen durstig wie 
Schafe zum Wasser, und sie blieben auch beim Wasser und 
lagerten dort. Deshalb waren sie auch so leicht wie Schafe zu 
erledigen. 

John wollte weiter, aber ein erneutes Schnauben hielt ihn 

wieder auf. Seine Augen suchten in der Finsternis. 

Bewegung, unklare Laute. Eine Glocke läutete. Stimmen. 

background image

Und dann sah er sie. 
Die Maultiere kamen aus der Ebene und zogen zum Wasser. 

Flankiert von sechs Reitern, die wie nasse Säcke auf ihren 
Pferden saßen, schlichen die müden Maulesel durch den Sand, 
der erste mit dem Schwanz an das Zaumzeug des zweiten 
gebunden und so fort. 

John schwang sich aus dem Sattel. Zu Fuß war ein Mann in 

der Wüste schlechter zu erkennen als hoch zu Pferd – Apachen 
hatten scharfe Augen und ein feines Gehör. 

Dem Scout war es klar, daß die Chiricahuas die 

Maultierkarawane beobachteten. In der Nacht griffen sie zwar 
nicht an, aber sobald das erste Grau des neuen Tages über den 
Horizont zuckte, dann waren sie da. Und sie würden sich 
erinnern, in der Nacht einen einzelnen Reiter gesehen zu haben. 

Mit dem Pferd am Zügel zog er sich tiefer in die Klippen 

zurück, durch die er vor wenigen Minuten geritten war. Im 
Schatten einiger zerklüfteter ›Haifischzähne‹ blieb er stehen, 
beschwerte die Zügel mit einem Stein und wandte sich dann 
wieder der Wasserstelle dort draußen zu. 

Die Reiter hatten die Maultiere inzwischen in einen Kreis 

laufen lassen und die Lasten von ihren Rücken genommen. 
Einzeln führten sie die Tiere zur Tränke. Zwei andere zogen 
einen Seil-Corral zwischen flachkronigen Bäumen und trieben 
die getränkten Tiere hinein. 

Ein Feuer flammte auf. Ein mächtiges Feuer. 
Idioten! dachte John und schüttelte den Kopf. Kein Indianer 

würde ein solches Feuer abbrennen und sich dann noch gut 
sichtbar vor die Flammen setzen. 

Nach einer Weile sah John Haggerty wieder hinüber und 

wunderte sich über das lautstarke Lagerleben. Das Feuer 
knackte und prasselte, Stimmen brüllten förmlich, um sich 
verständlich zu machen. Man aß, trank, lachte und schrie in die 
Nacht, daß jeder Apache in 30 Meilen Umkreis hellhörig 
werden mußte. 

background image

Plötzlich bemerkte John einen huschenden Schatten. Weg 

war er. Da, jetzt wieder. In dieser Sekunde wußte der Scout, 
daß er Cochise gefunden hatte. 

Er ließ sein Pferd zurück, lief los, tief geduckt. Er blickte 

sich ununterbrochen um – nach links und rechts, nach vorn und 
hinten, und hörte nicht auf damit. 

Wer aufhörte, sich umzusehen, starb sehr schnell. 
Hinter einem Steinhaufen kauerte er sich nieder. Deutlich 

konnte er das Camp vor sich sehen. Die sechs Kerle tranken 
Whisky und ließen die Flasche kreisen. 

Dann sah er auch den Späher wieder. Der Apache kroch auf 

Händen und Füßen näher zum Feuer heran. In einem 
Tamariskendickicht blieb er liegen und verhielt sich still. John 
sah nichts mehr von ihm. 

Langsam brannten die Flammen nieder, und die Flasche 

kreiste nicht mehr. Stille zog beim Lager ein. John sah den 
Indianer aus dem Gebüsch huschen und das Weite gewinnen. 

Er zog sich ebenfalls zu seinem Pferd zurück, setzte sich auf 

einen Stein und drehte sich eine Zigarette. Als er sie hinter der 
vorgehaltenen Hand anzündete, schloß er die Augen, um nicht 
geblendet zu werden. Das Tier hinter ihm verhielt sich still. 

John stand auf, nahm die Wasserflasche vom Sattelhorn und 

schüttete den Rest in seinen Hut. Er ließ das Pferd saufen, 
anschließend band er ihm den Futtersack um. 

Die Nacht schleppte sich in monotoner Gleichmäßigkeit 

dahin, und während die Sterne zu verblassen begannen, erhob 
sich John und kletterte den Hang hinauf. 

Als er auf dem Kamm stand, erkannte er die Bewegung ein 

Stück weiter rechts. Das erste schwache Grau stahl sich über 
die Berge. Wieder eine Bewegung. 

John legte sich auf den Boden und robbte dichter heran. Sein 

Gewehr zog er immer ruckartig mit. 

Keuchend blieb er liegen. Er traute seinen Augen kaum, als 

sich die Gestalt vor ihm aufrichtete und die Arme ausbreitete. 

background image

Nackt, wie sie war, nur mit einem gefleckten Lendenschurz aus 
Pantherfell bekleidet, wirkte sie wie eine heidnische Gottheit. 

John kroch näher. Vor dem Indianer fiel der Gebirgskamm in 

langen Terrassen in die Ebene hinab, und dort unten war das 
Lager der Maultierkarawane. 

In diesem Augenblick strahlte das erste Morgenlicht über den 

Gebirgszug. Der Indianer trat vor bis an die erste Terrasse, 
starrte herab. Da erkannte ihn John Haggerty. 

Cochise! 
John blickte hinüber zu den anderen Felsformationen. 

Bewegung überall. Seine Kehle war trocken und wund, wie mit 
Sand geschmirgelt, und er hätte keinen Ton hervorgebracht, 
wenn er dies gewollt hätte. 

Cochise hob die rechte Hand, gab ein Zeichen. Dann nahm er 

das Kriegsbeil aus der Linken und schwang es hoch über 
seinem Kopf. 

Er befahl den Angriff. 
John mußte die Leute dort unten im Lager retten. Leise stand 

er auf, nahm den Henry-Stutzen beim Lauf und schlug mit dem 
Kolben zu. Cochise brach wie vom Blitz getroffen zusammen. 

Ein gleitendes Kratzen, Schaben neben John. Ein zweiter 

Krieger stürzte sich auf ihn. John fiel ihm in den Arm, wehrte 
die zum Stoß erhobene Messerhand ab und stieß den 
Chiricahuas zurück. 

Ganz plötzlich wurde es taghell. John erkannte den jungen 

Krieger: Naiche. 

Er warf sich wieder auf den Weißen, dabei stieß er einen 

wütenden Schrei aus. Sie rangen miteinander, versuchten sich 
gegenseitig mit dem Knie in den Magen zu treten. John bekam 
allmählich die Oberhand, aber sein Sieg war so weit entfernt 
wie der Mond. 

Hinter ihm richtete sich der Jefe wieder auf und sprang hoch. 

Tödlich wie ein Vipernbiß warf er sich auf John Haggerty und 
schlug mit der Streitaxt zu. 

background image

Johns Hände verkrampften sich in das graue Hemd Naiches, 

riß es ihm fast vom Körper. Und als er fiel, zerrte er den jungen 
Krieger mit zum harten Felsboden. 

Cochise schwang die Axt, die den Scout niedergeschlagen 

hatte. Mit einem gellenden Schrei gab er das Zeichen zum 
Angriff.  

Sie kamen den langen Hang herunter und bogen in das steinige 
Tal ein, das, wasser- und vegetationslos, zwei Gebirgsstöcke 
miteinander verband. Elvis Wash führte den Trupp. Hinter ihm 
ritten Fred Honda, Hugh McDonnel und Hank Doolin. Curt 
Miller machte den Schluß. 

Unten angelangt, übernahm Doolin die Führung und ritt 

einen gewundenen Canyon an, der in das Tal mündete. Der 
Weg führte bergauf, um auf der Höhe des Kammes wieder 
sanft nach unten zu fallen. 

Miller hielt immer noch den Schluß. Gedanken glitten wie 

bunte Lichter durch seinen Kopf. Doolin hatte kein Vertrauen 
zu ihm und machte dies bei jeder Gelegenheit deutlich. Curt 
Miller seinerseits grübelte ständig über die vergangenen Tage 
nach und wurde sich mehr und mehr bewußt, daß sein Leben in 
Gefahr war. Doolin würde ihn ermorden lassen, wie es mit 
Buster Liven geschehen war, der zuviel gewußt hatte. 

Auch er wußte einiges, jedoch konnte er sich noch kein 

klares Bild von der Gesamtsituation machen. Doolin überfiel 
am liebsten Indianerdörfer, ließ Frauen, Kinder und alte Leute 
töten, raubte wertlosen Plunder, wie Gebrauchsgegenstände, 
Pfeile und Lanzenspitzen, und erhielt von irgendwoher Geld 
dafür. 

Eine andere Bande von Outlaws, die sich ebenfalls in Santa 

Magdalena eingerichtet hatte, überfiel Wagenzüge, 
Posthaltereien und Banken. Sie machten das große Geld. 

background image

Miller gelang es trotz intensiven Nachdenkens nicht, etwas 

Verbindendes zwischen den beiden Banden zu finden, und 
doch mußte es dasein, weil sich zu viele Dinge glichen. 

Den Boß der anderen, den er bei seiner Lauschaktion 

gesehen hatte, kannte er nicht. Aber Doolin mußte ihn kennen, 
und das brachte ihn selbst immer näher an jene Situation heran, 
die binnen Sekunden sein Leben auslöschen konnte. 

Für Curt Miller war es sonnenklar geworden, daß nicht der 

betrunkene Hosenfummler ihn niedergeschlagen hatte. Der 
Hieb war aus der offenen Hintertür abgegeben worden. 

Doolin oder der Boß der anderen Bande? Womöglich 

arbeiteten die beiden zusammen und teilten sich den 
Löwenanteil der Beute, während Wash mit seinen Männern 
fast leer ausging. 

Ein kaltes Rieseln glitt Miller über den Rücken. Den Tod aus 

seinen Überlegungen so nahe vor den Augen, beschloß er, in 
der kommenden Nacht seinem Gaul die Sporen zu geben, um 
sich abzusetzen. 

Als die Kavalkade die Ebene erreichte, war es bereits dunkel. 

Unvermittelt hob Hank Doolin die linke Hand und zügelte sein 
Pferd. Von Nordosten her schob sich eine langgezogene 
Maultierkarawane durch die Dämmerung und näherte sich 
einem schmal aus der Ebene tretenden Grüngürtel. 

Alle sahen sie hinüber. Wash wandte sich an Hugh 

McDonnel: 

»Ganz schön beladen, was? Die hochzunehmen würde sich 

bestimmt mehr lohnen, als ein Wickiup zu überfallen.« 

McDonnel reagierte nicht. Nur Doolin blickte zurück und 

brummte: 

»Halt dein großes Maul, El! Wir haben anderes zu tun, als 

uns mit reisenden Händlern abzugeben.« 

Wash schwieg, blickte Miller an und dann wieder weg. 
Doolin sah sich um. Weiter hinten in der Ebene gab es ein 

wildes Felsengebiet mit etwas Vegetation. Er ritt an und hielt 

background image

darauf zu. 

Die Klippen boten ausgezeichneten Schutz für die Nacht, 

Futter für die Pferde und Gelegenheit, die müden Knochen 
auszuruhen. 

Doolin ließ absitzen und ein Feuer anzünden. Wenn er 

gewußt hätte, daß ihn zwei Augen haßerfüllt beobachteten, 
hätte er es sicherlich unterlassen und wäre schnell 
weitergeritten. 

Miller bekam die letzte Wache zugeteilt. Die Ebene mit dem 

Flußlauf lag noch im tiefsten Dunkel, als er sich auf einen Stein 
setzte und zu grübeln begann. Er brauchte nicht lange, die 
Situation, seine Chancen und Nöte auf einen gemeinsamen 
Nenner zu bringen. Der Gedanke, fliehen zu müssen, drängte 
sich von Minute zu Minute mehr in seine Überlegungen. 

Kurz entschlossen erhob er sich, ging zu den Pferden hinüber 

und sattelte sein Tier. Am Zügel zog er es aus dem Lagerkreis 
und stieg erst auf, als er weit genug entfernt war, damit ihn die 
Schlafenden nicht hören konnten. 

Fern im Osten graute der neue Tag und sandte sein erstes 

Licht über das Gebirge. Miller wollte seinem Pferd die Zügel 
freigeben, als in seinem Rücken ein furchtbares Geheul laut 
wurde. Schüsse hallten durch den frühen Morgen. 

Curt parierte sein Pferd und zog es herum. Im Süden sah er 

eine Staubwolke, die der Wind weitertrieb. Staub überall, dazu 
die gellenden Kriegsschreie der angreifenden Apachen, die 
Schüsse der Überfallenen… 

Miller wußte, was sich abspielte. 
Er riß sein Pferd in die alte Richtung und gab ihm die Sporen 

zu fühlen. 

Als wäre der Satan hinter ihm her, stob er im wilden Galopp 

nach Norden.  

background image

John Haggerty kam zu sich. Er war an Händen und Füßen 
gefesselt, lag aber allein auf einer mittelgroßen Felsplatte in der 
grellen Sonne. Noch war es früh und nicht heiß. Er drehte den 
Kopf. Niemand war zu sehen. 

Die Schatten der schrecklichen Nacht waren einem 

strahlenden Tag gewichen, der heiß zu werden versprach. John 
hatte Durst. Seine Zunge klebte förmlich am Gaumen, aber 
keiner gab ihm Wasser. 

Er hob die gefesselten Füße an und ließ sie mit den Sporen 

auf den Stein fallen. Es gab ein knirschendes Geräusch. Hinter 
einem Felsen lugte ein Kopf hervor, blickte herüber. John sah 
das helle Stirnband und die dunklen Augen. 

Hinter ihm knirschten leichte Schritte auf Sand und Geröll. 

Ein Schatten fiel über ihn. John blickte hoch und erkannte 
Cochise. Zwei weitere Apachen kamen heran: Naiche und ein 
Krieger. Naiches Augen blitzten wütend. 

Er trat John Haggerty in die Rippen, aber Cochise schüttelte 

den Kopf. 

»Warum bist du zurückgekehrt?« 
»Ich überbringe eine Botschaft des großen weißen 

Häuptlings, Jefe.« 

Naiche spuckte aus, der Krieger in seiner Nähe grollte, nur 

Cochise blieb ruhig. 

»Welche Botschaft?« 
»Friede, Cochise. Kein Kampf mehr zwischen weißen und 

roten Männern. General Howard bittet dich um eine 
Unterredung unter vier Augen.« 

»Nur er und ich?« 
»So ist es. Was darf ich ihm melden?« 
Cochise sagte: 
»Du lügst, Scout. Du willst dich mit einer Lüge freikaufen.« 
Haggerty richtete sich halb auf. 
»Ich sage die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Der Krieg 

bringt keiner Seite etwas. Weiße und Rote können 

background image

nebeneinander leben, wenn sie sich gegenseitig respektieren. 
Wenn du mich jetzt töten läßt, wird es nie Frieden an der 
Grenze geben, und ihr, die Apachen, seid in einem Jahr 
ausgelöscht.« 

»Schöne Worte«, sagte der Jefe, aber seine Stimme klang 

nachdenklich. Nach einer Weile wandte er sich an seinen Sohn. 
Er sagte ein paar Worte, die John nicht verstand. Mißmutig 
beugte sich Naiche zu Haggerty und zerschnitt dessen Fesseln. 

John stand auf, rieb sich die schmerzenden Gelenke. 
»Reite«, sagte Cochise mit seiner tiefen Stimme. »Reite, 

weißer Mann! Ich erwarte General Howard in der Nacht zum 
Vollmond im San Pedro-Tal. Allein und ohne Waffen.« 

Vollmond war in zwei Wochen. John Haggerty hatte sein 

Ziel erreicht. 

Ein Glücksgefühl durchströmte ihn. Bevor er sich abwandte, 

um zu seinem Pferd zu gehen, das ein Indianer heranbrachte, 
fragte er: 

»Was geschah mit der Maultierkarawane, Jefe?« 
Cochises Finger glitt über seine Kehle. 
»Tot«, antwortete er darauf. »Vernichtet.« 
Haggerty nickte. Das hatte er sich gedacht. Trotzdem fragte 

er: 

»War die Beute groß?« 
Ein triumphierendes Lächeln glitt über Cochises Züge. 
»Gewehre, Pulver und Blei. Sie war groß. Jetzt reite, bevor 

ich meinen Großmut bereue.« 

John Haggerty drehte sich um und ging zu seinem Pferd. 

ENDE