Alexander Calhoun
Ein Pfeil als Lohn
Apache Cochise
Band Nr. 5
Version 1.0
Prolog
Als die weißen Amerikaner Mitte des 19. Jahrhunderts den
Südwesten der USA zu besiedeln begannen, stießen sie auf ein
indianisches Volk, das bereits die Spanier und Mexikaner hatte
teuer dafür bezahlen lassen, daß sie unbefugt in ihre
Jagdgründe eingedrungen waren.
Die etwa ein Dutzend umfassenden Apachen-Gruppen und
Großsippen, am gefürchtetsten die Chiricahua-Apachen,
widersetzten sich der Niederwerfung durch die Weißen mit
allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln.
Sie überfielen zunächst Postkutschen, Frachtwagenzüge,
Armeepatrouillen, Farmen, abseits gelegene Ranches und
kehrten anschließend wieder zu ihren Stützpunkten in den
Bergen zurück, den sogenannten »Apacherias«, die bei den
Weißen der damaligen Zeit als uneinnehmbar galten.
Der Widerstand flammte zum blutigsten und grausamsten
Grenzkrieg der Indianergeschichte auf, als Cochise von
Mangas Colorados die Führung der Stämme übernahm.
Cochises Weitblick ließ ihn letztlich erkennen, daß der
Untergang der roten Rasse eine von den Weißen beschlossene
Sache war, die Anspruch erhoben auf alles Land zwischen den
Dragoon Mountains im Südosten, dem Mogollon-Rim im
Westen und der Gran Desierto im Süden.
Cochises Chiricahuas, die Kerntruppe seiner Streitmacht,
blieb im Angesicht der unaufhaltsamen Flut weißer Siedler,
Goldgräber und Desperados nur noch eine Devise: Raube,
ohne erwischt zu werden, töte, ohne getötet zu werden. Ein
Kampf ohne Erbarmen entflammte in den Canyons, Tälern und
Wüsten. Ein Kampf, dessen Schilderung in dieser Serie nicht
die ganze Brutalität wiedergeben kann, wie sie uns die
Geschichte überliefert hat.
1871 gelang es Cochise, die meisten Stämme der Apachen zu
einer einzigen Widerstandsfront gegen die Eindringlinge aus
Nord und Süd, Weiße und Mexikaner, zu vereinen. Die
blutigsten Massaker auf beiden Seiten waren die Folge.
Auf ihren flinken Ponys überfielen die Krieger in kleinen
Gruppen Wagenzüge und Posthaltereien im Norden, um am
nächsten Tag schon Farmer und Goldgräber im Süden oder
eine Patrouille der Army im Westen anzugreifen.
Militär und Siedler waren macht- und hilflos und ohne eine
Möglichkeit gezielten Widerstandes den ständigen
Apachenangriffen ausgesetzt.
Wenn 1870 General Sherman nach Washington schrieb:
»Wir führten einen Krieg gegen Mexiko, um Arizona zu
bekommen, wir sollten jetzt einen Krieg führen, um dieses Land
wieder loszuwerden«, so kennzeichnen diese Worte die
verzweifelte Hilflosigkeit des Militärs.
Diese nach authentischen Überlieferungen verfaßte Serie soll
dem größten aller indianischen Führer ein Denkmal setzen:
Cochise.
Dem Wirken dieses Mannes und seinem Weitblick für
politische Veränderungen ist es zu verdanken, daß diese Story
mit ihrer ganzen Dramatik wahrheitsnah niedergeschrieben
werden kann.
Unsere Autoren fühlen sich verpflichtet, neben der
Herausstellung der abenteuerlichen Charaktere, die in jener
Zeit Geschichte machten, auch der historischen Wahrheit die
Ehre zu geben.
Nichts soll verschwiegen, nichts hinzugefügt oder entstellt
werden.
Ihr Martin Kelter Verlag
***
Die Stagecoach war angespannt und reisefertig. Anstelle der
sechs schwarzen Pferde standen sechs braune in den Sielen.
Maritoba-Jones entfernte die Keile unter den Rädern, während
Ben Lindford seinen Platz auf dem Bock einnahm.
Das Gewehr hielt er in der Armbeuge. Dabei warf er kurze
Blicke auf die Höhenzüge und stellte mit Befriedigung fest,
daß die beiden Indianergruppen verschwunden waren.
Jeffords und Jim Walsh kamen aus dem Haus. Ihnen folgten
die Fahrgäste, schließlich Charles Culver. Der erste Blick der
Stationsbewohner glitt hinauf zum Plateau und auf die andere
Schluchtseite. Sie seufzten erleichtert, als sie nur Steine und
keine Rothäute sahen.
Die Passagiere indessen wußten nichts von der Gefahr, die zu
beiden Seiten des Passes lauerte. Gestärkt und erfrischt
bestiegen sie die enge Kutsche, um es sich bis El Paso so
bequem wie möglich zu machen.
Die erste Station, die sie planmäßig anzufahren hatte, war
Gilbert-Crossing, die zweite Hachita und die dritte Columbus
in Neu Mexiko. Die Gesamtstrecke betrug 320 Meilen durch
endlose Wüsten und karstige Gebirge mit tief eingeschnittenen
Canyons.
Die Fahrgäste waren eingestiegen. Maritoba schloß den
Schlag und zog die Treppe ein. Mit einem Grinsen schwang er
sich auf den Kutschbock, löste die Bremse und nahm die
Peitsche in die Hand. Die Stagecoach rollte durch das Tor auf
die Paßstraße.
Jeffords, Walsh und Charles Culver blickten ihr nach.
Jeffords hatte plötzlich ein flaues Gefühl im Magen. Er legte
dem kleineren Culver eine Hand auf die Schulter und sagte
leise:
»Mir ist gar nicht wohl in meiner Haut, Charles. Diese
Ahnung …«
»Was soll das?«
»Ich kann's nicht erklären. Wie – wie von kommendem
Unheil.«
»Die Kutsche?«
Thomas Jeffords zuckte mit den Achseln.
»Keine Angst, Chef, die kommt schon heil an. Maritoba ist
der beste Fahrer weit und breit, und Lindford ist mit seinem
Gewehr auch nicht grade von Pappe.«
»Hoffentlich«, murmelte Jeffords und ging ins Haus.
Maritoba-Jones lenkte das schwere Gefährt indessen die
gewundene Paßstraße hinab. Er hatte keine Eile. Die Strecke
war abschüssig und kurvenreich. Er mußte sein ganzes
Geschick aufbieten, das Sechsergespann heil durch die Kehren
zu bringen.
Die »Teufelskante« kam in Sicht. Die Paßstraße machte hier
eine Wendung um fast 180 Grad, beschrieb dann einen
entgegengesetzten Bogen und führte danach wieder in die alte
Richtung.
Hin und wieder zog er die Bremse an, damit die Kutsche
nicht zuviel Fahrt bekam und ins Schleudern geriet. Lindford
sah sich alle paar Minuten um und schien dem Frieden nicht so
ganz zu trauen.
»Wo sie wohl abgeblieben sind?« quetschte Jones undeutlich
durch die Zähne.
»Wer?«
»Die Redmen, wer denn sonst.«
»Sie sind noch in der Nähe«, antwortete Lindford und packte
sein Gewehr fester. »Ich fühl’s in allen meinen alten
Knochen.«
»Ja, paß auf. Hinter der ›Teufelskante‹ lege ich einen Zahn
zu.«
»Das wird ein tolles Geschrei unter den Fahrgästen geben.«
»Ist mir egal, sollen sie getrost schreien. Noch zweihundert
Yards, Ben. Ich zieh die Kutsche ziemlich nahe an die
Felswand. Das gibt mir mehr Spielraum, wenn die Hinterräder
wegrutschen.«
»Deine Kutsche«, sagte Lindford und warf einen Blick über
die Schulter.
»Siehst du was?« fragte Jones.
»Ja. Eine ganze Menge sogar.«
»Was, du Trottel?«
»Rothäute. Mehr als zwanzig.«
»Meinetwegen hundert«, sagte der Fahrer ungerührt. »Sie
können auf dem engen Paßweg nicht an uns vorbei, es sei
denn, die klettern wie Gemsen.«
Die »Teufelskante« war noch etwa 50 Yards entfernt. Das
Gespann schoß auf die Kehre zu.
»Wie weit noch?« wollte Maritoba wissen.
»Achtzig Pferdelängen. Sie holen auf, Jones.«
»Knall ein paar aus dem Sattel, das macht sie vorsichtiger.«
»Geht nicht.«
»Weshalb nicht? Du bist einer der besten Gewehrschützen,
die ich kenne.«
»Geht trotzdem nicht, weil sie auf keinem Sattel sitzen.«
»Blödmann! Schießt du endlich?«
Ben Lindford drehte sich auf dem Bock, das Gewehr an der
Schulter. Bedächtig nahm er Druckpunkt und Ziel. Als er den
vordersten Krieger genau im Visier hatte, krümmte er den
Zeigefinger.
Die Rothaut warf die Arme in die Höhe und fiel vom
Mustang. Sofort rückte der nächste Krieger an seine Stelle. Ben
lud nach. Während er die Patrone in die Kammer hebelte, sagte
er:
»Du scheinst recht zu haben, Jones.«
»Womit?«
»Du nanntest mich einen der besten Schützen, die du kennst.
Ich habe einen erwischt.«
»Gratuliere. Halte dich mal fest, jetzt geht's in die Kehre.«
Jones zog die Bremse an. Funken stoben unter den Rädern.
Mit einem Zügelruck lenkte er die Leitpferde in die Kurve. In
dem Augenblick, wo das Fahrzeug einschwenkte, löste er die
Bremse und stieß einen gellenden Schrei aus. Hart und laut
knallte die Peitsche.
Die sechs Pferde rasten los. In ihrem Rücken ertönte lautes
Wutgebrüll, aus der Kutsche Schmerzensschreie und Flüche.
Lindford hob sein Gewehr. Als der Pulk der Rothäute um die
Kehre preschte, zog er durch und traf einen weiteren Indianer.
»Gut so«, sagte Jones anerkennend. Er ließ die Peitsche
knallen und stieß anfeuernde Schreie aus.
»Sie holen auf«, sagte Lindford. »Kannst du deine
verdammten Schinder nicht mal ein bißchen unterm Schwanz
kitzeln?«
»Puste noch ein paar weg«, antwortete Maritoba-Jones
bissig. »Wenn sie Verluste hinnehmen müssen, lassen sie
vielleicht von uns ab.«
»Vielleicht?« murmelte Ben und riß sein Gewehr an die
Schulter. Der Schuß krachte, holte einen weiteren Apachen von
seinem Bronco.
»Nummer drei«, sagte der Schütze und grinste.
Er lud nach, hob die Waffe und schoß – vorbei. Lindford
fluchte wie ein arabischer Wasserträger.
»Kannst du die verdammte Karre nicht ruhiger fahren?«
»Schieß besser, dann triffst du auch.«
Das Gefährt rollte im Höllentempo die Paßstraße hinab. Die
Angst- und Entsetzensschreie der Passagiere wurden lauter und
anhaltender.
»Blöken wie Lämmer, das können sie«, knurrte Maritoba und
ließ die Peitsche knallen. »Aber keiner denkt daran, sein
Schießeisen zu benutzen.«
Der Fahrtwind riß ihm die Worte von den Lippen. Lindford
wandte sich ihm zu. Während er sein Gewehr lud, brüllte er:
»Was hast du gesagt?«
»Du sollst besser schießen, du Armleuchter!«
Lindford legte an, nahm lange Ziel, dann drückte er ab. Die
vierte Rothaut warf die Arme hoch, verschwand im Staub.
Es half nichts, die heulenden Apachen kamen näher und
näher. Die Spitze war kaum noch zehn Pferdelängen hinter der
Kutsche und machte Anstalten, sich auf das Gefährt zu
schwingen. Für Lindford wurde das Zielen immer schwieriger,
denn die Talfahrt nahm zu, und die Concord schwankte
bedenklich.
Maritoba-Jones kannte die Strecke wie seine Westentasche.
Das gefährlichste Stück kam erst noch. Eine Viertelmeile, und
die Paßstraße wurde so eng wie ein Hohlweg. Nur daß man von
einem Hohlweg kaum reden konnte. Die linke Seite wurde von
der himmelstürmenden Steilwand begrenzt, die rechte stürzte
in einen Abgrund von mindestens 150 Fuß.
Lindford schoß wieder vorbei. Fluchend und murrend lud er
nach, feuerte erneut. Treffer. Fünf der Angreifer hatte er außer
Gefecht gesetzt, aber es waren immer noch mehr als genug, die
Weißen zu überwältigen. Jones hieb auf die Pferde ein.
Schaumflocken wehten von ihren Mäulern. Die Tiere streckten
sich wie Katzen, näherten sich der gefährlichen Stelle. Hinter
der Kutsche waren zwei Apachen ganz dicht herangekommen.
Der erste Krieger, der überspringen wollte, wurde von Lindford
erwischt.
Dem zweiten Mimbrenjo jedoch gelang es, vom Pferd aus
aufzuspringen und sich am Federbügel festzuhalten. Lindford
hatte es bemerkt und war sich der Gefahr bewußt, in der sie
alle schwebten. Mit dem Gewehr jedoch konnte er den toten
Punkt nicht erreichen.
Die Straßenenge flog förmlich der dahinrasenden Concord
entgegen. Neben Lindford tauchte eine berittene Rothaut auf.
Sie trug Kriegsfarben im Gesicht, die durch den Schweiß
verlaufen waren. Er sah schauerlich aus.
Maritoba entdeckte ihn, als er sein Pony wieder antrieb, um
vor der Enge aufspringen zu können. Der Apache ritt mit
keuchendem Pferd näher, ohne hinter sich zu blicken,
zielstrebig und mordlustig.
Jones mußte sich auf die Lenkung der schweren Kutsche
konzentrieren. Wenn er nur jetzt nicht aufspringt, dachte er.
Nur jetzt nicht. Aber dem Indianer blieb keine andere Wahl. Er
mußte springen oder mit seinem Pferd in die Tiefe stürzen.
Die Rothaut sprang mit einem gellenden Schrei. Jones hob
das Bein in einer einzigen Reflexbewegung und traf die Brust
des Mannes. Rückwärts verschwand der Mimbrenjo und stürzte
mit gellendem Schrei in die Tiefe.
Aber das Unglück war geschehen. Jones verlor die Gewalt
über das Fahrzeug. Die beiden Führungspferde scherten aus,
wurden durch harten Zügelruck wieder zurückgerissen. Die
Kutsche kam vom Weg ab, hing mit dem rechten Hinterrad
über dem Abgrund, konnte aber noch einmal Boden gewinnen
und wurde von den galoppierenden Pferden auf die Straße
gezerrt. Ein Zeitaufschub von wenigen Sekunden, mehr nicht.
Jones zog die linke Bremse an, um die nach innen weisende
Fahrtrichtung der Concord zu unterstützen. Es gelang ihm
nicht. Das linke Hinterrad brach ein, Steine polterten in die
Tiefe. Die Kutsche sackte ab. Die Hinterachse brach, das rechte
Hinterrad zersplitterte, die Deichsel stellte sich hoch und nahm
den Pferden jeglichen Bewegungsraum. Jones rief:
»Abspringen, Ben!«
Der konnte nicht. Neben ihm gähnte der Abgrund. Maritoba-
Jones hatte noch Gelegenheit, vom Bock zu springen. Als er
sich aufrichtete, traf ihn ein Pfeil in den Rücken und warf ihn
vorwärts in das Gestänge.
Der gemischte Klang von brechendem Holz, Angstgeschrei
und wilden Kriegsrufen der Apachen drang durch den Paß. Die
Kutsche kippte nach rechts. Gewachsener Stein am
Schluchtrand brach und sauste nach unten.
Ihm folgte die Kutsche, riß Menschen und Pferde mit in die
Schlucht. Sie schlug mehrmals auf, zersplitterte. Die Schreie in
der Schlucht verstummten.
*
Der volle Mond hing wie ein gelber Ballon über dem Gebirge
und beschien eine malerische Szene, die vermutlich noch kein
Auge eines Weißen erblickt hatte.
Im Canyon brannten mehr als zehn große Holzstöße und
beleuchteten die Wände bis hoch hinauf zu den
Schluchträndern. Krieger und Frauen liefen hin und her. An
kleineren Feuern wurden Festbraten hergerichtet. Junge
Krieger, die noch keinen Namen hatten, drehten die Spieße.
Zwischen den Jacales innerhalb des Schutzwalles saßen
Cochise, sein Sohn Naiche, Yuh, der Häuptling der Nedni-
Apachen, und Nahlekadeya. Ältere Krieger mit Rang und
Namen gesellten sich dazu.
Es wurde gegessen, getrunken und gescherzt. Man rief
Cochise im Vorbeigehen freundliche Worte zu, die sich auf
seine bevorstehende Vermählung mit der jungen und schönen
Frau bezogen. Nahlekadeya hatte sich festlich geschmückt, ein
rehledernes gebleichtes Kleid angezogen, ihr schwarzes Haar
hochgebunden und Blumen eingeflochten.
Nahlekadeya saß mit ihrem Vater Cochise gegenüber. Über
das Feuer hinweg warfen sie sich Blicke zu, die Yuh mit einem
zufriedenen Grunzen quittierte.
Yadalanh und Giannatah, Cochises Neffen, traten heran und
setzten sich auf die freigehaltenen Plätze beim Feuer. Nach
einer Weile, als der Festschmaus gerade anfing, kam Naretana
mit seiner Squaw und nahm neben seinem Bruder Platz.
Man trank Tizwin an allen Feuern, und man wurde von
Stunde zu Stunde immer ausgelassener. Mächtige Krüge
machten die Runde, tönerne Schalen wurden gefüllt,
Holzbretter mit gebratenem Fleisch gereicht. Dazu aß man
Wildgemüse und gekochten Mais.
Am Feuer des Jefe ging es ruhiger zu. Cochise trank nie, sein
Sohn ebenfalls nicht. Die übrigen männlichen Verwandten
beschieden sich mit geringen Mengen des starken Getränks.
Frauen bekamen so gut wie nie Alkohol. Das Trinken starker
geistiger Getränke war Männersache.
Cochise sah sich um. Nirgendwo entdeckte er Tla-ina. Nach
ein paar Worten mit Naiche stand er auf und ging zum Feuer
der Frauen. Unter den Squaws befand sich das Mädchen auch
nicht. Cochise suchte Feuer für Feuer ab, ging bis zum letzten
hinüber bei der Quelle.
Tla-ina war nicht zu seinem Hochzeitsfest gekommen. Mit
gesenktem Kopf ging Cochise zurück. Als er an seinem Jacale
vorbeikam, hörte er gedämpftes Schluchzen. Er trat ein.
Tla-ina saß auf ihrem Lager und hielt das Gesicht in die
Hände vergraben. Tränen rannen. Das Mädchen weinte
bitterlich. Cochise setzte sich neben sie und legte einen Arm
um ihre Schultern. Beruhigend sprach er auf sie ein.
»Was ist es, das Tla-ina so traurig stimmt? Meine Hochzeit
mit Nahlekadeya?«
Sie schüttelte den Kopf, gab keine Antwort.
»Ist es der weiße Mann, der sich Haggerty nennt?«
Das Kopfschütteln blieb aus, dafür rannen die Tränen
reichlicher.
»Liebst du ihn?«
»Sehr, mein Bruder.«
»Du würdest seine Squaw werden?«
Ein kurzes Nicken. »Wenn du es erlaubst, Jefe?«
Cochise holte tief Luft. Er kannte die Probleme, die ein
Weißer bekam, wenn er sich eine rote Frau nahm. Squaw-Man
nannten sie solche Bleichgesichter. Cochise wußte, daß ein
Weißer gesellschaftlich und manchmal auch finanziell ruiniert
war, sobald er sich mit einer Indianerin einließ.
Viele Trapper lebten mit einer oder mehreren roten Frauen.
Das wußte der Jefe. Aber diese Männer hausten schon immer
in den Bergen und sehnten sich nicht wieder nach den
Ansiedlungen. Sie störten sich nicht an Klatsch und Mißgunst.
Einmal im Jahr verkauften sie ihre Felle an die Aufkäufer,
deckten sich dabei mit Proviant, Pulver und Blei ein und
verschwanden wieder.
Aber ein Scout der Armee konnte das nicht, das wußte
Cochise. Außerdem dachte er an die rassischen Probleme.
Kinder aus solchen Mischehen nannten die Weißen Bastarde.
Sie wurden verachtet, beschimpft und manchmal sogar aus den
Städten verjagt. Mit Mestizen oder Mulatten wollten die
hochnäsigen weißen Männer nichts zu tun haben, ihre Frauen
auch nicht.
»Weißt du überhaupt, ob der ›Falke‹ dich haben will?«
›Sanfter Wind‹ schüttelte den Kopf. »Darüber redeten wir
nicht.«
»Worüber denn?«
»Er versprach, wiederzukommen.«
»Der Scout war einmal in unserem Lager. Hast du nicht mit
ihm gesprochen?«
»Nein. Er war damals so seltsam, Jefe, ich weiß nicht …«
»Willst du, daß ich ihn herbitte?«
Tla-ina hob ihr tränennasses Gesicht, lächelte verkrampft.
»Wenn du das tun willst …«, flüsterte sie.
»Komm mit zum Feuer«, sagte er leise. »Freue dich an
meiner Freude und begrüße Nahlekadeya. Iß und trinke mit
uns, sei fröhlich und warte. Ich hole den ›Falken‹ in unser
Lager.«
Tla-ina erhob sich. Ihre Augen strahlten.
»Ich danke dir, Cochise.«
Am Feuer wurden sie bereits vermißt. Aller Augen richteten
sich auf sie. Inzwischen hatte der Mond seinen höchsten Stand
erreicht. Der Zeitpunkt für die Vermählungszeremonie war
gekommen.
Als sie nebeneinander Platz genommen hatten, erhob sich
Yuh. Seine ausgebreiteten Arme geboten Ruhe. Weithin hallte
seine Stimme:
»Der Bruder der Sonne ist mein Zeuge, die Sterne werden in
Ewigkeit bezeugen, und die Mutter allen Lebens, die Sonne,
wird das Zeugnis ihres Bruders, des Mondes, bestätigen:
Nahlekadeya, meine Tochter, wird dem Jefe der Chiricahuas in
seine Hütte folgen und seine Squaw sein. Sie wird sein Mahl
herrichten, sein Bett wärmen und seine Kinder großziehen.
Von nun an sind die Stämme der Chiricahuas und Nednis durch
Blutsbande so eng verknüpft, daß sie wie ein einziges großes
Volk wirken. Sonne, Mond und Sterne sind meine Zeugen. Der
Große Geist möge diesen Bund zwischen Krieger und Squaw
besiegeln und segnen. How!«
Cochise stand auf und streckte seinen imposanten Körper
dem Mond entgegen.
»Der Bund zwischen Nednis und Chiricahuas ist besiegelt.
Deine Feinde, Yuh, sind meine Feinde, meine Freunde sind
auch deine Freunde. Der Große Geist möge uns schützen und
unsere Frauen fruchtbar bleiben lassen.«
Er setzte sich wieder. Cochise hatte nicht nur eine Frau
bekommen, sondern einen Bund mit einem anderen Stamm
besiegelt, den er fest in seine Pläne einbeziehen konnte.
*
In einer Schlucht der Galiuro Mountains trafen sich zehn
Krieger. Fünf kamen von Süden, die anderen von Norden.
Vorweg ritten die beiden Anführer.
Victorio hob die Hand zum Gruß und stieg vom Pony.
Santana tat dasselbe und befahl seinen Tontos, sich ein paar
Schritte zurückzuziehen. Auch die Mimbrenjo-Gruppe saß ab.
Die Krieger hielten die Pferde beim Zügel und harrten der
Dinge, die sie mit Spannung erwarteten.
Die zwei Häuptlinge setzten sich mit untergeschlagenen
Beinen auf den Boden und starrten sich an. Sie kannten sich,
trotzdem blieben sie zurückhaltend.
Beide waren mit dem gleichen Interesse und mit den
gleichen Hoffnungen und Erwartungen aufgebrochen. Santana
war älter als Victorio. Ein schlauer Häuptling, der sich bei allen
seinen kriegerischen Handlungen gegen die Weißen nicht nur
vom Kampfgeist leiten ließ. Victorio dagegen war anders. Wild
und ungebändigt überfiel er alles, was eine weiße Haut hatte.
Er scheute sich nicht, auch größere Gruppen anzugreifen, wenn
er sich gute Beute und Skalps versprach.
»Du hast meinen Boten freundlich empfangen und mich
wissen lassen, daß du bereit bist, mit mir zu verhandeln.«
Victorio machte eine Pause, fuhr dann fort: »Immer mehr
Bleichgesichter dringen in unser Land ein. Mit jedem Weißen,
der den Boden aufgräbt oder gefleckte Büffel züchtet, wird
unser Lebensraum kleiner. Wir finden kaum noch Wild in den
Bergen, um uns zu ernähren. Ein Krieger kann nicht allein vom
Mais leben, er braucht Fleisch, um seine Kräfte zu erhalten.
Findet Santana noch genügend Fleisch in seinem Gebiet?«
»Wir finden nicht genügend Wild, um unsere Kinder und
Squaws zu ernähren. Du hast recht, Victorio, Mais ist nichts für
Krieger. Wie willst du die Weißen vertreiben?«
»Ich werde Krieg führen, bis das letzte Bleichgesicht
entweder getötet ist oder das Land meiner Jagdgründe
verlassen hat. Krieg!«
»Die Apachen führten immer Krieg, Victorio, trotzdem
wurden sie aus ihren angestammten Jagdgründen verdrängt und
in die Berge getrieben. Wie willst du Krieg führen?«
»Die Mimbrenjos werden die Bleichgesichter töten, wo sie
sie antreffen. Wir werden ihre Häuser überfallen und alles
zerstören und verbrennen. Schwarze Wolken werden über das
Land ziehen und den Bleichgesichtern verkünden, daß die
Apachen einen weiteren Sieg errungen haben. Zuerst müssen
ihre festen Häuser vernichtet werden und die Krieger in den
blauen Uniformen. Kein Langmesser darf lebend unsere
Jagdgründe verlassen. Wenn wir das erreicht haben, werden sie
es aus Angst nicht mehr wagen, in unser Land einzudringen.«
»Und was sollen die Tontos dazu tun?«
»Santana ist ein tapferer Krieger und weiß, wie groß die
Beute sein wird, die wir machen. Waffen, Lebensmittel,
Pferde, Maulesel… Was kann ein Krieger noch mehr
verlangen?«
»Nichts.« Santanas Augen funkelten. Victorio wußte, daß er
ihn überredet hatte. Er fuhr fort:
»Mimbrenjos und Tontos zusammen werden eine große
Schar sein, die keine weiße Truppe zu fürchten braucht. Auch
die Pferdesoldaten werden uns nichts anhaben können, wenn
wir sie geschlossen angreifen und ihre Gruppen einzeln
vernichten. Das Blut der Weißen wird den Boden tränken und
die Flüsse und Bäche rot färben. Nichts wird die Apachen
aufhalten können.«
»Werden die Aravaipa-Apachen und die White-Mountain-
Apachen unserem Siegeszug folgen?«
Victorios Gesicht verdüsterte sich.
»Eskaminzin und Alchesay halten zu Cochise. Sie warten ab,
was die Chiricahuas unternehmen. Chato, Nana und Loco sind
auf meiner Seite.«
Santana schüttelte voller Bedenken den Kopf.
»Nana ist alt. Hast du das bedacht, Victorio?«
»Aber ein großer und weitsichtiger Krieger. Aus den Reihen
der Mimbrenjos rückt ein Mann immer weiter nach vorn. Ein
junger Krieger, der viele Apachen aus allen Stämmen um sich
geschart hat. Du kennst Goghlayeh?«
»Ich kenne ihn. Ein starker Krieger, der die Bleichgesichter
ebenso haßt wie die Gelbhäutigen. Was ist mit ihm?«
»Er schließt sich mit unseren Kriegern nicht zusammen,
kämpft aber verstärkt gegen die weißen Eindringlinge. Seine
Überfälle werden sie von uns ablenken. Während wir an einer
anderen Stelle zuschlagen, kämpft Goghlayeh weit von uns
entfernt und zieht die Pferdesoldaten auf sich.«
»Das klingt gut«, murmelte Santana. »Cochise war bei
Yemaspi, dem Mescalero. Was hat er dort gewollt?«
Victorio hob beide Hände und streckte sie dem Tonto
entgegen. Das hieß soviel wie: ich weiß es nicht. Santana
nestelte sein Kalumet vom Hals und stopfte Tabak in den
Pfeifenkopf. Umständlich zündete er den Tabak an. Als die
Pfeife brannte, stieß er den Rauch in alle vier
Himmelsrichtungen, zum Boden und zum Himmel.
»Victorio hat mich überzeugt. Die Krieger der Tontos
begeben sich auf den Kriegspfad und kämpfen mit den
Mimbrenjos zusammen gegen die Bleichgesichter. Wir werden
viele Skalps erbeuten. How!«
Victorio nahm die Pfeife entgegen und wiederholte das
Zeremoniell.
»Tontos und Mimbrenjos werden zusammen unbezwingbar
sein und die Weißen aus ihren Jagdgründen vertreiben. How!«
Das Bündnis war damit besiegelt. Die Häuptlinge reichten
sich die Hände, schwangen sich auf ihre Mustangs und ritten in
entgegengesetzten Richtungen davon.
*
Nach der Vermählungsfeier zog sich Cochise mit seiner jungen
Frau in den eigens für ihn erbauten Jacale zurück. Spät in der
Nacht wurden die Lagergeräusche leiser und verstummten
schließlich.
Fast alle Krieger beider Stämme hatten so viel Tizwin
getrunken, daß sie nur noch torkelnd ihre Behausungen
erreichen konnten. Nur Yuh schlief nicht. Ihn quälten düstere
Gedanken. Sein Volk lebte in der sonorischen Wüste und
konnte sich nur ernähren, wenn es sich ganz dem Land
anpaßte, das so karg und wasserlos war wie keine andere
Wüste.
Durch Cochises Heirat war er als Brautvater mit dem Jefe der
Chiricahuas eng verbunden. Das bedeutete, daß er seinem
Schwiegersohn Krieger stellen mußte, wenn Cochise es
verlangte. Männer aber waren knapp bei den Nednis. Ständige
Kämpfe mit den Mexikanern und den Yaquis hatte seine
Streitmacht sehr geschwächt und den Stamm fast
lebensuntüchtig gemacht.
Er mußte bei Cochise zu erreichen versuchen, daß die Yaquis
und andere Gebirgsstämme der Sierra Madre von ihren
Kriegszügen auf den Wüstenstamm abließen. Gleich am
nächsten Tag wollte er einen erneuten Vorstoß wagen,
nachdem Cochise vor zwei Monaten an der Tinaja in der Gran
Desierto seine leise Anspielung überhört hatte.
Yuh wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen. Ein Pferd kam
über die Rampe in den Canyon. Es wurde heftig getrieben, und
sein Keuchen war weithin zu hören. Ein Krieger trat aus der
Dunkelheit und ging dem Reiter entgegen.
Chan-ank war ein sehr alter Mann. Er brauchte nicht mehr
viel Schlaf. Er ging dem Späher entgegen, blieb vor dessen
Pferd stehen und breitete die Arme aus.
»Du bist schnell geritten, Bruder«, sagte er. »Das muß einen
Grund haben.«
Der Krieger sprang von seinem Pony, das mit gesenktem
Kopf und gespreizten Vorderbeinen in der Nacht stand und
prustete.
»Ich erstatte Cochise Bericht«, sagte der Mann. »Geh aus
dem Weg, Alter!«
»Cochise schläft. Weißt du nicht, daß wir heute das Fest
seiner Vermählung feierten?«
»Ich weiß es«, antwortete der Krieger. »Ich muß ihn
trotzdem sprechen, es ist wichtig.«
»Sage es mir und ziehe dich dann in den Jacale der Krieger
zurück. Dort findest du Fleisch und Tizwin.«
Die Augen des Kriegers leuchteten.
»Ich werde dir alles sagen, Chan-ank. Du darfst aber nicht
vergessen, es dem Häuptling zu berichten.«
»Ein alter Mann wie ich vergißt nie etwas. Rede!«
»Mimbrenjos griffen beim Apache-Paß eine Kutsche der
Weißen an und stürzte sie in den Canyon. Alle Bleichgesichter
und die Pferde sind tot. Cochise will, daß er alles erfährt, was
auf dem Land der Chiricahuas passiert. Vergiß es nicht, alter
Mann!«
Er zog seinen Mustang hinter sich her und verschwand in der
Dunkelheit. Yuh hatte jedes Wort verstanden und machte sich
Gedanken über den Vorfall. Cochise würde nicht dulden, daß
ein anderer Stamm in seinen Jagdgründen Weiße tötete, denn
die konnten Indianer nicht voneinander unterscheiden und
würden den Überfall Cochise in die Schuhe schieben.
Er stand auf, ging zu Chan-ank und fragte ihn:
»Ich habe alles gehört, Bruder, jedes Wort. Was, sage mir,
wird Cochise jetzt tun?«
»Es wird Krieg geben«, erwiderte der alte Mann. »Die
Pferdesoldaten dulden nicht, daß Weißen auch nur ein Haar
gekrümmt wird. Die Pferdesoldaten und die anderen
Bleichgesichter halten mehr zusammen als die Apachen. Sie
werden über unsere Sippen herfallen und Männer, Frauen und
Kinder töten. Es wird ein schrecklicher Krieg werden, Yuh.«
»Wirst du gleich morgen früh mit dem Jefe sprechen?«
»Es wird ihn nicht sehr freuen, aber mir bleibt keine andere
Wahl.«
»Tu's, Chan-ank, und der Jefe wird dir wohlgesonnen sein.
Deine Fleischtöpfe werden sich füllen aus der Beute, die die
Chiricahuas machen, und wenn der Mais geerntet wird, erhältst
du deinen Anteil wie jeder Krieger.«
Chan-ank nickte, löste sich von dem Nedni und verschwand
in der Nacht. Yuh betrat den Jacale, den man den Gästen aus
der Wüste zur Verfügung gestellt hatte, und legte sich schlafen.
*
Die Hitze war unerträglich. Im Zeitlupentempo schob sich die
Sonne über den wolkenfreien Himmel. Sie schien die Erde
unter sich zu Staub und Asche verbrennen zu wollen.
Curt Miller fluchte und wischte sich ständig den Schweiß aus
der Stirn. Haggerty fluchte nicht minder laut, schob den
Feldhut in den Nacken und ließ sein Gesicht von dem
schwachen Wind, der vom Gebirge herabwehte, fächeln.
»Noch drei Meilen, Curt«, sagte er. »Drei winzige Meilen.«
»Drei tödliche Meilen«, brummte Miller, hakte die Flasche
vom Sattelhorn, trank einen Schluck und befestigte sie wieder.
Mit jedem Schritt näherten die Pferde sich dem Gebirge. Die
Wüste lag hinter den Scouts. Eine Wüste, die sie nie in ihrem
Leben betreten hatten.
Der Gebirgsstock vor ihnen ließ nicht erkennen, ob sie in
seinen Schluchten Wasser finden würden. Das Land zwischen
dem Rio Grande und dem Pecos River war ihnen so unbekannt
wie der Mond.
»Erkennst du überhaupt die Spur noch?«
»Klar«, sagte John Haggerty. »Sie liegt so deutlich vor mir,
daß ein blinder Indianer ihr mit einem Stecken folgen könnte.
Es kann nicht mehr weit sein.«
»Ich habe immer geglaubt, die Mescaleros würden am Ufer
des Rio Penasco leben. Da scheine ich mich gründlich geirrt zu
haben.«
»Durchaus nicht. Die Berge vor uns sind die Sacramento
Mountains; Der Rio Penasco entspringt in diesen Bergen.
Sobald wir in die Canyons eindringen, müssen wir höllisch
aufpassen. Cochise kennt uns beide sehr genau. Wenn wir auf
ihn stoßen, kann das Schwierigkeiten geben.«
»Will er denn überhaupt zu den Mescaleros?«
»Ganz bestimmt. Wo soll er sonst hin wollen? Bestimmt
nicht zu den Comanchen oder zu den Kiowas.«
»Trotzdem bleibt es eine verrückte Idee, so weit nach Osten
zu reiten.«
»General Howard weiß, was er will. Wenn er erfahren
möchte, was Cochise so weit im Osten zu suchen hat, so sind
seine Bedenken begründet. Ich sage dir, Curt, der Jefe reitet zu
den Mescaleros.«
Wind kam auf und brachte den Reitern und den Pferden
etwas Kühlung. John blickte sich um. Die Sonne brannte noch
unerbittlich. Kein Wölkchen war zu sehen. Weit draußen in der
Wüste wirbelten Windhosen und schleuderten Sand empor.
»Zwei Meilen nur noch«, murmelte er und wandte seine
Aufmerksamkeit wieder der Fährte zu. »Drei oder vier Tage
alt. Wenn er zwei Tage für Verhandlungen braucht, ist er jetzt
schon wieder auf dem Rückweg. Ich kann mir nicht denken,
daß Cochise auf seiner eigenen Spur zurückreitet. Für so dumm
halte ich ihn nicht. Nach Norden kann er aber nicht
ausweichen, nach Süden auch nicht. Irgendwo hier in der Nähe
muß er mit seinen Kriegern vorbeikommen. Suchen wir uns
einen Aussichtspunkt.«
»Weshalb kann er nicht nach Süden ausweichen?« fragte
Curt Miller. »Das ganze Land steht ihm doch offen.«
»Nicht einem Chiricahua«, entgegnete Haggerty. »Dort oben
im Gebirge leben neben den Mescaleros die Poncas, Caddos
und Arapahoes. Sie sind den Chiricahuas nicht ganz grün. Im
Süden erwarten ihn die Kiowas und Comanchen. Diesen Weg
kann er ebenfalls nicht riskieren.«
»Zum Teufel, bewegen wir uns denn in einem
menschenleeren Raum?«
»Unsinn! Ich möchte nicht wissen, wie viele Augen uns
beobachten. In diesem Land kann keine Maus ungesehen über
den Boden huschen. Sieh dort hinauf, Curt, weiter rechts, ja,
da.«
Miller warf einen langen Blick auf die Klippe, die sich als
einzelner Fels aus dem Wüstenboden erhob. Er sah nichts.
»Ich wäre dir dankbar, wenn du mir die Stelle genau zeigtest,
wo du was siehst.«
»Die Klippe … Hast du? Okay, jetzt mit den Augen nach
rechts bis zu dem Busch, der, weiß Gott wie, dort
hinaufgekommen ist. Hast du?«
»Den Busch? Ja. Aber sonst sehe ich nichts.«
»Warte eine Weile. Der Kerl macht sich nur unsichtbar.«
Kurz darauf blitzte es dort oben kurz. Das Funkeln
verschwand wieder, tauchte noch einmal auf und blieb dann
ganz fort.
»Rothaut?« fragte Miller knapp.
»Wer sonst? Wenn es sich um keinen Mescalero handelt,
dann bestimmt um einen Caddo.«
»Woher weißt du das alles, John? Warst du schon einmal in
dieser Gegend?«
»Nie. Du mußt öfter mal in die militärischen Handbücher
schauen und nachlesen, was und wer in einem bestimmten
Landesteil lebt. Glotz nicht so rauf. Der Kerl sieht dich und
weiß, daß wir ihn bemerkt haben.«
»Soll er's nicht wissen?«
»Nicht unbedingt. Es kann ein Späher von Cochise sein.«
»Du denkst an alles. Auch aus dem Handbuch?«
»Nein, von hier.« Haggerty tippte sich an den Kopf.
»Ach, von da?«
»Genau. Wenn du in diesem Land deinen Grips nicht ein
wenig anstrengst, scheint dir bald die Sonne ins… Verdammt,
unsere Pferde straucheln.«
Die enge Schlucht nahm sie auf. Je tiefer sie hineinritten,
desto kühler wurde es. Halbdämmerung herrschte hier.
Curts Falbe spitzte die Ohren und sog hörbar die Luft durch
die Nüstern. Beide Pferde wechselten ohne Aufforderung die
Richtung und bewegten ihre Hufe. Ein breites Gebüsch lag vor
ihnen. Kakteen und Blattpflanzen wuchsen neben Korkeichen.
»Scheint dort Wasser zu geben«, murmelte Haggerty.
»Vorsichtig; Amigo. Wo es Wasser gibt, sind auch gewöhnlich
Apachen.«
Die beiden durstigen Tiere durchbrachen das verfilzte
Dickicht – und standen mit den Vorderbeinen im Wasser. Aus
einer Quelle floß Wasser in eine Tinaja und machte aus dem
Wüstenboden ein Sumpfgelände. Die beiden Scouts schwangen
sich von den Pferden und nahmen ihnen die Sättel ab.
Miller kniete bereits am Beckenrand und wusch sich Gesicht
und Hände. Schließlich spülte er sich den Mund aus und trank
ein paar Schlucke. Das Wasser schmeckte gut und war
erfrischend. John folgte seinem Beispiel, füllte dann die
Wasserflaschen und die Schläuche für die Pferde.
»Wie wär's mit 'ner Siesta und einem kleinen Feuerchen,
John?«
»Kein Feuer, Junge. Du kennst doch Apachennasen. Die
riechen Rauch auf eine ganze Meile.«
Die Pferde kamen aus dem Tümpel und grasten. Haggerty
schleppte die Satteltaschen und den Proviantsack herbei. Er
setzte sich an den Rand der Tinaja. Miller hockte sich neben
ihn. Ein schwaches Geräusch störte John. Er legte den Finger
auf die Lippen und blinzelte zu Curt hinüber.
»Ist was?«
»Aufpassen!«
»Worauf?«
Haggerty machte eine Kopfbewegung zu den Büschen. Curt
nickte, grinste, ließ sich auf den Boden sinken und kroch wie
eine Schlange auf allen vieren in das Gestrüpp. Vorsichtig bog
er die Zweige zur Seite und spähte durch die Lücke.
Unerwartet legte er sich auf die Seite und lachte laut.
»Ich zahle gut, wenn ich zuschauen darf«, sagte Haggerty
laut. Er konnte sich denken, daß vor dem Grüngürtel keine
Apachen lauerten.
»Du kannst das Vergnügen umsonst haben«, rief Miller
zurück. »Nur ein Gaul, der deine empfindsame Seele gestört
hat.«
Haggerty erhob sich und ging hin. Tatsächlich ein Pferd. Das
Indianerpony rupfte Blätter ab und ließ sich durch die
Anwesenheit der Weißen und der anderen Pferde nicht stören.
»Verdammt und zugenäht, welcher Rothaut ist der Schinder
durchgegangen?« sagte Curt und grinste.
»Das läßt sich doch denken, oder?«
»Nun aber mal halblang. Wenn du die Weisheit schon mit
der Kelle gefressen hast, so kannst du mir doch ein bißchen
davon abgeben, oder nicht? Tu nie mehr so klug, wenn dir
deine Gesundheit etwas wert ist.«
John Haggerty lachte schallend. Er wußte genau, daß sein
Freund es im Scherz gemeint hatte.
»An deiner Stelle würde ich den Gaul mal fragen, zu wem er
gehört.«
»Keine schlechte Idee, John. Schreiten wir zur Tat.«
Er drängte sich durch das Gebüsch und wollte nach dem
Pony greifen. Es drehte sich gelassen herum und lief weg.
»Bleib stehen«, brummte der Scout und lief dem Tier nach.
Aber bald verlor er es aus den Augen.
Er machte kehrt und ging zurück.
»Ist das nicht sonderbar?« fragte er Haggerty.
»Was?«
»Ein Pferd in dieser Wüstenei und kein Bedürfnis nach
Wasser.«
»Wahrscheinlich hat es dort, wo es herkommt, genügend
davon. Der Indianer wird es regelmäßig getränkt haben.«
»Nun gut, wie immer machst du es wieder einmal spannend.
Welcher Indianer?«
»Der Späher natürlich. Wenn mich nicht alles täuscht, steckt
er irgendwo in der Nähe und beobachtet uns.«
»Okay, gehen wir auf die Jagd.«
»Nein, laß ihn in Ruhe. Ich vermute, daß er zu Cochise
gehört. Du bleibst beim Wasser und gibst auf die Pferde acht,
während ich mich nach dem Aussichtsfelsen umsehe.«
»Und wenn ich angegriffen werde?«
»Wehrst du dich, klar. Ich glaube aber, du machst dir unnötig
Gedanken. Jetzt verschwinde ich. Gib auf die Gäule acht,
Amigo.«
*
Cochise erfuhr am frühen Morgen von dem Überfall auf die
Stagecoach und machte sich große Sorgen. Tote am Paß. Das
ließen sich die Weißen bestimmt nicht gefallen. Unruhig ging
er im Lager auf und ab und dachte nach. Wenn es ihm nicht
gelang, den weißen Häuptling von seiner Friedfertigkeit zu
überzeugen, sah es für den Frieden an der Grenze schlecht aus.
Rechtzeitig genug fiel ihm ein, daß es Thomas Jeffords'
Problem war und nicht das des Generals, aber Jeffords war
schwer zu überzeugen, das wußte er.
Er sah seinen Aufbruch zu den Navahos gestört, wollte sich
dies aber nicht eingestehen. Der Stamm im Norden Arizonas
war das letzte Glied in seiner Weltanschauung, den Frieden
durch Demonstration der Macht erhalten zu können.
Blitzartig entschloß er sich, am Abend zu reiten. Eile war
unbedingt geboten. Auf dem Rückweg von den Mescaleros
hatten ihm seine Späher berichtet, daß zwei weiße Scouts
seinen Zug verfolgt hatten.
Wer die Männer waren, wußte er, und in wessen Auftrag sie
handelten, wußte er ebenfalls. General Howard traute ihm nicht
so ganz, aber das war sein gutes Recht. Cochise lächelte vor
sich hin. Das Lächeln verging ihm jedoch, wenn er an Thomas
Jeffords dachte, den Postmeister.
Sie waren so etwas wie Freunde und mochten sich
gegenseitig gut leiden. Dieses Verhältnis wurde durch den
Überfall der Mimbrenjos gestört. Cochise entschloß sich, auf
dem Rückweg vom Canyon de Chelly über den Paß zu reiten
und mit Jeffords zu sprechen.
Gelang es ihm, die Navahos auf seine Seite zu ziehen, tat er
mehr für den Frieden als jeder andere Mann jener Zeit.
Ungestüm wandte er sich um und gab einem in der Nähe
stehenden Krieger den Befehl zum Abritt.
Bereits vor Tagen hatte er sich entschlossen, nur mit seinen
engsten Vertrauten nach Norden zu reiten, um den Navahos
keinen Grund zu kriegerischen Handlungen zu geben.
Aus dem hinteren Canyonteil kamen Nachise, Giannatah und
Nahaye mit ihren Ponys. Im weiten Abstand folgte Naiche.
Cochise lächelte, als er seinen jüngsten Sohn mit dem großen
Pferd am Zügel sah. Der Knirps reichte ihm die Zügel und
machte ein mürrisches Gesicht.
»Was fehlt dir?« fragte Cochise. »Bist du krank?«
Nachise nickte, legte seine rechte Hand aufs Herz und
antwortete:
»Sehr krank, Vater: Ich bin ein Krieger und muß in der
Obhut von Weibern bleiben, während du auf dem Kriegspfad
bist.«
»Wer hält deine Hand über dich, mein Sohn?«
»Tla-ina.«
Cochise lächelte. »Das ist gut so, Nachise. Für den
Kriegspfad bist du noch ein wenig zu jung. Meinst du nicht
auch?«
Naiche kam heran, nahm den kleinen Bruder einfach an der
Hand und führte ihn in den Jacale der ledigen Frauen, übergab
ihn Tla-ina. Als er zu dem Trupp zurückkehrte, saßen sie alle
bereits auf den Pferden und warteten auf ihn.
Langsam ritten sie aus dem Tal zur Rampe. Über der Mesa
glühte die Sonne. Cochise schlug die Richtung nach Norden
ein und entfernte sich vom Apache-Paß. Am Abend sah er weit
im Westen Fort Buchanan und wich noch weiter nach Osten
aus, um nicht zufällig einer Patrouille in den Weg zu laufen.
Der Canyon führte zur Ebene und ging in Wüste über. Ohne
Rast ritten die Chiricahuas die ganze Nacht hindurch und
rasteten erst am Morgen, um ihren ermüdeten Pferden Ruhe zu
gönnen.
Ein seltsamer Zufall wollte es, daß Cochise in dieser Nacht
an John Haggerty und Curt Miller vorbeiritt, ohne daß sich
beide Gruppen bemerkten. Auch den Tag darauf sahen die
Chiricahuas niemanden. Sichteten sie eine Staubfahne am
Horizont, machten sie notfalls weite Umwege, um nicht
entdeckt zu werden.
Am vierten Tag waren sie schon weit nördlich des Gila, den
sie an einer seichten Stelle durchwatet hatten. Auf ihrem Weg
zum Canyon de Chelly sahen sie Ranch an Ranch,
Farmgebäude und große Herden, die unbewacht auf der Ebene
grasten.
Naiche wollte eine Kuh abschießen, aber Cochise verbot es.
Der Verdacht wäre sofort auf Indianer gefallen, denn kein
Weißer tötete ein Rind, um sich einen Braten aus dem Fleisch
zu schneiden und den Rest liegenzulassen. Nach zwei Wochen
sahen sie im Norden und Westen das zerklüftete braune
Felsgebirge, durch das sich der Colorado vor Urzeiten seinen
Weg zum Golf von Kalifornien gebahnt hatte.
Cochise hatte es geschafft und würde in zwei Tagen im
Canyon de Chelly sein und versuchen, Wakonda, den Navaho-
Häuptling, für seine Pläne zu gewinnen.
*
Es war bereits dunkel, als Haggerty zum Wasser zurückkam
und auf Millers Frage hin den Kopf schüttelte.
»Nichts zu sehen, Curt. Wir müssen ihn verpaßt haben, oder
er ist doch einen anderen Weg geritten. So kann man sich
irren.«
»Irren ist menschlich, sprach der Hahn und … Was nun?
Reiten wir zurück?«
»Bleibt uns nichts anderes übrig. General Howard erwartet
einen ausführlichen Bericht über Cochises seltsamen Zug nach
Osten. Wir wollen ihn nicht enttäuschen und uns morgen früh
auf die Socken machen.«
»Hast du was von dem Späher bemerkt?«
»Nichts. Einen Apachen-Späher sieht man nur, wenn er
wirklich gesehen werden will. Auch das Pony ist nicht mehr in
der Landschaft. Das könnte bedeuten, daß der rote Kerl sich
heimlich aus dem Staub gemacht hat.«
»Hört sich gut an«, sagte Curt. »Da würde einem kleinen
Kochfeuerchen nichts mehr im Wege stehen, oder?«
»Nein. Ein warmes Essen kann auf keinen Fall schaden.
Kochst du?«
»Wenn du keine Angst hast, dich zu vergiften, will ich's
riskieren und ein Menü zusammenstellen, von dem unsere
Ahnen noch sprechen werden.«
»Gib nicht so an. Was kannst du schon groß
zusammenstellen? Speck, Bohnen, Tortillas. Oder Bohnen,
Tortillas und Speck?«
Miller trat nach Haggerty, aber der wich schnell zur Seite, so
daß der freundschaftlich gemeinte Tritt ins Leere ging. Curt
suchte dürres Holz und nahm die kleine Pfanne und Blechteller
aus der Satteltasche.
Nach dem Essen breiteten sie ihre Deckenrollen aus und
legten sich schlafen. Am frühen Morgen wurden sie von den
Pferden geweckt, die bis zu den Fesseln im Wasser standen
und schlürften.
Sie erhoben sich gleichzeitig aus ihren Decken und rollten
sie zusammen. Miller entfachte ein kleines Feuer und bereitete
das Frühstück mit viel Kaffee und heißen Tortillas.
Kurz nach Sonnenaufgang schwangen sie sich auf die Pferde
und durchbrachen den Buschstreifen. Die Kühle des Canyons
nahm sie auf und begleitete sie auf dem langen Weg nach
Westen.
Eintönig vergingen die Tage. Nach mehr als zwei Wochen
kamen die Gipfel der Chiricahua-Mountains in Sicht. Von nun
an hieß es für die Scouts, noch besser aufzupassen.
Gegen Abend gelangten sie an einen Seitenarm des Bavispe
und suchten vergeblich nach Wasser. Der Flußlauf war durch
die andauernde Hitze ausgetrocknet. John parierte sein Pferd,
starrte auf das kiesige Flußbett, machte aber keine Anstalten,
aus dem Sattel zu steigen.
Nach einem kurzen Rundblick fragte Curt:
»Warum reitest du nicht weiter, John? Schiß in den Hosen?«
»Kann man wohl sagen. Weißt du, wo wir sind?«
»Natürlich. Im Apachenland. Ist was?«
»Sieh dir mal das Flußbett an.«
Miller bemerkte nichts Auffälliges.
»Was ist damit? Ich kann nichts sehen.«
»Mach mal die Augen ganz auf.«
Das Flußbett, etwa zehn Yards breit, war trocken und leer. In
seiner Mitte war das Geröll aufgeworfen. Wie ein flacher
Hügel sah es aus. Miller schüttelte den Kopf.
»Gibt dir der Hügel nicht zu denken, Curt?«
»Sollte er?«
»Bleib bei den Pferden und paß auf, daß mir niemand in den
Rücken kommt.«
John sprang vom Pferd und gab Curt die Zügel zu halten. Er
ging über das knirschende Geröll und blieb beim Hügel stehen.
Miller sah, wie er niederkniete und mit den Händen den Kies
entfernte. John räumte die rundgeschliffenen Steine zur Seite,
kam tiefer, fand aber nichts. Er wollte sich schon wieder
erheben und umkehren, als ihm etwas auffiel. Er beugte sich
noch einmal vor und drückte die Fingerspitzen in den Sand.
Er fühlte etwas Weiches. Zweifelnd sah er auf. Curt saß auf
seinem Pferd und blickte zu ihm herüber. Er hielt sein Gewehr
in der Armbeuge, den Lauf auf das andere Ufer gerichtet.
Hastig warf John einen Blick in die Runde, sah aber nichts
außer der Ödlandschaft.
Danach richtete er sein Augenmerk wieder auf die Mulde
und räumte Kies und Sand zur Seite. Etwas Weißes tauchte auf.
Es nahm Formen an. Ein menschliches Gesicht. Bart,
geschlossene Augen, eingefallene Wangen, braune Zähne.
John Haggerty fuhr in die Höhe, als wäre er von einer
Tarantel gebissen worden, winkte seinem Freund und rief:
»Curt, bring die Pferde rüber!«
Miller stieg ab und setzte sich in Bewegung. Das Ufer war
flach und wie gestampfter Lehmboden.
»Hast du 'ne Bonanza entdeckt? Ein Faß Bier wäre mir
lieber.«
»Sieh dir mal den Toten an. Kennst du ihn?«
»Was, 'ne Leiche? Soll ich alle Toten dieser schlechten Welt
kennen?«
»Quatsch! Was sagst du dazu? Ein Weißer, im Flußbett
verscharrt …«
»Was soll ich sagen? Nie gesehen. Kennst du ihn?«
»Sieh noch mal genau hin.«
Miller tat es. »Klar, ein Weißer. Kein Indsman trägt einen
Bart.«
»Das meine ich nicht. Die Brust.«
Miller nickte. »Er wurde vermutlich ermordet und
verscharrt.«
»Von hinten erschossen. Durch die Ausschußöffnung kannst
du deine Faust stecken. Scheußlich!«
Miller trat näher an die Grube. »Verwahrlost und
heruntergekommen, aber ein Weißer. Was vermutest du?«
Haggerty überging die Frage. Nachdenklich schweifte sein
Blick über die Landschaft. Er sah die Bergkette bei Pirtleville
im Süden, im Westen die ersten Berge der Dragoons und im
Nordosten die Chiricahua Mountains.
»Bei Anson City hat man Gold gefunden. Sogar beträchtliche
Mengen. Wir reiten parallel zur Grenze und müßten die Stadt
eigentlich sehen.«
»Hier ist keine Stadt.«
»Das beweist, daß wir zu weit nach Norden abgekommen
sind. Cochise hat uns auf den Leim geführt und in diese
Richtung gelockt.«
»Schön und gut. Was hat das alles mit dem Toten zu tun? Ist
er etwa ein Digger aus jener Stadt?«
Haggerty nickte. »Schon möglich.«
»So weit hier oben? Glaube ich nicht, John. Da steckt was
anderes hinter. Jemand hat ihn umgelegt und im Flußbett
verscharrt.«
»Ermordet und verscharrt«, bestätigte Haggerty. »Und
warum? Ohne Grund tötet man keinen Menschen. Wir sehen
uns dort drüben zwischen den Felsen um. Wenn wir einen
Claim finden, wissen wir, warum er umgebracht wurde. Gehen
wir.«
Miller rührte sich nicht vom Fleck.
»Moment mal, John! In dieser Wildnis kann ein weißer
Mann allein nicht leben. Darauf willst du doch hinaus? Kein
Wasser jagdbares Wild schon gar nicht. Herumstreifende
Apachen. Ich sage dir, ein Hundeleben …«
»Schlimmer als das. Doch die Gier nach Gold ist wie ein
Rausch. Goldsucher fragen nicht nach Mühsal und Gefahren.«
»Dann waren es Apachen.«
»Die hätten ihm den Skalp abgenommen.«
John Haggerty kniete wieder am Boden und grub den Toten
aus. Der Leichnam kam frei, als Miller half. Ein
ausgewachsener Mann, derbe Kleidung, wie sie ausschließlich
von Diggern getragen wurde. Keine Waffe, nicht mal einen
Revolvergurt.
»Kein schöner Anblick.«
»Im Tod sehen sie alle gleich aus, Curt.«
»Er muß schon einige Tage hier liegen.«
»Woran siehst du das?«
»Seine Hände.«
Haggerty sah genauer hin. »Was ist damit?«
»Sie sind nicht gefaltet, wie man das bei einem
Christenmenschen macht, den man zur letzten Ruhe bettet.«
Schweißtriefend standen die beiden Scouts bei dem Grab,
Die Sonne brannte vom Himmel, als wollte sie die Felsen in
flüssige Lava verwandeln. Beide starrten den Toten an und
suchten nach irgendwelchen Erkennungszeichen. Nur die
Ausschußöffnung eines großen Kalibers sagte ihnen etwas.
»Curt, durchsuche seine Taschen. Vielleicht finden wir einen
Brief oder etwas anderes, was auf seine Person hinweist.
Höchstens vierzig, stämmig, breite Schultern, verarbeitete
Hände. Kann ein Goldgräber sein.«
Miller ging in die Hocke und durchwühlte die Hosentaschen
und die Weste. Nichts. Nicht einmal ein Tabaksbeutel oder ein
Streichholz. Der Mann war nicht nur ermordet, sondern auch
ausgeplündert worden.
»Decken wir ihn wieder zu?«
John starrte noch immer auf die Klippen und schien sich
ständig zu fragen, was er dort finden mochte. Curt wollte
aufstehen und mit der Zuschüttung des Grabes beginnen, da
warf sich John auf ihn und riß ihn zu Boden.
Ein Schuß hallte durch das Flußtal und verklang in vielen
Echos.
»Bleib liegen!« zischelte Haggerty. »Der Killer ist in der
Nähe und schießt auf uns. Rühr dich nicht!«
Vorsichtig hob er den Kopf und spähte zu den Felsen. Ein
graues Rauchwölkchen über einer gezahnten Wand, sonst
nichts.
»Gib mir Deckung«, sagte John und rollte sich auf die Seite.
»Wohin willst du?«
»Mir das Schwein holen. So ein verdammter, hinterhältiger
Bastard!«
»Okay. Wirf mein Gewehr rüber. Du bekommst so viel
Feuerschutz, wie du nur brauchst.«
Mit ein paar Sätzen war John bei den Pferden, zerrte Millers
Gewehr aus dem Scabbard und warf es quer in die
zupackenden Hände. Ein zweiter Schuß warf Kies und Sand in
Johns Nähe auf. Miserabler Schütze, dachte er.
Mit langen Sprüngen rannte er dem Ufer zu, arbeitete sich
die flache Böschung hinauf und warf sich zu Boden. Sperrige
Felsen, Geröll. Im Hintergrund wuchtige Klippen, davor
Buschwerk aus stacheligem Zeug.
John zwängte sich durch das Dickicht. Eine Art Arena lag
vor ihm. Sie stieg terrassenförmig an und war mit Unkraut
übersät. Der Scout blieb stehen und starrte wie hypnotisiert auf
die Gewehrmündung. Sie richtete sich auf seinen Bauch. Ein
Hahn klickte.
*
»Was wollen Sie schon wieder, Sie billige Dutzendware?«
schrie der wachhabende Corporal. »Mensch, hauen Sie ab!
Hier sind Sie so unerwünscht wie stinkendes Aas.«
»Ich will zum Colonel.«
»Wohin?«
»Zum Commandeur dieses Forts.«
»Klingt schon besser. Ihr Zivilisten lernt's noch.«
Ward kletterte umständlich vom Pferd und näherte sich dem
verschlossenen Tor. Mit dem Klöppel schlug er gegen die
dicken Bohlen.
»Ich muß zu Colonel Brigham, Wache! Es ist dringend!«
»Mann, klemmen Sie sich Ihren Schinder zwischen die Beine
und schnurren Sie ab! Colonel Brigham ist nicht für Sie zu
sprechen. Wo kämen wir hin, wenn jeder Zivilist glaubt, die
Army sei nur für ihn da?«
»Ich sagte, es ist dringend. Chiricahuas trieben mein Vieh
weg. Soll ich den Verlust ohne Widerspruch hinnehmen?«
»Vieh? Wieviel?«
»Eine Herde von dreißig Stück.«
»Alle Wetter! Warten Sie, Rancher. Ich will sehen, was ich
tun kann.«
Es dauerte eine Viertelstunde, bis sich der Corporal wieder
meldete.
»Sie dürfen hereinkommen, Ward, aber halten Sie sich nicht
zu lange in der Kommandantur auf. Wie ich schon sagte: wir
haben mehr zu tun.«
Der Torbalken knarrte, der rechte Flügel schwang nach innen
und ließ Ward mit seinem Pferd durch. Auf dem Paradeplatz
hatte sich nichts geändert. Überall wehte Staub und bedeckte
die Fronten der Unterkünfte. Die Flagge der Vereinigten
Staaten von Amerika hing schlaff am Mast und bewegte sich
nur, wenn ein leichter Windhauch aus der Wüste wehte.
Ward ging quer über den Exerzierplatz zur Kommandantur,
schlang die Zügel um den Halfterbalken. Als er ins Haus trat,
empfing ihn Kühle und Stille. Eine Ordonnanz kam aus dem
Nebenzimmer und fragte nach seinen Wünschen.
»Sie müssen warten«, sagte der Lieutenant. »Ich werde Sie
anmelden. Wenn es wirklich so dringend ist, wie Sie
behaupten, wird der Colonel Sie vorlassen.«
Er verschwand, kam aber schon nach kurzer Zeit zurück.
»Colonel Brigham erwartet Sie, Mister.«
Er hielt die Tür auf und ließ den Rancher eintreten. Brigham
erhob sich hinter seinem Schreibtisch und reichte Ward die
Hand.
»Wie geht es Ihnen?«
»Nicht gut, Sir. Chiricahuas trieben mir eine Herde von
dreißig Stieren fort. Wenn das so weitergeht, bin ich ruiniert.
Ich denke schon daran, meinen Fleischvertrag mit der Armee
zu lösen …«
»Nun mal sachte, Mr. Ward. Man soll doch nicht gleich aus
allen Rohren schießen, wenn man etwas erreichen will. Dreißig
Stiere, sagten Sie? Wurde jemand getötet?«
»Nein. Die Herde war ohne Aufsicht. Trotzdem … Ich kann
den Verlust einfach nicht hinnehmen und bitte Sie, etwas zu
tun. Felix, Jesusas Junge, muß aus den Händen der Chiricahuas
befreit werden, und ich will meine Herde wiederhaben.«
»Was beweist, daß es wirklich Cochises Krieger waren? Mr.
Ward, Sie müssen verstehen, daß ich nicht einen Kleinkrieg
vom Zaune brechen kann, wenn ich keine eindeutigen Beweise
habe.«
»Ich sage, es waren Chiricahuas«, kam prompt das Echo.
»Ich erkannte sie an ihrer Kriegsbemalung.«
»Und Sie sind absolut sicher, daß derselbe Stamm Ihre Kühe
abtrieb?«
»Ganz sicher, Sir.«
Brigham überlegte eine Weile. So, ganz traute er dem
Rancher nicht. Aber es konnte nicht schaden, wenn sich eine
größere Patrouille oben beim Paß sehen ließ.
»Es ist gut«, sagte er, »Sie überzeugen mich. Vom
Oberkommando wurde mir ein junger Lieutenant unterstellt,
den ich mit der Aufgabe betrauen werde, nach dem Jungen zu
forschen und die Stiere wieder herzubringen. Sind Sie jetzt
zufrieden?«
»Ich werde mit ihm reiten, Sir. Wie heißt der Offizier?«
»George N. Bascom.«
»Danke, Sir. Wann soll das Unternehmen starten?«
Brigham winkte ab. »Ich spreche von keinem militärischen
Unternehmen, Mr. Ward. Ich hoffe, das ist klar gesagt?
Bascom wird sich mit der Sache befassen, mehr kann ich nicht
für Sie tun.«
»Das genügt vorerst. Danke. Und wann, sagten Sie, reitet die
Patrouille zum Paß?«
»Sagen wir, übermorgen. Wenn Sie dem Lieutenant als
Führer dienen wollen, habe ich nichts dagegen. Keine
Kriegshandlungen gegen die Apachen! Ich warne Sie, Mr.
Ward!«
Ward nickte, stand auf und verabschiedete sich.
*
Cochise hielt hoch oben auf einer Felsplatte über dem Canyon
de Chelly. Er war allein. Seine Leute warteten weiter unten.
Lange spähte er in das breite und gewundene Tal, versuchte
Einzelheiten zu erkennen und mögliche Gefahrenquellen
auszumachen.
Nach Westen zu wurde der Canyon breit und
unübersichtlich. Dunst verdeckte die Sicht. Und über der
Dunstschicht flimmerte die Hitze.
Cochise kniff die Augen zusammen und schützte sie mit der
flachen Hand gegen die grellen Sonnenstrahlen. Er sah die
Hogans. Flache Bauten aus Stangen, Reisig und mit Lehm
beworfen. Rauch kräuselte dort unten. Schafe weideten an den
Hängen, Pferde und ein paar Ziegen. Was er sehen konnte,
befriedigte Cochise nicht. Navahos lebten auch in Höhlen,
unter weiten Felsvorsprüngen und in engen, überdeckten
Seitencanyons. Er konnte es sich nicht leisten, in eine Falle zu
geraten. Der Pinto unter ihm wurde unruhig, scharrte mit dem
Vorderhuf und schnaubte warnend.
Cochise sprang ab und hielt das Pferd beim Zügel. Es spitzte
die Ohren, schnaubte wieder und richtete seinen Blick auf ein
Gesteinsmassiv zur Rechten. Verwittertes Geröll aus rotem
Sandstein und Porphyr wuchs wallartig empor.
Wieder schnaubte das Pferd. Nervös zerrte es am Zügel. Der
Häuptling wußte, daß der Pinto vor Menschen keine Angst
hatte. Es mußte demnach ein Raubtier sein, das sich zwischen
den mächtigen Brocken aufhielt. Ein Puma oder ein Bär.
Cochise brachte das Tier außer Gefahr und beschwerte 50
Yards weiter einwärts die Zügel mit einem schweren Stein.
Er zog sein Messer und pirschte sich mit äußerster Vorsicht
an die Felsformation heran. Als er über den Wall kletterte, roch
er die Ausdünstung eines großen Raubtieres. Hinter dem Wall
blieb er zunächst stehen, um sich mit der Lage dieses
Labyrinths von Steinen vertraut zu machen. Der Häuptling
vernahm leise Geräusche, konnte sie jedoch nicht deuten.
Lautlos glitt er weiter, umrundete einen riesigen
Sandsteinbrocken. Der penetrante Geruch wurde stärker. Er
machte noch zwei Schritte und verharrte abrupt.
Im Schatten einer Felswand lag ein Braunbär und schlief.
Sein Schnarchen hatte der Häuptling gehört. Der Bär hätte
Cochise nicht gestört, aber er mußte auf Sicherheit gehen.
Wenn sie zu dritt an dem Versteck vorbeiritten, konnte der Bär
erwachen und sich auf sie stürzen.
Cochise nahm einen Stein und warf ihn dem Raubtier an den
Kopf. Der Bär erwachte, richtete sich brummend auf und
erkannte seinen Erzfeind. Mit einem heiseren Wutschrei stellte
er sich auf die Hinterpranken. Unbeholfen trottete er auf den
Indianer zu.
Cochise ließ ihn dicht herankommen. Der faulige Gestank
aus dem Rachen des Bären nahm ihm fast den Atem. Als die
beiden Pranken nach ihm schlugen, um ihn zu erfassen und zu
erdrücken, tauchte er unter ihnen hinweg und gelangte in den
Rücken des Bären.
Bevor der sich in seiner Tölpelhaftigkeit umwenden konnte,
stieß ihm der Häuptling das Messer zwischen die Rippen. Der
Bär fauchte gräßlich, schwankte, ruderte hilflos mit den
Vorderpranken und brach zusammen. Als der Koloß aufprallte,
zitterte der Boden in Cochises Umgebung. Noch ein röchelndes
Grunzen, ein kurzes Zucken der Glieder. Der Bär war tot.
Cochise ging zu dem mächtigen Körper und wischte sein
Messer an dem Pelz ab. Als er sich wieder aufrichtete, hörte er
eine Stimme hinter sich.
»Cochise, der Häuptling der Chiricahuas, ist ein mächtiger
Krieger. How!« Der Apache drehte sich um. Drei
hochgewachsene Indianer warfen bewundernde Blicke auf ihn.
Einen von ihnen kannte er: Wakonda. Er schob die Klinge in
die Lederscheide, streckte beide Hände flach in die Richtung
der Navahos und sagte:
»Ich komme in Frieden, Wakonda. Ist Cochise an deinem
Feuer willkommen?«
»Er ist es«, antwortete der Navaho. »Tapfere Krieger sind in
unseren Hogans jederzeit gern gesehen.«
Cochise wies auf den Bären. »Er gehört dir, Wakonda.«
»Du hast ihn erlegt. Die Beute gehört immer dem, der sie
selbst erkämpfte. So ist es Brauch unter den roten Völkern.«
»Ich tötete ihn auf deinem Land, Jefe, er gehört dir.
Betrachte ihn als Geschenk der Chiricahuas. How!«
Wakonda nickte dankbar und gab seinen Kriegern ein
Zeichen. Sie häuteten den Bären ab, schnitten die besten
Stücke aus seinem Körper und rollten den Kadaver zur Seite.
»Du bist in Begleitung«, sagte Wakonda. »Meine Späher
berichteten mir von deinem Kommen.«
»Mein Sohn Na-Cheez und ein alter Krieger, Wakonda.«
»Sie sind mir willkommen. Folge mir!«
Der Navaho drehte sich um und ging auf den Wall zu.
Cochise und die beiden Krieger mit dem Bärenfell folgten. Bei
Cochises Pferd blieb Wakonda stehen.
»Siehst du den Weg ins Tal, Cochise?« Er deutete auf einen
Ziegenpfad, der in Schlangenwindungen in die Tiefe führte.
»Ich sehe ihn.«
»Diesem Weg folgst du zu unserem Lager. Ich wiederhole:
die Krieger der Chiricahuas sind in meinem Hogan
willkommen.«
*
Haggerty glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als er
das Gewehr und die beiden Weißen sah. Sie grinsten ihn
höhnisch an.
Wie Goldgräber sahen sie nicht aus, eher wie Desperados.
Bärtig, schmutzstarrend und abgerissen, wirkten sie wie
Männer, die lange in der Wildnis gelebt hatten.
»He, Bucko, da staunst du, was?«
»Worüber? Über zwei ausgestopfte Affen?«
»Werde nur nicht frech, Mensch. Los, die Hände hoch! Noch
höher! Ja, so ist's recht.«
»Was wollt ihr von mir?« fragte Haggerty.
»Ruf mal deinen Kumpel her, Bucko.«
»Den Teufel werde ich!« sagte er laut.
»Reiß dein Maul nicht so weit auf, Hombre, sonst knallt's.
Du sollst ihn herrufen, nicht in die Flucht brüllen.«
»In die Flucht brüllen … Glaubt ihr, der reißt vor euch aus?«
»Wir glauben alles, nur nichts Gutes. Stell keine Fragen und
tu, was ich dir sage, dann passiert nichts.«
»Habt ihr den Bärtigen umgelegt und im Flußbett
verscharrt?«
»Geht dich einen Dreck an. Hör zu, Bucko, halte dich hier
raus, verstanden?«
»Geht's um Gold, Jungs? Mir könnt ihr's sagen. Ich nehm's
mit dem Gesetz auch nicht so genau.«
»Du sollst still sein, Bastard! Ihr beide seid Scouts der
Siebenten, da fresse ich einen Besen. Wir beobachteten euch
eine ganze Weile und …«
»Wir sollen Scouts sein?« unterbrach John ihn. »Daß ich
nicht lache. Wir kommen aus Albuquerque und gehen in die
Minen nach Styling oder Tombstone.«
»Du Bastard lügst. Mach uns nur nichts vor. Ihr beide seid
Scouts oder Männer des Gesetzes. Lügen helfen nicht, ihr habt
den Toten gesehen … Laß ja die Hände oben.«
John winkelte die Arme wieder ein Stück an. Wo nur Curt
bleibt? dachte er. Er muß längst gemerkt haben, daß etwas faul
ist. Wenn Curt den Kerl mit dem Gewehr ausschaltete, ist der
Rest ein Kinderspiel. Ziehen und schießen, bevor der andere
zieht und schießt. Wir haben es hier mit dem übelsten
Grenzgelichter zu tun, das keinen Pardon verdient.
»Ich bin kein Gesetzesmann«, sagte der Scout.
»Ob du es bist oder nicht, ist mir im Moment egal. Wenn du
jetzt nicht den anderen rufst, lege ich dich um.«
John hatte keine andere Wahl mehr. Er brüllte:
»Dan Tanna, komm schnell mal rüber, hier ist was!«
Curt mußte schon auf den Kopf gefallen sein, wenn er den
Wink nicht verstanden habe. Miller gab keine Antwort. John
rief noch einmal und lauter. Beim Flußbett blieb es still. Ohne
eine Miene zu verziehen, grinste der Scout in sich hinein.
Womöglich war Curt schon in der Nähe. Er mußte Zeit
gewinnen, sie hinhalten, Miller die Möglichkeit geben, einen
sicheren Schuß anzubringen.
»Ihr habt ihn wohl schon umgelegt und spielt hier
Komödie?«
»Quatsch nicht so dämlich. Wir kamen aus dem Felsgebiet
nicht raus. Wenn dein Kumpel nicht augenblicklich was von
sich hören läßt, bist du dran. Kapiert?«
»Bin nicht taub. Soll ich noch mal rufen?«
»Du bleibst stumm wie ein Fisch. Josh, mit dem anderen
stimmt was nicht.«
»Allerdings!« rief Miller im Rücken der Outlaws. »John,
mach dich flach!«
Ein Schuß krachte. John kannte den Klang von Curts
Spencer. Er warf sich auf den harten Boden und äugte nach
vorn. Der Desperado mit dem Gewehr taumelte, kippte
vornüber. Die Waffe entfiel seiner Hand.
»Übernimm ihn, John!« rief Curt.
John trat in Aktion. Er wußte, daß sein Freund nachladen
mußte. Das kostete zwei Minuten. In der Zeit konnte viel
passieren. Er sprang auf, wollte den anderen lebend. Seine
Linke umklammerte die Revolverhand des Outlaws und
drückte sie herunter. Ein Schuß löste sich. Die Kugel fuhr dem
Kerl ins Bein. Der Mann krümmte sich, erwischte einen
Aufwärtshaken. Sein Kopf flog zurück. Eine gestochene
Gerade folgte und schleuderte ihn auf den Rücken. John trat
heran und zog seinen Colt.
»Steh auf! So schlimm ist es nicht. Los, hoch mit dir!«
Mühsam kam der Outlaw auf die Beine. Sein tückischer
Blick traf den Scout.
»Abschnallen, Freundchen!«
Blut drang durch die Hose des Verwundeten. Er tanzte auf
einem Bein und stöhnte. Er öffnete die Gürtelschnalle und ließ
den schweren Gurt zu Boden fallen. Miller kam aus seinem
Versteck, ging zu dem Toten und drehte ihn auf den Rücken,
schüttelte den Kopf.
»Unbekannt«, sagte er. »Kennst du sie, John?«
Miller deutete auf den Lebenden. »Was fangen wir mit ihm
an?«
»Er wird dem nächsten Sheriff übergeben.«
»Und der?« Miller wies auf den Toten.
»Wir verscharren ihn. Er soll neben seinem Opfer im
Flußbett ruhen.«
»Wollen wir den Lumpenhund nicht fragen, was sie hier
trieben, und weshalb sie den dritten Mann töteten?«
»Nichts dagegen, Curt. Inzwischen sehe ich mich ein bißchen
um. Bring die Pferde hierher. Hier sind wir einigermaßen
geschützt.«
Miller holte die Pferde, führte sie in den Schatten eines
Felsens und tränkte sie. Danach hing er ihnen die Futtersäcke
um. John verschwand. Er nahm seinen Henry-Stutzen und
hebelte eine Patrone in die Kammer.
John folgte dem mittleren von drei Pferden. Als er ein Stück
in das Gewirr aus gewachsenen Felsen und verwitterten
Steinen hineingegangen war, sah er, daß die Trampelpfade
hinter der Klippe wieder zusammenstießen. Der Weg ging in
die Höhe, führte schräg nach oben. Kein Gebüsch, kein Baum.
Nur Kakteen, wie überall in der Wüstenregion.
Der Scout stieg gebückt bis zum höchsten Punkt und sah sich
um. Vor ihm eine schmale Schlucht. Ein mit einer Axt
behauener Baumstamm überbrückte den Spalt.
Haggerty wagte einen Rundumblick. Felsen, Schluchten,
Sandstrecken. Kein Grün wuchs, so weit das Auge reichte.
John warf einen Blick in die Schlucht. Dämmerig grau war es
dort unten, aber ein gutes Auge konnte Umrisse und Körper
zahlreicher Gerätschaften erkennen. Werkzeug aller Art lag
wahllos herum, und im rechten Teil des Spalts entdeckte John
ein Loch in der Wand.
Der Weg führte auf der anderen Seite des Balkens weiter auf
eine Ansammlung von Felsmassen zu, die nach Abraum aus
einer Grube aussahen.
Kurz entschlossen betrat John Haggerty den Balken und
balancierte mit ausgebreiteten Armen hinüber. Es gelang. Er
stieß auf ein senkrecht führendes Loch im Fels, und als er sich
vorbeugte und hineinblickte, sah er, daß es nach zwei Yards
abwinkelte und schräg wie ein Stollen in den Berg führte.
John schätzte die ungefähre Richtung ab und kam zu dem
Schluß, daß das Loch im Spalt der Austritt des Stollens sein
mußte. Wer hatte eine solche Titanenarbeit vollbracht, einen
Stollen diagonal in die Tiefe zu treiben, und zu welchem
Zweck?
Er erinnerte sich an die Werkzeuge und Geräte. Als er sich
nachdenklich umdrehen und den Weg zurückgehen wollte, fiel
in der Nähe ein Schuß.
Er blieb stehen und nahm das Gewehr in beide Hände.
Langsam ging er bis zum Balken. Hier wartete er, weil er
hastige Schritte hörte. Millers Stimme schallte durch die
Bergeinsamkeit, dann krachte noch ein Schuß.
»John, halte ihn auf! Der Kerl ist getürmt!«
*
Das große Feuer warf Licht und zuckende Schatten in die
Höhle. Sie war 20 Yards tief und 30 breit. 25 Fuß über ihrer
Grundfläche neigte sich der gewachsene Fels diagonal nach
hinten und vereinigte sich mit einem grauen Kalkstein.
Cochise warf verwunderte Blicke in die Runde. Auf den
Wänden prangten Höhlenzeichnungen in verschiedenen
Farben. Die Zeichnungen stellten Jagdszenen dar, Menschen
mit Waffen in den Händen, ein Lagerfeuer, Büffel und
Antilopen.
Wakonda, der neben Cochise am Boden kauerte, folgte
dessem Blick und zeigte auf die primitiven Malereien.
»Unsere Vorfahren haben das gemacht«, erklärte er.
»Gefallen sie dir?«
»Sie sehen sehr gut aus«, antwortete der Chiricahua höflich.
»Unsere Vorfahren? Wann war das?«
»Es ist lange her. Viele Sommer und Winter sind vergangen,
als das Volk der Hohokam hier lebte. Damals gab es noch
keine Navahos und Apachen in diesem Land.«
Cochise betrachtete die vielen Menschen in der Höhle. Sie
bot mindestens 30 Personen Platz. Wakondas Sippe mußte
groß und mächtig unter den Navahos sein. An mehreren Stellen
brannten kleine Kochfeuer, wurde Essen zubereitet und
verteilt.
Am großen Feuer saßen Cochise, Naiche, Giannatah und
Nahaye. Ihnen gegenüber Wakonda, drei junge Navaho-
Krieger, die vermutlich seine Söhne waren, und ein sehr alter
Medizinmann. Sein Haar war weiß und strähnig und hing ihm
bis über die Schultern. In den Händen hielt er einen Wedel aus
Bast.
Mißtrauisch fixierte er Cochise und dessen Krieger. Der Jefe
ahnte, daß er von dem Alten Schwierigkeiten zu erwarten hatte,
war aber nicht gewillt, nachzugeben oder seine Pläne
durchkreuzen zu lassen.
Das Essen wurde gereicht, auf flachen Tontellern gebratenes
Fleisch, runde Maiskuchen und Brei aus gekochten Kürbissen.
Cochise bedankte sich mit einem Kopfnicken. Es schmeckte
vorzüglich, besonders der Fruchtbrei. Apachen kannten so
etwas nicht und langten deshalb kräftig zu. Nach dem Essen
wurde das benutzte Geschirr von jungen Frauen oder Mädchen
abgeräumt. Ein Krug ging rund. Jeder trank. Das scharfe
alkoholische Zeugs schmeckte sogar Cochise, der sonst
Alkohol meistens mied.
»Unsere Brüder, die Chiricahuas, sind zu uns gekommen und
wurden als tapfere Krieger empfangen, obwohl Wakonda nicht
den Grund für diesen Besuch kennt«, sagte der Navaho.
Cochise erzählte, daß er aus dem Süden des Landes kam und
einen weiten Ritt durch feindliche Gebiete gewagt hatte, um
die tapferen Krieger der Navahos kennenzulernen und sie mit
dem Besuch der Chiricahuas zu ehren. Das war diplomatisch
und unverbindlich.
Wakonda nickte geschmeichelt. Wenn Chiricahuas so weit
aus dem Süden kamen, bedeutete dies für seinen Stamm eine
große Ehre. Natürlich war ihm klar, daß ein anderer Grund als
der genannte vorliegen mußte. Kein Indianer ritt 200 Meilen,
um einer anderen Rothaut die Hand zu schütteln. Er versuchte
deshalb auf Umwegen, hinter Cochises Geheimnis zu kommen.
»Erbeuteten die Krieger der Chiricahuas viele Skalps in
diesem Sommer?«
»Viele«, antwortete der Jefe. »Skalps von den Gelbhäutigen
im Süden.«
»Und von den Bleichgesichtern?«
»Keine. Die Chiricahuas und die Hellhäutigen schlossen
Frieden.«
Wakonda musterte ihn kritisch. Er wußte noch immer nicht
genau, weshalb Cochise ihn aufgesucht hatte. Nach dieser
Antwort konnte er sich den weiteren Verlauf der gegenseitigen
vorsichtigen Ausfragung denken.
»Wird Cochise nie wieder das Kriegsbeil gegen die weißen
Eindringlinge erheben?«
»Wenn die Pferdesoldaten oder andere Bleichgesichter den
Krieg eröffnen, werden die Chiricahuas mit allen Brüdern,
Stämmen und Sippen unseres großen Volkes kämpfen.
Gehören die Navahos zu den Brüdern der Apachen?«
»Zählen die Mescaleros und die Yaquis dazu?« lautete die
Gegenfrage.
»Sicher, und die Nednis im Süden. Alle Stämme der
Apachen.«
Wakonda überlegte eine Weile. Er spürte, daß Cochise die
Wahrheit sagte und nicht übertrieb. Trotzdem, ein Krieg gegen
die Weißen war eine riskante Sache, seit Kit Carson den
Großteil der Stämme unterworfen und zur Räson gebracht
hatte. Aber das war lange her. Wakonda war damals ein junger
Krieger gewesen, konnte sich aber recht gut an die Kämpfe mit
den Truppen erinnern.
»Das wird eine große Macht sein, die an Kraft und Stärke
den Pferdesoldaten gewachsen ist«, sagte er.
»Das ist sie. Diese Macht soll aber nur eingesetzt werden,
wenn die Weißen mit dem Krieg beginnen.«
»Du wirst die Krieger aller Stämme führen?«
»So ist es vorgesehen«, antwortete Cochise schlicht. Naiche
und Cochises engere Verwandtschaft schwiegen, um
abzuwarten, worauf der Jefe hinaus wollte.
Aber der schlaue Wakonda ließ sich nicht so schnell zu
einem Zugeständnis herbei. Cochise entwickelte schließlich
vor dem Navaho eine Kampfstrategie, die dieser begeistert
billigte. Er stand auf, nahm die Friedenspfeife entgegen, die
sein Solin ihm reichte, stopfte sie umständlich und zündete sie
an.
»Wo die Bleichgesichter stark sind, werden wir nicht sein,
wo sie schwach sind, locken wir sie in einen Hinterhalt. Die
Berge, die Wüste, das Wasser, die Winde und das Feuer sind
unsere Verbündeten. Wir werden ihnen zeigen, wie es ist, das
ganze Land zum Feind zu haben. Wir werden sie töten. Die
Pferdesoldaten sind schwerfällig wie vollgefressene Bären,
also müssen wir schnell wie Koyoten sein. Sie haben mehr
Pulver und Blei als wir. Deshalb werden wir, was wir
brauchen, von ihnen holen und sie mit ihren eigenen Waffen zu
schlagen. Und wenn sie hierhin und dorthin reiten, um uns zu
suchen, töten wir sie hinter Steinen hervor. Sie werden
fürchten, daß jeder Busch, jeder Baum, jeder Canyon eine
Todesfalle ist.«
Cochise machte eine Pause, um seine Worte wirken zu
lassen. Es war eine lange Pause, während der er sich um seine
Achse drehte und das Kalumet schwang. Die anwesenden
Indianer, gleich welchen Alters und Geschlechts, sahen ihn
gebannt an. Mit gehobener Stimme fuhr er fort:
»Wir werden sie wie gefährliche Raubtiere behandeln. Sie
dürfen schlafen, nie ganz wach sein. Die Furcht muß sie
langsam auffressen, bis sie nur noch einen einzigen Gedanken
haben: weg aus diesem Land!«
Er sog an der Pfeife und stieß den Rauch in alle vier
Himmelsrichtungen, zur heiligen Erde und zu den Göttern im
Himmel. Dann reichte er die Pfeife Wakonda. Der nahm sie
entgegen, verbeugte sich vor dem Kalumet und führte das
Mundstück an die Lippen. Nach den sechs vorgeschriebenen
Rauchstößen erwiderte er mit hallender Stimme:
»Wakonda hat gehört und verstanden. Wenn Cochise zum
Kampf gegen die weißen Eindringlinge aufruft, werden die
Navahos ihm folgen. Die Beute wird groß sein und das Land
gehört wieder uns. How!«
Cochise warf einen befriedigten Blick auf sein Gefolge. Er
hatte erreicht, was er erreichen wollte. Mit Diplomatie und
Schläue war es ihm gelungen, auch den Norden des
Apachenlandes auf seine Seite zu ziehen und die Front gegen
die Weißen zu stärken.
*
Haggerty hatte die beiden Schüsse und Millers Rufe gehört. Er
balancierte über den Balken, gelangte zur Mitte und sah den
verwundeten Outlaw heranhinken. Nicht weit hinter ihm rannte
Curt Miller.
In seiner Angst vor dem Gewehr betrat der Bandit die
schmale Brücke und streckte beide Hände vor, um Haggerty
vom Balken zu stoßen. Miller blieb stehen, legte an, aber er
drückte nicht ab.
Das Risiko, den Freund zu treffen, war zu groß. Entsetzt sah
er mit an, wie sich die beiden auf dem nur fußbreiten Balken
näherten. Millers Haare sträubten sich, und über seinen Rücken
lief ein Kälteschauer.
Haggerty rief: »Zurück, du Idiot! Willst du in den Spalt
stürzen?«
Der Mann hielt mühsam mit seinem verwundeten Bein das
Gleichgewicht. Sie waren nur noch zwei Yards voneinander
entfernt.
Noch einmal rief der Scout: »Zurück, du Narr!«
Aber die Angst vor der Waffe in seinem Rücken beflügelte
den Mut des Desperados. Er machte noch einen kleinen Schritt
und wollte nach Haggerty greifen. John überlegte, ob er ziehen
und schießen sollte. Das wäre aber nach den ungeschriebenen
Gesetzen des Westens glatter Mord gewesen.
Curt rief: »Leg dich flach auf den Balken, John! Ich schieße
auf ihn!«
Es war eine verzweifelte Situation, in der sich der Scout
befand. Ein Absturz mußte unausweichlich tödliche Folgen
haben.
Er blieb einfach stehen und starrte dem Gegner in das
angstverzerrte Gesicht. Der Mann war irre vor Angst und
zitterte am ganzen Körper. Blut aus seiner Beinwunde näßte
den Balken und machte ihn schlüpfrig.
Für John Haggerty war die Situation grauenhaft und
lebensgefährlich. Ein verzweifelter Mensch würde alles
daransetzen, die rettende andere Seite zu gewinnen, zumal er
verwundet war. Wenn er, Haggerty, sein Leben retten wollte,
durfte er keine Kompromisse eingehen. Trotzdem, umbringen
konnte er den Outlaw einfach nicht.
Er warf die Arme in die Höhe und stieß einen gellenden
Schrei aus. Der Bandit zuckte zusammen, machte reflexartig
einen Schritt zurück, glitt aus und konnte nicht mehr das
Gleichgewicht halten. Es gelang ihm noch, mit den Händen die
Balkenkante zu umklammern. Frei schwebte er über dem
Abgrund.
Haggerty stand wie erstarrt. Er versuchte sein pochendes
Herz zu beruhigen und atmete tief durch. Langsam ließ er sich
auf die Knie sinken.
»Halte dich fest, du Hundesohn, ich helfe dir.«
»Ja, ja, Mann, ich werde dich reich belohnen.«
John setzte sich auf den Balken und ließ die Beine auf beiden
Seiten herabbaumeln. Mit der Linken packte er den Kragen der
schmuddeligen Lederweste und zog.
»Wirf ein Bein über den Balken und stoß dich hoch!«
Der Outlaw versuchte es, aber es gelang ihm nicht.
Wahrscheinlich hatte ihn der Blutverlust zu sehr geschwächt.
Das erhobene Bein glitt in die alte Lage zurück. John hielt fest,
aber der Kragen der morschen Jacke riß, der schwere Körper
sackte.
Die Finger konnten das Gewicht nicht mehr halten und
rutschten ab. Mit einem gellenden Schrei fiel der Mann in die
Tiefe.
»Allmächtiger!« rief Miller entsetzt. »Alles in Ordnung,
John?«
Haggerty, noch auf dem Balken stehend, sah zu Miller
hinüber.
»Ja, Curt. Laß mir einen Augenblick Zeit.«
»Alle Zeit der Welt, wenn du willst. Leg ruhig eine
Verschnaufpause ein. Mensch, Mensch, war das eine
aufregende Sache.«
Ruckartig bewegte sich der Scout auf dem Balken vorwärts.
Er riskierte es nicht mehr, sich aufzurichten und zu
balancieren. Nach Minuten war er drüben angelangt und ließ
sich von Miller auf festen Boden ziehen.
Langsam erhob er sich, ging bis an den Rand des Abgrunds
und blickte in die Tiefe. Es flimmerte vor seinen Augen. Er
hatte den Mann zu retten versucht, das war richtig, und doch
konnte er sich nicht von dem Vorwurf befreien, nicht alles
getan zu haben.
Müde drehte er sich zu Miller um und fragte:
»Was war geschehen? Weshalb konnte er dir entkommen,
zumal er verwundet und gehbehindert war?«
»Meine Schuld«, erwiderte der Scout zerknirscht. »Ich ließ
mich durch die Pferde ablenken. Ja, ja, es war allein meine
Schuld.«
»Reg dich nicht darüber auf, Curt. Es hat eben nicht sein
sollen.«
»Glaubst du an ein vorherbestimmtes Schicksal?«
John nickte. Sein Gesicht wirkte von der Anstrengung der
letzten Minuten noch grau und eingefallen.
»Mann, ich hatte vielleicht Angst um dich.«
Haggerry war mit seinen Gedanken schon wieder ein Stück
voraus.
»Was war mit den Pferden? Sie sind doch noch da, oder?«
»Als ich hinter dem Kerl herlief, standen sie noch auf ihren
Platz. Nein, das ist's nicht. Sie wurden plötzlich unruhig, aber
ich konnte den Grund nicht feststellen. Komm, sehen wir
nach.«
Sie gingen hintereinander über den Pfad bis zum Wall. Von
den beiden Pferden war nichts mehr zu sehen. John fluchte
lästerlich, Miller stimmte mit ein, riß seinen Hut vom Kopf und
schmiß ihn auf die Erde. Mit den Füßen stampfte er aus Wut
vor seiner Unaufmerksamkeit darauf herum.
»Was bin ich für ein dämlicher Hund«, brummte er.
John grinste. »Da kannst du recht haben, Curt.
Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung.«
»Witzbold. Was machen wir jetzt? Ohne Pferde sind wir
verloren.«
Haggerty lächelte immer noch. Miller starrte ihn verwundert
an.
»Das schreckt dich kein bißchen, was?«
»Nicht die Bohne«, antwortete der Chief-Scout. »Laufen wir
eben.«
»Das läßt dich so kalt? Fast hundert Meilen bis Fort
Buchanan …«
»Sechzig«, unterbrach Haggerty ihn trocken.
»Gut, sechzig. Weit genug, um mir einen Angstschauer über
den Rücken zu jagen.«
»Wird schon nicht so schlimm sein.« Haggerty grinste. »Es
ist Sommer, also warm. Wasser gibt es nicht. Unser Proviant
ist beim Teufel, mein Gewehr ebenfalls. Wir werden von
Skorpionen und Taranteln leben. Mahlzeit!«
Curt Miller starrte den Freund entgeistert an.
»John, sag' mal, hat dein – dein … Ich meine, hat dein
Verstand gelitten? Du redest so komisches Zeug.«
»Nicht, daß ich wüßte. Warum?«
»Ich sagte es gerade. Du redest Blödsinn.«
Haggerty lachte schallend. Sein Freund tippte sich an die
Schläfe und machte ein besorgtes Gesicht. Mit einem Irren 60
Meilen durch die Hölle zu marschieren, nichts zu essen, nichts
zu trinken, immer in Gefahr vor Indianern, das war mehr, als
sein Verstand begriff.
John machte der Komödie ein Ende. Er ergriff Curts Arm
und ging mit ihm zusammen ein Stück näher an das Flußufer.
Was John bereits vor Minuten gesehen hatte, sah Curt nun
auch. Ungefähr 200 Yards weiter unten standen ihre Pferde
mitten im Kiesbett und tauchten die Nüstern in ein Loch, das
scheinbar Wasser enthielt.
»Verdammt, verdammt! Warum sagtest du das nicht gleich?
Dein Gehirn muß doch was abbekommen haben, alter
Halunke.«
Beide grinsten, dann lachten sie lauthals.
»Gehen wir zusammen die Gäule holen«, sagte John. »Mal
sehen, ob es tatsächlich dort Wasser gibt.«
Sie stolperten über Geröll und blankgewaschenen Kies, und
als sie dicht vor der Aushöhlung standen, sahen sie es: Wasser.
Nicht viel, aber doch ausreichend, um die Feldflaschen zu
füllen.
»Eine Quelle«, sagte Miller verwundert, »mitten im Flußbett.
Nicht zu fassen.«
Haggerty schaute nach Westen. Die Sonne ging langsam
unter. Es wurde kühler. Sie füllten die vier Feldflaschen,
schnallten sie an die Sattelhörner und verließen mit den
Pferden am Zügel das Flußbett.
*
Es war heller Tag und glühend heiß. Cochise schlug einen
Bogen um Fort Buchanan und ritt über einen langen Grashang,
der zu Wards Ranch gehörte, auf die Paßstraße. Die Pferdehufe
wirbelten Staub auf, der hinter dem Trupp wallte. Diese
Staubfahne war noch in weiter Ferne zu sehen.
Aber die Apachen sah niemand. Cochise verließ die Straße
und bog in einen gewundenen Seitencanyon ein. Die
Tageshitze war hier zu ertragen. Nach zwei Stunden erreichten
sie den Paß. Manzanitas und Speerdorn wuchsen dort und
verbargen den geheimen Seitenweg.
Cochise ritt schneller. Bald mußte die Station in Sicht
kommen. Obwohl seine Mine ausdruckslos blieb, freute er sich
auf ein Wiedersehen mit Thomas Jeffords.
Bevor der Häuptling die Bauwerke sehen konnte, roch er den
Rauch aus dem Schornstein. Sein Mustang witterte das Wasser
und drängte vorwärts. Die letzte Kehre. Der Giebel des
Haupthauses war zu erkennen, die Umzäunung, die Schmiede,
schließlich der langgestreckte Stall und die Koppel.
Weiße Männer standen auf dem Hof vor dem Haupteingang.
Als sich einer umdrehte und die Indianer sah, verschwanden sie
blitzartig in das Haus. Cochise lächelte. Sie hatten Angst vor
Apachen, und das erfüllte ihn mit Stolz.
Noch zwanzig Pferdelängen war er entfernt, als die
hochgewachsene Gestalt Jeffords aus der Tür trat und zum Tor
ging. Cochise hob die rechte Hand zum Gruß, aber seine
freundliche Geste wurde von Jeffords nicht erwidert.
Der Jefe zügelte sein Pony, das zur Quelle drängte, und stieg
ab. Mit dem Pferd am Zügel trat er auf Jeffords zu.
»Meine Augen freuen sich, einen guten Weißen
wiederzusehen, mein Herz freut sich und meine Seele. How!«
Jeffords blickte ihm kalt entgegen und rührte keine Hand,
den Häuptling zu begrüßen.
»Die Freude sollte ungetrübt sein, Jefe, aber sie ist es nicht«,
sagte er. »Eine zerstörte Postkutsche und acht tote Weiße
lassen keine Freude in mir aufkommen.«
»Was ist geschehen?«
»Das weißt du nicht?«
»Nein, Hellauge. Ich war viele Monde weit weg von meinen
Jagdgründen.«
Jeffords nahm sich ein Herz. Es mußte gesagt werden, selbst
wenn er sich nicht an die Regeln der Gastfreundschaft hielt, die
den Rothäuten heilig war.
»Deine Krieger stürzten eine meiner Kutschen in den
Abgrund. Sechs tote Pferde und acht zerschmetterte Menschen.
Hält man
so Wort bei den Chiricahuas?«
Cochise zuckte zurück. Sein Gesicht drückte Erstaunen und
Zweifel aus. Er kniff die Augen zusammen, als er den
Postmeister anstarrte.
»Ein Chiricahua hält sein Wort, Hellauge«, entgegnete er
grimmig. »Wenn es geschehen ist, wie du sagst, waren es nicht
meine Krieger.«
»Apache ist Apache.«
Da war er wieder, der Unverstand des weißen Mannes, der
alles, was eine rote Haut hatte, Apache nannte.
»Ich sage dir, es waren keine Chiricahuas, und nur das zählt.
Apache ist nicht Apache. Wir sind ein großes Volk mit vielen
Führern, und unsere Sippen sind so zahlreich wie die
Sandkörner in der Wüste.«
Thomas Jeffords würgte seine Bitterkeit hinunter. Er wollte
es nicht mit Cochise verderben und seiner Gesellschaft keinen
Strich durch die Rechnung machen. Die Butterfield Overland
war auf die Station hier oben und die Benutzung der Paßstraße
angewiesen und konnte sich keinen Privatkrieg mit den
Chiricahuas leisten.
»Komm ins Haus, Cochise, du bist willkommen!«
Der Häuptling drehte sich um, stieg auf sein Pferd und ritt
an. Ohne Jeffords noch eines Blickes zu würdigen, trieb er sein
Pony durch den Paßsattel und verschwand hinter der
jenseitigen Kehre. Naiche und die beiden Krieger folgten ihm.
Buck Tinatra, Larry Osborne und Charles Culver traten aus
dem Haus und warfen besorgte Blicke hinter den Indianern her.
Tinatra rief: »Was ist geschehen, Thomas?«
Jeffords schloß sekundenlang die Augen. Er fühlte sich
ausgelaugt.
»Ich glaube, ich habe einen bösen Fehler begangen, Buck.
Ich – ich …«
»Ja? Ist was nicht in Ordnung?«
Jeffords zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Er wird
es mir nie verzeihen, daß ich ihm Wortbruch unterstellte. In
dieser Beziehung sind die Redmen empfindlich.«
»Du hast ihm die Sache mit der Postkutsche vorgehalten?«
»Nicht nur das, sondern auch angelastet.«
»Bist du des Teufels, Mensch?«
Culver trat an seine Seite. »Thomas, haben wir noch eine
Chance?« flüsterte er.
»Warum denn nicht?« antwortete Jeffords. »Cochise wird
nicht gleich einen Krieg anfangen, so empfindlich ist er nun
wieder nicht.«
Larry Osbome schüttelte den Kopf und machte ein düsteres
Gesicht.
»Klingt alles nicht gut, Thomas. Jetzt braucht er nur noch
einen weiteren Anlaß, um den roten General auf den
Kriegspfad zu treiben. Ich halte ihn für sehr empfindlich.«
Jeffords ging auf und ab. Er spürte eine bleierne Müdigkeit
in seinen Beinen und ein erdrückendes Schuldgefühl. Sehr
diplomatisch hatte er sich nicht verhalten, und seine Leute
wußten das und kreideten ihm sein Fehlverhalten an.
»Er reitet in seine Apacheria und wird tagelang darüber
brüten, wie er die Scharte auswetzen kann«, sagte Jeffords
ohne Überzeugung.
Am liebsten wäre er Cochise nachgeritten und hätte ihn um
Verzeihung gebeten, aber sein eigener Stolz verbot ihm das. Im
Augenblick wußte er nicht, wie es weitergehen sollte. Er
brauchte Cochises Schutz, um seine Kutschen sicher über den
Paß zu leiten.
Thomas Jeffords seufzte und ging ins Haus. Osborne und
Tinatra sahen sich an. In ihren Blicken versteckte sich
Ablehnung. Galt sie Jeffords? Larry zog die Schultern hoch,
ging zum Stall. Buck sprach mit Charles Culver, aber sie
redeten nur über Nebensächliches. Die Sonne ging unter und
färbte den Himmel rosa und golden. Graue und violette
Schatten hüllten die Berge ein. Der Wind frischte auf.
Culver fragte: »Was hältst du von dieser Geschichte? Übel,
was?«
»Sie kann es werden«, erwiderte Buck Tinatra. Besorgnis
klang aus seiner Stimme.
»Wie werden?« wollte Culver wissen.
»Ich bin kein Hellseher. Meine Erfahrung mit Apachen ist
nicht groß. Was geht in ihrer Seele vor? Wie denken Sie? Wie
handeln sie? Ich weiß das alles nicht und kann deine Frage
nicht beantworten. Fest steht nur, daß es sehr schlimm werden
wird, wenn Cochise den Befehl zur Vernichtung der Station
gibt.«
»Können wir gar nichts tun?«
»Nichts«, erwiderte Buck. »Alles hängt nun von Cochise und
seinen Chiricahuas ab. Das haben wir Thomas zu verdanken,«
»Siehst du nicht etwas zu schwarz?«
»Möglich. Ich will nichts Bestimmtes andeuten, aber ich
schätze, daß wir mächtig auf der Hut sein müssen. Wachen Tag
und Nacht. Patrouillen in die nähere und weitere Umgebung.
Larry und ich haben unsere früheren Ritte eingestellt, nachdem
es ruhig hier oben geworden war. Ich glaube nicht, daß
Chiricahuas die Kutsche angriffen. Ein Heuchler ist dieser
Cochise nicht. Das sehe ich ihm an. Er kam völlig unbefangen
hier herauf und wollte Thomas begrüßen. Scheiße!«
Er spuckte aus, ließ Culver stehen und folgte Larry Osborne
in den Stall.
*
Thomas Jeffords saß im dunklen Raum, Kopf und Rücken
gegen die warme Mauer gepreßt, und hing seinen Gedanken
nach. Er war als Habenichts aus dem Osten gekommen, hatte
sich bei der Butterfield emporgearbeitet und für seine Existenz
gekämpft. Nun saß er mit offenen Augen in der Dunkelheit und
stellte sich vor, wie es sein würde, wenn er noch einmal
versagte und die Gesellschaft ihn wegen Unfähigkeit feuerte.
Er kam sich hilflos vor. Alles hatte er verpatzt, Cochise vor
den Kopf gestoßen und eine neue Gefahr für die
Postkutschenlinie heraufbeschworen.
Plötzliche Kälte rann trotz der Tageshitze über seinen
Rücken. Er wußte auf einmal, was er zu tun hatte. Er mußte zu
Cochise reiten, versuchen, dem Jefe zu erklären, daß die Pferde
mit ihm durchgegangen waren. Es blieb ihm nichts anderes
übrig: er mußte sich entschuldigen und sich mit Cochise
versöhnen.
Thomas stand auf, trat in die offene Tür. Die Stille wirkte
bedrückend, lähmend. Was ging draußen in der Nacht vor?
Lauerten sie schon in der Nähe? Oder waren sie weitergezogen,
wie es den Anschein hatte?
Jeffords starrte in die Dunkelheit. Da war nichts, was ihm
Furcht einflößte. Und doch hatte er ein Gefühl, das an
Todesahnung grenzte. Sosehr er sich auch einredete, daß alles
Unsinn war, das Gefühl wich nicht.
Aus dem hinteren Teil des Hauses drangen lautes Lachen
und klatschende Geräusche. Seine Freunde spielten Poker. Den
Vorfall hatten sie schon wieder vergessen oder gewaltsam
unterdrückt.
Spontan entschloß sich Thomas Jeffords, den ersten Bußgang
seines Lebens zu machen und vor Cochise niederzusinken mit
flachen Händen, die um Vergebung baten. In dieser und in der
nächsten Woche ging es nicht. Er mußte nach Tombstone, um
dem froschäugigen Ron Ballard, den sie nur »Fatty« nannten,
von der Vernichtung der Concord zu berichten.
Er tat es ungern, aber es mußte sein. Die Gesellschaft war
gezwungen, eine neue Kutsche auf der Strecke einzusetzen und
sich außerdem Gedanken zu machen, wie der Weg über den
Paß abgesichert werden konnte.
Die Hitze des Tages hatte sich verflüchtigt, und ein kühler
Wind wehte durch den Canyon. Thomas Jeffords trat vor das
Tor hinaus.
Keine noch so ausgereifte Überlegung half ihm. Er mußte
zuerst nach Tombstone und danach zu Cochise. Entschlossen
ging er ins Haus zurück. Er mußte mit seinen Leuten eine
Lagebesprechung ansetzen, damit er seine ständig sich
steigernde Spannung abbauen konnte und wieder Format
gewann.
Thomas ging zur hinteren Flurtür, klopfte, trat ein und blieb
im grellen Licht der Kerosinlampe stehen. Seine beiden
Freunde schienen das Vertrauen zu ihm verloren zu haben.
Culver wirkte ungeduldig. Er verstand es, einen fühlen zu
lassen, was er empfand.
Jim Walsh wanderte auf und ab. Walker und Kelly lehnten
an der Wand und wichen seinem Blick aus. James Wallace saß
breitbeinig auf einem Stuhl und ließ seine großen Fäuste
zwischen seinen Knien baumeln.
Thomas zupfte an seiner Unterlippe. »Freunde«, sagte er,
»wir müssen eine Entscheidung treffen. Unser Proviant geht zu
Ende. Wir haben kaum noch Futter für die Tiere. Die
Trockenheit hier oben in den Bergen läßt das Gras langsamer
wachsen. Was tun?«
Sie zuckten die Achseln. Keiner von ihnen hatte einen
Vorschlag zu machen, der Jeffords' Sorgen hätte mildem
können.
»Die Apachen greifen nachts nicht an«, sagte Larry Osbome.
»Wir könnten in einer Nacht nach Tombstone durchbrechen.
Das ist es doch, was du meinst?«
»Nein. Ich meine etwas ganz anderes. Was wird sein, wenn
Larry und Buck mit mir zusammen nach Tombstone reiten?
Greifen die Rothäute an, sind nicht genug Leute hier, um die
Station zu verteidigen.«
»Du rechnest mit einem Angriff Cochises?« fragte Walsh.
»Nein. Aber es könnten Mimbrenjos oder Tontos versuchen,
ein paar Skalps zu erbeuten. Nach meiner Rückkehr breche ich
sofort zu Cochise auf und bitte den Häuptling um gutes Wetter.
Hat jemand Vorschläge?«
Sie schwiegen sich aus.
Jeffords begriff nicht, warum es nicht anders sein konnte.
Offenbar hatten sie Angst. Es ist schwierig, ängstliche
Menschen zur Ausführung bestimmter Pläne zu bewegen. Wie
sehr er irrte, erfuhr er erst viel später.
Thomas richtete sich auf. Schließlich war er der
Stationsleiter.
»Morgen abend, kurz nach Anbruch der Dunkelheit, reiten
Buck, Larry und ich nach Tombstone. Wir sind in vier bis fünf
Tagen mit etlichen Maultieren zurück. Inzwischen müssen wir
auf Gott vertrauen, daß hier oben nichts passiert.«
*
54 Dragoner standen abmarschbereit auf dem Paradefeld. Mit
ihren Pferden.
Alle starrten auf Lieutenant George N. Bascom vor der
Front. Hinter ihm am linken Flügel Sergeant Hurt Hartfield.
Colonel Brigham verabschiedete den jungen, ehrgeizigen
Offizier. Er wies zu John Ward hinüber, der vor der
Kommandantur wartete. Ward stieg in den Sattel und gesellte
sich zu Bascom.
Der zerrte sein Pferd herum und befahl mit gellender
Stimme:
»Kompanie – aufsitzen!«
Rasseln und Klappern von Metallteilen. Die Dragoner
schwangen sich in die Sättel. Der nächste Befehl hallte über
den Platz:
»Kompanie, rechts – schwenkt! Anreiten!«
Der Hornist blies »Gott schütze unseren langen und
schweren Weg …« Das schwere Tor wurde geöffnet. Die
Posten legten grüßend die Hände an ihre Käppis. Bascom, der
junge Lieutenant aus West Point, setzte sich an die Spitze und
legte die Rechte grüßend an den Feldhut.
Standartenträger und John Ward rückten auf und ritten neben
Bascom. Hinter der Truppe verklang das Trompetensignal über
Fort Buchanan.
Es ging zur Paßstraße hinauf. Hart klapperten die
beschlagenen Hufe der Pferde.
Die Soldaten schwiegen. Der Wind wehte Staub in ihre
Gesichter, und sie mußten die Lippen geschlossen halten. Vor
ihnen lagen die Dragoon Mountains.
Bascoms Augen musterten kalt und geringschätzig die
feindliche Landschaft. Mit einer Kompanie Dragoner würde er
die Welt aus den Angeln heben und jeden Angriff abschlagen.
Kein Apache war auch nur einem einzigen seiner Soldaten
gewachsen. Dachte er. Er war an die Grenze gekommen, um in
seiner Laufbahn als Offizier schneller zu klettern.
»War Colonel Brigham mit der Entsendung der Truppe zum
Apache-Paß einverstanden?« fragte Ward und blickte zu dem
tiefen Einschnitt im Gebirge hinauf, der wie ein drohend
gekrümmter Finger aussah.
Bascom sah ihn erstaunt an. »Er hatte immer schon eine
andere Einstellung zu Indianern als ich.«
»Und wie ist seine Einstellung?«
»Sehr human. Ich dagegen kann sie nicht leiden. Sie sind
falsch und hinterhältig, brutal und unberechenbar.«
»Ganz meine Meinung. Sehen Sie mal geradeaus, Mr. Ward.
Was ist das dort vorn am Hang?«
Ach, du liebe Güte! dachte Ward. Das Kerlchen hat in
seinem Leben noch keine Kuh gesehen. Laut sagte er:
»Rindviecher, Sir, viele Rindviecher. Sie gehören mir.«
»Was? Sie lassen die Herde hier oben beim Paß weiden?«
»Wo denn sonst? In der Wüste gibt es kein Gras, und davon
leben sie nun mal.«
»Das weiß ich auch«, erwiderte der Offizier scharf. »Warum
sind Sie auf einmal so zynisch?«
»Bin ich das?«
»Das finde ich, ja.«
Ward sah ihn von der Seite her an.
»Sie sind der Befehlshaber dieser Truppe, Lieutenant, und
Sie können Ihren großen Wirbel bei Ihren Untergebenen
veranstalten, nicht aber bei mir. Ich jedenfalls höre mir Ihr
dämliches Gequatsche nicht länger an. Ihnen brauche ich
bestimmt nicht zu erklären, welchen gefährlichen Job ich für
die Armee übernehme. Ein Ritt ins Apachenland! Ich muß
Ihnen auch nicht lang und breit auseinandersetzen, wie sehr Sie
mich mit Ihrem Getue und Ihrem gespielten Heldenmut
ankotzen.«
Bascoms Gesicht drückte Verblüffung, Scham und einen
geradezu infernalischen Haß auf den Rancher aus. Doch er
beherrschte sich. Doch was er antwortete, klang bissig.
»Was tun denn Sie fairer, großer Mann. Sie verlangen, daß
ich Ihren Indianerbastard aus dem Nichts zaubern soll. Alles
Lug und Trug. Dem Colonel konnten Sie was vormachen, mir
nicht.«
»Was soll das heißen?«
»Daß Sie den Colonel schamlos belogen. Pinal-Apachen
raubten den Jungen, aber doch keine Chiricahuas.«
»Wenn Sie das wußten, warum drängten Sie sich nach dem
Kommando?«
»Weil es in meine Pläne paßt. Was Sie sich allerdings dabei
gedacht haben, wird mir ein Rätsel bleiben. Ich glaube Ihnen
von heute an kein Wort.«
»Dann lassen Sie es, Sie Apachenschreck. Machen Sie
rechtzeitig einen Plan, was Sie am Paß eigentlich wollen. Felix
ist nicht bei den Chiricahuas.«
»Ich habe Order, nach dem Bastard zu suchen, und das werde
ich tun. Notfalls auf meine Art. Cochise werde ich zwingen,
den Jungen herbeizuschaffen.«
»So habe ich mir das gedacht. Im Grunde ist mir der Bankert
egal. Ich will nur Ruhe haben vor Jesusas Klagegeschrei. Ruhe,
verstanden?«
Beide schwiegen. Sie hatten ihre Absichten bloßgelegt und
kannten sich nun. Stunden danach erreichte die Truppe den
Paßsattel. Die Station tauchte auf. Ward setzte sich nach hinten
ab und kam erst wieder an die Spitze, als er Männer aus dem
Haus treten sah. Bascom hob sich im Sattel.
»Kompanie – halt! Absitzen!« Bascom wandte sich an den
vierschrötigen Mann, der nach Pferdeschweiß roch.
»Sind Sie der Boß?« fragte er und hielt ihm die Rechte hin.
Jim Walsh übersah sie geflissentlich. Er mochte keine
Uniformierten und ließ Bascom es deutlich merken.
»Nein.«
»Wer leitet die Station?«
»Mr. Jeffords ist nach Tombstone geritten. Ein Glück, daß
Sie mit den Soldaten gekommen sind. Seit gestern spukt's hier
in der Umgebung.«
»Was soll das heißen?«
Walsh zeigte auf eine zerfaserte Wurzel. »Das Ding hing
heute morgen am Tor. Können Sie sich einen Reim darauf
machen?«
Ward hob die Wurzel auf. Die dünnen Fäden waren bunt
angemalt, der Hauptstock in der Mitte gespalten. Eine
schwarze Feder klemmte in dem Spalt. Das Ding war nicht
länger als ein Unterarm. Bascom starrte die Wurzel an. Ekelte
sich, die bemalte Stelle zu berühren.
»Was bedeutet das?«
Ward machte ein besorgtes Gesicht.
»Warnung«, sagte er. »Krieg, Überfall, Kampf, Skalps. Sie
haben für jeden Begriff eine andere Farbe. Der Station droht
Gefahr.«
»Allmächtiger!« Walsh schnappte nach Luft.
»Seien Sie still«, sagte Bascom. »Meine Soldaten bleiben
hier, bis Mr. Jeffords wieder zurück ist.« Er wandte sich an
Ward: »Sie sind sicher, daß es sich bei diesem widerlichen
Fetisch um eine Botschaft handelt?«
»Absolut.«
»Apachen?«
Ward nickte, starrte auf das Wurzelwerk.
»Wozu machen sie es?«
»Sie wollen die Weißen einschüchtern.«
»Was geschieht, wenn sie feststellen, daß Soldaten im Paß
biwakieren?«
»Keine Ahnung. Entscheidend ist, wer sie führt. Bei Victorio
kommt es zweifellos zum Kampf. Ist's nur ein Unterhäuptling
… Ich weiß es nicht, verdammt!«
Hurt Hartfield salutierte.
»Darf ich Lager aufschlagen lassen, Sir?«
»Natürlich, Sergeant.«
»Und wo, Sir?«
Bascom wies auf die Grasfläche jenseits des Zaunes.
»Nur kleine Kochfeuer, doppelte Wachen und
vorgeschobene Posten, die sich alle halbe Stunde ablösen.«
»Jawohl, Sir.«
Der Sergeant machte eine zackige Kehrtwendung und
verschwand.
*
Cochise saß grübelnd am Feuer. Im Lager herrschte absolute
Stille. Auf der anderen Seite der wärmenden Flammen saß
Nahlekadeya. Sie nähte an einem neuen Paar Mokassins für
den Jefe.
Cochise hatte Sorgen, das sah sie ihm an. Irgend etwas hatte
ihn aus dem Gleis gebracht, nur was es war, hätte sie wohl nie
erfahren.
Krieger waren nicht sehr gesprächig zu ihren Squaws, und
wenn sie redeten, betraf es allgemeine Dinge. Cochise sprach
nie darüber.
Nahlekadeya war deshalb erstaunt, als Cochise den Kopf hob
und sie fragte:
»Was würdest du tun, wenn ein guter Freund dich beleidigen
und aus seinem Lager stoßen würde?«
Mit wohlklingender Stimme antwortete sie ruhig:
»Es kann kein so guter Freund sein, wenn er das tat.
Verachte ihn, Koh-Cheez.«
»Das kann ich nicht. Einen roten Krieger kann ich deswegen
verurteilen und ihm meine Verachtung zeigen, aber keinem
Weißen.«
»Und weshalb nicht? Sind sie nicht ebenso Menschen wie
wir?«
»Doch, doch«, sagte Cochise. »Er ist bei seinem Volk ein
großer Jefe, der die Kutschen beherrscht, die immer mehr
Bleichgesichter in unser Land bringen. Ich kenne die Sitten und
Gebräuche der Weißen nicht so gut, um über sein Verhalten zu
Recht oder zu Unrecht zu befinden. Ich bin hilflos und
verunsichert.«
»Darf ich den Jefe fragen, was ihm widerfahren ist?«
Cochise erzählte, was ihm beim Apache-Paß passiert war.
Am Schluß sagte er: »Ich frage mich, ob ich ihn töten oder
lieben soll, ob ich ihm dankbar sein muß für seinen Hinweis,
oder ob ich sein Haus abbrennen soll wegen der frevlerischen
Verleumdung?«
»Wer hat seine Kutsche zerstört, Chiricahuas?«
»Mimbrenjos. Sie sind die hinterhältigste Sippe der Apachen.
Dasoda-hae war der größte Jefe aller Stämme und ein
Mimbrenjo, aber Victorio ist nichts weiter als ein Aufwiegler
und hinterhältiger Mörder, der seine eigenen Taten den
Chiricahuas anlastet und nach Mord und Brandschatzung
wieder in der Reservation verschwindet.«
»Ist das wirklich so?«
Cochise nickte. »Wenn ich wie ein Hund von den Weißen
Brot nehme, darf ich die segensreiche Hand nicht beißen. Tue
ich's doch, wird sich diese gute Hand gegen mich wenden und
den Hund erschlagen.«
»Du bist der Jefe aller Apachen, genau wie es Dasoda-hae
damals war. Warum befiehlst du ihm nicht, mit den Untaten
aufzuhören?«
»Er ist mir keine Treue und keinen Gehorsam schuldig.«
»Du bist der Jefe«, sagte sie noch einmal eindringlich.
»Ja, deswegen werde ich auch handeln. Ich habe eingesehen,
daß ich Jeffords Unrecht tat: Ich werde morgen zum Paß reiten
und mich entschuldigen. Ich bin nicht der Hund, der die gute
Hand beißt. Du und Nachise werden mich begleiten. Außer
euch beiden Naretana, mein Bruder, seine Söhne Yadalanh und
Giannatah. Naiche wird im Lager bleiben und die jungen
Männer von Torheiten abhalten. How!«
Nahlekadeya wußte, daß es nichts mehr zu sagen gab.
Cochise hatte sich entschieden.
*
Haggerty und Miller hockten mit untergeschlagenen Beinen
beim Feuer und starrten schweigend und nachdenklich in die
Flammen. Schwacher Rauch verbrennenden Holzes zog über
den Pfad nach oben.
»Du meinst also Gold?«
»Was denn sonst? Bei Tageslicht sehen wir uns die Sachen
an. Anschließend begraben wir die beiden Bastarde und
machen uns aus dem Staub.«
»Weshalb diese Eile?«
»Man wird die Wüstenregion leid und sehnt sich nach der
Zivilisation, wenn man lange genug in ihr herumstolpert.
Geht's dir nicht auch so?«
Curt nickte. »Hast du 'ne Vermutung, was zwischen diesen
drei Kerlen vorgefallen sein kann? Grundlos bringt man doch
keinen Menschen um.«
»Streit, was weiß ich. Streit um Gold oder um das, was sie
dort unten im Spalt fanden oder zu finden hofften. Morgen
werden wir's wissen.«
Curt stand auf, räumte das benutzte Geschirr und die Pfanne
zur Seite, rieb sie mit Sand aus und stellte sie so auf einen
Stein, daß er sie am nächsten Morgen sofort wieder benutzen
konnte. Danach ging er zu den Pferden, gab ihnen Wasser und
hängte den Tieren die Futterbeutel um.
»Ich würde gern wissen, wo wir genau sind«, sagte er über
die Schulter.
»Zehn bis zwölf Meilen nördlich von Anson City. Das Kaff
liegt auf der Grenze zwischen Neu Mexiko und Chihuahua.
Vor einhundertfünfzig Jahren sollen Jesuiten in diesem Gebiet
nach Gold gesucht und auch gefunden haben.«
»Dann handelt es sich bei dem Loch dort unten um eine
Jesuitenmine?«
»Möglich, Curt. Was soll's. Sind wir Goldgräber oder
Scouts?«
»Schlechtbezahlte Scouts. Es könnte nicht schaden, wenn wir
einen Hut voll von diesem edlen Metall fänden. Lily jedenfalls
würde sich mächtig freuen.«
»Aha, Lily. Hat dir die grünäugige Hexe den Kopf verdreht,
alter Schwede?«
»Kommt darauf an, wie man es auslegt, John. Wir hatten vor
langer Zeit beschlossen, zu heiraten. Je länger wir warten,
desto ungeduldiger wird sie. Am Ende findet sie einen anderen
Freier, der sie vom Fleck weg nimmt, und ich habe das
Nachsehen.«
Haggerty lachte. Miller stimmt in das Lachen ein.
John Haggerty stand auf, nahm seine Deckenrolle und
breitete sie abseits der immer kleiner werdenden Flammen aus.
»Gehen wir schlafen«, sagte er. Grinsend fügte er hinzu:
»Ohne Lily.«
Miller wachte zuerst auf. Es war schon fast Tag. Der östliche
Himmel stand in vollem Licht und wurde von Minute zu
Minute heller. Curt schälte sich aus den Decken, sammelte
Holz und entfachte das Feuer wieder. Aus der Feldflasche
füllte er den flachen Wasserkessel und stellte ihn auf die
Kochmulde. Haggerty blinzelte in den neuen Tag hinein und
warf die Decken ab.
»Du hast wohl keine Ruhe im Hintern, wie? Was gibt's zum
Frühstück?«
»Freie Auswahl, John. Ganz wie's beliebt. Bohnen mit Speck
und Tortillas oder Tortillas mit Bohnen und Speck. Dazu
Kaffee, schwarz und heiß wie die Hölle.«
»Klingt gut. Ein Stück Fleisch kannst du nicht anbieten?«
Miller drehte sich um die ganze Himmelsrose.
»Tut mir leid, mein Herr. Um diese Zeit schlafen
Klapperschlangen, Skorpione und Taranteln noch. Vielleicht
zum Mittagessen, he?«
Sie lachten und fühlten sich den Strapazen des neuen Tages
wieder gewachsen. Nachdem sie gefrühstückt und ihre Decken
eingerollt hatten, löschte Miller die Glut mit Sand und Kies.
Sie ließen die Pferde in ihrem Versteck und machten sich auf
den Weg, um den Stollen, oder was immer es war, genau in
Augenschein zu nehmen.
Hintereinander balancierten sie über den Felsspalt. John
vermied es, einen
Blick in die Tiefe zuwerfen. Der Tote auf
dem Grund des vor Urzeiten entstandenen Risses störte ihn.
Bei dem Loch blieben sie zunächst stehen, um sich die
Gegend anzuschauen. Inzwischen war es heller geworden. Im
Süden stieg eine dünne Rauchfahne auf. Haggerty fuhr sich mit
der Hand über die Bartstoppeln. Weiter im Westen sah er ein
zweites Rauchsignal, ein drittes und ein viertes weit entfernt.
Er wußte, daß es nach Süden und Westen hin keinen Ausweg
mehr gab.
Die beiden Scouts wechselten einen knappen Blick, nickten
sich zu und verstanden sich ohne Worte.
»Ich steige ein«, sagte John und warf einen spähenden Blick
in den senkrechten Stollen. »Während ich unten bin, gibst du
ein wenig acht auf die Umgebung. Alles klar, Curt?«
»Okay.«
Gleich darauf stand John Haggerty in dem übermannshohen
Loch. Der Rand reichte gerade bis an seine Hutkrone. Der
Stollen führte schräg in die Tiefe und verlor sich in Finsternis.
»Ich brauche was zum Leuchten, Curt. Gib mir deine
Zündhölzer.«
Er bekam sie, bückte sich und folgte dem Stollen nach unten.
Alle paar Schritte blieb er stehen, riß ein Streichholz an und
musterte die Wände in dem kurzen, flackernden Licht.
»Natürlicher Stollen, von Menschenhand bearbeitet.« Sein
Murmeln verhallte wie das drohende Flüstern
menschenfeindlicher Berggeister. Über Johns Rücken glitt ein
Schauer nach dem anderen.
Vorsichtig tastete er sich auf dem glatten, abschüssigen
Steinboden weiter. Der Gang machte eine Wende. An seinem
Ende wurde es heller. Wie ein grauer Ballon hing die
Stollenmündung vor ihm in der Dunkelheit.
Als er in das diffuse Licht hinaustrat, blieb er stehen und
blickte nach oben. Miller starrte herunter und hob sich scharf
gegen den Himmel ab.
»Hast du was gefunden?«
»Bis jetzt nicht«, antwortete John. »Warte.«
Er ging zu den Geräten und versuchte herauszufinden, aus
welcher Zeitepoche sie stammten. Sie wirkten alt und waren
zum Teil verfallen. Spitzhacke, Schaufel und ein schwerer
Hammer lagen wahllos verstreut neben verrosteten Meißeln
und anderen Werkzeugen.
John musterte die Wände der Spalte. Quarzstreifen.
Rosenquarz mit gelben Einsprengungen. Er kramte seine
Kenntnisse über die Goldgewinnung zusammen und kam zu
dem Schluß, daß er einen »Blowup«, eine geologische Schicht
mit einem Erzaustritt, vor sich hatte. Vor Jahrhunderten war
hier nach Gold gegraben worden. Vermutlich waren es Jesuiten
gewesen.
Achselzuckend wandte er sich dem Toten zu. Er durchsuchte
dessen Taschen, fand aber keinen Hinweis auf die Person des
tödlich verunglückten Mannes. Fest stand, daß die drei Outlaws
durch einen Zufall auf das Erzlager gestoßen sein mußten.
Gearbeitet hatten sie dort unten nicht. Es war möglich, daß sie
am selben Tag wie die Scouts oder einen Tag früher hier
angekommen waren.
Was sich unter ihnen abgespielt hatte, sollte für alle Zeiten
verborgen bleiben. Tote reden nicht. Im Hintergrund des
Erdrisses sah John einen niedrigen Stollen. Er ging hin.
Abraum lag vor dem runden Loch. Aber er war ebenso alt wie
alles andere.
Haggerty hob den Toten hoch und trug ihn zu dem
Kurzstollen, schob ihn hinein und verschloß die Öffnung mit
Felsbrocken. Als das, Grab geschlossen war, nahm er den Hut
ab und blieb ein paar Sekunden stehen. Ein Gebet zu sprechen,
vermochte er nicht.
John setzte seinen Hut auf und ging zum anderen Spaltende.
Überall Quarzstreifen, glitzernde Einsprengungen: Gold.
»Verdammt und zugenäht, John, was gibt's da unten zu
sehen? Ich bin gespannt wie ein Paukenfell, und du sagst kein
Wort.«
»Ich komme nach oben«, antwortete Haggerty. »Hier unten
ist absolut nichts, worüber es sich zu reden lohnte. Warte einen
Moment.«
Nach einer mühsamen Kraxelei in dem niedrigen Stollen
gelangte er wieder ans Tageslicht. Curt half ihm aus der Grube.
»Gold gefunden?« fragte er erwartungsvoll.
»Nichts. Ein paar Quarzgänge, aber es dürfte sich kaum
lohnen, sie abzubauen. Alter Krempel, wie man ihn vor
hundertfünfzig Jahren bei Minenarbeiten verwandt hatte.
Morsch, verrostet. Reiten wir.«
»Nach Westen?« Der Freund hatte sich wieder beruhigt und
schien nicht enttäuscht zu sein.
»In die Hände der Apachen? Nein. Wir folgen dem
Trockenbett und weichen in nördliche Richtung aus. Nach fünf
bis sechs Meilen schlagen wir einen Bogen nach Westen und
müßten in der Nähe von Fort Buchanan herauskommen.«
»Okay«, sagte Miller. »Verduften wir.«
*
Die Sonne ging auf. Ihre Strahlen glitten zaghaft über das
Plateau hoch über dem Apache-Paß. Die Stille des frühen
Tages und der Holzrauch, der aus dem Paß wehte, machten den
hochgewachsenen Indianer vorsichtig. Er glitt von seinem
Pinto, ließ ihn bei seinem Sohn zurück, näherte sich dem
Abgrund und warf einen besorgten Blick in die Tiefe.
Zelt an Zelt reihte sich auf dem Fuhrhof der Station.
Insgesamt zählte er sieben spitze Zelte und ein flaches. Zwei
kleine Kochfeuer brannten. Verstört wandte sich Cochise an
Naiche:
»Pferdesoldaten. Das bedeutet nichts Gutes, Sohn.«
Naiche schwang sich vom Rücken seines Braunen und ging
mit dem Jefe zurück bis an den Steilabfall der kleinen Mesa. In
diesem Augenblick trat der Trompeter vor ein Zelt und blies
zum Wecken. Weit schallten die Töne durch das Bergland.
Gleichzeitig warf die Sonne eine Flut farbigen Lichtes in die
Canyons. Cochise stand allein. Naiche zog sich ein Stück
zurück, um den Jefe nicht zu stören.
Cochise breitete die Arme aus, der Sonne entgegengestreckt.
So stand er mehrere Minuten. Betete er? Rief er die Spenderin
allen Lebens an, ihm beizustehen auf seinem Gang zu Thomas
Jeffords?
Das Bild dieses Indianers, würdevoll und stolz in der
Haltung, den Kopf im Nacken, das bronzenfarbene Gesicht mit
der Adlernase und dem kantigen Kinn dem Glutball
zugewandt, glich dem eines Gottes irgendeiner heidnischen
Religion.
Sein Blick glitt über die fernen Berge, die 9000 Fuß hoch
aufragten, über die Wüste mit ihren Trockenzonen, den
zahlreichen tief eingeschnittenen Canyons und Hochtälern.
Sein Land und der Lebensraum seines Volkes.
Die Sonne war bis zur Hälfte ihrer Scheibe über das
zerklüftete Bergland gestiegen und kletterte weiter. Cochise
ließ die Arme sinken, blieb aber stehen. Wenn die Soldaten
unter ihm nicht gewesen wären, hätte er sich ruhiger gefühlt
und wäre hinabgeritten.
Aber so vorsichtig er selbst auch war, es gab keine Erklärung
für die Anwesenheit der Reitersoldaten. Die blauen Uniformen
störten ihn. Verzweifelt wehrte er sich gegen den Gedanken,
Weißauge Jeffords habe wegen der Überfälle in der letzten Zeit
den Schutz der Langmesser angerufen.
Cochise glaubte es nicht, wollte und durfte es nicht einmal in
Erwägung ziehen. Wortbruch war den Chiricahuas unbekannt.
Ein gegebenes Wort bedeutete ihnen mehr als ein Vertrag mit
sieben Siegeln.
Der berühmte Häuptling wirkte wie ein Monument. Seine
königlich zu nennende Haltung in dem weißen Lederjagdhemd,
den verzierten Leggins aus dem gleichen Material und den
kniehohen Mokassins, an den Seiten mit Borsten und Zähnen
des schwarzen Wildschweines und hellen Perlen verziert, war
wie ein Symbol der Auflehnung gegen die Vergewaltigung
seines Volkes durch die Weißen.
Zwischen den Zelten tummelten sich Soldaten, gingen
abwechselnd zur Quelle und wuschen sich. Scherzrufe tönten
herauf.
Cochise wandte sich ab. Seine Bewegungen, geschmeidig
wie die einer Raubkatze, wurden an diesem Morgen von den
unerwarteten Eindrücken gedämpft, die sich lähmend auf seine
Sinne legten.
Sein buntbesticktes Stirnband leuchtete im Sonnenlicht und
verlieh seinen strengen Zügen mit der hochfliegenden Stirn
etwas Majestätisches. Man kannte ihn weit über die
Landesgrenzen hinaus. Längst war sein Ruf bis in den fernen
Osten gedrungen. Man fürchtete ihn bei den Weißen wegen
seiner Härte, aber man verehrte ihn auch wegen seiner Klugheit
und schätzte ihn als einen Häuptling, dessen Weisheit und
politische Fairneß dazu beitrugen, daß der zwangsläufig
geschlossene Frieden Bestand hatte.
Er, Cochise, war der Häuptling aller Apachen, der Jefe. Ein
König in seinem Reich, der mit der linken Hand mild regierte
und mit der Rechten die Zügel hielt.
Kurz sagte er: »Wir reiten.«
»Zu den Pferdesoldaten, Cochise?« Naiches Stimme klang
belegt.
»Zu Hellauge Jeffords.«
Mit einem gewaltigen Satz sprang er über die Pferdegruppe
auf die Satteldecke und ergriff die Zügel. Über einen
gewundenen Weg gelangten sie in den Paß. Kühl und feucht
war es dort unten. Die Luft duftete nach Kiefern und
Wacholder.
Cochise gebot seinem Gefolge, ein paar Pferdelängen
zurückzubleiben. Er rechnete mit einem Schock der Weißen,
wenn sie sich unverhofft Chiricahuas gegenübersahen.
Zwei Soldaten hielten auf einer Anhöhe Wache. Ihre
Aufmerksamkeit galt eher ihren Kameraden bei den Feuern als
der Paßstraße. Trotz der aufgestellten Wachen wäre es
Apachen eine Leichtigkeit gewesen, das Lager zu umstellen
und im passenden Augenblick zuzuschlagen.
Der Wachtposten fuhr herum und hob das Gewehr. Die
Soldaten an den Feuern richteten sich auf und starrten
schreckensbleich auf die Indianer. Wieder hatte Cochise das
Gefühl uneingeschränkten Triumphes, als er ihre Angst
erkannte. Zwei Zivilisten drängten nach hinten, ein schlanker
Offizier griff nach seinem Revolver.
Angst und Hektik bestimmten die Bewegungen der
Langmesser. Innerlich lächelte Cochise. Apachen wären längst
auf und davon und hätten aus dem Hinterhalt gekämpft. Die
Weißen aber blieben wie hypnotisiert stehen.
Er parierte sein Pony. Lieutenant George Bascom kam
gespreizt wie ein Pfau heran und warf sich in die Brust.
»Wer bist du, Rothaut? Du wagst es, in das Lager von
Soldaten zu kommen? Siehst du denn nicht, daß mehr als
fünfzig Gewehre auf dich gerichtet sind?«
»Ich sehe keine Gewehre«, erwiderte Cochise höflich.
»Zeige sie mir.«
Bascom wurde rot. John Ward gewann seine rüde Sicherheit
wieder und drängte sich durch die Soldaten. Er blieb bei
Bascom stehen. Vergeblich suchte er die Kriegsbemalung in
Cochises Gesicht. Bascom überspielte seine Unsicherheit mit
einem schnarrenden Befehlston.
»Ich habe gefragt, wer du bist.«
»Cochise.«
Bascom zuckte förmlich zusammen. Er betrachtete die
Rothaut genauer und sah die kältesten braunen Augen, die ihm
je begegnet waren. Je mehr er versuchte, seine Sicherheit
wiederzugewinnen, desto weniger gelang ihm das.
»So, du bist Cochise? Dich habe ich mir anders vorgestellt.
Du bist also der Indianer, der das ganze Grenzgebiet in Aufruhr
bringt?«
Cochise starrte den Weißen ausdruckslos an. Er hörte die
Aggressivität aus Bascoms Stimme und hielt sich zurück.
»Ich habe mit dir gesprochen«, knurrte Bascom. »Du weißt
doch hoffentlich, wie ein Offizier aussieht?«
Ward wandte sich an Bascom. »Machen Sie keine
Schwierigkeiten, Lieutenant«, sagte er hastig.
Cochise ließ seinen Blick über das Lager schweifen. Alle
Männer beobachteten ihn. Nur einer von ihnen war Offizier.
Alle anderen waren Soldaten und Unteroffiziere, bis auf den
Mann in Cowboykleidung. Den Offizier, der sich wie ein
grüner Junge benahm, kannte er. Er hatte damals die
Pferdesoldaten angeführt, die mit den beiden Scouts in die
Berge gekommen waren.
Bascom biß sich auf die Lippen und lief rot an.
Verhaltungsmaßregeln von einem Zivilisten haßte er. Lange
starrte er in das braune Gesicht mit dem bunten Navaho-
Stirnband. Es wirkte auf ihn wie aus Ton modelliert.
»Wenn Sie mit heiler Haut aus diesen verfluchten Bergen
herauskommen wollen, dann tun Sie lieber, was ich anordne,
Bascom. Legen Sie sich nicht mit dem Häuptling an. Sie sollen
einen Jungen suchen, mehr nicht.«
Der Lieutenant wirbelte herum. »Was geht Sie das an?«
fauchte er. »Wer führt hier das Kommando, Sie oder ich?«
»Sie«, sagte Ward und fletschte die Zähne.
Cochise vernahm jedes Wort und warf dem Rancher, der sich
abwandte, einen langen Blick nach. Bascom setzte sich wieder
in Positur und schnarrte:
»Auf meine Frage, was du hier suchst, habe ich noch keine
Antwort. Also?«
»Ich wollte Hellauge Jeffords einen Besuch machen.«
»Jeffords ist nicht hier. Seine Leute sagen, er sei nach
Tombstone geritten.«
Cochise nickte. Er wußte, was er hatte wissen wollen.
Kerzengerade saß er auf dem Ponyrücken.
»Ich habe dir erklärt, was ich hier will. Aber du hast mir
noch nicht gesagt, was du auf dem Land der Chiricahuas zu
suchen hast.«
Bascom betrachtete Cochise mit einer Geringschätzigkeit, als
hätte der Jefe soeben eine Gotteslästerung begangen.
»Was ich auf was zu suchen habe? Mensch, Rothaut, haben
dich alle guten Geister verlassen?«
Cochise starrte den aufgeblasenen Weißen nur an und ließ
sich nicht provozieren.
»Du bist auf meinem Land, Bleichgesicht.«
Der junge Offizier lächelte überheblich. »Auf deinem Land?
Dieses Gebiet gehört zum Territorium der Vereinigten Staaten
von Amerika. Falls du das noch nicht weißt, roter Mann, dann
schreib's dir hinter deine ungewaschenen Ohren.«
Das kurze Blitzen in Cochises Augen hätte den Offizier
warnen müssen. Aber der war so tief in seine eingebildete
Feldherrenrolle verstrickt, daß er auf keine Zeichen achtete. Er
hatte hier oben im Paß die Macht, setzte sie aber falsch ein.
Sein Kommando wirkte wie ein Rausch auf ihn und ließ ihn die
Situation völlig falsch einschätzen.
»Und ich, Lieutenant George N. Bascom, vertrete die
Vereinigten Staaten in diesem Gebirgsteil. Kapiert?«
John Ward sagte zu einem Sergeanten, der sich neben ihn
gestellt hatte:
»Wenn dieser Idiot nur das Maul halten würde. Verdammt,
der gräbt sich sein eigenes Grab.«
»Ist die Rothaut wirklich so schlimm, wie an der Grenze
erzählt wird?« fragte Sergeant Hartfield.
»Noch viel schlimmer. Sieh ihn dir doch genau an. Souverän
wie ein König, seine Haltung und sein Gebahren sind
majestätisch. Und wie sieht der Lieutenant aus? Wie ein
Giftzwerg gegenüber einem Riesen!«
Wards Stimme klang bedrückt. Ihm war es beim Anblick
Cochises wie Schuppen von den Augen gefallen. In dieser
Sekunde bereute er seine Falschaussage gegenüber Colonel
Brigham und ahnte, daß er die verkehrte Methode gewählt
hatte, seiner Geliebten Jesusa Martinez zu imponieren.
Aber der Kelch mit dem bitteren Trank ging noch einmal an
ihm vorüber, Cochise hob die Rechte, hielt sie flach empor und
murmelte:
»Friede sei in diesem Land, das den Chiricahuas gehört. Wer
diesen Frieden stört, soll auf ewig verdammt sein.«
Er zerrte sein Pony herum und ritt mit seinen Kriegern
davon.
*
John Haggerty und Curt Miller hatten ihren Bericht abgegeben
und ihre Unterkunft aufgesucht. Am späten Abend wurden sie
von einer Ordonnanz gestört, die sie beide zu Brevet-General
Joseph West befahl. Der empfing sie leutselig und nicht so
überheblich, wie es sonst seine Art war.
»Nehmen Sie doch Platz, meine Herren. Bitte.« Er bot ihnen
in seinem Zelt Feldstühle an, stellte eine halbvolle Flasche und
Gläser auf den Tisch.
»Ich las Ihren Bericht mit Interesse, Gentlemen. Wenn
General Howard auch mit meiner Auffassung über die
Behandlung der Indianer nicht konform geht, so schließt sich
doch die oberste Heeresleitung meiner Meinung an. Ich sprach
kürzlich mit General Sherman über die Apachen. Der General
gab deutlich zu verstehen, daß Howard zu human vorgeht und
seine Machtmittel nicht ausschöpft, um die Rothäute zur Räson
zu bringen. Ich wäre jetzt daran interessiert, Ihre Meinung zu
hören.«
Curt wechselte mit seinem Freund einen Blick. Haggerty
sagte:
»Wir haben keine Meinung über eine mögliche Vorstellung,
wie Indianer zu behandeln sind, Sir. Das ist nicht die Aufgabe,
die von uns verlangt wird.«
»Weiß ich«, sagte West abschwächend. Er merkte, daß er das
Gespräch falsch begonnen hatte.
»Sie werden zugeben, daß wir das Land befrieden müssen.
Mehr und mehr Weiße strömen aus allen Teilen der USA
hierher, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Sie waren
lange genug in Cochises Lager und können ihn besser
beurteilen als jeder andere. Wie wird er sich bei dem ständigen
Zustrom der fremden Rasse in seine Jagdgründe verhalten?«
»Das kann niemand voraussagen, Sir«, antwortete John
Haggerty. »Ich bin der Meinung, daß er sich an den mit
General Howard mündlich geschlossenen Vertrag hält. Bis
heute sind keine Übergriffe gegen Weiße bekanntgeworden.«
»Eine Postkutsche der Butterfield Overland wurde
angegriffen und vernichtet.«
»Nicht von Chiricahuas, Sir.«
»Von Indianern jedenfalls. Macht das einen Unterschied?«
Miller runzelte über so viel Unwissenheit die Stirn, Haggerty
verzog nur spöttisch die Mundwinkel.
»Einen gewaltigen, Sir. Cochise kann nur im Krieg für alle
Stämme sprechen. Wir sind aber nicht im Kriegszustand mit
den Apachen. Sie kennen den Unterschied sehr genau und
wissen, daß sie sich nicht an die Vereinbarung zu halten
brauchen, die Cochise und Howard trafen. Cochise sprach nur
für seinen Stamm, den Chiricahuas.«
»Das ist doch sehr unbefriedigend, oder?«
Haggertys Gesicht wurde rot von mühsam unterdrücktem
Zorn.
»Mit der Einhaltung des Friedens durch Cochise ist schon
sehr viel erreicht worden, Sir. Es sollte möglich sein, auch mit
den anderen Stämmen zu verhandeln. Der wahre Störenfried ist
Victorio. Mit ihm sollte gesprochen werden. Jeder an der
Grenze weiß, daß er seine Raubzüge vom San Carlos-Reservat
aus unternimmt. Er streift bis weit nach Sonora hinein, mordet
und plündert, und wenn er richtig in Fahrt ist, greift er auch
mal eine Einrichtung der Weißen an. Wollen Sie Cochise dafür
verantwortlich machen, Sir?«
Brevet-General West preßte die Lippen zusammen.
»Meine Meinung ist dabei völlig unwichtig, Mr. Haggerty.
Ich vertrete im Südwesten ausschließlich die Meinung und
Wünsche der Armeeführung. General Sherman will, daß alle
Apachenstämme befriedet werden, und das schnell.«
John nickte, sah kurz seinen Freund an.
»Verständlich, Sir. Aber wir verstehen nicht, was wir zwei
tun können, das Ansinnen der Generäle zu unterstützen. Ich
darf erinnern: wir sind Scouts, nichts weiter.«
»Gerade auf Sie beide kommt es nach Meinung Shermans an.
Sie kennen Cochise persönlich, waren in seiner Apacheria und
sind mit den Sitten und Gebräuchen dieser Leute so vertraut,
daß ich Ihnen unbedingt ein besseres Beurteilungsvermögen
über die Lage in diesem Territorium zubilligen muß. Verstehen
Sie, was General Sherman meint? General Miles und General
Crook unterstützen Shermann in jeder Beziehung.«
West legte eine Kunstpause ein. Er mußte sich selbst einen
inneren Ruck geben, um seine Worte richtig zu formulieren. Er
sprach gedehnt wie ein Südstaatler, war es aber nicht. West
kam aus Vermont und hatte im Bürgerkrieg für die Nordarmee
gekämpft.
»General Sherman ist also der Meinung, daß nur mit einer
Art Gewalttat der Frieden gesichert werden kann. Eine solche
Tat wäre die Möglichkeit einer Erpressung. Ja, Erpressung.
Anders kann man es nicht nennen …«
Haggerty unterbrach ihn kalt, ohne Rücksicht auf seinen
hohen Rang:
»General, diesen Zahn können Sie sich ziehen lassen.
Cochise läßt sich nicht erpressen und durch keine Drohung
dazu bewegen, etwas zu tun, was die Weißen gegen ihn
aufstachelt. Darauf läuft doch Ihr Vorschlag hinaus?«
Ȁh, nicht ganz, Chief-Scout. Er hat einen kleinen Sohn aus
seiner ersten Ehe, oder nicht?«
»Doch, einen achtjährigen Jungen«, erwiderte Haggerty
ahnungslos.
»Sehen Sie. Darauf läuft General Shermans Idee hinaus.
Wenn wir den Jungen in unseren Besitz bringen könnten,
wären alle Probleme, die wir mit den Indianern haben, gelöst.«
Die Scouts glaubten ihren Ohren nicht zu trauen. John saß
wie versteinert, die Hand um das Glas gekrallt, das braunen
Whisky enthielt. Er trank nicht, vergaß alles um sich herum.
Seine Gedanken glitten zurück, weit hinauf in die Berge.
Wie ein Blitz zuckte es durch seinen Körper. Den Jungen als
Geisel nehmen?
Sherman mußte total verrückt geworden sein. John sprang
auf, funkelte West an und schrie:
»Sir! Ich weiß nicht, was Sie sich dabei gedacht haben, mir
ein solches Angebot zu machen. Ich werde es in hundert Jahren
noch nicht wissen. Halten Sie mich für einen Kidnapper?
Trauen Sie mir wirklich zu, ein unschuldiges Kind in den
Schmutz Ihrer Politik hineinzuziehen? Allein der Gedanke ist
verwerflich und so abstoßend, daß ich dazu keinen Kommentar
geben möchte. Auf mich können Sie nicht zählen. Gute
Nacht!«
Bevor sich Brevet-General West von seiner Überraschung
erholt hatte, war Haggerty schon draußen. Seine Schritte
verklangen im Sand. Miller saß wie versteinert. Er war kein so
schneller Denker wie John. Wenn er über etwas grübelte,
brauchte er Zeit. Er wollte sich erheben und Haggerty folgen,
aber Wests Hand legte sich auf seine Schulter und drückte ihn
auf den Sitz.
»Warten Sie, Mr. Miller, ich habe noch mit Ihnen allein zu
reden.«
*
Im Canyon der Seufzer brannte ein kleines Feuer mit einem
schwachen Lichtkreis. Groteske Schatten huschten über die
Felswände im Hintergrund. Wind strich raunend und klagend
durch Unterholz und Klippen, unterstrich das Gespenstische
der ganzen Situation.
Cochise und Naiche hockten mit untergeschlagenen Beinen
vor den Flammen, auf der anderen Seite Cochises Neffen.
Brütendes Schweigen.
Cochise fühlte sich gedemütigt, provoziert von einem jungen
Weißen in Uniform. Nur sein Howard gegebenes Versprechen
hatte ihn daran gehindert, dem Offizier seine Mokassinsohle
ins Gesicht zu treten. Neben Bascom hatte jener Mann
gestanden, der die Ranch bei Fort Buchanan besaß. Beide
störten den Frieden, das fühlte er.
Er bedauerte, nicht auf Weißauge Jeffords gestoßen zu sein.
Der hätte weitere Entgleisungen verhindert und auch vor dem
arroganten Offizier keinen Respekt gehabt. Es half nichts, er,
Cochise, mußte mit Jeffords sprechen, sich entschuldigen und
die Lage mit ihm erörtern.
Was wollten die Pferdesoldaten am Paß? Der Gedanke an die
geballte Macht bei den einzigen Quellen weit und breit machte
ihn unruhig. Bereiteten sie einen Angriff vor? Er stand auf,
ging hin und her.
Naiches Blicke folgten dem Jefe. Giannatah und Yadalanh
ließen sich von der Unruhe Cochises anstecken. Sie waren
besorgt.
Nach einer Weile blieb Cochise stehen. Seine Augen
richteten sich auf Giannatah.
»Du wirst zurückreiten und die Pferdesoldaten beobachten.
Ich möchte wissen, was sie machen, wohin sie reiten und wann
Hellauge Jeffords kommt.«
Der junge Krieger nickte.
»Cochise wird mit mir zufrieden sein.«
»Du bist ein guter Krieger, ich weiß es. Bei Sonnenaufgang
reitest du. Sei vorsichtig. Wenn die Bleichgesichter dich
erwischen, behandeln sie dich als Spion. Spione erschießen
sie.«
»Kein Langmesser wird mich sehen, keine Kugel wird mich
treffen.«
Cochise neigte sein Haupt. In dieser einzigen Bewegung lag
die unnachahmliche Würde eines großen Führers. Nicht
umsonst hatten ihn Weiße mit Napoleon und Alexander dem
Großen verglichen.
*
»Lassen Sie uns sachlich über die Angelegenheit sprechen, Mr.
Miller. Der Generalstab erwartet von uns Aktionen, keine
humanen Gefühlsausbrüche. Sie wissen, was es für Sie
bedeuten kann, ein solches Unternehmen durchzuziehen?
Erfolgreich durchziehen, meine ich.«
Miller schüttelte den Kopf.
»Ich denke wie Haggerty, Sir.«
»Jemand muß es tun.«
»Ich nicht, Sir. Cochise ist weit über die Grenze hinaus
Legende. Lebende Legende. Die Weißen fürchten ihn,
deswegen das schmutzige Spiel mit seinem Sohn. Ich mache da
nicht mit.«
»Legende hin, Legende her. Er macht uns höllisch zu
schaffen.«
»Weil wir den Anlaß dazu bieten. Cochise ist in der Lage,
mehr als zweitausend Apachen aufzubieten. Wissen Sie, was
das heißt, Sir? Haben Sie eine Ahnung, wo unsere Armee
bleibt, wenn er losschlägt? Können Sie sich ausmalen, was mit
den Weißen geschieht, die in seine Hände fallen?«
»Deswegen muß ihm das Handwerk gelegt werden. Mr.
Miller, Sie sind Weißer, dazu Scout bei der Army. Läßt es Sie
kalt, wenn Menschen Ihrer Rasse abgeschlachtet werden?«
Miller lächelte bitter.
»Cochise ist kein Schlächter. Ich lernte ihn kennen, stand
ihm Auge in Auge gegenüber. Ich lernte ihn als Mann und
Krieger schätzen. Und, das sage ich mit aller Bestimmtheit, ich
bin glücklich, ihn als meinen Freund zu bezeichnen.«
»Sie übertreiben.«
»Keinesfalls, Sir. Sie behandeln ihn wie einen einfachen,
primitiven Indianer. Cochise ist mehr – ein König, ein Fürst
unter seinem Volk, dessen Wort an allen Ratsfeuern bis hinauf
zu den Sioux etwas gilt.«
»Sie wollen mir einfach nicht zuhören.«
»Ich beteilige mich an keiner Schweinerei, Sir. Cochise ist es
wert, mit Fairneß und Anstand behandelt zu werden. Mein
letztes Wort, General.«
West ging zum Tisch, füllte zwei Gläser mit Brandy. Er
reichte eins dem Scout. Der lehnte ab. Achselzuckend stellte
West das Glas wieder auf den Tisch.
»Sie wollen heiraten, Miller? Ist da was dran an dem
Gerücht?«
»Woher wissen Sie es?«
»Man spricht im Lager darüber. Ja oder nein?«
»Vielleicht. Noch ist's nicht soweit. Meine Zukünftige meint,
daß ich meinen Job bei der Armee aufgeben und seßhaft
werden soll. Well, klingt gut, aber womit?« Miller rieb
Daumen und Zeigefinger aneinander.
Das Stichwort war für West gefallen. Hinterlistig fragte er:
»Wüßten Sie, was Sie bei einem Ausscheiden aus der Armee
anzufangen hätten, um Frau und Kinder zu ernähren?«
»Natürlich, Sir.«
»Und?«
»Ich würde Schollenbrecher oder Rancher werden. Am Santa
Cruz steht eine Pferderanch zum Verkauf. Sie gehört Jorge
Dura, einem Greaser. Er will nach Mexiko zurück und für die
Ranch mit allem Inventar fünftausend Dollar.«
»Zuchtpferde?«
»Dreißig Stuten und zwei Hengste. Arabisches Blut.
Ausgezeichnet. Ich habe mir vor Wochen alles angesehen.
Nur… Nun ja, was gibt's noch zu sagen?«
»Das Geld fehlt Ihnen, ja?«
»Ich müßte noch viertausend zusammenkratzen, aber woher,
wenn nicht stehlen.«
West schaltete blitzschnell. Er nahm Millers Glas, drückte es
ihm in die Hand.
»Die Armee ist bereit, Ihnen Fünftausend bar auf die Hand
zu zahlen, wenn Sie uns den Indianerbalg bringen. Mit dem
Mehrbetrag könnten Sie sich für ein Jahr verproviantieren und
notwendige Anschaffungen machen. Trinken wir auf Ihre
Zukunft, Mr. Miller.«
Der Scout zögerte. Wenige Worte eines Uniformierten hatten
erreicht, ihn wankelmütig werden zu lassen.
»Was sagt John Haggerty dazu? Er ist Chief-Scout, Sir.«
»So, sagt er was?«
Miller nickte. »Nichts Gutes, dessen bin ich sicher.«
»Für Cochise ist Haggerty genauso ein Feind wie jeder
andere Weiße.«
»Falsch! John operierte Cochises Schwester nach einem
Skorpionstich und rettete sie vor dem sicheren Tod.
Anschließend kämpfte er mit Wakashi, einem Widersacher aus
dem Stamm der Mimbrenjos. Glauben Sie, der Jefe hat das
schon vergessen?«
»Bei Rothäuten will das gar nichts heißen. Die sind
undankbar und denken nur an sich selbst.«
Miller erhob sich, setzte das Glas hart ab und wandte sich
voll dem General zu. Ihre Blicke kreuzten sich wie Schwerter.
»Sir, das sind sie nicht.«
»Ich habe fast den Eindruck, daß Sie für die Indianer mehr
empfinden, als für Ihre Landsleute.«
Er trat vor Miller hin und drückte ihn wieder auf den Sitz.
»Ich habe nie gehört, daß ein Scout nicht dann und wann
einen Schluck trinkt. Auf Ihr Glück!« sagte West und leerte das
Glas.
Miller nippte nur. Ihm war es egal, was West machte.
Der General spielte seinen letzten Trumpf aus.
»Sie können sich schon nächste Woche von unserem Militär-
Pfarrer trauen lassen. Und die Woche darauf sind Sie mit Ihrer
neugebackenen Frau bereits auf Ihrer Ranch. Wie hört sich das
an?«
»Vorher aber wollen Sie Nachise?«
»Keine Ware ohne Geld. Diesmal ist es umgekehrt, Mister.«
»Teufel, reißt es in der Armee auch schon ein, Gewalt mit
Gewalt zu vergelten?«
»Miller, wir bieten Ihnen ein Vermögen für eine Gefälligkeit,
und Sie haben Skrupel, Ihrer Rasse zum Recht zu verhelfen.
Ich versichere, dem Jungen passiert nicht das geringste.
Schließlich führen wir keinen Krieg gegen Kinder.«
»Ich glaube Ihnen nicht.«
»Nicht ein Haar wird ihm gekrümmt.«
»Wie Mangas Coloradas?« entfuhr es Miller.
Der General lächelte säuerlich.
»Das wollte niemand, Miller. Eine Panne, wie sie in jedem
Armeelager passieren kann. Wann brechen Sie auf?«
»Weiß General Howard von dem Coup?«
»Ich bitte Sie. Howard ist Oberkommandierender in
Südwest. Kommen wir zur Sache. Sechs Apachenscouts
begleiten Sie und decken Ihren Rückzug. Den Jungen zu
schnappen und aus dem Gebirge herauszubringen, dürfte einem
Mann wie Ihnen nicht schwerfallen. Oder?«
»Die haben überall Späher, Sir.«
West machte eine abschließende Geste. Er wirkte ungeduldig
und zerfahren.
»Vergessen Sie nie, daß Sie ein Weißer sind und wie ein
Weißer zu handeln haben. Morgen erhalten Sie von mir die
Schuldurkunde über sechstausend US-Dollar. Noch etwas, Mr.
Miller, wenn Sie Hemmungen haben, mit Mr. Haggerty oder
einem anderen darüber zu sprechen, so sagen Sie, Sie hätten
mein Angebot abgelehnt. Einen Dreh finden wir schon, Sie mit
den Apachen aus dem Lager zu lotsen.«
Miller nickte.
Brevet-General West hatte auf der ganzen Linie gewonnen.
*
Am dritten Tag nach seiner Rückkehr in die Apacheria wurde
Cochise durch seinen Neffen über die Truppenbewegungen
beim Paß informiert. Giannatah kam am Nachmittag. Cochise
empfing ihn sofort.
»Die Pferdesoldaten ritten am Morgen gegen
Sonnenaufgang«, berichtete der Späher.
»Du hast sie verfolgt?«
»Ja.«
»Wie lange?«
»Bis Mittag, Jefe.«
»Keine Anzeichen, daß sie zurückkehren werden?«
»Keine.«
»Nach Osten, sagst du?«
»Zu den Jagdgründen der Mescaleros.«
»Du hast die Spuren richtig gelesen?«
»Bestimmt.«
»Ist Hellauge Jeffords zurückgekehrt?«
»Nein, Jefe.«
»Ich danke dir, Giannatah. Geh in deinen Jacale und ruhe
dich aus.«
Grübelnd wanderte Cochise auf und ab. Er war allein. Das
Kochfeuer knisterte. Cochise überdachte die mögliche
Marschroute der Soldaten. Plötzlich begriff er, daß alles nur ein
Trick war. Kein Truppenführer jagte seine Abteilung 200
Meilen durch Gebirge und Wüsten, um lediglich seine Macht
zu demonstrieren.
Cochise setzte sich, nahm einen trockenen Ast und ritzte die
Landschaft in den festgetretenen Lehm, so wie er sie im
Gedächtnis hatte. Zehn Meilen hinter dem Canyon de los
Embudos schnitt eine kleine Schlucht das breite Wüstental und
mündete in den Canyon der Seufzer.
Angetrieben von dem Gedanken sprang Cochise spontan
wieder hoch und nahm seine ruhelose Wanderung auf. Das
Schluchtenlabyrinth stand plastisch vor seinen Augen. Was
bezweckte der junge Offizier mit dieser Täuschung? War das
alles nur ein Zufall?
Kurz entschlossen verließ er sein Wickiup und schritt
würdevoll zum Jacale der Krieger. Nur sein Bruder Naretana
und dessen Söhne waren anwesend. Sie erhoben sich bei
seinem Eintreten.
»Morgen reiten wir noch einmal zum Paß«, sagte Cochise.
»Ich muß wissen, ob der weiße Häuptling mit seinen Kriegern
wieder zurückritt. Ihr sollt mich begleiten, Nahlekadeya und
Nachise. Sie werden es nicht wagen, uns in Gegenwart einer
Squaw und eines Jungen anzugreifen.«
»Die Bleichgesichter kennen unsere Sitten nicht.«
»Ich weiß, Naretana. Es wird sie jedoch von unserer
Harmlosigkeit überzeugen.«
»Kein Chiricahua ist für sie harmlos«, wandte Giannatah ein.
»Das macht ihre Angst vor uns.«
»Aus Angst könnten sie einen Fehler begehen und uns
angreifen.«
Cochise gab keine Erwiderung. Er blieb bei seinem
Entschluß. Seine Squaw betrat die Hütte und setzte sich vor das
Feuer. Sie beobachtete Cochise besorgt.
»Du hat etwas vor, Jefe, was dir Kummer bereitet?«
»Wir reiten morgen zum Paß.«
»Wir?«
»Du, Nachise, Naretana und seine Söhne.«
Ahnte Nahlekadeya die düsteren Wolken, die sich über dem
Gebirgstal zusammenbrauten? Die Nacht verging. Cochise
verzehrte sich in Ruhelosigkeit. Am Morgen trat Naiche ein. Er
hielt seinen kleinen Bruder Nachise an der Hand. Naretana und
seine Söhne folgten Naiche dichtauf.
»Die Pferde stehen bereit.«
Der Häuptling nickte, streifte seine Leggins über die Beine
und vergewisserte sich, daß das lange Messer in der Scheide
steckte. Hinter ihm verließ auch seine Sippe die Hütte. Als er
sein Pony bestieg, warf er einen langen Blick in die Runde.
Das Lager erwachte. Rauch stieg aus den Wickiups und
verteilte sich.
Naiche ritt mit den Kriegern am Schluß. Als sie die Pferde
auf die Rampe lenkten, ging die Sonne auf. Ein strahlendes
Lichtfeld schob sich über die Mesa.
Um die Mittagszeit gelangten sie an den Canyon, den Miller
und Bascom mit der Patrouille benutzt hatten. Von nun an ging
es abwärts. Der Boden wurde eben, das harte Gestein von Sand
bedeckt, der unter den Hufen knirschte. Eine Stunde später
gelangten sie in den Canyon der Seufzer. Ein leichter Wind
wehte von den Bergen und fächelte Mensch und Tier Kühlung
zu.
Naiche starrte auf Cochises breiten Rücken. Er war stolz auf
seinen Vater. Noch stolzer war er, Chiricahua zu sein. Mehr
und mehr wurde er sich der Größe und der würdevollen
Erscheinung Cochises bewußt.
Er nahm sich vor, so wie sein Vater zu werden. Als hätte der
Jefe seine Gedanken erraten, wandte er den Kopf und sagte
über die Schulter:
»Naiche, du bist mit uns geritten, obwohl ich dich für die
Bewachung des Lagers vorsah. Mißachtest du neuerdings
meine Befehle?«
»Nein, Jefe.«
»Weshalb bist du dann nicht in der Apacheria?«
»Ich bin ein Krieger und habe Anspruch, meinem Vater zur
Seite zu stehen, wenn er in den Kampf zieht.«
»Wir gehen nicht in den Krieg.«
»Den Weißen ist nicht zu trauen.«
»Wer befiehlt im Lager?«
»Chan-ank und Nahaye.«
»Chan-ank sah siebzig Sommer, Naiche. Er ist alt. Nahaye,
›Gelbe Feder‹, trauert um seine Familie. Sie werden keine
aufmerksamen Führer und Wächter sein.«
»Sie sind alt, aber weise und erfahren.«
»Das stimmt.«
Cochises Stimme ließ Zweifel erkennen.
»Vielleicht soll es so sein. Komm mit.«
»Danke, Jefe. Mein Platz ist an deiner Seite. Wenn du es
wünscht oder befiehlst, Jefe, reite ich zurück.«
Der Häuptling schüttelte den Kopf und lächelte. Wie alle
jungen Krieger, war auch Naiche kampfbegierig. Aber er, der
Jefe, war nicht ausgezogen, um zu kämpfen.
Der eintönige, schweigsame Ritt durch den
knochentrockenen Canyon war zumindest für die Squaw und
den Jungen anstrengend. Dennoch, keine Klage drang über ihre
Lippen.
Am Spätnachmittag sahen sie den Paß vor sich liegen.
Cochise befahl abzusteigen und eine Rast einzulegen. Ein
kleines Feuer war schnell entfacht. Sie brieten mitgenommenes
Fleisch an einem Stock, den sie über die Flammen hielten.
Dazu gab es trockene Maisfladen und Wasser.
»Reiten wir heute abend noch zum Paß?«
Cochise winkte ab. »Morgen nach Tagesanbruch, Sohn. Bei
der hier oben herrschenden Finsternis wäre es zu gefährlich,
sich der Station zu nähern.«
Nach dem Abendessen wurde es schnell dunkel. Wie in
diesen Breiten üblich, strich ein kalter Wind von den Bergen,
wirbelte Staub auf und trieb Tumbleweeds durch die Canyons.
Die Krieger nahmen ihre dünnen Decken von den Pferden
und breiteten sie aus. Ein aufmerksamer Beobachter hätte
feststellen können, mit welch einer Disziplin die Indianer den
Wachdienst übernahmen. Die Squaw, der Junge und der
Häuptling wurden stillschweigend ausgeschlossen.
Naiche, Yadalanh und Giannatah wechselten sich im
Rhythmus von zwei Stunden im Wachdienst ab, ohne daß auch
nur ein einziges Wort darüber gefallen wäre. Die Nacht verlief
ruhig.
Der frühe Morgen verlief genauso ungestört. Als die Sonne
aufging, saßen sie schon um das Feuer und nahmen ihre erste
Mahlzeit ein. Eine halbe Stunde danach brachen sie auf.
Cochise fühlte sich sicher und schickte keinen Späher voraus,
wie es sonst seine Art war.
Während sie über die langgezogene Böschung auf die
Paßstraße gelangten und zu den Quellen ritten, deutete nichts
auf eine Gefahr hin. Sie erreichten die erste der drei Quellen.
Cochise ließ kurz anhalten und die Wasserschläuche füllen.
Gleich darauf ging der Ritt weiter.
Die zweite Quelle kam in Sicht. Noch weitere 200 Yards,
dann würde der Jefe die Bauwerke sehen. Er sah etwas anderes
– zunächst. Gelbe Zelte standen in Reih und Glied auf dem
Frachthof, und zwischen den luftigen Militärunterkünften
brannten Kochfeuer und ließen grauen Rauch zum Himmel
kräuseln.
Cochise zügelte sein Pony und starrte auf das Lager. Er
stellte fest, daß man ihn entdeckt hatte. Ein Posten lief zu
einem abseits stehenden Zelt und verschwand. Kurz darauf
tauchte er mit Lieutenant George N. Bascom auf.
Langsam ritt Cochise weiter. Bascom kam ihm entgegen. Er
bemerkte den bestürzten Ausdruck in Cochises Gesicht und
grinste in sich hinein. Sein Trick war ihm gelungen. Der
Häuptling wollte zu Jeffords, aber er, Bascom, wollte Cochise.
Ein kurzes Manöver, ein kleiner Ritt nach Osten, durch einen
Seitencanyon den Weg zurück, und alles war in bester
Ordnung.
Bascom sah den Jungen, die Squaw, die vornehmen Krieger
in Cochises Begleitung und dachte sich seinen Teil. Mit
gespielt freundlichem Lächeln trat er auf den Häuptling zu,
legte seine Hand auf den Pferdehals und sagte:
»Steig ab, Jefe, du und deine Sippe sind mir willkommen.«
»Ich will zu Hellauge Jeffords.«
»Mr. Jeffords ist noch nicht aus Tombstone zurück.«
»Wann erwartet ihr ihn?«
»Morgen.«
»Dann komme ich morgen wieder.«
Cochise wollte sein Pferd herumziehen, sah Wallace, der aus
dem Haus trat, und stieg ab. Er kannte James Wallace als
Jeffords' rechte Hand und hatte Vertrauen zu ihm.
Mit ausgestreckter Hand ging er auf James zu. Sie begrüßten
sich wie zwei alte Freunde und redeten miteinander. Aus dem
Hintergrund trat John Ward. Lieutenant Bascom warf ihm
einen fragenden Blick zu, Ward zwinkerte. Bascom ging zu der
Gruppe hinüber und fragte:
»Darf ich den Häuptling in mein Zelt einladen? Ein kühler
Trunk wird an diesem warmen Morgen bestimmt guttun.«
Cochise drehte sich lächelnd um und gab mit einem
Kopfnicken zu verstehen, dem Ruf des weißen Häuptlings zu
folgen. Er winkte seine Squaw, den Jungen und die beiden
Neffen sowie Naretana, seinen Bruder, herbei. Nur Naiche
beachtete er nicht. Dadurch aufmerksam geworden, wich
Naiche zurück und gelangte hinter die Krümmung. Er sprang
vom Pferd und wartete.
Im Zelt reichte Lieutenant Bascom Becher mit verdünntem
Agavensaft herum. Während sie tranken, huschte Ward hinaus
und befahl Bascoms Soldaten, das Zelt zu umstellen.
Als die leeren Becher auf den Feldtisch gestellt wurden, kam
Bascom zur Sache. Er sagte:
»Du hast die Santa Rita-Mine überfallen und Beute gemacht.
Gib sie heraus! Außerdem hast du den Jungen des Ranchers
Ward in deine Gewalt gebracht. Übergib ihn uns, und du bist
frei.«
»Frei?«
»Ja, wenn du tust, was ich verlange.«
»Ich weiß von keinem Jungen.«
»Du hast ihn verschleppt.«
»Ich habe auch keine Beute. In Santa Rita gab es keine
Dinge, die Apachen gebrauchen können.«
In Cochise wühlte bitterer Grimm. Er konnte nichts anderes
denken, als daß Wallace ihn verraten und den Langmessern
ausgeliefert hatte. Im stillen schwor er Wallace furchtbare
Rache.
»Gib den Jungen heraus und die Beute, dann kannst du
gehen, wohin du willst!«
»Du willst mich und meine Familie gefangen nehmen?«
»Chiricahua-Häuptling, du bist gefangen.«
Cochise legte seine Stirn in Falten.
»Ich will mich bei den anderen Stämmen nach dem Jungen
erkundigen, weißer Häuptling. Von der Beute kann ich dir
nichts geben, weil ich keine habe.«
Bascom, dem das Palaver zu lange dauerte, wurde ausfällig.
»Du miese Rothaut, glaubst du, ich ließe mich von dir auf
den Arm nehmen? Ihr bleibt gefangen, bis ich Wards Jungen
und das Gold aus der Mine vor mir sehe.«
Cochise wollte sich wuterfüllt auf den Weißen stürzen, hielt
sich jedoch im letzten Moment zurück. Mit einem einzigen
Satz stand er bei der Zeltwand, riß das Messer aus den Leggins
und schlitzte mit einem wuchtigen Hieb die Plane auf. Dann
hechtete er hinaus und verschwand geduckt und ungesehen von
den Wachen zwischen Felsen.
Seine Familie aber war gefangen.
*
Wallace betrat den hinteren Teil der Schmiede. Er ahnte nicht,
was sich im Zelt zugetragen hatte. Er traf Charles Culver und
Jim Walsh, die sich über die Anwesenheit der Truppe
unterhielten. In diesem Augenblick sahen sie Cochise durch die
Zeltwand brechen.
Culver wunderte sich über das Verhalten des Jefe. War es
zum Streit zwischen ihm und dem Offizier gekommen? Die
Männer unterhielten sich noch eine Weile über den Vorfall und
ergingen sich in allerlei Mußmaßungen.
Cochise gelang es, unbemerkt durch die Postenkette zu
schleichen. Naiche wartete auf ihn hinter der Felsnase.
»Verrat!« stieß Cochise zornbebend hervor.
»Was ist geschehen? Wo sind …«
»Gefangen. Reite wie der Wind, Naiche, und bringe mir
zwanzig Krieger!«
»Willst du die Soldaten angreifen, Jefe?«
»Reite!« Cochises Stimme klang scharf und duldete keinen
Widerspruch. Er beobachtete, wie Bascom vor das Zelt trat, die
Wache wegschickte und sich sofort wieder zurückzog.
Cochise kochte vor Wut. Seine Familie war gefangen.
Naiche erwartete er mit den Kriegern gegen Abend, um dann
seine Leute zu befreien. Die Verantwortlichen für diesen
Schurkenstreich mußten bestraft werden. Von nun an gab es
kein Vertrauen mehr zwischen ihm und den Weißen.
Seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Verfolgten sie ihn?
Mehr als 40 Uniformierte bestiegen ihre Pferde und ritten unter
Hartfields Führung aus dem Lager, auf ein kleines Seitental zu.
Die Zeit verrann. Die Sonne fiel nach Westen. Mit Rollen
und quietschenden Federn kam die Nachmittagskutsche. Sie
hielt hinter dem Tor. Die Reisenden stiegen aus. Walsh kam,
schirrte die Pferde aus und brachte sie auf die Koppel hinter
dem Stallgebäude.
Mit sechs Maultieren kam er zurück und stellte sie in die
Sielen. Nach kaum zehn Minuten war die Concord schon
wieder reisefertig. Jede Bewegung und alle Änderungen
registrierte Cochise mit Argusaugen.
Eine Stunde später fuhr die Kutsche in Richtung Tombstone
ab. Die Geräusche verebbten auf der Paßstraße. Bascom ließ
sich nicht sehen. Kurz nach Abfahrt der Stagecoach kamen
fünf Soldaten und brachten die Gefangenen in das Haus.
John Ward hielt sich im Zelt des Offiziers auf. Sein
Gewissen plagte ihn. Er wußte nun, daß er einen großen Fehler
gemacht hatte, die Chiricahuas als Kindesräuber hinzustellen.
Reue half nichts. Das Unheil war nicht mehr aufzuhalten.
Weder er noch Bascom ahnten, daß um diese Stunde ein großer
Trupp Chiricahuas sich in einem Seitencanyon versteckte.
Cochise besprach sich mit Naiche und einem Unterhäuptling.
Bei Anbruch der Dämmerung ging er allein auf Umwegen zu
den Gebäuden zurück und bat Wallace ins Freie.
James Wallace kam ans Fenster, sah den Jefe und winkte.
Ahnungslos kamen er, Charles Culver und Jim Walsh aus dem
Haus, um den Chiricahua zu begrüßen. Wallace wußte, daß
Jeffords und Cochise Freunde waren. Er befürchtete nichts,
konnte aber nicht ahnen, daß ihn Cochise für den Rädelsführer
hielt.
In diesem Augenblick drangen Indianer von allen Seiten auf
die Weißen ein und packten sie. Culver und Walsh gelang es,
sich loszureißen und zum Haus zurückzueilen. Culver wurde
von einem Chiricahua niedergeschossen, als er die Tür öffnen
wollte.
Zwei Posten rannten herbei, hoben ihre Gewehre und
feuerten. Walsh brach zusammen. Der Soldat hatte ihn mit
einem Indianer verwechselt. Wallaces Schreie hörte man noch
lange.
Bascom stürmte aus dem Zelt und organisierte mit den
wenigen Soldaten die Abwehr. Doch es gab nichts abzuwehren.
Kein Apache griff an. Sein Blick wurde pures Gift, als er die
Toten sah. Er hielt einen vorbeirennenden Soldaten an und
fragte:
»Was, zum Kuckuck, ist passiert?«
»Sir, die Indianer raubten einen Postgehilfen. Wir konnten es
nicht verhindern. Zwei weitere Männer aus dem Haus sind
tot.«
Bascom schickte den Mann fort und ließ sich von einem
Corporal den genauen Hergang berichten. Der Mann zitterte
vor überstandenem Schreck. Fluchend betrat Bascom sein Zelt.
Wenn die Situation sich auch ungünstig gestaltet hatte,
rechnete er nicht mit einem Angriff Cochises. Daß das
Schicksal bereits anders entschieden hatte, konnte er nicht
ahnen. Noch hätte verhindert werden können, daß sich die
fatale Situation zu einem regelrechten Krieg entwickelte.
Der Häuptling war fest entschlossen, die Freiheit seiner
Familienangehörigen zurückzugewinnen und offenbar bereit,
sich auf einen Handel einzulassen.
Es kam anders.
Ein Späher raste auf schäumendem Pony die Paßstraße
herauf und warf sich vor Cochise aus dem Sattel. Er meldete
die Ankunft eines Frachtwagenzuges aus Mexiko. Sein Weg
führte durch den Camino del Diablo.
»Wie viele Wagen hast du gezählt?« fragte Cochise den
Späher.
Der hob vier Finger.
»Beladen?«
»Schwer wie eine trächtige Büffelkuh.«
»Bleichgesichter?«
»Zwei.«
»Und Gelbhäutige?«
Acht zählte der Mann an den Fingern ab.
Cochise entschloß sich schnell. Er befahl fünf Krieger zu
dem Gefangenen und schickte sie in den versteckten Canyon.
Mit dem Rest der Chiricahuas brach er auf.
Es begann der zweite große Grenzkrieg gegen Weiße und
Mexikaner. Noch vor Anbruch der Dunkelheit sah Cochise die
gelbe Staubwolke über dem Treck und griff an.
Fahrer und Begleiter waren über den jähen Angriff so
überrascht, daß sie kaum an Gegenwehr dachten. Sie wurden
lebend überwältigt und niedergeschlagen. Die zwei Männer
ließ Cochise fesseln und auf Pferde setzen.
»Was geschieht mit den Gelbhäutigen?« fragte Naiche.
»Bindet sie an die Wagenräder! Nehmt euch, was ihr haben
wollt. Danach steckt die Fahrzeuge in Brand.«
Die Plünderung dauerte eine halbe Stunde, während der die
Glieder der Mexikaner vor Angst schlotterten. Die beiden
Gefangenen verfolgten das Schauspiel voller Entsetzen.
Als die Murphys leer waren, gab Cochise den Befehl, die
Wagen zu verbrennen. Unter den entsetzten Schreien der
gefesselten Mexikaner zündeten die Apachen die Planen an
und legten brennendes Holz in die Fahrzeuge. Nach wenigen
Minuten schossen Rauchwolken und Flammen in den
Abendhimmel und verdunkelten den Canyon.
Die Krieger störten sich nicht an den Angstschreien der
Mexikaner, schwangen sich auf ihre Mustangs und führten die
hochbepackten Zugpferde mit. In einer langen Kette, die
Karawane in der Mitte, näherten sich die Chiricahuas wieder
dem Paß. Cochise ließ Beute und Pferde in die geheime
Schlucht bringen. Persönlich holte er Wallace heraus. Für das
Flehen und Betteln des Mannes hatte er kein Gehör.
An einer langen Leine schleppte er den Gefesselten hinter
sich her. Bis auf Rufweite näherte er sich dem Soldatenlager
vor der Poststation. Bascom trat vor die Front; formte die
Hände zu Muscheln und rief:
»Was willst du, Rothaut?«
»Meine Familie im Austausch gegen diesen Weißen!« Er
zeigte mit dem Finger auf Wallace. »Kommt nicht in Frage.«
»Ich werde ihn martern lassen!« schrie er laut. Wallace flehte
und bettelte, aber ohne darauf zu hören, lehnte Bascom den
Tauschhandel ab. Da gelangte Cochise zu der Überzeugung,
daß jedes weitere Verhandeln fruchtlos gewesen wäre, und
zerrte Wallace außer Sichtweite, um auf seine Art
Gerechtigkeit walten zu lassen.
Noch hätte verhindert werden können, daß sich die Situation
zu einem regelrechten Krieg entwickelte. Cochise war fest
entschlossen, die Freiheit seiner Familie zu erzwingen, notfalls
mit Gewalt.
Er schleppte Wallace, der in Todesängsten schwebte und um
seine Freilassung bettelte, in den Seitencanyon und überließ
ihn den Kriegern. Alle gefangenen drei Amerikaner wurden
von ihren Fesseln befreit. Dann begann ein so grausames Spiel,
daß einem weißen Zuschauer die Haare zu Berge gestanden
hätten.
Fünf Apachen bestiegen ihre Ponys und ritten mit geneigten
Lanzen auf die Deliquenten los. Sie brachten die
Davonrennenden nicht etwa um, sondern verletzten sie mit den
Lanzenspitzen an Stellen, die nicht tödlich waren. Angst- und
Schmerzensschreie hallten durch die Schlucht. Unter den
Anfeuerungsrufen und dem Johlen der Krieger ritten die
Krieger immer wieder die Schmerzgepeinigten an. Die suchten
ihr Heil in kopfloser Flucht. Es half ihnen nichts, die Pferde
waren schneller.
Eine Stunde lang dauerte die Hetzjagd. Die Weißen fielen
auf die Knie und bettelten mit erhobenen Händen um Gnade.
Cochise setzte schließlich den Schlußpunkt. Er hob den
rechten Arm und rief den Kriegern ein paar Worte zu. Sie
setzten zum letzten Ritt an und töteten die Gemarterten. Dieser
Vorfall war der Auftakt zu einem neuen Indianerkrieg, dem
grausamsten und blutigsten, den die Grenze je erlebt hatte.
*
Zwei Tage später schickte Lieutenant Bascom eine Patrouille
in das Vorland, die feststellen sollte, wo sich die Chiricahuas
aufhielten. Die Gefangenen waren noch im Haupthaus und in
einem Zimmer eingeschlossen. Dreimal am Tag durften sie
heraus und sich unter strenger Bewachung ergehen.
Am nächsten Tag kam Thomas Jeffords mit seinen beiden
Revolvermännern zurück. Voller Entsetzen vernahm er, was
sich in der Zwischenzeit abgespielt hatte.
Als schließlich am späten Abend die Patrouille ins Lager
einritt und danach bekannt wurde, was in jenem Seitencanyon
und im Camino del Diablo passiert war, ging das Grauen in der
Station am Apache-Paß um.
Bascom bat Jeffords zu sich. Anwesend waren noch John
Ward und Sergeant Hurt Hartfield. Bascom empfing den
Stationsleiter mit den Worten:
»Haben Sie schon gehört, Mr. Jeffords? Cochise folterte drei
Weiße zu Tode und verbrannte acht Mexikaner bei lebendigem
Leib.«
»Daran tragen Sie die Schuld, Lieutenant. Hätten Sie mit
Ihren dämlichen Maßnahmen gewartet, bis ich zurück war,
wäre das alles nicht geschehen. Beten Sie, daß Sie mit einem
blauen Augen davonkommen.«
Ward schaltete sich ein: »Ich kann keine …«
»Sie schweigen!« fuhr Jeffords ihn an. »Sie dürfen sich
getrost die andere Hälfte der Schuld anlasten. Ihre
Falschaussage hat erst dazu geführt, daß Colonel Brigham die
Truppe unter einem unerfahrenen Offizier losschickte.«
Bascom wurde bei dieser Anschuldigung wild. Er verwies
ihn des Zeltes. Thomas Jeffords ging. Unmittelbar darauf
rannte Bascom nach draußen und schrie nach dem Corporal der
Wache.
»Holen Sie sofort zehn Mann mit aufgepflanztem Bajonett,
Corporal!«
Corporal Fellmer blieb stehen. In seine Augen glitzerte es.
»Jawohl, Sir.«
»Na los, worauf warten Sie?«
»Die Leute … Ich meine, meine Kameraden sind verbittert
darüber, daß die Indianer gefangengenommen wurden. Wir alle
befürchten neue Kämpfe mit den Apachen, und das ist…«
»Schnauze!« brüllte Bascom mit rotem Kopf. »Wegtreten!
Hartfield soll ein paar derbe Stricke mitbringen. Haben Sie
verstanden?«
Corporal Fellmer nickte, schluckte den schweren Kloß
herunter, der ihm im Hals drückte. Mit einer Kehrtwendung
hastete er davon. Sergeant Hartfield kam nach fünf Minuten
und brachte zehn Soldaten mit, die ihre Seitengewehre auf die
Läufe gepflanzt hatten. Hurt Hartfield trug Stricke über dem
Arm.
»Holen Sie die Gefangenen aus dem Haus!« schnarrte
George N. Bascom.
»Was haben Sie vor, Sir?«
»Sie werden gehängt.«
»Allmächtiger!«
»Hartfield, halten Sie Ihren Mund! Hier gebe ich das
Kommando. Und ich gab eins. Holen Sie die roten Bastarde!«
»Sir, Sie können die Leute nicht aufhängen.«
»Und warum nicht?«
»Weil sie Indianer sind, zu Cochises Sippe gehören und von
ihm furchtbar gerächt werden.«
»Reden Sie keinen Unsinn, Mann. Wenn der Häuptling
erfährt, daß seine Verwandten gehängt wurden, wird er klein
beigeben und zu Kreuze kriechen. Los jetzt, raus mit den roten
Bastarden!«
Hartfield winkte seiner Gruppe und ging zum Haus hinüber.
Alle im Camp starrten ihm atemlos nach. Keiner der Soldaten
hatte ein gutes Gefühl bei dieser Aktion.
Hurt klopfte. Thomas Jeffords öffnete und zog die
Augenbrauen hoch, als er die bewaffneten Soldaten sah.
»Sergeant, welche Dummheit begeht dieser Trottel von
Offizier jetzt?«
»Ich soll die Indianer ins Freie führen, Mr. Jeffords. Er will
sie aufhängen lassen.«
»Sind Sie des Teufels?«
»Ich nicht, dieser Trottel von Lieutenant.«
Der Postmeister stellte sich breit in den Türrahmen und
versperrte Hartfield den Zugang.
»Richten Sie ihm aus, daß ich mich weigere, die Gefangenen
herauszugeben. Gehen Sie! Sagen Sie es ihm!«
»Sagen Sie es ihm selbst«, murrte der Sergeant.
»Ich verlasse das Haus erst wieder, wenn er zusichert, sich
nicht an Cochises Verwandtschaft zu vergreifen. Gehen Sie,
Mann, und reden Sie mit ihm!«
Hartfield ging wieder zum Zelt. Kurz darauf hörte man den
Lieutenant brüllen. Er stürmte ins Freie und legte die 100
Yards bis zum Haus im Laufschritt zurück.
»Sind Sie wahnsinnig geworden, mir die Gefangenen zu
verweigern? Was bilden Sie sich eigentlich ein, Sie komischer
Zivilist?«
Jeffords warf ihm einen verächtlichen Blick zu.
»Mäßigen Sie sich, Lieutenant.«
»Ich mache das, wie ich will. Heraus mit den Rothäuten!«
Thomas Jeffords kam mit angewinkelten Armen und
geballten Händen die Steinstufen herunter und baute sich vor
Bascom auf.
»Vergessen Sie, daß Sie sich auf fremden Grund und Boden
aufhalten, Lieutenant? Ich kann Sie jederzeit und in Vollmacht
der Butterfield Overland von diesem Land weisen.«
»So, können Sie?« höhnte der Offizier. »Mit wem denn? Es
würde mich interessieren, mit welchen Männern Sie das
anfangen wollen.«
»Mit uns«, bemerkte Larry Osborne schleppend. »Mit mir
und mit dem da.« Er deutete auf den schwarzhaarigen Buck.
Hinter den beiden tauchten zwei weitere Männer auf und
machten grimmige Gesichter. Burt Kennedy und Norbert
Walker drängten sich durch die Tür und blieben hinter Jeffords
stehen.
»Soll ich dem Grünschnabel von Offizier heimleuchten,
Thomas?«
Jeffords wandte sich um.
»Nein. Noch nicht. Jungs, bewaffnet euch. Wenn dieser
Geistertänzer seine Leute auf das Haus hetzt, erhält er einen
Privatkrieg, daß ihm Hören und Sehen vergeht.«
»Mit Freuden, Thomas«, sagte Kennedy.
»Eine Kostprobe gefällig, Greenhorn?« fragte Walker.
Larry rief vom Treppenabsatz: »Geh doch mal 'n bißchen zur
Seite, Thommy. Ich will diesem Angeber von Blaubauch 'ne
blaue Bohne zu schmecken geben.«
Jeffords hob die Rechte. »Schluß jetzt mit dem Unfug! Sie
erhalten keinen Eintritt, Lieutenant. Wenn Sie ihn erzwingen
wollen, erschießen wir die Hälfte Ihrer Leute, bevor Sie auch
nur Hand an die Indianer legen können.«
»Das melde ich General Howard.«
Bascom zitterte vor Wut und Scham.
»Melden Sie, was Sie wollen, aber verschwinden Sie.«
Bascom warf einen hilflosen Blick auf Hartfield.
»Ich komme wieder«, sagte Bascom halsstarrig.
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, entgegnete Jeffords,
drehte sich um und ging mit Kennedy und Walker auf das Haus
zu.
Bascom rannte ihnen nach. Wild mit den Händen fuchtelnd,
schrie er:
»Wissen Sie überhaupt, was Cochise mit Mr. Wallace, Ihrem
Postgehilfen, gemacht hat?«
Jeffords blieb stehen.
»Was soll ich denn wissen?«
»Cochise hat Ihre Leute zu Tode martern lassen.«
»Meine Leute?« echote Jeffords gedehnt.
»Nun ja, Wallace und zwei weitere Weiße. Ich kenne sie
nicht und nehme an, daß sie zu Ihrem Team gehören.«
Jeffords schüttelte den Kopf.
»Zwei meiner Männer sind in dem unseligen Kampf, den Sie
heraufbeschworen und zu verantworten haben, gefallen.
Wallace ist in seine Hände geraten. Ich glaube nicht, daß der
Jefe diesen harmlosen Mann ein Leid zufügen wird.«
»Er ist tot«, sagte Bascom triumphierend. »Er und zwei
weitere Weiße wurden so lange gemartert, bis der Tod eintrat.
Sie können Sie besichtigen, Jeffords.«
»Für Sie bin ich immer hoch Mr. Jeffords. Verstanden?«
»Meinetwegen. Reiten Sie zum Winkelcanyon, es ist ja nicht
weit. Cochise ist fort, aber er hinterließ Ihnen ein
freundschaftliches Andenken, an das Sie noch lange denken
werden.«
Jeffords gab seinen Freunden Verhaltensmaßregeln, ließ sich
von Kennedy ein Pferd bringen und preschte los. Nach zwei
Stunden kehrte er zurück. Er kam mit gesenktem Kopf durch
das Tor geritten und ließ sich vor dem Haus aus dem Sattel
gleiten. Burt kam vom Stall herüber, nahm das Pferd beim
Zügel.
»Hat er gelogen, Thomas? Nicht wahr, das Miststück log?«
»Er sagte die Wahrheit«, murmelte Jeffords. »Weißt du, was
das bedeutet, Burt? Von nun an sind wir keine Stunde mehr
hier oben sicher.«
*
Cochise traf mit seinen Apachen in der Gebirgsfeste ein und
ließ die Beute aus dem verbrannten Frachtzug unter den Sippen
verteilen. Auf dem Ritt in die Apacheria hatte er außerdem eine
Ranch zerstört, eine Mine hochgenommen und eine
Postkutsche der Butterfield verbrannt. An Thomas Jeffords
hatte er dabei nicht gedacht.
Sofort nach seiner Ankunft schickte er einen Reiter zu dem
Mimbrenjo-Häuptling Victorio im San Carlos-Reservat und
zwei Späher zum Paß hinauf. Sie sollten auskundschaften und
ihm berichten.
Daß die Bergfestung inzwischen von sieben Paar Augen
beobachtet wurde, ahnte der Jefe nicht. Miller und seine Scouts
lagerten auf der gegenüberliegenden Seite des Canyons in
einem Labyrinth von Klippen und warteten auf ihre Chance.
Im Canyon herrschte eine erdrückende Stille. Es hatte den
Anschein, als wäre etwas passiert. Späher kamen und gingen.
Kundschafter aus weit entfernten Regionen ritten in das Lager,
um am selben Tag wieder zu verschwinden.
Die Scouts versuchten vergeblich, ein paar Worte zu
erlauschen. Nach unten konnten sie nicht. Sie wären sofort
getötet worden. Also waren sie auf ihre Augen und Ohren
angewiesen.
Am dritten Tag entstand urplötzlich eine bemerkenswerte
Unruhe unter den Kriegern. Ein Späher kam ins Tal und eilte in
die Häuptlingshütte. Gleich danach kam Cochise heraus und
lief zur Rampe. Er beschattete mit einer Hand die Augen und
starrte zum Canyonrand hinauf.
Die Scouts murmelten bewundernd, als die hochgewachsene
Gestalt in der traditionsreichen Wüstenkleidung sahen.
Cochise! Ein Fürst unter seinem Volk, ein König der
Wüsten- und Gebirgsbewohner.
Von irgendwoher drang ein schriller Schrei. Miller wandte
sich an einen der Scouts und fragte:
»Was ist los?«
»Jemand kommt.«
»Wer?«
»Weiß nicht.«
Millers Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Drei Reiter
näherten sich der Rampe. Sie ritten über die Mesa und hielten
genau an der Stelle, wo sich die Rampe nach unten neigte. Curt
Miller zuckte zusammen. Er erkannte Nachise, den Jungen,
eine Squaw und einen Späher, den er am Vormittag beobachtet
hatte. Sein Blick schweifte wieder in die Tiefe.
Naiche kam aus einem Wickiup, gesellte sich zu seinem
Vater und blickte ebenfalls nach oben. Mehr als ein Dutzend
Krieger stellte sich dazu und brüllte im Chor.
Curt begriff, was sich abspielte. Sein Blick hing verzückt an
der majestätischen Gestalt Cochises. Die drei Reiter ritten über
die Rampe nach unten.
Cochise und Naiche gingen ihnen entgegen. Die Krieger
blieben ehrfürchtig zurück. Dies war eine
Familienangelegenheit. Das Pony mit der jungen Squaw blieb
vor Cochises ausgebreiteten Armen stehen. Er nahm die
schlanke Frau in seine Arme und hob sie vom Pferd.
In diesem Moment bekam Miller die ersten Gewissensbisse.
Das Idyll im Tal erregte ihn. Es zu zerstören kam ihm wie eine
Gotteslästerung vor.
Nicht genug, daß Bascoms Verhalten eine neue, gefährliche
Krise mit den Apachen heraufbeschworen hatte, beging er den
zweiten Fehler seiner Offizierslaufbahn, der auch sein letzter
war.
Bascom gab einem Corporal Befehl, fünf Pferde
bereitzustellen. Einem zweiten Unteroffizier befahl er, sich mit
zehn Soldaten draußen am Paß zu verbergen und fliehende
Apachen festzunehmen. Nichts ahnend machten sich die beiden
Unteroffiziere an die Arbeit.
Der Lieutenant trat schließlich vor das Haus und rief Thomas
Jeffords. Der schloß die Tür auf und trat auf das Podest.
»Sie wünschen?«
»Ich habe mich entschlossen, Ihrem Rat zu folgen und die
Rothäute freizulassen.«
»Ihr Entschluß kommt mir etwas zu plötzlich, Bascom.«
»Er ist das Produkt eines nachdenklichen Tages und der
Vernunft. Die Roten mögen ziehen, wohin sie wollen.«
Jeffords überlegte nicht lange. Dem Wort eines Offiziers
mußte er Glauben schenken. Er ging ins Haus zurück und
besprach sich mit Larry und Buck. Tinatra Buck sagte:
»Laß sie ziehen, Thomas, es ist die bessere Lösung. Wir sind
die Verantwortung los und brauchen nicht die Rache des
Häuptlings zu befürchten.«
»Und wenn er ihnen ein Leid antut?«
Larry knirschte mit den Zähnen.
»Dann hole ich ihn vor meinen Revolver. Basta! Ja, laß sie
gehen.«
Nach kurzem Überlegen entschloß sich Jeffords, die
Gefangenen an die Armee zu übergeben. Er befahl den beiden
Hands, die Indianer aus ihrem Zimmer zu holen.
Im Korridor erwartete Jeffords sie. Er ignorierte die
haßerfüllten Blicke der Krieger und wandte sich an die Squaw:
»Draußen stehen Pferde bereit. Ihr könnt in Cochises Lager
reiten. Nichts wird euch passieren. Ich bin ein Freund des
Häuptlings, sage es ihm.«
Naretana spuckte aus. Seine Söhne trugen eine
undurchdringliche Miene zur Schau und äußerten sich mit
keinem Wort. Nahlekadeya prüfte die hellen Augen Jeffords
auf den Wahrheitsgehalt seiner Worte. Sie konnte keine
Hinterlist und keinen Falsch feststellen.
Sie nickte und sagte im schlechten Englisch: »Cochise wird
es dir danken, weißer Mann.«
Nachise beachtete Jeffords nicht. Er drängte nach draußen
und schien froh zu sein, der Enge des Zimmers zu entrinnen.
Als Jeffords die Tür öffnete, sahen sie die bereitgestellten
Pferde. Die fünf Tiere wurden von einem einzigen Soldaten
gehalten. Weit und breit war keine Gefahr zu erkennen.
Bascom trat aus seinem Zelt. Ihm mißfiel es, daß Jeffords die
zwei Revolvermänner mitgebracht hatte. Vor nichts hatte er
Furcht. Aber wenn er die Coltschwinger sah, bekam er
jedesmal eine Gänsehaut.
»Ich übergebe Ihnen die Gefangenen, Lieutenant Bascom«,
sagte Jeffords. »Wehe Ihnen, wenn ihnen ein Leid geschieht.«
Larry drängte sich an Thomas vorbei und blieb vor dem
Offizier stehen.
»Ich traue Ihnen nicht über den Weg, Lieutenant, und ich
warne Sie. Falls einem von ihnen auch nur ein Haar gekrümmt
wird, werden Sie es mit mir ausschießen müssen. Beherzigen
Sie meinen Rat, und lassen Sie die Apachen ziehen.«
Bascom wandte sich verächtlich ab und gab Befehl, die
Pferde zu bringen. Die Gefangenen stiegen auf und ritten
grußlos davon. Hinter der Kehre lag die Paßstraße nach
Südwesten vor ihnen. Nichts war zu sehen. Sie wollten schon
erleichtert aufatmen, als berittene Soldaten mit blitzenden
Säbeln auf sie eindrangen und die Gruppe umringten.
Trotz der Proteste der Indianer wurden sie in den
Seitencanyon abgedrängt.
Es war derselbe Canyon, der die Todesschreie der drei
Weißen gehört hatte. Unter einer Korkeiche ließ der Corporal
anhalten. Hallaran war die Exekution an den wehrlosen
Indianern zuwider, aber er mußte dem Befehl seines
Truppenführers folgen.
Soldaten warfen den männlichen Apachen Schlingen um die
Hälse. Die losen Enden der Stricke schleuderten sie über einen
starken Ast und verknüpften sie am Stamm. Alles ging schnell
und wie einstudiert. Nach einem kräftigen Hieb auf die
Kruppen stoben die Pferde angstwiehemd davon.
Drei Körper schwebten frei in der Luft, pendelten
sekundenlang und streckten sich. Naretana, Cochises Bruder,
und seine Söhne Yadalanh und Giannatah waren tot.
Nahlekadeya und Nachise wandten keinen Blick von den
Gehängten. Ein dunkler Schatten legte sich wie die Hand des
Todes über das Tal. Die Frau und der Junge standen mit
ausdruckslosen Mienen vor dem Galgenbaum, umringt von
schweigenden Soldaten.
Corporal Hallaran schüttelte sich vor plötzlichem Ekel. Es
war schlimm, als Weißer in diesem grausamen Land leben zu
müssen. Noch viel schlimmer aber war es, Soldat zu sein und
Befehlen gehorchen zu müssen, deren Ausführung einen
aufrechten Mann mit Widerwillen erfüllte.
Er trat vor die Frau hin. »Du kannst mit dem Jungen reiten«,
sagte er. »Nichts wird mehr geschehen.«(*5) Er wandte sich
um und gab den Befehl zum Aufsitzen.
*
Cochise stand starr. Den Blick nach Nordwesten gerichtet,
schien ihn die Bluttat an seinen männlichen Verwandten zu
lähmen. Keiner der Krieger sagte ein Wort. Das Schweigen
wirkte bedrückend.
In dieser Situation wurde in ihm der Gedanke an Rache
geboren. An eine furchtbare und blutige Vergeltung, die sich
über alle Weißen in seinem Land wie eine Sturmflut ergießen
sollte. Der Stationsleiter kam ihm in den Sinn.
Er fragte Nahlekadeya nach Hellauge Jeffords. Sie erzählte
ihm, wie es gewesen war.
»Er handelte im guten Glauben und kann nichts dafür. Dieser
Mann nannte dich seinen Freund. Er ist edel und gut, Cochise.«
Cochise und die Squaw zogen sich in ihre Hütte zurück. Am
Feuer ließ der Jefe sich den Lynchmord bis ins letzte Detail
erklären. Danach gab er sich brütenden Gedanken hin, die
nichts Gutes verrieten.
In einem Versteck auf der Mesa lauerte inzwischen die
nächste Gefahr. Ahnungslos gab sich Cochise der Stille seines
Wickiups hin. Ein Krieg gegen die Weißen hätte den
Untergang der Apachen bedeutet. Ein ständiges Nachgeben mit
der Aussicht auf einen Platz in der Reservation wäre ebenfalls
ein Todesurteil gewesen. Chiricahuas brauchten die Wüste und
die Berge, Luft zum Atmen und den bitteren Rauch der
Mesquitefeuer. Sie mußten den Adler und den Bussard
beobachten, den Hirsch jagen und das Raunen der Quellen
vernehmen. Chiricahuas war der Wind heilig, die ziehenden
Wolken, der Schnee auf den Gipfeln der Berge. Cochise
verhüllte sein Haupt mit einer Santillodecke und schloß die
Augen.
Sein jüngster Sohn stieß bei der Quelle auf seine
gleichaltrigen Spielgefährten, während der Jefe mit seinem
Gewissen rang. Sie setzten sich gemeinsam an den Beckenrand
und lauschten Nachises Erzählung. Der Sohn des Häuptlings
hatte ein echtes Abenteuer erlebt, war gefangen gewesen und
wieder freigelassen worden. Und das machte ihn bei den
Jungen zum Helden.
Es dunkelte bereits. Die Schatten wurden länger. Ein
seltsames Zwielicht lag über dem Canyon und ließ Konturen
verschwimmen. Unbemerkt von den Spähern krochen die
Scouts bis zu jener Stelle, die oberhalb der Quellen lag.
Miller suchte nach einer Möglichkeit, wie er sich des Jungen
bemächtigen konnte. Zeit und Dämmerung waren günstig. Ihm
konnte es nicht gelingen, ungesehen in den Canyon zu
gelangen. Aber den Scouts. Ein amerikanischer General hatte
irgendwann behauptet, Apachen wären nur durch Apachen zu
besiegen.
Er besprach sich mit den Scouts. Ihre bedenklichen Mienen
sagte ihm genug. Bei der Quelle waren keine Krieger zu sehen.
Sie hielten sich in der Nähe ihrer Wickiups auf. Die Scouts
mußten nur schnell nach unten huschen, den Jungen packen,
ihn und die anderen Bengels am Schreien hindern, über die
Rampe zurückkehren und …
Miller grübelte. Er suchte nach einen gangbaren und
ungefährlicheren Weg. Es konnte klappen, wenn die anderen
Indianerjungens nicht in der Nähe gewesen wären. Der Zufall
half ihm. Zwei von ihnen entfernten sich in Richtung des
Lagers. Nur einer blieb bei Nachise. Die beiden redeten
miteinander.
Das war Millers Chance.
Eine Sekunde später war er allein. Er starrte sich die Augen
aus dem Kopf, sah aber nichts mehr von den Apachen-Scouts.
Minuten vergingen. Er befürchtete schon, daß Nachise
ebenfalls zum Lager gehen wollte.
Ein verhaltener Schrei in der Tiefe ließ ihn
zusammenzucken. Er spähte über den Rand. Seine Scouts
huschten schon wieder über die Rampe nach oben. Zwei von
ihnen trugen den erschlafften Jungen.
Es war geglückt. Curt Miller atmete auf. Trotzdem fühlte er
sich nicht wohl in seiner Haut. Ein zweiter Schrei bei der
Quelle riß ihn hoch. Der Schrei wiederholte sich, gellend und
weithin hallend.
Krieger setzten sich in Bewegung. Auf der anderen Seite des
Tales erschien ein berittener Wachtposten. Der Späher starrte
in die Tiefe, konnte aber aus seiner Position die Scouts nicht
sehen.
Noch blieb Curt Miller fest an den Boden gepreßt liegen. Er
beobachtete und beschränkte sich darauf, unentdeckt zu
bleiben. Cochise und Naiche kamen aus ihren Behausungen.
Sie ließen sich die Ursache des Gebrülls erklären.
Mit anderen Kriegern rannten sie zur Quelle. Miller
beobachtete mit klopfendem Herzen jede Phase im Canyon.
Noch waren die Scouts nicht außer Gefahr.
Als Cochise die flüchtenden Apachen-Scouts hoch oben auf
der Rampe sah, stieß er einen schrillen Warnruf aus. Der
pflanzte sich über die Mesa fort und wurde beantwortet.
Miller war es mulmig zumute. Er sah Krieger herbeieilen,
beritten und zu Fuß. Krieger, die hier oben im Verborgenen
Wache hielten. Bevor die Scouts mit dem sich wehrenden
Jungen die Höhe erreichten, standen mehr als fünf Chiricahuas
mit angeschlagenen Waffen bereit.
Aus dem Tal drängten die ersten Krieger auf die Rampe,
unter ihnen Cochise und Naiche. Die Scouts blieben mit dem
zappelnden Jungen in den Armen stehen. Sie konnten weder
nach oben noch nach unten. Sie waren gefangen.
Miller ahnte, daß sein Unternehmen fehlgeschlagen war. Mit
der Ahnung kam das Grauen und die Angst. Er kroch zurück,
richtete sich auf, als er sich weit genug vom Schluchtrand
entfernt hatte.
In einer Anhäufung von Felsen verhielt er, um sich zu
orientieren. Den Scouts konnte er nicht mehr helfen, nur noch
seine eigene Haut retten. Dämmerung und Schatten machten
das Land unübersehbar. Curt glaubte sich bereits in Sicherheit,
als zwei graue Gestalten mit blitzenden Kriegsbeilen vor ihm
auftauchten. Er schrak zurück wollte seinen Colt aus der
Tasche reißen und fliehen, kam aber nicht mehr dazu. Etwas
Stumpfes, Schweres traf ihn am Kopf und ließ ihn
zusammenbrechen.
Die beiden Chiricahuas hoben ihn mit Triumpfgeschrei hoch
und trugen ihn über die Felsbrücke. Nachise war frei, die sechs
Scouts befanden sich in den Händen der Chiricahua-Apachen.
Man schleppte die Gefangenen zum Lager und warf sie fest
verschnürt beim Beratungsfeuer zu Boden.
Cochise und Naiche traten vor Miller hin. Sie musterten
ihren Gefangenen, der gerade erwachte.
Naiche fragte: »Was machen wir mit ihnen?«
»Sie werden büßen, alle. Rammt die Pfähle ein!«
Cochises Sohn gab den Befehl weiter. Sieben rindenfreie
Pfähle wurden in das Erdreich gerammt. Das Ratsfeuer wurde
neu genährt. Flammenschein beleuchtete die Wände und die
schauerliche Szenerie. Die Gefangenen schwiegen. Es gab
angesichts ihrer hoffnungslosen Lage nichts mehr zu sagen.
Miller verfluchte seinen Leichtsinn, Brevet-General Wests
Vorschlag gefolgt zu sein. Er dachte an Thomas Jeffords und
John Haggerty, an die vielen Freunde, die ihm nicht mehr
helfen konnten. Und er dachte an die rothaarige Lily in Santa
Magdalena. Aus!
Trommelschläge. Krieger begannen den Martertanz. Mit
zuckenden und stampfenden Bewegungen umkreisten sie die
Pfähle, an die die Gefangenen festgebunden worden waren.
Baumtrommeln fielen ein, schließlich noch zwei oder drei
Hirtenflöten.
Der Lärm wurde markerschütternd, zu einem dämonischen
Hexensabbat, angeleuchtet von den blutroten Flammen. Mehr
und mehr Chiricahuas gesellten sich der tanzenden Gruppe zu.
Ihr Stoßen, Stampfen und Rütteln war zwar grotesk für einen
Betrachter.
Auf einen Zuruf Cochises trat abrupt Stille ein. Die braunen
Wasserspeiergesichter der Krieger wandten sich ihm zu. Der
Häuptling stand beim Feuer, die Arme zum dunklen Himmel
erhoben, die Augen auf die ersten Gestirne gerichtet, das
Gesicht dem Wind zugewandt. Mit hallender Stimme sprach er
zu den Kriegern:
»Wir hatten den Weißen Freundschaft angeboten. Wir waren
bereit, sie in unserem Land zu dulden, von ihnen zu lernen, wie
sie auch von uns lernen konnten. Die Weißen brachen das
Abkommen. Sie töteten Krieger meiner Sippe, hängten sie auf
wie gemeine Verbrecher.«
Er machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen.
»Nicht genug damit, sie wollten meinen Sohn Nachise
rauben, um die Chiricahuas zu erpressen. Die Weißen sind in
ihrem Tun verwerflich, gemein und hinterhältig. Ihre
Anwesenheit in unserem Land schadet den Chiricahuas.
Deswegen tötet sie, rottet sie aus, wie sie uns ausrotten wollen.
Zastee!«
»Zastee!« schrie der Chor der Apachen.
Cochise ging zu Miller. Man hatte den Scout mit den Füßen
an den Stamm gefesselt und seine Hände nach hinten
gebunden. Gelassen blickte er Cochise entgegen. Der Jefe blieb
vor ihm stehen, betrachtete ihn wie etwas Widerwärtiges.
»Du und die Verräter an deiner Seite werden sterben«,
verkündete er. »Von nun an herrscht wieder Krieg zwischen
den weißen Männern und den Apachen. Ihr alle werdet durch
die Hand der Chiricahuas den Tod finden.«
Miller konterte: »Wir sind alle sterblich, die Weißen wie die
Roten.«
Cochise spuckte ihm ins Gesicht. Wütend zischte er:
»Weißer Hund!«
Curt wußte, daß es für ihn keinen Ausweg mehr gab. Dieser
Hochgebirgscanyon war für ihn die Endstation seines Lebens.
Er brauchte auf keinen mehr Rücksicht zu nehmen, nicht mal
auf sein Leben. Er spuckte zurück.
»Deine Worte sind Labsal für meine Seele, roter Bastard.
Wenn du glaubst, daß ich um mein Leben winseln werde, hast
du dich getäuscht. Fangt endlich mit der Marter an.«
Gelassen wischte sich Cochise den Speichel aus dem
Gesicht, hob die Hand und schrie:
»Zastee! Tötet sie! Den weißen Hund zuletzt!«
Sechs indianische Scouts stimmten den Totengesang an. Sie
wiegten die Köpfe im Takt ihrer dumpfen Stimmen. Rauch
stieg von den Feuern auf, verdeckte das Licht der Sterne.
Messer flogen auf die Gefangenen zu.
Die Szene wirkte wie eine Orgie der Hölle. Rotes Licht,
Rauch, wirbelnde Gestalten, Wickiups wie Elefantenrücken im
Hintergrund – das Inferno hätte nicht schlimmer sein können.
Die Scouts litten unter unsagbaren Schmerzen, hielten
trotzdem die Köpfe erhoben und sangen. Schließlich machte
sich doch der Blutverlust bemerkbar. Der Gesang wurde leiser,
verstummte. Cochise gab ein weiteres Zeichen.
Junge Krieger mit Pfeil und Bogen traten an. Sie spannten
die kurzen Kriegsbogen aus dem Holz des Maulbeerbaumes.
Sechs Pfeile zischten, löschten gleichzeitig sechs Leben aus.
Cochise trat noch einmal vor Miller hin. Lange starrten sie
sich in die Augen. Cochise fragte:
»Warum?«
»Befehl, Jefe. Die Weißen handeln auf Befehl.«
»Der einarmige General?«
»General Howard ist dein Freund, Jefe. Nein, nein, ein
anderer weißer Häuptling.«
»Sag mir seinen Namen.«
»Du kennst ihn doch nicht. Brevet-General West, Joseph
West.«
»Mangas Coloradas Mörder. Ihn kenne ich nur zu gut.«
Cochises Hand machte eine kreisende Bewegung.
»Die roten Verräter sind tot. Auch dein Leben wird am
Marterpfahl enden. Die Ehre, um dein Leben zu kämpfen,
gewähre ich dir nicht. Du bist nicht der ›Falke‹. Stirb mit Haß,
Bleichgesicht. Du sollst winseln und um Gnade betteln, aber
keine Gnade finden. Haß sollst du am Ende verspüren, um so
besser wirst du meinem Volk in den Ewigen Jagdgründen
dienen.«
Der Häuptling trat zurück.
Als das erste Messer Millers Oberarm traf, dachte er an Lily.
Beim zweiten Treffer sah er sie vor sich. Ihre grünen Augen
blickten ihn traurig an. Bei jedem weiteren Treffer zog eine
andere Gestalt aus einem Lebenskreis kaleidoskopartig an ihm
vorbei.
Er schrie, stöhnte und jammerte nicht. Nur seine Gedanken
rasten. Er hatte falsch gehandelt. Statt Geld erhielt er einen
Pfeil als Lohn.
Ohne Ehren und Auszeichnungen ging er als Kidnapper in
die Geschichte ein.
Curt Miller, Scout der Siebenten, büßte still und ergeben.
Langsam sank sein Kopf auf die Brust.
Curt Miller war tot.
ENDE