Ritter Roland 23 Joachim Honnef Ein Engel als Köder

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Ein Engel als Köder

von Joachim Honnef

scanned by : horseman

kleser: Larentia

Version 1.0

»Liebe mich, Roland!«

Es klang wie das zärtliche Schnurren einer Katze, die

vom Kater ihres Herzens in den Armen gehalten wird.

Nun, es war keine Katze, wenn auch die grünen,

funkelnden Augen und die geschmeidigen Bewegungen
ihres schlanken Körpers an eine Katze erinnerten.

Sie hieß Elisabeth Terciere, und sie war eine heißblütige

Comteß aus Burgund, die den Ritter mit dem
Löwenherzen um Schutz gebeten hatte - und jetzt um
mehr.

Roland brauchte keine weitere Aufforderung.

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Er spürte die Hitze ihres nackten Körpers, der sich

verlangend an ihn schmiegte, die weichen, warmen
Lippen, die unter seinem Kuß zu erbeben schienen, und
ein süßes Prickeln erfaßte ihn.

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Der Mond, der durch das kleine Fenster der noblen Herberge in das
Schlafgemach lugte, schob erregt ein Wölkchen zur Seite, das ihm
die Sicht auf das Paar verdeckte.

Auch Ritter Roland war erregt. Sein Herz schien im heißen

Rhythmus der Liebe zu trommeln, und Elisabeths heftige Atemzüge
klangen wie Fanfarenstöße zum Lied der Wonne durch das leise
Knarren des Bettes.

Knarren?
Ritter Roland wunderte sich. Das Bett in dieser sündhaft teuren

Herberge hatte doch bis jetzt nicht geknarrt. Und jetzt quietschte es
gar leise!

Einen Augenblick lang war Ritter Roland geneigt, die Geräusche

auf Elisabeth Tercieres Temperament zurückzuführen.

Doch dann sah er aus den Augenwinkeln den Schatten, der

sekundenschnell am Fenster vorbeihuschte, als hätte eine Fledermaus
den Schein des Mondes verdunkelt.

Rolands Kopf ruckte hoch, und er lauschte angestrengt.
Nein, das war keine Fledermaus. Fledermäuse schieben keine

Fenster auf. Und jetzt nahm Roland wieder ein leises Knarren wahr,
das nicht vom Bett verursacht wurde.

Die Tür.
Wie von Geisterhand schwang sie langsam, langsam auf!
Elisabeth Terciere spürte wohl Ritter Rolands nachlassende

Liebesglut, fühlte wohl, wie er sich zurückzog. Ihre Fingernägel
gruben sich in seinen Rücken.

»Roland ...« schnurrte sie. »Roland?«
Er nahm sich keine Zeit für Erklärungen.
Mit einem gewaltigen Satz schnellte er sich vom Bett.
Elisabeth stieß einen Laut aus, der wie ein enttäuschtes Seufzen

klang.

Ritter Roland landete neben dem Bett und griff nach dem Schwert,

das mit seinen Kleidungsstücken auf einem Schemel lag.

Gerade noch rechtzeitig, denn in diesem Augenblick flog die Tür

ganz auf, und auch die falsche Fledermaus am Fenster bemühte sich

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nicht mehr, leise zu sein.

Drei Männer stürmten in den Raum, drohende Schatten im

Halbdunkel der Kammer.

Der Mann an der Spitze hielt ein Schwert in der erhobenen

Rechten, die beiden anderen waren mit Keulen bewaffnet. Ebenso
der vierte Kerl, der sich jetzt durch das Fenster hereinschwang.

Elisabeth Terciere schrie unterdrückt auf und zog das Laken, das

zerwühlt und bis ans Fußende des Bettes gerutscht war, über ihren
nackten Körper, auf dem der Schweiß im schwachen Mondlicht
silbrig schimmerte.

Doch das sah Roland nicht. Der Ritter mit dem Löwenherzen

sprang auf und stellte sich tollkühn der Übermacht.

Die Eindringlinge waren bestimmt nicht gekommen, um ihm und

Elisabeth viel Spaß zu wünschen. Was immer diese Haderlumpen
vorhatten, es konnte nichts Gutes sein. Und Roland hielt in dieser
Situation Angriff für die beste Verteidigung.

Er stürmte auf den Kerl mit dem Schwert zu.
Der Mann verharrte wie vom Donner gerührt. Gewiß hatte er sich

alles viel einfacher vorgestellt. Er hielt die Hand mit dem Schwert
erhoben, doch er war wohl zu überrascht von Ritter Rolands
blitzschneller Reaktion, um zu handeln.

Auch die beiden Kerle hinter ihm blieben unvermittelt stehen, und

der Mann am Fenster verlor vor Schreck gar seine Keule.

Er hatte gedacht, es sei die einfachste Sache der Welt, einen Mann

im Schlaf zu überraschen. Doch dieser Mann mußte einen äußerst
leichten Schlaf gehabt haben, und er kam über sie wie der Teufel.

Der Anführer des Quartetts schrie auf, als Rolands wuchtiger Hieb

sein Schwert traf, daß Funken stiebten. Fast wäre es Roland
gelungen, ihm das Schwert aus der Hand zu schlagen, doch der
Gegner strauchelte nur, konnte sich fangen und hielt das Schwert
fest.

Elisabeth stieß einen gedämpften Schrei aus. Wie gebannt starrte

sie auf die Kämpfenden.

»Ergib dich!« keuchte der Kerl mit dem Schwert, »oder ich

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schneide dir was ab!«

Und wie zur Bekräftigung seiner bösen Worte holte er mit dem

Schwert aus. Der gemeine Kerl setzte den Schlag ziemlich tief an.

Gedankenschnell sprang Ritter Roland zurück.
Natürlich wollte er sich nichts abschneiden lassen.
Roland prallte gegen die Bettkante und taumelte auf Elisabeths

Schenkel.

Der Kerl mit dem Schwert sah seine große Chance gekommen, als

Roland auf dem Bett lag.

Er stürmte mit einem triumphierenden Schrei auf Roland zu.
Verzweiflung stieg in Roland auf. Er hatte sich noch nicht

gefangen, und wenn der Kerl mit dem Schwert zustieß, war alles aus.
Es blieb keine Zeit mehr, seinen Stoß zu parieren.

Ritter Roland sah sich schon auf das Bett und vermutlich noch

dazu auf Elisabeths Schenkel aufgespießt!

Doch zu seiner grenzenlosen Erleichterung stieß der Angreifer

nicht mit dem Schwert zu, sondern er schwang es plötzlich, als
wollte er Roland mit mächtigem Streich enthaupten.

Nun, auch das waren keine rosigen Aussichten. Deshalb zog der

Ritter blitzschnell beide Beine an und stieß sie mit aller Kraft vor,
just in dem Moment, in dem der Mann mit dem Schwert heran war.

Er traf den Haderlumpen in die Magengrube. Brüllend taumelte der

Mann zurück, flog gegen seinen keulenschwingenden Kumpan und
ging mit ihm zu Boden.

Roland schnellte sich vom Bett.
Mit zwei Sätzen war er bei den beiden.
Der eine preßte stöhnend eine Hand auf seinen Leib. Der andere

tastete nach seiner Keule, die ihm der eigene Kumpan beim Aufprall
aus der Hand geprellt hatte.

Roland verlor keine Sekunde. Er hieb dem Burschen, der die Keule

ergreifen wollte, die Breitseite der Klinge auf die Finger.

Der Mann stieß einen erstaunlich hohen Laut aus, fast als setze

eine Dame zu einer Hymne an.

Mit einem schnellen Hieb schlug Roland den Anführer nieder, der

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seine Bauchschmerzen überwunden hatte und nach dem Schwert
greifen wollte, das ihm beim Sturz aus den Fingern geglitten war.

Der zweite Keulenschwinger und der Mann am Fenster lösten sich

aus ihrer Erstarrung. Beide griffen ungestüm an.

Der eine hielt wohl nichts vom Nahkampf. Er warf seine Keule mit

voller Wucht.

Roland duckte sich geistesgegenwärtig.
Der helle damenhafte Ton hinter ihm verstummte schlagartig in

einem dumpfen Laut. Kein Wunder, wenn einem eine Keule an den
Schädel knallt, vergeht einem die Lust, Hymnen zu singen.

Der Mann sank zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Roland packte den jetzt keulenlosen Mann am Wams und

schleuderte ihn gegen den Kumpan. Beide gingen zu Boden, und
Roland glaubte die Atempause zu haben, die er brauchte.

Doch daraus wurde nichts.
Der Schwertkämpfer war zu sich gekommen; Roland hatte ihn

wohl nicht richtig getroffen. Der Kerl sprang mit dem Schwert in der
Hand auf.

Roland konnte gerade noch den Kopf zur Seite reißen. Doch das

Schwert streifte ihn an der Schulter, und ein heißer Schmerz zuckte
durch Rolands Arm.

»Du Hund!« keuchte der unbekannte Angreifer, der das Schwert

schwang. »Ich werde dich ...«

Er konnte nicht zu Ende darlegen, was er so alles vorhatte.
Rolands mächtiger Schwerthieb fegte ihn zu Boden. Und diesmal

blieb der Anführer liegen und rührte sich nicht mehr.

Jetzt lagen zwei Männer bewußtlos am Boden, und Ritter Roland

war von grimmiger Zuversicht erfüllt.

Diese Haderlumpen hatten sich verrechnet.
Roland wirbelte zu den beiden anderen herum, die sich inzwischen

aufgerappelt hatten. Die Lumpen sollten ebenso wie ihre Kumpane
ihr blaues Wunder erleben.

Das wollten sie jedoch nicht. Der erste warf sich kopfüber aus dem

Fenster, und auch der zweite ergriff panikartig die Flucht.

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Roland hätte ihm das Schwert in den Rücken schleudern können,

doch er tat es nicht. Das hätte er nicht mal getan, wenn er kein Ritter
gewesen wäre, dem es die Ritterehre verbot, einen feigen Gegner
hinterrücks anzugreifen.

Die Burschen hatten es so eilig, daß sie sogar vergaßen, ihre

Keulen mitzunehmen.

Roland hob eine auf und warf ihnen ihr Eigentum nach. Er hörte

ein dumpfes Klatschen und einen Fluch, der in ein Ächzen überging.
Treffer!

Schritte entfernten sich eilig.
Roland warf einen schnellen Blick durch die Kammer. Zwei

reglose Gestalten am Boden, von denen eine Weile gewiß keine
Gefahr drohte. Elisabeth, die sich im Bett aufgesetzt hatte, das Laken
bis zum Busen gezogen hatte und ihn aus großen Augen entsetzt
anstarrte, fast als sei er der Bösewicht.

Gewiß war sie immer noch zu Tode erschrocken.
Die Gefahr war gebannt. Doch Roland wollte die beiden anderen

nicht entkommen lassen. Elisabeth hatte voller Sorge von den
Räubern gesprochen, die in dieser Gegend Reisende überfielen, und
vermutlich hatte er es in einem gewissen Grade ihrer Besorgnis zu
verdanken, daß er mit ihr so schnell ins Gespräch gekommen war,
weil sie in ihm einen Beschützer gesehen hatte.

Die Kerle waren zielstrebig in Elisabeths Kammer eingedrungen,

und sie konnten weitere Scherereien machen, wenn sie entkamen.

Roland zögerte nicht.
»Bring dich in Sicherheit und hol den Wirt!« rief er Elisabeth zu

und lief zum Fenster.

Sie streckte eine Hand aus, als wollte sie ihn festhalten.
»Bleib, Roland ...«
Er sprang bereits durch das Fenster hinaus.
Er landete weich. Auf dem Kerl, den er mehr oder weniger zufällig

mit der Keule getroffen hatte, und der sich gerade stöhnend
aufstemmen wollte.

Mit einem schnellen Fausthieb legte Roland ihn wieder hin.

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Sein Blick zuckte über den Hinterhof.
Der letzte des üblen Quartetts hatte einen Bretterzaun am Ende des

Hofes erreicht und kletterte gerade hinauf.

»Bleib stehen!« rief Roland.
Der ungehorsame Kerl setzte seine Flucht fort. Wie ein

Klammeraffe zog er sich am Zaun hoch.

Roland zögerte einen Lidschlag lang. Ob er nicht doch besser bei

Elisabeth blieb? Vielleicht war sie zu erschrocken, um die paar
Schritte aus der Kammer zu tun und sich in Sicherheit zu bringen.
Rolands Blick zuckte zum Fenster zurück. Dort war jetzt der Schein
einer Lampe zu sehen und das tiefe Organ eines Mannes zu
vernehmen. Der Mann erkundigte sich, was der Lärm zu bedeuten
habe. Elisabeths aufgeregte Stimme antwortete. Roland atmete auf.
Er erkannte die Stimme des Mannes wieder. Es war einer der Gäste,
die er am Abend kennengelernt hatte. Er würde sich um Elisabeth
kümmern.

»Hier liegt noch einer!« rief Roland. »Hebt ihn gut auf.«
Dann hetzte er auf den Zaun am Ende des Hofes zu.
Kurz dachte er daran, daß er nackt war, doch dann sagte er sich,

daß der Ort zu dieser Stunde in tiefem Schlaf lag und niemand den
nackten Ritter sehen würde. Allenfalls der flüchtende Haderlump,
und vor dem würde er sich gewiß nicht genieren.

Ritter Roland zog sich am Zaun hoch und spähte hinüber. Der

Bursche war nur etwa zwanzig Klafter entfernt. Gehetzt blickte er
zurück und übersah dabei ein Loch im Boden. Er stolperte und
stürzte.

Roland sah es mit grimmiger Zufriedenheit.
Er warf das Schwert über den Zaun, weil es ihn beim Klettern

behinderte und er es - nackt wie er war - ja nicht gürten konnte. Dann
sprang er hinterher. Federnd landete er, packte das Schwert und
hetzte weiter. Der Räuber hatte sich gerade aufgerappelt. Jetzt rannte
er davon, als sei der Leibhaftige persönlich hinter ihm her.

Er schlug einen Haken und verschwand hinter einem dunklen

Schuppen. Seine Schritte hämmerten durch die Stille der Nacht.

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Hühner begannen zu gackern, und ein Eber im Stall, der gerade
zärtlich seiner Sau an den Zitzen spielte, grunzte ärgerlich ob der
Störung.

Roland bog vorsichtig um die Ecke des dunklen Stalles. Er hielt

das Schwert in der vorgereckten Rechten, weil er mit einem Angriff
aus dem Dunkel rechnen mußte. Doch der Haderlump dachte
offenbar nicht an Kampf. Roland konnte ihn nicht sehen, doch er
hörte die Schritte in einer Seitengasse jenseits der Stallgebäude
davonhämmern.

Weiter.
Roland erreichte die Gasse und sah den Flüchtenden gerade noch

an ihrem Ende über einen Zaun klettern.

Der Ritter rannte durch die Gasse.
Als er an die Stelle gelangte, an der der Flüchtende verschwunden

war, zog er sich am Zaun hoch und spähte vorsichtig hinüber.

Tiefe Finsternis nistete zwischen den Apfelbäumen und dunklen

Gebäuden, die sich am Rande eines kleinen Gartens abhoben.

Roland lauschte mit angehaltenem Atem. Er glaubte nur das

Pochen seines Herzens zu hören. Kein fliehender Schatten war zu
sehen, und er konnte keine Schritte hören.

Roland sprang über den Zaun hinab in den Garten.
Dann fluchte er.
Er landete weich, doch es war kein duftendes Federbett, in das er

tief einsank, sondern ein recht würzig riechender Misthaufen. Den
Duft hatte er schon wahrgenommen, doch nicht gedacht, daß der
Haufen ausgerechnet unterhalb des Zaunes war.

»Verdammt!«
Fluchend kämpfte sich Roland aus dem Misthaufen. Als er stand,

rutschte er aus und landete in der Vertiefung, die er zuvor mit seinem
Aufprall geschaffen hatte.

Von neuem rappelte er sich auf und wischte sich über Mund und

Wangen.

Angestrengt spähte er durch die Dunkelheit. Wo sollte er jetzt nach

dem Haderlumpen suchen? Vermutlich kannte sich der Kerl besser in

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den Örtlichkeiten aus. Vielleicht versteckte er sich ...

Ritter Roland wurde aus seinen Überlegungen gerissen. Hufschlag

klang auf und entfernte sich nach Nordwesten. Nun, das konnte auch
Zufall sein, doch Ritter Roland glaubte nicht an solche Zufälle.

Der Haderlump war entkommen.
Ritter Roland blickte an seinem nackten Körper hinab, kam sich

ziemlich klein vor und rümpfte die Nase ob des würzigen Geruchs.

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zur Herberge

zurückzukehren. Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß immerhin
drei der üblen Gesellen geschnappt worden waren.

*

Der Ritter kletterte wieder über den Zaun und schritt durch die
Gasse, in die nur ein Streifen Mondlicht fiel.

»Oh ...«
Ein Geräusch ließ Roland herumwirbeln.
Instinktiv riß er die Hand mit dem duftenden Schwert hoch.
Dann entspannte er sich. In einem offenen Fenster konnte er den

schwachen Umriß einer Gestalt ausmachen. Unverkennbar eine
weibliche Gestalt.

Roland atmete auf. Es drohte keine Gefahr.
Dann fiel ihm ein, daß es sich nicht geziemte, den nackten Ritter

einer Dame zu präsentieren, erst recht nicht einen ziemlich
schmutzigen, und er trat schnell einen Schritt in den tiefen Schatten
der Hauswand zurück.

»Was - was tut Ihr da?«
Eine süße, aber etwas furchtsame Stimme. Gewiß war die Maid bei

seinem Anblick erschrocken.

»Keine Sorge, meine Dame«, sagte Ritter Roland beruhigend. »Ich

mache nur einen kleinen Spaziergang.«

Er wollte sich in Bewegung setzen, doch offenbar deutete die Maid

das falsch.

»Rührt Euch nicht von der Stelle, oder ich schreie um Hilfe!«

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Ritter Roland verharrte.
»Ihr braucht Euch nicht zu ängstigen«, sagte er und lächelte,

obwohl sie das in der Dunkelheit gewiß nicht erkennen konnte. »Ich
gehe zurück zur Herberge und ...«

Roland verstummte, denn die Maid hielt eine Lampe aus dem

Fenster und beleuchtete ihn.

Ihr Mund klaffte auf, und sie starrte ihn aus großen Augen von

oben bis unten an, vor allem bis unten.

»Oh ...«
Sie war ein recht ansehnliches Persönchen mit einem weißen

dünnen Nachthemdchen, aus dem keck ihr prächtiger Busen
vorragte.

Der Blick ihrer großen, glänzenden Augen schien sich an dem

Ritter förmlich festzusaugen.

Eine aus dem Schlaf geschreckte Jungfer würde gewiß entweder

vor Schreck in Ohnmacht fallen oder Zeter und Mordio schreien.

Beides wollte Ritter Roland vermeiden, und so hielt er flugs die

freie Linke vor ihr Blickfeld.

Sie hielt die Lampe noch ein wenig weiter vor und neigte sich aus

dem Fenster, und Roland befürchtete schon, sie würde mit ihrem
wogenden Busen das Übergewicht bekommen und in die Gasse
stürzen.

»Wer - wer seid ihr?« Es klang wie ein Hauch und auch ein wenig

beeindruckt.

»Roland ist mein Name.«
»Ich bin Anna«, erwiderte sie unaufgefordert. Immer noch

musterte sie ihn mit großen Augen.

Roland war die Situation ein wenig peinlich, vor allem, weil er so

stank, und er fühlte sich bemüßigt, eine Erklärung abzugeben. Doch
es wollte ihm nichts Gewandtes und Charmantes einfallen, und
während er noch überlegte, nahm ihm Anna das Wort aus dem
Munde:

»Ihr seid in einen Misthaufen gefallen«, stellte sie heiter fest, und

im Schein der Lampe sah Roland ihr Lächeln. Es war ein süßes

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Lächeln, sogar bar jeder Schadenfreude, doch Roland ärgerte sich in
seiner beschämenden Situation darüber.

»So ist es!« knurrte er. »Und wenn Ihr mich jetzt entschuldigen

wollt...»Damit ging er weiter. Er spürte förmlich ihren Blick auf
seiner nackten Kehrseite, doch es war ihm gleichgültig. »So wartet
doch, Ihr könnt bei mir ...«

Roland schluckte. Hatte er da gerade so etwas wie eine Einladung

vernommen?

Er wollte schon stehenbleiben und nachfragen, wie ihre hastig

hervorgestoßenen Worte zu verstehen waren, als in dem Haus eine
tiefe, grollende Stimme ertönte:

»Anna, was ist da los?«
Gewiß Annas Mann!
»Nichts ...« beteuerte Anna zwar, doch Roland hörte ein Poltern

und stampfende Schritte, und er machte sich flugs davon. Das fehlte
ihm noch, daß es Schwierigkeiten mit einem erbosten Ehemann ab,
obwohl er völlig unschuldig war. Gewiß würde man ihn für einen
abartigen Sittenstrolch halten, der nackt und seltsam parfümiert
durch den Ort streifte, um bei den Damen einzusteigen.

Schnell tauchte er in der Dunkelheit unter. Als er einen Blick über

die Schulter warf, sah er Anna, die sich immer noch weit aus dem
Fenster lehnte und die Lampe vorreckte, als wolle sie noch bis zu
ihm leuchten.

Roland grinste leicht. Dann dachte er an die Haderlumpen, die er

bewußtlos zurückgelassen hatte, und sein Grinsen verschwand.

Die Burschen würden ihm ein paar harte Fragen beantworten

müssen.

Das taten sie jedoch nicht.
Als Roland durch das Fenster in die Kammer stieg, lag nur noch

einer am Boden neben dem Bett.

Elisabeth war weg.

*

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Roland zündete schnell die Lampe an. Der Mann am Boden war
keiner der Räuber. Es war der Gast, mit dem Roland am Abend
geplaudert hatte, ein dicker Weinhändler, der ihm beim Essen mit
seinem Geschwätz auf die Nerven gegangen war.

Der Dicke regte sich. Er stemmte sich ungeschickt auf und tastete

stöhnend an seinen Hinterkopf. Dann blinzelte er zur Lampe und zu
Roland hin.

»Was ist passiert?« ächzte er.
»Das möchte ich auch gern wissen«, erwiderte Roland.
Er stellte die Lampe ab und nahm seine Kleidungsstücke vom

Schemel. Es widerstrebte ihm, die Sachen anzuziehen, denn sie
würden schmutzig werden und den Mistgeruch annehmen, doch er
konnte schließlich nicht gut nackt durch die Herberge spazieren und
mit dem Wirt sprechen, der gewiß die bewußtlosen Haderlumpen
gefangengenommen hatte und mit Elisabeth auf seine Rückkehr
wartete.

»Die Räuber!« stieß der dicke Weinhändler hervor. »Sie lagen hier,

als ich ins Zimmer kam! Und die arme Dame! Ich fragte sie gerade,
was los war, da hörte ich hinter mir ein Geräusch, und dann traf mich
etwas am Kopf.«

Ein schlimmer Verdacht stieg in Roland auf. Wenn der

Weinhändler niedergeschlagen worden war, dann war
möglicherweise nicht alles so abgelaufen, wie er gedacht hatte.

»Hat der Wirt nicht die Kerle ...«
Roland verstummte und hob lauschend den Kopf. Eine Kutsche

verließ den Ort. Hufschlag und Räderrasseln entfernten sich in der
Nacht. Flüchtig fragte er sich, wer zu dieser späten Stunde mit der
Kutsche davonfuhr.

Dann dachte er an Elisabeth Terciere, und er fluchte lautlos. Wie

sehr hatte sie ihn erregt! Und dann hatten ihm diese Kerle alles
verdorben.

»Was geht hier vor?«
Ein kleiner, kahlköpfiger und krummbeiniger Mann stürmte mit

allen Anzeichen von Aufregung in das Zimmer. Sebastian Wolter,

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der Wirt. Sein graues Schnurrbärtchen, die letzte Bastion seiner
Haare, sträubte sich. Die blauen Schweinsäuglein blickten Roland
vorwurfsvoll an.

Roland berichtete mit knappen Worten und gürtete sein Schwert.
»Wo sind die Kerle, und wo ist die Dame?« fragte er dann.
Die Antwort war wie ein Fausthieb für ihn.
»Welche Kerle? Hab' keine Kerle gesehen. Und die Dame?« Der

Kleine zuckte mit den schmächtigen Schultern. »Soeben abgereist.«

»Abgereist?« entfuhr es Roland verblüfft.
»Abgereist.« Mehrmals nickte Sebastian.
»Wieso habt Ihr überhaupt nichts gehört?« fragte Roland

mißtrauisch.

Der Wirt zuckte mit den schmalen Schultern. »Ich schlief. Da

weckte mich die Dame und verlangte, daß ich auf der Stelle
anspanne.«

Sonderbar! dachte Roland. Weshalb diese überstürzte Abreise?
»Hat sie etwas gesagt?« fragte Roland angespannt.
Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß Elisabeth in der Nacht

die Reise fortsetzte. Voller Sorge hatte sie von den Gefahren
gesprochen, die einer nur mit zwei Kutschern reisenden Dame in die-
ser Gegend drohten.

Irgend etwas stimmte da nicht!
Sebastian Wolter nickte heftig, und sein Adamsapfel ruckte auf

und ab.

»Gewiß hat sie etwas gesagt.«
»Spann mich nicht auf die Folter!« sagte Roland schroff. Am

liebsten hätte er dem Glatzkopf die Worte aus der dicken roten Nase
gedreht.

»Sie sagte - auf Wiedersehen.« Sebastian grinste dümmlich.
Roland unterdrückte ein Seufzen.
»Sonst nichts?« vergewisserte er sich.
»Sonst nichts.«
»Ich verlange eine Erklärung!« sagte der Weinhändler zornig.
Auch Roland hätte gern eine Erklärung gehabt, doch von dem Wirt

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war nichts zu erfahren. Die Räuber waren weg, und Elisabeth war
weg. Zum Glück nur mit ihren Kutschern und wohlbehalten, wie der
Wirt beteuerte, der bei der Abfahrt zugegen gewesen war. Roland
hatte schon an eine Entführung gedacht.

Trotzdem war die ganze Sache recht seltsam.
Er ließ sich noch einmal alles durch den Kopf gehen und kam zu

dem Schluß, daß er ein rechter Dummkopf gewesen war. Vermutlich
waren die Eindringlinge kleine Räuber gewesen, die schnelle Beute
hatten machen wollen. Er hätte bei Elisabeth und den bewußtlosen
Haderlumpen bleiben sollen, anstatt wie ein Tölpel auf
Verfolgungsjagd zu gehen und in einem Misthaufen zu landen. Er
ärgerte sich über sich selbst, und als er Sebastian Wolter grinsend
schnuppern sah, juckte es ihm in den Fingern.

»Mich dünkt, das riecht nach ...« Sebastian kratzte sich am Kinn

und legte die Stirn in Falten. »Laßt mich raten ...«

»Ja, verdammt!« fuhr Roland ihn so zornig an, daß der Kleine

erschrocken zurückhüpfte.

Die Schweinsäuglein blickten erschreckt, dann trotzig, dann

verschlagen und schließlich schadenfroh.

»Mich dünkt, Ihr seid schlechter Laune«, sagte er hämisch. »Doch

Ihr solltet Euch mäßigen, anstatt Eure Wut an mir auszulassen. Was
kann ich dafür, daß die Dame so schnell abreiste? Vielleicht wart Ihr
im Bett nicht gut genug ...«

Er verstummte. Roland packte ihn am Hals und hielt ihn zur

Zimmerdecke hoch.

Zappelnd hing der Kleine in seinem Griff und strampelte mit den

krummen Stummelbeinen.

»Laßt mich los, Ihr Wüstling!« japste er mit krebsrotem Kopf. »Ich

bin hier der Herr im Haus, und ich weise Euch aus der Herberge,
wenn Ihr ...«

»Ich gehe freiwillig«, knurrte Roland. »Hier ist es mir zu unruhig.

Gibt es im Ort einen stilleren Gasthof, den du mir empfehlen
kannst?«

Immer noch hielt er den schwitzenden Kleinen hoch, und Sebastian

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hatte das Strampeln eingestellt. Jetzt grinste er gar boshaft.

»Mein Gasthof ist der einzige«, sagte er. »Ihr werdet im

Schweinestall übernachten müssen, wenn Ihr mich nicht sofort
loslaßt.«

Nun, das waren schlechte Aussichten, und Sebastian war offenbar

zu einem Kompromiß bereit, weil er an seinen Verdienst dachte, und
so ließ Roland ihn los.

Der Kleine stieß einen quiekenden Laut aus, als er auf die Dielen

krachte.

Er rieb sich die rote Nase, die ob des Aufpralls noch ein wenig

roter geworden war, und bedachte Roland mit einem giftigen Blick.

Der dicke Weinhändler kicherte.
Dann wandte er sich an Roland, während der Wirt sich zornig

fluchend aufrappelte.

»Könnt Ihr Euch das alles erklären?« Und ohne eine Antwort

abzuwarten, fuhr er fort: »Was wollten diese Räuber?«

Roland zuckte mit den Schultern. »Sie haben es nicht gesagt.«
»Ihr habt das gewiß alles nur geträumt«, keifte Sebastian Wolter.

»In meinem Haus gibt es keine Räuber.«

Rolands Zorn war verraucht, und es tat ihm jetzt leid, daß er den

Wirt etwas unfreundlich behandelt hatte. Schließlich konnte
Sebastian nichts für die Ereignisse.

»Aber ich hab' sie mit eigenen Augen gesehen«, ereiferte sich der

Weinhändler. »Und die Dame hat es mir gesagt. Ich wollte sie gerade
- äh - trösten - und da hat mich einer niedergeschlagen!« Er tastete an
seinen Hinterkopf. »Keiner kann behaupten, ich hätte die Beule
geträumt.«

Sebastian Wolter und der Weinhändler, dessen Name Roland

vergessen hatte, begannen einen hitzigen Wortwechsel.

Roland hörte gar nicht mehr hin. Tatsache war, daß er Elisabeth

und die Liebesnacht vergessen konnte. Kurz spielte er mit dem
Gedanken, ihrer Kutsche nachzureiten, doch dann entschied er sich
dagegen. Sie hätte nicht so überstürzt abzureisen brauchen. Er konnte
sich ihr Verhalten nicht erklären. Er hatte fast den Verdacht, daß sie

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nur auf ein schnelles Schäferstündchen aus gewesen war. Eine
wirklich Liebende hätte voller banger Sorge auf seine Rückkehr
gewartet und sich nicht einfach grußlos davongemacht. Nein, sie
konnte zum Teufel fahren, die Comtesse aus Burgund. Er wollte sich
nicht zum Narren machen und ihr nachreiten. Schon gar nicht
stinkend, worüber sie sich vermutlich lustig machen würde.

Außerdem mußte er auf die Knappen Louis und Pierre warten, die

am nächsten Morgen mit der Kutsche in Hohenwarth eintreffen
würden.

Sie waren nicht zum Vergnügen unterwegs.
Sie sollten den Räubern das Handwerk legen, die in diesem

einsamen Landstrich rund um den Schwarzriegel Reisende
Überfielen. Gewiß hätte König Artus nicht Ritter Roland beauftragt,
der Räuberbande das Handwerk zu legen, die sich bisher mit recht
bescheidener Beute zufrieden gegeben hatte. Doch die Lumpen
hatten, ohne es zu wissen, bei einem ihrer Überfälle ein prominentes
Opfer ausgenommen: Ginevra, König Artus' Gemahlin. Sie hatte
Verwandte besucht und war nur mit einer kleinen Eskorte gereist.
Keiner war zu körperlichem Schaden gekommen, doch Ginevras
Schmuck, den sie getragen hatte, war den Räubern in die Hände
gefallen.

Unter anderem und vor allem sollte Ritter Roland diese kostbaren

Geschmeide wiederbeschaffen.

Louis und Pierre fuhren in einer der Kutschen, die bereits zweimal

überfallen worden waren. Sie gaben sich als normale Reisende aus,
hörten sich unauffällig um und hofften, irgendeine Spur zu den
Räubern zu finden.

Ritter Roland hatte das gleiche in Hohenwarth getan, dem kleinen

Ort, in dessen Nähe der letzte Überfall stattgefunden hatte. Er hatte
gehofft, das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden zu können,
als er Elisabeth Terciere, diese süße sinnliche Katze, kennengelernt
hatte. Doch es hatte nicht sein sollen ...

»Kann man hier baden?« fragte Roland den Wirt, der sich immer

noch mit dem Weinhändler herumstritt, der geschickt den

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Zimmerpreis herunterzuhandeln versuchte, weil »man in dieser Bude
seines Lebens nicht sicher sei«.

»So spät noch baden?« Sebastian Wolters Adamsapfel hüpfte

empört auf und ab. Seine Miene war völlig fassungslos. »Ein solches
Ansinnen wurde bisher von keinem Gast gestellt.« Er kicherte.
»Allerdings suhlen sich auch die wenigsten in Misthaufen.«

Er grinste, als er Rolands grimmige Miene sah.
»Da müßt Ihr schon zu Annas Badehaus gehen«, fuhr er fort.

»Aber das kostet einiges. Anna nimmt bestimmt den doppelten Preis,
wenn Ihr zu dieser späten Stunde Einlaß bei ihr begehrt.«

Roland überlegte, ob er sich stinkend wie er war, zur Ruhe

begeben sollte. Nein, das kam nicht in Frage.

»Wo ist der Brunnen?«
»Am anderen Ende der Stadt. Aber da könnt Ihr gewiß nicht baden.

Direkt gegenüber wohnt die alte Thekla. Die schläft kaum nachts und
hat Augen wie ein Luchs. Nein, da kann ich Euch eher Anna
empfehlen.«

Anna? Den Namen hatte Roland vor kurzem doch schon gehört.
»Wo ist dieses Badehaus?« fragte er interessiert.
Der Wirt erklärte ihm den Weg. Durch die Gasse jenseits des

Hofes und links das fünfte Steinhaus.

Kein Zweifel, es konnte sich bei Anna nur um die Maid handeln,

die er flüchtig kennengelernt hatte. Im nachhinein mußte Roland
schmunzeln. Jetzt wurde ihm klar, weshalb sie ihn hatte zurückhalten
wollen. Sie hatte in ihm nichts anderes als einen Kunden gewittert.

Der Gedanke an ein Wiedersehen mit dieser Anna amüsierte ihn.
»Ist dieses Badehaus jetzt noch geöffnet - ich meine für Notfälle?«

erkundigte er sich.

»Gewiß, gewiß«, erklärte Sebastian. »Aber das kostet einiges.

Anna ist kein billiges Mädchen, wenn Ihr versteht, was ich meine.«

Sebastian grinste von einem Ohr zum anderen und zwinkerte

Roland zu, sozusagen von einem Schlingel zum anderen.

Roland glaubte, ihn gut zu verstehen.
Nun, er war bereit, den Preis zu bezahlen. Nach all dem Ärger

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hatte er sich wenigstens die Wonnen eines Bades verdient, oder?

*

Die Kutsche rumpelte durch die Nacht. Die Knappen dösten vor sich
hin. Louis und Pierre waren die einzigen Passagiere, mal abgesehen
von der Fliege, die sich bei der Abfahrt in die Kutsche gemogelt
hatte und seither alles daran zu setzen schien, die beiden Reisenden
zu ärgern.

Die freche Fliege kroch gerade über Louis' Nase. Der Knappe

gähnte schläfrig und kratzte sich an der Nase.

Die Fliege flüchtete. Sie umkreiste summend den Kopf des

Knappen. Louis kratzte sich am schwarzen Bart und hielt finster nach
dem Störenfried Ausschau.

Vermutlich ahnte die Fliege die Gefahr und wechselte deshalb

flugs zu Pierre über, der einen gutmütigeren Eindruck auf sie machte.

Louis, aus seinem Nickerchen aufgeschreckt, beobachtete

mißmutig die elegante Landung der Fliege. Pierre schnarchte offenen
Mundes, und sein Kopf, der auf die Brust gesunken war, ruckte beim
Holpern der Kutsche auf und ab.

Die Fliege ließ sich auf Pierres Nase nieder, ruhte sich kurz aus

und krabbelte dann auf Erkundung über Pierres mollige Wange. Dort
verharrte sie, und Louis hatte das Gefühl, daß sie ihn irgendwie
herausfordernd anstarrte. Das war gewiß nur Einbildung, denn im
schwachen Mondlicht, das durch die Fenster in die Kutsche fiel, war
die Fliege gerade als dunkler Punkt auf Pierres heller Wange zu
erkennen.

Dennoch konnte Louis nicht widerstehen. Langsam holte er mit der

flachen Hand aus.

Jetzt!
Er hielt jäh in der Bewegung inne, keine Handbreit von Pierres

Wange. Dieses Mistvieh von Fliege hatte die Bewegung im Ansatz
bemerkt und blitzschnell abgehoben. Im nächsten Augenblick
summte sie schon um Louis' Nase, und es klang in des Knappen

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Ohren wie Hohngelächter.

Louis entschied sich, das blöde Vieh einfach zu ignorieren.

Gelangweilt blickte er aus dem Fenster. Bäume und Büsche schienen
vor der hellgelben Scheibe des Mondes vorbeizufliegen.

Es war eine milde Juninacht. Bestimmt lagen alle vernünftigen

Menschen in ihren Betten, statt in einer ungemütlichen Kutsche zu
hocken und durch die Nacht zu rumpeln.

Louis dachte an den Auftrag und gähnte. Roland hatte sie

vermutlich umsonst auf Reisen geschickt. Seit vier Tagen gondelten
sie schon durch die Gegend rings um den Schwarzriegel, um
Hinweise auf die Räuber zu finden oder gar selbst überfallen zu
werden. Doch nichts hatte sich getan. Und in dieser Nacht schliefen
die Räuber sicherlich tief und fest und verpraßten im Traum die
bisherige Beute.

Louis seufzte und scheuchte die Fliege von seinem Bart.
Sie suchte sich einen neuen Ruheplatz auf Pierres Nase.
Die Kutsche holperte gerade durch ein Schlagloch, und Pierres

Kopf ruckte hoch, doch die Fliege ließ sich dadurch nicht
erschrecken.

Ein ganz gerissenes Luder, dachte Louis und konnte eine gewisse

Bewunderung nicht unterdrücken. Das Vieh wußte genau, wann
richtige Gefahr drohte, und wann nicht.

Die Fliege krabbelte auf Pierres vom Mondschein versilberte

Wange. Wieder hatte Louis das Gefühl, sie würde ihn herausfordernd
anstarren.

Da konnte er sich nicht mehr zurückhalten.
Klatsch!
Vom Jagdfieber erfaßt schlug Louis weit fester zu, als beabsichtigt.

Pierres Kopf flog zur Seite, und das leise Schnarchen hörte
unvermittelt auf.

Im nächsten Augenblick hielt Pierre sein Schwert in der Faust,

sprang auf und stieß sich den Kopf am Kutschendach. Wild zuckte
sein Blick hin und her, aus dem Fenster, dann zu Louis, der
vergebens seine Handfläche nach einer zerschmetterten Fliege

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absuchte, jedoch nicht fündig wurde.

Louis konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Pierre ließ das Schwert sinken.
»Was war das?« fragte er mit angespannter Stimme.
»Was soll schon gewesen sein?« erwiderte Louis harmlos.
Pierre rieb sich über die Wange.
»Jemand hat mich geschlagen!« stieß er hervor. »Ich dachte, es

wäre ein Überfall.«

Louis spielte kurz mit dem Gedanken, Pierre von seiner

Fliegenjagd zu erzählen, doch dann entschied er sich dagegen. Wenn
er das Fliegenbiest erledigt hätte, dann hätte er Pierre stolz die
Jagdtrophäe präsentiert und einen Beweis gehabt, daß die
Maulschelle einem guten Zweck gedient hatte. Doch der »Beweis«
schwirrte putzmunter um Louis Kopf herum und summte höhnisch,
und Pierre konnte möglicherweise etwas Falsches denken.

So brummte Louis: »Unsinn, du mußt geträumt haben.«
Pierre nickte ein wenig zweifelnd, gähnte und reckte sich.
»Diese verdammte Unbequemlichkeit«, murrte er. »Wenn ich

daran denke, daß ich jetzt auf einem weichen Bett liegen könnte ...«

»Du denkst an Gudrun«, stellte Louis grinsend fest. »Ja ja, bei der

ist gut ruhn, so fein gepolstert, wie die überall ist.«

»Woher weißt du ...?« fragte Pierre entgeistert und strich sich eine

blonde Haarsträhne aus der Stirn.

Louis lachte leise. »Du entwickelst dich in letzter Zeit zum

Schwerenöter, mein lieber Pierre. Ja, wie heißt es so schön - stille
Wasser sind tief. Selbst einem Blinden dürfte kaum entgangen sein,
daß du was mit dem Wirtstöchterchen in Hohenwarth hast. Kurz vor
der Abreise sah ich dich gar aus ihrer Kammer kommen.«

»Ich hatte mich nur verabschiedet«, sagte Pierre verdattert.
Louis lachte. »Der Abschied muß recht heftig gewesen sein, wenn

ich daran denke, wie zerwühlt ihr Blondhaar und wie zerknittert ihr
Nachtgewand war, das sie vergessen hatte, vorne zu schließen, auf
daß ich einen Blick auf ihre Äpfelchen erhaschen konnte. Ja, mein
lieber Pierre, ich muß schon sagen ...»Er sagte es nicht. Pierres Hand

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klatschte ihm ins Gesicht. Louis zuckte zurück. »He, was soll das?«
fragte er zornig.

Pierre grinste breit, »'tschuldige«, murmelte er. »Diese verdammte

Fliege ärgert mich schon während der ganzen Fahrt.«

»Hast du sie erwischt?« fragte Louis.
»Nein«, bekannte Pierre, immer noch grinsend, und in Louis stieg

der Verdacht auf, daß Pierre die Jagd gar nicht ernsthaft betrieben
hatte.

»He, mein lieber Pierre, wenn du meinst, du könntest mich

verarsch ...«

Wiederum war es dem Knappen nicht vergönnt, auszusprechen.
Ein Schrei gellte, und mit einem Ruck kam die Kutsche zum

Stehen, als sei sie gegen eine Barriere geprallt.

Louis und Pierre flogen durch den Passagierraum und fanden sich

benommen auf den gegenüberliegenden Sitzen wieder.

Ein Pferd wieherte schrill und gequält. Hufe stampften. Die

Kutsche ruckte auf und ab.

»Ergebt euch, ihr habt keine Chance!« ertönte eine rauhe Stimme

aus der Nacht. »Runter vom Bock, ihr beiden!«

»Gnade! Gnade!«
Louis und Pierre erkannten die Stimme des Kutschers Franz.
»Mach dich nicht naß«, rief die rauhe Stimme spöttisch. »Keiner

tut dir was, wenn du brav bist. Solltest du allerdings Dummheiten
machen, bist du des Todes!«

»Und jetzt?« flüsterte Pierre und suchte im Halbdunkel der

Kutsche Louis' Blick.

»Ruhe bewahren und tun, was sie sagen«, raunte Louis. »Merk dir

genau die Typen und die Richtung, in die sie verschwinden. Dann
brauchen wir nur noch die Verfolgung aufzunehmen und
festzustellen, wo ihr Versteck ist.«

Er lauschte angespannt.
Eines der Pferde schnaubte. Hufe stampften. Schritte näherten sich.
»Runter, hab' ich gesagt!« rief die rauhe Stimme. »Eh, wird's bald,

oder sollen wir nachhelfen?«

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»Neeein ...»Der Aufschrei verstummte wie abgeschnitten. Ein

dumpfer Aufprall folgte. »Wer nicht hören will, muß fühlen«, sagte
die rauhe Stimme. Jemand kicherte.

»Eh, ihr Passagiere! Kommt alle mit erhobenen Händen heraus!«
Louis nickte Pierre aufmunternd zu. Beide legten die Schwerter auf

die Sitze. Es war abgesprochen, daß sie bei einem Überfall keinerlei
Gegenwehr leisten sollten. Sie sollten nur beobachten und Hinweise
sammeln. Bei den meisten Überfällen war alles zu schnell gegangen,
und die Reisenden waren so erschrocken gewesen, daß sie kaum
etwas Brauchbares ausgesagt hatten.

Louis stieg als erster aus der Kutsche. Sein Blick glitt nach vorne

an der Kutsche entlang. Ein Baumstamm blockierte den Fahrweg.
Die ersten beiden Gespannpferde lagen zusammengebrochen im
Geschirr. Pfeile ragten aus ihrem Fell. Die anderen vier Rösser
scheuten und wollten zurückweichen, doch der Kutscher hatte die
Bremse festgedreht, und es gab kein Vor und Zurück für die
erschreckten Tiere.

Einer der Fahrer stand mit erhobenen Händen neben dem

Wagenbock. Sein Gefährte Franz lag reglos und verkrümmt am
Boden.

Ein hünenhafter Kerl mit wirr abstehendem blondem Bart und

Haupthaar stand mit einer Keule in der Hand neben ihm. Louis sah
einen Bogenschützen und zwei weitere Männer, die mit Schwertern
bewaffnet waren. Die Kerle sahen recht zerlumpt aus bis auf einen,
der offenbar der Anführer war. Er war groß und schlank, und die
feine nagelneue Kleidung schien ihm auf den Leib geschneidert zu
sein. Vermutlich hatte er sie einem reichen Reisenden ausgezogen
oder sie sich vom Beutegeld maßschneidern lassen.

»Ist das alles?« fragte der Elegante. Es war die rauhe Stimme, und

für die Knappen bestand kein Zweifel mehr, daß es sich um den
Anführer handelte.

Der zweite Schwertträger sprang auf die Knappen zu und fuchtelte

Louis mit dem Schwert vor der Brust herum.

»Antworte, Schwarzbart, wenn dich Gerold etwas fragt!«

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Der Bursche beging einen großen Fehler. Er fühlte sich zu sicher.

Louis hätte das Handgelenk packen und den Kerl überrumpeln
können. Es juckte ihm in den Fingern, doch er bezwang sich. Da
waren die anderen, vor allem der Bogenschütze, der abseits stand
und nachlässig einen Pfeil auf der Sehne hielt.

»Wir sind die einzigen Reisenden«, sagte Louis und bemühte sich,

seinen Zorn zu unterdrücken und ruhig zu sprechen.

Der Kerl in der zerlumpten Kleidung zog sein Schwert zurück und

blickte den Anführer an.

»Magere Beute«, murmelte er.
Der Anführer gab einen herrischen Wink. »Theo, sieh mal nach.«
Der Mann mit der Keule eilte zur Kutsche. Er verschwand darin.
Sie hörten einen dumpfen Aufprall wie von einem Schlag. Die

Haltung des Eleganten straffte sich, und er hob das Schwert.

»Was ist los?« rief er angespannt.
»War nur 'ne Fliege«, ertönte Theos Stimme aus der Kutsche.

»Hab

'

sie plattgemacht.«

Es hat sie also doch noch erwischt, dachte Louis. Auch ein Opfer

des Überfalls ...

»Zwei Schwerter«, meldete Theo aus der Kutsche. »Sonst nichts.«
»Ist doch schon mal was«, sagte der Anführer. »Hol das Gepäck!«
Theo warf die Reisetaschen der Knappen neben die Kutsche. Er

durchwühlte die Taschen und meldete ein wenig enttäuscht, daß sie
nicht viel von Wert enthielten.

»Zieht euch aus, ihr beiden!« sagte der Anführer und gab Louis

und Pierre einen Wink mit dem Schwert.

Die Knappen tauschten einen schnellen Blick. Damit hatten sie

nicht gerechnet. Bisher hatten die Überfallenen nur die Taschen
leeren müssen.

»Ich habe fünf Dukaten und ...« begann Louis.
»Ausziehen!« unterbrach ihn der Räuber namens Gerold. »Oder

wir ziehen euch aus. Dann aber entkleiden wir eure Leichen!«

Pierre schluckte. Hastig begann er sich auszuziehen. Nach kurzem

Zögern gehorchte auch Louis.

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Theo nahm ihnen die Sachen weg. Er probierte sofort einen von

Louis Stiefeln an. Ein anderer zog seine zerlumpte Hose aus und
schlüpfte in Pierres Hose.

»Zu dick, der Kerl!« beschwerte er sich. Er warf die Hose einem

Kumpan zu und schlüpfte in Louis' Hose.

»Genug der Kleideranprobe«, rief der Anführer. »Achim, sorg

dafür, daß uns keiner folgen kann.«

Der Bogenschütze nickte.
Er spannte den Bogen, zielte und traf das nächste Pferd.
Das gepeinigte Wiehern der gequälten Kreatur stach Louis ins

Herz.

»Laßt die Tiere am Leben!« rief er wütend.
»Du hältst das Maul, oder ich schieße dir einen Pfeil in den

Hintern!« rief der Bogenschütze und zog bereits den nächsten Pfeil
aus dem Köcher.

Louis ballte die Hände in ohnmächtigem Zorn.
»Laßt meine guten Pferde!« flehte auch der Gefährte von Franz.

»Ihr könnt sie doch mitnehmen.«

»Wir haben bereits genug Rösser!« sagte der Anführer.
»Aber...«
Ein Keulenhieb schleuderte den Kutscher zu Boden.
Pierre vergaß, daß er sich Gesichter und Kleidung der Räuber

einprägen sollte. Er schloß die Augen, als er das qualvolle Wiehern
sterbender Pferde und das Schlegeln der Hufe im Todeskampf hörte.

Louis indessen beobachtete genau. Er hatte sich die Namen

eingeprägt, die er gehört hatte, die Gesichter und Stimmen, und er
glaubte die Kerle auch in anderer Kleidung wiederzuerkennen.

Doch was nutzte das?
Sie verschwanden schließlich im Dunkel der Nacht, und bald

darauf entfernte sich Hufschlag nach Norden.

Zurück blieben zwei bewußtlose Kutscher, sechs tote Pferde und

zwei Knappen in Unterwäsche.

»Oh Gott«, murmelte Pierre. »Was wird nur Ritter Roland sagen,

wenn er in Hohenwarth vergebens auf uns wartet?«

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*

Ritter Roland sagte derweil artig: »Guten Abend.«

Anna, die auf sein Klopfen hin geöffnet hatte, lächelte. Sie hatte

ein bezauberndes Lächeln, bei dem sich Grübchen um ihren
Mundwinkel bildeten und Roland die ebenmäßigen weißen Zähne
sehen konnte. Große haselnußfarbene Augen strahlten Roland an. Ihr
langes blondes Haar fiel wie ein güldenes Vlies über ihre Schultern
und reichte fast bis zum Ansatz des Busens. Sie trug immer noch das
Nachthemd. Es war schön geschneidert, fast wie ein Kleid, mit
spitzenbesetztem Ausschnitt und Rüschen am knöcheltiefen Saum.
Der Stoff war dünn, und die Konturen ihres Körpers zeichneten sich
recht deutlich vor dem Schein der Lampe ab.

»Man könnte fast Gute Nacht sagen«, erklärte sie, musterte Ritter

Roland interessiert, und ihr Lächeln brachte sein Blut in Wallung.

»Verzeiht, daß ich zu so später Stunde störe, aber ...«
Sie unterbrach ihn lachend. »Ich weiß, Ihr wollt baden. Das Wasser

ist schon angeheizt.«

Ritter Roland blickte verdutzt.
»Ich wußte, daß Sebastian Euch schickt«, erklärte Anna. »Er ist ein

Verwandter, und er schickt uns immer Kunden, die baden wollen.
Und daß Ihr baden wolltet, verriet mir meine Nase.«

Sie krauste das zierliche Naschen, und der Blick dieser großen

seelenvollen Augen beunruhigte ihn.

Roland mußte an Elisabeth Tercieres grüne Katzenaugen denken

und an das, was er darin gelesen hatte, als sie miteinander ins
Gespräch gekommen waren. Es war jetzt fast ein ähnlicher Ausdruck
in Annas Augen.

Und dieses Lächeln, dieser kokette Augenaufschlag!
»Kommt Ihr mit mir?« fragte sie und musterte ihn irgendwie

prüfend.

»Nur zu gerne«, entfuhr es Roland.
Sie lachte leise und wandte sich um. Sie nahm die Lampe vom

Tisch und schritt zum Nebenzimmer.

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Er folgte ihr und bewunderte den Schwung ihrer Hüften. Eine

wirklich wohlgeformte Maid, diese Anna. Anfang Zwanzig, doch
sehr selbstsicher und gewiß schon erfahren in der Liebe, wie ihr
wissender Blick verriet.

Sie wandte den Kopf und ertappte ihn dabei, wie er auf ihre

wohlgerundete Kehrseite starrte.

»Gefalle ich Euch?« fragte sie mit lustig funkelnden Augen.
Zapperlot! dachte Roland, welch offene Maid! Andere wären

errötet ob seines Blickes, doch sie nahm es wie selbstverständlich
hin.

»Sehr«, sagte Roland und ärgerte sich ein wenig, weil seine

Stimme so belegt klang.

»Das sagen alle«, erklärte Anna.
Diese selbstsichere Bemerkung kühlte den Ritter ein wenig ab. Er

schalt sich einen Narren. Gewiß sah sie in ihm nur den Kunden.

Sie stellte die Lampe ab, und Roland schaute sich um. Eine

einfache Kammer, die zweckmäßig eingerichtet war. Ein großer
Holzzuber, in dem Wasser dampfte. Daneben ein Lager aus Decken.
Ein kleiner Tisch, auf dem Badeutensilien standen und lagen: Seife,
Pulverdosen, Salbe, eine Bürste, Handtücher. Ein großer Spiegel an
der Wand. Daneben die Bleistiftzeichnung eines nackten Mädchens,
das gerade aus einem See stieg.

Das Mädchen kam ihm irgendwie bekannt vor.
Anna zündete Kerzen an. »Gefällt Euch das Bild?«
Er hatte das Gefühl, sie könnte Gedanken lesen. Dann sah er, daß

sie in den Spiegel schaute und genau sah, wohin er blickte.

Er nickte.
»Das bin ich«, erklärte Anna in ihrer natürlichen offenen Art. »Mir

gefällt es nicht. Der Künstler hat meine Schenkel zu breit gemalt und
die Brüste zu klein. Gewiß war das seine Rache wegen unserer
Preise.«

Sie wandte sich ihm zu und lächelte über einen recht verdutzten

Roland.

»Er konnte nicht zahlen, und da ließ ich mich malen«, erklärte sie.

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»Schockiert?«

Roland schüttelte den Kopf.
»Das ist gewiß eine charmante Lüge«, sagte Anna. »Ihr seid

schockiert. Ich weiß, daß Ihr von höherem Stande seid, und in diesen
Kreisen tun fast alle immer so verschämt, obwohl sie doch auch nur
Menschen sind, oder?«

Roland wußte nichts darauf zu erwidern.
»Woher wißt Ihr ...?« begann er statt dessen.
»Sebastian erzählte, daß Ihr eine Liebschaft mit einer Comtesse

habt«, sagte sie in ihrer unverblümten Art. »Da liegt doch auf der
Hand, daß Ihr ihresgleichen seid. Comtessen geben sich gewiß nicht
mit irgenwelchen Stallburschen ab.«

Manchmal schon, dachte Roland amüsiert, doch er wollte Anna bei

ihrer einmal gefaßten Meinung nicht widersprechen, und so sagte er
mit einem Lächeln:

»Mich dünkt, Ihr habt nicht nur eine bezaubernde Gestalt, sondern

auch ein helles Köpfchen.«

Das waren die richtigen Worte, die äußerst selten bei den Damen

ihre Wirkung verfehlten.

Anna strahlte. »Ein schönes Kompliment von einem schönen

Schmeichler.« Sie senkte die Lider. »Ist Sie schön, Eure Comtesse?«

»Sie ist nicht meine Comtesse«, erwiderte Roland. »Wir haben uns

nur flüchtig kennengelernt. Außerdem ist sie schon abgereist.«

Da blickte Anna auf, und sie strahlte von neuem.
Sie sahen einander an, und es entstand ein Schweigen, das Roland

irgendwie verlegen machte.

Auch Anna wirkte verlegen. »Nun, sprechen wir über die Preise«,

sagte sie plötzlich ganz geschäftsmäßig. »Fünf Dukaten für ein Bad,
und wenn Ihr besondere Wünsche habt...«

»Zum Beispiel?« hörte Roland sich fragen.
»Zum Beispiel eine Massage zur besseren Gesundheit«, antwortete

Anna, ohne ihn anzusehen. »Das macht drei weitere Dukaten.«

Fünf Dukaten für ein Bad war gewiß ein gesalzener Preis. Da kam

es auf die drei Dukaten auch nicht mehr an.

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»Gemacht«, sagte Roland.
Sie sah ihm lächelnd in die Augen, und ihre Lider flatterten leicht.
»Ich wußte, daß Ihr ein guter Kunde seid. Ihr könnt Euch schon

entkleiden. Ich hole derweil noch einen Eimer heißes Wasser.«

So geschah es. Roland entkleidete sich in Windeseile und stieg in

den Badezuber. Das Wasser war nicht mehr sehr warm und noch bar
jeder Seife. Anna kehrte mit heißem Wasser zurück. Ihre Wangen
röteten sich leicht, als sie in den Zuber blickte. Sie griff ins Wasser,
um die Temperatur zu prüfen. Gewiß war es Zufall, daß ihre Hand
dabei Rolands Oberschenkel berührte, was ein seltsames Prickeln in
Roland weckte.

»Und was hättet Ihr mit dem angerichteten Bade gemacht, wenn

ich nicht gekommen wäre?« fragte er, um sich und Anna abzulenken.

Anna lachte. »Dann hätte ich selbst gebadet oder das Wasser

morgen wieder aufgewärmt.«

Sie brachte ihm Seife, die Bürste und Handtücher.
»Ich werde Eure Sachen saubermachen«, sagte sie und nahm seine

Kleidungsstücke. »Wenn Ihr fertig gebadet habt, so ruft zur
Massage.«

Ein letztes Lächeln, ein funkelnder Blick ihrer haselnußbraunen

Augen, dann schritt sie anmutig in den Nebenraum, und Ritter
Roland war allein.

Er genoß das Bad und fühlte sich anschließend erfrischt und

sauber. Doch ein bißchen Gesundheit konnte nicht schaden. Er freute
sich auf die Massage. Anna hatte zarte, feingliederige Hände...

Er betrachtete das Bild neben dem Spiegel. Schon darauf war Anna

eine atemberaubende Schönheit. Und wenn der Künstler tatsächlich
geschludert hatte, mußte ihr Anblick ja noch überwältigender sein.

Ritter Roland trocknete sich ab. Kurz spielte er mit dem Gedanken,

sich nackt auf das Lager zu legen und der Massage und Anna zu
harren. Doch seltsam - trotz Annas offener Rede sagte ihm sein
Gefühl, daß sie kein Lotterweibchen war und auch ihren Stolz hatte -
vielleicht mehr als manche Comtesse.

Er band das Handtuch um seine Lenden und rief leise nach ihr.

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Nichts tat sich, und er rief etwas lauter.

Dann klappte nebenan eine Tür, und Schritte näherten sich.
Doch das konnte nicht die leichtfüßige Anna sein!
Da stampfte irgendein Riese heran!
Schlagartig war Ritter Roland alarmiert. Eine Falle?
Er sprang zu dem Stuhl neben dem Tisch. Sein Schwert hatte Anna

nicht mitgenommen, wie er aufatmend feststellte. Er ergriff es und
wirbelte zur Tür herum.

Dann stockte ihm der Atem.
Es war kein Riese, sondern eine Riesin. Eine gewaltige Dame, die

sich ducken und förmlich ihre Massen zusammenquetschen mußte,
um überhaupt durch den Türrahmen zu passen.

Roland sah ein rundes Gesicht mit roten Pausbacken und einem

dreifachen Kinn. Himmelblaue Kulleraugen musterten ihn. Der breite
Mund verzog sich zu einem Grinsen. Silberne Ringe baumelten an
den rosigen großen Ohren. Hellblonde Locken umrahmten das Ge-
sicht.

Eine enorme Dame, gut eine Haupteslänge größer als Ritter Roland

und gewiß doppelt so groß in Breite und Tiefe.

Roland mußte unwillkürlich an Hermine denken, die gepanzerte

Gigantin mit dem goldenen Herzen, mit der er nach den Plänen des
rothaarigen Luders Hanne hatte kämpfen müssen.

»Laß den Blödsinn, Jungchen«, sagte die Dame mit tiefer

grollender Stimme, und Roland erkannte die Stimme wieder. Er hatte
geglaubt, es sei Annas Mann gewesen.

»Ich bin Anna«, sagte sie, blieb breitbeinig stehen und stemmte die

enormen Hände in die enormen Hüften. Sie kicherte, als sie Rolands
Miene sah. »Anna die Große - im Gegensatz zu meiner mageren
Nichte Anna. Willkommen in meinem Badehaus.«

Sie stampfte näher und musterte Roland, als wolle sie Maß

nehmen. Unbewußt sah sich der Ritter mit dem Löwenherzen nach
einem Fluchtweg um.

»Anna sagte mir, du seist ein besonders guter und lieber Kunde«,

fuhr Anna die Gewaltige fort und kicherte.

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Wenn jemals jemand grollend kichern konnte, dann diese Dame.

Das Kichern klang, als käme es tief aus ihren gewaltigen Massen.

»Nun leg dich schon hin, auf daß Anna dich gesundknetet«, sagte

sie und wies mit einem enorm dicken Finger auf das Lager neben
dem Badezuber.

»Ich - bin nicht krank«, wandte Roland ein.
Sie nickte, und ihr dreifaches Kinn und ihr zweifacher Busen

wogten heftig.

»So siehst du auch nicht aus. Aber du hast für eine Massage

bezahlt und ...« Sie stutzte. »Hast du überhaupt schon bezahlt?«

»Nein«, sagte Roland. Dann fiel ihm ein, daß Anna, die »Kleine«,

seine Sachen mitgenommen hatte, und er schalt sich den größten
Dummkopf aller Zeiten. Er mußte unter besonders gerissene
Räuberinnen geraten sein! Anna hatte ihn wohl nur abgelenkt und
bediente sich derweil aus seinen Taschen, während das Riesenweib
ihn in die Flucht schlagen oder jedenfalls beschäftigen sollte!
Natürlich würden die beiden bestreiten, ihn ausgenommen zu haben,
und er würde als Gespött von Hohenwarth dastehen, wenn die Sache
bekannt wurde.

Zorn stieg in ihm auf.
Er wollte gerade ein paar harte Worte mit der Riesendame und

ihrer offenbar verkommenen Nichte sprechen, doch da tauchte in der
Tür Anna auf. Sie lächelte und zwinkerte ihm verschwörerisch zu.

»Doch, doch, Tante«, rief sie hastig. »Roland - äh - der Herr hat

bezahlt. Er hat mir seine Kleidung anvertraut, und ich habe den Preis
entnommen. Nichts fehlt...« Wieder dieser verschwörerische Blick.
»Es hat alles seine Ordnung, Anna!«

Anna die Große holte tief Luft, und der gewaltige Busen schien

noch anzuschwellen.

»Er hat dir seine Kleidung anvertraut?« fragt sie mit dröhnender

Stimme. »Und du nennst ihn Roland?« Ihr Blick zuckte von ihrer
Nichte zu Roland. »Dies ist ein anständiges Badehaus!« sagte sie
wütend.

»Jaja«, murmelte Roland.

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Ärgerlich wies Anna die Große mit einem dicken Daumen auf das

Bild. »Diese Sauerei da verschwindet. Kein Wunder, daß die Kerle
auf krumme Gedanken kommen ...«

»Aber es ist doch Kunst ...« wandte Anna die Hübsche ein.
»Papperlapapp.«
»... und die Kunden feilschen nicht lange um den Preis, wenn sie es

sehen«, fuhr Anna fort.

Dieser praktische Einwand schien ihre Tante zu besänftigen. Sie

fixierte Roland mit düsterem Blick.

»Solltest du dir falsche Gedanken gemacht haben ...«
»Gewiß nicht«, beteuerte Roland. Er sah, wie Anna die Hübsche

hastig Zeichen machte, auf das Lager wies und mit den Fingern eine
Massage andeutete.

Anna die Gewaltige blickte zweifelnd. »Nun, ganz geheuer ist mir

die Sache nicht. Ich überlege mir, ob ich die Kunden in Zukunft nicht
selbst begrüßen sollte, damit sie nicht annehmen, die Kleine sei hier
die Chefin. Nun leg dich hin, wenn du nicht mit Hintergedanken
gekommen bist, auf daß ich dich massiere.«

Roland zögerte, dachte an seine Knochen, aber dann sah er den fast

flehenden Blick der schönen Anna und legte mannhaft das Schwert
ab.

Die junge Anna atmete sichtlich auf und zog sich zurück.
Die nächsten zehn Minuten waren dann wie ein Alptraum für

Roland.

Mehrmals spielte der Ritter mit dem Löwenherzen mit dem

Gedanken an Flucht, doch es gab kein Entrinnen aus den knetenden,
hämmernden, walkenden, mitleidlosen Pranken der Riesendame.
Gegen einen Mann hätte sich der Ritter glatt verteidigt, doch einer
Dame gegenüber, noch dazu einer, die offenbar davon überzeugt
war, etwas Gutes zu tun, schickte sich das nicht.

Roland glaubte, sie wollte ihm sämtliche Knochen aus dem Körper

auslösen und seine Muskeln und das Gewebe zermantschen.

Mannhaft kämpfte er den Wunsch nieder, um Gnade zu flehen, und

die Schamröte schoß ihm ins Gesicht bei dem Gedanken, daß ihn

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König Artus oder die Ritter der Tafelrunde in dieser hilflosen
Situation sehen könnten.

Er schloß die Augen, als Anna die Gewaltige ihm in ihrer

Begeisterung das Tuch von den Lenden riß und ihre Pranken auf
seine Hüften eintrommelten und sein Gesäß bearbeiteten, daß ihm
Hören und Sehen verging.

Irgendwann ließ sie dann von ihm ab. Ein letzter, fast sanfter Klaps

auf seine linke Pobacke, der vermutlich einen Pfosten in den Boden
gerammt hätte, wenn einer da gewesen wäre, und dann richtete sich
die Riesendame auf und sagte zufrieden: »Das war's, junger Freund.
Übrigens hast du eine bemerkenswerte Muskulatur, die kaum einer
Massage bedurfte. Solltest du einmal wirklich verkrampft sein,
werde ich dich richtig durchkneten. Doch diesmal war nur eine sanfte
Streichelmassage angezeigt. Empfiehl- mich weiter und beehre mich
bald wieder.«

Damit stampfte sie davon.
Roland blieb wie erschlagen liegen. Er betastete seinen Körper. Es

schien noch alles drin und dran zu sein. Und seltsam, nachdem sein
Angstschweiß getrocknet war und sich sein Puls normalisiert hatte,
fühlte er sich erstaunlich entspannt und trotzdem frisch. Sollte diese
Riesendame tatsächlich eine »Gesundkneterin« sein?

Sie brachte ihm dann seine Kleidungsstücke. Alles war

ausgebürstet und duftete statt nach Mist nach Jasmin. Sogar die
Stiefel waren geputzt.

Gern hätte Roland der schönen Anna gedankt, doch sie ließ sich

nicht mehr blicken.

Das Geld war abzüglich der acht Dukaten vollzählig in seinen

Taschen. Dazu fand Roland einen Zettel. Er entzifferte später auf
seinem Zimmer die zierlichen Buchstaben darauf.

Roland, verzeiht mir, wenn ich falsche Hoffnungen bei Euch

weckte. Wie gerne hätte ich Euch selbst bedient - nicht als Kunden
und um des Geldes willen - so eine bin ich nicht. Doch Tante wacht
wie ein Luchs über mich. Sehe ich Euch wieder? Anna II, die auf
Euch warten wird.

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*

Vögel begrüßten zwitschernd den neuen Tag. Die Sonne lugte über
die Tannen auf dem Hügel im Osten und färbte das zarte Gespinst
des Morgennebels mit rötlichem Schimmer. Tau glänzte auf Gräsern
und Büschen. Eine Eichhörnchen-Familie hielt beim Frühstück inne
und spähte zu den beiden Menschen, die sich über den Waldweg
näherten.

»Papa, was sind das für komische Leute?« fragte der kleine

Eichhorn-Sohn.

»Irgendwelche menschlichen Strolche«, brummelte das Oberhaupt

der Eichhorn-Familie verächtlich. »Iß weiter, damit du groß und
kräftig wirst wie dein Vater.«

Die menschlichen Strolche waren Louis und Pierre.
Sie wirkten in der Tat wenig vertrauenerweckend. Sie trugen die

zerlumpten Klamotten, die von den Räubern zurückgelassen worden
waren.

Louis war nur mit seinem Unterhemd, einer löchrigen Hose und

einem Schlapphut bekleidet, den er auf dem Weg in einer
Schäferhütte gefunden hatte. Pierre trug einen von Motten
zerfressenen Wams, eine schmutzstarrende, geflickte Hose und
Schnürschuhe, aus denen die Zehen lugten.

»Ich hab Hunger«, sagte Pierre bekümmert. »Bist du sicher, daß

das der richtige Weg nach Hohenwarth ist?«

»Sicher! Sicher!« erwiderte Louis gereizt. »Du hast doch gehört,

was die Kutscher sagten. Bis zur Weggabelung im Süden und dann
immer der Nase nach.«

»Vielleicht hätten wir bei ihnen bleiben und warten sollen, bis

jemand vorbeikommt«, murmelte Pierre.

Louis stieß sich den nackten dicken Zeh an einem scharfkantigen

Stein und fluchte.

»Da hätten wir lange warten können. Und inzwischen wartet der

Ritter auf uns. Verdammt, warum haben wir keinen Bauernhof
gefunden oder einen Ort, in dem wir uns Rösser beschaffen

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könnten?«

»Womit?« wandte Pierre bedrückt ein. »Ohne Geld gibt uns keiner

einen Kanten Brot.«

Sein Magen knurrte wie zur Bestätigung-»Du denkst immer nur

ans Fressen«, bemerkte Louis ärgerlich.

Gegen Mittag sahen sie eine Kate. Sie schritten schneller aus, doch

ihre Hoffnung, ein Essen zu bekommen, erfüllte sich nicht. Die
baufällige Kate war verlassen. Louis fand Zündhölzer und einen
Kerzenstummel, doch nichts Eßbares.

»Der nächste Ort kann nicht mehr weit sein«, murmelte er.
Doch er sollte sich täuschen. Am Nachmittag erreichten sie den

Weißen Regen. Sie kühlten ihre wunden Füße im klaren Fluß, und
Louis kam auf die Idee, eine Mahlzeit zu angeln.

Eine Weidenrute war schnell abgebrochen, und Louis benutzte die

Kordel, die dem Räuber als Gürtel gedient hatte, als Angelschnur.

Pierre suchte derweil einen Regenwurm. Es dauerte eine Zeitlang,

bis er einen ausgegraben hatte. Der Wurm krümmte sich und schien
förmlich zusammenzuschrumpfen.

Mißmutig starrte Pierre auf den kleinen Wurm.
»Wenn ich Fisch wäre, würde ich ihn aus Mitleid verschonen«,

murmelte er.

»Deine Tierliebe geht zu weit«, knurrte Louis. Er nahm Pierre den

Wurm ab und betrachtete ihn.

»Wirklich ein mickriges Ding. Na ja, vielleicht sind die Fische

nicht so verwöhnt.«

Gnadenlos spießte er den Wurm auf den Holzpsan, den er am Ende

der Kordel festgebunden hatte.

Dann watete Louis in den Fluß und warf die provisorische Angel

aus. Der Wurm zuckte und wand sich auf dem Spieß, als ahne er,
was auf ihn zukommen würde.

Doch er fand recht gnädige Fische. Vermutlich wurde sein Flehen

erhört. Oder er war nicht appetitlich genug. Kein Fisch biß an.

Nach einer halben Stunde verlor Louis die Geduld und schmetterte

die Angel mit einem Fluch ins Wasser.

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Pierre übernahm sie, vom Hunger getrieben. Er sah einen

huschenden Schatten im klaren Wasser und hielt lockend den Köder
hin.

»Nun beiß, nun beiß!«
Tatsächlich begann sich der Fisch - Pierre konnte nicht genau

erkennen, was für eine Art es war - für die Mahlzeit zu interessieren.

Pierre frohlockte und glaubte schon den Duft gebratener Forelle zu

riechen.

»Er beißt an!« raunte er Louis zu, der mit grimmiger Miene am

Ufer hockte und lustlos Pierres Bemühungen zuschaute.

»Was ist es?« rief Louis leise.
»Ein Riesending«, behauptete Pierre. »Schon fast ein kleiner Wal.

Hei, das wird ein Mahl!«

Ähnliches sagte sich der Fisch in diesem Augenblick auch.

Schwups biß er zu. Es gab nur einen kurzen Ruck an der Angel, dann
sah Pierre den Fisch flossenwedelnd unter einen Stein davongleiten.

Pierre zog die Angel aus dem Wasser. Der Wurm war weg.
Der Knappe setzte gerade zu einem längeren Fluch an, als Louis

ihn unterbrach.

»Eine Kutsche«, rief er, spähte nach Südosten und sprang auf.
Pierre ließ die Angel ins Wasser fallen und eilte ans Ufer. Ein

wenig zu eilig, denn er rutschte auf einem glitschigen Kiesel aus und
plumpste ins Wasser.

Louis wollte zwischen den Pappeln und Weiden am Flußufer

hervor der Kutsche entgegenlaufen. Die gürtellose Hose rutschte
herunter, und er hielt sie fluchend mit einer Hand fest. Plötzlich
verharrte er.

»Was ist?« fragte er nasse Pierre atemlos, als er heran war und

Louis' angespannte Haltung sah.

»Sieh dir das an!« Louis nickte zum breiten Fahrweg hin, der auf

einer Seite von Pappeln und auf der anderen von Brombeer- oder
Himbeersträuchern gesäumt war.

Pierre spähte zwischen den Bäumen am Flußufer hervor, und sein

Mund klaffte auf.

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Vor ihren Augen wurde die Kutsche überfallen!
Die Fuhrpferde des Gespanns brachen von Pfeilen getroffen

zusammen. Dann sprangen hinter den Büschen am Wegesrand wilde
Gesellen hervor, schwangen Keulen und Schwerter und liefen auf die
Kutsche zu, die in einer Staubwolke stehenblieb. Die Kutscher
reckten die Hände hoch.

»Ob das dieselben Kerle sind, die uns überfallen haben?« flüsterte

Pierre angespannt.

»Möglich«, brummte Louis. »Läuft jedenfalls nach dem gleichen

Schema ab. Da! Da ist der Fatzke in der vornehmen Kleidung.
Gerold. Und der eine trägt meine Hose! Es sind dieselben
Haderlumpen!«

»Wenn wir Rösser hätten, könnten wir sie verfolgen und ...« Pierre

verstummte unvermittelt, und seine Augen weiteten sich.

Aus der Kutsche sprang eine Gestalt. Unverkennbar eine Frau mit

wohlgeformter Figur. Sie trug ein langes schwarzes Kleid. Es war am
Saum und am Dekolleté mit weißer Spitze besetzt. Das Oberteil war
eng wie ein Mieder gearbeitet, und bei den Hüften fiel das Kleid
glockenförmig ab.

Die langen schwarzen Haare der Frau flogen. Und sie schwang ein

Schwert!

Furchtlos sprang sie dem Anführer entgegen.
Der Kerl riß sein Schwert hoch, um den Hieb zu parieren, doch er

war wohl von dieser Attacke zu überrascht und reagierte nicht
schnell genug.

Die Frau fegte ihm das Schwert aus der Hand und streckte ihn mit

einem schnellen, fast ansatzlosen Hieb aus dem Handgelenk zu
Boden!

Schon wirbelte sie zu einem der anderen Räuber herum.
Der Bursche vergaß vor Verblüffung, seine Keule zu benutzen.

Bevor er wußte, wie ihm geschah, traf ihn die Klinge in die Schulter,
und brüllend ließ er seine Keule los und brach zusammen.

Die Frau zog ihr Schwert zurück. Die Klinge blitzte im Schein der

Sonne.

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Ihre Bewegungen waren geschmeidig, fast katzenhaft, und sie

handhabte das Schwert mit einer unglaublichen Gewandtheit.

So hatten die Knappen noch nie eine Frau mit dem Schwert

kämpfen sehen. Ihre Kampftechnik war ja der eines Ritters
ebenbürtig!

Wie gebannt beobachteten die Knappen.
Ein Pfeil klatschte neben der Frau in den Boden. Sie fuhr herum,

entdeckte den Bogenschützen zwischen den Pappeln am Wegesrand
und sprang hinter der Kutsche in Deckung.

Sie schrie den Kutschern etwas zu.
Die Knappen sahen, wie die beiden Männer vom Kutschbock

herabsprangen. Einer ergriff das Schwert des Anführers, das am
Boden lag. Der Anführer kam zu sich und wollte den Kutscher
anspringen. Der Kutscher stieß ihm das Schwert in die Brust.

Und die Frau stürmte wie ein Racheengel auf einen weiteren

Räuber zu. Der Kerl warf sich herum und ergriff die Flucht.

Die Frau raffte mit der Linken ihr Kleid und hetzte hinter ihm her,

mit fliegenden Haaren und blitzendem Schwert.

Der Bogenschütze gab jetzt ebenfalls Fersengeld.
Einer der Kutscher machte den Räuber nieder, der von dem

Schwert der Frau in die Schulter getroffen worden war, aber mit der
Linken sein Messer auf sie schleudern wollte.

»Wird Zeit, daß wir was unternehmen«, brummte Louis.
»Aber sie hat doch schon alles im Griff«, sagte Pierre mit

unverhohlener Bewunderung.

Louis nickte. »Ein Teufelsweib. Aber gewiß macht es einen guten

Eindruck, wenn wir so tun, als wollten wir sie retten. Los!«

Damit rannte er wild brüllend zum Fahrweg auf die Kutsche zu, als

gelte es, eine Horde Hunnen zu vertreiben. Pierre folgte ihm und
stimmte in das Gebrüll mit ein.

Der flüchtende Räuber warf mit der Keule nach der Verfolgerin.
Die Frau duckte sich geistesgegenwärtig, stolperte über ihren

Kleidsaum und stürzte. Der Räuber hetzte davon.

Die Frau raffte ihr Kleid, erhob sich und lief zur Kutsche zurück.

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Sie blickte Louis und Pierre entgegen und verharrte.

Louis hatte die Kutsche fast erreicht und stellte das Schaugebrüll

ein. Einer der Kutscher raffte eine Keule vom Boden und stürmte auf
Louis zu. Der andere riß das Schwert hoch.

Louis blieb stehen, als sei er gegen ein unsichtbares Hindernis

geprallt. »Verdammt, wir wollen helfen ...«

Doch der Kutscher schlug wütend mit der Keule zu. Louis riß im

Reflex den Kopf zur Seite. Aber die Keule streifte ihn noch an der
Schulter, und der Knappe hatte das Gefühl, der Hieb hätte ihm den
Arm abgetrennt.

Jetzt sah Louis rot. Der ehemalige Räuberhauptmann ignorierte die

wieder zum Schlag erhobene Keule. Er vergaß, mit einer Hand die
Hose festzuhalten, die ihm bis auf die Knie gerutscht war, und es
interessierte ihn in dieser Situation auch nicht, daß die Frau mit
großen Augen auf seine Unterhose starrte.

Louis packte den Kutscher am Wams, fing das Handgelenk mit der

Keule ab und schleuderte den Mann gegen seinen Partner, der gerade
sein Schwert vorstieß, um Pierre anzugreifen. Die Schwertspitze
bohrte sich in den Hintern des Kutschers, und der Mann brüllte wie
am Spieß.

Beide gingen zu Boden. Louis zog die Hose hoch und atmete auf.

Doch zu früh. Die Dame sprang heran wie eine angreifende
Raubkatze. Ihre grünen Augen schienen Funken zu sprühen, und ihre
roten Lippen waren aufeinandergepreßt.

Wild und verwegen stürmte sie auf den schwarzbärtigen Knappen

zu, der einen Kopf größer und ihr körperlich weit überlegen, doch
eben waffenlos war.

Die schöne Frau mit ihren geschmeidigen Bewegungen bot einen

erregenden Anblick, doch Louis konnte ihn nicht so recht genießen.

Er wich zurück.
»Laßt Euch erklären ...«
Sie war offenbar keine Frau der vielen Worte. Ohne eine Antwort

zu geben, schlug sie aus der Drehung heraus Pierre nieder, der wie
angewurzelt dastand und sie offenen Mundes anstarrte. Dann wir-

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belte sie schon zu Louis herum, und dabei stieß sei einen Laut aus,
der tatsächlich wie das Fauchen einer Katze klang.

Louis sah die Schwertklinge aufblitzen.
»So hört doch ...«
Er sprang zurück, strauchelte über eine Keule und landete auf dem

Rücken.

Im nächsten Augenblick stand die Frau über ihm und hielt ihm das

Schwert an die Kehle. Ihr straffer Busen hob und senkte sich unter
heftigen Atemzügen.

»Ergib dich, du Lump, oder du bist des Todes!« keuchte sie, und

ihre grünen Augen schienen Funken zu sprühen.

»Wir gehören nicht zu den Räubern, wenn Ihr das meint«, sagte

Louis mit heiserer Stimme. »Wir sahen vom Fluß aus, wie Ihr
überfallen wurdet und wollten helfen.«

Sie musterte ihn fast angewidert, wie Louis fand, und er genierte

sich ob seiner zerlumpten Hose und seiner hilflosen Lage vor den
Füßen dieser schönen Frau.

Er sah den Zweifel in ihrem Blick und fügte schnell hinzu: »Wir

wurden selbst überfallen, schöne Dame, und ich kann verstehen, daß
Ihr uns in dieser verkommenen Kleidung für Räuber hieltet.«

Sie entspannte sich etwas und lächelte kaum merklich, als er

»schöne Dame« sagte.

Louis setzte nach.
»Wir sind die Knappen eines ruhmreichen Ritters, und wir wollten

Euch zu Hilfe kommen.«

»Ich kam schon allein zurecht mit diesem feigen Gesindel«, sagte

sie, und ihre sinnlich geschwungenen Lippen verzogen sich zu einem
spöttischen Lächeln.

»Ihr habt bewundernswert gekämpft, schöne Dame«, sagte Louis.

»Um ehrlich zu sein, nie sah ich eine Dame mit zarter Hand so
gekonnt das Schwert schwingen.«

»Das habe ich in Burgund gelernt«, erwiderte sie, und es klang

sehr stolz. Sie zog ihr Schwert zurück und musterte ihn prüfend.
»Die Knappen eines Ritters, behauptest du ...«

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»Ein verdammter Hundsfott!« rief der Kutscher, der sich mit

schmerzverzerrtem Gesicht sein Gesäß hielt. Natürlich hatte sein
Gefährte längst die Schwertspitze aus der Backe gezogen. Gottlob
war der Stich nicht tief.

Louis bedachte ihn mit einem grimmigen Blick und verneigte sich

dann. Es war eine etwas linkische Verbeugung, aber er lag ja immer
noch der Dame zu Füßen, die zwar das Schwert von seiner Kehle
fortgezogen hatte, es jedoch immer noch erhoben hielt, als wollte sie
jederzeit zum Schlag bereit sein.

»Mein Name ist Louis, mein Gefährte heißt Pierre, und wir sind

die Knappen eines Ritters, der in Hohenwarth auf uns wartet.«

»Hundsfott!« giftete der Mann mit dem lädierten Hintern.
»Wir bitten Euch, uns bis zum nächsten Ort...« fuhr Louis fort,

doch die schöne Frau unterbrach ihn.

»Sag nur, ihr seid die Knappen von Ritter Roland?«
Louis war verdutzt. Er hatte absichtlich Rolands Namen nicht

genannt. Roland gab sich bei seinen Ermittlungen nicht als Ritter
aus. Die Räuber sollten nicht gewarnt werden ...

»Woher wißt ihr ...?« entfuhr es Louis.
Die wehrhafte Dame, die so meisterhaft den Schwertkampf in

Burgund gelernt hatte, lächelte. Ihre grünen Augen funkelten
belustigt.

»Ich lernte euren Ritter in Hohenwarth kennen«, sagte sie und ließ

das Schwert sinken. »Allerdings sprach Roland nicht von Knappen,
sondern von Freunden, die auf dem Weg nach Hohenwarth seien und
auf die er warte.«

»Aber woher wißt Ihr dann, daß er ein Ritter ist?« fragte Louis

verwundert. »Hat er das gesagt?«

Sie strich mit der Linken eine Strähne des glänzenden schwarzen

Haares aus der Stirn.

»Nein - doch ich - sah ihn mal bei Hofe.«
Sie nagte an der Unterlippe und schien zu überlegen.
Pierre rappelte sich auf und tastete stöhnend an seinen Kopf.
»Laßt Euch nicht einwickeln, Comtesse Terciere«, hetzte der

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Kutscher. »Glaubt diesen Lügnern kein Wort. Gewiß haben sie alles
nur erfunden, als sie merkten, daß ihre Kumpane verspielt hatten.«

Elisabeth Terciere schüttelte den Kopf. »Ich weiß, daß sie die

Wahrheit sagen«, erklärte sie bestimmt. »Wie der Zufall so spielt!
Ich überlegte schon, wie ich Roland wiedersehen ...«

Sie verstummte, nagte wiederum an der Unterlippe und blickte von

Pierre zu Louis. Sie schien zu überlegen.

»Nun, ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn ihr beide mich

nach Hohenwarth zurück begleitet«, sagte sie schließlich. »In diesen
gefährlichen Zeiten kann eine Dame männlichen Schutz
gebrauchen.«

Ihr Lächeln war für Louis blanker Hohn.
»Wir wären für Euren Schutz dankbar, schöne Dame«, erwiderte er

und zeigte grinsend seine kräftigen weißen Zähne im schwarzen
Bart.

*

Meinhardt Ebermann schob einen Ast in das kleine Feuer. Funken
stoben zur hohen Decke der großen Höhle auf.

Der rötliche Schein des Feuers geisterte über Meinhardts Gesicht.

Es war ein wüstes Gesicht mit schwarzen, stechend blickenden
Augen unter buschigen Augenbrauen, die über der breiten, mehrmals
gebrochenen Nase zusammengewachsen waren, ein Gesicht mit
wulstigen Lippen und einem kantig vorspringenden Kinn. Die Haut
war großporig und von Pusteln übersät. Sie glänzte fettig. Meinhardt
rieb ständig die Salbe ein, die ihm ein Quacksalber aufgeschwatzt
hatte, doch bisher hatte sie nicht gegen Pickel, Pusteln und Mitesser
geholfen.

Meinhardt hatte dreierlei Haarfarben - viererlei genauer gesagt.

Das Haupthaar, das sich um einen kahlen Fleck auf dem gewaltigen
Schädel zu lichten begann, war rötlichblond. Die breiten Koteletten,
die bis zu den Mundwinkeln reichten, begannen wie das Haupthaar
rötlichblond und wurden zu den Enden hin dunkler bis zu einem

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tiefen Rostbraun. Die Augenbrauen waren schneeweiß.

Die vierte Farbe war von einem leuchtenden Kupferton, doch die

kannten nur wenige - zum Beispiel Hildegard, die er sich als
derzeitige Geliebte hielt.

Meinhardt war von stämmiger Statur, breitschultrig, groß und

bärenstark. Kein schöner Mann, doch ein imponierendes Mannsbild
voller Saft und Kraft, wie Hildegard fand.

Er trug ein leichtes Kettenhemd, ein Beutestück seiner Räuber, und

eine engsitzende Reithose, die ein Graf bei einer Jagd getragen hatte,
bevor ihn Meinhardts Räuber aus dem Hinterhalt ermordet hatten.

An dem breiten, mit Silber beschlagenen Ledergurt hing ein

Schlachterbeil in einer Schlaufe. Meinhardt war mal Schlächter
gewesen, bis er im Jähzorn statt eines Ochsen den stets meckernden
Meister getötet hatte. Seither lebte er ständig auf der Flucht. Der
Schlächter wurde wegen Mordes gesucht, und er lebte mit seiner
kleinen Räuberschar von den Beutezügen rings um den Schwarz-
riegel, vornehmlich von Überfällen auf Reisende.

Es war das Hackebeil, auf das die Räuber Achim und Theo

furchtsam starrten, als sie ihrem Anführer berichteten.

Meinhardt war in seinem schnell geweckten Zorn fähig, einem den

Schädel zu spalten, wenn etwas nicht nach seinen Plänen ablief.

»Wir konnten wirklich nichts tun«, beteuerte Achim, der

Bogenschütze. »Das war ein Teufelsweib. Gerold ist -äh - war der
beste Schwertkämpfer, den wir je hatten - äh außer dir natürlich -,
doch er hatte nicht die geringste Chance.«

»Dummsack!« blaffte Meinhardt und legte die Hand auf den Stiel

des Schlachterbeils. »Dieses Weib hat wohl einen Zufallstreffer
gelandet.«

Achim, der Bogenschütze schluckte. »Nein, Theo kann es

bezeugen. Sie hat ihn niedergekämpft wie der kampfstärkste Mann.«

Er warf Theo einen um Unterstützung heischenden Blick zu.
Theo nickte heftig. »Sowas hab' ich noch nicht gesehen. Sie muß

den Teufel im Leib haben.«

»Das kann man exorzieren«, brummte Meinhardt.

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Er sah die verständnislosen Blicke seiner beiden Männer und

grinste. »Ihr Heiden wißt natürlich nicht, was das ist. Ich will es euch
erklären. Wenn eine den Teufel im Leib hat, dann nimmt man sie auf
Teufel komm raus.«

Achim und Theo grinsten nun ebenfalls.
Doch Meinhardts überraschend gute Stimmung war schnell wieder

dahin. Eine Weile starrte er finster ins Feuer, und Achim und Theo
blickten von Zeit zu Zeit besorgt zu dem Schlachterbeil an
Meinhardts Hüfte.

Meinhardt bohrte in der Nase, betrachtete interessiert seinen Fund

und schnippte ihn ins Feuer.

Dann faßte er seine beiden Mannen ins Auge.
»Mich dünkt, ihr wollt mir einen Bären aufbinden. Eine Frau, die

mit vieren von euch fertig wird und besser mit dem Schwerte kämpft
als Gerold! Daß ich nicht lache!« Und er schickte ein kräftiges »Ha!«
hinterher.

»Aber es ist die Wahrheit«, sagten Achim und Theo wie aus einem

Munde.

Der Blick der schwarzen Augen schien sie zu durchbohren.

Obwohl es in der Höhle beim Feuer warm war, fröstelten die beiden.

Meinhardt kratzte sich am Kinn. Er wirkte unschlüssig.
»War sie hübsch?« fragte er.
»Und wie!« schwärmte Achim. »Ein Vollblutweib. Alles Drum

und Dran.« Er modellierte mit den Händen einen Frauenkörper, und
Theo grinste dazu bestätigend.

Eine steile Falte bildete sich auf Meinhardts Stirn, und die

buschigen weißen Augenbrauen schienen noch mehr
zusammenzuwachsen.

»Das ist es!« knurrte er. »Sie hat euch mit ihrem Aussehen

scharfgemacht! Da habt ihr nur geglotzt und das Kämpfen vergessen!
Ich sollte euch ...«

Unbewußt wichen die beiden einen Schritt zurück, aus der

Reichweite des Schlachterbeils.

»Aber Gerold doch nicht!« sagte Achim schnell.

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Meinhardt zog die Hand vom Schlachterbeil. Er kratzte sich wieder

am Kinn, wo ihn ein Pustelchen juckte. Dann verzogen sich die
wulstigen Lippen zu einem Grinsen.

»Da ist was dran«, gab er zu. »Gerold hat sich noch nie was aus

Weibern gemacht.«

»Sie hat ihn in Grund und Boden gekämpft!« bekräftigte Achim.
»So was hab' ich noch nicht gesehen«, sagte Theo.
»Du wiederholst dich!« knurrte Meinhardt.
Finster starrte er in das Feuer und nagte an der Unterlippe.
»Ein Weib, das schön ist und auch noch was kann -«, er schüttelte

den Kopf, »- so was ist mir noch nicht untergekommen.«

Er blickte auf. »Dieses Frauenzimmer interessiert mich fürwahr,

sollte es so etwas tatsächlich geben.«

»Und Hilde ...?« entfuhr es Achim, und er verstummte sofort und

hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen.

Zum Glück erwies sich Meinhardt in gnädiger Stimmung. Sonst

konnte er fuchsteufelswild werden, wenn man den Namen auch nur
in den Mund nahm.

»Hilde!« sagte er und winkte mit einer Grimasse ab. »Gewiß, sie

sieht ganz annehmbar aus, aber die kann nicht mal bis drei zählen.
Die tut doch nur, was man ihr lang und breit erklärt, und dann schläft
sie noch dabei ein. Stellt euch vor, Hilde mit einem Schwert in der
Hand! Die kann ja nicht mal Käse mit einer Säge schneiden!«

Er lachte dröhnend, daß es durch die Höhle und die Nebengänge

hallte.

Achim und Theo hüteten sich, zu lachen. Oft genug sprach

Meinhardt abfällig über seine Hildegard, doch er konnte wütend
werden, wenn man ihm dann beipflichtete. Trotz allem mußte
Hildegard über irgendwelche Qualitäten verfügen, denn sie hielt sich
bisher am längsten - schon drei Monate teilte sie mit ihm das Lager.
Die anderen hatte er meistens nach drei Wochen durch eine Neue
ersetzt.

Meinhardt blickte sie durchdringend an, als wollte er ihre

Gedanken erraten.

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»Wenn ihr die Wahrheit gesagt habt, dann muß das wirklich ein

Teufelsweib sein«, sagte er nachdenklich und winkte ab, als die
beiden zu einer Beteuerung ansetzten. »Und solche Weiber interes-
sieren mich. Nun denn, schafft mir diese Wunderfrau heran. Hilde
langweilt mich seit langem. Vielleicht überlasse ich sie euch, wenn
ihr mir diese Traumfrau zu Füßen legt.«

Achim und Theo blinzelten erfreut. Ihnen machte es nichts aus,

daß Hildegard nicht bis drei zählen konnte.

Meinhardt grinste. »Nach allem, was ihr berichtet habt, müßte es

eine gar herrliche Herausforderung sein, ein solches Weib zu
zähmen«, fuhr er fort. »Ja, ich will sie hier haben. Und zwar schnell.
Hört zu, wie ich mir die Sache denke ...»Achim und Theo hörten zu.
Doch sie waren nicht die einzigen, die lauschten. Hildegard hörte
alles mit, und heißer Zorn tobte in ihr. Sie konnte weder lesen noch
schreiben, doch sie war nicht so dumm, wie Meinhardt dachte. Und
bis drei konnte sie allemal zählen: Eins: Meinhardt war ihrer
überdrüssig. Zwei: Er wollte eine andere, die angeblich besser war!
Pah - nur weil sie mit dem Schwert kämpfen konnte! Meinhardt hatte
es noch nie nach einem Schwertkampf gelüstet, wenn er sie auf sein
Lager gezerrt hatte! Drei: Die Nebenbuhlerin mußte verschwinden.
Sie, Hildegard, mußte verhindern, daß Meinhardt die andere nahm
und sie seinen miesen Kerlen überließ, diesen Habenichtsen, die ihr
nicht mal das Salz in der Suppe bieten konnten. Ihr Platz war an der
Seite des Herrn, dort war- ihr Brot mit Schmalz gestrichen. Bei den
anderen würde sie mit Krümeln vorlieb nehmen müssen - ohne
Schmalz. Sie war entschlossen, mit allen Mitteln zu verhindern, daß
jemand ihr ihren Platz streitig machte.

*

Roland lächelte. »Du bist in der Zwischenzeit noch schöner

geworden«, sagte er zu Elisabeth Terciere.

Am späten Abend war sie mit den Knappen in Hohenwarth

eingetroffen.

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Elisabeth lachte. »Du bist ein Schmeichler, Roland. Genau wie

dein schwarzbärtiger Knappe, der mich auf der Fahrt mit
Komplimenten überhäufte.«

»Ja, Louis und Pierre berichteten mir, du hättest bei dem Überfall

tollkühn gekämpft wie der beste Ritter.«

Ihre grünen Augen funkelten. »Es war nur Glück. Gewiß, ich habe

den Schwertkampf in Burgund gelernt, und ich hatte einen
gestrengen Lehrmeister.« Ein herber Zug war plötzlich um ihren
Mund, und sie wich seinem Blick aus.

»Gewiß ein Meister des Schwertes«, sagte Roland.
»Ja«, sagte sie mit bitterer Stimme. »Er war ein Meister - in jeder

Hinsicht. Aber sprechen wir nicht mehr davon.«

Sie lächelte, und Roland spürte, daß es ein gezwungenes Lächeln

war.

»Doch ich hätte niemals gegen diese vier Räuber bestehen können,

wenn mir die Kutscher nicht geholfen hätten. Außerdem«, ein kurzes
Auf und Ab der langen schwarzen Wimpern, »hatte ich zwei Knöpfe
meines Kleides geöffnet, weil mir in der Kutsche so heiß war, und
die Kerle starrten, daß ihnen fast die Augen aus dem Kopf fielen.
Man muß halt als Frau manchmal alle Waffen einsetzen.«

Roland blickte ihr in den Ausschnitt und dann tief in die Augen

und sagte:

»Damit bist du unschlagbar.«
Sie lachte leise. »Nein, nein, ich bin nur eine schwache Frau. Ich -

wäre dir so dankbar, wenn du mich zur Burg Blaibach begleiten
würdest. Ich habe solche Angst. Der Schreck sitzt mir noch in allen
Gliedern.«

Sie sah ihm wieder in die Augen, und es wurde ihm heiß unter

ihrem Blick.

»Begleitest du mich?« fragte sie und streichelte über seinen

Handrücken.

Roland überlegte schnell. Eigentlich mußte er an den Auftrag von

König Artus denken. Er hatte vorgehabt, sich am nächsten Morgen
mit den Knappen zum Ort der beiden Überfälle zu begeben und nach

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Spuren zu suchen. Doch es widerstrebte ihm, Elisabeths Wunsch
abzuschlagen. Ihr lockendes Lächeln versprach ihm, wie dankbar sie
ihm sein würde. Er freute sich auf die Stunden mit ihr. Was machte
es schon, wenn Louis und Pierre erst einmal allein ermittelten?
Vielleicht konnte er sogar mehr erreichen, wenn er Elisabeth be-
gleitete. Schon zweimal war sie in Überfälle verwickelt gewesen.
Vielleicht versuchten es die Räuber ein drittes Mal.

»Oder hast du Wichtigeres zu erledigen?« fragte sie, und Roland

entging nicht, daß ihre Miene auf einmal angespannt wirkte.
»Vielleicht einen Auftrag von Camelot?«

Roland bemühte sich um eine ausdruckslose Miene. Es genügte

schon, daß sie wußte, wer er war, weil sie ihn irgendwann einmal bei
Hofe gesehen hatte, wie die Knappen erzählt hatten. Es wunderte ihn,
daß er sich nicht an sie erinnern konnte. Eine solch atemberaubende
Frau hätte ihm doch in Erinnerung bleiben müssen. Gewiß hatte man
versäumt, sie einander vorzustellen.

Kurz war er versucht, seinen Auftrag anzudeuten, doch dann

widerstand er dem Impuls. Niemand sollte etwas von seiner Misson
wissen. Möglicherweise hatten die Wände in der Herberge Ohren,
und wenn sich erst herumsprach, weshalb er sich in dieser Gegend
herumtrieb, konnten die Räuber gewarnt werden und sich aus diesem
Gebiet zurückziehen oder ihm und den Knappen einen
Meuchelmörder auf den Hals schicken.

Er hatte sich Elisabeth gegenüber als Reisender ausgegeben, und

sie hatte keinerlei Fragen gestellt. Die ganze Zeit über hatte sie
gewußt, wer er in Wirklichkeit war, aber kein Sterbenswörtchen
gesagt. Warum eigentlich nicht?

Die Tochter des Wirtes Sebastian, die dralle Gudrun - kam an den

Tisch, räumte das Geschirr ab und fragte, ob sie noch Wünsche
hatten, und Roland wurde aus seinen Gedanken gerissen.

»Noch Wein, die Herrschaften?« fragte Gudrun.
Roland wollte schon bestellen, doch Elisabeth schüttelte den Kopf.
»Ich bin müde«, sagte sie zu Roland, und ihr Lächeln ließ sein

Herz schneller schlagen. Er hielt es für vielversprechend.

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Als Gudrun gegangen war, wiederholte Elisabeth im Flüsterton

ihre Frage: »Bist du vielleicht in einem Auftrag des Königs
unterwegs, Roland?«

Roland zwang sich zu einem Lachen. »Aber nein. Ich wollte nur

einen Freund in Waffenbrunn besuchen ...»Elisabeths Miene hellte
sich auf. Sie drückte seine Hand. »Wie fein. Dann hast du gewiß
Zeit, mich zu begleiten.«

»Natürlich«, hörte sich Roland sagen.
Sie lächelte, und in diesem Augenblick wirkte sie wie eine

zufriedene Katze.

»Schön«, sagte sie, und ihre Stimme klang wieder wie in der Nacht

in ihrer Kammer, als sie ihm Liebesworte ins Ohr geschnurrt hatte.
»Dann fahren wir morgen früh los.« Sie drückte kurz seine Hand und
erhob sich.

Voller Vorfreude stand auch Ritter Roland auf, um sie zu

begleiten.

Sie schüttelte leicht den Kopf. »Danke, ich gehe allein. »Ich - bin

wirklich müde, Roland. Gute Nacht.«

»Gewiß - Gute Nacht.« Er versuchte seine Enttäuschung zu

verbergen. Er kam sich ein bißchen dumm vor, als sie geschmeidig
und anmutig davonschritt. Sie drehte sich nicht mal mehr um.

Welch atemberaubende Frau!
Roland fühlte sich noch gar nicht müde. Bekümmert blieb er am

Tisch sitzen. Ob er an Elisabeths Kammer anklopfen sollte? Eine
innere Stimme sagte ihm, daß ihre Worte endgültig geklungen hatten.
Oder wollte sie nur, daß er sie umwarb? War es ihr zu billig, ihn
einfach mit ins Bett zu nehmen?

Der Gedanke weckte neue Hoffnung in ihm. Sie war eine schöne,

stolze Frau, und sie erwartete vielleicht, daß er Himmel und Hölle in
Bewegung setzte, um ihr Herz und den Rest zu erobern.

Er wartete noch einen Augenblick. Dann verließ er den Gastraum

und ging zu ihrer Kammer.

Er klopfte leise an.
»Ja?«

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»Ich bin's - Roland.«
Stille.
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis Elisabeth antwortete.
»Verzeih mir, Roland, aber ich bin wirklich müde. Bitte geh. Sei

ritterlich und laß mich schlafen. Bis morgen.«

Da war tatsächlich nichts zu machen. Und mit »ritterlich« hatte sie

ihn bei der Ehre gepackt. Zugleich regte sich ein gewisser Trotz in
ihm. Gewiß, sie war eine Frau, um die es sich zu werben lohnte, doch
sein Mannesstolz und Ritterstolz verboten ihm es dann doch, wie ein
Hündchen zu betteln.

»Bis morgen«, sagte er und bemühte sich, seine Enttäuschung zu

verbergen. »Ich wollte nur fragen, um wieviel Uhr wir aufbrechen
sollen.«

»Gegen acht«, sagte sie. »Dann sind wir gegen Abend am Ziel.«
»Gegen acht dann.«
Er kehrte in den Gastraum zurück und bestellte bei Gudrun ein

Bier. Das Bier schmeckte ein wenig säuerlich, aber vielleicht lag das
auch an seiner Stimmung. Mißmutig starrte er in den Krug, und
selbst das freundliche Lächeln der drallen Gudrun vermochte ihn
nicht aufzuheitern.

Schließlich mußte er an Anna und ihre Zeilen denken. Anna war

ebenfalls schön, doch von ganz anderer Art als Elisabeth ...

Bei diesem Gedanken erhob er sich. Ein kleiner Spaziergang in

frischer Luft konnte gewiß vor dem Zubettgehen nicht schaden.

Er verließ die Herberge und schlenderte zu Annas Badehaus.

Vielleicht wartete Anna auf ihn. Sie wollte ihn wiedersehen!
Zumindest verdiente sie eine Antwort auf ihre lieben Zeilen.

Eine Wolke verdeckte den Mond. In der Gasse war es finster wie

in einer Bärenhöhle.

Ritter Roland wollte gerade die Hand heben, um anzuklopfen, als

ihn eine tiefe grollende Stimme zusammenfahren ließ.

»Ah, junger Freund!«
Anna die Gewaltige.
Sie füllte ein dunkles Fenster neben der Tür aus.

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»Gewiß willst du massiert werden.« Anna kicherte grollend.

»Komm nur herein! Aber sei leise. Meine Nichte schläft schon.«

»Ich - ich wollte nur ein wenig frische Luft schnappen«, sagte

Roland und ging hastig weiter. »Guten Abend.«

»Guten Abend.« Es hallte wie Donnergrollen durch die Gasse, und

irgendwo begann ein Hund zu bellen, der vermutlich an ein
drohendes Gewitter glaubte. Gewiß würde Anna die Hübsche davon
wach werden. Doch ihre Tante hielt Wache und wollte ihn
massieren!

Roland beeilte sich, zurück zur Herberge zu kommen.
Er war nicht recht zufrieden mit der Entwicklung der Dinge.
In dieser Nacht schlief er ziemlich unruhig. Er träumte von einer

großen schwarzen Katze, die Elisabeth Terciere hieß, aber aussah
wie Anna die Hübsche und ihn durchknetete wie Anna die
Gewaltige.

*

Ritter Roland war nicht der einzige, der in dieser Nacht einen
unruhigen Schlaf hatte.

Pierre, in Gudruns Kammer, kam lange nicht zum Schlafen. Erst

gegen Morgen fielen ihm die Augen zu, und er träumte von Gudruns
Zärtlichkeiten.

Louis hatte zu stark dem Met zugesprochen, und im Traum

verfolgten ihn ganze Schwärme von Fliegen, die allesamt Schwerter
und Keulen schwangen und die Gesichter der Räuber hatten, deren
Aussehen sich der Knappe eingeprägt hatte.

Anna die Hübsche hatte den ganzen Tag auf ein Wort von Roland

gewartet. Doch er hatte sich nicht blicken lassen. Vermutlich hatte
Tante Anna ihn zu sehr abgeschreckt. Lange lag sie schlaflos in ihrer
Kammer. Mehrmals nahm sie die Kerze. Sie ging ans Fenster und
hoffte, der gutaussehende große Mann würde von neuem in der
Gasse auftauchen. Später, als er tatsächlich auftauchte, war sie
eingenickt. Im Traum sah sie Roland, wie sie ihn beim ersten Mal

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gesehen hatte, und mehrmals seufzte sie, als sie sich vorstellte, in
seinen starken Armen zu liegen.

In der Höhle im Schwarzriegel schlief Meinhardt der Schlächter

unruhig. Er sah im Traum die Frau, von der ihm seine Räuber
berichtet hatten. Eine unglaubliche Schönheit, die mit
unnachahmlicher Grazie ein Schwert schwang. Eine gefährliche
Schönheit - doch ihm, Meinhardt, würde sie gehorchen. Sie lächelte
ihn betörend an. »Ich bin dein, Meinhardt«, gelobte sie demütig, und
er fühlte sich so stolz wie nie zuvor. Das Lächeln der schönen Frau
erlosch von einem Augenblick zum anderen, und Meinhardt erschrak
im Traum. Sie sah plötzlich aus wie Hildegard! Und sie stieß ihm das
Schwert in die Brust!

Schweißgebadet schreckte Meinhardt aus dem Schlaf. Unbewußt

tastete er an seine Brust. Alles in Ordnung. Dann hörte er ein leises
Schnarchen neben sich auf dem Lager. Er tastete hin und berührte
einen warmen Körper. Hildegard.

Er mußte geträumt haben.
Angewidert hörte er eine Weile dem Schnarchen zu. Dann rüttelte

er Hildegard ärgerlich an der Schulter. Das Schnarchen verstummte,
und sie drehte sich im Schlaf auf die andere Seite. Dabei rammte sie
ihm ein angezogenes Knie gegen die Hüfte.

»Blöde Kuh«, knurrte er und drehte sich auf die andere Seite.
Und noch einer schlief unruhig in dieser Nacht.
Barnabas.
Der Mann, der ein ganz anderes Spiel trieb als der Räuber

Meinhardt.

Barnabas, der wie die Spinne im Netz auf sein Opfer lauerte, um es

langsam zu töten ...

*

Kurz vor Mitternacht wurde Barnabas von Wenzel geweckt.

Und Wenzel brachte schlechte Kunde aus Hohenwarth.
Der Überfall war mißlungen.

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»Es lief alles nach Plan«, sagte Wenzel zerknirscht, nachdem er im

groben berichtet hatte. »Er war mit Elisabeth im Bett, und wir
dachten, da kann gar nichts schiefgehen. Doch als wir in das Zimmer
stürmten, sprang der Kerl auf, hielt schon sein Schwert in der Hand
und kämpfte wie der Teufel. Ich hätte ihm noch die Rübe abschlagen
können, doch ...«

»Dafür hättest du deine verloren«, unterbrach Barnabas ärgerlich.
»Jaja. Mir waren also die Hände gebunden. Er schlug Peter und

Albert nieder. Da blieb uns nichts anderes übrig, als durch das
Fenster zu verschwinden. Er raste hinter uns her und erwischte noch
Gebhard. Dann wetzte er nackig und mit dem Schwert in der Hand
hinter mir her. Ich konnte ihn abhängen, und unseren Jungs gelang
es, sich unterdessen davonzumachen. Aber das war auch schon alles.
Wir hatten wirklich keine Chance.«

Wenzel verstummte mit einem Schulterzucken und sah Barnabas

entschuldigend an.

Barnabas blieb erstaunlich gelassen.
»Ja, der Kerl ist in der Tat ein Teufel«, sagte er. Er kraulte das Fell

seines schwarzen Lieblingskaters, der darob den Schwanz aufrichtete
und zu schnurren begann.

Insgesamt dreizehn Katzen lagen auf dem Lager aus Fellen und

Decken, das sich Barnabas im ausgebrannten Palas der Burgruine
hergerichtet hatte. Es waren sieben Kater und sechs Katzen:
Schwarze, graue, gestreifte, braune, kurzhaarige und langhaarige.

Katzen waren Barnabas' Leidenschaft. Katzen in allen Arten und

Größen.

Die dreizehn schliefen stets bei ihm. Irgendwann in der Nacht

gingen sie auf Jagd oder zu einem nächtlichen Katzentreff in der
Burgruine, doch anschließend kehrten sie wieder zu Barnabas
zurück, und wenn er morgens erwachte, lagen sie auf und neben ihm.

Das Lager stank ebenso nach Katzen wie Barnabas selbst, doch das

machte ihm nichts aus. Er hatte sich daran gewöhnt, im Gegensatz zu
seinen paar Mannen, mit denen er vorübergehend in der Burgruine
hauste.

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Barnabas schob den Kater Wunibald von sich - alle Katzen hatten

Namen - hob die grauweiß-gestreifte Katze Ludmilla von seiner
Brust und setzte sich auf.

Die Kerzen im Kandelaber neben dem Lager flackerten im

Luftzug, der durch die offenen Fensterhöhlen in den Raum drang. Ihr
Schein verlieh Barnabas etwas Dämonisches.

Barnabas war fünfunddreißig, doch man hätte ihn auf über Fünfzig

schätzen können. Vielleicht waren daran die vielen Jahre im Kerker
schuld, die er hinter sich gebracht hatte.

Die braungelblichen Augen lagen tief in den Höhlen. Die Wangen

in dem schmalen Gesicht waren eingefallen, und die Haut spannte
sich über die vorstehenden Wangenknochen. Er hatte ein spitzes
Kinn und einen schmalen Mund mit vorstehenden Schneidezähnen.
Vom linken Mundwinkel bis zur Schläfe hinauf schimmerte eine
schlecht verheilte Narbe rötlich. Das linke Ohr war nur ein
kümmerlicher Stummel. Ein Schwerthieb hatte ihm das Ohr
abgetrennt, damals als sie ihn geschnappt hatten.

»Ja, er ist ein Teufel«, wiederholte Barnabas mit dumpfer Stimme,

und Haß loderte in seinen tiefliegenden Augen, deren Pupillen wie
die Lichter eines Raubtieres leuchteten.

Eine der Katzen miaute, als wollte sie zustimmen.
Barnabas versetzte ihr einen Stoß mit dem Fuß, als sie verspielt

ihre Krallen an seinem Bein wetzen wollte.

Die Katze überschlug sich fauchend und fing sich gewandt. Ihre

Augen glühten, als sie lautlos in die Dunkelheit davonhuschte.

»Doch er hat nicht neun Leben wie eine Katze«, fuhr Barnabas mit

heiserer Stimme fort. »Er hat nur ein einziges, kurzes.«

Wenzel war zufrieden, daß Barnabas die Schlappe so ruhig

hinnahm. Er hatte mit einer wütenden Reaktion gerechnet.

»Sollen wir es nochmal versuchen?« fragte er eifrig.
Langsam schüttelte Barnabas den Kopf mit dem wirr abstehenden

Haar, das vorzeitig an den Schläfen ergraut war.

»Wir haben noch unseren Haupttrumpf«, sagte er. »Du reitest mit

den anderen nach Hohenwarth zurück, und wenn er dort nicht mehr

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ist, nehmt ihr seine Fährte auf. Aber fragt euch unauffällig durch.
Haltet euch zurück und beobachtet nur. Könnte er euch
wiedererkennen?«

»Nein. In der Kammer war es fast dunkel, und als er mich

verfolgte, konnte er auch nicht viel sehen.«

»Gut«, sagte Barnabas. »Also beobachtet ihn. Wir greifen erst zu,

wenn unser Trumpf-As nicht sticht. Ich will über jeden seiner
Schritte auf dem laufenden gehalten werden. Ist das klar?«

Wenzel beeilte sich, eifrig zu nicken.
»Reitet sofort nach Hohenwarth. Wenn er sich in Elisabeth

verknallt hat, wird er sich vermutlich noch länger dort aufhalten oder
sie begleiten. Wenn nicht, findet heraus, wo er ist und bleibt dran.
Einer von euch soll mir ständig berichten und die Verbindung halten.
Ich entscheide dann, wie es weitergeht.«

»Jawohl.«
»Sag den anderen, daß ich das doppelte zahle, wenn alles zu

meiner Zufriedenheit erledigt ist.«

Wenzel grinste erfreut.
»Und daß jeder Katzenfraß ist, der irgendeinen Fehler begeht,

durch den der Kerl gewarnt werden könnte.«

Wenzel schluckte. Er wußte, daß das keine leere Drohung war.
Als er gegangen war, saß Barnabas noch lange auf dem Lager und

streichelte seine Katzen.

Blicklos starrte er vor sich hin.
»Bald ist es soweit«, flüsterte er einmal und tastete unbewußt zu

seinem verstümmelten Ohr. »Bald, Roland ...«

Es dauerte lange, bis er schließlich wieder einschlief. Und dann

wurde er mit der Erinnerung an die Vergangenheit im Traum
gequält...

*

Es war ein strahlender Morgen, als Roland Elisabeth galant den Arm
bot, um ihr in die Kutsche zu helfen.

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Ein paar Leute hatten sich eingefunden, um die Abfahrt der

Kutsche zu beobachten: Sebastian, der schmächtige, krummbeinige
Wirt, seine dralle, schönbeinige Tochter Gudrun, deren Augen so
glücklich glänzten, als hätte sie in der Nacht herrlich geträumt, und
ein paar neugierige Hohenwarther, für die jeder Fremde und erst
recht eine Comtesse aus dem fernen Burgund so etwas wie eine
Sensation war.

Als Roland neben Elisabeth Terciere in der Kutsche saß und bei

der Abfahrt noch einen Blick aus dem Fenster warf, sah er am Rande
der kleinen Menschentraube Anna.

Sie sah in ihrem blauen, engsitzenden Kleid frisch und schön wie

der junge Tag aus. Doch sie blickte traurig. Er winkte ihr, doch sie
winkte nicht zurück.

Ihm fiel ein, daß er noch keine Gelegenheit gefunden hatte, mit ihr

zu sprechen.

Er nahm sich vor, das bei seiner Rückkehr nach Hohenwarth

nachzuholen. Die Knappen waren früh am Morgen zum Ort der
Überfälle aufgebrochen, um nach Spuren zu suchen, und sie hatten
verabredet, sich in Hohenwarth wieder zu treffen.

Rolands Gedanken beschäftigten sich noch eine Weile mit Anna,

und er stellte verwirrt fest, daß es ihm warm ums Herz wurde, wenn
er an sie dachte.

Dann plauderte Elisabeth Terciere mit ihm, und er vergaß Anna.
An diesem Morgen war Elisabeth nicht so zurückhaltend wie am

Vorabend, als sie ihn hatte abblitzen lassen.

Im Gegenteil, den ganzen Vormittag über tat sie alles, um sein Blut

in Wallung zu bringen, und Roland kam sich vor wie ein Fisch, den
sie an ihrer Angel zappeln ließ. Er war enttäuscht, als die Kutsche an
einem Gasthof hielt, gerade als Elisabeth hatte anklingen lassen, daß
es in einer Kutsche zwar unbequem sei, daß man sich die Reise aber
gemütlicher machen könne, wenn man nur die richtigen Positionen
einnehme.

Sie reckte sich, als sie aus der Kutsche gestiegen war, und Roland

bewunderte einmal mehr die geschmeidigen Bewegungen ihres

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Körpers.

Das Gasthaus war sauber und gemütlich eingerichtet. Es roch nach

Braten und Küchenkräutern.

Der Wirt war ein graubärtiger, rotgesichtiger Kerl, der im

Gegensatz zu der gepflegten Wirtsstube schmuddelig und ziemlich
verkommen wirkte. Zudem grinste er ständig recht dümmlich, und
Roland entging nicht, daß der Mann Elisabeth mit lauerndlüsternem
Blick betrachtete, als er Wein einschenkte.

Elisabeth schien es nicht zu bemerken. Sie prostete Roland zu und

trank ihr Glas in einem Zug leer wie eine Verdurstende. Auch
Roland verspürte Durst nach der Fahrt. Er hatte wie die Kutscher
Bier bestellt. Es schmeckte nicht schlecht, doch Roland fand es nicht
kühl genug und überlegte, ob er nicht doch besser Wein bestellen
sollte.

Zwei weitere Männer - vermutlich Verwandte des Wirtes - nahmen

die Bestellungen am Tisch der Kutscher und bei Roland und
Elisabeth auf.

Elisabeth wählte gähnend den Rinderbraten mit Rotkohl und

Knödeln, der als Tagesgericht angepriesen wurde.

Roland entschied sich für die Rinderroulade. Auch er fühlte sich

auf einmal schläfrig und ertappte sich dabei, daß er ebenso gähnte
wie Elisabeth.

Wieder einmal grinste der Wirt und starrte verstohlen auf

Elisabeths Busen.

Roland spielte mit dem Gedanken, den Kerl zurechtzuweisen, doch

da geschah es.

Elisabeth Terciere verdrehte die Augen, stieß einen Laut aus, der

wie ein langgezogenes Seufzen klang und sank vom Stuhl.

Fast gleichzeitig polterte es am Tisch der Kutscher. Einer der

Männer stürzte ebenfalls zu Boden, während der Kopf des anderen
auf die Tischplatte sank.

Roland sah das Grinsen des Wirtes, und es fiel ihm wie Schuppen

von den Augen.

Eine Falle!

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Er zückte sein Schwert und wollte aufspringen.
Da traf ihn etwas am Hinterkopf, und die Schleier, die plötzlich vor

seinen Augen wallten, wurden pechschwarz, und auf einmal war es
totenstill um ihn.

Er spürte nicht mehr, wie er zu Boden schlug.
»Na also«, sagte der Räuber, der Roland mit einem Bierkrug

niedergeschlagen hatte. Es war der Kerl, der zuvor die Bestellung
aufgenommen und sich dann mit dem Abräumen des Nachbartisches
beschäftigt hatte. In Wirklichkeit hatte er nur darauf gewartet, daß
das Pulver wirkte, das sie in die Getränke getan hatten.

Der falsche Wirt blickte grinsend auf Elisabeth.
»Wirklich ein reizendes Weibchen«, sagte er. »Schade, daß

Meinhardt auf sie wild ist. So eine könnte mir auch gefallen.«

Er stieß einen Pfiff aus, und aus der Küche kamen zwei Kumpane.
»Schafft sie in die Kutsche! Und dann nichts wie weg!«
Die beiden Räuber packten Elisabeth unter den Achseln und an den

Beinen und trugen sie zur Kutsche.

»Er hat nicht viel Bier getrunken«, sagte Achim und wies auf den

bewußtlosen Roland.

»Es reicht trotzdem«, meinte der falsche Wirt. »Theo hat ihm eine

verplättet, daß er schon deshalb mindestens 'ne halbe Stunde schlafen
wird.«

In diesem Punkt sollten sich die Räuber irren. Roland hatte nur

wenig von dem Bier mit dem Betäubungsmittel getrunken, und der
Schlag war nicht so hart gewesen, wie die Räuber annahmen.

Als er zu sich kam, fand er die betäubten Kutscher, die ebenso

durstig getrunken hatten wie Elisabeth Terciere. Ritter Roland biß
die Zähne zusammen, weil sein Schädel schmerzte, kämpfte gegen
das Schwindelgefühl an und lief hinaus.

Die Kutsche war weg, und Elisabeth war weg.
Es war nicht schwer, sich zusammenzureimen, was geschehen war.

Man hatte sie in dem Gasthof erwartet, und vermutlich hatte
Elisabeth schon beim ersten Überfall in der Herberge in Hohenwarth
entführt werden sollen.

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Roland eilte in den Gasthof zurück. Er wollte Wasser aus der

Küche holen, um die Kutscher mit einem kalten Guß zu wecken. Da
fand er die gefesselten und geknebelten Wirtsleute.

Roland befreite sie. Der Wirt stellte ihm sofort sein Wagenpferd

zur Verfügung. Er hatte die Abfahrt der Kutsche gehört und wußte,
daß der Vorsprung der Räuber keine zehn Minuten betrug.

Roland folgte der Wagenspur.
Den Mann, der schon den ganzen Vormittag über der Kutsche in

sicherem Abstand gefolgt war und der sich jetzt auf seine Fährte
heftete, bemerkte der Ritter nicht.

*

»Und jetzt?« fragte Pierre ratlos.

Louis zuckte mit den breiten Schultern.
»Wir werden wohl unverrichteter Dinge umkehren müssen. Bald

wird es dunkel, und wo zum Teufel sollen wir noch suchen?«

Pierre seufzte resigniert.
Dabei hatte ihre Suche so vielversprechend begonnen. Sie hatten

sich getrennt, waren zu den Orten der beiden Überfälle geritten und
dann den Spuren gefolgt, die von dort wegführten. Pierre hatte in
einem Waldstück die Spuren verloren und war auf gut Glück in der
bisherigen Richtung weitergeritten und auf Louis gestoßen, der
seinerseits deutlich sichtbaren Spuren gefolgt war.

Sie waren überzeugt gewesen, auf der richtigen Fährte zu sein.

Doch am Fuße des Schwarzriegels hatten sich alle Spuren wie in Luft
aufgelöst, und alle Suche war vergebens gewesen.

»Mein Gefühl sagt mir, daß wir nahe daran waren«, sagte Pierre

betrübt.

»Nahe dran ist nicht drin, sagte die Maid - als sie vergebens den

Faden in die Nadel einzufädeln versuchte«, erwiderte Louis und
spähte angestrengt in die Runde.

Die Dämmerung senkte sich über das Land. . Plötzlich verengten

sich Louis' Augen.

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Eine Kutsche nahte von Süden.
Pierre hatte sie ebenfalls bemerkt.
»Vielleicht haben sie etwas gesehen«, sagte er. »Wir sollten

fragen... he, das ist ja Elisabeths Kutsche!«

Louis nickte. Auch er hatte die rotgolden angemalte Kutsche mit

dem schwarzen Wappenadler auf dem Schlag wiedererkannt.

»Aber was machen Elisabeth und Roland denn hier? Sie wollten

doch zur Burg Blaibach im Westen?«

»Das werden wir gleich erfahren«, brummte Louis.
Sie warteten auf die Kutsche, doch sie bog vom Fahrweg ab und

verschwand in einem Eichenwald.

Louis trieb sein Roß an. Pierre folgte ihm.
Sie galoppierten zum Eichenwald, folgten den Wagenspuren und

sahen schließlich ein paar hundert Klafter entfernt die Kutsche, die
gerade anhielt. Die Fahrer sprangen vom Kutschbock. Einer eilte zur
Kutsche und riß den Schlag auf.

Dann stockte den Knappen der Atem.
Zwei Männer sprangen aus der Kutsche. Sie Zerrten eine Frau

heraus. Elisabeth. Sie war gefesselt.

»Zurück«, warnte Louis und trieb sein Roß in die Deckung der

Bäume. Pierre folgte seinem Beispiel. Angespannt beobachteten die
Knappen, wie die vier Männer die Frau zwischen Büsche schleppten
und verschwanden.

Pierre blickte Louis mit großen Augen an. »Mein Gott, sie haben

Elisabeth entführt! Aber Roland - er war doch bei ihr! Ob sie ihn ...«
Er schluckte und konnte nicht weitersprechen.

Louis war ebenso betroffen.
»Kampflos hat der Ritter bestimmt nicht zugeschaut, wie sie

Elisabeth entführten«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Mir schwant
Schlimmes.«

Er schwang sich vom Roß.
»Was willst du tun?« Pierre war noch so verwirrt, daß er kaum

einen klaren Gedanken fassen konnte.

»Das fragst du noch? Wir müssen Elisabeth befreien. Sie wird uns

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sagen, was mit Roland geschehen ist.«

»Aber es sind mindestens vier ...« wandte Pierre ein.
»Dann machen wir ein paar weniger draus«, erwiderte Louis

grimmig. Er wollte sich in Bewegung setzen.

Da tauchten wie durch Zauberei zwei Männer bei der Kutsche auf.
Die Knappen verharrten und beobachteten.
Die beiden Männer stiegen auf den Kutschbock. Einer nahm die

Zügel und trieb das Gespann an. Die Kutsche rollte davon.

Louis und Pierre tauschten einen Blick.
»Die schnappen wir uns zuerst«, sagte Louis.«

*

Roland war entschlossen, sich eine Antwort auf seine Fragen zu
holen. Er schlich sich durch die Büsche, aus denen die beiden Räuber
gekommen waren.

Er ahnte nicht, daß er gleich von zwei Augenpaaren beobachtet

wurde.

*

Ritter Roland zügelte das Roß, als er die Kutsche sah. Er hatte
gehofft, die Entführer eher einzuholen. Doch das Pferd, das ihm der
Wirt geliehen hatte, war nur ein Wagengaul, ein Kaltblüter, der zwar
stark und ausdauernd war, aber in punkto Schnelligkeit nicht viel zu
bieten hatte.

Roland spähte zu der Kutsche hin. Legten die Kerle eine Rast ein?

Oder waren sie am Ziel?

Keiner saß auf dem Kutschbock, und nichts regte sich bei der

Kutsche.

Roland saß ab, führte das Roß vom Waldrand fort, tiefer zwischen

die Eichen und band es fest. Dann schlich er zu Fuß weiter. Dichtes
Gestrüpp am Fuße des Berges gab ihm Deckung, und zudem
dunkelte es.

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Ein paar Minuten später verharrte er bei der Kutsche und spähte

hinein. Leer. Sein Blick glitt zu den Büschen seitlich der Kutsche.
Schritte nahten.

Roland versteckte sich schnell.
Er lauschte mit angehaltenem Atem.
Stimmen näherten sich.
»Hilde ist verdammt sauer, weil Meinhardt die Neue nimmt«, sagte

ein Mann. »Hast du gesehen, wie wütend sie aussah? Am liebsten
hätte sie ihrer Nachfolgerin die Augen ausgekratzt.«

Jemand lachte leise. »Ja, die ist in Fahrt. Laß uns schnell die

Kutsche wegfahren, damit wir von der Nacht und Hildegard noch
was haben.«

Die Männer kletterten auf den Kutschbock.
Rolands Gedanken jagten sich. Sie hatten Elisabeth in ihr Versteck

gebracht. Dieser Meinhardt mußte der Anführer sein. Und es gab
eine Frau, die in Elisabeth eine Nebenbuhlerin sah. Waren es die
Räuber, die Elisabeth schon zweimal überfallen hatten? Vermutlich.

Die Kutsche fuhr davon.
Achim und Theo kletterten vom Kutschbock.
Sie hatten die Kutsche tief in einen dunklen Tann gefahren.

Niemand sollte sie in der Nähe des Verstecks finden und bei der
Höhle herumschnüffeln.

Achim begann die Pferde auszuschirren. Theo schnitt Zweige von

einer Tanne ab. Damit wollten sie auf dem Rückweg zur Höhle die
Wagenspuren verwischen.

Theo erschrak bis ins Mark, als sich ihm von hinten ein Arm um

den Hals legte und ihm die Luft abschnürte. Zugleich wurde sein
Handgelenk umklammert und verdreht, daß er das Messer loslassen
mußte.

Es war Louis, der den Räuber in eisernem Griff hielt.
Louis hieb jetzt mit der Faust zu. Der Räuber wurde schlaff in

seinem Griff. Der Knappe ließ ihn zu Boden gleiten.

Er warf einen schnellen Blick zu dem Kerl, der mit den Pferden

beschäftigt war. Verdammt, wo blieb Pierre?

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»Bist du soweit, Theo?«
Achim wollte sich auf eines der Gespannpferde schwingen.
Louis verharrte zwischen den Tannen, als der Räuber in seine

Richtung blickte.

»He, Theo ...?«
Ein Schatten tauchte hinter ihm auf. Pierre. Ein Schwerthieb

schleuderte den Räuber vom Pferd.

Louis atmete auf. Pierre hatte den zweiten Räuber ausgeschaltet.
Louis sah, wie der Knappe mit erhobenem Schwert angespannt bei

der reglosen Gestalt verharrte und sein Blick in die Runde zuckte, als
rechnete er mit dem Angriff einer ganzen Räuberbande.

»Alles in Ordnung, Pierre!« rief er.
Pierre atmete erleichtert auf und wischte sich Schweiß von der

Stirn.

Sie fesselten die beiden Räuber. Louis nahm sich Theo vor, als er

zu sich kam. Er setzte dem Mann das Schwert an die Kehle. Theos
Augen quollen aus den Höhlen.

Louis grinste. »Der andere hat mir schon alles verraten«, log er.

»Erst wollte er die Zähne nicht auseinander kriegen, und dann
nuschelte er ein bißchen durch die Lücken, aber ich weiß im großen
und ganzen, was wir wissen müssen. Von dir brauche ich nur noch
ein paar zusätzliche Erklärungen. Wollen wir wetten, daß du mir die
gibst?«

Theo hielt nichts vom Wetten. Es war ihm klar, daß er so oder so

verlieren würde. Und wenn Achim, dieser verdammte Verräter,
bereits alles gesagt hatte, dann konnte keiner von ihm verlangen, daß
er seine Zähne oder gar sein Leben aufs Spiel setzte, oder?

*

Ritter Roland verharrte zwischen den Büschen und lauschte.

Gedämpftes Lachen drang an sein Ohr. Es schien aus der Tiefe des

Berges zu kommen. Er mußte ganz nahe am Versteck der Räuber
sein. Vermutlich gab es Wachtposten. Er mußte vorsichtig sein.

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Etwas raschelte seitlich von ihm, und er hob die Hand mit dem

Schwert.

Jetzt herrschte Totenstille.
Roland fühlte sich unbehaglich. Er spürte fast körperlich die

Gefahr.

Vorsichtig tastete er sich weiter und bemühte sich, keine

Geräusche zu verursachen.

Er zuckte zusammen, als links von ihm ein Vogelschrei ertönte. Es

klang wie das Krächzen eines Raben. Roland hätte schwören können,
daß es kein echter Rabe war. Er orientierte sich an dem Geräusch und
schob sich weiter nach links. Seine Sinne waren bis zum Äußersten
angespannt.

Ein Rascheln rechts von ihm.
Roland wirbelte herum.
Ein Schatten schnellte auf ihn zu.
Roland duckte sich zur Seite. Der Schatten schien ins Riesenhafte

zu wachsen. Dann gab es einen dumpfen Aufprall, und eine Gestalt
stürzte neben Rolands Stiefelspitze.

»Achtung, er ...«
Roland trat blitzschnell zu, und der Alarmschrei verstummte im

Ansatz.

Die Gestalt, die im Dunkel zwischen den Büschen am Fuße des

Berges mehr zu erahnen, als zu erkennen war, rührte sich nicht mehr.
Roland beugte sich wachsam und angespannt über den Mann am
Boden. Im nächsten Augenblick taumelte er erschrocken zurück.

Der vermeintlich Bewußtlose sprang auf und rammte ihn mit dem

Schädel. Er mußte ihn nicht richtig getroffen haben.

Roland fing sich und holte mit dem Schwert aus. Da spürte er

einen Stich im Rücken, und eine Stimme zischte:

»Laß fallen, oder du hast ein Loch im Balg!«
Ein eisiger Schauer kroch Roland über die Wirbelsäule.
Die Gestalt am Boden rollte sich fort und sprang auf.
Roland unterdrückte einen Schrei, als sich das Spitze - ein Messer

oder ein Schwert - schmerzhaft in seinen Rücken bohrte. Er spürte,

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wie es warm über seine Haut rieselte. Blut lief seinen Rücken hinab.

»Wird's bald?«
Roland wußte, daß er verspielt hatte. Die Dunkelheit war der

Verbündete dieser Haderlumpen gewesen. Sie kannten sich hier
blindlings aus, und er war in die Falle getappt wie ein Anfänger.
Aber was hätte er anderes tun können, als nach dem Versteck der
Räuber zu suchen? Bei Tageslicht hätten ihn die Wachtposten erst
recht entdeckt. Außerdem hatte ihn die Sorge um Elisabeth
angetrieben.

Ritter Roland ließ sein Schwert fallen.
Jetzt ertönte hinter ihm der Rabenschrei. Weiter links antwortete

ein anderer falscher Rabe. Und von rechts näherte sich die
schattenhafte Gestalt des Kerls, der ihn zuvor angesprungen hatte
und den er schon bezwungen gewähnt hatte.

Es waren also mehrere, und er hatte von Anfang an keine Chance

gehabt.

»Verschränk die Hände hinter dem Nacken und geh vorwärts!«

zischte ihm die Stimme in den Rücken.

»Wohin?« fragte Roland in dem verzweifelten Bemühen, Zeit zu

gewinnen und die Kerle abzulenken. Doch was nutzte das schon?

Wieder stach ihm der Kerl in den Rücken.
»Mein Schwert weist dir den Weg!«
Roland verschränkte die Hände im Nacken und setzte sich schnell

in Bewegung. Und als der Druck der Schwertspitze verschwand,
setzte der Ritter mit dem Löwenherzen noch einmal alles auf eine
Karte.

Er wirbelte herum, und sein Bein schnellte aus der Drehung heraus

vor, um dem Mann das Schwert aus der Hand zu treten.

Fast hätte er es geschafft, doch der Räuber war auf der Hut. Er

wich geschickt aus, und dann sah Roland nur noch eine flirrende
Bewegung, etwas traf ihn an der Schläfe, und er fand sich auf einmal
am Boden wieder.

»Du hättest ihn gleich kaltmachen sollen«, sagte eine Stimme wie

aus weiter Ferne.

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»Quatsch. Wir müssen wissen, weshalb er hier herumschnüffelt.

Bringt ihn in die Höhle.«

Rauhe Hände packten Roland und rissen ihn hoch. Er kämpfte

gegen eine Ohnmacht an. Er war so schwach, daß seine Knie
nachgaben.

Sie schleppten ihn in die Höhle.
In seinem Schädel dröhnte es, und er wunderte sich, daß er trotz

der Finsternis gelbliche Schleier vor seinen Augen wallen sah.

Irgendwann ließen sie ihn einfach fallen wie einen Getreidesack.

Er prallte hart auf und rang um Atem.

Feuerschein schien ihm in die Augen zu stechen.
Eine Gestalt näherte sich. Er hörte gedämpfte Stimmen, die aus

einer anderen Welt zu kommen schienen.

Er blinzelte und nahm alles nur verschwommen wahr.
Ein Schatten fiel auf ihn. Eine Gestalt ragte vor ihm auf. Riesig.

Drohend. Aus den gelblichen Schleiern nahm ein Gesicht Konturen
an. Ein wüstes Gesicht, das böse grinste.

So mußte der Satan grinsen, wenn ihm eine neue Seele abgeliefert

wurde.

Roland versuchte sich zu erinnern, was geschehen war, weshalb er

in der Hölle gelandet war. Doch es wollte ihm nicht einfallen. Er
mußte einige Zeit ohnmächtig gewesen sein und war immer noch in
einer Art Dämmerzustand.

Der Satan grinste plötzlich nicht mehr. Sein Gesicht verzerrte sich

zu einer Grimasse.

Roland erschrak.
Der Satan hielt auf einmal ein Beil in der Hand.
Rötlich schimmerte das scharfe Blatt durch die Schleier, die vor

Rolands Augen wogten.

Die Hand mit dem Beil ruckte hoch.
»Neeeiin!«
Der helle Schrei hallte wie aus tausend Kehlen hervorgestoßen

durch die schmummrige Höhle.

Roland empfand nichts in diesen schrecklichen Sekunden. Es war

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ihm, als sei er ein anderer, der das Beil auf sich zusausen sah, als
geschehe alles in einem Traum.

Unbewußt schloß er die Augen.
Er wird dir den Schädel spalten! dachte er noch, doch es war ihm

seltsam gleichgültig.

Und dann traf ihn etwas wie Donner und Blitz, und er dachte und

spürte gar nichts mehr.

*

»Du hast ihn erschlagen!«

Elisabeth Terciere sagte es mit tonloser Stimme.
Meinhardt richtete sich über Ritter Rolands regloser Gestalt auf.

Das Schlachterbeil schimmerte im Schein des flackernden Feuers.

Langsam wandte sich der Räuberhauptmann zu Elisabeth Terciere

um. Ihre Hände waren weit ausgebreitet und an zwei eiserne Ringe
gefesselt, die in die Höhlenwand eingeschlagen waren.

Er grinste. »Na und?«
Elisabeth senkte den Kopf.
Breitbeinig schritt Meinhardt auf sie zu. Er schob das

Schlachterbeil in die Schlaufe an seinem Gurt. Zwei Schritte vor der
Gefangenen blieb er stehen. Der Blick seiner schwarzen Augen
tastete über ihren Körper.

»Mein kleiner Finger sagt mir, du kennst den Schnüffler.« Er

musterte sie lauernd.

»Ich ...« Sie verstummte und biß sich auf die Unterlippe.
»Ja, du kennst ihn. Gewiß ist er dein Freier. Das dachte ich mir

gleich. Wäre ein zu großer Zufall gewesen, wenn ausgerechnet jetzt
jemand hier auftaucht. Hast du ihn geliebt?«

Elisabeth schwieg ihn an.
Er grinste. »Du wirst ihn vergessen, denn ab jetzt gehörst du mir.«
»Eher bringe ich mich um!« stieß Elisabeth zornig hervor, und sie

spuckte voller Verachtung nach ihm. Er wich schnell zurück, und sie
traf ihn nur am Hosenbein.

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Sein Grinsen erstarb. Die weißen Augenbrauen ruckten noch mehr

zusammen, und der Blick seiner scharzen Augen schien sie zu
durchdringen.

Sein linkes Augenlid zuckte. Er hob eine Hand, als wollte er sie

schlagen, doch dann lachte er plötzlich auf und ließ die Hand sinken.

»Ein gar widerspenstiges Weib!« sagte er. »Ja, meine Mannen

haben nicht übertrieben. Sie berichteten mir, daß du den Teufel im
schönen Leib hast. Und ich werde ihn dir austreiben!«

Sie starrte ihn nur stumm und verächtlich an.
»Du hast die Wahl«, sagte er, und seine Augen glitzerten

begehrlich. »Entweder unterwirfst du dich, oder ich lasse dich dort
an den Eisen, bis du mich anflehst, daß ich mich für dich interessiere.
Also?«

Ihre Antwort verblüffte selbst einen abgebrühten Räuber wie

Meinhardt.

Es war ein obszöner Fluch, bei dem Meinhardts fünf Räubern, die

abseits in der Höhle standen, der Mund aufklaffte. Der Jüngste in der
kleinen Bande bekam rote Ohren.

Sie wußten nicht, daß sie eine Comtesse war, und wenn Roland es

gehört hätte, wären auch ihm erhebliche Zweifel gekommen.

»Aber nicht doch, so was sagt doch keine Dame!« Meinhardt

lachte spöttisch. »Und so was tut sie erst recht nicht. Außerdem wirst
du dazu auch keine Gelegenheit haben. Nun, wie steht es? Willst du
dort eine unangenehme Nacht verbringen, oder eine angenehme mit
mir?«

Ihr Blick sagte mehr als alle Worte.
Meinhardt zuckte mit den Schultern. »Dann eben nicht, du

Pflaume. Ich kann warten.«

Er wandte sich ab und hob die Stimme, daß es durch die Höhle

hallte. »Hildegard!«

Elisabeth Terciere drehte den Kopf. Eine Gestalt löste sich aus dem

Dunkel und schritt näher. Es sah aus, als sei sie aus der Felswand
getreten, doch der Schein trog. Es gab mehrere Kavernen in der
großen Höhle, Kammern der Natur, die von den Räubern als Lager

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hergerichtet und mit einem Vorhang aus Decken versehen waren.
Meinhardt hatte eine dieser Kammern, Hildegard ebenfalls eine, und
die Räuber schliefen in zwei anderen Quartieren, wenn sie nicht
Wache hielten.

Die Frau war nur als Schatten zu erkennen. Sie verharrte außerhalb

des Feuerscheins.

Elisabeth konnte nur nackte, schmutzige Füße und Waden sehen.
»Ja, Herr, was soll ich ...?«
»Das fragst du noch, du blöde Kuh? Geh schon voraus und bereite

mir das Lager.«

Der Schatten wandte sich wortlos um und verschwand in der

Dunkelheit.

Meinhardt gab seinen Räubern einen herrischen Wink. »Fesselt ihn

und bringt ihn in die Felsspalte.«

Zwei der Räuber eilten zu Ritter Rolands regloser Gestalt.
»Er - ist nicht tot?« fragte Elisabeth, und es klang fassungslos.
Meinhardt grinste dämonisch. »Noch nicht. Ich habe ihn nur ein

bißchen mit dem Beil gestreichelt.«

Lauernd betrachtete er sie.
»Es liegt an dir, was mit ihm geschieht«, fuhr er fort. »Ich gebe dir

diese Nacht Bedenkzeit. Du solltest dir mein Angebot überlegen.«

Er lauerte auf eine Antwort, doch sie schwieg.
Da wandte er sich ab und schritt zu seinem Lager.

*

Roland spürte tastende Hände an seinem Körper. Elisabeth massierte
ihn. Nein, plötzlich schien ihr Gesicht zu zerfließen, sich aufzulösen
und Annas Züge anzunehmen. Anna die Gewaltige massierte ihn! Er
wunderte sich, daß ihre Hände so sanft waren. Sie streichelte ihn an
der Wange, tätschelte ihn leicht.

Roland öffnete blinzelnd die Augen. Er sah nichts als Dunkelheit.

Doch er spürte heftige Atemzüge an seiner Seite.

»Anna?« krächzte er.

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Eine Hand legte sich schnell auf seinen Mund.
»Still«, flüsterte ihm jemand ins Ohr. Eine weibliche Stimme, die

aufgeregt klang.

Roland verhielt sich still. Er fragte sich, weshalb es in Annas

Badehaus so dunkel war. Dann spürte er die Schmerzen, einen üblen
Geschmack im Mund, und er hatte das Gefühl, sich übergeben zu
müssen.

Anna mußte ihn krankgeknetet haben!
Vermutlich tat sie deshalb jetzt so freundlich. Gewiß war er ihr

unter den massierenden Pranken ohnmächtig geworden. Dieses
verdammte Riesenweib!

»Heißt sie Anna?« flüsterte die weibliche Stimme in sein Ohr und

fügte mahnend hinzu: »Sei leise!«

Die Hand lockerte sich etwas über seinem Mund.
Roland brauchte einen Augenblick, bis er die Frage verstand. Er

lauschte dem Klang nach, und es kamen ihm Zweifel, ob das
tatsächlich Anna war.

»Du bist nicht Anna?« fragte er leise.
»Pst!« Wieder legten sich die Finger auf seine Lippen.
»Nein, ich bin Hildegard«, hörte er sie flüstern.
Hildegard? überlegte er. Wer zum Teufel mag das sein?
»Ich will dir helfen.«
»Warum?« murmelte Roland unter ihrer Hand gedämpft. »Hat

Anna mich zu hart massiert?«

»Du phantasierst noch«, flüsterte die Stimme an seinem Ohr.

»Weißt du noch nicht, was passiert ist?«

Roland schüttelte leicht den Kopf, und Schmerzen stachen durch

seinen Schädel. Er unterdrückte ein Stöhnen.

»Was ist passiert?« raunte er.
Da sagte sie es ihm. Sie mußte es langsam wiederholen, bis

Rolands Erinnerung einsetzte, und er alles begriff.

»Meinhardt schläft«, flüsterte Hildegard. »Er hat sich verausgabt

und völlig betrunken. Ich befreie dich - unter einer Bedingung.«

»Und?« flüsterte Roland angespannt.

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»Du mußt auf der Stelle mit deiner Freundin verschwinden.«
»Ich wüßte nicht, was ich lieber täte«, erwiderte Roland.
»Es gibt nur einen Wachtposten vorn an der Höhle«, raunte

Hildegard. »Doch der rechnet nicht mit Gefahr von hier. Du mußt ihn
lautlos überwältigen. Dann gehst du mit deiner Freundin ungefähr
fünfhundert Klafter nach rechts am Berg entlang. Da gibt es eine
kleinere Höhle. Darin stehen Pferde. Sie werden nicht bewacht. Du
verschwindest mit deinem Herzchen, und Meinhardt wird annehmen,
es sei einer von außen eingedrungen und hätte euch befreit.«

»Gute Idee«, flüsterte Roland, und seine Schmerzen waren

vergessen. Er verspürte tiefe Dankbarkeit gegenüber der
unbekannten Helferin.

Sie machte sich an seinen Stricken zu schaffen. Er stöhnte auf, als

ihn etwas am Handgelenk ritzte. Ein Messer hatte ihn gestreift. Sie
schnitt die Fesseln durch.

»Danke«, flüsterte er und rieb sich die Gelenke.
Sie neigte sich über seine Fußfesseln. Er hörte das Rascheln von

Stoff und spürte ihre tastenden Hände an seinen Beinen.

Auf gut Glück griff er nach ihr, erfaßte etwas Weiches und zog sie

zu sich.

»Warum spielst du die gute Fee?«
Sie entzog sich ihm. Ihr Atem ging heftig.
»Meinhardt gehört mir«, zischte sie. »Verschwinde mit dieser

Pute! Wenn du versuchen solltest, dir Meinhardt zu schnappen,
schreie ich Alarm. Ich werde dich genau beobachten. Du hast genau
drei Minuten Zeit.«

Im nächsten Augenblick war er seiner Fußfesseln ledig. Er nahm

noch eine huschende Bewegung wahr, dann war Hildegard
verschwunden.

Jetzt fiel ihm ein, was die beiden Männer gesagt hatten, die er

belauscht hatte, und es war ihm klar, weshalb Hildegard ihn befreit
hatte. Die gute Fee dachte in erster Linie an sich. Sie wollte Elisabeth
loswerden, weil sie in ihr eine Rivalin sah.

Unzählige Fragen stürmten auf Roland ein. Wer waren diese

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Räuber? War es die gleiche Bande, die Elisabeth schon zweimal
überfallen hatte? Weshalb war sie entführt worden? Nur, weil der
Anführer eine neue Geliebte haben wollte? Oder steckte mehr hinter
allem?

Er verdrängte die Gedanken. Sie mußten verschwinden.
Schnell erhob er sich und orientierte sich. Er sah einen schwachen

Lichtschimmer zu seiner Rechten. Auf Zehenspitzen schlich er
darauf zu. Dann sah er, daß er in einer breiten Felsspalte gelegen
hatte. Er spähte in die Höhle. Das Feuer war heruntergebrannt. Die
Glut schimmerte rötlich. Keiner der Räuber war zu sehen.

Roland schlich in die Höhle und hielt sich im Dunkel an der Wand.
Dann erkannte er Elisabeth. Sie stand gefesselt an der

Höhlenwand. Ihr Kopf war vornübergesunken. Ihr Kleid war zerfetzt.
Roland preßte die Lippen aufeinander. Vermutlich waren diese
Dreckskerle über sie hergefallen.

Elisabeth nahm ihn erst wahr, als er nach ihren Handfesseln tastete.

Ihr Kopf ruckte hoch, und sie stieß einen erschreckten Laut aus.

»Ruhig«, flüsterte Roland. »Ich bin's Roland!«
Er hörte sie tief ausatmen.
Er befreite sie von den Fesseln. Sie sank gegen ihn, und er hielt sie

fest.

»Wie hast du dich befreit?« flüsterte sie.
»Das war ganz einfach«, erwiderte Roland leise. »Ich erzähle es dir

später. Erst müssen wir verschwinden.«

»Bring mich zur Burg Blaibach«, flüsterte Elisabeth und

umklammerte ihn.

»Natürlich«, erwiderte er.
Dann griff er nach Elisabeths Hand und zog sie mit sich.
Der Wachtposten war kein Problem. Der Bursche war eingenickt.

Roland nahm ihm das Schwert ab, ohne daß der Räuber es merkte. Er
schreckte nur kurz aus dem Schlaf, als Roland mit dem Schwert
zuschlug. Roland mußte noch einmal nachsetzen. Dann schlief der
Räuber weiter.

Roland atmete auf. Der Weg war frei.

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*

Es war eine Ironie des Schicksals, daß ausgerechnet die Knappen
unfreiwillig dafür sorgten, daß Rolands und Elisabeths Flucht
frühzeitig bemerkt wurde.

Sie glaubten von Achim und Theo, alles Wichtige erfahren zu

haben. Kurz nach Mitternacht trafen sie bei der Höhle ein. Die
Gefangenen hatten sie gefesselt im Tann bei der Kutsche zu-
rückgelassen.

Den Wachtposten, den Roland gefesselt und geknebelt hatte, und

der im tiefen Dunkel zwischen Büschen lag, bemerkten die Knappen
nicht.

Sie wußten, daß der Zugang zur Höhle bewacht wurde, und daß

man sie passieren lassen würde, wenn sie den Posten mit dem
vereinbarten Signal in Sicherheit wiegten. Sie hatten Achims und
Theos Kleidung angezogen und hofften damit den Posten täuschen
und leicht überwältigen zu können.

Louis stieß einen dreifachen Eulenschrei aus.
Zunächst tat sich nichts, wie die Knappen glaubten. Sie nahmen an,

daß der Posten eingeschlafen war.

Doch in der Höhle tat sich so einiges. Einer der Räuber schreckte

aus dem Schlaf. Früher hätte ihn der Eulenschrei nicht irritiert. Doch
vor einigen Wochen hatten sie das Erkennungssignal verändert und
auf Rabe umgeschaltet. Einer der Räuber, Friedbert, hatte sich
davongemacht und den gesamten geraubten Schmuck mitgehen
lassen. Alle Suche nach dem vermaledeiten Verräter war vergebens
gewesen. Meinhardt hatte schon mit dem Gedanken gespielt, das
Versteck zu wechseln, sich dann jedoch gesagt, daß Friedbert es
nicht wagen würde, wiederzukommen, um noch einmal Beute zu
stehlen.

So hatten sie nur das Erkennungssignal geändert.
Sollte Friedbert die Frechheit haben, allein oder mit neuen

Kumpanen noch einmal aufzutauchen, würde es eine böse
Überraschung für ihn geben.

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Der Räuber Jakob, der den dreifachen Eulenruf vernommen hatte,

weckte flugs seinen Anführer.

Meinhardt war nicht so betrunken, wie Hildegard angenommen

hatte.

Von neuem ertönte der dreifache Eulenschrei.
Meinhardt lauschte und schaltete schnell.
»Antworte, Jakob«, raunte er. »Vielleicht ist es unser Freund

Friedbert, der die Wache narren will.« Er rückte das Schlachterbeil
zurecht. »Dann wird er sein blaues Wunder erleben.«

Jakob imitierte einen Eulenschrei. Dreimal hallte der Schrei durch

die Höhle.

Louis und Pierre atmeten auf. Damit war der Weg in die Höhle

freigegeben. Man hielt sie offenbar für Achim und Theo, die
zurückkehrten.

Die Knappen ahnten nicht, daß sie von den beiden Räubern

hereingelegt worden waren. Besonders Achim hatte gut
geschauspielert. Zitternd hatte er scheinbar alles verraten.

Doch er hatte die Nerven gehabt, das falsche Signal zu nennen. Die

beiden gefesselten Räuber trösteten sich jetzt in ihrer mißlichen Lage
mit dem schadenfrohen Gedanken, daß sie ihre beiden Bezwinger in
eine Falle geschickt hatten.

In der Höhle blieb alles totenstill, als die Knappen hineinschlichen.

Kein Wachtposten hatte sich blicken lassen.

Sie verharrten im tiefen Dunkel an der Felswand am Ende des

Ganges, der sich zur Höhle verbreiterte. Louis spähte in die Höhle
hinein. Schwacher rötlicher Schein des herabgebrannten Feuers fiel
aus der Höhle. Keine Menschenseele war zu sehen.

»Einer hat auf das Signal geantwortet«, gab Louis leise zurück.

»Mir gefällt das nicht. Weshalb gab es keinen Wachtposten vor der
Höhle?«

»Vielleicht haben uns die Kerle belogen«, flüsterte Pierre. Der

Knappe fürchtete sich.

»Glaube ich nicht«, widersprach Louis. »Die schlotterten doch vor

Angst.«

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»Und wo ist Elisabeth?« wisperte Pierre und spähte angespannt an

Louis' Schulter vorbei.

»Vielleicht gibt es eine weitere Höhle. Ich sehe mich mal

vorsichtig um. Bleib hier.«

Lautlos schlich Louis an der dunklen Felswand entlang in die

Höhle.

Am liebsten hätte Pierre ihn festgehalten. Die Höhle wirkte

gespenstisch und bedrohlich, und Pierre fühlte sich äußerst unwohl.

Er packte das Schwert fester, und seine Handfläche war feucht.
Im nächsten Augenblick zuckte Pierre zusammen und erschrak.
Ein unterdrückter Aufschrei ertönte, fast schon ein Röcheln. Ein

dumpfer Aufprall folgte.

Und dann ging alles rasend schnell.
Bevor Pierre einen klaren Gedanken fassen konnte, flog etwas aus

dem Dunkel auf ihn zu und riß ihn zu Boden.

Heißer Atem schlug Pierre ins Gesicht. Hände krallten sich um

seinen Hals. Das Schwert wurde ihm aus der Hand geschlagen oder
getreten.

Pierre war vom Sturz und Schreck wie betäubt.
Da traf ihn schon ein Fausthieb. Pierre stieß sich den Hinterkopf

auf dem Felsboden und glaubte, die dunkle Höhlendecke
verwandelte sich in das Sternenzelt.

Louis erging es nicht anders. Im Nu war er von drei Männern

umringt. Er wehrte sich verzweifelt, doch er hatte keine Chance. Der
Kampf war vorbei, bevor er für die Knappen überhaupt begonnen
hatte.

Beide blieben ohnmächtig liegen.
Einer der Räuber warf trockenes Gestrüpp ins niedergebrannte

Feuer. Hell loderten die Flammen auf.

»Ist ja gar nicht Friedbert«, stellte einer der Räuber fest. »Sie

werden uns sagen, weshalb sie hier herumschnüffelten«, knurrte
Meinhardt gereizt. »Fesselt sie und bringt sie zu den anderen
Gefangenen. Morgen früh nehmen wir sie uns in aller Ruhe vor, bis
sie singen wie die Amseln.«

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Er wollte zu der Gefangenen blicken und stutzte. Da war ja gar

nichts an der Felswand!

Er blinzelte und glaubte, der Met hätte sein Augenlicht

beeinträchtigt.

Doch da rief Hildegard: »Das Weib - es ist weg!«
Alle starrten zur Felswand.
Meinhardt tobte und fluchte. Es dauerte eine Weile, bis er sich

wieder gefaßt hatte. Dann gab er zornig Befehle. Sie suchten die
Umgebung ab und fanden Achim und Theo. Und bald darauf ritten
zwei Räuber auf Rolands und Elisabeths Fährte.

*

Der Bach plätscherte leise. Mücken tanzten Ringelreihen zwischen
der Baumgruppe am Ufer, wo Roland und Elisabeth Terciere im
weichen Gras rasteten.

Eines der Pferde schnaubte, doch Ritter Roland nahm es gar nicht

wahr.

Elisabeth küßte ihn voller Leidenschaft.
Dann fiel der Schatten über Roland, und es war ihm, als stürze er

von einer rosaroten Wolke in einen rabenschwarzen Abgrund.

Ein Schwert bohrte sich in seinen Rücken.
»Ergib dich, oder du fährst zur Hölle!« sagte eine kalte Stimme.
Roland war einen Augenblick lang vor Schreck wie betäubt.
Auch Elisabeth schien in seinen Armen zu erstarren.
Langsam wandte Roland den Kopf.
Er sah ein bärtiges, grinsendes Gesicht. Der Kerl hielt ihm das

Schwert zwischen die Schulterblätter.

Sie hatten den ganzen Tag über nach Verfolgern Ausschau

gehalten, doch keinen entdecken können. Sie hatten sich in
Sicherheit gewiegt, doch Meinhardts Räuber hatten sie gefunden ...

Rolands Blick glitt zu dem Schwert, das er abgelegt hatte.
»Was willst du?« fragte er, um Zeit zu gewinnen und um den Kerl

abzulenken.

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»Steh auf!«
Roland erhob sich. Der Druck der Schwertspitze verschwand.
Der Ritter gab sich resigniert. Langsam wandte er den Kopf zu

dem Mann.

»Bei uns ist nicht viel zu holen...« begann er, und noch während

seiner Worte wirbelte er herum.

Fast hätte er den Kerl überrascht.
Aus der Drehung heraus traf er das Handgelenk des Bärtigen.
Doch der Mann hielt sein Schwert fest und sprang zurück, als

Roland auf ihn zuhechtete.

Roland stürzte ins Gras. Er rollte sich ab, wollte aufspringen, doch

dann verharrte er in seiner Bewegung.

Zwei weitere Männer tauchten bei den Pferden auf. Sie mußten

sich ebenso lautlos angeschlichen haben wie der dritte Kerl. Auch sie
waren mit Schwertern bewaffnet. Einer stürmte auf Roland zu, und
der andere packte Elisabeth und riß sie hoch.

Sie schrie auf.
Der Räuber hielt die Frau von hinten umklammert und drückte ihr

sein Schwert gegen den Busen.

»Gib auf!« keuchte der Bärtige, »oder dein Liebchen ist fällig!«
Roland erkannte, daß es keine Chance mehr gab.
»Laßt die Frau in Ruhe. Ich ergebe ...«
Sie ließen ihn nicht einmal aussprechen.
Ein Schwerthieb traf Roland, und es wurde dunkel und still um ihn.
Als er zu sich kam, lag er quer über einem Pferd. Sie hatten ihn an

Händen und Füßen gefesselt und auf dem Roß festgebunden.

Er drehte den Kopf und wollte nach Elisabeth sehen, die

wahrscheinlich ebenso gefesselt war wie er. Doch es war nichts von
ihr zu sehen. Er war mit dem Bärtigen allein.

»Wo ist die Frau?« fragte er mit krächzender Stimme.
»Elisabeth?« Der Bärtige lachte. »Um die brauchst du dir keine

Sorgen mehr zu machen.«

Roland preßte die Lippen aufeinander.
Ohnmächtiger Zorn stieg in ihm auf. Elisabeth war in der Gewalt

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dieser Schurken!

Ritter Roland machte sich bittere Vorwürfe. Wäre er doch

wachsamer gewesen!

»Wohin reiten wir?« fragte er.
Der Bärtige lachte. »In die Hölle, mein Lieber. In die Hölle.«

*

Düster und drohend ragte die alte Burg auf. Die Mauern waren
schwarz und verrußt, und Roland sah, daß die Ringmauer eine große
Bresche auf wies. Die Zugbrücke war ebenso zerstört wie die Dürnitz
und verschiedene Türme und Zinnen.

Die Burg war erobert worden, und der Zahn der Zeit hatte an der

ausgebrannten Ruine genagt.

Sie ritten durch die Bresche in der zerstörten Ringmauer.
Roland sah einen grellbemalten Kastenwagen im Burghof beim

Ziehbrunnen. Der Wagen von Fahrendem Volk, auf dem rote Lettern
Tierattraktionen anpriesen.

Der Bärtige zügelte sein Pferd. Das Roß, auf das Roland gebunden

war, blieb ebenfalls stehen. Der Bärtige löste die Zügel, die er an
seinen Sattel gebunden hatte.

Vier Männer tauchten auf. Roland erkannte zwei der Kerle wieder,

die ihn beim Bach gefangengenommen hatten.

Einer band ihn los und warf ihn wie einen Mehlsack vom Roß.

Roland stieß sich beim Aufprall den Kopf. Er konnte sich mit den
gefesselten Händen nicht abfangen, um den Sturz zu mildern.

»Bringt ihn zu Barnabas!« befahl der Bärtige.
Zwei Männer packten Roland unter den Achseln und an den Füßen

und schleppten ihn in den zerstörten Palast.

Flackernde Kerzen spendeten nur spärlich Licht in dem großen

Raum, der offensichtlich als Quartier der Räuber hergerichtet war.

Roland brauchte einen Augenblick, bis sich seine Augen an das

schummrige Licht gewöhnt hatten.

Er sah ein großes Lager aus Decken und Fellen. Rund ein Dutzend

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Katzen lagen darauf, und jetzt wußte Roland auch, weshalb es so
durchdringend roch.

Sie warfen ihn ans Fußende des Lagers.
In die Katzen kam Bewegung. Einige miauten, ein Kater fauchte,

und die Tiere wichen vor ihm zurück.

Da bemerkte Roland die Gestalt auf dem Lager. Er hatte sie zuvor

nicht erkannt, weil sie mit dem gleichen Fell bekleidet war wie das
Lager und weil sie fast von den Katzen zugedeckt gewesen war.

Der Mann hob eine schwarze Katze von seiner Brust, schob eine

grauweißgestreifte Katze von seinem Oberschenkel und erhob sich.

Einer der Räuber zündete weitere Kerzen an.
Roland sah den Anführer der Räuber jetzt genauer. Braungelbliche

Augen, die tief in den Höhlen lagen, musterten ihn. Dünne Lippen
zogen sich von den vorstehenden Schneidezähnen. Ein Grinsen, als
bleckte ein Raubtier die Zähne. Rötlich schimmerte eine Narbe, die
vom linken Mundwinkel bis hinauf zur Schläfe reichte. Roland sah,
daß der Mann ein verstümmeltes Ohr hatte.

Das Gesicht kam Roland irgendwie bekannt vor, doch es wollte

ihm nicht einfallen, wo er es schon einmal gesehen hatte.

»So sieht man sich wieder«, sagte Barnabas mit dumpfer Stimme.

»Erkennst du mich wieder?«

»Nein.«
Breitbeinig blieb Barnabas vor Roland stehen und starrte auf ihn

hinab.

»Ich bin Barnabas«, sagte er. »Barnabas du Polignac. Erinnerst du

dich daran, wie sie mir damals den Prozeß machten?«

Da fiel es Ritter Roland wie Schuppen von den Augen.
Barnabas du Polignac - der Schrecken vom Rhein!
Roland glaubte wieder die grausigen Ereignisse vor seinem

geistigen Auge zu sehen:

Er war Sechzehn gewesen und hatte für seinen Vater, den Köhler

etwas eingekauft, als Barnabas und seine wilde Horde in das Dorf
eingefallen waren. Die Bande des Schreckens hatte gemordet,
gebrandschatzt und Frauen geschändet.

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Roland hatte alles hilflos mit ansehen müssen. Es waren rund drei

Dutzend Verbrecher gewesen, und der Köhlersohn hatte zu dieser
Zeit noch nicht einmal ein Schwert besessen.

Er hatte sich verstecken müssen, denn die Räuber hatten bei der

Suche nach Beute den ganzen Ort durchkämmt und jeden
niedergemacht, den sie entdeckt hatten.

Dann war Roland geflüchtet, um Hilfe zu holen. Sie hatten ihn

entdeckt, und Barnabas hatte ihm ein paar seiner Räuber
nachgeschickt, um den Bengel für immer zum Schweigen zu bringen.

Doch er war ihnen entkommen.
Ein paar Wochen später waren Barnabas und ein Teil seiner

Mordgesellen gestellt worden. Wiederum waren sie in einen kleinen
Ort eingefallen, um zu rauben und zu vergewaltigen. Doch diesmal
war man vorbereitet gewesen. Einer von Barnabas' Räubern hatte den
Raubzug verraten. Ein starker Reitertrupp des Königs hatte im
Hinterhalt auf die Räuber gewartet. Die Falle war zugeschnappt.

Ein Dutzend Räuber waren im Kampf gestorben, doch

ausgerechnet einer hatte verletzt entkommen können: Barnabas.

Man schnappte ihn drei Tage später, weit vom Ort des Überfalls

entfernt. Er bestritt, jemals in diesem Ort gewesen zu sein und
leugnete, irgend etwas mit den gefangenen Räubern zu tun zu haben.
Niemand konnte ihm das Gegenteil beweisen.

Da holte man den jungen Roland, dessen Aussage nach dem

anderen Überfall schriftlich festgehalten worden war.

Roland und ein weiterer Augenzeuge erkannten in Barnabas

zweifelsfrei den Anführer der üblen Horde wieder.

Auf ihre Aussage hin wurde Barnabas zum Tode verurteilt. Roland

hatte nie wieder etwas von der Sache gehört.

»Sie hätten mich damals um ein Haar aufgehängt«, sagte Barnabas

mit dumpfer Stimme. Er tastete über die wulstige Narbe zum
verstümmelten Ohr. »Doch ich konnte dem Henker ein Schnippchen
schlagen. In der Nacht vor der Hinrichtung entkam ich mit Hilfe
einer Verwandten aus dem Kerker. Und seither freue ich mich auf
den Tag der Rache.«

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Haß loderte in den braungelblichen Augen des Verbrechers auf.
»Es hat lange gedauert, bis ich dich endlich fand«, fuhr er mit

rauher Stimme fort. »Ich wollte erst nicht glauben, daß aus dir
Bengel ein Ritter geworden ist. Ich hörte von dir, als ich mit meinen
Katzen durch die Lande zog. Roland, der Ritter mit dem
Löwenherzen! Ich dachte, das muß ein anderer sein. Doch meine
Nachforschungen ergaben dann, daß du der Köhlerbengel warst, der
mich damals fast an den Galgen gebracht hätte.«

Unbeherrscht trat er nach dem gefesselten Gefangenen, der zu

seinen Füßen lag. Roland schössen vor Schmerz Tränen in die
Augen. Er preßte die Zähne zusammen.

»Du wirst sterben!« zischte Barnabas. »Und ich habe mir einen

besonders feinen Tod für dich Hundsfott ausgedacht. Einen Tod, der
eines Ritters mit dem Löwenherzen würdig ist!«

Er lachte, und Roland lief ein kalter Schauer über den Rücken.
Dann rief Banabas nach einem seiner Räuber.
Es war der Bärtige.
»Bereitet alles vor, Wenzel!« befahl Barnabas.
Wenzel blickte grinsend zu Roland. Dann eilte er davon. Roland

hörte, wie er im Burghof lautstark Anweisungen gab. Irgend etwas
sollte aufgebaut werden.

Welche Teufelei hatte Barnabas vor?
Barnabas starrte auf ihn herab.
»Hast du noch einen letzten Wunsch?« fragte er spöttisch.
Roland schwieg. Es war ihm klar, daß der Verbrecher seine Rache

auskosten wollte und daß die Frage blanker Hohn war.

»Das hat man mich damals auch gefragt«, fuhr Barnabas fort. »Ich

wünschte mir zur Henkersmahlzeit Rehragout mit Klößen und
Rotkohl - mein Leibgericht. Man erfüllte mir diesen Wunsch, und
deshalb will ich vor deiner Hinrichtung auch so großzügig sein. Also,
was wünschst du dir?«

»Fahr zur Hölle!« knirschte Roland.
Barnabas entblößte grinsend seine vorstehenden Schneidezähne.
»Sehr lustig. Ja, Elisabeth erzählte mir, daß du ein recht witziger

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Freier bist.«

Elisabeth? Wie kam sie dazu, dem Verbrecher etwas über ihn zu

erzählen?

»Wo ist Elisabeth?« fragte Roland. Seit seiner Gefangennahme

hatte er sie nicht mehr gesehen.

»Sie ist hier«, erwiderte Barnabas grinsend. »Willst du sie noch

mal sehen, bevor du Katzenfutter wirst?«

Roland schluckte. Elisabeth war also in der Gewalt dieses

Verbrechers!

Er dachte an den Überfall in der Herberge, mit dem alles

angefangen hatte.

»Bei dem Überfall in Hohenwarth sollten mich deine Männer

gefangennehmen?« fragte er aus seinen Gedanken heraus.

Barnabas nickte. »Stimmt. Du brauchst dir gar nichts einzubilden,

weil du ihnen einen Strich durch die Rechnung machen konntest. Sie
hatten den Befehl, dich lebend bei mir abzuliefern. Den Jungs waren
also die Hände gebunden. Nur deshalb konntest du den Helden
spielen.«

»Warum haben mich deine Männer nicht mitgenommen, als sie

uns in dem Gasthof betäubten?« fragte Roland. »Warum haben sie
nur Elisabeth gefangengenommen?«

Barnabas' Miene verfinsterte sich.
»Das waren nicht meine Männer«, sagte er zu Rolands

Überraschung. »Da waren irgendwelche verdammten Räuber am
Werk.«

»Dieser Meinhardt mit dem Hackebeil gehört nicht zu deinen

Leuten?« fragte Roland verwundert.

»Nein. Und du kannst sicher sein, daß wir dich und Elisabeth aus

den Händen dieser verflixten Kerle befreit hätten, wenn ihr nicht so
entkommen wärt. Einer meiner Männer folgte euch ständig und
beobachtete euch auf Schritt und Tritt.«

Er genoß sichtlich Rolands Überraschung.
»Doch kommen wir zu deinem letzten Wunsch zurück«, fuhr

Barnabas grinsend fort. »Ich höre.«

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»Laß Elisabeth frei«, sagte Roland. Die Worte kamen ihm ohne

Überlegung über die Lippen, und als er sie ausgesprochen hatte,
schalt er sich töricht. Nie würde ihm der Verbrecher diesen Wunsch
erfüllen.

»Oh, wie ritterlich«, sagte Barnabas da auch schon spöttisch. »Er

bittet für die Dame.« Er grinste auf Roland herab. »Nun, du hast nur
einen Wunsch, den ich dir gewähre. Also überlege gut. Ich gebe dir
noch ein wenig Bedenkzeit.«

Er packte einen Kater, der um sein Bein herumstrich, nahm ihn auf

die Arme und kraulte ihn.

Rolands Gedanken jagten sich. Meinhardt und Barnabas waren

also zwei paar Schuhe. Das war die Erklärung, weshalb ihn die
Räuber vom Gasthof aus nicht mitgenommen hatten wie Elisabeth.
Meinhardt hatte nur Elisabeth haben wollen. Barnabas dagegen hatte
es nur auf ihn - Roland - abgesehen, um sich zu rächen. Elisabeth
war für diesen Kerl praktisch nur eine Draufgabe.

Barnabas blickte auf. »Nun, hast du dir deinen Wunsch überlegt?«
Roland hegte keine Hoffnung, doch er wiederholte:
»Laß Elisabeth frei.«
Barnabas zuckte mit den Schultern. »An deiner Stelle hätte ich mir

Rehragout gewünscht. Aber du mußt es ja wissen.« Er grinste, und
Roland glaubte seinen Ohren nicht trauen zu können, als Barnabas
hinzufügte: »Wohlan, dein Wunsch soll erfüllt werden.« Er hob die
Stimme: »Elisabeth?«

Eine Tür klappte. Leise Schritte nahten. Dann tauchte Elisabeth in

der rußgeschwärzten Türöffnung auf.

Sie wirkte völlig unbeschwert.
»Sein letzter Wunsch ist deine Freilassung«, sagte Barnabas. »Ist

das nicht lustig?«

Er lachte wie über einen guten Scherz.
Elisabeth Terciere schritt geschmeidig heran. Ihre grünen Augen

funkelten.

Sie blieb neben Barnabas stehen und blickte auf Roland.
Dann begann auch sie schallend zu lachen.

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Jetzt verstand Roland überhaupt nichts mehr.
Endlich verstummte das Lachen der beiden.
Elisabeth sah Roland verächtlich an.
»Ein rechter Dummsack, der Ritter mit dem Löwenherzen!« sagte

sie mit hohntriefender Stimme und einem kalten Lächeln. »Es wird
mir eine Freude sein, zuzusehen, wie er zu Katzenfutter wird.«

*

Die Freude war Elisabeth Terciere anzusehen, als es dann soweit
war. Eine böse, teuflische Freude, und zu Ritter Rolands tiefer
Enttäuschung kam der Zorn darüber, daß er sich von dieser Frau so
sehr hatte hereinlegen lassen.

Diese zweibeinige Katze hatte ihm nur Theater vorgespielt. Sie

hatte Liebe geheuchelt, und dabei hatte der Haß in ihr gebrannt. Ein
Engel als Köder, dachte Roland.

Sie hatte damals durch Rolands Aussage ihren Geliebten verloren,

einer der Räuber von Barnabas, mit dem sie übrigens verwandt war.
Der Mann, der sie den Schwertkampf gelehrt hatte - ihr Meister. Sie
war es gewesen, die Barnabas vor der Hinrichtung aus dem Kerker
befreit hatte. Und sie hatte genauso auf Rache gesonnen wie
Barnabas.

Roland glaubte noch ihre Worte zu hören, als sie ihn auf den

Burghof schleppten, wo alles für seinen Tod vorbereitet war.

»Es war ein Kinderspiel, dich um den kleinen Finger zu wickeln,

du Dummkopf. Du hast dir eingebildet, du hättest mich erobert!
Dabei bist du nur in meine Falle getappt. Es war mir ein Vergnügen,
dich scharf zu machen. Mehrmals war ich versucht, dir ein Messer
zwischen die Rippen zu stoßen. Doch ich hatte Barnabas
versprochen, dich zu ihm zu locken, damit er zusehen kann, wie du
stirbst...«

Elisabeth Terciere war in Panik geraten, als der Überfall in der

Herberge gescheitert war. Sie hatte befürchtet, er könnte die beiden
flüchtenden Räuber schnappen und zum Plaudern bringen. Deshalb

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hatte sie sich Hals über Kopf davongemacht. Zuvor hatte sie dafür
gesorgt, daß der Räuber, der den Weinhändler niedergeschlagen
hatte, seine noch bewußtlosen Kumpane mitgenommen hatte. Sie
hatte Kontakt mit den Räubern gehalten und später erfahren, daß
Wenzel entkommen war. Da war ihr die Begegnung mit Rolands
Knappen ein willkommener Anlaß gewesen, nach Hohenwarth
zurückzukehren, um das teuflische Spiel fortzusetzen.

Fast hätte das Zwischenspiel mit dem Räuber Meinhardt ihr einen

Strich durch die Rechnung gemacht. Doch mit Hildegards Hilfe
waren sie entkommen, und sie hatte Roland leicht in die Falle locken
können ...

Ja, die schöne Elisabeth Terciere war eines der gerissensten Luder,

die Ritter Roland jemals über den Weg gelaufen waren.

Sie stand jetzt neben Barnabas und seinen fünf Männern.

Mitleidlos schaute sie zu, wie er in den Käfig gestoßen wurde.

Sie hatten ihm die Fesseln abgenommen. Doch was nutzte ihm

das?

Wie sollte er mit bloßen Händen den Löwen besiegen?
Denn das war der Tod, den ihm Barnabas und Elisabeth zugedacht

hatten:

Er sollte von einem Löwen zerfleischt werden!

*

Achim, der Räuber, zuckte zusammen und riß sein Schwert hoch, als
es neben ihm im Gebüsch raschelte. Dann atmete er auf.

Es war sein Kumpan Theo.
»Gib dich doch zu erkennen, Mann!« knurrte Achim.
Theo glitt neben ihn.
»Du hattest recht, Achim«, sagte er. »Es ist ihre Fährte. Sie sind in

der Burgruine. Ich konnte sie beobachten und ein paar Worte
belauschen. Weißt du, wer der Kerl ist, der mit dem schönen Weib
aus unserem Versteck verschwunden ist?«

Achim hob die Schultern.

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»Ein Ritter«, erklärte Theo triumphierend. »Roland heißt er. Und

die beiden anderen, die wir gefangengenommen haben, müssen seine
Knappen sein. Sie heißen Louis und Pierre, wie er sagte. Und die
beiden nannten sich doch auch so. Und sie sprachen von einem
Ritter. Es kann kein Zufall sein, daß sie bei uns auftauchten. ,Na, was
sagst du dazu? Da hatten wir durch Zufall einen richtigen Ritter
geschnappt.«

Achim zeigte sich unbeeindruckt.
»Na und? Das ändert nichts an unserem Auftrag. Wir sollen den

Kerl zur Hölle schicken und uns das Weib krallen. Alles andere juckt
mich nicht.«

Theo zeigte grinsend schadhafte Zähne. »Vielleicht doch. Ich

schlage vor, wir bringen den Kerl lebend zu Meinhardt. Da könnte
ein schönes Lösegeld herausspringen. Bei Rittern ist bestimmt etwas
zu holen.«

»Quatsch, ich kannte mal einen, der war arm wie eine

Kirchenmaus.«

»Aber selbst wenn er nicht viel besitzt - diese Ritter haben

Beziehungen. Irgendeiner bei Hofe wird bestimmt was für sie
ausspucken.«

Achim überlegte. Er war nicht so begeistert von der Idee wie Theo.
»Und wie wollen wir uns den Mann schnappen? Das kompliziert

doch alles.«

Theo schüttelte den Kopf. »Du weißt noch nicht alles. Er ist bereits

geschnappt. Die Leute auf der Burg haben ihn gefangengenommen.«

Achim blickte überrascht. »Sag nur! Ich dachte, es wären

Bekannte, bei denen sie Zuflucht gesucht haben.«

»Nein. Es sind Gaukler oder so was. Da steht jedenfalls ein bunter

Zirkuswagen auf dem Burghof. Ich nehme an, die Jungs wollen das
gleiche wie wir: Die Frau und den Ritter als Goldene Kuh.«

»Ochse, meinst du wohl.«
»Ochsen kann man nicht melken«, widersprach Theo grinsend.

»Und genau das werden wir mit dem Ritter tun.«

Achim lachte leise. »Also gut. Mit wie vielen Leuten haben wir es

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zu tun?«

»Genau hab ich das nicht gesehen. Vier oder fünf, denke ich.«
»Das sind genau vier oder fünf zuviel«, bemerkte Achim.
»Unsinn. Wir werden nicht kämpfen. Wir haben doch unseren

Zaubertrunk. Wir reiten zufällig bei der Ruine vorbei und tun, als
wollten wir rasten. Natürlich werden die Kerle mißtrauisch sein und
uns schnell wieder los werden wollen, weil sie doch Dreck am
Stecken haben. Wir reichen die Flasche herum, und schwups
schlafen sie. Dann brauchen wir nur noch das Weib und den Ritter zu
befreien, und fertig ist die Bratensoße.«

»Das klingt einfach.« Achim nickte nachdenklich vor sich hin.

»Warten wir, bis es dunkel wird und ...«

Er verstummte, und seine Augen weiteten sich.
Auch Theo erschrak.
»Wawas war das?« stotterte er und lauschte.
»Klingt wie ein ...Löwe!« stieß Theo hervor.
Da war wieder das Brüllen zu hören, das durch die Burgruine

hallte.

»Was mag da los sein?« fragte Achim angespannt.

*

Die eiserne Gittertür fiel hinter Ritter Roland zu. Er war in dem
Löwenkäfig, den Barnabas' Männer aus Eisengittern im Burghof
errichtet hatten. Der Löwe war durch einen Laufgang aus
Gitterstäben vom Wagen in den Käfig gelangt.

Ein gewaltiger Bursche mit enormer Mähne.
Er wirkte schläfrig, wie eine riesige Schmusekatze, und musterte

den Zweibeinigen fast gelangweilt. Doch Roland wußte, daß sich das
schnell ändern würde. Waffenlos war er diesen gewiß sechs Zentnern
geballter Kraft ausgeliefert!

Der Löwe tat ein paar lautlose, bedächtige Schritte und legte sich

dann hin, ohne sich für den Menschen zu interessieren.

»Der schläft ja ein«, sagte Elisabeth Terciere, und es klang

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enttäuscht.

Barnabas lachte.
»Der Schein trügt, meine Liebe. Löwen greifen Menschen nur an,

wenn sie von ihnen gereizt werden. Aber dann geht's rund.«

»So reizt ihn doch!« forderte Elisabeth Terciere die Männer auf.
Ritter Roland konnte nicht glauben, daß er diese Frau in den

Armen gehalten und heiß begehrt hatte.

Elisabeth hob ein Steinchen auf und wollte es auf den Löwen

werfen. Der Stein prallte vom Gitter ab und traf Wenzel, Barnabas'
Unterführer. Fluchend rieb sich Wenzel übers Bein.

»Macht dem Vieh Feuer!« schrie Elisabeth.
Einer der Männer schob auf einen Wink von Barnabas hin eine

Lanze durch die Gitterstäbe. Sie reichte nicht ganz bis zu dem
Löwen.

Der Löwe wandte den Kopf und bleckte die Fänge. Es sah aus, als

gähne er.

Roland verlor keine Sekunde. Er handelte.
Mit einem Hechtsprung warf er sich auf die Lanze zu.
»Vorsicht!« rief Barnabas alarmiert.
Roland packte die Lanze mit beiden Händen und riß daran.
Es war eine Aktion, die aus Verzweiflung geboren war. Wenn er in

diesem Löwenkäfig sterben mußte, so sollte es nicht kampflos
geschehen. Und mit der Lanze konnte er sich vielleicht die Raub-
katze vom Leib halten. Dann war er zwar immer noch nicht gerettet -
Barnabas und Elisabeth würden so oder so für seinen Tod sorgen.
Doch es blieb ihm erspart, von den Pranken und Fängen des Löwen
zerrissen zu werden.

Fast hätte Roland es geschafft.
Barnabas Mann war von der blitzschnellen Attacke überrascht.

Doch er hielt die Lanze fest umklammert, riß sie zurück, und Roland
prallte in seinem Schwung gegen die Gitterstäbe, die in den
Verankerungen klirrten.

Der Löwe fauchte bei dem Geräusch.
Bevor Ritter Roland sich fangen konnte, war Barnabas mit einem

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Satz am Gitter, schob sein Schwert hindurch und hieb Roland auf die
Finger.

Roland schrie vor Schmerzen auf. Im ersten Augenblick dachte er,

der Verbrecher hätte ihm die Hand abgehackt. Rasende Schmerzen
zuckten seinen Arm hinauf bis zur Schulter.

Er konnte die Lanze nicht festhalten. Er rutschte aus und fiel. Er

landete keine drei Schritte von dem Löwen entfernt, der sich bei den
schnellen und ruckartigen Bewegungen aufgesetzt hatte und jetzt
sprungbereit wirkte.

Roland blickte zu seiner verletzten Hand hinab.
Blut rann über den Handrücken. Der Schwerthieb hatte ihm die

Haut aufgerissen.

Der Löwe witterte das Blut. Seine langen Schnurrhaare sträubten

sich. Er entblößte die gelblichen, scharfen Fänge. Ein grollendes
Knurren kam tief aus seiner Kehle.

Langsam setzte sich der Löwe in Bewegung. Majestätisch, lautlos,

geschmeidig.

»Na also«, rief Barnabas. »Jetzt hat er Blut gewittert.«
Elisabeth Terciere rüttelte an den Gitterstäben und feuerte den

Löwen mit wilden Schreien an.

Vielleicht war das genau das Falsche.
Der König der Wildnis verharrte. Seine Lichter funkelten das

Wesen an, das mit schriller Stimme auf ihn einschrie.

Fast abwehrend hob die Raubkatze eine der Pranken. Es sah aus

wie die tapsige Bewegung eines Kätzchens, das nach einem
Wollknäuel hascht. Doch der Schein trog. Der Prankenhieb hätte
Roland vermutlich besinnungslos geschlagen.

Roland preßte die linke Hand auf die blutende Rechte und starrte

wie gebannt zu dem Löwen, der jetzt zornig fauchte.

Elisabeth schrie immer noch. Sie war wie von Sinnen.
Der Löwe brüllte, daß es über den Burghof hallte.
Elisabeth verstummte erschrocken und sprang vom Gitter zurück.
Der bisher schläfrige Eindruck verlor sich schlagartig. Offenbar

war dem Löwen Elisabeths Geschrei zuviel geworden. Seine Pranke

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knallte fast ansatzlos gegen einen der Gitterstäbe.

Der Löwe brüllte auf.
Es klang zornig und gereizt.
Elisabeth war blaß geworden und von den Gitterstäben

zurückgewichen. Auch Barnabas' Mannen verharrten angespannt und
blickten auf die brüllende Raubkatze.

Nur Barnabas lächelte.
»Man darf das Kätzchen nicht unterschätzen«, sagte er. »Es hat

schon drei ihrer vorherigen Besitzer verspeist, die jede seiner
Reaktionen zu kennen glaubten.« Er wandte sich an einen seiner
Männer. »Wenzel, brenn ihm mal einen Pfeil aufs Fell.«

Wenzel zog seinen Bogen von der Schulter und nahm einen Pfeil

aus dem Köcher.

Der Löwe fauchte noch einmal zum Gitter hin und zog sich dann

zurück.

Auf Ritter Roland zu.
Roland lag immer noch wie betäubt am Boden. Die Raubkatze

wuchs über ihm scheinbar ins Riesenhafte. Roland sah die
funkelnden Lichter, das Spiel von Muskeln und Sehnen.

Aus! dachte er und schloß die Augen.
Er konnte nicht mehr aufspringen. Die Raubkatze wäre mit einem

Sprung bei ihm gewesen. Und wahrscheinlich würde sie bei einer
heftigen Bewegung erst recht das Opfer in ihm wittern und ihn
anfallen.

Roland spürte den heißen Atem des Löwen, und wie aus weiter

Ferne hörte er Barnabas lachen.

Barnabas genoß seine Rache.
Laut rief er:
»Der Ritter mit dem Löwenherzen - noch hält er sein Löwenmaul,

doch gleich brüllt er vor Schmerzen!«

Auch Elisabeth lachte, kalt und schrill.
»Seinetwegen habe ich mein Glück verloren! Ich will sehen, wie er

stirbt!«

Roland spürte etwas Weiches, Feuchtes an seiner Wange. Es war

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ihm, als setzte sein Herzschlag aus.

»Jetzt hat der große Ritter das Hosenflattern!« johlte Barnabas.

»Sieh nur, Elisabeth, wie er vor Angst vergeht.«

Es stimmte. Ritter Roland hatte Angst. Welch ruhmreiche Taten

hatte er vollbracht! Doch niemals hatte er sich so hilflos gefühlt.

In diesen schrecklichen Sekunden hatte er nur einen Gedanken:

Herr im Himmel laß es schnell vorbei sein!

Das Stoßgebet wurde nicht erhört.
Das Weiche, Feuchte verschwand, und Roland hörte etwas an sich

vorbeitappen.

Er öffnete blinzelnd die Augen und konnte noch nicht fassen, daß

der Löwe ihn verschont hatte.

Die Raubkatze glitt tatsächlich an ihm vorbei. Sie hatte ihn

beschnuppert und offenbar keinen Appetit.

Roland wagte kaum zu atmen.
Barnabas lachte.
»Jetzt hat er sich vor Angst in die Hosen gemacht!« rief er

höhnisch. »Dabei geht es gar nicht so schnell, wie er gedacht hat.
Das Kätzchen hat zuvor gut gespeist. Es wird noch ein wenig mit
ihm spielen. Wenzel, spick den Löwen mit einem Pfeil. Aber so, daß
er nicht ernsthaft verletzt wird, oder ich werde dich vierteilen!«

Roland sah, wie Wenzel an das Gitter trat, sorgfältig zielte und den

Bogen nur ein wenig spannte.

Der Löwe verharrte etwa vier Schritte von ihm entfernt und wandte

den Kopf mit der gewaltigen Mähne, als sei er unschlüssig, ob er
nicht doch zu der Kreatur zurückkehren sollte, die dort am Boden
lag, um sie als Nachtisch zu vernaschen.

Langsam und bemüht, jede ruckartige Bewegung zu vermeiden,

kroch Ritter Roland von der Raubkatze fort.

Da zischte der Pfeil durch die Gitterstäbe.
Der Löwe brüllte auf, und Roland erschauerte bei diesem zornigen

Urlaut.

Der Pfeil war nicht tief eingedrungen. Er wippte leicht im Fell. Der

Löwe schüttelte den enormen Schädel. Es hatte fast den Anschein,

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als sträubte sich die Mähne. Wieder stieß der Löwe ein tiefes,
grollendes Brüllen aus. Die Raubkatze schüttelte sich, doch der Pfeil
blieb stecken.

Und jetzt richteten sich die funkelnden Lichter der Raubkatze auf

Roland, als sei er für den Angriff verantwortlich.

Roland hatte fast das Gefühl, der Löwe fühle sich betrogen. Als

signalisierten die Raubtieraugen: So, du willst frech werden, du
Mensch! Das hat man von seiner Gutmütigkeit! Aber ich kann auch
anders!

Und der Löwe fauchte und duckte sich zum Sprung.
»So ist's richtig!« rief Barnabas. »Ein guter Schuß, Wenzel. Jetzt

beginnt das Spiel. Ich wette, daß sich die Katze jetzt die Vorspeise
holt. Was meint ihr, erst einen Arm oder ein Bein?«

Er blickte grinsend in die Runde.
Elisabeth lachte, doch jetzt klang es angespannt und gekünstelt.

Zudem war sie leichenblaß. Vielleicht hatte sie sich das grausige
Schauspiel doch nicht so in den Einzelheiten ausgemalt, wie
Barnabas es jetzt genüßlich beschrieb.

Der Löwe spannte sich zum Sprung. Er starrte Roland an wie ein

Riesenkater, der die Maus in die Enge getrieben hat und sie nun noch
ein wenig zittern läßt, bevor er sie sich schnappt.

Es war unmöglich, waffenlos gegen diese Raubkatze zu bestehen.

Langsam richtete sich Roland auf. Er starrte dem Löwen in die
funkelnden Lichter, und er wünschte, über hypnotische Kräfte zu
verfügen.

Totenstille herrschte im Burghof.
Selbst das Schwalbenpaar im zerstörten Dach der Burgkapelle

verharrte mucksmäuschenstill und spähte zum Käfig hin.

Dann sprang die Raubkatze. Mit einem gewaltigen Satz schnellten

die Zentner Muskeln, Sehnen und Fleisch auf Roland zu, scheinbar
schwerelos, wie spielerisch.

Roland wußte, daß er keine Chance mehr hatte. Die Katze war

gereizt, und jede Abwehrbewegung würde sie noch wilder machen.

Ritter Roland handelte, ohne zu denken.

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Auch er sprang. Und es war der gewaltigste Satz, den der Ritter

mit dem Löwenherzen je gemacht hatte.

Die Todesangst verlieh ihm ungeahnte Kräfte.
Er flog förmlich an den Gitterstäben hoch und riß noch im Sprung

instinktiv die Beine hoch.

Die Fänge der Raubkatze verfehlten seine Stiefel um eine

Handbreit. Er hätte gewiß keine Stiefel mehr gebraucht, wenn die
Fänge zugeschnappt hätten.

Roland klammerte sich an den Gitterstäben fest und hangelte sich

höher.

Der Löwe brüllte. Enttäuscht oder wütend, vermutlich beides.
Roland gelangte bis oben aufs Gitter.
Seine Brust hob und senkte sich unter keuchenden Atemzügen. Er

war schweißgebadet und hatte das Gefühl, sich übergeben zu
müssen, weil er sich völlig verausgabt hatte. Seine Hände zitterten
und seine Knie waren weich. Doch er klammerte sich dort oben fest.

Er war grenzenlos erleichtert. Zumindest im Augenblick hatte er

überlebt.

Der Löwe schnellte fauchend am Gitter hoch.
Sekundenlang stieg neue Furcht in Roland auf, doch dann sagte er

sich, daß der Löwe trotz seiner Sprungkraft nicht an ihn herankam.
Natürlich war das Schutzgitter hoch genug. Sonst hätte der Käfig ja
nicht seinen Zweck erfüllt. Oder konnte die Raubkatze an den
Gitterstäben hochklettern?

Roland blickte besorgt zu dem Löwen. Nein, der Bursche schien

das Interesse verloren zu haben. Rolands Blick zuckte zum Publikum
außerhalb des Käfigs.

Keiner klatschte Beifall, aber damit hatte Roland auch nicht

gerechnet.

Elisabeths Mund klaffte auf. Ihre Miene war nicht recht zu deuten.

War es Bestürzung in ihren grünen Katzenaugen oder Bewunderung
über seinen Verzweiflungssprung?

Die Männer blickten jetzt zu Barnabas, als wollten sie hören, wie

es weitergehen sollte.

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Barnabas lachte.
»Mit diesem Hopser hättest du gewiß jedes Turnier gewonnen,

falls ihr Ritter solche blöden Wettkampf-Scherze betreibt«, rief er
höhnisch. »Doch leider war das völlig umsonst.«

Er gab dem Bogenschützen einen knappen Wink.
»Wenzel, schieß ihn mal da runter! Aber vorsichtig, damit er uns

nicht abnippelt.«

Wenzel nickte eifrig. Er legte einen Pfeil auf die Bogensehne.
Bedächtig zielte er.
Ritter Roland hing hilflos auf dem Gitter. Unter ihm im Käfig

wartete der gereizte Löwe. Und auf der anderen Seite standen fünf
bewaffnete Männer und Elisabeth.

Für einen Augenblick spielte Ritter Roland mit dem Gedanken,

sich auf sie zu werfen. Er schätzte schnell die Entfernung ab. Zu
weit. Er würde vor ihnen landen, und selbst wenn er den Sprung heil
überstand, würde es kein Entkommen geben. Eine Minute später
hätten sie ihn wieder im Löwenkäfig, und das ganze teuflische Spiel
würde fortgesetzt werden.

Nein, eher würde er sich dort oben töten lassen.
Er sah den Pfeil auf sich zurasen und schloß die Augen.
Dann zuckte ein glühendheißer Schmerz durch seine Schulter. Der

Pfeil fetzte ihm eine Furche in den Oberarm. Blut tränkte den Stoff.

Der Löwe brüllte.
Rolands rechter Arm war sekundenlang wie betäubt. Er klammerte

sich mit der Linken fest und versuchte gegen das Schwindelgefühl
anzukämpfen. Seine Hand war schweißnaß.

Nur nicht abrutschen! dachte er verzweifelt. Sein Arm begann vor

Anstrengung zu zittern, als er sich am Gitter festhielt.

»Du solltest ihn runterschießen!« rief Barnabas und bedachte

Wenzel mit einem ärgerlichen Blick.

Wenzel zuckte mit den Schultern. »Ist nicht so einfach. Wenn ich

ihn nur ritze, hält er sich fest wie'n Affe. Und wenn ich ihn voll
erwische, wird er kein Katzenfutter - das heißt kein lebendes.«

»Papperlapapp!« Barnabas' Stimme klang wie ein Knurren. »Wenn

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du dir keinen perfekten Schuß zutraust, dann machen wir es eben
anders. Ist doch ganz einfach!«

Damit gürtete er sein Schwert und schritt auf das Gitter zu.
Roland spannte sich bereits zum Sprung. Jetzt konnte er sich auf

Barnabas werfen. Damit war zwar immer noch nichts gewonnen,
doch wenn er Glück hatte und dem Verbrecher das Schwert entreißen
konnte ...

Er konnte den Gedanken nicht fortsetzen.
Es war zu spät. Barnabas hangelte sich bereits katzengewandt am

Gitter empor.

Roland hoffte, der Löwe würde den Verbrecher anspringen und ihn

zwischen den Gitterstäben mit einem Prankenhieb zerschmettern.

Doch der Löwe rührte sich nicht von der Stelle und wirkte wieder

ruhiger Roland wartete angespannt. Barnabas beging nicht den
Fehler, direkt unter ihm hochzuklettern. Er hielt sich etwa drei
Schritte rechts von Roland, außer Reichweite.

Roland sah das grinsende Gesicht, in dem die rote Narbe glühte.
Barnabas hielt sich mit der Linken am Gitter fest und zückte mit

der Rechten sein Schwert.

»So, das haben wir gleich«, sagte er. »Kätzchen, deine Mahlzeit

kommt sofort. Paß auf, daß er dir nicht auf den Kopf fällt!«

Lachend holte er mit dem Schwert aus. Er wollte es Roland auf die

Finger schlagen, damit er die Gitterstäbe loslassen mußte und in den
Käfig stürzte.

Roland dachte nur an das Schwert. Wahrscheinlich würde es ihm

im Kampf gegen den Löwen nichts nutzen. Doch er hatte auch gar
nicht vor, den ungleichen Kampf gegen die Raubkatze aufzunehmen.
Wenn es ihm gelang, das Schwert an sich zu reißen, wollte er aus
dem Käfig in die Tiefe springen. Dann konnte er sich vielleicht
Elisabeth schnappen oder Barnabas das Schwert auf die Brust setzen,
wenn der Kerl ihm nachsprang.

Es war nur eine hauchdünne Chance, doch sie war allemal besser

als keine.

Als Barnabas grinsend das Schwert vorstieß, griff Ritter Roland

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danach wie nach dem rettenden Strohhalm.

Genau im richtigen Sekundenbruchteil.
Er schnitt sich einen Finger an der blitzenden Klinge auf, doch das

nahm er gar nicht wahr. Er hielt das Schwert fest und war von wilder
Entschlossenheit erfüllt, es nicht mehr loszulassen.

Barnabas schrie erschrocken auf.
Mit einer solch tollkühnen, unglaublich schnellen Reaktion hatte er

nicht gerechnet, sondern mit Angst, mit einem Zurückzucken des
Opfers.

Doch furchtlos stieß Roland die Hand zu der scharfen Klinge!
Ritter Roland, der noch vor Sekunden dem Tod ins Auge geblickt

hatte, entwickelte in seiner Verzweiflung schier unglaubliche Kräfte.
Während er mit der Rechten die Schwertklinge umkrampfte und
Barnabas' Stoßbewegungen abfing, sprang er zwei Gitterstäbe weiter,
auf Barnabas zu, klammerte sich mit der Linken fest und zog mit
einem gewaltigen Ruck an dem Schwert.

Es spielte sich alles so schnell ab, daß Roland es selbst gar nicht

richtig mitbekam.

Roland sah plötzlich etwas an sich vorbeiwirbeln und hörte einen

Aufschrei aus mehreren Kehlen.

Elisabeth schrie, zwei der Räuber brüllten entsetzt, und am

lautesten schrie Barnabas.

Er war von Rolands Ruckbewegung überrascht worden, hatte auf

dem Gitter das Übergewicht bekommen und stürzte in den
Löwenkäfig.

Dann ging sein gellender Schrei im Brüllen des Löwen unter.
Barnabas war auf die Raubkatze gefallen.
Und das hatte dieser gewaltige Bursche nicht so gern.
Roland sah alles verschwommen. Es war ein grausiger Anblick. In

seiner Panik beging Barnabas, der sich so gut mit Katzen auskannte,
einen Fehler, der das Verhängnis nur beschleunigte. Barnabas schlug
nach dem Löwen.

Dann ging alles rasend schnell.
Roland schloß die Augen, als er sah, wie der aufs Äußerste gereizte

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Löwe über Barnabas herfiel. Es wurde ihm fast schlecht bei dem
Gedanken, daß er an Barnabas' Stelle jetzt dort unten hatte zerfetzt
werden sollen.

Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bevor Roland das Unfaßbare

überhaupt begriff, bis ihm klar wurde, daß er zwar noch lebte, daß da
aber noch Elisabeth und die anderen waren, die ihm gewiß nicht
Glück wünschen würden, weil er davongekommen war.

Sein Blick zuckte von dem schaurigen Anblick im Käfig hinunter

zu den anderen Gegnern.

Alle starrten entsetzt und wie erstarrt.
Roland erkannte, daß er keine Zeit verlieren durfte.
Er schwang sich über das Gitter, ließ sich an einem Stab ein Stück

hinabrutschen und sprang den Rest hinab.

Barnabas' Männer wirkten wie Statuen, und in ihren Augen

flackerte das Entsetzen.

Elisabeth war kreidebleich und sah aus, als würde sie ohnmächtig

umfallen. Doch der Schein trog.

Roland prallte zu Boden. Er fiel unglücklich auf die Schulter, an

der ihn der Pfeil gestreift hatte, und die lange Furche riß noch mehr
auf. Blut schoß aus der Wunde.

Bevor Roland seine Benommenheit abschütteln und sich

aufrappeln konnte, lösten sich Elisabeth und Barnabas' Mannen aus
ihrer Erstarrung.

Elisabeth verwandelte sich in eine Furie.
»Mörder!« kreischte sie wie von Sinnen, und sie fiel über ihn her,

fast wie der Löwe zuvor über Barnabas hergefallen war.

Sie schlug und biß und zog Roland die Fingernägel durchs Gesicht.

Und dabei kreischte sie immer wieder: »Mörder! Mörder!«

Roland blieb keine Wahl. Sie war eine schöne Frau, doch sie war

auch eine der gefährlichsten, die er je kennengelernt hatte.

Zudem griffen jetzt Barnabas' Männer ein.
Roland kämpfte.
Er packte die rasende Elisabeth Terciere und schleuderte sie gegen

zwei der Angreifer. Die Frau riß die beiden Männer mit sich zu

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Boden.

Roland packte Barnabas' Schwert und fuhr zu Wenzel herum.
Wenzel hatte einen Pfeil auf die Sehne gelegt und spannte den

Bogen.

Ritter Roland schleuderte aus der Drehung heraus das Schwert.
Er verfehlte den Bogenschützen!
Der Pfeil schnellte von der Sehne.
Roland warf sich hin.
Hinter ihm gellte ein Schrei. Elisabeth. Der Schrei ging in ein

Röcheln über.

Elisabeth war aufgesprungen und hatte sich von neuem auf Roland

stürzen wollen, als er zu Wenzel herumgewirbelt war.

Wenzels Pfeil traf sie.
Roland sah, wie sich die Augen des Bogenschützen entsetzt

weiteten. Noch konnte er den Schreck des Mannes nicht deuten. Er
erfaßte nur, daß Wenzel noch auf den Beinen stand und seinen
Bogen in der Hand hielt. Derweil rappelten sich Wenzels Kumpane
auf und einer stürmte mit erhobenem Schwert heran.

Und Roland war jetzt ohne Schwert.
Er hechte auf Wenzel zu.
Wenzel reagierte überhaupt nicht. Fassungslos starrte er an Roland

vorbei. Ritter Roland riß ihn zu Boden und schmetterte ihm die Faust
ans Kinn. Wenzel erschlaffte.

Ritter Roland schnellte auf das Schwert zu, das ein paar Schritte

entfernt am Boden lag. Er riß es hoch und fuhr herum.

Doch von Barnabas' Räubern drohte keine Gefahr.

Schreckensbleich starrten sie auf Elisabeth.

Auch Roland erschrak.
Ein Pfeil ragte aus Elisabeths Oberkörper. Sie lag auf dem Rücken,

und ihre gebrochenen Augen starrten in den Himmel.

Roland schluckte. Er glaubte einen Kloß in der Kehle zu haben.

Elisabeth hatte seinen Tod gewollt und war von Haß und Rache
getrieben worden. Doch ihr Anblick rührte ihn. Er verspürte keine
Genugtuung darüber, daß sie ein solches Ende gefunden hatte.

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Rolands Blick zuckte zu Barnabas' Männern. Zwei standen wie

angewurzelt da und starrten in den Käfig zu Barnabas' schrecklich
zugerichteter Leiche. Zwei andere blickten fassungslos auf die tote
Frau. Und Wenzel war bewußtlos.

Roland sprang auf.
Das Schwert in seiner Hand blitzte in der Sonne auf.
Roland mußte wie der Leibhaftige aussehen, als er auf die Männer

zustürmte. Er blutete an der Schulter, an der Hand und aus den
Kratzwunden im Gesicht, die Elisabeth ihm zugefügt hatte, bevor er
sie sich vom Leib hatte halten können.

Und die grauenvollen Ereignisse schienen sich in seinem Gesicht

widerzuspiegeln.

Keiner der Räuber dachte mehr an Kampf. Barnabas, ihr Anführer,

war tot, und Elisabeth, deren Befehle sie ebenfalls befolgt hatten, war
an einem Pfeil ihres eigenen Kumpans gestorben. Und da stürmte
Ritter Roland auf sie zu, der aussah, als sei er entschlossen, sie alle
niederzumachen.

Sie warfen sich herum und ergriffen die Flucht.
Einer schrie dabei in weiser Voraussicht schon mal: »Gnade!

Gnade!« Und es klang wie ein Schluchzen.

Doch Ritter Roland verfolgte sie nicht. Er verharrte. Sein Herz

hämmerte, und vor seinen Augen verschwamm alles. Er war so
mitgenommen, daß seine Knie nachgaben. Er sank neben dem
bewußtlosen Wenzel zu Boden und rang um Atem.

Es dauerte eine Weile, bis er wieder klarer sah und das

Schwächegefühl nachließ.

Er zwang sich, zum Löwenkäfig zu blicken.
Die Raubkatze saß neben dem, was von Barnabas übrig war, und

leckte sich das blutige Maul.

Von neuem stieg Übelkeit in Roland auf. Er erhob sich wankend.

Er vermied es, zu Elisabeth zu blicken.

Hufschlag entfernte sich. Barnabas' Männer galoppierten davon. Er

sah sie durch die Bresche in der Ringmauer verschwinden.
Vermutlich hatten sie ihre Rösser irgendwo in den ausgebrannten

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Stallungen gehabt.

Roland zog Wenzel den Hosengürtel aus und wollte ihn gerade

damit fesseln, als er ein Geräusch vom Palas her wahrnahm.

Sein Kopf ruckte herum.
Zwei Männer rannten auf den Burghof.
Und Roland erkannte sie sofort wieder. Das waren die Kerle, die

ihnen im Gasthof den Betäubungstrunk kredenzt hatten - Meinhardts
Räuber.

»Du Hund!« schrie einer der beiden und griff ungestüm mit dem

Schwert an.

Achim und Theo hatten alles beobachtet. Unbemerkt waren sie in

die Burgruine eingedrungen und hatten an einer Fensteröffnung des
ausgebrannten Palas praktisch einen Tribünenplatz bei diesem
grauenvollen Schauspiel gehabt.

Dann war ihr Entsetzen in wilden Zorn umgeschlagen. Meinhardt

hätte sie großzügig belohnt, wenn sie ihm die Frau gebracht hätten,
in die er so vernarrt war. Doch dieser verdammte Ritter hatte alles
zunichte gemacht. Sie glaubten, nur zu ihrem Anführer zurückkehren
zu können, wenn sie ihm eine Art Versöhnungsgeschenk mitbrachten
- die Leiche des Mannes, der mit der schönen Frau aus der Höhle
entkommen war.

Sie sahen, wie Ritter Roland blutend und erschöpft zu Boden sank

und dachten, leichtes Spiel zu haben, zumal sie zu zweit waren.

Doch sie sollten sich irren.
Roland war nicht so erledigt, wie es den Anschein hatte. Und er

hielt ein Schwert in der Hand. Da konnten ihn diese zwei Lumpen
nicht schrecken.

Achim erwischte es als ersten. Ritter Roland parierte den

Schwerthieb des Räubers. Dann täuschte Roland geschickt, und
bevor der Räuber wußte, wie ihm geschah, prellte ihm Roland mit
wuchtigem Schlag das Schwert aus der Hand.

Achim starrte ihn an, als sei er ein Geist. Er hielt das wohl für

Zauberei.

Und Roland gab noch eine Zugabe.

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Ein Hieb mit der Breitseite der Klinge schleuderte Achim zu

Boden. Er verdrehte die Augen und rührte sich nicht mehr.

Roland rührte sich dagegen umso mehr. Er setzte den Schwerthieb

fort, der den ersten Angreifer getroffen hatte, drehte sich um die
Achse und traf den zweiten Gegner aus der schwungvollen Drehung
heraus.

Theo machte brüllend einen Luftsprung, der fast Rolands

mächtigem Satz am Gitterkäfig hinauf ebenbürtig war, als ihm
Rolands Schwert gegen die Beine knallte.

Augenblicklich vergaß Theo jeden Gedanken an Kampf.
Er ließ sein Schwert los, hüpfte noch ein paarmal vor Schmerz

schreiend auf und ab und preßte die Hände auf die Beine.

Roland beendete den Veitstanz, indem er dem Burschen die Klinge

gegen die Brust tippte. Theo plumpste auf den Hintern und stierte
Roland mit glasigen Augen an.

Erst nach ein paar Sekunden schien er seine mißliche Lage zu

begreifen, und Angst flackerte in seinem Blick.

»La-laß mich leben«, stammelte er.
Roland erwiderte nichts darauf. Der Kerl sollte ruhig ein bißchen

schwitzen. Schließlich war er dabei gewesen, als man ihn und
Elisabeth betäubt und gefangengenommen hatte, und auch jetzt war
er nicht aufgetaucht, um sich für seine Missetaten zu entschuldigen.
Es gab da einige ungeklärte Dinge, die Roland interessierten. Zum
Beispiel, was dieser Meinhardt außer Entführung so trieb und
weshalb er Elisabeth entführt hatte.

»Du wirst mir einige Fragen beantworten«, sagte Roland grimmig.

»Und zwar schnell und ausführlich, denn ich bin gereizter als der
Löwe.«

Theo nickte offenen Mundes und schielte auf das Schwert.
Achim regte sich und setzte sich auf. Der Kerl fand äußerst schnell

in die Wirklichkeit zurück.

»Von uns erfährst du kein Sterbenswort«, sagte er. »Und wenn du

uns auch nur ein Härchen krümmst, müssen es deine Knappen
büßen!«

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Roland verschlug es für einen Moment die Sprache.
»Meine Knappen?« vergewisserte er sich.
Achim bekam Oberwasser. Er blickte verschlagen zu Roland auf.
»Ja«, sagte er hämisch. »Wirf nur ja dein Schwert weg, oder deine

Knappen fahren zur Hölle! Wir haben sie in unserer Gewalt. Du
kannst sie freikaufen. Aber das kostet dich einiges.«

Achim war recht stolz auf seinen neuen Einfall.
Er blinzelte verwirrt, als Roland lächelte.
»Das kostet mich ein müdes Grinsen«, erklärte Roland. »Ihr beide

erzählt mir jetzt alles, was ich wissen will, oder ...«

Roland fiel nichts Drohendes ein, und er beließ es bei einer

bedeutungsschweren Pause.

»Oder?« fragte Theo besorgt und zuckte zusammen, obwohl sich

das Schwert an seiner Brust überhaupt nicht bewegt hatte.

Derweil war Roland eine Idee gekommen.
»Oder ich sperre euch zu dem Löwen in den Käfig«, bluffte er.
Theo begann zu zittern, doch Achim blieb gelassen.
»Dann werden deine Knappen in der Höhle verhungern oder ...»Er

verstummte, als Roland leise lachte. »Sie sind also in der Höhle«,
stellte Roland fest. »In Ordnung, Jungs. Den Weg kenne ich. Da
brauche ich euch gar nicht mehr. Da kann ich euch glatt dem Löwen
als Abschiedsgeschenk zurücklassen.«

Theos Nerven waren nicht die besten.
»Ich - ich sage alles!« keuchte er.
Achim hätte sich vor Wut die Zunge abbeißen können, weil er sich

verplappert hatte. Und offenbar kannte er sich nicht mit Rittern aus
und traute Roland solch üble Tat zu.

Er wollte nicht zu dem Löwen gesperrt werden, doch er wollte

auch nicht plaudern.

So sprang er auf und hatte vor zu fliehen.
Doch er kam nicht weit. Ritter Roland holte ihn nach ein paar

Schritten ein und schlug ihn nieder.

Mit dem ohnmächtigen Räuber über der Schulter kehrte er zu Theo

zurück.

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Theo hielt sein Wort und erwies sich als sehr gesprächig.
Er verriet sogar, daß es einen zweiten Zugang zu der Höhle gab,

den Meinhardt als »Notausstieg« angelegt hatte.

Die Befreiung der Knappen müßte eigentlich kinderleicht sein,

dachte Roland zufrieden, als alle seine Fragen beantwortet waren.

*

Der Wachtposten am Zugang der Höhle wurde von einem Niesen aus
dem Schlummer gerissen.

Ritter Roland verharrte und unterdrückte einen Fluch. Einer der

Männer, die er als Helfer mitgenommen hatte, war erkältet.
Ausgerechnet jetzt mußte der Kerl niesen!

Der Wachtposten ergriff seine Lanze und starrte angespannt in die

Dunkelheit.

Jetzt war alles still.
Roland wartete noch eine Weile, bis sich die Haltung des Räubers

entspannte. Dann schlich er vorsichtig weiter.

Noch vier Schritte.
Etwas raschelte seitlich von ihm zwischen den Büschen. Diesmal

war es keine Panne der Helfer. Eine Maus oder irgendein anderes
Tier machte sich davon.

Der Räuber packte seine Lanze fester und sprang auf. Mondschein

fiel auf das Gesicht des Mannes. Roland hatte das Gefühl, der Räuber
starre ihm direkt in die Augen.

Er atmete auf, als der Räuber die Lanze sinken ließ, den Kopf

schüttelte und sich wieder bequem hinsetzte.

Hoffentlich verhielt sich jetzt der erkältete Polizist ruhig!
Roland wartete noch eine Weile, bis der Räuber gähnte und sein

Kopf auf die Brust sank.

Der Mann schreckte noch einmal auf, doch da war Roland schon

heran und schlug ihn nieder. Er fing die erschlaffende Gestalt auf
und ließ sie zu Boden gleiten.

Dann imitierte er einen Käuzchenschrei. Das Signal für die

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anderen.

Gestalten tauchten aus dem Dunkel auf.
Es waren zwei Polizisten und vier Freiwillige aus Kötzting. Roland

hatte dort die Räuber Achim, Theo und Wenzel abgeliefert. Die
Leichen von Elisabeth und Barnabas waren inzwischen begraben
worden, und der Löwe und die anderen Katzen hatten Interessenten
in Kötzting gefunden.

Roland gab den Männern einen Wink. Einer kümmerte sich um

den bewußtlosen Räuber. Roland und die anderen schlichen in die
Höhle.

Mitternacht war längst vorüber, und die Räuber schliefen, als

hätten sie ein reines Gewissen.

Ritter Roland befreite zuerst Louis und Pierre, die an der Felswand

angekettet waren und im Stehen eingenickt waren.

Im rötlichen Schein des niedergebrannten Feuers sah Roland, wie

mitgenommen seine Knappen aussahen.

Pierre sank Roland fast in die Arme. »Am Morgen wollten sie uns

umbringen«, flüsterte er mit erstickter Stimme.

»Schnappen wir uns die Hundesöhne«, raunte Louis und rieb sich

die schmerzenden Gelenke.

Louis ergänzte schnell die Informationen, die Roland von Theo

erhalten hatte. Im Flüsterton gab Roland dann seine Befehle.

Männer schlichen wie gespenstische Schatten zu den Kavernen,

um die Räuber im Schlaf zu überraschen.

Roland und die Knappen pirschten sich auf Zehenspitzen zu

Meinhardts Lager.

Roland zog vorsichtig den dicken Vorhang zur Seite. Ein Talglicht

in einer Halterung an der Felswand spendete nur spärliches Licht.

Meinhardt lag auf dem Bauch, und neben ihm schnarchte

Hildegard leise auf dem Lager.

Beide waren unter der dünnen Decke nackt.
Roland hob die Hand mit dem Schwert und wollte sich in

Bewegung setzen.

»Haaaatschiii!«

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Das Niesen schien ohrenbetäubend durch die Höhle zu hallen.
In diesem Augenblick wünschte Roland den erkälteten Polizisten

in den finsterten Winkel der Hölle.

Meinhardt schreckte aus dem Schlaf. Sein Kopf ruckte zu Roland

herum. Und der Räuberhauptmann reagierte schnell und kaltblütig.
Er war es gewohnt, stets mit Gefahr zu rechnen, denn seit dem Mord
an dem Schlachtermeister lebte er ständig auf der Flucht.

Die Ereignisse überstürzten sich. Hildegard wachte ebenfalls auf.

Sie fuhr auf dem Lager hoch und starrte Roland aus geweiteten
Augen an.

Sie war ein großes, üppiges Frauenzimmer, blond und mit

schweren Brüsten, doch Roland hatte keinen Blick für die Reize des
Räuberliebchens.

Das Echo des »Hatschis« war noch nicht ganz verklungen, als

Roland schon in die Kaverne sprang.

Hildegard schrie, irgendwo in der Höhle brüllte ein Mann, und

trotz des Lärms und Rolands Anspannung ärgerte er sich noch über
einige muntere »Hatschis« des erkälteten Polizisten, der die Gefahr
heraufbeschworen hatte.

Roland war noch drei Schritte vom Lager entfernt, als Meinhardt

aufsprang.

Der Räuber hielt sein Schlachtermesser in der Hand. Er holte damit

aus.

Roland verharrte mitten im Sprung.
Meinhardt warf das Beil!
»Vorsicht!« schrie Roland, denn er wußte ja die Knappen hinter

sich. Zugleich ließ er sich fallen.

Das Beil flog über Roland hinweg und klatschte gegen den

Vorhang.. Zum Glück hatten sich die Knappen geistesgegenwärtig
aus der Kaverne geworfen.

Roland verlor keine Sekunde. Der nackte Meinhardt war jetzt

waffenlos. Roland ließ sein Schwert fallen und hechtete auf den
Räuber zu.

Er riß Meinhardt um. Sie prallten aufs Lager. Erschrocken wich

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Hildegard zurück bis zur Felswand.

Meinhardt stieß mit dem Knie nach Roland. Die Hände des

Verbrechers preßten sich um Rolands Kehle und schnürten ihm die
Luft ab. Doch so hatte der Räuber keine Hand frei, um Rolands
Fausthiebe abzublocken.

Roland traf ihn mit der geballten Rechten. Der Druck um seinen

Hals ließ nach.

Ritter Roland setzte mit einem Aufwärtshaken nach, und diesmal

erwischte er den Verbrecher genau.

Louis war auf einmal neben Meinhardt. Der Knappe hatte den

Tonkrug ergriffen, der neben dem Lager stand, und er schlug ihn
Meinhardt auf den Schädel, bevor Roland sagen konnte, daß das
nicht mehr nötig war.

Der Krug zerbarst, und es spritzte, denn er war mit Met gefüllt

gewesen. Roland bekam einige Spritzer ab und auch Hildegard blieb
nicht verschont.

Roland wälzte sich von dem bewußtlosen Räuberhauptmann fort

und erhob sich.

Hildegard starrte entsetzt auf Meinhardt. »Ist er - tot?«
Louis hatte den Verbrecher untersucht. »Nein«, erwiderte er. »Er

wird zwar mit einem Brummschädel erwachen, doch bis er am
Galgen aufgehängt wird, wird er sich wieder erholt haben.«

»Am Galgen?« Hildegard sah in diesem Augenblick aus, als könne

sie wirklich nicht bis drei zählen.

Louis grinste grimmig.
»Klar. Du wirst dir einen anderen suchen müssen. Aber ich gebe

dir einen guten Rat - laß dich nicht mehr mit so einem Verbrecher
ein.«

Er tauschte einen Blick mit Roland und raunte ihm zu: »Sie weiß

zwar von Meinhardts Missetaten, war aber nicht beteiligt. Sie hat
verhindert, daß ihr Meister uns auf der Stelle mit dem Hackebeil
tötete. Sie hat uns das Leben gerettet. Ich meine, wir sollten sie
laufenlassen.«

Roland nickte. »Sie hat mich und Elisabeth befreit - wenn auch

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nicht ganz uneigennützig.«

Er warf einen Blick zu Hildegard, die auf dem Lager hockte,

verständnislos starrte und gar nicht daran dachte, ihre Blößen zu
bedecken.

Louis und Pierre fesselten Meinhardt.
Einer der Polizisten tauchte auf.
»Alles in Ordnung«, sagte er stolz. »Wir haben die Kerle

überrascht. Es gab nur einen Verletzten. Haha ...« Es klang, als setzte
er zu einem Lachen an. Doch dann folgte ein feuchtes »Hahatschiii!«
Und jetzt erkannte Roland im Halbdunkel, daß es der Unglückswurm
von Nieser war.

»Mann, auf dich hätten wir verzichten sollen«, sagte Roland mit

mühsam unterdrücktem Zorn. »Deine Nieserei hätte uns fast das
Leben gekostet.«

Der Ordnungshüter blickte zerknirscht drein. Doch seine Miene

hellte sich auf, als er an Roland vorbeipeilte und die nackte Frau
erblickte.

»Das ist aber ein praller Räuber«, sagte er mit funkelnden Augen.
»Kümmer dich um den Abtransport der Kerle und zieh die beiden

Männer am zweiten Zugang zur Höhle zurück«, sagte Roland. »Und
glotz nicht, als hättest du noch nie eine Dame gesehen.« Er ärgerte
sich immer noch über den Nieser.

Der Polizist mußte seinen Blick von Hildegard förmlich losreißen.

Er antwortete mit etwas, das wie »Jawollhatschi« klang.

Roland blickte zu Hildegard, die immer noch dasaß und

verständnislos blickte, als hätte sie alles nur geträumt.

»Zieh dich an«, sagte Roland. »Du könntest dich erkälten, und

wozu das führt, hast du ja gehört.«

*

»Eigentlich könnten wir recht zufrieden sein«, sagte Louis, als sie am
nächsten Abend in Hohenwarth eintrafen.

»Wieso nur eigentlich?« fragte Pierre verwundert. »Wir haben

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König Artus' Auftrag erledigt und die Räuber geschnappt, die rings
um den Schwarzriegel ihr Unwesen trieben.«

»Gewiß«, erwiderte Louis. »Doch wir konnten nicht den Schmuck

wiederbeschaffen, den Meinhardts Räuber der Königin raubten.
Verdammtes Pech, daß einer der Räuber seinem Anführer die
Klunker klaute und damit auf Nimmerwiedersehen verschwand.
Ginevra wird recht sauer sein, wenn wir mit leeren Händen
kommen.«

»Ein kleiner Schönheitsfehler«, gab Pierre zu. Er blickte zu Ritter

Roland, der auf dem Ritt ziemlich schweigsam gewesen war.

»Aber Roland hat weitere Taten zu seinem Ruhm vollbracht. Er hat

Barnabas, den Schrecken vom Rhein besiegt und mit bloßen Händen
einen Löwen bezwungen. Ein weiterer Schritt zum Ritter der
Tafelrunde.«

Roland lächelte leicht. Die Polizisten und die anderen Helfer aus

Kötzting hatten da ein Märchen in die Welt gesetzt.

Roland dachte an die Todesangst, die er im Löwenkäfig

ausgestanden hatte, an seine Hilflosigkeit und Verzweiflung.

Sicher, es war für ihn alles gut ausgegangen, doch als bravouröse

Ruhmestat wollte er dieses Abenteuer nicht ganz gelten lassen.

»Ich hatte einfach Glück«, bekannte er.
»Das Glück des Tüchtigen«, brummte Louis. »Teufel, da hat

Volker vom Hohentwiel wieder einen prächtigen Stoff für eine
Ballade.«

Roland lächelte. Er nahm sich vor, seinem Freund Volker, dem

berühmten Minnesänger, zu erzählen, wie sich alles tatsächlich
abgespielt hatte. Er würde ihn bitten, auf eine Ballade über dieses
Abenteuer zu verzichten.

Es machte sich nicht gut, wenn bekannt wurde, daß der ruhmreiche

Ritter Roland auf Elisabeth, diese schone Katze, hereingefallen war
wie ein verliebter Jüngling. Dann war er von Räubern betäubt und
zweimal gefangengenommen worden. Ein Räuberliebchen hatte ihm
geholfen, und dann war er schließlich voller Angst im Löwenkäfig
gelandet. Statt sich in Todesverachtung tollkühn der Raubkatze

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entgegenzuwerfen, hatte er in seiner Verzweiflung den größten
Hüpfer seines Lebens gemacht.

Es war besser, über dieses Abenteuer den Mantel des Schweigens

zu hüllen.

»Mann, habe ich Durst«, sagte Louis, als sie die Pferde vor

Sebastians Herberge und Schenke zügelten.

»Mir tun alle Knochen weh«, bemerkte Pierre beim Absitzen.
Ritter Roland dachte an die beiden Annas. »Da weiß ich ein

vortreffliches Rezept: Ein Bad bei Anna mit anschließender
Massage.«

Er zwinkerte den Knappen vergnügt zu.
Er dachte amüsiert an die Gesichter seiner Knappen, wenn sie

Anna der Gewaltigen ausgeliefert sein würden.

Roland versetzte die Knappen mit schwärmenden Worten über

Annas Schönheit und ihre zarten sanften Händchen in Begeisterung
und spendierte ihnen dann den Preis für die Behandlung.

Nach einem schnellen Bier im Wirtshaus begaben sich Louis und

Pierre voller Vorfreude zu Annas Badehaus.

Anna, die Hübsche empfing sie, und ihre Wangen glühten, als die

Knappen Grüße von Roland ausrichteten, der ein wenig später
kommen wollte.

Louis war als erster an der Reihe.
Er grinste wie ein Faun, als er frisch gebadet, aber wie erschlagen

nach Annas Massage das Bad verließ.

»Die zarte Dame läßt bitten«, sagte er und zwinkerte Pierre zu.

»Wahrlich, ein Vergnügen, das du so schnell nicht vergessen wirst.«

Eine Stunde später gesellte sich ein recht verstörter und zorniger

Pierre zu Louis, der in der Schenke zechte.

»Du hättest mich warnen sollen!« beschwerte er sich. »Mensch, ich

dachte, dieses Riesenweib verbiegt mir die Figur.« Er schüttelte sich.
»Ich war heilfroh, als sie mich in Ruhe ließ.«

Erschöpft sank er auf einen Stuhl.
»Wo ist eigentlich Roland?«
Louis grinste. »Bestimmt nicht bei Anna. Der lacht sich bestimmt

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einen Ast, weil er uns reingelegt hat. Ah, da kommt er ja. Sieh nur
wie er grinst.« Er senkte die Stimme. »Wir sagen einfach, wir wären
bei der jungen Bademaus gewesen. Da wird er sich ärgern.«

Und so schwärmten die Knappen Roland vor, wie vortrefflich und

mit zarter Hand sie von der schönen Anna massiert worden seien.

Lauernd betrachteten sie Roland, dessen Augen blitzten und der

strahlender Laune war.

Roland genoß es, wie die beiden sich bemühten, ihn nach Strich

und Faden zu beschwindeln.

Er sagte nicht, daß er die Wahrheit wußte.
Sie konnten nicht bei Anna der Hübschen gewesen sein.
Denn da war er gewesen, während Anna die Gewaltige seine

Knappen durchgewalkt hatte.

ENDE

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»Bald haben wir es geschafft«, sagte Edmar und ließ die Peitsche
knallen. Der Frachtwagen rumpelte die Steigung hinauf in den
Bergpaß. »Heute abend feiere ich Wiedersehen mit der heißen
Gerlinde. Hei, das wird ein Fest der Freude.« - Mitten im nächsten
Satz stockte Edmar plötzlich. Ein Pfeil hatte ihn mitten in die
Brust getroffen. Blutige Schleier wallten plötzlich vor seinen
Augen. »Wir wissen genau, was ihr befördert!« rief eine rauhe
Stimme. »Los, Jungs, holen wir uns die Waffen!«

Verrat!

dachte Edmar noch. Dann wurde es still um ihn ...

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Band 24. Unser Spitzenautor Joachim Honnef weiß, auf was es
bei einem Abenteuer-Roman ankommt, und er wird Sie
bestimmt nicht enttäuschen. DM 1,60


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