Howard, Robert E Kull Von Atlantis

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Robert E. Howard

Kull von Atlantis

Ins Deutsche übertragen

von Hubert Straßl

Abenteuer aus dem Hyborischen Zeitalter, aus der Zeit vor der Sintflut
Kull ist ein Atlantis-Geborener unbekannter Herkunft. Er flieht vor der Rache
seiner barbarischen Stammesgenossen und gelangt schließlich nach
Valusien, wo er sich in blutigen Kampf die Königswürde erwirbt.
Von tödlichen Intrigen, Verrat, Heimtücke und Schwarzer Magie umgeben,
regiert er mit starker Hand sein Königreich, in dem er ein fremder unter
Fremden ist, und bekämpft das Böse, wo auch immer es ihm begegnet.

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Inhalt

Inhalt ................................................................................................ 2

Prolog .............................................................................................. 3

FLUCHT AUS ATLANTIS.............................................................. 5

DAS SCHATTENKÖNIGREICH .................................................12

DER ALTAR UND DER SKORPION..........................................50

DELCARDES’ KATZE..................................................................55

DER SCHÄDEL DER STILLE.....................................................86

DIESE AXT IST MEIN ZEPTER!.................................................96

NUR EINEN GONGSCHLAG LANG........................................120

VERSCHWÖRUNG BEI NACHT .............................................126

DER KÖNIG UND DIE EICHE..................................................158

OHNE TITEL...............................................................................160

DIE SPIEGEL DES TUZUN THUNE ........................................164

DIE SCHWARZE STADT ..........................................................175

OHNE TITEL...............................................................................179

EPILOG.......................................................................................200

NACHWORT ..............................................................................207

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Prolog

(Prolog)

Über jene Ära, die die nemedischen Chronisten das präkata-
klystische Zeitalter nennen, gibt es kaum Berichte, außer über
den letzten Abschnitt, und der liegt hinter einem Schleier von
Sagen verborgen. Die Geschichtsaufzeichnung beginnt mit dem
Verfall der präkataklystischen Zivilisation, in der Kamelien,
Valusien, Verulien, Grondar, Thule und Kommorien die
mächtigsten Königreiche waren. Diese Völker besaßen
verwandte Sprachen, was auf einen gemeinsamen Ursprung
schließen läßt. Es gab noch weitere, nicht minder zivilisierte
Reiche, deren Bewohner jedoch andere und augenscheinlich
ältere Rassen waren.

Die Barbaren jener Epoche waren die Pikten, die auf einer
Inselgruppe weit draußen im westlichen Ozean lebten; die
Atlanter auf einem kleinen Kontinent zwischen den Pikten-inseln
und dem Hauptkontinent Thuria; und die Lemurier, die eine Kette
von großen Inseln in der östlichen Hemisphäre bewohnten.

Es gab weite unerforschte Gebiete. Die zivilisierten Reiche
nahmen trotz ihrer gewaltigen Größe nur einen vergleichsweise
kleinen Teil des Planeten ein. Valusien war das westlichste
Königreich des thurischen Kontinentes, Grondar das östlichste.
Östlich von Grondar, dessen Volk nicht so hoch entwickelt war
wie jene der anderen Königreiche, erstreckte sich ein wildes,
rauhes Land, Wüste zum größten Teil. In den fruchtbareren
Gebieten, in den Dschungeln und in den Bergen lebten verstreute
Sippen und Stämme primitiver Eingeborener. Weit im Süden gab
es ein rätselhaftes Reich, das nicht mit der thurischen Kultur in
Zusammenhang stand und offensichtlich bereits vor dem
Auftauchen des Menschen existierte. An den fernen östlichen
Küsten des Kontinentes lebte eine andere Rasse, menschlich,
geheimnisumwittert und nicht-thurisch, auf die die Lemurier von
Zeit zu Zeit stießen. Sie mußte von einem dunklen und
namenlosen Erdteil irgendwo im Osten der lemurischen Inseln
stammen.

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Die thurische Zivilisation zerfiel. Ihre Armeen bestanden zum
Großteil aus Barbarensöldnern. Pikten, Atlanter und Lemurier
waren ihre Generäle, ihre Staatsmänner und nicht selten ihre
Könige. Über Streit und Hader zwischen den Königreichen und
die Kriege zwischen Valusien und Kom-morien, als auch über die
Eroberungszüge der Atlanter, denen es gelang, ein Königreich
auf dem Festland zu erschaffen, erfahren wir mehr aus Sagen
denn geschichtlichen Fakten.

Das Hyborische Zeitalter

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FLUCHT AUS ATLANTIS

(Exile of Atlantis)

Die Sonne ging unter. Ihr letzter Schein tauchte das Land in Rot
und lag wie eine Blutkrone auf den schneebestäubten Gipfeln.
Die drei Männer, die das Sterben des Tages beobachteten,
atmeten tief den Duft ein, den der frühe Abendwind aus den
fernen Wäldern herbeitrug, dann wandten sie sich einer
wichtigeren Sache zu. Einer der Männer briet Wild über einem
kleinen Feuer. Er tupfte mit einem Finger an das brutzelnde
Fleisch und kostete es mit der Miene eines Feinschmeckers.

"Es ist fertig, Kull, Khor-nah. Wir können essen." Der Sprecher
war kaum mehr als ein Junge: groß, schmalhüftig, breitschultrig,
und er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines Leoparden.
Der eine seiner Begleiter war ein älterer Mann mit kräftiger
Statur, dichtem Haarwuchs und harten, herausfordernden Zügen.
Der andere war ein Ebenbild des Sprechers, nur ein wenig
größer und eine Spur breiter um Brust und Schultern. Mehr noch
als der Junge vermittelte er den Eindruck von Kraft und
Geschmeidigkeit. "Gut", sagte er. "Ich bin hungrig." "Wann bist du
das nicht, Kull?" spöttelte der Junge. "Wenn ich kämpfe",
erwiderte Kull ernst. Der Jüngling warf dem Freund einen
forschenden Blick zu, als wolle er in sein Inneres sehen, denn
nicht immer wurde er klug aus ihm.

"Und dann bist du durstig - blutdurstig", warf der Ältere ein.
"Genug der Worte, Am-ra. Schneide das Fleisch."

Die Nacht brach herein. Die ersten Sterne funkelten am Himmel.
Der Nachtwind strich über das Bergland. In der Ferne brüllte
plötzlich ein Tiger. Instinktiv tastete Khor-nah nach dem Speer
mit der Steinspitze/ der neben ihm lag. Kull drehte den Kopf. Ein
eigentümliches Licht blitzte in seinen eisgrauen Augen.

"Die gestreiften Brüder jagen heute nacht", stellte er fest.

"Sie verehren den aufgehenden Mond." Am-ra deutete nach
Osten, wo ein rötliches Glühen sichtbar wurde.

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"Weshalb?" fragte Kull. "Der Mond verrät sie nur ihrer Beute und
ihren Feinden."

"Vor vielen hundert Jahren", erzählte Khor-nah, "bat ein
Königstiger, der von Jägern verfolgt wurde, die Frau im Mond um
Hilfe. Sie warf ihm eine Ranke herab, an der er hochkletterte und
sich in Sicherheit brachte. Viele Jahre blieb er im Mond. Seither
verehren alle Gestreiften den Mond."

"Das glaube ich nicht", brummte Kull. "Weshalb sollten alle
Gestreiften den Mond verehren, weil er einem ihrer Rasse vor
so langer Zeit geholfen hat? So mancher Tiger ist die
Todesfelsen emporgeklettert und den Jägern entkommen, aber
keiner verehrt diese Felsen. Und woher sollten sie wissen, was
vor so langer Zeit geschehen ist?"

Khor-nahs Miene verfinsterte sich. "Es steht dir nicht an, Kull,
abfällig über die Worte der Älteren zu urteilen oder dich über die
Legenden des Volkes lustig zu machen, das dich bei sich
aufnahm. Diese Geschichte muß wahr sein, denn sie wurde von
Generation an Generation weitergegeben, länger schon, als die
Menschen sich zu erinnern vermögen. Was immer war, wird
auch immer sein."

"Ich glaube es nicht", widersprach Kull erneut. "Diese Berge
waren schon immer, aber eines Tages werden sie zerfallen und
verschwinden. Eines Tages wird das Meer sie überspülen ..."

"Genug dieser Lästerungen!" rief Khor-nah mit einer Heftigkeit,
die an Zorn grenzte. "Kull, wir sind gute Freunde, und ich halte
deiner Jugend so manches zugute, doch eines mußt du lernen:
Achtung vor der Überlieferung. Du verspottest die Sitten und
Gebräuche unseres Volkes, ausgerechnet du, den dieses Volk
aus der Wildnis rettete und dem es ein Zuhause und einen
Stamm gab."

"Ich war ein nackter Affe, der in den Wäldern umherstrich", gab
Kull offen und ohne Scham zu. "Ich konnte nicht wie die
Menschen sprechen, und meine einzigen Freunde waren die
Tiger und Wölfe. Ich weiß nicht, woher ich komme, oder welches
Blut in meinen ..."

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"Das ist nicht von Bedeutung", unterbrach ihn Khor-nah. "Deinem
Äußeren nach könntest du einer vom Stamm der Geächteten aus
dem Tigertal sein, die in der Großen Flut umkamen, doch das ist
nicht von Bedeutung. Du hast dich als tapferer Krieger und
großer Jäger erwiesen ..."

"Wo findet man schon einen Jüngling, der ihm im Speerwerfen
oder im Ringen auch nur ebenbürtig ist?" warf Am-ra mit
leuchtenden Augen ein.

"Das ist wahr", stimmte Kor-nah zu. "Er ist eine Bereicherung für
den Stamm aus den Küstenbergen, trotzdem muß er lernen,
seine Zunge im Zaum zu halten und die heiligen Dinge der
Vergangenheit und der Gegenwart in Ehren zu halten."

"Ich spotte nicht", erklärte Kull ohne Arg. "Aberich weiß, daß
vieles, was die Priester behaupten, nicht der Wahrheit entspricht,
denn ich habe mit den Tigern gejagt, und ich kenne die wilden
Tiere besser als die Priester. Tiere sind weder Götter noch
Dämonen, sondern auf ihre Art Menschen, doch ohne die
Mordlust und Machtgier der menschlichen ..."

"Noch schlimmere Lästerung!" rief Khor-nah ergrimmt. "Der
Mensch ist Valkas größte Schöpfung."

"Ich hörte die Küstentrommeln früh am Morgen", warf Am-ra ein,
um das Thema zu wechseln. "Draußen auf dem Meer wird
gekämpft. Valusien zieht gegen die lemurischen Piraten."

"Mögen sie sich gegenseitig umbringen", brummte Khor-nah.

Kulls Augen leuchteten wieder. "Valusien! Land der Träume!
Eines Tages werde ich die große Stadt sehen, von der soviel
Wundersames berichtet wird."

"Das wird dein schlimmster Tag sein", knurrte Khor-nah. "Ketten
werden dich niederdrücken, und Folter und Tod werden dir gewiß
sein. Keiner unserer Rasse bekommt die Große Stadt zu
Gesicht - außer als Sklave!"

"Möge Unheil über sie kommen", murmelte Am-ra.

"Verwüstung und Verheerung!" rief Khor-nah und schüttelte
seine Faust gen Osten. "Für jeden Tropfen atlantischen Blutes,

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das sie vergossen haben, für jeden Sklaven, der auf ihren
verdammten Galeeren geschunden wird, soll eine andere Plage
über Valusien und die Sieben Reiche kommen!"

Am-ra sprang begeistert auf und wiederholte einen Teil des
Fluches. Kull schnitt sich unbeeindruckt ein Stück Fleisch ab.

"Ich habe gegen die Valusier gekämpft", sagte er. "Sie griffen
mutig an, aber sie waren nicht schwer zu töten. Sie waren nicht
die Teufel, die du in ihnen siehst."

"Du hast gegen die schwachen Wachtrupps an der Nordküste
gekämpft", brummte Khor-nah. "Oder gegen die Besatzung eines
gestrandeten Kauffahrers. Warte ab, bis du den Schwarzen
Reitern gegenüberstehst oder der Großen Armee - wie einst ich.
Hei! Dann fließt Blut in Strömen! Mit Gandaro dem Speermann
machte ich die valusischen Küsten unsicher, als ich noch jünger
war als du, Kull. Ja, mit Feuer und Schwert stießen wir weit vor
ins Reich. Fünfhundert waren wir, aus allen atlantischen
Küstenstämmen. Zu viert nur kehrten wir zurück! Nicht weit von
Hawks, einer Ansiedlung, die wir plünderten und niederbrannten,
zermalmte uns die Vorhut der Schwarzen Reiter, Hei! Dort
tranken die Speere, und die Schwerter litten nicht Durst! Wir
lichteten ihre Reihen und sie die unseren, doch als der
Schlachtenlärm verklungen war, gab es nur noch vier von uns.
Schwer verwundet konnten wir fliehen."

"Von Ascalante hörte ich", fuhr Kull unbeirrt fort, "daß die Mauern
um die Kristallstadt zehnmal so hoch sind wie ein großer Mann;
daß man von all dem Gold und Silber geblendet wird und daß die
Frauen, die durch die Straßen wandeln oder sich aus den
Fenstern der Häuser lehnen, in seltsame weiche und
schimmernde Gewänder gekleidet sind."

"Ascalante muß es wohl wissen", erwiderte Khor-nah grimmig.
"Er war so lange ihr Sklave, daß er seinen guten atlantischen
Namen nicht mehr weiß und nur den kennt, den die Valusier ihm
gegeben haben."

"Ihm gelang die Flucht", gab Am-ra zu bedenken.

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"Ja, aber für jeden Sklaven, der es schafft, den Klauen der
Sieben Reiche zu entkommen, schmachten sieben in ihren
Verliesen und sterben jeden Tag ein wenig/ denn ein Atlanter ist
nicht zum Sklaven geboren."

"Seit dem Anbeginn der Zeit sind wir die Feinde der Sieben
Reiche", sagte Am-ra nachdenklich.

"Und wir werden es bleiben, bis die Welt untergeht", erklärte
Khor-nah mit finsterer Genugtuung. "Denn Atlantis, Valka sei
Dank dafür, ist jedermanns Feind."

Am-ra stand auf und nahm seinen Speer, um Wache zu halten.
Die beiden anderen legten sich ins Gras und schliefen. Wovon
wohl Khor-nah träumte? Vom Schlachten-getümmel, vom
Donnern von Büffelhufen oder von einem Höhlenmädchen. Und
Kull ...

Durch die Schleier seines Schlafes drangen aus weiter Ferne
die triumphierenden Klänge goldener Trompeten. Wolken
strahlenden Glanzes umhüllten ihn. Dann tat sich ein gewaltiger
Ausblick vor seinem Traum-Ich auf. Eine riesige
Menschenmenge hatte sich vor ihm versammelt, und ein
donnernder Ruf in einer fremden Sprache drang aus ihren
Kehlen zu ihm empor. Waffen klirrten, und wie Schatten
verhielten mächtige Armeen zur Linken und zur Rechten im
Schritt. Die Schleier zerrissen, ein Gesicht blickte kühn in die
Menge, eine Herrscherkrone über der Stirn

- ein

scharfgeschnittenes, kühles, unbewegtes Gesicht mit

Augen wie das Grau der kalten See. Wieder jubelte die
Menschenmenge: "Heil dem König! Heil dem König! Heil König
Kull!"

Kull fuhr aus dem Schlaf hoch. Die fernen Berggipfel
schimmerten im Mondlicht, der Wind strich über das hohe Gras.
Khor-nah lag schlafend neben ihm, und Am-ra hob sich wie eine
Bronzestatue gegen den sternenfunkelnden Himmel ab. Kulls
Blick wanderte über sein einziges Kleidungsstück - ein
Leopardenfell, das er um die panthergleichen Hüften
geschlungen hatte. Ein nackter Barbar war er - Kulls

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gletschergraue Augen glitzerten. Kull, der König! Er sank in den
Schlaf zurück.

Am Morgen machten sie sich auf den Weg zu den Höhlen ihres
Stammes. Die Sonne stand noch nicht hoch, als das breite Band
des blauen Stromes in Sicht kam und die Höhlen des Stammes
vor ihnen lagen.

"Seht!" entfuhr es Am-ra. "Sie verbrennen jemanden!"

Ein Brandpfahl war vor den Höhlen errichtet worden. Ein junges
Mädchen war daran gefesselt. Die Augen der Herumstehenden
verrieten kein Mitleid.

"Sareeta", stellte Khor-nah fest/ und seine Züge wurden hart.
"Sie wählte den Platz an der Seite eines lemurischen Piraten,
diese Dirne!"

"Meine eigene Tochter", sagte eine alte Frau mit harter Stimme.
"Sie hat Schande über Atlantis gebracht. Sie ist nicht mehr meine
Tochter. Ihr Gefährte ist tot. Sie wurde an Land gespült, als ein
atlantisches Schiff das ihre zerstörte."

Kull sah das Mädchen voll Mitgefühl an. Er konnte es nicht
verstehen - weshalb verdammten diese Menschen, ihre eigenen
Stammesleute, sie so sehr, nur weil sie einen Feind ihres Volkes
zum Gefährten erwählt hatte? In all den Gesichtern, die ihr
zugewandt waren, konnte Kull nur in einem Mitleid entdecken -
Am-ras blaue Augen blickten bekümmert und voller Mitgefühl.

Niemand sah, was Kulls eigenes unbewegtes Gesicht verriet, nur
die Augen des zum Feuertod verdammten Mädchens hingen an
ihm. Keine Furcht sprach aus ihnen, nur

ein inbrünstiges Flehen. Kulls Blick wanderte zum Reisig um
ihren Füßen. Bald würde es der Priester, der sie bei seinen
Göttern verdammte, mit seiner Fackel entzünden. Kull sah, daß
sie mit einer schweren Holzkette, wie nur die Atlanter sie
anzufertigen wußten/ an den Pfahl gefesselt war. Er konnte sie
von dieser Kette nicht befreien, selbst wenn es ihm gelang, sich
einen Weg durch die Menge zu bahnen. Ihre Augen flehten. Er
blickte auf das angehäufte Reisig, und seine Hand glitt zu dem

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langen Steindolch in seinem Gürtel. Das Mädchen verstand. Sie
nickte, und er sah die Erleichterung in ihren Augen.

Kull schlug so blitzschnell und unerwartet wie eine Kobra zu. Er
riß den Dolch aus dem Gürtel und warf ihn. Er traf knapp unter
dem Herzen und tötete sie augenblicklich. Während die
Menschen noch wie vom Donner gerührt standen, wirbelte Kull
herum und rannte katzengleich die steile Felswand empor. Immer
noch war die Menge erstarrt, dann riß ein Mann Bogen und Pfeil
hoch und spannte. Kull schwang sich über den Rand der
Steilwand. Die Augen des Schützen verengten sich. Wie zufällig
stolperte Am-ra gegen ihn, und der Pfeil schoß weit an seinem
Ziel vorbei. Dann war Kull verschwunden.

Er hörte das wütende Geheul seiner Verfolger - seiner eigenen
Stammesbrüder, die nach seinem Blut lechzten, weil er gegen
ihre grausamen und unbegreiflichen Sitten verstoßen hatte. Doch
kein Mann in ganz Atlantis konnte Kull vom Stamm aus den
Küstenbergen einholen.

Kull entkommt seinen aufgebrachten Stammesbrüdern, fällt
jedoch den Lemuriern in die Hände. Die nächsten beiden Jahre
ist er Rudersklave auf einer Galeere, dann gelingt ihm die Flucht.
Er schlägt sich nach Valusien durch und lebt als Gesetzloser in
den Bergen, bis er gefangengenommen und in einen valusischen
Kerker geworfen wird. Doch das Glück ist ihm hold. Er bewährt
sich als Gladiator in der Arena, dann als Soldat in der Armee und
steigt zum Heerführer auf. Mit Unterstützung von Söldnern und
einigen

unzufriedenen valusischen Edlen greift Kull nach dem Thron. Kull
selbst ist es der den tyrannischen König Borna tötet und ihm die
Krone vom blutigen Haupt reißt. Der Traum ist Wirklichkeit
geworden: Kull von Atlantis herrscht über das uralte Königreich
Valusien.

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DAS SCHATTENKÖNIGREICH

(The Shadow Kingdom)

l Parade für einen König

Die Trompeten schallten lauter, dem tiefen Brausen der
Brandung, dem sanften Tosen der Abendflut an den
schimmernden Küsten Valusiens gleich. Die Menschenmenge
jubelte, Frauen warfen Rosen von den Dächern, als das
rhythmische Stampfen silberner Hufe näher kam und die erste
Reihe des gewaltigen Aufmarsches in die breite helle Straße
einbog, die um den Turm des Glanzes mit seinen goldenen
Spitztürmen herumführte.

Voran ritten die Trompeter, schlanke, scharlachrot gewandete
Jünglinge, die in ihre langen, goldenen Instrumente stießen.
Ihnen folgten die Bogenschützen, hochgewachsene Männer aus
den Bergen, und diesen das schwerbewaffnete Fußvolk, dessen
Rüstzeug im Takt mit den Schritten klirrte und dessen lange
Speere sich in perfektem Einklang hoben und senkten. Danach
folgte die mächtigste Truppe der Welt: die Roten Reiter. Vom
Helm bis zu den Sporen in Rot gerüstet, saßen sie auf ihren
Pferden und ritten stolz einher, den Blick starr geradeaus, doch
nur scheinbar umbekümmert um den Beifall der Menge. Sie
glichen Bronzestatuen, und kein Schwanken ging durch den Wald
ihrer aufragenden Speere.

Dieser stolzen und Respekt einflößenden Garde folgten die
bunten Reihen der Söldner: grimmige, wilde Krieger, Männer aus
Mu und Kaa-u, aus den Bergen im Osten und von den Inseln im
Westen. Sie waren mit Speeren und mit großen Schwertern
bewaffnet. In einigem Abstand marschierten in dichter Formation
die lemurischen Bogenschützen. Dann kam das leichte Fußvolk
des Landes, und den Schluß bildeten wiederum Trompeter.

Ein prächtiger Anblick, ein Anblick, der ein wildes Gefühl des
Triumphes aufwallen ließ in der Brust Kulls, des Königs von
Valusien. Als echter Kriegerkönig saß er nicht auf dem
Topasthron vor dem Turm des Glanzes, sondern auf dem

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Rücken eines mächtigen Hengstes. Er hob seinen muskulösen
Arm in Erwiderung des Grußes der vorbeimarschierenden
Scharen. Sein stolzer Blick glitt über die prächtig gewan-deten
Trompeter, haftete länger an den Soldaten, die hinter ihnen
folgten. Seine Augen blitzten auf, als die Roten Reiter mit
Waffengeklirr und tänzelnden Pferden vor ihm anhielten, um
ihrem König den Ehrengruß zu entbieten; sie verengten sich eine
Spur, als die Söldner vorbeizogen. Diese Söldner salutierten
niemandem. Mit straffen Schultern marschierten sie vorbei und
maßen Kull kühn und herausfordernd, doch nicht ohne eine
gewisse Anerkennung. Ihre Gesichter waren grimmig, der Blick
ihrer Augen voll Wildheit unter zottigen Mähnen und buschigen
Brauen.

Und Kull erwiderte diesen Blick. Tapferen Männern gestand er
vieles zu, und es gab keine mutigeren auf der Welt, selbst unter
den wilden Stämmen nicht, die sich weigerten, ihn anzuerkennen.
Aber Kull war selbst zu sehr Barbar, um viel für sie übrig zu
haben. Es gab zu viele Fehden zwischen ihnen. Die meisten
waren seit unzähligen Generationen Feinde von Kulls Volk, und
obgleich der Name Kull in den Bergen und Tälern seiner Heimat
nun verflucht war und diese Heimat ihm fremd geworden war,
ließen sich die alten Abneigungen nicht so einfach abschütteln.
Denn Kull war kein Valusier, sondern ein Atlanter.

Als die Kampftruppen hinter den edelsteinfunkelnden Wänden
des Turmes des Glanzes seinem Blick entschwunden waren, gab
Kull seinem Hengst die Zügel und ritt gemächlich zum Palast
zurück. Unterwegs besprach er die Parade mit den
Befehlshabern, die mit ihm ritten. Mit wenigen Worten strich er
das Wesentlichste heraus.

"Die Armee ist wie ein Schwert", sagte Kull, "und ein Schwert darf
nicht rosten." So ritten sie die Straße hinab, und Kull schenkte
dem Geflüster keine Beachtung, das aus der noch immer die
Straßen säumenden Menschenmenge an seine Ohren drang.

"Seht, das ist Kull! Valka! Welch ein König! Und welch ein Mann!
Seht nur seine Arme! Und seine Schultern!"

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Aber auch ein drohendes, finsteres Gemurmel: "Kull! Verfluchter
Thronräuber von den Heideninseln!" Und:

"Welche Schmach! Ein Barbar auf unserem Königsthron ...!"

Kull scherte sich wenig darum. Mit Gewalt hatte er nach dem
morschen Thron des uralten Valusiens gegriffen, und mit mehr
Gewalt hielt er ihn nun: ein Mann gegen ein Reich.

Erst die Ratsversammlung, dann die Hofgesellschaft, bei der Kull
die schmeichlerischen Huldigungen der Edlen und ihrer Damen
über sich ergehen lassen mußte und dieses oberflächliche
Geschwätz mit sorgsam verborgener, grimmiger Belustigung
ertrug. Endlich verabschiedeten sich die Höflinge, und Kull lehnte
sich in seinen Hermelinthron zurück, um Regierungsgeschäfte zu
überdenken, bis ein Diener die Erlaubnis des großen Königs
erbat, sprechen zu dürfen. Er meldete einen Abgesandten der
piktischen Botschaft.

Kulls Gedanken kehrten aus dem Labyrinth valusischer
Staatsaffären zurück, durch das sie gestreift waren. Er musterte
den Pikten unfreundlich. Der Mann erwiderte den Blick des
Königs ruhig. Er war ein schmalhüftiger, mittelgroßer Krieger,
kräftig gebaut, mit breiten Schultern und der dunkleren Haut
seiner Rasse. Die scharfgeschnittenen, unbewegten Züge und
der furchtlose Blick verrieten nichts.

"Ka-nu, Ratsoberhaupt des Stammes, rechte Hand des Königs
aller Pikten, sendet Grüße und läßt wissen: >Beim Fest des
aufgehenden Mondes steht ein Thron bereit für Kull, den
höchsten der Könige, den Edelsten der Edlen und Herrscher von
Valusien.<"

"Gut", erwiderte Kull. "Sage Ka-nu, dem Ehrwürdigen,
Botschafter der Westinseln, daß der König von Valusien mit ihm
Wein trinken wird, wenn der Mond über die Berge von Zalgara
zieht."

Der Pikte zögerte. "Ich habe eine Botschaft für den König, nicht
...", er deutete verächtlich auf die Diener, "... für diese Sklaven."

Kull befahl ihnen, sich zu entfernen, und behielt den Pikten
wachsam im Auge.

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Der Krieger trat näher und sagte leise: "Kommt heute nacht allein
zum Fest, Lord König. Das sind die Worte Kanus."

Das Königs Augen wurden schmal und glänzten kalt wie grauer
Schwertstahl.

"Allein?"

"Ja."

Stumm starrten sie einander an. Unter der Maske der
Förmlichkeit schwelte die uralte Feindschaft ihrer Stämme. Über
ihre Lippen kamen die kultivierte Sprache und die höfischen
Phrasen einer zivilisierten Rasse, die nicht ihre war, doch aus
ihren Augen funkelten die Urinstinkte des Wilden. Kull mochte der
König von Valusien sein, und der Pikte ein Gesandter seines
Hofes, aber hier in der Thronhalle starrten sich zwei Barbaren
an, wild und mißtrauisch, während die Erinnerung an grimmige
Kämpfe und uralte Fehden in ihnen brannte.

Der König war im Vorteil, und es bereitete ihm große
Genugtuung. Er hatte das Kinn auf die Hand gestützt und
musterte den Pikten, der wie eine Bronzestatue vor ihm stand,
mit stolz erhobenem Kopf und herausforderndem Blick.

Über Kulls Lippen huschte ein spöttisches Lächeln.

"Das erwartest du in der Tat von mir - daß ich allein komme?"
Das Leben in der Zivilisation hatte Kull gelehrt, mit feinen Worten
zu spotten. Die Augen des Pikten funkelten gefährlich, doch er
schwieg. "Wie soll ich wissen, daß dich wirklich Ka-nu schickt?"

"Ich habe es gesagt", kam finster die Antwort.

"Wann hat je ein Pikte die Wahrheit gesagt?" höhnte Kull. Er
wußte, daß Pikten die Lüge fremd war, doch er wollte den
Gesandten reizen.

"Ich durchschaue Eure Absicht, König", erwiderte der Pikte kalt.
"Ihr wollt Grimm in mir wecken. Bei Valka! Es ist Euch bereits
gelungen. Ich bin erzürnt genug. Und ich fordere Euch zum
Zweikampf mit Speer, Schwert oder Messer, zu Pferd oder zu
Fuß. Ist der König auch Mann genug?"

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Kulls Augen verrieten die widerwillige Achtung, die ein Krieger
einem mutigen Feind zollt, doch er nutzte die Gelegenheit, dem
Gegner einen weiteren Stich zu versetzen.

"Hast du erwartet, daß der König die Herausforderung eines
namenlosen Kriegers annimmt?" erwiderte Kull spöttisch. "Oder
daß der Herrscher Valusiens einen Gesandten mit der Waffe
empfängt? Du hast meine Erlaubnis zu gehen. Sage Ka-nu, daß
ich allein kommen werde."

Mörderische Wut leuchtete aus den Augen des Pikten. Es
kostete ihn alle Kraft, nicht nach der Waffe zu greifen. Abrupt
wandte er dem König den Rücken, schritt durch die Audienzhalle
und durch das große Tor nach draußen.

Aufs neue lehnte Kull sich auf seinem Hermelinthron zurück und
grübelte.

Das Ratsoberhaupt der Pikten wollte also, daß er ohne
Begleitung kam. Weshalb? Plante er einen Hinterhalt? Kulls
Finger schlossen sich um den Griff seiner großen Klinge.
Unwahrscheinlich.

Die Pikten legten viel zu großen Wert auf das Bündnis mit
Valusien, als daß sie es irgendwelcher Stammesfehden wegen
aufs Spiel setzen würden. Kull mochte ein Krieger aus Atlantis
sein und damit der Erbfeind aller Pikten, doch er war auch der
König von Valusien, der mächtigste Verbündete der westlichen
Völker.

Kull sann lange über die seltsamen Umstände nach, die ihn zum
Verbündeten alter Feinde und zum Feind der alten Freunde
gemacht hatten. Er erhob sich und schritt ruhelos und lautlos wie
ein Raubtier durch die große Halle. Er hatte die Fesseln alter
Freundschaften und Traditionen abgestreift, um seinen Ehrgeiz
zu befriedigen. Und, bei Valka, dem Gott des Meeres und des
Landes, er hatte seine Träume wahrgemacht! Er war nun der
König Valusiens - eines verblassenden, dekadenten Valusiens,
das sich im Glanz vergangener Zeiten sonnte, aber dennoch ein
mächtiges Land war, das mächtigste der Sieben Reiche.
Valusien - das Land der Träume nannten es die Barbaren, und

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manchmal konnte sich Kull des Gefühls nicht erwehren, in einem
Traum zu leben. Verwirrend waren für ihn die allgegenwärtigen
Intrigen im Palast, in der Armee, im Volk. Alles erschien ihm wie
ein Fest der Verkleidung, bei dem Männer und Frauen ihre
wahren Gedanken und Gefühle hinter undurchsichtigen Masken
verbargen. Doch der Griff nach dem Thron war einfach gewesen
- entschlossenes Handeln im rechten Augenblick, die grimmige
Sprache der Schwerter, der Tod eines längst verhaßten
Tyrannen, ein ausgeklügeltes Komplott mit ehrgeizigen
Staatsmännern, die am Hof in Ungnade gefallen waren. Kull, der
ruhelose Abenteurer, der Flüchtling aus Atlantis, hatte die
schwindelnde Höhe seines Traumes erreicht: er war Herrscher
von Valusien, König von Königen. Und mehr und mehr erkannte
er nun, daß es viel schwieriger war, den Thron zu halten, als ihn
zu erobern. Die Gegenwart des Pikten hatte alte Erinnerungen
an seine wilde, ungebundene Jugend wachgerufen. Und wieder,
wie schon oft in den letzten Tagen, befiel ihn eine nagende
Unruhe. Ein Gefühl der Unwirklichkeit ergriff von ihm Besitz. Wie
konnte er, ein gewöhnlicher Mann aus den fernen Bergen
jenseits des Meeres, ein Volk regieren, eine Rasse mit dem
Wissen und den Erfahrungen von Jahrtausenden ...?

"Ich bin Kull!" rief er und warf den Kopf hoch wie ein Löwe, der
seine Mähne schüttelt. "Ich bin Kull!"

Mit dem Blick eines Raubvogels überflog er die uralte Halle. Sein
Selbstvertrauen strömte zurück ... Und in einem dunklen Winkel
der Halle bewegte sich ein Wandbehang - kaum merklich.

2 Und so sprachen

die stillen Hallen Valusiens

Der Mond war aufgegangen, und flackernde Fackeln in silbernen
Schalen erhellten den Garten, als Kull sich auf dem Thron
niederließ, den Ka-nu, der Botschafter der Westinseln, an
seinem Tisch hatte bereitstellen lassen. Der betagte Pikte saß
zur Rechten Kulls und entsprach so gar nicht der Vorstellung, die
man von einem Abgesandten dieser barbarischen Rasse haben
mochte. Hoch an Jahren war Ka-nu und in der Staatskunst
wohlerfahren. Er war mit ihr alt und weise geworden. In den

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Augen, die Kull abschätzend musterten, war kein Haß. Keine alte
Stammesfeindschaft trübte sein Urteilsvermögen.
Jahrzehntelanger Umgang mit Staatsmännern der zivilisierten
Welt hatte die alten Vorurteile fortgewischt. Die erste Frage, die
er sich stellte, war nicht: Wer oder was ist dieser Mann?
Sondern:

Kann er mir nützen, und wie? Stammesvorurteile gab es für ihn
nur dann, wenn sie seinen Zwecken dienlich waren.

Kulls Augen ruhten sinnend auf Ka-nu. Er antwortete einsilbig und
fragte sich, ob die Zivilisation auch ihn einmal so verändern
würde wie den Pikten. Denn Ka-nu war beleibt und verweichlicht.
Viele Jahre waren vergangen, seit der Pikte ein Schwert im
Kampf geführt hatte. Zugegeben, er war alt, doch Kull hatte ältere
als ihn zuvorderst im Schlach--tengetümmel gesehen. Die Pikten
waren eine langlebige Rasse. Ein Mädchen von großer
Schönheit stand an Ka-nus Seite und füllte seinen Becher, und
sie hatte viel zu tun. Die ganze Zeit über sprühte Ka-nu vor Witz
und Beredsamkeit, und obgleich Kull Geschwätzigkeit verachtete,
konnte er sich doch dem scharfsinnigen Humor des Alten nicht
entziehen.

Piktische Häuptlinge und Staatsmänner nahmen an der
Festlichkeit teil, letztere heiter und zwanglos, erstere dagegen
steif und offensichtlich unfähig, ihre eingefleischten
Stammesabneigungen abzustreifen. Trotzdem beneidete Kull sie
um die Freiheit und Ungezwungenheit der ganzen Angelegenheit,
die sich sehr von den Gepflogenheiten am valusischen Hof
unterschied. Solche Freiheit gab es noch an den einfachen
Lagern der Atlanter - Kull zuckte die Schultern. Aber zweifellos
hatte Ka-nu recht getan, daß er, soweit es die alten Traditionen
und Vorurteile betraf, vergessen hatte, daß er ein Pikte war. Und
er, Kull, würde gut daran tun, in eine valusische Haut und einen
valusischen Verstand zu schlüpfen.

Als der Mond schließlich am höchsten stand, lehnte sich Ka-nu,
der soviel wie drei Männer gegessen und getrunken hatte, mit
zufriedenem Seufzen zurück und sagte: "Geht nun. Freunde,
denn der König und ich möchten uns über Dinge unterhalten, die

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nicht für die Ohren von Kindern bestimmt sind. Ja, auch du,
meine Schöne, aber erst einen Kuß auf deine roten Lippen ... so
gefällt es mir, und nun wiege dich fort, meine Rosenknospe."

Über dem weißen Bart blinzelten Ka-nus Augen verschmitzt, als
er Kull musterte, der steif, grimmig und voller Ablehnung vor ihm
saß.

"Ich weiß, was Ihr jetzt denkt, Kull", erklärte der betagte
Staatsmann plötzlich, "daß dieser Ka-nu ein nutzloser alter Narr
ist, der nichts anderes mehr im Kopf hat als Wein und Weiber."

Das kam so unerwartet und entsprach so genau seinen
Gedanken, daß Kull ziemlich verblüfft war, obgleich er sich nichts
anmerken ließ.

Ka-nu gluckste, und sein Bauch hüpfte. "Wein ist rot und Frauen
sind sanft", meinte er nachsichtig. "Aber - ha! ha! -glaube nicht,
daß das irgendwelchen Einfluß auf meine Pläne und
Entscheidungen hat."

Wieder schüttelte er sich vor Lachen, und Kull bewegte sich
unruhig. Es hatte fast den Anschein, als nähme der Alte ihn nicht
ernst, und ein raubtierhaftes Funkeln schimmerte in des Königs
Augen.

Ka-nu griff nach dem Weinkrug, füllte seinen Becher und sah Kull
fragend an. Doch der schüttelte unwillig den Kopf.

"Es ist wohl so", sagte Ka-nu gleichmütig, "daß ein alter Kopf
mehr verträgt. Ich werde alt, Kull, also warum gönnt ihr jungen
Männer mir nicht die Freuden, die uns Alten noch bleiben? Ich
muß mich damit abfinden, ich werde ein steinalter Mann ohne
Kraft, ohne Freunde und ohne Freuden."

Aber sein Aussehen und seine Miene straften seine Worte
Lügen. Sein gerötetes Gesicht strahlte nur so, und seine Augen
blitzten und ließen den weißen Bart wie eine Verkleidung
erscheinen. Er sah in der Tat wie ein Kobold aus, dachte Kull mit
vagem Ärger. Der alte Halunke hatte alle primitiven Tugenden
verloren, die seiner und Kulls Rasse zu eigen waren, um so mehr
schien er seine alten Tage zu genießen.

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"Hört meine Worte, Kull", sagte Ka-nu und hob mahnend den
Zeigefinger, "es ist immer ein gewisses Wagnis, einen jungen
Mann zu loben, dennoch muß ich Euch meine wahren Gedanken
offenbaren, um Euer Vertrauen zu gewinnen."

"Wenn Ihr glaubt, es durch Schmeichelei ..."

"Pah, wer sprach von Schmeichelei? Ich schmeichle nur, um zu
entwaffnen."

Ein wacher Glanz war in Ka-nus Augen, ein kaltes Glitzern, das
nicht zu seinem trägen Lächeln paßte. Er war ein guter
Menschenkenner, und er wußte, wollte er bei diesem
raubtierhaften Barbaren etwas erreichen, mußte er offen sein.
Denn wie ein Wolf, der die Falle wittert, würde er unfehlbar jede
Falschheit durchschauen.

"Es liegt in Eurer Hand, Kull", sagte er und bedachte jedes Wort
sorgsamer, als er es in der Ratsversammlung der Stämme tat,
"der mächtigste aller Könige zu werden und Valusien in altem
Glanz wiedererstehen zu lassen. Valusien bedeutet mir nicht viel
- obwohl seine Frauen und sein Wein bemerkenswert sind -, aber
es ist so, daß mit der Macht Valusiens auch die Macht der Pikten
wächst. Mehr noch, mit einem Atlanter auf dem Thron mag eines
Tages auch Atlantis dem Bündnis angehören ..."

Kull lachte bitter. Ka-nu hatte an einer alten Wunde gerührt.

"Atlantis hat meinen Namen verflucht, als ich auszog, Ruhm und
Reichtum in den großen Städten der Welt zu suchen. Wir - sie -
sind uralte Feinde der Sieben Reiche, und nicht weniger
erbitterte Feinde aller Verbündeten der Reiche, wie Ihr eigentlich
wissen solltet."

Ka-nu zupfte an seinem Bart, sein Lächeln war nicht zu deuten.

"Nein, Kull, nein. Ihr müßt umdenken. Denn ich weiß, wovon ich
rede. Dann werden Streitigkeiten und Kriege aufhören, die
niemandem Gewinn bringen. Ich sehe eine Welt des Friedens
und des Wohlstands - in der jeder seines Nächsten Bruder ist -,
die beste aller Welten. Das alles könnt Ihr vollbringen - wenn Ihr
lange genug lebt!"

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"Ha!" Kulls Faust schloß sich um den Schwertgriff. Er sprang mit
solcher Plötzlichkeit und Geschmeidigkeit auf, daß Ka-nu, den
vollkommene Krieger so begeisterten wie andere vollblütige
Pferde, sein altes Blut stürmisch durch die Adern wallen fühlte.
Valka, welch ein Krieger! Nerven und Sehnen aus Feuer und
Stahl in perfektem Zusammenwirken, der Instinkt des Kämpfers,
der erst den gefürchteten Krieger ausmacht.

Aber Ka-nus leicht sarkastischer Ton verriet nichts von seiner
Begeisterung.

"Aber Kull. Setzt Euch wieder. Seht Euch um. Die Gärten sind
verlassen, die Bänke und Stühle leer außer den unseren.
Sicherlich werdet Ihr mich nicht fürchten?"

Kull sank auf den Thron zurück, aber er sah sich wachsam um.

"Barbar bis ins Mark", brummte Ka-nu. "Wenn ich wirklich Verrat
plante, glaubt Ihr, daß ich das hier tun würde, wo jeder Verdacht
sofort auf mich fiele? Das wäre Narrenwerk! Ihr jungen Krieger
habt viel zu lernen. Meine Häuptlinge können nicht vergessen,
daß Ihr aus den Bergen von Atlantis kommt, und Ihr verachtet
mich tief in Eurem Inneren, weil ich ein Pikte bin. Das führt uns
nirgendwo hin. Ihr seid für mich Kull, der König von Valusien,
nicht Kull, der tollkühne Atlanter, der Anführer der Horden, die
über die Westinseln herfielen. Und Ihr solltet in mir nicht den
Pikten sehen, sondern den Staatsmann, der zwischen den
Völkern steht. Und als der gebe ich folgendes zu bedenken:
Wenn der Tod Euch morgen ereilte, wer würde dann den Thron
besteigen?"

"Kaanuub, der Baron von Blaal."

"Stimmt. Ich habe viele Gründe, weshalb ich gegen Kaanuub
wäre, vor allem, weil er nur eine Marionette ist."

"Wie das? Er war mein härtester Gegner, aber ich ahnte nicht,
daß er für die Interessen anderer focht."

"Die Nacht hat viele Ohren", erwiderte Ka-nu ausweichend. "Und
die Welt hat Türen. Aber Ihr könnt mir vertrauen. Und Ihr könnt
Brule, dem Speerkämpfer, vertrauen. Seht!" Er zog ein goldenes
Armband aus seinem Gewand hervor. Es stellte ein dreifach

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gewundenes, geflügeltes Reptil mit drei Rubinhörnern auf dem
Kopf dar.

"Seht es Euch genau an. Brule wird es an seinem Arm tragen,
wenn er morgen nacht zu Euch kommt. Ihr werdet ihn daran
erkennen. Traut Brule wie Euch selbst und tut, was er Euch rät.
Und damit Ihr seht, daß Ihr mir vertrauen könnt, will ich Euch dies
zeigen ..."

So rasch wie ein herabstoßener Habicht riß der Alte etwas aus
seinem Umhang hervor, etwas, das ein unheimliches grünes
Licht auf die beiden Männer warf, und ließ es sofort wieder
verschwinden.

"Der gestohlene Stein!" rief Kull und wich zurück. "Das grüne
Juwel aus dem Schlangentempel! Valka! Ihr? Weshalb zeigt Ihr
es mir?"

"Weil ich Euer Leben retten will. Und weil ich Euch mein
Vertrauen beweisen möchte. Wenn ich Euer Vertrauen
mißbrauche, dann vergeltet es mit gleicher Münze. Mein Leben
liegt in Eurer Hand. Ihr seht, ich könnte kein Verräter sein, selbst
wenn ich es wollte, denn ein Wort von Euch würde auch mein
Ende bedeuten."

Trotz seiner ernsten Worte strahlte der alte Halunke über das
ganze Gesicht und schien ungemein mit sich zufrieden zu sein.

"Aber warum liefert Ihr Euch mir solcherart aus?" fragte Kull, der
immer weniger wußte, was er von dem allen halten sollte.

"Wie ich schon sagte, damit Ihr seht, daß ich kein falsches Spiel
im Sinne habe. Und morgen, wenn Brule zu Euch kommt, folgt
seinem Rat ohne Furcht vor Verrat. Doch genug. Eine Eskorte
wartet draußen, um Euch zum Palast zu geleiten."

Kull erhob sich. "Aber Ihr habt mir noch nichts erzählt."

"Ah, wie ungeduldig die Jugend doch ist!" Mehr denn je glich er in
diesem Augenblick einem listigen Kobold. "Geht und träumt von
Thron und Macht und Königreichen, während ich mich meinen
Träumen von Wein und zärtlichen Frauen und duftenden Rosen
hingebe. Glück auf Eurem Weg, König Kull."

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Als Kull den Garten verließ und zurückblickte, sah er Kanu noch
immer entspannt und mit vergnügter Miene an seinem Platz
sitzen - das Bild eines mit sich und der Welt zufriedenen, weisen
alten Mannes.

Ein berittener Krieger wartete außerhalb des Gartens auf den
König. Kull war ein wenig überrascht, als er erkannte, daß es
derselbe war, der ihm Ka-nus Einladung überbracht hatte. Kein
Wort fiel, als Kull sich in den Sattel schwang und sie durch die
leeren Straßen ritten.

Die lärmende Fröhlichkeit des Tages hatte der unheimlichen
Stille der Nacht Platz gemacht. Im Schein des silbernen Mondes
konnte man das ehrwürdige Alter der Stadt deutlicher spüren.
Die gewaltigen Säulen der Villen und Paläste reckten sich hoch
zu den Sternen empor. Die breiten Treppen, still und verlassen,
schienen aufwärts in die Unendlichkeit zu führen und in der
Dunkelheit des Himmels zu enden. Stufen zu den Sternen,
dachte Kull. Die stille Pracht der nächtlichen Stadt beflügelte
seine Phantasie.

Klapp, klapp, klapp hämmerten die silbernen Hufe auf den
breiten, mondlichtbleichen Straßen, doch sonst war kein Laut zu
vernehmen. Das Alter der Stadt, die unglaubliche Zahl von
Jahren, ließ den König plötzlich erschauern. Es war, als lachten
die großen, stillen Gebäude mit lautlosem Spott über ihn. Und
welche Geheimnisse mochten sie kennen?

"Du bist jung", flüsterten die Paläste und Tempel und heiligen
Stätten, "wir aber sind alt. Die Welt war wild und ungestüm, als
wir erbaut wurden. Du und dein Stamm, ihr werdet verschwinden,
doch wir sind unbezwingbar, unzerstörbar. Wir hielten Wacht
über eine fremde Welt, lange bevor sich Atlantis und Lemurien
aus den Fluten des Ozeans erhoben.

Wir werden noch dasein, wenn die grünen Wasser längst tief und
ruhelos über den Türmen von Lemurien und den Bergen von
Atlantis wogen und die Westinseln die Gebirge einer neuen Welt
sein werden.

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Wie viele König haben wir durch diese Straßen reiten sehen, ehe
Kull von Atlantis auch nur ein Gedanke im Gehirn Käs, des
Vogels der Schöpfung, war? Reite nur, Kull von Atlantis.
Mächtigere werden nach dir kommen. Mächtigere waren vor dir.
Sie alle sind Staub und vergessen. Wir aber stehen. Wir wissen.
Wir sind. Reite, reite deinen Weg, Kull von Atlantis. Kull, der
König. Kull, der Narr!"

Und es schien Kull, als trommelten die Hufe in stetem Rhythmus
immer die gleichen, höhnenden Worte in die Nacht hinaus:

"Kull - der - König! Kull - der - Narr!"

Scheine, Mond. Dein bleiches Licht weist einem König den Weg!
Leuchtet, Sterne. Ihr seid die Fackeln im Gefolge eines
Herrschers! Und pocht. Silberhufe. Ihr verkündet, daß Kull durch
die Stadt reitet!

Ha! Wach auf, Valusien! Es ist Kull, der durch die Nacht reitet,
Kull der König!

"Wir haben viele Könige gesehen", murmelten die stillen Hallen
Valusiens.

Von solchen Gedanken beseelt, erreichte Kull den Palast, wo ihn
seine Leibwache, Krieger der Roten Reiter, erwartete, um die
Zügel seines Pferdes zu übernehmen und den König zu seinen
Gemächern zu geleiten. Der Pikte riß wortlos sein Pferd mit
einem wilden Ruck am Zügel herum und verschwand wie ein
Phantom in der Nacht. Kulls noch immer erregte Phantasie sah
ihn wie einen Dämon aus der Älteren Welt durch die stillen
Straßen jagen.

In dieser Nacht fand Kull keinen Schlaf, denn die Dämmerung
war nicht mehr fern; er verbrachte die letzten Nachtstunden
damit, im Thronsaal auf und ab zu gehen und die Geschehnisse
zu überdenken. Ka-nu hatte ihm nichts erzählt, und dennoch
hatte er sich ihm völlig ausgeliefert. Was hatte er damit gemeint,
daß der Baron von Blaal nur eine Marionette sei? Und wer war
dieser Brule mit dem rätselhaften Drachenreif am Arm, den Ka-
nu ihm in der kommenden Nacht schicken wollte? Und weshalb?
Und vor allem: Warum hatte ihm Ka-nu den grünen Stein des

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Verderbens gezeigt, der vor langer Zeit aus dem
Schlangentempel gestohlen worden war; jener Edelstein, um den
furchtbare Kriege entbrennen würden, wenn die unheimlichen
und schrecklichen Hüter des Tempels in Erfahrung brächten, wo
er sich befand? Vor ihrer Rache würden Ka-nu auch die wilden
Krieger seines Stammes nicht zu schützen vermögen. Aber Ka-
nu wußte, daß er sich nicht wirklich in Gefahr begeben hatte,
grübelte Kull, denn der Staatsmann war zu schlau, sich ohne
Aussicht auf Gewinn einem solchen Risiko auszusetzen. Hatte
er es nur getan, um dem König den Argwohn zu nehmen und ihn
so um so leichter zu überlisten? Konnte Ka-nu ihn jetzt überhaupt
noch am Leben lassen? Kull zuckte die Schultern.

3 Nächtliche Besucher

Der Mond war noch nicht aufgegangen, als Kull mit der Hand am
Schwertgriff zum Fenster schritt. Die Fenster gaben den Blick
auf die großen inneren Gärten des Königspalastes frei. Die
Nachtbrise, die den Duft der Gewürzsträucher mit sich trug,
bauschte die dünnen Vorhänge. Der König blickte hinaus. Die
Wege und Haine lagen verlassen, die sorgfältig geschnittenen
Bäume waren unförmige Schatten. In der Nähe sprühten
Brunnen silbern im Sternenlicht und in einiger Entfernung
plätscherten weitere. Keine Posten durchstreiften diese Gärten,
denn die äußeren Mauern waren so stark bewacht, daß ein
Eindringen unmöglich schien.

Kletterpflanzen rankten sich an den Palastmauern hoch, und
während Kull noch überlegte, wie leicht es doch wäre, daran
hochzuklettern, löste sich aus der Dunkelheit unter ihm ein
Schatten, und ein nackter brauner Arm griff zum Fensterbrett
hoch. Kulls große Klinge fuhr halb aus der Hülle, da hielt der
König inne. An dem muskulösen Arm schimmerte der
Drachenreif, den ihm Ka-nu am Vorabend gezeigt hatte.

Der Besitzer des Armes schwang sich mit katzenhafter
Gewandtheit über das Sims in den Raum.

"Bist du Brule?" begann Kull, dann hielt er überrascht inne und
musterte den Eindringling ergrimmt und mißtrauisch. Es war
derselbe Krieger, den er in der Audienzhalle verhöhnt hatte,

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derselbe, der ihm von der piktischen Botschaft das Geleit zum
Palast gegeben hatte.

"Ich bin Brule, der Speerkämpfer", antwortete der Pikte
wachsam; und unvermittelt, während er Kull forschend ins
Gesicht blickte, stieß er mit kaum mehr als einem Flüstern die
Worte hervor:

Ka nama kaa lajerama!"

Kull starrte ihn an. "Ha! Was sagst du?"

"Kennt Ihr es nicht?"

"Nein. Die Worte klingen fremd. Sie sind aus keiner Sprache, die
ich je gehört habe - und doch, bei Valka! Irgendwo - muß ich sie
schon gehört haben ..."

"Ja", brummte der Pikte nur. Sein Blick glitt durch das Gemach,
das dem König als Arbeitsraum diente. Ein paar Tische, ein
Diwan und zwei große Regale mit Pergamentschriften waren die
ganze Einrichtung. Verglichen mit dem Prunk des übrigen
Palastes wirkte der Raum kahl.

"Sagt mir, König, wer bewacht die Tür?"

"Achtzehn der Roten Reiter. Aber wie ist es dir gelungen,
unbemerkt durch den Garten zu gelangen und die Palastmauern
zu erklimmen?"

Brule grinste geringschätzig. "Die valusischen Wachen sind
blinde Büffel. Ich könnte ihre Mädchen vor ihren Augen stehlen.
Ich schlich zwischen ihnen hindurch, ohne daß sie mich hörten
oder sahen. Und die Mauern - ich könnte auch ohne die Ranken
hochklettern. Ich habe an der Küste Tiger gejagt, als der
schneidende Ostwind den Nebel vom Meer hereintrieb, und ich
habe die Steilhänge der Berge an der Westküste erklommen.
Doch kommt jetzt - nein, berührt erst diesen Armreif."

Er hielt seinen Arm hoch, und als Kull seiner Bitte verwundert
nachkam, seufzte er merklich erleichtert.

"Gut. Nun legt diese königlichen Gewänder ab, denn heute nacht
liegen Taten vor Euch, von denen kein Atlanter je geträumt hat."

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Brule selbst trug nur einen Lendenschurz, in dem ein kurzes
Krummschwert steckte.

"Woher nimmst du die Unverschämtheit, mir zu befehlen?" grollte
Kull.

"Hat Ka-nu euch nicht gebeten, allen meinen Anweisungen zu
folgen?" fragte der Pikte gereizt, und seine Augen funkelten. "Ich
hege keine Liebe für Euch, König, aber im Augenblick habe ich
alle Abneigung aus meinem Herzen verbannt. Tut auch Ihr es.
Und folgt mir jetzt."

Lautlos schritt er quer durch den Raum zur Tür. Ein Schieber in
der Tür erlaubte den Blick in den Korridor hinaus, ohne selbst
gesehen zu werden. Der Pikte bat Kull, nach draußen zu sehen.

"Was seht Ihr?"

"Nur die achtzehn Wachsoldaten."

Der Pikte nickte und winkte Kull, ihm zum anderen Ende des
Raumes zu folgen. Brule tastete einen Augenblick an der
Wandtäfelung. Dann tat er einen raschen Schritt zurück und zog
sein Schwert. Kull konnte einen überraschten Ausruf nicht
unterdrücken, als ein Teil der Wand lautlos aufschwang und den
Blick auf einen schwach erhellten Gang freigab.

"Ein Geheimgang!" sagte Kull ergrimmt. "Und ich wußte nichts
davon! Bei Valka, jemand wird dafür büßen!"

"Still!" zischte der Pikte.

Brule stand wie eine Bronzestatue, jeder Nerv gespannt, um
auch nicht das leiseste Geräusch zu überhören. Etwas in Brules
Verhalten sandte Kull einen eisigen Schauder über den Rücken,
nicht aus Furcht, sondern in Erwartung von etwas Unnennbarem.
Dann winkte Brule und stieg durch die Geheimtür, die hinter ihnen
offen blieb. Der Gang war leer und kahl, doch lag nirgends Staub,
wie es in einem unbenutzten Raum eigentlich der Fall sein sollte.
Von irgendwoher kam ein düsteres, graues Licht, dessen Quelle
nicht zu erkennen war. Alle paar Schritte konnte Kull Türen
sehen, die, wie er wußte, in den Räumen dahinter unsichtbar
waren.

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"Der ganze Palast scheint voller Türen zu sein", murmelte er.

"Das ist er. Viele Augen beobachten Euch, König, Tag und
Nacht."

Brules Verhalten beeindruckte den König. Der Pikte bewegte sich
langsam vorwärts, lautlos, geduckt, die Klinge vor dem Körper in
der leicht vorgestreckten Rechten. Wenn er sprach, geschah
dies flüsternd. Unablässig blickte er wachsam nach allen Seiten.

Der Gang bog scharf ab, und Brule spähte vorsichtig um die
Krümmung.

"Seht!" flüsterte er. "Aber denkt daran! Kein Wort! Keinen Laut -
wenn Ihr am Leben bleiben wollt!"

Kull blickte vorsichtig an ihm vorbei. Der Gang mündete direkt an
der Biegung in eine Treppe. Kull zuckte zurück. An ihrem Fuß
lagen die achtzehn Roten Reiter, die in dieser Nacht des Königs
Arbeitsraum bewachen sollten. Nur Bru-les Griff an seinem Arm
und seine hastige Warnung hielten Kull davon ab, die Stufen
hinunterzuspringen.

"Still, Kull! In Valkas Namen, seid still!" zischte der Pikte. "Diese
Gänge sind jetzt verlassen, dennoch ist es sehr gefährlich. Aber
Ihr mußtet es sehen, damit Ihr meinen Worten glaubt. Jetzt
zurück in Euren Arbeitsraum." Damit schlich er den Weg zurück.
Kull folgte ihm, während sich seine Gedanken überschlugen.

"Das ist Verrat", brummte der König, und seine stahlgrauen
Augen funkelten gefährlich. "Gemeiner mörderischer Verrat! Nur
wenige Augenblicke ist es her, daß diese Männer vor meiner Tür
Wache standen."

Als sie in den Arbeitsraum zurück waren, schloß Brule sorgfältig
die geheime Tür und winkte Kull, erneut einen Blick durch die
Öffnung nach draußen .zu werfen. Kull schnappte hörbar nach
Luft. Denn vor der Tür standen die achtzehn Wachen.

"Zauberei!" stieß er leise hervor und zog sein Schwert halb
blank. "Sind es tote Männer, die den König bewachen?"

"Ja!" antwortete Brule leise, und ein Ausdruck war in seinen
funkelnden Augen, den Kull nicht zu deuten wußte. Einen

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Augenblick lang starrten sie einander an. Kull runzelte verwirrt die
Stirn, als er in dem verschlossenen Gesicht des Pikten zu lesen
versuchte. Dann formten Brules Lippen die Worte: "Die-
Schlange-die-spricht!"

"Schweig!" entfuhr es Kull. Er drückte seine Hand auf Brules
Mund. "Der Name ist verflucht. Verdammt, der ihn nennt!"

Die furchtlosen Augen des Pikten musterten ihn forschend.

"Schaut noch einmal, König Kull. Seid Ihr sicher, daß die Wachen
nicht abgelöst wurden?"

"Vollkommen sicher. Es sind dieselben Männer. In Valkas
Namen, das ist Zauberei - es ist ungeheuerlich! Kaum eine
Viertelstunde ist es her, da sah ich die Leichen dieser Männer
mit eigenen Augen. Und doch stehen sie hier."

Brule trat von der Tür zurück, und Kull folgte ihm aufgewühlt.

"Kull, was wißt Ihr von den Überlieferungen dieses Volkes, über
das Ihr herrscht?"

"Viel - und doch wenig. Valusien ist uralt ..."

"Das ist wahr." Ein seltsamer Glanz lag in Brules Augen. "Wir
sind nur Barbaren - gerade erst Geborene, verglichen mit den
Sieben Reichen, deren Alter nicht einmal ihre Weisesten zu
nennen vermögen. Weder menschliche Erinnerung noch die
Chroniken der Geschichtsschreiber können uns sagen, wann die
ersten Menschen aus dem Meer kamen und Städte auf dem
Land zu bauen begannen. Aber, Kull, nicht immer wurden die
menschlichen Rassen auch von Menschen regiert!"

Der König sah auf, und ihre Blicke trafen sich.

"Ja, es gibt eine Sage in meinem Volk ..."

"Und in meinem!" unterbrach ihn Brule. "Lange bevor unsere
Inseln das Bündnis mit Valusien schlössen, in den Tagen
Löwenprankes, des siebenten Kriegerhäuptlings der Pikten, vor
so vielen Jahren, daß niemand mehr ihre Zahl zu nennen
vermag. Von den Inseln des Sonnenuntergangs brachen wir auf,
umfuhren die Küsten von Atlantis und fielen mit Feuer und
Schwert in Valusien ein. Da hallten die weißen Strande vom

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Klirren der Speere wider, und die brennenden Burgen machten
die Nacht zum Tag. Und der König, der König Valusiens, der
damals am blutgetränkten Strand fiel ..." Er sprach nicht zu Ende.
Stumm starrten die beiden einander an. Dann nickten sie beide.

"Unvorstellbar alt ... ist Valusien", flüsterte Kull. "Die Berge von
Atlantis und Mu waren nur Inseln im Meer in den jungen Tagen
Valusiens."

Der Nachtwind strich durch das offene Fenster. Nicht die frische,
salzige Seeluft, wie sie Brule und Kull aus ihrer Heimat kannten
und liebten, sondern der Atem flüsternder Stimmen aus der
Vergangenheit, schwer von den Düften längst vergessener
Dinge und seufzend unter der Last von Geheimnissen, die schon
alt waren, als die Welt kaum geboren war.

Die Wandteppiche bewegten sich raschelnd, und plötzlich fühlte
sich Kull vor der unermeßlichen Weisheit, die in den dunklen
Tiefen dieser Jahrtausende verborgen lag, wie ein unwissendes
Kind. Und wieder überfiel ihn ein Gefühl der Unwirklichkeit, und
seine Seele war voll von mächtigen, monströsen Schatten, die
ihm schreckliche Dinge zuflüsterten. Er spürte, daß in Brule
Ähnliches vorging. Der Pikte erwiderte seinen Blick mit einer
grimmigen Eindringlichkeit. In diesem Augenblick empfand Kull
eine warme kameradschaftliche Verbundenheit mit diesem
Krieger eines feindlichen Stammes. Wie gegeneinander
kämpfende Leoparden sich gemeinsam gegen die Jäger
wenden, wenn sie in die Enge getrieben werden, so verbündeten
sich diese beiden Barbaren gegen die unmenschlichen Mächte
der Vergangenheit.

Brule schritt voran zur Geheimtür. Schweigend traten sie
hindurch und folgten dem düsteren Korridor, doch diesmal in
entgegengesetzter Richtung. Nach einer Weile hielt der Pikte an
und trat zu einer der geheimen Türen. Er bat Kull, ebenfalls durch
den verborgenen Sehschlitz zu blicken.

"Diese führt zu einer wenig benutzten Treppe, über die man in
den Gang gelangt, in dem sich auch die Tür in Euren Arbeitsraum
befindet."

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Während sie noch spähten, kam eine Gestalt lautlos die Treppe
hoch.

"Tu! Mein engster Berater!" entfuhr es Kull. "In der Nacht und mit
blankem Dolch in der Faust! Was bedeutet das, Brule?"

"Meuchelmord und gemeinster Verrat!" zischte Brule. "Tut es
nicht!" warnte er, als Kull die Tür aufreißen und hinausstürmen
wollte. "Wir sind verloren, wenn Ihr ihn hier stellt, denn weitere
lauern am Fuß der Treppe. Folgt mir!"

Sie eilten den Gang zurück in den Arbeitsraum. Brule schloß die
Geheimtür sorgfältig hinter Kull. Dann durchquerte er den Raum
und verschwand durch eine Öffnung in eine selten benutzte
Kammer. Dort schob er in einer dunklen Ecke die Wandbehänge
zur Seite und verbarg sich dahinter, wobei er Kull mit sich zog.
Endlose Augenblicke verstrichen. Kull konnte den Wind hören,
der im Nebenraum die Fenstervorhänge bewegte, flüsternd und
murmelnd wie die Stimmen von Geistern. Und dann schob sich
Tu, der engste Berater des Königs, lautlos durch die Tür.
Augenscheinlich war er durch den Arbeitsraum gekommen, den
er leer vorgefunden hatte, und suchte sein Opfer nun in den
angrenzenden Räumen.

Er hielt den Dolch zum Stoß erhoben und bewegte sich
geräuschlos. Einen Augenblick hielt er inne und sah sich in dem
offenbar leeren, von einer einzigen Kerze dürftig erhellten Raum
um. Dann schritt er vorsichtig weiter. Die Abwesenheit des
Königs schien ihm unbegreiflich zu sein. Er stand schließlich vor
dem Versteck und ...

"Töte ihn!" zischte der Pikte.

Mit einem einzigen mächtigen Satz war Kull mitten im Raum. Tu
wirbelte herum, doch der blitzschnelle, katzenhafte Angriff ließ
ihm keine Zeit zur Abwehr oder gar Gegenwehr. Schwertstahl
funkelte im trüben Licht und drang knirschend zwischen Knochen,
als Tu mit Kulls Schwert zwischen den Schultern zu Boden sank.

Kull beugte sich über ihn. Seine Zähne waren gefletscht wie die
eines Raubtieres, seine Brauen zusammengezogen, seine
Augen kalt und grau, wie das Eis der See. Plötzlich ließ er das

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Schwert los und wich erschrocken zurück. Er schauderte, als
hätte ihn eine eisige Hand berührt.

Denn vor seinen Augen verschwamm Tus Gesicht und wurde
unwirklich. Die Züge zerflossen und verschmolzen auf eine
unglaubliche Weise. Das Gesicht verschwand wie

ein sich auflösender Nebelschleier. An seiner Stelle befand sich
ein tückisch starrender, grauenvoller Schlangenkopf!

"Valka!" keuchte Kull, und Schweiß perlte auf seiner Stirn.
"Valka!"

Brule beugte sich mit steinerner Miene vor. Nur in seinen Augen
spiegelte sich etwas von Kulls Entsetzen.

"Nehmt Euer Schwert, Lord König", sagte er. "Es gilt noch viel zu
tun."

Zögernd griff Kull nach dem Knauf. Schaudernd setzte er den
Fuß auf das abscheuliche Etwas am Boden, doch als sich der
scheußliche Rachen durch einen letzten Muskelreflex öffnete,
zuckte er würgend vor Übelkeit zurück. Gleich darauf verfluchte
er seine Schwäche. Er riß das Schwert heraus und betrachtete
die ungeheuerliche Kreatur genauer, die einmal Tu, sein engster
Berater, gewesen war. Vom Reptilienkopf abgesehen
unterschied sie nichts von einem Menschen.

"Ein Mann mit dem Kopf einer Schlange!" sagte Kull leise. "Er ist
ein Priester des Schlangengottes, nicht wahr?"

"Ja. Tu schläft ahnungslos. Diese Teufel können jede Gestalt
annehmen. Mit der Hilfe eines Zaubers verwandeln sie ihr
Gesicht, so wie ein Schauspieler eine Maske überstreift, und
können solcherart jedem gleichen."

"Dann sind die alten Sagen also wahr", grübelte der König. "Die
alten schrecklichen Geschichten, über die keiner zu reden wagt,
aus Furcht, als Gotteslästerer ein Ende zu finden, sind keine
Hirngespinste. Bei Valka, ich glaubte es immer - ich nahm es
immer an -, dennoch ist es so unglaublich. Und die Wachen vor
der Tür ..."

"Sie sind Schlangenmenschen wie er. Wartet! Was wollt Ihr tun?"

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"Sie töten!" zischte Kull.

"Ihr müßt den Kopf treffen, wenn Ihr sie vernichten wollt", erklärte
Brule. "Achtzehn warten vor der Tür und möglicherweise ein
Dutzend weitere in den Gängen. Laßt Euch berichten, König, wie
Ka-nu von dieser Verschwörung erfuhr. Er hat seine Spitzel
selbst im innersten Heiligtum der Schlangenpriester, und von
ihnen kamen die Hinweise. Er hat das geheime Gangsystem des
Palastes bereits vor langer Zeit entdeckt und eine Karte
gezeichnet. Auf seinen Befehl habe ich sie mir eingeprägt und
bin gekommen. Euch zur Seite zu stehen, denn auf Euch wartet
ein Tod, wie ihn schon viele Könige Valusiens fanden. Ich bin
allein gekommen, da mehrere zu schicken Verdacht erregt hätte.
Auch wäre eine größere Zahl nicht unbemerkt in den Palast
gelangt. Einen Teil des verräterischen Planes habt Ihr gesehen.
Schlangenmenschen stehen Wache vor Eurer Tür, und der da
hatte in der Gestalt Tus Zugang zu allen Räumlichkeiten des
Palastes. Wenn der Anschlag der Priester mißlang, würden am
Morgen die echten Wachen wieder auf ihren Posten sein,
ahnungslos und ohne Erinnerung. Doch auf sie wäre alle Schuld
gefallen, hätte der Priester Erfolg gehabt. Wartet hier, ich
schaffe diesen Kadaver fort."

Ungerührt hob der Pikte das furchterregende Wesen auf seine
Schulter und verschwand damit durch eine andere Geheimtür.
Kull wartete reglos, während die Gedanken durch seinen Kopf
wirbelten. Neue Priester der mächtigen Schlange. Wie viele
mochte es in seinen Städten geben? Wie konnte er Menschen
und Doppelgänger unterscheiden? Und wie viele seiner getreuen
Ratgeber und Generäle waren noch Menschen? Konnte er
überhaupt noch irgend jemandem vertrauen?

Die Geheimtür schwang auf, und Brule trat ein.

"Du warst flink."

"Ja!" Der Krieger trat näher und betrachtete den Boden. "Hier
sind noch Blutflecken auf dem Teppich, seht Ihr?"

Kull bückte sich. Aus den Augenwinkeln sah er die schnelle
Bewegung, das Aufblitzen von blankem Stahl. Wie von der Sehne

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geschnellt fuhr er hoch und stieß mit der Klinge nach oben. Der
Krieger sackte auf das Schwert, während sein eigenes auf den
Boden fiel. In diesem Augenblick erfüllte es Kull mit grimmiger
Genugtuung, daß der Verräter den Tod durch solch einen
blitzschnellen Aufwärtsstoß fand wie er beliebte Kampftaktik
seines Volkes war. Dann, als Brules Körper vom Schwert glitt
und reglos auf dem Boden lag, begann das Gesicht zu zerfließen
und sich aufzulösen. Während Kull mit angehaltenem Atem und
eisigem Schauder zusah, verschwanden die menschlichen Züge
und machten dem gräßlichen aufgerissenen Rachen einer
Schlange Platz und schrecklichen starren Augen, in denen selbst
im Tod noch Gift und Tücke war.

"Er war die ganze Zeit ein Schlangenpriester!" keuchte der
König. "Valka! Welch ein ausgeklügelter Plan, mich zu überlisten!
Und Ka-nu? Ist er ein Mensch? War es wirklich Ka-nu, dem ich
im Garten gegenübersaß? Allmächtiger Valka!" Er schüttelte sich
vor Grauen, als er sich fragte:

"Sind die Bewohner Valusiens Menschen, oder sind sie alle
Schlangen?"

Während dieser grimmigen Überlegungen fiel ihm auf, daß die
Kreatur, die er als Brule gekannt hatte, das Drachenarmband
nicht mehr trug. Ein Geräusch ließ ihn herumwirbeln.

Brule trat durch die Geheimtür.

"Haltet ein!" Auf dem Arm, den der Pikte abwehrend hob, glänzte
der Drachenreif. "Valka!" Brule blieb abrupt stehen. Ein
grimmiges Lächeln verzerrte seine Lippen.

"Bei den Göttern des Meeres! Diese Teufel sind über alle
Maßen gefährlich. Einer muß mich im Gang gesehen haben, als
ich den Kadaver wegschleppte, und dann meine Gestalt
angenommen haben. Es bleibt nichts übrig, als auch diesen
beiseite zu schaffen."

"Bleib stehen!" Eine tödliche Drohung schwang in Kulls Stimme.
"Zwei Männer haben sich vor meinen Augen in Schlangen
verwandelt. Wie soll ich wissen, daß du nicht einer von ihnen
bist?"

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Brule lachte. "Zwei Gründe sprechen dagegen, König Kull. Kein
Schlangenpriester würde das tragen", er deutete auf den
Drachenreif, "und keiner vermag diese Worte zu sagen." Wieder
vernahm Kull den seltsamen Satz: "Ka nama kaa lajerama."

"Ka nama kaa lajerama", wiederholte Kull mechanisch. "Wo, in
Valkas Namen, habe ich das schon gehört? Nein, ich muß mich
täuschen! Und doch - und doch ..."

"Ja, Ihr erinnert Euch recht, Kull", bestätigte Brule. "Irgendwo in
den dunklen Abgründen der Erinnerung sind diese Worte
verborgen. Obwohl Ihr sie nie zuvor im Leben gehört habt,
kommen sie Euch vertraut vor, denn vor urdenklichen Zeiten
wurden sie dem unsterblichen Seelenbewußtsein unauslöschlich
eingeprägt, für alle Wiedergeburten bis ans Ende der Zeiten.
Diese Worte haben grausige, blutige Äonen überdauert, seit
jener Zeit, da sie als Losungsworte für die menschliche Rasse
galten, als diese einen erbitterten Kampf gegen die unheimlichen
Wesen aus dem Älteren Universum focht. Denn nur ein echter
Mensch vermag sie auszusprechen, da seine Kiefer und sein
Mund sich von allen anderen Kreaturen unterscheiden. Ihre
Bedeutung ist längst vergessen, nicht aber die Worte selbst."

"Das ist wahr", erwiderte Kull. "Ich habe auch die alten Sagen
nicht vergessen - Valka!" Erbrach verblüfft ab, denn plötzlich
taten sich, dem lautlosen Öffnen einer geheimen Tür gleich,
nebelhafte, unergründliche Tiefen seines Bewußtseins auf, und
einen Atemzug lang war ihm, als blickte er Leben um Leben
zurück bis in die Unendlichkeit und sähe durch die grauen,
geisterhaften Schleier ferne Gestalten längst Staub gewordener
Jahrhunderte - Menschen im Kampf gegen furchterregende
Ungeheuer, siegreich in einer Welt des Schreckens. Vor einem
grauen, ständig wechselnden Hintergrund tauchten
unbeschreibliche Alptraumgestalten auf, die aus Angst und
Wahnsinn geboren waren; und unter ihnen der Mensch, der
Scherz der Götter, der blinde, unwissende Kämpfer, der dem
langen blutigen Pfad seiner Bestimmung folgt, ohne zu wissen
warum, strauchelnd, mörderisch, nur ein großes zerstörerisches
Kind, und doch irgendwo in seinem Innern erfüllt von einem

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göttlichen Funken ... Kull fuhr sich verwirrt mit der Hand über die
Stirn. Diese unerwarteten Blicke in die Abgründe der Erinnerung
bestürzten ihn immer aufs neue.

"Sie sind nicht mehr", sagte Brule, als könne er seine geheimsten
Gedanken lesen, "die Vogelfrauen, die Harpy-ien, die
Fledermausmenschen, die Fliegenden Teufel, die Wolfleute, die
Dämonen, die Kobolde - alle, außer solchen Kreaturen wie diese
hier, und ein paar Wolfsmenschen. Es war ein langer und blutiger
Krieg, der ungezählte Jahrhunderte währte. Er begann, als sich
die ersten Menschen, dem Affendasein entwachsen, zum
erstenmal den Kreaturen entgegenwarfen, die damals die Welt
beherrschten. Und schließlich ging die Menschheit als Sieger
hervor - vor so langer Zeit, daß nur noch die uralten Sagen
davon künden. Die Schlangenmenschen waren die letzten, doch
am Ende triumphierte der Mensch auch über sie und trieb sie in
die Wüsten der Welt, wo sie sich mit echten Schlangen
vermischten, bis eines Tages - so prophezeiten die Seher - die
furchtbare Brut für immer verschwunden sein wird. Doch sie
kehrten zurück, als die menschliche Rasse schwach und
selbstgefällig wurde und die alten Kriege vergessen waren. Ein
schrecklicher Krieg entbrannte, ein Krieg, dessen Schlachtfeld
überall war! Mit Hilfe ihrer unmenschlichen Kräfte und
Fähigkeiten mischten sich die Ungeheuer des Älteren Planeten
unter die Menschen der Jüngeren Erde, nahmen vertraute
Gestalten und Formen an und verbreiteten Grauen und
Entsetzen. Niemand vermochte mehr zu sagen, wer Mensch war
und wer nicht. Niemand konnte irgend jemandem mehr trauen.
Doch ihre eigenen Fähigkeiten ließen sie Mittel und Wege
entdecken, wie das Echte vom Falschen unterschieden werden
konnte. Die Figur des fliegenden Drachen, der geflügelten
Echse, der mächtigen Kreatur aus längst vergangenen Zeiten,
die der größte Feind der Schlange war, wurde zum
Erkennungszeichen, wie auch diese Worte, die ich Euch sagte,
denn nur ein echter Mensch vermag sie auszusprechen. Und so
siegte die Menschheit erneut. Doch der Mensch ist noch immer
Affe genug, zu vergessen, was er nicht stets vor Augen hat. So

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konnten die Teufel nach Jahren des Vergessens wiederkehren.
Diesmal kamen sie als Priester, denn die Menschen hatten in
Macht und Wohlstand den Glauben an die alten Religionen und
Götter verloren. Die Schlangenmenschen traten als Verkünder
eines neuen, wahren Glaubens auf und schufen eine monströse
Religion zur Verehrung des Schlangengottes. Ihre Macht ist so
groß, daß jedem der Tod droht, der die alten Überlieferungen
über das Schlangenvolk weitergibt. Wieder beugen Menschen
das Knie vor einem Schlangengott und sind zu Tausenden so
blind, daß sie nicht sehen, daß diese Macht nichts anderes ist
als dasselbe Grauen, das der Mensch vor so langer Zeit bereits
in die Knie zwang. Es sieht so aus, als gäbe sich die
Schlangenbrut mit der priesterlichen Macht zufrieden - aber ..."
Brule hielt inne.

"Sprich weiter." Kull spürte, wie sich seine Nackenhaare
sträubten.

"Echte Menschen herrschten als Könige über Valusien", sagte
der Pikte leise, "und sind dennoch auf dem Schlachtfeld als
Schlangen gestorben - so wie der, der durch Löwen-prankes
Speer den Tod fand, als wir von den Inseln kamen, um die
Sieben Reiche zu plündern. Wie aber ist das möglich, Lord Kull?
Diese Könige wurden von Frauen geboren und lebten als
Menschen! Es gibt nur diese Erklärung: daß die echten Könige
nächtens erschlagen wurden, so wie es Euch heute ergangen
wäre, und daß die Priester der Schlange in ihrer Gestalt
regierten, ohne daß es jemand ahnte."

Kull unterdrückte einen Fluch. "Ja, so muß es sein. Niemand, der
einen Schlangenpriester mit eigenen Augen gesehen hat, ist je
am Leben geblieben. Sie wahren ihre Geheimnisse mit allen
Mitteln."

"Die Verwaltung der Sieben Reiche ist ein unentwirrbares und
unüberschaubares Gebilde", sagte Brule. "Viele der echten
Menschen wissen, daß die Spitzel der Schlange in ihrer Mitte
sind und daß diese Verbündete unter den Menschen haben - zu
denen Kaanuub, der Baron von Blaal, gehört -, doch keiner wagt
einen Verdächtigen zu demaskieren, so groß ist die Furcht vor

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der Rache. Keiner traut dem anderen. Keiner kann es wagen,
seine Befürchtung einem anderen mitzuteilen. Wenn sie aber
sicher wären, daß ein Schlangenpriester oder ihre Verschwörung
öffentlich aufgedeckt würde, wäre die Macht der Schlange
bereits halb gebrochen, denn alle würden dann helfen, die
Verräter zu enttarnen. Ka-nu ist der einzige, der genügend
Scharfsinn und Mut besitzt, es mit ihnen aufzunehmen, aber
selbst Ka-nu brachte über die Verschwörung nur soviel in Erfah-
rung, daß er mir sagen konnte, was voraussichtlich gesche-hen
würde - und was bisher auch geschehen ist. Bis jetzt wußte ich,
was mich erwartet, doch von nun an müssen will uns auf uns
selbst und unser Glück verlassen. Hier, glaube ich, sind wir im
Augenblick sicher. Die Schlangen da draußen werden ihre
Posten nicht verlassen, damit keine unerwarteten menschlichen
Besucher zu Euch gelangen können. Aber Ihr könnt gewiß sein,
daß sie es morgen wieder ver-suchen werden. Was sie
ausbrüten, vermag niemand vor herzusagen, nicht einmal Ka-nu.
Für uns gibt es nur eines, König Kull, keiner darf von des
anderen Seite weichen, bis der Sieg unser ist oder der Tod.
Begleitet mich, wenn ich die sen Kadaver in das Versteck zu dem
anderen schaffe."

Kull folgte dem Pikten mit seiner grausigen Last durch die
Geheimtür und den düsteren Korridor entlang. Gewohnt, sich in
der Wildnis lautlos zu bewegen, verursachten sie kein Geräusch.
Geistern gleich glitten sie durch die gespen-stische Düsternis.
Daß die Gänge verlassen waren, verwun-derte Kull. Er erwartete
an jeder Biegung, auf eine grauen volle Erscheinung zu stoßen.
Sein altes Mißtrauen kehrte zurück. Führte ihn der Pikte in einen
Hinterhalt? Er blieb einen Schritt oder zwei hinter Brule zurück
und hielt seine Klinge stoßbereit in Rückenhöhe des sorglosen
Pikten. Brule würde der erste sein, der starb, wenn er ein
falsches Spiel trieb. Falls der Pikte das Mißtrauen des Königs
spürte, ließ er es sich nicht anmerken. Gleichmütig schritt er
voraus, bis sie einen dick mit Staub bedeckten, lange nicht
benutzten Raum erreichten, dessen Wandbehänge schwer von
Feuchtigkeit und Moder waren. Hinter diesen verbarg Brule die

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Leiche. Danach machten sie sich auf den Rückweg. Als Brule
abrupt und völlig unerwartet erstarrte, war er dem Tod näher, als
er ahnte, denn Kulls Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

"Irgend etwas hat sich da vorn bewegt", zischt der Pikte. "Ka-nu
sagte mir, daß sie diese Gänge nicht benutzten, aber ..."

Er zog seine Klinge und schlich an der Wand entlang. Kull folgte
ihm vorsichtig.

Nicht weit vor ihnen erhellte ein sonderbarer bleicher Schein die
Düsternis und näherte sich. Sprungbereit, mit dem Rücken zur
Wand, warteten sie; worauf, wußten sie nicht, doch Brules
angespannter Atem, der scharf zwischen den Zähnen kam, sagte
Kull mehr als alles andere, daß er dem Pikten vertrauen durfte.

Der Schein wurde zu einer schattenhaften Form, vage
menschenähnlich, doch nebelhaft und durchscheinend. Sie
wurde greifbarer, je näher sie kam, wenn auch nicht wirklich fest.
Ein Gesicht blickte sie an, ein Paar großer, leuchtender Augen,
in denen sich das Grauen unzählbarer Jahrhunderte spiegelte.
Es lag keine Drohung in den bleichen, erschöpften Zügen, nur
übermächtiges Mitleid. Und das Gesicht - dieses Gesicht ...

"Allmächtige Götter!" keuchte Kull, und eisige Finger krallten sich
in seine Seele. "Eallal, der König von Valusien, der seit tausend
Jahren tot ist!"

Brule wich zurück, so weit er konnte. Seine Augen weiteten sich
in namenlosem Grauen. Das Schwert zitterte in seiner Faust.
Zum erstenmal in dieser schrecklichen Nacht übermannte ihn
das Entsetzen. Kull stand stand hoch aufgerichtet und
herausfordernd. Instinktiv hielt er die nutzlose Klinge zum Hieb
bereit. Eiskalt lief es ihm über den Rücken, und sein Haar
sträubte sich, aber er war noch immer König der Könige und
bereit, es dafür mit den unbekannten Mächten der Toten ebenso
aufzunehmen wie mit den Kräften der Lebenden.

Die gespenstische Erscheinung kam geradewegs auf sie zu,
ohne sie zu beachten. Kull wich zurück, als sie an ihnen
vorüberglitt, und spürte einen eisigen Hauch wie einen Windstoß
aus dem Land des ewigen Schnees. Ihre Schritte waren lautlos

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und doch so schwer, als ob die Ketten aller Zeiten an den
unwirklichen Füßen hingen. Dann war sie hinter einer Biegung
des Ganges verschwunden.

"Valka!" entfuhr es dem Pikten unterdrückt, während er sich den
kalten Schweiß von der Stirn wischte. "Das war kein lebendes
Wesen! Das war ein Geist!"

"Ja!" Kull schüttelte nachdenklich den Kopf. "Hast du das Gesicht
nicht erkannt? Das war Eallal, der vor tausend Jahren über
Valusien herrschte und den man auf furchtbare Weise ermordet
im Thronsaal fand - jener Raum, der jetzt der Verfluchte Raum
heißt. Hast du noch nie seine Statue in der Halle der Könige
gesehen?"

"Doch, ich erinnere mich jetzt. Ihr Götter! Das ist ein weiterer
Beweis der teuflischen Macht der Schlangenpriester. Dieser
König wurde von ihnen ermordet, und nun ist seine Seele ihr
Sklave für alle Zeiten! Denn die Überlieferungen sagen, wenn ein
Mensch von Schlangenmenschen getötet wird, gehört sein Geist
bis in alle Ewigkeit ihnen."

Grauen schüttelte Kull. "Valka! Welch ein Schicksal! Hör mich an
..." Seine Finger umschlossen Brules sehnigen Arm wie stählerne
Klammern. "Hör mich an! Wenn diese Teufel mir tödliche
Wunden schlagen, dann stoß mir dein Schwert in die Brust, um
meine Seele davor zu bewahren. Schwöre es mir!"

"Ich schwöre es", antwortete Brule und seine wilden Augen
blitzten. "Und Ihr werdet das gleiche für mich tun, Kull."

Ein fester Händedruck besiegelte das blutige Versprechen.

4 Masken

Kull saß auf seinem Thron und blickte in Gedanken versunken
auf das Meer der ihm zugewandten Gesichter. Ein Höfling sagte
etwas in gehobenem Tonfall, doch der König hörte nicht zu.
Unweit von ihm stand Tu, sein engster Berater, bereit, des
Königs Anweisungen zu befolgen. Doch Kull schauderte aus
tiefster Seele, wann immer sich ihre Blicke trafen. Äußerlich war
die Hofgesellschaft so unberührt wie die See zwischen den
Gezeiten. Dem grübelnden König erschienen die Geschehnisse

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der letzten Nacht wie ein Traum, bis sein Blick auf die Armlehne
des Thrones fiel. Eine braune, sehnige Hand ruhte darauf, an
deren Gelenk ein Drachenreif glänzte. Brule stand neben seinem
Thron, und des Pikten zischendes Flüstern, das nur er hören
konnte, holte Kull immer wieder aus der unwirklichen Welt zurück,
in die sich seine Gedanken verirrten.

Nein, dieses nächtliche Grauen war kein Traum gewesen. Als er
nun hier in der Empfangshalle auf seinem Thron saß und den
Blick über die Höflinge, die Damen, die Lords und Staatsmänner
gleiten ließ, schienen ihre Gesichter unwirklich zu sein,
Trugbilder, nicht mehr als höhnende Schatten des Echten. Ihre
Gesichter waren für ihn immer Masken gewesen, aber bisher
hatte er dies mit Verachtung und Gleichmut hingenommen und
hinter den Masken oberflächliche, kümmerliche Seelen vermutet,
habsüchtig, gierig und mißgünstig. Jetzt wirkte alles bedrohlich,
jetzt lauerte ein dunkles Grauen hinter den nichtssagenden
Masken. Während er förmliche Höflichkeiten mit einem
Edelmann oder einem Ratgeber tauschte, glaubte er, das
lächelnde Gesicht sich wie Rauch auflösen und daraus den
erschreckenden Kopf einer Schlange entstehen zu sehen. Wie
viele der Versammelten waren grauenerregende, unmenschliche
Ungeheuer, die hinter der Fassade eines menschlichen
Gesichtes seine Ermordung planten?

Valusien

- Land der Träume und Alpträume - ein

Schatenkönigreich, das von Phantomen regiert wurde, die sich
hinter den bunten Behängen verkrochen und einen Narren aus
dem König machten - der selbst nur ein Schatten war.

Und wie der Schatten eines Schattens stand Brule mit
unbewegter Miene und wachsamen Augen an seiner Seite. Brule,
ein wirklicher Mann! Kull fühlte, daß seine Freundschaft zu dem
Barbaren etwas ebenso Wirkliches war und daß Brule auch sein
Freund war, weit mehr, als es die politischen Umstände
erforderten.

Und was waren die wirklichen Dinge des Lebens? sann Kull.
Ehrgeiz, Macht, Stolz? Die Freundschaft eines Mannes, die
Liebe einer Frau - die Kull nie erfahren hatte -, Kampf,

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Eroberung, oder was? War der Kull wirklich, der hier auf dem
Thron saß, oder war jener Kull der wirkliche, der in den Bergen
von Atlantis gelebt hatte, die fernen Inseln des
Sonnenuntergangs heimgesucht und über die grünen,
schäumenden Wogen des Atlantischen Meeres triumphiert
hatte? Wie konnte ein Mann in einem einzigen Leben so viele
verschiedene Männer sein? Denn Kull wußte, daß es viele Kulls
gab, und er fragte sich, welcher der wirkliche Kull war. Im Grunde
gingen die Priester der Schlange mit ihrer Magie nur einen Schritt
weiter, denn alle Menschen trugen Masken, die verschiedensten
Masken zu den verschiedensten Anlässen; und Kull grübelte, ob
nicht längst hinter jeder Maske eine Schlange verborgen war.

In solcherart düsteren Gedanken versunken, saß er auf seinem
Thron, und die Höflinge kamen und gingen, bis alle Geschäfte
des Tages erledigt waren und schließlich der König mit Brule
allein im Thronsaal zurückblieb - von den schläfrigen Dienern
abgesehen.

Kull befiel eine große Müdigkeit. Weder er noch Brule hatten in
der vergangenen Nacht geschlafen, noch hatte Kull in der Nacht
davor Schlaf gefunden, als er im Garten Ka-nus einen ersten
Fingerzeig auf die unglaublichen Ereignisse erhielt, die
bevorstanden. In der letzten Nacht hatte es nach ihrer Rückkehr
aus den Geheimgängen keine weiteren Zwischenfälle mehr
gegeben, doch keiner der beiden dachte an Schlaf. Kull, der die
unglaubliche Vitalität eines Wolfs besaß, war in seinen jungen
Barbarentagen oft viele Tage lang ohne Schlaf ausgekommen,
doch nun war sein Verstand wacher denn je vom Grübeln und der
Erinnerung an die unheimlichen Entdeckungen der letzten Nacht.
Er brauchte Schlaf, aber an Schlaf dachte er am allerwenigsten.

Er hätte auch nicht gewagt zu schlafen, wenn es ihm in den Sinn
gekommen wäre. Denn da war noch etwas, das ihm keine Ruhe
ließ. Obgleich er und Brule die Wachen vor der Tür des
Arbeitsraums nicht aus den Augen gelassen hatten, um
herauszufinden, ob und wann sie ausgetauscht würden, war dies
doch unbemerkt geschehen. Am Morgen vermochten die
Wachtposten Brules magische Worte zu wiederholen. Auch

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erinnerten sie sich an nichts Ungewöhnliches. Sie waren
überzeugt, daß sie wie gewohnt die ganze Nacht Wache
gestanden hatten, und Kull behielt die Wahrheit für sich. Er
zweifelte nicht, daß sie echte Menschen waren, aber er folgte
Brules Rat, Stillschweigen gegen jedermann zu bewahren.

Brule beugte sich über den Thron und sagte so leise, daß ihn
auch die müden Diener nicht hören konnten: "Ich glaube, sie
werden bald zuschlagen, Kull. Ka-nu gab mir vorhin einen
verstohlenen Wink. Die Priester wissen, daß wir von ihrem Plan
erfahren haben, aber sie sind unsicher,

wieviel wir wissen.

Wir müssen auf alles vorbereitet sein. Ka-nu und die piktischen
Häuptlinge bleiben in Rufweite, bis alles auf die eine oder andere
Art entschieden ist. Ha, Kull, wenn es zum offenen Kampf kommt,
werden die Straßen und Paläste Valu-siens im Blut ersaufen!"

Kull lächelte grimmig. Er dürstete nach Taten. Dieses Herumirren
in einem Labyrinth von Unwirklichkeit und Zauberei war seiner
Natur zutiefst zuwider. Ihn verlangte es nach Angriff, nach dem
Klirren von Schwertern, nach dem wilden Einsatz in der Schlacht.

Schließlich kehrte Tu in Begleitung der übrigen Berater in die
Halle zurück.

"Lord König, es ist Zeit für die Ratsversammlung, und wir sind
bereit. Euch in die Ratskammer zu folgen."

Kull erhob sich, und die Ratgeber beugten das Knie, als er an
ihnen vorbeischritt, und schlössen sich ihm an. Brule erntete
Stirnrunzeln, als er dem König dichtauf folgte, aber niemand
erhob Einwände. In Brules herausforderndem Blick lag die ganze
Verachtung des Barbaren.

Die Schar schritt stumm durch die Hallen und erreichte
schließlich die Ratskammer. Wie gewöhnlich wurde die Tür
geschlossen, und die Berater nahmen in der Reihenfolge ihres
Ranges vor dem Podium Platz, das der König betrat. Einer
Bronzestatue gleich stand Brule hinter Kull.

Der König ließ den Blick rasch durch den Raum wandern.
Sicherlich war hier kein Verrat zu befürchten. Die siebzehn

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Berater kannte er alle gut. Ohne Ausnahme waren sie auf seiner
Seite gewesen, als er den Thron Valusiens bestieg.

"Männer Valusiens ...", begann er in der üblichen Weise, dann
hielt er bestürzt inne. Wie ein Mann hatten sich die Ratgeber
erhoben und kamen auf ihn zu. In ihren Blicken war keine
Feindseligkeit, doch ihr Verhalten war höchst sonderbar für eine
Ratsversammlung. Der vorderste hatte ihn fast erreicht, als Brule
wie ein Panther dazwischen-sprang.

"Ka nama kaa lajerama!" Seine Stimme peitschte durch die
plötzliche Totenstille im Raum. Der vorderste Ratgeber wich
zurück. Seine Hand zuckte zu seinem Gewand. Wie von der
Sehne geschnellt bewegte sich Brule. Sein Schwert blitzte auf,
und der Mann stürzte zu Boden und rührte sich nicht mehr - nur
sein Gesicht löste sich auf und wurde zum Kopf einer gewaltigen
Schlange.

"Tötet sie, Kull!" keuchte der Pikte. "Sie sind alle Schlangen!"

Danach herrschte blutiges Chaos. Kull sah, wie die vertrauten
Gesichter wie Nebelschwaden zerflossen und zischende
Reptilienschädel entstanden, während die ganze Schar auf ihn
losstürmte. Sein Verstand war wie gelähmt, aber sein mächtiger
Körper handelte.Die große Klinge sang ihr Lied in seiner Faust,
und die heranbrandende Woge zerstob in roter Gischt. Doch sie
stürmten erneut vorwärts, unbekümmert um den Tod, um den
König niederzustrecken. Bestialische Rachen stießen auf ihn zu;
schreckliche kalte Augen starrten ihn an; ein durchdringender
Gestank verpestete die Luft - der Geruch der Schlangen, den
Kull in den Dschungeln im Süden kennengelernt hatte. Schwerter
und Dolche stießen und hieben nach ihm, doch die Wunden, die
sie ihm schlugen, wurden ihm kaum bewußt. Er war in seinem
Element. Noch nie zuvor war er solch grauenvollen Feinden
begegnet, aber es machte keinen Unterschied. Sie waren
lebendig, in ihren Adern floß Blut, das vergossen werden konnte,
und sie starben, wenn seine mächtige Klinge ihre Schädel
spaltete oder ihre Leiber durchbohrte. Hieb, Stich, Stich und
Hieb. Doch Kull hätte ohne den Mann, der an seiner Seite
kämpfte und manch tödlichen Stoß parierte, in dieser Kammer

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sein Leben gelassen. Denn der König wütete wie ein Berserker.
Er kämpfte auf die furchtbare atlantische Weise, den Tod
umarmend, um ihn zu geben. Er vergeudete keine Zeit und Kraft
mit Abwehr, er stand hoch aufgerichtet, wich keinen Schritt, und
kein anderer Gedanke war in seinem trunkenen Verstand, als zu
töten. Es kam selten vor, daß diese barbarische Wildheit über
den besonnenen Kämpfer triumphierte, doch nun war alle
Vernunft abgestreift und hatte einer roten Woge mörderischer
Blutlust Platz gemacht. Jeder seiner Hiebe streckte einen
Gegner nieder, doch sie drangen mit unverminderter Heftigkeit
auf ihn ein, und immer wieder war es Brule, der einen tödlichen
Hieb parierte oder einen Stoß zur Seite lenkte. Er wich nicht von
Kulls Seite und focht leidenschaftslos und meisterlich, nicht wie
Kull mit weit ausholenden Streichen und Stößen, sondern mit
kurzen Überhandhieben und Stößen von unten herauf.

Kull lachte im Kampfesrausch. Die grauenvollen Gesichter
wirbelten in einer roten Lohe um ihn. Er fühlte Stahl in seinen Arm
dringen und schwang seine Klinge mit solcher Gewalt nach unten,
daß sie den Gegner bis hinab zum Brustbein spaltete. Dann
wichen die roten Nebel vor seinen Augen, und der König sah,
daß er und Brule allein inmitten eines Haufens erschlagener
Monstrositäten standen.

"Valka! Welch ein Gemetzel!" sagte Brule und wischte sich das
Blut aus dem Gesicht. "Kull, wenn das Krieger gewesen wären,
die mit Waffen umzugehen wußten, dann wären wir jetzt tot.
Diese Schlangenpriester verstehen kein Schwert zu führen und
sind leichter zu töten als alle Gegner, die ich je vor der Klinge
hatte. Dennoch, wären sie nur ein paar mehr gewesen, hätte das
Ende anders aussehen können."

Kull nickte zustimmend. Die berserkerische Blutlust war verflogen
und hatte einer großen Erschöpfung Platz gemacht. Er blutete
aus zahlreichen Wunden an Brust, Schulter, Armen und Beinen.
Brule, der ebenfalls aus mehreren Fleischwunden blutete, beugte
sich besorgt zu ihm.

"Lord Kull, wir wollen rasch dafür sorgen, daß die Frauen Eure
Wunden verbinden."

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Kull wehrte ab.

"Nein, nicht bevor alles vorüber ist. Aber geh du und laß deine
Wunden versorgen. Ich befehle es!"

Der Pikte lachte grimmig. "Ihr habt die schwereren Wunden, Lord
König ...", begann er und hielt abrupt inne, als ihn die Entdeckung
wie ein Schlag traf. "Bei Valka, Kull, das ist nicht die
Ratskammer!"

Kull blickte um sich, und die letzten Nebel schwanden aus seinem
Verstand. "Nein, es ist der Raum, in dem Eallal vor tausend
Jahren starb - den sie den >Verfluchten Raum< nennen."

"Bei den Göttern, dann ist es ihnen doch gelungen, uns zu
täuschen!" rief der Pikte und trat wütend nach den Toten. "Wie
Blinde sind wir in die Falle getappt! Mit ihrer Zauberei haben sie
alles verändert ..."

"Dann ist noch eine Teufelei im Gange", stellte Kull fest. "Wenn
die echten Ratsmitglieder sich versammelt haben, dann befinden
sie sich jetzt in der richtigen Ratskammer. Wir müssen uns
beeilen."

Sie verließen den Raum des Grauens und eilten durch die stillen
Hallen. Vor der richtigen Ratskammer blieb Kull mit einem kalten
Schauder stehen. Aus dem Raum war eine Stimme zu
vernehmen. Die Stimme war seine eigene!

Mit zitternder Hand schob er die Wandbehänge zur Seite und
blickte in den Raum. Er sah die Ratgeber, die Ebenbilder der
Männer, die er und Brule eben getötet hatten, und auf dem
Podium stand Kull, der König von Valusien.

Er tat einen Schritt zurück. Alle Farbe war aus seinem Gesicht
gewichen.

"Das ist Wahnsinn!" flüsterte er. "Bin ich Kull? Ich, der ich vor dir
stehe, oder ist der da drinnen der echte Kull, und ich bin nur ein
Schatten, ein Gedanke?"

Brules Hand grub sich in seine Schulter und schüttelte ihn heftig.

"In Valkas Namen, seid kein Narr! Wie könnt Ihr nach allem, was
geschehen ist, noch immer zweifeln? Ist Euch nicht klar, daß dort

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drinnen echte Männer sitzen, die von einem Schlangenpriester
getäuscht werden, der Eure Gestalt angenommen hat?
Inzwischen solltet Ihr bereits tot sein, und diese Kreatur hat
Euren Platz eingenommen, ohne daß Eure Gefolgschaft etwas
davon ahnt. Zögert nicht einen Augenblick. Tötet ihn schnell, oder
wir sind verloren. Die Roten Reiter, die bei ihm stehen, sind
echte Männer. Niemand außer Euch hat eine Chance, ihn zu
erreichen und zu töten. Tutesrasch!"

Kull schüttelte die Verwirrung ab und straffte entschlossen und
herausfordernd die Schultern. Er holte tief Luft, wie ein
Schwimmer, bevor er in die Fluten taucht. Dann stieß er die
Behänge zur Seite und war mit einem einzigen mächtigen Sprung
auf dem Podium. Brule hatte recht gehabt. Links und rechts
standen die Roten Reiter, Wachsoldaten, die gelernt hatten, sich
mit raubtierhafter Flinkheit zu bewegen. Jeder andere hätte
diesen Angriff mit dem Leben bezahlt. Aber der Anblick des
hereinstürmenden Ebenbildes ihres Königs ließ sie einen
Augenblick lang erstarren - und das war lange genug für Kull. Der
falsche König griff nach seinem Schwert, doch noch während
seine Finger sich um den Knauf schlössen, drang Kulls Klinge
durch seine Brust und zwischen den Schultern wieder hinaus,
und die Kreatur, die die Versammelten für den König gehalten
hatten, sank auf das Podium nieder und lag still.

"Seht her!" Kulls erhobene Hand, und seine befehlende Stimme
erstickten den losbrechenden Tumult. Während sie verwundert
innehielten, deutete er auf den Toten zu seinen Füßen - dessen
Gesicht sich zu verwandeln begonnen hatte und zu dem einer
Schlange wurde. Sie wichen zurück, während durch eine Tür
Brule trat und durch eine andere Ka-nu hereinkam.

Sie ergriffen des Königs blutige Hand, und Ka-nu sprach:

"Männer Valusiens, ihr habt es mit eigenen Augen gesehen. Dies
ist der wahre Kull, der mächtigste König, der je über Valusien
herrschte. Die Macht der Schlange ist zerschlagen. Ihr seid alle
echte Menschen. Befehlt Euren Getreuen, König Kull!"

"Hebt diesen Kadaver auf", befahl Kull, und die Männer der
Wache gehorchten.

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"Und nun folgt mir", befahl der König und schritt voraus zum >
Verfluchten Raum<. Brule beobachtete ihn besorgt und bot ihm
seinen Arm als Stütze, doch Kull schüttelte ihn ab.

Schier endlos erschien dem blutenden König die Entfernung,
aber schließlich stand er an der Tür und lachte mit wildem
Grimm, als er die entsetzten Aufschreie der Ratsmitglieder hörte.

Auf seinen Befehl warfen die Wachen den Leichnam, den sie
getragen hatten, zu den anderen.

Dann winkte er alle aus dem Raum, verließ ihn als letzter und
verschloß die Tür.

Schwindel erfaßte ihn und ließ ihn schwanken. Die bleichen, von
Entsetzen gezeichneten Gesichter, die ihm zugewandt waren,
wirbelten und verschwammen in einem geisterhaften Nebel. Er
spürte das Blut aus seinen Wunden an seinen Gliedern
hinabrinnen, und er wußte, daß er sein Vorhaben rasch
ausführen mußte.

Seine Klinge glitt scharrend aus der Hülle.

"Brule, bist du da?"

"Bei Euch!" Er sah Brules Gesicht undeutlich durch die
Nebelschleier dicht an seiner Schulter, aber Brules Stimme
schien aus unendlicher Ferne zu kommen.

"Denk an unseren Schwur, Brule. Laß sie jetzt zurücktreten."

Mit dem linken Arm verschaffte er sich Platz, als er das Schwert
hochriß. Dann stieß er es mit aller Kraft, die noch in ihm war,
durch die Tür in den Rahmen. Bis zum Knauf rammte er die
große Klinge in das Holz und versiegelte den Raum für immer.

Auf schwankenden Beinen wandte er sich den
schreckensbleichen Ratgebern zu. "Dieser Raum sei nun
doppelt verflucht. Und mögen die Skelette für alle Zeiten in ihm
modern als ein Symbol für die schwindende Macht der Schlange.
Hier, vor dieser Tür, schwöre ich, daß ich die Schlangenbrut
jagen werde, in jedem Land, auf jedem Meer, und daß ich nicht
ruhen will, bis auch die letzte ihrer Kreaturen vernichtet ist, bis

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das Gute siegt und die Macht der Hölle zerschlagen ist. Das
schwöre ich - ich - Kull - König Valusiens."

Seine Knie gaben nach, und die Gesichter tanzten wild um ihn.
Die Ratgeber sprangen, ihn zu stützen, doch bevor sie ihn
erreichen konnten, fiel Kull zu Boden und lag reglos auf dem
Rücken.

Die Männer beugten sich aufgeregt über ihren König. Kanu trieb
sie mit geballten Fäusten zurück, wobei er heftigst fluchte.

"Zurück, ihr Narren! Wollt ihr das bißchen Leben erdrükken, das
noch in ihm ist? Wie ist es, Brule, ist er tot, oder wird er leben?"
fragte er den Krieger, der sich über die reglose Gestalt beugte.

"Tot?" zischte Brule. "Solch ein Mann wie er ist nicht so leicht
umzubringen. Zuwenig Schlaf und der Blutverlust haben ihn
geschwächt - bei Valka, er hat viele Wunden, aber keine ist
tödlich. Schick diese aufgeregten Narren sofort nach den
Frauen."

Ein wilder Glanz der Bewunderung leuchtete aus Brules Augen.

"Valka, Ka-nu, hier ist ein Mann, wie es in diesen Zeiten des
Verfalls nicht seinesgleichen mehr gibt. In kurzer Zeit sitzt er
wieder im Sattel. Und dann wehe euch, Schlangen der ganzen
Welt, nehmt euch in acht vor Kull von Valusien. Valka! Welch
eine blutige Jagd das werden wird! Ah, die Welt geht großen
Zeiten entgegen mit solch einem König auf dem valusischen
Thron."

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DER ALTAR UND DER SKORPION

(The Altar and the Scorpion)

"Gott der kriechenden Dunkelheit, steh mir bei!"

Ein schlanker Jüngling kniete in der Düsternis. Seine weiße Haut
schimmerte wie Elfenbein. Der glänzende Marmor war kalt unter
seinen Füßen, aber sein Herz erfüllte eine noch eisigere Kälte.

Hoch über ihm, von Schatten halb verborgen, wölbte sich die von
marmornen Mauern getragene gewaltige Lapislazu-likuppel. Vor
ihm leuchtete stumpf ein goldener Altar, auf dem eine riesige
Kristallskulptur glitzerte: ein Skorpion, dessen vollkommene Form
mehr als ein Kunstwerk war.

"Großer Skorpion", fuhr der Jüngling in seinem Gebet fort. "Hilf
deinem Anbeter! Vor langer Zeit starb Gonra der
Schwertkämpfer, mein größter Vorfahr, vor deinem Schrein auf
einem Haufen erschlagener Barbaren, die dein Heiligtum zu
entweihen trachteten. Durch die Lippen deiner Priester hast du
versprochen, Gonras Volk für alle Zeiten beizustehen.

Großer Skorpion! Nie zuvor hat dich ein Mann oder eine Frau
meines Blutes je an diesen Schwur erinnert. Doch nun, in der
Stunde meiner bittersten Not komme ich zu dir und flehe dich an,
gedenke dieses Versprechens um des Blutes willen, das Gonras
Schwert trank und das aus Gonras Adern floß!

Großer Skorpion! Thuron, der Hohepriester des Schwarzen
Schattens, ist mein Feind. Kull, der König von Valusien, reitet aus
seiner Stadt der Purpurtürme, um Feuer und Schwert zu den
Priestern zu tragen, die seine Gesetze mißachten und den
dunklen Älteren Göttern immer noch Menschenopfer darbringen.
Doch ehe der König eintrifft und uns zu retten vermag, werden
ich und das Mädchen, das ich liebe, nackt auf dem Altar im
Tempel der Immerwährenden Schwärze liegen. Das hat Thuron
geschworen! Er will unsere Körper den uralten, schrecklichen
Scheusalen vorwerfen und unsere Seelen dem Gott des
Schwarzen Schattens darbieten. Kull, der über Valusien herrscht,
reitet herbei, uns zu helfen. Doch Thuron herrscht über diese

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Bergstadt, und er ist uns dicht auf den Fersen. Großer Skorpion,
hilf uns! Erinnere dich Gonras, der sein Leben für dich gab, als
die atlantischen Barbaren mit Feuer und Schwert in Valusien
einfielen."

Der schlanke Jüngling ließ die Schultern hängen und senkte
verzweifelt den Kopf. Das Abbild auf dem Altar erinnerte an
glitzernde Eiskristalle in klirrendem Frost, und nichts an ihm
verriet, daß der ungewöhnliche Gott das verzweifelte Flehen
gehört hatte.Plötzlich richtete sich der Jüngling ruckhaft auf.
Hastige Schritte waren auf den breiten Stufen vor dem Tempel
zu hören. Ein Mädchen huschte durch das schattenüberlagerte
Portal wie eine weiße Flamme, die der Wind vor sich hertreibt.

"Thuron - er kommt!" keuchte sie und warf sich in die Arme ihres
Liebsten.

Das Gesicht des Jungen wurde bleich. Er drückte sie fest an
sich, während er auf den Eingang starrte. Schritte, schwer und
drohend, hallten auf dem Marmor wider, und eine Gestalt hob
sich finster im offenen Portal ab.

Thuron, der Hohepriester, war groß und hager, ein knöcherner
Riese. Seine Augen glommen wie Feuer unter den buschigen
Brauen. Seine dünnen Lippen waren zu einem lautlosen Lachen
verzerrt. Als einziges Kleidungsstück trug er ein seidenes
Lendentuch, aus dem ein scharfer gebogener Dolch ragte. In
seiner knochigen Hand hielt er eine kurze schwere Peitsche.
Seine beiden Opfer klammerten sich aneinander und

starrten ihn mit weit offenen Augen an - wie Vögel eine Schlange.
Und sein langsamer schleichender Schritt, als er näher kam, war
dem geschmeidigen Gleiten eines Reptils nicht unähnlich.

"Thuron, nimm dich in acht!" rief der Jüngling tapfer, doch seine
Stimme bebte vor Entsetzen. "Wenn du schon den König nicht
fürchtest und kein Erbarmen mit uns hast, so hüte dich, den
Großen Skorpion herauszufordern, unter dessen Schutz wir
stehen."

Thuron lachte nur höhnisch im Bewußtsein seiner Macht.

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"Der König!" spottete er. "Was könnte der König mir anhaben,
der ich mächtiger als alle Könige bin? Der Große Skorpion? Ha,
ha! Er ist längst vergessen, eine Gottheit, zu der vielleicht noch
Weiber und Kinder beten. Willst du mit deinem Skorpion dem
Schwarzen Schatten drohen? Du Narr! Valka selbst, der Gott der
Götter, könnte dich nun nicht mehr retten! Du bist dem Gott des
Schwarzen Schattens versprochen."

Er packte die beiden furchtsamen Gestalten, und seine langen
krallengleichen Nägel drangen tief in das weiche Fleisch ihrer
Schultern. Sie versuchten, sich zur Wehr zu setzen, doch er
lachte nur und hob sie mit unglaublicher Kraft in die Luft und ließ
sie an seinen ausgestreckten Armen zappeln. Sein
schneidendes Gelächter hallte hohntriefend von den Wänden
wider.

Während er den Jungen mit den Knien festhielt, fesselte er das
in seinem grausamen Griff wimmernde Mädchen an Händen und
Füßen. Dann ließ er sie grob auf den Boden fallen und fesselte
den Jungen. Mit kalten Augen betrachtete er sein Werk. Nur das
verzweifelte Schluchzen des Mädchens brach die Stille.
Schließlich sagte der Hohepriester:

"Ihr kleinen Narren! Habt ihr wirklich geglaubt, ihr könntet mir
entkommen? Immer waren es Männer deines Blutes, Junge, die
sich im Rat und am Hof meinen Plänen entgegenstellten. Nun
wirst du dafür bezahlen, und der Schwarze Schatten wird trinken.
Ha! Ich bin heute der wahre Herrscher der Stadt, mag König
sein, wer will!

Meine Priester streifen bewaffnet durch die Straßen, und
niemand wagt es mehr, sich mir zu widersetzen. Selbst wenn der
König jetzt in die Stadt geritten käme, könnte er meine Schergen
nicht schnell genug bezwingen, um euch noch zu befreien."

Sein Blick wanderte durch den Tempel und blieb an dem
goldenen Altar und dem Kristallskorpion haften.

"Ha, ha! Was seid ihr für Dummköpfe, euren Glauben einem
Gott zu schenken, den die Menschen schon lange nicht mehr
verehren! Der keinen einzigen Priester mehr hat und dem nur im

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Andenken seiner früheren Größe ein Tempel geweiht ist! Ein
Gott, zu dem nur einfache Leute und dumme Weiber beten.

Die wahren Götter sind düster und blutgierig! Daran erinnert
euch, wenn ihr auf dem schwarzen Altar liegt, hinter dem für
immer ein Schwarzer Schatten wacht. Bevor ihr sterbt, werdet ihr
die wahren Götter kennenlernen, die mächtigen, furchtbaren
Götter, die aus vergessenen Welten und verlorenen Reichen der
Finsternis kamen, die auf vereisten Sternen geboren wurden und
auf schwarzen Sonnen jenseits des Lichtes der Sterne. Ihr
werdet die vernichtende Wahrheit des Unnennbaren
kennenlernen, auf dessen wirkliche Form keine menschliche
Beschreibung zutrifft, doch dessen Symbol der Schwarze
Schatten ist!"

Das Mädchen hatte zu weinen aufgehört. Wie der Junge war sie
gelähmt von den Worten des Priesters, die sie den grauenvollen,
von unbarmherzigen Schatten wimmelnden Abgrund ahnen
ließen, der sich vor ihnen auftun würde.

Thuron packte sie erneut mit seinen klauengleichen Händen, um
sie sich über die Schulter zu werfen. Er lachte, als sie sich
aufbäumten. Seine Finger gruben sich in das zarte Fleisch des
Mädchens ...

Ein Schrei zerschmetterte die Stille wie einen Kristallgong in
tausend klirrende Scherben, während Thuron zurücksprang und
zu Boden fiel und sich brüllend wand. Eine kleine Kreatur huschte
davon und verschwand durch das Portal. Thurons Schreie
wurden dünn und schrill und endeten abrupt auf dem höchsten
Ton. Schweigen senkte sich wie auf eine Gruft herab.

Endlich flüsterte der Junge voll Ehrfucht.

"Was war das?"

"Ein Skorpion!" erwiderte das Mädchen zitternd. "Er kroch über
meinen nackten Busen, ohne mir etwas zu hin. Als Thuron mich
packte, stach er ihn."

Wieder herrschte Schweigen. Dann sagte der Junge zögernd:

"Seit Menschengedenken ist in dieser Stadt kein Skorpion
gesehen worden."

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"Der Große Gott rief diesen einen seines Volkes herbei, um uns
zu helfen", flüsterte das Mädchen. "Die Götter vergessen nicht,
und der Große Skorpion hat seinen Schwur gehalten. Wir wollen
ihm dafür danken!"

An Händen und Füßen gefesselt wanden sich die beiden
Liebenden mit dem Gesicht zum Altar. Lange lagen sie so und
priesen dem großen, schweigenden, schimmernden Skorpion voll
Dankbarkeit - bis das ferne Stampfen silberner Hufe und das
Klirren von Schwertern vom Eintreffen des Königs kündete.

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DELCARDES’ KATZE

(Delcardes' Cat)

König Kull war mit Tu, dem obersten Ratgeber der Krone,
aufgebrochen, um Delcardes' sprechende Katze in Augenschein
zu nehmen, denn obgleich es nicht ungewöhnlich ist, daß eine
Katze einen König sieht, ist es nicht jedem König in die Wiege
gelegt, eine Katze wie die von Delcardes zu sehen. Deshalb
verbannte Kull die Todesdrohung des Zauberers Thulsa Doom
aus seinen Gedanken und machte sich auf den Weg zu
Delcardes.

Kull war skeptisch, und Tu war wachsam und mißtrauisch, ohne
daß er zu sagen vermochte weshalb, aber die Jahre der Intrigen
und Verschwörungen am Hof hatten ihn argwöhnisch gemacht.
Er verlieh seiner Überzeugung lautstark Ausdruck, daß eine
sprechende Katze Schwindel, Betrug oder Einbildung sein
müsse, und beharrte darauf, daß die Existenz solch einer
Kreatur eine offensichtliche Beleidigung der Götter wäre, die nun
einmal bestimmt hatten, daß nur der Mensch mit der Macht der
Sprache gesegnet sei.

Aber Kull wußte, daß in alten Zeiten die wilden Tiere zu den
Menschen gesprochen hatten, denn er war mit den Sagen und
Überlieferungen seiner barbarischen Vorfahren vertraut.
Deshalb hielt er wohl Zweifel für angebracht, war aber auch
bereit, sich überzeugen zu lassen.

Delcardes trug das ihre dazu bei. Sie hatte es sich wie eine
große, wunderschöne Katze auf ihrem seidenen Diwan bequem
gemacht und blickte Kull unter langen gebogenen Wimpern
hervor an, die ihren schmalen, schrägen Augen unvergleichlichen
Liebreiz verliehen.

Ihre Lippen waren voll und rot, und gewöhnlich leicht zu einem
geheimnisvollen Lächeln geöffnet. Ihre Seidenroben und ihr
Schmuck aus Gold und edlen Steinen verbargen kaum etwas
ihrer makellosen Figur.

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Doch Kull schenkte Frauen wenig Beachtung. Er herrschte wohl
über Valusien, war aber ein Atlanter und damit in den Augen
seiner Untertanen ein Barbar. Kriege und Eroberungen nahmen
einen großen Teil seiner Zeit in Anspruch, wie auch seine
unablässigen Bemühungen, sich auf dem ewig schwankenden
Thron des uralten Reiches zu halten, und seine selbstgestellte
Aufgabe, sich mit den Sitten und Denkweisen des Volkes vertraut
zu machen, über das er herrschte.

Für Kull war Delcardes eine königliche Gestalt, rätselhaft und
verführerisch, doch umgeben von einer Aura uralter Weisheit
und Magie.

Für Tu war sie eine Frau und damit ein möglicher Quell für
Gefahren und Intrigen.

Für Ka-nu, den piktischen Botschafter und Kulls engsten
Vertrauten, war sie ein Kind, das sich wichtig nahm und seine
Wichtigkeit in vollen Zügen genoß. Aber Ka-nu war nicht dabei,
als Kull zu der sprechenden Katze kam.

Die Katze ruhte auf einem weichen Seidenkissen auf einem
eigenen Diwan und betrachtete den König aus den
unergründlichen Tiefen ihrer Augen. Sie hieß Saremes und hatte
einen Leibsklaven, der hinter ihr stand, um jederzeit ihren
Wünschen nachzukommen. Er war ein hagerer Mann, dessen
untere Gesichtshälfte hinter einem bis zur Brust fallenden
Schleier verborgen war.

"König Kull", sagte" Delcardes, "ich möchte eine Gunst von Euch
erbitten, ehe Saremes spricht und ich schweigen muß."

"Ich höre Euch an", erwiderte Kull.

Das Mädchen lächelte erwartungsvoll und faltete die Hände.
"Laßt mich Kulra Thoom von Zarfhaana zum Mann nehmen."

Tu ergriff das Wort, bevor Kull etwas sagen konnte.

"Mein Lord, diese Angelegenheit ist lang und breit erörtert
worden! Ich ahnte schon, daß man Euch nicht ohne Absicht
hierhergebeten hat! Dieses - dieses Mädchen hat königliches
Blut, wenn auch zu einem geringen Teil, und es ist gegen das

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valusische Herkommen, daß Edelfrauen Fremde von niederem
Stand heiraten."

"Aber der König kann eine Ausnahme machen", sagte sie
schmollend.

"Mein Lord." Tu hob verärgert abwehrend die Hände. "Eine
solche Heirat wird Krieg, Rebellion und Zwistigkeiten für die
nächsten hundert Jahre heraufbeschwören."

Er war drauf und dran, einen Vortrag über Stand, Sippentradition
und Geschichte zu halten, aber Kull wehrte ab. Seine ohnehin
geringe Geduld war zu Ende.

"Valka und Hotath! Bin ich ein altes Weib oder ein Priester, daß
man mich mit solchen Dingen behelligt? Macht es untereinander
aus und bleibt mir künftig mit Heiratsfragen vom Leibe! In Atlantis
heiraten Männer und Frauen wen sie wollen und sonst
niemanden."

Delcardes schmollte ein wenig, schnitt Tu, der ihren Blick finster
erwiderte, eine Grimasse. Dann lächelte sie strahlend und
räkelte sich auf ihrem Diwan mit einer geschmeidigen Bewegung.

"Sprecht jetzt lieber mit Saremes, Kull, sonst wird sie eifersüchtig
auf mich."

Kull blickte die Katze ein wenig unsicher an. Sie hatte ein langes
seidiges graues Fell, und ihre Augen waren schmal und
geheimnisvoll.

"Sie sieht sehr jung aus, Kull, doch sie ist unvorstellbar alt", sagte
Delcardes. "Sie ist eine Katze der Alten Rasse, die vor
Tausenden von Jahren lebte. Fragt sie danach, Kull."

"Wie alt bist du, Saremes?" fragte Kull ohne große Erwartung.

"Ich war schon alt in Valusiens jungen Tagen", antwortete die
Katze mit klarer, doch seltsam klingender Stimme.

Kull fuhr heftig zusammen.

"Valka und Hotath!" entfuhr es ihm. "Sie spricht in der Tat!"

"Ich spreche, ich denke, ich weiß, ich bin", sagte sie. "Ich war die
Vertraute von Königinnen und die Beraterin von Kömgen, lange
bevor deine Füße über Atlantis' weißen Strand schritten, Kull von

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Valusien. Ich sah die Vorfahren der Valusier aus dem Osten
kommen und die Alte Rasse in den Staub zwingen, und ich war
schon hier, als die Alte Rasse vor so vielen Äonen über das
Meer kam, daß den menschlichen Verstand Schwindel erfaßt bei
dem Versuch, sie zu zählen. Ich bin älter noch als Thulsa Doom,
den nur wenige je zu Gesicht bekamen. Ich habe mächtige
Reiche entstehen und fallen sehen. Ich habe erlebt, wie Könige
auf ihren Rossen stolz herbeitrabten und still auf ihren Schilden
fortgetragen wurden. Ja, man hat mich einst als Gottheit verehrt.
Grausam waren die Jünger, die mir dienten und furchtbar die
Riten, die man mir zu Ehren erdachte. Denn in alter Zeit betete
man meinesgleichen an, und unsere Gläubigen waren so
unmenschlich wie ihre Taten."

"Kannst du in den Sternen lesen und die Zukunft vorhersagen?"
Kulls barbarischer Verstand dachte sofort in praktischen
Bahnen.

"Die Bücher der Vergangenheit und Zukunft sind offen für mich,
und ich sage den Menschen, was für sie zu wissen gut ist."

"Dann sag mir", verlangte Kull, "wo ich Ka-nus geheime Botschaft
gestern verlegt habe."

"Du hast sie in die Spitze deiner Dolchscheide geschoben und
sofort vergessen", erwiderte die Katze.

Kull starrte sie an, zog den Dolch aus der Hülle und schüttelte
sie.

Ein zusammengefaltetes Schriftstück fiel heraus.

"Valka und Hotath!" stieß er hervor. "Saremes, du bist eine Hexe
in Katzengestalt. Tu, was sagt Ihr nun?"

Aber Tu hatte die Lippen zu einem schmalen Strich
zusammengepreßt und sah Delcardes finster an.

Sie erwiderte unschuldig seinen Blick. Er wandte sich verärgert
an Kull.

"Mein Lord, laßt Euch von Vernunft leiten. Es ist alles nur
Schwindel, den wir nicht durchschauen."

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"Tu, niemand hat gesehen, daß ich die Nachricht versteckte. Und
ich selbst hatte es vergessen."

"Mein König, ein heimlicher Beobachter hätte ..."

"Heimlicher Beobachter? Macht Euch nicht noch mehr zum
Narren, Tu. Glaubt Ihr gar, daß eine Katze Spitzel schickt, die
mich beim Verstecken von Botschaften beobachten sollen?"

Tu seufzte. Je älter er wurde, desto schwerer fiel es ihm, Könige
seine Ungeduld und seinen Ärger nicht merken zu lassen.

"Mein Lord, vergeßt nicht, wer hinter dieser Katze stekken
könnte!"

"Aber Lord Tu", sagte Delcardes mit sanftem Tadel, "Ihr seid mir
gegenüber nicht sehr freundlich und Ihr beleidigt Saremes."

Kull ärgerte sich ein wenig über seinen Berater.

"Eines könnt Ihr wenigstens nicht abstreiten. Tu", stellte er fest,
"daß die Katze spricht."

"Es ist ein Trick", beharrte Tu starrköpfig. "Nur der Mensch
spricht, Tiere nicht."

"Das stimmt nicht. Tu", widersprach Kull, der von der Fähigkeit
der Katze überzeugt war und beweisen wollte, daß er recht hatte.
"Ein Löwe hat zu Kambra geredet, und Vögel haben den Alten
der Küstenbergstämme berichtet, wo Wild zu finden war.

Niemand wird abstreiten, daß sich die Tiere der Wildnis
miteinander unterhalten. So manche Nacht schlug ich mein Lager
auf den waldigen Hängen oder in der Steppe auf und hörte, wie
im Sternenlicht die Tiger einander zubrüllten. Weshalb sollte dann
ein Tier nicht die Sprache des Menschen erlernen? Es gab
Zeiten, da konnte ich das Brüllen der Tiger fast verstehen. Der
Tiger ist mein Totem und tabu für mich, außer er greift mich an
und ich muß mein Leben retten", fügte er hinzu.

Tu vermochte seine Mißbilligung kaum zu unterdrücken. Dieses
Gerede von Totems und Tabus war vielleicht bei einem
Stammeshäuptling zu begreifen, aber vom König von Valusien
solche Worte zu hören war eine ungemein schmerzliche
Erfahrung.

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"Mein Lord", sagte er, "eine Katze ist kein Tiger."

"Das stimmt", pflichtete Kull ihm bei, "und diese Katze ist weiser
als alle Tiger."

"Das ist die reine Wahrheit", erklärte Saremes ruhig.
"Lordkanzler, würdest du es glauben, wenn ich dir verriete, was in
diesem Augenblick in der königlichen Schatzkammer geschieht?"

"Nein!" knurrte Tu. "Tüchtige Spitzel können alles in Erfahrung
bringen - wie ich nur zu gut weiß."

"Niemand kann gegen seinen Willen überzeugt werden", zitierte
Saremes gleichmütig ein altes valusisches Sprichwort.
"Trotzdem will ich dir sagen, Lord Tu, daß ein Überschuß von
zwanzig Goldtals entdeckt wurde und inzwischen bereits ein
Kurier auf dem Weg ist, dir zu berichten. Ah, hier kommt er
schon." Schritte erklangen draußen am Gang.

Ein schlanker Höfling in der farbenfrohen Livree der königlichen
Kämmerei trat ein und bat um die Erlaubnis, sprechen zu dürfen.
Als Kull sie gewährte, sagte er:

"Erhabener König und Lord Tu. Ein Überschuß von zwanzig
Goldtals fand sich in der königlichen Schatzkammer."

Delcardes lachte und klatschte vor Freude in die Hände. Tu zog
finster die Brauen zusammen.

"Wann wurde das festgestellt?"

"Vor etwa einer halben Stunde, mein Lord."

"Wie viele haben davon erfahren?"

"Niemand, mein Lord. Nur ich und der königliche Kämmerer
wußten es bis jetzt, da ich Euch berichtete."

"Hm!" Tu winkte ihm verärgert zu. "Du kannst gehen. Ich werde
mich später um die Sache kümmern."

"Delcardes", sagte Kull, "diese Katze gehört Euch, nicht wahr?"

"Lord König", erwiderte das Mädchen. "Saremes gehört
niemandem. Sie beehrt mich lediglich mit ihrer Anwesenheit. Sie
ist mein Gast. Sie ist ihre eigene Herrin seit Tausenden von
Jahren."

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"Ich wollte, ich könnte sie mit in meinen Palast nehmen", sagte
der König.

"Saremes", wandte sich Delcardes ehrerbietig an die Katze, "der
König hätte dich gern als seinen Gast."

"Ich werde den König von Valusien begleiten", erklärte die Katze
würdevoll, "und im Königspalast bleiben, bis ich mich entschließe,
anderswo hinzugehen. Denn wisse, Kull, es hält mich nie lange
an einem Ort. Ich liebe es, mir die Welt anzusehen, über Straßen
zu laufen, wo ich in längst vergangener Zeit durch dichte Wälder
streifte, und durch den Wüstensand zu schleichen, wo ich früher
über Prunkstraßen spazierte."

So kam Saremes, die sprechende Katze, in den Königspalast
von Valusien. Ihr Leibsklave begleitete sie. Sie erhielt ein
geräumiges Gemach mit weichen Diwanen und seidenen Kissen.
Die köstlichsten Leckerbissen der königlichen Tafel wurden ihr
vorgesetzt, und alle Höflinge und Bediensteten im Palast
huldigten ihr - außer Tu, dem es gar nicht gefiel, daß eine Katze
so geehrt wurde, selbst wenn sie eine sprechende Katze war.
Saremes behandelte ihn mit belustigter Geringschätzung,
während sie Kull würdevoll als Gleichgestellten betrachtete.

Recht häufig ließ sie sich von ihrem Sklaven, der sie überallhin
begleiten mußte, auf einem Seidenkissen zum Thronsaal tragen.
'

Oftmals besuchte Kull sie jedoch auch in ihrem Gemach. Dann
unterhielten sie sich bis in die frühen Morgenstunden.

Viele Geschichten erzählte sie ihm, und groß war ihre Weisheit.
Kull lauschte voll Aufmerksamkeit und Interesse, denn es
bestand kein Zweifel, daß diese Katze klüger und weiser als die
meisten seiner Ratgeber war. Ihre Sprache war bedeutungsvoll
und orakelhaft, doch sie machte keine Prophezeiungen, die über
die kleinen alltäglichen Geschehnisse im Palast und im Reich
hinausgingen. Vor Thulsa Doom, der dem König eine Drohung
gesandt hatte, warnte sie Kull allerdings ausdrücklich.

"Denn", so sagte sie, "ich, die ich eine größere Zahl an Jahren
gelebt habe, als du an Minuten leben wirst, ich weiß, daß es für

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die Menschen besser ist, die Zukunft nicht zu kennen. Denn was
sein wird, wird sein, und der Mensch kann es weder abwenden
noch beschleunigen. Es ist besser, im Dunkeln zu gehen, wenn
der Weg an einem Löwen vorbeiführt und es keine andere
Straße gibt."

"Und doch", murmelte Kull, "wenn sein muß, was sein wird - was
ich bezweifle - , und ein Mensch erfährt, was der Morgen ihm
bringt, und dieses Wissen stärkt oder schwächt seinen Arm,
müßte das dann nicht auch vorherbestimmt sein?"

"Wenn vorherbestimmt war, daß er es erfährt", erwiderte
Saremes und trug so weiter zu des Königs Verwirrung und
Zweifel bei. "Es ist jedoch so, daß nicht alle Pfade des Lebens
von Anbeginn feststehen, denn ein Mensch mag dies tun, oder
ein Mensch mag das tun. Und nicht einmal die Götter wissen
immer, was im Kopf eines Sterblichen vor sich geht."

"Dann", meinte der König, "ist doch nicht alles vorherbestimmt,
wenn es mehr als einen Weg gibt, dem der Mensch folgen kann.
Wie ist es da aber möglich, Ereignisse richtig vorauszusagen?"

"Das Leben hat viele Wege, Kull", erwiderte Saremes. "Ich stehe
am Kreuzweg der Welt, und ich weiß, wohin jeder Pfad führt.
Aber auch die Götter können nicht vorhersehen, welchen der
Mensch nehmen wird, den nach rechts oder links, sobald er den
Kreuzweg erreicht hat. Doch wenn er sich entschieden hat, gibt
es kein Zurück mehr."

"In Valkas Namen", sagte Kull, "Warum machst du mich nicht auf
die Gefahren oder Vorzüge eines jeden Weges aufmerksam, an
den ich komme, und hilfst mir den richtigen zu beschreiten?"

"Weil auch den Kräften meiner Art Grenzen gesetzt sind",
erwiderte die Katze. "Damit wir das Wirken der Götter nicht
behindern. Wir dürfen die Schleier nicht völlig von den Augen der
Sterblichen ziehen, wenn es nicht geschehen soll, daß die Götter
uns die Macht nehmen oder wir den Menschen Schaden
zufügen. Denn wenn auch viele Pfade von der Kreuzung in alle
Richtungen führen, kann der Mensch doch nur einen auswählen,
und manchmal ist der eine nicht besser als der andere. Die

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Fackel der Hoffnung flackert vielleicht auf einem Weg, und der
Mensch folgt ihr, obgleich gerade dieser Pfad der schlimmste
von allen ist."

Als sie sah, wie schwer es Kull fiel, zu verstehen, fuhr sie fort:
"Auch unsere Kräfte müssen Grenzen haben, sonst würden wir
zu mächtig und zu einer Bedrohung für die Götter, Lord König.
Deshalb sind wir einem Zauber unterworfen. Zwar dürfen wir die
Bücher der Vergangenheit beliebig öffnen und darin lesen, aber
in jene der Zukunft sind uns nur flüchtige Blicke durch den Nebel
gestattet, der sie verhüllt."

Kull hatte das Gefühl, daß Saremes' Erklärungen dürftig und
unlogisch waren und nach Hexerei und Schwindelei klangen,
aber der Blick aus ihren tiefen, unergründlichen Augen, der auf
ihm ruhte, machte ihm den Widerspruch schwer, auch wenn er
ihm auf der Zunge lag.

"Und nun", sagte die Katze, "werde ich zu deinem Besten den
Schleier für einen Augenblick beiseite ziehen: Laß Del-cardes
Kulra Thoom heiraten."

Kull erhob sich mit einem ungeduldigen Zucken seiner mächtigen
Schultern. "Ich will nichts mit mit den Affären einer Frau zu tun
haben. Mag Tu sich der Sache annehmen."

Und doch überschlief Kull den Gedanken in den folgenden
Tagen. Und da Saremes den Rat mit viel Schlauheit in ihre
philosophischen Gespräche verwob, wurde Kull allmählich
schwach.

Kull bot wahrhaftig einen seltsamen Anblick, wie er mit dem Kinn
auf seine starke Faust gestützt und interessiert nach vorn
gelehnt, den Worten der Katze lauschte, die zusammengerollt auf
ihrem Seidenkissen ruhte oder sich schläfrig in ihrer ganzen
Länge streckte, während sie von geheimnisvollen Dingen
erzählte. Ihre Augen glitzerten dabei, aber sie bewegte ihre
Lippen kaum. Und ihr Sklave Kuthulos stand wie immer
statuengleich hinter ihr.

Kull schätzte Saremes' Meinung sehr und fragte sie bei fast allen
Staatsgeschäften um Rat - den sie mit Vorbehalt oder überhaupt

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nicht gab. Irgendwie stimmte ihre Antwort jedoch gewöhnlich mit
seinen Vorstellungen überein, und er fragte sich, ob sie nicht
vielleicht auch Gedanken zu lesen vermochte.

Kuthulus störte ihn durch seine stete Anwesenheit, seine Starre
und sein Schweigen, aber Saremes wollte niemand anderen um
sich haben. Kull versuchte zu ergründen, was sich hinter dem
Schleier verbergen mochte, doch obgleich er sehr dünn schien,
verriet er doch nichts über das Gesicht darunter. Und Höflichkeit
Saremes' gegenüber hielt Kull davon ab, den Sklaven
aufzufordern, den Schleier abzunehmen.

Eines Tages kam Kull zu Saremes' Gemach, und sie blickte ihm
mit rätselhaften Augen entgegen. Der Sklave stand statuengleich
hinter ihr.

"Kull", sagte sie. "Wieder einmal werde ich den Schleier für dich
lüften. Brule, der piktische Speerkämpfer, Ka-nus Krieger und
dein Freund, wurde soeben von einem furchtbaren Ungeheuer in
den Verbotenen See gezogen."

Mit einem Fluch sprang Kull auf. "Brule? Bei Valka! Was hatte er
am Verbotenen See vor?"

"Er ist dort geschwommen. Eile, denn noch kannst du ihn retten,
selbst wenn er in das Verzauberte Land am Grunde des Sees
gebracht wird."

Kull wirbelte zur Tür. Er war bestürzt, wäre es aber über solch
eine Eigenmächtigkeit eines jeden anderen noch viel mehr
gewesen als bei dem kühnen, respektlosen Pikten, dem
Oberhaupt der mächtigsten Verbündeten des Reiches.

Er wollte nach Wachen rufen, doch Saremes hielt ihn zurück.

"Nein, König Kull. Es ist besser, du gehst allein. Nicht einmal dein
ausdrücklicher Befehl, dir in das Wasser des gefürchteten Sees
zu folgen, würde vermutlich befolgt werden, denn nach dem
valusischen Gesetz bedeutet es den Tod für jeden außer dem
König."

"Gut, ich werde allein gehen", stimmte Kull zu, "und Brule vor dem
Grimm der Bürger bewahren, wenn es ihm gelingen sollte, den

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Ungeheuern zu entkommen. Laß Ka-nu von meinem Vorhaben
wissen."

Kull wehrte respektvolle Fragen mit einem wortlosen Knurren ab,
stieg auf seinen Hengst und verließ die Stadt Valusien im
Galopp. Er ritt allein und befahl, daß ihm keiner folge. Was er tun
mußte, konnte er auch ohne Hilfe schaffen, und er wollte nicht,
daß irgend jemand Zeuge war, wenn er Brule oder dessen
Leichnam aus dem Verbotenen See holte. Er verfluchte die
Unverfrorenheit des Pikten und das Tabu, das über dem See
hing. Ein Verstoß dagegen mochte eine Rebellion unter den
Valusiern entfachen.

Die Abenddämmerung senkte sich bereits von den Höhen des
Zalgaragebirges herab, als Kull sein Pferd am Ufer des Sees
anhielt, der inmitten eines großen, einsamen Waldes lag. An
seinem Anblick war nichts Furchterregendes. Sein Wasser lag
klar und blau von einem sandigen weißen Ufer zum anderen, und
die winzigen Inseln hoben sich wie Smaragde und Jade aus der
ruhigen Oberfläche. Ein schwacher, schimmernder Dunst stieg
von ihm auf und verstärkte das Gefühl verträumter Unwirklichkeit,
die über der ganzen Landschaft zu liegen schien. Kull lauschte
einen Augenblick angespannt, und es war ihm, als klänge eine
ferne Musik durch das saphirblaue Wasser.

Er schüttelte sich fluchend und fragte sich, ob er bereits dem
Zauber des Sees verfiel. Hastig streifte er Kleider und Schmuck
ab, nur den Gürtel, das Lendentuch und seine Klinge behielt er
an. Dann watete er hinaus in die glitzernde

Bläue, bis sie seine Hüften umspülte. Er holte tief Luft, denn er
wußte, daß der Grund nun rasch unter seinen Füßen schwinden
würde, und tauchte.

Während er durch das sanfte Saphirblau schwamm, wurde ihm
klar, daß er ein wenig überstürzt gehandelt hatte. Zumindest
hätte ihm Saremes sagen können, an welcher Stelle Brule
geschwommen war, als er angegriffen wurde, und ob er den
richtigen Pfad nahm, auf dem er ihn retten konnte. Aber vielleicht
hätte es ihm die Katze ohnehin nicht verraten. Selbst wenn sie
ihm gesagt hätte, daß sein Unterfangen vergeblich wäre, hätte er

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trotzdem alles zu Brules Rettung unternommen. So oder so
würde er nun hier sein. Es lag also tatsächlich Wahrheit in
Saremes' Worten, daß es für die Menschen besser war, wenn
sie ihre Zukunft nicht kannten.

Was die Stelle betraf, an der Brule angegriffen worden war, nun,
das Ungeheuer konnte ihn inzwischen überallhin geschleppt
haben. Kull hatte vor, den Seegrund abzusuchen, bis ...

Noch während er dies dachte, huschte ein Schatten an ihm
vorbei, ein vager Schimmer im Jade und Saphir des Sees.
Weitere Schatten glitten rings um ihn vorüber, doch er vermochte
ihre Formen nicht zu erkennen.

Weit unten sah er den Seeboden, von dem ein eigenartiges
Glühen ausging. Dann waren die Schatten überall um ihn. Sie
woben ein Netz, ein ständig sich wandelndes Netz in tausend
schillernden Farben. Das Wasser leuchtete in einem hellen
Topaston, und die Wesen flimmerten in zauberhafter Pracht. Wie
Schatten von Schatten waren sie, zart und unwirklich, und doch
aus sich heraus leuchtend.

Als Kull erkannte, daß sie nicht vorhatten, ihn anzugreifen,
beachtete er sie nicht mehr, sondern wandte seine
Aufmerksamkeit dem Seegrund zu. Er berührte ihn leicht, zuckte
jedoch zurück, denn es war ihm, als wäre er auf etwas Lebendes
getreten. Er hatte eine rhythmische Bewegung unter seinen
nackten Sohlen gespürt. Das schwache Glühen stieg hier überall
vom Seeboden auf, bis es in der Feme mit den leuchtenden
Saphirschatten verschmolz. Der ganze Seegrund war ein
Feuerteppich, der mit steter Regelmäßigkeit glühte und erlosch.
Kull bückte sich. Der Boden war mit einem moosähnlichen Belag
überzogen, der wie weiße Flammen leuchtete. Es war, als wäre
das ganze Seebett mit Myriaden von Glühwürmchen bedeckt, die
im Takt ihre Flügel hoben und senkten. Und dieses Moos
pulsierte unter seinen Füßen wie etwas Lebendes.

Kull begann wieder nach oben zu schwimmen. Er war in den
Küstenbergen des meerumschlungenenen Atlantis
aufgewachsen. Wasser war sein zweites Element. Er war darin
ebenso zu Hause wie jeder Lemurier. Er vermochte doppelt so

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lange unter Wasser zu bleiben wie andere Schwimmer. Doch
dieser See war tief, und er wollte seine Kräfte schonen.

Er kam an die Oberfläche, füllte seine Lunge in tiefen Zügen und
tauchte erneut. Wieder huschten die Schatten um ihn, blendeten
ihn fast mit ihrem gespenstischen Glimmen. Er schwamm
diesmal rascher, und als er den Grund erreichte, eilte er darüber,
so rasch es die klebrigen Pflanzen erlaubten. Das Feuermoos
glühte und pulsierte, die schillernden Kreaturen flitzten um ihn
herum, und alptraumhafte ungeheuerliche Schatten unsichtbarer
Wesen fielen über seine Schultern auf den flammenden Grund.

Das Moos war übersät mit Schädeln und Gebeinen von
Menschen, die sich in den Verbotenen See gewagt hatten.
Plötzlich wirbelte das Wasser lautlos auf, und etwas raste auf
Kull zu. Zuerst hielt er es für einen riesigen Kraken, denn seine
Form war die eines Kraken mit um sich greifenden Tentakeln,
doch als es auf ihn einstürmte, sah er, daß es menschliche
Beine hatte und ein häßliches halbmenschliches Gesicht, das
ihm zwischen den schlangelnden Saugarmen entgegenstarrte.

Kull wappnete sich. Als sich die mörderischen Tentakel
peitschend um seinen Körper legten, stieß er das Schwert mit
kalter Zielsicherheit mitten in das dämonische Gesicht. Das
Wesen starb zuckend und mit schrecklichen, lautlosen Schreien
zu seinen Füßen. Blut breitete sich wie ein roter Schleier aus.
Hastig stieß Kull sich vom Grund ab und schoß in die Höhe.

Noch während er im schwindenden Tageslicht Luft holte,
schnellte ein großer Körper über die Wasseroberfläche auf ihn
zu - eine Wasserspinne, größer als ein Eber, deren kalte Augen
in einem höllischen Licht leuchteten. Kull hielt sich mit den Beinen
und einem Arm über Wasser und riß die Klinge hoch, und als die
Spinne über ihm war, hieb er ihren Körper halb auseinander, und
sie versank lautlos.

Ein schwaches Geräusch ließ Kull herumfahren. Eine zweite,
noch größere Spinne stürzte heran. Sie warf ein klebriges Netz
über des Königs Arme und Schultern, das für jeden das Ende
bedeutet hätte, der nicht die ungeheure Kraft Kulls besaß. Der
König aber zerriß die starken Stränge, als wären sie dünne

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Fäden. Dann packte er ein Bein der mörderischen Kreatur und
stieß ihr das Schwert wieder und wieder in den Körper, bis sie
erschlaffte und mit einer breiten Spur sich rötenden Wassers
davontrieb.

"Valka!" keuchte der König. "Das ist kein Ort für einen, der
Erholung sucht. Aber diese Kreaturen sind so leicht zu töten. Ich
frage mich, wie sie Brule überwältigen konnten, der doch nach
mir der beste Kämpfer in den Sieben Königreichen ist."

Aber Kull sollte bald herausfinden, daß weitaus gefährlichere
Wesen in den tödlichen Abgründen des Verbotenen Sees
lauerten. Erneut tauchte er hinab, und diesmal sah er nur die
schillernden Schatten und die Gebeine der Toten. Wieder kam er
hoch, um Luft zu holen, und stieß ein viertes Mal in die Tiefe.

Er befand sich unweit einer der Inseln, und während er zum
Grund hinabschwamm, fragte er sich, was sich wohl alles hinter
dem dichten, smaragdgrünen Blattwerk verbergen mochte, das
die Insel wie ein undurchdringlicher Wall vor neugierigen Blicken
schützte. Man raunte, daß sich dort Tempel und Schreine
erhoben, die keine menschliche Hand erbaut hatte, und daß in
bestimmten Nächten die Bewohner des Sees aus der Tiefe
kamen, um dort unheimliche Rituale abzuhalten.

Der Angriff erfolgte in dem Augenblick, als seine Füße das Moos
berührten. Er kam von hinten, und als Kull instinktiv
herumwirbelte, beugte sich eine riesige Gestalt über ihn -eine,
die weder Mensch noch Tier war, sondern auf schreckliche
Weise aus beidem gestaltet war - und packte ihn mit gewaltigen
Fingern an Arm und Schulter.

Kull wehrte sich wild, doch die Kreatur hielt seinen Schwertarm
wie mit eisernen Klammern, und ihre Krallen drangen ihm tief ins
Fleisch. Mit einer gewaltigen Anstrengung gelang es Kull, sich
herumzudrehen. Sein Angreifer glich einem Hai, dem unterhalb
der Augen ein langes, spitzes Hörn, einem Krummsäbel gleich,
aus dem Schädel wuchs. Er hatte vier Arme, menschlich in der
Form, doch unmenschlich an Größe und Kraft und an den
Fingern mit gekrümmten Krallen bewehrt.

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Zwei der Arme hielten Kull fest, daß er sich nicht bewegen
konnte, die beiden anderen drückten seinen Kopf nach hinten,
um ihm das Rückgrat zu brechen. Doch selbst ein solch
ungeheuerliches Geschöpf vermochte Kull von Atlantis nicht so
leicht zu bezwingen. Wilder Grimm wallte in ihm hoch und verlieh
ihm übermenschliche Kraft.

Kull stemmte die gespreizten Beine in das Moos. Mit einem
gewaltigen Ruck riß er seinen linken Arm aus dem mörderischen
Griff. Mit katzenartiger Flinkheit versuchte er das Schwert mit der
Linken zu fassen, und als das mißglückte, hieb er mit aller Kraft
mit der Faust nach dem Gegner. Doch das saphirblaue Wasser
nahm dem Schlag die Kraft. Der Haimann senkte den Kopf, aber
bevor er nach Kull stoßen konnte, packte der König das Hörn mit
der Linken und hielt es fest.

Was dann folgte, war eine Probe an Kraft und Ausdauer. Das
Wasser lahmte Kulls Flinkheit, so sah er seine einzige Chance in
der Umklammerung des Gegners, um auch dessen Gewandtheit
einzuschränken. Verzweifelt versuchte er seinen Schwertarm
freizubekommen, was den Haimann zwang, ihn mit allen vier
Armen festzuhalten. Kull wagte nicht, das Hörn loszulassen, um
nicht Gefahr zu laufen, durchbohrt zu werden, und der Haimann
wollte nicht eine seiner Hände von dem Arm nehmen, der das
lange Schwert in der Faust hielt.

So zerrten und rangen sie, und Kull wußte, daß er verloren war,
wenn er diesem Spiel nicht bald ein Ende setzte. Er brauchte
dringend Luft. Das kalte Funkeln in den Augen des Haimannes
verriet, daß dieser wohl wußte, daß er Kull nur unter Wasser zu
halten brauchte, bis er ertrank.

Eine verzweifelte Lage für einen Mann. Aber Kull von Atlantis war
kein gewöhnlicher Mann. Von Kindheit an war er in die harte,
blutige Schule des Lebens gegangen und hatte sich stählerne
Muskeln und einen eisernen, unerschrockenen Verstand
angeeignet, die zusammen den schier unschlagbaren Kämpfer
ausmachten. Dazu gesellte sich Mut, der ihn niemals verließ, und
eine raubtierhafte Wildheit, die ihn manchmal Übermenschliches
vollbringen ließ.

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So faßte er mit dem nahen Ende vor Augen einen Entschluß, der
so verzweifelt war wie seine Lage. Er ließ das Hörn los, krümmte
seinen Körper so weit nach hinten wie er konnte, und dann
packte er mit der freien Linken einen der Arme des Ungeheuers.

Sofort stieß der Haimensch zu. Sein Hörn streifte an Kulls
Schenkel entlang und verfing sich in seinem Schwertgürtel. Bevor
es wieder frei war, legte Kull seine ganze Kraft in die Finger, die
den Arm umklammert hielten, und zerquetschte das klamme
Fleisch und die Knochen darunter wie eine faulige Frucht.

Der Haimann sperrte in lautloser Qual den Rachen auf und stieß
wild zu. Kull wich aus, dabei verloren sie das Gleichgewicht und
den Boden unter den Füßen, hochgeschwemmt von den
jadefarbigen Wogen, die sie aufwühlten. Während sie rangen, riß
Kull seinen Schwertarm aus dem schwächer werdenden Griff und
rammte die Klinge in den Leib des Ungeheuers.

Der mörderische Kampf hatte nur ganz kurze Zeit gedauert, doch
Kull kam es wie Stunden vor, während er nach oben schwamm;
sein Schädel drohte zu bersten, und eine ungeheure Last
drückte auf seine Brust. Wie durch einen dichten Schleier nahm
er wahr, daß der Seegrund plötzlich steil vor ihm anstieg, was nur
bedeuten konnte, daß er sich einer Insel näherte. Plötzlich
erwachte das Wasser um ihn zum Leben. Etwas Riesiges
schlang sich von den Füßen bis zu den Schultern um ihn, das
selbst seine gewaltigen Muskeln nicht abzustreifen vermochten.
Seine Sinne begannen zu schwinden. Vage spürte er, daß er mit
ungeheurer Geschwindigkeit davongetragen wurde. Er vermeinte
viele Glocken läuten zu hören. Dann war er plötzlich über
Wasser und pumpte in heftigen Zügen kostbare Luft in seine
gequälten Lungen. Er wirbelte durch völlige Dunkelheit. Ein langer
Atemzug, dann wurde er wieder unter Wasser gerissen.

Es wurde heller um ihn, und er sah tief unter sich das Feuermoos
pulsieren. Er befand sich in der Gewalt einer riesigen Schlange,
die einen Teil ihres Leibes in mächtigen Ringen um ihn
geschlungen hatte und ihn mit sich schleppte, wohin, mochte
Valka allein wissen.

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Kull wehrte sich nicht. Er schonte seine Kräfte. Falls die
Schlange ihn nicht so lange unter Wasser hielt, daß er erstickte,
dann hatte er sicher noch eine Chance gegen sie, wenn sie ihn
in ihrem Unterschlupf freigab, oder wohin immer sie ihn brachte.
Kulls Arme und Beine steckten so bewegungslos in den Ringen,
daß Fliegen nicht unmöglicher gewesen wäre, als einen Arm aus
dieser Umklammerung zu befreien.

Die Schlange, die Kull mit solcher Geschwindigkeit durch die
blaue Tiefe trug, war gewiß die größte, die er je gesehen hatte -
ihr golden und jadegrün geschuppter, wunderschön gemusterter
Leib mußte wenigstens zweihundert Fuß lang sein. Ihre Augen,
die sich manchmal Kull zuwandten, waren erfüllt von eisigem
Feuer. Selbst Kull, der schon viele wundersame Dinge gesehen
hatte, war beeindruckt von diesem bizarren Bild: der gewaltige
grüne und goldene Leib, der durch das brennende Topas des
Sees flog, während die Schattenfarben ringsum verwirrende
Muster woben.

Wieder verlief der wie Juwelen leuchtende Seeboden aufwärts -
vielleicht zu einer weiteren Insel oder zum Ufer -, und plötzlich
öffnete sich der Schlund einer großen Höhle vor ihnen. Die
Schlange glitt ins Innere. Das Feuermoos blieb zurück. Kulls Kopf
drang durch die Wasseroberfläche. Dunkelheit war um ihn.
Schier endlose Zeit schleppte ihn die Schlange durch finstere
Höhlengänge und tauchte schließlich erneut.

Als sie wieder hochkamen, war Licht um sie, wie es Kull noch nie
zuvor gesehen hatte: ein düsteres Leuchten über der dunklen,
stillen Wasseroberfläche. Da wußte Kull, daß er sich im
Zauberreich am Grund des Verbotenen Sees befand, denn dies
war kein irdischer Schein. Es war ein schwarzes Licht,
schwärzer als jede Finsternis, und dennoch beleuchtete es das
unheilige Gewässer, so daß er sein Spiegelbild sehen konnte.
Die Ringe des Leibes gaben ihn plötzlich frei. Er schwamm sofort
auf die mächtigen dunklen Umrisse zu, die vor ihm schattenhaft
emporragten.

Er schwamm mit kräftigen Stößen und sah beim Näherkommen,
daß es eine große Stadt war. Aus einem gewaltigen

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Felsenplateau wuchs sie in die Höhe, bis sich die Spitzen der
düsteren Türme in der Schwärze oberhalb des unheiligen Lichtes
verloren. Er kletterte aus dem kalten Wasser und stieg steinerne
Stufen empor, die wie die einer Kaimauer in den Fels gehauen
waren. Um ihn befanden sich große quaderförmige Gebäude aus
mächtigen, basaltähnlichen Blöcken. Zwischen ihnen ragten
gewaltige Säulen empor.

Kein Schimmer irdischen Lichtes milderte die Düsterkeit dieser
unmenschlichen Stadt, doch aus den Mauern und Türmen quoll
das schwarze Leuchten in pulsierenden Wellen auf das Wasser
herab.

Kull wurde sich plötzlich bewußt, daß ihm auf einem großen Platz
zwischen den Bauwerken fremdartige Kreaturen
entgegenblickten. Er blinzelte, um seine Augen an das
sonderbare Licht anzupassen. Die Wesen kamen näher, und ein
Raunen ging durch die dichtgedrängte Menge wie das
Schwanken von Grashalmen im Nachtwind. Schmale,
schattenhafte Gestalten waren es, die sich mit schwachem
Glimmen vom dunklen Hintergrund ihrer Stadt abhoben. Ihre
Augen leuchteten unheimlich.

Da sah der König, daß eine aus ihrer Schar vor den übrigen
stand. Die Gestalt wirkte menschenähnlich. Das bärtige Gesicht
war von edlem Schnitt, doch war die Stirn in Unmut gerunzelt.

"Du kommst als echter Vertreter deiner Rasse", sagte der
Wassermann. "Blutbesudelt und mit einem Schwert in der Faust."

Kull lachte grimmig über diese Ungerechtigkeit.

"Valka und Hotath!" fluchte er. "Das Blut ist zum größten Teil
mein eigenes, und es waren die Kreaturen deines verdammten
Sees, die es vergossen."

"Tod und Vernichtung sind die Gefolgschaft deiner Rasse", fuhr
der Wassermann finster fort. "Wir wissen es. Wir herrschten
bereits über die blauen Wasser dieses Sees, als die Menschheit
noch nicht mehr als ein Traum der Götter war."

"Niemand behelligt euch ...", sagte Kull.

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"Nur aus Furcht. Schon in alter Zeit versuchten Menschen in
unser dunkles Königreich einzudringen. Wir töteten sie, und es
herrschte Krieg zwischen den Menschensöhnen und dem
Wasservolk. Wir gingen hinaus und verbreiteten Furcht und
Schrecken unter den Erdlingen, denn wir wußten, daß sie uns nur
den Tod bringen würden und daß nur Todesfurcht sie
abschrecken könnte. Mit Zauberkräften raubten wir ihnen den
Verstand und ließen ihre Seelen gefrieren, bis sie um Frieden
flehten, den wir gewährten. Die Menschen der Erde erklärten
diesen See für tabu und bestimmten, daß kein Mensch ihn
betreten dürfe, ausgenommen der König von Valusien. So
geschah es vor Tausenden von Jahren. Seither hat kein
Mensch, der in das Verzauberte Land kam, JE wieder die
Oberfläche gesehen, außer als Leichnam. König von Valusien,
oder wer immer du sein magst, du bist am Ende deines Weges."

Kull starrte ihn herausfordernd an.

"Dein verfluchtes Königreich war nicht mein Ziel. Ich suche Brule,
den Speerkämpfer, den ihr in die Tiefe geholt habt."

"Lüge", erwiderte der Wassermann. "Seit über hundert Jahren
hat sich kein Mensch mehr in diesen See gewagt. Du bist nur
gekommen, um nach Schätzen zu suchen, oder um zu plündern
und zu töten, wie alle deiner mordgierigen Art. Du sollst sterben!"

Kull spürte das Gewisper magischer Kräfte ringsum. Sie ließen
die Luft erzittern und wurden zu festen Formen und schwebten
durch das düstere Licht wie Spinnweben, tasteten nach ihm mit
dünnen schlangelnden Armen. Doch Kull wischte sie fluchend mit
den bloßen Händen zur Seite, daß sie zerstoben. Denn über die
wilde Logik des Barbaren hatte die uralte dekadente Magie keine
Macht.

"Du bist jung und stark", stellte der König des Sees fest. "Die
Verderbtheit der Zivilisation hat sich in deinem Herzen noch nicht
festgesetzt, und unser Zauber vermag dir nichts anzuhaben, weil
du ihn nicht begreifst. So müssen wir denn etwas anderes
versuchen."

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Die Wassermänner zogen Dolche und näherten sich Kull. Da
lachte der König von Valusien, stellte sich vor eine Säule, um den
Rücken frei zu haben, und umklammerte sein Schwert, daß die
Muskeln seines rechten Armes zu mächtigen Strängen
anschwollen.

"Das ist ein Spiel, das mir geläufig ist. Geisterpack", sagte er
grinsend.

Sie hielten inne.

"Du begehrst vergeblich gegen dein Schicksal auf", sagte der
König des Sees. "Wir sind unsterblich. Menschliche Waffen
vermögen uns nicht zu töten."

"Nun lügst du", antwortete Kull mit der List des Barbaren. "Hast
du nicht selbst gesagt, daß die Menschen immer nur gekommen
wären, um zu plündern und zu töten? Ihr mögt vielleicht ewig
leben, aber scharfer Stahl kann dem ein Ende machen. Überlegt
es euch gut. Ihr seid verweichlicht und schwach und wißt nicht
mehr mit Waffen umzugehen. Die Weise, wie der Dolch in eurer
Faust liegt, verrät es. Ich bin für den Kampf geboren und erzogen
worden. Sicher werdet ihr mich töten, denn ihr seid Tausende
und ich bin nur einer, doch eure Magie hat versagt und viele von
euch werden sterben, bevor ich falle. Zu Dutzenden werde ich
euch niederstrecken. Denkt nach, Wassermänner, ist euch mein
Tod all die Leben wert, die er euch kosten wird?"

So sprach Kull, der überzeugt war, daß Wesen, die mit einer
Klinge töten, auch durch die Klinge sterben können, und er hatte
keine Furcht. Als Abbild des Todes und der Vernichtung stand er
vor ihnen, blutverkrustet und angst-einflößend.

"Ja, überlegt es euch gut", wiederholte er. "Ist es nicht besser, ihr
bringt Brule zu mir und laßt uns zurückkehren, als daß mein
Leichnam einen blutigen Hügel eurer Toten krönt, wenn der
Schlachtenlärm verstummt ist? Unter meinen Söldnern sind
Pikten und Lemurier, die meiner Spur auch in den Verbotenen
See folgen und das Verzauberte Land in eurem Blut ertränken
werden, wenn ich hier mein Leben lassen sollte. Denn sie haben
ihre eigenen Tabus und kümmern sich wenig um die der

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zivilisierten Völker, noch schert es sie, was aus Valusien wird.
Sie achten nur mich, der ich ein Barbar bin wie sie."

"Die alte Welt nimmt ihren unaufhaltsamen Weg in den
Untergang und das Vergessen", erwiderte der Seekönig düster.
"Und wir, die wir einst so mächtig waren, müssen uns in unserem
eigenen Reich der arroganten Kraft des Barbaren beugen.
Schwöre, daß du niemals wieder den Fuß in den Verbotenen See
setzen wirst und dafür sorgst, daß niemand mehr dieses Tabu
bricht, dann lassen wir dich gehen."

"Ich werde nicht ohne den piktischen Speerkämpfer gehen."

"Kein piktischer Speerkämpfer ist je zu diesem See

gekommen."

"Nein? Die Katze Saremes sagte mir ..."

"Saremes? Ja, sie ist uns von alters her bekannt, als sie einst
durch das grüne Wasser herabgeschwommen kam und einige
Jahrhunderte am Hof des Verzauberten Landes zubrachte. Sie
besitzt die Weisheit der Zeit, doch ich wußte nicht, daß sie auch
die Sprache der Menschen spricht. Wie dem auch sei, bei uns ist
kein solcher Mann, wie du ihn suchst, und ich schwöre ..."

"Schwöre nicht bei Göttern oder Dämonen", unterbrach ihn Kull.
"Gib mir dein Wort als Mann."

"Du hast es", sagte der König des Sees, und Kull glaubte ihm,
denn es war etwas Majestätisches an dem König, das Kull das
Gefühl gab, unbedeutend zu sein.

"Und ich", erklärte Kull, "gebe dir mein Wort - das ich noch nie
gebrochen habe -, daß niemand mehr dieses Tabu verletzen und
euch belästigen wird."

"Und ich glaube dir, denn du bist anders als jeder Erdling, den ich
je kannte. Du bist ein wahrer König und ein wahrer Mann."

Kull dankte ihm. Er steckte sein Schwert in die Scheide und
wandte sich zur Treppe.

"Kennst du den Weg in deine Welt zurück, König von Valusien?"

"Ich nehme an", erwiderte Kull, "daß ich ihn finden werde, wenn
ich lange genug schwimme. Ich weiß, daß die Schlange mich

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mitten durch wenigstens eine, wahrscheinlich aber mehrere
Inseln geschleppt hat und daß wir lange durch eine Höhle
geschwommen sind.""Du bist kühn und unerschrocken", sagte
der Seekönig, "aber es könnte sein, daß du niemals den Weg
aus der Dunkelheit findest."

Er hob die Hände, und ein Behemoth kam zum Fuß der Treppe
geschwommen.

"Ein grimmiges Reittier", sagte der Seekönig. "Aber es wird dich
sicher ans Ufer der Oberfläche bringen."

"Eine Frage noch", bat Kull. "Wo bin ich jetzt? Unter einer Insel?
Oder unter dem Festland? Oder ist dieses Land wirklich unter
dem Grund des Sees?"

"Du befindest dich im Mittelpunkt des Universums, wo du immer
bist. Zeit, Ort und Raum sind nur Trugbilder. Sie existieren
lediglich im Verstand des Menschen, der Begrenzungen braucht,
um die Welt zu verstehen. Es gibt eine einzige Wirklichkeit, aber
sie trägt viele Masken, die der begrenzte Verstand ihr aufsetzt.
So wie der See dort oben nur ein Trugbild des einzigen echten
hier in der Tiefe ist. Geh nun, König, denn du bist ein wahrer
Mann, auch wenn du die erste Welle der über die Welt
hereinbrechenden Flut der Barbarei bist."

Kull lauschte respektvoll. Er verstand vieles nicht, aber er ahnte
die große Magie hinter den Worten. Er schüttelte die Hand des
Seekönigs und schauderte leicht bei der Berührung des
Fleisches, das nicht menschlich war.

Dann warf er einen letzten Blick auf die hohen schwarzen
Gebäude und die schattenhaften Gestalten zwischen ihnen und
danach hinaus auf die glänzende Schwärze des Wassers, über
die spinnengleich die Wellen des schwarzen Lichtes krochen.
Schließlich wandte er sich ab, schritt die Stufen zum Wasser
hinab und sprang auf den Rücken des Behemoths.

Ewigkeiten dunkler Höhlen, rauschenden Wassers und der
flüchtigen Wahrnehmung gigantischer, unsichtbarer
Monstrositäten folgten. Der Behemoth trug den König manchmal
über und manchmal unter dem Wasser, und plötzlich war das

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Feuermoos um sie, und sie stießen durch das Blau des
leuchtenden Wassers, und Kull watete an das Ufer.

Sein Hengst wartete geduldig, wo der König ihn zurückgelassen
hatte. Der Mond warf seinen ersten Silberschimmer über den
See, und Kull stieß überrascht einen Fluch aus. "Bei Valka! Vor
kaum einer Stunde bin ich hier abgestiegen! Und ich hätte
gedacht, daß viele Stunden oder gar Tage vergangen wären."

Er schwang sich auf sein Pferd und ritt zurück in die Stadt. Er
zweifelte nun nicht mehr daran, daß etwas Wahres an den
Worten des Seekönigs über die Unwirklichkeit der Zeit

war.

Kull war müde, ergrimmt und verwirrt. Der lange Weg durch das
Wasser hatte ihm das Blut abgewaschen, aber durch das Reiten
hatte die Wunde an seinem Schenkel wieder zu bluten begonnen.
Sein Bein fühlte sich steif an und schmerzte. Doch Kull war
hauptsächlich mit dem Gedanken beschäftigt, daß Saremes ihn
belogen hatte, entweder aus Unwissenheit oder aus böser
Absicht, und ihn damit fast in den Tod geschickt hätte. Weshalb
hatte sie das getan?

Kull fluchte und überlegte, was wohl Tu sagen würde. Schließlich
mochte sich auch eine sprechende Katze irren, es mußte kein
Verrat dahinterstecken. In jedem Fall würde er in Zukunft weniger
Gewicht auf ihre Worte legen.

Kull ritt durch die stillen mondsilbernen Straßen der uralten Stadt,
und die Wachen am Tor sperrten die Augen auf, als sie ihn
kommen sahen, aber sie waren klug genug, keine Fragen zu
stellen.

Der ganze Palast war in Aufruhr. Fluchend schritt Kull zum
Ratssaal und anschließend zu Saremes' Kammer. Die Katze lag
zufrieden und zusammengekuschelt auf ihrem Kissen. Um sie
herum standen aufgeregt durcheinanderredend Tu und die
königlichen Ratgeber. Der Sklave Kuthu-los war nirgends zu
sehen.

Kull wurde sofort mit Fragen bestürmt, aber er schritt wortlos zu
Saremes und starrte sie an.

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"Saremes", sagte der König. "Du hast mich belogen."

Die Katze blickte ihn unergründlich an und gähnte, gab jedoch
keine Antwort. Kull wartete ratlos, bis Tu ihn am Arm faßte.

"Kull, wo in Valkas Namen seid Ihr gewesen? Wie kommt Ihr zu
dieser Wunde?"

Kull schüttelte ihn gereizt ab.

"Laßt ab von mir", knurrte er. "Diese Katze hat mich zum Narren
gehalten - wo ist Brule?"

"Kull!"

Der König wirbelte herum und sah Brule durch die Tür kommen.
Seine spärliche Kleidung war von einem langen Ritt
staubbedeckt. Die bronzefarbigen Züge des Pikten waren
unbewegt, aber die Augen verrieten seine Erleichterung.

"In sieben Teufels Namen!" stieß er wütend hervor, um seine
Gefühle zu verbergen. "Mein Reiter haben die Berge und Wälder
nach Euch durchkämmt. Wo seid Ihr gewesen?"

"Am Verbotenen See, um deine wertlose Haut zu retten",
erwiderte Kull mit grimmigem Vergnügen über die Verblüffung
des Pikten.

"Am Verbotenen See?" rief Brule mit dem Freimut des Barbaren.
"Habt Ihr den Verstand verloren? Was sollte ich denn dort? Ich
begleitete Ka-nu gestern an die zarfhaanische Grenze. Als ich
zurückkam, war Tu dabei, die gesamte Armee auszuschicken,
um Euch zu suchen. Seither durchstreifen meine Männer jeden
Winkel, außer dem Gebiet um den Verbotenen See, wo wir Euch
nie gesucht hätten."

"Saremes hat mich belogen ...", begann der König.

Doch seine Worte gingen in einem Schwall tadelnder Stimmen
unter, die ihn daran erinnerten, daß ein König nicht so einfach
fortreiten und sein Reich dem Schicksal überlassen dürfe.

"Ruhe!" brüllte Kull. Er hob die Hände, und seine Augen funkelten
gefährlich. "Valka und Hotath! Bin ich euch vielleicht für jeden
Schritt Rechenschaft schuldig? Tu, berichtet mir, was geschehen
ist?"

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-7 9 -

In der plötzlichen Stille, die dem königlichen Ausbruch folgte,
erklärte Tu:

"Mein Lord, wir sind vom ersten Augenblick an getäuscht worden.
Die Katze ist, wie ich von Anfang an überzeugt war, nur ein
Schwindel, ein gefährlicher noch dazu."

"Aber ..."

"Mein Lord, habt Ihr noch nie von Menschen gehört, die ihre
Stimme aus einer Entfernung erklingen lassen können, so als
käme sie aus dem Mund eines anderen, oder von einem
unsichtbaren Sprecher?"

Röte überzog Kulls Gesicht. "Ja, bei Valka! Wie konnte ich Narr
das nur vergessen! Ein alter Zauberer in Lemurien hatte diese
Fähigkeit. Doch wer sprach ..:"

"Kuthulos!" rief Tu. "Ich war der Narr, daß ich mich seines
Namens nicht erinnerte! Kuthulos, ein Sklave, ja, aber der größte
Gelehrte und weiseste Mann der Sieben Reiche. Der Sklave der
Teufelin Delcardes, die sich jetzt auf der Folterbank windet!"

Ein überraschter Ausruf entfuhr Kull.

"Ja", sagte Tu grimmig. "Als ich feststelle, daß Ihr fortgeritten
seid, und niemand wußte wohin, da dachte ich, daß Verrat im
Spiel wäre, und ich überlegte. Da fiel mir ein, wer Kuthulos
wirklich war und daß er die Kunst des körperlosen Redens
beherrschte. Und mir fiel auch auf, daß Euch die Katze immer
nur unbedeutende Dinge vorhergesagt, nie große
Prophezeiungen gemacht und es mit nicht mehr als Ausflüchten
entschuldigt hatte.

Da zweifelte ich nicht mehr daran, daß Euch Delcardes diese
Katze zusammen mit Kuthulos überlassen hatte, um Euer
Vertrauen zu erschleichen und Euch in Euer Verderben zu
locken. Deshalb ließ ich Delcardes in den Palast bringen und
foltern, damit sie ein umfassendes Geständnis ablege. Es war
wahrlich ein durchtriebener Plan. Saremes mußte ihren Sklaven
zu jeder Zeit um sich haben. So konnte er durch sie reden - und
sich der Wirkung seiner Worte auf Euch sicher sein."

"Und wo ist Kuthulos?" fragte Kull.

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"Er war nicht mehr da, als ich in Saremes' Gemach kam und ..."

"Ho, Kull!" erklang eine fröhliche Stimme von der Tür her, und
eine bärtige, koboldartige Gestalt trat ein, gefolgt von einem
schlanken, verängstigen Mädchen.

"Ka-nu! Delcardes! So seid Ihr gar nicht gefoltert worden!"

"Oh, mein Lord!" Sie rannte zu ihm, fiel auf die Knie vor

ihm und umklammerte seine Beine. "Oh, Kull", schluchzte sie,
"sie werfen mir schreckliche Dinge vor! Ich gestehe, daß ich
Euch beschwindelt habe, aber ich wollte Euch bestimmt nichts
Böses! Ich wollte nur Eure Einwilligung zur Heirat mit Kulra
Thoom erlangen!"

Kull hob sie auf die Füße. Er war verwirrt, aber er hatte ihrer
offensichtlichen Angst und Reue wegen Mitleid mit ihr.

"Kull", sagte Ka-nu, "wie gut, daß ich noch rechtzeitig zurückkam,
bevor Ihr und Tu das ganze Königreich rebellisch machen
konntet!"

Tu funkelte ihn wütend an. Er war immer eifersüchtig auf den
piktischen Botschafter, der ebenfalls Kulls Berater war.

"Als ich zurückkehrte, war im Palast der Teufel los. Eure Höllinge
rannten kopflos umher, ohne etwas Vernünftiges zu
unternehmen. Ich schickte Brule und seine Reiter aus, nach
Euch zu suchen. Dann begab ich mich in die Folterkammer - das
ist immer empfehlenswert, wenn Tu das Sagen hat ..."

Der Lordkanzler zuckte zusammen.

"Ich begab mich also zur Folterkammer", fuhr Ka-nu ungerührt
fort, "wo sie gerade dabei waren, sich unserer kleinen Delcardes
anzunehmen, die herzzerreißend weinte und alles sagte, was sie
wußte und nur ungläubige Ohren fand. Sie ist nur ein naives Kind,
Kull, auch wenn sie in ihrer Schönheit noch so erwachsen
aussieht. Deshalb habe ich sie mitgebracht.

Delcardes hat sicher die Wahrheit gesagt, als sie behauptete,
Saremes sei nur ihr Gast und die Katze sei unvorstellbar alt. Es
ist wahr, Saremes ist eine Katze der Alten Rasse und weiser als
jede andere Katze. Sie kommt und geht, wie es ihr beliebt.

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Trotzdem ist sie nichts weiter als eine Katze. Delcardes hatte
Freunde im Palast, die ihr all die kleinen Dinge berichteten, die so
nützlich für sie waren, wie von meiner Botschaft, die Ihr verlegt
hattet, oder von dem Überschuß in der Schatzkammer. Der Bote,
der Bericht erstattete, gehört zu ihnen. Er hatte den Überschuß
entdeckt und ihr davon erzählt, noch bevor der Kämmerer davon
wußte. Ihre kleinen Spione sind Eure treuesten Diener. Was sie
ihr erzählten, konnte Euch nicht schaden, war aber hilfreich für
sie, die sie alle lieben, weil sie wissen, daß sie nichts Böses im
Schilde führte.

Sie hoffte, durch Kuthulos, der aus dem Mund der Katze sprach,
mit kleinen Prophezeiungen und Dingen, die jeder wissen konnte,
etwa. Euch vor Thulsa Doom zu warnen, Euer Vertrauen zu
gewinnen. Und indem die Katze, wie Ihr glauben solltet. Euch
immer wieder drängte. Euer Einverständnis zur Hochzeit von
Delcardes und Kuira Thoom zu geben, hoffte sie die Erfüllung
ihres sehnlichsten Wunsches zu erlangen."

"Dann wurde Kuthulos zum Verräter", sagte Tu.

In diesem Augenblick erklang Lärm an der Tür. Mehrere Wachen
traten ein und führten einen hochgewachsenen Gefangenen in
ihrer Mitte, dessen Hände gebunden waren und der einen
Schleier vor dem Gesicht trug.

"Kuthulos!"

"Ja, Kuthulos", sagte Ka-nu, aber er schien besorgt, und seine
Augen wanderten unruhig durch das Gemach. "Kuthulos,
zweifellos, der mit dem Schleier die Bewegungen seines Mundes
und seiner Halsmuskeln verbarg, wenn er Saremes sprechen
ließ."

Kull musterte die stille Gestalt, die reglos wie eine Statue stand.
Schweigen senkte sich über die Versammelten, als streife ein
eisiger Wind durch das Gemach. Eine ungeheure Spannung lag
in der Luft. Delcardes starrte auf die stumme Gestalt, und ihre
Augen weiteten sich, als die Wachen berichteten, wie sie den
Sklaven fingen, als er versuchte, durch einen wenig benutzten
Korridor zu entkommen.

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Dann senkte sich die Stille erneut herab, als Kull die Hand
ausstreckte, um den Schleier von dem maskierten Gesicht zu
ziehen. Durch das dünne Gewebe spürte Kull zwei Augen, die in
seine brannten. Niemand bemerkte, wie Kanu seine Fäuste
ballte, als bereite er sich auf einen schrecklichen Kampf vor.

Als Kulls Hand den Schleier schon fast berührte, brach ein
plötzliches Geräusch die atemlose Stille - es klang, als schlüge
jemand mit der Stirn oder dem Ellenbogen auf den Boden. Das
Geräusch schien aus der Wand zu kommen. Kull war mit einem
Schritt an der Stelle und schlug gegen ein Stück der
Wandtäfelung. Eine verborgene Tür sprang auf und gab den
Blick in einen staubigen Gang frei, in dem die gefesselte und
geknebelte Gestalt eines Mannes lag.

Sie zogen ihn in das Gemach, stellten ihn auf die Beine und
befreiten ihn von seinen Banden.

"Kuthulos!" schrie Delcardes auf.

Kulls Augen weiteten sich. Das Gesicht, das sich ihnen nun
offenbarte, war hager und gütig, wie das eines weisen Lehrers
der geistigen Wissenschaften.

"Ja, meine Lords und Lady", sagte er. "Dieser Mann, der meinen
Schleier trägt, drang durch eine geheime Tür in mein Gemach
und schlug mich nieder und fesselte mich. Ich lag hier und mußte
mitanhören, wie er den König fortschickte, in seinen Tod, wie er
glaubte, aber ich konnte nichts tun, es zu verhindern."

"Aber wer ist dann er?" Alle Augen wandten sich der
verschleierten Gestalt zu. Kull trat zu ihr.

"Lord König, nehmt Euch in acht!" rief der echte Kuthu-los. "Er ..."

Mit einem Ruck riß Kull den Schleier vom Gesicht - und fuhr mit
einem Ausruf zurück. Delcardes schrie, und ihre Knie gaben
nach.

Die Ratgeber drängten mit schreckensbleichen Gesichtern nach
hinten, und die Wachen ließen den Gefangenen los und wichen
grauenerfüllt vor ihm zurück.

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Das Gesicht des Mannes war ein fleischloser, bleicher
Totenschädel, in dessen Augenhöhlen fahlblaue Flammen
brannten.

"Thulsa Doom!" entfuhr es Ka-nu. "Ich habe es fast erwartet!"

"Ja, Thulsa Doom steht vor euch, ihr Narren." Seine Stimme
klang hohl und hallte wider wie in einer Gruft. "Der mächtigste
aller Zauberer und dein Todfeind, Kull von Atlantis. Diesen
Waffengang hast du für dich entschieden. Aber hüte dich, es war
nicht der letzte."

Mit einer einzigen verächtlichen Bewegung zerriß er seine
Fesseln und schritt zur Tür. Die Versammelten machten ihm
hastig Platz.

"Du bist ein blinder Narr, Kull", sagte er. "Sonst hättest du mich
trotz der Verkleidung nie für diesen anderen Narren, Kuthulos,
halten können."

Kull erkannte, daß er recht hatte. Zwar hatten die beiden etwa
gleiche Größe und Statur, doch war das Fleisch des
totenköpfigen Zauberers wie das eines Mannes, der schon lange
tot war.

Der König hatte keine Furcht wie die anderen, aber er war so
überrascht von dieser unerwarteten Wendung, daß er sprachlos
auf seinen Feind starrte. Als er schließlich vorwärtssprang wie
ein Mann, der aus einem Traum erwacht, griff Brule bereits mit
der lautlosen Wildheit eines Tigers an. Seine krumme Klinge
blitzte auf, und wie ein Blitz zuckte sie zwischen die Rippen
Thulsa Dooms und durchbohrte ihn mit solcher Wucht, daß sie
zwischen den Schultern hinausdrang.

Brule riß seine Klinge mit einer raschen Drehung aus dem
Körper, während er zurücksprang und geduckt abwartete, um
erneut anzugreifen, wenn es notwendig sein sollte. Er erstarrte.
Nicht ein Tropfen Blut drang aus der Wunde, die für einen
Lebenden den Tod bedeutet hätte. Der Totenköp-fige lachte nur.

"Es ist schon eine Ewigkeit her, daß ich starb wie alle
Sterblichen!" höhnte er. "Nein, ich werde lediglich in eine andere
Sphäre ziehen, wenn meine Zeit gekommen ist, nicht eher. Ich

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blute nicht, denn meine Adern sind leer, und ich fühle nur ein
wenig Kälte, die vorbei sein wird, wenn sich die Wunde schließt.
Sie ist bereits dabei, sich zu schließen. Geh zur Seite, Narr,
wenn dein Meister Abschied nimmt. Doch ich komme wieder,
Kull, dann wirst du schreien und sterben und verrotten vor meinen
Augen! Bis dahin, Kull, grüße ich dich!"

Und während Brule noch erstarrt zögerte und Kull verblüfft
innegehalten hatte, ging Thulsa Doom durch die Tür

und verschwand vor ihren Augen.

"Zumindest, Kull", sagte Ka-nu später, "habt Ihr den ersten
Waffengang mit dem Totenköpfigen für Euch entschieden, wie er
selbst zugab. Das nächste Mal müssen wir wachsamer sein,
denn er ist der Teufel in Person - ein Meister der Schwarzen,
unheiligen Magie. Er haßt Euch, denn er ist ein Vasall der großen
Schlange, deren Macht Ihr gebrochen habt. Er besitzt die Gabe
der Täuschung und der Unsichtbarkeit wie niemand sonst. Er ist
ein furchtbarer und erbarmungsloser Gegner."

"Ich fürchte ihn nicht", versicherte ihm Kull. "Beim nächsten Mal
wird er mich vorbereitet finden, und mein Schwert wird reden,
auch wenn es ihm nichts anzuhaben vermag, wie er behauptet,
was ich allerdings nicht glaube. Brule hat nur seine verwundbare
Stelle nicht getroffen, die selbst ein lebender Toter haben muß,
das ist alles."

Dann wandte er sich an Tu. "Lord Tu, es scheint mir, daß auch
die zivilisierten Völker ihre Tabus haben, da ich der einzige bin,
der den blauen See betreten darf."

Verärgert, vor allem, weil Kull der überglücklichen Del-cardes
gewährt hatte, zu heiraten, wen sie wollte, erwiderte Tu:

"Mein Lord, das ist kein heidnisches Tabu wie jene, vor denen
Euer Stamm sich beugt. Es ist vielmehr ein Mittel der Politik, um
den Frieden zwischen Valusien und den Seebewohnern zu
wahren, die Zauberkräfte besitzen."

"Und unsere Tabus bewahren uns davor, die unsichtbaren
Geister der Tiger und der Adler in Frieden zu lassen", erklärte
Kull. "Ich kann da keinen Unterschied sehen."

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"Wie auch immer", warnte Tu, "Ihr müßt Euch vor Thulsa Doom
in acht nehmen. Er verschwand in eine andere Dimension.
Solange er dort bleibt, ist er unsichtbar und keine Gefahr für uns.
Doch er wird wiederkommen." \

"Ah, Kull", seufzte der alte Halunke Ka-nu, "wie schwer j mein
Leben doch im Vergleich zu Eurem ist. Brule und ich haben
ordentlich gezecht in Zarfhaana, und ich fiel eine Treppe hinab
und schrammte mein Schienbein grün und blau - während Ihr
Euch den lieben langen Tag auf den Lorbeeren Eurer
Regentschaft ausgeruht habt."

Kull schenkte ihm nur einen wortlosen Blick, dann drehte er ihm
den Rücken zu und beugte sich zu der schlafenden Saremes
hinab.

"Sie ist kein Zaubergeschöpf, Kull", sagte der Speerkämp-fer.
"Sie ist klug und sieht weise aus, aber sie spricht nicht. Und doch
fesseln mich ihre Augen und ihre Altehrwürdigkeit. Trotzdem ist
sie nur eine Katze, nichts weiter."

"Mag sein, Brule", sagte Kull und streichelte bewundernd ihr
seidiges Fell, "aber sie ist eine sehr, sehr alte Katze."

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DER SCHÄDEL DER STILLE

(The Skull of Silence)

Man nennt ihn immer noch den Tag der Furcht des Königs. Denn
schließlich war auch Kull, der König von Valusien, nur ein
Mensch. Es gab zwar keinen kühneren Mann, aber alles Irdische
hat seine Grenzen, selbst der Mut. Natürlich waren Kull auch
zuvor Anflüge von Furcht, Erschrecken und Entsetzen vor dem
Unbekannten nicht fremd gewesen. Aber solche Gefühle waren
nicht mehr als ein flüchtiges Aufflakkern in den Tiefen seines
Verstandes, ausgelöst durch das Unerwartete oder etwas
Abstoßendes und Unnatürliches -mehr Abscheu also als
wirkliche Furcht. Daher übermannte ihn echte Furcht so selten,
daß die Menschen diesem Tag, der ihn das Fürchten lehrte,
einen Namen gaben.

Ja, es gab diesen Tag, an dem Kull wahre Furcht kennenlernte,
nackte blinde Furcht, die ihn bis ins tiefste Mark erschütterte und
sein Blut gefrieren ließ. Deshalb ist es für die Menschen ein
besonderes Ereignis, doch sie sprechen nicht abfällig darüber,
noch schämt Kull sich dieser Furcht. Nein, denn als es sich
zutrug, gab der König sein Bestes und errang unsterblichen
Ruhm.

Und so geschah es. Kull saß entspannt auf dem Thron und
lauschte ein wenig schläfrig der Unterhaltung zwischen Tu, dem
Lordkanzler, Ka-nu, dem piktischen Botschafter, Brule, Ka-nus
rechtee Hand, und Kuthulos, dem Sklaven, der zudem der größte
Gelehrte der Sieben Reiche war.

."Alles ist Schein", behauptete Kuthulos, "alle äußeren
Manifestationen der Wirklichkeit, die jenseits menschlichen
Verstehens liegt, da es keine Bezugspunkte gibt, mit deren Hilfe
der endliche Geist das Unendliche messen kann. Die eine
Realität mag der Ausgangspunkt für alles sein, oder jede
natürliche Illusion mag einen eigenen Ausgangspunkt haben. All
das wußte Raama, der größte Geist aller Zeiten, der vor Äonen

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die Menschheit aus den Klauen unbekannter Dämonen befreite
und die Rasse aus dem Staub emporhob."

"Er war ein mächtiger Zauberer." Ka-nu nickte nachdenklich.

"Er war kein Magier", erklärte Kuthulos. "Kein Hexer, der
unverständliche Zaubersprüche murmelt und aus der
Schlangenleber weissagt. Mummenschanz gab es für ihn nicht.
Er verstand den Ursprung der Dinge, er kannte die Elemente und
wußte, daß natürliche Kräfte, auf die natürliche Ursachen
einwirken, auch natürliche Auswirkungen haben. Er brachte seine
scheinbaren Wunder durch Anwendung seiner Kräfte auf höchst
natürliche Art und Weise zuwege, die für ihn so
selbstverständlich waren, wie uns das Entzünden eines Feuers
ist, für uns jedoch so unbegreiflich und unvorstellbar, wie es
unser Feuer den ersten Menschen gewesen wäre."

"Weshalb hat er dann den Menschen nicht alle seine
Geheimnisse verraten?" fragte Tu.

"Er hatte erkannt, daß es für den Menschen nicht gut ist, zuviel
zu wissen. Irgendein Schurke könnte die gesamte Menschheit,
ja, das ganze Universum in seine Gewalt bringen, wenn er über
Raamas Wissen verfügte. Nein, der Mensch muß langsam
lernen, und seine Seele muß damit wachsen."

"Und doch sagst du, alles sei Schein?" warf Ka-nu hartnäckig
ein. Er war zwar klug, wenn es um die Politik ging, verstand
jedoch wenig von Philosophie und Wissenschaft, und war
deshalb voll Hochachtung für Kuthulos und seine Weisheit. "Wie
kann das sein? Hören und sehen und fühlen wir denn nicht?"

"Was sind Bilderund Laute?" konterte der Sklave. "Ist der Laut
nicht das Fehlen von Stille? Und ist Stille nicht das Fehlen von
Geräuschen? Die Abwesenheit eines Dinges ist kein greifbarer
Stoff. Es ist - nichts! Und wie kann Nichts existieren?"

"Warum gibt es dann überhaupt Dinge?" fragte Ka-nu verwirrt.

"Sie sind Erscheinungen der Wirklichkeit. Wie Stille;

irgendwo gibt es die Essenz der Stille, ihre Seele. Ein Nichts, das
etwas ist; eine Abwesenheit, die so absolut ist, daß sie stoffliche
Form annimmt. Wer von euch hat je absolute Stille erlebt?

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Keiner! Immer gibt es irgendwelche Geräusche - das Säuseln
des Windes, das Summen eines Insekts, ja selbst das Wachsen
des Grases oder das Wispern des Wüstensandes kann man
hören. Aber im Mittelpunkt der Stille gibt es keinen Laut."

"Raama", warf Ka-nu ein, "hat vor langer, langer Zeit den Geist
der Stille in eine große Burg gesperrt und diese für alle Ewigkeit
versiegelt."

"Ja", stimmte Brule zu. "Ich habe die Burg gesehen. Sie ist ein
gewaltiges schwarzes Bauwerk auf einem einsamen Berg in
einer wilden Gegend Valusiens. Seit undenklichen Zeiten kennt
man sie als den Schädel der Stille."

"Ha!" Kulls Interesse war geweckt. "Meine Freunde, ich habe
Lust, mir diese Burg anzusehen!"

"Lord König", sagte Kuthulos warnend, "es ist gefährlich, mit dem
Feuer zu spielen. Raama war weiser als je ein Mensch vor oder
nach ihm. Es wird berichtet, daß er mit Hilfe seiner Künste einen
Dämon gefangensetzte. Nicht mit Hilfe seiner Künste, behaupte
ich, sondern mit seinen Kenntnissen der Naturkräfte, und es war
auch gewiß kein Dämon, sondern ein Element, das die Existenz
der Rasse bedrohte.

Die Macht dieses Elements geht schon allein daraus hervor, daß
selbst Raama es nicht vernichten, sondern nur einschließen
konnte."

"Genug." Kull machte eine ungeduldige Gebärde. "Raama ist
schon seit so vielen tausend Jahren tot, daß ich gar nicht
darüber nachdenken mag. Ich reite zum Schädel der Stille! Wer
kommt mit mir?"

Alle, die zugehört hatten, und hundert Rote Reiter, Valusiens
kühnste Krieger, begleiteten Kull, als er im Morgengrauen die
Residenz verließ. Sie ritten durch das Gebirge von Zalgara, bis
sie nach vielen Tagen einen einsamen Berg erreichten, der sich
düster von den umliegenden Hochebenen abhob und auf dessen
Gipfel eine finstere Burg kauerte.

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"Das ist sie", erklärte Brule. "Im Umkreis von hundert Meilen lebt
kein Mensch, noch war die Gegend je besiedelt. Sie wird
gemieden, als läge ein Fluch auf ihr."

Kull zügelte seinen großen Hengst und blickte hoch. Keiner
sprach. Kull war sich der befremdlichen, ja schier unerträglichen
Stille bewußt, während er die schwarze Burg betrachtete. Als er
redete, zuckten alle unwillkürlich zusammen. Dem König schien
es, als strömten die düstere Burg tödliche Strahlen der Stille aus.
Keine Vögel zwitscherten ringsum, kein Wind flüsterte in den
Zweigen der verkrüppelten Bäume. Als Kulls Reiter den Hang
emporritten, hörte sich das Hufgeklapper auf dem felsigen Boden
dumpf und wie aus weiter Ferne an, und es verklang ohne Echo.

Sie hielten vor der Burg, die wie ein finsteres Untier zu lauern
schien. Wieder versuchte Kuthulos den König zurückzuhalten.

"Kull, bedenkt! Wenn Ihr das Siegel brecht, setzt Ihr vielleicht ein
Ungeheuer frei, dessen furchtbaren Kräften wir nicht mehr Herr
zu werden vermögen"

Kull schob ihn ungeduldig zur Seite. Widerspruchsgeist und
Eigensinn - fast allen Königen eigene Untugenden - beherrschten
ihn, und obgleich er gewöhnlich vernünftigen Ratschlägen
durchaus zugängig war, beharrte er diesmal hartnäckig auf dem,
was er sich in den Kopf gesetzt hatte.

"Lies mir die alten Lettern auf dem Siegel, Kuthulos", befahl er.
"Lies sie!"

Widerstrebend stieg Kuthulos vom Pferd. Die anderen folgten
seinem Beispiel, mit Ausnahme der Soldaten, denen der Schein
der bleichen Sonne das Aussehen bronzener Reiterdenkmäler
verlieh. Die Burg grinste höhnisch auf sie herab wie ein
Totenschädel ohne Augenhöhlen, denn sie hatte keine Fenster,
nur eine riesige Eisentür, die verriegelt und versiegelt war.
Offenbar bestand das ganze Bauwerk nur aus einem einzigen
Raum.

Kull gab einige Befehle an die Reiter und war verärgert, daß er
seine Stimme mehr als sonst heben mußte, damit seine

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Hauptleute ihn hören konnten. Ihre Antworten kamen gedämpft
und kaum verständlich.

Dann schritten der König und seine vier Begleiter auf die Tür zu.
An einem Rahmen neben der Tür hing ein recht ungewöhnlicher
Gong, aus grünem Jade, wie es schien. Aber als Kull den Gong
näher betrachtete, war er sich der Farbe nicht mehr sicher, denn
sie verschwamm vor seinen Augen und wechselte ständig, so
daß er manchmal vermeinte, in große Tiefe zu blicken und
manchmal auf seichten Grund. Neben dem Gong hing ein
Schlegel aus dem gleichen seltsamen Material. Er nahm ihn in
die Hand und schlug damit leicht auf den Gong. Halb taub fuhr er
zurück, denn der Klang war von unvorstellbarer Gewalt - als
wären alle Geräusche der Welt darin vereint.

"Lies die Lettern, Kuthulos", befahl er erneut. Ehrfürchtig beugte
sich der Sklave vor, denn zweifellos waren die Worte von dem
großen Raama selbst gemeißelt worden.

"Was einst war, kann wieder sein", las er laut. "Dann wird die
Furcht König über die menschliche Rasse sein!"

Er richtete sich auf. Die Angst in seiner Stimme war
unverkennbar.

"Eine Warnung! Eine Warnung von Raama selbst! Hört auf sie,
Kull! Hört auf sie!"

Kull lachte verächtlich, zog sein Schwert und schlug damit das
Siegel entzwei. Danach hieb er auf den gewaltigen Eisenriegel
ein, immer und immer wieder, wobei er sich vage bewußt war, wie
leise seine schweren Schläge klangen. Plötzlich gab der Riegel
nach. Die Tür schwang auf.

Kuthulos schrie. Kull erstarrte - der Raum war leer? Nein!

Er sah nichts, es gab nichts zu sehen, dennoch spürte er das
Pulsieren der Luft um ihn, als etwas in gewaltigen, unsichtbaren
Wellen aus der verfluchten Halle wogte. Kuthulos ergriff seinen
Arm. Er schrie, so laut er konnte, doch seine Worte klangen
unsagbar dumpf und schwach.

"Die Stille! Es ist die Seele der ewigen Stille!"

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Jedes Geräusch erstarb. Die Pferde bäumten sich auf und
warfen ihre Reiter in den Staub. Die Männer preßten die Hände
gegen die Ohren und schrien, doch von ihren Lippen kam kein
Laut.

Kull stand als einziger aufrecht mit dem nutzlosen Schwert in der
Faust. Stille! Vollkommene, absolute Stille! Pulsende, wogende
Wellen lautlosen Grauens! Seine Männer brüllten in ihrem
Entsetzen, schrien sich die Kehlen wund. Und doch war nichts zu
hören!

Die Stille drang in Kulls Seele, umklammerte mit Krallenfingern
sein Herz, stieß stählerne Klauen in seinen Verstand. Vor
unerträglicher Qual preßte er die Hand gegen die Stirn. Sein
Kopf schien zu zerspringen. In einer Welle des Grauens, die ihn
überschwemmte, sah Kull in blutigem Rot eine schreckliche
Vision: Die Stille breitete sich über die Erde, über das ganze
Universum aus!

Die Menschen starben mit lautlosen Schreien. Das Tosen der
Flüsse, das Rauschen der Meere, das Heulen des Windes, alles
verstummte, erstarb. Jeglichen Laut erdrückte die Stille; diese
Stille, die Schädel bersten ließ, die alles Leben auf der Erde
auslöschte und nach den Sternen griff, um auch sie für immer
zum Schweigen zu bringen.

Das war der Augenblick, da Kull wirkliche Furcht empfand,
Grauen und Entsetzen, so mächtig, daß sie die Seele und den
Verstand lahmten. Als er diese entsetzliche Vision vor sich sah,
schwankte er, taumelte er vor Furcht. 0 ihr Götter! Nur einen
einzigen Laut, nur ein leises, winziges Geräusch! Kull riß den
Mund auf wie seine lautlos wimmernden Begleiter, und die
unmenschliche Anstrengung, seine Qual hinauszuschreien,
sprengte schier seine Brust. Die pulsierende Stille verhöhnte ihn.
Er hieb mit der Klinge

auf den metallenen Türrahmen ein. In immer neuen Wellen wogte
die Stille aus der Halle, krallte sich in ihn, zerrte an ihm und
spottete seiner, als wäre sie etwas auf schreckliche Weise
Lebendiges.

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Ka-nu und Kuthulos lagen reglos auf dem Boden. Tu wand sich
auf dem Bauch liegend, die Hände an den Kopf gepreßt, mit
weitaufgerissenem Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Brule wälzte sich wie ein verwundeter Wolf im Staub und krallte
seine Finger um seine Schwerthülle.

Kull vermochte nun die Gestalt der Stille fast zu erkennen. Die
schreckliche Stille, die nach langer Gefangenschaft aus ihrem
Schädel quoll, um die Schädel der Menschen zu zerbersten. Sie
wand und schlängelte sich in unwirklichen Schleiern und
Schatten. Sie lachte ihn aus! Sie lebte! Kull taumelte, fiel - und im
Sturz schlug seine ausgestreckte Faust gegen den Gong. Er
hörte keinen Laut, aber er spürte ein deutliches Wogen und
Zucken der Wellen um ihn, ein leichtes Zurückweichen,
unwillkürlich, so wie eine menschliche Hand vor der Glut einer
Flamme zurückzucken mochte.

Ah, der alte Raama ließ die Welt auch nach seinem Tod nicht
ohne Schutz zurück! Kulls wirbelnder Verstand begriff plötzlich
das Rätsel. Das Meer! Der Gong war wie das Meer in seinem
immer wechselnden Grün, niemals ruhig, manchmal tief,
manchmal seicht, niemals still!

Die See! Bei Tag und Nacht brandend und donnernd -der
Erzfeind der Stille. Ein Schwindelgefühl übermannte ihn. Übelkeit
ließ ihn würgen, trotzdem gelang es ihm, den Schlegel zu fassen.
Seine Knie gaben nach, doch er hielt sich mit der Linken an dem
Metallrahmen fest, während seine Rechte den Stiel wie im
Todeskrampf umklammerte. Die Stille wogte voll Grimm um ihn.

Sterblicher, du wagst es, dich mir entgegenzustellen, die ich älter
als die Götter bin? Bevor es Leben gab, war ich, und ich werde
noch sein, wenn alles Leben längst erloschen ist. Vor dem ersten
Laut war das Universum still und wird es wieder sein. Denn ich
werde hinausströmen in den Kosmos und jeden Laut ersticken -
ersticken - ersticken - ersticken!

Das Brüllen der Stille hallte in Kulls schmerzerfülltem Schädel in
immer neuen, unerträglichen Wogen wider, während er den Gong
schlug - wieder - und wieder - und wieder!

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Und bei jedem Schlag wich die Stille zurück - Fingerbreit um
Fingerbreit. Kull schlug mit neuer Kraft. Jetzt konnte er bereits
schwach, wie aus unendlicher Ferne über unvorstellbare
Abgründe der Stille hinweg, das Hallen des Gongs hören, doch
es klang nicht lauter, als klopfte jemand am anderen Ende des
Universums mit einem Hufnagel auf eine Silbermünze. Aber bei
jeder Schwingung des Tons erzitterte die Stille. Ihre würgenden
Arme schrumpften, die Wogen brachen. Die Stille wich.

Weiter und weiter, immer weiter zurück, bis sich die Schleier in
der Türöffnung wanden, während sich hinter Kull die Männer
wimmernd und kraftlos und mit leeren Augen aufzurichten
versuchten. Kull riß den Gong aus seinem Rahmen und wankte
zur Tür. Für ihn war ein Kampf nicht zu Ende, der nicht
entschieden war. Für ihn gab es kein Nachgeben und keine
Zugeständnisse. Es genügte nicht mehr, diese Tür wieder zu
verschließen und versiegeln. Das ganze Universum hätte
innehalten müssen, um mitanzusehen, wie ein Mann allein die
Existenz der Menschheit rechtfertigte und zu höchsten Höhen
des Triumphes emporklomm.

Er stand in der Tür und stemmte sich gegen die Wogen,
unablässig den Gong schlagend. Die Höllenkraft dieses
grauenvollen Etwas, in dessen letzte Festung er eindrang, raste
um ihn. Die ganze Stille befand sich nun wieder in der Kammer
und wich Schritt um Schritt vor dem unüberwindlichen Dröhnen
des Gongs zurück. Alle Laute, alle Geräusche der Welt waren
von jener Meisterhand darin gebannt worden, die schon vor so
langer Zeit sowohl den Laut als auch die Stille bezwungen hatte.

Und im Herzen ihrer Festung sammelte die Stille noch einmal all
ihre Kräfte zu einem letzten Angriff. Höllen aus klangloser Kälte
und schweigendem Feuer wirbelten um Kull. Er focht gegen ein
Wesen, das stofflich und wirklich war. Stille war die Abwesenheit
von Laut, hatte Kuthulos gesagt: Kuthulos, der sich nun
wimmernd und ohne Verstand auf dem Boden wälzte.

Doch das hier war mehr als Abwesenheit. Eine Abwesenheit von
solcher Vollkommenheit, daß ihre Gegenwart greifbar wurde,
eine abstrakte Illusion, die stoffliche Wirklichkeit war. Kull wankte

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taub, blind, nahezu gefühllos im Ansturm der kosmischen Kräfte,
die seine Seele, seinen Körper, seinen Geist zu bezwingen
suchten. Von der Stille eingehüllt erstarb das Dröhnen des
Gongs erneut. Doch Kull hörte nicht auf. Sein gepeinigtes Gehirn
ließ ihn schwanken, doch er stemmte die Füße gegen die
Schwelle und schob sich vorwärts. Er stieß auf stofflichen
Widerstand, einer Welle aus undurchdringbarem Feuer gleich,
heißer als Flammen und kälter als Eis. Doch er preßte vorwärts
und spürte, wie das Hindernis langsam nachgab.

Fuß um Fuß, Schritt für Schritt kämpfte er sich in die Halle des
Todes und trieb die Stille vor sich her. Jeder Schritt war
teuflische, mörderische Pein, jeder Fußbreit die Hölle. Den Kopf
gesenkt, die Schultern nach vorn gestemmt, die Arme in wildem
Rhythmus schlagend, so erkämpfte Kull seinen Weg ins Innere,
während große Blutstropfen auf seiner Stirn und seinen Brauen
zusammenliefen.

Hinter ihm begannen sich die Männer taumelnd zu erheben,
schwach noch und schwindlig von der Stille, die ihren Verstand
beherrscht hatte. Sie starrten verständnislos auf die Tür, wo ihr
König allein die mörderische Schlacht um das Universum focht.
Blind kroch Brule vorwärts, das Schwert über den Boden
schleifend, noch nicht wieder er selbst, doch von seinen
halbverschütteten Instinkten geleitet, dem König zu folgen, und
wenn der Weg in die Hölle führte.

Kull zwang die Stille zurück, Schritt um mühsamen Schritt, und er
spürte, wie sie schwächer wurde, wie sie schrumpfe. Im selben
Maße wurde der Gong lauter und lauter, bis er mit seinem
Dröhnen die Halle erfüllte, die Erde, den Himmel. Die Stille
duckte sich vor ihm, zog sich zusammen, verkroch sich in sich
selbst in einer schrecklichen Gestalt, die Kulls Augen sahen - und
doch nicht sahen. Sein Arm schien zu erlahmen, doch mit einer
gewaltigen Anstrengung verstärkte er die Gongschläge, bis sich
die Stille in einer dunklen Ecke wand und kleiner und kleiner
wurde. Ein letzter Schlag noch! Alle Geräusche des Universums
erklangen zusammen in einer brüllenden, gellenden,
schmetternden, alles umtosenden Kakophonie! Der Gong

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zerschellte in einer Million schwingender Splitter. Und die Stille
schrie!

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DIESE AXT IST MEIN ZEPTER!

(By this Axe I Rule)

>Meine Lieder sind die Nägel zu des Königs Sarg! <

"Um Mitternacht muß der König sterben!"

Der Sprecher war groß, hager und dunkelhaarig. Eine krumme
Narbe nahe am Mund verlieh ihm ein ungewöhnlich finsteres
Aussehen. Die Zuhörer nickten. Ihre Augen funkelten. Vier waren
es: ein kleiner dickleibiger Mann mit ängstlichem Gesicht,
weichem Mund und vorquellenden Augen, die ihm einen Ausdruck
unentwegter Neugier verliehen; ein grimmiger Riese,
grobschlächtig und mit dichtem Haarwuchs; ein
hochgewachsener, drahtiger Mann in der Kleidung eines
Hofnarren, dessen brennende, blaue Augen mit einer Spur von
Wahnsinn funkelten; und ein untersetzter Zwerg mit überbreiten
Schultern und überlangen Armen.

Der erste Sprecher lächelte auf eine frostige Weise. "Laßt uns
jetzt den Eid schwören, den keiner brechen kann - den Eid des
Messers und des Feuers! Nicht, daß ich euch nicht vertraue.
Aber ich halte es für besser, wenn wir einander sicher sein
können. Es kommt mir vor, als ob einige es mit der Angst
bekämen."

"Du hast leicht reden, Ardyon", sagte der kleine, dicke Mann. "Du
bist bereits ein Geächteter, auf dessen Kopf ein Preis steht. Du
hast nichts mehr zu verlieren. Du kannst nur gewinnen, aber wir
..."

"Ihr habt viel zu verlieren und noch viel mehr zu gewinnen",
erwiderte der Geächtete ungerührt. "Ihr habt mich aus meinem
Unterschlupf in den Bergen geholt, weil ihr mich braucht, euren
König zu stürzen. Ich habe den Plan geschmiedet, die Schlinge
und den Köder ausgelegt und stehe bereit, die Beute zu töten -
aber ich muß mir eurer Unterstützung sicher sein. Seid ihr bereit
zu schwören?"

"Genug des dummen Geredes", rief der Mann mit den
brennenden Augen. "Ja, wir werden noch heute schwören, und

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wir kommen in der Nacht zum Totentanz für einen König! >0h, zu
der Streitwagen Lied und der Geier Flügelschlag. <"

"Spar dir deine Lieder für ein andermal auf, Ridondo", sagte
Ardyon lachend. "Es ist die Stunde der scharfen Kimgen, nicht
der Gesänge."

"Mein Lieder sind die Nägel zu des Königs Sarg!" rief der
Spielmann und zog einen langen, schmalen Dolch. "Diener, bringt
eine Kerze her! Ich werde den Schwur als erster leisten!"

Während ein Sklave eine lange, dünne Kerze brachte, ritzte
Ridondo sein Handgelenk, daß Blut aus dem Schnitt quoll. Einer
nach dem anderen folgten die übrigen seinem Beispiel und
hielten die Wunden so, daß das Blut noch nicht tropfen konnte.
Dann ergriffen sie einander an den Händen in einem Kreis um
die brennende Kerze und drehten ihre Handgelenke, daß die
Blutstropfen in die Flamme fielen. Während es zischte und
knisterte, sprachen sie:

"Ich, Ardyon, ein Verbannter und Geächteter, schwöre mit
diesem Bluteid, zu handeln und zu schweigen."

"Und ich, Ridondo, der berühmteste Spielmann an den Höfen
Valusiens!" rief der Sänger.

"Und ich, Ducalon, Graf von Komahar", sagte der Zwerg.

"Und ich, Enaros, Kommandant der Schwarzen Legion", grollte
der Riese.

"Und ich, Kaanuub, Baron von BIaal", krächzte der kleine, dicke
Mann mit hoher zittriger Stimme.

Die Kerze flackerte und erlosch unter den roten Tropfen.

"So erlischt auch das Leben unseres Feindes", sagte Ardyon
und gab die Hände der Männer frei. Er musterte sie mit sorgsam
verhohlener Verachtung. Als Gesetzloser wußte er, daß Eide
keine Versicherung waren, auch nicht solche, die mit Blut
besiegelt wurden, doch er wußte auch, daß Kaanuub, dem er am
wenigsten traute, abergläubisch war. Es galt, so sicherzugehen,
wie es nur möglich war.

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"Morgen", brach Ardyon das Schweigen, "oder besser gesagt,
heute, denn es dämmert bereits, wird Brule der Speerkämpfer,
die rechte Hand des Königs, zusammen mit Ka-nu, dem
piktischen Botschafter, nach Grondar aurbrechen. Begleiten
werden sie die piktische Eskorte und eine größere Anzahl der
Roten Reiter, der Leibwache des Königs."

"Ja", stimmte Ducalon befriedigt zu. "Und war es auch dein Plan,
Ardyon, ich habe ihn in die Tat umgesetzt. Ich habe einflußreiche
Verwandte im Rat von Grondar. Dadurch war es nicht schwer,
den König von Grondar zu bewegen, Ka-nu an seinen Hof zu
bestellen. Und da Kull Kanu von allen am meisten schätzt, sorgt
er auch für eine sichere Begleitung."

Der Geächtete nickte.

"Gut. Mit Enaros' Hilfe ist es mir endlich gelungen, einen
Hauptmann der Roten Garde zu bestechen. Dieser wird seine
Männer heute kurz vor Mitternacht vom königlichen
Schlafgemach abziehen. Ein verdächtiges Geräusch oder
ähnliches wird Vorwand genug sein. Höflinge werden keine
dasein. Dafür ist auch gesorgt. Und wir werden bereit sein. Wir
fünf und sechzehn verwegene Kerle, die ich aus den Bergen
mitgebracht habe. Sie halten sich in der Stadt versteckt.
Einundzwanzig gegen einen .,."

Er lachte. Enaros nicke. Ducalon grinste. Kaanuub erbleichte.
Ridondo klatschte in die Hände und rief:

"Valka! Kein Meister der goldenen Saiten wird diese Nacht je
vergessen! Der Sturz des Tyrannen, der Tod des Despoten -
Überall werden sie meine Lieder singen!"

Seine Augen loderten mit einem fanatischen Feuer. Die anderen
starrten ihn zweifelnd an, außer Ardyon, der den Kopf senkte, um
sein Grinsen zu verbergen. Abrupt stand der Geächtete auf.

"Genug! Geht jetzt nach Hause und laßt euch nicht anmerken,
was wir vorhaben." Er musterte Kaanuub und zögerte. "Baron,
Euer bleiches Gesicht wird Euch verraten. Wenn Kull zu Euch
kommt und Euch mit seinen eisgrauen Augen ansieht, sind wir

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alle verloren. Zieht Euch auf Euren Landsitz zurück und wartet
auf Nachricht von uns. Zu viert schaffen wir es auch."

Kaanuub sank fast in die Knie vor Erleichterung und
verabschiedete sich mit dankbarem Gestammel. Die anderen
nickten dem Geächteten zu und gingen ebenfalls.

Ardyon streckte sich wie eine große Katze und grinste. Er rief
einen Sklaven. Ein finster aussehender Kerl erschien, dessen
Schulter mit dem Zeichen der Diebe gebrandmarkt

war.

"Morgen", sagte Ardyon und nahm den Becher entgegen,
"morgen werde ich durch die Straßen gehen, und jeder mag mich
sehen. Seit Monaten, seit dem Tag, da mich die vier Rebellen
aus den Bergen holten, habe ich mich wie eine Ratte verkrochen
... mitten unter meinen Feinden. Ich mußte das Tageslicht
meiden, nachts vermummt durch finstere Gassen schleichen und
mich noch schwärzerer Wege bedienen, aber ich habe
fertiggebracht, was diese vier aufrührerischen, doch
angesehenen Männer nicht konnten. Mit ihrer Hilfe und der vieler
anderer Handlanger, die mich meist gar nicht zu Gesicht
bekamen, habe ich im Herzen des Reiches Unzufriedenheit und
Korruption verbreitet. Ich habe Beamte bestochen und
aufgewiegelt, das Volk aufgehetzt - kurzum, ohne aus dem
Hintergrund hervorzutreten, habe ich den Sturz des Königs
eingeleitet, mag er sich in diesem Augenblick auch noch sicher
auf seinem Thron wähnen. Ah, mein Freund, bevor Kaanuub und
Ducalon mich holten, hatte ich fast vergessen, daß ich
Staatsmann war, bevor man mich verbannte."

"Ihr habt seltsame Mitstreiter", sagte der Sklave. "Sie haben
Schwächen, aber auch ihre Stärken", erwiderte der Geächtete
entspannt. "Ducalon zum Beispiel - er ist schlau, mutig, waghalsig
und hat Blutsverwandte in höchsten Kreisen, doch er ist
bettelarm, seine wenigen Besitzungen sind hoch verschuldet.
Enaros - ein wildes Tier, stark und tapfer wie ein Löwe. Er hat
ziemlichen Einfluß bei den Soldaten, aber um mehr zu erreichen,
fehlt ihm der Verstand. Kaanuub - verschlagen, intrigant,
habsüchtig, aber ungeheuer reich, was für meine Pläne

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besonders wichtig ist. Ridondo - ein verrückter Spielmann, voll
haarsträubender Pläne, mutig, aber launisch. Das Volk liebt ihn
wegen seiner Lieder, mit denen er es zum Lachen und Weinen
bringt. Wenn unser Plan heute nacht gelingt, wird er für unsere
Beliebtheit sorgen." "Und wer besteigt den Thron?"

"Kaanuub selbstverständlich - wie er annimmt! Er hat eine Spur
königliches Blut, das Blut jenes Königs, den Kull mit eigenen
Händen tötete. Ein schwerwiegender Fehler des gegenwärtigen
Königs. Er weiß, daß es Männer im Reich gibt, die sich ihrer
Abstammung von der alten Dynastie rühmen, doch er läßt sie am
Leben. So kommt es, daß Kaanuub um den Thron intrigiert.
Ducalon träumt von der einstigen Größe seines Titels und seiner
Besitztümer unter dem alten Regime und hofft sie wieder zu
erringen. Enaros haßt Kel-kor, den Befehlshaber der Roten
Reiter, und hält sich für den geeigneteren Mann. Er wäre gern
Befehlshaber der gesamten valusischen Streitkräfte. Und was
Ridondo betrifft ... hm! Ein wirklicher Idealist. Er sieht in Kull, dem
Ausländer und Barbaren, nur einen blutrünstigen Wilden, der
übers Meer kam, um sein friedliches und schönes Land zu
erobern. Er hebt den alten König in den Himmel und vergißt,
welch ein übler Tyrann er war. Er vergißt die
Unmenschlichkeiten, unter denen das Land während seiner
Herrschaft zu leiden hatte, und das Volk vergißt es mit ihm.

Man singt bereits >Das Klagelied für einen König<, in dem
Ridondo den Schurken als Heiligen hinstellt und Kull den
>Barbaren mit der schwarzen Seele< nennt. Kull lacht über diese
Lieder und läßt Ridondo gewähren, aber gleichzeitig wundert er
sich, warum sich das Volk gegen ihn wendet."

"Aber warum haßt Ridondo Kull so?"

"Weil er ein Dichter ist und weil Dichter immer die Mächtigen
hassen und sich in Träume von vergangenen Zeiten flüchten.
Ridondo ist eine Fackel des Idealismus und sieht sich selbst als
den Helden, den glänzenden Ritter, der auszieht, den Tyrannen
zu stürzen."

"Und Ihr?"

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Ardyon lachte und leerte den Becher. "Ich habe so meine
eigenen Ideen. Dichter sind gefährlich, weil sie das glauben, was
sie singen, wenn es frisch aus dem Herzen kommt. Ich, nun ich
glaube, was ich denke. Und ich denke mir, Kaanuub wird den
Thron nicht allzu lange halten. Noch vor ein paar Monaten hatte
ich nichts anderes mehr im Sinn, als bis an mein Lebensende
Dörfer und Karawanen zu überfallen. Jetzt allerdings - nun, wir
werden sehen."

2 >Damals war ich der Befreier - heute

Ein Raum, der trotz der kostbaren Wandbehänge und der
schweren Teppiche auf dem Boden seltsam karg wirkte. Ein
kleiner Schreibtisch, hinter dem ein Mann saß. Dieser Mann
wäre unter Millionen aufgefallen. Das lag nicht so sehr an seiner
ungewöhnlichen Statur, seiner Größe und seinen mächtigen
Schultern, obgleich diese Merkmale den Eindruck verstärkten. Es
war sein Gesicht, das mit seiner düsteren Unbewegtheit den
Blick auf sich zog, und es waren seine schmalen grauen Augen,
die den Willen seines Gegenübers mit ihrer eisigen Kraft
bezwangen. Jede seiner Bewegungen, auch die kleinste, verriet
stählerne Muskeln und einen Verstand, der sich ihrer zu
bedienen wußte. Nichts an seinen Bewegungen war bewußt oder
überlegt. Er war entweder im Zustand vollkommener Reglosigkeit
- einer Bronzestatue gleich - oder er war in Bewegung, und zwar
mit einer katzenhaften Schnelligkeit, der das Auge kaum zu
folgen vermochte. Im Augenblick hatte er das Kinn auf die Fäuste
gestützt und die Ellenbogen auf den Schreibtisch und blickte
düster auf den Mann, der vor ihm stand und gerade damit
beschäftigt war, die Riemen seines Brustpanzers zu schließen.

Dabei pfiff er geistesabwesend vor sich hin. Das war ein ganz
und gar ungewöhnliches Verhalten für einen, der sich in der
Gegenwart eines Königs befand.

"Brule", sagte der König, "diese Regierungsgeschäfte ermüden
mich mehr, als es alle meine Schlachten zusammen getan
haben."

"Das gehört nun einmal zum Spiel, Kull", antwortete Brule. "Ihr
seid der König. Ihr müßt Euch an die Regeln halten."

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"Ich wollte, ich könnte mit dir nach Grondar reiten", sagte Kull
neiderfüllt. "Es ist eine Ewigkeit her, daß ich ein Pferd zwischen
den Schenkeln hatte, aber Tu sagt, daß dringliche
Angelegenheiten meine Anwesenheit erfordern. Valka verdamme
ihn!

Ich habe aufgehört, die Monate zu zählen", fuhr er mit
wachsendem Grimm fort, als er keine Antwort erhielt, "seit ich
das alte Herrschergeschlecht aus dem Palast fegte und den
Thron Valusiens bestieg. Davon hatte ich schon geträumt, als ich
noch ein kleiner Junge im Land meiner Stammesbrüder war. Und
wie einfach war es. Wenn ich jetzt auf den langen harten Weg
zurückschaue, kommen mir alle Anstrengungen, Kämpfe und
Entbehrungen so fern und unwirklich vor, als hätte ich sie nur
geträumt. Und welch ein Aufstieg war es: vom einfachen Jäger in
Atlantis zu den lemurischen Galeeren - zwei Jahre an ihre Ruder
gekettet -, dann zum Gesetzlosen in den Bergen Valusiens, zum
Gefangenen in den Kerkern der Stadt, zum Gladiator in der
Arena, zum Soldaten der valusischen Armee, zu ihrem

Befehlshaber, schließlich zum König!

Mein Fehler, Brule, war, daß ich nicht zu Ende träumte. Ich sah
mich immer nur den Thron erobern. Darüber blickte ich nicht
hinaus. Als König Borna tot vor meinen Füßen lag und ich die
Krone von seinem blutigen Kopf riß, hatte ich die fernste Grenze
meiner Träume erreicht. Von da an war alles trügerisch und
falsch.

Ich hatte nie mehr gewollt, als einen Thron zu erobern, nicht
darauf zu sitzen.

Als ich Borna stürzte, damals jubelte mir das Volk zu. Damals
war ich der Befreier - heute murren sie hinter meinem Rücken
und blicken finster hinter mir her. Sie spucken auf meinen
Schatten, wenn sie glauben, daß ich es nicht sehe. Von Borna,
dem toten Schwein, haben sie eine Statue im Tempel der
Schlange aufgestellt und bejammern, daß ihr großer geheiligter
König von einem blutrünstigen Barbaren erschlagen worden ist.
Als ich als Krieger ihre Armeen zum Sieg führte, da sahen sie

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über die Tatsache hinweg, daß ich ein Fremder bin. Aber jetzt
können sie es mir nicht verzeihen.

Und jetzt kommen sie in den Tempel der Schlange gekrochen,
um Räucherwerk zu Bornas Andenken zu entzünden ... Männer,
die seine Henker geblendet und verstümmelt haben, Väter, deren
Söhne in seinen Kerkern ein Ende fanden, Ehemänner, deren
Frauen in seinem Harem verschwanden. Pah! Die Menschen
sind alle Narren."

"Dafür ist hauptsächlich Ridondo verantwortlich", erklärte der
Pikte und schnürte den Schwertgurt um ein Loch enger. "Die
Lieder, die er singt, machen das Volk verrückt. Hängt ihn in
seinen Narrenkleidern auf den höchsten Turm der Stadt. Laßt ihn
Reime für die Geier schmieden."

Kull schüttelte die Löwenmähne. "Nein, Brule. Er steht außerhalb
meiner Gewalt. Ein großer Dichter steht über dem höchsten
König. Er haßt mich, dennoch wäre ich gern sein Freund. Seine
Lieder sind mächtiger als mein Zepter, denn immer wieder hat er
mich zutiefst bewegt, wenn er für mich sang. Ich werde sterben
und vergessen sein. Seine Lieder werden ewig leben."

Der Pikte zuckte die Schultern. "Wenn Ihr es so wollt. Ihr seid der
König, und das Volk kann Euch nicht absetzen. Die Roten Reiter
stehen wie ein Mann hinter Euch, zusammen mit dem ganzen
Piktenreich. Wir sind beide Barbaren, wenn wir auch den größten
Teil unseres Lebens in diesem Land verbracht haben. Ich muß
jetzt gehen. Ihr habt nichts zu befürchten, außer einem Dolch im
Rücken, was so gut wie unmöglich ist, weil Tag und Nacht eine
Abteilung Rote Reiter für Eure Sicherheit sorgt."

Kull hob grüßend die Hand, und der Pikte schritt mit schweren
Schritten aus dem Raum.

Ein anderer Mann wartete bereits auf eine Audienz, was Kull
erneut zu Bewußtsein brachte, daß die Zeit eines Königs seinen
Untertanen gehörte.

Es war ein junger Edelmann aus der Stadt mit Namen Seno val
Dor. Dieser berühmte Schwertkämpfer und Draufgänger
erschien in einem Zustand deutlicher Verstörtheit vor dem König.

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Seine Samtkappe war zerknittert, und als er sie fallen ließ,
während er sich auf die Knie warf, hing die große Feder traurig
herab. Seine kostbaren Kleider waren schmutzig, so als wäre
ihm in seiner tiefen Verzweiflung seine äußere Erscheinung seit
Tagen gleichgültig gewesen.

"König, o mein Lord König", sagte er aus tiefster Seele, "um der
ruhmreichen Taten meiner Familie willen, Majestät, und um
meiner Treue willen, flehe ich Euch an, gewährt mir in Valkas
Namen eine Bitte."

"Nenne sie."

"Mein Lord König, ich liebe ein Mädchen. Ohne sie kann ich nicht
mehr leben. Ohne mich wird sie sterben. Ich kann nicht mehr
essen und nicht mehr schlafen, weil ich immer an sie denken
muß. Ihre Schönheit verfolgt mich am Tag und in der Nacht - das
strahlende Bild ihrer Lieblichkeit ..."

Kull bewegte sich unruhig. Er war nie verliebt gewesen.

"Dann heirate sie doch, in Valkas Namen!"

"Ah!" rief der Jüngling. "Das geht ja nicht! Sie ist eine Sklavin.
Sie heißt Ala und gehört Ducalon, dem Grafen von Komahar. In
den schwarzen Gesetzbüchern Valusiens steht geschrieben,
daß ein Edelmann keine Sklavin ehelichen darf. Das war schon
immer so. Ich habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und
doch immer nur die gleiche Antwort erhalten. Edelleute können
niemals Sklaven heiraten. Es ist schrecklich. Sie sagen, daß es
noch nie in der langen Geschichte des Reiches vorgekommen
ist, daß ein Edelmann eine Sklavin heiraten wollte. Gibt es keinen
Weg für mich? Ich wende mich an Euch als meine letzte
Hoffnung."

"Und verkauft dieser Ducalon sie nicht?"

"Doch, aber das würde wenig ändern. Sie wäre dann noch immer
eine Sklavin, und man darf ebensowenig seine eigene Sklavin
heiraten. Und ich will sie nur als mein Weib. Alles andere wäre
nur eine Verhöhnung unserer Liebe. Ich möchte sie der Welt
zeigen, geschmückt und gewandet wie es einer Gemahlin val
Dors geziemt. Aber das ist nur möglich, wenn Ihr mir helfen

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könnt. Sie wurde als Sklavin geboren, als Kind von Sklaven,
deren Vorfahren seit hundert Generahonen Sklaven sind. Sie
wird eine Sklavin sein, so lange sie lebt, und ihre Kinder ebenso.
Daher darf sie keinen Freien heiraten."

"Dann werde selbst ein Sklave", schlug Kull vor und beobachtete
den Jüngling scharf.

"Das wollte ich", erwiderte Seno so aufrichtig, daß Kull ihm sofort
glaubte. "Ich ging zu Ducalon und sagte zu ihm:

>Ihr besitzt eine Sklavin, die ich liebe. Ich möchte sie heiraten.
Nehmt mich als Euren Sklaven, so daß ich ihr nah sein kann.<
Entsetzt schlug er mir meinen Wunsch ab. Er wollte mir das
Mädchen verkaufen, ja, sie mir schenken, aber er wollte mich
nicht als Sklaven nehmen. Und mein Vater hat den Bluteid
geschworen, mich zu töten, wenn ich die Schande der Sklaverei
über den Namen val Dor brächte. Nein, mein Lord König, nur Ihr
könnt mir noch helfen."

Kull rief nach Tu und legte ihm den Fall dar. Tu, der oberste
Berater, schüttelte den Kopf. "In den großen eisengebundenen
Büchern steht es geschrieben, so wie Seno es gesagt hat. Es
war immer Gesetz und wird es auch immer sein: Einer von edlem
Geschlecht darf sich nicht verbinden mit einem Sklaven."

"Kann ich dieses Gesetz nicht ändern?" fragte Kull.

Tu legte eine Steintafel vor ihn auf den Tisch, in die das Gesetz
gemeißelt war.

"Seit Tausenden von Jahren besteht dieses Gesetz. Seht her,
Kull, die ersten Gesetzgeber schrieben es in Stein nieder, vor so
vielen Jahrhunderten, die ein Mann im Verlauf einer ganzen
Nacht nicht zählen könnte. Weder Ihr noch ein anderer König
besitzt die Macht, es zu ändern."

Kull fühlte plötzlich wieder das unerträgliche Gefühl völliger
Hilflosigkeit, wie so oft in letzter Zeit. Es schien ihm, daß
Regentschaft nur eine andere Art der Sklaverei war. Er hatte
sich immer mit seinem Schwert durchgesetzt und erschlagen,
wer sich ihm in den Weg stellte. Wie konnte er sich gegen
besorgte und respektvolle Freunde behaupten, die sich vor ihm

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verbeugten, ihm schmeichelten und sich gegen jede Neuerung
sträubten; die sich und ihre alten Bräuche hinter Tradition und
Unantastbarkeit verschanzten und ihm jede Änderung
verwehrten?

"Geh", sagte er mit einer müden Handbewegung. "Es tut mir leid,
aber ich kann dir nicht helfen."

Seno val Dor verließ den Raum mit hängendem Kopf und
gebeugten Schultern, mit leerem Blick und schlurfenden
Schritten. Er war ein gebrochener Mann.

3 >Ich hielt Euch für einen Tiger in Menschengestalt! <"

Ein kühler Wind strich durch den Wald. Das silberne Band eines
Baches wand sich zwischen den Stämmen mächtiger Bäume
dahin, um die sich starke Schlinggewächse und blühende
Kletterpflanzen rankten. Ein Vogel sang, und das weiche Licht
der Spätsommersonne drang durch das dichte Laubwerk und
streute ein Licht- und Schattenmuster wie von goldenem und
schwarzem Samt auf den grasbewachsenen Waldboden.
Inmitten dieser idyllischen Stille lag ein Sklavenmädchen. Sie
hatte ihr Gesicht auf die weißen Arme gedrückt und weinte, als
ob ihr kleines Herz brechen würde. Die Vögel sangen, doch sie
war taub dafür; die Bäche murmelten ihr fröhlich zu, doch sie war
stumm; die Sonne schien so wunderschön, doch sie war blind -
das ganze Universum war ein schwarzer Abgrund, in dem es nur
Schmerz und Tränen gab.

Deshalb hörte sie auch die leisen Schritte nicht und sah den
großen, breitschulterigen Mann nicht, der aus dem Buschwerk
trat und neben ihr stehenblieb. Sie wurde sich seiner
Anwesenheit erst bewußt, als er sich niederkniete und sie
aufrichtete. Mit Händen, die so behutsam wie die einer Frau
waren, wischte er ihr die Tränen aus den Augen.

Das Sklavenmädchen blickte in ein dunkles unbewegtes Gesicht
hoch, dessen eisige graue Augen wundersam sanft waren. An
seinem Aussehen konnte sie erkennen, daß der Mann kein
Valusier war, und in diesen unsicheren Zeiten bedeutete es für
ein Sklavenmädchen nichts Gutes, allein im Wald von einem

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fremden Mann, noch dazu einem Ausländer, überrascht zu
werden, doch sie war zu unglücklich, sich zu fürchten, zudem sah
der Mann freundlich aus.

"Was ist denn geschehen, Kind?" fragte er, und weil eine
verzweifelte Frau meist jedem ihr Herz ausschüttet, der
mitfühlend Anteil nimmt, schluchzte sie: "Oh, ich bin so
unglücklich. Ich liebe einen jungen Edelmann ..."

"Seno val Dor?"

"Ja, Herr." Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen. "Woher wißt
Ihr das? Er möchte mich heiraten, und nachdem bisher alle
Versuche, die Erlaubnis zu erlangen, fehlgeschlagen sind, begab
er sich heute zum König. Aber der König wollte ihm auch nicht
helfen."

Die Miene des Fremden verdüsterte sich. "Hat Seno gesagt, daß
der König nicht wollte?"

"Nein, der König rief seinen obersten Ratgeber und sprach mit
ihm. Und dann fügte er sich seinem Rat. Oh", schluchzte sie, "ich
wußte, es würde umsonst sein! Die Gesetze Valusiens sind für
alle Ewigkeit geschrieben. Wie grausam und ungerecht sie auch
sein mögen, kümmert niemand. Sie sind sogar mächtiger als der
König."

Das Mädchen konnte spüren, wie sich die Muskeln der Arme, die
sie hielten, anschwollen und zu eisernen Strängen verhärteten.
Ein düsterer Ausdruck der Resignation trat in das Gesicht des
Fremden.

"Ja", murmelte er, mehr zu sich selbst, "die Gesetze Valusiens
sind mächtiger als der König."

Daß sie sich aussprechen konnte, hatte ihr ein wenig geholfen.
Sie trocknete ihre Tränen. Sklavenmädchen sind Sorgen und
Leid gewöhnt. Dieses Mädchen hatte es allerdings das ganze
Leben lang ungewöhnlich gut gehabt.

"Haßt Seno den König jetzt?" fragte der Fremde.

Sie schüttelte den Kopf. "Er weiß, daß dem König die Hände
gebunden sind."

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"Und du?"

"Was meint Ihr?"

"Haßt du den König?"

Sie riß erschrocken die Augen auf. "Ich! Oh, Herr, wer bin ich
denn, daß Ihr das denkt? Ich hab' nie an so etwas gedacht ..."

"Darüber bin ich froh", sagte der Mann ernst. "Denn der König,
kleines Mädchen, ist nur ein Sklave wie du, der noch schwerere
Ketten zu tragen hat."

"Der arme Mann", sagte sie mitleidig, obgleich sie die Worte
nicht ganz verstand. Dann brach es zornig aus ihr hervor: "Aber
ich hasse die grausamen Gesetze, denen die Menschen
gehorchen müssen! Warum dürfen sich Gesetze nicht ändern?
Die Zeit bleibt auch nicht stehen! Warum müssen die Menschen
heute unter Gesetzen leiden, die für unsere barbarischen
Vorfahren vor Tausenden von Jahren gegolten haben ..." Sie
brach plötzlich ab und sah sich furchtsam um.

"Erzählt es niemandem", flüsterte sie und drückte ihren Kopf
bittend an seine Schulter. "Es geziemt sich nicht für eine Frau,
und schon gar nicht für eine Sklavin, so offen über solche Dinge
ihre Meinung zu sagen. Ich werde sicherlich bestraft, wenn meine
Herrin oder mein Herr davon erfahren."

Der große Mann lächelte. "Sei ohne Sorge, Kind. Auch der König
würde dich für deine Worte nicht bestrafen. Ich glaube sogar,
daß er denkt wie du."

"Habt Ihr denn den König selbst gesehen?" fragte sie mit
kindlicher Neugier, die ihren Kummer für den Augenblick
verdrängte.

"Oft."

"Und ist er wirklich acht Fuß groß?" fragte sie hastig. "Und hat er
Hörner unter seiner Krone, wie die Leute sagen?"

"Kaum", sagte er lachend. "Zu deiner Beschreibung seiner
Größe fehlen ihm fast zwei Fuß. Und was seine Statur betrifft, so
könnte er mein Zwillingsbruder sein. Es gibt nicht einen Zoll
Unterschied zwischen uns."

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"Ist er so freundlich wie Ihr?"

"Manchmal, wenn er sich nicht mit Staatsgeschäften
herumschlagen muß, deren Sinn er nicht verstehen kann, und mit
den Eigenheiten eines Volkes, das ihn niemals verstehen wird."

"Ist er wirklich ein Barbar?"

"Durch und durch. Er wurde in Atlantis geboren, wo er unter
heidnischen Barbaren aufwuchs. Er hatte einen Traum, und er
machte ihn wahr. Weil er ein starker Krieger war, der mit dem
Schwert umzugehen wußte, weil er in den Schlachten siegreich
war und die Barbarensöldner in der valusischen Armee ihn
liebten, wurde er König. Weil er aber ein Krieger und kein
Staatsmann ist und weil all seine Schwertkunst ihm nun nichts
mehr nützt, ist sein Thron ins Wanken geraten."

"Und ist er sehr unglücklich?"

"Nicht immer", erwiderte der große Mann lächelnd.

"Manchmal, wenn er sich allein davonstiehlt und ein paar Stunden
Erholung in den Wäldern sucht, ist er beinah glücklich.
Besonders, wenn er ein hübsches Mädchen findet, wie ..."

Das Mädchen schrie erschrocken auf und sank vor ihm auf die
Knie. "Oh, Majestät, verzeiht mir! Ich wußte es nicht. Ihr seid der
König!"

"Hab keine Angst." Kull kniete erneut neben ihr nieder und legte
seinen Arm um ihren zitternden Körper. "Du hast selbst gesagt,
ich wäre freundlich ..."

"Ja, das seid Ihr, Majestät", flüsterte sie mit erstickter Stimme.
"Ich hielt Euch für einen Tiger in Menschengestalt nach allem,
was die Leute sagen, aber Ihr seid gütig und freundlich ... a-aber
... Ihr seid der CKönig, und ich ..."

Überwältigt von ihrer Verlegenheit und Verwirrung sprang sie
plötzlich auf und floh und war zwischen den Büschen
verschwunden. Die Erkenntnis, daß es der König gewesen war,
dem sie ihre erbärmlichen Sorgen anvertraut hatte, erfüllte sie
mit solcher Scham, daß sie aus purem Entsetzen die Flucht
ergriff.

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Kull seufzte und erhob sich. Die Staatsgeschäfte riefen ihn. Er
mußte zurückkehren und mit Problemen ringen, die ihm fremd
waren und deren Lösung er sich nicht einmal vorstellen konnte.

4 >Wer stirbt als erster? <

Zwanzig Gestalten schlichen durch die nächtliche Stille, die sich
auf die Gänge und Hallen des Palastes gesenkt hatte. Sie trugen
weiches Lederschuhwerk, das weder auf den dikken Teppichen
noch auf den Marmorplatten Geräusche verursachte. Die
Fackeln in den Nischen der Hallenwände spiegelten sich rötlich
auf blankem Dolch, auf Schwertklinge und scharfgeschliffenem
Axtblatt.

"Leise. Leise, verdammt!" zischte Ardyon und blieb stehen, um
sich nach seinen Gefährten umzusehen. "Hört mit dem lauten
Geschnaufe auf, wer immer es ist! Der Hauptmann der
Nachtwache hat dafür gesorgt, daß keine Posten in diesen
Hallen stehen. Die meisten von ihnen sind zu betrunken dazu.
Die übrigen folgten seinem Befehl. Dennoch müssen wir
vorsichtig sein. Unser Glück ist es, daß diese verdammten
Pikten - diese blutgierigen Wölfe - entweder in ihrer Botschaft
lungern oder unterwegs nach Gron-dar sind. Psst! In Deckung -
da kommt die Wache!"

Sie verschwanden hinter einer gewaltigen Säule, hinter der sich
ein ganzes Regiment verbergen hätte können, und warteten.
Fast im gleichen Augenblick marschierte eine Abteilung von zehn
Männern vorbei - hochgewachsene, muskulöse Männer, Statuen
aus Eisen gleich in ihrem roten Rüstzeug. Sie waren schwer
bewaffnet. Verwunderung sprach aus manchem Gesicht. Der
Anführer war totenblaß, sein Mund ein schmaler Strich. Als sie
an der Säule vorbeikamen, hinter der sich die Eindringlinge
verbargen, hob er die Hand, um den Schweiß von der Stirn zu
wischen. Er war jung, und der Verrat am König fiel ihm nicht
leicht.

Mit dem leiser werdenden Klirren von Waffen und Rüstzeug
verschwanden sie in einem der Gänge. .

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"Gut!" Ardyon lachte unterdrückt. "Er hat Wort gehalten. Kulls
Schlafkammer ist unbewacht! Beeilt euch, wir müssen rasch
handeln. Wenn sie uns auf frischer Tat erwischen, ist es aus mit
uns, aber einen toten König werden sie rasch vergessen.
Vorwärts!"

"Ja, vorwärts!" rief Ridondo.

Sie stürmten durch den Korridor und hielten keuchend vor einer
Tür.

"Hier ist es!" stieß Ardyon hervor. "Enaros, brich die Tür auf!"

Der Riese warf sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Beim
zweitenmal brachen knirschend die Riegel. Das Holz splitterte.
Die Tür sprang auf und krachte nach innen.

"Hinein!" brüllte Ardyon mit entflammter Mordlust.

"Hinein!" kreischte Ridondo. "Tod dem Tyrannen ..."

Sie erstarrten mitten im Schritt. Kull stand vor ihnen - kein
nackter, im Schlaf überraschter Kull, kein verwirrtes,
unbewaffnetes Opfer, sondern ein wacher, grimmiger Kull,
bereits halb angekleidet mit dem Rüstzeug eines Roten Reiters
und mit einer langen Klinge in der Faust.

Kull hatte an Schlaflosigkeit gelitten und war kurz zuvor
aufgestanden. Er hatte vorgehabt, den Offizier der Wache in
sein Gemach zu bitten und sich mit ihm eine Weile zu
unterhalten. Doch ein Blick durch das Guckloch der Tür hatte ihm
gezeigt, daß dieser mit seinen Männern abzog. Der ewig
mißtrauische Verstand des Barbarenkönigs sah dafür
augenblicklich nur eine Erklärung: Verrat! Er dachte keinen
Augenblick daran, die Männer zurückzurufen, denn aller
Wahrscheinlichkeit nach waren sie an der Verschwörung
beteiligt. Es gab keinen anderen Grund für den Abmarsch. Kull
verlor keine Zeit. In aller Eile begann er die Rüstung anzulegen,
die immer in seiner Kammer bereitlag, als Ena-ros sich das
erstemal gegen die Tür warf.

Einen Atemzug lang war die Szene erstarrt - die vier adeligen
Rebellen in der Tür und die sechzehn Mordgesellen hinter ihnen -
und in der Mitte des königlichen Schlafgemachs der schweigende

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kampfbereite Riese, der ihnen mit seinen schrecklichen
grimmlodernden Augen den ersten Mut geraubt hatte.

Doch dann rief Ardyon: "Auf ihn! Macht ihn nieder! Er steht
gegen zwanzig, und er trägt keinen Helm!"

Das stimmte, dafür war nicht mehr genug Zeit gewesen, so wie
jetzt keine Zeit mehr war, den großen Schild von der Wand zu
nehmen. Dennoch war Kull besser geschützt als jeder der
Meuchelmörder, mit Ausnahme Enaros' und Ducalons, die ihm in
voller Rüstung mit geschlossenem Visier gegenüberstanden.

Mit einem Gebrüll, das von der Decke widerhallte, stürmten die
Verschwörer in den Raum. Allen voran kam Enaros mit
gesenktem Kopf wie ein angreifender Stier. Er hielt die Klinge tief
für einen tödlichen Stoß in den Unterleib. Und Kull sprang ihm wie
ein reißender Tiger entgegen. Er legte all seine Kraft und sein
ganzes Gewicht in den Arm, der die Klinge führte. Mit einem
singenden Laut kam das große Schwert herab und schmetterte
auf den Helm des Gegners. Schwert und Helm zersprangen, und
Enaros sackte leblos zu Boden, während Kull mit dem
klingenlosen Griff in der Faust zurücksprang. o

"Enaros!" knurrte er, als der zerschmetterte Helm den
zerschmetterten Schädel erkennen ließ. Dann waren die übrigen
heran. Er spürte eine Dolchspitze über seine Rippen gleiten und
schleuderte den Angreifer mit dem linken Arm zur Seite. Er
schlug einem anderen den Rest seiner Klinge zwischen die
Augen, daß er besinnungslos und blutüberströmt zu Boden sank.

"Vier von euch, bewacht die Tür!" schrie Ardyon. Er fürchtete,
Kull könnte mit seiner gewaltigen Kraft und Flinkheit
durchbrechen und entkommen. Vier seiner Gesetzlosen lösten
sich aus dem Ring und bauten sich vor der einzigen Tür auf. Zur
gleichen Zeit sprang Kull zur Wand zurück und riß eine alte
Streitaxt herab, die dort schon seit hundert Jahren hängen
mochte.

Mit dem Rücken zur Wand starrte er ihnen einen Augenblick lang
entgegen, dann sprang er mitten unter sie. Es war nicht seine
Art, auf einen Angriff zu warten. Er bestimmte den Kampf. Ein

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Axthieb durchtrennte die Schulter eines Gegners, ein
fürchterlicher Rückhandstreich zerschmetterte den Schädel
eines zweiten. Ein Schwert zerbrach an seinem Brustpanzer.
Ohne diesen hätte er längst in seinem Blut gelegen. Es galt vor
allem auf den ungeschützten Kopf zu achten und auf die Stellen
zwischen Brust- und Rückenpanzer. Es brauchte mehr Zeit, eine
valusische Rüstung anzulegen, als er gehabt hatte. Er blutete
bereits an der Wange und an den Armen und Beinen, doch so
blitzschnell und tödlich waren seine Angriffe, daß seine
Widersacher trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit zögerten,
aus ihrer Deckung herauszugehen. Außerdem behinderten sie
sich gegenseitig.

In einem Augenblick drangen sie mit wilden Hieben auf ihn ein, im
nächsten wichen sie zurück und umringten ihn stechend und
parierend, und die Toten, die sie vor Kulls Füßen ließen, waren
stummer Beweis für die Tollkühnheit ihres Versuchs.

"Feiglinge!" schrie Ridondo außer sich vor Wut. Er riß die Kappe
vom Kopf und schleuderte sie von sich. Seine Augen glühten
zornig. "Weicht ihr dem Kampf aus? Wollt ihr, daß der Despot
am Leben bleibt? Auf ihn!"

Er stürmte vor und stieß wild zu. Kull, der ihn erkannte,
zerschmetterte mit einem wuchtigen kurzen Axthieb die Klinge
und versetzte dem Sänger einen Stoß, der ihn zurücktaumeln
und zu Boden stürzen ließ. Da gelang es Ardyon, sein Schwert in
des Königs Arm zu stoßen. Er duckte sich unter Kulls Axthieb und
konnte sein Leben nur durch einen hastigen Sprung nach hinten
retten. Einer der Mordgesellen stürzte sich auf Kulls Beine, um
ihn zu Fall zu bringen, aber nachdem er sich einen Augenblick
lang scheinbar gegen eine Statue aus Eisen gestemmt hatte,
stierte er gerade noch rechtzeitig hoch, um die herabsausende
Axt zu sehen, aber nicht mehr rechtzeitig genug, ihr noch
ausweichen zu können. In der Zwischenzeit hatte einer seiner
Gefährten mit seinem Schwert in beiden Händen weit ausgeholt
und all seine Kraft in den Hieb gelegt. Die Klinge zerhieb den
Schulterpanzer des Königs und drang in die Schulter darunter.
Augenblicklich war Kulls Brustpanzer voll Blut.

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Ducalon drängte sich in wilder Ungeduld nach vorn, wobei er
seine Mitstreiter zur Seite stieß. Er hackte mit dem Schwert nach
Kulls ungeschütztem Kopf. Kull duckte sich, daß die Klinge knapp
über ihn hinwegzuckte und nur ein Büschel Haare durchhieb.
Sich unter den Schwertstreich eines Zwerges wie Ducalon zu
ducken war schwierig für einen Mann von Kulls Größe.

Kull wirbelte auf der Ferse herum und schwang die Axt aus der
Seite in einem weiten flachen Bogen, einem angreifenden Wolf
gleich. Ducalon sackte mit zerschmetterter linker Seite in einem
Sturzbach von Blut zu Boden.

"Ducalon!" sagte der König heftig atmend. "Den Zwerg würde ich
selbst in der Hölle wiedererkennen ..."

Er richtete sich auf, um dem Angriff Ridondos zu begegnen. Von
aller Vernunft verlassen stürmte der Sänger mit nicht mehr als
einem Dolch in der Faust auf ihn zu. Kull hob die Axt und sprang
einen Schritt zurück.

"Ridondo!" rief er in scharfem Ton. "Bleib stehen! Dich möchte
ich nicht verletzen ..."

"Stirb, Tyrann!" kreischte der Spielmann von Sinnen und warf
sich auf den König. Kull zögerte mit dem Hieb, den er vermeiden
wollte, bis es zu spät war. Erst als er den Stahl in seine
ungeschützte Seite dringen spürte, hieb er in blinder
Verzweiflung zu.

Ridondo stürzte mit zerschmettertem Schädel, und Kull stolperte
an die Wand zurück. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor,
die er auf die Wunde preßte.

"Jetzt oder nie! Gebt ihm den Rest!" brüllte Ardyon.

Kull lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und hob seine Axt.
Er bot einen schrecklichen Anblick. Das Urbild des Kriegers. Er
stand mit weit gespreizten Beinen. Mit einer blutigen Hand stützte
er sich an der Wand, mit der anderen hatte er die Axt zum Hieb
erhoben. Seine grimmigen Gesichtszüge waren zu einer Maske
des Hasses verzerrt. Die eisigen Augen loderten durch Schleier
von Blut. Die Männer zögerten. Der Tiger mochte dem Tod nahe

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sein, aber er war noch immer stark genug, einige mit sich zu
nehmen.

"Wer stirbt als erster?" knurrte Kull zwischen blutigen Lippen
hervor.

Ardyon sprang ihn wie ein Wolf an. Noch im Sprung krümmte er
sich mit der unglaublichen Flinkheit, für die er bekannt war, und
ließ sich zu Boden fallen, um dem Tod zu entgehen, der in
Gestalt einer blutigen Axt auf ihn zuraste. Hastig rollte er zur
Seite und brachte seine Beine in Sicherheit, als Kull sich von der
Wucht des Hiebes ins Leere fing und erneut ausholte. Diesmal
sank die Axt knapp neben Ardyons wirbelnden Beinen vier Zoll
tief in den polierten Holzboden.

Da wagte ein anderer den Angriff, und die übrigen folgten ihm
halbherzig. Der erste hatte gedacht, er könnte Kull erreichen und
ihn niederstrecken, bevor dieser die Axt aus dem Holz bekam,
doch hatte er den König unterschätzt oder seinen Entschluß
einen Atemzug zu spät gefaßt, denn die Axt fuhr hoch und herab,
und das blutige Zerrbild einer menschlichen Gestalt flog vor ihre
Füße.

In diesem Augenblick war das hastige Klirren von Schritten von
der Halle her zu hören, und die Schurken an der Tür riefen:
"Soldaten kommen!"

Ardyon fluchte, und seine Männer verließen ihn wie Ratten ein
sinkendes Schiff. Sie liefen in die Halle hinaus - blutend und
hinkend zu einem guten Teil -, und draußen im Gang erklang
Rufen, worauf die Verfolgung begann.

Abgesehen von den toten oder sterbenden Männern auf dem
Boden befanden sich Kull und Ardyon allein im königlichen
Schlafgemach. Kulls Knie drohten nachzugeben. Er lehnte sich
schwer gegen die Wand und beobachtete den Geächteten mit
dem Blick eines sterbenden Wolfs. Selbst in dieser ausweglosen
Lage verlor Ardyon seinen Zynismus nicht.

"Alles scheint verloren zu sein, vor allem die Ehre", murmelte er.
"Jedoch, der König stirbt aufrecht, und ..." Keiner vermag zu
sagen, welche Überlegungen ihm noch durch den Kopf gingen,

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denn er lief plötzlich auf Kull zu, gerade als dieser sich mit seiner
Axthand das Blut aus den Augen wischte. Ein Mann mit gezückter
Klinge vermag rascher zuzustoßen, als ein unvorbereiteter
Verwundeter mit einer Axt zuschlagen kann, die wie Blei in seiner
müden Faust liegt.

Doch gerade als Ardyon zum tödlichen Stoß ansetzte, erschien
Seno val Dor in der Tür und schleuderte etwas, das blitzte, surrte
und sich tief in Ardyons Kehle grub. Der Geächtete taumelte, ließ
sein Schwert fallen und sank vor Kulls Füßen nieder, die sich
vom pulsierenden Blutstrom aus der durchtrennten Schlagader
röteten - als stummer Beweis für Senos Geschicklichkeit im
Umgang mit Waffen, wozu auch Messerwerfen gehörte. Kull
starrte verwirrt auf den toten Meuchelmörder hinab, und Ardyons
gebrochene Augen stierten scheinbar höhnisch zurück, als hätte
der überraschende Tod ihn um die letzte Erkenntnis betrogen:

daß alles zu Ende war.

Während Seno den König stützte, füllte sich der Raum mit
Bewaffneten in der Uniform der val Dor-Familie, und Kull
bemerkte, daß ein schüchternes Sklavenmädchen seinen
anderen Arm hielt.

"Kull, Kull, seid Ihr tot?" Val Dors Gesicht war sehr blaß.

"Noch nicht", erwiderte der König heiser. "Kümmert Euch um die
Wunde an meiner linken Seite. Wenn ich sterbe, dann davon. Sie
ist tief - Ridondos Abschiedslied! -, die anderen sind nicht tödlich.
Stillt das Blut für den Augenblick. Es gibt noch etwas zu tun."

Sie gehorchten verwundert, und als kein Blut mehr floß, spürte
Kull, obgleich er bereits leichenblaß war, ein wenig seiner Kraft
zurückkehren. Der gesamte Palast war inzwischen auf den
Beinen. Hofdamen, Lords, Soldaten, Ratgeber liefen aufgeregt
herum. Die Roten Reiter sammelten sich schäumend vor Grimm
und zu allem bereit. Nur schwer ertrugen sie, daß nicht sie,
sondern andere ihrem König beigestanden hatten. Der junge
Offizier, der die Wache an der Tür befehligt hatte, war in der
Dunkelheit entkommen, und alle Anstrengungen, ihn aufzuspüren,
blieben erfolglos.

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Kull, der sich noch immer starrköpfig auf den Beinen hielt, ergriff
mit einer Hand seine Axt und Senos Schulter mit der anderen,
wandte sich Tu zu, der händeringend dastand, und befahl: "Bringt
mir die Steintafel, auf der das Gesetz über die Sklaven
geschrieben steht."

"Aber, Lord König ..."

"Tut, was ich sage!" schrie Kull und hob die Axt. Tu eilte hastig
aus dem Raum.

Während er wartete und die Hofdamen seine Wunden
verbanden und sanft aber vergeblich seine eisernen Finger von
dem blutigen Axtstiel zu lösen versuchten, lauschte Kull Senos
aufgeregten Worten.

"... Ala belauschte Kaanuub und Ducalon bei einer Verschwörung
... Sie hatte sich in einer kleinen Nische verkrochen, um ihren ...
unseren Kummer zu beweinen. Da kam Kaanuub auf seinem
Weg zu seinem Landsitz vorbei. Er zitterte aus Angst, daß ihre
Pläne schiefgehen könnten, und er wollte mit Ducalon noch
einmal alles besprechen, um sicherzugehen, daß sie nichts
übersehen hatten.

Er verließ das Haus erst spät am Abend, so daß auch Ala so
lange warten mußte, bis sie sich davonschleichen und zu mir
kommen konnte. Es ist ein weiter Weg von Ducalons Haus zum
Wohnsitz der val Dors, ein weiter Weg für ein kleines Mädchen
zu Fuß, und obgleich ich sofort meine

Männer zusammenrief und hierhereilte, wären wir fast zu spät
gekommen."

Kull drückte seine Schulter. "Ich werde es dir nicht vergessen."

Tu kam mit der Gesetzestafel herein und legte sie ehrfürchtig auf
den Tisch.

Kull schob alle zur Seite, die um ihn herumstanden, und

stand aus eigener Kraft.

"Hört mich, Volk von Valusien", rief er. Nur seine raubtierhafte
Zähigkeit hielt ihn aufrecht. "Ich stehe vor euch - ich, euer König.
Ich bin dem Tode nahe, aber das bin ich nicht zum erstenmal.

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Hört meine Worte! Ich bin dieses Amtes müde! Ich bin nicht
König, sondern ein Sklave! Gesetze, Gesetze und wieder
Gesetze sind es, die mir die Hände binden! Ich kann weder
Schurken bestrafen noch meine Freunde belohnen, weil mich
Gesetze, Sitten und Traditionen daran hindern. Bei Valka, in
Zukunft werde ich nicht nur dem Namen nach König sein!

Hier stehen die beiden, die mein Leben gerettet haben. Von nun
an soll kein Gesetz sie daran hindern, zu heiraten, wenn sie es
wünschen."

Seno und Ala flogen einander mit einem Jubelruf in die Arme.

"Aber das Gesetz!" kreischte Tu.

"Ich bin das Gesetz!" brüllte Kull und schwang seine Axt hoch.
Sie schmetterte herab, und die Steintafel zersprang in hundert
Scherben. Die Anwesenden rangen vor Entsetzen die Hände und
warteten ergeben, daß der Himmel über ihren Köpfen einstürze.

Kull wankte zurück. Seine Augen funkelten vor Entschlossenheit,
auch wenn der Raum vor seinem Blick zu verschwimmen drohte.

"Ich bin der König, das Reich und das Gesetz!" donnerte er und
ergriff das stabförmige Zepter, das vor ihm lag. Er zerbrach es in
zwei Teile und warf es von sich. "Dies wird mein Zepter sein!" Er
schwang die gerötete Axt hoch, daß ein Schauer von
Blutstropfen über die bleichen Höflinge spritzte. Kull nahm die
schmale Krone in die linke Hand und lehnte sich an die Wand, als
die Beine allein ihn nicht mehr tragen wollten. Doch in seinen
Armen lag immer noch die Kraft des Löwen.

"Ich bin entweder König oder tot!" brüllte er, und seine mächtigen
Muskeln spannten sich und seine Augen blitzten. "Wenn euch
das nicht gefällt, so kommt und holt euch die Krone!"

Mit der sehnigen Linken hielt er ihnen die Krone entgegen, mit
der Rechten hob er drohend die Axt.

"Diese Axt ist mein Zepter! Sie ist das Zeichen meiner
Herrschaft! Ich habe mich nach Kräften bemüht, der
Marionettenkönig zu sein, als den ihr mich haben wolltet, und auf
eure Art zu regieren. Von nun an tue ich es auf meine Weise.
Wenn ihr nicht kämpfen wollt, werdet ihr gehorchen. Gerechte

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Gesetze sollen bleiben, solche, die veraltet sind, werde ich
zerschmettern, so wie ich dieses zerschmettert habe. Ich bin der
König!"

Einer nach dem anderen beugten die blassen Höflinge und die
angsterfüllten Damen das Knie und neigten in Furcht und
Verehrung das Haupt vor dem über und über blutbefleckten
Riesen, der in grimmigem Triumph auf sie hinabblickte. .

"Ich bin der König!"

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-1 2 0 -

NUR EINEN GONGSCHLAG LANG

(The Striking of the Gong)

Irgendwo in der heißen roten Finsternis begann ein Pochen. Es
war ein pulsierender Rhythmus, lautlos, doch fühlbar in der
atemlosen Stille. Der Mann bewegte sich. Er tastete blind um sich
und setzte sich auf. Zuerst vermeinte er, auf den hohen,
gleichmäßigen Wellen eines schwarzen Meeres dahinzutreiben,
auf Wogen, die in stumpfer Gleichförmigkeit auf und ab rollten,
was ihm beinah körperlichen Schmerz bereitete. Er spürte das
Pulsieren und Pochen in der Luft und streckte die Hände aus, als
könnte er die Schwingungen festhalten. Aber war das Pochen
wirklich in der Luft um ihn - oder in seinem Kopf? Er konnte es
nicht sagen, und ein phantastischer Gedanke durchzuckte ihn -
das Gefühl, in seinem eigenen Schädel eingeschlossen zu sein.

Das Pulsieren ließ nach und schwand. Er preßte die Hände
gegen seine schmerzenden Schläfen und versuchte sich zu
erinnern. Erinnern? Woran?

"Das ist seltsam", murmelte er. "Wer oder was bin ich? Was ist
das für ein Ort? Was ist geschehen, und weshalb bin ich hier?
Bin ich schon immer hier gewesen?"

Er stand auf und wollte sich umsehen. Vollkommene Dunkelheit
umgab ihn. Er kniff die Augen zusammen, doch er vermochte
nicht den kleinsten Lichtschimmer auszumachen. Er streckte die
Arme aus und setzte wie ein Blinder vorsichtig Fuß vor Fuß. Licht
suchte er, so instinktiv wie eine Pflanze.

"Das kann einfach nicht alles sein", grübelte er. "Es muß auch
etwas anders geben - aber was ist anders als dies? Licht! Ja, ich
erinnere mich an Licht, aber ich kann mich nicht entsinnen, was
Licht ist. Ganz gewiß kenne ich eine Welt, die anders ist als
diese."

Weit entfernt entstand ein schwacher, grauer Schimmer. Er eilte
darauf zu. Der Schimmer breitete sich aus, bis der Mann den
Eindruck hatte, einen langen, sich stetig erweiternden Korridor

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-1 2 1 -

entlangzugehen. Dann stand er mit einemmal im blassen
Sternenlicht und spürte den kalten Wind in seinem Gesicht.

"Das ist Licht", murmelte er. "Aber das ist noch nicht alles."

Er empfand und er erkannte das Gefühl, sich in
atemberaubender Höhe zu befinden. Hoch über ihm, doch auch
um ihn und unter ihm, funkelten und glitzerten wie in einem
majestätischen kosmischen Ozean die kalten Sterne. Er runzelte
nachdenklich die Stirn, als er diese Pracht bewunderte.

Dann wurde ihm bewußt, daß er nicht allein war. Eine große,
undeutliche Gestalt hob sich gegen den Sternenhimmel ab.
Instinktiv fuhr seine Hand an seine linke Seite - und sank schlaff
herab. Er war nackt und ohne Waffe.

Die Gestalt kam näher. Es war ein Mann, ein sehr alter Mann
offenbar, auch wenn seine Züge in dem trügerischen Licht kaum
zu erkennen waren.

"Du bist neu hier?" fragte er mit einer tiefen, klaren Stimme, die
wie der Schlag eines Jadegongs klang. Bei diesem Klang wurden
Erinnerungen in dem Mann lebendig, der die Stimme hörte.
Verwirrt rieb er sich das Kinn.

"Jetzt entsinne ich mich", sagte er. "Ich bin Kull, König von
Valusien - aber was tue ich hier, nackt und waffenlos?"

"Niemand kann etwas mitnehmen durch dieses Tor", erwiderte
der andere rätselhaft. "Denke nach, Kull von Valusien. Weißt du
nicht mehr, wie du hierhergekommen bist?"

"Ich stand an der Tür zum Ratssaal", überlegte Kull, "und ich
entsinne mich, daß die Wache auf dem äußeren Turm den Gong
schlug, um die volle Stunde zu verkünden, da ging der helle Klang
des Gongs plötzlich in einem lauten, schmetternden Lärm unter.
Alles wurde dunkel, und rote Funken sprühten kurz vor meinen
Augen. Dann erwachte ich in einer Höhle oder einer Art Korridor,
ohne mich an irgend etwas zu erinnern."

"Du bist durch das Tor geschritten. Dahinter scheint es immer
dunkel zu sein."

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"Dann bin ich wohl tot? Bei Valka! Ein Feind muß mir hinter einer
der Säulen im Palast aufgelauert und mich niedergestreckt
haben, als ich mich mit Brule, dem Pikten, unterhielt."

"Ich habe nicht gesagt, daß du tot bist", erwiderte die Gestalt.
"Vielleicht ist das Tor nicht ganz geschlossen. Es wäre nicht das
erstemal."

"Aber wo bin ich hier? Im Paradies oder in der Hölle? Es ist .nicht
die Welt, in der ich geboren wurde. Und diese Sterne - ich habe
sie nie zuvor gesehen. Die Sternbilder sind großartiger und
leuchtender als alle, die ich kenne."

"Sie sind Welten jenseits der Welten, Universen innerhalb und
außerhalb von Universen", erklärte der Alte. "Dies ist nicht die
Welt, auf der du geboren wurdest. Du befindest dich in einem
anderen Universum, ohne Zweifel in einer anderen Dimension."

"Dann bin ich ganz sicherlich tot."

"Was ist der Tod anderes als ein Durchschreiten der Ewigkeiten
und ein Überqueren der kosmischen Meere? Doch ich habe
nicht gesagt, daß du tot bist."

"Aber wo, in Valkas Namen, bin ich dann?" brüllte Kull, dessen
Geduld erschöpft war.

"Dein barbarischer Verstand klammert sich an stoffliche
Gegebenheiten", erwiderte der andere ruhig. "Welche Rolle spielt
es, wo du dich befindest oder ob du tot bist, wie du es nennst?
Du bist Teil des großen Lebensmeeres, das an alle Ufer spült,
und du bist überall, hier wie dort, Teil von ihm, und wirst
schließlich zu seiner Quelle, dem Schoß allen Lebens,
zurückfließen. Glaube mir, du bist für alle Ewigkeiten an das
Leben gebunden, wie es ein Baum, ein Stein, ein Vogel oder eine
Welt ist. Wie kannst du es den Tod nennen, wenn nicht mehr
geschieht, als daß du deinen unbedeutenden Planeten, deine
ungeschlachte Form verlassen mußt?"

"Aber ich habe immer noch meinen Körper."

"Ich habe nicht gesagt, daß du tot bist, wie du es nennst. Was
das betrifft, magst du dich noch immer auf deinem kleinen
Planeten aufhalten. Welten in Welten, Universen in Universen.

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Es gibt Dinge, die sind zu klein oder zu groß für die menschliche
Vorstellungskraft. Jedes Sandkorn auf dem Strand von Valusien
trägt unzählige Universen in sich und ist selbst als ein Ganzes
ein Teil des großen Planes aller Universen, wie die Sonne, die du
kennst. Dein Universum, Kull von Valusien, ist vielleicht ein
Sandkorn am Strand eines anderen mächtigen Königreiches.

Du hast die Grenzen der stofflichen Schranken durchbrochen.
Vielleicht bist du nun in einem Universum, das eines der
Edelsteine an dem Mantel bildet, den du auf Valusiens Thron
getragen hast. Und das Universum, das du kennst, ist Teil des
Spinnennetzes dort im Gras vor deinen Füßen. Ich sage dir,
Größe und Raum und Zeit sind relativ und existieren nicht
wirklich."

"Bist du ein Gott?" fragte Kull neugierig.

"Wissen und Weisheit machen noch keinen Gott", erwiderte der
Alte fast ungeduldig. "Sieh!" Eine schattenhafte Hand deutete auf
die Sterne, die wie herrliche Juwelen glitzerten.

Kull sah, daß sie sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit
veränderten, daß Bilder und Muster in stetem Fluß wechselten.

"Auch die Sterne, die du für so beständig hältst, verändern sich
in ihren eigenen Zeitablauf, so rasch wie die Rassen der
Menschen entstehen und vergehen. Während wir sie hier
beobachten, kriechen Lebewesen auf jenen, die Planeten sind,
aus dem Urschlamm und erklimmen die langen und
beschwerlichen Leitern zu Kultur und Weisheit und sterben mit
ihren zerfallenden Welten. Alles ist Leben und Teil des Lebens.
Für sie vergehen Milliarden von Jahren, für uns nur ein
Augenblick. So ist das Leben."

Kull beobachtete fasziniert, wie einzelne Sterne und gewaltige
Sternbilder aufglühten und verblichen, während andere, genauso
strahlend, ihre Stelle einnahmen, um den gleichen Weg zu gehen.

Da überschwemmte ihn plötzlich erneut die heiße, rote Finsternis
und löschte die Sterne aus.

Wie durch einen dichten Nebel hörte er das vertraute Klirren von
Schwertern.

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Dann stand er taumelnd auf den Beinen. Im hellen Schein der
Sonne, der wie geschmolzenes Gold durch breite Fenster fiel,
sah er die hohen Marmorsäulen und Mauern des Königspalasts.
Hastig tastete er an sich hinab und berührte Kleider und ein
Schwert an der Seite. Er war voll Blut. Ein rotes Rinnsal floß aus
einer leichten Schläfenwunde. Doch der größte Teil des Blutes
an seinen Gliedern und seinem Gewand war nicht sein eigenes.
Zu seinen Füßen lag in einer roten Lache, was einst ein Mann
gewesen war. Das Schwerterklirren, das er gehört hatte, war
verstummt bis auf das Echo von den Wänden.

"Brule! Was ist los? Was ist geschehen? Wo bin ich gewesen?"

"Ihr wart auf einer Reise, die fast im Reich des Totenkönigs
geendet hätte", erwiderte der Pikte mit einem grimmigen Lächeln,
während er seine Klinge säuberte. "Dieser Meuchelmörder
lauerte Euch hinter einer Säule auf und sprang Euch wie ein
Panther an, als Ihr Euch in der Tür umgewandt habt, um mit mir
zu reden. Wer immer diesen Anschlag ausgeheckt hat, muß
große Macht besitzen, daß ein Mann bereit ist, für ihn in den
sicheren Tod zu gehen. Hätte sich das Schwert in seiner Hand
nicht gedreht und Euch nur gestreift, dann wärt Ihr jetzt mit einem
gespaltenen Schädel unter ihm, statt hier zu stehen und über
eine harmlose Fleischwunde zu grübeln."

"Aber das liegt doch gewiß schon Stunden zurück", meinte Kull.

Brule lachte.

"Euer Kopf ist noch nicht klar, Kull. Von dem Augenblick an, da er
sprang und Ihr fielt, bis zu jenem, da ich ihm das Herz
durchbohrte, ist nicht genug Zeit verstrichen, daß man die Finger
einer Hand zählen könnte. Und während Ihr in seinem und in
Eurem Blut auf dem Boden gelegen habt, verging gewiß nicht
mehr als vielleicht zweimal diese Spanne. Tu ist noch nicht
einmal mit dem Linnen zum Verbinden zurück, das er sofort
holen lief, als er Euch fallen sah."

"Ja, du hast recht", gab Kull zur Antwort. "Ich verstehe es nicht -
aber gerade bevor sein Schwert mich traf, hörte ich den Gong

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die volle Stunde schlagen, und ich konnte ihn noch immer hören,
als ich wieder zu mir kam.

Brule, Dinge wie Zeit oder Raum gibt es nicht. Ich habe die
längste Reise meines Lebens gemacht und Millionen Jahre
gelebt, während der Gong nur ein einziges Mal schlug."

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VERSCHWÖRUNG BEI NACHT

(Swords of the Purple Kingdom)

l Verschwörung hinter verschlossenen Türen

Unheimliche Stille lag wie ein erdrückendes Gespinst über der
uralten Stadt Valusien. Die Hitze flimmerte über den glänzenden
Dächern und zwischen den glatten Marmormauern. Die
purpurnen Türme und ihre goldenen Spitzen schimmerten durch
einen Dunstschleier. Kein Hufgeklapper auf den breiten,
gepflasterten Straßen brach die schläfrige Stille, und die wenigen
Bewohner, die zu Fuß unterwegs waren, gingen hastig ihren
Geschäften nach und verschwanden rasch wieder in ihren
Häusern. Valusien schien eine Geisterstadt zu sein.

Kull, der König von Valusien, schob die dünnen Vorhänge
beiseite und blickte über das goldene Fenstersims hinaus auf
den Hof mit seinen plätschernden Brunnen, den geschnittenen
Hecken und gestutzten Bäumen und über die hohe Mauer auf die
leeren Fenster der Häuser.

"Ganz Valusien verschwört sich hinter verschlossenen Türen,
Brule", brummte er.

Sein Gefährte, ein bronzegesichtiger Krieger von mittelgroßer,
muskulöser Statur, grinste schwach. "Ihr seid zu argwöhnisch,
Kull. Die meisten treibt nur die Hitze in die Häuser."

"Aber sie intrigieren", beharrte Kull. Er war ein großer,
breitschultriger Barbar mit dem idealen Körperbau eines
Kämpfers: einem mächtigen Brustkorb und schmalen Hüften.
Kalte, graue Augen lagen unter dichten, schwarzen Brauen.
Seine Züge verrieten seine Herkunft, denn Kull, der Usurpator,
war ein Atlanter.

"Stimmt, sie intrigieren. Aber intrigiert das Volk nicht immer, ganz
gleich, wer auf dem Thron sitzt? Und diesmal würde man es
ihnen sogar verzeihen, Kull."

"Ja." Der Hüne zog die Brauen finster zusammen. "Weil ich ein
Fremder bin. Der erste Barbar auf dem valusischen Thron seit

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Anbeginn der Zeit. Als ich noch Befehlshaber ihrer Streitkräfte
war, sahen sie über den Umstand meiner atlantischen Herkunft
hinweg. Aber jetzt werfen sie ihn mir vor - mit Blicken und
Gedanken wenigstens."

"Was kümmert es Euch? Ich bin hier so fremd wie Ihr. Das Volk
ist über die Jahrtausende zu schwach geworden, sich selbst zu
regieren, deshalb haben Fremde die Macht an sich gerissen. Ein
Atlanter sitzt auf dem Thron, unterstützt von allen
Piktenstämmen, den ältesten und mächtigsten Verbündeten des
Reiches; der Hof wimmelt von Ausländern, und die Armee von
Barbarensöldnern; und die Roten Reiter - nun, sie sind zwar
Valusier, aber sie gehören den Bergstämmen an, die sich als
eigenständiges Volk betrachten."

Kull zuckte ungeduldig die Schultern.

"Ich weiß, was das Volk denkt, und mit welchem Grimm und mit
welchem Widerwillen sich die mächtigen alten valusischen
Familien in meine Herrschaft fügen. Ich komme nicht dagegen
an. Dabei ging es ihnen unter Borna, einem Valusier und direkten
Nachkommen der alten Dynastie, wesentlich schlechter als unter
mir. Aber das ist der Preis, den ein dahinsiechendes Reich
zahlen muß: Die starken jungen Völker kommen und nehmen es
auf die eine oder andere Weise in Besitz. Ich habe neue Armeen
aufgestellt, Söldner rekrutiert und Valusien ein wenig seines alten
Glanzes wiedergegeben. Man sollte meinen, ein Barbar auf dem
Thron, der die Scherben zusammenhält, wäre besser als
hunderttausend, die plündernd und mordend durch die Straßen
ziehen und alles in Schutt und Asche legen. Denn das wäre unter
ihrem König Borna längst geschehen. Das Königreich zerfiel, und
an den Grenzen lauerten sie bereits darauf, allen voran die
Grondarianer, die einen Eroberungszug von gewaltigem Ausmaß
vorbereiteten ...

Aber ich tötete Borna mit eigener Hand in jener grimmigen Nacht,
als ich die Rebellen in den Kampf führte. Damit schuf ich mir ein
paar Feinde, aber es dauerte keine sechs Monate, und die
Macht war fest in meinen Händen, das Reich geeint, der
Dreibund gegen Valusien zerschlagen und die Angriffslust der

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Grondarianer gebrochen. Jetzt träumt Valusien friedlich vor sich
hin und plant in aller Ruhe meinen Sturz. Dabei gab es keine
Hungersnot, seit ich die Krone trage, die Lagerhäuser sind bis
obenhin mit Getreide gefüllt, die Handelsschiffe bersten vor
Fracht, die Geldbeutel der Kaufleute sind prall gefüllt, und die
Menschen werden fett - und trotz allem murren sie und fluchen
und spucken auf meinen Schatten. Was wollen sie mehr?"

Der Pikte grinste und erwiderte mit bitterem Spott:

"Einen neuen Borna! Einen blutigen Tyrannen! Aber laßt sie
undankbar sein. Ihr habt diesen Thron nicht ihretwegen erobert,
und Ihr regiert das Reich nicht für sie. Ihr habt vielmehr den
Traum Eures Lebens wahrgemacht, und Ihr habt den Thron fest
in der Hand. Laßt sie murren und ihre Ränke schmieden. Ihr seid
der König."

Kull nickte in grimmiger Entschlossenheit. "Ich bin der König
dieses purpurnen Königreiches! Und ich werde der König
bleiben, bis ich aufhöre zu atmen und meine Seele den langen
Weg in das Schattenreich antritt. Was gibt es?"

Ein Sklave verbeugte sich tief. "Die Tochter des mächtigen
Hauses bora Ballin, Nalissa, begehrt eine Audienz, allerhöchste
Majestät."

Des Königs Miene verdüsterte sich. "Ein neuer Versuch, mich
für ihre verdammten Heiratsabsichten zu gewinnen", sagte er
seufzend zu Brule. "Es ist besser, wenn du gehst." Und zu dem
Sklaven: "Laß sie eintreten."

Kull saß in einem samtbezogenen Sessel und betrachtete
Naiissa. Sie war erst etwa neunzehn Jahre alt, und in der
kostbaren, doch spärlichen Art, in der sich valusische Edel-
damen kleideten, bot sie einen hinreißenden Anblick, dem sich
selbst der Barbarenkönig nicht entziehen konnte. Ihre Haut war
wunderbar weiß, was sie zu einem guten Teil den vielen Bädern
in Milch und Wein, aber hauptsächlich einer natürlichen,
vererbten Schönheit verdankte. Ein zartes Rosa tönte ihre
Wangen, und ihre Lippen waren voll und rot. Schmale schwarze
Brauen schwangen sich über ein Paar sanfter, dunkler,

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unergründlicher Augen, und alles umrahmte dichtes, lockiges,
schwarzes Haar, das zum Teil von einem schmalen Goldreif
zusammengehalten wurde.

Naiissa kniete zu Füßen des Königs nieder, nahm seine
schwieligen Finger in ihre sanften, schlanken Hände und blickte
mit großen und bittenden Augen zu ihm auf. Von allen Menschen
im Königreich war Naiissa die einzige, deren Blick Kull auswich,
denn ihre Augen waren von einer geheimnisvollen und lockenden
Tiefe. Sie ahnte bereits ein wenig von ihrer Macht, dieses
verzogene und verwöhnte Aristokratenkind, aber sie war noch zu
jung, um sich ihrer ganzen Wirkung bewußt zu sein. Doch Kull
war ein guter Menschenkenner, und er erkannte mit einigem
Unbehagen, daß Naiissa, wenn sie erst erwachsen war, ein nicht
zu unterschätzender Machtfaktor am Hof und im Reich sein
würde, zum Guten oder zum Schlechten.

"O Majestät", flehte sie weinend wie ein kleines Kind, das ein
Spielzeug haben möchte, "bitte laßt mich Dalgar von Far-sun
heiraten. Er ist jetzt valusischer Bürger, wird am Hof
hochgeschätzt, wie Ihr selbst sagt. Warum ..."

"Ich habe dir schon gesagt", erklärte der König geduldig, "daß es
mir völlig gleichgültig ist, wen du heiratest, diesen Dalgar oder
Brule oder den Teufel! Aber dein Vater wünscht nicht, daß du
diesen farsunischen Abenteurer heiratest, und ..."

"Aber Ihr könnt ihn dazu zwingen!" rief sie.

"Die Familie bora Ballin gehört zu den Treuesten der Krone",
erwiderte der Atlanter. "Und dein Vater, Murom bora Ballin, zählt
zu meinen engsten Freunden. Als ich ein Gladiator ohne Freunde
war, bot er mir seine Freundschaft an. Er lieh mir Geld, als ich
noch einfacher Soldat war, und er stand mir zur Seite, als ich
nach dem Thron griff. Und wenn es meine rechte Hand kostete,
ich würde ihn nicht zu etwas zwingen, das ihm so sehr
widerstrebt, oder mich in seine Familienangelegenheiten
einmischen."

Nalissa hatte noch nicht gelernt, daß manche Männer durch
keine weibliche Taktik umzustimmen sind. Sie bettelte,

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schmeichelte und schmollte. Sie küßte Kulls Hände, weinte an
seiner Brust, setzte sich auf seinen Schoß und rührte hundert
Gründe an.

Das brachte ihn alles recht in Verlegenheit, nützte jedoch nichts.
Kull war voller Mitgefühl, blieb jedoch eisern. Auf all ihre Bitten
und Schmeicheleien hatte er nur eine Antwort:

Daß die Sache ihn nichts anginge, daß ihr Vater besser wüßte,
was gut für sie ist, und daß er, Kull, sich da auf keinen Fall
einmischen würde.

Schließlich gab Naiissa auf und verließ den König mit gesenktem
Kopf und schleppenden Schritten. Als sie aus dem königlichen
Gemach kam, begegnete sie ihrem Vater, der auf dem Weg zum
König war. Murom bora Ballin, der den Grund für den Besuch
seiner Tochter beim König leicht erriet, sagte nichts. Doch der
Blick, den er ihr zuwarf, tat beredt genug kund, daß sie noch ein
Nachspiel erwarten würde. Das Mädchen stieg traurig in die
wartende Sänfte und haderte mit der Welt, die soviel Leid auf ein
einzelnes Mädchen häufen konnte. Dann fing sie sich, als
andere Gefühle aus ihr hervorbrachen. Ihre Augen blitzten
aufrührerisch, und sie gab einen kurzen Befehl an die Sklaven,
die ihre Sänfte trugen.

Graf Murom stand inzwischen vor dem König, und seine Züge
waren eine Maske förmlicher Höflichkeit. Kull empfand sie
schmerzlich. Förmlichkeit herrschte zwischen ihm und allen
seinen Untertanen und Verbündeten, ausgenommen dem Pikten
Brule und dem Botschafter Ka-nu, aber diese steife Förmlichkeit
war ein neuer Zug an Graf Murom, und Kull erriet auch den
Grund. "Eure Tochter war bei mir, Graf", sagte er ohne

Umschweife.

"Ja, Majestät." Es klang gleichmütig und höflich.

"Ihr wißt wahrscheinlich, weshalb. Sie will Dalgar von Farsun
heiraten."

Der Graf verneigte sich würdevoll. "Wenn Eure Majestät es
wünschen, bedarf es nur eines Wortes." Seine Züge verhärteten
sich.

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Kull erhob sich bekümmert und schritt zum Fenster. Er blickte
erneut auf die schläfrige Stadt hinaus. Ohne sich umzudrehen
sagte er: "Nicht für ein halbes Königreich würde ich mich in Eure
Familienangelegenheiten mischen oder Euch zu etwas zwingen,
das Euch so tief zuwider ist."

Im nächsten Augenblick war der Graf an seiner Seite. Seine
Förmlichkeit war fortgewischt. Seine Augen leuchteten.
"Majestät, ich habe unrecht von Euch gedacht. Ich hätte wissen
müssen ..." Er machte Anstalten niederzuknien, doch Kull
hinderte ihn daran.

Der König grinste. "Seid unbesorgt, Graf. Eure persönlichen
Angelegenheiten sind Eure eigene Sache. Da müßt Ihr meine
Hilfe nicht befürchten. Aber ich könne Eure Hilfe brauchen. Eine
Verschwörung liegt in der Luft. Ich kann die Gefahr riechen, so
wie ich in jungen Jahren die Nähe eines Tigers im Dschungel
oder einer Schlange im hohen Gras gespürt habe."

"Meine Spitzel haben überall in der Stadt herumgehorcht,
Majestät", berichtete der Graf, und seine Augen glänzten vor
Tatendrang. "Das Volk murrt, weil es unter jedem Herrscher
murrt. Aber ich war bei Ka-nu in der Botschaft. Er will Euch
warnen, daß Geld und Kräfte jenseits der Grenzen am Werk
sind. Er sagte, er wüßte nichts Genaues, aber seine Pikten
entlockten einem betrunkenen Diener des veruli-schen
Botschafters einige Hinweise - sehr vage Hinweise auf einen
Handstreich, den die Regierung plant."

Kull schüttelte den Kopf. "Die verulische Falschheit ist
sprichwörtlich. Doch Gen Dala, der verulische Botschafter, ist
über jeden Zweifel erhaben."

"Das ist ihren Plänen um so dienlicher. Wenn er nichts davon
weiß, was seine Regierung vorhat, wird alles um so
unverdächtiger erscheinen." i "Aber worauf ist Verulien aus?"
fragte Kull.

"Gomlah, ein entfernter Verwandter König Bornas, floh dorthin,
als Ihr die alte Dynastie gestürzt habt. Wenn Ihr sterbt, würde
Valusien auseinanderfallen. Die Streitkräfte wären ohne

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Führung. Alle Verbündeten außer den Pikten würden Valusien
den Rücken kehren. Die Söldner, die nur Euch gehorchen,
würden sich gegen das Reich wenden, dann wäre es eine leichte
Beute für das erste starke Land, das die Grenzen überschreitet.
Gomlah wäre ein ausgezeichneter Grund für einen Einmarsch
und eine ebenso gute Marionette auf dem valusischen Thron ..."
J

"Das ist mir klar", knurrte Kull. "Ich verstehe mehr vom| Kämpfen
als von der Politik, aber ich erkenne die Gefahr. Der erste Schritt
muß also meine Beseitigung sein, nicht wahr?" "Ja, Majestät."

Kull lächelte und streckte seine mächtigen Arme. "Mir wird das
Regieren ohnehin ein wenig langweilig dann und wann." Seine
Finger spielten mit dem Knauf des großen Schwertes, das er
immer gegürtet trug.

"Tu, oberster Ratgeber der Krone, und Dondal, sein Neffe",
verkündete ein Sklave, und zwei Männer traten ein.

Tu, der oberste Ratgeber, war ein stattlicher Mann von
durchschnittlicher Größe und mittleren Alters, der mehr den
Eindruck eines Kaufmannes denn das eines Beraters erweckte.
Sein Haar war gelichtet, sein Gesicht faltig und von einer Miene
steten Argwohns geprägt. Alter und Verantwortung hatten ihn
gezeichnet. Obgleich von niederer Geburt, hatte er sich mit
unvergleichlichem Geschick und Intrigen nach oben gekämpft. Er
hatte bereits drei Königen gedient, bevor Kull kam, und das hatte
seine Spuren hinterlassen.

Sein Neffe Dondal war ein schlanker, geckenhafter Jüngling mit
scharfen, dunklen Augen und einem freundlichen Lächeln. Seine
wichtigste Tugend war, daß er schweigsam war und nie etwas
weitererzählte, das ihm am Hof zu Ohren kam. Nur aus diesem
Grund gewährte man ihm Zutritt an Orten, die ihm sonst trotz
seiner Verwandtschaft mit Tu verschlossen geblieben wären.

"Es handelt sich nur um eine unbedeutende Angelegenheit,
Majestät", erklärte Tu. "Diese Bewilligung zum Ausbau eines
neuen Hafens an der Westküste. Wollen Eure Majestät hier
unterzeichnen?"

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Kull schrieb seinen Namen unter das Dokument. Tu zog eine
Siegelring aus seinem Gewand hervor, den er an einer dünnen
Kette um den Hals trug, und brachte das Siegel an. Kein anderer
Ring auf der ganzen Welt war diesem gleich, und Tu trug ihn bei
Tag und Nacht bei sich. Außer den Anwesenden im königlichen
Gemach gab es keine vier Männer auf der Welt, die wußten, wo
der Ring aufbewahrt wurde.

2 Rätsel

Die Stille des Tages war fast unmerklich in die Lautlosigkeit der
Nacht übergegangen. Der Mond stand noch nicht am Himmel,
und die winzigen silbernen Sterne spendeten kaum Licht, als
würde ihr Glanz von der Hitze verschluckt, die noch immer vom
Boden emporstieg.

In einer verlassenen Straße erklang hallend der Hufschlag eines
einzelnen Pferdes. Falls Augen aus den leeren Fenstern den
nächtlichen Reiter beobachteten, blieben sie verborgen. Nichts
verriet, ob sie erkannt hatten, daß es Dalgar von Farsun war.

Der junge Farsunier war voll gerüstet. Ein leichter Panzer
bedeckte seinen geschmeidigen, muskulösen Körper. Er trug
einen Helm, und er erweckte den Eindruck, als wüßte er mit dem
langen, schmalen, am Griff mit Edelsteinen verzierten Schwert
umzugehen. Die mit einer roten Rose verzierte Schärpe um
seine gepanzerte Brust schmälerte keineswegs das Bild von
Männlichkeit, das er bot.

Während des Rittes warf er einen Blick auf die zerknüllte
Nachricht in seiner Hand, die in valusischen Schriftzeichen
folgendes besagte: "Um Mitternacht, mein Geliebter, in den
Verdammten Gärten jenseits der Mauern. Wir werden
zusammen fliehen."

Eine aufregende Botschaft. Dalgars Mund verzog sich zu einem
Lächeln, während er sie las. Nun, ein wenig romantischer
Überschwang mußte man einem jungen Mädchen nachsehen,
um so mehr, als er selbst nicht ganz frei davon war. Er konnte die
Verabredung kaum erwarten. In der Morgendämmerung würde er
mit seiner zukünftigen Braut bereits weit jenseits der verulischen

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Grenze sein. Dann mochte Graf Murom bora Ballin toben wie er
wollte, und mochte sich die ganze valusische Armee auf ihre
Fersen heften, mit solch einem Vorsprung würden er und Nalissa
außer Gefahr sein. Er war voll überschwenglicher, romantischer
Gefühle, und sein Herz schwoll vom Heldenmut und Tatendurst
der Jugend. Es war noch Stunden bis Mitternacht, doch er lenkte
sein Pferd mit einem Druck seiner gepanzerten Ferse in ein
Viertel dunkler, enger Gassen, um den Weg abzukürzen.

"O silberner Mond, o Busen der Nacht", summte er leisd eines
der leidenschaftlichen Liebeslieder des verrückten toten Sängers
Ridondo, als sein Pferd plötzlich schnaubend scheute. In der
Dunkelheit eines schmutzigen Hauseinganges bewegte sich
stöhnend eine dunkle Gestalt.

Dalgar zog die Klinge, glitt vom Pferd und beugte sich über den
Stöhnenden.

Als er sich tiefer bückte, erkannte er, daß es ein Mann war. Er
zog ihn in das spärliche Licht der Gasse und sah, daß er noch
atmete. Etwas Warmes und Klebriges blieb an Dalgars Hand
haften.

Der Mann war dicklich und augenscheinlich ziemlich alt, denn
sein Haar war schütter und sein Bart hatte weiße Strähnen. Er
trug die Lumpen eines Bettlers, aber selbst in der Dunkelheit
entging Dalgar nicht, daß die Hände unter all dem Schmutz weich
und weiß waren. Aus einer häßlichen Wunde an der Seite des
Kopfes sickerte Blut. Die Augen waren geschlossen. Er stöhnte
von Zeit zu Zeit.

Dalgar riß einen Streifen von seiner Schärpe, um ihn auf die
Wunde zu drücken, dabei verhedderte sich ein Ring seiner Hand
in dem struppigen Bart. Ungeduldig zog er daran, und der Bart
löste sich ganz und enthüllte ein glattrasiertes, faltiges Gesicht
eines Mannes von mittlerem Alter. Dalgar fuhr mit einem Ausruf
zurück. Er sprang auf. Verwirrt und entgeistert stand er einen
Augenblick und starrte auf den stöhnenden Mann. Dann löste
rasches Hufgeklapper in einer Parallelstraße seine Lähmung.

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Er lief durch die enge Seitengasse darauf zu und sprang dem
Reiter rufend und winkend in den Weg. Der riß heftig an den
Zügeln und griff gleichzeitig nach seinem Schwert. Die
eisenbeschlagenen Hufe des Pferdes schlugen Funken auf den
Pflastersteinen, als es sich auf der Hinterhand aufbäumte.

"Und jetzt? Oh, du bist es, Dalgar."

"Brule!" rief der junge Farsunier. "Rasch! Tu, der oberste
Ratgeber, liegt da drüben in der Seitenstraße. Er ist bewußtlos ...
vielleicht bereits tot!"

Augenblicklich sprang der Pikte vom Pferd und warf die Zügel
über den Kopf des Tieres. Es stand wie eine Statue, während er
Dalgar mit der Klinge in der Faust hinter-hereilte.

Dann beugten sie sich zusammen über den bewußtlosen
Ratgeber, während Brule ihn mit kundiger Hand abtastete.

"Sieht aus, als wäre nichts gebrochen", brummte der Pikte. "Kann
es allerdings nicht mit Sicherheit sagen. War sein Bart bereits
ab, als du ihn gefunden hast?"

"Nein, das war ein Mißgeschick, als ich ..."

"Dann ist das wahrscheinlich die Tat eines Schurken, der ihn gar
nicht kannte. Wenigstens hoffe ich das. Denn wenn der Mann,
der ihn niederschlug, wußte, wen er vor sich hatte, dann ist
schwärzester Verrat in Valusien im Gange. Ich habe ihm nicht
nur einmal gesagt, daß es gefährlich ist, sich in solcher
Verkleidung in der Stadt herumzutreiben -aber ein Ratgeber läßt
sich einfach nichts sagen. Er war der Meinung, daß er auf diese
Weise alles in Erfahrung bringen könnte, was vorging. Er hatte
die Hand am Puls des Reiches, wie er sich ausdrückte."

"Doch ein Halsabschneider", wandte Dalgar ein, "hätte ihn
ausgeraubt. Hier ist sein Geldbeutel mit ein paar Kupferstücken.
Und wer würde schon einen Bettler ausrauben wollen?"

Der Speerkämpfer nickte fluchend. "Das ist wahr. Aber wer in
Valkas Namen konnte wissen, daß er Tu vor sich hatte? Er trug
immer eine andere Verkleidung, die ihm nur Dondal und ein
Sklave anzulegen halfen. Und wer immer ihn niederschlug, was
wollte der von ihm? Ah, bei Valka, er wird sterben, wenn wir hier

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noch länger herumstehen und Rätsel raten. Hilf mir, in auf mein
Pferd zu setzen."

Als der oberste Ratgeber schwankend im Sattel saß, wo ihn
Brules kräftige Arme hielten, galoppierten sie durch die
nächtlichen Straßen zum Palast. Die erstaunte Wache ließ sie
passieren, und der Bewußtlose wurde in einem Gemach auf
einen Diwan gebettet, wo er unter den fürsorglichen Händen der
Sklaven und Hofdamen bald erste Lebenszeichen von sich gab.

Schließlich setzte er sich auf und griff sich stöhnend an den
Kopf. Ka-nu, der piktische Botschafter und gewandteste
Staatsmann des Königreiches, beugte sich über ihn.

"Tu! Wer hat Euch niedergeschlagen?"

"Das weiß ich nicht", erwiderte der Ratgeber benommen. "Ich
kann mich an nichts erinnern."

"Hattet Ihr wichtige Dokumente bei Euch?"

"Nein."

"Vermißt Ihr irgend etwas?"

Tu begann unsicher an seinen Kleidern zu tasten. Sein Blick
wurde zusehends klarer. Plötzlich weiteten sich seine Augen vor
Entsetzen. "Der Ring! Der königliche Siegelring! Er ist fort!"

Ka-nu hieb mit der Faust in die Handfläche und fluchte

aus tiefster Seele.

"Das mußte passieren! Ich habe Euch oft genug gewarnt, das
Ding nicht überall mit Euch herumzutragen! Rasch, Brule, Kelkor
... Dalgar! Das bedeutet Verrat! Zum Gemach des Königs!
Schnell!"

Vor dem königlichen Schlafgemach standen zehn Männer der
Roten Reiter, der Lieblingstruppe des Königs. Auf Kanus hastige
Fragen berichteten sie, daß sich der König vor etwa einer Stunde
zurückgezogen hatte, daß seither niemand Einlaß begehrte und
daß sie nichts Verdächtiges bemerkt hätten.

Ka-nu pochte an die Tür. Er erhielt keine Antwort. Panik überkam
ihn.

Er versuchte die Tür zu öffnen, doch sie war von innen

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verschlossen.

"Brecht diese Tür auf!" schrie er mit vor Aufregung heiserer
Stimme. Sein Gesicht war weiß.

Zwei der Roten Reiter, Hünen von Gestalt, warfen sich mit ihrem
ganzen Gewicht gegen die Tür, doch sie war aus schwerem
Eichenholz und mit Bronze beschlagen und hielt. Brule stieß die
beiden zur Seite und bearbeitete die massive Tür mit dem
Schwert. Unter den kräftigen Hieben der scharfen Klinge flogen
die Späne und das Metall gab nach, und nach kurzer Zeit brach
sie auf, als Brule sich mit der Schulter dagegenwarf. Mit einem
scharfen Ausruf blieb er stehen. Ka-nu, der hinter ihm in das
Gemach stürmte, raufte sich verzweifelt den Bart. Die königliche
Lagerstatt war in Unordnung, als ob jemand darin geschlafen
hätte, aber vom König selbst war nichts zu sehen. Das Gemach
war leer. Nur das offene Fenster ließ einige Schlüsse zu.

"Sucht alle Straßen ab!" brüllte Ka-nu. "Durchkämmt die Stadt!
Bewacht alle Tore! Kelkor, bringt die gesamte Streitmacht der
Roten Reiter auf die Beine. Brule, sammle deine Pikten und laß
sie reiten, bis sie zusammenbrechen, wenn es sein muß. Eilt!
Dalgar ..."

Doch der Farsunier war verschwunden. Er hatte sich plötzlich
daran erinnert, daß Mitternacht nicht mehr weil war, und weitaus
wichtiger als das Verschwinden des Königs war für ihn, daß
Nalissa bora Ballin in den Verdammten Gärten zwei Meilen
außerhalb der Stadtmauer auf ihn wartete.

3 Das Siegel

An diesem Abend hatte sich Kull früh zurückgezogen. Wie
gewohnt blieb er vor der Tür zum Schlafgemach ein paar Minuten
stehen, um mit den Wachen, seinen einstigen
Regimentskameraden, zu plaudern und alte Erinnerungen
auszutauschen aus den Tagen, da er noch selbst zu den Reihen
der Roten Reiter gehört hatte. Dann entließ er seine Diener und
betrat sein Gemach. Er schlug die Bettdecken zurück und
machte sich zum Schlafengehen bereit. Da war gewiß
ungewöhnlich für einen König, doch Kull war seit jeher an das

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rauhe Soldatenleben gewöhnt und hatte in jungen Tagen als
Angehöriger eines Barbarenstammes nicht anders gelebt. Er
hatte sich nie daran gewöhnen können, daß alles für ihn getan
wurde, so verlangte es ihn wenigstens in seinem eigenen
Schlafgemach Ruhe vor seinen Dienern zu haben.

Aber gerade, als er die Kerze löschen wollte, die den Raum
erhellte, hörte er ein Geräusch am Fenstersims. Mit dem
Schwert in der Faust schlich er lautlos wie ein großer Panther
durch das Gemach und blickte hinaus. Das Fenster öffnete sich
in die Innenhöfe des Palastes. Im Licht der Sterne waren
undeutlich die Hecken und Bäume auszumachen. Brunnen
schimmerten und waren mehr zu ahnen als zu sehen. Die
Wachtposten, die unten ihre Runden zogen, konnte er nicht
erkennen.

Aber an seinem Ellenbogen entdeckte er Verblüffendes. An den
Ranken, die die Palastmauern bedeckten, hing ein kleiner, dürrer
Kerl, der wie einer der Bettler aus den Straßen der ärmeren
Viertel aussah. Er machte einen harmlosen Eindruck mit seinen
dünnen Gliedern und seinem äffischen Gesicht, doch Kull
betrachtete ihn mit grunzeiter Stirn.

"Es scheint, daß ich unter meinem Fenster Posten aufstellen
muß oder diese Ranken niederreißen", stellte der König fest.
"Wie bist du unbehelligt an den Wachen vorbeigekommen?"

Der kleine Kerl legte einen dünnen Finger an die Lippen und
streckte dann mit affenartiger Gewandtheit eine Hand durch die
Gitterstäbe. Stumm reichte er Kull ein Stück Pergament. Der
König rollte es auf und las: "König Kull: Wenn Euch Euer Leben
lieb ist und wenn Euch das Wohl des Reiches etwas bedeutet,
dann folgt diesem Boten, wohin er Euch führen wird. Weiht
niemanden ein. Auch die Wachen dürfen Euch nicht sehen. Die
Einheiten sind von Verrätern durchsetzt. Wenn Ihr überleben und
den Thron halten wollt, müßt Ihr meine Anweisungen genau
befolgen. Vertraut dem Überbringer dieser Nachricht voll und
ganz." Unterschrieben war das Pergament mit: >Tu, Lordkanzler
von Valusien< und versehen mit dem Siegel des königlichen
Siegelringes.

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Kull zog finster die Brauen zusammen. Die Sache gefiel ihm
nicht. Aber er erkannte Tus Handschrift an dem eigenwilligen,
winzigen Schnörkel am Ende des Namens, dem
unverwechselbaren Kennzeichen des Kanzlers gewissermaßen.
Und dann der Abdruck des Siegels, der nicht nachgemacht
werden konnte. Kull seufzte.

"Also gut", stimmte er zu. "Warte, bis ich meine Waffen angelegt
habe."

Wieder bekleidet und mit einem leichten Kettenhemd gerüstet
erschien Kull erneut am Fenster. Er packte die Stäbe, spannte
seine Muskeln und spürte, wie die Stäbe nachgaben - weit
genug, daß selbst seine breiten Schultern durchschlüpfen
konnten. Er kletterte hinaus und griff nach den Ranken. An ihnen
kletterte er mit der gleichen Leichtigkeit und Gewandtheit hinab
wie der kleine Bettler. Unten angelangt ergriff Kull seinen
Begleiter am Arm. "Wie bist du an den

Wachen

vorbeigekommen?" flüsterte er.

"Wenn sie mich entdeckten, zeigte ich ihnen das königliche
Siegel."

"Damit werden wir nicht beide unerkannt hinauskommen",
brummte Kull. "Bleib hinter mir. Ich bin mit ihrem Dienst vertraut."

Die nächsten zwanzig Minuten verbrachten sie damit, hinter
Büschen den Vorbeimarsch von Wachtposten abzuwarten,
blitzschnell im Schatten unterzutauchen und lautlos von Deckung
zu Deckung zu huschen. Schließlich erreichten sie die
Außenmauer. Kull ergriff seinen Führer bei den Füßen und hob
ihn hoch, bis seine Finger den oberen Mauerrrand zu fassen
bekamen. Als er oben war, reichte der Bettler dem König die
Hand, um ihm hochzuhelfen, doch Kull winkte nur verächtlich,
nahm einen kurzen Anlauf, schnellte empor, packte die
Mauerkrone mit einer ausgestreckten Hand und schwang sich
mit einer unglaublichen Leichtigkeit und Gewandtheit hinüber.

Gleich darauf erreichte das höchst ungleiche Paar die Seite
jenseits der Mauer und verschwand in der Dunkelheit.

4 >Ich bin zum Kampf bereit! <

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Nalissa, die Tochter des Hauses bora Ballin, war voll innener
Unruhe und Furcht. Ihre romantischen Hoffnungen und ihre
ehrliche Liebe gaben ihr Kraft genug, daß sie ihre Ent-scheidung
und den überstürzten Aufbruch nicht bedauerte, doch nun
wünschte sie nichts sehnlicher als die Ankunft ihres Geliebten
herbei. 1 Bis jetzt hatte es keine Schwierigkeiten gegeben. Da es
zu auffällig gewesen wäre, die Stadt nach Einbruch der Nacht zu
verlassen, war sie bereits kurz vor Sonnenuntergang von zu
Hause fortgeritten und hatte ihrer Mutter gesagt, daß sie die
Nacht bei einer Freundin verbringen würde. Es war ihr Glück,
daß die Frauen in Valusien unübliche Freiheiten genossen und
nicht in Harems und gefängnisähnlichen Frauenhäusern
eingeschlossen blieben, wie es in den östlichen Reichen üblich
war; ein Brauch, der die Große Flut überdauerte.

Naiissa war mutig durch das Osttor geritten und hatte den
direkten Weg zu den Verdammten Gärten genommen, die zwei
Meilen östlich der Stadt lagen. Dieses Gebiet war einst
Lustgarten und Landsitz eines Edelmanns gewesen. Doch dann
drangen Gerüchte von grausamen Ausschweifungen und
schauerlichen Ritualen nach draußen. Und schließlich rotteten
sich die Menschen zusammen, aufgebracht über das immer
häufigere Verschwinden von Kindern, stürmten die Gärten und
erhängten den Edelmann am Tor seines Hauses. Bei der
Durchsuchung der Gärten fanden sie so schreckliche Dinge, daß
sie außer sich vor Grauen und Abscheu zerstörten, was
zerstörbar war: Teile des Landhauses, die Pavillons, Lauben,
Grotten, selbst die Mauern. Nur was aus unzerstörbarem
Marmor errichtet war, widerstand der Wut der aufgebrachten
Menge und der Zeit. Nun, hundert Jahre später, wucherte ein
kleiner Dschungel in den verfallenden Mauern und bedeckte die
Ruinen.

Naiissa versteckte ihr Pferd in einem verfallenen Sommerhaus
und setzte sich auf den aufgebrochenen Marmorboden, um zu
warten. Zuerst machte es ihr nichts aus. Das sanfte Licht der
untergehenden Sommersonne tauchte das Land in einen
goldenen Schimmer, in dem alles freundlich aussah. Das grüne

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Laubmeer um sie herum, nur durchbrochen von weißen Flecken
marmorener Mauerreste und halbverfallener Dächer, faszinierte
sie. Doch als die Nacht kam und die Schatten sich verdichteten,
wurde Nalissa unruhig. oDer Nachtwind flüsterte unheimliche
Dinge durch die Zweige, die breiten Palmblätter und das hohe
Gras; und die Sterne glitzerten kalt und fern. Alte Sagen und
Geschichten kamen ihr wieder in den Sinn, und sie bildete sich
ein, daß da noch andere Geräusche waren als das heftige
Pochen ihres Herzens - das Rauschen unsichtbarer schwarzer
Schwingen und das Gemurmel unheimlicher Stimmen.

Sie betete, daß die Mitternacht kommen möge und mit ihr Dalgar.
Hätte Kull sie so gesehen, so hätte er nichts von den
geheimnisvollen Tiefen ihrer Augen erblickt, und nichts, das auf
ihre große Zukunft am valusischen Hof hinwies; er hätte nur ein
verängstiges kleines Mädchen vor sich gesehen, das sich nichts
mehr ersehnte, als in die Arme genommen und liebevoll
festgehalten zu werden.

Aber daran, diesen unheimlichen Ort zu verlassen dachte sie gar
nicht.

Die Zeit schien überhaupt nicht vergehen zu wollen, aber
irgendwie verstrich sie doch. Endlich kündigte ein erster bleicher
Schimmer den aufgehenden Mond an, und sie wußte, daß die
Stunde der Mitternacht nah war.

Plötzlich vernahm sie einen Laut, der sie aufspringen ließ. Ihr
Herz schlug bis zum Hals. Irgendwo in den verlassenen Gärten
zerriß ein Ruf und das Klirren von Stahl die Stille der Nacht. Ein
kurzer, schriller Schrei ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.
Dann senkte sich die Stille wie ein greifbares Gespinst herab.

Dalgar - Dalgar! Der Gedanke hämmerte in ihrem gelähmten
Verstand. Ihr Geliebter war gekommen und von jemandem - oder
etwas - überfallen worden.

Sie schlich aus ihrem Versteck, eine Hand an ihr wild pochendes
Herz gepreßt, das ihren Brustkorb zu sprengen drohte. Sie folgte
einem überwachsenen Pfad, und die wispernden Palmblätter
strichen wie Geisterfinger über ihren Körper. Um sie herum war

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ein schwarzer Schlund wogender, lebendiger Schatten, in denen
das Böse lauerte. Es war totenstill.

Vor ihr ragte das verfallene Landhaus auf. Plötzlich traten ihr
lautlos zwei Männer in den Weg. Sie schrie auf, dann war ihre
Zunge vor Entsetzen gelähmt. Sie versuchte zu laufen, doch ihre
Beine versagten den Dienst. Bevor sie einen Schritt machen
konnte, hatte sie einer der Männer gepackt und unter seinen Arm
geklemmt, als wäre sie ein kleines Kind.

"Eine Frau", schnarrte er in einer Sprache, die Nalissa kaum
verstand, doch als Verulisch erkannte. "Gib mir dein Messer, und
ich werde ..."

"Dafür haben wir jetzt keine Zeit", widersprach der andere auf
valusisch. "Sperr sie zu dem anderen. Wir können sie später
beide zusammen erledigen. Aber Phondar will ihn vorher sehen
und ausquetschen."

"Wird nicht viel dabei herauskommen", grollte der veruli-sche
Hüne und folgte seinem Gefährten. "Der wird nicht reden - soviel
kann ich dir sagen. Seit er in unseren Händen ist, hat er nur
Flüche von sich gegeben."

Naiissa hing hilflos unter dem Arm des Riesen und war starr vor
Angst, doch ihre Gedanken überschlugen sich. Wer war dieser
>andere<, den sie ausquetschen und dann töten wollten?

Der furchtbare Gedanke, daß das nur Dalgar sein konnte,
vertrieb ihre eigene Furcht und erfüllte sie mit einer wilden und
verzweifelten Wut. Sie begann sich zu winden und zu treten, was
ihr einen klatschenden Schlag eintrug, der sie aufschreien ließ
und ihre Augen mit Tränen füllte. Sie fügte sich in ihre Lage und
wurde bald darauf grob durch einen finsteren Eingang gestoßen,
daß sie fiel und erschöpft liegen blieb.

"Sollten wir sie nicht lieber fesseln?" meinte der Hüne.

"Wozu? Sie kann nicht entkommen. Und ihn kann sie auch nicht
befreien. Komm schon, wir dürfen keine Zeit verlieren."

Naiissa setzte sich auf und blickte sich verzagt um. Sie befand
sich in einem kleinen Raum, dessen Ecken mit Spinnweben
verhangen waren. Staub lag dick auf dem Boden, übersät mit

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Marmorschutt von den verfallenden Mauern. Ein Teil des Daches
war eingestürzt, und das Licht des höhersteigenden Mondes fiel
durch die Öffnung. In seinem Licht entdeckte sie die Gestalt, die
nahe der Wand am Boden lag. Sie wich zurück und biß sich in
einer schrecklichen Ahnung auf die Lippen. Dann erkannte sie
mit unendlicher Erleichterung, daß der Mann viel zu groß war, als
daß er Dalgar hätte sein können. Sie kroch zu ihm und blickte in
sein Gesicht. Er war geknebelt und an Händen und Füßen
gefesselt. Über dem Knebel starrten zwei kalte, graue Augen sie
an.

"König Kull!" Nalissa preßte die Hände an ihre Schläfen, als der
Raum um sie herum vor ihren erschrockenen Augen zu
verschwimmen schien. Doch im nächsten Augenblick zerrten ihre
schlanken, kräftigen Finger am Knebel. Minutenlang mühte sie
sich ab, bis sein Mund endlich frei war. Kull bewegte erleichtert
die Kiefer und fluchte in seiner Muttersprache, selbst noch in
diesem Augenblick darauf bedacht, die zarten Ohren des
Mädchens nicht zu verletzen.

"Oh, mein Lord, was tut Ihr hier?" Das Mädchen rang die Hände.

"Entweder ist mein oberster Ratgeber ein Verräter, oder ich bin
ein vollkommener Narr!" grollte Kull. "Ein Bote kam zu mir mit
einer Nachricht in Tus Handschrift und sogar versehen mit dem
königlichen Siegel. Ich folgte ihm, wie Tu mir riet, durch die Stadt,
zu einer Pforte, die mir bisher unbekannt gewesen war. Von
dieser Pforte wußten offenbar nur die Verschwörer. Draußen
erwarteten sie uns mit Pferden, und wir ritten wie die Teufel in
diese verfluchten Gärten. An der Mauer ließen wir die Pferde
zurück, und ich marschierte. wie ein blinder Narr in die Falle. |

Als ich durch die Tür kam, fiel ein großes Kampfnetz über mich,
in dem sich Klinge und Schwertarm verfingen. Ein Dutzend
Schurken stürzte sich auf mich. Aber sie hatten sich die Sache
ein wenig zu leicht vorgestellt. Zwei hingen an meinem rechten
Arm, so konnte ich meine Klinge nicht gebrauchen, aber ich trat
einen in die Seite, daß seine Rippen brachen. Dann hatte ich
meine Linke durch das Netz, und einer machte Bekanntschaft mit
meinem Dolch. Er schrie wie eine verdammte Seele, als er starb.

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Aber bei Valka, es waren zu viele. Sie rissen mir schließlich das
Kettenhemd vom Leib" - Naiissa sah, daß der König nur eine Art
Lendenschurz trug - "und fesselten mich. Der Teufel selbst
könnte diese Stricke nicht abstreifen oder die Knoten lösen.
Einer der Kerle war ein Seemann, und ich weiß von früher, wie
sie ihre Knoten knüpfen. Ich war einst Galeerensklave."

"Aber was kann ich tun?" jammerte das Mädchen händeringend .

"Such dir ein größeres Marmorstück und schlage einen
scharfkantigen Splitter ab", erklärte Kull rasch. "Du mußt
versuchen, diese Stricke durchzuschneiden ..."

Sie tat, wie ihr geheißen und brachte ein langes, schmales
Steinstück zustande, dessen gekrümmte Kante scharf wie ein
Messer mit schartiger Schneide war.

"Ich fürchte, damit werde ich Euch verletzen", sagte sie
entschuldigend, als sie anfing.

"Schneide meinetwegen durch Haut, Fleisch und Knochen, aber
befreie mich!" knurrte Kull mit flammenden Augen. "Wie ein
blinder Narr in der Falle! Oh, ich einfältiger Tor! Valka, Honon
und Hotath! Wenn ich diese unseligen Schurken erst in den
Fingern habe - wie kommst du hierher?"

"Laßt uns später darüber sprechen", sagte sie ziemlich atemlos.
"Jetzt ist keine Zeit."

Beide schwiegen, während das Mädchen an den zähen Stricken
sägte, ohne auf ihre eigenen Hände zu achten, die bald
aufgerissen und blutig waren. Langsam, Faser um Faser, gaben
die Stricke nach, aber sie waren noch immer stark genug, einen
Menschen zu halten, als vor dem Eingang schwere Schritte
erklangen.

Naiissa erstarrte. Eine Stimme sagte: "Er ist da drin, Phon-dar,
gefesselt und geknebelt. Eine kleine Valusierin, die uns hier über
den Weg lief, ist bei ihm."

"Dann seid auf der Hut vor einem jungen Gockel", sagte eine
andere Stimme, deren rauher harter Klang verriet, daß der Mann
Gehorsam gewohnt war. "Höchstwahrscheinlich war sie hier mit
irgendeinem jungen Stutzer verabredet. Du .,."

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"Keine Namen, keine Namen, guter Phondar", unterbrach ihn die
weiche Stimme eines Valusiers. "Vergiß unsere Abmachung
nicht. Bis zu dem Tag, an dem Gomlah den Thron besteigt, bin
ich nur - der Maskierte."

"Gut", brummte der Verulier. "Du hast heute nacht gute Arbeit
geleistet. Maskierter. Kein anderer wäre dazu imstande
gewesen, denn nur du konntest uns das königliche Siegel
beschaffen, und nur du konntest Tus Schrift gut genug fälschen -
hast du den Alten umgebracht?"

"Vielleicht. Wenn nicht heute, so stirbt er am Tag, da Gomlah den
Thron besteigt. Das Wichtigste ist, daß sich der König in unserer
Gewalt befindet."

Kull zermarterte sich das Gehirn, wem die in seinen Ohren so
bekannt klingende Stimme des Verräters gehörte. Und Phondar -
Grimm verzerrte seine Züge. Wahrlich eine Verschwörung
ungeheuren Ausmaßes, wenn Verulien gleich den Befehlshaber
der königlichen Streitkräfte sandte, um die schmutzige Arbeit zu
tun. Der König kannte Phondar gut, denn der hatte schon
mehrmals an seinem Hof geweilt.

"Hole ihn heraus", sagte Phondar. "Wirbringen ihn in die
Folterkammer. Ich will ein paar Antworten von ihm haben."

Die Tür wurde geöffnet, und ein Mann trat ein. Es war der;

Hüne, der Nalissa gefangen hatte. Die Tür fiel hinter ihm zu. | Er
durchquerte den Raum, ohne Naiissa zu beachten, die in' einer
Ecke kauerte. Er beugte sich über den gefesselten König, ergriff
ihn an der Schulter und an den Beinen, um ihn hochzuheben. Da
ertönte ein schnappendes Geräusch, als Kull seine ganze
gewaltige Kraft in einen einzigen Ruch legte und die restlichen
Fesseln zerriß.

Er war noch nicht lange genug gebunden gewesen, daß die
Durchblutung und seine Kraft darunter gelitten hätten, Wie eine
Python zustößt, so fuhren seine Hände an die Kehle des Hünen
und drückten sie zusammen wie eiserne Zwingen.

Der Mann sank auf die Knie. Mit einer Hand versuchte er Kulls
Finger von seiner Kehle zu reißen, mit der anderen griff er nach

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seinem Dolch. Seine Finger gruben sich eisenhart in Kulls
Handgelenk, der Dolch glitt aus der Scheide, doch dann traten
seine Augen aus den Höhlen, und die Zunge kam zwischen den
Zähnen hervor. Die Finger lösten sich um Kulls Handgelenk, und
der Dolch entfiel der kraftlosen Hand. Der Verulier erschlaffte.
Seine Kehle war unter dem schrecklichen Würgegriff
buchstäblich zerquetscht worden. Kull brach mit einem mächtigen
Ruck sein Genick. Während er ihn losließ, zog er ihm das
Schwert aus dem Gürtel. Naiissa hatte den Dolch aufgehoben.

Der Kampf hatte nur ein paar Atemzüge lang gedauert und kaum
mehr Geräusche verursacht als ein Mann, der eine schwere
Last aufhob und über die Schulter warf.

"Beeil dich!" rief Phondar draußen ungeduldig, und Kull, der sich
wie ein Tiger zum Angriff duckte, überlegte blitzartig. Er wußte,
daß sich wenigstens zwanzig Verschwörer in den Gärten
befanden. Den Stimmen nach zu schließen hielten sich allerdings
im Augenblick nur zwei oder drei in der Nähe der Tür auf. Dieser
Raum war kein geeigneter Ort zur Verteidigung. Jeden Moment
mußte jemand hereinkommen, um nach dem Grund der
Verzögerung zu sehen. Er faßte einen schnellen Entschluß und
handelte sofort.

Er nickte dem Mädchen zu. "Sobald ich draußen bin, läufst du
ebenfalls hinaus und linker Hand die Stiege hoch." Sie nickte
zitternd, und er tätschelte beruhigend ihre Schulter. Dann wirbelte
er herum und stieß die Tür auf.

Die Männer draußen, die den Verulier mit dem hilflosen König auf
den Schultern erwartet hatten, erstarrten bei dem völlig
überraschenden Anblick: Kull stand in der Tür, halb nackt, zum
Sprung geduckt wie ein Tiger in Menschengestalt, die Zähne in
purer Kampfeswut gefletscht, die Augen vor Grimm lodernd. Sein
Schwert wirbelte wie ein silbernes Rad im Mondlicht.

Kull sah Phondar in diesem kurzen Augenblick vor sich, neben
ihm zwei verulische Soldaten und eine schlanke Gestalt mit einer
schwarzen Maske. Dann war er mitten unter ihnen, und der
Totentanz begann. Der verulische Befehlshaber fiel unter dem
ersten Schwertstreich des Königs, der seinen Schädel trotz des

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Helms bis zu den Zähnen hinab spaltete. Der Maskierte riß seine
Klinge aus dem Gürtel und stieß zu. Die Spitze fuhr über Kulls
Wange. Einer der Soldaten stieß mit dem Speer nach Kull, wurde
abgewehrt und lag im nächsten Augenblick tot auf seinem
Kommandanten. Der zweite Soldat wich zurück und stürzte
davon, wobei er lautstark nach seinen Kameraden rief. Der
Maskierte wich parierend vor dem ungestümen Angriff des
Königs zurück, wobei er seine Klinge mit fast unheimlichem
Geschick gebrauchte. Er kam nicht dazu, selbst anzugreifen. Der
wilde Ansturm des Königs drängte ihn vollkommen in die
Verteidigung. Kull hämmerte auf seine Klinge ein wie ein Schmied
auf den Amboß, und immer wieder schien es, als würde der
lange verulische Stahl den maskierten und verhüllten Kopf
zerschmettern, doch immer fuhr die schmale valusische Klinge
dazwischen, lenkte den Hieb eine Spur zur Seite oder parierte
ihn um Haaresbreite.

Dann sah Kull die verulischen Soldaten durch das Dickicht
rennen und hörte das Klirren ihrer Waffen und ihre grimmigen
Rufe. Hier im offenen Gelände würden sie ihn von allen Seiten
angreifen und wie eine Ratte aufspießen können. Er führte einen
letzten Streich gegen den zurückweichenden Valusier, dann
wandte er sich um, lief behende die Treppe hinauf, wo Nalissa
bereits wartete.

Oben angelangt wandte er sich seinen Angreifern zu. Er und das
Mädchen standen auf einer Art künstlichem Vorsprung. Eine
Treppe führte hinauf, und einst hatte auch eine auf der anderen
Seite hinabgeführt, doch sie war vor langer Zeit eingestürzt. Kull
sah, daß sie sich in einer Sackgasse befanden. Die Mauern
waren zwar mit tief gemeißelten Verzierungen versehen, doch So
sei es, dachte Kull, hier sterben wir. Aber wir werden viele mit uns
nehmen.

Die Verulier sammelten sich unter der Führung des
geheimnisvollen, maskierten Valusiers am Fuß der Treppe.

Kull faßte sein Schwert fester und warf den Kopf zurück, eine
unbewußte Bewegung aus den Tagen, als sein Haar wie eine
ungebändigte Löwenmähne gewesen war.

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Kull hatte den Tod nie gefürchtet und tat es auch jetzt nicht. Es
gab nur einen Grund, der ihn den Grimm und die Lust des
Kampfes nicht wie einen alten Freund herbeisehnen ließ: das
Mädchen an seiner Seite. Ihre zitternde Gestalt und ihr bleiches
Gesicht bewirkten einen plötzlichen Entschluß.

Er hob eine Hand und rief: "He, ihr Männer Veruliens! Ich bin
zum Kampf bereit! Viele von euch werden vor mir fallen. Aber
wenn ihr das Mädchen ungeschoren laßt, werde ich mich ohne
Gegenwehr ergeben, und ihr könnt mich töten wie ein Schaf."

Naiissa schrie protestierend auf, und der Maskierte lachte. "Kein
Handel mit einem, der bereits so gut wie tot ist. Das Mädchen
muß auch sterben. Ich mache keine Versprechungen, die ich
nicht halten will. Vorwärts, Männer, holt sie euch!"

Sie schwemmten wie eine schwarze Woge des Todes die
Treppe herauf. Ihre Schwerter blitzten silbern und tödlich im
Mondlicht. Einer war seinen Kameraden weit voraus, ein Hüne,
der eine Streitaxt über den Kopf schwang. Er war schneller
heran, als Kull geschätzt hatte, und stand im nächsten Augenblick
auf der Plattform. Kull griff an, und die Axt sauste herab.

Er fing den schweren Stiel mit der Linken ab. Nur wenige Männer
hätten das vermocht. Gleichzeitig führte er einen mächtigen
seitlichen Schwertstreich mit der Rechten, der Rüstung, Muskeln
und Knochen durchhieb, daß die Klinge zerbrach und in der
Wirbelsäule steckenblieb.

Kull ließ den nutzlosen Griff los und entriß die Axt der kraftlosen
Faust des sterbenden Kriegers, der die Stufen hinabrollte. Kull
lachte grimmig auf.

Die Verulier auf der Treppe zögerten, obgleich sie der Maskierte
von unten her anstachelte. Sie begehrten auf.

"Phondar ist tot", rief einer. "Sollen wir dulden, daß ein Valusier
Befehle gibt? Das ist ein Teufel und kein Mann, der uns
gegenübersteht! Laßt uns verschwinden, so lange wir noch
können!"

"Ihr Narren!" rief der Maskierte wutschnaubend. "Begreift ihr
denn nicht, daß es keine Sicherheit für euch gibt, solange der

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König lebt? Wenn ihr heute versagt, wird euch euer eigenes
Land verstoßen und zusammen mit ganz Valusien auf euch Jagd
machen! Vorwärts, ihr Narren! Ein paar von euch werden
sterben, aber besser, ein paar sterben durch des Königs Axt, als
alle zusammen durch den Galgen. Wenn einer von euch kehrt
macht und diese Stufen herunterkommt - werde ich ihn
eigenhändig töten!" Er hob das lange, schmale Schwert drohend.

Mehr als zwanzig zählte ihre Schar, und sie waren verzweifelt.
Sie fürchteten den Maskierten, und sie wußten, daß er recht
hatte. Deshalb wandten sie sich wieder Kull zu und sammelten
ihren Mut zum entscheidenden und letzten Sturmangriff.
Währenddessen gewahrte Nalissa eine Bewegung am Fuß der
Mauer. Ein Schatten löste sich aus der Vielzahl anderer Schatten
und bewegte sich an der Mauer aufwärts. Er kletterte affenartig
entlang der tiefen Verzierungen. Diese Seite der Mauer lag im
Mondschatten, deshalb konnte sie die Züge des Mannes nicht
erkennen. Zudem trug er einen schweren Helm, der sein Gesicht
verdeckte.

Sie sagte nichts zu Kull, der mit erhobener Axt am
Treppenabsatz stand, sondern huschte zum Rand der Mauer und
kauerte sich hinter den Trümmerstücken einer einstigen
Brüstung nieder. Jetzt konnte sie erkennen, daß der Mann von
Kopf bis Fuß gerüstet war, doch noch immer war ihr kein Blick
auf seine Züge vergönnt. Ihr Atem kam in heftigen Stößen, als
sie den Dolch hob, während sie mit aller Kraft gegen die
wachsende Übelkeit ankämpfte.

Als ein gepanzerter Arm über die Mauerkante griff, sprang sie
rasch und lautlos wie eine Tigerin und stach in das ungeschützte
Gesicht, das sich ihr plötzlich im Mondlicht zuwandte. Und noch
während der Dolch hinabzuckte, und sie den Stoß nicht mehr
aurhalten konnte, schrie sie vor Entsetzen auf, denn in diesem
kurzen Moment erkannte sie das Gesicht ihres Geliebten, Dalgar
von Farsun.

5 Der Kampf auf der Treppe

Nachdem Dalgar die aufgeregte Schar um Ka-nu unauffällig
verlassen hatte, lief er zu seinem Pferd und ritt im Galopp zum

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Osttor. Er hatte gehört, wie Ka-nu Anweisung gab, die Tore zu
schließen und niemanden hinauszulassen, und er ritt wie ein
Wahnsinniger, um dem zuvorzukommen. Es war ohnehin
schwierig, bei Nacht aus der Stadt zu gelangen, und Dalgar, der
erfahren hatte, daß die Tore in dieser Nacht nicht von den
unbestechlichen Roten Reitern bewacht wurden, hatte vorgehabt,
sich mit der Überzeugungskraft von Münzen Durchlaß zu
verschaffen. Doch nun hing alles von der Dreistigkeit seines
Planes ab.

Schweißgebadet erreichte er das Osttor und rief: "Öffnet das
Tor! Ich muß noch heute nacht zur verulischen Grenze reiten!
Rasch! Der König ist verschwunden! Laßt mich durch und
verschließt das Tor gut! Im Namen des Königs!"

Und als der Soldat zögerte: "Rasch, ihr Narren! Der König ist
vielleicht in großer Gefahr! Horcht!"

Weit über die Stadt erklang das tiefe Dröhnen der großen
bronzenen Glocke des Königs, die nur geläutet wurde, wenn sich
der König in Gefahr befand. Die Wachen wurden lebendig. Sie
wußten, daß der Edelmann Dalgar bei Hof in hohem Ansehen
stand. Sie glaubten seinen Worten, und sein entschlossenes
Auftreten ließ sie augenblicklich die großen Eisentore öffnen. Er
schoß wie der Blitz durch und war augenblicklich in der
Dunkelheit verschwunden.

Während des Rittes dachte er an Kull und hoffte, daß ihm nichts
Ernstes zugestoßen war, denn er mochte den rauhen und
offenen Barbaren weitaus lieber als all seine zivilisierten und
blutlosen Vorgänger auf dem Thron der Sieben Reichet

Wenn diese Sache nicht gewesen wäre, hätte er bei der Suche
geholfen, doch Nalissa wartete auf ihn, und er war bereits spät
dran.

Als der junge Edelmann in die Gärten hineinritt, hatte er das
untrügliche Gefühl, daß dieser einsame abweisende Ort alles
andere denn verlassen war. Im nächsten Augenblick hörte er das
Klirren von Stahl, das Geräusch vieler eiliger Schritte und eine
wütende Stimme, die etwas in einer fremden Sprache rief. Er glitt

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vom Pferd und zog sein Schwert. Dann kroch er durch das
niedere Buschwerk, bis das verfallene Landhaus vor ihm
auftauchte. Dort erwartete ihn ein seltsames Bild. Oben auf einer
halbverfallenen Treppe stand ein fast nackter, blutbesudelter
Hüne. Er erkannte, daß es der König von Valusien war. An
seiner Seite stand ein Mädchen - ein halb erstickter Schrei kam
über Dalgars Lippen. Naiissa! Seine Nägel gruben sich in das
Fleisch seiner Hand, als er sie zur Faust ballte. Wer waren diese
dunkel gekleideten Männer, die die Treppe umlagerten? Gleich
wer, sie waren auf den Tod des Königs und des Mädchens aus.
Da vernahm er Kulls Stimme, als dieser seinen Gegnern sein
Leben für das des Mädchens bot, und ein Gefühl großer
Dankbarkeit überflutete ihn. Dann fielen ihm die tiefen
Ornamente in der Mauer auf. Augenblicke später kletterte er
bereits empor, um das Mädchen zu beschützen, das er liebte,
und, wenn es keinen anderen Weg gab, an der Seite des Königs
zu sterben.

Er hatte Naiissa aus dem Blickfeld verloren, doch jetzt während
des Kletterns wagte er nicht, sich nach ihr umzusehen. Die
Steine waren schlüpfrig, der Halt trügerisch. Er sah sie erst
wieder, als er den oberen Rand erreichte und sich hochziehen
wollte. Da hörte er ihren Schrei und sah ihre Hand mit einem
metallischen Aufblitzen auf sein Gesicht zukommen. Er duckte
sich und fing den Schlag mit dem Helm ab. Die Klinge des
Dolches brach vom Griff, und Naiissa sank im nächsten
Augenblick in seine Arme.

Ihr Schrei hatte Kull mit erhobener Axt herumwirbeln lassen. Er
hielt inne, als er den Farsunier erkannte, und sofort begriff er. Er
wußte, warum das Paar hier war und grinste beifällig.

Der zweite Ansturm kam zum Halten, als die Verulier den zweiten
Mann auf der Plattform entdeckten. Doch dann setzten sie sich
erneut in Bewegung und sprangen die Stufen hoch. Ihre
Schwerter schimmerten im Mondlicht. Ihre Augen leuchteten aus
verzerrten Gesichtern. Kull empfing den ersten mit einem
mächtigen Hieb von oben, der Helm und Schädel zerschmetterte.
Dann war Dalgar an seiner Seite. Seine Klinge zuckte vor und

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durchbohrte eine veru-lische Kehle. Damit begann der Kampf auf
der Treppe, der seither in den Liedern der Sänger und Dichter
unsterblich geworden ist.

Kull sah dem Tod ins Auge und teilte ihn aus mit blutiger Hand. Er
verschwendete kaum einen Gedanken an Verteidigung. Seine
Axt schwang in einem Rad des Todes um ihn, und bei jedem
Treffer knirschten Stahl und Knochen, spritzte Blut und erklang
ein Schrei der Pein oder des Todes. Leichen verstopften den
Aufgang, aber die Überlebenden kletterten über die blutigen
Leichen ihrer Kameraden.

Dalgar bot sich wenig Gelegenheit für Hieb oder Stich, doch er
sah sofort, daß seine wichtigste Aufgabe darin bestand, Kull zu
schützen, der zwar ein geborener Kämpfer war, aber ohne
Rüstung nicht lange überleben würde.

So wob Dalgar mit all seiner Geschicklichkeit mit der Klinge einen
stählernen Schutzschild um den König. Wieder und wieder lenkte
er eine Schwertspitze von Kulls Brust, wieder und wieder
blockierte sein gepanzerter Arm einen tödlichen Hieb. Zweimal
fing er mit seinem Helm Schwertstreiche ab, die dem
ungeschützten Haupt des Königs galten.

Es ist nicht leicht, einen anderen und sich selbst gleichzeitig zu
decken. Kull blutete aus Schnitten im Gesicht und an der Brust,
aus einer Platzwunde an der Schläfe, einem Stich in den
Schenkel und einer tiefen Wunde an der Schulter. Eine Lanze
hatte Dalgars Harnisch durchbohrt und war in seine Seite
gedrungen. Er spürte, wie seine Kräfte schwanden. Unter einem
letzten rasenden Ansturm der Feinde ging der Farsunier zu
Boden. Er fiel vor Kulls Füße, und ein Dutzend Klingen waren auf
sein Leben aus. Mit löwenartigem Brüllen und einem mächtigen,
weiten Schwung seiner blutigen Axt fegte Kull sie beiseite und
sprang schützend über den gefallenen Jüngling. Dann drangen
sie erneut auf ihn ein ...

Da erklang das Donnern von Pferdehufen, als eine wilde
Reiterschar wie Wölfe im Mondlicht heulend in die Verdammten
Gärten preschte. Ein Hagel von Pfeilen sang auf die Treppe zu,
Männer schrien und stürzten zu Boden oder zerrten an den

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mörderischen Schäften, die tief im Fleisch saßen. Die wenigen,
die Kulls Axt und den Pfeilen entgangen waren, flohen die Stufen
hinab, wo sie den Krummschwertern Brules und seiner Pikten
gegenüberstanden. Dort starben sie, diese tapferen verulischen
Krieger, bis zum letzten Mann kämpfend - Schergen eines
verräterischen Königs. Sie starben ehrlos und ohne Ruhm, aber
sie starben wie Männer.

Doch einer starb nicht dort unten am Fuß der Treppe. Der
Maskierte war beim ersten Geräusch der näherkommenden
Reiter geflohen und galoppierte auf dem Rücken eines schnellen
Pferdes durch die Gärten. Er hatte fast die Außenmauer erreicht,
als ihm Brule, der Speerkämpfer, den Weg versperrte. Von
seinem Platz auf der Plattform konnte Kull den Kampf der beiden
im Mondlicht verfolgen.

Der Maskierte hatte seine Rückzugstaktik aufgegeben. Er griff
den Pikten mit wilder Verwegenheit an, und der Speerkämpfer
stellte sich ihm, Pferd gegen Pferd, Mann gegen Mann, Schwert
gegen Schwert. Beide waren ausgezeichnete Reiter. Ihre Tiere
tänzelten, drehten sich, bäumten sich auf unter dem Ruck der
Zügel oder dem Druck der Schenkel. Doch während all dieser
lenkenden Bewegungen verebbte das Klirren der Schwerter nicht
einen Augenblick. Brule focht im Gegensatz zu seinen
Stammeskriegern mit dem schmalen geraden valusischen
Schwert. In Reichweite und Behendigkeit waren sie einander
ebenbürtig, und Kull hielt immer wieder den Atem an und grub
seine Zähne in seine Lippen, wenn es schien, als fiele Brule
durch einen überraschenden gefährlichen Hieb oder Stich.

Es gab kein wildes aufeinander Einhauen bei diesen beiden
erfahrenen Kämpfern. Auf Stoß folgte Gegenstoß, Parieren und
erneuter Stoß. Plötzlich schien Brule vor der Klinge des Gegners
zurückzuweichen. Er parierte mit wilden Streichen und bot dem
Gegner eine Blöße. Der Maskiere gab seinem Pferd die Fersen,
als er zustieß, so daß Schwert und Pferd wie eine Einheit
vorwärtsschossen. Brule lehnte sich zur Seite, ließ die Klinge
über die Seite seines Harnisches abgleiten, während seine
eigene nach vorn stieß, so daß Ellenbogen, Handgelenk, Griff

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und Spitze von der Schulter aus eine gerade Linie bildeten. Die
Pferde prallten gegeneinander und überschlugen sich auf dem
Boden. Doch aus dem Gewirr von schlagenden Hufen erhob sich
nur Brule unverletzt, während der Maskierte von Brules Klinge
durchbohrt im Gras liegenblieb.

Kull erwachte wie aus einer Lähmung. Die Pikten heulten wie
Wölfe um ihn herum, bis er Ruhe heischend die Hand hob.
"Genug! Ihr habt triumphiert! Aber kümmert euch jetzt um Dalgar.
Er ist schwer verwundet. Und wenn ihr mit ihm fertig seid, könnt
ihr nach meinen Wunden sehen. Brule, wie habt ihr mich
gefunden?"

Brule stand über dem toten Maskierten und winkte Kull zu sich.

"Eine Bettlerin hat gesehen, wie Ihr über die Palastmauer
geklettert seid. Und weil sie neugierig war, folgte sie Euch und
sah Euch durch die vergessene Pforte die Stadt verlassen. Wir
patrouillierten gerade im Grasland zwischen der Stadtmauer und
den Gärten, als wir Waffenlärm hörten. Wer aber mag das
sein?"

"Nimm ihm die Maske ab", sagte Kull. "Wer immer sich dahinter
verbirgt, hat Tus Handschrift gefälscht und den Siegelring
genommen. Er ..."

Brule zog die Maske vom Gesicht des Toten.

"Dondal!" entfuhr es Kull. "Tus Neffe! Brule, Tu darf es niemals
erfahren. Er soll glauben, daß Dondal mit dir geritten und im
Kampf für seinen König gefallen ist."

Brule schien es nicht zu begreifen. "Dondal! Ein Verräter! Wie ist
es möglich? Wie oft habe ich mit ihm Wein getrunken und
meinen Rausch in einem seiner Betten ausgeschlafen."

Kull nickte. "Ich mochte ihn auch."

Brule säuberte seine Klinge und schob sie mit einem
scharrenden Laut in die Hülle. "Die Not macht einen Schurken
aus fast jedem Mann", stellte er düster fest. "Er war tief
verschuldet - Tu war ein alter Geizkragen. Er pflegte zu sagen,
daß Geld die jungen Männer nur verderben würde. Dondals Stolz
war kostspieliger, als er sich leisten konnte, so fiel er Wucherern

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in die Hände. Für mich ist Tu der wirkliche Verräter, denn er hat
den Jungen mit seinem Geiz zum Verrat getrieben. Fast
wünschte ich, meine Klinge hätte sein Herz durchbohrt anstatt
Dondals."

Damit wandte sich der Pikte ab und ging mit düsterem Gesicht.

Kull kehrte zu Dalgar zurück, der noch halb besinnungslos auf
der Plattform lag, während die Piktenkrieger mit erfahrenen
Händen seine Wunden verbanden. Andere kümmerten sich um
den König, und während sie das Blut stillten und die Wunden
reinigten und verbanden, kam Nalissa zu Kull.

"Majestät." Sie streckte ihm ihre kleinen, nun zerkratzten und
blutverkrusteten Hände entgegen. "Habt Ihr jetzt vielleicht
Erbarmen mit uns - und erfüllt meine Bitte ..." Ihre Stimme hielt
erstickt inne. "... wenn Dalgar nicht stirbt?"

Kull faßte sie an den zierlichen Schultern und schüttelte sie
gequält.

"Mädchen, Mädchen, Mädchen! Erbitte alles von mir, nur nicht,
was ich dir nicht gewähren kann. Verlange das halbe Königreich
oder meine rechte Hand, und sie ist dein. Ich werde Murom
fragen, ob er jetzt nicht doch seine Einwilligung zu dieser Heirat
gibt ... Ich werde ihn sogar bitten -aber ich kann ihn nicht
zwingen."

Hochgewachsene Reiter kamen durch die Gärten herbei, deren
prächtige Rüstungen im Mondlicht zwischen den halbnackten
wölfischen Pikten schimmerten. Einer, ein stattlicher Mann, war
abgestiegen und kam gelaufen, wobei er das Visier seines
Helmes öffnete.

"Vater!"

Murom bora Ballin drückte seine Tochter mit dankbarem Seufzen
an seine Brust. Dann wandte er sich dem König zu.

"Majestät, Ihr seid schwer verletzt!"

Kull schüttelte den Kopf. "Nein, nicht schwer, für mich
wenigstens, obgleich ein anderer sich vielleicht steif und wund
fühlen würde. Aber dort liegt der junge Mann, der mir den Tod

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vom Leibe hielt, der mein Helm und mein Schild war, und ohne
den Valusien nun nach einem neuen König schreien würde."

Murom eilte zu der reglosen Gestalt.

"Dalgar! Ist er tot?"

"Es fehlt nicht viel", knurrte ein sehniger Pikte, der noch immer
mit seinen Wunden beschäftigt war. "Aber er ist aus Stahl und
Fischbein. Mit ein wenig Pflege kommt er sicher durch."

"Er kam her, um Eure Tochter zu treffen und mit ihr zu fliehen",
sagte Kull, und Nalissa senkte traurig den Kopf. "Er schlich durch
das Gebüsch und sah mich auf dieser Treppe um mein Leben
kämpfen und um ihres. Er hätte fliehen können. Nichts hätte ihn
daran gehindert. Doch er kletterte die Mauer zu uns hoch in den
sicheren Tod, und er focht so freudig an meiner Seite, als wäre
er zu einem Fest geladen. Dabei ist er von Geburt nicht einmal
mein Untertan."

Muroms Hände ballten und lösten sich. Seine Augen wurden
weich und sanft, als er seine Tochter ansah.

"Naiissa", sagte er liebevoll und zog das Mädchen in seine
gepanzerten Arme, "möchtest du noch immer diesen
verwegenen Burschen zum Mann?"

Ihr Blick war Antwort genug.

Kull befahl: "Hebt ihn vorsichtig auf und tragt ihn in den Palast. Er
soll die beste ..."

Murom fiel ihm ins Wort: "Majestät, wenn es Euch recht ist, laßt
mich ihn in mein Schloß bringen. Dort soll er unter die Obhut der
besten Ärzte kommen, und seine Genesung ... Nun, wenn Eure
Majestät damit einverstanden sind, könnten wir den glücklichen
Umstand mit einer Hochzeit krönen?"

Nalissa jauchzte vor Freude, klatschte in die Hände, küßte ihren
Vater und Kull und flog wie ein Wirbelwind an Dal-gars Seite.

Murom lächelte mild, und sein edles Gesicht leuchtete. "Aus
einer Nacht voll Blut und Schrecken ist Freude und Glück
geboren worden."

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Der Barbar grinste und schulterte seine schartige und blu-tige
Axt.

"So ist das Leben, Graf. Des einen Leid ist des anderen Freud."

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DER KÖNIG UND DIE EICHE

(The King and the Oak)
Bevor die Schatten die Sonne bezwangen, flogen die Falken
frei einher,
Und Kull ritt durch den großen Wald, das Schwert auf den
Knien schwer. Und die Winde flüstern rund um die Welt:
> König Kull reitet zum Meer. <
Die Sonne sank blutrot ins Meer, die Dämmerung brach
herein,
Eines Zauberers Schädel war der Mond, und in seinem
magischen Schein Wurden die großen Bäume des Walds zu
Geistern in einem Höllenhain.
Im fahlen Licht ragten Bäume empor, unmenschlichen
Monstren gleich. Kull schien es, als regte sich jeder Stamm
und wäre lebendig jeder Zweig, Und Geisteraugen glühten
rings, unirdisch, böse und bleich.
Das Astwerk wand sich wie Gewürm, dämonisch anzusehn.
Eine alte Eiche schwankte steif und begann knarrend zu gehn.
Sie riß ihre Wurzeln aus dem Grund und blieb vor dem König
stehn.
An diesem einsamen, finsteren Ort hüb ein grimmiger
Zweikampfan. Stumm rangen in gespenstischer Nacht ein
uralter Baum und ein Mann. Am eisenharten Holz zerbrach der
Dolch in des Königs Hand.
Und während des Kampfes sang der Wald einen düsteren
Refrain,
Den jahrmillionenalten Haßgesang voll Rachegier und Pein:
>Wir waren die Herren, bevor der Mensch kam, Wir werden es
wieder sein. <

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Kull erahnte ein uraltes Reich, gebeugt von den Menschen
schwer,
Wie ein Königreich aus grünem Gras von einem wimmelnden
Ameisenheer. Und ein Grauen ergriff ihn und fiel wie ein Alp
Über den Träumer her.
Mit blutenden Händen setzte er sich gegen den starren Baum
zur Wehr. Da blies ein kühler Morgenwind, wie aus einem
Traum erwachte er.
Und König Kull aus dem stolzen Atlantis ritt schweigend hinab
zum Meer.

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OHNE TITEL

(Untitled Fragment)

Drei Männer saßen um einen Tisch bei einem Spiel. Eine sanfte
Brise wisperte durch das offene Fenster, wehte die dünnen
Vorhänge zur Seite und trug den Duft von Rosen und blühenden
Büschen in den Raum.

Drei Männer saßen um den Tisch, einer war ein König, einer ein
Prinz aus uraltem Hause, der dritte Häuptling eines kriegerischen
Barbarenvolkes.

"Verloren, Brule!" stellte Kull, der König von Valusien, fest,
nachdem er eine seiner Elfenbeinfiguren bewegt hatte. "Mein
Zauberer setzt deinen Krieger außer Gefecht."

Brule nickte. Er war nicht so hünenhaft von Gestalt wie der
König. Er war kräftig, gedrungen und geschmeidig. Kull war der
Tiger, Brule der Leopard. Brule war ein Pikte und bronzefarbig,
wie es für seine Rasse charakteristisch war. Unbewegte Züge,
ein stolzer Kopf, muskulöser Nacken, breite Schultern und
mächtiger Brustkorb sowie sehnige Arme und Beine - das waren
die körperlichen Merkmale seines Volkes. Doch in einem
unterschied sich Brule merklich von seinen Stammesbrüdern:
ihre Augen waren von einem glänzenden dunklen Braun oder
tiefstem Schwarz, seine dagegen von einem schwelenden Blau,
was auf einen Schuß keltischen Blutes hindeutete oder auf jenes
der Wilden, die nahe am Polarkreis in Eishöhlen hausten.

"Ein Zauberer ist schwer zu schlagen, Kull", erklärte Brule,
"sowohl im Spiel als auch in den blutigen Schlachten der
Wirklichkeit. Mein Leben hing einmal an einem seidenen Faden,
als ich meine Kräfte mit einem piktischen Zauberer messen
mußte. Er hatte seine Magie und ich eine gute Klinge."

Er hielt inne, um einen großen Schluck aus seinem mit

rotem Wein gefüllten Becher zu nehmen.

"Erzähl uns die Geschichte, Brule", drängte der dritte

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-1 6 1 -

Spieler. Ronaro, der Prinz des großen Hauses der Ati Volante,
war ein schlanker, vornehmer junger Mann mit feingeschnittenen
Zügen, dunklen Augen und einem wachen, klugen Gesicht. Er
war von nobelster Abstammung, Sproß des weltoffensten
Zweiges der Aristokratie, die das uralte Valusien hervorgebracht
hatte. Die anderen beiden waren das genaue Gegenteil. Er kam
in einem Palast zur Welt, von den anderen beiden wurde der eine
in einer Lehmhütte, der andere in einer Höhle geboren. Ronaros
Stammbaum ließ sich zweitausend Jahre zurückverfolgen, Seine
Ahnherren waren Herzöge, Ritter, Fürsten, Staatsmänner,
Dichter und Könige gewesen. Brule kannte die ungefähre Kette
seiner Ahnen ein paar hundert Jahre weit zurück. Zu ihnen
zählten fellbekleidete Häuptlinge, bemalte und federgeschmückte
Krieger, Schamanen mit Bisonschädelmasken und
Fingerknochenhalsketten und ein oder zwei Inselkönige, die in
Lehmhütten residierten, sowie einen sagenumwobenen Helden
oder zwei, die man ihrer herausragenden Körperkräfte oder
Bluttaten wegen fast als Götter verherrlichte. Kull wußte hingegen
nicht einmal, wer

seine Eltern waren. Aber aus den Zügen der drei leuchtete etwas
Gemeinsames, das die Ketten von Herkunft und
Lebensumständen hinter sich ließ - der natürliche Adel wahren
Mannestums. Diese Männer waren, jeder auf seine Art,
Edelmänner im besten Sinn des Wortes. Ronaros Vorfahren
waren Könige die von Brule in Fell gewandete Häuptlinge; und die
von Kull mochten sowohl Sklaven als auch Häuptlinge gewesen
sein. Aber jeder der drei strahlte diese unbeschreibliche Aura
aus, die den wahrhaft großen Mann kennzeichnet und mit dem
Irrglauben aufräumt, daß alle Menschen gleich geboren würden.

"Nun", begann Brule mit einem Schimmer ferner Erinner-rungen
in den Augen, "es geschah in meiner frühen Jugend, als ich an
meinem ersten Kriegszug teilnahm. Oh, ich hatte schon zuvor
getötet, bei den Streitigkeiten um die Fisch-gründe oder auf den
Stammesfesten, aber ich war noch nicht mit den Narben des
Kriegers ausgezeichnet ..." Er deutete auf seine nackte

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sonnengebräunte Brust, wo die Zuhörer drei kleine waagrechte
Narben erkennen konnten

Während er erzählte, beobachtete ihn Ronaro mit unver-
hohlenem Interesse. Diese stolzen Barbaren mit ihrer
urtümlichen Vitalität und ihrer unverblümten Direktheit
faszinierten den jungen Prinzen. Die Jahre in Valusien als einer
der mächtigsten Verbündeten des Reiches hatten den Pikten
äußerlich verändert - sie hatten ihn nicht gezähmt, ihm jedoch
eine Fassade von Kultur, Bildung und gesell-schaftlichem
Verhalten aufgedrückt. Aber unter dieser Fas-sade lag die
ungezügelte Wildheit des Barbaren noch immer unberührt. An
Kull, einst Krieger in Atlantis und jetzt König von Valusien, war die
Veränderung wesentlich tiefgreifen-der geschehen.

"Ihr müßt wissen", fuhr Brule fort, "daß wir von den Inseln alle
eines Blutes sind, auch wenn es viele Stämme gibt und jeder
Stamm seine ganz eigenen Bräuche und Über-lieferungen hat.
Wir alle erkennen Nial vom Stamm der Tatheli als obersten König
an, doch seine Regentschaft ist nicht tiefgreifend. Er mischt sich
nicht in die Angelegenhei-ten der Stämme, erhebt nicht Tribut
noch Steuern, wie die Valusier es nennen, außer von den Nargi,
den Dano und den Walfängern, die ebenfalls auf der Insel Tathel
leben und denen er Schutz vor anderen Stämmen gewährt. Dafür
nimmt er Tribut von ihnen, doch nicht von meinem Stamm, den
Borni, noch von den anderen. Er greift auch nicht ein, wenn zwei
Stämme einander bekriegen - außer ein Stamm legt sich mit den
dreien an, die unter seinem Schutz stehen.

Wenn der Krieg zu Ende ist, gelten sein Schiedsspruch und
seine Friedensbedingungen: Welche geraubten Frauen
zurückgegeben werden müssen, was für die Kriegsboote bezahlt
werden muß und welcher Blutpreis zu entrichten ist, und so
weiter. Und wenn die Lemurier oder die Kelten oder irgendeine
andere Erobererhorde gegen uns zieht, so ruft er alle Stämme
zusammen. Dann ist aller innerer Streit vergessen, und wir
kämpfen Seite an Seite. Es ist der beste Weg. Er könnte nach
der absoluten Herrschaft greifen, denn sein eigener Stamm ist
sehr mächtig, und mit valusischer Hilfe könnte es ihm gelingen -

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aber er weiß gut, auch wenn er mit Hilfe seiner Verbündeten alle
anderen Stämme in die Knie zwingt, würde es nie mehr Frieden
geben, sondern steten erbitterten Kampf, so lange noch ein
Borni, ein Sungara, ein Wolftöter oder irgendein anderer der
Stammeskrieger am Leben ist."

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DIE SPIEGEL DES TUZUN THUNE

(The Mirrors of Tuzun Thune)

Selbst für Könige kommt einmal die Zeit großer Müdigkeit. Da
wird das Gold des Throns zu Messing; der Palast verliert seinen
Glanz; die Edelsteine der Krone schimmern matt wie das Eis des
weißen Meeres; die Gespräche der Menschen gleichen dem
sinnlosen Rasseln der Schellen des Narren. Ein Gefühl der
Unwirklichkeit beschleicht einen. Selbst die Sonne steht kupfern
am Himmel, und der Hauch der grünen See schenkt keine
Frische mehr.

Kull saß auf Valusiens Thron, und die Stunde der Müdigkeit war
für ihn gekommen. Wie ein endloses Panorama zog alles an ihm
vorbei: Männer, Frauen, Priester, Ereignisse und Schatten von
Ereignissen, Dinge, die zu sehen waren, und solche, die erst
noch getan werden mußten. Aber sie kamen und gingen wie
Schatten und ließen in ihm keinen Eindruck zurück, nur eine
ungeheure Erschöpfung. Und doch war Kull nicht müde. In ihm
steckte eine Sehnsucht nach Dingen außerhalb seiner selbst,
außerhalb des valu-sischen Hofes. Unrast erfüllte ihn, und
seltsame unlösch-bare Träume griffen nach seiner Seele. Auf
seinen Wunsch kam Brule der Speerkämpfer zu ihm, ein Krieger
aus dem Piktenland der Inseln im Westen.

"König, Ihr seid des Lebens auf dem Hof leid. Kommt mit auf
mein Schiff, und wir lassen uns eine Weile von den Wellen
tragen."

"Nein." Trübsinnig stützte Kull das Kinn auf die kräftige Faust.
"Ich bin alles müde. Die Städte langweilen mich -und an den
Grenzen ist es ruhig. Ich höre das Lied der Wellen nicht mehr,
wie damals, da ich als Junge auf den Klippen von Atlantis lag und
die Sterne am Himmel funkelten. Selbst die grünen Wälder
locken mich nicht mehr wie früher. Ein seltsames Sehnen ist in
mir, ein Sehnen über das Leben hinaus. Geh!"

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Gedankenschwer verließ Brule ihn, und Kull brütete weiter auf
seinem Thron. Da stahl sich eine junge Hofdame zu ihm und
flüsterte:

"Großer König, begebt Euch zu Tuzun Thune, dem Zauberer. Er
kennt die Geheimnisse des Lebens und Todes, der Sterne am
Himmel und der Lande unter dem Meer."

Kull blickte das Mädchen an. Wie gesponnenes Gold waren ihre
Haar und ihre veilchenblauen Augen eigentümlich geformt. Sie
war schön, doch ihre Schönheit bedeutete Kull wenig.

"Thuzun Thune", wiederholte er. "Wer ist das?"

"Ein Zauberer der Alten Rasse. Er lebt hier in Valusien am See
der Visionen im Haus der tausend Spiegel. Er weiß Antwort auf
alle Fragen, o König; er spricht mit den Toten und unterhält sich
mit den Dämonen der Verlorenen Lande."

Kull erhob sich.

"Ich werde diesen Wundermann aufsuchen, doch kein Wort
davon zu irgend jemandem, hört Ihr?"

"Ich bin Eure Sklavin, o König." Untertänig sank sie auf die Knie,
doch ihr Lächeln, das Kull nicht zu sehen vermochte, war
verschlagen genau wie ihre Augen.

Und so kam Kull zum Hause Tuzun Thunes am See der
Visionen. Breit und blau erstreckte sich das Wasser des Sees,
und manch prächtiger Palast erhob sich an seinen Ufern. Barken
in Schwanenform trieben ruhig dahin, und weiche Musik stieg von
ihnen auf.

Das Haus der tausend Spiegel erhob sich groß und geräumig,
doch ohne Prunk vor Kull. Die breite Flügeltür stand offen, und so
stieg er die Freitreppe hinauf und betrat unangemeldet das Haus.
In einem Saal, dessen Wände aus Spiegeln bestanden, traf er
auf Tuzun Thune, den Zauberer. Der Mann war alt wie die Berge
von Zangara, seine runzlige Haut wie Leder, doch seine kalten
grauen Augen schimmerten wie Schwertstahl.

"Kull von Valusien, mein Haus ist Euer." Er verbeugte sich und
bot Kull einen thronähnlichen Sessel an.

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"Ihr seid Zauberer, wie ich hörte", sagte Kull ohne Umschweife.
Er stützte das Kinn auf seine Rechte und blickte den Mann
düster an. "Könnt Ihr Wunder wirken?"

Der Zauberer streckte eine Hand aus, die Finger öffneten und
schlössen sich wie die Krallen eines Raubvogels.

"Ist dies kein Wunder - daß dieses blinde Fleisch meinem Geist
gehorcht? Ich gehe, ich atme, ich spreche. Sind das nicht alles
Wunder?"

Kull betrachtete ihn gedankenvoll. "Könnt Ihr Dämonen
beschwören?"

"Ja. Ich kann einen Dämon herbeirufen, der schrecklicher ist als
alle in der Welt der Geister - indem ich Euch ins Gesicht
schlage."

Kull blinzelte, dann nickte er. "Was ist mit den Toten? Könnt Ihr
mit ihnen sprechen?"

"Stets spreche ich mit Toten - so wie jetzt. Der Tod fängt bei der
Geburt an, und jeder beginnt zu sterben, sobald er geboren ist.
Schon jetzt seid Ihr tot, König Kull, weil Ihr geboren wurdet."

"Und Ihr? Ihr seid älter als ein Mensch wird. Sind Zauberer
unsterblich?"

"Menschen sterben, wenn ihre Zeit gekommen ist. Weder früher
noch später. Meine ist noch nicht gekommen."

Kull dachte über diese Worte nach.

"So ist denn der größte Zauberer Valusiens nichts weiter als ein
gewöhnlicher Sterblicher, und ich war ein Narr, Euch
aufzusuchen?

Tuzun Thune schüttelte den Kopf. "Sterbliche sind Sterbliche,
doch die größten Menschen sind jene, die die einfachen Dinge
am raschesten lernen. Blickt in meine Spiegel, Kull."

Die Decke bestand ebenso aus Spiegeln wie die Wände, und all
diese Spiegel waren von den unterschiedlichsten Größen und
Formen, doch alle geschickt aneinandergefügt.

"Spiegel sind die Welt, Kull", murmelte der Zauberer. "Seht in
meine Spiegel und werdet weise."

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Kull schaute sich aufs Geratewohl um. Die Spiegel der
gegenüberliegenden Wand fanden ihr Abbild und spiegelten
wiederum andere wider, so daß es den Anschein hatte, als blicke
er durch einen langen beleuchteten Gang, der von Spiegel um
Spiegel gebildet wurde. Und weit hinten in diesem Korridor
bewegte sich eine winzige Gestalt. Es dauerte eine Weile, bis er
erkannte, daß die Gestalt sein Abbild war. Ein Gefühl der
Unbedeutendheit beschlich ihn. Ihm schien, als wäre dies der
wahre Kull, als zeige das Figürchen seinen wahren Maßstab an.
So trat er rasch zur Seite und stellte sich vor einen anderen
Spiegel.

"Seht genau hin, Kull", hörte er den Zauberer. "Dies ist der
Spiegel der Vergangenheit."

Graue Schleier verbargen die Sicht, gewaltige Nebel-Schwaden
wallten und wandelten sich. Durch diese Schleier sah Kull sich
rasch verändernde, wundersame, aber auch grauenvolle Bilder:
Tiere und Menschen und Wesen, die weder das eine, noch das
andere waren, zogen vorbei;

gewaltige exotische Blüten hoben sich von dem Grau ab:

Hohe tropische Bäume ragten über Sümpfe, in denen sich
ungeheure Reptilien suhlten; gräßliche Drachen flogen durch die
Lüfte, und die ruhelose See brandete ohne Unterlaß über
schlammige Küsten. Noch gab es den Menschen nicht, doch war
er der Traum der Götter, und furchterregend muteten die
Alptraumgeschöpfe an, die durch dichten Urwald schlichen.
Angriff und Abwehr und erschreckender Zeugungsakt, wohin man
sah. Der Tod war allgegenwärtig, denn Leben und Tod gehen
Hand in Hand. Über die Sümpfe der Welt schallte das Brüllen der
Ungeheuer, und unbeschreibliche Gestalten hoben sich hinter
dem Vorhang des unablässigen Regens ab.

"Und das ist die Zukunft."

Kull folgte stumm des Zauberers Blick.

"Was seht Ihr?"

"Eine fremdartige Welt", antwortete Kull schwer. "Die Sieben
Reiche sind zu Staub zerfallen und vergessen. Die ruhelose

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grüne See wogt viele Faden tief über Atlantis' schroffen Bergen,
und die Hochebenen von Lemurien im Westen sind die Inseln
eines unbekannten Meeres. Fremdartige Wilde ziehen heilige
Stätten schändend durch die alten Lande und durch neue, welche
die Kraft des Wassers aus der Tiefe gehoben hat. Valusien und
alle Lande unserer Zeit sind nicht mehr. Die Menschen von
morgen sind Fremde und wissen nichts von uns."

"Die Zeit schreitet voran", entgegnete Tuzun Thune ruhig. "Wir
leben heute. Was kümmert uns das Morgen oder das Gestern?
Das Rad dreht sich, Reiche entstehen und vergehen; die Welt
verändert sich; die Menschen fallen in die Barbarei zurück und
beginnen aufs neue den langen Aufstieg. Valusien war schon vor
Atlantis, und vor Valusien gab es das Reich der Alten. 0 ja, auch
wir schritten auf unserem Vormarsch über jetzt längst
vergessene Volksstämme hinweg. Ihr, der Ihr von den
meerumspülten Bergen Atlantis' gekommen seid, um nach der
alten Krone Valusiens zu greifen, glaubt, mein Volk wäre alt, das
in diesen Landen zu Hause war, ehe die Valusier aus dem Osten
vordrangen, in jenen Tagen, ehe es Menschen auf den Inseln
gab. Doch hier lebten bereits Menschen, bevor die Alten Stämme
aus den Steppen einritten, und vor diesen Menschen andere, ein
Volk folgte dem nächsten. Die Völker vergehen und werden
vergessen, denn das ist das Schickal der Menschen."

"Ja." Kull seufzte. "Doch ist es nicht bedauerlich, daß sein Ruhm
und alles Schöne, was der Mensch geschaffen hat, wie Rauch
dahinschwindet?"

"Warum, da es doch sein Los ist. Ich grüble nicht über den
vergangenen Glanz meiner Rasse, noch mache ich mir
Gedanken über zukünftige. Lebt jetzt, Kull, jetzt! Die Toten sind
tot, die Ungeborenen leben noch nicht. Was kümmert es Euch,
wenn die Menschen Euch vergessen werden, wenn Ihr selbst
Euch in den stillen Welten des Todes vergessen habt? Seht in
meine Spiegel und werdet weise."

Kull blickte in einen weiteren Spiegel.

"Das ist der Spiegel des größten Zaubers; was seht Ihr, Kull?"

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"Nur mich."

"Seht genauer hin, Kull; seid Ihr es wirklich?"

Kull blickte angespannt in den Spiegel, und sein Abbild erwiderte
den Blick.

"Ich stelle mich vor diesen Spiegel", sagte Kull nachdenklich und
stützte das Kinn auf die Faust, "und erwecke diesen Mann zum
Leben. Das kann ich nicht verstehen, denn zum ersten Mal sah
ich ihn in den stillen Gewässern von Atlantis und später in den
goldgerahmten Spiegeln Valusiens. Hier ist er, ein Schatten
meines Selbst, ein Teil von mir. Ich kann ihm Leben geben oder
es ihm nehmen, wie es mir beliebt;

doch ..." Er hielt inne; merkwürdige Gedanken huschten durch die
Tiefen seines Verstandes wie schattenhafte Fledermäuse durch
eine riesige Höhle. "... wo ist er, wenn ich nicht vor einem Spiegel
stehe? Darf ein Mensch so leichtfertig einen Schatten des
Lebens und Seins schaffen und dann vernichten?

Wie will ich wissen, daß er im Nichts verschwindet, wenn ich vom
Spiegel zurücktrete?

Bei Valka, bin ich der echte Mensch, oder ist er es? Welcher von
uns ist der Schatten des andern? Vielleicht sind diese Spiegel
Fenster in eine andere Welt? Sieht er mich so, wie ich ihn sehe?
Bin ich für ihn nicht mehr als ein Spiegelbild, wie er es für mich
ist? Und wenn ich das Abbild bin, welche Art von Welt existiert
dann auf der anderen Seite dieses Spiegels? Welche Armeen
reitert dort? Welche Könige herrschen? Meine Welt ist die
einzige, die ich kenne. Wie soll ich es beurteilen können, wenn
ich nichts von anderen weiß? Gewiß gibt es auch dort grüne
Hügel und brandende Wogen und breite Ebenen, auf denen
Männer in die Schlacht ziehen. Sagt mir, Zauberer, der weiser ist
als die meisten Menschen: Gibt es Welten außerhalb der
unseren?"

"Der Mensch hat Augen zum Sehen", antwortete der Alte. "Wer
sehen möchte, muß zuerst glauben."

Stunden verstrichen, und immer noch saß Kull vor Tuzun Thunes
Spiegeln und starrte in jenen, der sein Bild wiedergab. Manchmal

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vermeinte er, harte Oberflächlichkeit zu sehen, andere Male
gewaltige Tiefen. Wie die Oberfläche der See war der Spiegel
Tuzun Thunes; undurchdringlich wie das Meer in der schräg
einfallenden Sonne und im kargen Sternenschein, wenn kein
Auge in seine Tiefen zu sehen vermag; gewaltig und
geheimnisvoll wie die See, wenn die Sonne gerade auf sie fällt
und dem Beobachter ein atemberaubender Blick auf ungeheuere
Abgründe geboten ist. Derart war der Spiegel, in den Kull
schaute.

Schließlich erhob sich der König seufzend und verabschiedete
sich immer noch staunend. Und Kull besuchte aufs neue das
Haus der tausend Spiegel; Tag für Tag kam er und saß
stundenlang vor dem Spiegel. Die Augen, die ihm
entgegenblickten, waren wie seine, und doch war Kull, als spüre
er einen Unterschied - eine Wirklichkeit, die nicht von ihm kam.

Stunde um Stunde starrte er mit seltsamer Eindringlichkeit in den
Spiegel, und Stunde um Stunde erwiderte das Abbild seinen Blick.

Vernachlässigt wurden Staatsgeschäfte und Besprechungen mit
den Ratgebern. Die Untertanen murrten. Kulls Hengst stampfte
ungeduldig im Marstall, und Kulls Krieger verbrachten die Zeit mit
Würfelspielen und müßiger Unterhaltung. Kull kümmerte es nicht.
Manchmal glaubte er nahe daran zu sein, ein Geheimnis größter
Bedeutung aufzudecken. Er betrachtete das Spiegelbild nicht
mehr als Schatten seiner selbst, es war für ihn zu einer eigenen
Persönlichkeit geworden, die ihm äußerlich zwar ähnlich sah,
doch so weit von Kull entfernt war wie die beiden Pole
voneinander. Das Abbild hatte sein eigenes Wesen, wie Kull
schien, und es war so wenig abhängig von Kull, wie Kull von ihm.
Und Tag für Tag wurde Kull unsicherer, in welcher Welt er
wirklich lebte; war er der Schatten, gerufen durch den Willen des
anderen? Lebte er statt des anderen in einer Welt der
Einbildung, dem Schatten der wirklichen Welt?

Kull fing an, sich zu wünschen, eine kurze Weile in den anderen
jenseits des Spiegels schlüpfen zu können, um zu sehen, was zu
sehen war; doch falls ihm das gelingen würde, könnte er dann je
wieder zurück? Würde er eine Welt vorfinden, genau wie die, in

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der er sich jetzt befand? Eine Welt, von der die seine nur ein
geisterhaftes Abbild war? Was war Wirklichkeit und was Illusion?

Hin und wieder fragte sich Kull, wie solche Gedanken und
Träume je Eingang in seinen Geist gefunden hatten. Und
manchmal fragte er sich auch, ob sie überhaupt aus ihm kamen.
Seine Überlegungen waren seine, niemand vermochte die
Gedanken eines anderen zu beherrschen; er konnte sie nach
Belieben rufen, oder etwa nicht? Waren sie nicht wie
Fledermäuse, die kamen und gingen, nicht nach seinem Willen,
sondern dem ... Wessen? Der Götter? Der Nomen, die das
Schicksal woben? Kull gelangte zu keinem Ergebnis, denn bei
jedem geistigen Schritt verirrte er sich mehr und mehr in einem
Dunst von Scheinannahmen und Widerlegungen. Doch soviel
wußte er: Seltsame Visionen drängten sich ihm auf wie Geister,
die ungebeten aus der Leere des Nichtseins schwebten. Nie
zuvor hatte er sich ähnlichen Gedanken hingegeben, doch jetzt
beherrschten sie ihn im Schlafen und Wachen, daß er manchmal
benommen einherwandelte; und schreckliche Alpträume quälten
ihn.

"Verratet mir, Zauberer", sagte er, während er gebannt vor dem
Spiegel saß, "wie kann ich durch dieses Tor treten? Denn
wahrlich, ich bin mir nicht sicher, ob das, was ich sehe, in
irgendeiner Form existiert."

"Seht und glaubt!" riet der Zauberer. "Man muß glauben, um
etwas zu erreichen. Form ist Schatten, Substanz ist Illusion,
Stofflichkeit ist Traum; der Mensch ist, weil er glaubt zu sein;
aber was ist der Mensch anderes als ein Traum der Götter? Und
doch kann der Mensch sein, was er sein möchte. Form und
Substanz sind nur Schatten. Der Geist, das Ich, das Wesen der
Götterträume - nur das ist wirklich und unsterblich. Seht und
glaubt, wenn Ihr etwas erreichen wollt, Kull."

Der König verstand ihn nicht so recht; eigentlich verstand er die
rätselhaften Äußerungen des Zauberers nie wirklich, doch irgend
etwas tief in ihm reagierte darauf. So saß er Tag für Tag vor den
Spiegeln Tuzun Thunes. Und stets leistete der Zauberer ihm
einem Schatten gleich Gesellschaft.

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So kam der Tag, da sich Kull flüchtig Bilder fremdartiger
Landschaften zeigten; vage Gedanken und Erkenntnisse gingen
ihm durch den Kopf. Tag für Tag verlor er die Beziehung zur Welt
mehr. Zusehends wurde alles für ihn unwirklicher, geisterhafter,
nur der Mann im Spiegel schien Wirklichkeit zu sein. Kull glaubte
nun, den Toren zu mächtigeren Welten nahe zu sein; herrliche
Ausblicke öffneten sich ihm flüchtig; die Nebel der Unwirklichkeit
begannen sich zu lichten. "Form ist Schatten, Substanz ist
Illusion; sie sind nur Schatten", vernahm er wie aus weiter Ferne
in einem Winkel seines Bewußtseins. Er erinnerte sich an die
Worte des Zauberers, und ihm schien, als verstünde er sich nun
fast - Form und Substanz; konnte er sich nicht nach Belieben
verändern, wenn er nur den Schlüssel zu dieser Tür fände?
Welche Welten innerhalb anderer Welten harrten des kühnen
Entdeckers?

Der Mann im Spiegel schien ihm zuzulächeln - näher, näher.
Nebel hüllte alles ein, und das Spiegelbild verdunkelte sich
plötzlich. Kull hatte das Gefühl, zu schwinden, sich zu verändern,
in etwas anderem aufzugehen ...

"Kull!" Der schrille Ruf zerriß die Stille in eine Million vibrierender
Teilchen!

Berge stürzten ein, und Welten wankten, als Kull von dem
verzweifelten Schrei zurückgeworfen, all seine Kräfte auf schier
übermenschliche Weise einsetzte. Wie oder wieso wußte er
nicht.

Ein Klirren, und Kull stand im Saal Thuzun Thunes vor einem
zerschmetterten Spiegel, verwirrt und fast blind vor
Benommenheit. Vor ihm lag der Leichnam des Alten, dessen Zeit
nun abgelaufen war, und über ihm stand Brule mit rot triefendem
Schwert und vor Grauen weit aufgerissenen Augen.

"Valka!". entfuhr es dem Krieger. "Kull, ich kam gerade noch
rechtzeitig!"

"Ja - aber was ist geschehen?" Der König rang nach Worten.

"Fragt diese Verräterin!" Der Pikte deutete auf ein Mädchen, das
furchterfüllt vor dem König kauerte. Kull sah, daß es die junge

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Hofdame war, die ihn zu Tuzun Thune geschickt hatte. "Als ich
hereinkam, sah es aus, als drohtet Ihr Euch in dem Spiegel
aufzulösen wie Rauch im Wind. Bei Valka! Hätte ich es nicht mit
eigenen Augen gesehen, ich könnte es nicht glauben. Ihr wart
schon fast verschwunden, als mein Schrei Euch zurückriß."

"Ja", murmelte Kull, "diesmal hatte ich die Tür fast
durchschritten."

"Dieser Schurke ist äußerst schlau vorgegangen", sagte Brule.
"Kull, erkennt Ihr jetzt, welch ein Netz aus Magie er wob und über
euch warf? Kaanuub von Blaal verschwor sich mit diesem
Zauberer, um sich Euer zu entledigen, und diese Verräterin, ein
Mädchen der Alten Rasse, lockte Euch hierher. Der Ratgeber
Ka-na erfuhr heute von der Verschwörung. Ich weiß nicht, was
Ihr in diesem Spiegel gesehen habt, doch mit ihm hat Tuzun
Thune Eure Seele in Bann geschlagen und durch seine Hexerei
fast Euren Körper in Nebel verwandelt."

"Ja." Kull war immer noch benommen. "Aber er hatte doch als
Zauberer das Wissen aller Zeit, und er blickte herab auf Gold,
Ruhm und Macht, was konnte Kaanuub ihm da bieten, daß er
zum gemeinen Verräter wurde?"

"Gold, Macht und eine hohe Stellung", brummte Brule. "Je eher
Ihr erkennt, daß Menschen auch Menschen bleiben, ob sie nun
Zauberer, König oder Leibeigener sind, desto besser werdet Ihr
zu herrschen imstande sein, Kull. Was soll mit ihr geschehen?" ;

"Nichts, Brule", antwortete der König, als sich das Mädchen vor
Kulls Füße warf und wimmerte. "Sie war nur ein Werkzeug. Steh
auf, Kind, und geh deines Weges; niemand wird dir etwas antun."

Als er mit Brule allein war, warf Kull einen letzten Blick aufThuzun
Thunes Spiegel.

"Mag sein, daß er Ränke schmiedete und mich durch Zauber
täuschte; nein, ich zweifle nicht an deinen Worten -doch war es
seine Zauberei, die mich in Nebel verwandelte, oder habe ich ein
Geheimnis entdeckt? Wenn du mich nicht zurückgeholt hättest,
hätte ich mich dann in Nichts aufgelöst - oder neue Welten
jenseits gefunden?"

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Brule blickte flüchtig auf die Spiegel und zuckte die Schultern, als
erschauerte er. "Ja, Thuzun Thune hat die Weisheit aller Höllen
hier gebannt. Gehen wir, Kull, ehe sie auch mich verhexen."

"Ja, gehen wir", murmelte Kull, und Seite an Seite verließen sie
das Haus der tausend Spiegel - in denen vielleicht die Seelen der
Menschen gefangen sind.

Niemand blickt jetzt mehr in die Spiegel des Zauberers Thuzun
Thune. Die Vergnügungsbarken meiden das Ufer, an dem das
Haus des Zauberers steht, und niemand betritt den Saal, in dem
der Leichnam vor den Spiegeln der Täuschung liegt. Man hält
das Haus für verflucht und macht einen weiten Bogen herum, und
obgleich es noch tausend Jahre stehen wird, werden keine
Schritte in ihm hallen. Doch Kull denkt auf seinem Thron oft über
die Weisheiten und Geheimnisse nach, die dort verborgen liegen
...

Denn er weiß, daß jenseits seiner Welt andere Welten sind, und
ob Thuzun Thune ihn nun durch Worte oder Zauber bannte, ihm
erschlossen sich durch jene seltsame Tür ungeahnte Bilder. Und
seit Kull in Thuzun Thunes Spiegel geblickt hat, ist er sich der
Wirklichkeit weniger sicher.

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DIE SCHWARZE STADT

(The Black City) Fragment

Die kalten Augen Kulls, des Königs von Valusien, verrieten
Verblüffung, als sie auf dem Mann ruhten, der so plötzlich
hereingestürmt war und nun zitternd vor Grimm vor dem König
stand. Kull seufzte. Er kannte seine barbarischen Verbündeten,
denn war er nicht selbst ein Atlanter von Geburt? Brule, der
Speerkämpfer, war es, und er hatte die valu-sischen Embleme
von seinem Harnisch gerissen, so daß ihn nichts mehr als einen
Verbündeten des Reiches auswies. Und Kull wußte, was dies
bedeutete.

"Kull!" rief der Pikte, weiß vor Wut. "Ich verlange Gerechtigkeit!"

Wieder seufzte Kull. Es gab Zeiten, da sich selbst ein so
kriegerischer König wie er nach Ruhe und Frieden sehnte. Hier
in Kamula glaubte er beides gefunden zu haben. Verträumtes
Kamula - selbst während er darauf wartete, daß der ergrimmte
Pikte fortfuhr, wanderten seine Gedanken zurück zu den
beschaulichen, verträumten Tagen, die er seit seiner Ankunft in
dieser Stadt in den Bergen verbracht hatte, in dieser Stadt der
Freuden, deren Marmor- und Lapislazulipaläste terrassenförmig
zur Bergkuppe hochstrebten, die die Stadtmitte bildete.

"Mein Volk ist seit tausend Jahren mit dem Reich verbündet!"
Der Pikte ballte in einer wütenden Geste die Faust.

"Wie erklärt Ihr es, daß einer meiner Stammeskrieger im Palast
des Königs vor meinen Augen von meiner Seite gerissen
wurde?"

Kull fuhr überrascht hoch.

"Was sagst du da? Welcher Krieger? Wer riß ihn von deiner
Seite?"

"Das sollt Ihr mir sagen", knurrte der Pikte. "Im einen Augenblick
war er noch hier, lehnte an einer Marmorsäule - im nächsten -
fort! Da war nur ein übler Gestank und das Echo eines Schreis."

"Vielleicht ein eifersüchtiger Ehemann ...", meinte der König.

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Aber Brule unterbrach ihn ungeduldig. "Grogar war nie hinter
Weibern her - nicht einmal hinter piktischen. Diese Kamulier
hassen uns Pikten. Ihre Mienen sagen es deutlich."

Kull lächelte. "Du träumst, Brule. Diese Menschen sind viel zu
träge und zu sehr den Freuden ergeben, um jemanden zu
hassen. Sie lieben, sie singen, sie dichten - oder denkst du, der
Dichter Taligaro hätte Grogar geholt? Oder die Sängerin Zareta?
Oder Prinz Mandara?"

"Wer es auch war", sagte Brule heftig, "laßt Euch eines sagen,
Kull: Für das Reich hat Grodar sein Blut wie Wasser vergossen,
und er ist der beste Häuptling meiner berittenen Bogenschützen.
Ich werde ihn rinden, lebendig oder tot, und wenn ich in Kamula
keinen Stein auf dem ändern lasse! Bei Valka, ich werde diese
Stadt in Flammen legen und diese Flammen mit Blut löschen ..."

Kull erhob sich von seinem Thron.

"Bring mich zu der Stelle, wo du Grondar zuletzt gesehen hast",
sagte er. Brule verstummte und schritt mürrisch voran. Sie
verließen den Saal durch eine Seitentür und folgten einem
gewundenen Korridor Seite an Seite, so verschieden im
Aussehen, wie zwei Männer nur sein können, doch gleich in der
Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen, gleich, was die Schärfe
ihres Blickes betraf, gleich in der vage spürbaren Wildheit, die
dem Barbaren eigen war.

Kull war breitschultrig, von mächtigem Körperbau -und doch
geschmeidig. Sonne und Wind hatten sein Gesicht gebräunt,
sein schwarzes, gerade geschnittenes Haar erinnerte an eine
Löwenmähne, seine grauen Augen wirkten so kalt wie ein
Schwert, das durch tiefes Eis schimmert.

Brule wies die typischen Merkmale seiner Rasse auf - er war
mittelgroß, schlank und muskulös wie ein Panther und hatte viel
dunklere Haut als der König.

"Wir waren im Prunkgemach", brummte der Pikte. "Gro-gar,
Manaro und ich. Grogar lehnte sich gegen eine Säule an der
Wand - und verschwand vor unseren Äugen. Ein Wandstück
schwang nach innen, und er war nicht mehr da! Nur flüchtig

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sahen wir tiefe Schwärze dahinter und ein abscheuliches Bild,
das sich uns entgegendrängen wollte. Da riß Manaro, neben dem
Grogar gestanden hatte, sein Schwert aus der Scheide und stieß
die gute Klinge in die Öffnung, so daß die Wand sich nicht mehr
völlig schließen konnte. Wir versuchten sie wieder zu öffnen,
doch sie gab nicht nach, da eilte ich zu euch, während Manaro
sein Schwert in dem Spalt festhält."

"Und warum hast du dir die valusischen Embleme von deinem
Harnisch gerissen?" fragte Kull.

"Ich war wütend", knurrte der Speerschleuderer mißmutig und
wich des Königs Blick aus. Kull nickte schweigend. Das war die
natürliche, obgleich unvernünftige Handlung eines zornigen
Wilden, der seinen Grimm nicht an einem natürlichen Gegner
auslassen kann.

Sie betraten das Prunkgemach, dessen hintere Wand in das
Gestein des Berges eingelassen ar, an dessen Hang Kamula
erbaut war.

"Manara sagt, er könne schwören, daß er leise Musik gehört
hat", brummte Brule. "Dort lehnt er, mit dem Ohr am Spalt. Holla -
Manaro!"

Kull runzelte die Stirn, als ihm auffiel, daß der hochgewachsene
Valusier weder seine Haltung veränderte, noch den Ruf
erwiderte. Wahrhaftig lehnte er an der Wandverkleidung, mit
einer Hand um das Schwert, das die Geheimtür spaltweit
offenhielt, und ein Ohr an diesen Spalt gedrückt. Kult fiel die fast
greifbare Schwärze dieses schmalen Streifens auf - ihm schien,
als lauere hinter dieser unbekannten Öffnung ein lebendiges
Wesen.

Ungeduldig schritt er darauf zu und legte schwer die Hand auf die
Schulter des Recken. Da löste Manaro sich von der Wand und
fiel mit vor Grauen verzerrten, glasigen Augen vor Kulls Füße.

"Valka!" fluchte Brule. "Er wurde erstochen - wie konnte ich ihn
nur allein lassen!"

Der König schüttelte den Kopf. "Es ist kein Blut an ihm - sieh dir
sein Gesicht an!" Brule tat es und fluchte. Die Züge des toten

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Valusiers waren zu einer Maske des Grauens erstarrt - und sie
erweckte den Eindruck, als lausche er.

Vorsichtig näherte sich Kull dem Spalt, dann winkte er Brule zu.
Irgendwo hinter dieser geheimnisvollen Tür erklang ein dünnes
Wimmern wie von einer gespenstischen Flöte. Es war so
schwach, daß man es kaum zu vernehmen vermochte und doch
vereinte sich in dieser Musik der Haß und die Grausamkeit von
unzähligen Dämonen. Kull zuckte die mächtigen Schultern.

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OHNE TITEL

(Untitled) Fragment

"Schließlich", sagte Tu, der oberste Ratgeber, "floh Lala-ah, die
Gräfin von Fanara, mit ihrem Liebhaber, dem farsu-nischen
Abenteurer Fenar, und brachte Schande über das Haupt des
Mannes, den sie ehelichen sollte, und über Valu-sien."

Kull nickte. Er hatte das Kinn auf die Faust gestützt und Tus
Geschichte von der jungen Gräfin von Fanara, die einen
valusischen Edelmann auf den Stufen des Meramatempels
versetzte und mit einem Liebsten das Weite suchte, mit
geringem Interesse verfolgt.

"Ja, ich verstehe", unterbrach er Tu ungeduldig. "Aber was habe
ich mit den Liebesabenteuern eines wankelmütigen Mädchens zu
schaffen? Ich kann es ihr nicht verübeln, daß sie Ka-yanna
verließ - bei Valka, er ist so häßlich wie ein Rhinozeros und
doppelt so unerfreulich. Warum langweilt Ihr mich mit dieser
Geschichte?"

"Ihr seid Euch der Tragweite nicht bewußt, Kull", sagte Tu mit
aller Geduld, deren es bei einem Barbaren bedurfte, der es zum
König gebracht hatte. "Weil die Sitten des Landes nicht die Euren
sind. Damit, daß sie Ka-yanna vor dem Altar verließ, an dem die
Vermählung vollzogen werden sollte, hat Lala-ah die alten
Traditionen des Reiches aufs gröbste verletzt. Ein Schlag in das
Gesicht Valusiens ist auch ein Schlag in das Gesicht des Königs,
Kull. Schon dafür muß sie festgenommen und bestraft werden.

Zudem ist sie eine Gräfin. Edelfrauen dürfen, so will es die
valusische Tradition, Ausländer nur mit Einwilligung des Staates
ehelichen. In ihrem Fall wurde diese Zustimmung weder erbeten
noch erteilt. Valusien wird zum Gespött aller Länder werden,
wenn wir es zulassen, daß Männer aus anderen Ländern unsere
Frauen entführen und ungestraft davonkommen."

"Valka!" Der König schüttelte den Kopf. "Hier wird ohne Unterlaß
großes Getue um Sitten und Tradition gemacht. Seit ich auf dem

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Thron sitze, habe ich kaum etwas anderes gehört. Dort, wo ich
herkomme, wählen die Frauen frei ihre Gefährten."

"Ich weiß, Kull" erwiderte Tu geduldig. "Aber Ihr regiert Valusien -
nicht Atlantis. Bei uns können die Männer und auch die Frauen
frei entscheiden und handeln, aber die Zivilisation ist ein dichtes
Netzwerk von Gesetzen und Traditionen. Und noch etwas ist im
Fall der jungen Gräfin zu bedenken: Sie hat einen Schuß
königlichen Blutes."

"Dieser Mann verfolgte mit Ka-yannas Reitern das Mädchen",
sagte Tu.

"So ist es", erklärte der junge Mann. "Und ich habe eine
Botschaft von Fenar für Euch, Lord König."

"Eine Botschaft an mich? Ich kenne diesen Fenar nicht."

"Er hinterließ sie einem Grenzwächter von Zarfhaana für seine
Verfolger: >Laßt das Barbarenschwein, das den ehrwürdigen
Thron des Reiches besudelt, wissen, daß ich ihn einen niederen
Schurken schimpfe. Sagt ihm, daß ich eines Tages zurückkehren
werde, um seinen feigen Kadaver in Weiberkleider zu stecken
und ihn als Stallmagd zu halten. <"

Kulls mächtige Gestalt ruckte hoch, sein Thronstuhl fiel krachend
um. Einen Augenblick lang stand er sprachlos, dann fand er
seine Stimme wieder, und sein Brüllen ließ Tu und den jungen
Edelmann zurückstolpern.

"Valka, Honen, Holgar und Hotath!" donnerte er valu-sische und
heidnische Götter in einem Atemzug, daß sich Tu bei dieser
grimmigen Blasphemie die Haare sträubten. Kull hob die
mächtigen Arme, und seine Faust schmetterte mit solcher Gewalt
auf den Tisch, daß die massiven Beine nachgaben. Tu, den
dieser Ansturm barbarischen Grimms von den Füßen gefegt
hatte, wich bleich an die Wand zurück, dicht gefolgt von dem
jungen Edlen, der mit der Überbringung der Botschaft Fenars viel
gewagt hatte. Doch Kull war zu sehr Barbar, als daß er sich für
die Beleidigung am Überbringer vergriffen hätte; solcherart
pflegten zivili-siertere Herrscher ihren ersten Grimm zu stillen.

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"Pferde!" brüllte Kull. "Laßt die Roten Reiter aufsitzen! Schickt
Brule zu mir!"

Er riß sich die königliche Robe vom Leib und schleuderte sie
durch den Raum, packte eine kostbare Vase vom
zerschmetterten Tisch und zerschlug sie auf dem Boden.

"Rasch!" keuchte Tu und schob den jungen Edelmann zur Tür.
"Holt Brule, den piktischen Speerkämpfer - eilt, ehe uns der
König alle erschlägt!"

Tu beurteilte Kulls Verhalten nach den Erfahrungen mit früheren
Königen, doch Kull war noch zu unberührt von zivilisierten
Gepflogenheiten, um seinen königlichen Grimm an unschuldigen
Untergebenen auszulassen.

Der erste lodernde Grimm war einer kalten Wut gewichen, als
Brule eintraf. Beim Anblick der Zerstörung im Zimmer lächelte der
Pikte grimmig.

Kull begann. Reitkleidung anzulegen. Als Brule eintrat, blickte er
auf. Seine grauen Augen blitzten kalt.

"Reiten wir, Kull?" fragte der Pikte.

"Ja, wir reiten, bei Valka! Und es wird kein Spazierritt. Zuerst
nach Zarfhaana, vielleicht auch weiter - in die Schneeländer oder
die Sandwüsten, wenn es sein muß, bis in die Hölle! Dreihundert
der Roten Reiter sollen sich bereitmachen."

Brule grinste erfreut. Er war ein muskulöser Mann von mittlerer
Größe mit funkelnden Augen in einem verschlossenen Gesicht.
Er glich einer Bronzestatue. Ohne ein weiteres Wort wandte er
sich um und verließ den Raum.

"Lord König, was habt Ihr vor?" wagte Tu zu fragen, obgleich er
noch immer vor Furcht zitterte.

"Ich hefte mich an Fenars Fersen", erwiderte der König heftig.
"Ich lege das Königreich in Eure Hände, Tu. Ich kehre erst
zurück, wenn ich den Farsunier vor der Klinge gehabt habe, oder
gar nicht."

"Nein, nein!" rief Tu. "Das ist äußerst unratsam, o König!
Vergeßt die Worte eines namenlosen Aufschneiders! Der Kaiser

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von Zarfhaana wird Euch niemals gestatten, mit solch einer
Streitmacht seine Reichsgrenzen zu überschreiten."

"Dann werden wir über die Ruinen seiner Städte reiten",
erwiderte Kull mit grimmiger Entschlossenheit. "In Atlantis läßt ein
Mann eine Beleidigung nicht ungerächt. Wenn mich auch Atlantis
ausgestoßen hat und ich nun König Valusiens bin - so bin ich
immer noch ein Mann, bei Valka!"

Er gürtete seine große Klinge und schritt zur Tür, während Tu
ihm nachblickte.

Draußen vor dem Palast saßen vierhundert Männer in ihren
Sätteln. Etwa dreihundert davon gehörten Kulls Roten Reitern,
der gefürchtetsten Streitmacht der Welt, an. Diese Männer
waren hauptsächlich Krieger der valusischen Bergstämme, die
stärksten und tapfersten einer degenerierten Rasse. Die übrigen
hundert waren Pikten, grimmige, wilde Krieger aus Brules Stamm,
die mit ihren Pferden zu Zentauren zu verschmelzen schienen
und wie leibhaftige Teufel aus der Hölle kämpften.

Alle diese Männer entboten Kull den königlichen Salut, als er die
Stufen des Palastes herunterschritt. Wilde Begeisterung ließ
seine Augen aufleuchten. Er war Fenar fast dankbar für diesen
Anlaß, der es ihm ermöglichte, eine Weile aus dem eintönigen
Leben am Hof auszubrechen und sich in ein Abenteuer zu
stürzen - aber er bedachte den Farsunier deshalb nicht mit
freundlicheren Gedanken.

An der Spitze seiner grimmigen Streitmacht saßen Brule, der
Häuptling der mächtigsten Verbündeten Valusiens, und Kelkor,
der stellvertretende Befehlshaber der Roten Reiter.

Kull dankte für den Salut mit einem kurzen Wink und schwang
sich in den Sattel.

Brule und der Befehlshaber lenkten ihre Pferde links und rechts
neben ihn.

"Achtung", kam Kelkors knapper Befehl. "Gebt die Sporen! Reitet
los!"

Der Reiterzug setzte sich in Trab. Neugierig spähte das Volk aus
Fenstern und Türen, und die Menschen auf den Straßen hielten

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erwartungsvoll inne, als das Klappern von Silberhufen durch das
Stimmengewirr und die Geräusche des Marktes und der
Geschäfte hörbar wurde. Die Rosse schüttelten ihre
geschmückten Mähnen, das bronzene Rüstzeug der Krieger
blitzte in der Sonne, die Wimpel an den Spitzen der langen
Lanzen flatterten. Kurz verstummten die Menschen am
Marktplatz, als der prächtige Reitertrupp vorüberritt. Erstaunte
und bewundernde Blicke folgten den Reitern auf der breiten
weißen Straße, bis das Klappern der Silberhufe auf dem Pflaster
in der Ferne verklungen war. Dann wandten sich die Bewohner
der Stadt wieder den alltäglichen Dingen zu - wie es die
Menschen immer tun, gleich wohin Könige reiten.

Über die breiten weißen Straßen ritten sie hinaus durch die
Vororte mit ihren ausgedehnten Herrensitzen und Palästen,
immer weiter, bis die goldenen Spitzen der saphirblauen Türme
Valusiens nur noch ein silberner Schimmer in der Ferne waren
und die grünen Berge Zalgaras majestätisch vor ihnen aufragten.

Als die Nacht hereinbrach, lagerten sie bereits hoch oben in den
Berghängen. Die Bergbewohner, stammesverwandt mit den
Roten Reitern, kamen in Scharen ins Lager und brachten Essen
und Wein, und die Krieger, die sich in der Stadt so stolz und
unnahbar gaben, waren wie verwandelt, scherzten mit ihnen,
sangen die alten Lieder und lauschten den alten Geschichten.
Kull aber wandte dem Lager und dem grellen Feuerschein den
Rücken und blickte hinaus über die dunklen Berge und Täler.
Dichter Bewuchs nahm

den Felsrücken die Schroffheit, die Täler sanken tief hinab in ein
magisches Schattenreich, aus dem die Berge klar und mächtig
im Silberlicht des Mondes emporragten. Diese Bergwelt Zaigaras
hatte Kull immer in ihren Bann gezogen. Sie weckte Erinnerungen
an die Berge von Atlantis, deren schneebedeckte Gipfel er in
jungen Jahren erklommen hatte, bevor er in die große Welt
hinauszog, um nach den Sternen zu greifen, und einen uralten,
mächtigen Thron bestieg.

Doch sie waren ganz anders. Die Felsen von Atlantis ragten steil
und felsig in den Himmel, kahl und unwirtlich. Die Berge von

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Atlantis waren von der Wildheit und Ungezähmt-heit der Jugend,
wie Kull selbst. Ihre Schroffheit war noch unberührt von der Zeit.
Die Berge Zaigaras hingegen standen wie uralte Götter, und
grüne Wälder bedeckten ihre Rücken und Hänge, und ihre
Umrisse waren sanft und beschaulich. Zeit - Zeit - sann Kull.
Jahrhunderte um Jahrhunderte hatten ihre steinerne Pracht
hinweggerafft. Nun verlieh ihnen das Alter eine andere, sanftere
Schönheit, und sie standen versunken in Träumen von anderen
Zeiten und dahingegangenen Königen.

Einer roten Flut gleich schwemmte die Erinnerung an Fenars
prahlerische Beleidigung seine Grübeleien zur Seite. Seine
Fäuste ballten sich, als er voll Grimm zum stillen Antlitz des
Mondes emporblickte.

"Helfara und Hotath mögen meine Seele zum ewigen Feuer
verdammen, wenn ich dem Farsunier nicht das Maul stopfe!"
grollte er.

Wie als Antwort auf diesen heidnischen Schwur fuhr der
Nachtwind flüsternd durch das Laubwerk.

Noch bevor die Dämmerung den Himmel über den Bergen
Zaigaras rot färbte, saßen Kulls Männer im Sattel. Das erste
Licht des Morgens leuchtete auf Lanzenspitzen, Helmen und
Schilden, als der Reitertrupp seinen Weg durch die dicht
bewachsenen Täler und über die langgezogenen Hänge suchte.

"Wir reiten in den Sonnenaufgang", bemerkte Kelkor.

"Ja", erwiderte Brule grimmig. "Und einige von uns werden in die
Welt jenseits reiten."

Kelkor zuckte die Schultern. "So wird es immer sein. Das ist das
Los des Kriegers."

Kull musterte den Befehlshaber. Aufrecht wie ein Speer saß
Kelkor im Sattel, kerzengerade, unbeugsam wie eine eiserne
Statue. Der Anblick des Mannes erinnerte Kull an eine blitzende
Klinge aus geschliffenem Stahl. Er war ein Mann von schier nie
erlahmenden Kräften. Seine hervorstechendste Eigenschaft
aber war seine unerschütterliche Ruhe. Alles was er tat oder
sagte, war von kühler Beherrschtheit geprägt. Ob in der Hitze der

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oft beleidigenden Wortgefechte in der Ratsversammlung oder im
heulenden, klirrenden Chaos der Schlacht, Kelkor blieb immer
gelassen, verlor nie den Überblick. Er hatte kaum Freunde und
legte auch wenig Wert auf Freundschaften. Er verdankte es
ausschließlich seinen Fähigkeiten, daß er vom namenlosen
Söldner zum zweithöchsten Mann der valu-sischen Streitkräfte
aufgestiegen war - und nur der Umstand seiner Geburt machte
den höchsten Rang für ihn unerreichbar. Denn die Tradition
verlangte es, daß der oberste Befehlshaber der Truppen ein
Valusier sein müsse, und Kelkor war ein Lemurier. Dem
Aussehen nach war er allerdings mehr Valusier als Lemurier,
denn er war hochgewachsen und schlank und trotzdem kräftig
gebaut. Allein seine Augen verrieten seine Herkunft.

Beim nächsten Sonnenaufgang ließen sie die Berge hinter sich,
deren Ausläufer in der Kamoonischen Wüste endeten, einem
unbewohnten Ödland aus gelbem Sand, das sich von Horizont zu
Horizont erstreckte. Dort gab es weder Bäume noch Büsche,
noch Wasser. Abgesehen von einer kurzen Rast am Mittag, um
etwas zu essen und den Pferden ein wenig Ruhe zu gönnen,
ritten sie den ganzen Tag, obgleich die Hitze fast unerträglich
war. Die Männer, obgleich Strapazen gewohnt, erschlafften unter
der Glut. Sie ritten schweigend. Das Klirren von Steigbügeln und
Rüstzeug, das Knarren von schweißdurchnäßten Sätteln und das
eintönige Schlurfen der Hufe durch den tiefen Sand waren die
einzigen Geräusche. Selbst Brule entledigte sich des Harnisches
und hing ihn an den Sattelknauf. Nur Kelkor saß aufrecht und
ungebeugt vom Gewicht der vollen Rüstung, scheinbar unberührt
von der Hitze und Erschöpfung, die den anderen zusetzte.

"Stahl, durch und durch Stahl", dachte Kull bewundernd, und er
fragte sich insgeheim, ob er je so vollkommene Herrschaft über
sich selbst erlangen könnte, wie sie sich dieser Mann, der auch
ein Barbar war, angeeignet hatte.

Nach zweitägigem Ritt hatten sie die Wüste hinter sich und
erreichten eine Hügelkette, die die Grenze zu Zarf-haana
bildeten. Zwei zarfhaanische Grenzreiter kamen ihnen entgegen
und forderten sie auf anzuhalten.

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"Ich bin Kull von Valusien", sagte Kull ohne Umschweife. "Ich bin
hinter einem Schurken mit Namen Fenar her. Versucht nicht
mich aufzuhalten. Ich werde mich vor eurem Kaiser
verantworten."

Die beiden Reiter lenkten ihre Pferde zur Seite, um den Trupp
durchzulassen, und als das Hufgeklapper in der Ferne verklang,
sagte der eine zu dem anderen:

"Ich habe die Wette gewonnen. Der König von Valusien selbst
hat die Verfolgung aufgenommen."

"Ja", erwiderte der andere. "Diese Barbaren haben ihre eigenen
Vorstellungen von Ehre. Wäre der König ein Valusier, bei Valka,
dann hättest du verloren."

Die Schluchten Zarfhaanas hallten wider vom Hufschlag von
Kulls Reitern. Die friedliche Landbevölkerung lief vor den Dörfern
zusammen, um den Vorbeiritt der wilden Schar zu beobachten,
und bald ging die Nachricht in alle Richtungen des Himmels, daß
Kull von Valusien nach Osten ritt.

Kurz hinter der Grenze ließ Kull anhalten, um mit Brule, Ka-yanna
und Kelkor die Lage zu besprechen. Ein Gesandter war
unterwegs, um den zarfhaanischen Kaiser von ihrer friedlichen
Absich zu unterrichten.

"Sie sind uns viele Tage voraus", sagte Kull. "Wir dürfen keine
Zeit mit unnützen Fragen verlieren. Diese Bauern werden uns
nicht die Wahrheit sagen. Wir müssen uns auf die eigene Nase
verlassen wie Wölfe auf der Spur des Wilds."

"Laßt mich diese Leute befragen", sagte Ka-yanna mit einem
tückischen Grinsen auf den dicken, sinnlichen Lippen. "Ich kann
Euch versichern, daß sie die Wahrheit sagen werden."

Kull blickte ihn fragend an.

"Ich löse ihre Zunge", erklärte der Valusier selbstgefällig.

"Du willst sie foltern?" Offene Verachtung war in Kulls Stimme.
"Zarfhaana ist ein befreundetes Land."

"Denkt Ihr, daß sich der Kaiser um ein paar armselige Bauern
schert?" fragte Ka-yanna unbeeindruckt.

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"Ich will davon nichts mehr hören." Kull wies dieses Ansinnen mit
angeborenem atlantischem Abscheu von sich, doch Brule wandte
ein:

"Kull. Mir gefällt der Plan dieses Kerls ebensowenig wie Euch,
aber hin und wieder hat selbst ein Schwein recht." Kayannas
Lippen verzerrten sich vor Wut, aber der Pikte schenkte ihm
keine Beachtung. "Laßt mich mit ein paar meiner Männer ins
Dorf gehen und die Bewohner befragen. Wir werden ihnen genug
Angst einjagen, daß sie reden, mehr nicht. Das erspart uns
Wochen mühseliger Suche."

"Der Vorschlag des Barbaren", sagte Kull mit dem
wohlmeinenden Spott, der für ihn und den Pikten ein vertrautes
Spiel war.

"In welcher Stadt der Sieben Reiche seid Ihr denn geboren, Lord
König?" konterte der Pikte sarkastisch.

Kelkor unterbrach dieses Geplänkel mit einer ungeduldigen
Handbewegung.

"Hier, an dieser Stelle befinden wir uns", erklärte er und
zeichnete mit der Dolchspitze eine Karte in die Asche des
Lagerfeuers. "Fenar wird nicht nach Norden gehen -immer
vorausgesetzt, er hat nicht vor, in Zarfhaana zu bleiben -, denn
jenseits Zarfhaanas liegt das Meer, wo sich Scharen von Piraten
und Plünderern tummeln. Auch den Weg nach Süden wird er
nicht nehmen, denn dort liegt Thu-ranien, mit dem sein Land
verfeindet ist. Ich vermute, daß er sich auch weiterhin ostwärts
halten wird, daß er Zarfhaana irgendwo in der Nähe der östlichen
Grenzstadt Talunia verlassen und sich durch das unwirtliche
Grondar schlagen wird. Danach denke ich, wird er sich südwärts
wenden, um auf dem Umweg über die kleinen Fürstentümer
Farsun zu erreichen - das ja westlich von Valusien liegt."

"Da spricht einiges dagegen, Kelkor", wandte Kull ein. "Wenn
Fenar wirklich vorhat, nach Farsun zu fliehen, weshalb, in Valkas
Namen, ist er dann in die entgegengesetzte Richtung
aufgebrochen?"

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"Weil, wie Ihr ebensogut wißt, Kull, in diesen unsicheren Zeiten
alle Grenzen außer den östlichsten streng bewacht und
patrouilliert werden. Ohne eine staatliche Vollmacht hätte er sie
nicht passieren können, schon gar nicht mit der Gräfin."

"Ich glaube, Kelkor hat recht, Kull", warf Brule ein, den es danach
drängte, endlich aufzusitzen und loszureiten. "Was er sagt, hat
Hand und Fuß."

Kull nickte. "Wir reiten nach Osten."

So ritten sie ostwärts, lange ruhige Tage, und die freundliche
zarfhaanische Landbevölkerung versorgte sie und lud sie zu
Festlichkeiten, wann immer sie halt machten. Ein sorgloses und
müßiges Land, dachte Kull, einem sanften, wehrlosen Mädchen
gleich, das da liegt vor den lüsternen Blicken eines grimmigen
Eroberers.

Das Hufgeklapper begleitete Kulls träumerische Gedanken,
während sie durch stille Täler und entlang dicht bewaldeter
Hänge ritten. Er gönnte seinen Männern keine Rast, denn hinter
seinen ruhelosen Träumen von Macht und Ruhm und großen
Eroberungen lauerte das Gespenst seines Hasses - der
erbarmungslose Haß des Barbaren, vor dem alle anderen
Sehnsüchte verblassen.

Sie machten weite Bogen um größere Städte, denn Kull wollte
vermeiden, daß seine stolzen Kampfhähne mit den Bewohnern
aneinandergeraten konnten. Der Reitertrupp näherte sich der
Grenzstadt Talunia, dem östlichsten Vorposten Zarfhaanas, als
der Abgesandte Kulls aus dem Norden vom kaiserlichen Hof mit
der Botschaft zurückkehrte, daß der Kaiser es wohlwollend
gestattete, daß Kull mit seiner Streitmacht durch sein Land zog
und daß er den valusischen König bat, ihm auf dem Rückweg
einen Besuch abzustatten. Die Ironie der Situation entlockte Kull
ein grimmiges Lächeln, denn während der Kaiser noch
wohlwollend die Erlaubnis gab, hatte Kull mit seiner Schar das
Land bereits durchquert.

Kulls Reitertrupp erreichte Talunia in der Morgendämmerung,
nachdem sie die ganze Nacht geritten waren, weil er gedacht

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hatte, daß sich Fenar und die Gräfin vielleicht sicher genug
fühlten, sich eine Weile in der Grenzstadt aufzuhalten, und weil
er deshalb dasein wollte, noch bevor die Nachrichten von seinem
Anmarsch die Stadt erreichten.

Kull ließ seine Männer in einiger Entfernung von den
Stadtmauern lagern und begab sich nur in Begleitung Brules in
die Stadt. Die Tore wurden ihm bereitwillig geöffnet, nachdem er
das königliche Siegel Valusiens vorzeigte und das Zeichen des
freien Geleits, das ihm der zarfhaanische Kaiser gesandt hatte.

"Sag mir nur eines", wandte sich Kull an den Kommandanten der
Torwache, "sind Fenar und Lala-ah in eurer Stadt?"

"Das weiß ich nicht", erwiderte der Soldat. "Es ist viele Tage her,
daß sie durch dieses Tor in die Stadt kamen. Ob sie noch hier
sind oder nicht, vermag ich nicht zu sagen."

Kull nickte und zog einen edelsteinbesetzten Reif von seinem
Arm. "Niemand braucht zu wissen, wer ich bin, verstehst du? Ich
bin nur ein reisender valusischer Edelmann mit seinem piktischen
Begleiter."

Der Soldat betrachtete das kostbare Schmuckstück begehrlich.
"Ja, Lord König, ich verstehe. Was aber ist mit Euren Soldaten,
die draußen im Wald lagern?"

"Von der Stadt aus kann sie niemand sehen. Und wenn Landvolk
durch das Tor kommt, befrag es. Wenn einer etwas von dem
Lager weiß, halte ihn unter irgendeinem Vorwand bis morgen früh
fest. Bis dahin werde ich alles in Erfahrung gebracht haben, was
ich wissen will."

"In Valkas Namen, Lord König, was Ihr von mir verlangt, ist grobe
Verletzung meiner Wachpflicht!" erklärte der Soldat vorwurfsvoll.
"Zwar halte ich es für ausgeschlossen, daß Ihr Verrat im Sinn
habt, dennoch ..."

Kull änderte seine Taktik. "Ist es nicht deine erste Pflicht, den
Befehlen deines Kaisers zu gehorchen? Hast du nicht sein
Siegel in meiner Hand gesehen? Verweigerst du ihm den
Gehorsam? Valka, mir scheint, daß dir der Sinn nach Verrat
steht!"

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Das ist wahr, dachte der Soldat. Im Grunde machte er sich
keiner Bestechung schuldig. Schließlich war es der Befehl eines
Königs, der mit dem Einverständnis seines Kaisers handelte ...

Kull gab ihm das Armband. Nur ein leichtes Lächeln verriet seine
Verachtung für die Art und Weise, wie die Menschen ihr
Gewissen von ihren Wünschen zu überzeugen verstanden, ohne
sich einzugestehen, daß sie sich nur selbst etwas vormachten.

Der König und Brule schritten durch die Straßen, in denen die
ersten Händler und Kaufleute mit ihren Geschäften begannen.
Kulls mächtige Gestalt und Brules bronzene Haut zogen viele
neugierige Blicke auf sich, doch nicht mehr, als dies bei Fremden
üblich war. Kull aber begann zu bedauern, daß er nicht Kelkor
oder einen Valusier mitgenommen hatte, denn Brule war ein zu
auffälliger Begleiter. Pikten verschlug es selten in die östlichen
Städte. Kunde von seiner Anwesenheit mochte die Gesuchten
warnen,

Sie fanden eine einfache Herberge, wo sie ein Zimmer nahmen
und sich anschließend in die Trinkstube begaben, um vorsichtig
herumzuhorchen. Doch der Tag verging, ohne daß sie etwas
über das flüchtige Paar erfuhren. Auch behutsame Fragen
brachten nichts ans Licht. Wenn sich Fenar und Lala-ah noch in
Talunia aufhielten, dann verstanden sie es, unsichtbar zu bleiben.
Kull hätte gedacht, daß die Anwesenheit eines verwegenen
Galans und seiner schönen, adeligen Geliebten in aller Munde
sein müsse, doch niemand schien etwas zu wissen.

Kull hatte vor, sich nachts in der Stadt umzusehen und sich, wo
es notwendig erschien, auch mit Gewalt Einlaß zu verschaffen,
und, wenn das fehlschlug, am Morgen beim Statthalter vorstellig
zu werden, und die Herausgabe der Flüchtigen zu verlangen. So
ein Handeln widerstrebte seinem grimmigen Stolz zwar ganz und
gar, wäre aber der übliche diplomatische Weg gewesen, hätte es
sich um eine weniger persönliche Angelegenheit gehandelt. Aber
es war eine Sache der Ehre, und Kulls Stolz ließ es nicht zu, für
seine Rache solcherart Hilfe zu erbitten.

Die Nacht brach bereits herein, als die Gefährten hinaus auf die
Straße traten, die noch dicht bevölkert war und von Fackeln an

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den Hauswänden beleuchtet wurde. Als sie an der Einmündung
einer dunklen Seitengasse vorbeikamen, ließ sie eine
unterdrückte Stimme innehalten. Aus der Dunkelheit der
Hauswand winkte eine dürre Hand. Die beiden tauschten einen
kurzen Blick, dann folgten sie dem Wink, wachsam mit der Hand
am Dolch.

Eine alte Vettel, zerlumpt und gebeugt von den Jahren, trat aus
der Dunkelheit.

"Ah, König Kull, was führt Euch nach Talunia?" krächzte sie.

Kulls Finger schlössen sich fest um den Dolchgriff, als er
vorsichtig fragte:

"Woher kennst du meinen Namen?"

"Die Märkte haben viele Zungen und viele Ohren", erwiderte sie
mit spöttischem Kichern. "Ein Mann erkannte Euch heute in der
Schenke, und die Kunde ging von Mund zu Mund."

Kull fluchte leise.

"Hört mich an!" zischte die Frau. "Ich kann Euch zu den
Gesuchten führen ... aber es hat seinen Preis."

"Deine Schürze voll Gold", versprach Kull rasch.

"Gut. So hört zu. Fenar und die Gräfin wissen von Eurer Ankunft.
Sie sind bereits mit den Vorbereitungen für die Flucht
beschäftigt. Sie halten sich seit dem frühen Abend, als sie es
erfuhren, in einem Haus verborgen und werden ihr Versteck bald
verlassen ..."

"Wie können sie die Stadt verlassen?" unterbrach Kull sie. "Die
Tore werden bei Sonnenuntergang geschlossen."

"An einem Seitentor an der Ostmauer werden Pferde für sie
bereitstehen. Der Wachtposten ist bestochen. Fenar hat in
Talunia viele Freunde."

"Wo haben sie sich jetzt verkrochen?"

| Die Alte hielt ihm ihre knochige Hand entgegen. "Ein Zeichen
Eures guten Willens, Lord König", sagte sie schmeichlerisch.

Der König drückte eine Münze in ihre Hand, und sie lächelte
geziert und machte eine übertriebene Verbeugung.

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"Folgt mir, Lord König." Rasch humpelte sie voraus in die finstere
Gasse hinein.

Der König und sein Begleiter folgten ihr unsicher durch enge,
gewundene Straßen, bis sie vor einem großen, finsteren
Gebäude in einem verkommenen Viertel der Stadt anhielt.

"Sie sind in einer Kammer gleich oberhalb der Treppe an der
Straßenseite, Lord König."

"Woher weißt du das so genau?" fragte Kull mißtrauisch. "Es will
mir nicht in den Sinn, weshalb sie sich an einem so erbärmlichen
Ort verkriechen."

Die Frau lachte leise und selbstzufrieden.

"Sobald ich mich überzeugt hatte, daß Ihr in Talunia seid, Lord
König, ging ich zu dem Haus, in dem sie wohnten, und berichtete
ihnen und bot ihnen ein sicheres Versteck an! Ha, ha, ha! Sie
bezahlten gut dafür mit Goldmünzen!"

Kull starrte sie stumm an.

"Bei Valka", sagte er schließlich, "ich weiß, daß die Zivilisation
manche Überraschung bereithält, aber ein solches Weib ist mir
noch nicht begegnet. Du führst jetzt Brule zu dem Tor, bei dem
die Pferde warten. Brule geh mit ihr und

warte dort auf mich - für den Fall, daß mir Fenar hier entwischt
..."

"Kull", widersprach Brule warnend, "geht nicht allein in dieses
finstere Haus. Es könnte eine Falle sein!"

"Dieses Weib wird nicht wagen, mich zu hintergehen." Sie
schauderte bei diesen grimmigen Worten. "Beeilt euch!"

Als die beiden Gestalten in der Dunkelheit verschwunden waren,
trat Kull ins Haus. Er tastete sich mit den Händen voran, bis sich
seine katzenhaften Augen an die Dunkelheit angepaßt hatten. Er
erreichte die Treppe und stieg vorsichtig hinauf. Trotz seiner
Größe bewegte sich Kull so leichtfüßig und lautlos wie ein
Leopard. Selbst wenn der Wächter am oberen Treppenende
wach gewesen wäre, hätte er kein Geräusch gehört.

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Doch er erwachte erst, als Kulls Hand sich über seinen Mund
preßte, und fiel gleich wieder in den Schlaf zurück, als Kulls Faust
sein Kinn traf.

Der König stand einen Augenblick gebückt über seinem Opfer
und lauschte, doch der kurze Kampf war nicht gehört worden.
Alles war still. Er schlich zur Tür. Ah, seine geschärften Sinne
vernahmen leises hastiges Gemurmel, vorsichtige Schritte - Kull
stieß die Tür auf und war mit einem mächtigen Sprung im Raum.
Er hielt sich nicht damit auf, seine Chancen abzuwägen. Es
hätten ihn auch ein Dutzend blanker Klingen erwarten können.

Dann geschah alles in einem Atemzug. Kull sah einen nackten
Raum. Helles Mondlicht fiel durch das Fenster herein, durch das
zwei Gestalten kletterten, wovon offenbar die eine die andere
trug. Flüchtig sah er ein Paar dunkler, blitzender Augen in einem
Mädchengesicht von anziehender Schönheit, ein zweites
lachendes, verwegenes Gesicht - dann sprang er wie ein Tiger
durch den Raum und brüllte in tierischer Wildheit auf, als er sah,
daß sein Gegner ihm entkommen würde. Das Fenster war
bereits leer, als er es erreichte. Rasend vor Wut sah er die zwei
Gestalten in der Dunkelheit zwischen den umliegenden
Gebäuden verschwinden. Ein helles spöttisches Lachen klang zu
ihm herauf, gefolgt von einem kräftigeren und höhnischeren. Kull
schwang sich über das Fensterbrett und sprang die dreißig Fuß
hinab auf die Straße, ohne der Strickleiter einen Blick zu
schenken, die aus dem Fenster hing. Ihnen durch das Gewirr der
Straßen folgen zu wollen, das sie zweifellos besser kannten als
er, wäre ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen.

Aber er wußte, wohin sie wollten, und so rannte er zu der
Seitentür in der Ostmauer, die der Beschreibung der alten Hexe
nach nicht weit sein konnte. Dennoch verging einige Zeit, bis er
dort eintraf. Er fand nur Brule und die Alte vor.

"Nein. Nur die Pferde sind hier. Niemand ist gekommen",
berichtete Brule.

Kull fluchte heftig. Fenar hatte ihn überlistet, und die Frau
ebenso. Da er eine Falle erwartete, waren die Pferde am Tor nur

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ein Ablenkungsmanöver. Fenar war sicherlich im Augenblick
dabei, durch ein anderes Tor zu verschwinden.

"Rasch!" rief Kull. "Reite ins Lager zurück und laß die Männer
aufsitzen! Ich bleibe Fenar auf den Fersen!"

Er sprang auf eines der Pferde und war in der Nacht
verschwunden. Brule bestieg das andere und ritt zum Lager
zurück. Die Alte blickte ihnen nach und lachte schadenfroh. Nach
einer Weile hörte sie in der Ferne den Hufschlag vieler Pferde.

"Ha, ha, ha! Sie reiten in den Sonnenaufgang - dahinter gibt es
keine Umkehr!"

Kull ritt die ganze Nacht, um den Vorsprung zu verringern, den
der Farsunier und das Mädchen gewonnen hatten. Er wußte, daß
sie es nicht wagen würden, in Zarfhaana zu bleiben, und da im
Norden das Meer lag und im Süden Thuranien, Farsuns alter
Feind, stand ihnen nur eine Richtung offen - der Weg nach
Grondar.

Als die Sterne verblaßten, ragten die Hänge der östlichen Berge
vor Kull zum Himmel auf, und die Dämmerung kroch über das
Grasland, als der König sein müdes Roß den Paß hochlenkte
und einen Augenblick anhielt. Hier mußten die Flüchtigen
durchgekommen sein, denn die Berge erstreckten sich entlang
der gesamten zarfhaanischen Grenze, und der nächste Paß lag
viele Meilen nördlich. Der Zarfhaanier in dem kleinen Turm am
Rande der Paßstraße grüßte den König. Der erwiderte mit einem
Winken und ritt weiter.

Am Kamm des Passes hielt er an. Jenseits lag Grondar. Auch
hier auf der östlichen Seite stiegen die Felshänge steil empor,
und zu ihren Füßen lag Grasland, soweit das Auge reichte. Sein
Blick wanderte über wogende Savanne bis zum Horizont. Büffel
und Wild waren offenbar die einzigen Bewohner dieser endlosen
Weiten. Der östliche Himmel rötete sich nun rasch, und wenig
später leuchtete die Morgensonne wie ein Steppenfeuer über die
Savanne und umrahmte den reglosen Reiter mit ihren Flammen,
daß er sich für den Reitertrupp, der eben weit unten in den

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ersten Hohlweg des Passes einbog, wie eine dunkle Statue
gegen die Morgenröte abhob.

"Er reitet in den Sonnenaufgang", murmelten die Krieger.

"Dahinter gibt es keine Umkehr."

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als der Trupp Kull
einholte, denn der König hatte angehalten, um sich mit den
Gefährten zu beraten.

"Laß deine Pikten ausschwärmen", sagte Kull. "Fenar und die
Gräfin werden bald versuchen, nach Süden abzubiegen, denn
niemand reitet tiefer in diese Wildnis, als er unbedingt muß. Es
mag sogar sein, daß sie an uns vorbeizuschlüpfen versuchen,
um nach Zarfhaana zurückzukehren."

Sie ritten weit ausgefächert, Brules Pikten hungrigen Wölfen
gleich an den äußersten Flanken.

Aber die Spur der Fliehenden führte schnurgerade in die Wildnis
hinein. Kulls kundiger Blick vermochte ihren Verlauf durch das
hohe Gras leicht auszumachen. Sie verriet auch, daß die Gräfin
und ihr Galan allein waren.

So ritten Fliehende und Verfolger tiefer und tiefer hinein in
Grondars unbekannte Wildnis.

Wie Fenar den Vorsprung solcherart zu halten vermochte, war
Kull ein Rätsel, aber die Soldaten mußten ihre Pferde schonen,
während Fenar Reservepferde hatte, auf die er überwechseln
konnte, wodurch sie besser bei Kräften blieben.

Kull hatte keinen Boten an den König dieses Landes geschickt.
Die Grondarianer waren ein wildes, kaum zivilisiertes Volk, über
das wenig bekannt war, außer daß ihre Horden manchmal aus
der Savanne auftauchten und mit Feuer und Schwert in
Thuranien und den kleineren Länder einfielen. Im Westen waren
Grondars Grenzen eindeutig festgelegt und gekennzeichnet und
gut bewacht - vor allem von den Nachbarn. Doch wie weit sich
das Königreich nach Osten erstreckte, wußte niemand. Gerüchte
besagten, daß ihr Land bis zu jener gewaltigen, unbewohnbaren
Wildnis reichte, die in den Sagen und Überlieferungen als das
Ende der Welt bezeichnet wurde.

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Mehrere Tage anstrengenden Rittes vergingen, ohne daß sie die
Fliehenden oder ein anderes menschliches Wesen zu Gesicht
bekamen. Dann machte ein Pikte einen Reitertrupp aus, der von
Süden her kam.

Kull ließ anhalten und wartete. Es waren etwa vierhundert
grondarianische Krieger, hagere, verwegene Gestalten in
Lederrüstzeug und primitiven Waffen. Sie hielten in einiger
Entfernung.

Ihr Anführer ritt heran. "Fremde, was sucht ihr in diesem Land?"

"Wir verfolgen eine Gesetzesbrecherin und ihren Gefährten. Wir
suchen keinen Streit mit Grondar."

Der Grondarianer stellte höhnisch fest: "Wer über Grondars
Grenzen reitet, hält sein Leben in der rechten Hand, Fremder."

"Bei Valka!" rief Kull, der die Geduld verlor, "laß dir sagen, meine
rechte Hand ist schwerer anzugreifen als ganz Grondar! Gebt
den Weg frei, oder wir reiten euch nieder!"

"Lanzen bereit!" kam Kelkors knapper Befehl. Der Wald der
Lanzen senkte sich wie eine. Die Krieger lehnten sich vor.

Die Grondarianer wichen vor dem unerwartet gefährlichen
Gegner zurück. Sie wußten, daß sie im offenen Gelände den
schwergerüsteten Reitern nicht gewachsen waren, und gaben
verdrossen den Weg frei. Der Anführer rief hinter den Valusiern
her:

"Reitet nur, ihr Narren! Reitet in den Sonnenaufgang -von dort
kommt keiner zurück!"

Während

des Weiterritts folgten kleinere Trupps der

Grondarianer wie Wölfe ihrer Fährte. Kull ließ das Lager nachts
verstärkt bewachen, doch die Reiter blieben auf Distanz und
belästigten sie nicht.

Das Grasland nahm kein Ende. Kein Berg, kein Wald unterbrach
die Eintönigkeit. Manchmal sahen sie fast völlig verfallene Ruinen
einer alten Stadt, die stumme Zeugen aus jenen blutigen Tagen
waren, als die Vorfahren der Grondarianer vor langer, langer Zeit
auftauchten und die ursprünglichen Bewohner des Landes

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unterworfen hatten. An bewohnten Städten oder Ansiedlungen
der Grondarianer kamen sie nicht vorbei. Ihr Weg schien sie in
den wildesten, abgelegensten Teil des Landes zu führen. Es
stand bald fest, daß Fenar nicht an Umkehr dachte. Seine Spur
führte schnurgerade nach Osten. Ob er irgendwo in dem
unwirtlichen Land Unterschlupf zu finden hoffte oder nur seine
Verfolger mürbe machen wollte, blieb eine offene Frage.

Nach mehreren Tagesritten erreichten sie einen großen Fluß,
der sich durch die Ebene wand. An seinem Ufer endete die
Savanne. Drüben, auf der anderen Seite, erstreckte sich eine
kahle Wüste bis zum Horizont.

Ein Mann stand am Ufer und ein großes, flaches Boot
schaukelte auf der Wasseroberfläche. Der Mann war alt, doch
von mächtiger Statur und so groß wie Kull. Er war nur in Lumpen
gekleidet, doch er strahlte etwas Königliches und
Achtunggebietendes aus. Sein schneeweißes Haar war
schulterlang, und sein ungebändigt wallender weißer Bart reichte
fast bis zum Nabel. Den großen leuchtenden Augen unter
buschigen weißen Brauen hatte das Alter nichts anzuhaben
vermocht.

"Fremdling, der du wie ein König reitest", sagte er mit einer
tiefen, vollen Stimme zu Kull, "möchtest du den Fluß
überqueren?"

"Ja", antwortete Kull, "wenn die, die wir suchen, ihn überquert
haben."

"Ein Mann und ein Mädchen setzten gestern auf meiner Fähre
über."

"Beim Namen Valkas!" fluchte Kull. "Der Mut dieses Narren
beginnt mir zu imponieren! Welche Stadt liegt dort drüben,
Fährmann?"

"Dort liegt keine Stadt mehr", erklärte der alte Mann. "Hier an
diesem Fluß endet Grondar - und die Welt!"

"Wie ist das möglich!" entfuhr es Kull. "Sind wir so weit geritten?
Ich dachte, diese Wüste, die du das Ende der Welt nennst, wäre
Teil Grondars."

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"Nein. Grondar endet hier. Dies ist das Ende der Welt. Jenseits
herrscht Magie über das Unbekannte. An dieser Stelle ist die
Grenze der Welt. Dort beginnt das Reich des Grauens und des
Unwirklichen. Dies ist der Fluß Stagus, und ich bin Karon, der
Fährmann."

Kull betrachtete ihn interessiert. Wie sollte er wissen, daß er
einem Mann gegenüberstand, der bis in die fernste Zukunft auf
dieser Welt sein würde, wenn längst die Wahrheit in Mythen und
Sagen verloren war und aus Karon dem Fährmann der Schiffer
des Hades geworden war.

"Du bist sehr alt", sagte Kull mit Neugier in der Stimme, während
die Valusier den Mann verwundert und die Pikten ihn mit
abergläubischer Scheu musterten.

"Das ist wahr. Ich gehöre der Älteren Rasse an, die über die
Welt herrschte, bevor es Valusien gab oder Grondar oder
Zarfhaana, König Kull. Ihr Reiter aus dem Sonnenuntergang wollt
diesen Fluß überqueren? Viele Krieger und viele Könige habe ich
ans jenseitige Ufer gebracht. Sind Euch die Worte vertraut: Von
jenseits des Sonnenaufganges gibt es keine Rückkehr! Von den
vielen Tausenden, die den Stagus überquert haben, ist nicht
einer zurückgekommen. Dreihundert Jahre stehe ich nun hier,
König von Valusien. Ich brachte die Armeen König Gaars des
Eroberers hinüber, als er mit seinen gewaltigen Heerscharen
zum Ende der Welt geritten kam. Sieben Tage lang dauerte das
Übersetzen, doch keinen von ihnen habe ich je wiedergesehen.
Nur der Lärm einer Schlacht tief im Ödland war von
Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu hören, doch als der
Mond aufging, war alles still. Höre auf meine Worte, Kull.
Niemand ist je vom jenseitigen Ufer des Stagus zurückgekehrt.
Unvorstellbares Grauen erwartet jeden dort drüben. Manchmal
vermag ich in den Schleiern der Dämmerung schreckliche
Kreaturen zu erkennen, denen kein Sterblicher widerstehen
kann. Höre auf mich, Kull."

Kull wandte sich im Sattel um und musterte seine Männer.

"Hier endet meine Befehlsgewalt", sagte er. "Ich selbst werde
Fenar auf den Fersen bleiben, bis in die Hölle, wenn es sein

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muß. Aber ich verlange von keinem, mir über diesen Fluß zu
folgen. Ihr habt meine Erlaubnis, nach Valusien zurückzukehren,
und niemals wird euch deshalb auch nur ein Wort des Vorwurfs
treffen."

Brule lenkte sein Pferd an Kulls Seite.

"Ich reite mit dem König", sagte er. Ein zustimmender Ruf war die
Antwort seiner Pikten. Kelkor ritt vor.

"Wer umkehren will, einen Schritt vor!" befahl er.

Die Lanzenreihen wankten nicht. Die Männer saßen reglos wie
Statuen.

"Sie reiten mit, Kull", sagte der Pikte grinsend.

Ein wilder Stolz erfüllte des Königs Brust. Er sagte nur einen
Satz, einen Satz, der die Krieger mit mehr Stolz erfüllte als jede
Auszeichnung.

"Ihr seid Männer."

Dann setzte Karon sie über. Er ruderte mehrmals, bis die ganze
Streitmacht am östlichen Ufer stand. Und obgleich das Boot
schwer war und der alte Mann allein ruderte, trieben es die
großen Ruder rasch durch die Fluten, und nach der letzten
Überfahrt war er nicht müder als zu Beginn.

Kull fragte: "Wenn die Wüste wirklich von diesen schrecklichen
Kreaturen bevölkert ist, weshalb haben sie nie den Weg in die
Welt der Menschen gefunden?"

Karon deutete auf den Fluß, und als Kull genauer hinsah,
bemerkte er, daß es in dem Wasser von Schlangen und Haien
wimmelte.

"Nichts vermag durch diesen Fluß zu schwimmen", sagte der
Fährmann, "weder Mensch noch Mammut."

"Vorwärts!" rief Kull. "Vorwärts! Reiten wir. Freies Land liegt vor
uns."

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EPILOG

(Epilog)

Dann brach der Kataklysmus über die Welt herein. Atlantis und
Lemurien versanken unter den Fluten des Meeres, und die
Pikteninseln wurden emporgehoben und bildeten die Berggipfel
eines neuen Erdteils. Teile des Thurischen Kontinents
verschwanden unter Wasser, andere sanken ein und füllten sich
zu gewaltigen Binnenmeeren und Seen. Vulkane brachen aus,
und verheerende Beben machten die stolzen Städte der großen
Reiche dem Erdboden gleich. Ganze Völker wurden ausgelöscht.

Die Barbaren überstanden die Katastrophe ein wenig besser als
die zivilisierten Rassen. Die Bewohner der Pikteninseln wurden
vernichtet, aber in den Bergen an der valu-sischen Südgrenze
blieb eine große Kolonie, die als Puffer gegen Invasoren diente,
unberührt. Das Königreich der Atlanter auf dem Kontinent entging
ebenfalls der allgemeinen Zerstörung. Dorthin konnten sich
Tausende ihrer Stammesbrüder vom versinkenden Land mit
Schiffen in Sicherheit bringen. Zahlreiche Lemurier entkamen zur
Ostküste des Thurischen Kontinents, die verhältnismäßig
verschont geblieben war. Sie wurden von der uralten Rasse, die
dort lebte, versklavt und fristeten Jahrtausende lang ihr Dasein in
brutaler Unterdrückung.

Im Westen des Kontinents entstanden durch die veränderten
Lebensbedingungen neue Tier- und Pflanzenarten.
Undurchdringliche Urwälder bedeckten die Ebenen, mächtige
Flüsse brachen sich ihre Wege zum Meer, zerklüftete Gebirge
hoben sich in den Himmel, und Seen überspülten die Ruinen alter
Städte in fruchtbaren Tälern. In das Königreich der Atlanter auf
dem Festland schwärmten Myriaden von Tieren und primitiven
Wilden - Affenmenschen und Affen. Obgleich die Atlanter stetig
um ihre Existenz ringen mußten, vermochten sie Enklaven ihres
einstigen hochentwickelten Barbarenreiches zu erhalten. Aller
Metalle und Erze beraubt, verarbeiteten sie Stein wie ihre fernen
Vorfahren. Sie hatten bereits eine hohe Kunstfertigkeit erreicht,
als sie mit dem mächtigen Piktenreich in Berührung kamen. Die

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Pikten waren ebenfalls in die Steinverarbeitung zurückgefallen,
hatten aber raschere Fortschritte in der Kriegskunst gemacht.
Von der künstlerischen Natur der Atlanter hatten sie nichts, sie
waren eine praktischer veranlagte, kriegerischere und vor allem
fruchtbarere Rasse. So hinterließen sie keine gemalten Bilder
oder Elfenbeinschnitzereien wie ihre Feinde, sondern viele
erstaunlich wirksame Steinwaffen.

Diese Steinzeitreiche prallten in einer Reihe blutiger Kriege
aufeinander, und die zahlenmäßig unterlegenen Atlanter wurden
in die Primitivität zurückgeworfen, doch auch die Entfaltung der
Pikten kam zum Stillstand. Fünfhundert Jahre nach dem
Kataklysmus waren die Barbarenreiche verschwunden. An ihrer
Stelle gibt es nun ein Volk von Wilden - die Pikten -, die in
andauernde kriegerische Auseinandersetzungen mit den
primitiven Stämmen - den Atlantern -, verstrickt sind. Die Pikten
besaßen den Vorteil der zahlenmäßigen Überlegenheit und der
Einigkeit, während die Atlanter in lose zusammenhängende Clans
aufgespalten waren. So sah es im Westen zu der Zeit aus.

Im fernen Osten, vom Rest der Welt durch mächtige Gebirge und
große Seen abgeschnitten, fristen die Lemurier ihr erbärmliches
Dasein als Sklaven der alten Rasse. Der ferne Süden ist noch in
Geheimnisse gehüllt. Vom Kataklysmus unberührt, steht er auf
einer vormenschlichen Entwicklungsstufe. Von den zivilisierten
Rassen des Thurischen Kontinents lebt ein kärgliches
Überbleibsel der nichtvalu-sischen Völker in dem Bergland im
Südosten - die Zhemri. Da und dort sind Stämme affenartiger
Wilder über die Welt verstreut, die vom Aufstieg und Untergang
der großen Zivilisationen nichts wissen. Aber im fernen Norden
ist ein neues Volk im Entstehen begriffen.

Zur Zeit des Kataklysmus floh eine Gruppe Wilder, von nicht viel
höherem Entwicklungsniveau als der Neandertaler, vor der
Vernichtung nordwärts. Sie drangen in die Schneeländer vor, die
nur von einer Gattung wilder Schneeaffen bewohnt waren,
großen zotteligen, weißen Tieren, die sich offenbar dort
entwickelt hatten. Diese Tiere jagten sie und trieben sie bis weit
über den Polarkreis hinaus, wo sie nicht überleben konnten, wie

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die Wilden glaubten. Die Eindringlinge aus dem Süden paßten
sich ihrer harten neuen Umwelt an.

Nachdem die piktisch-atlantischen Kriege die Anfänge einer
neuen Kultur blutig begraben hatten, veränderte ein neuer,
kleinerer Kataklysmus das Aussehen des alten Kontinents ein
weiteres Mal. Anstelle der Seen bildete sich ein großes
Binnenmeer, das den Westen noch stärker vom Osten trennte.
Die Erdbeben, Überschwemmungen und Vulkanausbrüche
vollendeten den Untergang der Barbaren, der mit ihren
Stammeskriegen seinen Anfang genommen hatte.

Tausend Jahre nach dem kleineren Kataklysmus ist die westliche
Welt ein rauhes Land der Urwälder, Seen und reißenden Ströme.
Durch die Wälder der nordwestlichen Berge streifen Horden von
Affenmenschen, die keiner Sprache mächtig sind und nicht den
Gebrauch von Feuer oder Werkzeugen kennen. Sie sind die
Nachkommen der Atlanter, die in ein Stadium primitiver
Dschungelbewohner zurückgefallen sind, aus dem sich ihre
Vorfahren vor Jahrtausenden so mühsam hochgekämpft haben.
Im Südwesten leben verstreute Sippen degenerierter
Höhlenbewohner, deren Sprache primitivster Art ist, die sich
jedoch immer noch Pikten nennen, was nun für sie soviel
bedeutet wie Menschen - sie selbst -, als Unterscheidung zu den
Tieren, mit denen sie ums Dasein kämpfen. Es ist die einzige
Verbindung mit ihrer Vergangenheit. Weder die niederen Pikten
noch die primitiven Atlanter haben Kontakt mit anderen Stämmen
oder Völkern.

Weit im Osten haben sich die Lemurier, die durch ihr
unmenschliches Sklavendasein fast auf ein tierisches Niveau
gesunken sind, gegen ihre Herren erhoben und sie vernichtet.
Als Wilde leben sie in den Ruinen einer fremden Zivilisation. Die
Überlebenden dieser Zivilisation, die der Wut ihrer Sklaven
entkommen waren, zogen westwärts. Sie fallen in das
geheimnisvolle vormenschliche Reich des Südens ein und
erobern es. Dabei nimmt ihre Kultur auch Züge dieser älteren an.
Das neue Königreich heißt Stygien, doch scheinen Überbleibsel

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der alten Rasse überlebt zu haben und sogar verehrt worden zu
sein, obgleich es das Volk als solches nicht mehr gab.

Da und dort auf der Welt finden sich bei kleinen Gruppen von
Wilden Anzeichen einer Entwicklung, aber verstreut und ohne
Zusammenhang. Doch im Norden wachsen die Stämme. Das
Volk dort wird die Hyborier oder Hybori genannt. Ihr Gott war Bori
- ein großer Häuptling, der der Sage nach in einer Zeit lange vor
ihrer Flucht nach Norden in den Tagen des großen Kataklysmus
lebte, über den die Stämme aber nur noch aus verstümmelten
Überlieferungen wissen.

Sie haben sich über den ganzen Norden ausgebreitet und ziehen
langsam südwärts. Bisher sind sie auf keine andere Rasse
gestoßen. Kriege gab es nur zwischen den eigenen Stämmen.
Fünfzehnhundert Jahre Entwicklung im kalten Norden haben sie
zu einer hochgewachsenen, dunkelblonden, grauäugigen,
unternehmungslustigen und kriegerischen Rasse geformt, die
auch bereits ausgeprägte künstlerische Züge aufweist. Sie leben
noch hauptsächlich von der Jagd, doch die südlicheren Stämme
betreiben seit einigen Jahrhunderten auch Viehzucht. Es gibt
eine Ausnahme in der bisher vollkommenen Isolation von
anderen Rassen:

Einmal kehrte ein Wanderer aus dem hohen Norden zurück und
berichtete, daß die als unbewohnt geltenden Eiswüsten Heimstatt
eines großen Stammes affenähnlicher Menschen seien. Er hielt
sie für Abkömmlinge jener Tiere, die die Vorfahren der Hyborier
einst aus den bewohnbareren Gebieten vertrieben hatten. Er
drängte darauf, einen starken Kriegertrupp nordwärts zu
schicken und sie auszurotten, denn sie würden sich zu echten
Menschen entwickeln. Er erntete Gelächter, und nur eine kleine
Schar abenteuerlustiger junger Krieger folgte ihm in den Norden,
doch keiner kehrte je zurück.

Die Stämme der Hyborier zogen in immer größerem Umfang
südwärts, je mehr die Bevölkerung anwuchs. Eine ganze Epoche
der Wanderungen und Eroberungen setzte ein. Quer durch die
Weltgeschichte kann man Wanderungen von Stämmen und
Volksgruppen beobachten.

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Betrachten wir die Welt fünfhundert Jahre später. Stämme der
blonden Hyborier sind nach Süden und Westen gezogen und
haben viele der kleinen, unbedeutenden Clans besiegt und
ausgelöscht. Aber das Blut der eroberten Rassen hat immer
auch seine Spuren in den Eroberem hinterlassen, so daß die
Nachkommen der älteren Horden bereits merklich veränderte
rassische Züge aufzuweisen beginnen. Diese gemischten
Rassen wurden von den nachdrängenden reinblütigen Horden
angegriffen und vor ihnen hergefegt wie Kehricht von einem
säubernden Besen, wodurch sie sich nur noch rascher mit einer
Vielzahl von Rassen und Volksgruppen vermischten.

Bisher sind die Eroberer nicht mit den älteren Rassen in
Berührung gekommen. Im Südosten streben die Nachkommen
der Zhemri, gestärkt durch Vermischung mit einem namenlosen
Stamm, mit neuer Kraft die Wiederbelebung ihrer alten Kultur an.
Im Westen beginnen die affengleichen Atlanter den langen
Aufstieg. Sie haben den Kreis ihres Daseins vollendet; sie haben
ihre einstige menschliche Existenz längst vergessen; sie wissen
nichts von früheren Entwicklungsstadien und beginnen ihre
Entwicklung unbeeinflußt und unbehindert von menschlicher
Erinnerung. Südlich von ihnen sind die Pikten noch immer Wilde,
bei denen sich entgegen allen Naturgesetzen weder Fortschritt
noch Degeneration zeigt. Weit im Süden liegt unberührt das
uralte, geheimnisvolle Königreich Stygien. An seinen östlichen
Grenzen liegt das Gebiet primitiver Nomadensippen, die bereits
als die Söhne Shems bekannt sind.

Nicht weit von den Pikten hat im weiten Tal des Zingg, im Schutz
hoher Berge, eine namenlose Gruppe von Primitiven, die man
eventuell als mit den Shemiten verwandt bezeichnen könnte, ein
fortschrittliches Ackerbau- und Siedlungssystem entwickelt.

Ein weiterer Faktor gab der hyborischen Völkerwanderung neuen
Anstoß. Ein Stamm dieser Rasse entdeckte die Verwendbarkeit
von Stein als Baumaterial, und so war das erste hyborische
Reich entstanden - das primitive und barbarische Hyperborea,
das als einfache Festung aus überein-andergetürmten
Steinblöcken zur Abwehr des Nachbarstammes seinen Anfang

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-2 0 5 -

nahm. Daraufhin gab der Stamm seine Pferdehautzelte auf und
baute einfache, unzerstörbare Steinhäuser, in deren Schutz er
stark wurde. Es gibt nur wenige noch dramatischere Ereignisse
in der Geschichte als den Aufstieg des primitiven, grimmigen
Reiches Hyperborea, dessen Menschen mit einem Schlag ihr
Nomadenleben aufgaben und Behausungen aus nacktem Stein
errichteten und sie mit gewaltigen Mauern umgaben. Eine Rasse,
die kaum dem Steinzeitalter entwachsen war, entdeckte durch
puren Zufall die ersten einfachen Grundlagen der Architektur.

Der Aufstieg dieses Reiches ließ viele andere Stämme ihre
Wohnsitze verlassen. Durch Kriege geschlagen und nicht gewillt,
ihren Rassengenossen in den Festungen tributpflichtig zu
werden, brachen viele Sippen auf lange Wanderschaften um die
halbe Welt auf. Gleichzeitig werden die nördlicheren Stämme
erstmals von hünenhaften blonden Wilden heimgesucht, deren
Entwicklung noch kaum über das Stadium von Affenmenschen
hinausging.

Die Geschichte der nächsten tausend Jahre ist die Geschichte
vom Aufstieg der Hyborier, deren kriegerische Stämme die
westliche Welt beherrschen. Primitive Reiche entstehen. Die
dunkelblonden Invasoren sind auf die Pikten gestoßen und haben
sie in die unwirtlichen Gebiete im Westen getrieben. Im
Nordwesten wissen die Nachkommen der Atlanter, die aus
eigener Kraft das Halbmenschenstadium überwinden, noch
nichts von den Eroberern. Weit im Osten entsteht die ganz
eigene, fremdartige Halbzivilisation der Lemurier. Im Süden
haben die Hyborier an den Grenzen jener Weideländer, die als
die Lande der Shem bekannt sind, das Königreich Koth
gegründet. Die Wilden dieser Länder entwickeln sich rasch durch
die Berührung mit den Hyboriern, aber auch mit den Stygiern,
von denen sie seit Jahrhunderten bedrängt wurden, über das
Barbarenstadium hinaus. Die blonden Wilden aus dem hohen
Norden sind mächtig und zahlreich und beginnen die nördlichen
hyborischen Stämme südwärts zu drängen, die wiederum ihre
eigenen Sippen vor sich hertreiben. Das alte Reich Hyperborea
wird von diesen nördlichen Stämmen erobert, behält jedoch

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-2 0 6 -

seinen ursprünglichen Namen. Südöstlich von Hyperborea ist ein
Königreich der Zhemri mit Namen Zamora entstanden. Im
Südwesten ist ein Stamm der Pikten in das fruchtbare Tal des
Zingg eingedrungen, hat die ackerbaubetreibenden Bewohner
unterworfen und sich dort angesiedelt. Das Mischvolk, das
daraus entstand, wurde später von einem umherstreifenden
Stamm der Hyborier besiegt, und aus diesen vermischten
Elementen entstand das Königreich Zingara.

Fünfhundert Jahre später sind die Reiche der Welt festgelegt.
Die Königreiche der Hyborier - Aquilonien, Neme-dien,
Brythunien, Hyperborea, Koth, Ophir, Argos, Corin-thia, und
eines, das als das Grenzkönigreich bekannt ist -beherrschen die
westliche Welt. Östlich davon liegt Zamora, südwestlich Zingara -
Völker, die einander in ihrem dunklen Äußeren und ihren
exotischen Bräuchen ähneln, doch nicht miteinander verwandt
sind. Weit im Süden schlummert Stygien unberührt von fremden
Invasoren, doch die Völker von Shem haben das stygische Joch
gegen das weniger harte von Koth ausgetauscht, dessen
ursprüngliche dunkelhäutige Herren sich in das Gebiet südlich
des mächtigen Stromes Styx zurückzogen, der auch Nilus oder
Nil heißt und aus den schwarzen Hinterländern erst nordwärts
fließt, dann im rechten Winkel abbiegt und seinen Weg durch die
Weideländer von Shem fast genau nach Westen nimmt und sich
dort ins Meer ergießt. Nördlich von Aqui-lonien, dem westlichsten
hyborischen Königreich, leben die Cimmerier, furchtlose Wilde,
die von keinen Invasoren bezwungen wurden, aber von ihnen
lernten, in rascher Entwicklung begriffen. Sie, die Nachkommen
der Atlanter, machen nun größere Fortschritte als ihre alten
Feinde, die Pikten, die in der Wildnis westlich von Aquilonien
leben.

Das hyborische Zeitalter

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-2 0 7 -

NACHWORT

Kull von Atlantis! Für mich ist die Übersetzung dieses Buches ein
purer Nostalgietrip.

Für mich war Kull von Atlantis, genauer gesagt, die Story

Das

Schattenkönigreich, der Auftakt für fast ein Vierteljahrhundert
Beschäftigung mit der Fantasy-Literatur, sowohl als Hobby als
auch im Beruf.

Neben Kull waren es vor allem die historischen Novellen Robert
E. Howards, die mir besonders gefielen. Mein Lieblingsbuch ist
immer noch THE SOWERS OF THE THUN-DER, das neben
vier dieser historischen Novellen über hundert Strichzeichnungen
Roy G. Krenkels enthält, eines Künstlers, der, oft skizzenhaft,
wie kein anderer archaische Szenerien und Figuren zu Papier
brachte. Krenkel schrieb ein Vorwort zu diesem Buch, aus dem
ich schon einmal in einer deutschen Robert E. Howard-Ausgabe
zitiert habe. Ich möchte es hier wieder tun, weil mir seine Worte
auch heute, nach dieser intensiven Wiederbegegnung mit Kull
von Atlantis, aus der Seele sprechen:

"Howard war ein großer Schriftsteller - das ist bereits oft
festgestellt worden. Es kann nicht oft genug wiederholt werden.
Hören Sie zu:

Als ich ein Krieger war, galt mir der Trommelschlag, Da mir in
Ruhm und Glanz das Volk zu Füßen lag. Jetzt bin ich König und
mir droht Gefahr Durch Gift und Mörderdolch aus ihrer Schar.

Es ist alles da - der wertlose Pomp öffentlichen Ansehens, die
Leere der Königswürde, die Last der Verantwortung, der
heimtückisch lauernde Verrat, die Furcht - in einem einzigen
Vierzeiler! Ich habe dicke Bücher gelesen, in denen es nur halb
so gut stand.

Seine Worte klangen wie eherne Hämmer auf einem Amboß der
Götter. Dunkler und unberechenbarer Götter."

Und:

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"Man liest Howard wie ein ferner Beobachter, der durch einen
Nebel der Zeit blickt - flüchtige grelle Bilder von marschierenden
Männern in Rüstungen, von Verteidigungswällen, über die wilde
Horden stürmen, von Intrigen in düsterem Kerzenlicht. Wie von
weit her hören wir den Ruf des Olifants, das Klirren von Stahl auf
Stahl, die Schreie der Sterbenden; zu gewaltig - zu schrecklich -
um wirklich zu sein, und darob irgendwie nur um so wirklicher!
Was sich herauskristallisiert und deutlich vor uns steht, ist die
Stimmung."

Und:

"Die Personen bewegen sich wie Figuren des Schicksals über
eine Welt, die aus einem Alptraum geboren wurde. Dunkle und
ungeheuerliche Taten, strahlendes Heldentum, übermenschlicher
Mut und gemeiner Verrat sind die Elemente - und schimmernde
Städte (mit nachtdunklen Kerkern), Lachen und schöne Frauen,
und Tod, und - Wahnsinn!

Dies ist kein Buch für zartfühlende Ästheten oder feinfühlige alte
Damen - es zu lesen, ist, als hätte man etwas Wirkliches,
Schreckliches selbst erlebt. Man fühlt mit Howard, zu einem Teil
wenigstens, diesen grimmigen Schmerz um verratene Könige
und verlorene Reiche - um große Taten, die vergeblich waren,
um Schönheit, die ausgelöscht, und Lachen, das für immer
verstummt ist.

Sie werden diese Geschichten nicht nur lesen - Sie werden sie
erleben!"

Krenkel schrieb dies über die historischen Erzählungen
Howards, aber es paßt in vielem auch auf das vorliegende Buch.

Sie werden in dieser neuesten Ausgabe der Kull-Geschichten
auch mit drei Fragmenten konfrontiert. Lassen Sie mich dazu
kurz erklären:

Robert E. Howard schrieb seine Erzählungen wie zwischen den
Weltkriegen in der Unterhaltungsliteratur in Amerika üblich, für
die PULPS, die großformatigen Groschenmagazine, WEIRD
TALES, FICHT STORIES, ORIEN-TAL STORIES, MAGIC
CARPET MAGAZINE, GOLDEN FLEECE, STRANGE

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-2 0 9 -

DETECTIVE STORIES, ARGOSY, um ein paar zu nennen.
Howards bekannteste Geschichten, vor allem die um Conan den
Barbaren, erschienen in WEIRD TALES, einem Horror-Magazin,
ab Beginn der dreißiger Jahre bis zu seinem frühen Tod, 1936.

Die Kull-Geschichen entstanden alle zwischen 1926 und 1930,
doch nur zwei. Das Schattenkönigreich und Die Spiegel des
Tuzun Thune, erschienen zu Howards Lebzeiten. Einige der
Stories enthalten außer der phantastischen Szenerie kein
eigentliches Fantasy-Element und waren für WEIRD TALES
nicht geeignet, und die harte Konkurrenz auf dem Sektor der
Abenteuer-Magazine bereitete Howard in diesem frühen Stadium
seiner schriftstellerischen Laufbahn Mühe, Fuß zu fassen. So
wanderten die meisten Kull-Stories wieder in die Schublade oder
waren Ausgangsmaterial für spätere Conan-Geschichten.

Erst 1966 kamen in einem Agenturnachlaß mehrere Kartons mit
Howard-Manuskripten ans Tageslicht, darunter sieben
vollständige, unveröffentlichte Kull-Geschichten und drei
Fragmente. Für die erste Taschenbuchausgabe, die bereis 1967
erschien, vollendete Lin Carter die drei Fragmente. Diese
erschien 1976 in zwei Taschenbüchern auch in deutscher
Sprache.

Die vorliegende Ausgabe ist nun ein Versuch, das Material so zu
präsentieren, wie Howard es in den zwanziger Jahren schrieb,
und dem Fan und Interessenten die Fragmente als kleine Zugabe
anzubieten, da er sie sonst sicher nie zu Gesicht bekommen
hätte.

Dies ist aber auch noch nicht das gesamte Kull-Material.

Eine der besten Geschichten Kings of the Night/Herrscher der
Nacht gehört zum Zyklus um den Piktenkönig Bran Mak Morn.*

Die kurze Erzählung The Curse of the Golden Skull/Rotaths
Fluch (die Geschichte eines sterbenden Zauberers, dem der
>Barbarenhäuptling Kull von Atlantis< den Todesstoß versetzt
hat) war in der ersten deutschen Kull-Ausgabe** enthalten.

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-2 1 0 -

Kull spukt außerdem durch die Romane um Cormac MacArt,
einen gälischen Abenteurer aus Howards Feder, die Andrew
Offutt schrieb.

Im Laufe der letzten zehn Jahre sind die meisten Story-Zyklen
Howards auch in deutscher Sprache erschienen. Vieles davon
habe ich selbst ausgegraben und zusammengestellt. Dabei hat
mich immer wieder verblüfft, wie produktiv Robert E. Howard in
diesen kurzen zehn Jahren seines schriftstellerischen Schaffens
war. Und immer noch kommt interessantes Material ans
Tageslicht.

Und dann: Howards Gedichte!

Hören Sie zu:

Denn mein Wegführt in die Öde Und mein Traum ist ohne Licht.
Meine Schwingen rasten müde, Bis der Sturm der Zeit sie bricht.

* Robert E. Howard: KÖNIG DER PIKTEN - Die Sage von Bran

Mak Morn, Bastei Lübbe 20 066, 1984

** Robert E. Howard: KULL VON ATLANTIS und HERR VON
VALUSIEN TERRA FANTASY 28 und 29, Erich Pabel Verlag,
1976

Oder:

Jch hab nicht das Locken der Lauten gehört,

noch der bronzenen Hörner Schall,

Doch dort, wo kein Wind die Stille stört,

hört ich des Schweigens Hall.

Ich hab nicht gehört, wie die Trommeln gehn,

noch sah ich die Banner im Feld,

Doch ich habe die Drachen kommen gesehn,

glutäugig, über die Welt.

So düster, so grimmig, so faszinierend wie seine Prosa.

Der Erste Deutsche Fantasy Club hat seit den sechziger Jahren
in Zusammenarbeit mit Glenn Lord, dem literarischen
Nachlaßverwalter Howards, in seinen Publikationen viele
Gedichte und Briefe (etwa an seine Autorenkollegen August


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