Chance, Linda Marcos Erloesung

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Das Buch

Der wahre Alpha – das absolute Alphamännchen!

Marco Donati ist reich, skrupellos und in seinen Beziehungen

eher wahllos. Das Einzige, worum es ihm geht, ist die Befriedigung
seiner sexuellen Bedürfnisse, ebenso häufig wie ohne jegliche
Bindung. Und er hat nicht vor, auch nur irgendetwas an seinem
Leben zu ändern.

Natalie Lambert ist allein, so gut wie pleite und neu in der

Stadt. Eine zufällige – oder eher unfällige? – Begegnung mit Marco
Donati unterwirft sie seiner Macht und Kontrolle.

Die Dinge entwickeln sich, die Spannung steigt, und das Ver-

trauen zwischen zwei Menschen, die einfach nicht voneinander
lassen können, wird auf eine harte Probe gestellt.

»Marcos Erlösung« wurde im August 2013 erstveröffentlicht.

Die lieferbare Ausgabe wurde neu lektoriert und gestaltet.

Die Autorin

Lynda Chance ist eine »USA Today«-Bestsellerautorin, die mit dem
Schreiben begann, als sich ihre Suche nach einem ihren Ans-
prüchen genügenden Alphahelden als erfolglos erwies. Daraufhin
beschloss sie, sich schreibenderweise ihren eigenen zu erschaffen.

Seit ihrem ersten Buch gibt es für sie kein Halten mehr. Im

Laufe der Zeit hat sich ihre schriftstellerische Arbeit mehr und
mehr ausgeweitet. Lynda schreibt Zeitgenössisches, Historisches,
Erwachsenenromane und Romane für junge Erwachsene sowie
Novellen und Kurzgeschichten, die alle ein gemeinsames Thema

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haben: einen Alphahelden, der vor Lust und Liebe auf die Knie
sinkt, wenn er endlich seiner Heldin begegnet. Einer Frau, die er
garantiert nie betrügen würde.

Zusammen mit ihrem seit siebenundzwanzig Jahren an-

getrauten Ehemann lebt Lynda in einem kleinen Häuschen mit
fragwürdigen Rohrleitungen und herrlicher Aussicht in einer Bucht
von Galveston County, Texas. Das Paar hat zwei erwachsene
Kinder, die in Dallas wohnen.

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Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel »Marco’s Re-

demption« im Selbstverlag.

Veröffentlicht bei AmazonCrossing

Amazon E.U. Sárl, 5 Rue Plaetis, L-2338, Luxembourg

Januar, 2015

Copyright © der Originalausgabe 2012 By Lynda Chance

All rights reserved.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015 By Irena

Böttcher

Umschlaggestaltung: bürosüd

o

München,

www.buerosued.de

Lektorat: Miriam Shahd

Satz: Monika Daimer,

www.buch-macher.de

ISBN: 978-1-477-82927-1

www.amazon.com/crossing

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Für all die wunderbaren Leserinnen, die sich von

mir einen Mann im Anzug gewünscht haben. Ich

hoffe, Sie finden Gefallen an Marco.

Und für Suzanne und Clayton. Ich danke euch für

die wundervolle Unterstützung – vor allem aber

bei diesem Buch. Ich wusste doch, wie praktisch

es eines Tages sein würde, zwei kleine Tech-

nikfreaks zu kennen … Und denkt immer daran:

Mom liebt euch.

Und für Clayton – jetzt und immer.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Epilog

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Kapitel 1

Im hektischen Berufsverkehr stieg Marco Donati voll in die Eisen.
Er hörte das Quietschen der Reifen und das knirschende Geräusch
von Metall auf Metall im gleichen Moment, in dem ein heftiger Stoß
ihn nach vorn warf. Verärgert stieß er die Luft aus und lenkte sein
Auto rasch auf den Standstreifen. Dann wartete er darauf, dass der
Fahrer des Wagens, der auf seinen aufgefahren war, dasselbe tat.

Innerlich fluchte er. Diese ärgerliche Sache würde ihn jede

Menge Zeit kosten. Im Rückspiegel sah er das kleinere Fahrzeug
zum Stehen kommen.

Zwar ging er nicht davon aus, dass der Aufprall den anderen

Fahrer verletzt haben könnte. Dennoch stieg er aus, um sich zu
vergewissern.

Sein Audi A8 war eine teure Sonderanfertigung. Der hintere

Kotflügel des Wagens, bis vor wenigen Minuten absolut makellos,
war beschädigt, wie er feststellte. Aber das war noch nicht alles –
den glänzend schwarzen Lack seines schnittigen Wagens verun-
zierte ein neongrüner Streifen.

In dem uralten grünen Kleinwagen saß eine einzige Person,

eine junge Frau. Mit einer ungeduldigen Handbewegung bedeutete
er ihr, das Fenster herunterzukurbeln.

Das Gesicht der jungen Frau kam zum Vorschein, weiß vor

Schock. Ihre Augen konnte er nicht sehen. Sie waren hinter einer
riesigen Sonnenbrille verborgen, die das schmale Gesicht beinahe
beherrschte.

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Unter anderen Umständen hätte er sie sich näher betrachtet,

doch jetzt hatte er wirklich keine Zeit für diesen Mist. »Sind Sie in
Ordnung?«, fragte er schroff. Die junge Frau zitterte, schien aber
ansonsten nichts abbekommen zu haben.

»Ja. Sie haben mir nichts getan.«
»Ich habe Ihnen nichts getan?«, erwiderte er barsch. »Sie sind

doch mir hinten draufgefahren!«

»Sie haben so schnell angehalten!”
»Machen Sie Witze? Wir sind hier mitten im Berufsverkehr, da

stockt Verkehr alle paar Sekunden! Jetzt hören Sie auf mit dem
Unsinn und geben mir Ihre Versicherungskarte, Ihren Ausweis und
Ihren Führerschein, damit wir die Sache hinter uns bringen
können.«

Sie starrte ihn nur an. Ihre Unterlippe zitterte. Marco fand, sie

sah ausgesprochen jung aus, obwohl er nicht hätte sagen können,
was genau diesen Eindruck hervorrief. Sie hätte ebenso gut ein
Teenager sein können wie eine erwachsene Frau, zumal die riesige
Sonnenbrille ihre Augen verbarg. Er trat von einem Fuß auf den an-
deren, fühlte sich mehr und mehr unbehaglich. Dabei gab es nicht
den geringsten Grund, warum er sich wegen des Unfalls ir-
gendwelche Vorwürfe machen sollte. Schließlich hätte er nicht das
Geringste tun können, um den Aufprall zu vermeiden.

»Mir ist schon klar, dass es, rein technisch betrachtet, meine

Schuld war. Aber ich …« Sie stockte, als ein großer Sattelzug an
ihnen vorbeirauschte. Ihrer Stimme fehlte es an Stärke, und ihre
Augen hafteten auf dem vorbeirasenden Verkehr. Sie machte keine
Anstalten, seiner Aufforderung nachzukommen und ihm die nöti-
gen Informationen zu geben.

Seine Muskeln spannten sich an. Er biss die Zähne zusammen,

kam zu einer Entscheidung. Nein, er würde sich durch ihr hübsches
Gesicht nicht beeindrucken lassen! Rasch zog er sein Handy aus der
Tasche und tippte ein paar Nummern ein.

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»Warten Sie!« Die zwei Worte waren eine Bitte, der man an-

hörte, wie eindringlich sie war. Er machte den dummen Fehler, den
Blick wieder auf das Gesicht der jungen Frau zu richten.

»Wen rufen Sie an?«, fragte sie. Es war beinahe ein Flüstern.
»Die Polizei.« Er sprach abrupt, die Lippen zu einer Linie

zusammengepresst.

»Bitte, machen Sie das nicht!«
Sie sprach beschwörend. Marco stellte fest, dass er Mühe

hatte, sich ihrem Flehen zu verschließen. »Und warum bitte sollte
ich das nicht tun? Jemand wird für diesen Sch…« Er unterbrach
sich und überlegte erneut, wie alt sie wohl sein mochte. Vielleicht
war es besser, er hielt sich mit dem Fluchen etwas zurück. »Jemand
muss für den Schaden an meinem Wagen bezahlen«, korrigierte er
sich. Er begutachtete den Zustand ihrer Kleidung und versuchte,
das Alter ihres Autos abzuschätzen. Alles, was er zu sehen bekam,
sprach eine deutliche Sprache: Sie hatte kein Geld. Er war so am
Arsch! Wahrscheinlich hatte sie nicht einmal eine Haftpflichtver-
sicherung. Falls sie doch eine hatte, war es am besten, er rief tat-
sächlich die Polizei. Ein Bußgeld würde ihrer Versicherung sofort
deutlich machen, dass sie an allem schuld war. Außerdem würde er
sich nachher so viel besser fühlen!

Sie war sichtlich bleich geworden und schüttelte den Kopf.

»Ich werde alles wieder in Ordnung bringen, das verspreche ich
Ihnen. Nur bitte – rufen Sie nicht die Polizei. Bitte! Das macht alles
nur noch schlimmer!«

Er zögerte, aber nur kurz. »Vielleicht sollten Sie Ihren Vater

anrufen.«

Ihr Gesicht erstarrte, zeigte eine Spannung, die sich mehr und

mehr verhärtete. »Ich habe keinen Vater. Das ist der Wagen meines
Cousins.«

Zwei einsame Tränen suchten sich ihren Weg über ihre Wan-

gen. Rasch hob sie die Hand und wischte sie fort, versuchte ganz of-
fensichtlich, sich zusammenzureißen. Die Tränen ließen sie
herzzerreißend zerbrechlich erscheinen. Er kam sich vor wie ein

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Oberarschloch. Wenigstens fast. Erneut zögerte Marco, einen
schicksalhaften Augenblick lang. Sein Magen verkrampfte sich.
Natürlich machte das für sie alles nur noch schlimmer, wenn er jet-
zt die Polizei rief. Er konnte es kaum glauben, aber er empfand tat-
sächlich Mitleid mit ihr. Andererseits konnte er sich auch der Be-
fürchtung nicht erwehren, dass sie ihn einfach nur zu manipulieren
versuchte. »Lassen Sie mich Ihren Führerschein und Ihren Ausweis
sehen«, verlangte er, seine Stimme nur minimal weicher.

Sie griff neben sich und kramte in einer Handtasche herum,

die fast so alt und mitgenommen aussah wie ihr Auto. Sie fand,
wonach sie gesucht hatte, und reichte es ihm durch das Fenster.

Als er sich ihren Ausweis betrachtete, fiel Marco sofort etwas

auf. Diese Natalie Lambert – so hieß sie – war längst nicht so jung,
wie sie auf den ersten Blick wirkte. Dem Dokument nach war sie
bereits vierundzwanzig. Sie war kein Mädchen – sie war eine junge
Frau. Kaum hatte er aus ihrem Geburtsdatum ihr Alter errechnet,
spürte er, wie sich etwas in ihm veränderte. Noch bevor er weiter-
las, betrachtete er noch einmal das, was er von ihr sehen konnte.
Weshalb sie wohl so viel jünger wirkte? Er schaute wieder auf den
Ausweis. Sie war nicht hier aus der Stadt, sie war eine Organspend-
erin, ihre Augen waren blau. Außerdem war sie nicht einmal eins
sechzig groß.

Scheiße – eins neunundfünfzig!
Er hatte schon immer eine Schwäche für kleine Frauen gehabt.

Natürlich würde er das nie offen zugeben, aber kleine Frauen lösten
in ihm ganz automatisch einen Beschützerinstinkt aus, er konnte
nichts dagegen machen. Ganz besonders heftig war diese Reaktion,
wenn die Frauen seidenweiche Haare hatten und nicht nur klein
waren, sondern auch noch extrem hilflos wirkten. So wie die Frau
im grünen Auto. Ihm war sehr wohl bewusst, dass dies eine Reak-
tion aus der Zeit der Neandertaler war, ein Reflex, nicht mehr. Was
ihr nichts von ihrer Stärke nahm. Ebenso wenig wie die Erkenntnis,
wie wenig politisch korrekt eine solche Einstellung war. Und wie
wenig sie mit Vernunft oder gar höherer Vernunft zu tun hatte. Es

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war einfach elementar – und ebenso mächtig wie unpassend. Er
hatte schon immer gegen diesen Drang angekämpft. Schließlich
hatte er keinerlei Interesse daran, dass ihm seine Sexpartnerinnen
emotional zu nahe kamen. Allerdings, auch auf rein sexueller Ebene
war er von kleinen Frauen fasziniert. Wenn er es sich erlaubte, sich
feuchten Tagträumen hinzugeben, spielte darin immer eine zier-
liche Frau eine Rolle. Der Gedanke, in eine enge, schmale, winzige
Öffnung zu gleiten, erregte ihn jedes Mal maßlos.

Auch jetzt konnte er sich genau dagegen nicht wehren, gegen

diesen Gedanken. Sie saß da so sittsam und züchtig und doch
höchst nervös hinter dem Steuer und wartete darauf, dass er eine
Entscheidung traf, die sich auf ihr ganzes zukünftiges Leben aus-
wirken konnte.

Prickelnde Hitze schoss durch seine Adern.
Wegen dieser verdammten Sonnenbrille konnte er nicht viel

von ihr sehen – und er konnte sie ja schließlich kaum bitten, sie
abzunehmen. Ihr Haar war mittellang, ziemlich wirr und nichts
Besonderes; einfach braun. Mittelbraun. Aber da waren ihre un-
glaublich vollen Lippen, die leicht zitterten. Sein Ärger über den
Schaden an seinem Fahrzeug drohte in einer gewaltigen Erektion
unterzugehen. Es drängte ihn, sie vor den Schwierigkeiten zu
schützen, in die sie sich selbst gebracht hatte.

Angesichts dieser Reaktion konnte er nur den Kopf schütteln.

Das war genau das, was er jetzt überhaupt nicht gebrauchen
konnte!

Um sich zu beruhigen, wandte er den Blick ab, betrachtete den

Verkehr und sah sie dann wieder an. Er atmete dabei so heftig aus,
als wolle er damit den ganzen aufgestauten Frust loswerden. »Ich
sage Ihnen, was wir jetzt tun werden. Wir werden auf den Parkplatz
da vorn fahren, und dann regeln wir die Sache. Und wenn Ihnen
das nicht passt, hole ich die Polizei.«

»Nein, das ist in Ordnung – ich folge Ihnen«, sagte sie rasch.

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Marco steckte ihren Führerschein und ihren Ausweis ein –

sicher war sicher. Dann stapfte er zu seinem Wagen zurück, glitt
hinters Steuer und fädelte sich in den Verkehr ein.

Auf dem kurzen Weg hatte er den Rückspiegel konstant im

Blick und achtete auf Anzeichen, dass sie abhauen wollte, aber sie
folgte ihm brav, wie sie es versprochen hatte.

Natalie stieß einen Seufzer vorübergehender Erleichterung aus und
folgte diesem wirklich atemberaubend gutaussehenden Mann im
Anzug auf den Parkplatz des Holiday Inn Express, direkt gegenüber
der Stelle, wo der Zusammenstoß stattgefunden hatte. Mit vielen
tiefen Atemzügen versuchte sie, ihre flatternden Nerven zu beruhi-
gen. Wenigstens holte der Typ nicht die Polizei. Zumindest hoffte
sie das. Falls er nicht noch seine Meinung änderte.

Sie parkte neben ihm und stieg aus dem Auto. Dabei versuchte

sie, die Falten in ihrem ziemlich zerknitterten T-Shirt notdürftig zu
glätten. Er stand schon neben seinem Wagen und telefonierte.
Unauffällig versuchte sie aufzuschnappen, was er sagte. Zum Glück
schien er nicht die Polizei angerufen zu haben. Stattdessen gab er
jemandem die Anweisung, seine Nachmittagstermine abzusagen.

Verflucht! Sie war daran schuld, dass er etwas verpasste, was

offensichtlich ziemlich wichtig war. Das war ein weiterer Punkt auf
ihrer Negativliste. Konnte es eigentlich noch schlimmer kommen?
Momentan war wirklich alles zum Kotzen! »Mein Leben ist so
scheiße!«, fluchte sie leise, gerade als er den Anruf beendete.

Er wandte sich zu ihr um, mit einem wirklich finsteren

Gesichtsausdruck. »Wie bitte?«

»Äh – nichts.« Sie errötete.

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»Nun sagen Sie schon – was haben Sie gerade gemurmelt?«

Seine Augen verengten sich böse.

»Mein Leben ist so scheiße«, wiederholte sie leise. Er schaute

sie verständnislos an. Na toll – jetzt hielt er sie nicht nur für dumm,
sondern auch noch für vulgär; für eine Frau, die nicht Auto fahren
konnte und sich des Vokabulars aus der Gosse befleißigte. Klasse
gemacht, Natalie!

»Das ist ein Spruch aus dem Film ›Superbad‹«, versuchte sie

sich zu rechtfertigen.

Sein Blick veränderte sich nicht. Natürlich – ein Mann seines

Kalibers hatte ganz gewiss Besseres zu tun, als sich Komödien über
Teenager anzuschauen. Wahrscheinlich hatte er von dem Film noch
nie gehört. »Vergessen Sie’s. Manchmal ist das Leben einfach nicht
besonders schön.« Sie hielt inne. »Aber davon haben Sie keine Ah-
nung, oder?« Sie konnte ihren Sarkasmus einfach nicht zurückhal-
ten. Der Kerl war so groß, so männlich, so gutaussehend, so of-
fensichtlich reich und bedeutend und wichtig. Bestimmt hatte er
noch nie in seinem Leben auch nur einen einzigen schlechten Tag
gehabt. Höchstens heute – und zwar ihretwegen.

»Wenn Sie besser aufgepasst hätten, hätten Sie mich nicht von

hinten aufs Korn genommen«, kam er nun streng zum eigentlichen
Grund der Sache zurück.

Er trat einen Schritt auf sie zu. Unwillkürlich lief Natalie ein

Schauer über den Rücken. Er war so … groß! Und so sexy noch
dazu … Himmel, er war ein echter Traumtyp! Eigentlich stand sie
nicht unbedingt auf Kerle im Anzug. Sie kam eben vom Land, nicht
aus einer großen Stadt, und was an einem Anzug verführerisch sein
sollte, hatte sich ihr nie erschlossen. Jeans und Stiefel machten sie
viel mehr an. Aber da stand er jetzt, einen halben Meter von ihr
entfernt. Von hinten genommen … Sobald sie ein paar Worte aus
seinem Satz wegließ, bekam er eine ganz neue Bedeutung, und zwar
eine, die sie zu ihrem eigenen Entsetzen mit einer ganz seltsamen
Hitze in ihrem Bauch zum Beben brachte. Die sich durch die Angst,
die die reale – und nicht zusammenfantasierte – Situation in ihr

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auslöste, nur noch verstärkte. Mit einem weiteren tiefen Atemzug
versuchte sie, ihren inneren Aufruhr zu verbergen.

Langsam, wie in Zeitlupe, streckte er jetzt die Hand aus. Sie

schluckte. »Marco Donati«, stellte er sich vor; kalt, nüchtern,
geschäftlich – und ganz klar Herr der Lage.

Ebenso langsam legte sie ihre zierliche Hand in seine große,

kräftige. »Natalie Lambert.«

»Ich würde ja sagen, ich freue mich, Sie kennenzulernen, aber

…« Er sprach den Satz nicht zu Ende. Das musste er auch nicht. Ihr
war schon klar, dass Freude so ziemlich das Letzte war, was er jetzt
spürte. Trotzdem hielt er ihre Hand fest, in einem eisernen Griff,
viel zu lang. Was sollte das?

Rasch entzog sie sich seinem Griff. Seine Berührung war

merkwürdig intensiv gewesen, heiß und brennend. Sie spürte den
unwiderstehlichen Drang, sich von ihm zurückzuziehen. Also
marschierte sie zur Beifahrerseite, öffnete die Tür und suchte im
Handschuhfach nach den Unterlagen von der Versicherung. Un-
willkürlich hielt sie dabei den Atem an. Ziemlich weit unten in dem
Chaos lag eine klare Plastikhülle mit allem, was sie brauchte. Sie
warf einen schnellen Blick auf den Nachweis der Versicherung. Und
entdeckte, dass diese vor zwei Monaten abgelaufen war. Ihr Herz
blieb stehen, einen qualvollen Augenblick lang. Angst und Scham
stiegen in einer heißen Welle in ihr auf. Sie wusste, jetzt hatte
dieser Kerl sie komplett in der Hand. Sie war ihm total ausgeliefert.

Sie stand da wie erstarrt und wusste doch, sie musste ihm

gleich wieder gegenübertreten. Langsam drehte sie sich um, ging
auf ihn zu, die Versicherungsunterlagen in der Hand. »Ich muss
meinen Cousin anrufen, aber mein Handy ist tot«, verkündete sie
so ruhig, wie sie nur konnte.

Marco kämpfte gegen die Erinnerung daran, wie ihr knackiger

Arsch sich herausgestreckt hatte, als sie nach den Unterlagen
suchte, und versuchte, sich auf die wichtigen Dinge zu konzentrier-
en. »Tot?«, fragte er mit gerunzelter Stirn. Die ständige Verfüg-
barkeit eines Handys war für ihn schon lang eine absolute

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Selbstverständlichkeit. Ebenso wie für jeden anderen, den er kan-
nte, angefangen von den sechsjährigen Zwillingen seiner Cousine
bis hin zu den Reinigungskräften in seinem Büro.

»Ich habe keine Minuten mehr übrig«, erklärte sie. »Es ist

eines mit einer Prepaid-Karte.«

Das wurde ja immer besser! Mit einer Grimasse zog er sein ei-

genes Handy heraus und reichte es ihr. »Aber bitte doch!«, knurrte
er.

Mit zitternden Fingern nahm Natalie das Handy, noch warm

von der Hitze seines Körpers. Sie konnte einen weiteren prick-
elnden Schauer nicht unterdrücken. Zum Glück kannte sie die
Nummer auswendig.

Sie wandte sich ab, das Handy fest ans Ohr gepresst, und legte

den anderen Arm schützend um ihren Oberkörper.

Justin antwortete beim dritten Klingeln, atemlos. »Ja?«
»Justin, ich bin’s, Natalie.« Sie war sich nur zu deutlich be-

wusst, dass Marco Donati nur einen Schritt von ihr entfernt stand.
Dass er sie mit offensichtlich steigender Wut beobachtete. Und dass
ihre Stimme zitterte.

»Was ist los? Du weißt doch – ich bin gleich im Hubs-

chrauber.« Ihr Cousin arbeitete vor der Küste auf einer Ölplatt-
form. Er hatte sich schon für die nächsten Monate von ihr
verabschiedet.

»Ich – ich hatte einen Unfall«, sagte sie hastig. »Ich bin in

Ordnung, aber es war meine Schuld, und die Versicherung ist
abgelaufen.«

»Scheiße!«, fluchte er so laut, dass sie erschrocken das Handy

vom Ohr nahm.

Schnell sprach sie weiter. »Es tut mir so leid! Aber du hast

doch gesagt, es ist in Ordnung, wenn ich dein Auto nehme. Es ist
doch versichert, oder? Und du hast nur vergessen, die neuen Unter-
lagen ins Handschuhfach zu legen?« Viel Hoffnung hatte sie allerd-
ings nicht, dass es so war. Der Wagen war vierzehn Jahre alt, und
Justin behielt ihn eigentlich nur für Notfälle. Er selbst fuhr einen

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neuen Truck. Allerdings war das grüne Auto noch zuverlässig
genug, um damit herumzufahren. Das hatte er wenigstens behaup-
tet und ihr erlaubt, es zu benutzen, während sie auf Jobsuche war.

»Nat, es tut mir leid. Ich habe den Ölstand und den

Reifendruck geprüft. Ich wollte eigentlich auch noch die Versicher-
ung verlängern, aber das habe ich total vergessen. Verfluchte
Scheiße!«

Sie schloss die Augen. Ihre Knöchel wurden weiß, so fest hielt

sie das Handy. »Und was mache ich jetzt?«

»Versuch einfach dein Bestes, Natalie. Was für eine Art Auto

hast du denn erwischt?«

»Ich weiß es nicht. Aber es ist ganz neu. Und sehr hübsch.« Sie

schaute auf das schwarze Auto und dann auf den Mann, der neben
ihr stand. »Der Eigentümer heißt Marco Donati.«

»Donati?«, fragte ihr Cousin ungläubig. »Wie die Bank?«
»Das weiß ich nicht.«
»Nat, sorry – aber ich muss los. Es gefällt mir überhaupt nicht,

dass ich dich jetzt im Stich lassen muss, aber ich bin schon spät
dran. Sag ihm einfach, es ist mein Auto, und ich werde ihn
garantiert entschädigen. Und versprich ihm, alles zu tun, um die
Sache wieder in Ordnung zu bringen. Mach es nicht schlimmer, in-
dem du mit ihm diskutierst, wessen Schuld es war. Natürlich nur,
wenn du dir sicher bist, dass es deine Schuld war.«

»Ich bin hinten auf ihn draufgefahren«, gab sie zu.
»Okay. Lass mein Auto abschleppen, zu mir in die Einfahrt.

Fahr nicht mehr damit, bis ich den Schaden repariert und eine neue
Versicherung abgeschlossen habe.«

»Okay – danke. Pass auf dich auf!«
»Ja, du auf dich auch!«
Mit gesenkten Augen gab Natalie das Handy zurück. Sie kam

sich plötzlich wahnsinnig einsam und verlassen vor. Sie wusste ja,
Justin musste gehen, er musste schließlich Geld verdienen. Aber
jetzt war sie mit seiner Freundin allein im Haus, die sie hasste. Und
wahnsinnig eifersüchtig war, obwohl Justin und sie nur Cousin und

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Cousine waren, nichts weiter. Ihre Lage hatte sich gerade noch
mehr verschlimmert, jetzt, wo er fort war.

Außerdem gefiel ihr Houston überhaupt nicht. Wenigstens

bisher. Und sie vermisste ihre Mutter.

Marco Donati steckte das Handy wieder ein. »Keine Versicher-

ung?«, stellte er fest. Seine Stimme war kalt und ausdruckslos.

Sie schüttelte den Kopf und wagte es, ihm in die Augen zu se-

hen, trotz Schuldgefühlen und Scham, die ihr beinahe den Atem
nahmen. »Es – es tut mir leid. Ich werde irgendwie dafür
aufkommen.«

Er kreuzte die Arme vor der Brust und verzog höhnisch den

Mund. Seine Augen funkelten wütend. »Nein, das werden Sie nicht.
Sie sollten wenigstens ehrlich sein!«

»Doch, ich werde das bezahlen. Garantiert!«
»Haben Sie auch nur die geringste Vorstellung davon, was das

Auto kostet und wie groß der Schaden ist, den Sie angerichtet
haben?«

Ihr Blick glitt zur Seite. Das Gewicht, das auf ihr lastete, wurde

schwerer und schwerer. Natalie hatte zwar keine Ahnung von sol-
chen Autos wie diesem, aber wenn sie den Wagen so betrachtete,
war es ziemlich eindeutig – sie steckte ganz schön in der Scheiße.
Nervös leckte sie sich die Lippen. »Kostet es mehr als eine Cor-
vette?«, flüsterte sie.

»Allerdings!«, blaffte er. Verärgerung verlieh seiner Stimme

Schärfe.

Natalie schloss die Augen, öffnete sie wieder. Bohrende Kopf-

schmerzen bedrängten sie – rein stressbedingt. Sie schob die
Sonnenbrille nach oben und massierte sich die pochenden
Schläfen. Endlich stellte sie sich wieder seinem Blick. Sie konnte es
einfach nicht weiter aufschieben. »Können wir irgendwie eine Eini-
gung finden?«, fragte sie heiser.

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Kapitel 2

Marco beobachtete, wie ihre zitternden Finger die Sonnenbrille wie
einen Haarreif nach oben schoben. Eine kribbelnde Spannung er-
füllte ihn. Er wartete darauf, dass sie ihn ansah, voller begieriger
Ungeduld. Endlich konnte er ihr in die Augen schauen. Sein Magen
zog sich zusammen.

Eine Welle der Lust traf ihn mit plötzlicher Wucht. Hätte er an

so etwas wie die Hölle geglaubt, er war sich sicher, das war genau
der Ort, an dem er landen musste. Seine instinktive Reaktion auf
ihre unschuldige Frage, oder eigentlich eher auf ihre wunderschön-
en Augen, war geradezu verdammenswert. Ganz still stand sie da,
unglaublich zart und klein, in ihren ausgefransten Jeans und ihren
schmutzigen Tennisschuhen, mit ihrem atemberaubend interess-
anten Gesicht. Zwei Dinge drängten sich ihm urplötzlich auf. Er-
stens war da die Erkenntnis, dass er noch nie eine Frau so schnell,
so wild und so unpassend gewollt, einfach nur gewollt hatte. Und
das Zweite war die Tatsache, dass die Angabe in ihrem Ausweis
falsch sein musste. »Nie im Leben sind Sie eins neunundfünfzig«,
platzte er heraus.

Sie blinzelte erstaunt. »Doch, das bin ich.«
»Blödsinn!« Sie war noch kleiner, mehrere Zentimeter. Sein

ungebärdiger Körper brüllte ihm die Ohren voll, versuchte, seinen
Verstand zu übertönen, damit er sich auf sie stürzen konnte. Es war
auf einmal so, als bestünde er aus zwei unterschiedlichen Personen,
die einander entgegengesetzt dachten und in einen heftigen Kampf
verstrickt waren. Sein Bauchgefühl – und sein Schwanz – wollten

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sie, wollten sie unbedingt, mit aller Macht. Noch konnte sein Ge-
hirn sich dagegen wehren. Allerdings war es eine Frage des Zufalls,
welche Seite am Ende den Sieg für sich verbuchen würde.

Seine Unterstellung schien sie zu ärgern. Sie straffte sich und

schien zu wachsen. »In meinem Ausweis steht, ich bin eins
neunundfünfzig, also bin ich das auch!«, bemerkte sie indigniert.

Sein nächstes Ausatmen war ein unterdrücktes Lachen.

Gleichzeitig verbot er sich selbst den drängenden Wunsch, die
Hand auszustrecken und die schmale Erhebung ihrer Brüste zu ber-
ühren. Was diesen Wunsch allerdings wenig beeindruckte. »Also
haben Sie beim Ordnungsamt gelogen. Und jetzt lügen Sie wieder –
und erwarten ernsthaft, ich soll Ihnen glauben, dass Sie das Geld
beschaffen und die Sache wieder in Ordnung bringen können?«
Sein Verstand schaffte es, seiner Stimme einen drohenden Klang zu
verleihen.

»Doch, ich werde es Ihnen besorgen! Ich schwöre es!«
Die Hitze in seinem Bauch brannte noch stärker. Sie wollte es

ihm besorgen … Sie wusste ja gar nicht, was sie da gesagt hatte!
»Wissen Sie überhaupt, wie man es einem Mann besorgt?«, konnte
er sich nicht verkneifen zu fragen.

Ihre Augen weiteten sich, sie öffnete den Mund, schloss ihn

wieder. »Das G-Geld, meine ich«, stotterte sie schließlich.

Forschend betrachtete er sie, während seine Erregung ihn

noch immer voll im Griff hatte. Offensichtlich hatte sie verstanden,
was er ihr hatte sagen wollen – und es bewusst ignoriert. Das
sprach für sie. Sie hatte also nicht vor, ihre Schuld im Bett abzuzah-
len. Wenn sie allerdings mit vierundzwanzig noch so sichtlich verle-
gen auf solche Anspielungen reagierte, konnte das nur eines bedeu-
ten – sie hatte noch nicht sehr viel Erfahrung mit Sex und
Männern.

Ihm war nicht ganz klar, ob ihn das erfreute – oder

enttäuschte. Aber wollte er denn etwas von ihr? Eigentlich war er
doch versorgt. Es gab da eine Frau, mit der er öfter mal Sex hatte.
Tanya betrachtete sich gerne als seine Freundin, obwohl sie das für

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ihn nicht war. Auf keinen Fall! In der letzten Zeit allerdings war sie
ihm mehr und mehr auf die Nerven gegangen. Ständig stellte sie
neue Forderungen. Ihm war klar, es konnte nicht mehr lang
dauern, bis sie ihr Verfallsdatum erreicht hatte. Um genau zu sein,
war sie eigentlich sogar schon darüber hinaus. Nur wurde es
bestimmt nicht einfach, sie loszuwerden. Wahrscheinlich würde sie
sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, vor die Tür gesetzt zu
werden. Nicht, dass sie mit ihm zusammenwohnte – soweit hatte es
noch keine Frau bei ihm gebracht. Sobald er sich einmal endgültig
entschlossen hatte, sich von ihr zu trennen, gab es nicht viel, woran
sie sich festkrallen konnte. Das sollte schnell erledigt sein. Von dah-
er war er durchaus auf der Suche nach neuen Möglichkeiten.

Doch er war sich ganz sicher – dieses Mädchen hatte nichts

von dem an sich, was es brauchte, um seine Aufmerksamkeit lang
wachzuhalten. Bisher war das keiner Frau gelungen, und sie war da
ganz gewiss keine Ausnahme. Außerdem passte sie in seine Welt, in
seine zwanglose, gleichgültige und, wenn er ehrlich war, manchmal
ziemlich verkommene Welt, wie die Faust aufs Auge. Plötzlich
wusste er, dass er auch gar nicht skrupellos genug war, sie mit
einem schnellen Abenteuer in diese Welt hineinzustoßen.
Merkwürdig – er hatte immer gedacht, er hätte in Bezug auf Frauen
keinerlei Skrupel. Aber wenn er daran dachte, was sein Umgang aus
ihrer Unschuld machen würde, spürte er eine entsetzte Wut im
Bauch. Nein, es kam nicht in Frage, dass er sie anmachte! Aber sie
hatte etwas an sich, das ihn vollkommen in ihren Bann schlug. Er
kam sich vor wie unter Strom gesetzt. Nachdem er ja nun wusste,
dass bei ihr nichts zu holen war, hätte er einfach den Schaden als
Verlust abbuchen und davonfahren sollen. Aber irgendetwas in ihm
wollte das schlicht nicht zulassen. Obwohl er es sich ganz gewiss
leisten konnte. Er brauchte weder ihre Versicherung noch ihr Geld.
Den Schaden am Wagen bezahlte er aus der Portokasse. Am
schlimmsten daran war der Aufwand, den die Reparatur ver-
ursachen würde. Trotzdem – er wollte sie einfach nicht unges-
choren davonkommen lassen. Vielleicht war er töricht, vielleicht

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sogar gemein. Nein, ganz sicher war er das. Irgendetwas an ihr –
und seiner außer Rand und Band geratenen Erektion, an der sie
schuld war – sorgte dafür, dass er ganz anders reagierte, als er das
sonst von sich gewohnt war. Das war ihm sehr wohl bewusst. Nicht,
dass er etwas dagegen zu unternehmen beabsichtigte …

Er wollte die Dinge zwischen ihnen bereinigen. Dafür musste

er mehr über sie wissen. »Sie wohnen in Vidor?«, nannte er den
Namen der Stadt, die er in ihrem Ausweis gelesen hatte.

»Inzwischen nicht mehr. Meine Mutter und ihr Freund sind

noch da, aber ich schlafe bei meinem Cousin auf der Couch, bis ich
hier einen Job und eine Wohnung gefunden habe.« Aha – sie hatte
nicht nur kein Geld, sondern auch keinen Job, also kein Einkom-
men. Das wurde immer besser!

»Und wie stellen Sie sich das vor, ›irgendwie zu einer Einigung

zu finden‹?«, zitierte er ihr Angebot.

»Sobald ich einen Job gefunden habe, kann ich damit be-

ginnen, die Kosten für die Reparatur abzuzahlen«, bot sie an.

Mit einem genervten Atemzug schaute Marco nach oben, in

den Himmel. Anscheinend fürchtete sie, sein Ärger könnte am
Ende doch einen Anruf bei der Polizei bedeuten, denn sie sprach
rasch weiter: »Bis dahin kann ich Arbeiten für Sie erledigen. Ich
kann Ihr Haus putzen, Ihnen die Wäsche machen, Essen für Sie
kochen.«

Ihre Stimme war sanft und drängend zugleich. Sie flehte jetzt

beinahe, und das löste einen neuen sinnlichen Ansturm in ihm aus.
In Gedanken sah er sie vor sich, wie sie auf dem Fußboden kniete
und seinen Boden schrubbte. Die Vorstellung traf ihn mitten in
seinen ohnehin entflammten Schritt. Himmel! Was war er nur für
ein perverser Mistkerl!
»Sie meinen, Sie arbeiten als Haushaltshil-
fe, um den Schaden wiedergutzumachen?«

»Ja.« Tapfer hielt sie fast eine Sekunde lang seinem Blick

stand, bevor sie die Augen senkte.

Er starrte sie an und ließ sich den Gedanken durch den Kopf

gehen. Immerhin war das eine Möglichkeit, sie in seiner Nähe zu

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haben. Die pochende Hitze in seiner Hose drängte ihn, das Angebot
anzunehmen, ohne weiter darüber nachzudenken. Aber noch war
sein Verstand im Weg, der alles gründlich erwog. Ein Reinigungsdi-
enst sorgte einmal in der Woche für Sauberkeit in seiner Wohnung,
das nächste Mal morgen. Nach sechs Tagen sah seine Wohnung im-
mer aus wie ein Schweinestall. Wie wäre es denn, wenn er der
Firma einfach absagte und von ihr seine Wohnung auf Vordermann
bringen ließ? »Meinetwegen«, brummte er. »Aber Sie müssen
gleich heute anfangen, wenn es Ihnen damit wirklich ernst ist und
Sie nicht wollen, dass ich die Polizei hole.« Das war wieder ein Sch-
ritt mehr auf dem Weg, der ihn in die Hölle bringen musste. »Ich
habe am Wochenende etwas vor, und dafür muss bei mir alles
tipptopp sein. Und – wie sieht es aus?«

»Ja, das ist in Ordnung, aber …«
»Sie sind wirklich nicht in einer Lage, in der Sie sich ein ›Ja,

aber‹ leisten können, Natalie!«, trumpfte er auf.

Wieder leckte sie sich die Lippen. »Ich weiß. Es ist nur …«
»Es ist nur was?«, blaffte er.
Sie holte tief Luft, hielt sie einen Augenblick in den Lungen

und stieß sie wieder aus. Um Verständnis heischend, sahen ihre
blauen Augen ihn an. »Es ist nur – ich kenne Sie doch gar nicht!
Ich will ja alles wiedergutmachen. Und ich liefere garantiert erstk-
lassige Arbeit ab, darauf können Sie sich verlassen. Aber ich …« Sie
zögerte. »Bei einem fremden Mann muss ich einfach vorsichtig
sein«, ergänzte sie beschämt und schaute zu Boden.

Mit gerunzelter Stirn betrachtete Marco ihren gesenkten Kopf.

»Sie haben Angst vor mir?«, fragte er erstaunt. Aus diesem Blick-
winkel hatte er die Sache gar nicht betrachtet – aber er musste
zugeben, so ganz unrecht hatte sie nicht. Sie müsste schön dumm
sein, wenn sie sich einfach von einem Fremden in seine Wohnung
schleppen ließ.

»Nicht direkt. Ich meine nur …«
Er ließ sie nicht ausreden. »Ja, ich weiß schon – Sie sind ein

braves Mädchen«, spottete er. Ein weiteres Mal reichte er ihr sein

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Handy. »Drücken Sie einfach die Vier, das ist die Kurzwahl in mein
Büro, und fragen Sie nach Joy. Sie kann für mich bürgen.«

Natalie drückte die Vier, legte das Handy gegen das Ohr und
wandte sich von Marco ab.

Es klingelte nur einmal. »Donati Banking und Investments.

Womit kann ich Ihnen helfen?« Die Stimme der Frau klang höflich
und professionell.

Natalie zog erschrocken die Luft ein. Ihr Cousin hatte mit der

Bank also recht gehabt. Sie warf Marco Donati einen forschenden
Blick zu. »Ich möchte bitte Joy sprechen.«

»Einen Augenblick – ich verbinde Sie mit dem Büro des

Geschäftsführers.«

Geschäftsführer? Ach du Scheiße! »Danke.«
Ein paar Augenblicke lang kam Musik aus dem Hörer, dann

klickte es. »Büro Marco Donati.«

Wieder schweifte ihr Blick zu ihm, und sie sah, dass er sie sehr

genau beobachtete. Seine dunkelbraunen Augen glitten über ihr
Gesicht und ihren Körper, und er stand so lässig da, als ob er alle
Zeit der Welt hätte. Ganz offensichtlich war der Kerl ein hohes Tier.
Ein verdammter Geschäftsführer. Na und? Das bedeutete schließ-
lich nicht, dass man ihm zwingend vertrauen konnte, oder?
»Kann
ich bitte mit Joy sprechen?«

»Am Apparat.«
»Oh – hallo. Mein Name ist …« Mist! Jetzt war sie schon so

durcheinander, dass sie ihren eigenen Namen nicht mehr wusste!
Wie hieß sie doch gleich?
»Natalie Lambert. Und ich – ich prüfe
gerade, ob ich Herrn Donati …« Fieberhaft suchte sie nach einem
Vorwand. »… als Klienten annehme. Er ist auf der Suche nach

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einem Reinigungsdienst und hat Sie als Referenz angegeben.« Ein
rascher Blick zeigte ihr, dass Marco amüsiert grinste und eine Au-
genbraue hochgezogen hatte, was ihm einen diabolischen Ausdruck
verlieh, der ihr Herz schneller schlagen ließ. »Ist sein Heim eine
sichere Umgebung für meine Kräfte?«, fragte sie rasch. »Herr
Donati – er ist nicht etwa ein Krimineller oder so etwas?«

»Marco? Ein Krimineller? Aber nein! Er ist der Geschäftsführ-

er dieser Bank, der perfekte Chef und Gentleman. Man kam ihm
absolut vertrauen – sogar mit Staatsgeheimnissen. Dieser Meinung
sind jedenfalls unsere Kunden. Ich verbürge mich voll und ganz für
ihn. Ist sonst noch etwas?«

Natalie bedankte sich und beendete das Telefonat. Dann

reichte sie Marco das Handy zurück. »In Ordnung – Sie haben be-
standen«, erklärte sie.

»Gut zu wissen«, erwiderte, ohne eine Miene zu verziehen.

Statt das Handy wieder einzustecken, wählte er eine andere Num-
mer und bestellt ein Taxi und zwei Abschleppwagen.

Natalie versuchte, ihn zu unterbrechen, um ihm Justins

Adresse zu nennen, doch das war unmöglich. Erst nach dem Anruf
wandte er sich wieder ihr zu. »Was ist?«

»Justin hat mir aufgetragen, den Wagen in seine Einfahrt

bringen zu lassen. Er ist eine Weile geschäftlich unterwegs.«

Sie konnte den Blick nicht deuten, den er ihr zuwarf. »Das re-

geln wir alles später. Jetzt müssen wir Sie erst einmal nach Hause
bringen – Sie haben immerhin einen ziemlichen Schock hinter
sich.«

Einen Schock? Ach wirklich? Das war noch mächtig unter-

trieben! Sie räusperte sich. »Das wird doch noch teurer, wenn der
Wagen zweimal abgeschleppt werden muss. Wohin lassen Sie ihn
bringen?«

»Erst mal zum Händler, für einen Kostenvoranschlag für die

Reparatur.«

»Kosten solche Kostenvoranschläge Geld?«, fragte sie

ängstlich.

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»Nein.«
»Das ist gut. Ich kann mir das wirklich nicht leisten, das Ab-

schleppen und die Reparaturen und …«

»Wir schlagen es einfach auf das drauf, was Sie mir schulden.«

Er klang entschlossen, fast grob – und vollkommen ernst.

Ihre Augen weiteten sich. Er wollte das alles bezahlen?

»Nein!«, widersprach sie heftig. »Ich schulde Ihnen doch sowieso
schon so viel und …«

Ihr stockte der Atem, als er auf einmal ganz sanft ihr Kinn mit

zwei Fingern anhob, sie anschaute, ihr dann mit den Fingern über
die Wange glitt und ihr eine Haarsträhne hinters Ohr strich.
Ebenso überraschend, wie diese Berührung begonnen hatte, war sie
auch schon wieder vorbei. »Ich habe nur einen Scherz gemacht,
Süße – ich übernehme das schon.«

Der Gedanke an das Gefühl seiner Finger ließ Hitze in intens-

iven Wellen ihr Rückgrat hinunterlaufen. Ihr Herz hämmerte, und
ihr war schwindelig. Sie konnte kaum atmen. Sie wusste nicht, was
sie sagen sollte. Zum Glück musste sie auch gar nichts sagen, denn
das Taxi war schon da, und auch die Abschleppwagen fuhren
gerade auf den Parkplatz.

Fünf Minuten später saß sie im Taxi neben ihm, presste ihre

Handtasche schutzsuchend an sich und versuchte zu verstehen, we-
shalb sie so seltsam auf diesen Mann reagierte. Ihr Tag hatte eine
sehr merkwürdige Wendung genommen!

Seine Wohnung war ein Penthouse, mitten in der Stadt, in einem
dieser abweisenden Monolithen aus Glas und Stahl. Nach oben ging
es in einem privaten Aufzug, mit nur einem Halt – dem obersten
Stockwerk.

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Mit einem Geräusch so leise wie ein Atemzug öffnete sich die

Lifttür. Natalie folgte Marco und fand sich in einem riesigen Wohn-
bereich wieder. Im Westen bestand die Wand nur aus Fenstern,
und sie konnte das brillante Farbkaleidoskop bewundern, in das
der Sonnenuntergang den Himmel gerade verwandelte.

Die Einrichtung war hochmodern – weiße Wände, Metall-

skulpturen, scharfe Linien. Und sie war auf kalte Art minimal-
istisch. Die wenigen Möbelstücke waren nüchtern, und die be-
herrschenden Farben waren Schwarz und Weiß. Alles schrie
geradezu nach Geld. Wärme und Bequemlichkeit allerdings suchte
sie vergebens.

Sie hasste die Wohnung sofort.
Natürlich verbarg sie das Gefühl und wartete dezent auf seine

Anweisungen. Er marschierte quer durch den Raum und leerte den
Inhalt seiner Taschen auf einen Glastisch hinter einem Sofa.

Dann fiel sein Blick auf sie. Er schien erstaunt zu sein, dass sie

noch immer dastand. »Wollen Sie nicht anfangen?«, fragte er
ungeduldig.

»Und … wo soll ich anfangen?«
»Am besten in der Küche, denke ich. Die ist dort.« Er hob die

Hand und wedelte damit herum, während er seine Post durchsah.

»Und anschließend? Was ist mit dem Rest? Staubwischen,

staubsaugen, Bettwäsche wechseln und so etwas?«

»Ja. Und meine Wäsche natürlich. Die Anzüge und Hemden

gebe ich in die Reinigung, also ist nicht viel übrig. Schauen Sie sich
einfach um. Sie werden hoffentlich wissen, was zu tun ist. Ich kann
Ihnen dazu nicht viel sagen – ich habe davon keine Ahnung.«

»Nein – für Sie reinigt sich das alles auf magische Weise

selbst«, bemerkte sie mit einer gewissen Bitterkeit.

Er warf ihr einen kühlen Blick zu. »So in etwa, ja.«
Ihr kam ein anderer Gedanke. Unruhig trat sie von einem Fuß

auf den anderen. Die Sorge bildete eine steile Falte auf ihrer Stirn.

»Was ist los?«, fragte er ungeduldig.

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»Wird da jetzt jemand meinetwegen arbeitslos?«, erkundigte

sie sich. »Jemand, der den Job vielleicht noch mehr braucht als
ich?«

Sein Körper spannte sich an, sie konnte es spüren, und er

schaute sie so intensiv an, dass sie sich vorkam wie unter dem Mik-
roskop. »Nein. Normalerweise habe ich einen Reinigungsdienst.
Das ist eine große Firma. Es muss bestimmt niemand verhungern,
weil Sie hier putzen – falls es das ist, worüber Sie sich Gedanken
machen.«

»Okay.« Sie versuchte sich an einem Lächeln, das ihr gründ-

lich misslang. »Wohnen Sie hier allein?«, wollte sie wissen. Nein,
dachte sie erschrocken, das war keine dezente Frage nach seinem
Familienstand! Absolut, ganz sicher nicht!

Wieder schoss eine Augenbraue in die Höhe. »Ich bin nicht

verheiratet, Natalie.« Sie errötete beschämt. Er hatte sie sofort
durchschaut. Seine Augen wanderten von ihren Haaren bis zu ihren
Tennisschuhen und wieder zurück.

Sie floh in die Aktivität, um seinem intensiven Blick zu entge-

hen. »Dann fange ich mal an.«

»Tun Sie das. Ich gehe duschen. In einem der Gästezimmer –

dann bin ich Ihnen nicht im Weg, wenn Sie sich ans Schlafzimmer
machen. In ein paar Stunden muss ich ohnehin aufbrechen, dann
sind Sie ungestört.«

»Okay.«
Er wollte gerade den Raum verlassen, als sie ihn aufhielt.

»Herr Donati …«, sagte sie zögernd.

»Nennen Sie mich bitte Marco. Was brauchen Sie?«
»Ich … ich wollte nur fragen, ob ich mir vielleicht noch schnell

etwas zu essen machen darf, bevor ich mit der Arbeit anfange.«

Er runzelte die Stirn und schaute sie misstrauisch an. »Sie

haben Hunger?«

»Ja. Ich habe seit gestern nichts mehr gegessen. Heute Morgen

war ich zu nervös, ob ich endlich einen Job finden würde, und dann
…«

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»Bedienen Sie sich«, sagte er ausdruckslos.
Sein Blick war ebenso unergründlich wie durchdringend. Sie

konnte ihm nicht standhalten. »Danke«, murmelte sie mit gesenk-
ten Augen.

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Kapitel 3

Fünf Stunden später war die Wohnung makellos, und Natalie war
erschöpft. Alle Knochen taten ihr weh. Die Küche war besonders
schlimm gewesen. Sie hatte ausgesehen, als ob jemand mindestens
eine Woche lang keinen Handschlag darin getan hätte. Das
schmutzige Geschirr stapelte sich überall, obwohl es nicht so aus-
sah, als sei hier viel gekocht worden. Wo sie schon dabei war, hatte
sie gleich auch noch seinen Kühlschrank ausgeräumt und sauber
gemacht.

Anschließend hatte sie sein Schlafzimmer gesucht und gefun-

den, zuerst einmal das Bett abgezogen und die Bettwäsche ge-
waschen. Es war seltsam gewesen, etwas so Intimes zu waschen wie
seine Bettwäsche. Und danach seine Strümpfe und Unterwäsche,
zusammen mit ein paar anderen Teilen Freizeitkleidung. Sie hatte
noch nie Männerunterwäsche gewaschen. Zu ihrem heillosen Ent-
setzen war ihr die Arbeit ganz und gar nicht unangenehm.

Alles andere war nicht so schlimm gewesen. Sie musste einfach

nur Ordnung schaffen und putzen. Nicht einmal das Badezimmer
war so schmutzig, wie sie es befürchtet hatte. Es sah sogar recht or-
dentlich aus – von der Schmutzwäsche einmal abgesehen, die über-
all auf dem Boden verstreut herumgelegen hatte.

Dennoch war Natalie völlig erledigt. Schließlich war es jetzt

schon nach neun, und sie war morgens früh aufgestanden, hatte
sich die Hacken wundgelaufen – oder vielmehr die Reifen abge-
fahren –, auf der Suche nach einem Job, bis zu dem Unfall. Und jet-
zt fiel ihr auf einmal siedend heiß ein, dass sie keine Möglichkeit

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hatte, nach Hause zu kommen, oder vielmehr in Justins Zuhause.
Ein Taxi konnte sie sich nicht leisten. Außerdem wusste sie ja nicht,
ob Marco sie am nächsten Tag nicht ohnehin wieder hier erwartete.

Sie durfte auf keinen Fall etwas tun, das seine Wut schürte –

und wenn sie jetzt einfach verschwand, würde ihm das bestimmt
nicht gefallen. Sie konnte nicht riskieren, dass er am Ende doch
noch die Polizei rief. Ein Strafzettel kostete Geld und wer weiß, am
Ende war sie womöglich noch den Führerschein los, wenigstens
vorübergehend. Nein, sie konnte es nicht riskieren, dass er dachte,
sie sei einfach abgehauen.

Sie ließ sich auf das weiße Sofa sinken. So konnte sie sich

wenigstens ausruhen, während sie weiter über das Problem
nachdachte. Dann wurde ihr der inzwischen reichlich schmutzige
Zustand ihrer Kleidung bewusst. Sie wechselte zur schwarzen
Chaiselongue. Vielleicht kam ja auch Marco bald zurück und kon-
nte ihr sagen, was er von ihr erwartete, sie vielleicht sogar zur
Wohnung ihres Cousins fahren.

Als Marco das Penthouse betrat, waren alle Lichter an. Er war ver-
dammt froh, endlich zu Hause zu sein. Tanya, mit der er unterwegs
gewesen war, hatte ihn beinahe um den Verstand gebracht; und
nicht einmal der Gedanke an ihren nackten Körper hatte ihn auch
nur entfernt erregen können. Er erreichte sogar das genaue Gegen-
teil. Tanya hatte alles versucht, um ihn in ihre Wohnung zu locken,
als er sie nach Hause brachte, doch er war hart geblieben. Er hatte
keine Lust gehabt, sich von ihr umgarnen zu lassen.

Auf der Wohltätigkeitsveranstaltung hatte sie sich den Arsch

aufgerissen, um den anderen Männern schöne Augen zu machen.
Er wusste genau, das war nur, um ihn eifersüchtig zu machen und

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seine Aufmerksamkeit zu erregen. Aufmerksam hatte es ihn in der
Tat gemacht, das hatte sie geschafft. Warum bloß war ihm vorher
nie aufgefallen, was für einen oberflächlichen Charakter sie besaß?
Das heißt, es war ihm schon aufgefallen, nur war es ihm scheißegal
gewesen. Der Charakter der Frauen, mit denen er schlief, war ihm
bisher immer scheißegal gewesen. Sie waren einfach nur bequeme
Möglichkeiten, seine Sexgier zu befriedigen, sonst nichts. Und Tan-
ya schaffte inzwischen nicht einmal mehr das.

Im Penthouse roch es frisch und sauber. Und es war

grabesstill. Ohne die Lichter hätte er sich glatt ein wenig unbehag-
lich gefühlt. Er ging in die Küche. Alles war perfekt. Es roch sogar
nach Kaffee. Moment … An der Kaffeemaschine lehnte ein Zettel:
»Timer ist eingestellt für morgen früh.« Die Handschrift war
sauber und feminin.

Als Nächstes begutachtete er sein Schlafzimmer. Auch hier war

alles makellos.

Bloß – wo war sie? Hatte sie sich etwa einfach davongemacht?
Er kehrte ins Wohnzimmer zurück. Dort, auf dem Fußboden

neben dem Sofatisch, sah er ihre Handtasche. Seine verärgerte Au-
fregung ließ etwas nach. Offensichtlich war sie doch noch da. Sch-
nell ließ er den Blick über den Rest des Raumes schweifen. Er hätte
sie fast übersehen. Sie war so schmal und klein, und ihre schwarze
Jeans und das schwarze T-Shirt machten sie auf dem Chaiselongue
fast unsichtbar. Sie lag zusammengerollt auf der Seite, die Wange
auf die gefalteten Hände gelegt.

Und sie schlief tief und fest.
Leise schlich er sich heran und starrte auf sie herab.

Entschlossen schob er die Hände in die Taschen, um dem Drang zu
begegnen, sie zu berühren. Ihre langen, dichten Wimpern bildeten
einen dunklen Halbmond auf ihren Wangen, die blass wirkten, fast
zu blass. Und die dunklen Schatten unter ihren Augen … War sie
erschöpft? Hatte sie zu hart gearbeitet? Er sah es immer auf den
Rechnungen – der Reinigungsservice schickte zwei Frauen, die hier

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sauber machten. Und so gründlich wie Natalie waren sie noch nie
gewesen.

Sie hatten zwar nicht darüber geredet, aber ihm war durchaus

bewusst gewesen, dass sie kein Auto hatte, und er hatte schon ge-
hofft, sie noch immer hier vorzufinden.

Er ging in die Hocke, nahm eine Hand aus der Tasche und er-

laubte sich, ihre Wange zu berühren, mit nur einem Finger. Was
ihn eiserne Selbstdisziplin kostete. »Natalie«, sagte er leise.

Vielleicht zu leise. Sie rührte sich nicht. Sein Finger strich über

die seidige Glätte ihrer Haut. »Natalie«, versuchte er es erneut.

»Hmmm …« Es war nur der Hauch eines Lautes. Natalie hob

den Arm über den Kopf und drehte sich auf den Rücken.

Seine Erregung, die nichts von dem hatte wecken können, was

Tanya versucht hatte – und sie hatte einiges versucht! –, erwachte
schlagartig zum Leben.

Unwillkürlich blieb sein Blick an der leichten Erhebung ihrer

Brüste hängen, die ihr nach oben gereckter Arm betonte. Sie war zi-
erlich, geradezu zerbrechlich, also genau der Typ Frau, der ihn am
meisten anzog. Und sie war allein mit ihm, in seiner Wohnung, und
schlief. Die Fantasien, die das in ihm auslöste, waren zu stark.
Seine Erektion erreichte rasch den Zustand, der beinahe
schmerzhaft war. Sein Magen zog sich zusammen. Er kämpfte um
seine Beherrschung.

Er wollte sie nicht wecken, aber in einem Bett schlief sie viel

bequemer. Also nahm er sie einfach hoch und trug sie in eines der
Gästezimmer. Instinktiv wählte er das Zimmer direkt neben
seinem.

Vorsichtig legte er sie aufs Bett, nachdem er die Decke zurück-

gezogen hatte. Dann holte er ihre Handtasche und legte sie auf den
Nachttisch. Er löschte das Licht und wollte hinausgehen, doch dann
musste er daran denken, wie das wäre, wenn sie nachts in einer völ-
lig fremden Umgebung aufwachte. Rasch knipste er das Licht im
angeschlossenen Badezimmer an und ließ die Tür einen Spalt offen,
damit sie genug sehen konnte.

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Anschließend floh er regelrecht. Und weigerte sich, weiter

darüber nachzudenken, warum er sich auf einmal so schrecklich
gut fühlte.

Natalie schlief die ganze Nacht durch. Morgens erwachte sie und
musste dringend pinkeln. Sie setzte sich im Bett auf und schaute
sich um. Sie erinnerte sich sofort wieder daran, was am Tag vorher
passiert war. Darüber, wie sie in dieses Bett gekommen war, wollte
sie lieber nicht weiter nachdenken. Außerdem kannte sie die Ant-
wort ohnehin. Wenn sie sich das eingestand, brachte sie es nur
noch mehr durcheinander, als sie es ohnehin schon war. Sie stürzte
ins Badezimmer.

Dort wurde ihr sehr schnell klar: Sie hatte nichts dabei, keine

Zahnbürste, keine Zahnpasta, kein Shampoo, kein Duschgel. Sie
hatte nicht einmal saubere Wäsche zum Wechseln, sondern nur
das, was sie in der Handtasche mit sich getragen hatte. Wozu glück-
licherweise die grundlegenden Make-up-Utensilien gehörten. Sie
machte sich notdürftig zurecht und begab sich auf die Suche nach
Marco.

Das Penthouse war leer. Auf einer Uhr sah sie, dass es bereits

halb zehn war. Erstaunt überprüfte sie die Zeit, aber es stimmte. Sie
hatte mehr als dreizehn Stunden geschlafen. Das war ihr seit
Jahren nicht mehr passiert. Zugegeben – sie hatte auch seit Jahren
keine Gelegenheit mehr dazu gehabt. Es hatte harte Arbeit gekostet,
und zwar ihre harte Arbeit ebenso wie die ihrer Mutter, um das
Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen. Und seit sie in Houston
war, hatte sie sich nachts immer extrem unwohl gefühlt. Justins
Schlafcouch war hart und unbequem, und sie hatte keinerlei Privat-
sphäre gehabt. Gut geschlafen hatte sie dort nicht. Justins Freundin

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war mehrfach im Wohnzimmer gewesen, während sie geschlafen
hatte. Und sie hatte sich sogar ungefragt Natalies Sachen
»geborgt«. Justin hatte davon ganz sicher keine Ahnung. Am Ende
hatte Natalie all ihre Sachen im Koffer gelassen und ihn im Auto
verstaut. Wo er auch jetzt noch steckte, weil sie nicht gewusst hatte,
ob sie ihn mitbringen sollte oder nicht.

Marco selbst fand Natalie zwar nicht, aber dafür einen Zettel

von ihm. Er war dort, wo sie ihm am Abend zuvor den Zettel wegen
der Kaffeemaschine hinterlassen hatte: »Nehmen Sie einfach, was
Sie brauchen. Wir reden heute Abend.«

Das klang ja gar nicht so schlecht, oder?
Sofort machte sie sich auf die Suche nach einer Dusche mit

Shampoo und Duschgel.

Als Marco an diesem Abend nach Hause kam, überfiel ihn gleich,
als die Aufzugtür sich öffnete, ein Geruch, der ihm das Wasser im
Mund zusammenlaufen ließ. Er kam aus der Küche. Normalerweise
aß er nicht so früh zu Abend, doch plötzlich stellte er fest, dass er
Hunger hatte. Er eilte zur Küche. Natalie stand am Spülbecken und
drehte sich um.

Sein Herzschlag beschleunigte sich. Sie sah noch viel schöner

aus als am Tag zuvor. Er betrachtete sie und fragte sich, was wohl
heute anders war. Bis es ihm auffiel.

Sie wirkte ausgeruht, sie war frisch geschminkt – und sie

zeigte nichts von der Furcht und Nervosität, die sie nach dem Un-
fall beherrscht hatte.

Es waren nur geringe Unterschiede, aber sie sorgten für eine

dramatische Veränderung. Ihre hohen Wangenknochen, langen
Wimpern und vollen Lippen kamen noch viel besser zur Geltung.

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Sie war wirklich hübsch, atemberaubend hübsch. Und ihr Make-up
war geschickt aufgetragen, um das zu betonen. Okay, er hatte ja
schon gewusst, dass sie verdammt sexy war. Das hatte ihm sein
Schwanz durchgehend mehr als deutlich bestätigt. Doch jetzt, da er
sie mit ganz neuen Augen betrachtete und sie ihre angespannte Er-
schöpfung abgelegt hatte, gewann ihre Schönheit eine ganz neue
Dimension.

Bewusst langsam legte er die Handflächen gegen den Türrah-

men und stützte sich dagegen. Mühsam versuchte er, die jähe Lust
zu zügeln, die ihn bei Natalies Anblick überfallen hatte. Sein Blick
schien sie nervös zu machen. Die Finger, mit denen sie sich die
Haare zurückstrich, zitterten. Ihr Blick war zögernd und unsicher.
Die überwältigende Spannung, die sich in seinem Bauch und bis in
seinen Schritt ausbreitete, machte es ihm unmöglich, sie mit einem
Lächeln zu begrüßen. Immerhin konnte er sich zu einem humorvol-
len Spruch zwingen: »Schatz, ich bin zu Hause!« Sie sah den Hu-
mor darin jedoch offensichtlich nicht. Stattdessen zuckte sie
zusammen.

Mühsam stützte sie sich mit den Händen auf der Arbeitsplatte

ab, so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden, und rang sich ein
Lächeln ab, dem es an Überzeugungskraft fehlte.

Er trat weiter in die Küche hinein. »Irgendetwas riecht hier

hervorragend. Sie können wirklich kochen?«

»Ein paar Gerichte – nicht allzu viele.« Sie hob den Deckel von

einem riesigen Topf, in dem ein Schmorbraten lockte, umgeben von
grünen Bohnen. Beides roch ebenso appetitlich, wie es aussah.

Was war es nur an ihren hausfraulichen Fähigkeiten, das ihn

so anmachte? Bei Tanya hatte er sich einen Teufel darum geschert,
ob sie kochen konnte oder nicht. Es hatte ihn eigentlich sogar im-
mer geärgert, wenn sie sich die Mühe gemacht hatte, ein Mahl für
ihn zuzubereiten und dann erwartete, dass er es genoss und ihr
Komplimente darüber machte. Es war ihm immer wie ein Schaus-
piel vorgekommen. Es war einfach nicht echt gewesen. Und hatte
nicht ein Zehntel der Reaktion ausgelöst, die Tanya sich wohl davon

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erhofft hatte. Und die ihn jetzt, mit Natalie, mit ungestümer Macht
überfiel.

Erst jetzt fiel ihm etwas ein. Woher hatte sie denn die Zutaten?

»Waren Sie einkaufen?«, erkundigte er sich.

»Nein. Der Braten war im Gefrierfach, und die Dose Bohnen

habe ich in der Vorratskammer gefunden. Aber das war auch alles –
viel mehr war nicht aufzutreiben.«

»Aha. Auf jeden Fall riecht es klasse. Ich gehe nur schnell

duschen, dann können wir essen.« Rasch verließ er den Raum,
plötzlich begierig darauf, sich mit ihr an den Tisch zu setzen, zu
einem Abendessen, das sie selbst gekocht hatte – ohne zu wissen
warum.

Kaum war Marco verschwunden, deckte Natalie den Tisch. Es
dauerte nicht einmal zehn Minuten, da war er schon wieder zurück,
barfuß, in Jeans und T-Shirt. Sie musste schlucken. Es war das er-
ste Mal, dass sie ihn in legerer Kleidung zu sehen bekam, und es
hatte eine unerwartet heftige Wirkung auf sie. Unauffällig beo-
bachtete sie ihn, während sie ihm das Essen servierte. Auf dieses
Outfit reagierte sie mindestens ebenso heftig wie auf seinen Anzug
vom Tag zuvor.

Sie aßen schweigend. Die einzigen Sätze, die fielen, waren

seine Komplimente über ihre Kochkunst. Seine Augen irrten immer
wieder zu ihr. Sie war nervös, vor allem wegen der Unterhaltung,
die er auf seinem Zettel angekündigt hatte.

Und die viel zu schnell kam.
Natalie hatte bereits während des Kochens Ordnung in der

Küche geschaffen, sodass nach dem Essen nicht mehr viel zu tun

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war. Anschließend folgte sie ihm auf seine Aufforderung hin in sein
Arbeitszimmer.

Er setzte sich nicht hinter den Schreibtisch, sondern auf einen

der beiden Sessel, die einander um einen kleinen Tisch herum ge-
genüberstanden, und deutete auf den anderen. »Setzen Sie sich.«

Sie tat es, legte züchtig die Hände in den Schoß und versuchte,

Ruhe zu bewahren.

»Ich habe den Kostenvoranschlag für die Reparatur an

meinem Wagen bekommen«, begann er und gab ihr einen Augen-
blick Zeit, diese Information zu verdauen. Sofort wurde sie wieder
unruhig. Ihre Finger zupften an einem kleinen Loch ihrer Jeans in
Höhe des Knies und fransten es noch mehr aus. Ihre Kleidung
wirkte sauber und glatt. Ob sie sie wohl gewaschen und gebügelt
hatte? Und was zum Teufel hatte sie angehabt, während ihre
Sachen in der Waschmaschine waren? Es kostete ihn eine gewaltige
Anstrengung, diesen Gedanken zu verbannen.

Er legte die Kostenschätzung auf den Tisch. Ihre Augen

schossen zu dem Blatt Papier, doch sie griff nicht danach. Langsam
schaute sie zu ihm auf, so furchtsam, als ob das Dokument vergiftet
wäre. »Schauen Sie es sich an, Natalie.«

Zögernd streckte sie die Hand aus, betrachtete die Zahlen. Sch-

nell landete ihr Blick auf der fettgedruckten Summe am Ende der
Seite. Ihr Gesicht verlor alle Farbe, und ihr Mund öffnete sich
entsetzt. »Ich – ich verstehe das nicht«, stammelte sie. »Das sind
über zwanzigtausend Dollar – das ist ja mehr, als ein neues Auto
kostet!«

»Nicht ein Audi, Süße. Und speziell mein Auto hat mehr als

das Fünffache davon gekostet.« Marco gab sich Mühe, sanft zu
sprechen. Die Mühe hatte er sich noch nie bei irgendjemandem
gegeben, soweit er sich erinnern konnte. Die Untersuchung der
Gründe, warum er das tat, verschob er lieber auf später.

Ein zitternder Seufzer entrang sich ihren Lippen, und sie legte

die Hand gegen die Stirn, rieb sie nervös. »Das … das ist mehr …
mehr, als ich auch nur in Betracht ziehen kann zurückzuzahlen.«

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Als sie ihn anschaute, waren ihre Augen feucht. »Ich – ich hatte mit
fünfzehnhundert oder so etwas gerechnet.«

»Ich kann natürlich auch noch in einer anderen Werkstatt ein-

en Kostenvoranschlag machen lassen – aber ich bin mir sicher, der
wird nicht wesentlich davon abweichen. Ich denke, darauf können
wir verzichten.«

»Ich – ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.« Ihre Stimme war

zitternd, tonlos. »Um einen solchen Betrag abzubezahlen, werde ich
mein ganzes Leben lang brauchen.« Ihre Finger zogen immer hefti-
ger an den Fäden, erweiterten das Loch in ihrer Jeans. Mehr und
mehr Haut wurde sichtbar, und unwillkürlich musste er hinsch-
auen. »Werden Sie mich jetzt verklagen?«, fragte sie stockend.

Marco zwang sich, den Blick von ihrem Knie abzuwenden und

ihr ins Gesicht zu schauen. »Nein, ich will Sie nicht verklagen.« Sie
vor Gericht zu zerren, das passte überhaupt nicht in seine Pläne.
Noch wusste er nicht einmal so genau, was er eigentlich von ihr
wollte – außer dem Offensichtlichen natürlich. Und schon das jagte
ihm ein Schuldgefühl durch die Adern, das sich mit seiner Erregung
zu einem unangenehmen Pochen vereinigte. Lust und Schuld –
diese beiden Gefühle passten einfach nicht zusammen.

Sie blickte auf das Loch in ihrer Jeans, auf den Kostenvoran-

schlag, auf den Tisch. Nur seine Augen vermied sie. Er spürte es
schmerzhaft. »Ich will auch nicht, dass Sie mich verklagen«, be-
merkte sie leise und wie mit zugeschnürter Kehle.

Er lehnte sich zurück, packte einen Fuß aufs andere Knie,

stützte die Ellbogen darauf und legte das Kinn auf seine Hände.
Dabei sah er sie unverwandt an.

Natalies Puls hämmerte so mächtig, sie konnte ihn in ihren

Ohren hören. Sie war nicht nur entsetzt und niedergeschlagen – sie
war am Boden zerstört. Und fühlte sich so, als ob sie jegliche Kon-
trolle über ihr Leben verloren hätte. Als ob sie Marco Donati auf
Gedeih und Verderb ausgeliefert wäre – und genau das war sie ja
nun auch.

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Sie konnte es auch nicht fassen, wie rasch und kalt er

vorgegangen war. Immerhin hatte er sie ein paar Male »Süße«
genannt. So sehr sie sich auch sagte, dass das nicht das Geringste
zu bedeuten hatte – sie spürte dennoch jedes Mal einen Pfeil der
Hitze durch ihren Bauch schießen. Sein Verhalten passte einfach
nicht zu dem, was sie über ihn wusste, und das brachte sie ganz
durcheinander. Seine Augen waren dunkel, seine Haut war dunkel,
und in seinem Gesicht zeigte sich eine Emotion, die sie nicht deuten
konnte. Seine Haare waren ebenfalls dunkel, beinahe schwarz, di-
cht und voll und ganz kurz geschnitten. Aus seinem Namen und
seinem südländisch guten Aussehen schloss sie, dass er vielleicht
Italiener war. Sofort musste sie an Mafiafilme voller elegant
gekleideter, skrupelloser Gangster denken.

Zum Glück wirkte er ganz und gar nicht so, als ob er ihr etwas

tun wollte.

Das war wenigstens etwas Gutes. Das einzig Gute an der gan-

zen beschissenen Situation.

»Sie sind noch nicht einmal eine Woche in Houston?«, fragte

er jetzt, als ob er einfach nur plaudern wollte. Seine Stimme und
der unerwartete Themenwechsel rissen Natalie aus ihren Überle-
gungen. »Ja, erst ein paar Tage.«

»Sie haben die Kleinstadt hinter sich gelassen, um den Duft

der großen, weiten Welt zu schnuppern?« Seine Stimme klang
amüsiert.

»Nicht direkt, nein.«
»Und warum sind Sie sonst hier?« Er legte die Hände vor

seinem Mund zusammen, und nun klang er ernst. Die Zeit des
Scherzens war vorbei – jetzt kam er zur Sache, und er erwartete
Antworten von ihr.

Nur, welche Antwort sollte sie ihm geben? Die privaten

Angelegenheiten ihrer Familie waren ebenso privat wie unappetit-
lich. Darüber wollte sie nicht einmal nachdenken, geschweige denn
einem Fremden davon berichten. »Es wurde einfach Zeit. Ich habe
bisher immer zu Hause gelebt, aber jetzt …« Sie hielt inne.

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»Aber jetzt was?«, bohrte er sofort nach.
»N-nichts. Ich war einfach auf der Suche nach einem besseren

Job, deshalb kam ich nach Houston.«

»Gibt es einen besonderen Grund, warum Sie das zusätzliche

Einkommen brauchen?«

Was zum Teufel sollte sie denn darauf antworten? Dass sie ein-

fach nur zum Spaß mehr Geld verdienen wollte, weil es irgendwo
eine gute Fee gab, die sie jeden Tag mit klingenden Münzen über-
schüttete? Von welchem Planeten stammte der Typ? »Ich mag es
einfach, wenn ich was zu essen, Kleidung und ein Dach über dem
Kopf habe«, fauchte sie, blickte an seinem Gesicht vorbei und be-
mühte sich, ihren Sarkasmus schnell wieder in den Griff zu
bekommen.

»Haben Sie noch mehr Schulden?«, erkundigte er sich.
»Warum stellen Sie mir all diese Fragen?«
»Ich versuche einfach nur, Ihre finanzielle Situation ein-

zuschätzen, damit wir einen Ausweg aus dem Schlamassel finden
können, in dem Sie stecken.«

Diesen völlig unnötigen Hinweis quittierte sie mit einem

bebenden Atemzug. »Ich habe keine Schulden. Eine Kreditkarte
besitze ich nicht. Auf meinem Konto sind genau vierhundertach-
tundsechzig Dollar und in meinem Geldbeutel noch etwa weitere
fünfundvierzig. Das ist meine Bilanz.«

»Gut. Wenn Sie mir die Wahrheit sagen …«
»Warum sollte ich Sie anlügen?«, unterbrach sie ihn

ungehalten.

Der Blick, den er ihr daraufhin zuwarf, verwandelte ihr Inneres

in eine zitternde Masse. In seinen Augen brannte etwas, das auch
seine Gesichtszüge zeigten, aber sie wusste partout nicht, was es zu
bedeuten hatte. Auf jeden Fall sorgte es für eine knisternde Span-
nung zwischen ihnen. »Versuchen Sie bitte, mich nicht zu unter-
brechen, Natalie. Wenn mir jemand ins Wort fällt, habe ich auto-
matisch den Wunsch, ihn zum Schweigen zu bringen – und ich bin
ganz sicher, die Methode, die ich dabei normalerweise einsetze,

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würde Ihnen überhaupt nicht gefallen.« Seine Stimme grollte, und
die Muskeln in seinem Nacken zeichneten sich ab. Sie musste sich
nicht einmal vorstellen, was für eine Methode das wohl wäre – al-
lein die Androhung war schon einschüchternd genug. Sein Gesicht-
sausdruck war streng und durchdringend. Seine Augen wanderten
ihren Körper entlang und blieben auf ihrem Mund haften.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich noch mehr, und ihre Hände

wurden feucht.

Die Vorstellung der Konsequenzen, die es für sie haben

musste, wenn sie ihm widersprach, machte sie hilflos; auf eine sehr
weibliche Weise. »Jawohl, mein Herr«, sagte sie leise und ganz
ohne Spott. Er hatte sie bezwungen, mit seinen Augen fast noch
mehr als mit seinem Tonfall. Nein, sie wollte auf keinen Fall, dass
er seinen Zorn auf sie richtete und sie bestrafte, so wie er es
angedeutet hatte. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass
genau dieser Gedanke es heiß zwischen ihren Schenkeln pulsieren
ließ.

Seine Augen funkelten, und er fuhr fort: »Wenn Sie mir die

Wahrheit sagen und kein Inkassobüro hinter Ihnen her ist, wenn
Sie also keine Schulden und auch noch keinen Mietvertrag für eine
Wohnung unterschrieben haben …« Er hielt inne, sah sie fragend
an. Sie schüttelte den Kopf. »In Ordnung. Dann sehe ich keinen
Grund, warum wir nicht eine Lösung finden sollten.«

Er schien auf eine Reaktion zu warten, also nickte sie heftig,

obwohl sie sich fragte, worauf er denn um Himmels willen hinaus-
wollte. »Okay«, sagte er. Hätte diese Frau am Telefon, seine Assist-
entin, sich nicht für ihn verbürgt, wäre nun der Zeitpunkt gewesen,
an dem Natalie nun doch das Weite gesucht hätte.

»Ich stelle mir das so vor«, fuhr er fort. »Sie leben hier. Sie

kümmern sich um mein Heim. Sie bekommen kein Gehalt, sondern
Sie arbeiten die Schulden ab, die Sie bei mir haben.« Er legte ein
weiteres Blatt Papier auf den Tisch. Sie warf einen vorsichtigen
Blick darauf. Es schien eine Art Vertrag zu sein, den er bereits un-
terschrieben hatte. Neben seiner weit ausholenden Unterschrift war

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ein freier Platz über einer gepunkteten Linie. Das war offensichtlich
die Stelle, an der sie unterzeichnen sollte.

»Ich bin dann also eine Art Schuldknecht«, murmelte sie,

»oder vielmehr eine Schuldmagd.«

Er ignorierte ihre Bemerkung. »Ich werde natürlich für Ihre

wichtigsten Lebenshaltungskosten aufkommen – Essen, Kleidung,
Handy.«

Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber der dro-

hende Blick, den er ihr zuwarf, ließ sie schweigen.

»Ich werde im Laufe der Zeit noch ein paar zusätzliche Regeln

aufstellen, und Sie werden diese Regeln befolgen, ohne Fragen zu
stellen. Möglicherweise werde ich zu gegebener Zeit andere Dienste
als die einer Haushälterin benötigen, die Sie dann ebenso erbringen
müssen.«

Ihre Augen weiteten sich. Was meinte er damit? Ihr ohnehin

klopfendes Herz setzte vorübergehend ganz aus. Das bezog sich
doch gewiss nicht auf sexuelle Dienste, oder etwa doch? Sie zwang
sich zu einer Gegenfrage. »W-welche Art von Diensten meinen Sie
damit?«

»Das kann ich jetzt unmöglich sagen. Das wird sich je nach

den Umständen ergeben.«

Sie räusperte sich. »Aber Sie meinen damit nicht … sexuelle

Dienste, oder?«

Seine Augen verdunkelten sich, und sein Blick war durchdrin-

gend, aber unergründlich. »Würde Ihnen das etwa gefallen?«,
fragte er anzüglich.

Oh Scheiße! Scheiße, Scheiße, Scheiße! Warum hatte er nicht

einfach nur »nein« gesagt? Sie errötete tief. Sie konnte es fühlen.
»Wenn ich Ihnen Geld schulde und wir Sex miteinander haben …«
Sie biss sich auf die Unterlippe, dann schüttelte sie den Kopf.
»Nein, das würde mir nicht gefallen!«, flüsterte sie.

Er wartete. Seine Augen bohrten sich in ihre. Er schien etwas

zu überlegen, zu einer Entscheidung zu kommen. »Beruhigen Sie
sich. Nein, an Sex dachte ich dabei nicht. Was das betrifft: Es gibt

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jemanden, der sich um diesen Aspekt meines Lebens kümmert.
Momentan sehe ich nichts als reine Hausarbeit voraus, aber wenn
sich die Notwendigkeit ergibt, möchte ich, dass Sie auch das
Einkaufen übernehmen, eine Feier organisieren oder was auch im-
mer – solche Dinge. Fühlen Sie sich dazu in der Lage?«

Sie schluckte und leckte sich die trockenen Lippen. »Ja, das ist

vollkommen in Ordnung.«

Seine Augen folgten ihrer Zunge, blieben an ihren Lippen

haften, viel zu lang. Endlich sprach er weiter. »Dann hätten wir das
also geregelt. Übrigens, ich weiß es zwar sehr zu schätzen, dass Sie
heute Abend für mich gekocht haben, aber das ist nicht jeden Tag
nötig. Normalerweise bin ich abends unterwegs und esse auswärts.
Ich werde es Ihnen rechtzeitig mitteilen, wenn ich einmal den
Abend zu Hause verbringen sollte. Was die Lebensmittel betrifft –
die lasse ich mir normalerweise liefern, und ich schlage vor, dass
wir diesen Service beibehalten. Allerdings können Sie die Liste in
Zukunft zusammenstellen.«

»Und wie … wie lang werden Sie mich hier brauchen?«
»Sie meinen, wie lang Ihre Strafe dauert«, verbesserte er sie.
»Ja.«
»Ein Jahr.«
»Ein ganzes Jahr?«
»Nun, Sie bräuchten mindestens vier oder fünf Jahre, um den

Betrag in Raten abzuzahlen. Auf diese Weise ist das erheblich
schneller erledigt, und ich muss mir auch keine Sorgen darüber
machen, dass Sie plötzlich die Stadt verlassen.« Sein Blick drang
durch sie hindurch wie ein Pfeil. »Und noch etwas, Natalie – daran
sollten Sie nicht einmal im Traum denken, einfach abzuhauen und
unterzutauchen. Ich werde Sie finden, verlassen Sie sich darauf, wo
auch immer Sie versuchen, sich vor mir zu verstecken. Und wenn es
erst einmal so weit kommt, dass ich Sie suchen muss, werden die
Konsequenzen Ihnen ganz und gar nicht gefallen. Also – Sie
machen genau das, was Sie gesagt bekommen, und arbeiten hart.

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Sie werden schnell feststellen, dass Sie bei mir eigentlich ein sehr
bequemes Leben führen können.«

Natalie rutschte unruhig auf der Sitzfläche herum. »Wann

bekommt eigentlich mein Cousin sein Auto zurück?«, fragte sie
leise.

»Schreiben Sie mir die Adresse auf, und ich werde veran-

lassen, dass man es dorthin bringt.«

»Ich … ich muss es doch reparieren lassen, und ich muss drin-

gend zu seiner Wohnung fahren, um …«

»Momentan können Sie sich eine Reparatur nicht leisten«, fiel

er ihr herrisch ins Wort. »Und ohne Versicherung werden Sie mit
dem Wagen nirgendwohin fahren. Wenn Sie Besorgungen erledigen
müssen, sagen Sie es mir und ich werde Ihnen einen Fahrer schick-
en, der Sie dorthin bringt.« Sein Ton ließ klar erkennen, dass er in
dieser Sache nicht mit sich reden lassen würde.

»Wo ist das Auto denn jetzt?«, erkundigte sie sich.
»Es steht bei einer Werkstatt auf dem Hof.«
»Und was kostet mich das?«, fragte sie ängstlich. Er hielt ihr

einen Stift hin und deutete auf das Dokument. Sie nahm den Stift,
atmete noch einmal tief durch und unterschrieb, bevor sie ihre
Meinung ändern konnte.

Mit einem äußerst zufriedenen Gesichtsausdruck lehnte er sich

zurück. »Um die Kosten müssen Sie sich keine Sorgen machen –
die übernehme ich.«

Er nahm den Vertrag, faltete ihn einmal in der Mitte. Natalie

versuchte, ihre Gedanken auf die Dinge zu konzentrieren, die un-
mittelbar anstanden, und nicht weiter darüber nachzudenken, war-
um er sie so merkwürdig anschaute. Und warum er das Blatt Papi-
er, das sie gerade unterschrieben hatte, so eisern festhielt. »Kön-
nten Sie mir etwas aus dem Auto besorgen?«, fragte sie.

»Was brauchen Sie denn?«
»Meine Kleidung«, antwortete sie.
»Sie haben sie morgen früh.«

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Zwei Wochen später hatte sich eine gewisse Routine entwickelt.
Noch immer war Natalie in Marcos Gegenwart nervös, aber er war
nicht oft anwesend. Meistens aß er auswärts, kam erst spätabends
nach Hause und ging gleich in sein Arbeitszimmer, nachdem er sie
begrüßt und mit einem seiner merkwürdigen Blicke bedacht hatte.
Nur zweimal in diesen beiden Wochen hatte sie für ihn kochen
müssen. Beide Male hatte sie sich in ihr Zimmer zurückgezogen,
nachdem sie das Essen serviert hatte. Er war durchgehend höflich
zu ihr, nicht mehr und nicht weniger, und sie versuchte das Gleiche.

Lieber wäre es ihr gewesen, ihr Zimmer wäre weiter von

seinem Schlafzimmer entfernt gewesen, aber irgendwie hatte es
sich ergeben, dass sie in dem Raum blieb, in den er sie in der ersten
Nacht gebracht hatte. Sie hatte sich gescheut, neue Aufregung in ihr
Verhältnis zu bringen, das sich gerade zu beruhigen begonnen
hatte. Und ohne sein Einverständnis einfach umzuziehen wagte sie
nicht. Von der Nähe zu seinem Schlafzimmer einmal abgesehen, ge-
fiel ihr der Raum außerordentlich gut. Er hatte ein eigenes Badezi-
mmer, eine Sitzecke, einen Schreibtisch und sogar einen Fernseher.

An dem Tag, an dem Marco Donati ihr den Koffer gebracht

hatte, war auf einmal auch ein flacher, ultramoderner Laptop auf-
getaucht. Er lag auf ihrem Schreibtisch, als sie nach dem Aufräu-
men aus der Küche kam. Sie hatte Marco gleich darauf ange-
sprochen. Er hatte sie nur lapidar gefragt, ob sie einen Computer
besaß, und als sie verneinte erklärt: »Der Laptop ist für Sie. Im Ge-
bäude gibt es WLAN.«

»Danke! Und danke für das Handy!«
Er hatte nur genickt und sich dann wieder seinem Computer-

bildschirm zugewandt. Es war seine Art, ihr zu sagen, dass sie
wieder verschwinden sollte.

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Er hatte sie nicht gefragt, ob sie ihre alte Handynummer be-

halten wollte, also musste sie erst einmal all ihre Kontakte über die
neue Nummer informieren.

Außerdem hatte Natalie mit ihrer Mutter telefoniert. Sie hatte

ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt, sondern nur erklärt, sie hätte
jetzt vorübergehend eine Stelle als Putzfrau. Während des Ge-
sprächs hatte Natalie erfahren, dass der neue Freund ihrer Mutter
noch immer bei ihr wohnte. Irgendwann, das wusste Natalie, würde
sie erkennen, was für ein Mistkerl er war. Bis dahin beruhigte sie
sich mit dem Gedanken, dass er einfach nur ein Versager war, der
ihre Mutter betrog, aber wenigstens keine Drogen nahm. Kein
Alkoholiker war. Und auch nicht gewalttätig. Irgendwann würde
ihre Mutter zur Vernunft kommen und Natalie würde in die kleine
Stadt zurückkehren können, die sie liebte, und zu dem Job bei der
Rechtstitelversicherung, für die sie vier Jahre lang gearbeitet hatte.
Hier würde man sie mit offenen Armen zurücknehmen, das wusste
sie.

Aber in Anbetracht der Tatsache, dass sie eigentlich eine Strafe

absaß, hatte sich ihr Leben hier bislang gar nicht so schlecht en-
twickelt. Sie fühlte sich ziemlich schuldbewusst, wie gut es ihr ei-
gentlich ging. So betrachtet, war das Hineinrauschen in sein Auto
eigentlich das Beste gewesen, was ihr hatte passieren können. Sie
war weit härtere Arbeit und weit ausgedehntere Arbeitszeiten ge-
wohnt. Das hier war der einfachste Job, den sie jemals gehabt hatte.
Zugegeben, sie verdiente kein Geld und sie hatte kein Auto zu ihrer
Verfügung. Aber dafür hatte sie fast immer den gesamten Nachmit-
tag frei, nachdem sie morgens Ordnung geschaffen hatte.

Bisher hatte sie die freie Zeit damit verbracht, endlich einmal

auszuschlafen, lang und heiß zu baden und die ganzen Fernsehseri-
en zu genießen, zu denen das Bezahlfernsehen ihr Zugang ver-
schaffte, das sie vorher nie gehabt hatte.

Natürlich hatte sie auch ausgiebig von ihrem neuen Laptop

Gebrauch gemacht. Als Erstes hatte sie nach Marco Donati gegoo-
gelt. Leider hatte sie nicht allzu viel über ihn herausgefunden. Die

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meisten Links bezogen sich auf die Bank. Es war ein Familienun-
ternehmen, gegründet von seinem Großvater, kurz nach dem
Zweiten Weltkrieg. Die Hauptniederlassung war in New York. Was
sie sofort ins Grübeln brachte war, warum er unter diesen Um-
ständen Houston als seine Heimat gewählt hatte. Gewiss konnte er
es sich aussuchen, wo er arbeitete, schließlich war er der
Mehrheitsinhaber. Nach dem Tod seines Großvaters väterlicher-
seits hatte er die Mehrheitsbeteiligung geerbt. Sein Vater lebte
nicht mehr. Er war, zusammen mit Marcos Mutter, bei einem Flug-
zeugabsturz ums Leben gekommen, als Marco gerade einmal neun
Jahre alt war. Mitfühlend zuckte sie zusammen, als sie las, dass er
so früh Waise geworden war. Es gab zwar noch andere Verwandte,
Cousins, Cousinen, Onkel und Tanten, aber die waren über die gan-
ze Welt verstreut und lebten nicht hier. Ansonsten erfuhr Natalie,
dass er zweiunddreißig Jahre alt und sein zweiter Vorname Rafaele
war. Über sein Privatleben allerdings fand sie so gut wie nichts
heraus.

Das hatte sie so frustriert, dass sie die Recherchen aufgegeben

hatte. Außerdem hatte es sie, das musste sie zugeben, ziemlich mit-
genommen, wie früh er seine Eltern verloren hatte.

Stattdessen hatte sie das Penthouse genauestens untersucht.

Dabei hatte sie den fantastischen und herrlich gemütlichen
Dachgarten gefunden. Er war strategisch so angelegt, dass man hier
vor dem Wind ebenso geschützt war wie vor fremden Blicken. Sie
hatte viele Stunden dort verbracht und erfreute sich jetzt sogar
eines Anflugs von Sonnenbräune, das erste Mal in ihrem Leben. Sie
hoffte zwar, dass Marco sie nicht dabei erwischte, wie sie so of-
fensichtlich faulenzte – aber andererseits erwartete er doch ganz
sicher nicht Arbeit rund um die Uhr von ihr, oder? Außerdem gab
es dafür auch gar nicht genug zu tun.

Alles in allem war sie, abgesehen von ihrer Nervosität in Mar-

cos Gegenwart, mit ihrem derzeitigen Dasein recht zufrieden. Und
genau das machte sie unruhig. Wie konnte sie nur eine so schöne
und unanstrengende Zeit haben, wo sie doch eigentlich etwas

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wiedergutzumachen hatte? Sie musste sich um nichts kümmern,
nicht um Rechnungen, nicht darum, dass genügend Lebensmittel
im Haus waren. Und auch nicht darum, ob der Freund ihrer Mutter
wieder einmal nachts in ihr Zimmer geschlichen kam …

Marco hatte sie nur zweimal auf dem Handy angerufen, und

zwar die beiden Male, als er hier hatte essen wollen. Jetzt kam sie
sich in ihrem Nichtstun eingesperrt vor. Und überlegte, dass es in
einem so luxuriösen Gebäude doch ganz sicher auch einen Fitness-
raum geben musste. Nach dem wollte sie sich auf die Suche
machen. Es war ohnehin schon viel zu lang her, seit sie das letzte
Mal Sport getrieben hatte.

Also zog sie Shorts, ein T-Shirt und Tennisschuhe an, steckte

das Smartphone und den Ersatz-Kartenschlüssel ein sowie für alle
Fälle zehn Dollar und fuhr im Aufzug nach unten. In den zwei
Wochen, die sie jetzt hier war, hatte sie die Wohnung nur verlassen,
um in den Dachgarten zu gehen. Plötzlich verspürte sie den Drang,
die Gegend um das Hochhaus herum zu erkunden und beschloss,
einen Spaziergang zu machen, statt den Fitnessraum zu suchen.

Sie lächelte dem Concierge zu. Es war nach zwölf, und die Bür-

gersteige waren voll von Leuten, die gerade Mittagspause hatten.
Sie prägte sich ihren Standort ein und wandte sich nach rechts.
Schnell hatte sie ein Gefühl dafür entwickelt, in welchen Phasen die
Fußgängerampeln umschalteten. Mal war kein Durchkommen vor
lauter Autos und dann, ganz plötzlich, stoppten die Fahrzeuge, und
die Fußgänger strömten in Massen über die Straße. Nachdem sie et-
wa eine halbe Stunde lang ziemlich flott gelaufen war, war sie außer
Atem.

Ihr war heiß, sie war verschwitzt und brauchte dringend etwas

zu trinken. Deshalb beschloss sie, sich auf den Rückweg zu machen.
Es gab eine S-Bahn, die ganz in der Nähe von dem Gebäude hielt, in
dem Marco wohnte, die wollte sie nehmen. Eine Haltestelle war
schnell gefunden, und wenige Minuten später kam bereits der Zug.
Sie stieg ein, nahm auf einem der bequemen Sitze Platz und genoss
die vorbeifliegende Landschaft.

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Nach drei Haltestellen – ihrer Berechnung nach hätte sie das

direkt an die richtige Stelle bringen müssen – stieg sie aus und
schaute sich um. Nichts an der Umgebung war ihr vertraut. Das
Flattern einer bösen Vorahnung machte sich in ihrem Bauch breit,
aber sie kämpfte die aufkommende Panik nieder. Wenn sie sich tat-
sächlich verirren sollte, hatte sie schließlich ihr Handy. Außerdem
war es noch früh am Tag.

Sie spürte den plötzlichen Wunsch, mit Justin zu reden – aber

ihr Cousin war noch wochenlang auf der Ölbohrinsel. Sonst kannte
sie in der ganzen Stadt niemanden außer Marco. Und so verz-
weifelt, ihn anzurufen, war sie noch lang nicht.

Sie ging eine Straße entlang. Offensichtlich war sie hier in ein-

er Gegend mit vielen Krankenhäusern. Eine Viertelstunde lang
wanderte sie umher und überlegte, was sie tun sollte. Eine S-Bahn,
die sie zurückgeführt hätte, war nirgendwo zu sehen, und das Geld,
das sie dabeihatte, reichte gewiss nicht aus, um ein Taxi zu
nehmen.

Ein schnittiger schwarzer Audi hielt neben ihr, als sie an einer

Fußgängerampel wartete. Geräuschlos fuhr das Fenster herunter.
»Steigen Sie ein.«

Es war ein Schock, ihn zu sehen, in genau dem Augenblick, in

dem sie ihn brauchte. Wie konnte das sein, dass er genau jetzt hier
auftauchte?

Sie öffnete die Beifahrertür und glitt auf den Sitz. »Was

machen Sie denn hier?«

Die Ampel für den Verkehr wechselte auf Grün. Er

beschleunigte. Kurz blickte er zur Seite. »Schnallen Sie sich an,
Natalie.«

Mit zitternden Fingern ließ sie den Gurt einrasten. Nach kur-

zem Schweigen fragte sie erneut: »Wie kommt es, dass Sie gerade
jetzt hier aufgetaucht sind?«

Er antwortete nicht sofort. »Zufall«, sagte er schließlich knapp.
Mehr sagte er nicht. Während unbehagliches Schweigen sich

ausbreitete, dachte sie über die Sache nach. Sie glaubte nicht eine

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Sekunde an einen Zufall. Er hatte genau gewusst, wo sie war. Und
dafür konnte es nur eine Erklärung geben. Es gab nur eine Möglich-
keit, wie er sie unter den vier Millionen Menschen in Houston so
zielsicher hatte finden können: Er verfolgte ihre Bewegungen über
das Handy, das er ihr gegeben hatte.

Er hatte befürchtet, dass sie abhauen wollte. Sein angespan-

nter Gesichtsausdruck bestätigte es.

Dabei war sie vollkommen unschuldig. Sie hatte allerdings

auch keine Lust, ihm das jetzt zu erklären. Und sie wollte nicht,
dass er merkte, wie sie ihn durchschaut hatte. Zum einen fehlte ihr
der Mut, ihn direkt darauf anzusprechen, und zum anderen konnte
genau dieses Wissen vielleicht irgendwann einmal zu guter Muni-
tion gegen ihn werden. »Danke, dass Sie mich gerettet haben«,
sagte sie stattdessen. »Ich stand kurz davor, in Panik
auszubrechen.«

»Warum sind Sie unterwegs?«, fragte er, und sie konnte es

seiner gepressten Stimme anhören, er hatte die Zähne zusam-
mengebissen. Ein Hauch von Furcht überkam sie.

Am besten war es, bei der Wahrheit zu bleiben. Schließlich

hatte sie nichts Unrechtes getan – außer anzunehmen, dass er
gewiss keine Arbeit rund um die Uhr von ihr erwartete. Allerdings
waren ihre Arbeitszeiten ganz sicher nicht das, was ihn störte. Ja,
sie würde ihm die Wahrheit sagen, ganz offen, und lediglich ihr
Wissen um die GPS-Ortung verschweigen. »Ich war mit der Arbeit
fertig und brauchte dringend Bewegung. Zuerst wollte ich im Ge-
bäude nach einem Fitnessraum suchen, aber der Tag war so schön,
dass ich beschlossen habe, stattdessen lieber spazieren zu gehen.«

»Sie sind den ganzen Weg ins Krankenhausviertel zu Fuß

gegangen?«

»Nein. Ich bin ein wenig herumspaziert, und dann wollte ich

die S-Bahn zurück nehmen, aber wahrscheinlich bin ich in den
falschen Zug eingestiegen. Am Ende wusste ich gar nicht mehr, wo
ich war, als Sie mich gefunden haben.«

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Er fuhr in die Tiefgarage des Gebäudes, auf einen freien Platz

und stellte den Motor aus. Das Licht war schwach hier unten. Sch-
weigen breitete sich im Wagen aus. Marco wandte sich Natalie zu
und machte keine Anstalten, auszusteigen. Das überraschte sie
nicht. Sein Arbeitstag war schließlich noch lang nicht zu Ende. Sie
rutschte ganz nahe an die Tür heran, nahm ihren ganzen Mut
zusammen und schaute ihn an.

Schweigend betrachtete er sie. Missbilligung und noch etwas

anderes, das sie nicht deuten konnte, standen ihm ins Gesicht ges-
chrieben. Es brachte sie innerlich zum Zittern. »Haben Sie eigent-
lich eine Ahnung, wie gefährlich es ist, einfach so in der Stadt her-
umzulaufen?«, fragte er sie, seine Stimme grollend vor unterdrück-
tem Ärger.

Es kostete sie gewaltige Anstrengung, seinem Blick nicht aus-

zuweichen. »Ich war nicht in Gefahr«, widersprach sie leise. Ihre
Nerven surrten wie Hochspannungsleitungen.

»Ach nein?« Seine Hand legte sich auf die Rückenlehne ihres

Sitzes. Sie kam sich eingesperrt vor, gefangen. Ihre Kehle war wie
zugeschnürt.

»Nein«, brachte sie mühsam heraus.
»Man hätte Sie ohne Probleme schnappen und in ein Auto zer-

ren können.« Der drohende Unterton war unverkennbar.

Sie atmete flach und schnell. Sein brennender Blick brachte

ihren Herzschlag vollkommen durcheinander. »Ich glaube, da
übertreiben Sie jetzt aber etwas«, erwiderte sie kühn. Sie leckte sich
die Lippen, die ganz trocken waren.

Sein Blick wanderte zu ihrem Mund. »Meinen Sie?«
»Ja«, flüsterte sie.
»Und ich glaube, Sie würden es nicht einmal mitkriegen, wenn

Sie in Gefahr sind.« Er sprach leise, aber die Worte waren wie eine
tickende Bombe. Die nachfolgende Stille im Wagen schien geradezu
zu pulsieren. Ihr wurde bewusst, was er damit meinte. Sie bekam
kaum noch Luft. Seine Augen fingen ihre ein.

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Sie wollte sie schließen, ihn aussperren, aber eisern legte seine

Hand sich um ihr Handgelenk, verweigerten ihr diese Flucht. Ers-
chrocken riss sie die Augen wieder auf. Es gab für sie kein Entkom-
men, sie musste sich ihm stellen. »Marco«, hauchte sie leise. Ihr
Herzschlag dröhnte in ihrem Bauch, ihrem Kopf.

»Sollen wir ein kleines Experiment machen?«
»Marco …«, wiederholte sie hilflos.
»Verdammt noch mal – wissen Sie denn nicht, wie hübsch Sie

sind?« In seinen Augen stand Schmerz. Unwillkürlich musste sie
daran denken, wie seine Augen wohl aussehen würden, wenn sie
sich liebten.

Dieses Bild schockierte sie ebenso sehr wie seine Frage. »Ich …

ich bin nicht hübsch«, stammelte sie.

»Oh doch, Natalie – das sind Sie. Und Sie müssen besser

aufpassen. Immer! Jederzeit! Rund um die Uhr!« Sein Griff wurde
noch fester, und sein Daumen lag direkt auf ihrem wie verrückt
klopfenden Puls. »Ich würde es wirklich zu schätzen wissen, wenn
Sie auf meine Investition im Wert von zwanzigtausend Dollar in
Zukunft besser aufpassen!«

Der Kloß in ihrer Kehle machte ihr das Sprechen fast unmög-

lich. Diese nüchterne Einschätzung verletzte sie tief. »Eine Investi-
tion, das bin ich also für sie«, wiederholte sie tonlos. »Das und
mehr nicht.«

»Wieso? Wären Sie gerne mehr für mich?« Seine Stimme war

gefährlich leise, sein Blick durchbohrte sie, blieb schließlich an
ihrem T-Shirt haften, unter dem sich ihr Brustkorb aufgeregt hob
und senkte.

Er beobachtete sie, wartete auf eine Reaktion. Aber sie konnte

nicht einmal den Anfang einer Antwort in ihrem Kopf formulieren.
Ihre Gedanken rasten chaotisch umher, ließen sich nicht fassen. Sie
schluckte, kämpfte gegen das Rauschen des Bluts in ihren Ohren
an. Es war ihr unmöglich zu sprechen.

Seine Augen wanderten nach oben, wieder zu ihren Lippen.

Sein Körper, angespannt, wie sprungbereit, war ihr viel zu nahe.

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»Nun sag es schon, Schätzchen«, spottete er rau, und doch lag auch
etwas wie ein Flehen in seinem Tonfall.

Ihre Augenlider flatterten ebenso aufgeregt wie die Schmetter-

linge in ihrem Bauch. Lieber Himmel – meinte er damit jetzt das,
wovon sie glaubte, dass er es meinte? Und hatte er das eben tat-
sächlich gesagt? Oder hatte sich ihr wirres Gehirn das nur aus-
gedacht? Nein, damit konnte sie nicht umgehen. Noch nicht. Nicht
jetzt. Sie versuchte, ihm ihr Handgelenk zu entziehen, doch er gab
sie nicht frei. »Ich habe mich bloß verirrt, Marco – das war alles«,
versuchte sie nüchtern die intensive Spannung zu durchbrechen.

Seine Augen verengten sich. Endlich ließ er sie los. »Dann ist

es ja gut, dass ich Sie gefunden habe.«

Erleichtert stieß sie den Atem aus. Sie hatte es geschafft – sie

war dem gefährlichen Abgrund entkommen, der sich plötzlich vor
ihr aufgetan hatte. »Ja. Dafür bin ich Ihnen auch sehr dankbar.«
Ihre Worte waren höflich, steif. Künstlich. Sie schluckte gegen den
Kloß in ihrem Hals an, um wieder normal sprechen zu können.
»Gibt es hier jetzt eigentlich einen Fitnessraum?«, fragte sie.

Seine Miene verfinsterte sich. »Ja.«
»Wäre das in Ordnung, wenn ich ihn ab und zu benutze?«
Er schien weit weg zu sein. Dennoch schimmerten seine

dunklen Augen wie Vulkangestein. »Ich sehe nichts, was
dagegenspricht.«

Seine Antwort klang unehrlich, falsch. Es kam ihr vor, als sei

ihm nur nicht schnell genug ein Grund eingefallen, warum sie den
Raum auf keinen Fall benutzen durfte. Das machte sie neugierig
und alarmierte sie zugleich. Sie zauberte sich ein ebenso falsches
Lächeln ins Gesicht und hoffte, ihn damit täuschen zu können.
»Danke. Dann mache ich mich mal wieder an die Arbeit. Kommen
Sie mit hoch?«

»Nein. Ich war unterwegs zu einem Meeting. Und ich bin jetzt

schon zu spät.«

Lügner! Sie glaubte ihm nicht ein Wort und hätte ihren letzten

Dollar darauf verwettet, dass er die Bank nur verlassen hatte, um

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sie aufzuspüren. »Okay – wir sehen uns später.« Sie zog am Griff,
doch die Tür rührte sich nicht. Fragend schaute sie ihn an. Er er-
widerte ihren Blick, endlose Augenblicke lang, dann gab er den
Mechanismus frei. Sie sprang aus dem Auto.

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Kapitel 4

Zwei Stunden später war Natalie geduscht und frisch geschminkt.
Sie trug ihre Lieblingsjeans und ein T-Shirt, das ihr viel zu weit war.
Gedankenverloren wischte sie mit einem Staubwedel über die Mö-
bel. Wenn er skrupellos genug war, ihr nachzuspüren – entweder
mit einem Peilsender oder vielleicht auch mit einem Programm auf
ihrem Smartphone, auf das er von seinem aus Zugriff hatte –, wozu
war er dann noch in der Lage? Hatte er etwa auch den Laptop ma-
nipuliert, den er ihr geliehen hatte? Gab es versteckte Kameras oder
Webcams in der Wohnung?

Sie blickte sich um, möglichst unauffällig – für den Fall, dass

er sie tatsächlich beobachtete. Plötzlich meldete sich die
Sprechanlage.

Sie drückte den Sprechknopf. »Ja?«
Es war der Concierge. »Es tut mir leid, dass ich Sie störe, Mrs

Lambert – aber Mrs Wallace ist hier. Sie möchte etwas bringen.
Kann ich sie nach oben schicken?«

Natalie hatte keine Ahnung, wer diese Mrs Wallace war – aber

sehr gefährlich schien sie nicht zu sein. »Natürlich – und danke«,
antwortete sie.

Zwanzig Sekunden später öffnete sich die Aufzugtür, und dem

Lift entstieg eine hochgewachsene, schlanke blonde Frau, wie aus
dem Ei gepellt, die den Wohnbereich mit einer Selbstverständlich-
keit betrat, als ob hier alles ihr gehörte. Sie warf Natalie einen kur-
zen Blick zu, stellte ein Paket auf einem Tisch ab und starrte sie

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dann unverhohlen an. »Das ist für Marco«, erklärte sie. »Und wer
zum Teufel sind Sie?«

»Ich bin Natalie Lambert – Marcos Haushälterin.«
»Blödsinn!« Das Wort tropfte geradezu von Gift.
»Bitte?«
»Marco hatte noch nie eine Haushälterin, seit ich ihn kenne.

Dazu achtet er viel zu sehr auf seine Privatsphäre. Ein Reinigungs-
dienst macht hier einmal wöchentlich sauber – und das war es.«

Natalie hatte keine Ahnung, wer diese Frau war. Allerdings

drängte sich ihr ganz stark der Verdacht auf, dass es diejenige war,
die sich um diesen speziellen Aspekt seines Lebens kümmerte … Sie
stählte ihre Nerven für die Antwort. »Ich bin erst seit zwei Wochen
hier.«

»Und Sie nennen ihn Marco, nicht Herr Donati? Das kommt

mir schrecklich respektlos vor.«

Was glaubte diese Tussi eigentlich, wer sie war? Langsam er-

wachte in ihr der Zorn. Natalie zuckte mit den Schultern. »So will
er es nun einmal haben«, entgegnete sie kühl.

»Sind Sie mehr als einmal in der Woche hier?«
»Ja.«
»Wie oft?«
»Nun, ich lebe hier.« Natalie war klar, diese Antwort würde

der Frau überhaupt nicht gefallen.

Und mit dieser Vermutung hatte sie sich nicht getäuscht. Ihre

Augen schossen Pfeile puren Hasses ab. »Lassen Sie sich auch von
ihm ficken?«, zischte sie.

Natalie trat vor der brennenden Wut einen Schritt zurück.

»Nein. Ich putze hier nur und kümmere mich um die Wäsche.«

Die Antwort schien die andere zu beruhigen. Wenigstens min-

imal. »Warum braucht er denn auf einmal eine Haushälterin?«,
fragte sie, allerdings eher sich selbst als Natalie.

Natalie hatte ein schlechtes Gewissen. Eigentlich hatte sie die

Frau belogen. Andererseits – schließlich schuldete sie ihr nichts.
Sie und Marco hatten nicht darüber gesprochen, ob sie anderen von

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dem Vertrag erzählen durfte oder nicht. Ihr jedenfalls wäre es ziem-
lich unangenehm gewesen, wenn sie sich jemandem als unbezahlte
Schuldmagd hätte vorstellen müssen. »Das kann ich Ihnen nicht
sagen. Ich weiß nur, dass er mich eingestellt hat, und ich putze jetzt
hier. Er ist nur selten zu Hause.«

Die Frau lächelte verschlagen wie eine Katze, die von der

Sahne genascht hat. »Ja, ich weiß. Entweder arbeitet er bei dieser
dämlichen Bank – oder er ist in meinem Bett und vögelt sich das
Hirn aus dem Leib.« Plötzlich verdüsterte sich ihr Gesicht, und sie
runzelte die Stirn, als ob ihr gerade etwas eingefallen wäre. »Seit
wann, sagten Sie, arbeiten Sie jetzt für ihn?«

»Seit zwei Wochen.«
Das Stirnrunzeln vertiefte sich. »Dass Sie sich da keine

falschen Hoffnungen machen – er gehört mir! Wir sind seit fast
zwei Jahren zusammen und wir werden bald heiraten.«

Das versetzte Natalie einen ganz merkwürdigen Stich. »Da

gratuliere ich Ihnen.«

»Nein, gratulieren Sie mir noch nicht. Ich habe ihn noch nicht

ganz dazu herumgekriegt. Aber das kommt schon noch.«

»Das ist schön.« Ja, einfach grandios …
»Nennen Sie mich doch einfach Tanya, und ich nenne Sie

Natalie.«

Natalie zwang sich zu einem Lächeln. »Gerne.«
»Gut. Wir werden uns oft sehen – ich werde mich ständig hier

herumtreiben. Und wir werden prima miteinander auskommen, so-
lang Sie Ihre Finger von Marco lassen. Nicht, dass Sie bei ihm auch
nur die kleinste Chance hätten. Sie sind überhaupt nicht sein Typ.
Marco mag Frauen, die groß und schön sind. Und Sie sind beides
nicht.«

»Nein, niemand könnte behaupten, dass ich besonders groß

bin. Oder besonders schön.« Kaum hatte Natalie den Satz beendet,
fiel ihr ein, was Marco vor etwas mehr als zwei Stunden gesagt
hatte. Und wie er es gesagt hatte. Es löste einen weiteren Stich in
ihr aus, einen heißen, irgendwie lustvollen. Zwar war sie sich nicht

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ganz sicher, ob er das tatsächlich ernst gemeint hatte – aber
geklungen hatte es jedenfalls so. Allerdings hatte Natalie sich nie
für hübsch gehalten. Ihre Mutter, ja – die war schön. Aber sie nicht.

»Nun, Sie sehen ja nicht schlecht aus. Aber sein Geschmack

sind Sie nicht. Nun, wir sehen uns, ich muss los. Und Sie geben ihm
das Paket, ja?«

»Natürlich. Es war nett, Sie kennengelernt zu haben.« Und das

war sooo gelogen …

»Finde ich auch.«

Natalie war gerade in der Küche, als sie Marco hereinkommen
hörte. Seit dem Unfall war das ihr ereignisreichster Tag gewesen.
Zuerst hatte sie sich verirrt, dann hatte Marco sie aufgegabelt und
danach hatte sie Tanya Wallace kennengelernt.

Als sie am Mittag aus seinem Auto gestiegen war, hatte Marcos

Stimmungsbarometer auf Sturm gestanden. Nervös wartete sie da-
rauf, wie er ihr jetzt begegnen würde. Er hatte kein Abendessen ver-
langt, also hatte sie sich einen Salat gemacht. Jetzt war nur noch
die Küche wieder in Ordnung zu bringen und sie konnte in ihrem
Zimmer verschwinden und fernsehen.

Sie hörte seine Schritte auf den Fliesen, später auf dem Tep-

pich. Dann spürte sie ihn in der Tür zur Küche stehen. Sie war sich
seiner Nähe bewusst, obwohl sie mit dem Rücken zu ihm stand.
Und sie war sich bewusst, dass ihr Herzschlag sich beschleunigt
hatte. Nach einem tiefen Atemzug drehte sie sich um.

Wieder baute sich diese sirrende Spannung auf. Sie wusste, sie

musste sprechen, bevor es noch schlimmer wurde. Fest griff sie die
Kante der Arbeitsplatte hinter ihr. »Hallo.«

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Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß. Schließlich fragte er sie:

»Sind Sie in Ordnung?«

»Ja. Warum?«
»Ich weiß nicht – sich in Houston zu verirren, ist schon ein

Abenteuer«, bemerkte er.

Sie kam sich vor wie ein kleines Kind. Aber sie lächelte

schwach und zwang sich, sich an das Drehbuch zu halten, das ihr
Verstand ihr diktierte. Und nicht an das, was so prickelnd durch
ihre Adern strömte und ihr die Frage aufdrängte, warum er sie
ständig überwachte. »Es war heller Tag – und ich bin kein kleines
Mädchen mehr.«

Sein Gesichtsausdruck verlor alles Sanfte, und sein Blick

wanderte zu ihren Brüsten. Seine Wangen waren gerötet, und seine
Nasenflügel bebten. Als er wieder aufschaute, loderte glimmende
Hitze in seinen Augen.

Hätte Natalie sich nicht eisern festgehalten, es hätte sie auf die

Knie gezwungen. Es war Lust, ganz eindeutig Lust, die sie aus
seinem Gesicht herauslas. Es war nicht das erste Mal, dass er sie so
begehrlich anschaute – aber es war das erste Mal, dass es so unver-
hüllt geschah, so intensiv. Ihr Herz setzte aus, und als es weiter-
schlug, konnte es einfach keinen gleichmäßigen Rhythmus finden.

»Tanya ist heute Nachmittag vorbeigekommen«, versuchte sie

ihn abzulenken. »Sie hat etwas für Sie dagelassen.«

Seine Augen verengten sich. »Tanya war hier?«, fragte er. Das

schien ihm ganz und gar nicht zu gefallen.

»Ja, sie …«, setzte Natalie an, doch er unterbrach sie, das

Gesicht angespannt: »Hat Sie etwas zu Ihnen gesagt, das Sie ver-
unsichert hat?«

Ja – sie hat mir von der bevorstehenden Hochzeit berichtet …

»Wir haben uns ein wenig unterhalten. Sie hat Ihnen ein Paket
gebracht.«

»Sind Sie sicher? Sie hat nichts gesagt, das Sie beleidigt hätte,

oder so etwas?«

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Doch, sie hat gefragt, ob ich auch zum Ficken hier bin …

»Nein, natürlich nicht. Sie konnte gar nicht glauben, dass Sie jetzt
eine Haushälterin haben. Ich habe ihr nichts von dem … von dem
Unfall gesagt, sondern nur erklärt, Sie hätten mich angestellt. Ich
hoffe, das war in Ordnung.«

»Ja, das war genau richtig.«
Natalie zog ihre Mundwinkel nach oben und hoffte, das Ergeb-

nis ähnelte einem Lächeln. Sie stieß sich von der Arbeitsplatte ab
und versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen. »Ich wünsche Ihnen
eine gute Nacht.«

Sie glaubte schon, ihm entkommen zu sein, als er plötzlich um

sie herum nach ihrer Hand griff und sie herumzog.

»Natalie.« In seinen glühenden Augen stand eine Frage, ein

Drängen. Es brachte sie innerlich zum Schmelzen.

Sein Daumen strich langsam über ihr Handgelenk. Näher und

näher zog er sie an sich. Ihr Verstand schrie eine Weigerung. Nein!
Mach das nicht! Fass mich nicht an! Sei nicht so wie die anderen
Männer! Du hast eine Freundin! Eine Freundin …

Sie schloss die Augen und machte sich steif, die personifizierte

Ablehnung. Sein Griff lockerte sich, aber er ließ sie nicht los. Als sie
die Augen öffnete, schaute er sie noch immer an, angespannt.

Sie drehte den Arm, um freizukommen. »Gute Nacht, Marco.«
Es waren die drei längsten Sekunden ihres Lebens, bis er sie

endlich losließ. »Gute Nacht.«

Sie floh in ihr Zimmer.

Am nächsten Tag saß Marco in seinem Büro und kämpfte gegen
heftige Kopfschmerzen. So sehr er auch versuchte, sich auf die Akte

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zu konzentrieren, die Joy ihm gerade hingelegt hatte, es gelang ihm
nicht.

»Was ist los mit dir?«, fragte seine langjährige Assistentin ihn

verwundert.

»Nichts. Ich habe nur Kopfschmerzen.« Er stützte den Kopf in

die Hände.

»Das sieht mir aber gar nicht nach ›nichts‹ aus. Du bist auch

ganz blass. Bist du krank?«

»Krank?«, bemerkte er verwundert. Krank sein, das war ein

Konzept, das nicht in sein Leben passte. Andere Leute wurden viel-
leicht krank – aber doch nicht er!

»Ja, krank«, wiederholte Joy. Sie war eine ältere Frau und

bereits mehrfache Großmutter. Manchmal behandelte sie ihn wie
einen ihrer Enkel … Sie ging um den Schreibtisch herum und legte
ihm eine Hand auf die Stirn. Und er fühlte sich so merkwürdig,
dass er es sogar geschehen ließ. »Du bist ganz heiß. Ich wette mit
dir, du hast Fieber. Geh nach Hause!«

»Ich gehe nicht nach Hause!«, widersprach er heftig. »Ich

kann doch nicht mitten am Tag einfach verschwinden!« Er rieb sich
die Nase und schloss die Augen.

»Es ist schon drei Uhr nachmittags, und du hast heute keine

Termine mehr. Wenn du unbedingt musst, kannst du ja die Akte
von McMasters mitnehmen. Nimm ein paar Medikamente, kriech
ins Bett und kurier dich aus.«

»Nein, das werde ich ganz bestimmt nicht tun!«
»Marco, sei doch nicht so stur! Verschwinde hier. Deine neue

Haushälterin kann dir eine Suppe kochen und sich um dich
kümmern.«

Er hob den Kopf und starrte sie an. »Meinst du wirklich, ich

soll nach Hause gehen?«

»Ja. Du willst uns doch wohl nicht alle anstecken, wenn du dir

etwas eingefangen hast, oder?«

»Okay – ich gebe auf. Ich bin schon weg«, sagte er rasch. Nein,

heute war er wirklich ganz und gar nicht er selbst!

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Nach einer anstrengenden Stunde im Fitnessraum kam Natalie sch-
weißgebadet in die Wohnung zurück. Sie brauchte unbedingt eine
Dusche!

»Wo waren Sie?«
Dass Marco schon zu Hause war, war das Letzte, was sie er-

wartet hatte.. Die Anklage in seinen Worten ließ sie zusammen-
zucken. Er saß auf der Couch, den Blick auf den Aufzug gerichtet,
und hatte ganz offensichtlich auf sie gewartet.

»Ich habe Sport gemacht«, antwortete sie.
»Ich habe Sie gebraucht! Sie hätten hier sein sollen! Ich habe

Ihr verdammtes Handy angerufen – aber das liegt hier irgendwo
herum!« Ja, es war in der Küche, beim Aufladen. Sie war nur eine
Dreiviertelstunde weg gewesen und hatte es für überflüssig gehal-
ten, es dafür mitzunehmen. »Sie haben doch gesagt, ich darf den
Fitnessraum benutzen«, verteidigte sie sich und hob den Pfer-
deschwanz an. Der Schweiß lief ihr den Nacken herab. »Warum
sind Sie schon so früh zu Hause?«, erkundigte sie sich.

»Ich bin krank«, erklärte er in einem Tonfall, der ihr die

Schuld daran gab.

»Was haben Sie denn?«
»Ich habe Kopfschmerzen und Fieber. Joy hat gesagt, Sie sol-

len mir eine Suppe kochen.«

»Wie hoch ist denn Ihr Fieber?«
»Das weiß ich nicht. Woher soll ich das wissen?« Auch das

schien ihre Schuld zu sein.

»Haben Sie ein Thermometer? Und wie schlecht fühlen Sie

sich?« Nein, sie würde sich nicht von ihm zu einem Streit pro-
vozieren lassen.

»Ich fühle mich sehr schlecht – also habe ich hohes Fieber«,

verkündete er wie ein trotziges Kind.

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»Vielleicht sollten Sie zum Arzt gehen.«
»Warum denn? Ich dachte, nach einer Suppe geht es mir

wieder besser.«

»Marco, Sie sollten … Ach, vergessen Sie’s. Es dauert eine

Weile, bis ich eine Suppe gekocht habe. Es sei denn, Sie sind mit
einer aus der Dose zufrieden.«

»Gibt es noch andere Suppen als die aus der Dose?«
Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie ihn. Nahm er sie jetzt et-

wa auf den Arm? Nein, er schien es ernst zu meinen. »Okay, ich
mache Ihnen eine Suppe. Wollen Sie dazu Cracker? Oder lieber ein-
en Käsetoast?«

»Sie können einen Käsetoast machen?«
»Ich glaube, das bringe ich gerade noch so fertig.«
»Das klingt gut. Soll ich mich jetzt ins Bett legen?«
»Wenn Sie möchten, ja. Es gibt in der Küche Tabletts. Ich

kann Ihnen eines ans Bett bringen, wenn Sie das so gewohnt sind.«

»Ich bin überhaupt nichts gewohnt! Ich bin nie krank!«
Irgendwie kam er ihr überhaupt nicht krank vor, aber sie

hütete sich, das laut zu sagen. »In Ordnung. Können Sie noch eine
Viertelstunde warten? Ich möchte gerne erst duschen. Ich bin ziem-
lich verschwitzt.«

»Kommen Sie doch einmal und fühlen Sie meine Stirn, wie

heiß ich bin. Joy hat das auch so gemacht.«

Natalie biss sich auf die Innenseite der Wange. Zögernd trat sie

auf ihn zu. Er sah wirklich zum Anbeißen aus, auch wenn er sich
gerade absolut unmöglich benahm. Sie musste sich gewaltsam
daran erinnern, dass er schließlich eine Freundin hatte und sie sol-
chen Gedanken, wie sie sie gerade beherrschten, einfach nicht
nachgeben durfte. Offensichtlich betrachtete er Tanya nicht als
seine Freundin – aber genau das war sie doch. Wenigstens sah
Natalie das so. Sie legte ihm sanft die Hand auf die Stirn.

Und schon schoss sein Arm vor, schlang sich um ihre Taille,

und seine Hand landete auf ihrem Rücken, ziemlich weit unten.
Seine Finger breiteten sich aus, direkt über ihrem Po. Ein fast

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unerträgliches Kribbeln brachte ihre Hand auf seiner Stirn zum Zit-
tern. Rasch zog sie sie fort. »Also, mir kommen Sie ganz normal
vor«, erklärte sie. »Höchstens ein bisschen warm.« Sie kannte sich
damit nicht aus, wie man ein Fieber feststellt, außer mit einem
Thermometer. Schließlich fehlte ihr jede Erfahrung – sie hatte
keine Kinder und keine jüngeren Geschwister. Ältere übrigens auch
nicht. Allerdings war sie sich ziemlich sicher, dass er kein Fieber
hatte. Seine Stirn kam ihr nicht halb so erhitzt vor, wie sie sich
gerade fühlte.

Sie trat einen Schritt zurück. Oder vielmehr, sie wollte einen

Schritt zurücktreten, doch er hielt sie fest. »Sie riechen so gut,
Natalie!«, murmelte er.

Etwas strömte heiß wie Lava durch ihren Körper. Sie leckte

sich die Lippen. »Sie müssen wirklich Fieber haben«, bemerkte sie
bissig. »Sie sind im Delirium! Ich rieche schrecklich nach dem
Sport! Geradezu ekelhaft!«

»Sie könnten nie ekelhaft sein. Sie sind wunderschön!« Oh

Gott – schon wieder fing er damit an! Seine Hand glitt über ihrem
Rückgrat auf und ab. Und mit jeder Abwärtsbewegung näherte er
sich weiter der Kerbe zwischen ihren Pobacken.

Energisch entzog sie sich ihm. »Am besten legen Sie sich jetzt

einfach ins Bett. In zwanzig Minuten komme ich mit der Suppe.«

Sie ging aus dem Zimmer, wartete seine Reaktion nicht ab.

Eine halbe Stunde später klopfte Natalie an seine offene Tür, ein
Tablett in der Hand.

»Wie lang dauert das denn?«, beschwerte er sich. Er saß ihm

Bett, die Kissen hinter sich gestapelt. Natalie konnte sich den
Gedanken nicht verkneifen, dass er wie ein Sultan wirkte, der

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darauf wartete, von seiner Konkubine bedient zu werden. Oh
Scheiße – und wer bitte war die Konkubine? Doch wohl nicht etwa
sie?

Sie packte ihm das Tablett auf den Schoß. Heftig traf sie der

Gedanke, dass er da jetzt ohne Hemd im Bett lag. Um sich abzu-
lenken, sagte sie das Erste, was ihr in den Sinn kam. »Und denken
Sie daran – ich habe die Suppe nicht gemacht, ich habe nur die
Dose geöffnet.«

»Es riecht lecker. Ich wusste gar nicht, dass ich solchen Hun-

ger habe.« Er nahm den Löffel auf.

Rasch wich sie zurück. Sie musste so schnell wie möglich

wieder aus dem Zimmer. Sonst … Er sah so verführerisch aus!
»Okay – ich schaue bald wieder nach Ihnen.«

Sie war schon beinahe aus der Tür. »Natalie?«, rief er sie

zurück.

Hatte er etwa vor, sich tatsächlich bei ihr für die Suppe zu be-

danken? Erwartungsvoll drehte sie sich um.

»Können Sie mir die Fernbedienung vom Fernseher geben?«

Zwanzig Minuten später rief Marco sie auf ihrem Handy an. Sie
hatte sich gerade die Haare trocken geföhnt. Statt den Anruf anzun-
ehmen, ging sie in sein Zimmer. »Was brauchen Sie?«

»Nehmen Sie das Tablett weg.«
Sie biss angesichts seines ruppigen Tons die Zähne zusammen,

ging aber zum Bett und griff sich das Tablett. »Sonst noch etwas?«

»Nein, nur das Tablett.« Er zappte durch die Fernsehkanäle

und schaute sie nicht einmal an.

Sie hatte gerade die Sachen in die Spülmaschine geräumt, als

ihr Handy wieder klingelte. Erneut beantwortete sie den Anruf

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nicht, sondern begab sich gleich in sein Schlafzimmer. »Ja?« Dieses
Spiel wurde langsam langweilig. Oder nein – es wurde sehr schnell
langweilig.

»Ich brauche mehr Kissen.« Das Fernsehgerät war ausgeschal-

tet, und die Fernbedienung lag auf dem Nachttisch.

Sie schenkte ihm einen genervten Blick und ging zum Wands-

chrank im Flur.

Kurz darauf half sie ihm dabei, sich auf die zusätzlichen Kissen

bequemer zu betten. Dabei bot sich ihr der Blick auf seinen nackten
Rücken. Und auf seine breiten Schultern. Und die Haare auf seiner
Brust, die perfekt waren, genau richtig – nicht zu viel und nicht zu
wenig.

Wie

aufregend

es

wäre,

mit

den

Händen

darüberzustreichen … Oh mein Gott! Und dann dieser Pfad an
dunklen Haaren nach unten, der unter der Bettdecke verschwand!
Sie musste hier verschwinden, und zwar ganz flott. »Wäre das dann
alles, mein Herr?«, spottete sie.

Er schaute sie mit gerunzelter Stirn an. »Na gut – gehen Sie

halt, wenn Sie es so verdammt eilig haben!«

»Ich habe es nicht eilig …«
»Sie sind einfach keine normale Frau!«, schimpfte er. »Und

überhaupt nicht häuslich. Eigentlich sollten Sie sich liebevoll um
mich kümmern!«

»Oh, tut mir leid – haben Ihnen die Käsetoasts etwa nicht

geschmeckt?«, fragte sie sarkastisch.

»Ach, sie waren ganz okay.«
»Auf jeden Fall haben Sie sie alle vertilgt.«
»Mir ist so heiß! Können Sie mir einen nassen Waschlappen

für meine Stirn bringen?«

Sie kreuzte die Arme vor der Brust, blickte genervt auf ihn

herab und zögerte lang genug, um ihn wissen zu lassen, dass sie
ihm seine Masche nicht abkaufte, wie bedauernswert er doch war.
Dann holte sie im Badezimmer einen Waschlappen, ließ kaltes
Wasser darüberlaufen und kam zurück.

»Da«, sagte sie und hielt ihm das Teil hin.

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Er machte keine Anstalten, den Waschlappen zu nehmen.

»Verflucht noch mal, Natalie – ich bin krank! Können Sie wenig-
stens vorübergehend mal so tun, als wären Sie besorgt um mich?«

Sie verdrehte die Augen, setzte sich zu ihm aufs Bett und

wandte sich ihm zu. Das Bett war so hoch, dass sie dabei nur noch
mit einem Fuß mühsam den Boden erreichte. Sorgfältig faltete sie
den Waschlappen zu einem Rechteck, das sie ihm auf die Stirn
legte.

Er seufzte ekstatisch. Und sofort schlängelte sich sein Arm um

ihre Hüfte und hielt sie fest. Machtvoll überfiel sie der Gedanke,
wie es wohl wäre, wenn er ihr gehörte, und zwar nur ihr. Würde er
dann seine Schroffheit verlieren, sein unangenehmes Verhalten?
Seine Reizbarkeit und Arroganz?

Seine Augen schlossen sich. Ebenso wie ihre, als sie begann,

mit dem nassen Tuch langsam Kreise auf seiner Stirn zu ziehen. Die
sie selbst ebenso beruhigen sollten wie ihn.

Die Zeit schien stillzustehen. Er genoss ihre Aufmerksamkeit

sichtlich, in die Kissen gelehnt.

Der Türsummer schnarrte laut im Wohnzimmer und bereitete

dem behaglichen Augenblick ein Ende. Sie sprang auf, den Wasch-
lappen noch in der Hand, und rannte hinaus.

Sie drückte den Knopf der Sprechanlage. »Ja?«
»Mrs Wallace würde gerne nach oben kommen«, informierte

sie der Concierge. »Kann ich sie nach oben schicken?«

Zornig biss sich Natalie auf die Lippen. Sie hatte jetzt über-

haupt keine Lust, sich mit Tanya zu befassen. Wusste die Blondine
etwa, dass Marco zu Hause war? »Ja, das ist schon in Ordnung«,
log sie.

Kurz darauf stolzierte Tanya ins Zimmer. »Wo ist mein armer

Schatz?«, trällerte sie. Nun, das beantwortete immerhin Natalies
Frage. »In seinem Schlafzimmer«, antwortete Natalie.

Tanya stakste unsicher auf den Flur zu. »Und welches Zimmer

ist das?«

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Wusste sie das etwa nicht? Das schockierte Natalie. Hatte sie

nicht behauptet, sie würde sich ständig hier herumtreiben? »Die
zweite Tür links«, erklärte sie.

Tanya marschierte einfach in das Zimmer hinein. Natalie blieb

in der Tür stehen. Eigentlich wollte sie gar nicht sehen, wie diese
andere Frau sich um Marco kümmerte.

Sie konnte sehen, wie Marco die Augen öffnete. Sein Blick fiel

auf Tanya und zeigte, ganz offen und schlicht, Verärgerung, bevor
er ausdruckslos wurde. Anschließend schaute er zu Natalie.

Natalie nahm es den Atem. Er war ganz und gar nicht glück-

lich, Tanya zu sehen.

Er wollte sie, Natalie, nicht Tanya. Fast tat die Blonde ihr auf

einmal leid. Nein, sie tat ihr tatsächlich leid.

»Marco, du armer Schatz!«
Natalie lehnte sich gegen die Tür und beobachtete, wie Tanya

sich auf die Matratze fallen ließ. Dabei fiel Natalie etwas auf, das sie
bei der ersten Begegnung gar nicht richtig bemerkt hatte. Ihr Arsch
war irgendwie ein bisschen breit. Er war zu breit, oder etwa
nicht?

»Jetzt bin ich ja da – ich kümmere mich um dich«, säuselte

Tanya. »Ich wollte dich im Büro anrufen, da hat Joy mir gesagt,
dass du krank bist.«

Trotzig verschränkte Marco die Arme. »Ich brauche Ruhe,

Tanya – keine Gesellschaft.«

»Ich bin doch keine Gesellschaft, du Dummerchen!« Sie strich

ihm mit ihren blutroten Fingernägeln durchs Haar. Übelkeit breit-
ete sich in Natalies Magen aus.

Sie hielt den Atem an und marschierte steif auf das Bett zu,

reichte Tanya den Waschlappen. »Kalte Kompressen auf der Stirn
helfen«, erklärte sie. War das jetzt boshaft von ihr, angesichts
seines Blickes vorhin?

Tanya nahm das Tuch und legte es auf seine Stirn. »So in

etwa?«

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»Ja«, antwortete Natalie. Sie brachte nicht mehr als ein

Flüstern heraus. Zu sehen, wie Tanya Marco berührte, schnürte ihr
mit einem ganz hässlichen Gefühl die Kehle zu. Sie folgte den roten
Fingernägeln auf ihrem Weg durch Marcos dunkle Haare, dann
wanderte ihr Blick zu seinen Augen. Zu ihrer Überraschung schaute
er sie an.

Und er schaute sie nicht einfach nur irgendwie an – er

konzentrierte sich auf sie. Es war, als wollte er mit seinen Augen
von ihr Besitz ergreifen. Ihr Herz schlug schneller und schneller.
Sie wollte sich abwenden, doch seine Hand griff nach ihrer, hielt sie
fest. Natalie war sich des giftigen Funkelns in Tanyas Augen sehr
wohl bewusst.

»Bringen Sie mir ein Glas Wasser und ein …« – er zögerte kurz

– »ein Heizkissen«, verlangte er.

Sie versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was er gesagt

hatte. »Ein Heizkissen? Bei Fieber?«

Seine Augen verengten sich. Langsam und bestimmt wieder-

holte er: »Ich will ein Heizkissen.«

»In Ordnung. Wo finde ich das?«
»Wenn wir eines haben, muss es im Wandschrank draußen im

Flur bei den Kissen sein.« Wenn »wir« eines haben? Das klang ja
fast so, als ob das auch ihr Heim wäre … Sein Daumen zog an ihrem
Handgelenk kleine Kreise.

Und die ganze Zeit saß Tanya da auf der Bettkante und wirkte

so, als hätte sie Natalie am liebsten die Augen ausgekratzt.

»Okay.« Sie zog den Arm nach hinten. Nach einem

brennenden Blick ließ er sie los.

Natalie besorgte ihm das Glas Wasser und stellte es auf den

Nachttisch. Dabei versuchte sie, weder auf das liebende Paar zu
achten noch auf deren leisen, hitzigen Austausch.

Anschließend suchte sie im Wandschrank. Ein Heizkissen war

da allerdings nicht zu finden.

Sie steckte ihren Kopf wieder in Marcos Schlafzimmer. »Ich

kann kein Heizkissen finden. Reicht auch eine weitere Decke?«

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»Nein, ich brauche unbedingt ein Heizkissen.« Sein Blick

wanderte zu Tanya. »Es macht dir doch sicher nichts aus, mir
schnell eines zu besorgen, oder?« Er beugte sich vor, nahm seine
Geldbörse vom Nachttisch und zog ein paar Scheine heraus, die er
Tanya überreichte – begleitet von einem Wort, von dem Natalie
vermutet hatte, dass er es überhaupt nicht kannte: »Bitte!«

Tanya griff sich die Scheine mit unverhüllter Gier. »Natürlich,

mein Schatz. Ich bin in einer halben Stunde zurück.« Sie beugte
sich über ihn und küsste ihn auf den Mund. Dabei lagen ihre Hände
auf seinen Schultern. Was in Natalie die Galle aufsteigen ließ. Im-
merhin – Marco erwiderte die Umarmung nicht, und allzu lang
dauerte sie auch nicht.

Tanya ging an ihr vorbei, als ob sie gar nicht da wäre. Natalie

blieb stehen, bis das »Bing« der Aufzugtür ihr verriet, dass Tanya
auf dem Weg nach unten war. Ohne den Blick von ihr zu lassen,
griff Marco nach seinem Handy und gab eine Nummer ein. »Mrs
Wallace ist gerade auf dem Weg nach unten«, erklärte er. »Sie wird
bald zurück sein. Nehmen Sie ihr das ab, was sie besorgt hat. Aber
lassen Sie sie auf keinen Fall noch einmal nach oben. Haben Sie
verstanden?« Innerlich bebte Natalie unter seinem Blick.

»Wo waren wir stehengeblieben?«, meinte Marco, nachdem er

das Handy wieder beiseitegelegt hatte. Natalie wusste genau, wo sie
gewesen waren. Aber nach dem, was gerade passiert war, würde sie
sich garantiert nicht wieder dorthin begeben! »Sie wollten sich aus-
ruhen«, erwiderte sie entschieden. »Ich schaue bald wieder nach
Ihnen.«

Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern ging hinaus und

schloss leise die Tür.

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Später an diesem Abend saß Marco mit einem Glas Bourbon an
seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer. Seine Kopfschmerzen war-
en verschwunden. Und Fieber hatte er wohl nie gehabt. Vor ihm lag
der Umschlag, den ihm Tanya am Tag zuvor mitgebracht hatte. Er
hatte darin zwanzig Hochglanzfotos gefunden. Von ihr. In
Reizwäsche. Und Posen, die ebenfalls reizend sein sollten – oder
vielmehr aufreizend.

Wenn er sich wirklich etwas aus ihr gemacht hätte, hätte er sie

wahrscheinlich erregend gefunden. Oder zumindest amüsant.

Doch er fand sie weder erregend noch amüsant.
Schnell entschlossen warf er sie in den Papierkorb neben dem

Schreibtisch.

Es wurde wirklich Zeit, sie loszuwerden. Er fand sie nicht mehr

anziehend. Er hatte alles Interesse an ihrem Körper verloren. In-
zwischen ging sie ihm nur noch auf die Nerven.

Sie stand dem im Weg, was er wirklich wollte. Dieser Situation

musste er ein Ende bereiten.

Ja, er musste sie in die Wüste schicken. Und zwar gleich mor-

gen. Er konnte das einfach nicht länger aufschieben.

Plötzlich kam ihm sogar der nächste Tag zu spät vor.
Nein, er würde sich gleich an diesem Abend von ihr trennen.
Zwar hatte er schon einiges getrunken. Seit seine kleine

Haushälterin vor ihm geflohen war, als ob sämtliche Höllenhunde
hinter ihr her wären, hatte er am Pegel der Flasche Bourbon
gearbeitet.

Nein, Auto fahren sollte er wirklich nicht mehr. Aber er wollte

die Sache endlich hinter sich haben.

Also griff er zum Telefon und bestellte ein Taxi.

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Am nächsten Morgen kam Natalie ins Wohnzimmer und wusste so-
fort, etwas stimmte nicht. Marcos Laptop, den er immer mit zur
Arbeit nahm, stand auf dem Sofatisch, und zwar offen. Der Bild-
schirm war schwarz. Was war da los? War er etwa wirklich krank?
Gestern hatte sie ihm das überhaupt nicht abgenommen.

Von irgendwo hinten kam ein Geräusch. Sie machte sich auf

die Suche nach der Quelle.

Die Tür zu seinem Schafzimmer war geschlossen. Drinnen fiel

etwas zu Boden, und ein lauter Fluch war zu hören.

Eigentlich sollte sie jetzt klopfen und ihn fragen, ob alles in

Ordnung war.

Oh nein – es bestand nicht die geringste Chance, dass sie das

tun würde! Rasch drehte sie sich um und floh in die Sicherheit der
Küche.

Zwanzig Minuten später saß sie in der Küche am Tisch, trank eine
Tasse Kaffee und stellte die Einkaufsliste zusammen, als Marco
hereinkam. Seine Augen waren blutunterlaufen, und er hatte etwas
auf der linken Wange, das verdächtig nach einem blauen Fleck aus-
sah. Sie ließ den Stift fallen und schaute ihn erschrocken an.

»Kaffee«, krächzte er. Es schien ihm tatsächlich beschissen zu

gehen.

Sie sprang auf und goss ihm eine Tasse ein, schwarz, so wie er

ihn am liebsten trank, wie sie wusste. Sie stellte die Tasse vor ihn.

Dann setzte sie sich wieder und nahm den Stift auf, um die

Emotionen zu verbergen, die in ihr tobten. Und die völlig un-
passend waren. Allerdings konnte sie sich überhaupt nicht auf die
Lebensmittel konzentrieren, die nachbestellt werden mussten.
Dazu war sie sich viel zu sehr seiner Anwesenheit bewusst.

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In der Nähe seines hochgewachsenen, muskulösen Körpers

schien die Küche regelrecht zu schrumpfen.

Er nahm mehrere Schlucke, ohne Natalie anzusehen.
Endlich konnte sie ihre Neugier nicht länger beherrschen.

»Was ist Ihnen denn zugestoßen?«, fragte sie sanft.

Er zuckte zusammen und blinzelte zu ihr herüber. »Um Tanya

müssen Sie sich keine Sorgen mehr machen. Sie wird hier ganz
gewiss nie wieder auftauchen.«

Ihre Augen weiteten sich erstaunt. »Ich … ich habe mir keine

Sorgen gemacht.« Die Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzten
Tango. Was hatte das zu bedeuten?

»Darüber müssen wir nicht mehr diskutieren. Sie spielt in

meinem Leben keine Rolle mehr.«

»Das tut mir leid.« Sie fühlte sich völlig hilflos. Was sollte sie

nur sagen? Eigentlich sollte sie ihn doch bedauern, oder?
Stattdessen spürte sie Euphorie wie kleine Luftbläschen in sich
nach oben steigen. Sie schluckte und konzentrierte sich auf nahelie-
gendere Dinge. »Und was ist Ihrem Gesicht passiert?«

Er tastete mit der Hand nach der Prellung und zog eine verär-

gerte Grimasse. »Tanya ist passiert.«

Scharf zog Natalie die Luft ein. »Sie hat Sie geschlagen?«
»Allerdings.«
»Haben Sie …«
Er machte die Augen schmal und warf ihr einen abfälligen

Blick zu. »Ob ich zurückgeschlagen habe? Natürlich nicht!«

»Es tut mir leid … Ich wollte damit nicht andeuten …«
»Ach nein? Das klang aber ganz danach!«, erwiderte er

anklagend.

»Es tut mir leid.« Sie klang fast wie eine Platte mit Sprung,

aber sie wusste einfach nicht, was sie sonst sagen sollte.

»Ich brauche Aspirin!«, stöhnte er und stützte den Kopf in die

Hände.

»Gegen die Schwellung brauchen Sie Ibuprofen«, erklärte sie

und stand auf, um es zu holen.

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»Aspirin!«
Sie suchte in der Schublade, die mit verschiedenen frei verkäu-

flichen Medikamenten gefüllt war. »Ibuprofen«, beharrte sie.

»Natalie!«, brüllte er böse.
Entsetzt fuhr sie herum.
»Widersprechen Sie mir nicht! Ich habe einen Kater, und ich

brauche Aspirin – jetzt!«, schnaubte er drohend.

Es schockierte sie, wie er mit ihr umsprang. Sie spürte, wie sie

bleich wurde. Tränen brannten ihr in den Augen. Sie suchte weiter
in der Schublade, fand ein Fläschchen mit Aspirintabletten.
Wütend ließ sie den Deckel aufschnappen.

Als sie sich Marco zuwandte, zogen Tränen feuchte Spuren

über ihre Wangen. Dass sie jetzt weinte, machte sie nur noch zorni-
ger. Er schaute sie an, bemerkte gewiss die Tränen. Er runzelte ver-
ärgert die Stirn, als ob alles ihre eigene Schuld wäre.

Plötzlich war ihr alles zu viel.
Sie schleuderte das offene Fläschchen in seine Richtung,

worauf sich überall die kleinen weißen Pillen verteilten. »Da ist Ihr
Aspirin, Sie Mistkerl!«

Und schon rannte sie aus der Küche. So mutig abzuwarten, wie

er auf ihren Ausbruch reagierte, war sie ganz gewiss nicht.

Hinter sich hörte sie seinen Stuhl scharren und ihn fluchen.

Kalte, dunkle Panik erfasste sie, als ihr plötzlich klar wurde, dass er
ihr folgen würde.

Sie dachte nicht lang nach, lief in ihr Zimmer, knallte die Tür

zu und verschloss sie. Keuchend lehnte sie sich dagegen.

Es dauerte keine Sekunde, bis er dagegen hämmerte. Die

Vibrationen breiteten sich in ihrem ganzen Körper aus. Wie erstarrt
stand sie da.

»Machen Sie die Tür auf!«, brüllte er.
Sie blieb stehen, griff mit einer Hand nach dem Bettpfosten,

um das Gleichgewicht zu halten.

»Machen Sie die verdammte Tür auf, Natalie!«

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Sie leckte sich die Lippen, atmete tief ein. Mühsam bekam sie

ihre Stimme in den Griff. »Auf keinen Fall!«

»Sie haben dreißig Sekunden Zeit zum Nachdenken! Ich werde

jetzt ein paar verfluchte Aspirin nehmen und dann komme ich mit
dem Schlüssel für diese Tür zurück. Und Gnade Ihnen Gott, wenn
Sie die Tür bis dahin nicht geöffnet haben!«

Seine Schritte entfernten sich. Ihre Gedanken rasten, und sehr

reales Entsetzen machte sich in ihr breit. Was hatte sie da bloß get-
an? Und was sollte sie jetzt machen?

Eines wusste sie – sie würde ihm garantiert nicht die Tür öffn-

en. Aber was auch immer sie sonst tun wollte – sie musste sich
schnell entscheiden.

Sie musste unbedingt Ruhe bewahren. Sie musste mutig und

bestimmt sein und ohne Angst. Zumindest musste sie so auftreten.
War das nicht so, dass wilde Tiere noch angriffslustiger wurden,
sobald sie die Angst ihres Gegenübers spürten? Und Marco kam ihr
im Moment wie ein wildes Tier vor. Sie setzte sich aufs Bett und
nahm ein Magazin in die Hand, das sie später hatte lesen wollen.
Doch auf einmal fiel ihr ein, dass ein Bett – oder auch nur ein Sch-
lafzimmer – so ziemlich der letzte Ort war, an dem sie von ihm in
die Ecke gedrängt werden wollte.

Schnell sprang sie auf, rannte zur Tür und öffnete sie. Viel-

leicht schaffte sie es ja noch rechtzeitig in die relative Sicherheit des
Wohnzimmers, bevor er zurückkam.

Doch Marco stand direkt vor ihr. Beinahe wäre sie gegen ihn

geprallt. Hatte er etwa die ganze Zeit dort gestanden? Sie spürte
Wut und Angst gleichermaßen. »Sie haben mich reingelegt! Sie
haben gar keinen Schlüssel zu dem Zimmer!« Sie wollte sich an ihm
vorbeidrängen.

Doch er wich nicht zurück, versperrte ihr den Weg. An seinem

Hals pulsierte heftig eine Ader und er strahlte eine fast körperlich
spürbare Feindseligkeit aus. »Sie nennen mich einen Mistkerl?«,
zischte er.

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Kapitel 5

Seine Worte schienen die Temperatur um sie beide herum jäh her-
abzusetzen. Natalies Gesicht verhärtete sich. Auch ihre Angst
schürte plötzlich ihren Zorn. »Sie haben mich angelogen – es gibt
keinen zweiten Schlüssel«, beharrte sie.

Ein weiteres Mal wollte sie an ihm vorbei, und wieder ließ er es

nicht zu. »Und ob ich einen Schlüssel habe!« Verachtung lag in
seiner Stimme. Er ließ den Schlüssel vor ihrer Nase baumeln und
steckte ihn rasch wieder ein. Dann fielen seine Hände schwer auf
ihre Schultern. Nur gab es erst recht kein Entkommen mehr.

»Solang Sie einen Schlüssel dazu haben, ist das nicht wirklich

mein Zimmer!«, fauchte sie. Sie wollte zurückweichen, doch sein
eiserner Griff hielt sie fest am Platz.

»Das ist auch nicht Ihr Zimmer!«, gab er böse zurück. »Es ist

nur der Ort, wo ich Ihnen erlaube zu schlafen.«

»Lassen Sie mich gehen«, sagte sie zitternd.
»Halten Sie den Mund!« Es klang drohend genug, sie erstarren

zu lassen. Trotzdem warf sie ihm noch einen entrüsteten Blick zu,
bevor sie den Kopf senkte.

Noch einmal bäumte sich ihr Wille auf. »Hören Sie auf, mich

zu bedrohen«, flüsterte sie wütend. »Ich schwöre es Ihnen – sonst
rufe ich die Polizei!« Er versteifte sich, aber er nahm, wenn auch
langsam, widerstrebend, die Hände von ihren Schultern.

»Pech nur, dass Sie dafür Ihr Handy brauchen«, höhnte er und

zog es aus der Tasche. Er musste es in der Küche eingesteckt haben,
nachdem sie geflüchtet war – und warf es zielsicher auf ihr Bett.

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Und wieder landete seine Hand auf ihrer Schulter. Natalie

schloss die Augen, hielt ganz still.

Ein paar Momente lang standen sie beide so da, und Natalie

versuchte, sich ihr Zittern nicht allzu deutlich anmerken zu lassen.
Was allerdings unmöglich war. Er war ihr einfach zu nahe, seine
Hand war zu warm. Sie wusste genau, er spürte das Beben ihres
Körpers.

Dann legte er einen Finger unter ihr Kinn, damit sie ihn ansah.

Rebellisch hielt sie die Augen geschlossen. »Mach die Augen auf«,
verlangte er.

Es war nur eine winzige Geste, Widerstand gegen seine For-

derung und ebenso dagegen, dass er sie auf einmal duzte, sich diese
Vertrautheit herausnahm, aber Natalie hielt die Augen weiter
geschlossen. Bis sie sich wie von selbst langsam öffneten. Er starrte
sie an, und er war viel zu nahe. Seine Augen waren schokoladen-
braun, und nicht einmal die sichtbaren roten Adern nahmen ihnen
etwas von ihrer Schönheit, die sie ganz in ihren Bann schlug. Sie
wollte wegschauen und schaute doch hin.

»So einen Scheiß, wie du ihn gerade abgezogen hast, kann ich

wirklich nicht brauchen«, erklärte er. Schmerzhaft bohrten sein
Finger und Daumen sich in ihr Kinn. »Es gibt ein paar Dinge, die
du über mich wissen solltest, und du solltest sie dir ganz schnell
hinter die Ohren schreiben. Auf Drohungen oder Temperament-
sausbrüche reagiere ich allergisch. Und mit Tränen kannst du bei
mir ebenfalls nichts ausrichten.« Eindringlich schaute er sie an.
»Außerdem entschuldige ich mich grundsätzlich nie.«

Natalie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Der

emotionale Aufruhr in ihr war einfach zu überwältigend. Sie hatte
keine Kraft mehr, gegen ihn anzukämpfen. Ihre Knie versagten.
Wie von selbst sank sie gegen ihn. Seine Augen weiteten sich,
funkelten, und er schlang einen Arm um sie. Die Hand auf ihrer
Schulter hob sich, glitt über ihre Wange, in ihr Haar. Dort krallte
sie sich fest und hob ihren Kopf an, seinem entgegen.

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Er war so viel größer als sie, dass Natalie sich nahezu über-

wältigt fühlte, als er sich über sie beugte. Und er war nicht nur
groß, er war auch stark. Überall um sich herum spürte sie seine
Muskeln. Gegen ihren Willen nahm ihr die Sinnlichkeit seiner
Ausstrahlung den Atem, die sie die ganze Zeit gespürt hatte, aber
nicht an sich heranlassen wollte. Sein Duft stieg ihr in die Nase. Sie
kam sich vor wie unter Strom. In diesem Augenblick wurde ihr das
erste Mal bewusst, wie hilflos sie ihm gegenüber wirklich war.

Auf einmal sprach er wieder. »Ich hatte eine beschissene

Nacht, und der Morgen lässt sich auch nicht besser an.« Seine
Stimme war jetzt noch tiefer und klang längst nicht mehr so scharf
und zornig. »Normalerweise trinke ich nicht so viel – meine Kopf-
schmerzen bringen mich beinahe um. Und Tanya ist ein Biest – an
sie will ich jetzt ganz gewiss nicht denken.« Die Hand, die um ihre
Taille lag, begann sie sanft zu liebkosen. Er beugte sich herab und
legte seine Lippen auf Natalies Stirn.

Natalies Herz schien geradewegs aus ihrem Brustkorb sprin-

gen zu wollen. Es klopfte immer heftiger, während er eine Weile
lang so verharrte. Die Berührung seiner Lippen, die sich anfühlte,
als wolle er ihren Duft tief aufnehmen, war ein Schock für sie. Ein
herrlicher Schock, der sie innerlich jubeln ließ.

»Ich hätte dich nicht so anschnauzen sollen«, sagte er leise,

direkt gegen ihre Haut. »Ich weiß ja, du wolltest mir nur helfen.«

Ihr stockte der Atem. Was war das gerade? Hatte er nicht

gesagt, er würde sich niemals entschuldigen? Zugegeben, er hatte
weder gesagt »Es tut mir leid« noch »Ich entschuldige mich« –
aber was sonst außer einer Entschuldigung war das, was er da eben
von sich gegeben hatte? Jedenfalls klang er verdammt reuig, und
das brachte sie noch mehr durcheinander.

Noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, hob er

erneut ihren Kopf an und schaute ihr in die Augen. »Ich muss mich
zur Bank aufmachen, ich bin schon viel zu spät dran.« Langsam be-
freite er seine Hand aus ihrem Haar, strich ihr dabei mit den
Fingerknöcheln über die Wange. »Ist mit dir alles in Ordnung?«

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»Ja.« Ihre Stimme war ein heiseres Flüstern.
»Wirst du noch hier sein, wenn ich zurückkomme?«
Eine winzige Verwundbarkeit, die er durch diese Frage zeigte.

Sie zögerte nicht lang. »Ja.«

»Ich bin zum Abendessen zu Hause«, erklärte er.
»Okay.«
Er schien sie mit den Augen verschlingen zu wollen. Die Luft

zwischen ihnen war wie elektrisch aufgeladen. Das Kribbeln in ihrer
Magengrube sackte tiefer und tiefer nach unten, bis in ihren Schritt.
»Du bist so süß!«, sagte er rau. Schmerz schwang in seiner Stimme
mit, dachte Natalie – und dann endete ihre Fähigkeit zu denken
jäh, als sein Mund sich über ihren legte. Das erste Mal durfte sie
jetzt seinen Kuss genießen. Er dauerte nur eine Sekunde, und es
war ein fast freundschaftlicher Kuss, mit geschlossenen Lippen.
Nur, dass er sich überhaupt nicht freundschaftlich anfühlte, son-
dern ihr einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte.

Erst als er sie losließ und sich zum Gehen wandte, wagte sie es,

wieder zu atmen, noch immer mit geschlossenen Augen.

Auch eine halbe Stunde, nachdem er die Wohnung verlassen hatte,
war Natalie noch wie in Trance. Sie wanderte ziellos in der
Wohnung umher. Dann ging sie in ihr Zimmer. Auf dem Bett lag
noch immer das Smartphone, das er dorthin geworfen hatte.

Ihre Gedanken rasten auf Hochtouren. Sie nahm das Handy

und ihre Handtasche, ging ins Badezimmer und schloss sich ein.
Dann nahm sie ihr altes Prepaid-Handy aus der Handtasche.

Kritisch betrachtete sie die beiden Telefone. Marco brachte sie

völlig durcheinander. Es ließ sich nicht leugnen – er war ein

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atemberaubend attraktiver Mann, und schon der Gedanke an ihn
löste Herzklopfen bei ihr aus.

Jetzt hatte er sich auch noch von Tanya getrennt, war also frei.
Aber bevor sie zuließ, dass das, was da vorhin angefangen

hatte, auch nur einen einzigen weiteren Tag so weiterlief, musste
sie wissen, ob sie ihm ausreichend trauen konnte, um
hierzubleiben. Sie befand sich ohnehin schon fast vollständig in
seinem Bann.

Sie musste wissen, wie er sie überwachte, mit welcher Techno-

logie. Wobei sie sich ja noch immer nicht ganz sicher sein konnte,
dass er sie tatsächlich überwachte. Theoretisch konnte es tatsäch-
lich ein Zufall gewesen sein, dass er sie an dem Tag fand, als sie sich
verirrt hatte. Wobei sie das nicht glaubte. Solang es nur das Smart-
phone war, mit dem er ihre Bewegungen nachverfolgte, ob nun
über ein Programm oder über einen GPS-Sender – das war sie
bereit, ihm zuzugestehen. Schließlich hatte er nicht ganz unrecht –
er musste seine Investition schützen. Immerhin schuldete sie ihm
tatsächlich eine Menge Geld.

Aber sobald sie herausfand, dass er auch Webcams installiert

hatte oder sie über den Laptop überwachte, würde sie das Weite
suchen.

Sie schaute sich um. Selbst wenn – im Badezimmer hatte er

gewiss keine Kameras angebracht. So tief konnte er einfach nicht
sinken. Zumindest wollte sie das einstweilen annehmen.

Die Frage war nur: Wie konnte sie herausfinden, welche tech-

nischen Mittel er zu ihrer potenziellen Überwachung einsetzte? Sie
konnte ja nicht einmal auf dem Laptop danach googeln. Dafür
musste sie dann schon eine öffentliche Bibliothek oder ein Internet-
café aufsuchen. Allerdings wollte sie nicht, dass er mitbekam, dass
sie die Wohnung verließ. Wenigstens nicht, solang sie mit Recher-
chen befasst war. Nachher kam es dann vielleicht gar nicht mehr
darauf an …

Sie kannte sich mit Technik wirklich nicht gut aus. Wie ein

Computer funktionierte, davon hatte sie keine Ahnung. Natürlich

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hatte sie in der Schule Kurse gehabt, in denen es allerdings nur um
Word und PowerPoint und Excel gegangen war.

Über Handys wusste sie schon mehr. Wahrscheinlich war es

gerade genug, um sie in Schwierigkeiten zu bringen, aber es musste
einfach ausreichen.

Sie wusste, dass sie über das Smartphone Internetzugang

hatte. In der Wohnung per WLAN und draußen über den Ser-
viceanbieter. Der zum Glück derselbe war wie derjenige, bei dem
sie ihr Prepaid-Handy gekauft hatte.

Sie wusste auch, dass in ihrem alten Handy eine SIM-Karte

war. Die hatte sie einmal herausnehmen müssen, als das Handy
nass geworden war. Sie war sich ziemlich sicher, dass auch die
meisten Smartphones eine SIM-Karte hatten. Der Internetzugang
mochte anders funktionieren, schließlich war ein Smartphone ein
kleiner Computer. Aber ohne SIM-Karte waren mit dem Ding keine
Telefonate möglich.

Was sie vorhatte, war in der Theorie ganz einfach, wenn es in

der Praxis auch mit Schwierigkeiten und unvorhersehbaren Risiken
verbunden war – vor allem, weil ihr das Wissen fehlte. Sie wollte
einfach die beiden SIM-Karten austauschen – vorausgesetzt, sie
hatten dasselbe Format. Anschließend konnte sie ihr altes Handy
mitnehmen, wenn sie die Wohnung verließ, und das neue Smart-
phone mit der Ortung bliebe in der Wohnung. So konnte sie auch
unterwegs reagieren, wenn Marco sie anrief oder ihr eine SMS
schickte, wobei er glauben würde, dass sie in der Wohnung war.

Allerdings war sie sich in ein paar Dingen nicht sicher. Sie kon-

nte es absolut nicht gebrauchen, sich Ärger einzuhandeln. Sie
wusste nicht, wie Marco ihre Bewegungen nachverfolgte. Sie ent-
deckte kein Symbol, das auf eine App hingedeutet hätte, mit der
man verloren gegangene Smartphones orten kann. Das ergab al-
lerdings Sinn – wenn er ihr wirklich heimlich hinterherschnüffelte,
wollte er ganz gewiss nicht, dass sie das bemerkte. Sie hatte keine
Ahnung, was er sonst einsetzte.

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Jetzt kam ihr großes Problem Hatte er womöglich irgendeinen

Sicherheitsmechanismus eingebaut, der ihn bei Manipulationen der
SIM-Karte automatisch alarmierte? Oder konnte sie die Karten aus-
tauschen, ohne dass er es mitbekam?

Ohne Marco zu fragen – und das war ja nun ausgeschlossen,

wenigstens im Augenblick –, fand sie die Antwort gewiss nicht. Im-
merhin hatte sie einem Cousin vor etwa einem Jahr dabei zugese-
hen, wie er sein Smartphone mit einem Jailbreak von den Bes-
chränkungen seines Anbieters befreite. Der Cousin hatte ihr übri-
gens versichert, dass das vollkommen legal und ein ganz unspek-
takulärer Eingriff sei.

Also los! Sie nahm eine Nagelfeile und eine Büroklammer aus

ihrer Handtasche. Sobald sie erfolgreich war, wollte sie die
Wohnung verlassen.

Wenige Minuten später war es geschafft – sie hatte die SIM-

Karten der beiden Handys ausgetauscht. Zum Glück waren sie von
der Größe her identisch gewesen. Trotzdem konnte sie natürlich
nicht sicher sein, ob Marco nicht doch mitbekam, wenn sie die
Wohnung verließ. Das musste sie einfach riskieren.

Allerdings musste sie noch über andere Dinge scharf nachden-

ken. Wo sollte sie das neue Smartphone mit ihrer alten SIM-Karte
lassen? Ihr erster Impuls war gewesen, es zu verstecken, aber wenn
er es ohnehin aufspüren konnte, war das völlig sinnlos. Ebenso gut
konnte sie es offen liegen lassen. Sie konnte schließlich einfach be-
haupten, sie hätte das Handy zu Hause vergessen. Das funk-
tionierte allerdings nur, solang er sie nicht unterwegs angerufen
hatte. Das Risiko, dass etwas schiefging, war schon verdammt hoch.
Aber es half alles nichts – sie musste es in Kauf nehmen. Also
marschierte sie in ihr Zimmer, tat so, als würde sie nicht beo-
bachtet, klopfte die Kissen auf und legte das Magazin auf den
Nachttisch. Dabei ließ sie das Smartphone aufs Bett fallen, wo es
vorhin gelegen hatte, und machte sich auf den Weg zur nächsten
Bibliothek.

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Natalie war fest entschlossen, so schnell wie möglich zurück zu
sein. Schon nach einer halben Stunde in der Bibliothek am PC mit
Internetzugang war sie ziemlich nervös geworden. Sie hatte sehr
viel erfahren. Vor allem aber, dass die Überwachung heutzutage ein
Kinderspiel war. Jeder konnte jeden überwachen, man brauchte
wirklich nicht viel dafür. Unruhig hatte sie immer wieder zum
Eingang geschaut.

Nach knapp einer Stunde glaubte sie zu wissen, was sie wissen

musste, und machte sich auf den Rückweg. Sie betete, dass er sie
dort nicht erwartete. Immerhin wusste sie jetzt, wonach sie
Ausschau halten musste – winzige Webcams, die man überall ver-
stecken konnte. Rasch zog sie sich um, schlüpfte in Shorts und T-
Shirt, die beide schon bessere Tage gesehen hatten, tauschte die
SIM-Karten wieder zurück, nahm einen Staubwedel und wischte
ganz gründlich überall Staub – während sie den Blick intensiv sch-
weifen ließ.

Eine Stunde später war sie sich zu neunundneunzig Prozent

sicher, dass es hier keine versteckten Kameras gab. Was den Laptop
betraf, kam sie mit ihren eingeschränkten technischen Fähigkeiten
nicht weiter. Sie hatte keine Chance herauszufinden, ob Marco sie
darüber irgendwie überwachte. Sie glaubte es eigentlich nicht –
aber beschwören konnte sie es nicht. Ebenso gut war es möglich,
dass er mit einem Keylogger all ihre Tastenanschläge nachverfolgte.
Es gab nur eine Möglichkeit, das zu überprüfen – sie musste je-
manden den Laptop untersuchen lassen, der sich auskannte. Selbst
das half womöglich nichts. Außerdem besaß sie das Geld dafür, den
Computer in einem Laden überprüfen zu lassen, nicht.

Aber es kam auch nicht mehr wirklich darauf an. Sie wusste

nun, was sie hatte herausfinden wollen. Schließlich hatte sie vor
ihm ja auch nichts zu verbergen. Sie hatte einfach nur wissen

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wollen, wozu er in der Lage war. Nun musste sie mit dem Laptop
einfach nur noch ein wenig vorsichtig sein. Sie seufzte erleichtert.
Natürlich war sie sauer, dass er ihr Smartphone manipuliert hatte –
aber immerhin war er kein durchgedrehter Kontrollfreak. Okay, sie
nahm das zurück – er war durchaus ein Kontrollfreak, aber dabei
schien es ihm hauptsächlich um das Geld zu gehen, das sie ihm
schuldete, und nicht darum, immer zu wissen, was sie gerade
machte.

Nachdem sie ohnehin in der Bibliothek gewesen war, hatte sie

sich gleich auch noch ein paar Bücher ausgeliehen. Es würde in-
teressant werden, wie er darauf reagierte. Aus dieser Reaktion kon-
nte sie ganz sicher herauslesen, ob er sie nun über das Handy ver-
folgte. Sie spürte ein scharfes, sehr befriedigendes Rachegefühl. Oh
ja – sie konnte sich schon bald ganz sicher sein.

Natalie saß in der Küche, als Marco nach Hause kam. Auf dem
Herd köchelte Tomatensoße vor sich hin. Die Spaghetti waren auch
gerade fertig.

Sie blätterte gerade in einem farbenfrohen Kochbuch, das sie

sich in der Bibliothek ausgeliehen hatte. Fünf weitere Bücher lagen
neben ihr auf dem Tisch und waren kaum zu übersehen.

Obwohl sie seine Schritte gehört hatte, schaute sie nicht auf,

sondern tat so, als sei sie total in das Kochrezept vertieft. Geistesab-
wesend griff sie nach ihrer Cola.

»Hey«, sagte er.
Sie zuckte unwillkürlich zusammen und drehte sich zu ihm

um. Nach diesem denkwürdigen Morgen war sie sich alles andere
als sicher, wie sie sich verhalten sollte. »Hi«, begrüßte sie ihn. »Ich
hoffe, du magst Spaghetti.« Ihre Zunge stolperte über das

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ungewohnte du – aber sie war nicht bereit, ihn weiter zu siezen, als
ob er ihre Herrschaft wäre, während er sie duzte.

»Na klar – ich bin Italiener.« Er lächelte.
Sie lächelte ebenfalls, stand auf und ging zum Herd, um die

Soße noch einmal umzurühren. »Bereit zum Essen?«

»Ich muss noch schnell duschen. In zehn Minuten?«
»Okay«, erwiderte sie so freundlich, wie sie nur konnte. Sie

war nervös. Das lag einmal daran, dass sie bald die Wahrheit über
seine Überwachung erfahren würde. Aber auch die Tatsache, dass
er sich von Tanya getrennt hatte, schwirrte in ihrem Kopf umher
und ließ sich nicht verdrängen.

Statt gleich ins Bad zu streben, blieb er in der Tür stehen. Mit

einem fragenden Blick drehte sie sich um.

Sein Blick ruhte auf den Büchern, so verwundert, als hätte er

noch nie in seinem Leben ein Buch zu sehen bekommen. »Woher
sind die denn?«, erkundigte er sich.

»Ich war heute in der Bibliothek und habe sie mir aus-

geliehen«, antwortete sie, ihr Ton so ruhig und selbstverständlich,
wie es ihr nur möglich war. Sie lächelte etwas verkrampft. »Ich
hoffe, du erwartest nicht zu viel«, sprach sie weiter, um ihre Ner-
vosität zu überdecken. »Die Soße ist nichts Besonderes. Ich hatte
nicht alle Zutaten aus dem Rezept.« Sie nickte in Richtung des
aufgeschlagenen Kochbuchs.

Seine Augen verengten sich. »Du hast hoffentlich daran

gedacht, dein Handy mitzunehmen«, sagte er mit gerunzelter Stirn.
»Ich habe dir doch gesagt – das Stadtzentrum ist nicht unbedingt
ein sicherer Ort.«

Sie wandte sich um und rührte in der Soße.
»Natalie – du hast doch dein Handy mitgenommen, oder?«,

fragte er so beherrscht, wie sie ihn vorher nur selten erlebt hatte.

Der Mistkerl! Er verfolgte also tatsächlich ihre Bewegungen

über das Smartphone! Sie drehte sich erneut um und schaute ihn
unschuldig an. Ihre schauspielerischen Fähigkeiten waren of-
fensichtlich weit besser, als sie vermutet hatte.
»Nein, ich hatte es

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ganz vergessen. Das ist mir aber erst aufgefallen, als ich wieder
zurück war und es auf dem Bett gefunden habe.« Sie schaute ihn an
und biss sich auf die Unterlippe. »Es tut mir leid, Marco.«

Er beobachtete sie scharf, versuchte, ihre Fassade der Un-

schuld zu durchdringen. »Ich würde mich wirklich besser fühlen,
wenn du das Handy jedes Mal mitnimmst, sobald du das Gebäude
verlässt, Natalie. Ich denke dabei nur an deine Sicherheit.« Seine
Augen glitzerten. »Wirst du in Zukunft daran denken?«

»Ja, ich verspreche es. Ich werde besser aufpassen.«

Arschloch!

Später an diesem Abend machte Natalie sich gerade fürs Bett
zurecht. Plötzlich klopfte es an ihre Tür. Ohne ihre Reaktion
abzuwarten, kam Marco herein.

Erschrocken hielt sie sich ihr Schlafanzugoberteil vor die

nackte Brust. Wenigstens hatte sie die dazugehörigen Shorts bereits
an.

Instinktiv wich sie zurück, mit stockendem Atem. »Was willst

du?«

Seine Wangen bedeckte eine sichtbare Röte. Seine Nasenflügel

bebten. »Morgen Abend brauche ich eine Begleiterin. Eigentlich
wollte ich Tanya mitnehmen, aber das hat sich ja jetzt erledigt. Also
musst du einspringen.« Er kam auf sie zu. Natalie brachte ihre
Kehle einfach nicht dazu zu gehorchen, und ihr Verstand funk-
tionierte ebenfalls nicht richtig. Sie konnte ihm nicht antworten.

Als er direkt vor ihr stand, hielt er ihr eine schwarze American-

Express-Karte vor die Nase und legte sie dann hinter ihr auf die
Kommode. Die Spiegelkommode. Sie konnte es seinem Gesicht

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ansehen, als er entdeckte, dass der Spiegel ihren nackten Rücken
zeigte.

Noch fester presste sie den Pyjama gegen ihre Brust. Sie hyper-

ventilierte schon wieder. Das Bewusstsein seiner Nähe und seiner
Gier prickelte in ihrer Brust und ihrem Bauch. »Kannst du niemand
anderen finden?«

»Wo bitte soll ich denn so kurzfristig noch jemanden

auftreiben?« Sein Blick blieb kurz auf ihrem Gesicht haften und
glitt anschließend zu ihrem Schlüsselbein.

»Ich … ich weiß es nicht.«
Er streckte die Hand aus. Ein einzelner Finger strich sanft über

ihre Schulter. »Morgen früh um zehn holt dich ein Auto ab. Nimm
die Kreditkarte mit und kauf dir, was du brauchst. Es ist nur eine
halbformelle Veranstaltung – ein Cocktailkleid reicht vollkommen
aus. Du brauchst sicher auch noch Schuhe, eine Handtasche,
vielleicht Make-up und einen Friseurbesuch. Du darfst ausgeben,
so viel du willst. Aber ruf erst Joy an. Sie macht die ganzen Termine
aus und weiß genau, was du tun und wohin du gehen musst.«

Ihr Herz hämmerte so laut, dass sie kaum etwas von seinen

Worten aufnehmen konnte. Eigentlich arbeitete nur noch eine ein-
zige ihrer Gehirnzellen, und die war vollkommen damit beschäftigt,
sich auf diesen Finger auf ihrer Schulter zu konzentrieren. Nervös
leckte sie sich über die trockenen Lippen und spürte, wie seine Au-
gen zu ihrem Mund wanderten. »Marco, ich halte das für keine so
gute Idee …«, begann sie heiser.

»Es ist nur eine kleine Wohltätigkeitsveranstaltung einer ge-

meinnützigen Organisation, die die Bank unterstützt. Du wirst das
ohne Probleme hinkriegen.« Seine freie Hand hob ihr Kinn an, und
seine Augen versanken in ihren. »Du wirst der Star des Abends
sein! Du bist so schön …« Sein Daumen strich sanft über ihre Un-
terlippe. Sie zitterte, fühlte sich machtvoll hingezogen zu ihm,
spürte eine überwältigende Begierde. »So hübsch …«, flüsterte er.
»So unglaublich hübsch!«

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Mit großer Anstrengung legte Marco der Lust die Zügel an, als

Natalie mit bebenden Händen nach seinen Schultern griff. Ihm war
klar, es war ihr überhaupt nicht bewusst, wie das Stück Stoff, mit
dem sie sich bedeckt hatte, dabei nach unten glitt. In Höhe seines
Magens pressten sich ihre nackten Brüste gegen ihn. So lang hatte
er sie jetzt schon gewollt und hatte sie nicht anfassen dürfen – und
jetzt das … Es war beinahe zu viel. Er hätte sich in dem Moment, in
dem er Natalie getroffen hatte, von Tanya trennen sollen. Gut
geschlafen hatte er seitdem ohnehin nicht mehr, weil er ständig an
Natalie denken musste.

Natalie beunruhigte und verwirrte ihn; so intensiv, wie eine

Frau einen Mann nur beunruhigen und verwirren konnte. Das hatte
er gleich erkannt, und jetzt hatte er keine Kraft mehr, dagegen an-
zukämpfen. Er musste sie einfach haben! Und zwar bald. Es war
ihm völlig gleichgültig, was es ihn kosten würde – aber es war in-
zwischen sein drängendstes Ziel, sie ins Bett zu kriegen. Es war ihm
wichtiger als alles andere. Er konnte sich ohnehin auf nichts an-
deres mehr richtig konzentrieren, weder in der Bank noch irgendwo
anders.

Aber er wusste genau, er musste behutsam vorgehen. Sie hatte

etwas so Sanftes und Zerbrechliches an sich, sie war naiv, geradezu
unschuldig – er musste sie verführen, er durfte sie nicht einfach
nehmen. Natürlich war es angesichts ihres Alters fast unmöglich,
dass sie noch Jungfrau war. Sehr erfahren allerdings konnte dieses
Mädchen, diese junge Frau, die von Anfang an vor ihm geflohen
war und jetzt zitternd in seinen Armen lag, nicht sein.

Sie kam ihm vor wie ein edler Wein, fein und seidig. Sie war

ihm schon längst zu Kopf gestiegen und brachte seine Gedanken
zum Wirbeln. Mit einer verzweifelten Gier wollte er ihre Brüste ber-
ühren, deren sanftes Gewicht in den Handflächen spüren. Er wollte
sie berühren, schmecken, kosten, sie lecken, an den Nippeln sau-
gen, bis sie stöhnend um mehr bettelte. Und genau das wollte er ihr
geben – mehr. Er wollte ihr mehr geben, bis dieser Schmerz ver-
schwand, den er überall spürte, in seinem Körper und seiner Seele.

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Ganz langsam hatte er sich aufgebaut, dieser Schmerz, seit dem
Tag, an dem er ihr begegnet war. Schon damals hatte er sie gewollt,
und die Sehnsucht war mit jedem Tag schlimmer geworden. Er
musste sie sehen, riechen, beobachten.

Es war seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass er in

seinen zweiunddreißig Lebensjahren noch nie eine Frau so sehr ge-
wollt hatte. Dass er vorher noch nie bereit gewesen war, einer Frau
das Übernachten in seiner Wohnung zu gestatten. Er hatte es im-
mer vermieden, jemanden nahe an sich heranzulassen. Nicht, dass
es ihm an Erfahrung mit Frauen gefehlt hätte … Schon als Teen-
ager, der im Haus seines Großvaters aufwuchs, umgeben von
dessen Namen und Geld, hatte er allerdings ein Faible für besitzer-
greifende Frauen gehabt. Seine Unschuld hatte er mit fünfzehn ver-
loren – an eine Frau, die doppelt so alt war wie er und eines Nachts
einfach in seinem Schlafzimmer aufgetaucht war, als sein Großvater
eine Party gab. Sie war wunderschön und weltgewandt gewesen,
und er war ihr völlig verfallen. Ein paar Stunden lang.

Später hatte er erfahren, dass sie keineswegs allein auf der

Party gewesen war. Sie hatte ihren Begleiter einfach stehen lassen,
um sich mit Marco zu vergnügen. Das hinterließ einen bitteren
Geschmack in seinem Mund. Er kam sich naiv und dumm vor. Da-
raus hatte er gelernt. Sex war Sex – eine Körperfunktion, nicht
mehr; ein Bedürfnis, das nach Erfüllung suchte. Auch die Frauen,
mit denen er während des Studiums zu tun hatte, waren besitzer-
greifend gewesen, habgierig – hinter seinem Geld her. Alle. Einmal,
im letzten Semester, hatte er den Fehler gemacht zu glauben, dass
ihn eine um seinetwillen wollte. Doch dann hatte er zufällig eine
Unterhaltung mitbekommen, die sein Herz für immer verhärtet
hatte. Es war immer dasselbe Ritual – der reiche Junge, den sich
die Weiber krallen wollten. Einfach um sich zu schützen, hatte er es
seitdem nie wieder zugelassen, dass ihm eine Frau zu nahe kam.

Er war nicht unbedingt stolz auf das, was danach in seinem

Sexleben stattgefunden hatte. Teilweise war es schon sehr gren-
zwertig gewesen, und mancher Dinge schämte er sich auch.

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Allerdings hatte er über Sex nie nachgedacht, wenn er vorüber war.
Und er hatte sich immer bemüht, Partner zu finden, die ebenso sex-
gierig waren wie er. Er hatte kaum Tabus gekannt – nur mit Män-
nern hatte er nie etwas zu tun haben wollen. Nicht einmal ge-
genüber der Ehe hatte er Respekt verspürt; dazu hatte er viel zu
viele Frauen erlebt, die ihren Mann betrogen, ohne auch nur
zweimal darüber nachzudenken. Dabei hatte er sich jedoch weitge-
hend auf erfahrene Frauen beschränkt, die wussten, worauf es
ankam, und die Lust an diesem Spiel hatten, ja, es oft genug sogar
selbst begannen.

Eine Freundin hatte er nie gehabt, immer nur Sexpartner-

innen. Schon vor Tanya hatte es viele Frauen gegeben, die sich als
seine Freundin bezeichneten, obwohl er allen gleich zu Anfang im-
mer ganz klar und offen erklärt hatte, was Sache war.

Nie hatte er eine dieser Frauen als ihm gehörend oder auch

nur zu ihm gehörend betrachtet. Nicht Tanya und auch sonst keine.
Was er an Tanya nicht verstanden hatte war die Tatsache, dass sie
einerseits den Anspruch darauf erhob, ihm zu gehören, und ander-
erseits fest davon ausging, dass er bereit war, sie mit anderen Män-
nern zu teilen. Gleich zu Anfang, als sie sich gerade erst kennengel-
ernt hatten, hatte sie ihn einmal auf eine Party mitgenommen, die
ihn ziemlich schockiert hatte, so kalt und zynisch er auch in sexuel-
len Dingen war. Es war schnell offensichtlich geworden, was der
Zweck dieser Party war – nichts als eine Ausrede, um die Partner zu
tauschen. Er hatte sich entscheiden müssen, entweder zu bleiben –
und seinen sexuellen Ausschweifungen noch eine weitere hin-
zuzufügen – oder zu gehen. Allerdings hatte er zu lang gezögert.
Ihm fiel einfach keine glaubhafte Ausrede dafür ein, warum er un-
bedingt gehen musste. Nicht, dass es ihm etwas ausgemacht hätte,
Tanya mit einem anderen Mann zu teilen. Sie bedeutete ihm nichts.
Besonders nach dieser Party war sie für ihn nichts weiter als ein
Mittel zur sexuellen Erleichterung, so wie alle anderen Frauen
auch, mit denen er Sex gehabt hatte.

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Vor Nachwuchs und Krankheiten hatte er sich immer so gut er

konnte geschützt. Ohne Kondom lief bei ihm gar nichts, außerdem
hatte er sich regelmäßig testen lassen. Gerade erst vor ein paar
Wochen hatte er sich zuletzt seine Krankheitsfreiheit bescheinigen
lassen.

Und jetzt war auf einmal Natalie in sein Leben getreten, und er

hatte Gefühle für sie, die er nie auch nur für möglich gehalten hätte.
Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals eine Frau so sehr
begehrt zu haben. Diese Gier hatte die Kontrolle über seinen Ver-
stand übernommen, füllte jede wache Minute. Sie so nahe bei sich
zu haben, Tag und Nacht, mit ihm in einer Wohnung, und sie nicht
berühren zu dürfen … Gott im Himmel!

Natalie zitterte immer stärker. Seine Hand vergrub sich in

ihren Haaren, sein Arm schlang sich um ihre Taille, und er zog sie
fest an sich. Er hörte, wie sie scharf die Luft ausstieß und dann ganz
unregelmäßig atmete. »Du zitterst ja«, murmelte er.

»N-nein, tue ich nicht!«, widersprach sie atemlos und umk-

lammerte seine Oberarme, als ob sie etwas brauchte, an dem sie
sich festhalten konnte.

»Oh doch, Liebling – du zitterst. Bin ich der Grund dafür?« Sie

schwieg. Seine Lippen glitten über ihre, für einen sanften Kuss.
»Bist du bereit? Ich werde dich jetzt richtig küssen.« Er saugte ihre
Unterlippe in seinen Mund. Sie stöhnte leise.

Er roch ihren Duft, strich über ihre Lippen, und dann begehrte

er Einlass. Seine Zunge drang in ihren Mund ein. Die feuchte Süße
traf ihn wie ein Hammerschlag, und er musste sich gewaltig darum
bemühen, sanft zu bleiben.

Aber diesen Kuss, den erlaubte er sich jetzt einfach; den und

mehr nicht. Er konnte es nicht riskieren, dass sie vor ihm davonlief.
Der Gedanke, sie könnte ihn verlassen oder auch nur Angst vor ihm
haben, sich in seiner Gegenwart unwohl fühlen, ließ seinen Magen
sich verkrampfen. Er wollte, dass sie gerne in seiner Nähe, dass sie
glücklich war. Nur dann würde sie bleiben und vielleicht – irgend-
wann – auch in seinem Bett landen.

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Gewaltsam zog er sich zurück, unmittelbar am Abgrund, in den

er beinahe hineingestürzt wäre. Noch einmal küsste er sie, nahm
den Arm von ihrer Taille, schob das Oberteil ihres Schlafanzugs
wieder nach oben und bedeckte sie. Ein paar weitere Sekunden
gestattete er sich die heiße Wonne des Kusses, dann trat er einen
Schritt zurück.

Langsam öffnete sie die Augen. Er beobachtete sie genau. Was

er in ihrem Blick sah, warf ihn beinahe um. Da lag Sehnsucht in
ihren Augen, aber auch Angst. Angst und Verwirrung. Sie hatte
Angst vor ihm! Ob er sie doch gehen lassen sollte? Er versuchte, es
sich vorzustellen. Nein, das konnte er nicht! Er konnte eine ver-
dammte Menge tun, um die Dinge für sie einfacher zu machen. Er
konnte langsam vorgehen, sie sanft und zärtlich verführen. Aber sie
ganz gehen lassen? Dazu war er außerstande.

Das konnte er nicht; es ging einfach nicht. Dazu war das, was

er fühlte, schon längst zu weit außerhalb seiner Kontrolle.

Die Tür schloss sich hinter Marco. Fassungslos stand Natalie da,
noch immer zitternd. Oh je, sie hatte ein Problem – ein Riesen-
problem!
So wie er sie jetzt gerade geküsst hatte, war sie noch nie
geküsst worden. Und sie hatte noch nie etwas empfunden wie das,
was er mit seinem Kuss in ihr ausgelöst hatte. Es war, als ob ihr
Magen Purzelbäume schlagen würde; und er hatte sich noch längst
nicht wieder beruhigt.

Die Verwirrung war wie ein scharfes Messer, das ihr Inneres

aufschnitt. Alle Erfahrungen, die sie bisher gemacht hatte, sagten
ihr, dass sie einem Mann nicht trauen durfte. Ihr Vater … Was er
getan hatte, schmerzte selbst in der Erinnerung noch so sehr, dass
ihr Gehirn sich weigerte, den Gedanken überhaupt zuzulassen. Was

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er ihrer Mutter angetan hatte! Nein, daran wollte sie nicht denken.
Ihre Mutter hatte viele Jahre gebraucht, bevor sie endlich wieder
einem Mann Vertrauen geschenkt hatte. Und dabei hatte sie, um es
deutlich zu sagen, voll in die Scheiße gegriffen. Auch Natalies erster
– und eigentlich auch letzter – Freund aus ihrem letzten Schuljahr,
derjenige, mit dem sie ihr erstes Mal gehabt hatte, war nicht viel
besser gewesen. Er hatte ihr mehr als gründlich das Herz
gebrochen. So gründlich, um genau zu sein, dass sie sich danach
nicht mehr auf viele Dates eingelassen hatte.

Und jetzt war da Marco. Ein Mann, von dem sie wusste, er war

acht Jahre älter als sie, Geschäftsführer einer Bank und der sk-
rupelloseste Mann, der ihr je im Leben über den Weg gelaufen war.
Er wollte sie, das war offensichtlich. Und sie hätte ihren letzten
Cent darauf verwettet, dass er immer genau das bekam, was er
wollte.

Aber was empfand sie für ihn? Nun – er war der attraktivste

Mann, dem sie jemals begegnet war. Sie fand ihn extrem anziehend.
Aber er besaß auch eine Persönlichkeit, die mehr als dominant war,
und das schüchterte sie gewaltig ein. Sie würde sich erheblich bess-
er fühlen, wenn sie auch nur ein wenig Kontrolle über die Situation
hätte. Und um die Sache noch schlimmer zu machen, war da auch
noch die Sache mit den zwanzigtausend Dollar.

Doch alles das verschwamm, wurde unwichtig, wenn sie an

seine Küsse dachte. Seine Küsse waren …überwältigend!

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Kapitel 6

Am nächsten Morgen um neun rief Natalie in Marcos Büro an und
fragte nach Joy. Zuerst verlief die Unterhaltung ziemlich steif, bis
Natalie ihr gestand, wie viel Angst sie vor dem Abend hatte. Sie bat
die andere Frau einfach ganz direkt um Hilfe – und bekam sie. Joy
kannte Marco und seinen Geschmack hinsichtlich Kleider und
Frauen schon viele Jahre lang, und sie wusste über die Veranstal-
tung Bescheid.

Sie war richtig lieb zu Natalie, erklärte ihr, sie werde das prima

hinkriegen. Als Natalie ihr berichtete, dass Marco nicht mehr mit
Tanya zusammen war, verbesserte sich Joys Stimmung nochmals.
Oder bildete sie sich das nur ein?

Gegen zehn Uhr stand das Auto vor der Tür, und Natalie

wusste genau, wohin die Fahrt ging – zuerst zur Boutique und dann
zum Termin im Schönheitssalon. Natalie musste einfach nur
auftauchen und auswählen, was ihr gefiel.

Sie hatte das perfekte Kleid gefunden. Es war teurer als alles,

was sie jemals im Leben an Kleidung besessen hatte. Eigentlich
hatte sie nach einem »kleinen Schwarzen« gesucht – aber am Ende
war es dann doch etwas ganz anderes geworden. Nein, dieses Kleid
war weiß, ganz schlicht geschnitten, ein Etuikleid. Auf dem Bügel
hatte es nach nichts ausgesehen, aber als Natalie hineinschlüpfte,
war es so, als ob das Kleid plötzlich zum Leben erwachte. Es war
kurz, endete ein paar Zentimeter über dem Knie, und zusammen
mit den glitzernden, hochhackigen Schuhen, die hervorragend dazu
passten, ließ es sie ein wenig größer erscheinen. Der

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Rückenausschnitt war tief, nicht aufreizend tief, aber tief genug, um
das Tragen eines BHs unmöglich zu machen. Darauf hatte man
beim Schnitt vorn Rücksicht genommen.

Nachdem sie sich für dieses Kleid nebst Schuhen entschieden

hatte, war der Schönheitssalon der nächste Halt. Dort wurde sie
nach Strich und Faden verwöhnt. Sie musste sich gar nicht
entscheiden, was sie gemacht haben wollte – sie kam automatisch
in den Genuss sämtlicher Leistungen, die überhaupt nur in Frage
kamen, und zwar wortwörtlich von Kopf bis Fuß. Dazu hatte man
ihr noch jede Menge Kosmetik aufgedrängt, außerdem ein paar
funkelnde Ohrhänger, die zwar Modeschmuck waren, aber wunder-
hübsch glitzerten.

Jetzt stand Natalie vor dem Spiegel ihres Kleiderschranks,

nervös und unsicher. Sie wollte unbedingt gut aussehen, aber sie
wusste nicht, ob ihr das gelungen war. Außerdem hatte sie Angst
vor dem Abend. Eine solche Umgebung war sie einfach nicht ge-
wohnt. Und sie machte sich Sorgen, weil sie so viel Geld aus-
gegeben hatte.

Marco war schon vor einer ganzen Weile eingetroffen. Er war

in seinem Zimmer und machte sich fertig.

Viel zu früh klopfte er an ihre Tür, lang bevor es ihr gelungen

war, ihre Nerven zu beruhigen.

Sie ging zur Tür und öffnete. Was sie daraufhin zu sehen

bekam, ließ sie ihre Nervosität fast vergessen. Marco trug einen
schwarzen Designeranzug. Natürlich hatte sie ihn mittlerweile
schon oft im Anzug gesehen, aber dieser Abendanzug hatte einfach
einen ganz besonderen Pfiff.

Marco stand da, sagte kein Wort, betrachtete sie einfach nur.

Ihre Hand, mit der sie sich am Türrahmen festhielt, begann zu
zittern.

Er schwieg lang. Sie runzelte die Stirn, spürte einen ängst-

lichen Stich in der Kehle. »Hi«, brachte sie mühsam hervor.

»Hi! Du siehst … anders aus«, bemerkte er.

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Das Herz wurde ihr schwer. Sie hatte sich so sehr gewünscht,

an diesem Abend für ihn schön zu sein! Das war ihr wohl nicht
gelungen. Sie senkte beschämt den Blick und verschränkte die
Hände.

Er hob ihr Kinn an und schaute ihr direkt in die Augen. »Tut

mir leid – die Begrüßung ist mir komplett misslungen. Lass es mich
noch einmal versuchen: Du siehst wunderschön aus.« Die Worte
waren genau das, was Natalie hatte hören wollen. Sein Verhalten
allerdings stand im Widerspruch dazu. Seine Lippen waren zusam-
mengepresst, seine Stirn von Falten durchzogen, und etwas zuckte
unter seinem Auge.

Noch immer begutachtete er sie. Stumm ließ sie es über sich

ergehen. Sie konzentrierte sich darauf, einfach einen Atemzug nach
dem anderen zu machen. Seine Hand glitt von ihrem Kinn zu ihrem
Ohr. Er nahm den schweren Ohrring hoch, betrachtete ihn, ließ ihn
los. Und weiter wanderte seine Hand, ihren Hals hinab, bis zu der
Kurve zwischen Hals und Schulter. Natalie hielt den Atem an. Seine
Augen glitten zu ihren Haaren. Dem Stylisten war eine sehr kun-
stvolle, halb hochgesteckte Frisur gelungen. Die Strähnen, die nicht
oben verschlungen waren, fielen ihr glatt über den Rücken.

Endlich sprach er wieder. Sein Daumen streichelte dabei über

den Pulsschlag unter ihrem Ohr. »Was hast du mit deinen Haaren
gemacht?«

»Es ist eine Hochsteckfrisur«, erklärte sie. Ihr Gehirn war

Matsch. Sie konnte sich einfach nicht auf die Unterhaltung
konzentrieren, zu sehr lenkte sie seine Berührung ab. Und sein
Duft, der ihr in die Nase stieg.

»Ich meine die Farbe. Das ist doch eine andere als heute Mor-

gen, oder?« Seine Stimme klang brüsk, trotz des sanften Streichelns
seiner Hand.

»Oh – das stimmt. Chris hat mir Strähnchen gemacht.« Sie

schluckte hart und versuchte ihr Bestes, um auf den ungewohnt ho-
hen Absätzen ihr Gleichgewicht zu halten. Was meinte er nur? »Ge-
fällt es dir nicht?«, fragte sie unsicher.

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Er antwortete nicht, stellte stattdessen weitere Fragen. »Du

meinst Chris, wie in Christine?«

Sie zwang ihre Aufmerksamkeit, sich von seiner intimen Ber-

ührung abzuwenden. Seine Hand lag jetzt über ihrer schutzlosen
Kehle. »Nein. Ich denke, sein voller Name ist Christopher oder so
etwas.«

»Christopher? Du hast dir von einem Mann die Haare machen

lassen?« Nun war sein Ton nicht nur brüsk, sondern geradezu
scharf. Seine Hand fiel auf ihre Schulter herab und umfasste sie mit
einem festen Griff, zog sie damit näher an sich heran.

Ihr Herz klopfte so laut, dass es in den Ohren dröhnte. »Ja«,

sagte sie.

Sein Stirnrunzeln verstärkte sich, doch dann entspannte er

sich sichtbar wieder. »Wahrscheinlich ist er schwul.«

Natalie kam gar nicht mehr mit bei der Vielzahl an unter-

schiedlichen Emotionen, die sich in seinem Gesicht zeigten. Vor al-
lem nicht, nachdem ihre eigenen Gefühle alles andere als klar war-
en. »Ich weiß es nicht«, erwiderte sie. »Ich habe darüber nicht
nachgedacht.«

»Wie kannst du darüber nicht nachgedacht haben? Seine

Finger waren doch überall in deinen Haaren!«

»Ich weiß es nicht. Ich war einfach zu beschäftigt damit, mich

für einen Schnitt und eine Farbe für die Strähnchen zu entscheiden.
Beim Masseur habe ich auch nicht darüber nachgedacht, ob er
schwul oder heterosexuell ist.«

Das Schweigen zwischen ihnen surrte bedeutungsvoll, und

seine Wangen röteten sich. Er atmete tief ein. »Ein Mann hat dich
massiert?«, fragte er endlich.

»Ja.«
»Warum?«
»Ich habe die Massage nicht bestellt, Marco – Joy hat das alles

arrangiert.«

»Und du hast es zugelassen, dass er dich massiert?«

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»Ich … Es war das erste Mal, dass ich eine Massage bekommen

habe. Ich habe es einfach nur genossen.« Erschrocken ergänzte sie:
»Hätte es eine Frau sein müssen?«

Wieder bebten seine Nasenflügel, und seine Hände schlossen

sich fest um ihre Handgelenke. »In Zukunft wird das so sein,
allerdings!«

Marco begleitete Natalie nach draußen. Dort wartete ein Auto mit
Chauffeur auf sie. Er blieb die ganze Zeit im Aufzug stumm. Sein
normalerweise so kühler, analytischer Denkprozess war in tausend
Stücke zersprungen, seit er Natalie in dem Kleid gesehen hatte. Sie
sah … einfach umwerfend aus. Umwerfend – und anders. Noch war
er sich überhaupt nicht sicher, ob es ihm gefiel. Sie war atem-
beraubend, ja, das war keine Frage. Atemberaubend auf eine Weise,
die seine Gier, sie zu berühren, noch verstärkte. Sie zu nehmen.
Und ihr den besten Orgasmus zu verschaffen, den sie jemals in ihr-
em Leben genießen durfte. Und sie dann im Penthouse
einzusperren.

Ja, ihr Kleid war schön. Allerdings hätte keine der anderen

Frauen, mit denen er jemals unterwegs gewesen war, sich etwas in
dieser Richtung ausgesucht. Das Kleid war weiß, und die jungfräu-
liche Farbe stand ihr gut. Es betonte den goldenen Schimmer ihrer
Haut und hob die sanften Kurven ihres Körpers hervor. Und den-
noch machte es ihm nur noch intensiver ihre naive Unerfahrenheit
bewusst. Er kam sich vor, als wollte er die Unschuld in Person ver-
führen, ihre mangelnde Weltgewandtheit ausnutzen. Das gefiel ihm
überhaupt nicht.

Und diese Ohrringe – die mussten dringend verschwinden. Sie

wirkten wie aus dem Kaugummiautomaten und passten weder zu

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ihr noch zu der Veranstaltung, zu der sie gerade unterwegs waren.
Dass sie sich für diesen Modeschmuck entschieden hatte, der in
schreiendem Widerspruch zur Eleganz des Kleides stand, machte
ihm nur noch tiefer bewusst, wie ungeeignet sie für das war, was er
mit ihr vorhatte.

Nicht, dass ihn das aufhalten könnte.
Die hellen Strähnchen, das war schon besser. Sie verliehen ihr-

em ansonsten eher unscheinbaren Haar Glanz und eine lebhafte,
seidige Kühnheit. Er musste seine Hände zu Fäusten ballen, um
sich davon abzuhalten, die Finger in ihrem Haar zu vergraben.

Gleichzeitig betonte die neue Frisur so sehr, wie hinreißend sie

war. Wenn er vorher gefragt worden wäre, hätte er ihr ganz sicher
nicht erlaubt, sich derart aufstylen zu lassen.

Sie war einfach zu schön. Zu verführerisch. Zu … auffällig.

Dabei wollte er doch nicht, dass irgendjemand sie bemerkte. Das
galt vor allem für andere Männer.

Vorher war sie auf eine sanfte Weise schön gewesen. Jetzt war

sie gefährlich attraktiv.

Was bedeutete, dass er die ganze Nacht auf der Hut sein und

auf sie aufpassen musste.

Natalie saß neben Marco auf dem Rücksitz und versuchte, ihre flat-
ternden Nerven zu beruhigen, damit ihre scheinbare äußere Ruhe
nicht dem inneren Aufruhr zum Opfer fiel.

Doch es gelang ihr nicht. Sie war total angespannt, und als

Marco den Fahrer vor einem großen, hell erleuchteten Juweli-
ergeschäft anhalten ließ, beschleunigte sich ihr unregelmäßiger
Herzschlag noch mehr.

»Warte hier«, befahl ihr Marco. »Ich bin gleich zurück.«

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Natalie konzentrierte sich wieder auf ihr Atmen. Und auf ein

winziges Knitterfältchen in ihrem Kleid, das ihr vorher gar nicht
aufgefallen war. Es dauerte nicht mehr als sieben oder acht
Minuten, und er war zurück.

Er setzte sich neben sie und schloss die Tür. Erneut war sie mit

ihm in diesem engen Raum eingesperrt, ringsum umschlossen,
selbst nach vorn hin, zum Fahrer, von dem sie eine Glasscheibe
trennte.

Der Wagen fuhr an. Marco reichte ihr eine kleine Schachtel.

»Steck die hier an.«

Natalie öffnete den Deckel – und keuchte laut. Auf dunkel-

blauem Samt funkelten zwei große diamantene Ohrstecker. »Ich …
ich kann nicht … Ich denke …«

»Du sollst nicht denken, Natalie. Mach einfach, was ich dir

gesagt habe, und leg sie an.«

Staunend betrachtete sie die Diamanten. Als er ihr den ersten

der Modeschmuckohrringe aus dem Ohr zog, zuckte sie zusammen.
Seine Finger fühlten sich kühl an gegen ihre heiße Haut. Begehren
schoss ihr prickelnd durch den Bauch.

Nun hatte er ihr auch den zweiten Ohrhänger abgenommen.

Er steckte den Modeschmuck ein, holte den ersten Ohrstecker aus
seinem Samtbett und legte ihn ihr in die zitternde Handfläche.
»Nun mach schon!«, knurrte er ungeduldig.

»Sind die echt?«, flüsterte sie. Sie versuchte krampfhaft, sich

seiner überwältigend sinnlichen Wirkung zu entziehen und sich
stattdessen auf den zierlichen Verschluss der Ohrringe zu
konzentrieren.

Marco hob nur spöttisch eine Augenbraue.
Erneut versuchte sie abzulehnen. »Ich glaube wirklich nicht

…«

»Süße«, sagte er ganz sanft, so sanft, dass sich ihr Pulsschlag

noch mehr beschleunigte. »Ich habe wirklich keine Lust darauf, mit
dir zu diskutieren. Wenn du weiterhin widersprichst, bringe ich
dich auf genau die Art und Weise zum Schweigen, auf die ich

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momentan ohnehin Lust habe – mit meinem Mund auf deinen Lip-
pen. Und in Anbetracht meiner ziemlich heftigen Begierde bin ich
mir sicher, meinen Ansturm würde weder deine hübsche Frisur
überstehen noch dein Make-up. Es ist dir vielleicht noch nicht
aufgefallen, aber ich habe echte Probleme damit, meine Hände bei
mir zu behalten. Und jetzt sei ein braves Mädchen und leg die Ohr-
ringe an!«

Es hatte Natalie nie gefallen, wenn sie jemand wie ein Kind be-

handelte. Und genauso klang sein Tonfall. Die Art und Weise al-
lerdings, auf die er sie mit den Augen verschlang, und vor allem die
Worte, die er wählte, machten es sehr deutlich – als Kind sah er sie
ganz gewiss nicht. Eher als eine klar untergeordnete Angestellte,
mit der er schlafen wollte. Oder im besten Fall als eine mögliche
zukünftige Geliebte, der er klarmachen musste, wer in der Bez-
iehung das Sagen hatte. Wer, metaphorisch gesprochen, oben war.

Der Gedanke, unter ihm zu liegen, war überwältigend. Den-

noch war ihr angesichts ihres Wissens um seine dominante Persön-
lichkeit extrem beklommen zumute. Sie war alt genug, um genau zu
wissen, in welche Richtung das alles lief. Und sie glaubte nicht, dass
sie ihm widerstehen konnte, falls er sich ernsthaft daran machte,
sie zu nehmen. Wenigstens nicht lang. Nicht einmal die zwan-
zigtausend Dollar Schulden waren da ein ernsthaftes Hindernis.

Während sie die Ohrringe anlegte, dachte sie beunruhigt

darüber nach, was er wohl wirklich von einer sexuellen Beziehung
erwartete. Ihr war klar, dass sie an seine Erfahrung bei weitem
nicht heranreichte. Es gab da ein paar erotische Spielarten, über die
sie es aufregend, ja sogar erregend fand zu lesen. Trotzdem reizte es
sie wenig, sie tatsächlich zu erleben. Um genau zu sein, es machte
ihr eine Heidenangst. Sie wollte das nicht. Ganz und gar nicht. Es
brachte sie so sehr durcheinander, dass sie die Frage einfach nicht
zurückhalten konnte: »Stehst du eigentlich auf ausgefallenen Sex?«

Sein Kopf fuhr jäh herum. »Was bitte?«
»Es – es tut mir leid. Ich weiß, es geht mich nichts an.«

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»Willst du denn, dass es dich etwas angeht?« Sein Blick flack-

erte. »Du musst es nur sagen.«

»Vergiss es einfach. Ich weiß selbst nicht, warum ich dich das

gefragt habe.«

Mit verengten Augen betrachtete er sie. »Was bringt dich denn

so durcheinander?«

»Ich sagte doch – vergiss es einfach. Ich kenne dich nicht ein-

mal gut genug, um eine solche Frage zu stellen. Und wir haben ja
auch sexuell gar nichts miteinander zu tun.«

»Ich mach dir einen Vorschlag. Du stellst mir eine Frage, die

ich dir beantworte. Und dann stelle ich dir eine Frage, die du eben-
falls beantwortest. Okay? Weiter gehen wir nicht.«

»Oh – in Ordnung.«
Er lehnte sich im Sitz zurück und legte seinen Arm hinter ihren

Schultern auf die Lehne. »Dann frag.«

Sie befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge. »Du scheinst

mir extrem dominant zu sein. Ich wollte nur wissen … Es macht mir
Angst, wenn ich daran denke, dass … Ich möchte nicht …«

Unglauben stand ihm ins Gesicht geschrieben. Mit einem kur-

zen Lachen unterbrach er ihr Gestammel. »Nein, ich stehe nicht auf
ausgefallenen Sex. Wenigstens nicht in der Richtung, an die du jetzt
denkst. Du hast zu viele Romane gelesen.« Er streckte die Hand aus
und wickelte sich eine ihrer Haarsträhnen um den Finger. »Ich
gebe zu, dass ich gerne die Kontrolle habe. Wenn du es bis in mein
Bett schaffst – und das wirst du garantiert –, wirst du schnell
herausfinden, ich bin beim Sex genauso, wie ich sonst auch bin. Ich
mag es nicht, wenn mir jemand widerspricht. Ich mag die Dinge so,
wie sie mir am liebsten sind. Ich bin da ein bisschen verwöhnt. Und
so bin ich eben auch im Bett.«

Er war bei ihrer Haarsträhne inzwischen dicht an ihrem Kopf

angekommen und zog leicht daran, gerade genug, dass sie sich en-
ger an ihn schmiegte und ihre Hände auf seinem Brustkorb
landeten. Die Entfernung zwischen ihnen war aufgehoben. »Keine
Diskussionen im Schlafzimmer«, fuhr er fort. »Solang du dich

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daran hältst, werden wir prima miteinander auskommen. Sobald
wir die Tür geschlossen haben, gehörst du mir. Du musst dir wirk-
lich keine Sorgen machen. Ich werde dir ganz bestimmt niemals
wehtun – ich werde dich wie eine Prinzessin behandeln, Süße.
Sobald du das erst einmal erlebt hast, wirst du nichts anderes mehr
wollen.« Sein kühner Blick nahm alles von ihr in sich auf. Es
kostete sie ihre gesamte Konzentration, ihm nicht komplett
nachzugeben und sich ganz gegen ihn sinken zu lassen.

Sie war so vernarrt in ihn, dass sie befürchtete, dass er absolut

recht hatte. Sobald sie es erst einmal in sein Schlafzimmer geschafft
hatte, wollte sie es bestimmt nie wieder verlassen.

»Hast du verstanden, was ich dir damit sagen will, Natalie?«
»Ja.«
»Gut. Und jetzt bin ich dran mit einer Frage.« Seine Hand

rutschte aus ihrem Haar auf ihre Schulter, den Rücken hinunter
und nach vorne, bis sie, über ihrem Kleid, um ihre Brust lag. Mit
dem anderen Arm griff er sie um die Taille und hob sie sich direkt
auf den Schoß, streichelte sie sanft. Dann zog er einen Schulter-
träger herab und entblößte eine Brust. Natalie schnürte es die Kehle
zusammen.

Er zog die Luft durch die Zähne ein, bewunderte den Anblick,

der sich ihm bot. Dann schaute er ihr in die Augen, die auf ihm
hafteten, und rieb, ganz leicht nur, mit dem Daumen über ihre
Brustwarze. Sie spürte feuchte Hitze zwischen ihren Schenkeln.

Wie von selbst wollte ihr Kopf gegen seine Schulter sinken,

doch er sah es voraus und hielt sie auf, legte seinen Mund auf ihre
Lippen. Noch tiefer als beim ersten Mal erkundete seine Zunge die
Tiefen ihres Mundes. Sie wand sich unter ihm, ihr Atem heftig und
abgehackt, ebenso wie seiner. Mit einer Bewegung, die sie nicht
unter Kontrolle hatte, presste sich ihre Hüfte gegen ihn.

Sie stöhnte leise in seinen Mund. Der sanfte Laut verlieh sein-

en Fingern Energie. Rauer zogen und zupften sie am rosigen
Fleisch ihres Nippels. Immer heißer wurde der Kuss. Ihr Herz

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stolperte in ihrer Brust. Seine Nähe und seine Küsse stiegen ihr zu
Kopf, ließen ihr Begehren wie eine Rakete in den Himmel schießen.

Mit einem Keuchen gab er ihren Mund und ihre Brust frei,

legte die Hand auf ihren Schenkel, von wo aus sie sich unter ihr
Kleid stahl, bis zu der mit einem seidigen Stoff bedeckten nassen
Stelle, und auch das Höschen war kein Hindernis, das ihn aufhalten
konnte. Er schob den elastischen Bund einfach beiseite, umfasste
ihre heiße Feuchtigkeit von hinten, glitt mit dem Finger in die
Spalte, öffnete sie.

Mit einer Fingerspitze spielte er mit ihrer engen Öffnung.

»Schau mich an!«, sagte er rau.

Natalie hob den Kopf, der nun doch an seiner Schulter lehnte,

und öffnete die Augen. Ihre Zähne gruben sich in ihre Unterlippe.
Mit wilden, heftigen Bewegungen, die ihr vorkamen, als sei es eine
fremde Macht, die sie bestimmte, presste sie sich fester und fester
an ihn.

Er schaute sie an und ließ seinen Finger weiter in der Nässe

kreisen, ohne etwas zu sagen.

Krampfhaft bemühte Natalie sich darum, ihre Hüften davon

abzuhalten, sich weiter an ihm zu reiben; mit beschränktem Erfolg.
»Ich dachte, du … du wolltest mich etwas fragen«, versuchte sie von
der gefährlich erotischen Wendung abzulenken, die der Abend
plötzlich genommen hatte.

»Ich stelle dir doch gerade eine Frage.«
Alles in ihr zog sich zusammen, und ein neuer Strom heißer

Feuchtigkeit sorgte dafür, dass sie sich noch fester gegen ihn
drängte. »Was?«, stieß sie flüsternd hervor.

Er schaute sie an, ein, zwei, drei Augenblicke, umkreiste weiter

ihre nasse Öffnung. »Meinst du, ich schaffe es, dich mit einem
Finger zum Kommen zu bringen?« Und dann drang er tief in sie
ein.

Beides traf Natalie gleichzeitig, seine Frage und der Finger, der

sich seinen Weg in ihr Inneres bahnte. Es war ein fantastisches Ge-
fühl, ganz unglaublich. Mit dem freien Arm zog er ihren Oberkörper

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noch ein Stück weiter an sich heran. Sein Mund senkte sich herab
auf ihren Nippel, den er in den Mund nahm, an dem er saugte, im
gleichen Rhythmus wie der Finger, der sich in ihr bewegte. Es war
ein Frontalangriff auf ihre Sinne. Welche dunklen und sündhaften
Absichten er damit auch immer verfolgte – er war auf dem besten
Weg, sein Ziel zu erreichen.

Er leckte ihre Brustwarze, blies sanft darauf, saugte wieder

daran, während sein Finger sich immer heftiger in ihr bewegte. Bis
er plötzlich an einer Stelle ganz tief in ihr zum Stillstand kam, die er
zuerst sachte, dann weniger sachte massierte.

Es kam Natalie vor, als hätte sie jemand unter Strom gesetzt.

Pfeile von Verlangen schossen durch sie hindurch. Ihr Kopf sank
nach vorn. Wie ein Krampf, ein genussvoller, unbeschreiblich herr-
licher Krampf, ergriff die Erlösung Besitz von ihr. Sie versuchte,
einen Schrei zu unterdrücken. Ihr ganzer Körper zog sich zusam-
men, und es erfasste sie in mächtigen Wellen eine Lust, wie sie sie
noch nie zuvor gespürt hatte.

Anschließend sank sie in sich zusammen.
»So ist es gut, Süße.« Er zog seinen Finger aus ihr heraus und

hielt sie ganz fest. Sie zitterte in seinen Armen, versuchte, ihr
rasendes Herz zu beruhigen. »Unsere Beziehung hat sich gerade
verändert, Natalie«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Der Orgasmus, den
du mir eben geschenkt hast, verändert alles. Verstehst du das?«

Sie hob den Kopf und schaute ihm in die Augen, die sich rasch

vor ihr verschlossen, ebenso wie seine Gesichtszüge. »Was willst du
von mir, Marco?«, fragte sie leise. Nachbeben des Verlangens
ließen sie noch immer zittern.

Ruhig begegnete er ihrem Blick. »Dich«, sagte er, seine

Stimme fest.

Unruhig rutschte sie auf seinem Schoß hin und her, von plötz-

licher Angst erfasst. Sie war versucht, ihm nachzugeben, aber sie
musste wissen, ob er es ernst meinte. Doch ihre Kehle versagte ihr
den Dienst. »Mich?«, brachte sie schließlich hervor.

»Ja – dich. In meinem Bett.«

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Erneut leckte sie sich die Lippen. »Du hast gesagt, das ändert

alles. Soll ich denn weiter mit dir zusammenleben? Ich meine, in
deinem Penthouse?«

»Aber ganz ohne Frage – daran wird sich nichts ändern.« Sein

Ton war unnachgiebig.

»Du … du willst also eine Freundin?«, fragte sie.
Er zögerte. »Nein. Keine Freundin.«
»Aber was dann?«
»Ich will – eine Vereinbarung.«
Eine Vereinbarung? Wer zum Teufel verwendete denn diesen

Begriff für solche Dinge? »Und welcher Art wäre diese … Verein-
barung? Was würden wir genau vereinbaren?« Zweifel und Unsich-
erheit schlugen Trommelwirbel in ihrem Kopf. Dann stieg
Hoffnung in ihr auf. »Du meinst, wir sind nun Freunde mit gewis-
sen Vorzügen?«, erkundigte sie sich.

Der Blick, den er ihr zuwarf, ging ihr direkt durchs Herz. Und

dann ließ er, mit glimmend heißer Stimme, die Bombe platzen.
»Wir sind keine Freunde, Natalie.«

Die verschiedensten Gefühle tobten in ihr. Sie wusste genau,

worauf er anspielte – die sexuelle Spannung, die zwischen ihnen
bestand, ließ keine schlichte Freundschaft zu. Aber sie empfand
neben der starken Anziehung, die sie in seiner Nähe immer spürte,
auch ein wenig Angst. Diese Angst sagte ihr, dass sie sich diesen
Mann ganz gewiss nicht zum Feind machen sollte. Und dass man
jeden nur bedauern konnte, der ihn auf dem falschen Fuß erwis-
chte. »Freunde zu sein ist gar keine schlechte Sache. Wir könnten
doch ebenso gut Freunde sein wie …« Sie stockte.

»Nein, Natalie – das können wir nicht. Freundschaft ist ein

sanftes Gefühl, das nicht das Geringste mit den Emotionen zu tun
hat, die du in mir auslöst. Ich habe überhaupt keine Lust, dir zu
berichten, wie mein Tag war. Oder brav neben dir zu sitzen,
während wir uns einen Film anschauen. Das ist es nicht, was ich
von dir will.«

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Sie hörte ihm zu, aber in ihrem Kopf ging alles durcheinander.

Sie verstand das, was er nicht ausgesprochen hatte. Er wollte nichts
anderes, als ihr die Seele aus dem Leib zu vögeln.
Sie blieb stumm
und versuchte, all das zu verarbeiten, was er ihr bisher gesagt hatte.

»Ich will, dass du mich auf solche Veranstaltungen wie heute

begleitest«, fuhr er fort, »und ich will dich als meine sexuelle Part-
nerin, und zwar eine, die bei mir lebt, damit ich nicht aus dem Haus
muss, wenn ich gewisse Bedürfnisse verspüre.«

»Und was ist mit dem Geld, das ich dir schulde – von dem

Unfall?«

Er ignorierte ihre Frage und stellte stattdessen eine eigene,

während er mit dem Daumen über ihre Lippen strich. »Willst du
mit mir schlafen? Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie
das wäre, mit mir zusammen nackt im Bett zu liegen? Dich mir zu
öffnen und zuzulassen, dass ich mir nehme, was ich will, und dir
gebe, was du brauchst?«

Er fing ihren Blick ein. Das sanfte Streicheln seines Daumens

jagte ganze Ströme an Begehren durch ihren Körper. Natalie kam
sich wie hypnotisiert vor Sehnsucht vor. Zwischen ihnen sirrte
sinnliche Hitze. Ihre Schenkel zitterten. Nur mühsam hielt sie sich
aufrecht. Es gab keinerlei Zweifel daran – natürlich wollte sie mit
ihm schlafen. Einen Mann wie ihn nicht zu wollen – dafür hätte sie
eine alte Dame über neunzig oder eine Lesbe sein müssen. Und
selbst in diesen beiden Fällen hätte er gewiss zumindest ihre Neugi-
er geweckt.

»Antworte mir, Süße.«
»Ja, ich habe darüber nachgedacht«, gab sie zu.
Seine Hand griff in ihr Haar, nahm sie gefangen. »Und? Ist es

das, was du willst?«

»Ja.«
»Gut – dann sind wir uns ja einig.«
»Nein, wir sind uns noch nicht einig. Ich fühle mich in der

Situation überhaupt nicht wohl.«

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»Okay, dann sage ich dir jetzt, wie wir das machen werden.

Deine Schuld ist abgegolten. Wenn du mir versprichst, mir sagst,
dass du ausschließlich mir gehören wirst – und auf einem solchen
Versprechen von dir bestehe ich –, verzichte ich darauf, dass du
deine Schulden abbezahlst. Wir werden das Geld nicht mehr
erwähnen.«

»Aber das ist nicht richtig!«, widersprach sie. »Dann komme

ich mir so vor, als ob ich dich ausnutzen …«

Mit einem rauen Lachen unterbrach er sie. »Nein, du nutzt

mich nicht aus. Das kannst du mir gerne glauben. Ich will dich –
nur dich. Nicht dein Geld und auch nicht deine Dienste als
Haushälterin.«

»Wenn ich dir das Versprechen wirklich gebe, macht es mir

überhaupt nichts aus, mich weiter um die Wohnung zu kümmern.
Das ist gar kein Problem. Es sei denn, du willst, dass ich mir lieber
woanders einen Job suche …«

»Nein, ich will nicht, dass du dir einen Job suchst. Mir ist es

lieber, du bist da, wenn ich dich brauche. Und gut – wenn es dir
nichts ausmacht, dich um den Haushalt zu kümmern, ist mir das
sehr recht. Ich habe ohnehin nicht gerne Fremde in der Wohnung.«

»In Ordnung. Aber da ist noch eine Sache.« Sie schluckte. Sie

wusste wirklich nicht, wie sie ihm das sagen sollte, aber es musste
einfach Teil der Vereinbarung sein. Also beschloss sie, es einfach
ganz direkt auszusprechen. »Das mit der Ausschließlichkeit, was du
erwähnt hast – das gilt doch für uns beide, oder? Sonst kann ich
nicht mitmachen.«

»Du bist alles, was ich will.«
Sie studierte sein verschlossenes Gesicht. »Ist das eine Verein-

barung? Du wirst ebenfalls nur mir gehören?«

»Du musst einfach lernen, mir zu vertrauen, Natalie.« Sein

Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt, und seine tonlose Stimme
zeigte deutlich seine Missbilligung.

So wie er ihr vertraute? So sehr, dass er all ihre Bewegungen

überwachte? »Ich hoffe, dass ich dir eines Tages wirklich vertrauen

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kann. Für den Augenblick reicht mir dein Wort, wenn du es mir
geben kannst.«

»Du hast es.« Ohne zu blinzeln schaute er sie an. Ja, er schien

es wirklich ernst zu meinen.

Der Wagen war gerade in eine kreisförmig verlaufende Ein-

fahrt eingebogen. Natalie wollte die Sache abschließen. »Okay.«

»Ja? Du bist mit allem einverstanden? Wir haben eine Ab-

sprache?«, verlangte er zu wissen.

Natalies Augen verengten sich. Sie betrachtete sein schmales

Gesicht, das nichts verriet. Eine Absprache? Er nannte den Beginn
ihrer Beziehung eine Absprache?
Allerdings sah er das Ganze ja
gerade nicht als Beziehung, sondern als eine Vereinbarung. Daran
musste sie sich konstant erinnern, wenn sie sich selbst schützen
wollte. Wenn sie ihr Herz schützen wollte.

»Ja, wir haben eine Absprache«, sagte sie leise.

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Kapitel 7

Die Veranstaltung fand an einem wunderschönen Ort statt, und
Natalie war mit ihrem Kleid und ihrer gesamten Erscheinung zu-
frieden. Sie fiel ganz gewiss nicht auf wie ein bunter Hund.

Zwei Stunden später war das Essen serviert, und Reden waren

gehalten worden. Natalie kam sich vor, als hätte sie ihren Körper
verlassen und könnte sich von außen selbst zuschauen. Sie saß die
ganze Zeit neben Marco – und war ausgesprochen froh darüber,
Linkshänderin zu sein. Ihre rechte Hand hatte Marco nämlich mit
Beschlag belegt. Er hielt sie, streichelte sie, und ließ sie nur gerade
lang genug los, um seine Hand unter dem Tisch auf ihren Schenkel
zu legen, auf – oder unter – dem Kleid.

Er hatte sie den anderen am Tisch vorgestellt und unterhielt

sich dann fast ausschließlich mit den anderen Männern, vorwie-
gend über geschäftliche Themen. Von denen sie allenfalls ein Drit-
tel verstand; wenn überhaupt. Trotzdem hatte sie nie das Gefühl,
dass er sie ignorierte. Es war eher das genaue Gegenteil. Sie badete
in seiner Aufmerksamkeit, auch wenn er nur wenige Worte an sie
richtete und sie noch seltener anschaute.

Sein Körper neben ihr strahlte eine unterschwellige Spannung

aus. Sie wusste genau – das hatte mit der Wirkung zu tun, die sie
auf ihn ausübte. Jedes Mal, wenn das Gespräch am Tisch sich un-
wichtigeren Themen zuwandte, die nicht seine volle Konzentration
erforderten, lag seine Hand auf ihrem Bein und verursachte einen
Schauer nach dem anderen, die ihr Rückgrat entlang nach unten
glitten.

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Sobald die letzte Rede vorbei war und die Band mit ihrer

Musik begann, wandte er sich ihr zu. »Möchtest du hierbleiben und
tanzen – oder können wir jetzt endlich nach Hause fahren?«

Natalie schluckte. Oh, sie wollte nach Hause – je schneller,

desto besser. Doch bevor sie antworten konnte, kam ein älteres
Paar an ihren Tisch. Beide waren schon gut über siebzig. Sofort
richtete Marco seine Aufmerksamkeit auf sie. Er stand auf, gab dem
Mann die Hand und küsste die Wangen der Frau, die zerknittert,
aber weich wirkten. Und dabei lächelte er ein Lächeln, das echte
Wärme ausstrahlte.

»Mona, George – wie schön, Sie zu treffen. Darf ich Ihnen

Natalie Lambert vorstellen?« Er zog Natalie an der Hand vom Stuhl
und neben sich. »Natalie, das sind George und Mona Lancaster,
meine liebsten Klienten.« Er lächelte dabei, und seine Stimme
klang geradezu zärtlich. Sie spürte, wie sie innerlich dahinschmolz.

Das Lächeln, mit dem Mona Lancaster sie begrüßte, war wis-

send, fast mütterlich. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, meine
Liebe«, sagte sie und hielt ihr die Hand hin.

»Ganz meinerseits«, erwiderte Natalie.
»Wir machen schon seit Anfang der Siebziger Geschäfte mit

Donati – lang bevor Marco geboren wurde. Das stimmt doch,
Marco, nicht wahr?«

»Ja, damals noch mit meinem Großvater«, erklärte Marco.

»Wie geht es Ihnen denn?«

»Uns geht es gut«, antwortete der Mann. »Ich habe ein bis-

schen Probleme mit meiner Hüfte, aber damit werden wir fertig,
nicht wahr, meine Liebste?«

Mona Lancaster strahlte ihren Mann an. »Ja, das werden wir.«

Die Band stimmte gerade einen Walzer an. Sehnsucht verschleierte
ihr Gesicht. »Aber ich vermisse manchmal das Tanzen.«

Natalie spürte, wie Marco sich ganz auf die beiden

konzentrierte. »Ich würde liebend gerne mit Ihnen tanzen, Mona –
falls Ihr Mann nichts dagegen hat?« Seine galanten Worte

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überraschten Natalie angenehm. Das war eine Seite an Marco, die
sie bisher noch nie zu Gesicht bekommen hatte.

»Oh nein, gar nicht. Ich werde einfach Ihrer jungen Dame so-

lang Gesellschaft leisten.«

Marco wandte sich an Natalie. »Ist das in Ordnung?«
Sie lächelte alle drei an. »Aber selbstverständlich.«
George Lancaster hielt ihr den Stuhl und sie setzte sich wieder.

Eine Weile beobachteten sie die beiden anderen auf der Tanzfläche
und sprachen über unwichtige Dinge. Bis plötzlich ein Mann neben
ihnen auftauchte.

»George«, bemerkte er.
George Lancaster schaute auf, und Natalie konnte sehen, wie

eine dunkle Wolke sein Gesicht verdüsterte. »Kennedy«, erwidert
er mit ausdrucksloser Stimme.

Nun fiel der Blick dieses Mannes, den er Kennedy genannt

hatte, auf Natalie. »Möchten Sie uns nicht vorstellen?«

Natalie spürte, wie Lancaster sich neben ihr versteifte.

»Natalie, das ist Mathew Kennedy. Kennedy – Natalie Lambert. Sie
ist Marcos Begleiterin. Nur damit Sie vorgewarnt sind.«

Mathew Kennedy griff nach ihrer Hand. Natalie hatte keine

andere Möglichkeit, als es zuzulassen. Als seine Handfläche die ihre
berührte, lief ein Schauer starker Abneigung durch sie hindurch,
den sie verzweifelt zu verbergen versuchte.

»Seit wann ist Donati denn bereit, seine Frauen mit einem an-

deren Mann zu teilen?« Die Frage war eigentlich an Lancaster
gerichtet, aber dabei zog Kennedy sie am Arm nach oben, die Augen
unverwandt auf sie gerichtet. Natalie hatte keine Wahl – sie musste
aufstehen. Die seltsame Frage hatte eine sich drehende Spirale un-
erklärlicher dunkler Angst in ihr in Gang gesetzt. »Aber zuerst
werde ich mit ihr tanzen«, erklärte Kennedy.

Er sprach über sie – aber nicht mit ihr. Eine zornige Nervosität

stieg in ihr auf. Sie musste sich mühsam zurückhalten, ihm nicht
heftig ihre Hand zu entziehen. Einen kleinen Ruck konnte sie al-
lerdings nicht verhindern.

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Und dann sah sie Marco hinter dem Mann herankommen, der

ihre Hand in einem eisernen Griff hielt. Marco hatte einen so
wütenden und verbissenen Gesichtsausdruck, wie sie ihn bisher
noch nie bei ihm beobachtet hatte. Er hatte Mona am Arm geführt.
Jetzt ließ er sie los und legte Kennedy schwer die Hand auf die
Schulter. »Was verdammt noch mal glaubst du eigentlich, dass du
hier machst?«, zischte er wütend und laut genug, dass Natalie –
und gewiss auch die Lancasters – es hören konnten.

»Beruhige dich, Donati. Ich werde einfach mit deinem neuen

… Mädchen tanzen.«

»Das glaubst aber auch nur du! Pfoten weg von ihr! Sofort!«
Natalie stand da wie erstarrt. Mathew Kennedys Augen ver-

engten sich, wanderten erst zu Marco und dann zu ihr, fragend. Das
erste Mal nahm er sie wirklich wahr. Er gab ihre Hand frei und
wandte sich wieder Marco zu. »Pfoten weg?«

Der ignorierte die Frage. Er griff nach Natalies Handgelenk

und zog sie hinter sich. Marco blickte über den anderen Mann hin-
weg und konzentrierte sich auf die Lancasters. »Es war schön, Sie
hier zu treffen. Mona – Sie sehen fantastisch aus, wie immer. Gute
Nacht!«

Damit drehte er sich um und strebte dem Ausgang zu, Natalie

im Schlepptau.

Kurz darauf saßen sie wieder auf dem Rücksitz des Wagens,

der auf sie gewartet hatte. Die Glasscheibe trennte sie erneut vom
Fahrer und verschaffte ihnen eine ungestörte Privatsphäre. Natalie
rutschte auf dem Sitz ganz in Richtung Tür und fummelte mit dem
Sicherheitsgurt herum. Marco trommelte sich mit den Fingern ge-
gen die Stirn, als ob er tief in Gedanken – oder Schmerz – ver-
sunken wäre, und schaute aus dem Fenster.

Das Auto fuhr los. »Wer war dieser Mann?«, fragte Natalie

leise.

»Niemand«, erwiderte er knapp.
»Als du getanzt hast, hat er etwas gesagt über … nun, über das

Teilen … von Frauen. Was hat er damit gemeint?«

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Er drehte den Kopf und schaute sie scharf an. »Nichts. Mach

dir über ihn keine Gedanken. Vergiss ihn einfach. Er ist ein
Niemand, und er wird dir nie wieder zu nahe treten.«

»Marco, du hast ihn nicht gehört, und es war nicht deine

Hand, die er festgehalten hat. Ich … ich kann mich nicht in etwas
verwickeln lassen, das … Ich meine, ich habe gerade ein richtig
schlechtes Gefühl. Teilen ist …«

Er hob die Hand, legte sie um ihr Handgelenk und unterbrach

ihre stotternden Worte. »Natalie – sei einfach still und beruhige
dich.«

Sie hielt seinem Blick stand, bis ihr die Tränen in die Augen

traten und sie den Kontakt unterbrach, beiseite schaute.

Sein Griff wurde noch fester. Er zog an ihrem Arm, um ihre

Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. Mühsam hob sie den
Kopf, sah ihn an. Seine Stimme war rau, als er sprach. »Natalie, ich
werde dich niemals mit irgendjemandem teilen. Bis in alle Ewigkeit
nicht! Du gehörst mir! Und in spätestens einer Viertelstunde wer-
den wir unsere Vereinbarung endgültig besiegeln. Danach wird dich
niemand anderes mehr berühren. Sie mögen es vielleicht ver-
suchen, aber sie werden diesen Versuch garantiert bereuen. Und
jetzt musst du diesen ganzen Mist einfach vergessen. Ich habe nie
behauptet, dass ich mein ganzes Leben lang ein braver Junge
gewesen bin. Aber wenn es um dich geht … Wenn irgendjemand
versucht, dich anzufassen – dann werde ich zum Mörder!«

Er schwieg, und Natalie hörte nur noch das Hämmern ihres

Herzens, angefeuert von seinen Worten und seinem flammenden
Blick. Langsam gab er ihre Hand frei und lehnte sich zurück, sein
Gesicht wieder ausdruckslos.

Schweigen senkte sich auf sie herab. Natalie versuchte, genau

das zu tun, worum er sie gebeten hatte, nämlich den Vorfall mit
diesem Kennedy zu vergessen. Aber das, was da stattgefunden
hatte, war für Marco ganz klar ein Ärgernis und eine Beunruhigung
gewesen – und sie mochte es nicht, wenn etwas oder jemand ihn
beunruhigte. Auch wenn sie nicht der Grund dafür war. Sein

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Tonfall war so heftig gewesen, sie glaubte ihm aufs Wort. Sanft ber-
ührte sie seine Hand, liebkoste seinen Handrücken auf eine Weise,
von der sie hoffte, sie konnte ihn beruhigen. Es war eine ähnliche
Berührung wie die auf seiner Stirn, als er Fieber und Kopf-
schmerzen gehabt hatte.

Eine Weile ließ er es sich gefallen, dann nahm er ihre Hand

plötzlich in einen kompromisslosen Griff. Seine Augen versanken in
ihren, verschlangen sie. Es klang wie ein unwilliges Geständnis, als
er, ein wenig heiser, bemerkte: »Es hat mir nicht gefallen, dass er
dich angefasst hat.«

Sie versuchte, im Dunkeln des Wageninneren in seinen

Gesichtszügen zu lesen. Er schien verwirrt zu sein, und das
bedrückte sie. Sie wusste zwar, dass er ihr keine Schuld an dem
Vorfall gab. Er schien vielmehr über seine eigene Reaktion erstaunt
zu sein und sie nicht zu verstehen.

Die Vorfälle des Abends hatten sie ganz durcheinandergeb-

racht, doch sie drängte sie beiseite und versuchte, ihn zu trösten.
»Mir hat es auch überhaupt nicht gefallen«, sagte sie sanft. Er
schnallte sich ab, drängte sie in die Ecke und zwang sie, ihn anzuse-
hen. Für ein paar Augenblicke, die ihr wie eine endlose Folter vork-
amen, schaute er sie nur an, bis sich sein Mund auf ihren
herabsenkte.

Wieder und wieder küsste er sie. Seine Zunge drang ein, zog

sich zurück, kam wieder. Es war ein Rhythmus, der sie schnell
geradezu süchtig machte. Seine Lippen verließen ihre immer nur
lang genug, um Luft zu holen. »Du bist so süß«, flüsterte er. »So
süß!« Sein Mund bewegte sich zu ihrem Ohr, und er umfasste ihre
Brüste, fest und erregend. »Was für ein Glück, dass ich dich gefun-
den habe!« Natalie hörte die geflüsterten Worte, bis seine Lippen
an ihrem Ohrläppchen sie alles andere vergessen ließen.

Dann kehrte er zu ihrem Mund zurück. Inzwischen atmeten

beide heftig. Sie hob die Arme, schlang sie um seinen Hals, doch er
entzog sich ihr.

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Seine Wärme verließ sie. Er ließ sich auf seinen Sitz zurückfal-

len. Noch bevor das scharfe Bedauern darüber sie ganz erfassen
konnte, stellte sie fest, dass sie bereits vor seinem Gebäude hielten.

Wie in Trance folgte sie ihm nach oben. Kaum hatten sie das

Penthouse betreten, ließ er ihr keinen Augenblick Zeit, sich
vorzubereiten oder zu denken. Die Lifttür schloss sich – und er hob
sie hoch und trug sie in sein Schlafzimmer.

Er stellte sie auf die Füße, und schon griff er nach ihrem Kleid,

zog es ihr über den Kopf und warf es achtlos beiseite. Nun trug sie
nichts mehr außer ihrem Höschen, ihren Nylonstrümpfen und
ihren hochhackigen Schuhen. Es traf sie mit einem wolkenhaften
Hochgefühl, wie ein Schluck Whiskey, als er zurücktrat und hastig
Jackett und Krawatte auszog, ohne die Augen von ihr zu lassen. Sie
kämpfte gegen die Versuchung an, ihre nackten Brüste zu bedeck-
en. Er zog die Schuhe aus, die Hose, seine Boxershorts, hastig.

Dann knöpfte er sein Hemd auf und nahm die Manschetten

heraus. Das Hemd war das letzte Kleidungsstück, das er noch trug.
Auf seinen Wangen zeigte sich erhitzte Röte, und noch immer beo-
bachtete er sie. »Wie erfahren bist du eigentlich?«, fragte er sie
heiser.

Nervös leckte sie sich die Lippen und versuchte sich an einem

sinnlich-verspielten Lächeln, um die extrem angespannte Atmo-
sphäre aufzulockern. »Oh, sehr. Und du?«

Seine Hand schoss vor und er zog sie so grob und schnell an

sich, dass sie beinahe gestolpert wäre und laut keuchte. Mit der
freien Hand liebkoste er sie vom Nacken bis zu den Pobacken und
wieder zurück nach oben. Sie zitterte heftig. Alle Anstrengungen,
sinnlich-verspielt zu wirken, lösten sich in Luft auf; sie konnte nur
noch fühlen.

Natürlich bemerkte er ihr Beben. »Sehr erfahren also, wie?«,

bemerkte er amüsiert.

Sie schwankte auf ihren hohen Absätzen. In dem Versuch, Halt

zu finden, landeten ihre Hände auf seiner nackten Brust. Sein
Hemd stand weit offen, und zwischen den Zipfeln ragte seine

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Erektion auf, ein mächtiges Zeugnis des Begehrens, das sich auch in
seinen angespannten Gesichtszügen zeigte. Sie erschauerte, holte
tief Luft. »Was soll ich sagen, Marco? Ich bin keine Jungfrau
mehr.«

»Nimmst du Verhütungsmittel? Oder soll ich ein Kondom

benutzen?«

»Ja – bitte. Ein Kondom.« Ihre Hände kletterten nach oben.
»In Ordnung – ich kümmere mich darum. Und ich

entschuldige mich für das, was ich gleich tun werde. Ich verspreche
dir, es wird in Zukunft viele Gelegenheiten geben, bei denen ich
ganz langsam vorgehen und mich so um dich kümmern werde, wie
du es verdient hast. Aber jetzt ist mir das einfach nicht möglich. Ich
verzehre mich schon nach dir, seit ich dich das erste Mal getroffen
habe.«

Er strich ihr eine Strähne aus der Stirn, dann krallte er die

Finger in ihr Haar, schaute sie unverwandt an. »Jetzt werde ich
dich einfach nur hart und schnell ficken – und du wirst stillhalten
und es geschehen lassen!«

Ihr Herz hörte nahezu auf zu schlagen. Dann pumpte es plötz-

lich wieder Blut in ihre Adern, und zwar mit einer solchen
Leidenschaft, dass es sie erschreckte. Ihre Beine zitterten, gaben
nach. Sie konnte nichts sagen, konnte sich nur noch an ihn lehnen,
auf seine nächste Bewegung warten. Sie atmete schwer. Sehnsucht,
hart und überwältigend, erfasste sie von Kopf bis Fuß und ließ sie
beinahe ohnmächtig werden.

Und dann kam sie, seine nächste Bewegung.
Er drängte sie zurück in Richtung Bett. Als sie stolperte, legten

seine Hände sich auf ihre Hüften und er hob sie hoch, setzte sie
aufs Bett, drängte ihre Schenkel weit auseinander. Nun stand er
zwischen ihren Beinen, schaute einen Augenblick lang herab auf
sie. Schon beugte er sich vor, ergriff wieder Besitz von ihrem Mund,
hart und erbarmungslos. Seine Zunge eroberte sie.

Angesichts seiner körperlichen Größe bog sich ihr Kopf in

einem unangenehmen Winkel zurück. Sie wimmerte leise.

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Er hörte es, änderte die Haltung und presste ihren Oberkörper

aufs Bett, bis sie auf dem Rücken lag. Sofort folgte er ihr nach un-
ten. Seine Hand fand die Nässe zwischen ihren Beinen, nur noch
von einem Stück seidigen Stoffes bedeckt.

Selbst diese winzige Barriere war zu viel für ihn – er zog ihr

das Höschen aus, rasch, drängend, nahm dafür ihre Beine eines
nach dem anderen hoch, zerrte an dem dünnen Stoff. Willig gab
Natalie nach, auch wenn der Verlust des zugegeben wenig
wirkungsvollen Schutzes ihr ein wenig Angst machte. Die Angst
stieg, als er ihre Schenkel anschließend wieder auseinanderdrängte.
Es war so offensichtlich, um wie viel erfahrener er war! Sie konnte
den Anfall von Scham nicht kontrollieren, legte die Hände über
ihren Schoß und spürte, wie sie errötete.

Aufmerksam beobachtete er sie. Er stand nun wieder zwischen

ihren Beinen. Seine dunklen Augen verengten sich, schienen sie
geradezu aufzuspießen. Sein Blick war hart und gierig, wanderte
von ihren heißen Wangen zu ihren Brüsten, von denen sie
fürchtete, dass sie ihm zu klein waren, und dann zu der Hand, die
zitternd ihre Scham bedeckte.

Sein Blick war kühn, siegessicher – besitzergreifend. Er schien

sie zu begutachten, und Natalie kam sich äußerlich wie innerlich
nackt vor.

Einstweilen erlaubte er ihr, sich zu schützen, aber sie wusste

genau, das konnte nicht von Dauer sein.

Und sie irrte sich nicht.
Nachdem er sie noch ein paar Atemzüge lang betrachtet hatte,

wandte er sich ab, griff nach einem Kondom auf dem Nachttisch
und streifte es sich innerhalb von Sekunden über. Dann nahm er
ihre Hand von ihrem Schritt fort, hob ihre Beine an und legte sie
sich in einer ebenso kraftvollen wie zielsicheren Bewegung um den
Rücken. Und schon berührte seine harte Spitze den Eingang zu ihr-
er weichen, nassen Öffnung. Er stieß sanft mit der Eichel dagegen,
gegen die zitternde Hitze, die ihn begierig erwartete.

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Schweißtropfen liefen ihm über das Gesicht. Kurz hielt er inne,

nahm ihre Handgelenke, bog ihre Arme nach oben und hielt sie
fest. Er schaute ihr in die Augen. »Ich habe noch nie etwas so sehr
gewollt wie dich«, keuchte er, ließ seine Hüften gegen ihre kreisen,
drang ein paar Zentimeter in sie ein.

Jäh flogen ihre Augenlider nach oben, von der Empfindung ge-

dehnt zu werden ebenso wie von seinen Worten. Auch sie keuchte,
wartete darauf, dass er tiefer in sie hineinglitt. Seine Hände hielten
ihre Handgelenke in einem harten, kraftvollen Griff, der mit seiner
Macht auch den Rest ihres Körpers zu erfassen schien. Seine
Stärke, seine Kontrolle über sie zu erleben, ließ ihr Herz einen
mächtigen Trommelwirbel aus Erregung schlagen. Eine wilde Mis-
chung aus Begierde und ein wenig Angst tobten durch ihre Adern.
Sie atmete tief ein, hob den Unterkörper an und presste sich gegen
ihn, testete seine Kraft.

Seine Nasenflügel bebten, und er sank noch ein paar Zenti-

meter in sie hinein, schaute sie weiter an. »Versuchst du etwa, mir
zu entkommen?«, knurrte er, seine Stimme schwer vor
Leidenschaft.

»Nein«, atmete sie aus, versuchte, ihre Arme in seinem uner-

bittlichen Griff zu entspannen.

Mit einem sauberen, machtvollen Stoß, der sie zum Keuchen

brachte, glitt er ganz in sie hinein. Dann hielt er still, hielt ihre Au-
gen gefangen. Sein Gesicht zeigte reine Befriedigung und unver-
fälschte Erleichterung. »Du wirst mir niemals entkommen!«,
flüsterte er.

Natalie drohte in den verschiedenen Gefühlen und einer

sexuellen Hitze zu ertrinken, die sie noch nie zuvor empfunden
hatte. Sie fühlte sich gedehnt, ausgefüllt, und das löste eine Lust in
ihr aus, die ihr völlig fremd war. Sie drängte sich an ihn, schmerz-
lich begierig auf weitere Stöße. Es war aber auch eine winzige Geste
des Widerstands, der Selbstbewahrung, ein Hinweis für ihn, dass
sie unabhängig war. »Ich gehöre dir nicht!«

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Er zog sich ganz zurück und stieß erneut zu, mit einer

Heftigkeit wie ein Messerstoß, dass ihr gesamter Körper erbebte.
»Findest du, jetzt ist ein guter Zeitpunkt, mich wütend zu
machen?«, zischte er.

Sie hob die Hüften an, bettelte damit um einen weiteren Stoß.

»Ich will dich nicht wütend machen«, log sie ächzend.

Nun begann er einen steten Rhythmus, glitt aus ihr heraus,

eroberte sie erneut mit einem tiefen Stoß. Sein Mund fiel über ihren
her. Mit seiner Zunge brachte er sie zum Schweigen. Im Takt mit
seinen mächtigen Stößen begann er sie zu streicheln.

Schon bald fühlte Natalie sich in einem Strudel gefangen, der

sie unaufhaltsam zum Höhepunkt trieb. Ihre sämtlichen Muskeln
verkrampften sich. Wie rasend zuckte sie, entzog sich seinem
Mund, um keuchend Atem zu schöpfen.

Seine starke Hand ließ eines ihrer Handgelenke los, griff unter

ihr Kinn und drehte ihr Gesicht so, dass sie ihn ansehen musste. Sie
atmeten beide heftig. Seine Stöße wurden härter, unerbittlicher.
Ihre Augenlider senkten sich, doch seine Finger bohrten sich in das
zarte Fleisch ihres Kinns. »Mach die Augen auf!«, verlangte er.

Sie versuchte, sich auf ihn zu konzentrieren, zerrissen von Em-

pfindungen, die viel zu überwältigend waren, um ihnen zu wider-
stehen. Seine Augen nahmen sie gefangen. Sie standen voller gefol-
terter Ungeduld, voller wilder Lust. Ihr Körper spannte sich an.
Noch tiefer, noch heftiger stieß er zu, beobachtete sie dabei un-
ablässig, hielt sie in seinem Bann.

Mit einem funkelnden Kaleidoskop von Farben vor Augen, im

Griff einer nahezu unerträglichen Leidenschaft, glitt sie über die
Schwelle. Vor grenzenloser Verzückung schloss sie nun doch die
Augen. Er stieß weiter zu, einmal, zweimal, dreimal – und dann
stöhnte er, ganz tief aus dem Bauch heraus, und sie wusste, er war
ihr über die Schwelle gefolgt.

Ganz still blieb er anschließend liegen, noch immer in ihr.

Langsam, ganz langsam, trieben beide nach ihrem Höhenflug

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wieder herab zur Erde. Ihre verkrampften Körper entspannten sich.
Sein Kopf fiel auf ihre Schulter. Ihr Atmen beruhigte sich.

Viele Minuten verharrten sie so. Dann hob er den Kopf und

schaute sie an.

Seine Augen hielten sie fest im Griff, und als er sprach, war es

in einem drohenden, hitzigen Ton. »Du gehörst mir, Natalie – ganz
mir! Niemand anderes darf dich anfassen. Diese enge kleine Mus-
chi« – er drängte sich gegen sie – »ist meine.« Seine Hand verließ
ihr Kinn, glitt zu einer Brust, die er fest zusammenpresste. »Diese
perfekten kleinen Titten – sind meine.« Sein Finger zwickte ihre
Brustwarze. »Diese Nippel – sind meine.« Ihr Nippel verhärtete
sich unter der Berührung. Sie spürte den unwiderstehlichen Wun-
sch, sich ihm erneut zu unterwerfen.

»Kapierst du das, Natalie? Es gibt nur zwei Regeln in unserer

…« Er zögerte. »In unserer Vereinbarung. Ich kümmere mich um
dich, ich sorge für dich, und zwar vollständig, und du gehörst mir.
Ganz. Körper und Seele. Wenn du außerhalb meines Schlafzimmers
etwas willst, wirst du es bekommen. Aber in meinem Schlafzimmer
oder überall da, wo es um Sex geht, gebe ich die Befehle. Wenn ich
›Spring!‹ sage, werden deine süßen Lippen mich anbetteln, dir zu
verraten, wie hoch du springen sollst. Ist das klar?«

Sie schluckte. Seine Forderung löste eine Vielfalt unterschied-

lichster Emotionen aus, die sie zum Schweigen brachte. »Habe …
habe ich denn eine Wahl?«

»Willst du denn eine Wahl haben?«
Die Erinnerung an ihren Höhepunkt ließ sie erbeben. Seine

Augen waren so wunderschön, so beherrschend. »Wirst du immer
dafür sorgen, dass ich mich so fühle wie gerade jetzt?«

Sein Blick war entschlossen. »Ja.«
»Dann nein«, flüsterte sie. »Ich glaube, ich will keine Wahl

haben.«

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Eine Woche später saß Natalie mit Marco in einem vornehmen, al-
lerdings dezent und schlicht eingerichteten Restaurant in einem al-
ten, eleganten Stadthaus im Westen der Stadt. Ihre Fingerkuppe
fuhr den Rand ihres Weinglases entlang. Sie schaute sich im Raum
um, damit sie sich von dem Verlangen ablenken konnte, das Marco
ausstrahlte. »Es ist wunderschön hier.« Sie räusperte sich leise,
biss sich auf die Unterlippe und schaute ihn wieder an. »Wirklich
wunderschön.«

Er starrte sie über den Tisch hinweg an, als ob sie beide die

einzigen Menschen auf der ganzen Welt wären. Sie stand im Mit-
telpunkt seiner Aufmerksamkeit – und das machte sie nervös.
»Was gefällt dir denn so gut an dem Lokal?«, erkundigte er sich,
nachdem er sich ebenfalls umgesehen hatte.

»Oh – alles! Ich liebe das alte Holz, den Kamin, den Brokat auf

den Stühlen, die Bronzelampen. Der Raum strahlt einfach Wärme
aus. Und er ist so – so friedlich.« Sie lächelte. »Ja, friedlich ist das
richtige Wort.«

Marco betrachtete sie und fand, dass sie selbst friedlich war,

mindestens ebenso sehr wie dieser Raum. Bisher hatte er sie nie so
gesehen und ihm waren stets ganz andere Adjektive in den Sinn
gekommen. Sexy. Schön. Verführerisch. Aber friedlich? Doch genau
das war es, was sie war. Wenn er mit ihr zusammen war oder auch
wenn er nur an sie dachte, wie sie da in seiner Wohnung auf ihn
wartete, fühlte er nur ganz wenige Dinge, wie er zugeben musste. Er
war entweder extrem geil, extrem erfüllt – oder er spürte extremen
Frieden.

Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Noch einmal schaute er sich

um. Ja, es war offensichtlich. »Die Einrichtung der Wohnung ge-
fällt dir nicht.« Es war eine Aussage, keine Frage.

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Sie errötete und senkte den Blick. »Doch, sie ist schön«, sagte

sie leise.

»Heilige Scheiße – du hasst das Penthouse. Warum hast du

denn nichts gesagt?«

»Es ist dein Heim, Marco – nicht meines. Und ich wollte nicht

unhöflich sein oder deine Gefühle verletzen.«

Seine Lippen wurden schmal. »Es ist auch dein Heim, Natalie.

Und warum sollte es meine Gefühle verletzen, wenn du mir sagst,
dass es dir nicht gefällt? Ich hatte ja schließlich überhaupt nichts zu
tun mit der …« Er stockte, suchte nach dem passenden Begriff.

»Einrichtung?«, fiel sie ihm ins Wort.
»Ja, genau. Ich habe einfach nur Joy gesagt, sie soll eine Firma

anrufen. Schließlich ist das Penthouse nur ein Ort, an dem ich sch-
lafe …« Er unterbrach sich, runzelte die Stirn. »Wenigstens war es
das bisher.«

»Die Wohnung ist absolut okay«, versuchte sie ihn zu

beruhigen.

Er biss die Zähne zusammen und wollte gerade widersprechen,

als er hinter ihr Mathew Kennedy herankommen sah. Dieser ver-
dammte Kennedy! Er war die einzige Person, bei der seine geschäft-
liche Welt mit seiner ausschweifenden Vergangenheit zusammen-
traf. Er, zusammen mit seiner Schlampe von Ehefrau. Sein Abend
drohte, in Scheiße zu versinken.

Natalie bemerkte Marcos abweisenden Gesichtsausdruck. Sie

spürte fast so etwas wie Bedauern mit dem Menschen, der einen
solchen Blick ausgelöst hatte. Seine Kiefernmuskeln spannten sich
an.

Plötzlich legte sich eine Hand fest auf ihre Schulter, und neben

ihr stand ein massiger Körper. Über ihrer eigenen vergaß sie Mar-
cos Reaktion komplett. Erschrocken schaute sie auf, im selben Mo-
ment, in dem Marco aufstand und die Serviette auf den Tisch warf.

Mathew Kennedy stand neben ihr und hatte ihre Schulter in

einem eisernen Griff. Sie spürte Panik in sich aufsteigen, und zwar

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nicht wegen der Hand auf ihrer Schulter, sondern wegen Marco,
der dastand wie ein wütender Bulle, bereit zum Angriff.

Was auch immer Marco gerade hatte sagen wollen, ging in der

Ankunft einer mächtig aufgedonnerten Frau im mittleren Alter
unter, die an Kennedy vorbei auf Marco zutrat und ihm die Hand
auf die Brust legte.

»Marco, Schätzchen – warum siehst du denn so böse aus?

Freust du dich etwa nicht, uns zu sehen?«

In Natalie stieg die Galle hoch, angetrieben sowohl von der un-

angenehm fremden Hand auf ihrer eigenen Schulter als auch von
der manikürten und seltsam vertraut wirkenden Hand, die auf
Marco ruhte. Ein Gefühl von Verwirrung und Schwindel erfasste
sie. Wie gelähmt blieb sie sitzen, unfähig, sich zu bewegen.

»Nora.« Marcos Ton war abgehackt, ohne jede Höflichkeit. Er

nahm die Hand der Frau von seinem Jackett und ließ sie los.
»Nachdem du deinen Mann begleitest und ich, glaube ich wenig-
stens, ein vernünftiger Mensch bin, gebe ich dir die Gelegenheit,
dafür zu sorgen, dass diese Begegnung in einem reinen Wortwech-
sel endet. Du hast drei Sekunden Zeit, deinen Mann dazu zu
überreden, Natalie loszulassen. Ansonsten kannst du ihn im Krank-
enwagen hier rausbringen. Oder gleich im Leichenwagen.«

Natalie atmete hörbar ein und versteifte sich noch mehr. Ein

Kellner tauchte wie aus dem Nichts auf, gerade als die Frau, die
dann wohl Nora Kennedy hieß, ihrem Mann die Hand auf die
Schulter legte und sagte: »Mathew, Liebling – lass sie los. Heute
Nacht wird nicht gespielt.«

»Gibt es ein Problem?«, fragte der Kellner, der über eins

achtzig groß und sehr athletisch gebaut war.

Natalie war ganz still und wartete, wie sich die Sache weiter

entwickeln würde. Ihr war übel, physisch übel, und sie spürte eine
Ohnmacht nahen. Endlich hob sich die Hand von ihrer Schulter.

»Nein, nein, es ist alles in Ordnung«, erwiderte Mathew

Kennedy betont jovial. »Wir wollten uns gerade einen Tisch suchen
und sind dabei auf alte Bekannte gestoßen, nicht wahr, Schatz?

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Schön, dich wiedergetroffen zu haben, Marco.« Seine kalten Augen
ruhten kurz auf ihr. »Und auch dich, Natalie.«

Die beiden wandten sich zum Gehen. Marco zog ein paar

Scheine aus der Tasche. »Das sollte für alles ausreichen. Es war
nicht Ihre Schuld.«

Damit zog er Natalie vom Stuhl, legte den Arm fest um ihre

Taille und führte sie aus dem Restaurant.

Auf dem Parkplatz öffnete er ihr die Beifahrertür und schubste

sie regelrecht hinein. Sie schwang ihre Beine ins Wageninnere und
hob den Kopf.

In Natalies blauen Augen stand Qual. Schlagartig überkam ihn

eine so heftige Welle von Schuld und Scham, dass er sich auf die
Unterlippe biss, bis er Blut schmeckte. Sie war wunderschön, sie
war süß und lieb und so unschuldig wie keine andere Frau, die er
kannte. Und er beschmutzte sie. Er setzte sie solch perversen Leute
wie den Kennedys aus und damit abnormen, kranken Dingen, von
denen sie nicht einmal eine Ahnung haben sollte, geschweige denn
ihnen nahe kommen. Er hasste sich in diesem Augenblick selbst.
Sie war so gut – und er war abartig, befand sich längst jenseits aller
Möglichkeiten einer Erlösung. Er war bei weitem nicht gut genug
für sie.

Er musste an den Tag denken, an dem der Concierge ihm für

die Kekse gedankt hatte, die Natalie für ihn gebacken hatte. Und
ihm fielen die ganzen netten Worte ein, mit denen Joy Natalie
überhäuft hatte. Lag das nur daran, dass seine Assistentin es ge-
hasst hatte, mit Tanya und ihren Launen umgehen zu müssen?
Nein, ganz sicher nicht. Es war ihm mehr wie eine Warnung
vorgekommen. Joy hatte ihm klargemacht, wie nett und unschuldig
Natalie war. Sie hatte es nicht gewagt, ihn zu warnen, die Finger
von ihr zu lassen. Stattdessen hatte sie Natalie einfach in den höch-
sten Tönen gelobt und ihn dabei sehr betont angesehen.

Und Joy hatte recht. Natalie war nett und unschuldig.
Er sollte sie wirklich in Frieden lassen.

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Nein, verfluchte Scheiße! Er konnte sie nicht gehen lassen. Er

würde sein Möglichstes tun, um sie von den Menschen fernzuhal-
ten, die aus seiner perversen Vergangenheit stammten, aber er
würde sie ganz gewiss nicht gehen lassen.

Sie war das Beste, was ihm jemals passiert war.
Er schloss die Tür und dachte nur noch daran, sie zurück ins

Penthouse zu bringen und in sein Schlafzimmer. Langsam ging er
um den Wagen herum und stieg ein.

Gerade als er losfuhr, klingelte ihr Handy.
Er hörte ihrem Teil der Unterhaltung ungeniert zu.
»Hallo?« Ihre Stimme klang etwas zitterig, gewann jedoch

schnell an Kraft. »Wirklich? Das ist ja toll, Justin! … Ja, ich werde
es ihm sagen. … Mir geht es gut. Wann kommst du denn wieder
nach Hause?« Marco warf ihr einen kurzen Blick zu. Ihr Gesicht
zeigte Enttäuschung. »Oh. Okay. Pass auf dich auf! … Ja, ich habe
mit ihr gesprochen. Ihr geht’s gut, aber sie lässt sich immer noch
von ihm ausnutzen.« Wieder trat eine Pause ein, diesmal eine
längere. »Nein, verlass dich drauf – solang er da ist, gehe ich ganz
sicher nicht zurück. … Ja, das verspreche ich. … Ich hab dich auch
lieb. Mach’s gut!«

Sie steckte das Handy zurück in die Handtasche. Sie hielten

gerade an einer roten Ampel. »Dein Cousin?«

»Ja. Ich soll dir sagen, er kann einen Extraturnus auf der Platt-

form einlegen und bekommt dafür einen fetten Bonus. Er wird dir
das Geld bald zurückzahlen können.«

»Es sind nicht seine Schulden, Natalie. Ich will sein Geld nicht.

Ich nehme es nicht.«

»Wenn es nicht seine Schulden sind … Damit meinst du, es

sind meine Schulden.«

»Ja.«
»Aber du hast doch gesagt, das mit den Schulden hat sich

erledigt! Ich wusste, dass du das nicht ernst meinst!«

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»Deine Schuld ist abgegolten!« Er biss die Zähne zusammen.

»Es ging mir sowieso nie um das verdammte Geld. Das weißt du
ganz genau!«

Sie wurde bleich. Die Ampel wechselte auf Grün.
Den Rest des Wegs schwiegen beide.

Als sie in der Wohnung ankamen, warf Marco seine Schlüssel auf
den Couchtisch, griff nach Natalies Hand und zog sie neben sich
aufs Sofa. »Und jetzt erzählst du mir den Rest«, verlangte er.

»Welchen Rest?« Fragend schaute sie ihn an.
»Du hast deinem Cousin gesagt, dass du mit jemandem gere-

det hast. Wer war das?«

Sie betrachtete ihn und spürte das dringende Bedürfnis, etwas

von sich selbst zu bewahren. »Ich habe Freunde, Marco.«

»Das weiß ich.« Sein Blick war unnachgiebig. »Wer war es?«
Sie verdrehte die Augen. »Meine Mutter.«
»Deine Mutter?«, fragte er überrascht. »Deine Mutter lebt mit

jemandem zusammen, der sie ausnutzt und dir so unsympathisch
ist, dass du sie nicht einmal besuchst?«

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Du hast also meine

Unterhaltung mit Justin belauscht.«

»Natürlich das habe ich das, Natalie – ich saß schließlich

daneben«, erklärte er.

Sie trommelte mit den Fingern gegen ihre Oberarme und

schwieg.

»Antworte mir!«, forderte er.
»Nein.«
Er gab einen Ton wie ein Knurren von sich und griff nach ihr.

»Natalie …«

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Sie entzog sich ihm und versuchte abzulenken. »Was für ein

Spiel war denn das, das die Kennedys erwähnt haben, und warum
waren sie so enttäuscht, dass du es heute nicht spielst?«

Er ignorierte den Themawechsel, ohne mit der Wimper zu

zucken, und setzte sein Verhör fort. »Man muss wahrlich kein
Genie sein, um zu ahnen, was los ist. Deine Mutter lebt mit einem
gottverdammten nichtsnutzigen Hurensohn zusammen, der es auf
dich abgesehen hat. Weiß sie das?«

»Bist du eigentlich gesund? Hast du einen Aids-Test machen

lassen?« Mit dieser Frage wollte sie ihn ärgern – aber sie wollte es
auch wirklich wissen.

»Die Antwort auf beide Fragen ist ja.«
»Versprich es mir, Marco!«
»Ich schwöre es bei Gott, Natalie.« Er schaute sie forschend

an. »Weiß deine Mutter Bescheid?«, wiederholte er.

Natalie betrachtete ihn nachdenklich und beantwortete seine

Frage mit einer weiteren Gegenfrage. »Hast du mit Nora Kennedy
geschlafen?«

Er atmete tief ein und stieß die Luft geräuschvoll wieder aus.

»Nein, ich habe nicht mit ihr geschlafen. Was allerdings nicht heißt,
dass sie nicht versucht hat, mich dazu zu bekommen.«

Seine Antwort erleichterte Natalie, und sie kam nicht auf die

Idee, ihren Wahrheitsgehalt anzuzweifeln. »Ich bin beeindruckt«,
bemerkte sie und schaute ihn trotzig an. »Du hast mir eine
konkrete Antwort gegeben. Das hatte ich gar nicht erwartet.« Es
war nur halb sarkastisch gemeint.

»Die Antwort auf diese Frage hast du wirklich verdient, Süße.«

Wieder streckte er die Hand aus, und diesmal ließ sie zu, dass er sie
berührte. Er nahm ihre Hand, verschränkte seine Finger mit ihren,
und sein Daumen streichelte sanft ihren Handrücken.

Sie schaute zu, wie er Kreise über ihre Haut zog, die sie bis hin-

ab in ihre Zehen spürte. »Und die Antwort auf die anderen Fragen
verdiene ich nicht?«

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»Vielleicht doch. Aber dann würdest du nur mehr Fragen stel-

len und noch mehr, und am Ende würdest du herausfinden, was für
ein perverser Scheißkerl ich bin und versuchen, mich zu verlassen.«

»Versuchen, Marco? Wenn ich das wollte, würde ich einfach

meine Sachen packen und verschwinden.«

»So einfach wäre das nicht.«
»Nein?«, fragte sie leise.
»Nein.«
»Und warum nicht?«
»Wir schweifen hier ein bisschen ab, Natalie. Ich will wissen,

was zur Hölle bei dir zu Hause los war. Hat dieser Wichser dich
angefasst? Hat er dir etwas getan? Muss ich nach Vidor fahren und
ihn umbringen? Ist er etwa der Grund, warum du nach Houston
gekommen bist?«

Natalie seufzte. Sie wusste genau, sie musste den Mund

aufmachen und ihm alles berichten. Er war wie ein Hund, der
hinter einem Knochen her war. Wenn er etwas wollte, gab er nicht
nach. Er war erbarmungslos hartnäckig. Sie blickte ihm in die Au-
gen und antwortete so schnell und geradeheraus, wie sie konnte.
»Ja, meine Mutter hat einen echten Arsch als Freund. Ja, er hat
versucht, mich anzufassen, als sie nicht im Zimmer war. Außerdem
hat er versucht, sich nachts in mein Zimmer zu schleichen, aber er
hat es nie geschafft. Ich habe dafür gesorgt, dass wir nie mehr allein
miteinander waren, also konnte er mir nichts tun. Als er es das
zweite Mal versucht hat, bin ich weggegangen. Meine Mutter weiß
nichts davon, und ich werde es ihr ganz bestimmt nicht sagen. Du
kannst dir sicher sein – früher oder später wird sie selbst
herausfinden, was für ein Mistkerl er ist, und zwar ganz allein. Ich
muss dafür nicht meine Beziehung zu ihr aufs Spiel setzen. Und ja,
ich bin nach Houston gekommen, um hier einen Job zu finden und
abzuwarten, bis sie ihn hinauswirft. Ist es das, was du wissen
wolltest?«

»Um abzuwarten?«, fragte er ungläubig.
»Ja.«

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Sein Blick verfinsterte sich, und sein Ton war scharf. »Um,

verdammt noch mal, abzuwarten?«

»Marco …«
»Ist es das, was du gerade machst, hier mit mir? Abwarten?«
»So habe ich es nicht gemeint! Ich …«
»Und was, verfluchte Scheiße, hast du sonst damit gemeint,

Natalie?«

»Was willst du eigentlich von mir, Marco? Zuerst willst du die

zwanzigtausend Dollar von mir – dann willst du sie nicht mehr. Du
hast gesagt, es ging sowieso nie ums Geld. Was soll das denn ei-
gentlich heißen?«

Seine Augen funkelten voller Zorn, und sein Griff wurde fester,

doch er schwieg, kochte nur innerlich vor sich hin.

Sie versuchte, sich ihm zu entziehen, vergebens. »Jetzt tu ver-

dammt noch mal nicht so, als ob ich gerade deine Gefühle verletzt
hätte! Ich habe gesagt, ich wollte abwarten. Na und? Du bist doch
derjenige, der gesagt hat, wir haben eine Vereinbarung. Eine Vere-
inbarung, Marco!« Ihr Tonfall wurde immer heftiger. »Du willst
mir etwas von verletzten Gefühlen erzählen? Du bist der Mensch,
der mir erzählt hat, wir seien keine Freunde. Und der ganz klar
erklärt hat, er wolle keine Lebensgefährtin.« Noch einmal zog sie
die Hand zurück, und diesmal gab er sie frei. Sofort stand sie auf,
verschränkte wieder die Arme und schaute böse auf ihn herab. »Ich
bin nicht deine gottverdammte Lebensgefährtin, Marco!«, zischte
sie anklagend. »Und was zum Teufel bin ich dann? Deine neueste
Fickmatratze? Oh halt, nein, ich weiß – ich bin einfach diejenige,
die sich um diesen Aspekt deines Lebens kümmert!«

»Rede nicht so, Natalie – das mag ich nicht.«
»Tja, das ist dein Pech. Ich bin nicht deine Freundin! Also gehe

ich mal davon aus, du besitzt nicht das Privileg, mir zu sagen, wie
ich reden oder was ich tun soll und wann ich die Wohnung ver-
lassen darf. Und ja, ich warte hier einfach ab, bis meine Mutter zur
Vernunft kommt und ich wieder nach Hause gehen kann. Dann
braucht sie mich nämlich wirklich. Ich bin alles, was sie hat.« Sie

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drehte sich um, wollte das Zimmer verlassen, doch sie war noch
keine zwei Schritte weit gekommen, als er sie schon eingeholt hatte
und festhielt. Grob drehte er sie um, damit sie ihn ansehen musste.

Drohend starrte er auf sie herab. »Hör mit dem Scheiß auf!«,

knurrte er. »Das kann ich nicht leiden.«

»Das ist mir scheißegal, ob du das leiden kannst oder nicht. Es

ist mir auch scheißegal, was aus unserer Vereinbarung wird. Ich
fand sie von Anfang an beschissen, und jetzt mag ich sie noch viel
weniger!«

»Immerhin hast du ihr ziemlich schnell zugestimmt.«
»Das habe ich, ja. Und wenn schon! Du bist attraktiv, du bist

sexy. Und du bist fest entschlossen, immer deinen Willen durchzu-
setzen. Also habe ich nachgegeben. Verklag mich doch! Ja, genau –
verklag mich auf dieses Scheißgeld, dann haben wir es wenigstens
hinter uns.«

»Ich werde dich nicht verklagen, Natalie! Diese blöde Diskus-

sion hatten wir doch schon. Geld ist es nicht, was ich von dir will.«

»Nein? Nun, wie auch immer – dass du mich behandelst wie

einen Gegenstand, der dir gehört und den du bei Bedarf
herausholen kannst, um damit zu spielen, reicht einfach nicht. Ich
will mehr. Ich habe dir nie etwas getan. Ich habe es nicht verdient,
so respektlos behandelt zu werden!«

»Ich habe dich nie respektlos behandelt! Ich …« Er hielt inne.

»Ich habe noch nie jemanden mehr respektiert, als ich dich respek-
tiere. Und das ist die Wahrheit!«

»Wenn das so ist, hast du allerdings eine verdammt merkwür-

dige Art, das zu zeigen!«

»Was willst du denn von mir?«
»Wenn du mir ein wenig meiner Würde lässt, das wäre schon

mal ein guter Anfang.«

»Würde?«
»Ja, Würde. Du weißt schon – dass ich einen Grund dafür

habe, warum ich hier mit dir lebe. Dass ich wenigstens ab und zu
einmal behaupten kann, du seiest mein Freund. Dass ich mich ohne

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Scham in der Öffentlichkeit sehen lassen und in den Spiegel
schauen kann. Weil ich mehr bin als einfach nur ein Dienstmäd-
chen, mit dem du schläfst.«

»Du bist kein Dienstmädchen.«
»Ach nein? Ich putze deine Wohnung. Ich koche dein Essen.

Ich wasche deine Klamotten. Das sind alles Dinge, die entweder ein
Dienstmädchen erledigt – oder eine Freundin. Oder … Nein, das
wage ich ja gar nicht auszusprechen – eine Ehefrau! Aber die
Diskussion müssen wir überhaupt nicht führen – ich will dich nicht
heiraten. Ich bin ja schließlich nicht blöd! Ich will einfach nur das
Gesicht bewahren können. Ich will, dass wir beide ganz offen ein
Paar sind. Wenn wir unterwegs sind, habe ich ständig Angst, je-
manden zu treffen, den du kennst. Als was wirst du mich dann vor-
stellen? Als deine Haushälterin, mit der du ab und zu auch essen
gehst? Als dein Callgirl, das mit dir in einer Wohnung lebt und dir
ständig zur Verfügung steht?« Natalie entzog sich ihm und wandte
sich erneut zum Gehen. »Ich bin fertig. Ich habe dir nichts mehr zu
sagen.«

»Natalie! Ich weiß wirklich nicht, wie ich reagieren soll. Ich

sehe dich ganz und gar nicht so abfällig, wie du das jetzt bes-
chreibst. Ich …«

Sie fuhr herum und funkelte ihn anklagend an. »Ich hasse es,

dass du die Macht besitzt, mir wehzutun. Wie konnte das bloß
passieren? Wie ist es so weit gekommen, dass wir jetzt hier stehen,
wo doch alles nur damit angefangen hat, dass ich hier putzen woll-
te, damit du mich nicht vor Gericht zerrst? Und ich weiß nicht ein-
mal, was das genau ist, wozu sich das entwickelt hat. Du bist an-
maßend und erdrückend, und du willst, dass alle immer nach dein-
er Pfeife tanzen. Und ich bin was? Einfach nur jemand, der zu tun
hat, was du sagst? Deine brave kleine Nutte …«

Wie ein Blitz stand er vor ihr, packte ihre Arme und schüttelte

sie, einmal nur, gerade genug, um die Tirade zu stoppen, die aus
ihrem Mund strömte und rasch zu Gift wurde. »Halt die Klappe!
Halt verdammt noch mal die Klappe!« Mit einer Hand griff er ihr

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grob ins Haar, ohne mit der anderen ihren Arm loszulassen. »Du
willst meine verfluchte Freundin sein? Meinetwegen. Du bist meine
Freundin. Wir sind ein Paar.« Seine Wangenmuskeln arbeiteten.
»Fühlst du dich jetzt besser?«

Sie schüttelte den Kopf. »So funktioniert das leider nicht. Ich

will dich nicht in eine Beziehung zwingen, die du nicht willst. Ich
kann einfach gehen. Justin wird dir demnächst das Geld geben, und
dann kann ich es ihm in kleinen Raten zurückzahlen.«

»Du gehst nirgendwohin! Den Mist kannst du dir gleich aus

dem Kopf schlagen!«

»Du kannst mich nicht hier festhalten, indem du mich einsch-

üchterst. Den Mist kannst du dir aus dem Kopf schlagen, Marco!
Wenn ich bleibe … dann nur, weil wir wirklich ein Paar sind. Und
wenn wir ein Paar sind, dann deswegen, weil wir beide das wollen.
Solang du mir drohst, funktioniert es nicht. Außerdem – ich weiß
ganz genau, dass du mir nie etwas tun würdest. Du kannst dir deine
ganzen Drohungen also sowieso schenken, sie wirken bei mir nicht.
Und wenn sie wirken würden, wenn ich wirklich Angst vor dir hätte
– dann wäre ich schon längst nicht mehr da!« Sie sprach selbstbe-
wusst und bestimmt und sie wich seinem Blick nicht aus.

Er hörte ihr zu, und Natalie glaubte sogar, dass er alles auf-

nahm, was sie sagte. Seine Hand in ihren Haaren lockerte sofort
den Griff. »Ich werde aufhören, dich einzuschüchtern«, sagte er,
»wenn du mir versprichst, dass wir ein Paar sind.«

Schock, vermischt mit einer kribbelnden Ekstase, überkam sie

angesichts seines fieberhaften Versuchs eines Kompromisses. Jetzt
wollte auf einmal er, dass sie ihm versprach, sie waren ein Paar?
War das seine Art, sie anzuflehen zu bleiben? Nur weil sie jetzt end-
lich einmal explodiert war, ihre Meinung klar gesagt hatte, war er
plötzlich bereit, sich auf eine richtige Beziehung einzulassen? Hegte
er ihr gegenüber tiefere Gefühle, als sie geahnt hatte? Und
bedeutete das etwa, sie beide hatten doch noch eine Chance?

Was auch immer die Zukunft bringen würde – sie war nicht

bereit, den Moment zu verpassen, in dem sie etwas zwischen ihnen

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beiden festschreiben konnte, auch wenn es nur ein winziger Bereich
war. »Ich verspreche es«, sagte sie sanft.

Erleichterung zeichnete sich in seinem Gesicht ab. »Und das

kannst du nicht zurücknehmen!«

Sie hob die Hand, um seinen Mund zu bedecken. Sie wollte

nicht, dass er weitersprach und vielleicht etwas sagte, das den Waf-
fenstillstand ruinierte, den sie gerade geschlossen hatten. »Das
werde ich auch nicht – solang du dich an deinen Teil der Ab-
machung hältst.«

Er ergriff ihre Hand, küsste sie, ließ seine Lippen über ihre

Finger und die Handfläche gleiten. »Wenn du willst, kannst du ein-
en Reinigungsdienst beauftragen«, erklärte er.

»Ich soll das tun?«
»Es ist auch deine Wohnung. Wir sind schließlich ein Paar,

richtig? Also fällt das in dein Ressort.«

Sie lächelte spöttisch. »Warum? Weil das Frauenarbeit ist?«
»Versuchst du mich jetzt ganz in die Ecke zu drängen? Soll ich

mich etwa grundsätzlich ändern? Du hast es geschafft, dass ich
meine Einschüchterungsversuche einstelle – und jetzt soll ich
gleich auch noch politisch korrekt denken?«

»Nein, du hast genug getan. Du hast mich nur überrascht.

Wenn du nichts dagegen hast – also, ich brauche keinen
Reinigungsdienst.«

»Das passt mir gut. Wie gesagt – ich mag ohnehin keine Frem-

den in der Wohnung. Aber du kümmerst dich darum, wenn dir die
Hausarbeit irgendwann zu viel wird?«

»Ja.«
»Okay – sind wir jetzt fertig?«
»Ja.«
Sein Finger strich über ihre Unterlippe. »Ich liebe es, wenn du

dieses Wort sagst.«

Ein sinnlicher Funke sprang zwischen ihnen hin und her.

»Ja«, flüsterte sie.

»Ja zu allem?«

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Sie leckte sich die Lippen. »Das ist doch eine deiner Regeln,

oder?«

»Und du willst meine Regeln nicht brechen, oder?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein – niemals.«

Am nächsten Morgen band Marco sich die Krawatte um und beo-
bachtete dabei im Spiegel Natalie, die hinter ihm im Bett lag. Sie
streckte ihren jungen, geschmeidigen Körper, und wieder spürte er
den unwiderstehlichen Drang, sie in seiner Nähe zu haben.

Sie schwang die Beine aus dem Bett und schaute sich nach ihr-

em Nachthemd um, das er ihr am Abend zuvor ausgezogen hatte.
Sie entdeckte es und schlüpfte rasch hinein. Dann machte sie sich
auf den Weg ins Badezimmer. Er hielt sie auf, indem er ihren Na-
men sagte. »Natalie.«

Sie blieb stehen und sah ihn an. Ihre Haare waren noch ganz

zerzaust vom Liebespiel. Die Erinnerung stieg wie eine lustvolle
Welle in ihm auf. Schon wieder war er hart.

Sie sprach nicht, sondern wartete darauf, dass er etwas sagte.

»Ich muss am Sonntag nach New York fliegen«, erklärte er und gab
ihr einen Augenblick, die Information zu verdauen. Dabei versuchte
er, ihre Reaktion abzuschätzen. Den nächsten Satz äußerte er im
Tonfall eines Vorschlags, aber es war weit mehr als das. »Ich
möchte, dass du mich begleitest.«

Ihr Körper erstarrte, und ihre Augen weiteten sich. »Ich war

noch nie in New York.« Ihre Stimme klang nüchtern, nicht im Ger-
ingsten aufgeregt.

»Dann solltest du dir die Stadt unbedingt einmal ansehen«,

bemerkte er ruhig.

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»Ich weiß nicht – ich habe dafür einfach nicht die richtigen

Klamotten.«

»Die Kleidung ist wirklich kein Problem. Du hast noch drei

Tage Zeit zum Shoppen, bevor wir fliegen.«

»Ich habe nicht genug G…«
»Sag es nicht!«, unterbrach er sie schnell. »Sag es einfach

nicht!«

Sie zog scharf die Luft ein. »Wie lang bleiben wir?«
»Eine Woche.«
»Du hast Geschäfte dort?«
»Ja. New York ist unser Hauptsitz. Ich fliege oft dorthin.«
Natalie wusste ja, dass seine Bank eigentlich in New York war.

Trotzdem war es nett, dass er sie in Kenntnis setzte und darum bat,
ihn zu begleiten. Was allerdings noch lang nicht bedeutete, dass sie
mitkommen wollte. »Vielleicht sollte ich einfach hier auf dich
warten?«, schlug sie vor.

Er ging zu ihr hinüber. »Das könntest du natürlich. Aber war-

um solltest du das wollen?«

Natalie spürte die Wirkung, die sein Körper auf ihren ausübte,

schon lang, bevor er ihr ganz nahe war. Und jetzt, wo er dicht vor
ihr stand, wo sein großer, starker Körper sie überragte, war da
wieder dieses Schwindelgefühl. Was sie empfand, ging alles zu tief,
viel zu tief. Sie musste unbedingt eine gewisse Entfernung zwischen
ihnen schaffen. »New York liegt einfach weit außerhalb meiner
Wohlfühlzone.«

»Aber du weißt doch, dass ich auf dich aufpasse, oder?« Er hob

ihr Kinn an und blickte sie intensiv an. »Du weißt, ich würde nie zu-
lassen, dass dir etwas geschieht!«

»Ich … Ja, das weiß ich.«
»Weißt du das wirklich, Natalie? Du weißt, dass ich dich

beschützen werde? Immer und vor allem und jedem?«

Sie schaute zu ihm auf, rang nach Luft. Das Schweigen um sie

herum schien zu dröhnen.

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Er zog seine Brieftasche und holte wieder diese verdammte

schwarze American-Express-Karte hervor. Diese Karte, die
bedeutete, dass sie einkaufen gehen musste – etwas, worum die
meisten Frauen sie beneiden würden. Aber sie war keine normale
Frau. Früher hatte sie sich immer eingeredet, Shopping zu hassen,
weil sie das Geld dafür nicht besaß. Aber jetzt wusste sie, das war
nur eine Ausrede gewesen. Sie hasste das Einkaufen an sich.

Er drückte ihr die Karte in die Hand und schloss ihre Finger

darum. »Du gehst einfach Einkaufen. Du besorgst fünfmal so viel
an Kleidung, wie du glaubst zu brauchen, und dann hast du viel-
leicht gerade mal genug. Und denk dran – wir fliegen am
Sonntagnachmittag.«

Seine Lippen streiften kurz ihre Stirn, dann verließ er den

Raum.

Auf dem Weg nach unten lehnte sich Marco gegen die Wand des
Aufzugs. Tief holte er Luft, ließ den Kopf sinken, dann stieß er ihn
heftig gegen das Metall hinter ihm. Das war verdammt knapp
gewesen. Er wollte lieber nicht an den Streit denken, der
entstanden wäre, wenn sie es gewagt hätte, seinen Wünschen zu
widersprechen. Auf jeden Fall kam es absolut nicht in Frage, dass
er sie einfach hier in Houston zurückließ. Noch einmal atmete er
tief ein und wieder aus. Nein, er wollte ganz gewiss nicht bei der
Vorstellung verweilen, wie heftig die Auseinandersetzung geworden
wäre, hätte sie ihm nicht nachgegeben. Und er wollte ebenfalls
nicht darüber nachdenken, wie schlimm es wäre, wenn er sieben-
mal nachts zu Bett gehen müsste, ohne Natalie neben sich zu
wissen.

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Kapitel 8

Natalie war in ihrer Jugend oft genug geflogen, um keine Angst vor
dem Fliegen zu haben. Am Sonntagabend standen sie gemeinsam
in ihrer Suite im Hotel, tranken Champagner und schauten aus
dem Fenster auf die funkelnden Lichter der Stadt. Es war absolut
überwältigend – aber das waren auch die Lichter des Stadtzen-
trums von Houston bei Nacht.

Allerdings hatte New York, die größte Stadt der Vereinigten

Staaten, doch weit mehr zu bieten. Die Freiheitsstatue, das Empire
State Building – und nicht zu vergessen die Wall Street, das Finan-
zzentrum der ganzen Welt und der Grund, warum sie hier waren.

Natalie schaute aus dem Fenster. Marco allerdings, der hinter

ihr stand, schaute mehr auf ihren Rücken. Sie drückte sich die Nase
regelrecht an der Scheibe platt. Der Champagner war ihr zu Kopf
gestiegen, und auch der Arm, den Marco um sie gelegt hatte, löste
ein Prickeln in ihr aus. Nun zog er sie an sich. »Ich habe diese
Woche auch eingekauft«, flüsterte er ihr direkt ins Ohr, knabberte
sachte an ihrem Ohrläppchen.

Sie lehnte sich gegen ihn, zitternd. »Hast du das?«
»Allerdings«, murmelte er.
Er drehte sie um, bis sie ihn ansah. Sie entdeckte sofort das

rechteckige, mit Samt bedeckte Kästchen in seiner Hand. Fragend
schaute sie zu ihm auf und hoffte, dass es ihr gelang, den emo-
tionalen Aufruhr zu verbergen, der in ihr tobte.

Er öffnete den Deckel. Eine Halskette funkelte mit passenden

Ohrringen um die Wette. Es war ein bunter Edelstein, wie Natalie

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ihn noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Sie ließ die Fingerspitzen
über die schimmernde Pracht gleiten. »Was sind das für Steine?«,
flüsterte sie, geradezu ehrfürchtig.

»Es sind Schokoladendiamanten, umgeben von weißen

Diamanten. Ich hoffe, es gefällt dir. Ich konnte mich zuerst zwis-
chen Weißgold und Rotgold nicht entscheiden, aber dann kam mir
das Rotgold doch etwas zu aufdringlich vor. Ich glaube, das
Weißgold betont deine Schönheit noch besser.«

»Sie sind wunderschön!«
»Du bist wunderschön«, sagte er schnell.
»Marco …«
»Gefällt dir der Schmuck?«
»Er … er ist absolut zauberhaft. Aber ich kann ihn nicht

annehmen.«

Er ignorierte sie, als ob sie gar nichts gesagt hätte, und legte

die Halskette um Natalies Hals. Dabei fummelte er gerade lang
genug mit dem Verschluss herum, um sie wissen zu lassen, dass er
so etwas nicht oft tat. Dieses Wissen brachte ihr Herz zu einem
entzückten Beben.

An der Hand führte er sie vom Fenster fort, zu einer kleinen

Kommode mit Spiegel. Dort drehte er ihr Gesicht zum Spiegel und
hielt ihr die Ohrringe hin in einer wortlosen Forderung, sie
anzulegen.

Sie befestigte sie an ihren Ohren, mit zitternden Fingern. Sie

waren herrlich, wunderschön. Noch nie hatte sie etwas besessen,
das auch nur ein Zehntel so hübsch gewesen wäre. Aber Zweifel
nagten an ihr. Sie konnte den Schmuck doch wirklich nicht behal-
ten, oder?

Seine Hände legten sich auf ihre Schultern, und er küsste ihren

Hals. Dabei glitten seine Finger abwechselnd über die Halskette
und ihre nackte Haut, ein sehr offensichtliches Signal, dass ihm
beides gehörte. Verlangen erfüllte sie, heftig und stark, und ihr
Herz klopfte den Takt dazu.

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Nun legte er seine Hände um ihre Brüste. Durch den Stoff ihr-

er Kleidung hindurch liebkosten seine Daumen ihre Nippel. Im
Spiegel verschlang er Natalie regelrecht mit Blicken.

Ihre Wimpern senkten sich, und ihre Nasenflügel bebten vor

Erregung. Sie schloss die Augen. Begleitet von dem Rascheln von
Stoff zog er ihr die Bluse über den Kopf und kehrte zu ihren
Brüsten zurück, die jetzt nur noch von dünner Spitze bedeckt
waren.

Ihr Atem beschleunigte sich noch mehr, als er den BH nach

unten zog und seine Hände um ihre nackten Brüste legte, fest und
besitzergreifend, und dann wieder zärtlich und sanft, als er ihre
Brustwarzen streichelte. »Diese süßen kleinen Titten sind so per-
fekt – eigentlich brauchst du überhaupt keinen BH«, flüsterte er
rau in ihr Ohr. »Der stört doch nur!«

Seine Finger zogen und zupften an ihren Nippeln, sandten ein-

en Strom nasser Hitze zu der Stelle, wo ihre Schenkel sich trafen.
Sie drückte sich gegen ihn und versuchte, die Kontrolle über ihre
Gedanken zurückzugewinnen. »Wenn ich keinen trage, sieht man
meine Nippel durch die Kleidung hindurch«, erklärte sie.

Einen Augenblick verharrten seine Hände, hielten ihre kleinen

Brüste komplett bedeckt. »Das können wir natürlich nicht zu-
lassen«, bemerkte er. »Also muss ich mich in Geduld üben.« Er
öffnete den Verschluss ihres BHs, der auf den Boden fiel.

Ihre Augenlider öffneten sich. Im Spiegel sah sie rote Flecken

der Erregung auf Marcos Wangen. Kurz begegneten sich ihre Au-
gen, dann zog er ihren Rock bis zur Taille hoch und ihr Höschen
nach unten, in einer entschlossenen, fast groben Bewegung. Nun
war ihm auch ihr Po nackt ausgeliefert.

Ein Laut kam aus seiner Kehle, halb Stöhnen, halb Knurren.

Hastig befreite er sich von seiner Kleidung, und Natalie spürte die
breite Spitze seiner Härte, die sich von hinten gierig an sie presste.
All ihre inneren Kanäle füllten sich mit Hitze, voller Erwartung, von
ihm gefüllt, erfüllt zu werden. Sie konnte nicht mehr sprechen, kon-
nte kaum noch atmen. Im Spiegelbild hielt er ihre Augen fest.

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Er drang ein Stück in sie ein. Sie spürte die herrliche Dehnung.

Statt weiterzumachen, hielt er inne. »Du wirst den Schmuck behal-
ten, hast du mich verstanden? Und ich will kein Wort mehr darüber
hören!«

Sie schwieg, unfähig zu antworten, konzentriert ausschließlich

auf die fast schmerzhaft intensive Lust, die ihr bevorstand.

Er veränderte seine Haltung, schlang seine starken Arme um

ihre Hüften und hob sie mühelos in die Höhe, in genau die Posi-
tion, in der er mit einer fließenden Bewegung ihre nasse Höhle voll-
ständig ausfüllen konnte. Sie keuchte, gefangen zwischen Schmerz
und intensivem Vergnügen.

Zwei Sekunden gab er ihr Zeit, sich an die Dehnung zu

gewöhnen, dann legte er mit einem wilden, gleichmäßigen Rhyth-
mus los, seine Augen wie verschleiert vor Begehren. Seine Hüften
schlugen wieder und wieder gegen ihre, und sein Atmen wurde
schneller und heftiger, ebenso wie ihres. Ihr Körper reagierte mit
Leidenschaft auf den erregenden Tanz. Sie wusste genau, die Tat-
sache, dass er sie von hinten beherrschte und sie gleichzeitig im
Spiegel von vorn sah, sie ihm also komplett gehörte, musste sie in-
nerhalb von wenigen Augenblicken die entscheidende Grenze über-
schreiten lassen.

Sie war komplett unter seiner Kontrolle, ihm hilflos aus-

geliefert, unfähig, seiner Anziehungskraft und seiner erotischen
Dominanz zu widerstehen. Ihr Herz hämmerte in ihren Ohren. Sie
konnte sich nicht bewegen – aber sie hätte genau die Stelle, an der
sie sich befand, für nichts in der Welt verlassen wollen. Nein,
niemals wollte sie ihm entkommen!

Härter und härter wurden seine Stöße. Sie spürte, wie er die

Kontrolle zu verlieren begann. Seine Finger glitten herab zu ihrem
Kitzler, massierten ihn im gleichen Rhythmus, wie sein Glied sie
von innen massierte. Er biss ihr spielerisch ins Ohr. »So mag ich
dich am liebsten«, flüsterte er rau, »halb ausgezogen und deine
Muschi tropfnass für mich.« Noch schneller bewegte er sich. »Und
das ist alles nur für mich, Natalie. Daran musst du immer denken.

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Ich ficke dich – wann und wie ich will. Und niemand sonst darf
dich jemals berühren!«

Die heißen Worte spülten über sie hinweg, verführten sie mit

der unerbittlichen Forderung, die darin lag. So war er immer. Wenn
sie in Gesellschaft waren, spielte er den charmanten, liebenswürdi-
gen Geschäftsmann. Und wenn sie allein miteinander waren, ver-
wandelte er sich in einen herrschsüchtigen Höhlenmenschen mit
einer schmutzigen Gossensprache, die sie zuerst immer schockierte
– und anschließend nur noch mehr erregte. Auch jetzt war es
wieder so. Sie schwebte, völlig umgeben von seinem massigen
Körper, schloss die Augen, und in ihr zog sich alles in Erwartung
des Orgasmus zusammen. Er versteifte sich, stieß noch einmal zu,
so tief, so hart, dass es ihr den Atem nahm, und dann hielt er inne,
während sein Höhepunkt ihn überrollte.

Hart kniffen seine Finger und sein Daumen ihren Kitzler

zusammen. Natalie schrie auf, als Lust und heiße Befriedigung sie
trafen wie ein Peitschenhieb. Sie ritt die überwältigende Welle und
genoss das Gefühl seiner Arme, die sie vollständig umfasst hatten,
so, als ob er sie nie wieder loslassen wollte.

Zwanzig Minuten später kam Natalie aus der Dusche, ein Handtuch
um ihren Körper geschlungen und ein zweites in der Hand, mit
dem sie ihre nassen Haare trocknete. Abrupt blieb sie stehen, als sie
Marco entdeckte, der an der Wand lehnte und ganz offensichtlich
auf sie gewartet hatte. Er beobachtete sie, dann hob er die Hand
und rieb sich den Nacken.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte sie.
»Alles in Ordnung«, antwortete er, stieß sich von der Wand ab

und ging auf sie zu. »Ich habe nur vergessen, dir das vorhin zu

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geben.« Er hielt eine weitere, viel kleinere Samtschatulle in der
Hand. Natalie spürte, wie ihre Kehle sich zuschnürte und die Sch-
metterlinge in ihrem Bauch wild flatterten. Doch statt ihr das Käst-
chen zu geben, marschierte Marco einfach an ihr vorbei und legte
es auf die Kommode, ganz lässig. Fast zu lässig. »Es war ein Set,
und das da gehört zu den anderen Schmuckstücken.« Er beo-
bachtete sie. Sie stand da, versuchte, ihr Gehirn und ihre Stimme
zum Funktionieren zu bewegen.

Noch bevor ihr auch nur eines von beidem gelungen war, ver-

ließ er schweigend den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Natalie starrte die Tür an, hinter der er verschwunden war.

Das eine Handtuch fiel zu Boden. Sie hielt das andere, das sie um
sich geschlungen hatte, ganz fest, damit es nicht ebenfalls herabfal-
len konnte. Tief atmete sie ein und aus, um sich zu beruhigen. End-
lich wagte sie es, den Blick zu dem kleinen Kästchen schweifen zu
lassen, so vorsichtig, als ob es eine tickende Bombe wäre.

Langsam begab sie sich zur Kommode, nahm die Schatulle in

die Hand, holte noch einmal tief Luft und öffnete sie.

Ihr Herz stolperte, hörte auf zu schlagen, ihr Atem fing sich in

der Kehle, und sie taumelte nach hinten, bis ihre Knie gegen etwas
stießen und sie hart auf dem Bett landete.

In dem Kästchen war ein Ring, der durchaus ein Teil eines Sets

sein konnte, es aber wahrscheinlich nicht war. Auf jeden Fall war es
ein wunderschöner Ring. Der Mittelstein war wieder ein
Schokoladendiamant, riesig und rund, wahrscheinlich an die drei
Karat schwer, und er war umgeben von weißen Diamanten, die ein-
en glitzernden Heiligenschein um ihn herum bildeten.

Es war ganz ohne Frage ein einzigartiger Ring, und wäre die

Situation eine andere gewesen, hätte es sehr gut ein Verlobungsring
sein können. Sie hörte und spürte ihr Herz laut klopfen. Mit dem
Finger glitt sie über den großen Diamanten in der Mitte und fragte
sich, was Marco damit wohl bezweckte. Dann ging sie zu der
Schublade, in der sie vor dem Duschen den anderen Schmuck ver-
staut hatte, und holte das flache, rechteckige Kästchen heraus. Auf

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den ersten Blick war deutlich zu sehen, dass die beiden Schatullen
nicht dieselbe Farbe hatten. Bei einer näheren Untersuchung ent-
deckte Natalie auch, dass sie von verschiedenen Juwelieren stam-
mten. Die Stücke besaßen in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit, aber
sie bildeten kein Schmuckset.

Sie setzte sich wieder. Ihre Gedanken überschlugen sich. Er

hatte ihr den Ring so lässig, ja, fast gleichgültig überlassen, dass sie
sich fast hätte täuschen lassen. Aber es war eindeutig – er war be-
sorgt gewesen, wie sie auf den Ring reagieren würde. Und er hatte
gelogen – er hatte behauptet, die Schmuckstücke gehörten zu
einem Set, was ganz klar nicht der Fall war.

Grübelnd betrachtete sie seine Geschenke und war nicht sich-

er, ob ihre Gedanken in die richtige Richtung gingen. Marco wollte,
dass sie einen Ring von ihm trug.
Sie nahm ihn heraus, drehte ihn
zwischen den Fingern hin und her, studierte ihn.

Es war ein herrlicher Ring, und sie wünschte sich nichts mehr,

als ihn über ihren linken Ringfinger zu streifen. Und zwar, weil es
ein so intimes Geschenk von Marco war, nicht etwa, weil sie naiv
genug gewesen wäre zu glauben, dass sie beide nun miteinander
verlobt waren. Stattdessen schob sie den Ring mit einem tiefen
Atemzug über den Ringfinger der rechten Hand. Anschließend dre-
hte sie die Hand und bewunderte das Funkeln, als die Steine das
Licht einfingen. Keine Frage – der Ring passte perfekt. Sie musste
also nicht überlegen, an welchem Finger sie ihn tragen wollte – nur
an welcher Hand.

Sie wollte auf gar keinen Fall anmaßend erscheinen und es sich

herausnehmen, ihn links zu tragen. Doch da war eine leise Stimme
in ihrem Kopf, die ihr beharrlich zuflüsterte, dass es Marcos Wun-
sch war, dass sie den Ring links überstreifte. Wenn sie ihn
stattdessen rechts trug, würde Marco gewiss nie etwas dazu sagen –
und dann bliebe der Ring dort für immer.

Und was passierte, wenn sie ihn über den linken Ringfinger

streifte? Im besten Fall tat sie genau das, was er erwartete. Und im
schlimmsten musste sie die Demütigung über sich ergehen lassen,

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wenn er sie bat, den Ring an der rechten Hand zu tragen. Sie war
sich völlig unsicher. Eines allerdings wusste sie genau – sie musste
bei Marco Donati ganz langsam und behutsam vorgehen.

Sie biss sich auf die Unterlippe. Dann schob sie das Schmuck-

stück entschlossen über den linken Ringfinger. Er fühlte sich so an,
als ob er hierhin und nirgendwo anders hingehörte, und ihn zu
spüren, erfüllte sie mit warmer Freude.

Wenn sie jetzt nur richtig geraten hatte und ihn dort auch be-

halten durfte!

Marco beobachtete Natalie genau, als sie aus dem zur Suite ge-
hörenden Schlafzimmer trat. Sie hatten keine festen Pläne für das
Abendessen. Allerdings trug sie einen neuen Hosenanzug, der ihrer
Figur schmeichelte und eine legere Eleganz ausstrahlte, die zu
einem gemütlichen Abend zu Hause ebenso passte wie zu einem
Essen im Restaurant. Um den Hals trug sie die Halskette, die er ihr
geschenkt hatte, und durch ihre Haare sah er das Funkeln der
passenden Ohrringe.

Aber viel wichtiger war ihm etwas anderes. Sein Blick glitt zu

ihren Händen. Hart und durchdringend schoss Befriedigung durch
seine Adern, als er die Diamanten an ihrem linken Ringfinger ent-
deckte. Der Ring war groß genug, um sicherzustellen, dass sich die
Aufmerksamkeit, die sie in den letzten Wochen immer genossen
hatte, wenn sie gemeinsam unterwegs gewesen waren, in nichts au-
flöste. Es hatte ihm überhaupt nicht gefallen, wie die Männer sie
angestarrt hatten, kein bisschen! Sie war hübsch und lebhaft, und
ihr Gesicht strahlte eine mitreißende, unschuldige Schönheit aus,
die alle männlichen Blicke auf sich zog, wohin sie auch gingen.

Und genau das hasste er.

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Da er sie allerdings nicht auf Dauer einsperren konnte, war

ihm keine andere Methode eingefallen, um sicherzustellen, dass die
Männer ihre verdammten Blicke von ihr ließen. Jetzt würden sie
sofort auch den Ring bemerken, der ganz deutlich zeigte, dass
Natalie ihm gehörte.

Wenn er es jetzt nur noch schaffen könnte, sie dazu zu überre-

den, sich seine Initialen auf ihre Brüste tätowieren zu lassen …
dann wäre er ein glücklicher Mann. Eigentlich war dieser Gedanke
nur ein Scherz gewesen, doch einer, der sich mit einem enormen
sinnlichen Reiz schnell verselbständigt hatte und ihm einfach nicht
mehr aus dem Kopf gehen wollte.

Er wusste genau, wenn sie eine solche Tätowierung jemals er-

lauben würde, er würde sie ihr sofort verpassen!

New York war herrlich gewesen. Die Woche hatte gefunkelt wie die
Diamanten an dem neuen Schmuck. Ihre Beziehung hatte sich
vertieft.

An diesen Gedanken klammerte sich Natalie, als sie im Aufzug

ins Penthouse hinauffuhren. Marco war ganz ohne Zweifel
begeistert gewesen, als er den Ring an ihrer linken Hand gesehen
hatte und noch begeisterter hatte er es am nächsten Tag begrüßt,
dass sie nur den Ring und nicht auch die anderen Teile des ver-
meintlichen Schmucksets getragen hatte, während sie sich gemein-
sam New York angesehen hatten.

Mit ihrer Entscheidung, den Ring links zu tragen, war sie mehr

als zufrieden. Sie trug ihn durchgehend, sogar nachts. Wenn Marco,
was er oft tat, ihre Hände nahm und sie überall küsste, streiften
seine Lippen manchmal auch über den Ring, und das versetzte ihr
jedes Mal einen süßen Stich der Begeisterung. Zwar war er ein

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Mann weniger Worte – aber seine Handlungen erfreuten sie und
gaben ihr Hoffnung.

Die Lifttür öffnete sich. Noch immer wie in Trance vor

Wohlgefühl, betrat sie den Wohnbereich – und blieb jäh stehen. Sie
hatte so plötzlich angehalten, dass Marco gegen sie prallte. Er legte
einen Arm um sie.

Ungläubig blickte Natalie sich um. Ihr Herzschlag geriet

vollkommen durcheinander, und ihr Atem stockte. »Komm, lass
uns alles begutachten«, sagte er. »Ich habe es ja auch noch nicht
gesehen.«

Er schob sie weiter ins Zimmer hinein, und dann führte er sie

durch die gesamte Wohnung, Raum für Raum.

Natalie fehlten die Worte. Sie war fassungs- und sprachlos.

Auch Marco sagte nicht viel. Sie hätte ihm gerne gezeigt, was sie
empfand, doch außer gestammelten Lauten der Zustimmung und
Begeisterung konnte sie nichts von sich geben.

Während sie in New York gewesen waren, hatte er das Pent-

house komplett renovieren und neu einrichten lassen. Die kalte El-
eganz war wie weggefegt. Alles strahlte in neuen Farben, und es gab
neue Möbel, neue Dekoration, neue Böden.

Es erinnerte sie sehr stark an die Inneneinrichtung des Res-

taurants, die ihr so gut gefallen hatte. Sie liebte alles, von den war-
men Farben über die Akzente in Stein bis hin zu den i-Tüpfelchen,
die für eine gemütliche Atmosphäre sorgten.

Sie war komplett hin und weg. Das hatte er alles für sie getan?

Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Am Ende führte er sie zu ein-
er bequemen Couch mit einem passenden gepolsterten Hocker und
zog Natalie mit sich herab, um das Sofa auszuprobieren.

»Und – was meinst du?«, fragte er.
»Ähm … ich … ich …« Natalie war noch immer nicht in der

Lage, einen vollständigen Satz von sich zu geben, fürchtete sich fast
zu reagieren.

Er zog eine Grimasse, wie im Schmerz. »Wenn du es nicht

magst – kein Problem. Dann kommen die Dekorateure einfach

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wieder und gestalten alles genauso, wie du es haben willst. Scheiße!
Es tut mir leid – ich hätte dich von Anfang an mit einbeziehen sol-
len, damit du alles aussuchen kannst!«

Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Stopp, Marco! Es … es

ist perfekt, einfach perfekt. Ich hätte es auch nicht besser machen
können. Ich liebe alles daran!«

»Gott sei Dank! Sie haben die ganze Woche gebraucht, um

alles fertigzustellen. Sonst hätten wir erst einmal ausziehen
müssen.«

Fester umklammerte sie seinen Arm. »Du hast das alles für

mich gemacht?«

»Na, also für mich selbst ganz bestimmt nicht!« Scharf wie

Rasiermesser bohrten seine Augen sich in ihre.

»Aber … warum?«
»Du weißt doch, warum, Natalie. Du hast die alte Einrichtung

gehasst. Und das kann ich nicht zulassen, dass du unser Zuhause
hasst – sonst läufst du am Ende noch davon.«

»Nur wegen der Einrichtung würde ich ganz gewiss nicht dav-

onlaufen«, bemerkte sie.

»Das Risiko wollte ich aber nicht eingehen.« Seine Stimme war

fest, und Natalie las aus seinem Tonfall heraus, dass die Diskussion
für ihn beendet war.

»Okay«, flüsterte sie.

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Kapitel 9

Eine Woche später verließ Natalie die Wohnung, beide Handys in
der Handtasche und die SIM-Karten vertauscht.

Der Gedanke, dass Marco ihr nachspionierte, hatte sie die gan-

ze Zeit mehr beunruhigt, als sie zugeben wollte. Es konnte so ein-
fach nicht weitergehen. Die Dinge zwischen ihnen standen gut. Ihre
Beziehung machte Fortschritte – langsam, aber stetig. Sie befanden
sich in einer Situation, in der sie sich wohlfühlte. Obwohl sie »nur«
ein Paar waren, nicht verlobt, trug sie doch seinen Ring, und das
war ihr genug.

Marco hatte seine Wohnung ihretwegen neu eingerichtet, und

das gefiel ihr unglaublich gut. An dem Abend, als sie aus New York
zurückgekommen waren, hatte sie nach dem Abendessen alles aus
den Küchenschränken herausgeholt und so einsortiert, wie sie es
haben wollte – als ob sie in ihrer eigenen Küche wäre.

Und er hatte sie beobachtet. Gestört hatte ihn nur, dass sie so

lang brauchte. Der Zug um seinen Mund herum zeigte ihr ganz
deutlich, er hielt es für an der Zeit, dass sie mit ihm im Bett
verschwand.

Die Grenzen waren abgesteckt – die Küche war ihre Domäne,

sie trug seinen Ring und hatte das Recht, sich als seine Freundin zu
bezeichnen. Das einzige Problem, was Natalie noch hatte, war das
verfluchte Ärgernis, dass er ihr nicht vertraute.

Das musste aufhören. Heute.
Sie hatte den Ort für eine Konfrontation sorgfältig ausgewählt,

ein Starbucks-Café im Stadtzentrum, weit genug von der Wohnung

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entfernt, dass Marco sofort alles stehen und liegen lassen würde,
um nach ihr zu suchen. Es sei denn, er traute ihr genug, um sie ein-
fach nur anzurufen. Was sie allerdings nicht glaubte. Er würde sie
anhand des Handys, das er ihr überlassen hatte, orten.

Und genau das wollte sie.
Natalie betrat die Starbucks-Filiale, bestellte einen Kaffee zum

Mitnehmen und begab sich in die Damentoilette. Sie goss den Kaf-
fee ins Waschbecken und schob das Smartphone in den Becher. Im
Gang zu den Toiletten steckte sie anschließend den Becher in einen
Kübel mit einer großen Topfpflanze, die neben einem überquel-
lenden Abfalleimer stand. Dann marschierte sie die Straße entlang
zu einem Zeitungsstand und tat so, als ob sie intensiv ins Sch-
mökern vertieft wäre.

Sie unterhielt sich mit dem Zeitungsverkäufer, kaufte sich

Kaugummi und betrachtete weiterhin die Zeitschriften, während sie
die Straße vor dem Starbucks im Auge behielt.

Es war jetzt schon eine halbe Stunde her, seit sie das Pent-

house verlassen hatte. Sie ging davon aus, dass bald etwas passier-
en würde.

Wenn er sie lediglich anrufen wollte, hätte er das schon längst

getan.

Gerade als sie daran dachte, kam Marcos Auto um die Ecke.

Wut erfüllte sie. Sie dankte dem Verkäufer und ging rasch in der
entgegengesetzten Richtung davon. Sie zog ihr altes Handy heraus
und wählte seine Nummer. Er meldete sich beim zweiten Klingeln.
Sie ließ ihm keine Zeit, etwas zu sagen. »Bist du auf der Suche nach
mir, Marco?«

»Ja.« Er versuchte nicht einmal, es zu leugnen.
»Dein Abhörhandy ist in einem leeren Kaffeebecher im Kübel

der Topfpalme neben dem Abfalleimer in dem Starbucks, auf den
du grade zusteuerst. Nur, falls du es zurückhaben willst, denn ich
will es ganz sicher nicht zurück. Ich bin ab jetzt nicht mehr deine
Gefangene. Du hast meine Nummer, wenn du mich anrufen willst.
Nur für den Fall, dass du an einer normalen Beziehung interessiert

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sein solltest.« Sie beendete das Telefonat, durchquerte ein Bankge-
bäude, eilte Treppen hinunter und verlor sich im Tunnelsystem von
Houston.

Etwa eine Stunde lang saß sie in einem Schnellrestaurant und

trank eine Cola. Ihr Zorn und ihr Schmerz wuchsen – er rief sie
nicht zurück. Bis ihr klar wurde, dass ihr Handy hier unten keinen
Empfang hatte. Sie kam sich vor wie ein Dummkopf, tadelte sich
selbst und ging hinaus ins Sonnenlicht. Sofort piepte ihr Handy
und teilte ihr mit, dass sie mehrere SMS verpasst hatte. Außerdem
hatte er eine Sprachnachricht hinterlassen, in der er wütend zu wis-
sen verlangte, wo sie war.

Sie beschloss, ihn noch eine Weile im eigenen Saft schmoren

zu lassen und rief ihn nicht zurück. Stattdessen spazierte sie gemüt-
lich zurück zum Penthouse.

Er wartete auf sie, als sich die Aufzugtür öffnete.
»Wo zum Teufel bist du gewesen?« Seine Wut war offensicht-

lich, aber auch Natalie war zornig und bereit für die Auseinander-
setzung. Sie hatte ihre Sachen vorerst in der Wohnung gelassen und
beschlossen, nicht auszuziehen, bevor sie nicht wusste, wie sich die
Sache entwickeln würde.

»Ich war in den Tunneln unterwegs«, antwortete sie betont

gelassen.

»In den Tunneln?«, zischte er. »Die Tunnel sind gefährlich,

Natalie!«

»Gefährlich? Das glaube ich nicht. Ich habe die ganze Zeit in

einem Schnellrestaurant gesessen.«

»Du verstehst das nicht! Wenn du das erste Mal dort bist,

denkst du vielleicht, es sei sicher, aber …«

»Du glaubst also, das sei mein erstes Mal dort gewesen? Ich

erkunde die Stadt schon seit Wochen!«

Seine Blick wurden kalt, undurchdringlich, und seine Gesicht-

szüge verhärteten sich. »Du hast mir die ganze Zeit etwas
vorgemacht.«

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»Ich habe dir etwas vorgemacht?«, schnaubte sie. »Oh nein.

Ich habe einfach nur die SIM-Karte aus deinem Smartphone gen-
ommen und sie in mein altes Handy gelegt, das mir einfach viel
besser gefällt. Was hat das mit Lügen zu tun?«

»Wie lang geht das schon?« Er versuchte, seinen Ärger zu zü-

geln, das konnte Natalie sehen. Ebenso wie sie das nervöse Zucken
unter seinem Auge sehen konnte, das er nicht zu beherrschen in der
Lage war.

»Seit dem Tag, an dem ich mich verirrt habe und du mich

aufgesammelt hast. Und weißt du, was daran am meisten weh tut,
Marco?«

Er verschränkte die Arme vor der Brust und hob eine

Augenbraue.

»Die Tatsache«, fuhr sie fort, »dass du denkst, ich sei dumm!

Ich habe es sogar ausprobiert, weißt du? An dem Tag, an dem ich in
der Bibliothek war und du dich so aufgeregt hast. Du hast gedacht,
ich hätte mein Handy vergessen. Ich weiß, ich bin klein, ich habe
keinen Hochschulabschluss und ich habe auch nicht viel Geld. Aber
ich bin sicher, dass die Erde sich um eine geneigte Achse dreht –
und ebenso sicher bin ich, dass mein IQ höher ist als deiner.«

»Ich halte dich nicht für dumm, Natalie …«
»Erzähl mir nicht einen solchen Blödsinn, Marco! Du denkst,

ich sei klein und schwach und hilflos. Und dumm. Das wissen wir
beide. Warum gibst du es nicht einfach zu?«

Er biss die Zähne zusammen und fuhr sich mit den Fingern

durch die Harre. »Ich glaube wirklich nicht, dass du dumm bist. Es
tut mir leid, dass ich dich unterschätzt habe …«

»Ja, da bin ich mir ganz sicher, dass dir das leid tut. Jetzt

kannst du mich nämlich nicht mehr vierundzwanzig Stunden am
Tag überwachen. Und das tut weh, nicht wahr?«

»Ja, das tut es«, besaß er die Frechheit zu erwidern.
»Wie kannst du es wagen! Wie kannst du es wagen, all meine

Bewegungen nachzuverfolgen? Wie konntest du das nur tun? Was
hast du denn gehofft, damit zu erreichen?«

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Sein Blick verdüsterte sich. »Ich habe nur versucht, dafür zu

sorgen, dass du sicher bist.«

Ihre Hand fuhr durch die Luft, voll frustrierter Wut. »Erzähl

mir keinen Mist, Marco. Du hast versucht, deine Investition über
zwanzigtausend Dollar zu schützen und …«

Er trat einen Schritt auf sie zu. »Quatsch! Das Geld kümmert

mich einen Scheißdreck. Das solltest du inzwischen wissen. Es ging
die ganze verdammte Zeit nur um dich.«

»Das macht es nur noch schlimmer! Denn wenn es um mich

geht, bedeutet das, du vertraust mir nicht. Was vermutest du denn,
dass ich anstellen würde? Dir dein Tafelsilber klauen? Mit deiner
American-Express-Karte abhauen?«

Er stieß einen leisen Seufzer aus, als ob er sich wünschte, ir-

gendwo zu sein, nur nicht hier, gefangen in diesem Streit. »Nein.«

»Was dann?«, verlangte sie zu wissen. »Was zum Teufel

dann?«

Seine Schultern strafften sich. Er schaute sie böse an, und als

er sprach, wusste Natalie genau, er sprach seine Gedanken ganz of-
fen aus. »Ich habe befürchtet … dass du mich betrügen könntest.«

Verwirrt zog sie die Augenbrauen zusammen. In Gedanken

ging sie noch einmal die letzten Wochen durch. »Dich betrügen?
Wir waren doch noch nicht einmal zusammen, als du mir das
Handy gegeben hast.«

Sein Blick schweifte umher, bis er ihr wieder in die Augen sah.

Sein Gesichtsausdruck war unerschütterlich, und er stand ebenso
felsenfest da. »Du hast mir von dem Tag an gehört, an dem du auf
mein Auto aufgefahren bist, Natalie. Du hast es damals nur noch
nicht gewusst.«

Natalie sog die Luft ein und betrachtete ihn. Er stand etwas

über einen Meter von ihr entfernt. Seine Augen flammten. Er er-
widerte ihren Blick und konnte die Anspannung seines Körpers
nicht verbergen.

Ihre Gedanken überschlugen sich. Er hatte ganz offensichtlich

Probleme – Probleme mit dem Betrügen, Probleme mit dem Teilen.

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Sie wusste sofort, dass sie ihn nicht verlieren wollte. Aber sie durfte
es ihm auch nicht zu leicht machen. Sie durfte nicht zulassen, dass
er mit dem davonkam, was er angestellt hatte, ohne ganz klar und
eindeutig zu wissen: So etwas konnte er nicht noch einmal tun.

Seine Nasenflügel bebten, während sie ihn weiter beobachtete.

»Was willst du?«, fragte er.

Natalie wusste genau, dass er von ihr erfahren wollte, was er

tun musste, damit diese ganze Auseinandersetzung sich in Luft au-
flöste. Es gab da allerdings noch ein anderes Problem. »Hast du
meinen Laptop auch manipuliert?«

»Um Himmels willen, nein!« Er starrte sie entsetzt an, und sie

wusste, dass er die Wahrheit sagte. Er wartete zwei Herzschläge
lang, bevor er seine Frage wiederholte: »Also – was willst du?«

»Zum Beispiel, dass du dich entschuldigst. Aber du

entschuldigst dich ja nie, richtig?«

Sein Blick war hart. »Es tut mir leid.«
»Dir tut nur leid, dass ich dich erwischt habe«, entgegnete sie.
»Das stimmt«, hatte er den Mut zuzugeben.
»Verdammt, Marco – du weißt ja nicht einmal, wie man sich

richtig streitet!«

Ein Lächeln huschte über seine Lippen und war schnell wieder

verschwunden. »Mir tut leid, dass ich dir nicht vertraut habe. Und
mir tut leid, dass ich dir nachspioniert habe.« Von seiner Amüsier-
theit war nichts mehr übrig, als er mit unnachgiebigem und
starrsinnigem Gesichtsausdruck drängte: »Versprich mir, dass du
mir gehörst, Natalie. Gib mir dieses Versprechen – dann können
wir das alles hinter uns lassen.«

Sie atmete zitternd aus. »Das habe ich dir schon versprochen.«
»Nein. Ich habe das Versprechen verlangt, und du hast

nachgegeben.«

»Und inwiefern unterscheidet sich die Situation jetzt davon?«,

fragte sie.

Seine Muskeln lockerten sich, was wohl daran lag, dass er sich

dem Ziel nahe glaubte. Seine Stimme war fest, sein Tonfall ruhig,

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als er seine Argumente vortrug. »Es ist jetzt anders, weil ich dich
darum bitte zu bleiben. Und zwar nur aus dem Grund, um mit mir
zusammen zu sein. Du und ich, wir beide. Niemand sonst. Ich ver-
spreche dir Treue. Das ist etwas, was ich in meinem ganzen Leben
noch nie jemandem versprochen habe. Und ich möchte dasselbe
Versprechen von dir.«

Sie zögerte nicht, dachte nicht nach. »Das verspreche ich dir

gerne. Aber du musst noch mehr tun, Marco. Du musst mir beweis-
en, dass du mir vertraust.«

Er runzelte die Stirn. »Wie denn?«
»Ich weiß es nicht. Ich überlasse es deinem analytischen Ge-

hirn, das herauszufinden.«

Er küsste sie sanft auf die Stirn, bevor er sie fest in seine Arme

nahm. »Ich danke dir.«

Am nächsten Abend kam Marco von der Arbeit und sagte kein
Wort. Er ging zu Natalie in die Küche, wo sie am Arbeiten war, und
zerrte sie in Richtung Aufzug.

»Was machst du denn?«, fragte sie, stolperte und wäre bei-

nahe gefallen.

»Dir beweisen, dass ich dir vertraue«, antwortete er und zog

sie mit sich in den Aufzug.

Er ließ ihre Hand los, kreuzte die Arme vor der Brust und beo-

bachtete sie scharf. Dabei zeigte sein Gesicht einen Ausdruck, den
sie nicht interpretieren konnte. Lässig lehnte er sich gegen die
Wand, ließ seinen Blick von Kopf bis Fuß über sie gleiten und zwis-
chendurch bei ihren Brüsten verharren. Nach dieser Begutachtung
schaute er ihr wieder in die Augen. »Hattest du einen schönen Tag,
meine Liebe?«, fragte er, seine Stimme voll Sarkasmus.

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Natalie hatte nicht die geringste Ahnung, was er vorhatte. Ein

solches Verhalten hatte sie bei ihm nie zuvor erlebt. »Ja«, antwor-
tete sie zögernd.

Er starrte sie an. Sein Gesicht verriet nichts. »Hast du Lust,

deinen Freund im Aufzug zu ficken, Liebling?«

Sie errötete. »N-nein.«
»Nein zum Aufzug oder nein zum Ficken?«
»Nein zum Aufzug.«
»Aber dein Freund hat bisher noch nie eine Frau im Aufzug ge-

fickt, mein Schatz«, fuhr er fort. »Und er hat jetzt richtig Lust da-
rauf.« Er drückte den Knopf, der den privaten Aufzug anhalten ließ,
und griff sie um die Taille.

Er drehte sie um und schob sie gegen die Wand. »Und wie …

wie soll das beweisen, dass du mir vertraust?«, stieß sie mühsam
hervor. Ihr Herz hatte begonnen zu hämmern, und ihre Knie
zitterten.

»Oh, das wird es nicht. Dazu kommen wir später noch. Jetzt

musst du mir zuerst einmal etwas beweisen.« Er trat hinter sie,
öffnete die Hose und befreite seine Erektion. Natalie schluckte.
Sein Penis war riesig und hart.

Sie leckte sich die Lippen und atmete tief ein. Wie gelähmt sah

sie zu, wie er ein Kondom überstreifte. »Was muss ich denn beweis-
en?«, fragte sie unsicher.

Er zog ihr die Shorts und das Höschen herunter, legte seine

Hände auf die weiche Rundung ihres Pos, hob sie leicht an und
spreizte ihre Schenkel. Sie spürte, wie seine Eichel sich ungeduldig
gegen ihre Öffnung drängte, bereit, in sie einzudringen. Hitze stieg
in ihr auf. Seine Finger bohrten sich in ihr Fleisch, so fest, dass es
beinahe schmerzhaft war. Er hielt inne. »Du musst mir deine
Bereitschaft beweisen«, presste er zwischen zusammengebissenen
Zähnen hervor, »dich von mir ficken zu lassen, wann immer, wo
immer und wie immer ich das will – so oft ich will. Du hast schließ-
lich gesagt, du willst genau das, du willst mich, und zwar genauso,
wie ich bin.« Er glitt ein paar Zentimeter in sie hinein. Seine

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Stimme war noch rauer, als er weiter sprach. »Du musst mir be-
weisen, dass du mit mir umgehen kannst, so wie ich bin, und dass
du keine Angst vor mir hast. Ich will nicht, dass du Angst vor mir
hast, Natalie. Aber ich kann nichts dagegen machen, wie ich bin.
Ich will mir nicht alle zwei Sekunden Sorgen machen müssen, dass
du Angst bekommst und abhaust. Du gehörst zu mir, und genau das
musst du mir jetzt beweisen, indem du dich mir schenkst. Und zwar
alles von dir.«

Noch immer bewegte er sich nicht, wartete auf eine Antwort

von ihr. Natalie wusste, das war eine weitere Schwelle in ihrer Bez-
iehung, die sie gerade überschritten. Er wollte ihr vertrauen, sich
darauf verlassen, dass sie ihm gehörte, wenn sie ihm bewies, dass
sie wirklich die Seine war. Dass sie die Seine sein wollte, und zwar
absolut. Ihr Blick verschleierte sich. Noch allerdings war ihr Ver-
stand wach genug, ihr zu sagen, dass sie ihm antworten musste. Sie
gab ihm die einzige Antwort, die sie geben konnte: »Ja.«

Mit einem mächtigen Stoß eroberte er sie, drängte seinen Kopf

gegen ihren und verlangte nach ihrem Mund. Natalie überließ ihn
ihm. Auch seine Zunge drang jetzt in sie ein. Er küsste sie so
leidenschaftlich, als ob sein Leben davon abhinge.

Sie hob die Arme, krallte sich in seine Haare und erwiderte

den Kuss. Ihre Lippen hingen aneinander, die Zungen umspielten
sich. Gleichzeitig begann er mit kurzen, heftigen Stößen. Seine
Hüften prallten gegen ihre. Ihr Verstand verabschiedete sich, als er
wieder und wieder diese Stelle in ihr traf, wo sie ihm nicht mehr
widerstehen konnte. Sie schnappte nach Luft, als ihr Höhepunkt
sich ankündigte.

»Ja, komm, Süße – komm direkt auf meinen Schwanz!«, ver-

langte er rau.

Sie konnte nicht dagegen ankämpfen, hörte einen scharfen,

fast klagenden Laut und erkannte, dass er von ihr stammte. Lust
verschlang sie, und ihr Körper spannte sich an. Nach drei weiteren
Stößen kam auch er in ihr.

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Er ließ den Kopf gegen ihren sinken. Beide atmeten schwer.

Langsam kehrten sie auf die Erde zurück. Er hob sie von sich her-
unter. Das gebrauchte Kondom zog er ab, wickelte es in ein
Taschentuch und stopfte es in die Tasche. Sie wusste genau, er
hatte jede Einzelheit dieser Begegnung geplant. Sie war ihm nicht
böse – es war einfach nur eine weitere Facette seines Charakters,
den sie immer besser zu verstehen lernte. Er war ein geradezu
zwanghafter Planer.

Mit zitternden Händen richtete sie ihre Kleidung und lehnte

sich schweigend gegen die Wand des Aufzugs, wartete auf Marcos
nächsten Schachzug.

Ruhig beobachtete er sie, bis ihr das Schweigen zu viel wurde.

»Und, wie war ich?«, fragte sie schließlich und strebte dabei eine
Unbeschwertheit an, die sie nicht fühlte.

In seine Augen trat ein Funkeln, das sie nicht deuten konnte.

»Fantastisch, mein Schatz«, sagte er. Es klang sarkastisch.

Sie spürte Verwirrung. »Bist du böse auf mich?«
»Warum sollte ich böse auf dich sein? Du hast doch nichts an-

gestellt, oder?«

»Nicht dass ich wüsste.«
»Dann kann ich ja auch nicht böse auf dich sein, richtig?«
Marco beobachtete, wie Natalie den Handlauf hinter sich mit

beiden Händen ergriff und – nicht sehr erfolgreich – versuchte, das
Zittern ihrer Glieder zu verbergen. Ihm war klar, dass er sich
gerade wie ein Arschloch benahm, aber er konnte sich einfach nicht
zügeln. Er war tatsächlich böse, und sie war schuld daran. Wenig-
stens war es das, was er sich selbst einredete. Er kam sich gefangen
vor, gefangen in ihrem Griff, den er nicht abschütteln konnte. Den
er nicht abschütteln wollte, verdammt noch mal! Vor dem gestrigen
Tag war er absolut glücklich gewesen. Er war immer in der Lage
gewesen, sie zu überwachen, und er hatte genau gewusst, wann sie
das Penthouse verließ und wohin sie ging. Wenigstens hatte er das
geglaubt.

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Es war nicht so, aber das hatte er nicht gewusst. Und jetzt ver-

langte sie von ihm, dass er ihr vertraute. Ihr vertraute, um Himmels
willen – wo er doch in seinem ganzen Leben noch nie einer Frau
vertraut hatte! Er wusste nicht, wie er das machen sollte. Aber of-
fensichtlich musste er es lernen, und zwar schnell, wenn er wollte,
dass sie bei ihm blieb. Und das wollte er. Also ja, er war ein bis-
schen sauer. Sauer auf sie, weil sie all diese Forderungen stellte,
und sauer auf sich selbst, weil er sie einfach nicht aufgeben konnte.
Er konnte sie nicht gehen lassen. Dabei wusste er genau, wäre sie
irgendeine andere Frau gewesen, hätte er genau das getan, und sie
wäre jetzt verschwunden. Im Handumdrehen.

Aber nicht Natalie. Er war süchtig nach ihr. Vollkommen. Er

wusste es. Und, verdammt noch mal, Natalie wusste es ebenfalls. Er
wusste, dass er ihr sexuell total verfallen war. Es gab keine andere
Erklärung. Er war süchtig nach ihrem Geruch, und die süßen Laute,
die sie von sich gab, wenn er in sie eindrang, entzückten ihn. Und
von ihrem Geschmack war er wie berauscht. Ihre Haut war so
weich, er konnte es fast nicht ertragen. Er wollte sie überall lecken,
und manchmal wollte er auch einfach zubeißen. Aber das durfte er
nicht, wenigstens nicht über einen gewissen Punkt hinaus. Er liebte
es, wenn sich ihre Schenkel voller Verlangen um ihn schlossen. Das
löste in ihm einen gierigen Hunger aus, den er wahrscheinlich nie
stillen konnte.

Sie beäugte ihn vorsichtig, und er spürte, wie er sich etwas ber-

uhigte. Ja, sie war hervorragend gewesen – sie hatte ihm genau das
gegeben, was er gewollt hatte. Und eigentlich war es nicht fair,
seine Laune an ihr auszulassen. »Komm her.«

Sie riss die Augen auf. Glaubte sie etwa, er wollte ihr schon

wieder die Kleider vom Leib reißen? Natürlich hatte er Lust darauf.
Aber nicht jetzt. Jetzt musste er ihr erst einmal etwas beweisen.

Er hoffte nur, er würde damit erfolgreich sein.
Er streckte die Hand nach ihr aus, verlangte schweigend, dass

sie sie nahm. Natalie schaute ihn an, machte einen Schritt auf ihn

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zu und legte ihre Hand in seine. Ihre Finger verflochten sich. Dann
drückte er den Knopf, und der Aufzug fuhr weiter nach unten.

Die Türen öffneten sich, und Natalie erkannte, dass sie sich in

der Tiefgarage befanden. Er zog sie zu seinem Auto und zeigte da-
rauf. »Nun, was hältst du davon?«, fragte er.

Sie runzelte die Stirn. »Von deinem Auto?«
»Nein – von deinem Auto«, verkündete er.
»Von meinem was?«
»Von deinem Auto.«
Natalie spürte nichts als Verwirrung, als sie sich nach dem

grünen Kleinwagen umschaute, den ihr Cousin ihr vor ein paar
Wochen geliehen hatte. »Wo ist es denn?«

»Da steht es doch – direkt neben meinem. Der graue Lexus.«
Natalie erstickte beinahe. »Der graue was?«
Er zog sie zu einem wunderschönen, brandneuen Fahrzeug.

»Der Lexus. Der hier.« Er zog einen Schlüssel aus der Tasche und
drückte auf einen Knopf. Natalie hörte ein gedämpftes doppeltes
Klicken, als sich die Türen automatisch öffneten.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht …«, murmelte sie.
»Was verstehst du nicht?«
Ihre Stimme wurde kräftiger. »Und wie soll mir das beweisen,

dass du mir vertraust? Du hast dir ein zweites Auto gekauft,
garantiert auch mit einem GPS-Sender, und erlaubst mir, damit zu
fahren. Na und?« Sie hatte die sarkastische, bissige Frage gerade
ausgesprochen, als er sich vor ihr aufbaute und wütend auf sie
herabschaute.

»Das ist jetzt deine Freikarte. Ich kann es wirklich nicht leiden,

wenn diese hübschen Lippen mir so sarkastische Worte an den
Kopf werfen. Hast du mich verstanden?«

Sie machte sich steif und betrachtete ihn. »Das ist jetzt einer

dieser Momente, nicht wahr, Marco? Einer dieser Momente, in
denen du ganz du selbst bist, und ich mich durch dich nicht
eingeschüchtert fühlen und keine Angst vor dir haben soll, richtig?

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Seine Hände legten sich auf ihre Oberarme und kneteten ihr

Fleisch. »Das stimmt, mein Schatz. Ich will nicht, dass du Angst
hast – aber du tust, was ich dir sage. Capisce?«

Sie presste die Lippen aufeinander. »Wenn mir kein Sarkas-

mus erlaubt ist, will ich von dir auch keinen erleben.«

Er packte ihre Arme fester. »Magst du jetzt das verdammte

Auto, oder nicht?«

»Es ist sehr hübsch, wenn du das meinst.«
»Das hoffe ich doch, dass es dir gefällt. Es ist nämlich nicht

mein Auto, sondern deines. Ich habe es in deinem Namen gekauft.
Ich werde dir oben den Fahrzeugbrief geben. Und in dem Teil ist
kein verfluchter GPS-Sender!«

Seine Worte schockierten und entzückten sie gleichermaßen.

Sie spürte, dass er die Wahrheit sagte. »Mein Auto? Du hast es für
mich gekauft? Wirklich?«

»Ja.«
»Und ich darf es tatsächlich fahren?«
»Was für eine blöde Frage ist das denn?« Er brüllte beinahe.
»Eine ehrliche.«
»Ja, du darfst es fahren. Aber erst musst du mir ein paar Dinge

versprechen.«

Sie schaute von ihm zum Auto. Plötzlich drängte es sie, sofort

loszufahren. »Und was?«

»Du wirst immer angeschnallt sein und dich an die

Geschwindigkeitsbeschränkungen halten.«

»Natürlich«, stimmte sie zu.
»Du wirst im Auto nicht telefonieren oder ein SMS schreiben.

Und du wirst auch nichts trinken, wenn du fährst.«

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Ich bin doch kein

Idiot!«

Er ignorierte den Einwurf. »Du wirst jeden Abend nach Hause

kommen.«

Natalie bemerkte die Spur Verletzlichkeit hinter der gezischten

Drohung, die er nicht verbergen konnte. Sie versuchte, die

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Einschüchterung nicht zu sehen, nicht die Forderung und auch
nicht die Wut, die in seinem Tonfall lag – sie konzentrierte sich
ganz auf seine Verletzlichkeit. Diese weckte in ihr den unwidersteh-
lichen Wunsch, ihn zu berühren, ihn zu beruhigen. Sie hob ihre
Hand zu dem dunklen Bartschatten, der immer zu sehen war, wenn
er abends nach Hause kam. »Ich werde immer auf Sicherheit acht-
en und …«

Er zog sie grob an sich. »Du wirst allerdings auf Sicherheit

achten!«, unterbrach er sie. »Glaub ja nicht, ich hätte vergessen,
wie wir uns kennengelernt haben. Ich sage nicht, dass du unfähig
bist – aber du bist das Fahren in der Stadt einfach nicht gewohnt.
Das fällt mir jetzt verdammt schwer, Natalie. Es bringt mich fast
um!«

Sie streichelte seine Wange und nahm in sich auf, was er

fühlte. Sie wusste, was für einen großen Schritt es für ihn bedeutete,
auf seinem Weg, ihr zu vertrauen. »Ich weiß. Es ist alles gut. Ich
werde aufpassen. Und ich werde nie weit fahren.«

Sie spürte, wie seine Spannung ein wenig abflaute. Er beugte

sich vor und lehnte seine Stirn gegen ihre. Sie küsste seine Wange
und flüsterte ihm ins Ohr: »Mir wird nichts passieren. Und ich
passe auch gut auf das Auto auf.«

Seine Finger griffen ihr Kinn, zwangen sie, ihn anzusehen. In-

tensive erotische Hitze stand in seinen Augen. »Das Auto ist mir
scheißegal«, sagte er rau. »Du sollst auf dich aufpassen!«

Wie im Flug verging ein Monat. Natalie war mehr als zufrieden. Sie
hatte langsam mit dem Autofahren begonnen, hatte sich erst nur
bis zum Supermarkt vorgewagt, nachdem sie die Pflicht des
Einkaufens übernommen hatte, die für sie keine war. Sie hatte ihre

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Leidenschaft für das Kochen entdeckt und stand gerne vor den Re-
galen mit den Zutaten, um sich inspirieren zu lassen.

Oft fuhr sie auch zur Bibliothek und lieh sich Bücher aus.

Marco hatte ihr zwar inzwischen eine eigene Kreditkarte verschafft,
eine ohne Kreditlimit. Allerdings wollte sie nicht mehr Geld aus-
geben als nötig, und Leihbücher waren nun einmal kostenlos.

Sie kaufte nur dann neue Kleider, wenn er verlangte, dass sie

etwas Besonderes anzog. Was bisher noch nicht sehr oft vorgekom-
men war.

Sie fühlte sich gut. Sie weigerte sich, sich als seine Geliebte zu

betrachten – sie war seine Freundin, und sie lebten zusammen. So
sah es aus.

Ihr Cousin war zurück in der Stadt, und sie hatten sich getrof-

fen. Sie vermisste ihre Mutter, aber sie telefonierte oft mit ihr.
Dabei hatte Natalie den Eindruck gewonnen, dass ihre Mutter lang-
sam, aber sicher zur Vernunft kam. Sie konnte es ihrer Stimme an-
hören, wie desillusioniert sie war. Es tat weh, das zu hören, aber es
gab nichts, das Natalie dagegen tun konnte. Sie wollten sich treffen.
Natalie brauchte es, endlich wieder einmal von ihrer Mutter in den
Arm genommen zu werden, und sie wusste, dass ihre Mutter diese
Umarmung noch dringender brauchte als sie. Allerdings arbeitete
ihre Mutter den ganzen Tag, und es war nicht einfach, ein Wochen-
ende zu finden, an dem sie beide Zeit hatten. Nur musste es bald
sein, denn sie vermissten sich viel zu sehr, um noch lang ohne ein-
ander auszukommen.

Natalie liebte die neue Einrichtung der Wohnung und hatte

damit begonnen, dieser ihre ganz eigene Note zu verleihen. Sie
kaufte das eine oder andere, stellte manches um, und ganz allge-
mein verhielt sie sich so, als ob es ihr Zuhause wäre. Das half, al-
lerdings nicht genug.

Was aber wirklich half, das waren Marcos Reaktionen auf die

kleinen Veränderungen, die sie vornahm. Er schaute sich um und
bemerkte etwas. Er kommentierte das nie, aber sein Gesicht zeigte
immer eine sichtbare Befriedigung.

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Er wollte sie dort, in dieser Wohnung. Das wusste sie. Und

jedes Mal, wenn sie seinen zufriedenen Blick sah, genoss sie ihn. So
sehr, dass sie sich manchmal dabei ertappte, einfach nur deshalb
einkaufen zu gehen, um abends wieder diesen Ausdruck sehen zu
können. Das beruhigte sie und zeigte ihr, wie tief seine Gefühle für
sie waren.

Es bestand kein Zweifel – sie war in ihn verliebt. Jeden Tag be-

merkte sie eine neue Nuance seiner Persönlichkeit. Sie lernte, sein
Mienenspiel zu interpretieren, seine Körpersprache und seine
Gesten zu deuten. Langsam konnte sie voraussehen, wie er auf
Dinge reagieren würde – und was er dachte, bevor er reagierte.

Auch seine Gefühle für sie vertieften sich, und sie hoffte, dass

diese Entwicklung anhielt. Allerdings sprach er niemals über die
Zukunft und ganz sicher teilte er nie seine Gefühle mit ihr. Wenig-
stens nicht in Worten. Es gab lediglich Andeutungen, Hinweise, die
sie ihren Gesprächen entnahm.

Amüsiert erinnerte sie sich daran, wie er einmal gesagt hatte,

dass er solche normalen, alltäglichen Dinge nicht brauchte, so et-
was wie gemeinsam einen Film anzuschauen. Jetzt allerdings
entspannte er sich oft dabei, wenn er auf der Couch lag und mit ihr
einen Film sah, den sie sich ausgeliehen hatten. Allerdings musste
sie dabei immer ganz dicht neben ihm liegen.

Ein Schauer der Lust lief durch sie hindurch. Es erregte sie,

daran zu denken, wie er ihr Gesicht mit seinen Händen umrahmte,
wenn sie sich liebten, seine Augen tief in ihren versunken. Er er-
laubte es nicht, dass sie die Verbindung zwischen ihnen unterbrach,
während er sie beide mit seinen Stößen zum Orgasmus brachte.

Dass sie sich auf diese Weise liebten, kam allerdings immer

erst danach. Nachdem er nach Hause gekommen und sofort über
sie herfallen war, ganz gleich, wo sie sich gerade befand. Normaler-
weise passierte es wirklich in dem Augenblick, in dem er in die
Wohnung kam. Er suchte sie, zerrte sie zur nächsten Wand oder
Kommode und fickte sie. Anders konnte man es wirklich nicht
nennen. Sie konnte ihn dabei nie aufhalten, nicht einmal, wenn sie

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es gewollt hätte. Es kam ihr vor, als sei er auf einer Mission, die ihm
kein Denken an irgendetwas anderes erlaubte. Und diese Mission
bestand darin, ihr das Höschen auszuziehen. Ihre andere Kleidung
spielte in diesen Augenblicken keine Rolle. Manchmal blieb sie an-
gezogen, manchmal nicht. Aber immer, wenn er ihr das Höschen
herabzog und ihre Schenkel auseinanderdrückte, um sie zu
erobern, bebten seine Nasenflügel, und in seinem Gesicht zeigte
sich eine harte Befriedigung, die nicht nur sexuell war.

Er sorgte immer dafür, dass sie einen Höhepunkt hatte. Er war

schnell und wild, aber er achtete darauf, dass sie vor ihm oder
gleichzeitig mit ihm kam.

Ja, es war keine Frage – sie war bisher mehr als zufrieden mit

ihrer Beziehung. Sie war vierundzwanzig Jahre alt. Eines Tages
wollte sie einen Ehemann und Kinder haben. Sie wusste in ihrem
Herzen, dass sie diese Dinge mit ihm wollte. Für den Augenblick al-
lerdings reichte ihr der greifbare – und der nicht greifbare – Be-
weis, dass sie ihm etwas bedeutete und dass ihre Beziehung sich in
die richtige Richtung bewegte.

Es war schon fast Mittag. Marco hatte Hunger. Es war ein Dienstag,
und dienstags ging Joy immer zum Imbiss und brachte ihnen
beiden etwas zu essen mit, das sie dann direkt am Schreibtisch ver-
tilgen konnten. Sie fragte ihn schon lang nicht mehr, was er haben
wollte. Das lag daran, dass es ihm immer völlig egal war, was er aß.
Meistens hatte er nur etwas geknurrt. Er wusste das, weil sie sich
mehrfach darüber beschwert hatte.

Er hörte das leichte Klopfen an seiner Tür und legte den Stift

beiseite. Joy kam herein, mit einem merkwürdigen Gesichtsaus-
druck, den er nicht deuten konnte. »Natalie ist hier – sie will dich

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sehen.« Sie sprach zögernd, fast katzbuckelnd. Ihm wurde bewusst,
dass sie erwartet hatte, dass er sauer sein würde. Sie wusste ja, wie
sehr er es hasste, wenn ihn die Frauen, mit denen er sich traf, im
Büro aufsuchten.

Das war allerdings ganz und gar nicht das Gefühl, das ihn jetzt

sofort durchströmte. »Warum lässt du sie denn warten?«

Joy schaute ihn mit großen Augen an. Dann öffnete sie die Tür

und ließ Natalie herein.

Natalie bedankte sich bei Joy. Währenddessen verschlang

Marco sie mit den Augen.

»Kein Problem«, antwortete Joy. »Es ist schön, Sie endlich

einmal kennenzulernen.« Zu Marco gewandt fragte sie: »Brauchst
du wie üblich etwas zu essen?«

»Ich weiß es nicht. Brauche ich?«
»Ich bin nur auf einen Sprung vorbeigekommen, wenn du

mich fragst«, antwortete Natalie.

»Dann brauche ich wohl etwas zu essen, ja.«
»Ich bin in zwanzig Minuten zurück«, erwiderte Joy und

schloss die Tür hinter sich.

Marco lehnte sich zurück und beobachtete Natalie schweigend.

Sie trippelte unruhig von einem Fuß auf den anderen und wagte es
nicht, ihm in die Augen zu blicken. Sie war nervös.

Und verdammt – ihre Nervosität machte auch ihn nervös.
Warum war sie hier? Warum war sie nervös? Er musste

zugeben, dass er zunächst heißes Verlangen und pure Begeisterung
verspürt hatte, als er sie in der Tür sah. Aber jetzt fühlte er etwas
ganz anderes. Kalter Schweiß brach ihm aus. Hier aufzutauchen lag
so weit außerhalb von Natalies üblicher Routine, dass ihn nicht
überraschte, was es in ihm auslöste: Panik.

Er zwang den Kloß, den er im Hals hatte, nach unten und ver-

suchte, sich zusammenzureißen. Seine Augen verengten sich. »Was
ist los?«, fragte er so ruhig, wie er nur konnte.

Sie leckte sich die Lippen und schaute ihm endlich ins Gesicht.

»Nichts. Ich wollte nur mit dir sprechen, und dabei ist mir

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aufgefallen, dass ich deine Bank noch nie gesehen habe. Deshalb …
hier bin ich.«

»Allerdings – hier bist du.«
»Also …« Sie stieß die Luft aus und schaute sich in seinem

Büro um.

»Was ist es, das du mir sagen musst?«
Sie atmete tief ein. »Nur, dass ich heute Abend später nach

Hause komme.«

»Warum?« Es war fast ein Knurren, das er von sich gab – auch

wenn ihm innerlich vor Erleichterung schwindelig war. Sie kam
also nach Hause.

Sie beantwortete seine Frage nicht sofort. »Im Tontopf ist ein

Braten mit Kartoffeln. Das wird alles fertig sein, wenn du
heimkommst. Die Küche kannst du einfach so lassen, ich räume
dann nachher auf.«

»Und wohin gehst du?«
»Ich treffe mich mit meiner Mutter.«
Seine Muskeln spannten sich an. »In dem Haus, in dem der

Pädophile lebt?«

»Ich bin erwachsen, Marco. Er ist kein Pädophiler. Wenigstens

glaube ich nicht, dass er das ist.«

»Das wird nicht passieren, Süße. Du gehst nirgendwohin, wo

du in Gefahr bist.«

»Du hast recht – ich fahre nicht nach Vidor. Meine Mutter hat

sich einen Tag frei genommen, und wir treffen uns in Beaumont, in
einem sehr großen, sehr öffentlichen Restaurant.«

»Und er wird nicht da sein?«
»Nein. Sonst würde ich nicht fahren. Ich habe ihr gesagt, dass

ich einfach einen Frauentag mit ihr brauche, nur wir beide. Wir ge-
hen zu Mittag essen und dann einkaufen. Ich habe sie nicht mehr
gesehen, seit ich von Vidor weggegangen bin. Das ist jetzt schon
fast zwei Monate her.«

Er nahm den Stift auf und klopfte damit aufgeregt auf den

Tisch. »Das gefällt mir nicht.«

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»Mir ist klar, dass dir das nicht gefällt. Deshalb bin ich hier,

um es dir persönlich zu sagen. Aber das ist einer dieser Augen-
blicke, Marco.«

Er presste die Lippen zusammen und hob fragend die

Augenbrauen.

»Einer dieser Augenblicke«, fuhr sie fort, »in denen du mir

einfach vertrauen musst.«

Er biss die Zähne so fest zusammen, dass es schmerzte. »Of-

fensichtlich, ja.«

Sie entspannte sich ein wenig. Er stand auf und ging zur Tür,

schloss sie ab. Im nächsten Augenblick griff er nach Natalie. Sie at-
mete scharf ein und starrte ihn an. »Ich brauche eine gewisse Rück-
versicherung, bevor ich dich gehen lasse.« Sein Griff wurde fester.
»Fällt dir irgendwas ein, womit du dafür sorgen kannst, dass ich
mich besser fühle?«

Seine Berührung machte Natalie sprachlos. Seine dunklen, di-

abolischen Worte brachten ihre Nervenenden zum Prickeln. Er
wollte sie jetzt? Hier? In der Bank?
Schon die Vorstellung schickte
ihr eine wilde, lüsterne Hitze den Rücken herunter. Ganz unbe-
wusst lehnte sie sich in seine Richtung.

Er nahm sie bei den Hüften und zog sie an sich. »Eine gute

Idee, Süße – genau das meinte ich.« Er neigte den Kopf, und dann
küsste er sie, hart, leidenschaftlich, erkundete sie, beherrschte sie.
Sie spürte, wie ihr Gehirn sich von ihrem Körper löste, und sie gab
ihm, was er wollte. Unter seinen Händen, in seinem festen Griff
wurde sie ganz weich und nachgiebig.

Hart presste sein Mund sich auf ihren, knabberte leicht an

ihren Lippen und nahm sie erneut mit seiner Zunge in Besitz. Er
ahmte dabei genau die Bewegung nach, mit der er sie auch mit
einem anderen Körperteil erobern wollte.

Sie klammerte sich an seine Schultern, als er sie hochhob und

rückwärts ging, mit ihr in seinen Armen. Ihr Po landete auf seinem
riesigen Schreibtisch aus Mahagoni, und er drängte sich zwischen
ihre geöffneten Schenkel.

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Er verlor keine Zeit, sondern schob ihr gleich den luftigen,

geblümten Rock bis zur Taille hoch, zerrte ihr Höschen nach unten,
und dann öffnete er seinen Reißverschluss und versenkte seine
Erektion tief in ihr, mit einem einzigen festen Stoß.

Zwei Dinge trafen Natalie gleichzeitig. Das eine war Lust, in-

tensiv, nicht zu leugnen – und das andere die Erkenntnis, dass sie
gerade Sex ohne Kondom hatten. Es war das erste Mal, dass er den
Schutz vergessen hatte. Sie war sich ziemlich sicher, dass er es nicht
einmal bemerkt hatte. Sie musste ihn aufhalten, musste es ihm
sagen, aber sie konnte kaum atmen, geschweige denn sprechen.
Diese Situation war völlig anders als das, was sie erwartet hatte, als
sie vor weniger als einer Stunde das Penthouse verlassen hatte.

Er streichelte sie, und sie spürte, wie ihr Höhepunkt sich auf-

baute. Sie musste dafür sorgen, dass er aufhörte. Allerdings brachte
sie nur ein einziges Wort heraus: »Stopp!«

Er reagierte nicht.
»Marco, stopp!«, wiederholte sie.
Er hob den Kopf von ihrer Schulter. Natalie konnte sehen,

welche Anstrengung es ihn kostete, auch nur langsamer vorzuge-
hen. Schweiß lief ihm über das Gesicht. »Warum?«, keuchte er.

Wieder brachte sie nur ein Wort heraus. »Kondom.«
Er versuchte, still zu halten, doch wie von selbst bewegten sich

seine Hüften weiter. »Ich kann nicht aufhören.«

Dieses Geständnis, dass er keine Kontrolle mehr hatte, trug

Natalie über die Schwelle. Sie stöhnte laut und schlang die Arme
um seinen Nacken, als sie kam.

Er folgte ihr schnell. Als sie spürte, wie sich sein Samen heiß in

sie ergoss, verstärkte sich das Beben noch, das durch ihren Körper
lief.

Sie atmete tief ein und aus, versuchte, ihren Puls zu beruhigen,

der das Blut rasend schnell durch sie hindurchpumpte, und klam-
merte sich an Marco, als er über ihr in sich zusammensackte.

Ihre Herzen klopften im gleichen Takt. Langsam richtete

Marco sich auf, stand über sie gebeugt und schaute auf sie herab,

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mit einem intensiven Blick. Natalie wusste nicht, was sie von ihm
erwartete. Vielleicht eine Entschuldigung, vielleicht Anweisungen,
was sie jetzt zu tun hatte, um die Sache wieder in Ordnung zu brin-
gen, die sie hatten geschehen lassen. Aber er sagte etwas ganz an-
deres: »Verdammt, war das gut! Unglaublich, wahnsinnig gut! So
will ich es in Zukunft immer haben!«

Sie schluckte hart. »Das ist zu gefährlich«, wandte sie ein.
»Wieso? Wir vertrauen einander doch.«
»Ich könnte schwanger werden, Marco.« Sie versuchte, dabei

nicht so zu klingen, als ob sie einem Vierjährigen etwas erklärte.

»Dann musst du die Pille nehmen.«
»Einfach so?«
»Ja, einfach so.«
»Das kann ich noch nicht.«
»Wieso nicht?«
»Weil … weil ich jetzt schwanger sein könnte. Ich muss warten,

bis ich meine Tage habe. Es sei denn, du willst, dass ich jetzt etwas
nehme. Sozusagen Plan B.«

»Plan B?«
»Die Pille danach.«
Ein Schatten fiel über sein Gesicht. »Ist das nicht so etwas wie

eine Abtreibung?«

»Nicht ganz. Oder vielleicht doch. Ich weiß es nicht.«
Sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich noch mehr. »Die Vor-

stellung gefällt mir ganz und gar nicht, Natalie!«

Sie stieß den Atem aus, den sie angehalten hatte. »Mir auch

nicht.«

»Okay – dann warten wir einfach ab. Und wenn du deine Tage

hast, gehst du zum Arzt und lässt dir etwas verschreiben.«

Natalie beobachtete ihn. Er löste sich von ihr und brachte

seine Kleidung in Ordnung. Weder das Wort »schwanger« noch das
Wort »Baby« hatte er in den Mund genommen. Er hatte beide
Worte eindeutig vermieden. Sie hatte ein ungutes Gefühl im

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Magen, wie von einem zu schnell anfahrenden Aufzug. Allerdings
waren sie im Grunde beide einer Meinung. »Okay.«

Er streckte ihr die Hand hin und führte sie in sein privates

Badezimmer, wo sie sich säubern konnte. »Wir sehen uns dann
später«, sagte sie, als sie in sein Büro zurückkam.

»Ich bringe dich nach unten.«
»Okay.«
Sie nahm ihre Handtasche vom Boden auf. Sie war herabge-

fallen, als er Natalie hochgehoben hatte. Er hielt ihre Hand, beg-
leitete sie zum Aufzug und dann hinunter, in die eigentliche Bank.
Sie bemerkte, wie ein paar weibliche Bankangestellte sie verstohlen
beobachteten, während sie weiterarbeiteten.

Marco wollte sich gerade zu ihr herabbeugen, um sie zu verab-

schieden, als ein Mann sie unterbrach, über dessen Anblick sie
beide alles andere als begeistert waren. Aus einem Büro kam
Mathew Kennedy und sprach sie auf eine joviale Art an, die ausge-
sprochen unangenehm war. Dieser Typ kapierte es einfach nicht. Er
verstand nicht, dass Marco ihn verabscheute. Für Natalie hingegen
war es offensichtlich.

»Wo habt ihr beiden euch denn versteckt?« Er richtete die

Frage an Marco, und Natalie hatte das Gefühl, dass Insekten über
ihre Haut krochen, als er sie dabei von Kopf bis Fuß begutachtete.

»Wir haben uns nicht versteckt, Kennedy.« Mit diesen Worten

stellte Marco sich direkt vor sie, nahm sie so aus Kennedys Blick-
feld. Hinter seinem Rücken hielt er noch immer fest ihre Hand.
Was er damit bezweckte, musste für jeden anderen klar erkennbar
sein. So schlau schien Kennedy allerdings nicht zu sein.

»Nein? Nun, falls ihr zwei euch zu Hause irgendwann einmal

langweilt, könnt ihr euch ja wieder den Lebenden anschließen. Ihr
habt schon ein paar verdammt gute Partys verpasst.«

Natalie spürte, wie Marco seine Lungen mit Luft füllte und

seine Schultern sich vor Anspannung und purer Wut versteiften.
Sie beobachtete, wie sich die Haare in seinem Nacken tatsächlich
aufstellten. Sie hatte nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie ließ zu,

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dass er in seiner eigenen Bank etwas wirklich Dummes anstellte,
wie zum Beispiel über diesen Kerl herzufallen, oder sie unterbrach
das Gespräch und lenkte Marcos Aufmerksamkeit von dem Ungez-
iefer ab, das vor ihnen stand.

Sie zögerte nicht. Sie trat neben Marco. »Es ist nett, Sie zu tref-

fen, Herr Kennedy«, sagte sie zuckersüß, »aber Marco hat ver-
sprochen, mich zu meinem Auto zu bringen. Nicht wahr, mein
Schatz?« Mit blitzenden Augen blickte sie von Marco zu dem ander-
en Mann. Sie wusste, sie klang eitel und verwöhnt, aber das küm-
merte sie einen feuchten Kehricht. Kennedy war ein Arschloch, und
wenn er sie anschaute, gefiel ihr das noch weniger als Marco. Oder
vielleicht auch nicht. »Marco passt immer auf mich auf, wissen
Sie?« Mit einem anbetenden Blick schaute sie zu Marco auf. »Er
schützt mich vor … nun, vor allem. Nett, Sie getroffen zu haben.«

Mit diesen Worten marschierte Natalie davon, Marcos Hand

fest in ihrer. Einen kurzen Augenblick lang hatte sie die Befürch-
tung, ihr Trick könnte misslungen sein, doch dann warf Marco
Kennedy einen knappen Blick zu, der ihm versprach, sie würden
sich ein anderes Mal wiedertreffen, und er folgte ihr hinaus.

Als sie am Auto waren, sah sie Mathew Kennedy die Bank

durch eine andere Tür verlassen. Sie atmete erleichtert auf. Marco
öffnete ihr die Fahrertür, bevor sie es tun konnte. Sie glitt hinein
und schaute zu ihm auf. Sein Körper bildete mit der Wagentür ein-
en Käfig um sie herum. Er starrte sie an, als ob er sie noch nie zuvor
gesehen hätte.

Ruhig erwiderte sie seinen Blick und wartete.
Seine Augen verengten sich. »Mein Schatz?«, wiederholte er

spöttisch.

Ihre Augen funkelten. Sie lächelte ihn an. »Es hat doch funk-

tioniert, oder?«

Er lachte und schüttelte den Kopf. »Pass nur gut auf dich auf!

Hast du diesmal dein verdammtes Handy dabei?«

»Ja.«
»Bist du sicher?«

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»Ja, mein Schatz«, neckte sie ihn.
Er verdrehte die Augen zum Himmel und schloss die Tür.

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Kapitel 10

Acht Monate später

Natalie suchte Zuflucht im Badezimmer im oberen Stockwerk der
Villa in River Oaks. Verzweifelt versuchte sie, das Zittern ihrer
Finger zu kontrollieren, damit sie Lipgloss auflegen konnte.

Sie betrachtete sich im Spiegel und stellte fest, dass ihr innerer

Aufruhr hinter einer Fassade aus weichem, seidigem Haar, einem
eleganten Designerkleid und perfektem Make-up gut verborgen
war, dem nur noch etwas Glanz auf den Lippen fehlte.

Die Tür öffnete sich, ohne Anklopfen, ohne Vorwarnung. Sie

fuhr herum, denn sie hätte schwören können, dass sie
abgeschlossen hatte. Ihr stockte der Atem, als Marco hereinkam
und sofort das erledigte, was sie zuvor versäumt hatte, nämlich das
Abschließen. Dann stellte er sich hinter sie, drängte sie nach vorn,
bis sie fast am Spiegel lehnte. Ihre Haut kribbelten. Sein Körper,
der sich gegen ihren presste, erregte sie so sehr, dass sie vor Ner-
vosität den Lipgloss fallen ließ. Die kleine Tube rollte ins
Waschbecken.

Im Spiegel trafen sich ihre Augen. Der Ausdruck seines

Gesichts ließ ihr Herz stolpern und hämmern.

Er überragte sie, und die Muskeln unter seinem Designeranzug

waren angespannt. In seinen Augen stand Wut, und seine Lippen
waren schmal über den zusammengebissenen Zähnen.

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Sie kämpfte darum, ihre Mimik unter Kontrolle zu bekommen.

Sie wollte verdammt sein, bevor sie ihm zeigte, wie verletzt sie sich
fühlte. Sie weigerte sich, die Verantwortung für die Szene zu
übernehmen, die sich gerade abgespielt hatte. Sie hatte sich nichts
zuschulden kommen lassen.

Sie öffnete den Mund, um ihm genau das zu sagen.
Doch noch bevor sie ein Wort herausbringen konnte, ver-

schloss er ihr den Mund mit der Hand. Sein Griff, mit dem er ihre
Worte unterdrückte, war so grob, dass ihre Augen sich panisch
weiteten und ihre Nasenflügel bebten.

Er legte den Mund an ihr Ohr und schaute ihr weiter direkt in

die Augen. »Ich habe dir gesagt, du solltest dieses Kleid nicht an-
ziehen«, zischte er. Die andere Hand griff nun auch zu und legte
sich um ihre Brust. Zwischen Daumen und Zeigefinger fing er ihren
Nippel ein, so fest, dass es schmerzhaft war, und zeigte damit, dass
sie sein Eigentum war, dass er sie kontrollierte.

Natalie atmete tief durch die Nase ein und verschloss die Au-

gen vor ihm und dem erotischen Bild, das sie im Spiegel abgaben.

»Ich habe dir gesagt, wie Kennedy reagieren wird, wenn er

dich in diesem gottverdammten Kleid sieht. Der Wichser kann
seine verfluchten Augen einfach nicht von dir lassen.« Er schob ihr
seine Hand in den Ausschnitt und umfasste ihre Brust besitzergre-
ifend unter ihrem mit Spitzen besetzten BH. »Ich kann es nicht
glauben, dass ich dir erlaubt habe, das verdammte Ding zu kaufen.
Sobald wir nach Hause kommen, werde ich es verbrennen!«

Natalie hielt die Augen geschlossen und versuchte, sich nicht

von der intimen Berührung ablenken zu lassen. Es war ein Kampf,
den sie kaum gewinnen konnte. Genauso war es seit dem Tag
gewesen, an dem sie sich das erste Mal begegnet waren, und sie
fürchtete sehr, es würde auch bis zu dem Tag so bleiben, an dem sie
starb.

»Mach die Augen auf!«, knurrte er ihr ins Ohr.
Sie gehorchte ihm wohl nicht schnell genug. Seine Hand

rutschte von ihrem Mund herab auf ihren Hals, wo ihr Puls wie

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wild schlug, in einer ebenso sinnlichen wie bedrohlichen Bewegung.
Der fordernde Griff ließ ihre Augenlider nach oben fliegen. Ihr Blick
verfing sich in seinem. Er liebkoste Hals und Brust besitzergre-
ifend. Sie leckte sich die trockenen Lippen und versuchte, ihre
Kehle dazu zu bewegen, zu funktionieren. »Es liegt nicht an dem
Kleid«, widersprach sie leise.

»Nein, es ist allerdings nicht das Kleid. Du bist es! Dieser

Wichser will dich haben, und er denkt, er schafft das!«

»Er will mich nur, weil du mich hast. Es geht nur um dich,

Marco. Mit mir hat das überhaupt nichts zu tun.«

Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Das ist Blödsinn,

Natalie. Er ist schon seit zehn gottverdammten Monaten hinter dir
her – und ich habe die Schnauze voll davon.«

»Er ist eifersüchtig auf dich. Du siehst gut aus, und du hast

mehr Geld als er. Das macht ihn wahnsinnig, und das ist der einzige
Grund, warum er mich überhaupt auch nur wahrnimmt.«

Mit einer glatten Bewegung drehte er sie in seiner Umarmung

um, schloss einen Arm um ihre Mitte, zog sie hoch und an sich und
hob ihr Gesicht an, um sie genau zu betrachten. »Glaubst du das
wirklich?«

»Ja, das tue ich. Er ist kein sehr netter Mann.«
»Tanya hat er nie gewollt – und er hat mich jahrelang mit ihr

gesehen.«

Schmerz durchschnitt Natalie. Sie wollte an Tanya nicht erin-

nert werden. An die Frau zu denken, die vor ihr mit Marco zusam-
men gewesen war, erschütterte immer ihr eigenes Fundament. Es
war die Frau, die so lang seine Freundin gewesen war – und es doch
nicht geschafft hatte, dass er sie heiratete. Es schuf ein hohles Ge-
fühl in Natalie, so, als ob ihr eigener Traum von einem Happy End
mit dem Mann, den sie liebte, nur in Verzweiflung enden könnte.

Sie bemühte sich, den Gedanken an die andere Frau beiseite zu

drängen und sich auf das Gespräch zu konzentrieren. »Ich kann dir
nicht erklären, was in seinem Kopf vorgeht. Tanya ist schön.« Der
Schmerz verstärkte sich, als sie diese Worte aussprach.

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»Tanya ist eine schöne Schlampe«, erwiderte Marco

gleichgültig, ohne eine Spur von Gefühl. »Er will dich, Natalie.«

Er lockerte den Griff um ihre Taille und nahm sie bei der

Hand, bereit, sie aus dem Raum zu führen. »Und wir gehen jetzt.
Ich kann unmöglich das ganze Abendessen lang so tun, als sei ich
nicht angepisst.«

Sie zog an seinem Arm. »Wir können nicht einfach gehen.«
»Und ob wir das können!«
»Marco, wir können nicht so unhöflich sein. Es würde dir

geschäftlich schaden.«

»Noch mehr würde es meinem Geschäft schaden, wenn ich im

Gefängnis sitze, weil ich Kennedy umgebracht habe.«

»Bitte sag nichts, was du nachher bedauern wirst. Denk daran

– er ist verheiratet.«

»Und du glaubst, das könnte ihn aufhalten?«
»Ich denke, dass seine Frau ihn aufhalten wird. Ich weiß, dass

sie ziemlich …« – Natalie fiel nicht sofort ein geeignetes Wort ein,
mit dem man Nora Kennedy beschreiben konnte – »oberflächlich
ist und selbst gerne flirtet. Aber ich glaube, sie würde sich sofort
von ihm scheiden lassen, wenn er sie vor anderen Leuten
demütigt.«

Überrascht schaute Marco sie an. Nora Kennedy scherte sich

um niemand anderen als um sich selbst. Das Einzige, was ihr etwas
bedeutete, waren Geld und ihre eigene Befriedigung. Wie konnte es
sein, dass Natalie das nicht sah?

Sie erstaunte ihn immer wieder. Dabei hatte er doch seit dem

ersten Augenblick gewusst, dass sie süß und unschuldig war. Und
das wollte er um Himmels willen nicht zerstören. Er wollte ihre
Reinheit und Güte nicht einmal durch eine Erklärung über die
Kennedys vergiften. Aber auch ohne eine solche Erklärung hatte sie
bereits Fragen – und zwar solche, die er nie beantworten wollte.

Er wusste, dass es Natalie ziemlich mitgenommen hatte, als

Nora ihn in eine Ecke des Wohnzimmers gedrängt und wie wild mit
ihm geflirtet hatte. Über den Raum hinweg hatte er den Schmerz in

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Natalies Augen gesehen. Was sie allerdings nicht wusste war, dass
er nicht einmal ein Zehntel von dem ganzen Quatsch aufgenommen
hatte, den Nora von sich gab. Es hatte vielleicht so ausgesehen, als
ob er der anderen Frau seine Aufmerksamkeit schenkte, aber das
lag nur daran, dass er wie erstarrt gewesen war. Eiskalt floss es
durch seine Adern. Er ignorierte Nora, denn seine Aufmerksamkeit
konzentrierte sich auf Mathew Kennedy, der sofort auf Natalie
zugestürzt war. Und als er sie erreichte, hatte er sie tatsächlich
berührt!

Er hatte sie berührt. Er hatte Natalie berührt.
Das war der Augenblick, in dem der Trubel losbrach. Er hatte

sich ruppig von Nora abgewandt. Gleichzeitig hatte Natalie
Kennedy ihren Arm entrissen und war nach oben gerannt. Marco
hatte dem anderen Mann einen vernichtenden Blick zugeworfen,
aber er hatte an diesen Kerl keine Zeit verschwenden wollen und
war stattdessen Natalie nach oben gefolgt. Sie war schließlich seine
oberste Priorität, und das würde sie auch immer sein.

Und jetzt war es ihm scheißegal, wie sie aus diesem Schlamas-

sel herauskamen. Er wollte einfach nur nach Hause und sie nackt
sehen.

So war es jedes Mal. Jedes Mal, wenn irgendein Typ sie an-

machte. Er wollte dann zwei Dinge. Den Kerl umbringen. Und
Natalie ficken.

Allerdings konnte er wirklich nicht jeden umbringen, der

Natalie begehrlich anschaute. Sonst wäre die männliche Bevölker-
ung von Houston inzwischen schon gewaltig dezimiert. Aber er
konnte sie jedes Mal nehmen. Und genau das tat er auch. Es war
beinahe die rasende Wut wert, die durch seine Eingeweide tobte,
wenn ein anderer sie ansah.

An diesem Abend allerdings hatte jemand sie angefasst. Je-

mand hatte die gottverdammte Frechheit besessen, sie anzufassen.

Er schwor bei Gott, wenn das noch einmal geschah, würde

Mathew Kennedy die Konsequenzen zu spüren bekommen. Und

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zwar dort, wo es ihm am meisten wehtat – bei seinem Geschäft, auf
seinem Bankkonto.

Marco zog das Handy aus der Tasche. »Bringen Sie das Auto

an den Eingang. Wir fahren früher nach Hause als geplant.«

Jetzt musste er Natalie nur noch aus dem Haus herausbringen,

weit weg von der perversen Gesellschaft der Kennedys.

Wenn er vorher gewusst hätte, dass das andere Paar hier sein

würde, hätte er eine Ausrede erfunden, um nicht herkommen zu
müssen.

Er hasste es. Es machte ihn fuchsteufelswild. Der einzige Ort,

wo Marcos früheres Leben und seine geschäftliche Welt zusammen-
trafen, waren die verfluchten Kennedys. Bevor er mit Tanya all die
ausschweifenden Partys besucht hatte, war er dem anderen Paar
noch nie zuvor begegnet. Er hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ah-
nung gehabt, dass sie Kunden seiner Bank waren. Die eine gute
Sache an der geschäftlichen Verbindung war allerdings, dass er sie
genau dort jederzeit treffen konnte, wenn er wollte. Sie hatten keine
großen Einlagen bei ihm – oh nein. Es war das genaue Gegenteil.
Sie hatten Schulden. Hohe Schulden. Hässliche Schulden.

Als er die Treppe herunterging, war er sich sehr wohl bewusst,

wie Natalie neben ihm zitterte. Er nahm ihren Ellbogen und bot ihr
damit genau die Nähe, die sie brauchte. Diese Nähe war auch für
ihn bitter nötig, um die Gluthitze der Wut zu kühlen, von der er
wusste, dass sie sich noch verstärken würde, wenn er den anderen
Mann noch einmal zu Gesicht bekäme.

Vielleicht konnten sie ja ohne weiteren Kontakt mit den

Kennedys entkommen.

Doch dieses Glück hatten sie nicht.
Mathew Kennedy wartete auf sie, ganz in der Nähe der Treppe.

Sein Glas mit Bourbon war fast leer, und seine Frau war nirgendwo
zu sehen. Sofort versuchte er, die Dinge wieder in Ordnung zu brin-
gen. »Marco, Junge – komm, ich besorge dir noch etwas zu trinken
und dann …«

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Marco war nicht in der Stimmung, diesem Mist zuzuhören.

»Nein«, fiel er ihm ins Wort und zog Natalie in Richtung Tür.

»Ihr müsst doch nicht schon so früh gehen?«
»Und ob wir das müssen! Ich hatte dich gewarnt, dich von ihr

fernzuhalten. Nie hätte ich vermutet, dass du dumm genug bist, sie
noch einmal anzufassen.« Seine Worte waren barsch. Er fühlte, wie
sich Natalie neben ihm versteifte, und verstärkte seinen Griff an
ihrem Arm.

Kennedy nahm einen tiefen Atemzug. Offensichtlich hatte er

endlich gemerkt, wie sauer Marco war. Er blickte zu Natalie. »Du
sollst sie nicht anschauen!«, zischte Marco.

Rasch sah der ältere Mann wieder Marco an, der keine Zeit

versäumte. »Das ist deine letzte Warnung«, schoss er seinen Pfeil
ab. »Ich brauche deine gottverdammten Geschäfte nicht. Wenn du
sie das nächste Mal anfasst, mit ihr sprichst oder auch nur in ihre
Richtung blickst, kündige ich deine Kredite. Und wenn du glaubst,
dass du deine Frau schon jetzt kaum zufriedenstellen kannst – ver-
such es mal ohne Geld und wenn ihr in der Gosse leben müsst.«

Dann zog Marco Natalie hinter sich her, zur Haustür hinaus

und zu dem schwarzen Audi, der davor wartete. Er ließ Mathew
Kennedy einfach stehen, der nach Luft schnappte wie ein Fisch auf
dem Trockenen.

Marco trank nicht oft Alkohol, aber diesmal begab er sich sofort
zum Barschrank und goss sich einen Bourbon ein, ohne Wasser
oder Eis. Er schüttete ihn in sich hinein und nahm sich einen weit-
eren. Dann ging er zur Couch und ließ sich darauf sinken, beo-
bachtete Natalie, die noch immer in der Tür stand.

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»Ich werde dieses gottverdammte Kleid verbrennen!«, fluchte

er.

»Nein, das wirst du nicht«, erwiderte sie, ohne sich vom Fleck

zu rühren.

Nein, das würde er in der Tat nicht. Sie sah einfach zu heiß aus

in diesem Kleid. Vielleicht sollte sie es besser behalten – und es in
der Wohnung tragen, nur für ihn.

»Setz dich.« Er deutete mit der Hand, in der er das Glas hielt,

auf den Sessel ihm gegenüber, wo er sie sehen konnte, aber nicht in
Versuchung geriet, ihr die Kleidung vom Leib zu reißen.

Sie setzte sich, glättete dabei ihr Kleid. Er beobachtete die

nervösen Bewegungen ihrer Finger, sah, wie sie tief ein- und ausat-
mete. Er wollte … alles von ihr. Es war ein brennendes Verlangen,
das ihn erfüllte, sie bei sich zu behalten, sie nur für sich zu haben.
Ob es wohl irgendetwas auf der Welt gab, das ihn beruhigen kon-
nte, wenn es um sie ging?

Ihm fiel nur eine einzige Sache ein. Und selbst von der wusste

er nicht, ob sie ausreichen würde.

Langsam begann er zu sprechen. Fast ein Jahr lebte er nun

schon mit ihr zusammen, und vor ein paar Monaten hatte er end-
lich angefangen, längere Gespräche mit ihr zu führen. »Ich weiß,
dass du noch immer darunter leidest, dass dein Vater dich und
deine Mutter verlassen hat.«

Sie sah ihm in die Augen, doch er spürte, dass sie keine Ah-

nung hatte, worauf er hinauswollte. »Ja.«

»Nicht alle Männer sind so, Natalie. Manche Männer sind

zuverlässig, und man kann ihnen vertrauen.« Sie wusste doch wohl
inzwischen, dass sie sich auf ihn verlassen konnte? Dass er einer
der Guten war, dass er ihr nie wehtun würde?

»Vielleicht«, räumte sie ein.
»Schau dir doch nur den neuen Freund deiner Mutter an.

Nachdem sie den Versager endlich losgeworden ist, hat Brad sie
sich ganz schnell geschnappt. Und er behandelt sie gut.«

»Ja, das stimmt.«

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»Was heute Abend passiert ist …« Er hielt inne. »Es hat mir

nicht gefallen.« Er ließ sie das verdauen und nahm einen weiteren
Schluck Bourbon.

»Ich fand es auch nicht gerade toll, Marco«, entgegnete sie

milde. Offensichtlich wusste sie genau, worauf er anspielte.

»Wir müssen etwas dagegen unternehmen.« Sein Blick haftete

unbeirrt auf ihr, versuchte, ihre Gedanken zu durchdringen.

»Und was? Einen Killer auf die Kennedys ansetzen?«, scherzte

sie.

»Es geht nicht nur um die Kennedys …«, begann er.
»Und ob es um sie geht!«, fiel sie ihm sofort ins Wort. »Von al-

len Leuten, denen du mich vorgestellt hast, sind sie die einzigen,
die bei diesem Fickfest mitgemacht haben, an dem du dich beteiligt
hast.«

Durchdringende Scham und Entsetzen durchströmten ihn. Sie

wusste, wie schlimm es gewesen war? »Fickfest?«, fragte er
angespannt.

»Ich weiß ja nicht, wie du es nennst. Partnertausch, Orgie, in

der Gegend herumvögeln – was auch immer.«

»Okay – dann nennen wir es eben ein Fickfest.« Er wandte

den Blick kurz ab, schaute sie wieder an. »Lassen wir es einfach so
stehen. Aber das habe ich gar nicht gemeint.«

»Was dann?«, fragte sie in leiserem Ton.
»Ich meine jeden gottverfluchten Kerl da draußen, der dich

angrabschen will!«

»Niemand grabscht mich an.«
»Aber sie wollen es! Sie wollen dir an die Wäsche gehen!« Er

konnte die Eifersucht nicht zügeln, die durch seine Adern tobte.

»Na und? Meinst du nicht, dass auch jede alleinstehende Frau

da draußen ihre Krallen in dich schlagen will? Himmel, Marco –
hast du mal in einen verdammten Spiegel geschaut? Du bist heißer
als heiß, du bist reicher als reich, du …«

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»Ich will keine andere«, unterbrach er sie. »Die ganzen ander-

en Frauen? Die können sich ficken lassen, von wem auch immer sie
wollen. Ich will nur dich!«

Es war nicht gerade eine Liebeserklärung, aber sie hatte ja

längst gewusst, dass sie ihm etwas bedeutete. Sehr viel bedeutete.
Noch immer wusste sie allerdings nicht, worauf dieses Gespräch
hinauslief. Sie hatte ihm geglaubt, dass er Nora Kennedy keine
Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Es war ein Missverständnis
gewesen, das sie hatte davonstürzen lassen, ins Badezimmer. Nun,
da sie wieder klar denken konnte, wusste sie genau, bei ihm drehte
sich alles immer nur um sie. Und wenn andere Männer mit im
Raum waren, vor allem, wenn es um Mathew Kennedy ging, be-
wachte er sie mit Argusaugen.

Das machte ihr nichts aus. So war er nun einmal. Warum er al-

lerdings glaubte, dass sich jeder Mann für sie interessierte, das war
eine ganz andere Frage. Marco wollte sie – und deshalb ging er
wohl davon aus, dass jeder andere Mann sie ebenfalls wollte. Das
war einfach eine der Eigenheiten seiner Eifersucht. Sie hatte gel-
ernt, damit zu leben, es störte sie nicht wirklich. Um genau zu sein,
tröstete seine Eifersucht sie sogar, nachdem er ja noch nie das Wort
»Liebe« in den Mund genommen hatte.

»Und alles, was ich will, bist du«, antwortete sie ihm nun.

»Also hör bitte auf, dir Gedanken darum zu machen.«

»Das kann ich nicht.« Sein Blick war durchdringend.
Sie begegnete ihm ruhig. »Und was willst du dann?«
Er stützte die Ellbogen auf die Knie und faltete die Hände zu

einem Dach. »Lass mich bitte ganz ausreden, bevor du etwas
sagst.« Er holte tief Luft. »Ich glaube, wenn wir heiraten, macht
mir diese ganze Scheiße nicht mehr so viel aus.«

Ihre Augen weiteten sich, und ihr Herz raste. Entzücken und

Erleichterung breiteten sich in ihr aus, während sie versuchte, ihre
Kehle dazu zu überreden, Worte zu formen. Hatte er ihr da gerade
eben etwa einen Heiratsantrag gemacht und in demselben Satz
das Wort »Scheiße« untergebracht?
Aber was machte das schon

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aus? Sie würde den Antrag auf jeden Fall annehmen. Ihre
Gedanken wirbelten herum, und in ihrem Gehirn summte es laut.

Offensichtlich antwortete sie nicht schnell genug, denn er

begann sofort, seine Argumente vorzutragen. »Wenn du doch bloß
schwanger geworden wärst!« Er fuhr sich mit der Hand durch die
Haare, die anschließend ein wirres Durcheinander bildeten. »Ich
habe wie verrückt gebetet, dass du schwanger wirst! Du weißt schon
– bei diesem einen Mal, als wir im Büro nicht aufgepasst haben.
Wenn es da geklappt hätte, müssten wir uns jetzt nicht mehr mit
diesem Mist herumschlagen. Dann hättest du meinen Antrag nicht
ablehnen können, wir hätten jetzt ein Baby und ich hätte nicht
ständig Angst, dass du mit einem anderen Kerl abhaust.«

Natalies Herz hatte komplett zu schlagen aufgehört. Welche

tiefen Gefühle hatte er da bloß die ganze Zeit vor ihr verborgen? Es
war, als wäre ein Schalter umgelegt worden. Plötzlich wollte sie ihr
Herz nicht länger vor ihm schützen. Sie musste nur noch etwas wis-
sen. »Marco …«

Er biss die Zähne zusammen, und sie sah, dass er sich auf das

Schlimmste vorbereitete. »Ja?«

Natalie schloss die Augen, nahm einen tiefen Atemzug und

stellte die Frage, von der sie hoffte, dass sie ihr Leben auf wunder-
same Weise verändern würde. »Liebst du mich?«

Er stieß die Luft aus und fuhr sich wieder durchs Haar, dies-

mal mit zitternden Fingern. »Himmel, Natalie! Ja! Mit meinem
ganzen Herzen, meinem Körper, meiner Seele. Mehr als das Leben
selbst!«

Sie starrte ihn an. Er saß da, nur Sekunden von einer Panikat-

tacke entfernt. Sie beschloss, ihn endlich zu erlösen. Sie stand auf,
ging vor ihm auf die Knie, hob den Blick und legte ihre Hände auf
seine. »Ich habe dich die ganze Zeit schon geliebt, Marco – und ich
will nicht, dass du Angst hast.« Sie lächelte sanft. »Und deshalb –
ja, ich heirate dich.«

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Sein Seufzer der Erleichterung war nur kurz zu vernehmen,

denn schon küsste er sie, als ob er sie niemals wieder gehenlassen
würde.

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Epilog

Sieben Jahre später

»Ich finde, es wird Zeit.« Marco versuchte, seine Stimme streng
und entschlossen klingen zu lassen. Bei Gott und allem, was ihm
heilig war – diesmal bekam er seinen Willen!

Natalie setzte das Baby von einer Hüfte auf die andere und

rührte dabei weiter in der Soße, die auf dem Herd vor sich hin
köchelte. »Aha – findest du?«

Unruhig lief er auf und ab. »Du brauchst Hilfe, Natalie! Drei

Kinder, und ein weiteres ist auf dem Weg …«

»Und wobei sollte ich Hilfe brauchen?« Sie legte den Löffel

beiseite, nahm ein Stofftier auf, einen rosafarbenen Wal, und gab
ihn ihrer Vierjährigen, die zu ihren Füßen mit Bauklötzchen
beschäftigt war. Die sechsjährige Tochter saß am Computer und
spielte.

»Was du auf jeden Fall nicht gebrauchen kannst, das ist, den

ganzen Tag auf den Beinen zu sein. Das ist viel zu gefährlich! Für
dich und für das Baby. Der Arzt hat gesagt, du brauchst Ruhe. Das
hier sieht für mich ganz und gar nicht nach Ruhe aus.« Er sah sich
in dem Raum um, den sie immer irgendwie schaffte wenigstens
halbwegs ordentlich zu halten.

»Mir geht es gut«, erklärte sie und ging vor ihm vorbei, um die

Teller aus dem Küchenschrank zu holen.

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Er griff sie beim Ellbogen und hielt sie auf. »Ich weiß, Süße –

und genauso soll es auch bleiben.« Selbst in seinen eigenen Ohren
klang er fast verzweifelt, aber verdammt noch mal – sie musste ein-
fach gesund bleiben!
Nicht nur um ihrer selbst willen, sondern
auch für das neue Baby, das in ihr heranwuchs. Für die Kinder. Und
für ihn.

Wenn ihr irgendetwas zustieß, bedeutete es seinen Tod.
Natalie drehte sich um und schenkte ihrem Mann die volle

Aufmerksamkeit. Er sah leidend aus, und sie wusste, sie hatte bei
ihm jetzt die Grenze erreicht. »Ist das eine dieser Gelegenheiten,
wo ich einfach tun soll, was du sagst?«, fragte sie leichthin.

Er presste die Lippen zusammen. »Ja«, stieß er zwischen

zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Und was ist es, das du willst?«, fragte sie.
»Einen Reinigungsdienst. Und ein Abendessen, das bis

mindestens sechs Monate nach der Geburt jeden Tag ins Haus
geliefert wird. Ebenso wie die Lebensmittel, wenigstens für eine
gewisse Zeit. Und du setzt dich einfach auf deinen Arsch!«

»Das ist alles? Das ist es, was du willst?«
»Ja.«
»Okay.«
»Was? So einfach?«
»Ich will dich nur glücklich machen, Marco. Das ist alles, was

ich jemals gewollt habe.«

Er zog sie an sich und umarmte sie und das Baby erleichtert,

küsste zuerst die eine Stirn, dann die andere. »Genau das tust du
auch, Natalie. Gott weiß – das tust du.« Er lehnte die Stirn gegen
ihre und wiegte sie sanft in seinen Armen. »Das hast du immer.«

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