Alexander Calhoun
Mit dem Abend kam das
Grauen
Apache Cochise
Band Nr. 2
Version 1.0
Prolog
Als die weißen Amerikaner Mitte des 19. Jahrhunderts den
Südwesten der USA zu besiedeln begannen, stießen sie auf ein
indianisches Volk, das bereits die Spanier und Mexikaner hatte
teuer dafür bezahlen lassen, daß sie unbefugt in ihre
Jagdgründe eingedrungen waren.
Die etwa ein Dutzend umfassenden Apachen-Gruppen und
Großsippen, am gefürchtetsten die Chiricahua-Apachen,
widersetzten sich der Niederwerfung durch die Weißen mit
allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln.
Sie überfielen zunächst Postkutschen, Frachtwagenzüge,
Armeepatrouillen, Farmen, abseits gelegene Ranches und
kehrten anschließend wieder zu ihren Stützpunkten in den
Bergen zurück, den sogenannten »Apacherias«, die bei den
Weißen der damaligen Zeit als uneinnehmbar galten.
Der Widerstand flammte zum blutigsten und grausamsten
Grenzkrieg der Indianergeschichte auf, als Cochise von
Mangas Colorados die Führung der Stämme übernahm.
Cochises Weitblick ließ ihn letztlich erkennen, daß der
Untergang der roten Rasse eine von den Weißen beschlossene
Sache war, die Anspruch erhoben auf alles Land zwischen den
Dragoon Mountains im Südosten, dem Mogollon-Rim im
Westen und der Gran Desierto im Süden.
Cochises Chiricahuas, die Kerntruppe seiner Streitmacht,
blieb im Angesicht der unaufhaltsamen Flut weißer Siedler,
Goldgräber und Desperados nur noch eine Devise: Raube,
ohne erwischt zu werden, töte, ohne getötet zu werden. Ein
Kampf ohne Erbarmen entflammte in den Canyons, Tälern und
Wüsten. Ein Kampf, dessen Schilderung in dieser Serie nicht
die ganze Brutalität wiedergeben kann, wie sie uns die
Geschichte überliefert hat.
1871 gelang es Cochise, die meisten Stämme der Apachen zu
einer einzigen Widerstandsfront gegen die Eindringlinge aus
Nord und Süd, Weiße und Mexikaner, zu vereinen. Die
blutigsten Massaker auf beiden Seiten waren die Folge.
Auf ihren flinken Ponys überfielen die Krieger in kleinen
Gruppen Wagenzüge und Posthaltereien im Norden, um am
nächsten Tag schon Farmer und Goldgräber im Süden oder
eine Patrouille der Army im Westen anzugreifen.
Militär und Siedler waren macht- und hilflos und ohne eine
Möglichkeit gezielten Widerstandes den ständigen
Apachenangriffen ausgesetzt.
Wenn 1870 General Sherman nach Washington schrieb:
»Wir führten einen Krieg gegen Mexiko, um Arizona zu
bekommen, wir sollten jetzt einen Krieg führen, um dieses Land
wieder loszuwerden«, so kennzeichnen diese Worte die
verzweifelte Hilflosigkeit des Militärs.
Diese nach authentischen Überlieferungen verfaßte Serie soll
dem größten aller indianischen Führer ein Denkmal setzen:
Cochise.
Dem Wirken dieses Mannes und seinem Weitblick für
politische Veränderungen ist es zu verdanken, daß diese Story
mit ihrer ganzen Dramatik wahrheitsnah niedergeschrieben
werden kann.
Unsere Autoren fühlen sich verpflichtet, neben der
Herausstellung der abenteuerlichen Charaktere, die in jener
Zeit Geschichte machten, auch der historischen Wahrheit die
Ehre zu geben.
Nichts soll verschwiegen, nichts hinzugefügt oder entstellt
werden.
Ihr Martin Kelter Verlag
***
Das Trompetensignal hallte über den Exerzierplatz und erstarb
in der Weite hinter den Zelten. John Haggerty führt seinen
müden Wallach zum Wachzelt. Ein trockener Wind fauchte
von der Gila herüber und zerrte an den Planen.
Es war Abend. Noch früher Abend, und der Tag hatte sich
ohne besondere Vorkommnisse geneigt. John band sein Pferd
am Hitchrail fest, klopfte sich den Staub aus der Kleidung und
trat durch die Zeltklappe.
Der Wachhabende blickte von seiner Schreibarbeit auf.
»Haggerty«, sagte er näselnd, »der Alte erwartet dich seit
drei Tagen.«
»Ging nicht schneller«, erklärte John und setzte sich
unaufgefordert auf einen Stuhl. Er drehte sich eine Zigarette
und zündete sie an. »Was glaubst du, Noll, wie lange es dauert,
bis man da draußen eine Spur findet? Hitze, Staub, wehender
Sand und keinen Tropfen Wasser, das findest du. Und den Tod,
in vielerlei Gestalten. Okay, kann ich zu ihm?«
Sergeant Noll bediente eine Schelle. Ein junger Soldat
stürmte herein und grüßte militärisch.
»Gehen Sie zum General und fragen Sie ihn, ob er John
Haggerty empfangen will. Ein bißchen Beeilung, Soldat
Klymer!«
Der junge Mann verschwand wie ein geölter Blitz.
»Wie war's im Süden, Johnny?«
»Faul.«
»Sonst noch was?«
»Trocken und heiß. Verdammt, frag' nicht so blöd!«
Der Soldat kam wieder, grüßte, schlug die Hacken krachend
zusammen und meldete:
»Sie möchten bitte zuerst zu Major Tanner kommen, Sir.«
»Wo finde ich ihn?«
»Ich bringe Sie hin, Sir.«
Haggerty nickte, winkte Noll kurz zu und verließ das Zelt.
Die Sonne war untergegangen, aber von der Abendkühle war
noch nichts zu spüren. Soldat und Scout stampften durch den
knöcheltiefen Sand und steuerten auf ein Zelt zu, das etwas vor
der Reihe der anderen stand.
Les Tanner stand von seinem Feldstuhl auf und kam
Haggerty mit ausgestreckter Hand entgegen.
»Willkommen im Camp«, sagte er. »Welche Nachrichten
bringen Sie aus dem Süden? Will Cochise verhandeln?«
John schüttelte die dargebotene Hand und nahm Platz.
»Er ist bereit«, antwortete er. »Aber nur mit dem General.«
»Unter welchen Umständen trafen Sie ihn?«
Johns Blicke glitten in die Ferne. »Unter seltsamen, Major.
Er war gerade dabei, einen Angriff auf eine Karawane
einzuleiten. Ich konnte ihn nicht davon abhalten.«
»Wurden sie vernichtet?«
Haggerty nickte. Der Offizier stellte die nachte Frage:
»Haben Sie gesehen, was er erbeutete?«
»Nein. Zu diesem Zeitpunkt war ich ohne Bewußtsein. Aber
er hat's mir gesagt. Waffen, Pulver und Blei.«
Les Tanner stieß einen ellenlangen Fluch aus.
»Dann stimmt es also nicht, daß sich die Chiricahuas nur
noch auf die Jagd beschränken?«
John grinste. »Die Jagd wird auf Weiße sein, Sir.«
Tanner fixierte ihn scharf. »Wir werden uns für alle Fälle auf
eine Teufelei vorbereiten, Scout. Sie haben erstklassige Arbeit
geleistet. Gehen wir jetzt zum General.«
Er stand auf, hielt John den Zeltvorhang hoch. Ein Stück
gingen sie nebeneinander her durch den Sand und schwiegen.
Jeder hing seinen Gedanken nach. Durch die Zeltplane des
Generals schimmerte Licht.
General Howard saß allein an einem Schreibtisch und machte
Notizen. Eine Kerze brannte in einem Ständer. Er sah auf,
erkannte Haggerty sofort und lächelte.
»Nehmen Sie doch Platz, Gentlemen. Wie ist es Ihnen
ergangen, Mr. Haggerty? Erfolg gehabt?«
»Das hängt von Ihnen ab, General… Sir. Cochise ist mit
einer Unterredung einverstanden, zwischen ihm und Ihnen,
unter vier Augen sozusagen.«
»Akzeptiert. Was halten Sie davon, Major Tanner?«
»Vorsicht ist immer geboten, Sir.« Er wandte sich an
Haggerty: »Haben Sie auf Ihrem Ritt etwas von dem Scout
Curt Miller gesehen oder gehört?«
»Nein«, erwiderte John und schüttelte den Kopf. »Warum
erkundigen Sie sich nach ihm, Sir? Haben Sie Gründe dafür?«
»Zwingende. Well, tut im Augenblick nichts zur Sache.«
»Sicher, sicher«, schaltete sich Howard wieder ein. »Wann
soll die Unterredung stattfinden?«
»In der Nacht zum Vollmond, also in zehn Tagen.«
»Und wo?«
»Im Tal des San Pedro.«
»Der ist lang. Wo genau?«
»Schwer zu erklären, Sir. Ich kenne die Stelle.«
»Dann führen Sie uns – mich«, berichtigte er. »Kann man
dem Häuptling trauen?«
John Haggerty zuckte mit den Achseln.
»Ich habe nichts Gegensätzliches bei ihm festgestellt,
General… Sir. Er hält sein gegebenes Wort.«
»Gut, waren Sie schon mal an der Stelle, die er als
Treffpunkt vorgesehen hat?«
»Ja, Sir. In der Nähe von Santa Rita del Cobre. Ich kenne den
Weg genau. Darf ich mich nach dem Grund Ihrer Frage
erkundigen?«
Howard massierte seine Stirn.
»Es gehen Dinge in diesem Land vor, die mir zu denken
geben. Die Indianer sind nicht an allen Massakern schuld, wie
jetzt einwandfrei feststeht. Der Wagenzug jedenfalls, den wir
vor rund zwei Wochen in der Gran Desierto verloren, ist nicht
von Apachen überfallen worden.«
»Sie meinen…?«
Howard zog die Schultern hoch. Seltsam deprimierend nahm
sich bei dieser Bewegung der Armstummel aus.
»Warum sprechen Sie nicht weiter, Scout? Ist Ihnen denn
was aufgefallen?«
»Nein, nicht unbedingt, Sir. Mir ist nur bekannt, daß in
diesem Land Banditen ihr Unwesen treiben. Meinen Sie das?«
»Ja.« Howard nickte. »Näheres kann ich Ihnen leider nicht
sagen. Mir liegt eine Anfrage der Butterfield Overland vor, die
beim Apache-Paß eine Station errichten will. Was meinen Sie,
können wir den Schutz der Posthalterei übernehmen?«
John dachte noch über die Banditen nach und über Howards
ausweichende Antwort. Er blickte auf.
»In dieser Zeit? Sir, das wird schwierig werden. Cochise
dürfte wohl kaum eine Station dort oben in seinem ureigensten
Machtbereich dulden.«
»Das nehme ich auch an«, sagte Howard. »Was ist Ihre
Meinung, Major?«
»Eine solche Station würde zur Verschärfung der Lage
führen, Sir. Weiteres Blut dürfte vergossen werden, wenn die
Posthalterei in Betrieb kommt. Tote auf beiden Seiten. Kann
sich die Butterfield nicht woanders etablieren?«
»Es geht um die Quellen. Tiere müssen gefüttert und getränkt
werden. Aber wenn Sie meinen…«
Howard verschwieg, was er dem Offizier an Meinung
unterstellte. Er kam vom Thema ab und wandte sich wieder an
Haggerty.
»Es bleibt also dabei, Scout. Einen Tag vor Vollmond reiten
wir beide los. Schaffen wir es bis zum nächsten Abend?«
»Klar, Sir, es sind nur zwanzig Meilen.«
Howard erhob sich, lächelte John zu und reichte ihm die
Hand.
»Ich danke Ihnen, Mr. Haggerty. Sie können gehen und es
sich bequem machen.«
John verließ mit Major Tanner das Zelt. Draußen trennten sie
sich.
*
In kopfloser Flucht galoppierte der einsame Reiter nach
Norden. Millers Denken und Fühlen war ausgelöscht von der
Angst, die ihm wie ein unbequemes Tier im Nacken saß.
Schaum flockte vom Maul seines Pferdes, und manchmal,
wenn es seine Hufe ungeschickt aufsetzte, stolperte es.
Lange vor Mittag mußte Curt Miller sein Pferd zügeln und
schließlich anhalten. Er schwang sich aus dem Sattel, suchte
eine schattige Stelle und brachte den Falben hinüber.
Der Felsen warf einen breiten Schatten. Die Kühle, die er
spendete, war jedoch gering. Curt ließ sich in den Sand fallen
und schloß die Augen. Apathisch stand sein Pferd in der Nähe
und ließ den Kopf hängen.
Miller schlief nicht. Dazu wäre er nach dem wilden Galopp
nicht in der Lage gewesen. Er dachte nach und versuchte, seine
Gedanken zu ordnen, und in bestimmte Bahnen zu lenken.
Aber auch das gelang nicht.
Er wurde hellwach und aufmerksam, als er ein Geräusch
hörte. Sein erster Blick galt dem Pferd. Es war zu müde, um
den Kopf zu heben und eine Warnung auszustoßen.
Miller rappelte sich auf und lehnte sich, immer noch
schweißgebadet, an den Felsen. Da war das Geräusch wieder.
Er hörte es, konnte aber nicht sagen, welcher Art es war.
Immer im Felsschatten, schlich er los. Er umging
herabgestürzte Gesteinsbrocken und gelangte an das westliche
Ende der vorspringenden Felsnase. Vorsichtig spähte er um die
eine Kante.
Als hätte er den Giftzahn einer Klapperschlange gesehen,
zuckte er zurück.
Heftig atmend lief er zu einem Mesquitegebüsch und drängte
sich mitten hinein.
Angestrengt starrte er auf die Gebäude. Jemand hatte dort
gewütet. Dächer waren eingedrückt und Zäune niedergerissen
worden. Aus der Ansiedlung war eine trostlose, leere
Ruinenlandschaft geworden.
Curt hockte im Gestrüpp und suchte die Umgebung ab. Er
hatte nie gewußt, daß hier Weiße oder Mexikaner gesiedelt
hatten, um so mehr staunte er über die zerstörten Häuser.
Nichts rührte sich dort vorn. Und doch, hatte er nicht einen
Laut gehört?
Er zog den Colt und spannte den Hahn. Sechs Kugeln
standen zwischen ihm und der Hölle. Miller schlich weiter. Er
mußte wissen, was dieses Geräusch verursacht hatte.
Da war es wieder. Es klang seltsam. Und dann sah er es.
Der Wüstenwind spielte mit einem schlecht befestigten
Fensterladen und bewegte ihn knarrend.
Curt Miller lächelte. Das Lächeln verging ihm jedoch wieder.
Wie angewachsen blieb er stehen und hielt sekundenlang den
Atem an. Das Stöhnen wiederholte sich.
Miller blickte sich um, sah aber nichts Besonderes. Er mußte
herausfinden, wer da stöhnte, ohne seinen Skalp zu verlieren.
Der Anblick der zerstörten Häuser wirkte bedrückend.
Niedergeschlagen aber wachsam setzte er sich in Bewegung.
Balken, verbrannt zu Kohle, Bretter, mit Gewalt losgerissen,
lagen umher. Er stolperte und stieß einen Fluch aus, weil ihm
die Zehen schmerzten.
Der menschliche Laut mochte der Anlaß gewesen sein, daß
sich das Stöhnen wiederholte. Wieder blieb der Scout stehen
und brachte den Revolver in Anschlag. Es geschah nichts,
trotzdem blieb er angespannt und blickte lauernd in die Runde.
Abwehrbereit machte er wieder ein paar Schritte und
verharrte bei der Hausecke. Er traute seinen Augen nicht, als er
die Stätte der Marterung sah.
An einen Zaunpfosten gefesselt hing ein Mann. Die heiße
Sonne brannte auf seinen blutigen Kopf, Fliegen peinigten den
Skalpierten, der noch lebte.
Voller Grimm sprang der Scout vor und rannte auf den
Verwundeten zu.
Sie hatten ihn gemartert, ihm zugespitzte Hölzer in die
Muskeln gestoßen und ihn schließlich skalpiert. Wie ein
Wunder hatte der Gequälte die Tortur überlebt.
Großer Gott, wie konntest du das zulassen?
Miller zog sein Messer, durchschnitt die Fessel und ließ den
Stöhnenden zu Boden sinken. Der Mann war kaum dreißig,
nicht groß, dafür aber breit in den Schultern und muskulös. Ein
Farmer, dachte der Scout. Er wußte nicht, was er tun sollte.
Helfen konnte er dem armen Teufel nicht mehr. Nicht einmal
dessen Schmerzen konnte er lindern. Er konnte sich lediglich
so stellen, daß der Verwundete in seinem Schatten lag.
»Wer…«
Der Sterbende verstummte wieder, schloß die Augen, die
Curt Miller angestarrt hatten, ohne ihn zu sehen.
»Wer sind Sie?« fragte Curt und wunderte sich über seinen
krächzenden Tonfall. »Kann ich etwas für Sie tun?«
Der Mann schlug die Augen auf. Sie waren blau. Sein Mund
öffnete sich, aber kein Laut kam über seine Lippen. Schließlich
gelang es ihm unter äußerster Anstrengung doch, ein paar
Worte hervorzubringen. Miller kniete sofort nieder, um das
geflüsterte Gestammel zu verstehen.
»Ward… Im Canyon… Frau…« Ein Hauch, dann fiel der
Kopf zur Seite. Curt war es, als hätte der Mann nur noch
gelebt, um die kurze Nachricht der Nachwelt zu übermitteln.
Er blickte hoch. In der Felswand im Norden erkannte er den
Eingang zu einem Canyon.
Hatte der Sterbende diesen Canyon gemeint? Es konnte nicht
anders sein, denn weit und breit sah der Scout keinen weiteren
Einschnitt.
Er lief los. Schweiß drang ihm aus allen Poren. Wie ein
Labsal empfand er die Kühle in der engen Schlucht. Spähend
blieb er stehen – nichts. Nach 100 Yards machte der Canyon
einen scharfen Knick nach rechts.
Vielleicht dort?
Miller eilte hin, hastete um die Kurve. Entsetzt blieb er
stehen. Hier war der Canyon etwas breiter. Volles Sonnenlicht
prallte auf den sandigen Boden.
Und mitten in dieser glutheißen Hölle lag eine splitternackte
Frau. Die Apachen hatten sie niedergeworfen, vier Holzpflöcke
in den Boden geschlagen und die Bedauernswerte
festgebunden.
Mit Brandblasen am ganzen Körper bedeckt, hatte sie lange
versucht, sich von den einschnürenden Riemen zu befreien.
Miller sah es an dem zur Seite geworfenen Sand. Er ging hin.
Die Frau lebte mindestens seit zwei Tagen nicht mehr. Ihre
gebrochenen braunen Augen starrten in den Himmel, sahen ihn
aber nicht. Oder doch? Vielleicht den wahren Himmel?
John konnte so gut wie nichts mehr tun, nur begraben mußte
er die beiden noch. Er kehrte um, lud den toten Mann auf sein
Pferd, führte es in die Schlucht, nahm den Leichnam herab und
bettete ihn neben der Frau.
Dann begann er Steine zu sammeln. Er schleppte sie heran
und schichtete sie rund um die Toten auf. Lange nach Mittag
war das Grab fertig. Curt nahm den Hut ab und murmelte ein
Gebet.
Mit dem Pferd am Zügel ging er zurück. In der Nähe der
Ruinen blieb er stehen. Wo es eine Ansiedlung gab, mußte
auch Wasser sein. Er suchte, fand die Quelle aber nicht, oder
was es immer auch war.
Sein Pferd machte ein paar Schritte in Richtung einer
abgebrannten Scheune und warf plötzlich den Kopf in die
Höhe. Unvermittelt eilte es weiter, drang trotz des
Brandgeruchs in das zerstörte Bauwerk ein und blieb
verschwunden.
Curt Miller lief hinüber. Das Pferd stand vor einem Trog und
trank. Es prustete und wieherte, als es den Reiter gewahrte.
Hier war das Wasser. Die Leute hatten die Scheune
darübergebaut und die Quelle eingefaßt. Miller bückte sich,
schöpfte Wasser mit den hohlen Händen und spritzte es sich ins
Gesicht. Dann spülte er sich den Sand aus dem Mund und trank
schließlich.
Frische Kräfte rannen durch seine Adern. Er fühlte sich wie
neugeboren. Er nahm beide Feldflaschen vom Sattelhorn,
öffnete die Verschlüsse und tauchte sie in das wenigstens drei
Fuß tiefe Becken. Als sie gefüllt waren, hing er sie wieder an
den Sattel.
»Wir müssen weiter«, murmelte er. »Komm, Alter, wir
müssen die Armee verständigen!«
Er führte den Falben aus der Scheune, stieg in den Sattel und
ritt an. Während er ritt, blickte er über die Schulter. Je weiter er
ritt, desto kleiner wurde das Bild, bis es schließlich mit der
Wüste verschmolz.
*
In wilder Flucht preschten vier Reiter nach Norden. Sie ritten
ihre Pferde aus Angst vor Verfolgung halb zuschanden und
hielten erst an, als sie Meilen von der Stelle des Überfalls
entfernt waren.
Auf der Talsohle wuchsen Chollas, Agaven und Mescal, an
den Hängen Wacholder, Pinien und Krüppeleichen. Hank
Doolin sprang aus dem Sattel und zerrte sein erschöpftes,
schweißnasses Tier in den Schatten einer Gruppe Eichen. Er
richtete seinen Blick nach vorn, zur Seite und nach hinten.
In seinem Rücken stand das Gebirge wie eine Mauer. Vorn
stiegen die Berge steil in den Himmel, unnahbar und scheinbar
endlos. Doolin wußte nicht mehr, wo er war. Er sah sich um,
suchte Curt Miller.
Der war nicht bei der Gruppe. Hatten sie ihn unterwegs
verloren? Doolin erinnerte sich, daß Miller die letzte Wache
gehabt hatte, und von da an hatte er ihn nicht mehr gesehen.
Mörderisch fluchend schnallte er die Wasserflasche vom
Sattel und trank einen langen Schluck. Wash kam heran. Seine
Miene war finster, fast ausdruckslos. Seine Stimme klang
zurückhaltend.
»Er hat sich aus dem Staub gemacht, wie? Anstatt uns zu
warnen, haute er einfach ab. Wenn ich ihn erwische, schieße
ich ihm die Haare einzeln vom Kopf.«
»Nichts dagegen«, warf Doolin ein. »Wenn du ihn
erwischst…«
»Was willst du damit sagen?«
»Nichts Bestimmtes, aber der Kerl ist mir nie ganz geheuer
vorgekommen.«
»Du hast ihn doch angeschleppt. Verdammt, willst du uns
dafür verantwortlich machen?«
»Schwätzer!« erwiderte Doolin und wandte sich ab. Er
betrachtete die Hände. Ein Bär tappte linkisch durch das
Unterholz. Es gab kein Anzeichen, daß Menschen
durchgekommen waren. Doolin war ziemlich sicher, daß sich
keine Apachen in der Nähe aufhielten. Er nahm noch einen
Schluck aus der Flasche, schraubte sie zu und hing sie wieder
ans Sattelhorn. An das Pferd dachte er nicht.
Hugh McDonnel warf ihm einen verächtlichen Blick zu,
schüttete etwas Wasser in seinen Hut, hielt ihn seinem Tier vor
und ließ es sich wenigstens die Nüstern anfeuchten.
»Wo sind wir hier?« fragte er.
Doolin zuckte mit den Achseln, Wash brummte etwas, und
Honda gab überhaupt keine Antwort. Die Stimmung der
Männer war auf den Nullpunkt gesunken.
»Aus dem Überfall auf die Pferderanch wird wohl nichts
mehr?« fragte Wash und drehte sich eine Zigarette. Sein
bärtiges Gesicht drückte Ungeduld und Gereiztheit aus.
Hank Doolin schlug sich mit der geballten Rechten in die
linke Hand.
»Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Wie
sollten wir die Tiere durch das Apachengebiet treiben bei der
augenblicklichen Situation? Mensch, El, denk doch mal ein
bißchen.«
»Das Denken hast doch du übernommen«, sagte Wash
aufsässig.
Doolin schnaubte verächtlich und wandte sich ab. Sie
mußten weiter, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, doch
noch mit den Apachen zusammenzustoßen. Er ging zu seinem
Pferd.
»Wir reiten«, sagte er. »Unterwegs müssen wir nach Wasser
Ausschau halten. Haltet die Augen offen, Jungs, unsere Skalps
sitzen verdammt locker.«
Elvis Wash baute sich vor ihm auf.
»Und das hier?« fragte er und rieb Daumen und Zeigefinger.
Hank Doolin stieß ihn grob zur Seite.
»Geh aus dem Weg, du Narr! Soll ich vielleicht aus Sand und
Steinen Geld machen?«
Er zog sich in den Sattel und verfolgte gelassen, wie sich die
drei Männer müde auf ihre Pferde warfen. Im verhaltenen
Tempo ritten sie nach Norden.
*
Miller ritt am Ufer des San Pedro entlang und vermied es,
übermäßig laute Geräusche zu erzeugen. Zur Rechten sah er
die schneebedeckten Gipfel der Chiricahua Mountains, zur
Linken den Mogollon mit seinem sichelförmigen Rim.
Die Dämmerung hing schon über dem Tal, und Curt sah sich
bereits nach einem Versteck für die Nacht um, als der Wind
den Geruch von Holzrauch in seine Richtung wehte.
Er glitt aus dem Sattel und griff nach dem Gewehr. Curt
führte das Pferd in ein Dickicht und band es fest. Dann ging er
zu Fuß weiter, dem Geruch des Rauches nach.
Bald darauf sah er die Flammen. Hinter einer Bodenschwelle
kauerte er in der Dunkelheit und blickte zu dem Lagerfeuer
hinüber. Stimmengemurmel drang an sein Ohr. Der Geruch
bratenden Fleisches vermischte sich mit dem Rauch.
Hinter dem Feuer entdeckte er Pferde. Ein Soldat hielt, auf
sein Gewehr gestützt, auf einer Anhöhe Wache, aber seine
Aufmerksamkeit galt eher seinen Begleitern um das Feuer, als
möglichen drohenden Gefahren.
Trotz des Postens wäre es für die Chiricahuas eine
Leichtigkeit gewesen, das Lager zu umzingeln und im
passenden Moment zuzuschlagen.
Miller setzte sich wieder in Bewegung.
»Hallo, Camp!« rief er.
Dann ließ er sich schnell fallen. Der Wächter fuhr herum und
hob das Gewehr. Die Soldaten um das Feuer richteten sich auf
und starrten in die Dunkelheit. Ein schlanker Offizier griff nach
dem Revolver.
»Wer da?« rief der Wachtposten.
»Curt Miller, Scout der Dritten.«
»Treten Sie ins Licht!«
»Löscht das Feuer, ihr Idioten! Wollt ihr euch unbedingt als
Zielscheiben anbieten?«
»Was bildet sich der Bursche ein?« knurrte ein Sergeant.
Miller löste sich aus dem Schatten, das Gewehr in der
Armbeuge. Der Offizier trat vor.
»Captain Ron Randell«, sagte er, »von Fort Yuma. Wer hat
Sie geschickt?«
Miller stellte das Gewehr auf den Boden und stützte sich
darauf.
»Major Tanner von der Dritten. Ich stieß nur ganz zufällig
auf Sie, Captain.«
Randell zupfte sich an den roten Koteletten. Anscheinend
wußte er nicht, wie er sich verhalten sollte.
»Ganz zufällig?« fragte er mißtrauisch.
Miller starrte in die Flammen. »So zufällig nun wieder nicht.
Sie haben genug Spuren hinterlassen. Ein solches Feuer lockt
Indianer aus zehn Meilen Entfernung an.«
Auch der hochgewachsene Sergeant kam nun zu ihnen. Er
war um ein paar Zoll größer als Curt, mit einem mächtigen
Brustkasten, der die Uniform zu sprengen schien.
»Wer, zum Teufel, sind Sie?«
Miller überhörte die Frage. »Befehlen Sie Ihren Leuten, das
Feuer zu löschen«, sagte er zu Ron Randell.
»Wir haben noch nicht gegessen«, protestierte der Offizier.
»Wenn Sie es nicht löschen, bekommen Sie Ihr Abendessen
in der Hölle. Chiricahuas sind vermutlich hinter mir her.«
»Was? Das wissen Sie nicht mal genau?«
Miller warf einen kurzen Blick auf den Hünen und
betrachtete spöttisch die drei Winkel am Ärmel.
»Wenn ich's genau wüßte, wäre ich längst tot. Schwätzer!«
Der Sergeant trat drohend einen Schritt vor. Seine Rechte
tastete zum Revolver.
»Werden Sie ja nicht frech, Mann! Beweisen Sie erst mal,
wer Sie sind.«
Miller blickte ihn genauer an und sah in die kältesten grünen
Augen, die ihm je begegnet waren.
»Ich habe gesagt, wer ich bin.« Er wandte sich an den
Offizier. »Ein bißchen weit weg von Fort Yuma, wie?«
»Wir wurden zur Bewachung des Apache-Passes
abkommandiert. Fort Buchanan ist von nun an unsere Einheit.
Zwei Züge Dragoner, Scout, altgediente
Mannschaftsdienstgrade und zwei Offiziere.«
Curt sah nur einen Offizier. Er fragte nach dem zweiten.
Captain Randell sagte: »Er macht die Runde um das Lager.
Sicherlich kommt er gleich. Lieutenant Haller ist sehr
gewissenhaft. Ah, da ist er schon!«
Ein junger Mann mit roten Wangen und treuen Blauaugen
trat aus der Dunkelheit. Er reichte Miller die Hand.
»Ihre letzten Worte hörte ich«, sagte er mit jugendlich
frischer Stimme. »Haller. Und wie heißen Sie, Scout?«
Curt sagte einfach »Miller« und drückte die dargebotene
Rechte.
»Kennen Sie den Weg zum Apache-Paß?«
»Jawohl, Sir, aber ich kann Sie nicht führen. Meine Aufgabe
ist es, so schnell wie möglich zu General Howard zu gelangen.
Eine dringende Meldung«, fügte er hinzu.
»Es genügt, wenn Sie uns den Weg beschreiben. Wir haben
eine Karte bei uns.«
»Ein Stück können wir noch zusammen reiten«, sagte der
Scout. »Ich beschreibe Ihnen den Weg so genau, daß Sie sich
nicht verlaufen kön…«
»Oho!« knurrte der Sergeant erbost. »Sind wir unmündige
Kinder?«
Miller beachtete ihn nicht. Er stand im Dunkel, beobachtete
die Offiziere, roch den Holzrauch.
»Wir vergeuden nur kostbare Zeit«, sagte er. »Verschwinden
wir lieber.«
»Sind sie so nahe hinter Ihnen?« fragte der Captain.
»Könnte sein. Ich weiß es nicht, Sir.«
Captain Randell gab Befehl, das Lager abzubrechen und
aufzusitzen.
*
Das kleine Feuer verbreitete eine wohlige Wärme im Jacale.
Cochise hielt die Hände darüber und bewegte die Finger in der
warmen Aufwärtsluft. Seine Stirn war gefurcht.
In seinen Gedanken, tief verstrickt und weit zurückblickend,
bewegten sich seine Krieger durch die krummen, stillen
Straßen von Los Molinos, er selbst an der Spitze, das
Kriegsbeil in der Hand.
Alle Türen waren verschlossen und verrammelt. Die
Einwohner von Los Molinos kannten das blutige Schicksal von
Cuchuterachi, Batepito, Vasaraca und Oposura nur zu gut.
Aber auf den Dächern der Häuser schwitzten mexikanische
Federales in der mörderischen Hitze. In den hitzeglühenden
Arroyos standen mexikanische Kavalleristen bei ihren Pferden.
In den Bewässserungsgräben in den Feldern lagen Infanteristen
und Miliz, und sie verwünschten alle die höllische Sonnenglut.
Für die Mexikaner war es ein Meisterplan gewesen, die Falle
für die Los Indios Diablos aufzustellen. Als alles vorbei war,
sagten sie sich, daß die Geschichte von Los Molinos eigentlich
nur noch aus der Angst vor den Apachen bestand. Es war lange
her.
Träumerisch glitten Cochises Blicke den weiten, weiten Weg
zurück. Sie hatten angegriffen und alle getötet, trotz des
Meisterplans. Nun war Los Molinos nur noch wegen seiner
guten Quellen bekannt. Niemand wagte sich dorthin. Die
Felder waren zu einem Dschungel aus Mesquite und Kakteen
geworden.
Ein dünnes Lächeln glitt über die strengen Züge Cochises.
Triumph sprach aus seinen Augen, und wenn er den Rücken
streckte, geschah dies voller Stolz.
Seine Späher waren Tag und Nacht unterwegs, kämmten alle
Himmelsrichtungen durch und berichteten. So wußte er auch
von der Ankunft von zwei Zügen der C-Kompanie aus Fort
Yuma.
Sollte er sie angreifen und vernichten, oder nicht? Er hatte
dem weißen Truppenführer Frieden angeboten, aber der Friede
war noch nicht besiegelt. Vielleicht konnte es nicht schaden,
wenn er seiner Meinung etwas mehr Nachdruck verlieh.
Wenn er sie vernichtete, sie, die Soldaten aus Fort Yuma,
würde es erneut an der Grenze zum Kochen kommen. Angst
verbreitete sich schneller als Hoffnung und Glauben. Angst
war die stärkste Waffe der Chiricahuas, ihr mächtiger Arm.
Naiche kam in die armselige Buschhütte. Still setzte er sich
Cochise gegenüber und blinzelte geblendet ins Feuer.
»Sorgen, Vater?«
»Große Sorgen, Sohn.«
»Du traust dem General nicht?«
»Ich frage mich, ob ich dem Scout trauen kann.«
»Er spricht nicht mit gespaltener Zunge.«
»Aber er hat keine Macht.«
»Er ist ein großer Krieger, Jefe. Kein Mimbrenjo ist ihm
gewachsen.«
»Aber die Chiricahuas. Wenn er mich hintergeht, werde ich
ihn töten.«
Naiches Kopf senkte sich auf seine Brust. Er stellte sich
Haggertys Gesicht vor und machte dann eine abwehrende
Handbewegung.
»Er meint es ehrlich«, sagte er. »Wir sollten ihm vertrauen
und keinen Weißen mehr töten, bis seine Mission beendet ist.«
»Ein Trupp Soldaten aus dem Wüstenfort ist zum Apache-
Paß unterwegs. Soll ich sie vernichten?«
»Ich weiß es«, sagte Naiche. »Wird es gut für die
Verhandlung sein, wenn wir über sie herfallen und töten? Die
Weißen haben eine andere Auffassung vom Kampf als wir.«
»Es wird sie gefügiger machen.«
»Nicht den einarmigen Führer der Soldaten, den sie General
nennen.«
Cochise brütete wieder vor sich hin. Auch Naiche blieb
stumm. Draußen heulte der Bergwind und weit in der Ferne
Wölfe.
»Wir gehen nach Süden. Die Gelbgesichtigen postieren sich
um La Linas. Zwei Abteilungen der Mounted Rifles von
Sonora, eine Schützenkompanie und das 4. Kavallerie-
Bataillon der Bavispe National Guard sperren die Zugänge der
Paßstraßen zu unseren Vettern. Die Yaquis versuchten es, aber
es mißlang. Den Chiricahuas wird es gelingen. How!«
»How«, sagte auch Naiche und bekräftigte damit den
Entschluß seines Vaters.
»In acht Tagen ist Vollmond«, fuhr Cochise fort. »Wir
verlassen bei Naco die Flußebene und gehen übers Gebirge.
Der weiße General soll keine Sekunde auf Cochise warten.«
»How!« stieß Naiche hervor. »How, how!«
»Sagst du es den Häuptlingen, Sohn?«
Naiche stand auf und verließ das Wickiup. Kurze Zeit später
vernahm der Jefe das infernalische Gebrüll im Lager und die
ständigen Rufe:
»Zastee! Zastee!«
Ja, töten, dachte er. Kämpfen und Töten war den Chiricahuas
angeboren und ein Bestandteil ihres Lebens. Das harte Land
und die karge Vegetation hatten sie von jeher zu Räubern
werden lassen. Raub war für sie nichts Ungesetzliches, eher
Bestimmung eines Lebenszwecks. Vom Raub ernährten sie
sich, und von der Jagd, wenn es was zu jagen gab.
Naiche kehrte zurück.
»Alle Krieger kommen mit«, sagte er und setzte sich wieder.
Cochise nickte. »Ich habe es erwartet. Wir reiten, wenn der
Mond aufgeht.«
Naiche erhob sich, um auch die zweite Entscheidung des Jefe
den Unterhäuptlingen mitzuteilen. Als er in das Wickiup
zurückkam, standen die ersten Krieger mit ihren Ponys bereits
auf dem Versammlungsplatz.
Während sich der Mond wie ein halber Ballon träge über das
Gebirge schob, stiegen sie auf ihre Pferde und ritten los.
Cochise, Naiche und ein anderer Unterhäuptling der
Chiricahuas übernahmen die Spitze.
Der neue Tag graute, als sie von der Mesa aus die Ebene
erreichten. Cochise hob eine Hand. Der ganze Kriegertrupp
hielt an und beobachtete den Jefe.
»Es ist jemand in der Nähe«, sagt er. »Ein Weißer. Ich rieche
ihn.«
»Ich werde ihn fangen und töten«, erbot sich Naiche.
Cochise nickte. Kampf war ihr Lebenselexier, eine ständige
Selbstbehauptung, um in diesem harten Land überhaupt leben
zu können. Kampf bedeutete ihnen alles.
Naiche stieg vom Pony und verschwand.
*
»Wir müssen anhalten«, sagte Captain Randell besorgt. »He,
Sergeant, lassen Sie absitzen und Biwak aufschlagen. Wir
dürfen unsere Pferde nicht zu sehr auspumpen.«
»Sehr wohl, Sir.« Er drehte sich im Sattel um. Seine grünen
Augen funkelten wie zwei Smaragde. »An-hal-teeen! Ab-sitz-
zeeen!« Und dann kam es trocken und knallhart aus seinem
Mund: »Biwak, Kaffee und Essen!«
Lieutenant Haller und Miller ritten heran, stiegen ab und
brachten ihre Tiere in den schnell gespannten Seil-Corral.
Haller sagte:
»Mensch, Miller, habe ich einen Kohldampf! Ich könnte
einen halben gebratenen Bison aufessen.«
»Warum tun Sie's nicht, Lieutenant? Jagdbares Wild gibt es
hier im Flußtal in Mengen.«
»Meinen Sie? Aber die Apachen?«
»Ich werde mir nach dem Essen ein bißchen die Gegend
ansehen. Vielleicht sind sie uns wirklich nicht gefolgt.«
»Well, Scout, tun Sie das. Ein saftiges Antilopensteak wäre
jetzt gerade das Richtige bei der armseligen Verpflegung.«
Haller lachte, und Miller stimmte mit ein. Der Sergeant ging
vorbei, warf beiden dabei einen wütenden Blick zu.
»Wie heißt der Mann?« fragte Miller.
Lieutenant Haller grinste. »Hallagan. Ein Ire. Für ihn ist die
Armee Vater und Mutter. Kommen Sie, gehen wir zum Feuer.«
Im nahen Unterholz knackte und krachte es, als wäre eine
Schlacht entbrannt. Soldaten sammelten Brennholz und
schleppten ganze Bündel davon zu der noch recht kleinen
Feuerstelle.
»Es wird langsam Tag«, sagte Miller und deutete auf das
karstige Vorgebirge im Osten. »Sobald ich etwas gegessen
habe, mache ich mich auf die Socken. Wenn wir uns von ihnen
überraschen lassen, sieht es nicht gut für uns aus.«
Ron Randell kam heran. Er hatte Millers letzte Worte gehört.
»Soll ich vorgeschobene Posten aufstellen, Scout?«
Miller antwortete: »Kann nicht schaden, Captain. Nach dem
Abend… Morgenbrot«, fügte er grinsend hinzu, »will ich mich
ein bißchen in der Landschaft umsehen. Auch das kann nichts
schaden, sagt sich meines Vaters Sohn selbst.«
»Glauben Sie, sie sind noch hinter uns? Können sie
überhaupt in der Nacht unseren Spuren folgen?«
»Captain, die verfolgen die Spur eines Vogels in der Luft.
Sie sind die besten Jäger, die ich kenne.«
Das Essen war schnell zubereitet. Jeder bekam einen Teil,
der ausreichte, zwei hungrige Männer satt zu machen. Gleich
nach dem Essen machte sich Curt Miller auf, um die Gegend
im Süden abzusuchen.
Ohne ein Geräusch zu verursachen, bewegte sich der Scout
durch das Unterholz und näherte sich der Bergflanke. Ein
Canyon mündete an dieser Stelle in das San Pedro-Tal.
Vor ihm glänzte etwas. Er schlich hin, bückte sich und
berührte mit den kräftigen, schmutzigen Fingern den Rand des
Felsbeckens. Er lag ganz still da und schob beide Hände in das
etwa zehn Zentimeter tiefe warme Wasser.
Behutsam wischte er den klebrigen Schaum beiseite,
schöpfte mit der hohlen Hand etwas Wasser und schlürfte es in
den ausgedörrten Mund. Dann spuckte er es zur Seite und
wiederholte die Prozedur.
»Gott sei Dank!« murmelte er. Im Flußtal fand man immer
genügend Wasser. Für die Patrouillen war das gut, aber auch
für die Indianer.
Curt hob lauschend den Kopf. Der Wind hatte sich gelegt.
Lautlos schob Miller sich zurück. Dann stand er auf und
huschte geduckt zum Canyon-Zugang. Dort warf er sich auf
den Boden und schob den Gewehrlauf über einen flachen Stein.
Der Zugang zum Canyon glich einem breiten V, das sich
heller gegen die zurückweichenden Felsen abzeichnete. In
dieser Schlucht huschte ein gespensterhafter Schatten direkt
auf Curt zu.
Miller hatte plötzlich ein flaues Gefühl in der Magengegend.
Seine Ausdünstung bestand aus kaltem, eingetrocknetem,
saurem Schweiß, aus Leder und Wollgeruch, aus
ungewaschenem Haar und verdreckter Haut.
Cochise!
Der gefürchtete Name explodierte förmlich in Millers Geist.
Der Krieger verschwand aus Curts Blickfeld. Doch dann sah
er ihn wie durch eine Nebelwand auf der linken Seite des
Canyons und mindestens 50 langmähnige Indianer ganz unten
warten.
Minuten tickten dahin. Kostbare Minuten.
Miller rieb sich die brennenden Augen. Konnte er die
Soldaten rechtzeitig warnen, die Apachen aufhalten?
Er zuckte zusammen.
Der einzelne Apache kam dicht an ihm vorbei, nicht mehr als
fünf, sechs Yards von der Gewehrmündung entfernt. Dann war
auch er im großen Canyon verschwunden.
In Miller mischten sich Furcht und Verzweiflung. Es gab
keinen vernünftigen Grund für die Annahme, daß der
Chiricahua ihn nicht gewittert hatte. Die Apachen besaßen ein
Witterungsvermögen wie Bluthunde.
Miller stand plötzlich auf. Der Hundesohn hatte ihn mit
seiner Nase wahrgenommen. Aber der rote Halunke war viel zu
gerissen gewesen, sich davon etwas anmerken zu lassen, denn
er hatte genau gewußt, daß er im gleichen Augenblick hätte
sterben müssen.
Miller mußte weg. Er schnappte sein Gewehr und lief
gebückt ein Stück aus dem großen V. Aber er hielt sich stets
dicht an der Felswand. Weiter hinten arbeitete er sich die
Geröllhalde hinauf und bemühte sich, so wenig Geräusche wie
möglich zu verursachen.
Als er die glatte Felswand erreicht hatte, tastete er mit den
Fingern sofort den Stein nach einem Halt ab. Ohne Erfolg, er
war zu glatt. Miller huschte weiter. Endlich kam der Scout an
eine Stelle, von der aus er nach oben klettern konnte. Keuchend
zog er sich auf die Felsleiste hinauf und brach auf dem warmen
Gestein zusammen. Der Atem brannte wie flüssiges Feuer in
seinen Lungen. Schweiß strömte den Körper herab.
In diesem Moment knatterten Schüsse durch die Nacht. Ein
wilder Aufruhr entstand dort drüben im Unterholz, Männer
fluchten in allen Tonarten, Todesschreie stachen wie Nadeln in
die Dämmerung.
Miller legte das Gesicht auf die verschränkten Unterarme.
Die Vorstellung, das Gebirge bei Nacht und zu Fuß und nur mit
dem bloßen Gedanken an Imajas oder Pozitos durchqueren zu
müssen, bereitete ihm Übelkeit.
Die Schüsse waren verklungen. Curt konnte Hufschläge
hören. Vielleicht war doch einer der Soldaten entkommen.
Oder sein Pferd hatte die Flucht ergriffen. Weder das eine noch
das andere glaubte der Scout. Die Soldaten würden bis zum
letzten Mann kämpfen.
Das anschließende Triumphgeschrei sagte Miller genug.
*
Cochise trat in den Lichtkreis des Feuers. Er nickte, aber seine
Augen sprachen nicht von Triumph. Krieger um ihn herum. Sie
skalpierten die Toten und raubten sie aus.
Naiche trat auf ihn zu.
»Da oben ist noch einer, an der Bergseite. Ich hole ihn jetzt.«
»Er hat dir gesagt, daß hier Truppen sind?«
»Sein Geruch. Die Pferdesoldaten haben einen
eigentümlichen Stallgeruch, den Apachen nicht kennen.«
Cochise neigte den Kopf.
»Hol ihn, Naiche -- lebend! Ich brauche ihn als Boten.«
Naiche stutzte, sagte aber nichts. Insgeheim bewunderte er
den Scharfsinn des Jefe. Er huschte davon. Erste Schatten
krochen nach Westen, wichen der morgendlichen Dämmerung.
Man konnte schon ganz gut sehen.
Naiche drang auf die freie Stelle im V-Abschnitt hinaus und
kletterte über die Geröllhalde. Er sah, wie der Weiße den Kopf
hob und ihn beobachtete. Ein Gewehrlauf richtete sich auf ihn.
Ein Hahn knackte.
Auf diesem Weg kam er nicht an den Weißen heran. Er
mußte über ihn kommen, von oben, lautlos wie eine Katze.
Alle Tapferkeit half nichts, wenn der Feind den Finger
krümmte und seinen Gegner genau im Visier hatte.
Seitlich von seinem Opfer sah Naiche den Spalt, der sich
fünf Yards oberhalb des Mannes waagerecht fortsetzte und in
einer schmalen Leiste auslief.
Wie ein Wiesel huschte er hin. Seine Finger krallten sich in
die Unebenheiten des Gesteins, seine Füße fanden Halt.
Langsam gelangte er nach oben.
Der Chiricahua warf einen Blick nach unten, sah den
Weißen, der immerzu in die Tiefe starrte. Er gab sich einen
Ruck und griff mit der Linken zu der Felsleiste hinüber.
Sekunden hing er zwischen Himmel und Erde, den Abgrund
unter sich, allein mit sich selbst und seiner Angst.
Noch einmal ein kurzer Blick zurück. Naiche lag auf dem
Bauch und glitt wie eine Schlange vorwärts. Genau über dem
Weißen hielt er an und ließ seine Lungen erst einmal zur Ruhe
kommen.
Der Weiße blickte noch immer angestrengt auf die
Geröllhalde. Naiche verfolgte, wie der seinen Kopf hin und her
bewegte.
Was waren die Bleichgesichter doch so dumm und so
einfältig.
Er kroch bis zum Rand der Leiste, ließ den Unterkörper
überhängen. Noch ein paar Sekunden lang hielten seine Finger
den Körper, dann ließ er los und sprang knapp hinter der
liegenden Gestalt federnd auf. Mit einem Schrei stürzte er sich
auf den Feind.
Miller wirbelte herum, als er das Geräusch hörte. Er hob das
Gewehr an, ließ die Rothaut in den emporgestreckten Lauf
rennen. Mit einem wütenden Schrei fiel Naiche in sich
zusammen und hielt sich den Magen. Bevor Curt Miller den
Lauf hochreißen und den Stecher durchziehen konnte, war der
Indianer schon wieder auf den Beinen und warf sich auf den
Scout.
Auf dem schmalen Felsband kämpften sie verbissen
miteinander. Das Gewehr wurde Miller aus der Hand geprellt.
Es rollte den Hang hinunter und blieb an einem Steinbrocken
hängen.
Miller ballte die Rechte, schlug kräftig zu. Tränen traten
Naiche in die Augen. Der verdammte Weiße hatte seine
Adlernase getroffen. Noch einmal stürzte er sich auf das
Bleichgesicht. Miller empfing ihn mit einem Fußtritt,
schleuderte ihn an die Felswand und versuchte hastig auf die
Füße zu kommen.
Ein Schrei unten bei der Halde lenkte ihn ab. Er sah nichts,
wollte sich dem Gegner wieder zuwenden, aber Naiche war
schneller. Dessen Faust krachte in Millers Nacken, zwang ihn
auf die Knie.
Feuerräder tanzten vor den Augen des Scouts. Ein zweiter
Hieb traf ihn an der Schläfe. Die Sinne schwanden Miller.
Schwer fiel sein Kopf zurück.
Naiche stillte das rinnende Blut und schnauzte sich durch die
Finger. Mit grimmigem Gesicht lud er sich den Weißen auf die
Schulter und begann den Abstieg.
Zwei Krieger erwarteten ihn. Einer hatte vorher gerufen, um
den Scout abzulenken. Trickreich waren sie, die Apachen, das
mußte man ihnen lassen. Naiche ließ den Bewußtlosen auf die
Erde fallen und verpaßte ihm einen Fußtritt. Die beiden
Chiricahua-Krieger faßten ihn am Kopf und an den Beinen und
zerrten ihn zu ihren Ponys. Naiche legte den ganzen Weg zu
Fuß zurück. Als er das Lager erreichte, erwartete ihn Cochise.
Trotz des grauenden Morgens brannte das Feuer lichterloh.
Gleichgültig glitten die Blicke des jungen Apachen über die
nackten, skalpierten Leichen der Soldaten. Sie lagen überall
verstreut, so, wie sie der Tod ereilt hatte. Auch Cochise warf ab
und zu einen Blick auf die Toten.
Ihn berührte der Tod nicht. In den Bergen stand er mit ihm
auf du und du. Was ihn jedoch beschäftigte, war der Gedanke
an den General. Wie würde er das erneute Massaker auffassen?
Sicher, weiße Krieger waren nicht gerade zimperlich, wenn es
darum ging, Indianer auszulöschen.
Nur ein toter Indianer ist ein guter und friedlicher Indianer,
sagten sie zynisch und töteten alles, was eine rote Haut hatte.
Nein, darum ging es dem Jefe in diesem Augenblick nicht.
Seine Krieger wollten den Kampf, aber er mußte an die vielen
Frauen und Kinder der Chiricahuas denken, die in den Bergen
Not litten.
Irgendwann mußte der Kampf gegen die Weißen ein Ende
haben. Das hatte nichts mit den Mexikanern im Süden zu tun.
Die Gelbhäutigen waren die unversöhnlichsten Hasser der
Apachen und rotteten alles aus, was ein Stirnband trug. Und
nicht minder wurden sie von den Chiricahuas gehaßt. Gegen
die Mexikaner ging der Krieg weiter.
Krieg?
Cochise lächelte verächtlich. Krieg gegen die Nachkommen
der Spanier gab es nicht. Sie wurden wie Ratten vernichtet, wo
man sie traf. Wenn er mit den Weißen einen Frieden einging –
er mußte ja nicht ewig dauern –, hatte er den Rücken frei und
konnte seine Streifzüge bis weit in die Sierra Madre im Süden
ausdehnen.
»Er kommt zu sich.«
Cochise riß sich gewaltsam aus seinen Gedanken, nickte
seinem Sohn zu und sagte lobend: »Du bist ein großer Krieger,
Naiche.«
Er stand auf, ging zu dem gefesselten Miller.
»Du bist Scout bei den Pferdesoldaten.«
»Woher weißt du das? Wer bist du?«
»Ich bin Cochise«, antwortete der Häuptling und registrierte
das kurze Erschrecken.
Miller faßte sich jedoch schnell. »Woher willst du wissen,
daß ich ein Scout der Army bin?«
»Dein Geruch sagt es. Stallgeruch.«
Curt Miller schloß sekundenlang die Augen. Auf was man in
diesem höllischen Land nicht alles achten mußte.
»Nun gut, ich bin Scout. Was nun? Du willst mich töten?«
»Noch nicht, aber später«, erwiderte Cochise schlicht. Es
klang nicht nach Prahlerei.
»Was soll das heißen, Chief: Jetzt nicht, aber später? Ich
habe noch keinen Apachen erlebt, der einen Gefangenen am
Leben läßt.«
»Du reitest zu dem Häuptling der Pferdesoldaten und
überbringst ihm eine Botschaft.«
»Wie soll sie lauten?«
»Dies hier.« Cochise drehte sich um seine Achse. »Das, was
du hier siehst. Sag ihm, daß es allen Weißen so geht, wenn er
keinen Frieden schließt. Wirst du es ihm sagen?«
Miller nickte. »Was noch? Von dem Massaker wird er früh
genug erfahren. Well, was denn noch?«
»Nur das.«
Miller schob die Unterlippe vor.
»Gut, wie du willst, Chief. Bekomme ich ein Pferd?«
Cochise deutete auf die Tiere der toten Soldaten.
»Such es dir aus, Bleichgesicht.«
Naiche trat hinter Cochise. Miller fiel die große Ähnlichkeit
zwischen den beiden auf. Der junge Indianer war derjenige, der
ihn drüben bei der Felslehne überrascht hatte. Cochise
durchschnitt Millers Fesseln.
»Du kannst gehen!«
Das war ein Befehl.
Der Scout suchte sich einen stämmigen Fuchs und stieg in
den Sattel. Zuerst ritt er langsam und vorsichtig, dann gab er
dem Tier die Sporen und preschte in den neuen Morgen hinein.
Cochise blickte ihm nach, bis die Büsche hinter seinem Rücken
zusammenschlugen.
»Nach Süden!« schrie er. »Auf nach Süden! Zastee!«
»Zastee!« brüllte es im Chor.
*
Oliver O. Howard bekam die Meldung von dem Blutbad am
nächsten Tag. Miller überraschte sie persönlich. Anwesend
waren die Colonels White und Walmann sowie John Haggerty.
Die beiden Scouts grinsten sich zu, als Miller eintrat und
lässig salutierte. Die Scouts waren zwar dem Militär unterstellt,
aber sie blieben Zivilisten. Nur wenige hatten die
Offizierslaufbahn eingeschlagen und waren bei der Armee
geblieben.
Howards Augen glänzten mit jedem Wort Millers kälter. Als
der Scout seinen Bericht abgespult hatte, griff sich der General
mit dem gesunden Arm an den Gürtel, drehte sich um und
nahm dann seine eigentümliche Wanderung wieder auf, die bei
Millers Eintritt unterbrochen worden war.
»Ein Irrtum ist ausgeschlossen?« fragte er über die Schulter.
»Es war Cochise?«
»Er war es«, bestätigte Miller schlicht. »Er und sein Sohn
Naiche sowie ungefähr fünfzig Chiricahuas.«
»Ich hatte wirklich angenommen, daß sie Frieden wollen.
Trugschluß«, bemerkte Howard beißend.
»Den Eindruck habe ich nicht von ihnen, Sir. Cochise will
dem Krieg ein Ende machen, davon bin ich überzeugt. Mit dem
Massaker wollte er der Armeeführung andeuten, was passiert,
wenn es nicht zu einer Einigung kommt.«
»Allmächtiger! Dazu muß er zwei Züge Soldaten
umbringen?«
Howard blickte John an. »Was sagen Sie dazu, Mr.
Haggerty?«
Johns schmales Gesicht mit den braunen Augen und dem
gewellten Haar richtete sich auf Miller.
»Du hast ihn gesehen, Curt. Welchen Eindruck machte er?«
»Den eines zielstrebigen Mannes, der genau weiß, was er
will.«
Haggerty wandte sich wieder dem General zu. »Sehen Sie,
Sir, das ist auch meine Meinung. Cochise weiß ganz genau,
wie sehr wir in der Zwickmühle stecken. Er will, daß wir uns
schnell entscheiden, ohne Kompromisse, ohne Wenn und Aber,
ohne die Voreingenommenheit der Weißen.«
Howard zog die Brauen in die Höhe.
»Voreingenommenheit?« wiederholte er. »Was meinen Sie,
Haggerty?«
»Ich meine etwas, an das alle Weißen glauben: die
Einbildung, anderen Rassen überlegen zu sein. Cochise kennt
uns genau. Er versteht es, die weiße Rasse richtig
einzuschätzen. Er kennt auch unseren Hochmut, unsere
Selbstüberschätzung.«
»Mister, ich muß doch sehr bitten!« Howards Stirn runzelte
sich.
Haggerty zuckte mit den Achseln. Eine gelangweilte Geste.
Er wechselte einen Blick mit Miller, und es gelang ihm
tatsächlich, ein Lächeln zu unterdrücken.
»Es ist doch so, General. Die Weißen fühlen sich stets als
Teufelsaustreiber und wollen den armen Indianern die
Segnungen ihrer Religion und Zivilisation bringen. Sie
sprechen von ihrer alten Kultur, sehen in den Indianern Wilde
und vergleichen sie mit Metzgern, die den Andersfarbigen die
Bäuche aufschlitzen, ihre Kopfhäute von den Schädeln reißen,
um sie anschließend zu zerstückeln. Sir, darf ich fragen, wer
zuerst mit den Massakern begann? Die Indianer etwa? Nein!
Sie kämpften nur gegen die Spanier. Zwischen denen und den
roten Völkern herrscht eine jahrhundertealte Feindschaft, die
ständig wieder mit vergossenem Blut aufgefrischt wird. Als die
Weißen in dieses Land kamen, glaubten die Indianer zuerst fest
an die Anständigkeit dieses neuen Volkes, weil es weiß war
und nicht braun oder gelb. Sie wurden bitter enttäuscht.«
Howard schwieg, sah in die betretenen Gesichter der
Offiziere. Nur Miller grinste. Howard faßte sich jedoch und
überhörte Haggertys Anklage. Er sagte:
»Es bleibt dabei. Sie, Mr. Haggerty, und ich reiten zu
Cochise.«
John brummte sein Einverständnis und wandte sich Miller
zu.
»Ich kann jetzt gehen, Sir, und diesen verlausten Kerl hier,
der zehn Meilen gegen den Wind nach Rothaut stinkt, mit mir
nehmen?«
Howard, der schon mal einen derben Spaß vertrug, nickte
und lächelte zu John hinüber. Die beiden Scouts grüßten knapp
und verließen das Zelt.
Haggerty wandte sich nach links, Miller nach rechts. Miller
blieb stehen. »He, Mann, wo willst du denn hin?«
»Ins Kantinenzelt, wohin denn sonst in diesem
gottverdammten Camp?«
»Das hat doch noch Zeit«, sagte Miller. »Ich möchte zuerst
Major Tanner Bericht erstatten, damit er den Fluch der
Verfolgung von mir nimmt.«
John blies die Wangen auf, folgte aber Miller, der die
Richtung zum Südteil des Zeltlagers einschlug.
»Rede nur keinen Mist zusammen, Curt.«
»Keine Sorge, wirst schon sehen.«
Vor einem größeren Zelt blieb er stehen.
»Hallo, Major! Ich bin's, Miller!«
Die Plane schlug zurück. Major Tanner stand in der Öffnung,
reichte Miller die Hand.
»Kommen Sie herein, Mann des Teufels! Ich machte mir
schon Sorgen um Sie. Wie war's?«
Haggerty betrat hinter Miller das Zelt. Curt sah sich um und
griente.
»Wenn ich daran denke, wie es damals hier aussah, als wir
das Ding zusammen drehten, dann kann ich nur noch mit dem
Kopf schütteln, Sir. Von wie vielen Patrouillen ließen Sie mich
eigentlich verfolgen?«
Tanner lachte.
»Beinahe die halbe Garnison war hinter Ihnen her, Miller.
Ich denke, wir beide spielten unsere Rolle gut.«
»Wie nahm es der General auf?« fragte Miller und lächelte
breit.
»Oje, der… Howard blies sofort alles ab. Die
Suchkommandos wurden zurückgezogen, ich bekam einen
kräftigen Abputzer und die Order, keine Alleingänge mehr zu
unternehmen. Hm, hatten Sie Erfolg?«
Sie setzten sich an den kleinen Feldtisch. Tanner stellte eine
Flasche Whisky und drei Gläser auf die Platte. Er schenkte ein,
hob sein Glas und sagte:
»Cheers, Gentlemen!«
»Cheers!«
Als sie die Gläser absetzten, wandte sich Major Tanner an
Haggerty:
»Wissen Sie, um was es bei unserem Gespräch geht?«
»Nein, Sir.«
Tanner sah Miller an und fragte: »Nun, Erfolg?«
»Nur zur Hälfte, Major. Die andere Hälfte kann als
Mißerfolg gewertet werden.« Er tippte Haggerty auf den Arm,
um dessen Aufmerksamkeit zu wecken, und erzählte ihm die
ganze Geschichte.
»Ich wurde also Bandit. Okay, der Zweck heiligt die Mittel,
aber die Geschichte schmeckte mir nicht. Was ich
herausbekam, ist nicht viel, jedoch bezeichnend für das, was
sich in diesem Land unter den Augen der Armee abspielt.«
Er schniefte, langte nach seinem Glas und genehmigte sich
noch einen Schluck.
»Wir – Major Tanner und ich – gingen davon aus, daß es
Elemente gibt, die es darauf anlegen, den Grenzkrieg mit den
Apachen noch weiter zu schüren, um im trüben fischen zu
können. Es war eine Vermutung, nicht wahr, Major?«
»Vieles sprach dafür, aber die Beweise fehlten uns. Wir
heckten also einen Plan aus, der gelang, weil uns der Zufall zu
Hilfe kam. Wegen der Posten, die durch das Lager
patrouillierten, war ein besonderer Gag notwendig, um das,
was wir uns ausgedacht hatten, glaubwürdig zu machen.«
Er schwieg, trank einen langen Schluck aus seinem Glas.
»Alles schön und gut«, sagte Haggerty ahnungslos. »Was
weiter?«
»In der Nacht ging ich zu Major Tanner. Er war betrunken.
Alles nur fingiert, natürlich. Wir redeten uns schließlich so in
Wut, daß wir Streit miteinander bekamen. Er schrie, ich brüllte,
und draußen vernahmen die Posten jedes Wort. Darauf kam es
an. Das Theater, das wir veranstalteten, spulte sich ab wie auf
'ner Bühne. Schließlich verpaßte ich dem Major einen saftigen
Kinnhaken und verließ das Lager.«
»Was?« Haggerty sprang erregt auf. »Bist du des Teufels,
Mann?«
»Ruhe!« sagte Tanner. »Sachte, immer sachte!« Er zerrte
Haggerty auf den Sitz zurück. »Hören Sie erst mal die ganze
Geschichte. Miller hat doch gesagt, es war alles nur gestellt.«
Miller nahm den Faden wieder auf. »Wo war ich
stehengeblieben? Ja, also, ich knallte dem Major eine und
machte mich aus dem Staub…«
Haggerty unterbrach ihn schon wieder. »Was sollte diese
blöde Balgerei für einen Sinn haben?«
Miller schüttelte über Johns Begriffsstutzigkeit den Kopf.
»Setzt bei dir das Denkvermögen aus, John, oder hast du
schon Meisen unterm Pony? Liegt doch klar auf der Hand, oder
nicht, Major?«
Tanner nickte. »Sie müssen etwas mehr Geduld mit Mr.
Haggerty haben, Miller. Ich an seiner Stelle würde auch nur
langsam und sehr schwer begreifen.«
John machte ein zweifelndes Gesicht. »Erzähl weiter«, sagte
er.
»Alles hatte nur den einzigen Sinn und Zweck, daß
Suchkommandos der Armee das Land durchstreiften, um mich
einzufangen und vor ein Kriegsgericht zu stellen. Wir gingen
davon aus, daß die Soldaten darüber redeten und ich sozusagen
als schwarzes Schaf verschrien wurde.«
»Ich glaube, ich träume.«
»John, du kapierst doch sonst immer alles so schnell. Es muß
doch ein zwingendes Motiv vorliegen, wenn ein Scout der
Army den Rücken kehrt und bei einer Verbrecherbande um
Zuflucht nachsucht. Begreifst du jetzt? Es gelang, nur etwas
anders, als wir es geplant hatten. Aber das ist so unwichtig, daß
ich es hier nicht zu erwähnen brauche.«
»Schön und gut. Weiter! Bin gespannt wie ein Paukenfell.«
»Okay. Ich wollte zunächst nach Santa Magdalena, weil wir
vermuteten, daß die Bande dort ihr Hauptquartier hat. Aber
auch das klappte nicht. Ich stieß auf einen einzelnen Reiter, der
sich Doolin nannte. Er gab sich Mühe, mich auszufragen.
Schließlich sahen wir beide die Staubfahnen der Patrouillen.
Ich gestand, daß ich gesucht würde und mich auf der Flucht
befand. Er erzählte mir beiläufig, daß er seinen Scout verloren
habe und nach einem guten Mann suche, der die Pässe nach
Sonora kenne. Ich war auf eine heiße Spur gestoßen und ließ
mich von ihm anwerben.«
Major Tanner schenkte die Gläser noch einmal voll.
»Fahren Sie nur fort, Miller. Mr. Haggerty ist so bei der
Sache, daß er seine Umgebung vergißt.«
»Zunächst gaben wir unseren Gäulen die Sporen, um so
schnell wie möglich aus dem Gefahrenbereich der
Suchkommandos zu kommen. Auf dem Ritt erzählte er mir,
daß er eine Bande von Schmugglern unterhalte, die Waren
illegal nach Sonora und umgekehrt nach Arizona brächten. Er
bot mir einen Job als Scout an.«
»Du sagtest zu?«
»Um mehr zu erfahren, ließ ich mich als Scout auf seine
Lohnliste setzen. Ich wollte herausfinden, wer hinter den
Überfällen und Massakern steckt, und das ist mir zum Teil
auch gelungen. Wir ritten also ins Gebirge. Die Pahute-Range
war sein Ziel. In einem Tal standen drei Blockhütten und ein
Stallgebäude. Ein richtiges Banditennest. Jetzt kommt der
zweite Teil meiner Geschichte, und der macht die ganze Sache
erst richtig interessant.«
Miller berichtete weiter. Es wurde mehr als ein Bericht. Ein
Stück jener abenteuerlichen Zeit, in der sie lebten, stellte er so
sachlich und greifbar plastisch dar, daß den Zuhörern kein
Zweifel blieb, daß nicht nur die Indianer an jenen blutigen
Grenzvorfällen die Schuld trugen, die ein ganzes Land in Not
und Chaos trieben.
*
Sonora. Ende Mai 1865.
Das blutigste Gemetzel seit Beginn der Indianerkriege sollte
an diesem Tag seinen Anfang nehmen. Zielstrebig stießen die
indianischen Späher auf die kleine Stadt Los Molinos vor.
Zum zweitenmal in diesem heißen Sommer.
Cochise wußte, daß sich Federales in der Stadt aufhielten.
Colonello Sebastiano Diaz hatte in Eilmärschen von Poza
Grande aus Los Molinos in der Nacht erreicht und sich
verschanzt. Er hatte in seiner Truppe ein paar Nedni-Apachen
als Scouts. Sie fürchten zwar die wilden Broncos aus den
Bergen, wußten sich aber unter den Mexikanern in guter
Obhut.
Die Truppe von ungefähr vierzig Soldaten setzte sich aus
allen nur möglichen Elementen des Grenzgebietes zusammen.
Nicht nur Mexikaner gehörten ihr an, sondern auch Tontos,
Aravaipas, Coyoteros, Yavaipas, Yumas, Mohave-Apachen
und Yaquis.
Oberst Diaz ließ sich von seinen Spähern minütlich über das
Vordringen der Chiricahuas berichten. Als am Nachmittag des
glühendheißen Tages der Kampf ausbrach, ahnte Diaz, daß es
sein letzter sein würde.
Die Angreifer schwärmten auf die Plaza, witterten das
Wasser im Brunnen und tranken Seite an Seite mit den Tieren,
die trotz des Kampflärms nicht vom Wasser wichen.
Pulverfeiner Staub wirbelte über den freien Platz zwischen
den geduckten Adobe-Häusern, verdeckte die Sicht, gab sie
wieder frei. Diaz sah die ersten Chiricahuas. Sie trugen den
schwarzen Streifen der Häuptlingswürde quer zur
Kriegsbemalung.
Da wurde es dem Colonel zur Gewißheit, daß er den
Sonnenuntergang nicht mehr erleben würde. Cochise selbst
leitete den Angriff. Schließlich sah er den Jefe. In stolzer
Haltung stand er beim Brunnen und gab von dort aus seine
Befehle.
Der Angriff begann. Wie Katzen huschten die Chiricahuas
durch die Gassen, wieselten geduckt über flache Dächer,
drangen in Häuser ein und suchten den Nahkampf mit den
mexikanischen Soldaten. Von den Dächern und aus den Casas
fielen ganz sporadisch abgefeuerte Schüsse, die meistens nicht
trafen oder von den Indianern dann sofort erwidert wurden.
Als seine Vorhut den ersten Feindkontakt mit den
Mexikanern hatte, gab Cochise das Zeichen zum
Generalangriff. Zwanzig Krieger stürmten auf ihren Ponys in
die Stadt und jagten mit schrillen Schreien durch die Gassen.
»Zastee!«
Der Ruf ließ die Mexikaner zittern. Ihre Herzen
verkrampften sich in Angst. Der Schreck hielt sie so fest
gepackt, daß sie jeder Verteidigungswille verließ.
»Zastee!«
Tötet!
Colonello Diaz beobachtete von seiner Casa aus die dunklen,
abziehenden Pulverschwaden über Los Molinos und sagte zu
seinem Adjutanten:
»Wenn wir schon dazu verdammt sind, an diesem heißen Tag
zu sterben, so soll dies draußen geschehen und nicht in dieser
dreckigen Hütte. Kommen Sie!«
Sie zogen ihre Säbel und mischten sich in das
Kampfgetümmel.
»Viva Mexiko!« schrie Diaz, und »viva Mexiko!« brüllte
auch Sancho Lopez, der Adjutant.
Cochise sah den goldbetreßten Offizier. Mit seinem
Kriegsbeil stürzte er sich auf Diaz, während Naiche sich mit
Capitano Sancho Lopez beschäftigte.
Verwundete, Sterbende und Tote lagen überall auf dem
Boden. Reiterlose Pferde galoppierten blindlings durch den
Pulverrauch. Die Angst der Mexikaner und der dichte Rauch
kam den Chiricahuas zugute.
Nichts hielt sie mehr auf. Die ersten Häuser brannten,
nachdem sie geplündert worden waren. Die Rauchschwaden
wurden dichter, ätzender und atembeklemmender.
Auf der Calle Royal kämpften Diaz mit Cochise, Lopez mit
Naiche. Der Kampf wogte hin und her. Gegen die langen Säbel
kamen die Apachen mit ihren Messern und Kriegsbeilen nicht
an.
Cochise war verwundet. Ein Säbelhieb hatte seine Schulter
gestreift, das Calicohemd in zwei Teile getrennt. Blut lief ihm
über die Brust. Mit unbeschreiblicher Wildheit stürzte er sich
erneut auf den Colonel, unterlief die Klinge und stieß mit dem
Messer zu.
»Viva Mexiko!«
Diaz brach zusammen und starb. Er hatte recht gehabt. Den
Sonnenuntergang durfte er nicht mehr erleben.
Lopez wehrte sich tapfer gegen Naiche, aber gegen einen
geworfenen Tomahawk hatte er keine Chance. Er starb im
Stehen, als sein Schädel getroffen worden war.
Gegen vier Uhr nachmittags war alles vorbei, Los Molinos
zum zweitenmal zerstört. Wild und triumphierend schwangen
die Chiricahuas Beutestücke und Skalps.
Niemand war verschont worden. Selbst Frauen und Kinder,
Greise und Kranke wurden das Opfer der wilden Broncos aus
den Bergen.
In der heraufziehenden Nacht leuchtete die Fackel der
brennenden Stadt meilenweit.
Los Molinos existierte nicht mehr.
*
General Howard schlug die Hände vor das Gesicht und
schüttelte sich wie im Fieber. Der indianische Scout stand
teilnahmslos vor ihm und schürzte die Lippen.
Was diese Weißen nur hatten? Leben und Tod lagen für die
Indianer so nahe beieinander, daß sie kein Aufhebens davon
machten.
»Großer Gott!« murmelte Howard, während die beiden
Colonels erschüttert schwiegen. »Großer Gott, warum läßt du
so was zu?«
Colonel White gab dem Yuma einen Wink.
Lautlos ging der Mann auf seinen hohen Wüstenmokassins
davon. Howard wandte sich an Walmann:
»Meine Herren, wer ist mehr gestraft, die toten Mexikaner
oder wir?«
Walmann sagte: »Sie haben es hinter sich, Sir, wir aber vor
uns. Die Geißel Gottes muß vernichtet werden, koste es, was es
wolle.«
White warf ihm einen schiefen Blick zu, verkniff sich aber
eine Bemerkung. Walmann fuhr fort: »In drei Tagen reiten Sie,
General, mit dem Scout nach Süden. Versprechen Sie sich
etwas davon?«
»Es muß alles getan werden, diesem sinnlosen Gemetzel
Einhalt zu gebieten, Colonel. Frauen, Kinder, Greise…
Allmächtiger, sind das noch Menschen?«
Ein Soldat trat ein, grüßte zackig.
»Wie heißen Sie?« schnarrte Howard ihn an.
»Dragoner Patrick O'Hara, Sir, zur Stelle!«
»Stehen Sie bequem, O'Hara. Ich habe Sie rufen lassen, weil
ich heute in drei Tagen einen Mann brauche, der mir etwas zur
Hand geht. Feuer anzünden, Pferde halten und so… Würden
Sie das gerne machen?«
»Gewiß, Sir. Selbstverständlich, Sir.«
»Auch wenn es zu den Apachen geht und wir nur drei Mann
sind, die ihre Haut zu Markte tragen?«
»Auch dann, Sir.«
»Gut, O'Hara, Sie werden eine Woche vom Dienst befreit.
Sind Sie Ire?«
»Ein echter Paddy, mit Verlaub.«
O'Hara grinste, Howard grinste, und die beiden hohen
Offiziere grinsten ebenfalls.
»Ich habe gehört, die Söhne der grünen Insel seien niemals
umzubringen. Stimmt das, O'Hara?«
»Stimmt genau, Sir. Jedenfalls nicht von den verdammten
Rothäuten.«
»Sie können abtreten, O'Hara.«
Der Ire knallte die Hacken zusammen und ging.
General Howard setzte sich wieder. Der gesunde Arm lag auf
dem Tisch. Er sah die beiden Offiziere an und wandte sich
schließlich an White:
»Haben Sie gehört, wie es Colonel Richards geht,
Gentlemen?«
White erwiderte: »Relativ gut, Sir. Er befehligt das Südlager
III.«
»Er soll krank sein?«
»Gewesen, General… Sir. J.H. Richards geht's wieder
einigermaßen. Er macht seinen Dienst und wird von Major
Tanner dabei nach besten Kräften unterstützt.«
In Whites Worten lag eine Frage, die Howard nicht
überhören konnte.
»Ja, Fieber… Fieber hatte er doch, nicht wahr?«
White antwortete: »Gelbes Fieber, Sir, Wüstenfieber.«
»Ich frage deshalb, weil ich wissen will, ob die Krankheit
weiter um sich greift.«
»Bis jetzt ist kein anderer Fall bekannt, Sir.«
»Danke. Wie sehen die Nachrichten aus dem Ostteil des
Landes aus, Colonel Walmann?«
»Nicht besser als aus dem Süden und Westen. Überfälle sind
an der Tagesordnung, Mord und Totschlag. Kein Tag vergeht,
an dem keine Hiobs-Botschaften eintreffen.«
»Sie halten immer noch weiße Banditen an dem Aufstand
schuldig?«
Walmann und White nickten gleichzeitig.
»Sir, es darf nicht mehr hingenommen und aus
Toleranzgründen übersehen werden, daß Weiße die Schuldigen
sind. Wir müssen sie suchen und kaltstellen. Siedler,
Viehzüchter und die Minenarbeiter verlieren allmählich das
Vertrauen zur Armee, die sie schließlich schützen soll. Die
Butterfield-Overland-Mail verlor in einer Woche drei
Kutschen. Wenn es so weitergeht, entvölkert sich das Land
immer mehr. Die Armee ist verpflichtet, etwas zu tun.«
»Und was, wenn ich fragen darf? Das Oberkommando lehnt
die Entsendung der California Volunteers strikt ab. Meine
Herren, was, in Gottes Namen, soll ich tun? Mir sind die Hände
gebunden, ich fühle mich einfach hundsmiserabel.«
White und Walmann sahen sich an. White runzelte die Stirn,
Walmann senkte den Blick. Schleppend sagte White:
»Wir alle, das ganze Camp, Sir, setzen unsere Hoffnung auf
Ihr Verhandlungsgeschick. Es wird Ihnen mit Versprechungen
gelingen, Cochise in seine Berge…«
»Versprechen müssen auch gehalten werden, sonst beginnt
der Krieg im Spätsommer wieder. Und was, Gentlemen, soll
ich dem großen Häuptling versprechen, was ich auch halten
kann?«
White und Walmann schwiegen betreten. Sie wußten beide,
daß Washington keinen der Verträge einhielt, die mit den
Indianern geschlossen worden waren. Wie sollte da ein Ein-
Sterne-General halten, was er einem Häuptling in seiner Not
versprochen hatte.
*
Im Bierzelt war es laut und stickig. Kein Lufthauch bewegte
die Tabakschwaden. John Haggerty und Curt Miller saßen an
einem Ecktisch und verfolgten gelangweilt das Treiben der
vielen Soldaten.
Ein untersetzter Mann in Zivil kam herein, sah die zwei
Scouts und steuerte ihren Tisch an.
»Ich bin Josua Cartwright«, sagte er. »Wie stehen die
Chancen, nach Süden durchzukommen, Scout?«
»Mittelmäßig.« John wies auf einen freien Stuhl. »Setzen Sie
sich. Was wollen Sie denn da unten?«
»Ich bin Händler«, erklärte Cartwright. »Man hatte mir eine
Eskorte versprochen, aber dann wurde die Sache wieder
abgeblasen. General Howard ist der Meinung, daß er nicht
jedem Reisenden in diesem Land einen Begleitschutz mitgeben
kann.«
»Womit er recht hat«, bemerkte Miller und musterte den
Fremden.
Cartwright hatte harte Züge und kleine grüne Augen. Alles
an ihm wirkte klobig und irgendwie ungelenk.
»Ich denke, ich kann mir ein sicheres Geleit etwas kosten
lassen«, fuhr er fort und blinzelte. »Meine Geschäfte bringen
so viel ein, daß mir ein Hunderter angemessen erscheint,
rechtzeitig am Camino del Diablo zu sein.«
»Sie werden bestimmt keinen finden, der so weit nach Süden
geht, Mr. Cartwright«, sagte Haggerty hellhörig.
»Bestimmt auch keinen indianischen Scout?«
»Wenn er es versuchen will, muß er allein gehen. Und wenn
ich ihn dabei erwische, erschieße ich ihn.«
Cartwright starrte ihn an.
»Sie sind wohl ein ganz Harter, wie?«
»Nein. Aber ich habe einen Befehl wie wir alle, und ich
werde ihn ausführen.«
»Und wie lautet dieser Befehl?«
»Das Gebiet der Dragoons und der Chiricahua Mountains ist
für jeden Weißen bis auf weiteres gesperrt.«
»Und meine Geschäfte?« fragte der Mann aufsässig.
»Interessiert die Armee nicht. Wir haben genug damit zu tun,
die Indianerangriffe in den Griff zu kriegen. Wir können uns
nicht noch mehr aufhalsen.«
»Und wenn ich auf eigenes Risiko gehe?«
»Niemand hält Sie vom vorsätzlichen Selbstmord ab. Wir
leben in einem freien Land, Mister.«
Miller nickte. Sein Mund verzog sich spöttisch, er wurde
aber unvermittelt wachsam, als er Haggerty ansah. Johns
Augen waren halb geschlossen, wirkten kalt und abweisend.
Cartwright ging zur Theke und bestellte Bier.
»Den hast du aber tüchtig abblitzen lassen, John. Warum?«
»Ist dir nichts aufgefallen?«
»Sag's mir.«
»Jetzt nicht, er beobachtet uns. Wenn er geht, folgen wir ihm
unbemerkt. Ich habe den Kerl in Verdacht, mit Waffen zu
handeln.«
»Apachen? Die rauben sich doch, was sie brauchen. Womit
wollen sie moderne Waffen denn überhaupt bezahlen?«
»Sie kennen goldführende Adern in den Bergen, Curt, das ist
so sicher wie das Amen nach dem Gebet. Sie selbst halten von
Gold nichts, weil sie nicht den Wert des gelben Metalls
kennen. Aber sie tauschen es schon mal gegen Dinge ein, die
sie unbedingt haben wollen.«
Miller stierte auf sein halb geleertes Bierglas.
»Du hältst diesen Cartwright für einen Waffenhändler, der
mit den Apachen Waffengeschäfte macht? Wie kommst du auf
den Trichter?«
»Für ein paar Tage Zeitgewinn sind hundert Dollar viel
Geld.«
»Das beweist gar nichts, John. Ihn können andere Gründe
leiten. Ein wichtiger Termin, vielleicht.«
»Vertraue meinem Gefühl«, sagte Haggerty. »Paß auf, er
geht!«
Cartwright trank aus und ging durch das Zelt dem Ausgang
zu. Er verließ die Kantine, ohne sich noch einmal umzusehen.
»Komm!« sagte Haggerty drängend und stand auf. Er ging
langsam zum Seitenausgang und blieb in der vollen Sonnenglut
stehen. Curt kam ihm nach und gesellte sich zu ihm.
John Haggerty murmelte: »Er geht in Richtung Westen. Wir
warten noch einen Augenblick.« Er spähte um die Zeltecke und
zuckte wieder zurück.
»Da drüben ist er.«
»Wo? Ich sehe ihn nicht.«
Miller wollte vortreten, aber Haggerty hielt ihn fest.
»Vorsicht! Er kann sich noch einmal umdrehen, und dann
sieht er uns und wird mißtrauisch. Verdammt, er wagt es
tatsächlich, zur Scout-Unterkunft zu gehen.« Ganz kurz spähte
er noch einmal um die Ecke, um den Kopf sofort wieder
zurückzunehmen.
»Jetzt aber Tempo, wir dürfen ihn nicht aus den Augen
verlieren.«
Sie huschten in eine andere Zeltgasse, in die nächste, durch
eine Lücke in die übernächste. Am Ende dieser Gasse standen
die Wickiups der Scouts, die ihre gewohnte Behausung den
Armeezelten vorzogen. Cartwright verschwand gerade in einer
Hütte.
»Du mußt es sofort dem General oder einem Offizier
melden«, sagte Miller.
»Noch nicht. Zuerst brauchen wir Beweise. Ich mache mich
nicht gerne lächerlich und dabei Pferde wild, von denen sich
nachher herausstellt, daß es Esel sind. Wenn er abhaut,
verfolge ihn. Wir werden uns unterwegs nach Süden schon
irgendwo treffen.«
Miller nickte.
Nach einer halben Stunde kam Cartwright zusammen mit
einem Apachen-Scout aus dem Jacale und machte einen recht
zufriedenen Eindruck. Sie verließen den Lagerbezirk. Die
Scouts nahmen die Verfolgung sofort wieder auf und gelangten
an drei zu einem Dreieck aufgefahrenen Murphywagen.
*
Pahute Range.
Die Mittagssonne brannte auf die Felsen, als wollte sie alles
mit ihrem Glutatem versengen. Doolin benutzte einen
unbekannten Pfad, von dem er nicht wußte, wohin er führte.
Lediglich nach Süden, in einen Canyon mit steilen Wänden. Es
gab kaum Spuren. Der Pfad war von Menschen getrampelt
worden, die zu Fuß reisten. Doolin wischte den Schweiß von
der Stirn. Seine Blicke folgten dem Weg, bis er hinter Felsen
verschwand. In der Ferne sah er ein Hochplateau, eine felsige
Mesa, auf der Pinien und verkrüppelte Bäume wuchsen.
Er überlegte sich, wer wohl den Pfad vor langer Zeit benutzt
hatte und wohin er führte. Hier war er zum erstenmal geritten.
Sonst benutzte er nur den schmalen Canyon, um zum Versteck
zu gelangen.
Das Pferd unter ihm schnaubte.
Er blickte nach Norden und sah ein wild zerklüftetes
Berggebiet, scheinbar unüberwindlich.
Apachenland.
Manchmal war der schmale Weg von Steinlawinen
verschüttet oder von Wildwassern unterspült.
Die Felswände der Schlucht schoben sich enger zusammen
und stießen kaminartig an.
Langsam kamen Doolin Zweifel, daß der Pfad irgendwohin
führte. Er wollte schon umkehren und den vertrauten Weg
reiten, als sich die Schlucht verbreiterte und schließlich in ein
breites Tal mündete. Die umliegenden Berge kamen ihm
bekannt vor.
Links führte der Hang schräg zur Mesa hinauf, rechts stieg
die Geröllfläche in sich gekrümmt zu Höhe, und es schien, daß
ein einziger Schuß genügte, um eine Steinlawine auszulösen.
Er hatte gehofft, einen zweiten Ausgang aus seinem Tal zu
finden, schien sich aber geirrt zu haben. Enttäuscht richtete er
sich im Sattel auf und starrte nach unten. Den Felsen, der weit
hinten spitz wie ein Zuckerhut emporragte, kannte er.
Von seinem Tal aus war er genauso zu sehen, nur von der
anderen Seite. Folglich mußte das Versteck hinter jenem
Höhenzug liegen.
Aber die Felswände wirkten hoch und unüberwindbar. Nur
Gemsen schafften das wahrscheinlich ohne Mühe.
Hinter ihm ertönte ein Schrei, dann folgte ein Schuß. Doolin
ruckte im Sattel herum.
Honda hatte geschossen. Rauch kräuselte aus seinem
Revolverlauf.
»Mensch, was ist los?«
»Apachen!«
»Quatsch! Siehst du schon Gespenster?«
»Dort drüben«, stammelte Fred Honda mit
schreckensbleichen Lippen. Er deutete auf eine Anhäufung von
Steinen.
Die anderen Banditen rissen ihre Waffen aus den Halftern
und entsicherten sie. Nichts geschah. Sie stiegen von den
Pferden und verteilten sich über die Breite des Tals, suchten
Deckung hinter Steinen und Stachelgewächsen.
Doolin lief geduckt zu der angegebenen Stelle und kletterte
auf den Steinhaufen. Er sah nichts, weder Apachen noch sonst
etwas. Nur Schatten glitten an den Felswänden entlang, die
Schatten der von Wind bewegten Vegetation.
»Nichts zu entdecken, du Narr!« rief Doolin.
Honda und Wash kamen herüber, während McDonnel das
Tal beobachtete.
»Hast du wirklich einen Krieger gesehen?« fragte Doolin.
»Ja.«
Elvis Wash spuckte aus.
»Er sieht alles, was er sich einbildet.«
Honda wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.
»Ich guckte zufällig hinüber«, sagte er nervös. »Der Wind
raschelte im Dickicht. Ich sah etwas, was sich vor dem Felsen
bewegte. Etwas Dunkles, mit hellen Streifen dort, wo das
Gesicht sein muß. Ich schoß darauf.«
Doolin schubste ihn vor die Brust.
»Hast du einen Apachen gesehen?« fragte er kalt.
Fred Honda senkte den Blick.
»Mit Sicherheit kann ich das nicht sagen.«
Wash hob seine mächtige Faust. »Am liebsten würde ich sie
dir auf deinen dummen Schädel knallen«, knurrte er. »Macht
das ganze Land verrückt und schreit wie ein altes Weib.«
»Auf die Pferde!« befahl Doolin ablenkend. Streit unter
seinen Leuten konnte er in dieser Situation am wenigsten
gebrauchen.
Sie zogen sich wieder in ihre Sättel und trieben ihre Pferde
weiter in das Tal hinein. Hank Doolin hatte nur den Gipfel im
Auge, der einem Zuckerhut glich.
Je mehr sie sich der abschließenden Felswand näherten,
desto deutlicher wurde der Einschnitt zwischen dem Berg und
dessen angrenzenden Felsmassen. Wie eine dünne Linie schnitt
er das massive Gestein, davor wuchs ein gelbbraunes Dickicht
mit langen Stacheln.
Doolin sah sich um. Die Büsche bewegten sich im Wind.
Selbst ein Mann mit stärkeren Nerven als Honda konnte sich
einbilden, daß sich dort jemand bewegte.
Er parierte sein Pferd und betrachtete die Felsformation.
McDonnel ritt an seine Seite, wies auf den Zuckerhut und
sagte:
»Kommt mir sehr bekannt vor, Boß. Was meinst du zu
Fred?«
»In dieser Gegend können einem die Nerven schon mal
durchgehen. Vielleicht fürchtet man das mehr, was man nicht
sieht.«
Er ritt wieder an und hielt genau auf den Einschnitt zu. Die
Schatten wurden länger und dunkler. Langsam sank die Sonne
und hinterließ eine Ahnung von kommendem Unheil.
Unwillkürlich schritten auch die Pferde schneller aus. Doolin
konnte sich das Ganze nicht erklären.
Der Einschnitt lag vor ihm. Grau und dunkel schnitt der Riß
in das Gestein. Noch war der Weg eben und sogar zu Fuß gut
begehbar. Und dann sah der Banditenboß, daß der kaum
sichtbare Trampelpfad in den Einschnitt führte.
Dumpf klangen die Eisen der Pferde und erzeugten
mehrfachen Widerhall. Feucht und lichtlos war es hier unten.
Langsam stieg der Weg an, wand sich und wurde
unübersichtlicher.
»He, wohin bringst du uns eigentlich, Boß?«
»In unser Tal. Es muß einen zweiten Weg dorthin geben, und
wir werden ihn eines Tages benutzen müssen. Kommt nur, ihr
Angsthasen.«
Elvis Wash biß sich ein Stück Kautabak von der Rolle in
seiner Hemdtasche ab. Als das Trampeln der Hufe vor ihm
stärker wurde und der Wind jaulend durch die Klamm fegte,
wurde auch er nervös. Dann und wann ertönte der seltsame
Schrei eines Nachtvogels, der dann plötzlich erstarb.
Doolin überlegte sich, welche Männer bei einem
unverhofften Angriff die verläßlichsten waren. Fred Honda
würde zuerst die Nerven verlieren, dann aber seinen Revolver
benutzen. McDonnel war in Ordnung, trotz seines großen
Mundwerks. Am schnellsten mit einem Schießeisen war Wash.
Vielleicht war gerade er der Typ, der den Schwanz einzog,
sobald die Apachen auftauchten. Die Krieger der Chiricahuas
hielten alle Trumpfkarten in der Hand.
Doolin dachte daran, wie schnell sie die andere Bande
ausgelöscht hatten. Wieder lauschte er. Vielleicht hatte Fred
doch einen Indianer gesehen? In diesem Fall war er nicht allein
gewesen.
Ein schwaches Licht tauchte vor ihm auf. Sein Pferd ließ die
Ohren spielen und blähte die Nüstern. Das Licht wurde breiter,
heller. Doolin ritt in den matten Glanz des sinkenden Abends
hinein und sah eine Art Plattform vor sich.
Er hielt sein Pferd an und blickte sich um. Dort unten standen
die drei Blockhütten und das Stallgebäude, umgeben von
einem Corral aus Birkenstangen.
Er hatte einen zweiten Zugang zu seinem Tal gefunden. Stolz
schwellte seine Brust. Nichts hatte sich verändert. Demnach
war auch niemand in dem Tal gewesen.
Als er an Curt Miller dachte, knirschte er mit den Zähnen.
»Also los«, sagte er, »wir sind zu Hause.«
*
Drei Reiter trabten nach Süden. Sie ritten langsam, schonten
die Pferde und blickten sich dabei angelegentlich um. John
Haggerty hielt sich an General Oliver O. Howards Seite. Ihnen
folgte Dragoner Patrick O'Hara, der Sohn der grünen Insel, mit
einem Packpferd am Zügel.
Das Tal des San Pedro wand sich durch das Gebirge und
trennte die Chiricahua-Berge von den Dragoon Mountains. Der
Fluß war nicht breit, dafür aber trocken. Spärliche Rinnsale
flossen in seinem Bett zum Rio Gila, um sich bei Mayden mit
ihm zu vereinigen. An manchen Stellen zeigten die flachen
Uferränder üppigen Bewuchs, andere waren kahl.
Die Sonne sank dem Pazifik zu und tauchte die urweltliche
Landschaft in ein rötliches Licht.
General Howard deutete nach Süden.
»Sehen Sie dort das Gebirge, Mr. Haggerty?«
»Ja. Was ist damit?«
»Kennen Sie es?«
»Ja, die Dragoons. Wir befinden uns im Herzen der
gigantischen Apachenfestung, General… Sir.«
»Dann sind Sie mit mir der Meinung daß wir bereits von
roten Spähern beobachtet werden?«
»Schon lange, Sir. Seit heute morgen.«
»Woher wissen Sie das so genau?«
»Gefühlssache, Sir. Zehn Jahre Wildnis schärfen die Sinne.«
»Gesehen haben Sie noch keinen?«
»Doch, zwei. Junge Krieger, die sich ihre Sporen verdienen
wollen. Sie können unbesorgt sein, Sir, kein Apache wird uns
angreifen, wenn Cochise es nicht befiehlt.«
Als die Schatten länger wurden, befahl Howard O'Hara, nach
einem geeigneten Lagerplatz zu suchen. Sie fanden ihn nahe
des Flusses, umgeben von grünen Büschen und dichtem
Unterholz.
O'Hara sattelte die Tiere ab, führte sie zur Tränke, machte ein
Feuer an und richtete ein karges Abendbrot. Als er fertig war,
wurde es dunkel.
Während sie aßen, blickte der General ständig auf den ihn
umgebenden Grüngürtel. John Haggerty erhob sich, machte
eine Runde um das kleine Lager, gesellte sich dann wieder zu
den anderen.
General Howard starrte auf Johns Revolver in dem Halfter.
»Sie führen uns in die Hölle, ohne die geringste Ahnung zu
haben, wie wir wieder herauskommen sollen.«
Haggerty grinste.
»Ich sitze immerhin mit im Boot.«
O'Hara feixte, erlaubte sich aber nicht, etwas zu sagen.
Howards Gesicht wurde von einem gütigen Lächeln überzogen.
»Ich denke, Sie machen das schon richtig. Werden wir auch
jetzt beobachtet?«
»Darauf möchte ich wetten«, erwiderte der Scout. »Ich sehe
mich später in der Gegend um, und wenn ich einen Späher
erwische, lasse ich schöne Grüße an Cochise ausrichten.«
»Tun Sie das lieber nicht«, sagte Howard lachend. »Der Jefe
könnte uns solche Scherze übelnehmen.«
Patrick O'Hara räumte das Geschirr weg, brachte es zum
Fluß, um es zu reinigen. Anschließend suchte er Brennholz für
die Nacht. John erhob sich, zog den Gürtel hoch und das
Halfter zurecht.
»Ich bin in einer Stunde zurück«, sagte er. »Es wird nichts
geschehen, General, ich verbürge mich dafür.«
Howard nickte schläfrig. Er hatte eine Zigarre angezündet
und paffte vor sich hin. Woran mochte er denken?
John drang lautlos ins Unterholz und wand sich wie eine
Schlange durch die Büsche. Rechts von ihm eine schwache
Bewegung. Ein Zweig knackte. John blieb stehen, legte den
Kopf zur Seite und lauschte auf die nächtlichen Geräusche.
Weit voraus glänzten die Schluchtränder silbern im Licht des
beinahe vollen Mondes.
Lebendes Wesen schienen die Büsche zu sein, wenn der
Wind sie bewegte. Es war eine teuflische Landschaft. Aus der
Ferne sah sie friedlich aus, wie eine schlummernde Katze.
Aber eine Katze hat scharfe Krallen, genau wie diese
Landschaft.
Cochises Späher hatten sich zurückgezogen. John kehrte um
und steuerte das Lagerfeuer an. Er wußte, daß sie in wenigen
Minuten wieder in der Nähe sein würden, und er lächelte.
O'Hara rief ihn an:
»Halt, wer da?«
»Junge, steck' den Schießprügel weg, bevor ein Unheil
geschieht!«
»Ah, Sie sind's, Scout. Kommen Sie nur, das Gewehr war gar
nicht entsichert.«
Haggerty grinste breit. Der junge Dragoner versuchte, sich
vor seinem General ins rechte Licht zu setzen und zog eine
kleine Schau ab. Er nahm beim Feuer Platz und drehte sich
eine Zigarette.
Cochise wußte bestimmt schon, daß sie kamen. Auch er zog
sicherlich eine kleine Schau ab, um den Weißen zu imponieren.
Haggerty stieß den Tabakrauch durch die Nase und starrte ins
Feuer. Howard saß stumm neben ihm, in eine Decke gehüllt.
Die Nächte am Fluß waren kühl und feucht.
O'Hara wollte noch einmal Holz auf die ersterbenden
Flammen legen, aber der Scout hielt ihn davon ab.
»Lassen Sie nur, Dragoner, wir schlafen jetzt. Morgen steht
ein schwerer Tag bevor.«
»Sollen wir keine Wachen aufstellen?« fragte der General.
»Wozu, Sir? Die Apachen wachen für uns.«
*
Drei Planwagen rollten langsam nach Süden, angeführt von
einem Apachen-Scout und einem Weißen, der sich Josua
Cartwright nannte. Auf jedem Sitz saß ein bewaffneter Fahrer,
insgesamt also fünf Mann, ziemlich wenig für einen Trip ins
Apachengebiet.
Weit hinter dem Treck ritt ein einzelner Reiter im
gleichbleibenden Abstand. Curt Miller nutzte für sich und sein
Pferd jede nur mögliche Deckung aus, um nicht durch Zufall
von Cartwright oder einem anderen gesehen zu werden.
Miller hatte keine Ahnung, was der Händler so Wertvolles
zum Camino del Diablo bringen wollte, daß er sich nicht die
Zeit nahm, bis Ruhe in das Land eingekehrt war.
Der Scout nahm sich vor, in der kommenden Nacht den
Wagen einen Besuch abzustatten, um einem unter die Planen
zu schauen. Es versprach zwar eine helle Nacht zu werden,
denn der Mond war bereits prall wie ein gefüllter Ziegenbalg,
aber er hoffte, daß die Fahrer alle schliefen.
Nur vor dem Scout mußte er sich in acht nehmen. Apachen
hatten scharfe Ohren und einen leisen Schlaf.
Weit vor ihm schwenkten die Fahrzeuge plötzlich ein.
Curt erhob sich im Sattel, um besser und weiter sehen zu
können. Eine Insel aus Bäumen und Büschen stand mitten in
der Sandebene. Wo Bäume wuchsen, mußte es Wasser geben,
und wo Wasser war, konnten sich Apachen aufhalten.
Miller parierte sein Pferd und sprang aus dem Sattel. In
Deckung eines kegelförmigen Felsens ließ er sich nieder. Es
war Nachmittag, und die Stunden vergingen. Als die Sonne ein
Stück über dem Horizont stand und das weite Land in ein
Purpurlicht tauchte, stand der Scout auf, tränkte und fütterte
sein Pferd und aß selbst Brot und kaltes Fleisch.
Das Purpurlicht wurde schnell von Grau und Schwarz
verdrängt, aber bevor es ganz wich, zuckten die letzten
Sonnenstrahlen noch einmal wie scharfe Klingen über die
Wüste.
Die Dunkelheit brach schnell herein.
Miller wartete bis Mitternacht. Er befestigte die Zügel seines
Pferdes an einer Felsnase, klopfte dem Tier noch einmal
beruhigend den Hals und ging nach Süden davon.
Der Mond beschien die Wüste wie eine abstrahlende Fläche
aus Quecksilber. Immer weiter drang Curt Miller nach Süden
vor. Er bereute es, seine Stiefel nicht gegen bequeme
Mokassins vertauscht zu haben.
Als er nur noch 200 Yards von dem Wagen-Camp entfernt
war, setzte er sich in den Sand und schnallte die Sporen ab.
Achtlos steckte er sie in die Seitentasche seines
Wildlederrocks.
Bevor er sich dichter an die Fahrzeuge heranschleichen
konnte, hörte er ein Geräusch. Es kam von rechts hinter den
Murphys. Wie vom Blitz getroffen, warf er sich in den Sand
und zog den Hut tiefer ins Gesicht.
Er wußte, wie sehr die helle Haut bei Mondschein Licht
reflektierte. Seine Aufmerksamkeit wurde von einer Bewegung
angezogen. Etwas schlich zu den Wagen.
Tiere? Wölfe?
Curt Miller sah näher hin.
Apachen! Drei an der Zahl. Die Späher glitten lautlos durch
die Wüste, die im geisterhaften Mondlicht vor ihnen lag.
Dunkel und klotzig hoben sich die plangedeckten Murphys
von ihrer Umgebung ab. Miller robbte gewandt ein paar Yards
zu einem großen Felsbrocken zurück, der ihm bessere Deckung
als der helle Sand bot. Von hier aus beobachtete er die
Rothäute.
Sekundenlang sah er sie nicht. Stille lag über der
Wüstenlandschaft, eine tödliche Stille, die an die Nerven ging.
Der Scout ahnte, daß sich dort drüben etwas tat.
Plötzlich entdeckte er die Späher wieder. Sie zogen sich
vorsichtig zurück und verschwanden in Richtung Süden. Curt
blieb liegen und beobachtete. Beim Wagen-Camp blieb alles
ruhig. Vermutlich hatten sie nicht mal einen Posten aufgestellt.
Dieser Gedanke trieb ihn an. Er wollte feststellen, welche
Fracht die Fahrzeuge mit sich führten. Wie ein Wiesel huschte
er hinüber und sprang unter den ersten Wagen.
Ihm fielen die Spuren der Apachen-Späher auf, die sie nur
oberflächlich verwischt hatten. Über sich vernahm er die
Schnarchtöne eines Schläfers. Schließlich sah er den Apachen-
Scout. Er lag mitten im Dreieck der zusammengeschobenen
Wagenburg in seine Decken gewickelt.
Es war seltsam. Alle taten so, als gäbe es weit und breit keine
Indianer, dabei waren sie mitten in der gewaltigen
Naturfestung zwischen den großen Gebirgsstöcken, die das
ureigenste Land der Apachen war, und das sie mit ihrem
Herzblut verteidigten, notfalls unter Aufopferung ihres Lebens.
Langsam kroch Curt Miller weiter. Nur der schlafende
Apache konnte ihm gefährlich werden. Er mußte aufpassen,
daß er nicht eines der eisenbeschlagenen Wagenräder streifte.
Das Geräusch hätte den Scout sofort geweckt.
Am Ende des Wagens richtete sich Miller auf, hob die Plane
etwas und warf einen Blick in den Laderaum. Längliche
Kisten, fein säuberlich aufgestapelt und verseilt. Er wußte
genug, ließ die Plane fallen und eilte zu seinem Ausgangspunkt
zurück.
Dort legte er sich neben sein Pferd und schlief ein.
Ein Schnauben weckte ihn. Im Osten graute der Morgen. Der
volle Mond hatte seine Bahn zurückgelegt und war hinter den
Bergen untergetaucht. Noch einmal schnaubte sein Pferd und
sprang auf. Seine Ohren stellten sich nach Süden.
Miller ahnte, was sich dort anbahnte. Er dachte kurz über die
Möglichkeit nach, die Männer mit einem Schuß zu warnen,
verwarf aber den Gedanken wieder.
Jede Warnung wäre zu spät.
Im gleichen Augenblick hörte er es. Ein mächtiger Schrei
hallte über die Wüste.
»Zastee!«
»Koh Cheez!«
Es fielen nur zwei oder drei Schüsse. Alles ging viel zu
schnell. Die Chiricahuas waren wie Geister aus der Nacht
aufgetaucht und stürzten sich auf den schlafenden Gegner, der
es gewagt hatte, in ihr Land einzudringen.
Als sie ihn ausgeschaltet hatten, wurde es hell.
Miller vernahm nichts mehr. Er sah, wie Krieger Maulesel
führten und die Zugpferde ausschirrten. Die Tiere wurden mit
Kisten hoch beladen und weggebracht.
Erste Flammen zuckten aus den Fahrzeugen. Schwarzer
Rauch stieg zum Himmel und folgte der zurückweichenden
Nacht.
Nach einer halben Stunde war nichts mehr von den
Chiricahuas zu sehen.
Nur drei brennende Fahrzeuge standen in der Wüste und
würden später, viele Jahre oder Jahrzehnte später, davon
zeugen, was geschehen war und alles noch geschehen sollte.
*
»Da sind sie!« stieß Haggerty erregt hervor. Howard hielt sein
Pferd an und gab O'Hara durch einen Wink zu verstehen,
zurückzubleiben.
Sie waren es tatsächlich. Cochise hockte mit Naiche, einem
weiteren Apachen und einem kleinen Jungen mitten in einem
ausgetrockneten Bachbett und wartete.
Ein kleines rauchloses Feuer brannte. Der Junge warf hin und
wieder Zweige des Maulbeerbaumes und verdorrte Mesquite
auf die Flammen. Ein angenehmer Duft verbreitete sich.
Cochise und Naiche blieben ruhig sitzen, während der dritte
Krieger sich erhob und bescheiden in den Hintergrund trat.
»Sollen wir näher heran?« fragte der General.
»General… Sir, das müssen wir. Cochise kommt nicht zu
uns. Er war zuerst da und nutzt jetzt sein Hausrecht aus.«
Schwerfällig stieg Howard aus dem Sattel und übergab die
Zügel seines Pferdes O'Hara. John sprang einfach zur Erde und
schlug seinem Pferd auf die Kruppe. Es trottete willig hinter
O'Hara her, der sich mit den Tieren ein Stück zurückzog.
»Recht feierlich«, sagte Howard. »Sehen Sie die Kleidung
des Häuptlings, Mr. Haggerty?«
John kicherte verhalten.
»Er weiß eben, was sich gehört, General.«
Cochise trug ein Rehlederhemd und Leggins. Um die Stirn
hatte er ein helles Tuch geschlungen, seitlich verknotet, so daß
die beiden Enden über seine Schulter hingen.
Er blickte den beiden Weißen mit stoischer Ruhe entgegen.
Besonders Howard schien ihn zu interessieren. Der einarmige
General machte einen guten Eindruck auf den Indianer.
Cochise erhob sich, fast gleichzeitig auch sein Sohn Naiche.
Der Junge hatte sich zu dem dritten Apachen geflüchtet, der
ihm eine Hand auf den Arm legte.
»Wer ist der Knabe?« wollte Howard wissen.
»Keine Ahnung, jemand aus seinem engsten Familienkreis.
Das beweist, daß es der Jefe ehrlich meint.«
»Und wer sind die beiden anderen?«
»Der Jüngere ist sein Zweitältester Sohn Naiche, ein feiner
junger Mann. Den älteren Krieger kenne ich nicht.«
Sie waren heran. Howard machte die letzten Schritte
zögernder. Er überlegte, wieviel er sich vergab, wenn er dem
Jefe mit ausgestreckter Hand entgegenging. Die Entscheidung
wurde ihm abgenommen.
Cochise trat auf ihn zu, ergriff mit einer natürlichen
Gelassenheit Howards Rechte, schüttelte sie herzlich, hielt sie
weiter fest und drehte sich um.
»Mein Sohn Naiche«, erklärte er und deutete auf den jungen
Krieger. »Mein kleiner Sohn Nachise und mein Bruder
Naretana. Naiche ist ein tapferer Krieger, Nachise wird es
noch, how!«
»Setzen wir uns ans Feuer, Häuptling. Wenn du erlaubst,
beginnen wir sofort mit dem Wichtigsten.«
Cochise ließ Howards Hand los und wies auf einen flachen
Stein, der mit einem roten Fuchsfell bedeckt worden war. Ein
wahrhaft königlicher Sitz.
Howard war angenehm von der Freundlichkeit Cochises
berührt, als er sich niederließ. Der berühmte Häuptling nahm
ihm gegenüber Platz, Naiche an seiner Seite.
Der Junge blieb bei Cochises Bruder stehen und ließ kein
Auge von John Haggerty. Der hatte den Eindruck, daß man in
der Apacheria über ihn gesprochen hatte, und der Junge war
nun neugierig.
»Das wichtigste wäre Frieden, Weißauge«, sagte Cochise.
»Aber kann es Friede zwischen dem weißen Volk und dem
roten geben, wenn immer mehr Bleichgesichter in unser Land
strömen und es ausplündern?«
Howard seufzte. Er wußte, daß der Jefe recht hatte, aber er
selbst konnte es nicht ändern. Das Territorium Arizona war zur
Besiedlung freigegeben worden, und nichts konnte mehr
rückgängig gemacht werden.
Also was sollte er antworten? Als General oder als Weißer?
Er wußte es nicht. Ausweichend entgegnete er:
»Jefe, wir sind auf einem ungewöhnlichen Weg
zusammengekommen, um dieses Problem zu erörtern. Ich
denke, wir gehen es in aller Ruhe und sachlich an.«
»Das war meine Absicht, Weißauge. Ich warte auf deine
Vorschläge.«
Der General griff in die Brusttasche, zog ein Zigarrenetui
heraus und öffnete es. Auffordernd hielt er es dem Häuptling
hin. Aber Cochise wehrte ab. Howard nahm sich eine Virginia,
biß die Spitze ab und ließ sich von Haggerty Feuer reichen.
»Welche Vorschläge erwartest du?« Howard stieß blaue
Wolken aus und blickte dem Tabakrauch nach.
»Alle Weißen verlassen mein Land. Die Pferdesoldaten
ziehen sich bis über den Rio Gila zurück und überlassen die
Forts den Chiricahuas. Kein weißer Fuß betritt jemals wieder
Chiricahualand.«
Howard wechselte einen Blick mit Haggerty, der betreten zu
Boden sah. Der Scout wußte, daß der General das nicht
zusagen konnte. Damit wäre eigentlich die Unterredung
beendet gewesen. Aber der einarmige Offizier machte einen
neuen Versuch.
»Jefe, ich wollte dir einen fairen Kompromiß anbieten und
dich bitten, die wenigen Poststationen und Goldgräber in den
Gebirgen und Tälern deiner Jagdgründe zu dulden. Ich könnte
mir vorstellen, daß es nicht zum Schaden deiner Sippen
gereichen würde. Die Weißen haben viel, was sie euch geben
könnten, aber die Überfälle und das sinnlose Morden müssen
aufhören.«
Cochise sagte nur ein Wort:
»Was?«
»Waffen, Proviant, Pferde. Man müßte sie veranlassen, für
ihren Aufenthalt in deinem Land zu zahlen. Die Weißen
besitzen viel, was ihr nicht habt …«
Cochises abwinkende Hand ließ Howard verstummen.
»Wir wollen nichts von den Weißen, und Waffen haben wir
selbst, mehr als wir brauchen können. Du kannst mir nicht dein
Wort darauf geben, daß die Weißen mein Land verlassen?«
Howard schüttelte den Kopf, sah seine Mission
fehlgeschlagen, setzte aber trotzdem zu einem dritten Versuch
an.
»Nein, Jefe, mein Wort kann ich dir nicht geben. Ich bin der
Oberkommandierende der Armee in Arizona, aber ich bin nicht
die Regierung in Washington. Doch ich pflichte dir in allen
Punkten bei.«
»Dann geht der Krieg weiter, bis alle Bleichgesichter das
Land verlassen haben.«
»Oder die Knochen des letzten Apachen in der Wüste
bleichen«, konterte Oliver O. Howard ebenso grob wie
enttäuscht.
Cochise reagierte mit einem schmalen Lächeln. Er war sich
seiner Macht in diesem wilden Gebiet bewußt und nicht bereit,
auch nur einen winzigen Schritt von seiner Forderung
abzugehen.
»Unsere Apacherias sind unangreifbar, Hellauge. Aus ihnen
können wir blitzschnell zustoßen und euch dort vernichten, wo
ihr es am wenigsten erwartet. How!«
Die Bekräftigung sagte Howard, daß der Häuptling das
Gespräch als beendet betrachtete. Schnell hob er die Hand.
»Moment, Jefe, warte! Ich schlage dir einen Burgfrieden von
einem halben Jahr vor. Keine Überfälle durch die Chiricahuas,
keine Angriffe durch die Soldaten. Die Apachen brauchen
Ruhe nach dem langen Krieg, die Weißen auch. Bist du
einverstanden?«
Cochises mächtiger Brustkasten hob und senkte sich in
einem langen Atemzug. Er wußte, daß der weiße General recht
hatte. Die Apachen benötigten Ruhe zum Maisanbau, zur Jagd
und für die Erledigung anderer Dinge so sehr, daß er liebend
gern Howard beigepflichtet hätte.
Aber sein Stolz verbot es ihm.
»Gibst du Garantien?« wich er aus.
»Die kann ich dir nicht geben, du weißt es, Jefe. Es gibt gute
und schlechte Weiße, und die schlechten könnten Angehörigen
deines Volkes Schaden zufügen, den die Armee nicht
verhindern kann. Wenn du mir solche Bösewichter übergibst,
werden sie von mir abgeurteilt. Das verspreche ich dir bei
meiner Ehre.«
Cochise starrte den General lange und nachdenklich an.
Howard hatte die Hoffnung auf eine Vereinbarung schon
aufgegeben, da streckte der Jefe beide Arme aus und
verkündete:
»Apachen sind Krieger, Hellauge. Sie lassen sich von ihren
Häuptlingen führen, aber sie unterstellen sich ihnen nicht.
Auch ich kann nicht für alle Chiricahuas garantieren. So sei es.
Waffenruhe für zunächst ein halbes Jahr. Danach werden wir
uns wiedersehen. How!«
Er sagte in seiner Sprache ein paar Worte zu Naretana,
seinem Bruder, drehte sich würdevoll um und schritt davon.
Howard, der ihm nachblickte, sagte zu John Haggerty:
»Ein großartiger Mann, nicht wahr? Er hätte es verdient,
mehr zu sein als ein Indianer, der um seine nackte Existenz
kämpfen muß. Reiten wir zurück.«
*
Miller wandte sich nach Osten. Nur weg von dieser
grauenhaften Brandstätte. Wenn er darüber nachdachte, wieviel
Waffen die Apachen in den letzten Monaten erbeutet hatten,
wurde ihm übel.
Unklar blieb, wem Cartwright die Gewehre übergeben
wollte. Hinter dem Camino del Diablo begann die Gran
Desierto, die trockene Wüste. Dort gab es kein Leben in
irgendeiner Form. Erst jenseits der Sierra del Pinacate gab es
wieder Wasser und Ansiedlungen der Mexikaner.
Möglich war auch, daß sich dort drüben wieder eine
Revolution vorbereitete, daß irgendein »Generalissimo«
Waffenkäufe tätigte, um seine Revolution auszurüsten.
Gegen Mittag sah Miller sich bewegende Punkte am
Horizont, die vor der Kulisse des mächtigen Gebirges nach
Norden zogen. Er hielt an, bedeckte die Augen mit der Hand
und blickte lange hin.
Drei Reiter und ein Packpferd. Miller ließ sein Pferd wieder
antraben und gab ihm nach einer Weile die Sporen zu fühlen.
Im mäßigen Galopp ritt er die andere Gruppe in einem spitzen,
nach Norden gerichteten Winkel an.
Kurze Zeit darauf erkannte er die Reiter. Er gab seinem Pferd
nun voll die Zügel frei und winkte zu den Männern hinüber.
John Haggerty winkte zurück. General Howard parierte sein
Pferd, um auf den Scout zu warten.
Miller begrüßte den General militärisch, Haggerty reichte er
die Hand, und O'Hara nickte er freundlich zu. Haggerty wandte
sich sogleich an ihn.
»Sie haben das Lager verlassen, und du hast sie verfolgt?
Etwas herausgefunden?«
Miller nickte. Howard fragte:
»Worüber sprechen Sie, Mr. Haggerty?«
John erklärte es ihm, deutete dann auf Miller und sagte:
»Erzähl weiter, Curt, den General interessiert es sicherlich, was
du ermittelt hast.«
»Steigen wir ab und legen eine Rast ein«, schlug Howard vor
und gab dem Dragoner einen Wink. »Im Sitzen spricht es sich
besser.«
Er kletterte, ein wenig schwerfällig vom langen Sitzen, aus
dem Sattel und suchte sich einen schattigen Platz neben einem
Tamariskengebüsch. Die Sonne brannte heiß, und die Luft
hatte Backofenhitze.
Als sie auf den Steinen Platz genommen hatten, blickte
Howard Miller auffordernd an.
Miller begann:
»Du hattest recht, John, Cartwright befördert Waffen.
Scheinbar waren sie aber nicht für die Apachen bestimmt. Er
ließ sich von einem unserer Scouts nach Süden führen, doch
dort…«
»Was, von einem Army-Scout?« Howard sprang erregt auf.
»Den lasse ich füsilieren, auf der Stelle.«
Miller sah ihn an und machte eine abwehrende
Handbewegung.
»Die Patronen können Sie sich sparen, General… Sir. Der
Wagenzug wurde von Apachen überfallen, und die Männer
wurden niedergemacht.«
»Großer Gott! Wann?«
»Im Morgengrauen.«
Howard setzte sich. Merklich abgekühlt, wandte er sich
wieder an Curt Miller:
»Woher wissen Sie, daß dieser Cartwright illegal mit Waffen
handelte?«
Miller berichtete nun alles, Wort für Wort, und als er
erzählte, wie er zu den Fahrzeugen geschlichen war, um unter
die Plane zu sehen, schüttelte der General nur den Kopf.
»Nach dem Kampf wurden die Waffen auf Mulis und die
Zugpferde verladen«, fuhr der Scout fort. »Die Fahrzeuge
zündeten sie an.«
»Hieraus schließt du, daß die Gewehre nicht für die Apachen
bestimmt waren?« murmelte Haggerty vor sich hin.
»Klar, sie hätten sie ja sonst nicht zu stehlen brauchen. Das
bedeutete, daß Cochise jetzt über mindestens fünfzig Gewehre
der neuesten Bauart mehr verfügt. Weshalb ging er dann die
Vereinbarung mit Ihnen ein, General?«
»Ich denke gerade darüber nach«, erwiderte Howard. »Es
muß einen Grund dafür geben. Aber welchen?«
»Zeitgewinn, Sir.«
Howard schob den Feldhut aus der Stirn.
»Ich glaube, ich weiß, was Sie damit andeuten wollen. Doch
ich sage Ihnen eins: Cochise ist noch lange nicht geschlagen.
Wenn wir Weißen glauben, der Chiricahua wird sich in
unserem Netz verfangen, dann irren wir. Kommen Sie,
Gentlemen! Wir müssen zurück ins Camp, es gibt noch viel zu
tun.«
*
Elvis Wash ging zu dem etwas abseits stehenden Blockhaus,
klopfte an und trat ein. Hank Doolin empfing ihn. Die
geblümte Weste hing aufgeknöpft über seinem Bauchansatz,
darunter war ein zerknittertes, schmutziges Hemd.
»Setz dich!« befahl Doolin.
Wash zog sich einen Stuhl heran.
»Gibt's hier einen Drink?«
Doolin warf ihm einen kühlen Blick zu.
»Dazu haben wir jetzt keine Zeit. Ich habe dich
'rübergerufen, El, weil ich was mit dir besprechen will. Hör
zu!«
»Ich bin ganz Ohr. Schieß los, Boß!«
»Wir hatten in der letzten Zeit 'ne Menge Pech, El. Aus
zuverlässiger Quelle weiß ich, daß der Gouverneur von
Arizona zwei US-Deputys in diese Gegend geschickt hat oder
noch schicken wird. Es wird am besten sein, wenn wir uns für
eine Weile ruhig verhalten. Ich sehe die Sache für uns
weiterhin günstig, nachdem wir einen zweiten Zugang zu
unserem Versteck gefunden haben. Wir sind fast unangreifbar
geworden. Wird der Druck eventueller Angreifer zu groß,
ziehen wir uns über den Fluchtweg zurück und greifen sie dann
von hinten an. Aber soweit sind wir nicht. Was meinst du zu
meiner Idee?«
Wash zuckte mit der Schulter.
»Du spielst auf Miller an, wie?«
»Möglich. Ein Spitzel war er auf jeden Fall. Ich könnte mir
denken, daß die Armee ihn auf uns angesetzt hat. Schwamm
drüber. Möglicherweise ist er tot, von den Apachen ins Jenseits
geschickt worden. Ich warte immer noch auf deine Antwort.«
Wash sagte zurückhaltend: »Du bist der Boß, Hank. Ich frage
mich nur, wie wir das vielleicht mehrere Wochen lang
aushalten sollen. Die Männer wollen essen, trinken und
rauchen, und auf den Whisky können sie auch nicht lange
verzichten.«
»Dafür wird gesorgt«, erklärte Doolin mit einer
abschließenden Handbewegung. »Wir beide reiten in den
nächsten Tagen nach Santa Magdalena und verproviantieren
uns für ungefähr zehn Wochen. Ich denke, daß es richtig ist,
wenn wir vorläufig nichts unternehmen. Die Armee wird
annehmen, daß die Bande, die das Land unsicher machte, von
den Apachen erledigt wurde. Irgendwann finden sie bestimmt
die Reste unserer Freunde aus dem Galiuro.«
»Du meinst…«
»Genau. Wenn alles wieder ruhig geworden ist, legen wir
wieder los, geben uns aber von nun an mit den Indianern nicht
ab.«
Elvis Wash warf einen zweifelnden Blick auf Doolin. Er hielt
den Mann für feige, deshalb wollte es ihm nicht in den Kopf,
daß sich der Boß zu etwas anderem herablassen könnte, als
Indianer zu berauben.
»Wie sollen unsere künftigen Geschäfte denn aussehen?«
Doolin sagte: »Wir haben jetzt freie Bahn und keine
Konkurrenz mehr zu befürchten. Den Tresoren in den Banken
und den Postkutschen der Overland-Mail ist es egal, wer die
überfällt und ausraubt. Ich hoffe, die Jungs werden mit meinem
Vorschlag einverstanden sein.«
»Bestimmt. Aber sind wir nicht ein paar Mann zuwenig für
diese Geschäfte, Hank?«
»Daran habe ich schon gedacht. Wenn es soweit ist, sehen
wir uns nach einigen guten Leuten um, denen der Revolver
locker sitzt, und die auch kräftig hinlangen können, wenn es
erforderlich werden sollte. Aber das hat noch Zeit. Unnötige
Fresser können wir uns jetzt nicht leisten.«
»Klingt gut«, sagte Wash und rieb sich die Nase. »Kann ich
es schon den Jungs sagen?«
»Nichts dagegen einzuwenden. Wenn der eine oder andere
von euch in die Stadt reitet, dann verhaltet euch ruhig, und
fangt keinen Streit an. Es ist ratsam, daß wir uns vollkommen
zurückhalten, um so glaubhafter wird das, was ich der Armee
schmackhaft machen möchte. Rede mit den Jungs.«
Wash stand auf, äugte sehnsüchtig nach dem Schrank, aber
Doolin machte keine Anstalten, ihn zu einem Drink einzuladen.
Mit einem entsagenden Achselzucken verließ Wash die Hütte.
*
Cochise rief die Sippenführer und Unterhäuptlinge des
Apachenvolkes zu sich, um sie mit der neuen Lage vertraut zu
machen. Die darauffolgende Nacht war dazu ausersehen
worden, ein großes Palaver abzuhalten.
Der Mond war am Abnehmen und sandte nur wenig Licht in
die Canyons der Chiricahua Mountains. Naretana, Cochises
Bruder, der die Sippe der Netdahe vertrat, traf als erster ein.
Ihm folgte eine Stunde später Victorio, der eine Gruppe
Mimbrenjos führte. Chato und Loco, die Jüngsten unter den
Häuptlingen, zogen mit einem Trupp Krieger noch vor
Mitternacht in das einsame Bergtal.
Tizwin wurde verteilt, wie dies bei den Stämmen üblich war,
seit sie bis in die Sierra Madre in Sonora vorgedrungen waren
und dort Ausweichstützpunkte errichtet hatten. Von den Yaquis
hatten sie gelernt, aus Pflanzen berauschende Getränke
herzustellen.
Ein großes Feuer brannte in der Talmitte. Dunkel hoben sich
die Jacales von den beinahe senkrecht aufsteigenden
Felswänden ab. Die Augen der Krieger waren auf Cochises
Lippen gerichtet, der ihnen von seiner Begegnung mit dem
weißen General berichtete.
Unberührt von dem, was sie dachten, verzog sich keine
Miene in ihren breiten bronzefarbenden Gesichtern. Als
Cochise fertig war, standen sie wie stumme Götzenfiguren in
einer antiken Arena. Sie warteten auf das, was ihre
Sippenführer zu sagen hatten.
Auch Cochise wartete. Er blickte Naretana an, dann Naiche,
schließlich die ganze Runde. Stille. Chato stand auf. Als einer
der jüngsten Häuptlinge wandte er sich zuerst an Victorio, der
die Mimbrenjos führte.
»Friede, koh Cheez, wo Krieg sein sollte. Friede, den
niemand von uns will. Glaubst du, die Pferdesoldaten werden
ihn auch nur einen Tag lang einhalten?«
Das Murmeln in der Runde bestärkte ihn in der Annahme,
daß die Krieger am Aufstand beteiligter Stämme ebenfalls
keinen Frieden wollten. Er fuhr fort:
»Sie werden uns in Sicherheit wiegen, mehr und immer mehr
Weiße in unser Land lassen und ihre Forts ausbauen. Und
warum wird das so sein? Weil Friede ist. Kein Apache wird
diesen Frieden brechen, wenn er keinen Grund hierzu hat. Und
diesen Grund werden die Pferdesoldaten nicht geben.«
Das beifällige Murmeln wurde lauter. Victorio, der grimmig
dreinblickende Häuptling der Mimbrenjos, nickte zustimmend.
Chato warf sich in Positur, trat einen Schritt vor und wies mit
der Hand auf den sitzenden Cochise.
»Du hast Frieden beschlossen, Jefe, wir aber wollen den
Krieg. Wir wollen ihn, weil wir nicht glauben, daß die Weißen
sich an das Wort des Häuptlings der Pferdesoldaten halten. Sie
dringen mit jedem Tag weiter in unser Land vor und vertreiben
uns von den Quellen und dem fruchtbaren Boden, der uns von
unseren Vätern vererbt wurde. Weiße Männer wühlen die Erde
auf, um das silberne und goldene Metall zu suchen. Sie treiben
Stollen in die Berge, leiten die Wasseradern ab, weil sie das
Wasser zum Auswaschen des Gesteins benötigen. Wir gehen
dem Untergang entgegen, wenn wir nicht kämpfen, wir alle –
Mimbrenjos, Chiricahuas, Aravaipas, Tontos – sind so gut wie
tot, wenn wir die Waffen aus der Hand legen und dem Wort
eines Weißen vertrauen.«
»How!« ging es durch die Runde.
»How!« sagte Victorio. Loco nickte.
Cochise hätte sich wohl anders verhalten, wenn er gewußt
hätte, daß zwei Paar helle Augen dem Palaver vom
Canyonrand hoch oben zusahen. Er stand auf, streckte wie
beschwörend den rechten Arm aus und ließ diese Pose einen
Augenblick lang auf die Krieger einwirken. Dann sagte er mit
lauter, klarer und deutlicher Stimme, jeder Zoll ein Fürst, jedes
Wort ein königlich es Wort:
»Welche Quellen nahmen sie uns weg, Chato? Nenne sie
mir. Wo liegen sie, welchen Nutzen haben die Stämme der
Apachen von ihnen?« Chato trat noch einen weiteren Schritt
vor den Ring reglos dastehender Krieger.
»Die Quellen am Apache-Paß, Cochise. Es sind die Quellen
der Chiricahuas, sie gehören ihnen, seit wir als Volk denken
können, und sie sind für alle Stämme lebenswichtig, die den
Paß passieren.«
»Unmöglich! Wer will das tun?«
»Weiße, Cochise. Bleichgesichter, die ein Haus für ihre
Pferde und Kutschen dort bauen.«
»Ich lasse deine Angaben nachprüfen, Chato«, versprach
Cochise und wandte sich Yadalanh, seinem jüngsten Neffen,
zu. »Reite«, sagte er leise, »und berichte mir so schnell wie
möglich!«
Ohne eine Miene zu verziehen drängte sich der junge Krieger
durch die unbewegliche Mauer der anderen und verschwand in
der Dunkelheit. Cochise sprach wieder, und seine Worte
bewiesen, daß er nicht nur ein guter Krieger, sondern auch ein
ausgezeichneter Diplomat war.
»Die Häuptlinge der Stämme und ihre Krieger sind meine
Gäste. Wir wollen die Nacht feiern wie nach einem Sieg und
das Palaver morgen am Tag fortsetzen. How!«
Gegen diesen verlockenden Vorschlag gab es keinen
Einspruch.
»Verdammt, wer hätte das gedacht.«
»Sie sind unberechenbar, Curt, und wenn die anderen den
Krieg fortsetzen wollen, kann sich Cochise mit seinen
Chiricahuas nicht ausschließen. Weißt du, was dort oben beim
Apachen-Paß geschieht?«
»Nein«, antwortete Miller. »Ich hörte zum ersten Mal davon.
Mir scheint, die Butterfield Overland benutzt diesen strategisch
wichtigen Punkt, um sich dort festzusetzen.«
»Das wäre schlimm, sehr schlimm.«
Haggerty und Miller kauerten unter einem überhängenden
Felsen und starrten gebannt in die Tiefe. Über ihnen bewegte
sich eine Nachteidechse. Sand rieselte herunter.
»Was machen wir jetzt?« fragte Miller. »Unser Auftrag ist
eigentlich erledigt.«
»Noch nicht.« Haggerty winkte ab. »Wir müssen uns
anhören, was morgen geschieht.«
Er blickte in den Canyon. Er konnte die gegenüberliegende
Felswand wegen der Dunkelheit nicht sehen, sondern nur den
wirbelden Rauch des Lagerfeuers.
Curt Miller beobachtete den östlichen Teil der Schlucht.
Irgendwo da unten starb in diesem Moment ein Maultier mit
schrillem Schrei. Für Apachen war Maultierfleisch eine
Delikatesse.
»Schätze, wir legen uns ein wenig aufs Ohr«, sagte John
Haggerty. »Wenn wir genau wissen, was sich abspielt, reiten
wir.«
Miller machte ein bedenkliches Gesicht. »Können wir die
Pferde sich selbst überlassen?« fragte er. »Wenn sie hier
raufkommen, stoßen sie auf die Tiere, und dann sind wir
unseres Lebens nicht mehr sicher.«
»Sie kommen nicht hoch«, sagte Haggerty überzeugend.
»Was sollen sie hier? Ihr Lebensraum ist das Tal, hier oben
gibt es kein Wasser und keine Nahrung.«
»Ich denke an Späher, John.«
»Okay, aber nicht in der Nacht. Du siehst doch, wie
beschäftigt sie sind. Glaubst du, auch nur ein Krieger läßt sich
den Festschmaus entgehen? Die schlagen sich jetzt die Bäuche
voll Maultierfleisch und besaufen sich. Ich hab's schon einmal
miterlebt.«
»Gut, nehmen wir eine Mütze voll Schlaf.«
Sie legten sich zurück, zogen die Hüte über die Augen und
waren sofort darauf eingeschlafen.
Die ersten Sonnenstrahlen weckten sie. Im Canyon war es
still wie in einer Gruft.
Haggerty war sofort hellwach, während Miller sich erst
einmal zurechtfinden mußte.
»Zu ruhig dort unten. Gefällt mir nicht«, sagte er.
»Womöglich sind sie alle auf und davon.«
Haggerty schüttelte den Kopf. »Warte nur, bis es heller wird,
Curt. Sie müssen erst ihren Rausch ausschlafen und wieder zu
sich kommen. Nicht anders als bei den Weißen.« Er grinste.
»Soll ich nicht mal nach den Pferden sehen? Ich könnte unser
Frühstück mitbringen und den Tieren etwas Wasser geben.«
»Bleib nicht zu lange weg, Curt. Man weiß nie, was
passiert.«
Miller kroch davon und verschwand aus Haggertys Sicht.
Wind kam auf und trieb feinen Sand vor sich her. Die Sonne
stieg höher und erwärmte die Felsen.
Miller kam zurück. Er schleppte eine Satteltasche hinter sich
her und öffnete sie, als er unter dem Felsdach angelangt war.
»Alles in Ordnung«, sagte er. »Ich tränkte die Pferde und
bringe unser Frühstück mit. Gibt's da unten was Neues?«
»Sie schlafen noch«, erwiderte Haggerty und nahm ein Stück
Brot und eine Scheibe Trockenfleisch entgegen. Kauend wies
er auf die Wickiups hinunter.
Aus einer der zahlreichen Hütten trat eine junge Indianerin.
Sie trug einen Krug unter dem Arm und ging mit trippelnden
Schritten in den unteren Teil des Canyons. Dort mußte die
Quelle sein. Haggerty erkannte sie nicht, weil er nicht ihr
Gesicht sehen konnte.
Als das Mädchen zurückkam, sah er, wer es war. Tla-ina.
Cochises Schwester. Einmal sah sie kurz zu jener Stelle herauf,
wo sich die beiden Scouts verborgen hielten. Aber das war
Zufall. Das Mädchen verschwand wieder in der Hütte, und eine
Weile später drang Rauch aus der Deckenöffnung.
»Du machst ein Gesicht, John, als hätte es dir die Petersilie
verhagelt. Kennst du das hübsche Kind?«
»Ja, Tla-ina, Cochises Schwester. Ihr habe ich es zu
verdanken, daß ich noch lebe.«
Weit hinten im Canyon preschte ein Indianer auf seinem
Pony über die Rampe in das Lager. Wickiups wurden von
innen geöffnet, Krieger erschienen, als hätten sie nur auf die
Ankunft des Spähers gewartet.
Sekunden darauf trat Cochise auf den Plan, seinen Bruder
und Sohn Naiche in seiner Begleitung. Yadalanh ritt bis nahe
an sie heran und sprang von dem schnaufenden Pony.
Haggerty und Miller verstanden kein Wort, aber an den
Gesten der Indianer erkannten sie, daß beim Apache-Paß etwas
geschehen sein mußte. Cochise wirkte nicht so gelassen wie
sonst. John kannte ihn schon eine geraume Weile und schätzte
ihn richtig ein.
Chato und Victorio gesellten sich zu der Gruppe. Den
wildesten und verwegensten Eindruck unter allen Kriegern
machte Victorio. Sein scharfgeschnittenes Gesicht mit den
hervorstehenden Wangenknochen wurde von den wild
herabhängenden langen Haaren beinahe verdeckt. Seine Augen
blitzten zornig.
Kein Stirnband hielt die Flut der schwarzen Mähne
zusammen. Chato dagegen wirkte jung und unerfahren, aber
das war er keinesfalls. In Einzelkämpfen gegen Weiße und
Mexikaner hatte er schon viel von sich reden gemacht.
Cochise ging ihm ein paar Schritte entgegen. Victorio trat zur
Seite und ließ Loco in den Kreis ein. Sie lauschten Cochises
Worten. Unvermittelt wandte sich der Häuptling um. Er rief
etwas in seiner Sprache und gestikulierte mit den Händen.
»Wenn man nur ein Wort verstehen könnte«, sagte Miller, 90
Fuß über der indianischen Gruppe.
»Das brauchst du gar nicht«, sagte Haggerty. »Sieh nur hin.
Sie bringen Pferde. Weißt du nicht, was dort unten vorgeht?
Gnade den Weißen, die beim Apachen-Paß siedelten.«
»Ich glaub's nicht. So idiotisch kann kein Weißer handeln.
Ziehen wir uns zurück«, fügte er hastig hinzu, »und reiten wir
zum Paß. Kennst du den Weg von hier aus?«
»Nützt uns keinen Deut«, antwortete Haggerty. »Sie sind
lange vor uns dort und können …«
»Wir haben die besseren Pferde«, unterbrach Miller ihn.
»Dafür kennen sie Abkürzungen, die uns unbekannt sind.
Hilft alles nichts, Curt, wir können die Leute dort oben nicht
rechtzeitig genug warnen.«
Cochise und die anderen schwangen sich auf die Ponys und
trabten zur Rampe. Naiche und Naretana ritten hinter dem
Häuptling, die anderen folgten in einem dichten Pulk.
John packte schnell die Lebensmittel in die Satteltasche und
warf sie sich über die Schulter.
Miller lief ihm nach. Der unsichere Weg führte durch eine
Ansammlung von Felsen ohne Vegetation. Keine 100 Yards
entfernt standen zwei verwitterte Gesteinsbrocken von der
Größe eines Adobehauses so eng beieinander, daß sie ein
ideales Versteck für zwei Pferde bildeten.
Die beiden Scouts eilten in die Enge, warfen den Tieren die
Sättel über, zäumten sie und stiegen auf. Haggerty überlegte,
welche Route die Roten nehmen mochten, um zum Paß zu
gelangen.
Er betete still zu Gott, hoffte, daß die Indianer nicht allzu
genau den Boden betrachten würden. Keine Rothaut, und wäre
sie noch so dämlich, hätte die Spuren übersehen.
Haggerty trieb die Pferde immer tiefer in ein Felslabyrinth
und parierte schließlich seinen Wallach. Sofort warf er sich aus
dem Sattel und bedeckte die Nüstern des Tieres mit der Hand.
Miller machte es ihm nach.
Das Licht des neuen Tages flutete über die Mesa. Gar nicht
weit von ihnen ritten die Roten mit wilden Schreien an dem
Felsmassiv vorbei. Nach wenigen Minuten waren die
Hufschläge nicht mehr zu vernehmen.
*
John Haggerty hielt hoch über dem Paß auf einer
vorspringenden Felsnase und glitt vom Pferderücken. Miller
folgte seinem Beispiel und brachte die Tiere weiter nach
hinten, wo er sie an den stämmigen Ästen eines Kandelaber-
Kaktus festband.
Tief unter ihnen lag die Paßstraße. Im Westen erkannten sie
Fort Buchanan, und dahinter die große Ebene. Nicht weit von
ihnen entfernt waren tatsächlich Weiße am Werk, irgendwelche
Bauten zu errichten.
Haggerty, der sehr scharfe Augen besaß, erkannte ein
größeres Haus, dem das Dach noch fehlte, eine Scheune und
eine offene Schmiede. Hinter dem Haus standen zahlreiche
Pferde in einem Corral.
Drei oder vier Männer bewegten sich dort unten. Einer war
in der Schmiede beschäftigt, ein anderer mähte mit einer Sense
das hohe Gras bei einem Wasserlauf, der nach einigen Yards
im Erdboden versickerte. Der dritte rammte Pfosten in die
Erde. Der vierte Mann war in das halbfertige Haus gegangen
und hantierte dort herum. John konnte nicht sehen, was er
machte.
Als er nach Osten blickte, sah er die Chiricahuas. Sie kamen
die Paßstraße herauf und ritten auf die Quellen zu. Cochise
führte den Pulk an.
John und Curt legten sich auf den glutheißen Fels und
nahmen die Hüte ab. Apachenaugen hätten die hellere Farbe
vom Fels unterschieden und die richtigen Schlüsse daraus
ziehen können.
Cochise näherte sich den Gebäuden, hielt an und saß ab. Die
anderen Indianer blieben ein Stück zurück und auf dem Rücken
ihrer Pferde.
Der Mann in der Schmiede bearbeitete mit einem schweren
Hammer ein Hufeisen, ließ den Amboß klingen, sah jedoch die
Rothaut nicht. Interessiert beobachtete der Häuptling ihn.
Apachenpferde trugen keine Hufeisen. Der Jefe begriff nicht,
was der Weiße da machte.
Als der Schmied das Hufeisen fertig geformt hatte, kühlte er
es in einem Eimer ab. In diesem Augenblick erst bemerkte er
den Chiricahua. John Haggerty sah ganz deutlich, wie er
zurückzuckte und nach einem Gewehr greifen wollte, das an
einem Hauklotz lehnte. Ein Zuruf Cochises hielt ihn davon ab.
Der Schmied blieb stehen und drehte sich um. Cochise kam auf
ihn zu und sah sich gründlich dabei um.
»Wer bist du, Bleichgesicht?«
»Ich heiße Jim Brent und arbeite für die Butterfield
Overland.«
»Ich bin Cochise«, sagte der Häuptling schlicht. »Du bist
unbefugt in das Land der Chiricahuas eingedrungen, weißer
Mann. Warum?«
Brent machte eine hilflose Geste und wußte nicht, wie und
was er antworten sollte. Er wirkte wie ein großer Junge, der
zwar Kraft in seinen Armen besaß, dafür aber weniger Grips
im Kopf.
Der zweite Mann, der Gras gemäht hatte, näherte sich, ließ
die Sense fallen, als er den Indianer sah und wollte flüchten.
Aber Cochise winkte ihm beruhigend mit der Hand zu. Er
bestaunte die Sense, die ihm ebenso fremd wie die Einrichtung
der Schmiede war, ging zu ihr hin und fuhr mit der
Daumenfläche über das scharfe Metall.
»Damit schneidest du Gras?«
Der Mann schwitzte vor Angst. So nahe hatte er noch nie
einem Indianer gegenübergestanden. Mit bürgerlichem Namen
hieß er David Slaughter. Von Beruf war er Kutscher, verstand
aber auch etwas vom Schmiedehandwerk und von der
Landwirtschaft.
»Ja – ja«, stotterte er verwirrt. »Gras… Ja, mit der Sense
schneide ich Gras.«
Slaughter und Brent zitterten am ganzen Körper. Sie
fürchteten sich vor dem Chiricahua und versuchten erst gar
nicht, die starken Männer zu spielen. Slaughter fügte hinzu:
»Das Gras wird getrocknet und als Winterfutter an die Pferde
verfüttert.«
»Das getrocknete Gras hält sich bis zum Winter?«
»Länger, viel länger. Man kann es jahrelang in einer Scheune
aufbewahren.«
»Die Pferde mögen es?«
»Nicht nur die Pferde, auch Rinder und Schafe.«
»Was tut ihr hier oben am Paß?«
»Wir bauen eine Poststation für die Butterfield-Linie.«
»Kommen noch mehr Weiße?«
»Nur noch zwei, wenn alles fertig und eingerichtet ist«,
antwortete der Schmied.
»Sind diese Weißen Krieger?«
»Es sind Pferdeburschen, die sich um die Tiere kümmern
werden«, erklärte der Schmied.
Cochise war mit der Antwort zufrieden. Er erkannte, daß sein
Stamm von Leuten der Poststation viel lernen könnte und
entschloß sich in diesem Augenblick, die Station zu dulden.
Er machte lediglich zur Bedingung, daß die Weißen nur eine
der drei Quellen in Beschlag nehmen durften.
»Die anderen Quellen gehören den Chiricahuas«, sagte er am
Schluß, drehte sich um und ging zu seinem Pferd.
Victorio blickte ihm grimmig entgegen.
»Du hast sie nicht getötet und skalpiert?«
Cochise stieg auf seinen Pinto, blickte kurz über die Schulter,
sah, daß der Schmied wieder sein Hufeisen bearbeitete,
schüttelte den Kopf und ritt an.
Naiche kam an seine Seite, musterte das angespannte und
nachdenkliche Gesicht seines Vaters. Cochise spürte den Blick,
beachtete ihn aber nicht.
Heftig gab er seinem Pony die Fersen zu spüren.
John Haggerty zog sein schweißnasses Hemd über den Kopf
und wischte sich die Achselhöhlen trocken. Die Hitze hier oben
war mörderisch.
»Reiten wir hinunter«, sagte er zu Miller. »Es ist ein wahres
Wunder, daß Cochise die Poststation verschonte.«
»Scheinbar hält er sich an den mit General Howard
geschlossenen Vertrag.«
John zog die Schultern hoch. Er wußte nicht, was Cochise zu
den Weißen gesagt hatte, deswegen mußte er hinunter. Sie
stiegen auf ihre Pferde, Haggerty mit nacktem Oberkörper, nur
den Feldhut auf dem braunen Haar.
Es war kühl und dämmerig im Canyon. Ein Kojote heulte.
Der Wind strich durch die breite Schlucht am Paß, ließ das
Laubwerk rascheln und erfüllte die Poststation mit seinem
geisterhaften Geflüster.
Während Haggerty und Miller sich der Ansiedlung näherten,
standen vier Weiße bei der Schmiede.
David Slaughter führte das Wort. Als er den halbnackten
Scout heranreiten sah, zuckte er zusammen.
John hielt an, stieg ab. Mit seinem Pferd am Zügel ging er
auf die Gruppe zu. Miller blieb im Sattel sitzen und
beobachtete die Paßstraße.
»Hey!« grüßte Haggerty mit einem freundlichen Lächeln.
»Ich bin Scout John Haggerty, Gentlemen. Habe von der
Klippe aus beobachtet, wie der Apache zu der Station kam. Es
ist doch eine Kutscherstation der Butterfield Overland, oder?«
Slaughter nickte.
»Ich bin David Slaughter, Mister. Dies hier ist Jim Brent.
Der mit der unverschämten Bräune im Gesicht nennt sich
Benjamin Middleton, der andere heißt Jesse Love. Wir sind
eine Art Vorkommando der Butterfield.«
Haggerty nahm die Männer in Augenschein. Alle waren sie
hochgewachsen, muskulös und von der Natur mit starken
Knochen versehen. Aber sie waren keine Kämpfernaturen. Wie
es die Verwaltung der Butterfield Mail wagen konnte, mit
diesen Leuten hier am Apache-Paß eine Station zu errichten,
war unerfindlich. Er nickte.
»Was wollte Cochise von Ihnen, Slaughter?«
»Eigentlich nichts. Er sah mir zu, wie ich das Hufeisen
bearbeitete, dann interessierte er sich für die Sense. Schließlich
ging er wieder.«
»Hat er denn gar nichts gesagt?«
Slaughter deutete auf die steingefaßte Quelle neben dem
Stallgebäude.
»Nur diese Wasserstelle dürfen wie benutzen. Die anderen
gehören den Apachen. Ich kann Ihnen flüstern, Mister, meine
Kopfhaut hat ganz schön geprickelt.«
»Sie hatten Schwein gehabt«, sagte der Scout. »Irgend etwas
hat ihn davon abgehalten, Sie zu verjagen. Nun, weiterhin viel
Glück.«
Er tippte sich an die Hutkrempe, stieg in den Sattel, ritt zu
Curt Miller und berichtete, was er gehört hatte.
»Wir müssen auf dem schnellsten Weg zu General Howard
zurück. Wenn er zuläßt, daß die Butterfield hier oben eine
Station aufbaut, bricht er den Vertrag.«
Miller lenkte sein Pferd auf die abschüssige Paßstraße.
»Cochise hat doch indirekt die Anwesenheit der Weißen
geduldet.«
»Sicher, Curt. Damit ist aber das Problem nicht gelöst. Die
Gesellschaft wird weitere Stationen bauen und damit das
Verhältnis zwischen den Weißen und Indianern stark belasten.
Ihr gesunder Kaufmannsgeist wird ihnen sagen, daß, wenn
Cochise eine Station duldet, auch weitere akzeptieren wird.
Howard sollte dies alles wissen.«
»Was kann der General ändern?«
Haggerty zuckte mit den Achseln.
Ȁndern wohl nichts, aber auf die Gesellschaft seinen
Einfluß geltend machen, daß keine weiteren Gebäude mehr im
Chiricahua-Gebiet errichtet werden. Reiten wir.«
In mäßigem Trab folgten sie der unebenen Paßstraße und
sahen nach einer scharfen Kehre die gelbe Sandebene vor sich
liegen.
Die Ausläufer der Gila-Wüste streckten sich fingerartig bis
weit in die Gebirgstäler vor.
John Haggerty ritt grübelnd neben Miller, dessen
Aufmerksamkeit sich konzentriert auf die Felseneinöde
richtete.
John verstand einiges nicht: Cochise schien den Vertrag mit
Howard einhalten zu wollen, davon war er überzeugt. Aber er
hatte die anderen Häuptlinge beobachtet.
Ganz besonders war ihm der Indianer mit den langen Haaren
und dem fehlenden Stirnband aufgefallen.
Deutlich hatte er von oben dessen verzerrtes Gesicht
gesehen, die Gesten, mit denen er seine an Cochise gerichteten
Worte unterstützte. Er kannte die Rothaut nicht, ahnte aber, daß
von ihm nicht viel Gutes für die weiße Rasse zu erwarten war.
*
Fort Buchanan klebte am felsigen Hang wie ein Schwalbennest
am Dachfirst. Der Hang setzte sich hinter dem Fort
terrassenförmig fort und endete in einem Kegel aus Pophyr und
rotem Sandstein.
Auf diesem Kegel hielt ein einzelner Indianer auf einem
gescheckten Pferd und starrte in die Tiefe. Von dort oben
erkannte er jede Einzelheit im Fort, die Straße zum Paß hinauf
und das große Seitental nördlich des Forts mit den
gedrungenen Gebäuden einer Ranch.
Diese Ranch gab es schon lange. Cochise hatte sie bisher
verschont, weil sie in der Nähe des Forts lag und die Belange
der Apachen kaum störte.
In seinen Gedanken sah er das Land vor sich, wie es in seiner
Jugend ausgesehen hatte: wild, zerklüftet und einsam, nur von
den Adlern und Bussarden beherrscht.
Um dieses Land hatten die Chiricahuas Krieg geführt und die
Weißen vernichtet, wo sie sie antrafen. Aber es hatte nicht viel
eingebracht. Immer mehr Weiße waren gekommen, hatten sich
seßhaft gemacht. Forts waren entstanden, Patrouillen
durchkämmten das Land.
Wie eine Statue saß der Häuptling auf seinem Pferd,
unbeweglich, wie verwurzelt mit dem Tier. Das Fort und die
Ranch störten ihn. Beides gehörte nicht in die Landschaft. Aber
er hatte mit dem einarmigen General ein Abkommen getroffen,
das er einhalten wollte.
Von seiner Seite aus sollte der Vertrag nicht gebrochen
werden. Nie. Er machte eine Bewegung mit dem Arm, umriß
das Gelände zu seinen Füßen und brachte mit einer Gebärde
seine tiefgehenden Gedanken zum Ausdruck.
Ein leichter Zug an dem Hanfseil. Sein Pferd setzte sich in
Bewegung und ritt einen Kreis. Cochise lenkte es den
jenseitigen Hang herab, den die Posten auf den Wachtürmen
nicht einsehen konnten. Fort Buchanan lag hinter ihm, die
Paßstraße erstreckte sich in langen Windungen hinauf in die
Berge, flankiert von einer wilden Vegetation in den unteren
Bereichen und Felsnasen und Zinnen in den oberen.
Nahe beim Paßsattel hielt er an. Die Poststation hatte sich
verändert, Das Haupthaus hatte inzwischen einen Dachstuhl
erhalten. Bei der Scheune war man dabei, die Balken zu
errichten.
Cochise ritt hin.
Wieder erschrak David Slaughter, als der Apache so
überraschend auftauchte. Jesse Love sprang zu seinem Gewehr
und brachte es in Anschlag. Der Hahn des Karabiners
schnappte mit hartem Klicken zurück.
Der würdevolle Häuptling hob grüßend die Hand und glitt
vom Pferd. Ungeachtet der drohenden Gewehrmündung ging er
auf Slaughter zu.
Jesse ließ die Waffe mit einem verkrampften Lächeln sinken,
als er Cochise erkannte.
»Tut mir leid, Häuptling«, sagte er. »Wenn ich einen
Indianer sehe, rieselt's mir immer kalt über den Rücken.«
Cochise beachtete ihn nicht, noch weniger seine Worte. Er
wandte sich an Slaughter, den er für den Anführer der Weißen
hielt.
»Hat man euch belästigt, weißer Mann?«
»Nein, Jefe. Wieso?«
»Weil der Mann mit dem roten Haar überängstlich ist, wenn
er einen Chiricahua sieht.«
Slaughter wischte sich seine schweißfeuchten Hände an den
Hosenbeinen ab. »Allen Weißen geht es so, Häuptling«, sagte
er. »Wenn sie einen roten Mann sehen, selbst wenn er harmlos
ist, juckt's unter ihrer Kopfhaut.«
Cochises Gesicht blieb ernst, während er innerlich lächelte.
Er hatte wieder etwas von den Weißen gelernt: die
Beschaffenheit ihrer Seele. Sie hatten Angst vor den
Chiricahua, und die Angst verführte sie dazu, schnell zur
Waffe zu greifen, wenn sie einen Indianer sahen.
Das mußte er sich merken.
Cochise ließ Slaughter stehen und betrachtete das Dach.
Einen derartigen Holzverband hatte er noch nicht gesehen.
Slaughter folgte ihm wie ein gehorsamer Hund. Die anderen
blieben abwartend im Hintergrund.
»Das wird ein mächtiges Dach«, sagte Cochise wie im
Selbstgespräch. »Muß man lange lernen, bis man das Holz so
bearbeiten kann?«
»Jahre, Häuptling. Viele Jahre«, antwortete Slaughter
höflich. »Hast du Hunger und Durst, Cochise? Wir haben
genügend Proviant hier oben und…«
Cochise schüttelte den Kopf.
»Wann kommt die erste Kutsche?«
»In vier Wochen, wenn wir mit allem fertig sind.«
Cochise dachte an die Mimbrenjos. Die Kutsche durchfuhr
auch ihr Land weiter östlich. Würde Victorio ein solches
Verhalten der Weißen dulden? Er ahnte, daß sich
Komplikationen mit den Mimbrenjos anbahnten, sobald die
erste Postkutsche das Land durchfuhr.
Victorio war ein hitzköpfiger Häuptling, stolz und unnahbar.
Er hielt sich für einen großen Krieger, und er war ein
Weißenhasser, der geschworen hatte, alle Bleichgesichter zu
töten oder aus seinem Stammesgebiet zu verjagen.
Ein weiterer Umstand fiel ihm ein, der den Frieden in diesem
Land stören konnte: die Ranch dort unten beim Fort. Er wußte,
daß Weiße oft hier herauf kamen oder tief in die Täler
eindrangen, um nach verlaufenem Vieh zu suchen.
Stieß ein jagender Indianer zufällig auf einen solchen weißen
Reiter, würde er niedergeschossen werden, weil der weiße
Mann zuerst schoß und dann redete. Er hatte es bei dem
Rothaarigen gesehen, und das gab ihm zu denken.
Sie waren nicht alle schlecht, die weißen Männer, aber sie
hatten eine zu große Angst vor Indianern und verloren die
Nerven, wenn sie einen von weitem sahen.
»Ich geh«, sagte er.
Als er sich seinem Pferd zuwandte, dachte er einen
Augenblick lang daran, die Leute zu warnen. Aber dann sagte
er sich, daß es keinen Sinn hatte, weil die Weißen ihre Angst
nicht überwinden konnten.
Ihre Angst war es, die sie schnell zur Waffe greifen ließ. Das
wußte er nun. Er ahnte auch, daß ihre tiefverwurzelte Furcht
vor den Indianern und ihre berüchtigte Schießwut neue Fehden
zwischen den beiden Rassen auslösen würden.
Tief in seine düsteren Gedanken verstrickt, ritt Cochise auf
der anderen Seite die Paßstraße hinab und verließ sie dann, um
Pfade zu nutzen, die nur der rote Mann kannte.
*
General Oliver O. Howard hörte sich den Bericht der beiden
Scouts geduldig an. Er unterbrach mit keinem Wort. Colonel
White, der dem Rapport lauschte, schwieg ebenfalls. Zwei
scharfe Falten standen über seiner Nasenwurzel, ein Zeichen,
daß er den Bericht der Scouts geistig verarbeitete.
Howard saß hinter seinem Feldtisch und warf nur dann und
wann prüfende Blicke auf den Colonel und die Scouts. Als
Haggerty geendet hatte, lehnte er sich zurück und wartete.
Miller saß mit halb geschlossenen Augen neben Haggerty.
Beide waren müde und verschwitzt. Sie rochen unangenehm
nach kaltem Schweiß, nach Tabak und Wildnis.
Den General schien der Mief nicht zu stören.
»Was meinen Sie zu der Sache, Colonel White?«
White trat vor, zuckte mit den Achseln und wedelte fahrig
mit den Händen.
»Ich weiß nicht so recht, General… Sir. Mr. Haggerty ist der
Auffassung, daß Cochise den mündlich geschlossenen Vertrag
einzuhalten beabsichtigt. Wenn jedoch die Weißen weiterhin
unkontrolliert von seinem Land Besitz ergreifen, kann das
nicht gut ausgehen.«
»Das ist auch meine Meinung«, sagte Howard kühl wie
immer. »Schicken Sie einen Boten nach Tombstone, Colonel.
Der Leiter der hiesigen Sektion soll sich bei mir melden. Ich
möchte eine Erklärung für dieses Verhalten.«
»Sehr wohl, Sir.« White wollte das Zelt verlassen, um sich
einen geeigneten Mann im Feldlager zu suchen, aber Haggertys
Stimme hielt ihn auf.
»Sir«, sagte der Scout, während er sein Kinn massierte, »es
gibt noch einen Punkt, den wir besprechen sollten.«
Howard nickte. »Ja. Reden Sie, Mr. Haggerty.«
Der strich sich mit den schmutzigen Fingern versonnen über
die Augen.
»Nicht nur Fort Buchanan ist den Chiricahuas ein Dorn im
Auge, sondern auch die Ranch, die in der Nähe des Forts liegt.
Von unserem Stützpunkt aus wird der Paß kontrolliert, okay.
Daran haben sie sich mittlerweile gewöhnt. Bis zum heutigen
Tage ist in diesem Gebiet zwischen Rothäuten und
Armeeangehörigen auch nichts vorgekommen. Ich habe
Erkundigungen über die Ranch eingezogen. Sie gehört einem
John Ward. Abgesehen von seinen Raufereien in Tombstone
und Tubac, kann der Mann auch sonst nicht viel taugen.
Messerstechereien, illegaler Handel mit den Indianern, Waffen,
Whisky, was weiß ich…«
John sah auf, aber Howard hörte ihm immer noch geduldig
zu. White war beim Ausgang stehengeblieben und sah John an.
Die Falte auf seiner Stirn hatte sich vertieft.
»Bitte, Scout, fahren Sie doch fort.«
»Wir wissen, daß Ward seine Cowboys sehr oft zum
Rindersuchen in die Gebirgstäler schickt, besonders im Herbst,
wenn die Frühjahrsrinder sich von den Muttertieren absetzen
und ihre eigenen Wege gehen. Wenn Ward dabei ist, passiert
nichts, sollten sie auf Apachen stoßen. Sie kennen den Mann.
Wenn sie ihn auch nicht lieben, so dulden sie ihn wenigstens,
weil sie einen gewissen Profit davon haben. Aber, wenn er
einmal nicht mitreitet, sieht die Sache anders aus. Er hat ein
paar rauhe Typen in seiner Mannschaft, schnell mit dem Eisen
und skrupellos. Sie kennen ja die Reaktion, die einen Weißen
zuerst beherrscht, wenn er unerwartet einen Indianer vor sich
sieht. Er zieht und schießt. Fragen stellt er nachher. Hier sehe
ich eine viel größere Gefahr für den Frieden als durch den
Neubau der Poststation.«
General Howard schob nachdenklich die Unterlippe vor,
drehte sich zu White herum und sah ihn an.
White nickte zögernd, kam zurück und fragte den Scout:
»Was ist dieser John Ward für ein Mann? Ich meine, ist er
streitsüchtig und rowdyhaft?«
»Kann man wohl sagen. Er lebt mit einer Mexikanerin
namens Jesua Martinez zusammen. Die hat einen Sohn, dessen
Vater Apache ist, der sie mal in sein Jacale verschleppt hatte.«
»Hm. Ist der Vater ein Chiricahua?«
»Nein, ein Pinal-Apache.«
»Weshalb haben Sie uns das jetzt erzählt?« wollte General
Howard wissen.
»Die Pinals wollen das Kind zurückhaben. Sie sind bereit,
um den Besitz des Jungen einen Krieg mit den Leuten von der
Ranch zu beginnen. Ich sehe Schwierigkeiten, Sir. Der
Kummer liegt darin, daß die Chiricahuas und Mimbrenjos nicht
untätig zusehen werden, wenn die Pinals in ihre Jagdgründe
eindringen.«
»Sie sind doch ebenfalls Apachen«, warf White
begriffsstutzig ein.
»Schon, schon«, fuhr John fort. »Aber seit Jahrhunderten
befehden sich die Apachenstämme untereinander. Diese
Kämpfe arteten nie aus und werden es auch jetzt nicht, wenn es
zu einem Streit kommen sollte. Aber wir müssen sie im
Interesse unserer Soldaten im Auge behalten.«
Howard sagte: »Ich bin Ihnen für Ihre Hinweise dankbar, Mr.
Haggerty. Was schlagen Sie mir vor?«
»Wir sollten unseren Einfluß auf Ward ausüben, daß der
Junge den Apachen zurückgegeben wird.«
»Seine Mutter wird das nicht zulassen«, sagte White.
»Wir könnten Ward unter Druck setzen«, behauptete sich
Haggerty. »Er liefert Schlachtrinder an das Feldlager und in die
Forts. Stellen wir ihn vor die Wahl, weiterhin Rinder zu liefern
und den Jungen auszuliefern. Das wird ihm an die Nieren
gehen.«
White bemerkte: »Das ist eine glatte Erpressung, Mr.
Haggerty. Die Armee sollte sich auf so etwas nicht einlassen.«
»Erpressung oder nicht, Sir, der Zweck heiligt die Mittel. Mir
geht's um das Leben unserer Soldaten.«
»Ich werde mir Ihren Vorschlag überlegen, Haggerty«,
versprach der General. »Reiten Sie doch einmal hinauf zum
Paß und sehen Sie dort nach dem Rechten.«
»Okay, Sir, morgen.« Er stand auf, gab Miller einen leichten
Rippenstoß. Als sie in der hitzeflimmernden Luft durch die
Zeltgassen schritten, fragte Miller:
»Siehst du die ganze Angelegenheit mit dem Indianerbengel
nicht etwas zu schwarz, John?«
»Das ist noch untertrieben, Curt. Mit Cochise ist nicht zu
spaßen. Wenn er das Gefühl hat, von den Weißen betrogen zu
werden, geht das Blutvergießen erneut los. Morgen reite ich
zum Paß. Kommst du mit?«
»Wenn es unbedingt sein muß. Um was geht's dir dort
oben?«
»Ich will mich umsehen und mit den Leuten reden. Ein paar
Verhaltensmaßregeln könnten nichts schaden, meine ich.«
»Gut, ich bin dabei. Gehen wir uns jetzt den Staub von der
Haut spülen.«
*
Häuptling Cochise benutzte einen Hohlweg, um auf der
kürzesten Strecke zu seinem Lager in dem Hochtal zu
gelangen. Der kaum sichtbare Pfad mündete in den »Canyon
der Seufzer«. Hier waren vor 100 Jahren drei Jesuiten, die in
diesem Gebiet missionieren wollten, von den Apachen gefoltert
und schließlich getötet worden.
Cochise war kaum ein Stück in den Canyon eingedrungen,
als er einen klagenden Laut vernahm, der ihn blitzartig aus dem
Sattel trieb. Er kauerte sich in den Schatten eines Felsens und
suchte mit seinen Blicken die Schlucht ab. Er verfolgte die
schwachen Zeichen eines Weges, der von links kam und in
einer Mauer aus dichtem Grün weiter hinten verschwand, die
sich wie ein Damm über die ganze Breite des Tales dehnte.
Er sah nichts, hörte auch nichts mehr. War es der Wind
gewesen, der ihm einen Streich gespielt hatte? Oder waren
Bleichgesichter hier oben?
Er wollte sich schon wieder seinem Pferd zuwenden, als er
das Geräusch erneut vernahm: den klagenden Laut eines
gequälten Menschen.
Cochise setzte sich in Bewegung.
Lautlos schlich er an der Felswand entlang auf den
Grüngürtel zu, blieb dort geduckt stehen und lauschte
angestrengt. Das leise Wimmern, unterbrochen von qualvollem
Stöhnen, kam aus dem Gebüsch.
Der Häuptling legte sich auf den Boden, kroch durch die
Manzanitas und Stachelgewächse, stieß auf einen
ausgetrockneten Bach, der wohl nur in der Regenzeit Wasser
führte, und schob mit der Hand weitere Zweige zur Seite.
Eine Lichtung lag vor ihm. Sonnendurchglüht, war sie der
Tummelplatz von Eidechsen und anderen kleinen Reptilien.
Auf einem Stein lag zusammengerollt eine Klapperschlange.
Nichts rührte sich.
Da, wieder jenes kurze Wimmern, in dem alle Qualen eines
Menschen vereinigt waren.
Cochise dachte an die Padres, die damals hier irgendwo ihr
Leben hatten aushauchen müssen. Und als er sich vorstellte,
wie seine Vorfahren die frommen Männer gepeinigt hatten,
sträubten sich seine Nackenhaare.
Stöhnten die Seelen dieser Gemarterten?
Ein neuer Laut rauschte über seinem Kopf. Er sah hoch. Eine
Eule, ein riesiges Tier, von irgend etwas aufgeschreckt, flog
mit klatschendem Flügelschlag über ihn hinweg.
Nicht viel hätte gefehlt, und Cochise wäre aufgesprungen
und geflohen. Bú, die Eule, der Bote aus der Götterwelt,
erfüllte jeden Indianer mit Entsetzen, wenn sich ihr Erscheinen
auf einen Toten oder etwas Unerklärliches bezog.
Der Klageruf ertönte wieder. Unverkennbar waren es
menschliche Laute und keine Seufzer aus dem Totenreich.
Cochise kroch weiter. Er verdrängte seinen Aberglauben, drang
tiefer in das Gestrüpp ein und stieß auf eine weitere Lichtung.
Hier wurden die Klagelaute überdeutlich. Etwas Weißes,
Helles lag im Gras, bewegte sich aber nicht. Cochise blickte
zum Himmel, sah die Eule nicht mehr und faßte neuen Mut.
Gegen jeden Feind wäre er angetreten, nur mit einem Messer
in der Faust, aber mit den Geistern aus dem Totenreich war das
eine ganz andere Sache. Geistern ging man aus dem Weg, wie
Bergdämonen, denn sie brachten letzten Endes einem Indianer
nur Unglück.
Der Häuptling lag am Boden, konzentrierte sich auf den
hellen Fleck und wartete auf einen weiteren Laut. Der kam.
Langsam und wachsam schob er seinen Körper weiter vor. Wie
eine Schlange bewegte sich der Apache dem Hellen und
Undefinierbaren zu.
Je weiter er vordrang, desto lichter wurde das Gras.
Schließlich erkannte er, um was es sich handelte. Ein nackter
Mann lag am Boden, die Arme weit ausgestreckt, auch die
Beine. Er war ein Weißer.
Cochise warf noch einen vorsichtigen Blick in die Runde,
sah im Hintergrund des Tales das einfache Blockhaus, er sah
die stählernen Fangeisen, die Fuchs- und Wolfsfallen, das viele
Gerät, das man braucht, um Pelztiere zu fangen.
Er sprang auf die Beine und stand vor dem Mann. Der war
bärtig, nicht mehr jung, und er war splitternackt. Jemand hatte
ihn nach Indianerart am Boden festgenagelt.
Als der Schatten eines Menschen über den Gemarterten fiel,
schlug er die Augen auf und starrte Cochise an. Verwaschene
blaue Augen, vom Alter und den Schmerzen getrübt.
Der Häuptling ließ sich auf die Knie nieder, riß mit einem
einzigen Ruck den Pflock aus der rechten Hand. Der Mann
schrie und wurde ohnmächtig. Bald war auch der andere Pflock
beseitigt.
Bei den Füßen wurde es schwieriger. Der hohe Spann hielt
die zähen Pflöcke unbeweglich fest. Ein Glück, daß der
Fallensteller das Bewußtsein verloren hatte, vermutlich hätte er
die Schmerzen sonst nicht ausgehalten.
Cochise machte einen weiteren Versuch. Da gelang es ihm,
den Pflock im Erdreich zu lockern. Blut sickerte aus der
Wunde und färbte seine Hände rot. Mit der ganzen Kraft seines
starken Körpers riß er den Pflock aus dem Fuß und warf ihn
zur Seite.
Beim anderen Fuß ging es etwas schneller. Cochise stand
auf, eilte durch das Dickicht zu seinem Pferd, nahm es beim
Hanfzügel und zerrte es durch den Buschgürtel zur Lichtung.
Als er den Trapper so liegen sah, hatte er zwar kein
besonders großes Mitleid mit der geschundenen Kreatur, aber
er fragte sich, wer das getan haben könnte. Indianer – ja, das
war ihm klar. Aber welche?
Er nahm den prallen Ziegenbalg vom Pferderücken, öffnete
ihn und träufelte dem Ohnmächtigen etwas Wasser zwischen
die borkigen Lippen. Der Fallensteller schlug die Augen auf
und seufzte.
Cochise stellte sich vor ihn und fragte: »Wer hat das getan?«
»Mimbrenjos, fünf.« Er hob fünf Finger, ließ die Hand
geschwächt wieder sinken.
Der Häuptling hatte es sich gedacht. Was fing er nun mit
dem Weißen an? Mitnehmen konnte er ihn nicht, allein in der
Sonnenglut liegen lassen auch nicht.
Er ging zu Hütte hinüber und trat ein. Ein ganz armseliges
Lager im Hintergrund, ein selbstgezimmerter Schrank, ein
wackliger Tisch und zwei Holzbänke waren die ganze
Einrichtung.
Überall lagen aufgestapelte Felle, gut präpariert und
verpackt.
Cochise wunderte sich, warum die Mimbrenjos die Felle
nicht mitgenommen hatten. Sie ließen bei ihren Raubzügen
sonst auch nichts zurück, was sie gebrauchen konnten. Das tat
kein Apache.
Waren sie etwa gestört worden, ehe sie das Haus plündern
und verschwinden konnten? Hastig trat Cochise wieder in den
Türrahmen und suchte die Felsen ringsum ab. Zu sehen war
nichts, auch nichts zu hören.
Er ging zu dem gemarterten Mann zurück und warf ihm ein
paar Kleidungsstücke hin, die er aus der Hütte mitgenommen
hatte. Aber der Alte konnte sich nicht bewegen. Mit fragenden
Blicken sah er zu dem Häuptling auf, er war aber scheinbar zu
schwach, um seine Neugier mit Fragen zu stillen.
»Hast du Feinde?« wollte Cochise wissen.
Der Mann schüttelte den Kopf mit den zotteligen weißen
Haaren.
»Wie heißt du? Hast du einen Namen?«
»Bill – Mader … Du bist Cochise?«
»Du kennst mich?«
»Ich – ich sah dich – vor ein paar – Jahren«, erwiderte der
Alte mit etwas mehr Festigkeit in der Stimme.
»Du bist ein Fallensteller?« fragte der Häuptling und kreuzte
die Arme vor der Brust. »Weshalb haben dich die Mimbrenjos
nicht beraubt?«
»Sie sahen dich – über den Paß – kommen, Häuptling. Ich
hörte, wie – wie sie deinen Namen nannten und – und dann
aber eiligst wieder verschwanden.«
Cochise sah klar. »Was fange ich mit dir an, weißer Mann?
Ich muß zu meinem Volk zurück und kann mich nicht mit dir
befassen.«
»Bring mich in meine Hütte, Cochise. Wenn du das für mich
tun willst, werde ich dir ewig dankbar sein.«
Der Häuptling bückte sich, nahm den Alten auf seine Arme
und trug ihn in die Hütte. Dort bettete er ihn auf das Lager mit
dem dicken Bärenfell.
»Du befindest dich auf meinem Land«, sagte Cochise, bevor
er ging. »Du darfst aber weiter den Fuchs und die anderen
Pelztiere jagen. Gibt es hier Wasser?«
»Hinter der Hütte – ist eine – kleine Quelle. Im – im heißen
Sommer versiegt – sie manchmal, aber das – das ist nur – von
kurzer Dauer.«
»Hast du ein Pferd?«
»Einen Maulesel. Er steht – drüben – im Stall.«
Cochise ging, verließ das Tal aber noch nicht. Zuerst besah
er sich die Quelle, dann öffnete er die Tür zum Stall und warf
dem Grautier Futter für die nächsten drei Tage vor. Auch einen
Eimer mit Wasser stellte er vor die Raufe.
Als er das Pony bestieg und den Pfad hinaufritt, blickte er
noch einmal in das Tal. Es war ein ruhiges und fruchtbares Tal.
Er wollte sich die Lage merken.
*
Der Mond war noch nicht aufgegangen. John Haggerty stand
am Rande des großen dunklen Canyons. Er lauschte
angestrengt, versuchte die Dunkelheit mit allen seinen Sinnen
zu durchdringen. Weit hinter ihm hielt Miller die Pferde fest.
Von den Apachen war auf dem ganzen Ritt hierher nichts zu
sehen gewesen. Vielleicht belauerten sie die Soldaten bei Fort
Buchanan. Er grinste bei dem Gedanken. Was für ein Spiel sie
alle in dieser abgeschiedenen Einöde trieben.
Die Armee unterhielt ein riesiges Heerlager, um die
Chiricahuas zu beeindrucken. Aber die ließen sich nicht einmal
blicken.
Cochise schien sein Abkommen mit Howard sehr ernst zu
nehmen und nicht daran zu denken, es zu brechen.
Noch einmal warf John einen suchenden Blick in die Tiefe,
konnte jedoch nichts erkennen. Die Poststation mußte genau
unter ihm liegen. Hier hatte er gestanden und den Jefe
beobachtet, als er sich mit den Männern der Butterfield
Overland unterhalten hatte.
Die höchste Stelle des Apache-Passes war so düster, daß der
Scout nicht mal die Umrisse der Gebäude erkennen konnte.
Curt Miller hinter ihm stieß einen gedämpften Ruf aus. John
wirbelte herum, sondierte das Gelände.
Aber hier oben auf der Felsplatte war es genauso dunkel wie
unten im Tal. Er sah etwas, aber was es war, konnte er nicht
erkennen. Schwarze Punkte schienen über dem Erdboden zu
schweben, kamen aber nicht näher.
Der Himmel im Osten erhellte sich etwas. Bald mußte der
Mond aufgehen.
Haggerty ging zu Miller, nahm ihm die Zügel seines Pferdes
aus der Hand und blickte über die Schultern zurück. Das Pferd
an seiner Seite wieherte leise. John hielt ihm die Nüstern zu.
Da war etwas, dahinten in der samtenen Schwärze der Nacht.
»Aufpassen!« hauchte er. »Gib mir Flankenschutz, Curt!«
»Klar.« Millers Antwort war nur ein Flüstern.
John tastete sich Schritt für Schritt vorwärts, wie einer, der
ins kalte Wasser steigt. Das Pferd ließ er einfach stehen. Miller
würde schon aufpassen.
Er sah wieder die schwebenden Punkte und verharrte. 20
Yards war er schon vorgedrungen, da glaubte er zu spüren, daß
irgend etwas oder irgend jemand vor ihm stand.
John Haggerty legte sich einfach auf den Bauch und sah von
unten nach oben. Der Himmel klarte sich auf, Sterne blinkten,
aber ihr Glanz war schwach und milchig.
Ihm war, als wären die Felsen und Büsche vor ihm größer
geworden. Plötzlich pfiff Curt Miller. Das Pfeifen erinnerte an
den Jagdschrei des Nachtfalken, aber Indianer ließen sich nicht
täuschen.
Sie waren Meister in der Nachahmung von Tierstimmen und
konnten sich mit den Rufen der Vögel und Landtiere über
weite Entfernungen hinweg verständigen.
Schließlich wurde es ein bißchen heller vor Haggerty. Er sah
schwache Umrisse, erkannte Felsen, Sträucher… Menschen.
Fünf. Sie waren herangekommen, hielten sich aber in
respektvollem Abstand. Ganz sicher wußten sie, daß sie zwei
bewaffnete Weiße vor sich hatten.
John blieb stehen, wartete, was sie unternehmen würden.
Aber nichts geschah. Eine Maus oder sonst irgendein kleines
Tier huschte vor seinen Füßen davon. Er erschrak so, daß er
vorübergehend die Fassung verlor und am liebsten
zurückgelaufen wäre.
In seinem Rücken knackte ein Gewehrschloß. Das war
unklug. Miller mußte wissen, daß Apachen in der Nacht nicht
angriffen, und bis zum Morgengrauen war es immer noch Zeit,
sämtliche Gewehre der Welt zu laden.
Als Haggerty wieder hinüberblickte, waren die Gestalten wie
vom Erdboden verschluckt. John ging den Weg zurück. Er bat
Curt Miller, ihm mit den Pferden zu folgen. Am Tag hatte er
etwas weiter entfernt eine Anhäufung von Felsen gesehen, ein
idealer Schutz für die Nacht.
Er umging Büsche und Stachelzeug und stieß genau auf die
mächtigen Quader und Felsbrocken, die säulenartig
übereinander zum dunklen Nachthimmel aufragten.
»Hier werden wir bleiben«, flüsterte er. »Bring die Pferde
dort drüben in den Spalt und binde sie irgendwie fest! Wenn
Apachen in der Nacht auch nicht angreifen, Pferde stehlen sie
doch.«
»Wieviel waren es?«
»Ich habe fünf gezählt. Wahrscheinlich sind noch mehr in
der Nähe.«
Miller kam nach einer Weile wieder und drückte sich an John
Haggerty vorbei. Lange stand er so und starrte in die
Dunkelheit.
»Nichts mehr zu sehen«, sagte er. »Falls sie es in der
Morgendämmerung versuchen, schicken wir sie mit blutigen
Köpfen nach Hause.«
»Das wäre nicht im Sinne der Abmachung«, erinnerte John
ihn.
»Verdammt! Sollen wir uns abschlachten lassen, wie
Karnickel?«
»Davon redet niemand. Wenn sie uns angreifen, versuchen
wir's zuerst mit Warnschüssen. Das macht die Leute bei der
Poststation aufmerksam und schreckt die Indianer vielleicht
ab.«
»Okay«, sagte Miller. »Wachen wir abwechselnd?«
Er ging von den Felsen ein Stück weg, setzte sich auf einen
Stein und beobachtete das Plateau. Nichts bewegte sich vor
ihm, kein Nachtvogel überflog die kleine Mesa, kein
Kleingetier huschte. Und das machte John Haggerty stutzig.
Die Nachttiere mieden die Stelle. Aber warum?
Es gab nur eine Erklärung. Indianer lagerten vor ihm, um das
erste Licht des neuen Tages auszunutzen, die beiden Weißen zu
überfallen.
John sah über die Schulter zurück und den hellen Schimmer
über dem Gebirge. Der Mond ging auf und mußte binnen
weniger Minuten alles hier oben verändern. Dann konnte er
alles besser sehen, aber auch gesehen werden. Es machte
nichts, denn sie wußten, daß zwei Weiße hier auf der Felsplatte
waren.
*
Der Mond erhellte den ganzen Canyon, zeichnete die Bäume,
Büsche und Felsen mit scharfen Schatten auf den Boden und an
den Wänden nach. Der Creek floß zwischen den grasigen
Ufern träge dahin. Der Wind ließ die dichten Kronen der
Hickorybäume, die die rechte Abzweigung des Canyons
blockierten, heftig schwanken.
Der wild aussehende Indianer pflockte seinen Schecken an,
dann watete er durch den Bach, spürte das kalte Wasser kaum,
hielt den Blick wachsam auf das Gehölz gerichtet. Er ging
langsam darauf zu, das Gewehr im Anschlag, geladen und
gespannt, den Finger am Abzug.
Er hatte den geheimen Weg gefunden und betreten, aber er
wußte nicht, ob die Chiricahuas diesen Weg nicht ebenfalls
kannten. Sie waren die eigentlichen Herren in diesem Gebirge,
und sie kannten hier jeden Pfad und Steg.
Noch ein kurzes Stück mußte er klettern, dann stand er oben
auf der Paßstraße und konnte in aller Ruhe die seltsamen
Gebäude beobachten, die er gesehen hatte, als er Cochise
begleitet hatte.
Im Schatten der letzten Bäume blieb Victorio stehen. Er sah
sich um und lauschte. Alles war ruhig und friedlich, aber diese
Ruhe und dieser Frieden schienen für Indianer Unheil zu
bergen.
Noch nie hatte er einem Weißen getraut, deswegen verstand
er Cochise nicht, der plötzlich duldete, daß Bleichgesichter hier
oben am Paß ein festes Haus errichteten.
Er bewegte sich schnell durch das Gehölz und erreichte die
andere Seite, blieb im Schutz der kahlen Felswand stehen und
starrte lange auf das offene Gelände des Seitentals.
Von dort aus konnte er kletternd in wenigen Minuten zum
Paß gelangen. Und da trug ihm der Wind den schwachen,
bitteren Geruch eines Holzfeuers zu. Victorio blickte nach
links, einen langen, steil ansteigenden Hang hinauf, und seine
Augen wurden groß.
Dort standen Häuser auf einer mit Gras bedeckten Felsplatte.
Da begriff der Mimbrenjo, daß er sich etwas in der Richtung
getäuscht hatte. Er war näher bei der Station, als er gedacht
hatte, und der Hang war auch nicht so steil wie weiter hinten.
Es gab Spalten und vorspringende Steinbrocken, in denen
man sich festklammern oder halten konnte.
Der Mimbrenjo kletterte hoch. Auf halber Höhe blickte er
zurück in den Canyon. Trotz der Dunkelheit kam ihm alles
klein und winzig vor, jeder Busch, jeder Baum.
Nach einer halben Stunde war er oben. Hinter dem fast
fertigen Stallgebäude war er herausgekommen. Victorio ließ
sich auf das feuchte Gras fallen und preßte das erhitzte Gesicht
in den kühlen Humusboden.
Eine Weile später sah er sich um. Die Gebäude waren aus
lachsfarbenen Bruch- und Feldsteinen gemauert worden.
Neben schmalen Fenstern gab es Schießscharten, die dem
Mimbrenjo zu denken gaben. Er wunderte sich, daß Cochise
diese Öffnungen nicht bemerkt hatte.
Vorsichtig kroch er weiter. In dem großen Haus, das einen
Dachstuhl aber noch keine Dachbedeckung hatte, schliefen
vermutlich die vier Weißen. Im Stall standen ihre Pferde und
ein Maulesel, den sie zum Lastentragen verwendeten.
Eigentlich hatte Victorio genug gesehen. Es mußte bald
Morgen werden und sehr schnell hell.
Im Osten stieg der erste graue Nebel aus den Tälern, ein
Zeichen, daß der Tag nicht mehr fern war. Aus dem
Schornstein des Hauses stieg Rauch.
Victorio wartete ziemlich lange, aber er wußte, daß der
Mond bald verblassen, ihn allein lassen würde in der
weichenden Dunkelheit und allein mit diesen abweisenden,
geheimnisvollen Häusern.
Schließlich machte er sich auf den Weg, nutzte jede Deckung
auf dem in die Tiefe fallenden Hang aus. Fast wäre er
abgestürzt, so erschrak er. Ein ständiges lautes Knattern von
Schüssen hoch oben in den Bergen ließ den Schweiß aus seinen
Poren brechen.
Seine gekrümmten Finger suchten nach einem Halt auf der
fugenlosen Wand und krallten sich in die dünnen Spalten und
Risse. Er sah hoch. Von hier unten wirkten die Häuser, so klein
sie in Wirklichkeit waren, wie gigantische Riesen von
Bauwerken. Sein Blick glitt über die Schießscharten – nichts.
Selbst der geheimnisvolle Rauch war verschwunden.
Morgen, dachte er, werde ich mit meinen Kriegern
wiederkommen und die Männer töten, die Häuser einäschern
und die Tiere in die Täler treiben. Morgen abend!
Wer allerdings weiter oben in den Bergen mit Gewehren und
Revolvern feuerte, konnte er sich nicht erklären. Keine
Menschenseele gesehen, und ein Apache gab acht, wenn er
sich auf fremdem Gebiet bewegte.
Kurz darauf war er unten und eilte zu seinem Pony. Er
schwang sich auf die dicke wollene Decke – Sättel kannten
Apachen nicht – und ritt an. Morgen, dachte er noch einmal
grimmig.
Morgen!
*
Das erste Lichtbündel zuckte über die Hochebene. Miller, der
die letzte Wache hatte, starrte in die weichende Dunkelheit. 30
Yards vor ihm war ein Strauch. Seltsam, vor wenigen Minuten,
als er auf die selbe Stelle gesehen hatte, war der Busch noch
nicht dagewesen.
Durch diesen seltsamen Umstand gewarnt, nahm er das
Gewehr auf und spannte den Hahn. Nichts geschah weiter. Der
Busch, oder was es immer auch war, rührte sich nicht von der
Stelle.
Miller äugte nach rechts. Ein ähnliches Buschwerk dort, das
vor ein paar Minuten nicht da gestanden hatte. Miller grinste.
Den Trick kannte er. Apachentrick.
Curt erhob sich, weckte John Haggerty. Schlaftrunken
richtete sich der Scout auf und griff zum Gewehr.
»Es geht los«, flüsterte Miller. »Sie greifen uns an.«
»Konntest du sehen, wer sie sind?«
»Nein, zu dunkel und zu weit entfernt. Sie verbergen sich
hinter ausgerissenen Büschen und kommen schnell näher.«
Haggerty folgte mit den Augen der ausgestreckten Hand des
anderen Scouts und nickte.
»Tatsächlich, Curt. Sie schleichen sich an. Zählen wir sie. Es
müssen mindestens fünf sein.«
Sie zählten beide das Buschwerk, das sich ständig veränderte
und den Platz wechselte. Es waren fünf. Der erste Strauch war
kaum noch zehn Yards von ihnen entfernt und bewegte sich
vorwärts.
John und Curt Miller konnten das gesamte Plateau
übersehen. Nur diese fünf wandernden Buschinseln, sonst
keine.
Aus einem der Laubbündel kam etwas geflogen. Ein Pfeil
zischte heran, bohrte sich in Millers linke Seite.
Der Scout stieß einen Schrei aus und ließ sich fallen.
Haggerty hebelte eine Patrone in die Kammer des Stutzens und
schoß.
Die grünen Zweige fielen zur Seite, ein Indianer sprang in
die Höhe und brach zusammen.
Sofort wechselte Haggerty seinen Standort, feuerte auf den
nächsten Strauch, verfehlte ihn aber. Schnell repetierte er. Mit
einem gewaltigen Sprung mußte er zwei Pfeilen ausweichen.
John nahm kurz Ziel und drückte ab. Ein brauner Arm
erschien, verschwand hinter dem grünen Laubwerk. Ein Körper
neigte sich, fiel zur Seite.
Zwei, dachte Haggerty grimmig. Wartet nur, ihr braunen
Teufel!
Er wirbelte herum, das Gewehr im Hüftanschlag, aber die
restlichen Sträucher waren verschwunden. Etwas weiter nach
links hoben sich große Felsbrocken vor einem Feld aus Geröll
ab. Haggerty machte ein wütendes Gesicht, feuerte aber nicht
auf die Steine, weil er wußte, daß seine Schüsse keinen Erfolg
gebracht hätten.
Er warf sich auf den Boden und rief zu Miller hinüber:
»Bleib unten, du Hohlkopf! Oder willst du dir noch einen
zweiten Pfeil verpassen lassen?«
»Kannst du mir helfen, John?«
»Krieche zu den Klippen und verhalte dich ruhig. Ich
komme.«
Jede Deckung ausnutzend, robbte Haggerty in den Schutz der
sich auftürmenden Quadersteine und tauchte hinter ihnen in das
volle Sonnenlicht. Die Angreifer konnten ihn hier weder sehen
noch mit ihren Pfeilen erreichen.
Er stand auf, huschte weiter, stieß auf Curt Miller, der sich
keuchend die Schulter hielt.
»Dreh dich 'rum«, sagte er, »laß sehen!«
Der Pfeil hatte vermutlich eine Feuersteinspitze, dafür keine
Federn am Schaft. Apachenpfeil. John besah ihn sich ganz
genau, bemerkte den feinen Farbring gleich hinter der Spitze.
»Mimbrenjos«, sagte er. »Verdammt, diese Kerle machen
Cochises Friedenspläne zunichte.«
»Mensch, führ keine Selbstgespräche und zieh mir das Ding
raus.«
»Geduld, Junge, Geduld. Zuerst muß ich zu den Pferden und
meine Satteltasche holen.«
»Was willst du denn mit der verdammten Tasche?«
»Willst du verbluten, du Narr? Ich brauche Verbandszeug
und Salbe. Möglicherweise war der Pfeil vergiftet.«
»Alle Wetter, kannst du das sehen?«
»Wenn ich ihn raushabe, ja. Warte!«
Er huschte los und dankte seinem Schöpfer, daß sie in der
Nacht den Spalt für die Pferde gefunden hatten. Die Tiere
wären sonst längst davongelaufen.
John schnallte seine Satteltasche ab, rannte den Weg zurück.
Schnell öffnete er sie, nahm eine Flasche Baconora heraus und
hielt sie Miller vor die Lippen. Dabei stützte er dessen Rücken.
»Trink«, sagte er drängend. »Trink so viel wie möglich. Der
Schnaps betäubt dich ein bißchen.«
Miller nickte, leerte fast die halbe Flasche.
»Allmächtiger«, keuchte er. »Wenn du's jetzt nicht schaffst,
mich ins Jenseits zu befördern, dann der verfluchte Fusel.«
Haggerty stellte die Flasche beiseite, zog sein Bowie-Messer,
nestelte ein Päckchen Zündhölzer aus der Tasche und zündete
mehrere Hölzer gleichzeitig an.
Die Klinge hielt er über die Flamme, einmal von dieser, dann
von der anderen Seite.
Tief beugte er sich über den stöhnenden Scout, setzte die
Messerspitze an und machte einen Schnitt nach unten.
Dunkelrotes Blut quoll aus der Wunde und färbte die Hände
des Helfenden.
»Gleich«, sagte er. »Beiß die Zähne zusammen, Junge!«
Miller biß auf ein Stück Holz, das ihm Haggerty zwischen
die Lippen schob. John schnitt den Pfeil zwei Zoll über der
Brust ab, packte den Schaft und riß ihn mit einem kraftvollen
Ruck aus der Wunde. Miller bäumte sich auf und stöhnte wie
ein Gepeinigter am Marterpfahl.
»Hier ist er«, sagte John und hielt dem Scout die
Feuersteinspitze vor die Augen. »Alles okay, nicht vergiftet.
Wirklich, alles in bester Ordnung.«
»Woran – erkennst du – einen vergifteten Pfeil?« stammelte
Curt aschfahl und mit schmerzverzerrtem Gesicht.
»An der Farbe. Sie graben ein Stück Rinderleber in der Nähe
eines Ameisenhaufens in den Boden, die großen, giftigen
Sonora-Ameisen zerbeißen die Leber und spritzen ihr Gift in
das Fleisch. Sonne und Hitze tun ein übriges.«
»Ist das alles?«
»Nicht ganz. Wenn die Leber von dem Gift so gesättigt ist,
daß selbst die Ameisen nicht mehr 'rangehen, trocknen die
Indianer das Organ, zerstoßen es in einem Tiegel zu Pulver und
geben den Saft des Cholla-Kaktusses hinzu. Den Brei
schmieren sie dann auf ihre Pfeilspitzen. Die Nedni-Apachen
benutzen das Pfeilgift, von den Chiricahuas weiß ich's nicht.
Hier haben wir es aber mit Mimbrenjos zu tun, und die sind
wirklich noch viel unberechenbarer als die anderen Stämme.«
Miller stieß einen gellenden Schrei aus. John wirbelte herum,
zog den Colt, spannte mit dem Daumen den Hahn und ließ ihn
los. Der erste Angreifer wurde getroffen und stürzte John vor
die Füße.
Der zweite kam mit geschwungenem Kriegsbeil
herangeflogen. John bückte sich blitzschnell, ließ den Körper
über sich hinwegsegeln. Bevor die Rothaut sich wieder erheben
konnte, war John bei ihm. Er trat ihm das Beil aus der Hand,
legte den Revolver an und schickte den Gegner, der ihm hätte
zum Verhängnis werden können, zum Großen Manitu.
»Vier«, sagte er angewidert. »Wo bleibt der fünfte?«
Der kam nicht. John hastete um den Steinhaufen, den
gespannten Revolver in der Hand. Weit und breit war nichts
von dem fünften Mimbrenjo zu sehen. Mit ein paar Schritten
war er bei den Pferden, aber die Tiere standen festgekeilt in
dem Spalt und verhielten sich ruhig.
John rannte zurück, umrundete den Felsen in die andere
Richtung. Auch dort kein Indianer. Nichts, was darauf
hingewiesen hätte, wo die Rothaut abgeblieben war.
Er schob den Colt ins Halfter und ging zu Miller zurück. Der
Scout lag volltrunken an der Erde und röchelte. Schmerzen
hatte er nicht mehr. John legte ihm einen Verband an, hob den
Scout hoch und trug ihn in den Schatten. Miller konnte nicht
reiten. Haggerty richtete sich darauf ein, ein paar Tage auf dem
Plateau zu bleiben, bis es dem Partner besserging.
Der Tag verlief in quälender Langeweile. Am Abend stand
blutrot die kupferfarbene Sonnenscheibe im Westen, hüllte die
Riesenkakteen mit ihren seitlich gespreizten Armen in ein
unwirkliches Licht und ließ sie aussehen wie das Bild des
Gekreuzigten.
John Haggerty drehte sich eine Zigarette, zündete sie an und
stieß blauen Rauch in den Himmel, der sich golden färbte, um
dann blau zu werden und schließlich grün.
Miller schlief. John sah auf ihn hinab. Der Scout hatte kein
Fieber, aber er schlief den Schlaf aller Gerechten und stieß mit
jedem Atemzug eine Wolke von Alkoholdunst aus.
John wollte sich erheben, um etwas Proviant aus seiner
Satteltasche zu nehmen, da geschah es.
Das langgezogene Zastee der Apachen drang zu ihm empor
wie der tödliche Atem der Wüste.
»Zastee! Tötet!«
Und dann lauter: »Zastee!«
Schüsse fielen, Todesschreie trug der schwache Wind auf das
Plateau. Haggertys Lippen verfärbten sich, seine Augen
wurden bleich, seine Hände zitterten.
Leise sagte er vor sich hin:
»Mit dem Abend kommt das Grauen.«
Er kroch bis zum Rand der abfallenden Mesa und sah die
Häuser der Poststation unter sich liegen. Vor dem Haupthaus
lagen zwei Körper. Tot und skalpiert. Apachen krochen wie
Schlangen auf die Gebäude zu, andere hielten die Fenster und
Schießscharten unter Feuer.
Allen voran ein wildaussehender Indianer mit langen Haaren
und ohne Stirnband: Victorio.
Mimbrenjos griffen die Station an und waren dabei, die
Arbeit von Monaten in nur wenigen Sekunden zu vernichten.
Brandpfeile zogen wie lodernde Kometen ihre Bahn, schlugen
in das Dachgebälk, setzten es in Brand.
Rauchschwaden verdeckten die Sicht. Der Wind trieb sie
nach oben. Sie reizten Haggertys Schleimhäute. Er mußte
niesen.
Aus dem großen Haus fielen in sporadischen Abständen
Gewehrschüsse. Einem Teil der Leute war es gelungen, sich
rechtzeitig in die schützenden Mauern zu retten. Aber sie
hatten keine Chance. Die Feuersbrunst, die über ihren Köpfen
loderte, mußte sie jeden Moment aus dem Haus treiben, hinein
in den Hagel aus Blei und Pfeilen.
So kam es. John traten Tränen der Wut in die Augen. Wut
deswegen, weil er hier oben lag und nicht helfen konnte. Aus
der offenen Tür stürmten drei Weiße, aus allen Rohren
schießend. Dutzende von Pfeilen senkten sich auf sie herab.
Ganz eingehüllt in dicke Wolken schwarzen Rauches
taumelten sie vorwärts, sanken tödlich getroffen in die Knie,
die verschlungenen Hände wie im Gebet erhoben. Sie baten um
Pardon, aber er wurde ihnen nicht gewährt.
Sie drangen ein in den stinkenden Qualm, zuckten die
Messer, schwangen die Kriegsbeile – zornige Rothäute,
aufgestachelt bis zur Weißglut vor Haß.
Entsetzliche Schreie. Wimmernde Töne, um Gnade bettelnde
Laute. Aber sie waren umsonst.
Die Mimbrenjokrieger stürzten sich auf die Weißen und
verrichteten ihr grausames Werk.
Die Schreie verstummten. Wie mit einem mitleidigen
schwarzen Tuch hüllte der Qualm alles ein. John Haggerty hing
halb über dem Abgrund. Er bat und flehte, daß die Weißen vor
dem grausamen Foltertod verschont würden. Aber auch das
war vergeblich. In diesem Augenblick schwor der Scout den
Mimbrenjos voller Grimm furchtbare Rache.
Ich werde euch verfolgen, bis ihr nicht mehr wißt, wohin ihr
euch verkriechen sollt. Ich werde in eure Jacales eindringen,
euch mit meinen Kugeln treffen, wo ich euch finde. Keiner soll
verschont werden. So will es das mosaische Gesetz: Auge um
Auge, Leben um Leben, Blut um Blut…
Es wurde still dort unten beim Paßsattel. Die Apachen
trieben Pferde und den alten Maulesel weg. Er würde den
Abend nicht mehr überleben. Für Apachen galt Maultierfleisch
als Leckerbissen.
Die Stille wurde von keinem Laut mehr unterbrochen. Die
Apachen waren fort. Nur der Rauch wurde vom Abendwind
hin und her getrieben und in die Schluchten geweht.
Fünf Tote lagen auf der Paßstraße, fünf Weiße, die Cochise
vertraut und seinem Wort geglaubt hatten.
Langsam erhob sich John Haggerty. Er fühlte, wie kalter
Schweiß auf seiner Haut klebte. Er fühlte auch die große Leere
in seinem Innern, und der verlorene Glaube an das Wort eines
Mannes ätzte brennend in ihm wie Säure.
Er ging zu Miller. Der sah ihn an.
»Es ist vorbei?« fragte er.
John nickte. »Sie sind weg. Victorios Horde.«
Miller schloß die Augen wieder und schlief ein. John blickte
hinüber zu den quarzdurchsetzten Felsen, die blutrot im
Sonnenuntergang schimmerten und einen Glanz verbreiteten,
der die Augen blendete. Er sah die dunklen Augen nicht,
verborgen hinter stachelbewehrter Vegetation. Er sah auch die
Gestalt in der einfachen Calicokleidung nicht, die sich wie eine
Schlange davonwand und ein Pony bestieg.
John Haggerty sah nichts mehr. Er machte die Augen zu und
schlief ein, schlief den heilsamen Schlaf des völlig
Erschöpften.
*
Cochise erfuhr noch in der selben Nacht von dem Massaker,
General Oliver O. Howard erst am dritten Tag. Mehrere
Minuten lang stand der Häuptling ganz reglos da und ließ die
Meldung seines Spähers in sich einträufeln.
Victorio also, sein alter Widersacher. Cochise entließ den
Krieger und betrat sein Wickiup. Seine Familie war vollzählig
anwesend. Finstere Gesichter sahen ihn an, dunkle Augen
glühten.
Cochise fragte: »Ihr habt alles gehört und verstanden?«
Naretana nickte. »Es war nicht zu überhören, Bruder.
Schwere Zeiten stehen für die Chiricahuas bevor.«
»Sie werden mich des Wortbruchs für schuldig erklären und
wie ein Heuschreckenschwarm über unsere Jagdgründe
herfallen. Wie kann der weiße Häuptling einem Chiricahua
noch glauben?«
Er setzte sich ans Feuer, hielt die Hände darüber, und
bewegte die Finger. Mit keinem Blick beachtete er die Frauen,
die sich im Hintergrund der indianischen Behausung
aufhielten.
Eine große Leere breitete sich in Cochise aus, Verzweiflung.
Von nun an war er gebrandmarkt. Er fühlte sich allein in einer
Welt von Verrat, und er wurde von tiefen Zweifeln erfüllt.
Er hatte für seine Sippe gesorgt und alle Unbilden von ihr
ferngehalten. Viel Fleisch, gute Rastplätze, warme Decken
während kalter Nächte und kühles Wasser während heißer
Tage bedeuteten nichts mehr, wenn die Pferdesoldaten
auftauchten, um Rache zu nehmen für die Toten am Paß.
Cochise wurde unruhig. Je mehr er grübelte, desto weniger
sah er eine Chance, einigermaßen heil aus dieser Affäre
herauszukommen. Unter seinen Kriegern hatte sich das
Massaker bereits herumgesprochen. Trommeln pochten in
einem ganz bestimmten Rhythmus.
Der Jefe kannte die Zeichen. Er lehnte sich nicht gegen die
Sitten und Gebräuche seines Volkes auf, dafür war in dieser
Situation auch nicht die Zeit. Sein Gehirn suchte nach einer
Lösung, nach einem rettenden Einfall. Unwillkürlich dachte er
an John Haggerty. Eine Weile hatte er geglaubt, er wäre der
Mann, der dem tragischen Schicksal der Apachen eine
Wendung geben konnte. Am Anfang hatte er den Scout mit
seinem harten Durchsetzungsvermögen und den bitteren Augen
gehaßt.
Inzwischen wußte er, daß nur einer sie retten konnte, wenn es
überhaupt jemanden gab.
Cochises Blick streifte Tla-ina. Seine junge Schwester
beschäftigte sich mit Näharbeiten. Sho-shu-li, seine Frau, sah
ihn an und senkte den Blick wieder.
Sie wirkte blaß und kränklich, aß kaum noch etwas und
konnte in den Nächten nicht schlafen. Cochise wußte nicht,
was ihr fehlte. »Regenbogen« redete nicht darüber, dazu war
sie zu stolz.
Die sorgenvollen Gedanken des Häuptlings glitten ab,
beschäftigten sich wieder mit den Dingen, die mit ungeheurer
Gewalt auf ihn einstürmten. Spätestens in einer Woche zogen
vermutlich lange Kolonnen von Pferdesoldaten in die
Dragoons, um die Zugänge zu den höhergelegenen Canyons
abzuriegeln.
Das war das Ende aller Chiricahuas.
Unruhig erhob Cochise sich, ging vor dem Feuer auf und ab.
Niemand störte ihn.
Was hatte der Späher außerdem gesagt? Zwei weiße Männer
hätten das Massaker verfolgt. Er hatte sogar die Stelle
beschrieben, von wo aus sie den Paß und die Poststation
beobachtet hatten.
Sein Entschluß reifte von Sekunde zu Sekunde mehr.
Cochise trat vor das Wickiup. Die Hitze des Tages hatte sich
verflüchtigt, und ein kühler Wind durchwehte den Canyon.
Der Häuptling fühlte, wie der Wind seine heiße Haut kühlte.
Er mußte etwas unternehmen, nur über das Was war er sich
nicht schlüssig. Er glaubte auf Gedeih und Verderb den
Schicksalsmächten ausgeliefert zu sein.
Ein Krieger näherte sich ihm. Cochise drehte sich um und
hoffte, daß es sein Sohn Naiche war. Es war Naiche. Der junge
Mann blieb vor Cochise stehen, deutete mit ausgestrecktem
Arm nach Westen, beschrieb einen Kreis und sagte:
»Sorgen erfüllen dich, Vater. Victorio hat die Sache der
Apachen verraten. Gehen wir zu dem Hellauge, der Tla-ina vor
dem Stich des Peitschentieres rettete.«
»Wie soll er uns helfen?«
»Er kann es, wenn er will. Er hat gesehen, wer die Weißen
tötete.«
»Für die Pferdesoldaten sind Apachen alle gleich. Sie kennen
die Unterschiede nicht und verstehen es nicht, sich in unsere
Welt zu versetzen.«
»Laß uns reiten«, sagte Naiche.
Cochise nickte, setzte sich in Bewegung. Gemeinsam gingen
sie zu dem Hecken-Corral und fingen sich zwei Ponys ein.
Brütendes Schweigen hing über dem Canyon, als sie über die
Rampe auf die Mesa ritten.
Sogar der Wind hatte sich vorübergehend gelegt. Es war, als
hätte sich ein Ereignis angekündigt.
*
Der neue Tag brach mit Hitze und einem glutheißen Wind über
die Canyons herein. Am Himmel kreisten Bussarde wie
schwarze Tupfen, ließen sich treiben, stießen aber nicht herab.
Haggerty wurde stutzig, als er die Raubvögel beobachtete.
Immer mehr Bussarde gesellten sich zu den anderen, aber sie
machten keine Anstalten, ihre von der Natur vorgeschriebene
Aufgabe zu erfüllen.
Irgendwo in dieser menschenmordenden Einöde mußte es
noch Leben geben, was die Vögel davon abhielt, sich den
Toten zu nähern. John stand auf, schob die Decken zur Seite
und griff nach der Wasserflasche. Er nahm einen tüchtigen
Schluck, ging zu Miller, dem es besser zu gehen schien, der
aber noch schlief. John weckte ihn und hielt ihm die Flasche
vor die Lippen.
»Wie geht's dir heute?«
»Besser. Ich hoffe, ich kann reiten.«
Haggerty nickte, wies auf die Vögel und sagte:
»Irgend jemand nähert sich dem Paß. Ich möchte noch eine
Weile warten, bis ich sicher bin, wer da kommt.«
»Indianer?«
»Weiß ich nicht. Jedenfalls keine Mimbrenjos. Apachen
kehren niemals wieder dahin zurück, wo sie Tote zurückließen.
Hängt mit ihrem Glauben und ihrer Vorstellung vom Jenseits
zusammen. Bleib ruhig liegen, Curt. Ich möchte feststellen,
weshalb sich die Bussarde so zögernd verhalten.«
Er ging bis zu dem Steilabfall, legte sich auf den Boden und
kroch das letzte Stück. Plötzlich hatte er das Gefühl,
beobachtet zu werden. Der fünfte Mimbrenjo fiel ihm ein, aber
der hatte sich bestimmt aus dem Staub gemacht.
Sosehr er seine Augen auch anstrengte, er entdeckte
niemanden. Keine Bewegung beim Paß. Nur die Raubvögel
hoch über seinem Kopf zogen ihre lautlosen Kreise.
Noch einmal warf er einen lauernden Blick über die wilde
Landschaft, dann zuckte er mit den Achseln und kroch zurück.
Als man ihn von unten nicht mehr beobachten konnte, stand er
auf und ging zu Miller.
»Nichts zu sehen, Curt. Trotzdem, ich traue der Stille nicht
mehr. Ich wette, da tut sich was in unserer Umgebung.«
»Wir müssen verschwinden, John.«
Haggerty winkte ab.
»Heute noch nicht, das hältst du nicht aus. Eine Nacht wollen
wir noch abwarten.«
Unruhig machte John eine Runde um das Felsmassiv. Auf
dem Plateau lagen die toten Apachen, aber auch hier hatten die
Raubvögel noch nicht mit ihrem grausigen Werk begonnen.
John Haggerty beendete seine Runde und kehrte zu Miller
zurück.
»Nichts zu sehen. Ich mache uns jetzt ein Frühstück.«
»Vielleicht haben wir die Vögel aufgeschreckt?«
»Glaube ich nicht. Sie haben sich längst an uns gewöhnt.
Nein, es muß etwas anderes sein, das sie stört. Warten wir's ab.
Nach dem Frühstück werde ich nach deiner Wunde sehen und
den Verband erneuern.«
Miller gab keine Antwort. Mit weiten Augen starrte er an
Haggerty vorbei.
John drehte sich um und sah Cochise vor sich stehen. Hinter
dem Jefe wartete sein Sohn Naiche.
Beide Männer musterten sich, John mit einer kalten Wut im
Bauch, Cochise zurückhaltend. Keiner sagte ein Wort oder
bewegte sich. John schloß halb die Augen und verlor seine
Sicherheit. Er kam sich wie ein Kind vor gegen diesen
Indianer.
Als John Haggerty das Schweigen zu lange dauerte, sagte er
schließlich:
»Das Massaker dort unten ist dein Werk, Cochise. Dafür
überreicht dir die Armee einen Orden. Du und dein Volk könnt
stolz auf die Auszeichnung sein, Jefe.«
Cochise reagierte nicht. Er hörte den Sarkasmus aus des
Weißen Stimme, und das traf ihn tief. So tief, daß er einen
Augenblick lang überlegte, einfach wieder umzukehren und
voller Hilflosigkeit das zu erwarten, was er nach Lage der
Dinge hinnehmen mußte.
Aber er überwand sich, richtete sich hoch auf und blitzte den
Scout zornig an.
»Du warst Zeuge des Massakers, meine Späher berichteten
es.«
Haggerty nickte. »Stimmt«, gab er offen zu. »Hier oben war
ich sogar dabei.« Er wies auf Miller, in dessen Gesicht langsam
wieder Farbe kam.
Cochise blickte umher. Er sah die Pfeilspitze am Boden,
stieß sie mit dem Mokassin an. Sein Gesicht blieb dabei
ausdruckslos. Während seine Nasenflügel sich blähten, wandte
der sich wieder an den Scout:
»Du hast gesehen, wer das Haus der Weißen überfiel und den
Männern die Skalps nahm. Berichte dem weißen Häuptling,
wer es war, aber behaupte nicht, daß ich schuld sei oder den
Befehl dazu gab.«
Haggerty glaubte ihm nicht.
»Natürlich sah ich es, und ebenso sicher weiß ich, daß du
hinter der Sache steckst. Der Mimbrenjo wird es nicht wagen,
auch nur gegen einen deiner Befehle zu handeln. Du hast dein
Wort gebrochen, Chiricahua, den Frieden zunichte gemacht
und einen neuen Krieg heraufbeschworen. Du allein trägst die
Verantwortung für das, was künftig geschieht.«
»Harte Worte. Falsche Worte. Sag noch einmal, daß ich es
war, dann zerschmettere ich dich, Wurm!«
John trat zurück, zog den Revolver.
»Wage es nur, mich anzurühren, Jefe!«
Die Drohung ließ den Chiricahua kalt. Er wollte sich trotz
der gespannten Waffe auf den verhaßten Weißen stürzen, aber
ein Zuruf hielt ihn auf. Naiche trat an seine Seite.
»Reite!« sagte er im Befehlston. »Reite und berichte dem
einarmigen Häuptling der Weißen, daß Cochise nichts von
diesem Massager wußte, daß er nicht den Befehl dazu gab und
auch jetzt nicht hinzunehmen gedenkt, daß Victorio unbestraft
davonkommt. Reite!«
»Ich kann nicht. Siehst du nicht, daß mein Gefährte schwer
verwundet ist? Von einem Apachenpfeil«, fügte er verbittert
hinzu.
»Immer waren es die Pfeile der Apachen«, entgegnete der
Häuptling mit dunkler Stimme. »In der Desertio, am Camino
del Deablo, bei Pinos Altos, an hundert anderen Stellen
zugleich, aber kein Chiricahua würde jemals die Gran Desierto
betreten. Verschwinde, weißer Mann, so lange ich meinen
Großmut nicht bedaure!«
Haggerty ließ den Revolverhahn knacken, um den Häuptling
zu warnen.
»Ich gehe, wann es mir paßt und wenn mein Freund den Ritt
durchstehen kann. Schätze, das wird morgen sein. Ich reite also
nicht heute, sondern erst morgen. Hast du etwas einzuwenden,
Jefe?«
Der Grimm zuckte wie Blitz aus Cochises Augen. Er ballte
die Hände und wollte sich erneut auf Haggerty stürzen. Aber
wieder war es Naiche, dessen Ruf ihn zurückhielt.
Der junge Krieger sagte ein paar Worte in seiner Sprache zu
Cochise, die John nicht verstand. Der Jefe wurde merklich
ruhiger. Sein glühender Blick richtete sich in die Ferne, und
John schien es, als wäre er plötzlich irritiert.
Was hatte Naiche ihm gesagt?
»Du hast Tla-ina vor der giftigen Spinne gerettet. Ich stehe
deswegen in deiner Schuld, Weißauge. Du kannst auf meinem
Land bleiben, bis dein Gefährte wieder gesund ist, aber sage
nie wieder, daß Cochise sein Wort gebrochen hat. How!«
Würdevoll drehte er sich um und ging davon. Naiche folgte
ihm. Beide waren hochgewachsen und ähnelten sich in ihrer
grauen Wüstenkleidung. Als sie hinter den Felsen
verschwanden, fühlte sich John Haggerty plötzlich einsam.
*
»Würden Sie das alles zu Protokoll geben, Mr. Haggerty?
Auch die kleinen, aber wichtigen Details?«
»Selbstverständlich, Sir. Ich schreibe heute abend den
Bericht.«
»Danke«, sagte General Howard freundlich. »Bitte, fahren
Sie fort.«
»Cochise war plötzlich auf dem Plateau. In seiner Begleitung
war sein Zweitältester Sohn Naiche. Ich beschuldigte ihn, das
Massaker veranlaßt zu haben. Aber er wollte nichts davon
wissen. Nun gut, es war nicht richtig, diesen stolzen Häuptling
zu beleidigen. Ich weiß, wie empfindlich sie sind, wenn es um
Ehre und Gewissen geht. Aber ich konnte nicht anders. In mir
kochte es, und immer, wenn ich mir vorstellte, wie die
Postleute unten im Paß in ihrem Blut lagen, skalpiert und
geschändet, platzte mir der Kragen.«
»Wie reagierte Cochise auf Ihre Beleidigung, Mr.
Haggerty?« fragte Colonel White. Walmann sah nur herüber,
sagte kein Wort und verhielt sich abwartend.
»Er war empört, Sir. Wenn ihn Naiche nicht davon
abgehalten hätte, wäre er trotz meines gespannten Revolvers
mit dem Messer auf mich losgegangen.«
»Hätten Sie geschossen, Mr. Haggerty?« fragte Walmann
schnell und trat vor den Scout hin.
»Ich weiß es nicht, Sir. Ich kann es wirklich nicht mit
Bestimmtheit sagen. Jedem platzt ja mal der Kragen, oder?
Muß man deswegen gleich zum Totschläger werden?«
»Aha! Sehr vernünftig gesprochen, Scout«, bemerkte
Colonel Walmann. Er legte Haggerty eine Hand auf die
Schulter, nichts weiter als eine freundschaftliche Geste.
»Was glauben Sie denn? Sind Sie der Meinung, daß Cochise
das Massaker angestiftet oder geduldet hat?«
Haggerty starrte auf seine staubigen Stiefel. Diese Frage
hatte er sich während des Ritts zum Camp hundertmal gestellt.
Sogar mit Miller hatte er darüber diskutiert. Der war jedoch zu
schwach gewesen, um sich auf eine längere
Auseinandersetzung einzulassen.
»Nun?« fragte Colonel Walmann mit schmalen Augen.
»Ich glaube es nicht, Sir«, erwiderte der Scout mit fester,
überzeugender Stimme. »Ich halte ihn für einen Ehrenmann.
Aber die Hautfarbe allein macht noch keinen Gentleman.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
Howard schaltete sich ein, schenkte Haggerty ein
freundliches Lächeln und drehte sich dann White zu.
»Da hören Sie es, Colonel. Ich glaube es übrigens auch nicht.
Victorio hat sich da einen Alleingang geleistet, der Cochise
teuer genug zu stehen kommen kann, wenn die Weißen keine
einsichtigen Führer hätten.«
»Sie meinen, Sir…?«
»Ja«, entgegnete General Howard hart, »ich meine. Und daß
ich richtig liege, bestätigt Haggerty.«
White zog sich ein Stück zurück, bis außerhalb des
Lampenscheins. Seine Miene drückte Unmut aus.
»Ich frage mich immer, ob es angebracht ist, die Apachen
mit Samthandschuhen anzufassen? Eines Tages wird diese
Nachsicht vielen, vielen Weißen in diesem Land das Leben
kosten. General… Sir, für mich ist Cochise schuldig. Greifen
wir die Chiricahuas an!«
»Gut und schön«, sagte Howard. »Unsere Meinungen gehen
eben auseinander. Macht nicht das geringste aus. Nur, womit
sollen wir die Chiricahuas angreifen? Ich meine, woher soll ich
die Soldaten nehmen, wenn das Oberkommando mir
zusätzliche Truppen verweigert?«
White wollte aufbegehren, aber Walmanns warnender Blick
hielt ihn davon ab.
»Der General hat recht«, sagte Colonel Walmann ohne rechte
Begeisterung. »Wir haben einfach nicht genügend Soldaten,
um sie in die Berge zu schicken. Es wäre glatter Selbstmord,
mit den wenigen Männern in Cochises Reich einzudringen.
Wenn wir klug sein wollen, müssen wir zunächst Victorio für
den Übeltäter halten. Das erspart uns eine Entscheidung, die
tödlich für unsere Soldaten sein kann. Und wenn wir noch ein
wenig klüger erscheinen wollen, als nur klug, lassen wir das
Cochise auch irgendwie wissen. Möglicherweise hält ihn dies
von unüberlegten Entscheidungen ab, die ihm vielleicht
aufgezwungen werden.«
Howard nickte zu Walmanns Worten. Sein Gesicht wurde
ernst und nachdenklich. Eine Weile sagte er gar nichts, dann
wandte er sich wieder an Colonel Walmann:
»Wie könnte das geschehen?« fragte er.
Walmann deutete auf John Haggerty, aber der Scout wehrte
ab.
»Das riskiere ich nicht noch einmal, Sir. Cochise wird mich
diesmal zu Tode martern lassen. Bei den vielen Beleidigungen,
die ich ihm ins Gesicht schleuderte, wäre ich keine Minute lang
meines Lebens sicher.«
»Ausgeschlossen, Mr. Haggerty. Schließlich sind Sie
Parlamentär und genießen einen Sonderstatus.«
»General, sind Sie sicher, ob Cochise den Begriff überhaupt
kennt? Weiß er, daß ein Unterhändler immun ist, nicht verletzt
und nicht gefangengenommen werden darf?«
»Nein, wohl kaum.«
General Oliver O. Howard konnte es nicht wissen. Hilflos
zuckte er mit den Achseln und schwieg.
Walmann schaltete sich wieder ein:
»Wie solch ein Unternehmen ausgehen kann, läßt sich mit
absoluter Sicherheit nicht voraussagen, Mr. Haggerty. Nur, alle
Augen in der Armee blicken auf Sie. Der Lohn müßte Ihnen
eigentlich das Risiko wehrt sein.«
»Sir, welcher Lohn?«
»Der Ruhm, derjenige gewesen zu sein, der der Vernunft
zum Sieg verhalf.«
Haggerty fühlte sich überrumpelt. Mechanisch, ohne es zu
wollen, nickte er.
Walmann hakte sofort nach.
»Also einverstanden. Wann reiten Sie, Mr. Haggerty?«
»Morgen«, erwiderte John. Dabei wurde sein Rücken von
einer Gänsehaut überzogen.
General Howard sah ihn prüfend an.
»Wenn Sie das schaffen, Haggerty, garantiere ich Ihnen das
Offizierspatent. Viel Glück und gesunde Rückkehr!«
ENDE