Lösung Fall 11: Das Luxushotel
B könnte gegen die K GmbH einen Anspruch auf Beseitigung des Überbaus aus § 1004 I BGB haben.
I. Eigentumsbeeinträchtigung
Die ungestörte Nutzungsmöglichkeit -als Ausfluss des Eigentumsrechts- des Grundstücks durch B,
wird durch den Überbau gehindert. Eine Eigentumsbeeinträchtigung liegt mithin vor.
II. Richtiger Anspruchsgegner
Die K GmbH ist der (mittelbarer) Handlungsstörer iSd. § 1004 I BGB, da die Beeinträchtigung adäquat
kausal ihrem Verhalten zuzurechnen ist (Bauauftrag für das Hotel).
III. Kein Ausschluß, § 1004 II BGB iVm. § 912 I BGB
Fraglich ist, ob eine Duldungspflicht besteht. Eine solche könnte sich aus § 912 I BGB herleiten.
1. Eigentümerstellung des Anspruchsgegners
Die K GmbH ist Eigentümerin des Nachbargrundstücks.
2. Überbau
Das Hotelgebäude steht um 5 m auf der Wiese des B. Es liegt demnach ein Überbau vor.
3. Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit
a) Ein eigenes Verschulden der K GmbH, ihr zuzurechnen über ihre Organe (§ 31 BGB analog), liegt
nicht vor.
b) Fraglich ist, ob sie sich das Verhalten ihrer Hilfspersonen zurechnen lassen muss. Der Bauarbeiter
hat hier grob fahrlässig gehandelt, da ihm ein Vermessungsfehler unterlaufen ist.
aa) Zurechnung gemäß § 278 BGB
Eine Zurechnung gemäß § 278 BGB kommt nur in Betracht, wenn zwischen der K GmbH und dem B
schuldrechtliche Beziehungen bestehen („zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten“). Zwar bestehen
zwischen Nachbarn aus § 242 BGB Beziehungen einer nachbarschaftlichen Gemeinschaft, aus der
sich gewisse Sorgfaltspflichten ergeben könnten, wobei die Begründung von Sorgfaltspflichten für
eine Annahme des § 278 BGB ausreichend wäre. Nach dem BGH und der herrschenden Literatur
schafft § 242 BGB für die nachbarschaftliche Gemeinschaft jedoch kein besonderes Schuldverhältnis,
sondern schränkt lediglich die allgemein bestehenden Ansprüche aus dem Eigentum ein.
bb) Zurechnung gemäß § 831 BGB
Die Bauarbeiter sind nicht gegenüber dem Bauherrn weisungsgebunden, sondern lediglich
gegenüber ihrem Arbeitgeber (Baufirma). Eine Zurechnung über § 831 BGB scheidet aus.
cc) Zurechnung gemäß § 166 I BGB analog (Repräsentantenhaftung)
Eine analoge Anwendung des § 166 I BGB – also für denjenigen einzustehen, der selbständig im
Rechtsverkehr als Hilfsperson für einen Dritten ähnlich einem Vertreter handelt, mithin nach außen
hin selbständig tätig wird – kommt nicht in Betracht. Ein Bauarbeiter handelt nicht nach außen hin
selbständig, sondern immer abhängig von den Weisungen des Bauleiters.
dd) Ergebnis
Die K GmbH muß nicht für das grob fahrlässige Verhalten des Bauarbeiters einstehen.
4. Kein sofortiger Widerspruch
B dürfte nicht sofort widersprochen haben. Der Widerspruch muß vor oder nach objektiv
erkennbarer Grenzüberschreitung so rechtzeitig erhoben werden, dass die Beseitigung ohne
erhebliche Zerstörung möglich ist. Dies bedeutet, dass der Widerspruch dann nicht mehr „sofort“
erhoben wurde, wenn im Zeitpunkt der Widerspruchserhebung wirtschaftliche Werte zerstört
werden würden. Da die Bauarbeiten am gesamten Komplex kurz vor dem Ende stehen, würden
wirtschaftliche Werte zerstört werden würden, wenn der Überbau entfern werden müsste. Ein
sofortiger Widerspruch liegt folglich nicht vor.
5. Ergebnis
Es besteht eine Duldungspflicht gemäß § 912 I BGB. Der Beseitigungsanspruch ist ausgeschlossen. B
kann die sog. Überbaurente gemäß § 912 II BGB, als Ausgleich für den Nutzungsverlust
beanspruchen.
Konkurrenzen:
a) § 862 BGB: Überbau ist Besitzstörung. Für den Anspruch nach § 862 BGB sind jedoch die
gleichen Rechtfertigungsgründe wie nach § 1004 BGB zu berücksichtigen, da § 1004 BGB
sonst leerliefe.
b) § 823 BGB, bei Verschulden neben § 1004 BGB möglich (Überbau ist
Eigentumsbeeinträchtigung, wegen Rechtfertigungsgrund des § 912 I BGB jedoch nicht
rechtswidrig).