background image
background image

 

Die Siegesfeier der 

Banditen 

von Joachim Honnef 

scanned by : horseman 

kleser: Larentia 

Version 1.0 

Der Räuberhauptmann Gregor versteht sein gemeines 
Geschäft. Mit seinen brutalen, ungewaschenen Kerlen 
zieht er sengend und mordend durch die Lande.  - Diese 
bärtigen Schufte können weder schreiben noch lesen, für 
einen Kampf aber zeigen sie beinahe gieriges Interesse. 
Sie mischen überall mit, bis sie an den Richtigen geraten - 
Ritter Roland. Der sprengt ihr wildes Gelage und setzt 
ihnen heftig zu, als sie die Entführung der hübschen 

background image

Isabella feiern. Roland beendet die Siegesfeier der 
Banditen, doch damit fängt die Geschichte erst an.
 

 

background image

»Mir kommt das alles spanisch vor«, seufzte Rüdiger. Der Kutscher 
war mit spanischen Passagieren auf dem Weg nach Burg Hohenstolz. 
Er schwitzte, und das lag nicht am Wetter. Es war ein milder 
Spätsommertag, und die Sonne blinzelte nur gelegentlich hinter 
Schäfchenwolken hervor, als wollte sie sich vergewissern, daß auf 
Mutter Erde noch alles in Ordnung war. Rüdiger schwitzte wegen der 
Tracht, die für einen Kutscher recht ungewöhnlich war. Er trug einen 
Brustpanzer, Beinschienen und einen Helm, der wie ein umgestülpter 
Blechtopf mit Rand aussah. 

Edmund, der Mann neben ihm auf dem Kutschbock, war ebenso 

gepanzert und hielt es gleichfalls für unsinnig. Doch er murrte nicht. 
Er war glücklich, daß er  von den Spaniern Arbeit bekommen hatte. 
Seine Frau lag im Wochenbett, und nach seiner Rückkehr von dieser 
ungewöhnlichen Fahrt würde Irmgard ihm einen weiteren Beweis 
ihrer Liebe schenken - den siebenten. 

Seit sieben Jahren waren sie verheiratet, der Kutscher und die mit 

Fruchtbarkeit gesegnete ehemalige Magd. Alle ihre Kinder waren im 
September geboren worden, neun Monate nach der Silvesternacht, 
die Edmund und Irmgard stets mit Wein und Gesang zu feiern 
pflegten. Wenn alles gutging, war nach dem Mädchen im letzten Jahr 
diesmal wieder ein strammer Knabe an der Reihe, denn Irmgard hatte 
bisher immer abwechselnd Mädchen und Buben zur Welt gebracht. 
In dieser Beziehung war sie zuverlässig und pünktlich. 

Edmund lächelte vor sich hin. Dann dachte er daran,  daß der Segen 

zugleich einen Esser mehr bedeutete, und sein Lächeln wurde ein 
wenig gequält. Nun, sie würden halt die Suppe mit ein wenig mehr 
Quellwasser längen und statt des teuren Salzes etwas mehr Kräuter 
hineingeben, die Irmgard auf den Wiesen sammelte, wo der Herrgott 
sie für seine noch wesentlich größere Familie kostenlos sprießen ließ. 
Oder sie mußten sich etwas anderes einfallen lassen. Kurz überlegte 
Edmund, ob sie vielleicht den Wein zu Silvester etwas einschränken 
sollten, doch rasch verdrängte er den Gedanken und erinnerte sich an 
den Lohn, den ihm die Spanier für diese Fahrt zahlten. 

Rüdiger riß ihn aus seinen Gedanken. Er jammerte und klagte mal 

background image

wieder. Rüdiger war ein Nörgler. Seit fünfzehn Jahren fuhren sie 
zusammen für den reichen Herrn,  der die Kutschen vermietete, und 
es war noch keine Fahrt vergangen, ohne daß Rüdiger über irgend 
etwas gemeckert hätte. 

Rüdiger trank weder Wein noch Met oder Gerstensaft. Er hatte 

auch kein Weib, mit dem er Silvester feiern konnte, und folglich 
keine Kinder. Einmal hatten sie den eingefleischten Hagestolz zu 
ihrer Feier eingeladen, doch Rüdiger hatte wohl gespürt, daß er ein 
wenig fehl am Platze war und sich noch vor Mitternacht 
zurückgezogen. Mit einem schelmischen Grinsen hatte er 
versprochen, im nächsten September wieder Taufpate zu werden. 
Manchmal konnte dieser Griesgram doch ein richtiger Scherzbold 
sein. 

»Diese verdammte Rüstung«, maulte Rüdiger. »Ich komme mir 

vor wie in einem spanischen Schwitzbad.« 

Edmund lachte. »Und wie ist ein spanisches Schwitzbad?« 
Rüdiger wandte ihm sein runzliges Gesicht zu, und Edmund fragte 

sich wie so oft, weshalb Rüdigers Knollennase so rot war, wenn er 
doch Quellwasser den berauschenden Getränken vorzog. 

»Na spanisch«, erklärte Rüdiger mit einem genießerischen, nahezu 

frivolen Grinsen. »Natürlich ohne Rüstung. Nackig wie es sich beim 
Baden gehört. Aber es ist kein normales Bad, wie unsereines es 
kennt. Es ist eine gar pikante Zeremonie mit einer eifrigen Senorita, 
die dir zu sanftem Gitarrenklang den Rücken ganz zart schrubbt und 
außerdem ...« 

Edmund sollte nie erfahren, wie sich denn nun ein spanisches 

Schwitzbad genau abspielte. Es blieb bei der Andeutung jener 
Wonnen, die Rüdiger mit verklärter Miene zum Besten gegeben 
hatte. 

Rüdiger verstummte schlagartig, zuckte zusammen, und mitten aus 

seinem lächelnden Gesicht ragte von einem Augenblick zum ändern 
ein Pfeil. 

Es war ein Anblick, der Edmund bis ins Mark erschütterte. 

Fassungslos und vor Entsetzen wie gelähmt starrte er seinen alten 

background image

Freund Rüdiger an. In diesen schrecklichen Sekunden nahm er gar 
nicht wahr, was ringsum geschah. Er sah nicht, wie einer der 
gepanzerten Eskortenreiter, von einer Lanze getroffen, im Sattel 
schwankte und wie finstere Gesellen zwischen den Buchen und 
Büschen am Rande des Hohlwegs auftauchten, als hätte die Hölle sie 
ausgespuckt. 

Edmund sah nur diesen schaurigen Anblick, das verzerrte Lächeln 

seines Freundes aus dessen Gesicht der Pfeilschaft ragte, und alles in 
ihm weigerte sich, das Schreckliche zu begreifen. Dann kippte 
Rüdiger, unendlich langsam, wie es Edmund schien, vom 
Kutschbock und verschwand im Staub, der von scheuenden Pferden 
und kämpfenden Männern aufgewirbelt wurde. 

Erst in diesem Augenblick erkannte Edmund, daß alles kein 

Alptraum, sondern grauenvolle Wirklichkeit war, und er schrie 
gellend sein Entsetzen hinaus. Den bärtigen Gesellen, der sich vom 
Ast einer mächtigen Blutbuche fast neben dem Kutschbock 
herabschwang und mit einem Morgenstern ausholte, sah er nicht... 

»Ich hätte nie gedacht, daß ich mal Amme für eine spanische Kuh 
nebst Anhang spielen müßte«, sagte der Knappe Louis und zügelte 
sein Roß neben Ritter Roland, der auf der Kuppe eines sanft 
gewölbten Hügels angehalten hatte. 

Der mollige Pierre strich sich eine dunkelblonde Haarsträhne aus 

der Stirn und bedachte Louis mit einem etwas säuerlichen Grinsen. 

»Welche Kuh meinst du, Louis? Die langhaarige mit den beiden 

prallen Eutern und den Glutaugen oder ...?« 

Louis lachte, und seine kräftigen Zähne blitzten im schwarzen 

Bart. »Wie kannst du die schöne Senorita als Kuh bezeichnen und 
gar was ihr Mieder so reizend füllt als Euter! Pierre, Pierre! Ich 
sprach natürlich von dem Viech, das die Spanier in diesem 
komischen Wagen da mitnehmen.« Er nickte zu der 
Reisegesellschaft jenseits einer Birkengruppe. 

background image

Vier Reiter in vollem Harnisch ritten einer schwarzen Kutsche 

voraus, die von prächtigen Schimmeln gezogen wurde. Dann folgten 
zwei Wagen, der Verpflegungswagen und ein schwerer 
Kastenwagen, der keinerlei Fenster, sondern nur Belüftungsschlitze 
hatte. Seit sie der Gesellschaft folgten, wußten sie, daß sich in dem 
letzten Wagen eine oder mehrere Kühe befanden, was das 
gelegentliche Brüllen und Stampfen verriet. Den Schluß der Kolonne 
bildeten wiederum zwei Männer der Eskorte. Einer trug eine 
Standarte wie der rechte Reiter an der Spitze, damit jeder sah, welch 
noble Herrschaft er eskortierte. Der andere hielt eine Lanze. Ihre 
Rüstungen schimmerten im rötlichen Schein der Abendsonne, die im 
Begriff war, sich hinter den majestätischen Fichten auf den Hügeln 
im Westen zurückzuziehen, um sich schlafen zu legen oder die 
andere Seite der Erde zu betrachten. 

Louis warf einen Blick zu Ritter Roland, der die Augen mit einer 

Hand vor der tief stehenden Sonne beschattete und zu der 
Reisekolonne hinspähte. 

»Was meinst du, weshalb die Spanier die Kühe mit auf die Reise 

genommen haben?« fragte der Knappe. 

»Vermutlich ein Gastgeschenk für Arno von Berghe und Burg 

Hohenstolz«, antwortete Roland in Gedanken. 

Louis kraulte seinen schwarzen Bart. »Aber Kühe hat Arno auf 

seinem großen Land rings um die Burg doch genug«, brummte er. 

»Vielleicht melken sie ihre spanischen Kühe unterwegs, weil sie 

unsere Milch nicht mögen«, warf Pierre ein. Er bewegte sich 
unbehaglich im Sattel. Sie waren seit Tagen unterwegs, und trotz der 
ausgedehnten Pausen, welche die Spanier einlegten, hatte Pierre sich 
wundgeritten. Zuerst eine kleine Pustel, dann eine Schwiele, und 
wenn ihn nicht alles täuschte, dann zierte jetzt eine pflaumengroße 
Furunkel seinen Hintern. Aber Auftrag war Auftrag, und der lautete 
nun einmal, die spanische Gesellschaft unauffällig zu begleiten und 
Schutzengel zu spielen, wenn es nötig sein sollte. König Artus auf 
Schloß Camelot war es gewiß recht gleichgültig, wie es um den 
Hintern eines Knappen bestellt war ... Pierre seufzte bei diesem 

background image

Gedanken. 

»Papperlapapp«, sagte Louis. »Als ob spanische Kühe andere 

Milch geben als unsere!« Er lachte dröhnend. 

»Ich hörte, sie füttern ihr Vieh mit Paprika und Pfefferbohnen und 

geben ihnen anschließend ein paar Eimer Rotwein zum 
Durstlöschen«, sagte Pierre und verscheuchte eine Eintagsfliege, die 
sich müde nach einem langen Leben eine Sekundenpause auf des 
Knappen Nase gegönnt hatte. 

Roland lächelte, als seine Knappen zu einer heftigen Diskussion 

über spanische Sitten und Gebräuche ansetzten. 

»Ich sage dir ...« begann Louis, doch er hielt sein Versprechen 

nicht. 

Der leichte Wind trieb den Schrei heran. Ein langgezogener 

gellender Schrei voller Entsetzen. Die Köpfe der Knappen ruckten 
herum. 

Von der Reisegesellschaft waren nur noch der letzte Wagen und 

die beiden Schlußreiter der Eskorte zu sehen. Ein mit Büschen und 
Bäumen bewachsener Hang verdeckte die Sicht auf den Rest der 
Kolonne; nur hier und da schimmerte etwas durch eine Lücke, im 
Blattwerk. 

Rolands Augen verengten sich, als er Gestalten auf dem Hang und 

auch auf dem gegenüberliegenden Hügelchen auftauchen sah, 
zwischen denen der Fahrweg hindurch führte. 

»Ein Überfall«, rief er. »Vorwärts!« 

Eine Gestalt sprang von einem der Bäume herab. Edmunds Blick 
zuckte nach rechts, und erst jetzt nahm er den bärtigen Kerl wahr, der 
den Morgenstern schwang. Die todbringenden Stahlzacken funkelten 
rötlich im Schein der Sonne. 

Edmund schickte ein Stoßgebet zum Himmel und duckte sich in 

seiner Verzweiflung zur Seite. Das half vermutlich beides. Der 
Morgenstern streifte ihn nur mit einem knirschenden Geräusch an 

background image

dem Brustpanzer und fegte ihn vom Kutschbock. Edmund stürzte in 
den Sand des Fahrwegs hinab und blieb benommen liegen. Er 
schmeckte Staub und sah alles wie durch einen wallenden rötlichen 
Schleier. Männer schrien. Schwerter klirrten. Ein Pferd brach, von 
einem Pfeil getroffen, zusammen und wieherte gepeinigt. 

Ein anderes Pferd ging in Panik durch. Sein Reiter war von einer 

Lanze aus dem Sattel gestoßen worden. Jetzt versuchte er sich 
schwerfällig in seiner Rüstung aufzurappeln und zückte das Schwert. 
Ein Keulenhieb schmetterte ihm das Schwert aus der Hand. Der 
Mann mit dem Morgenstern sprang auf ihn zu und schwang seine 
furchtbare Waffe. Da preschte zwischen den Büschen ein Reiter 
hervor. Mit einem gewaltigen Satz sprang sein prächtiges Roß in den 
Hohlweg hinein, und sein Reiter holte mit dem Schwert aus. Der 
Mann mit dem Morgenstern sah den Reiter aus dem Augenwinkel 
heranfliegen, und sein Kopf ruckte herum. Das rettete den Mann der 
Eskorte. Der Morgenstern knallte keine Handbreit neben seinem 
Kopf in den Sand und hieb einen kleinen Krater. 

Der Räuber riß den Morgenstern hoch, wollte ihn gegen den Reiter 

schleudern. 

Unbewußt schrie Edmund auf. Doch da stieß der Reiter, ein großer, 

kühn aussehender Mann in einem leichten Kettenhemd, dem wilden 
Gesellen das Schwert in die Brust. Der Morgenstern verfehlte Roß 
und Reiter und klatschte gegen den Stamm einer Buche am Rande 
des Wegs und fetzte Splitter aus der Rinde. Röchelnd sank der 
Räuber in den Staub. 

Der Reiter  - es war Roland, der mit seinen Knappen zur Stelle war 

- zog sein Schwert aus der Brust des Räubers und parierte sein Roß. 
Er zog es um die Hand und jagte auf zwei der wilden Gesellen zu, 
die gegen einen der Spanier kämpften. Der Mann der Eskorte hieb 
eine vortreffliche Klinge. Er trieb einen der Angreifer mit wuchtigen 
Schlägen zurück und fuhr zu dem zweiten herum, dessen Schwert ihn 
an der gepanzerten Schulter traf. Der Spanier wankte unter der 
Wucht des Hiebes, stolperte über eine Furche des Wagenwegs und 
stürzte. 

background image

Mit einem triumphierenden Schrei sprang der Räuber auf ihn zu 

und holte mit dem Schwert aus. 

Da war Ritter Roland heran. 
Er schmetterte dem Räuber das Schwert aus der Hand. Entsetzt 

starrte der Räuber zu dem Reiter auf, und Todesfurcht flackerte in 
seinem Blick. Er wußte nicht, daß Roland ein Ritter war, der niemals 
einen Wehrlosen schlug. Er starrte auf das blutige Schwert und 
rechnete mit dem tödlichen Stoß. 

»G-gnade«, stotterte er zitternd und hob wie abwehrend die Hände 

hoch, obwohl ihm das nicht viel genutzt hätte. 

Roland hatte ihn schon gar nicht mehr beachtet. 
»Sieh her!« schrie er einem der Schurken zu, der ihm halb den 

Rücken zuwandte und auf einen Mann der Eskorte lossprang, der 
sein Schwert verloren hatte und hilflos am Boden lag. 

Der Bursche zuckte herum, riß das Schwert hoch, doch er kam 

nicht mehr dazu, es einzusetzen. Roland trieb sein Pferd gegen ihn 
und warf ihn zu Boden. 

Der Mann stieß einen markerschütternden Schrei aus, der dann wie 

abgeschnitten verstummte. Roland glaubte schon, sein Roß hätte den 
Räuber zu Tode getrampelt, doch dann sah er, daß ein Pfeil aus der 
Brust des Mannes ragte. Er hatte beide Hände um den Pfeilschaft 
gekrallt, als wollte er  noch im Sterben den Pfeil aus seinem Körper 
reißen. 

Der Räuber war von einem seiner Kumpane getroffen worden! 
Roland fuhr im Sattel herum. Irgendwo zur Rechten auf einem der 

Bäume mußte der heimtückische Schütze stecken, und er hatte 
sicherlich nicht seinen Kumpan töten, sondern den Reiter treffen 
wollen. 

Roland warf sich vom Pferd. In letzter Sekunde. Ein Pfeil zischte 

über den leeren Sattel hinweg. 

Roland rollte sich ab und sprang auf. Staub hüllte ihn ein. 
In der Kutsche gellte ein Schrei. Der Schrei einer Frau! 
Roland hetzte los. Mit einem schnellen Blick sah er, daß auch die 

Knappen von den Pferden gesprungen waren. Beide kämpften mit 

background image

dem Schwert, und der Kampflärm hallte über den Hohlweg. 

Der Schrei war verstummt, und Roland befürchtete Schlimmes.  Er 

erreichte die Kutsche. 

Dort waren jetzt Kampfgeräusche zu hören. Ein Aufprall. Ein 

unterdrücktes Stöhnen und ein seltsam gedämpfter Schrei. Auf der 
anderen Seite der Kutsche. 

Roland hetzte um das Heck der Kutsche herum. 
Mit einem Blick erfaßte er die Situation. Am Boden lag die reglose 

Gestalt eines Mannes. Alfons von Cordoba, wie Roland wußte. Und 
dessen Tochter Isabella bäumte sich im Griff eines bärtigen Gesellen 
auf. Mit einer Hand hielt er ihre Taille umklammert, die andere 
preßte er auf ihren  Mund. Der Kerl war offenbar nur mit einer Keule 
bewaffnet gewesen, die jetzt neben dem bewußtlosen spanischen 
Grande am Boden lag. 

Isabella wehrte sich nach Leibeskräften. Sie versuchte den Räuber 

zu treten und zu beißen. 

Roland war mit zwei langen Sätzen heran. Er packte den Kerl an 

der Schulter, riß ihn herum und schlug ihm die geballte Linke ans 
Kinn. Der Kopf des Räubers ruckte zurück, und sein Griff lockerte 
sich. Isabella riß sich los. Sie rief etwas auf Spanisch, lief zu ihrem 
Vater und fiel neben ihm auf die Knie. 

Roland hielt das Schwert, das er fallen gelassen hatte, weil der 

Räuber unbewaffnet war, schon wieder in der Hand. Er wollte den 
zurücktaumelnden Räuber mit der Linken am Kragen packen und 
ihm mit der Rechten die Klinge an die Kehle setzen, um ihn 
gefangenzunehmen. Doch in einem Reflex riß der Kerl noch im 
Fallen einen Fuß hoch, und seine Stiefelspitze traf Roland am 
Handgelenk und prellte ihm das Schwert aus der Hand. 

Der Räuber sprang auf und trat ein weiteres Mal zu. Er traf Roland 

wuchtig an der Hüfte. Der Ritter strauchelte und stürzte. Doch anstatt 
seinen Vorteil zu nutzen und nachzusetzen, warf sich der Räuber 
herum und hetzte davon. 

Roland riß sein Schwert aus dem Staub und war mit einem Satz auf 

den Beinen. 

background image

Dann ließ er das Schwert sinken und wischte sich mit der Linken 

Staub aus dem Gesicht. Der Flüchtende wandte ihm den Rücken zu, 
und es verstieß gegen die Ritterehre, einen Wehrlosen zu töten, selbst 
wenn es ein verruchter Mordgesell war. 

Roland blickte zu Isabella. Sie hatte sich aufgerichtet und wandte 

ihm ihr Gesicht zu. Ein rassiges Gesicht mit großen, glutvollen 
schwarzen Augen und schwellenden roten Lippen. 

»Weshalb laßt Ihr ihn entkommen?« fragte sie und nickte zu dem 

Räuber hin, der gerade zwischen den Bäumen verschwand. 

»Er war waffenlos und meines Schwertes nicht würdig«, sagte 

Roland, und trotz seiner Anspannung bewunderte er die Schönheit 
der Spanierin. 

Sie las wohl die Bewunderung in seinem Blick. Das Funkeln ihrer 

Augen schien sich noch zu verstärken, und die Andeutung eines 
Lächelns spielte um ihre Lippen. 

»Ihr sprecht fast wie ein Hidalgo  - oder Ritter sagt man wohl in 

Eurem Lande.« 

Roland nickte und erwiderte ihr Lächeln, das sein Herz schneller 

pochen ließ. Es war das erste Mal, daß er Isabella aus der Nähe sah 
und mit ihr redete. Er war überrascht, daß sie so gut Deutsch sprach, 
mit einem süßen, leicht bayerischen Akzent. Gern hätte er ihr 
deswegen ein Kompliment gemacht, doch dazu war im Augenblick 
keine Zeit. Immer noch wurde gekämpft. 

»Geht in die Kutsche«, mahnte er besorgt, während er nähertrat, 

um sie mit seinem Körper zu schützen, und zu den Büschen und 
Bäumen am Wegesrand spähte. Irgendwo dort mußte noch der 
Bogenschütze stecken. 

»Vater ist ohnmächtig«, sagte Isabella. »Helft mir, ihn in die 

Kutsche zu tragen ...«  

»Erst müßt Ihr aus der Gefahr«, sagte Roland hastig. »Er zog die 

Tür auf. Drei Gestalten kauerten in der Kutsche. Die ältere Frau 
mußte Isabellas Mutter sein; die Ähnlichkeit war unverkennbar. Die 
junge Senorita war die Zofe. Beide starrten ihn schreckensbleich an. 
Der Mann, der zwischen den Sitzen auf dem Boden lag und offenbar 

background image

betete, war der Diener. Es sah aus, als wollte er durch den 
Wagenboden kriechen. Er hob den Kopf. Sein Gesicht hätte zu einem 
kühnen Edelmann gepaßt, was die stolzen, markanten Züge anbetraf. 
Doch der Bursche zitterte vor Angst, und Roland hätte geschworen, 
daß die spanischen Worte, die er jetzt hervorstammelte, ein Flehen 
um Gnade waren. Roland nickte ihm aufmunternd zu und wandte 
sich an Isabella. »Sagt ihm, daß ich kein Feind bin und daß er Platz 
für seinen Herrn schaffen soll.« 

»Ja, der gute Pedro ist kein Held«, sagte Isabella mit einem 

wissenden Lächeln, und sie fügte einen spanischen Wortschwall 
hinzu. So süß ihr Akzent auch war, in ihrer Muttersprache kam  ihre 
melodische Stimme noch besser zur Geltung. 

Pedre fiel offensichtlich ein ganzer Berg von Steinen vom Herzen 

ob Isabellas tröstlichen Worten. Er schielte noch einmal zu Rolands 
blutigem Schwert und erhob sich dann unbeholfen. 

Roland war voller Ungeduld und Anspannung. Von dem 

Bogenschützen war nichts zu sehen, und von dem Baum aus, der gut 
zwei Dutzend Schritte entfernt war, konnte er kaum jemand auf 
dieser Seite der Kutsche treffen. Doch es war möglich, daß es weitere 
Bogenschützen gab oder daß der Kerl inzwischen die Position 
gewechselt hatte. 

»Schnell«, drängte er und legte einen Arm um Isabellas Hüfte, um 

sie in die Kutsche zu schieben. 

Doch die Eile war nicht mehr nötig. Hufschlag entfernte sich 

jenseits der beiden Hügel, und dann tauchte auch schon Louis auf. 

Isabellas Augen weiteten sich, als sie den schwarzbärtigen Hünen 

mit dem blutigen Schwert erblickte, und sie klammerte sich 
schutzsuchend an Roland. Sie kannte die Knappen ja nicht, und sie 
hielt Louis anscheinend für einen der Räuber. Nun,  Louis war sogar 
einmal Räuberhauptmann gewesen, und Roland konnte Isabellas 
Erschauern in dieser Situation nur zu gut verstehen. Louis' Stiefel, 
Hose und Kettenhemd waren staubig und wiesen Blutflecke auf, und 
das blutige Schwert in seiner Hand wirkte nach allem, was über die 
Reisenden hereingebrochen war, auch alles andere als 

background image

vertrauenerweckend. Der Schauer wäre sonst vermutlich anderer 
Natur gewesen, denn die meisten Damen verspürten normalerweise 
beim Anblick des stattlichen Recken einen anderen Schauer  - eher 
ein wohliges Prickeln. 

Louis lachte mit blitzenden Zähnen. »Alles erledigt«, sagte er mit 

dröhnender Stimme. »Diese Hundsfott-Bande ist besiegt, und die 
Überlebenden haben ihre dreckigen Ärsche auf ihre Rösser 
geschwungen und sind abgehauen, diese verdammten Saukerle 
und...« 

Er verstummte verwundert ob Rolands mahnenden Blickes, den er 

nicht zu deuten wußte. Er ahnte nur, daß er offenbar zuviel gesagt 
hatte. 

»Sie sind abgehauen!« seufzte Isabella erleichtert, und sie sank 

gegen Roland. Der Ritter  nahm den betörenden Duft einer Seife 
wahr, und die Berührung der schönen Frau verwirrte ihn und ließ 
sein Herz schneller schlagen. 

»Sie spricht Deutsch?« sagte Louis entgeistert. 
Isabella hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. Sehr zu Rolands 

Bedauern löste sie sich von ihm, strich eine Strähne ihres 
pechschwarzen langen Haares aus der Stirn und lächelte Louis an. 
Äußerst amüsiert, wie Roland fand. 

»Mein Vater ist ein halber Deutscher, und ich hatte einen 

deutschen Lehrer - aus dem Bayernlande.« 

Pierre tauchte auf, bevor Louis sich von seiner Verblüffung erholt 

hatte. Sein rundes Gesicht war gerötet und mit Schweiß bedeckt. 
Seine Hose war am Knie aufgerissen, und er mußte unsanft aufs 
Gesäß gefallen sein, denn er hielt sich eine Hand darauf. Es sah ganz 
so aus, als wollte der Knappe eine Reihe deftiger Flüche von sich 
geben, und damit Pierre nicht das gleiche Mißgeschick wie Louis 
wiederfuhr, sagte Roland schnell: »Kein Gerede! Wie viele sind 
entkommen?« 

»Drei, vier«, sagte Pierre mit einem Schulterzucken. 
»Ihnen nach!« sagte Roland. »Schnappt sie euch!« 
Pierre nahm die Hand vom Hintern und verneigte sich galant vor 

background image

Isabella. Nun, Manieren hat er als Page auf Schloß Camelot gelernt, 
dachte Roland. Doch Pierre war nach durchstandenem Gefecht wohl 
noch etwas durcheinander, denn er machte den guten Eindruck 
zunichte, indem er in der Nase popelte. Er wurde fündig, schaute 
nachdenklich darauf und schnippte es fort. Doch das sah Isabella 
wohl nicht, denn Louis verdeckte ihr die Sicht. 

»Los, los«, sagte Roland. »Trollt euch!« 
Die beiden Knappen eilten davon, um ihre Pferde zu suchen, die 

von der Kampfstätte fortgelaufen waren, was ihnen niemand 
verübeln konnte. 

In diesem Augenblick tauchte ein Mann der Eskorte bei der 

Kutsche auf. Es war der Spanier, der im Kampf gegen zwei der 
Räuber bewiesen hatte, welch hurtige Klinge er zu schlagen 
vermochte. 

Er war klein, schlank und schwarzäugig, und er redete mit Händen 

und Füßen, wobei er immer wieder mal »Caramba« einflocht und 
sich von Zeit zu Zeit bekreuzigte. 

»Luis  meint, daß wir zwei Kutscher und drei Pferde verloren 

haben«, sagte Isabella, als sie Rolands fragenden Blick auffing. 

Roland sah Pierre, der sein Pferd ein Stück weiter im Hohlweg 

gefunden hatte und zurückkehrte. »Besorgt auf einem Weg drei 
Pferde«, rief er ihm zu. 

Pierre nickte. »In Ordnung. Wo finden wir euch!« 
Du kennst doch die Reiseroute! hatte Roland auf der Zunge, doch 

er besann sich noch rechtzeitig. Die Spanier sollten nicht wissen, daß 
er und die Knappen über alles Bescheid wußten. 

»Wir warten bei der Quelle im Birkengrund«, rief Roland und wies 

nach Norden. 

»In Ordnung«, rief Pierre zurück und trieb seinen Hengst an. Louis 

preschte kurz darauf hinter ihm her auf den Spuren der Räuber. 

Luis, der spanische, redete immer noch temperamentvoll und 

gestenreich. Isabella übersetzte unaufgefordert. 

»Luis ist untröstlich. Er sagt, der Überfall kam zu plötzlich.« 
Das haben Überfälle meistens so an sich, dachte Roland, doch er 

background image

schwieg aus Höflichkeit. 

Luis redete jetzt mit heftigen Gebärden auf Roland ein, und 

obwohl Roland des Spanischen nicht mächtig war, sah er an der 
Mimik und den Gesten, daß Luis sämtliche deutschen Räuber und 
besonders die Kerle, von denen sie überfallen worden waren, zum 
Mond oder in den tiefsten Winkel der Hölle wünschte. 

»Er flucht genauso wie Euer Freund«, sagte Isabella lächelnd. »Er 

sagt, daß er die Situation fest im Griff hatte, aber er dankt Euch 
trotzdem für Eure tapfere Hilfe.« Ihre Lippen wölbten sich leicht 
spöttisch. »Ich glaube nicht, daß es so glimpflich ausgegangen wäre 
ohne Euer beherztes Eingreifen. Aber Luis ist sehr eitel und stolz, 
und er würde jeden zum Duell fordern, der es wagte, seine 
Fähigkeiten als Meister der Schutztruppe in Frage zu stellen. Er hat 
sogar angedroht, sich einen Dolch ins Herz zu stoßen, wenn wir den 
Schutz annehmen würden, den uns Arno von Berghe, auf dessen 
Einladung hin wir unterwegs sind, angeboten hat.« 

Roland faßte den Spanier ins Auge. Luis war zu den anderen geeilt, 

die sich um Alfons von Cordoba scharten, der aus seiner  Ohnmacht 
erwacht war und sich aufgesetzt hatte. Gestenreich redete Luis auf 
den Grande ein. 

Dieser Luis war also der Heini, der sich gegen jeden deutschen 

Schutz auf der Reise verwahrt hatte. Ihm hatten sie also diesen 
Auftrag von König Artus zu verdanken, die Spanier unauffällig zu 
begleiten und ihnen gegebenenfalls gegen Wegelagerer zu helfen, 
damit sie sicher nach Burg Hohenstolz gelangten. Arno von Berghe 
war um drei Ecken mit Alfons von Cordoba verwandt, und er wollte, 
daß Isabella seinen Sohn Egbert  heiratete. Die Spanier erwiderten 
jetzt den Besuch derer von Berghe. Arno hätte ihnen so viele Männer 
zum Schutz zur Verfügung gestellt, wie sie nur wollten, doch die 
Spanier hatten strikt abgelehnt. Vermutlich wollten sie nicht, daß 
sich ihr Luis aus gekränktem Stolz tatsächlich das Leben nahm. 

Isabella sah Roland immer noch mit diesen großen, seelenvollen 

Augen an, und es wurde Roland heiß unter diesem glutvollen Blick. 

»Nein, ohne Euch und Eure ebenfalls tapferen Freunde wären wir 

background image

wohl verloren gewesen«, sagte sie. »Ich danke Euch aus tiefstem 
Herzen. Dabei weiß ich nicht mal Euren Namen!« 

Roland stellte sich galant vor, und sie war nicht sehr überrascht, 

daß er ein Ritter war. Sie sagte ihm dann, was Roland schon wußte: 
Ihren Namen und den Zweck der Reise. 

»Ihr zukünftiger Gemahl kann sich glücklich preisen«, sagte 

Roland und blickte ihr bewundernd tief in die Augen. 

Die langen Wimpern flatterten leicht. Es war, als fiele ein Schatten 

auf ihr Gesicht. »Nun, soweit wird es vielleicht gar nicht kommen. 
Doch die Höflichkeit gebietet es uns, den Besuch zu erwidern«, sagte 
sie plötzlich kühler. Dann lächelte sie ihn wieder an, und Roland 
fragte sich verwirrt, ob er ihre Worte richtig verstanden hatte. Das 
hatte ja gerade geklungen, als hätte sich Isabella noch gar nicht zur 
Heirat entschlossen! 

Roland überlegte, wie er eine diesbezügliche Frage stellen konnte, 

ohne unschicklich zu sein, doch es war, als hätte Isabella seine 
Gedanken erraten. 

»Mein Herz hat sich noch nicht entschieden«, sagte sie leise, und 

ihr Blick tauchte tief in seinen. Dann nahmen ihre sanft gebräunten 
Wangen einen leicht rötlichen Schimmer an, und sie senkte den 
Kopf. Sie wandte sich ab und schritt zu ihrem Vater. Sie war recht 
groß und schlank, und ihr Gang war anmutig, beschwingt und  doch 
irgendwie hoheitsvoll, und ihre Hüften schwangen leicht unter dem 
langen, spitzenbesetzten Kleid aus dunkelroter Seide. Sie sprach mit 
ihrem Vater. Roland kam sich im Augenblick ein bißchen überflüssig 
vor. Er lauschte dem melodischen Klang von Isabellas Stimme, und 
er glaubte noch einen Hauch ihres Duftes wahrzunehmen, der von 
einer besonderen Seife oder einem Parfüm stammen mußte. Er hörte 
ein paarmal das Wort »Hidalgo« und einmal auch seinen Namen, und 
er sah, wie die anderen jedesmal die Köpfe  wandten und ihn 
anstarrten, als sei er aus einer anderen Welt. 

Dann erhob sich Alfons von Cordoba. Er war ein kleiner, schlanker 

Mann Anfang fünfzig. Er trug einen schwarzen Anzug mit 
Silberstickereien, der tadellos saß. Sein markantes Gesicht war ge-

background image

bräunt, doch jetzt war es eine etwas fahle Bräune. Seine Züge hatten 
etwas Hochmütiges, doch dieser Eindruck verlor sich, als er herzlich 
lächelte und Roland die Hand hinstreckte. 

»Danke«, sagte er schlicht und sah Roland fest in die Augen. Nur 

dieses eine Wort, doch Roland wußte, daß es aus vollem Herzen 
kam. 

Roland drückte die dargebotene Hand. 
»Ich bitte Euch, mein Gast zu sein«, sagte Alfons von Cordoba mit 

festem Händedruck. 

Diese Einladung nahm Roland nur zu gerne an. Besonders weil 

Isabellas glutvoller Blick ihn ebenfalls bat. 

»Ich werd' verrückt«, sagte Louis und zügelte sein Pferd. »Hui  - 
diese Spanier werden mir immer sympathischer.« 

Auch Pierre blickte fasziniert zu der Lichtung hin. Er vergaß sogar 

sein schmerzendes Hinterteil und seinen Groll darüber, daß ihnen die 
Räuber entkommen waren. 

Sie waren ihnen nahe auf den Fersen gewesen, doch die 

hereinbrechende Dunkelheit war zum Verbündeten dieser 
Haderlumpen geworden. Louis hatte ganz recht: Die Mächte der 
Finsternis halten eben immer zusammen. Und dieser Hundsfott von 
Bogenschütze! dachte Pierre. Er und Louis hatten gerade überlegt, ob 
sie die Verfolgung fortsetzen oder aufgeben sollten, denn die Räuber 
waren in einen Wald geritten, und wo hätten sie da im Dunkeln 
suchen sollen? Da war ein Pfeil  vom Waldrand herangezischt und 
hatte Pierres Pferd getroffen. Den treuen Hengst, den er Donnerfurz 
genannt hatte, weil der vorherige Besitzer, ein Flickschuster, ständig 
»Beim Donnerfurz« geflucht hatte, als Pierre mit ihm um den Preis 
gefeilscht hatte.  Jetzt ritt er einen vierjährigen Hengst, den er noch 
taufen mußte. Der vorherige Besitzer hatte auf die Frage nach dem 
Namen nur mit den Schultern gezuckt, seinen Priem ausgespuckt und 
gesagt: »Hat keinen. Wozu auch? Pferd ist Pferd.« 

background image

Nun, ob dieser Gaul etwas konnte, mußte sich erst noch 

herausstellen. Der erste Eindruck war recht gut, doch sie waren 
langsam geritten, wegen Pierres mitgenommenem Hinterteil, und 
Pierre hatte das Roß noch nicht so richtig auf die Probe stellen 
können. 

»Ist das aufregend!« sagte Pierre beinahe andächtig und blickte zu 

dem Mädchen hin, das zum Klang einer Gitarre und irgendeinem 
rhythmischen Klappern im Schein des Lagerfeuers tanzte. 

»Ist die aufregend«, korrigierte Louis grinsend und beobachtete 

den feurigen Tanz der Spanierin. 

»Das muß die Zofe sein«, murmelte Pierre. »Die ist ja fast noch 

schöner als ihre Herrin.« 

»Laß das nicht den Ritter hören«, brummte Louis. »Das könnte ihn 

ärgern.« 

»Was?« Pierre löste kurz den Blick von der Spanierin, die in ihrem 

grünen Kleid tanzte, voller Anmut und stolzer Grazie. »Sag nur, 
Roland hätte was mit Isabella im Sinn?« 

Louis zuckte mit den breiten Schultern. »Natürlich nicht. Sie ist 

schließlich einem anderen versprochen, und ein Ritter hängt sich da 
nicht rein. Aber mit dem Gedanken spielen, das erlaubt vermutlich 
selbst die Ehre eines Ritters. Immerhin sah ich, wie er sie im Arme 
hielt, und wenn du mich fragst, so weiß ich nicht, wer wen mehr 
angeschmachtet hat - er sie oder sie ihn.« 

»Deshalb war er so schroff zu mir!« murmelte Pierre. »Ich 

wunderte mich schon, weshalb er mich so anfuhr und sofort 
wegscheuchte, bevor ich mir die Spanier mal richtig aus der Nähe 
ansehen konnte! Er wollte nicht gestört werden!« 

Louis grinste. Er kannte den wahren Grund, verriet Pierre aber 

nichts davon. 

»Wenn du mich fragst«, sagte er, »so hätte der mickrige Egbert 

gegen Roland keine Chance bei Isabella. Aber so ist das nun mal  - 
wo die Liebe hinfällt...« 

»Die von deren Stande heiraten doch meistens nur wegen des 

Geldes«, murmelte Pierre. »Ich würde die Zofe da ohne einen 

background image

einzigen Dukaten nehmen.« Gebannt schaute er wieder zu der 
Tänzerin. 

»Sag nur, du willst heiraten?« brummte Louis überrascht. 
»Das nicht gerade«, schwächte Pierre versonnen ab. »Mann, ist die 

schön!« 

Ihr langes Kleid war tief ausgeschnitten und spannte sich bis zur 

Taille eng um ihre Formen, um dann weit auszuschwingen. Es 
wirbelte um ihre schlanken Fesseln, wenn sie sich im Takt der 
schnellen Musik im Kreise drehte. Jetzt stampfte sie dazu rhythmisch 
mit ihren Stiefeln oder Schuhen auf. 

»Mann, hat die ein Feuer«, murmelte Pierre begeistert. 
»Vielleicht geben die spanischen Kühe doch andere Milch«, 

brummte Louis, der den Anblick ebenfalls genoß. »Möchte wissen, 
wie sie dieses Klappern zustande bringt, wenn sie so graziös mit den 
Händen wirbelt.« 

»Das sind Kastagnetten«, sagte Pierre. 
»Was  - Kastanien?« fragte Louis verblüfft. Er wußte nicht viel 

über Spanien, genauer gesagt, diese Spanier waren die ersten, die er 
leibhaftig gesehen hatte. 

»Kastagnetten«, wiederholte Pierre. »Das sind zwei hölzerne 

Klappern, die beim Tanz gegeneinander geschlagen werden. Die soll 
es auch in Italien geben.« 

»Du kennst dich aber aus«, sagte der ehemalige Räuberhauptmann 

mit einer Spur von Anerkennung. 

»Bei Hofe hört man so allerhand«, sagte Pierre, und es klang ein 

bißchen wehmütig. Manchmal bedauerte Pierre, daß er die seidenen 
Sessel von Schloß Camelot mit dem harten Handwerk des Knappen 
vertauscht hatte. 

Der Tanz wurde noch wilder, fast ekstatisch. 
»Laß uns hinreiten«, sagte Pierre. »Ich will sie von ganz nahe 

sehen!« Er wollte sein noch namenloses Pferd antreiben. 

Louis hielt ihn zurück. »Warte, Pierre. Wenn wir jetzt da 

reinplatzen, und sie erfahren, daß uns diese Haderlumpen durch die 
Lappen gegangen sind, ist vermutlich die ganze Stimmung im Eimer, 

background image

und mit dem schönen Tanzen ist's vorbei. Ich schlage vor, wir 
schwingen uns von den Gäulen und gönnen uns noch ein Weilchen 
diesen bezaubernden Anblick.« 

»Manchmal hast du fürwahr gute Ideen«, stimmte Pierre zu und 

stieg vom Pferd. »Oh, tut mir der Hintern weh«, stöhnte er dabei. 

Auch Louis saß ab. Sie banden die Zügel an Baumstämme. Pierres 

noch namenloser Hengst schnaubte. 

Pierre gab ihm einen Klaps auf den Hals. »Sei still, Junge, und hör 

lieber der spanischen Musik zu.« 

Der namenlose Hengst spitzte auch tatsächlich die Ohren. Doch 

das hatte einen anderen Grund. 

Das erkannte Pierre einen Augenblick später, als sich etwas in 

seinen Rücken bohrte, was unzweifelhaft eine Schwert- oder 
Messerklinge war, und eine scharfe Stimme etwas in seinen Nacken 
zischte, was Pierre nicht verstand, was aber äußerst drohend klang. 

Pierre erstarrte. 
Im nächsten Augenblick zuckte er zusammen, denn etwas ratschte 

über sein Kettenhemd hinauf und streifte ihn am Hals und am Ohr. 
Eine Schwertklinge! Pierre erschrak bis ins Mark. Der Kerl will mir 
die Kehle durchschneiden! durchfuhr es ihn. 

Dann hörte er einen dumpfen Aufprall und einen überraschten 

Schrei, der »Uaaaahr« oder so ähnlich klang, und Pierre erkannte, 
daß sein Kopf noch auf den Schultern war und daß auch die Kehle 
nicht fehlte. Er wirbelte herum und sah den Umriß einer Gestalt im 
Dunkel. Die Gestalt schwankte, und im nächsten Augenblick zischte 
etwas dicht an Pierre vorbei und knallte gegen die Gestalt. Der 
Schrei verstummte, und die Gestalt fiel auf den Waldboden und blieb 
steif liegen. 

Pierre atmete auf. Louis hatte den Burschen mit einem Fausthieb 

niedergestreckt. 

Jetzt rieb sich Louis die Handknöchel. »Alles klar, Pierre? Hab' 

den Kerl gerade noch rechtzeitig gesehen, als er sich mit gezücktem 
Schwert an dich ranschlich. Er konnte mich nicht sehen, weil mich 
mein Gaul und der Baumstamm verdeckten. Mußte nur noch mal 

background image

nachfassen, obwohl mein erster Schlag schon mächtig Dampf hatte.« 

Pierre wischte sich über den Hals und spürte etwas Feuchtes, 

Klebriges. Die Schwertklinge mußte seine Haut aufgerissen haben, 
als der Kerl, von Louis' erstem Hieb getroffen, zur Seite getaumelt 
war und dabei das Schwert unfreiwillig hochgerissen hatte. Pierre 
tastete mit bösen Ahnungen zu seinem Ohr. Es war noch da. 

»Danke«, sagte Pierre. »Alle Wetter, hat mich der Kerl überrascht! 

Und ich wußte gar nicht, was er mir da auf Spanisch zuzischte.« 

»Spanisch?« fragte Louis verblüfft. 
»Ja ja.« 
»Oh Gott, da schwant mir Unheil«, murmelte Louis und warf einen 

Blick zum Feuer auf der Lichtung. 

Erst jetzt fiel ihm auf, daß die Musik verstummt war. Die Spanierin 

hatte mit ihrem Tanz abrupt aufgehört. Wie eine schöne Statue stand 
sie dort, hatte eine Hand noch erhoben, und der Schein der Flammen 
zuckte über ihre Gestalt. 

Alle anderen am Feuer hatten die Köpfe gewandt und blickten zum 

Waldrand. Sie hatten den Schrei vernommen. 

»Wieso?« fragte Pierre. Dann kapierte er. »Du meinst, es könnte 

einer von den Spaniern sein?« 

Louis nickte grimmig. »Seit wann sprechen andere Leute hier 

spanisch?« 

Er sah, wie zwei Männer beim Feuer aufsprangen und ihre 

Schwerter zückten. 

»Roland, wir sind's!« brüllte Louis. 
Er sah, wie Roland sich zu Isabella neigte, die neben ihm saß, und 

kurz mit ihr sprach. Isabella rief etwas auf Spanisch, und die Männer 
der Eskorte kehrten zum Feuer zurück. Sie hatten übrigens alle die 
unbequemen Rüstungen abgelegt, was die Knappen für dumm 
hielten, denn gerade des Nachts war die Gefahr, von Räubern 
überfallen zu werden, am größten. Vielleicht waren die Spanier so 
naiv, anzunehmen, in deutschen Landen gebe es nur diese eine 
Bande... 

Louis schritt zu dem Bewußtlosen und warf ihn sich über die 

background image

Schulter. Dann ging er mit Pierre zum Lager. 

Betroffen schauten ihnen die Spanier entgegen. 
»Sag du dem Ritter, was passiert ist«, flüsterte Louis Pierre zu. 

»Und denk daran, Angriff ist die beste Verteidigung. Du brauchst 
kein Blatt vor den Mund zu nehmen, denn die Spanier verstehen 
deine Flüche nicht.« Er hoffte, Pierre genügend angestachelt zu 
haben und verbarg ein Grinsen. 

Ritter Roland erhob sich am Feuer und trat ihnen entgegen. 
»Was ist passiert?« fragte er. 
Pierre sagte es ihm. Und er beherzigte Louis schlitzohrigen Rat 

und zog vom Leder, daß mancher Schweinehirt errötet wäre. Nach 
einigen saftigen Flüchen sagte er: »Dieses dreimal verdammte 
Warzenschwein  -«, er nickte zu dem Spanier hin, den Louis ablegte, 
»- hat mich hinterfotzig mit dem Schwerte bedroht, und deshalb hatte 
Louis keine andere Wahl, als ihm eine zu verplätten.« Er fügte hinzu, 
das müsse der Ritter doch verstehen und Louis verzeihen. 

Roland verstand und verzieh. Er konnte sich ein Lächeln nicht 

ganz verkneifen. 

»Wir konnten wirklich nicht wissen, daß der Kacker zu unseren 

Leuten gehört«, fügte Pierre hinzu, ohne Louis' breites Grinsen zu 
bemerken. 

Isabella erhob sich geschmeidig am Feuer. »Nein, das konntet Ihr 

nicht, wissen«, sagte sie mit leicht bayerischer Klangfärbung, »daß 
dieses dreimal verdammte Warzenschwein unser Hofmeister und 
Chef des Schutztrupps Luis Hernandez ist, der auf Wache um das 
Lager streifte.« 

Sie lächelte amüsiert, als Pierre den Mund aufklaffte und er sie 

entgeistert anstarrte. 

»Verzeiht dem Armen«, fügte sie mit einem Blick zu Luis 

Hernandez hinzu, der sich gerade regte und sein Kinn betastete. »Der 
Kacker hätte Euch wirklich nicht hinterfotzig mit dem Schwerte 
bedrohen sollen. »Verzeihung  - ich wußte nicht...« stammelte Pierre 
und blickte wütend zu Louis hin und dann hilfesuchend zu Roland. 
Roland lächelte, und Louis grinste breit. Er streckte dem Spanier 

background image

hilfreich die Hand hin und zog ihn auf die Füße. 

»Komm schon, mein Junge. Wenn ich gewußt hätte, daß du auch 

den schönen Namen Luis hast, hätte ich bestimmt nicht so feste 
zugelangt.« 

Der Spanier verstand nicht. Er stieß eine Serie spanischer Worte 

aus, die verdächtig nach Flüchen klangen, und dabei rollte er wild 
mit den Augen, und seine Gesten deuteten an, was er mit dem 
Hombre anstellen würde, der ihn im Wald niedergeschlagen hatte. 

Isabella unterbrach ihn. Sie klärte ihn kurz auf. Da wurde Luis 

stumm. Er faßte seinen Namensvetter ins Auge und starrte ihn finster 
an. Louis lächelte versöhnlich, doch das wirkte nicht so sehr. Wenn 
Blicke töten könnten, wäre der Knappe auf der Stelle tot umgefallen. 
Wahre Giftflammen loderten ihm aus den schwarzen Augen des 
Spaniers entgegen. 

Isabella versuchte die Wogen zu glätten. Sie sprach offenbar 

besänftigend auf den spanischen Luis ein. Daraufhin schickte Luis 
zwei seiner Männer auf Wache aus und ging zum Feuer, um einen 
Schluck Rotwein aus der bauchigen Flasche einzuschenken, die dort 
im Grase stand. 

Roland zog seine Knappen zur Seite. Kein Wort des Tadels kam 

über seine Lippen, wie der beschämte Pierre erwartet hatte. Louis 
berichtete, daß ihnen die Räuber entkommen waren und daß Pierre 
seinen treuen Donnerfurz verloren hatte, was sicherlich eine 
Entschuldigung für Pierres kleine Entgleisung sei. 

Isabella hatte derweil ihrem Diener einige Anweisungen gegeben. 

Doch es war die Zofe, die dann den beiden Knappen Rotwein 
brachte. 

Roland stellte die Knappen vor, und Isabella übersetzte. 
Aus der Nähe betrachtet, wurde für Louis und Pierre der 

Unterschied zwischen den beiden Frauen deutlicher; Roland hatte sie 
ja schon genau ansehen können. Die Zofe war jünger, vielleicht 
zwanzig, während Isabella um vier,  fünf Jahre reifer war. Beide 
Frauen waren schön, doch von unterschiedlichem Reiz. Die Zofe 
hatte etwas graziös Puppenhaftes, dabei wirkte sie scheu und sanft, 

background image

obwohl ihr Tanz vorhin gezeigt hatte, welch Feuer in ihr nur darauf 
wartete, entfacht zu werden, wenn die richtigen Saiten angeschlagen 
wurden. Isabella dagegen war von stolzer Anmut und 
Selbstsicherheit, und ihren Augen war anzusehen, daß sie sich ihres 
Feuers völlig bewußt war und um verschiedene Löschmethoden 
wußte. Ja, es hatte fast den Anschein, als sei sie es gewohnt, den 
Zeitpunkt des Löschens zu bestimmen. 

Die Zofe hieß Linda, wie Roland und die Knappen erfuhren. Sie 

war überall ein wenig praller als Isabella, und vielleicht hatte die 
Natur deshalb etwas an Größe eingespart. Linda war einen Kopf 
kleiner als Isabella, obwohl sie hochhackige Stiefel trug, während 
Isabella flache, mit Perlen verzierte Stoffschuhe anhatte. 

Lindas Lächeln war lieb, und es schien in erster Linie Pierre zu 

gelten, obwohl Louis alle Register zu ziehen versuchte und sich in 
seiner Begeisterung sogar dazu hinreißen ließ, eine Konversation zu 
beginnen, obwohl er des Spanischen nicht mächtig war. Er ging 
dabei recht geschickt zur Werke. Mit einem bewundernden 
glutvollen Blick auf ihren Busen und in ihre Augen nahm er eine 
etwas unbeholfene Tanzhaltung ein und schnickte mit den Fingern. 
Dann lachte er mit blitzenden Zähnen, wies auf Linda und sagte: 
»Kastanien - gut.« 

Linda lächelte, doch es war mehr das höfliche Lachen, das man für 

die seltsame Darbietung eines Gauklers  erübrigt, wen man dessen 
Auftritt nicht ganz versteht. Sie blickte fast hilfesuchend zu Pierre, 
und der Knappe nutzte die Gunst des Augenblicks und bewies, daß er 
sich etwas besser auskannte. 

»Kastagnetten«, sagte er in fließendem Spanisch und fügte 

weltgewandt hinzu: »Flamenco  - Senorita  - exzellent!« Wobei er 
verzückt blickte. 

»Oh,  gracias«,  sagte Linda, und es sah aus, als errötete sie leicht. 

Aber  vielleicht lag das auch nur am Feuerschein, der jetzt auf ihr 
Gesicht fiel, weil sie sich ganz Pierre zuwandte. 

Ermutigt spitzte Pierre die Lippen und pflückte mit Daumen und 

Zeigefinger einen imaginären Kuß davon, um ihn ihr mit einem 

background image

schmachtenden Blick und einem »Olala - Ole, ole« zuzuwerfen. 

Linda verstand offenbar den tieferen Sinn seiner Worte, denn ihre 

langen Wimpern flatterten unruhig, und das Funkeln ihrer dunklen 
Augen verstärkte sich. Impulsiv schenkte sie Pierre Rotwein nach, 
obwohl sein Glas  noch voll war. Louis hatte Durst gehabt und sein 
Glas in einem Zug geleert. Ein wenig eifersüchtig sah er nun zu 
Pierre hin, dessen Glas fast überlief, und wartete darauf, daß Linda 
auch ihm nachschenken möge. Doch sie hatte im Augenblick 
offenbar nur Augen für Pierre. Der schwarzbärtig« Louis war ihr 
wohl zu groß, oder ihr gefiel blond besser. 

Dann gab es plötzlich einen Zwischenfall. Es ging alles ziemlich 

schnell, so daß hinterher niemand genau zu sagen wußte, wie es 
geschehen war. Vermutlich lag es an Sprachschwierigkeiten. 
Jedenfalls tauchte vor dem auf Wein wartenden Louis sein zorniger 
spanischer Namensvetter auf. Er überschwappte den Knappen 
förmlich mit einer Woge von gefährlich klingenden Worten, stieß 
ihm vor die Brust, tippte sich genauso hektisch, doch etwas leichter 
selbst gegen die Brust und zückte sein Schwert. Louis fühlte sich 
bedroht und fackelte nicht lange. 

Der ehemalige Räuberhauptmann knallte seinem Namensvetter die 

flugs geballte Rechte ans Kinn, und zum zweiten Mal an diesem 
Abend sah der spanische Luis die Sterne, die am Himmel blinkten, 
vor seinen Augen zerplatzen und m tiefe Finsternis übergehen. Er fiel 
rücklings ins Gras und blieb dort liegen. 

Linda hatte aufgeschrien und sich an Pierre gedrückt, als gelte es, 

vor einem neuen Überfall Schutz zu suchen. 

Isabella erklärte jetzt Roland und den Knappen das 

Mißverständnis. Der spanische Luis hatte den anderen Louis 
keineswegs angreifen, sondern ihn  - wenn auch vor Zorn kochend  - 
in aller Form zum Duell auffordern wollen. Sein Stolz war nach der 
Niederlage im Wald arg verletzt, und er wollte Genugtuung. Statt 
dessen hatte er sich nun ein Ding eingefangen, und es bedurfte keiner 
übermäßigen Phantasie, um sich vorzustellen, daß sein Stolz und sein 
Kinn nun noch mehr gelitten hatten. 

background image

Er kam gerade zu sich, tastete mit der nun schon gewohnten 

Handbewegung zum Kinn und blickte sich benommen um, als halte 
er Ausschau nach einem Stier, der ihn auf die Hörner genommen 
hatte. Die Vermutung war nur auf den ersten Blick weit hergeholt. 
Denn in diesem Moment brüllte es in dem Wagen, den Louis als 
»Kuh-Kutsche« bezeichnete, es klirrte und stampfte, und der ganze 
Wagen schwankte und schien zu erbeben. 

»Was ist das?« wandte Pierre sich in der allgemeinen Aufregung 

an Linda und wies zum Wagen. Sie mißverstand ihn wohl, denn sie 
nickte und setzte sich zum Wagen hin in Bewegung. Als sie nach 
einem Schritt merkte, daß er stehenblieb, streckte sie die Hand aus, 
ergriff seine und zog ihn mit. Verwirrt folgte Pierre ihr zu dem 
Wagen, in dem es immer noch brüllte und stampfte und klirrte, als 
verteidigten sich die Kühe mit Schwertern gegen einen bösen Bären, 
der ihnen an die Euter wollte. 

Indessen glättete Isabella beim Feuer die Wogen. Als alles geklärt 

war, verlangte sie, daß Luis und Louis sich die Hände reichen und 
einen Versöhnungsschluck trinken sollten, auf daß wieder Friede 
zwischen Spanien und Deutschland herrsche. Luis, der spanische, 
zeigte sich nach einigem Zögern zu Kompromissen bereit. Er reichte 
die Hand, und er trank mit Louis. Doch er bestand auf einem Duell. 

Louis, der Knappe, fühlte sich arglistig getäuscht nach 

vermeintlichem Frieden und bot dem Spanier an, daß er sein Duell 
auf der Stelle haben könne. Roland und Isabella vermittelten, doch 
sie erreichten nur einen Aufschub. Beide L(o)uis waren finster 
entschlossen, das Duell auszutragen. Alle Verhandlungen und auch 
die vielen Gläser Wein, die dabei geleert wurden, nutzten nichts. 

So ging es nur noch um die Frage des Termins. Isabella und 

Roland zogen sich in den Verpflegungswagen zurück, um zu 
verhandeln, und sie verstanden sich immer besser dabei. 

Indessen stand Pierre mit Linda im tiefen Schatten bei der »Kuh-

Kutsche«, in der die Kühe offenbar den Raudi von Bären besiegt 
hatten. Der Mond mit seinem vollen, runden Gesicht versuchte 
neugierig in das Dunkel beim Wagen hinabzuspähen, denn er ahnte, 

background image

daß sich da etwas anbahnte. In diesem Punkt war er etwas erfahrener 
als Pierre, der sich erregt und verwirrt in der Nähe der schönen Zofe 
fühlte, die immer noch seine Hand hielt. Pierre nahm einen 
betörenden Duft von Seife oder Parfüm wahr, trotz der nahen »Kuh-
Kutsche« und seinem Geruch nach Pferd und Schweiß. Und dieser 
Luft kitzelte nicht nur Pierres Geruchssinn, sondern auch andere 
Sinne, und zugleich bot er sich als Einleitung zu einem 
Gesprächsthema, nach dem Pierre schon verzweifelt gesucht hatte. 
Und so kam es, daß sich folgender Dialog entwickelte, der mit seinen 
Folgen für Pierre unvergessen bleiben sollte. 

Er schnüffelte und sagte »Parfüm -gut.« 
Er sprach den Duftstoff französisch aus, doch dieses Wort 

verstehen wohl alle Frauen der Welt. 

Linda sagte erfreut: »Si.« 
Damit war das Thema erschöpft, doch Pierre bewies, daß er nicht 

nur ein guter Knappe war, sondern auch als Page auf Schloß Camelot 
die Kunst der Konversation aufgeschnappt hatte. 

Er klopfte gegen den Wagen, schnüffelte wieder und sagte: »Nix 

gut.« 

»Si.« 
Nun stand Pierre wiederum vor einem Problem, denn wollte er das 

Thema fortsetzen, fehlten ihm die spanischen Worte für »Kuh« und 
»Gestank«  - oder er mußte sich ganz was anderes einfallen lassen. Er 
versuchte es auf Französisch: »La vache - muh - non gute Parfüm.« 

Linda lachte. »Si.« 
Ihre Beteiligung an dieser Konversation kam Pierre nun doch 

etwas einsilbig vor. Doch sie überraschte ihn mit einer Fülle von 
spanischen Worten, mit denen er zwar nicht viel anfangen konnte, 
die jedoch wohlig in seinen Ohren klangen. Verzückt lauschte er, bis 
Linda am Ende ihrer langen Erklärung die Frage stellte: »Du 
verstanden?« 

Er schüttelte den Kopf. Dann fiel ihm auf, daß sie die Frage, wenn 

auch nicht im gepflegtesten, so doch auf Deutsch gestellt hatte. Er 
antwortete mit einer recht dümmlichen Frage, die man aber 

background image

verzeihen kann, wenn man die verzwickte Situation bedenkt, in der 
er sich befand: 

»Du Deutsch?« 
Jetzt schüttelte Linda den Kopf. Schließlich war sie eine Spanierin. 
Sie konnte Pierres bekümmerte Miene im Dunkel nicht sehen, 

doch offenbar war sie entschlossen, jetzt Nägel mit Köpfen zu 
machen. Sie tastete im Dunkel nach Pierres Hand, ergriff sie und zog 
Pierre aus dem Schatten ins silberne Mondlicht. Dann machte sie ihm 
auf gar bezaubernde Art klar, was er zuvor auf Spanisch nicht 
verstanden hatte. 

Sie wies auf den Wagen und stieß ein leises, süßes »Muh« aus. 

Dann reckte sie ihren Busen noch ein wenig vor, ihre Hände wölbten 
sich über die prallen Hügel, und sie schüttelte den Kopf und sagte 
»nix, nix«. Anschließend hielt sie beide Hände mit ausgestrecktem 
Zeigefinger an die Schläfen und sagte: »Toro.« Dann reckte sie einen 
Daumen hoch und fügte hinzu: »Du verstanden?« 

Die Gesten waren eindeutig gewesen, und Pierre war kein 

Dummkopf. Es war ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. In 
der Kutsche waren keine Kühe, sondern ein Stier. Und das mußte 
nach dem vorherigen Ausbruch ein äußerst wilder Geselle sein. 
Vielleicht ein Zuchtstier, den die Spanier Arno von Berghe schenken 
wollten, damit er die von Bergheschen Kühe mit spanischem 
Temperament beglücke. 

Für Pierre war die Sache also klar, doch recht gewitzt spielte er 

noch ein wenig den Unwissenden. Er wiederholte ihre sämtlichen 
Gesten, verweilte allerdings sehr, sehr lange auf ihrem Busen und 
murmelte ein paarmal: »Toro - gut, gut.« 

Linda lachte dunkel und ließ ihn gewähren. Es gab keine 

Verständigungsschwierigkeiten mehr. Er glaubte ihr Herz im 
gleichen Takt wie seines pochen zu spüren, glaubte ein lockendes 
Lächeln in ihren im Mondschein funkelnden Augen zu erkennen, und 
die Kühnheit übermannte ihn. 

Er nahm die Hände von ihrem Busen, weil sie das vielleicht für 

unschicklich halten konnte, zog Linda an sich und küßte sie auf den 

background image

Mund. 

Sie versteifte sich ein wenig und erwiderte den Kuß nicht sofort, 

wie es Sitte und Anstand geboten. Pierre, in dessen Herz eine feurige 
spanische Kapelle zum wilden Tanz aufzuspielen schien, ließ sich 
nicht entmutigen. Eine innere Stimme mahnte ihn, nicht zu weit zu 
gehen, doch das Teufelchen in ihm kicherte: »Jetzt ist sowieso alles 
egal.« 

So küßte  er  sie noch heftiger. Die Kapelle in seinem Herzen spielte 

ein furioses Finale, und er spürte ihre weichen, süßen Lippen auf 
seinem Mund und ihren festen, süßen Busen an seiner Brust, und sein 
Herz schien vor Glück zu zerspringen. 

Dann glaubte er plötzlich aus seinem schönen Traum zu erwachen. 

Linda löste sich aus seinen Armen. 

Schade, dachte er, jetzt wird sie dir eine scheuern und davonlaufen. 

Hoffentlich gibt das keinen Ärger mit den Spaniern. 

Doch seine Sorge war unbegründet. Linda, deren Busen sich unter 

heftigen Atemzügen hob und senkte, ergriff lächelnd seine Hand und 
zog ihn fort vom Wagen und zwischen die Birken am Rande der 
Lichtung. Und dort, unter dem schmunzelnden Mond, der zwischen 
den Birken in  den dunklen Wald spähte, unterhielten sie sich nicht 
über Parfüm und Toros, sondern sie verständigen sich sehr schnell in 
einer Sprache, die auf der ganzen Welt verstanden wird. 

Der Mond schob erregt ein Wölkchen zur Seite, das ihm die Sicht 

nehmen wollte, und ergötzte sich weiterhin an diesem gar 
prickelnden Anblick. Und er bekam allerhand zu sehen, der alte 
Haderlump. 

Gregor tobte. 

»Neun Männer schicke ich los, um eine kleine Reisegesellschaft 

niederzumachen!« brüllte er. »Und was passiert?« Er wartete nicht 
auf eine Antwort, sondern fuhr mit noch lauterer Stimme fort: »Vier 
gerupfte Idioten kehren zurück! Mit eingezogenem Schwanz und 

background image

ohne Beute und Erfolg!« 

Der Hüne blickte unheilvoll in die Runde seiner betretenen 

Mannen, und im Schein des Kandelabers auf dem Tisch schien die 
wulstige Messernarbe an seiner linken Wange noch roter zu werden. 

Er schickte noch eine Reihe von Flüchen hinterher, daß die Adern 

an seiner breiten Stirn und seinem dicken Hals anschwollen, und 
seine gerupften Mannen blickten noch betretener drein. Am liebsten 
hätten sie sich in einem Mauseloch verkrochen, doch in der 
Blockhütte gab es keine Mauselöcher, und wenn welche erreichbar 
gewesen waren, so hätten sie vermutlich auch nicht hinein gepaßt. So 
schwiegen sie und hofften,  der Zorn ihres Herrn möge verrauchen, 
ohne daß sie zu körperlichem Schaden kamen. 

Es sah auch ganz so aus, als sollte sich ihre Hoffnung erfüllen. Der 

Grimm aus Gregors grünen Augen schwand etwas, und als er gar 
weiter an seiner Wildschweinhaxe nagte, atmeten sie schon ein 
wenig auf. 

»Unfähige Läuse!« schimpfte Gregor schmatzend. »Ich sollte euch 

auspeitschen, teeren und federn, dann aufhängen und vierteilen 
lassen!« 

Zwei der Männer zuckten zusammen. Es waren die mit den 

schwächsten Nerven. Denn sie wußten, daß Gregors Worte 
keineswegs im Scherze gemeint waren. Zwar setzte er nicht alles 
hintereinander in die Tat um, was er soeben angedroht hatte, doch bei 
anderer Gelegenheit hatte er die eine oder andere Strafe ausführen 
lassen. Da konnte man noch froh sein, wenn Gregor seinen 
gönnerhaften Tag hatte und es beim Auspeitschen beließ. 

Uli, einer der nervenstärkeren Räuber, faßte sich ein Herz und 

versuchte Gregor zu besänftigen. 

»Herr, wir ...« 
Weiter kam er nicht, denn der hünenhafte Räuberhauptmann warf 

ihm wutentbrannt die nur halb angenagte Wildschweinhaxe ins 
Gesicht. Sie traf Ulis Nase, die bei dem gescheiterten Überfall 
ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogen worden war, und landete 
dann in seinem Schoß. 

background image

»Wagt er es auch noch, mir mit faulen Ausreden zu kommen!« 

brüllte Gregor. »Es gibt keine Entschuldigung für euer Versagen!« 

Er erhob sich, trat auf die Männer zu, und sein Schatten geisterte 

über die Hüttenwand wie ein drohendes Gespenst. 

Breitbeinig blieb er vor seinen Räubern stehen und wippte auf den 

Stiefeln. Das Leder knarrte leicht, denn die Stiefel waren noch neu. 
Es waren feine Stiefel aus bestem Material. Er hatte sie einem noblen 
Herrn abgenommen, den er hinterrücks erstochen hatte, weil er seine 
Schuhgröße gehabt hatte. 

Mitleidlos starrte er Uli an, der seine schmerzende Nase hielt und 

nicht wußte, was er mit der Wildschweinhaxe in seinem Schoß 
anfangen sollte. 

»Oder kann mir einer von euch Dummbeuteln einen triftigen 

Grund für euer Versagen nennen?« 

Er blickte von einem zum anderen. Sie schwiegen vorsichtig. 

Gregor hatte zwar keine Haxe mehr in der Hand aber einen Dolch in 
der Lederscheide am Gürtel. 

»Redet!« brüllte Gregor. 
Da beeilten sich alle, etwas zu sagen, und Gregor konnte dem 

allgemeinen Gestammel nichts entnehmen. 

Er winkte herrisch ab. »Einer von euch Schwätzern soll reden. Und 

bei Luzifer, wenn ihm nichts Vernünftiges einfällt, stopfe ich ihm für 
immer das Maul!« 

Die Männer tauschten Blicke. Sie guckten einen aus. Schließlich 

hefteten sich  alle Blicke auf Uli. Uli holte tief Luft, und dann 
berichtete er stockend. 

»Wir konnten nicht ahnen, daß sie gepanzert waren  - ich meine, 

das sahen wir erst im letzten Moment. Und außerdem tauchten völlig 
überraschend drei Reiter auf, die den Spaniern halfen. Günther dort«, 
er nickte zu einem bärtigen Kumpan hin, »- wollte das Blatt noch 
wenden. Er versuchte, sich eine Spanierin als Geisel zu schnappen. 
Damit wäre der Kampf beendet gewesen, denn wir hätten drohen 
können ...« 

Gregor winkte schroff ab. »Ich  kenne das kleine Einmaleins. Nun, 

background image

die Idee war nicht schlecht, Günther.« 

Günther grinste geschmeichelt. 
»Nur hat es nicht geklappt!« brüllte Gregor ihn an. 
Günther zuckte zusammen und setzte eine schuldbewußte Miene 

auf. 

»Einer von den drei Deutschen kam dazwischen«, fuhr Uli fort. 

»So'n Großer mit 'nem Kettenhemd. Wir hatten schon Verluste, 
schließlich waren wir nicht gepanzert wie die anderen, und da blieb 
uns nichts anders übrig, als zu verduften. Zwei der Kerle verfolgten 
uns ...« Er sah das Erschrecken in Gregors grünen Augen. 
Vermutlich dachte der Herr, sie hätten jemand den Weg zu ihrem 
Versteck gewiesen. »Doch die haben wir abgemurkst«, log er 
schnell. 

Gregor grinste. »Endlich mal etwas Erfreuliches«, brummte er 

besänftigter. »Mit wie vielen haben wir es jetzt noch zu tun?« 

»Ein paar von der Eskorte haben wir auch besiegt trotz der 

Rüstung«, log Uli weiter. 

»Ich hab' einen Kutscher vom Wagen geholt, obwohl der Mann 

gepanzert war«, warf Gerfried, der Bogenschütze, stolz ein. »Und ein 
paar Pferde hab' ich auch erwischt.« 

»Gut«, lobte Gregor und heftete seinen Blick wieder auf Uli. 

»Also, wie viele sind es noch?« 

Uli hatte Zeit zum Überlegen gehabt. »Es waren an die fünfzehn 

Mann plus Kutscher«, log er. »Doch als wir türmen mußten, mögen 
es gerade noch sechs, allenfalls sieben gewesen sein.« 

Gregor starrte dumpf brütend vor sich hin und schritt auf und ab. 

Eine Weile war nur noch das Knarren der neuen Stiefel zu hören. 
Dann blieb Gregor abrupt stehen. »Weckt die anderen! Sie sollen 
sofort gestiefelt hier antanzen. Ich habe einen Plan.« 

Sofort eilte einer der Männer zu der zweiten Hütte, die versteckt 

zwischen Fichten am Hang des kleinen Tales stand. 

Gregor schritt an den Tisch und setzte sich. 
Er griff nach einem Schmalzbrot, schob die dicke halbe Scheibe  in 

den Mund und kaute schmatzend. Er aß mit Vorliebe gesalzenes 

background image

Schmalzbrot zu besserem Durst. Heute trank er Weißwein dazu. Die 
Wildschweinhaxe hatte er offenbar vergessen. Uli hatte sie 
inzwischen verstohlen von seinem Schoß entfernt und neben der 
Holzkiste, die ihm als Stuhl diente, auf den Boden gelegt, falls der 
Herr danach verlangen sollte. 

»Daß ihr keine Beute gemacht habt, ist nicht einmal das 

Schlimmste«, sagte Gregor kauend. »Viel ärgerlicher ist, daß die 
Spanier noch leben. Mir gehen viele Goldstücke durch die Lappen, 
wenn sie Burg Hohenstolz erreichen. Sie dürfen auf keinen Fall dort 
eintreffen, verstanden?« 

Die Räuber nickten eifrig. Das hatte Gregor schon einmal gesagt, 

als er sie losgeschickt hatte. Sie hätten gern gewußt, weshalb die 
Spanier die Burg nicht erreichen durften, doch sie wagten es nicht, 
Fragen zu stellen. Gregor konnte fuchsteufelswild werden, wenn man 
zu neugierig war. 

Die Tür schwang quietschend auf. Die anderen Räuber betraten die 

Hütte. Es waren finstere Gesellen, bei dessen Anblick eine 
furchtsame Seele das große Zittern bekommen konnte. Im Augen-
blick wirkten sie jedoch schläfrig und zahm. 

Gregor musterte sie kurz. »Sperrt die Ohren auf! Ich habe einen 

vortrefflichen neuen Plan.« 

Die Männer horchten. Dann breitete sich ein Grinsen auf ihren 

wüsten Gesichtern aus. 

Denn Gregors Plan war so teuflisch, daß selbst der Satan ihn kaum 

besser ersonnen haben konnte. 

Es war ein Plan genau nach ihrem Geschmack ... 

Roland zügelte sein Pferd und blickte zwischen den Tannen hervor in 
die Schlucht zu der spanischen Kolonne. Die Rüstungen der Reiter 
schimmerten in der Morgensonne. Wiederum ritten vier Männer der 
Kutsche und den beiden anderen Wagen voraus, und zwei Reiter 
bildeten die Nachhut. Im Geschirr der Kutsche waren zwei Braune 

background image

bei den Schimmeln zu sehen, der Ersatz für die prächtigen Rösser, 
die bei dem Überfall getötet worden waren. Auf dem Kutschbock saß 
jetzt nur ein Kutscher, Edmund, und Roland und die Knappen 
wußten, daß er um seinen toten Freund Rüdiger trauerte, den sie 
begraben hatten, bevor sie zum Birkengrund weitergefahren waren, 
um dort zur Nacht zu lagern. 

»Dieser verdammte Luis«, murmelte Pierre, und sein Blick war 

sehnsüchtig auf die Kutsche gerichtet, als wolle er einen Blick auf 
Linda erhaschen, die ihm in der Nacht so viele Wonnen bereitet 
hatte. 

»Sag nur, du meinst mich«, knurrte Louis. 
Pierre bedachte ihn mit einem ärgerlichen Blick. »Nein, den 

anderen. Aber du hast auch Schuld. Du hättest dich nicht mit dem 
verdammten Spanier anzulegen brauchen.« 

»Was sollte ich denn machen?« brauste Louis auf. »Der Kerl 

wollte unbedingt ein Duell. Ich hätte es ihm gewährt, doch der Ritter 
wollte ja nicht.« 

Das stimmte. Roland hatte es seinem Knappen auf Isabellas Bitte 

hin strikt verboten. Noch vor dem Morgengrauen hatten sie sich 
verabschiedet. Damit Louis nicht als Feigling dastand, wollte 
Isabella dem spanischen Luis am Morgen erzählen, der Ritter und 
seine Knappen seien in der Nacht durch einen Kurier sofort zum 
König befohlen worden. Der deutsche König ging vor. Das Duell 
mußte warten. Das würde der gekränkte Luis verstehen. 

Roland hatte es zutiefst bedauert, die Spanier und besonders 

Isabella verlassen zu müssen. Denn bei der Verhandlung über das 
deutschspanische Duell waren sie sich recht nahe gekommen. Sie 
wären sich gewiß noch näher in dem Verpflegungswagen 
gekommen, wenn nicht einer der Wachtposten Alarm geschlagen 
hätte, weil Linda vermißt wurde. Die Sorge um ihre Zofe trübte 
Isabellas Stimmung, und sie beteiligte sich an der allgemeinen 
Suche. Nun, Linda tauchte dann mit zerzausten Haaren und recht 
erregt auf  - aber mit einem glücklichen Strahlen in den Augen und 
völlig wohlbehalten. Sie sagte, sie habe nur etwas frische Luft im 

background image

Walde schöpfen wollen und hätte sich dabei verirrt. Wenig später 
tauchte dann auch Pierre auf, der ebenfalls vermißt worden war. Ein 
seltsamer Pierre, der verträumt wie ein Schlafwandler wirkte und 
ständig vor sich hin lächelte. Auf Rolands Frage, wo er sich denn in 
dunkler Nacht herumgetrieben hatte, war von Pierre nur arg wirres 
Zeug zu hören gewesen. So hatte er unter anderem von parfümierten 
Toros gesprochen und von stillen Wassern, die tief seien. Der Ritter 
hatte nicht viel damit anfangen können, doch  Louis hatte mit 
spitzbübischem Grinsen erklärt: »Er hat sich die Sterne angesehen 
und ist dabei in Verzückung geraten, nicht wahr, Pierre? Besonders 
bei dem großen Bären.« 

Nun, mit dieser Erklärung waren alle zufrieden gewesen, und 

Roland hatte sich auf eine Fortsetzung seiner Unterhaltung mit 
Isabella gefreut. Doch daraus war nichts geworden. Einer der 
Wachtposten hatte aufgeregt von einem Kerl gesprochen, der durch 
den Wald geschlichen sei, bestimmt einer der entkommenen Räuber. 
So gab es verstärkte Wachen, und Isabella begab sich mit ihrer 
besorgten Mutter und der Zofe in den Verpflegungswagen zur 
Nachtruhe, während Isabellas Vater und die Männer, die keine 
Wache hatten, beim Feuer schliefen. 

Beim Abschied hatte Isabella gesagt, sie freue sich, wenn  er nach 

Burg Höhenstolz auf ein Wiedersehen kommen könnte  - rein zufällig 
und ohne den Knappen Louis, damit es nicht doch noch zu einem 
Duell komme, bei dem sie möglicherweise ihren Luis Hernandez 
verlöre. 

Roland hatte versprochen, zur Burg zu kommen. Er konnte es 

kaum erwarten ... 

»Jedenfalls wäre ich gerne bei den Spaniern geblieben«, seufzte 

Pierre. 

Louis lachte. »Das kann ich mir denken, du Haderlump. Während 

ich mich mit diesem duellwütigen Spanier herumstreiten mußtet 
triebst du auf gar reizende Weise Völkerverständigung. Ich wette, du 
hast dabei sogar das Geschwür an deinem Hintern vergessen.« 

»Woher weißt du überhaupt...?« begann Pierre verständnislos, 

background image

denn von dem Furunkel und allem anderen hatte er kein 
Sterbenswörtchen erwähnt. 

Louis warf einen Blick zu Ritter Roland, der ein paar Längen vor 

ihnen angehalten hatte, und sagte leise mit Verschwörermiene: »Ich 
weiß sogar, auf welcher Backe. Auf der linken. Ein Ding so groß wie 
'ne mittlere Saubohne. Auf und nieder ging's damit...« 

»Du hast gesehen...?« entfuhr es Pierre betroffen. 
»Nicht nur das«, unterbrach Louis ihn und grinste noch wilder. 

»Als ich die Pferde versorgt hatte und mich mal ein bißchen in der 
Umgebung des Lagers umschaute, wäre ich fast über euch gestolpert. 
Nun, bevor ich schamhaft wegblickte, wie es sich geziemt, nahmen 
meine fürbaß erstaunten Äuglein noch besagte Bohne auf deinem 
Hintern wahr und konnten bewundern, wie Besitzer selbiger Bohne 
sich ins Zeug legte. Ich muß schon sagen, wacker, wacker, du kleiner 
Bulle von Camelot!« 

Pierre schoß das Blut in die Wangen. Er setzte zu einer Erwiderung 

an, doch da rief Roland: »Weiter!« 

Der Ritter trieb seinen Hengst an, und die Knappen folgten seinem 

Beispiel. 

Die spanische Reiter- und Wagenkolonne hielt jetzt auf die Brücke 

zu, die  sich hoch über den reißenden Wildbach spannte, der von 
Felsbrocken und Gebüsch gesäumt auf dem Grund der Schlucht 
glitzerte. Vor der Brücke gabelte sich der Weg. Während ein 
Waldweg den östlichen Berg hinaufführte, wies ein Wegweiser nach 
Osten gen Falkenried. Von dort aus waren es nur noch zwei 
Tagesreisen zur Burg Hohenstolz. 

Die Schlucht, an deren Hängen zwischen kahlem, grauen Fels auch 

majestätische Fichten und gewaltige Eichen emporragten, bot einen 
Anblick wilder, nahezu unberührter Schönheit. Schwalben kreisten 
am Himmel, der mit weißen, zarten Wölkchen getupft war. Ein 
Vogelschwarm flatterte zwischen den Fichten auf, als hätte jemand 
sie beim Frühstück aufgescheucht. 

Rolands Blick folgte dem Vogelschwarm, der hinab in die 

Schlucht flog, eine Runde drehte, als wollte er die Kolonne begrüßen 

background image

und dann über den östlichen Berg hinweg flatterte. 

Plötzlich stutzte Roland. Auf einem der Bäume bei der 

Weggabelung leuchtete etwas rotbraun. Roland kniff die Augen 
zusammen und spähte genauer hin. Das Rotbraune im Blätterwerk 
war verschwunden. Vermutlich ein Eichhörnchen, dachte er. Dann 
erschrak er. Das Rotbraune tauchte wieder auf, und es war kein 
Eichhörnchen, denn Eichhörnchen tragen normalerweise keine 
Lederstiefel. Und als etwas Metallenes kurz das Sonnenlicht 
reflektierte, wußte Ritter Roland vollends Bescheid. Eichhörnchen 
tragen auch selten Schwerter mit sich herum. 

Da war ein Mann im Baum. 
Gewiß nicht zum Kirschenpflücken, denn es war eine Eiche und 

kein Kirschbaum. 

Roland ritt in versammeltem Galopp weiter. »Louis, Pierre!« rief 

er, ohne den Kopf zu wenden. 

Sofort ritten die beiden Knappen an seine Seite. 
»Ich hab' das starke Gefühl, daß da was nicht stimmt«, sagte 

Roland. »In der Eiche bei der Weggabelung sitzt ein Mann.« 

»Ein weiterer Überfall?« sagte Louis überrascht. Er und Pierre 

spähten zu der Eiche hin. 

»Tatsächlich!« stieß Pierre hervor. »Da ist einer.« 
»Wir müssen die Spanier warnen«, sagte Louis alarmiert. 
»Dazu dürfte es zu spät sein«, erwiderte Roland. »Außerdem wird 

uns der Kerl in der Eiche längst gesehen und seine Kumpane 
informiert haben. Wir trennen uns und nehmen sie in die Zange. 
Louis, durch den Bach und ans andere Ende der Brücke! Pierre, mir 
nach!« 

Sie trieben ihre Pferde zum Galopp. 
Roland rechnete damit, daß der Kerl auf der Eiche und seine 

vermutlich versteckten Kumpane die Reiter und Wagen passieren 
lassen würden. Wenn dann die Kolonne mitten auf der Brücke war, 
würden sie ihr in den Rücken fallen, und vom anderen Ufer her 
würden vermutlich ebenfalls Angreifer auftauchen. 

Dann war die Kolonne in der Falle. 

background image

Rolands Vermutung sollte sich bewahrheiten, doch es geschah 

noch etwas, womit er nicht gerechnet hatte. 

Die Räuber ließen die Kolonne passieren. Unbehelligt erreichten 

die ersten vier Männer  der Eskorte die Brücke. Die Hufe der Pferde 
pochten dumpf auf den Holzplanken. Das Gespann der Kutsche 
folgte. Eines der Führpferde wieherte. 

Und dann ächzte und knirschte und krachte es. Die Brücke stürzte 

ein, und über die spanische Gesellschaft brach die Hölle herein. 

Edmund, der Kutscher mit dem Kindersegen, dankte gerade dem 
Allmächtigen dafür, daß er den Überfall im Hohlweg überlebt hatte. 
In tiefer Trauer gedachte er seines toten Freundes Rüdiger, der 
Taufpate seines nächsten Kindes hatte werden sollen. 

Da geschah es. 
Durch das dumpfe Klappern der Hufe und das Rumpeln der 

Wagenräder auf der Holzbrücke war ein Bersten und Krachen zu 
hören. Dann schrie einer der Männer der Eskorte auf. Pferde wieher-
ten und scheuten. Im nächsten Augenblick verschwanden sie vor 
Edmunds Augen wie durch Zauberei in der Tiefe. Edmund war zu 
entgeistert und erschrocken, um lange zu überlegen. Instinktiv tat er 
das richtige. Er zügelte hart das Gespann. Die beiden Führpferde 
schlitterten noch ein Stück weiter, weil sich plötzlich die Planken vor 
ihnen senkten, doch Edmund brachte sie gerade noch vor dem 
eingestürzten Teil der Brücke zum Halten. Dann überstürzten sich 
die Ereignisse in rasender Folge. 

Gellende Schreie hallten durch die Schlucht. Die vier 

Eskortenreiter waren mitsamt ihren Pferden in den reißenden Bach 
hinabgestürzt. Einer der Männer wurde unter seinem Pferd begraben, 
das schrill wiehernd auskeilte und sich mühte, auf die Beine zu 
kommen. Ein anderes Tier, dessen Reiter kopfüber aus dem Sattel 
gefallen war, brach sich einen Vorderlauf und peitschte hilflos mit 
den Hinterhufen das gichtende Wasser, das sich rot färbte. 

background image

Voraus am anderen Ufer tauchten wilde Gestalten zwischen 

Büschen und Felsbrocken auf und schwangen Schwerter und Lanzen. 
Sie stürzten mit schaurigem Gebrüll zu den Männern, die in den 
Bach gefallen waren. Ein Reiter jagte am jenseitigen Ufer auf sie zu. 

Das rechte Führpferd des Kutschengespanns brach von einem Pfeil 

getroffen zusammen: Entsetzt warf Edmund einen Blick zurück. 
Auch hinter der Kutsche, bei der Weggabelung, tauchten Räuber auf. 
Sie sprangen von Bäumen herab oder zwischen Büschen und 
Felsbrocken am Fuß des Hanges hervor und griffen die zwei 
restlichen Männer der Eskorte an. Aus dem Augenwinkel heraus sah 
Edmund zwei Reiter auf sie zupreschen, und er erkannte sie wieder. 
Das war der Ritter und einer der Knappen, die ihnen schon einmal 
geholfen hatten. 

Ein Pfeil knallte gegen Edmunds Helm, und er erschrak bis ins 

Mark. Jäh fiel ihm ein, wie Rüdiger ums Leben gekommen war, und 
ein Schauer lief ihm über den Rücken. Gottlob trug er den 
Brustpanzer und den Helm, und der Bogenschütze war hinter ihm. 
Dennoch mußte er vom Kutschbock herunter und in Deckung. In 
panischer Hast kletterte Edmund hinunter. Dann fiel ihm ein, daß er 
vergessen hatte, die Bremse festzudrehen. Das getroffene Führpferd, 
das im Geschirr im Sterben lag, bremste zwar mit seiner Last das 
Gespann, doch es bestand die Gefahr, daß die Tiere in ihrer Panik die 
Kutsche in die Tiefe rissen. Einen Augenblick lang war Edmund 
versucht, nur an seine eigene Sicherheit zu denken und sich einfach 
davonzuschleichen. Er mußte schließlich an sein Weib und die 
Kinder denken, die einen Ernährer brauchten. Doch sein 
Pflichtgefühl als Kutscher überwog. Schnell kletterte er wieder 
hinauf und drehte die Bremse fest. 

Ein Inferno von Geräuschen erfüllte die Schlucht, Schreie, 

Hufschlag, Wiehern, das Brüllen des Stiers und das helle Klirren von 
Schwertern. 

Edmund sprang von der Kutsche hinab und bekam den zweiten 

Schock an diesem Vormittag. Eine Gestalt war neben der Kutsche 
aufgetaucht. Ein bärtiger Hüne, der einen Morgenstern schwang. Wie 

background image

schon einmal sah Edmund die schreckliche Kugel mit den 
Metallzacken auf sich zuschwingen. Alles ging so schnell, daß er 
nicht mal mehr schreien konnte. Der Morgenstern traf ihn irgendwo 
an der Brust. Edmund spürte einen harten Schlag, der ihm den Atem 
nahm, und er hatte plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen. Im 
Reflex ruderte er mit den Armen, versuchte irgendwo Halt zu finden, 
doch  es gab keinen. Er flog über das eingeknickte Brückengeländer 
hinweg. Alles drehte sich vor seinen Augen und verschwamm 
plötzlich, als er aufprallte und ihm rötliches Wasser ins Gesicht 
peitschte. 

Allmächtiger! durchfuhr es ihn. Irma und die Kinder  - sie brauchen 

mich ... 

Dann wurde das Wasser schwarz, schlug über seinem Kopf 

zusammen und löschte alles aus. 

Die beiden Männer der Nachhut, die nicht in den Wildbach gestürzt 
waren, kämpften wacker. Einer war mit einer Lanze vom Pferd 
gestoßen worden, der andere war noch im Sattel. Er stieß gerade 
einem der verruchten Gesellen sein Schwert in die Brust. Noch im 
Fallen umklammerte der Räuber die Hand des Spaniers, die das 
Schwert hielt, und zog ihn aus dem Sattel. Der in der Rüstung 
unbeholfene Mann prallte auf  den Sterbenden. Dann war ein weiterer 
Räuber zur Stelle und schlug dem Spanier eine Keule gegen den 
Kopf. Der Helm schützte zwar, doch der Schlag war so wuchtig, daß 
der Spanier bewußtlos zur Seite sank. Der Räuber brüllte 
triumphierend. Doch nicht lange. Seine Augen weiteten sich in jähem 
Erschrecken, als er die beiden Reiter sah, die förmlich auf ihn 
zuflogen. Roland und Pierre. Ein Schwerthieb streckte den Räuber zu 
Boden. Roland parierte bereits sein Roß, zog es herum und warf 
einen schnellen Blick zur Eiche hin. Er sah den Bogenschützen und 
warf sich über den Pferdehals. Der Pfeil zischte nur eine Handbreit 
über den Ritter hinweg. 

background image

»Runter vom Pferd!« schrie Roland Pierre zu und warf sich aus 

dem Sattel. Er rollte sich ab und riß sein Schwert hoch. Bevor er sich 
aufrappeln konnte, war einer der Räuber heran. Der Kerl hielt sein 
Schwert mit beiden Händen und holte aus, als wollte er Roland den 
Schädel spalten. Roland schnellte sich zur Seite, als die Klinge 
herabsauste. Das Schwert hackte in den Boden.  Bevor der Räuber es 
aus dem Lehm ziehen konnte, war Roland auf den Beinen. Er schlug 
dem Kerl auf die Finger. Der Räuber heulte auf wie eine Jungfer, die 
sich irrtümlich auf einen Igel gesetzt hat, doch er ließ das Schwert 
nicht los. Er griff Roland wütend an. 

Roland parierte den Hieb, und dann wetzte er seine Klinge an dem 

Schwert des Schurken, daß die Funken stieben. Mit wuchtigen 
Schlägen trieb er den Kerl zurück. 

Der Räuber war niemand anders als Uli. Uli konnte zwar weder 

lesen noch schreiben, doch er  besaß eine gewisse Bauernschläue. Er 
wußte nicht, daß sein Gegner Ritter Roland war, doch er erkannte, 
daß er diesem Schwertkämpfer nicht gewachsen war. Und deshalb 
gab er Fersengeld. Er hetzte davon, als sei der Leibhaftige hinter ihm 
her. Er lief im Zickzack, weil er damit rechnete, sein Gegner könnte 
ihm das Schwert nachschleudern. Doch Ritter Roland ließ den 
Feigling laufen und wirbelte zu dem nächsten Räuber herum. 

Dann erstarrte er mitten in der Bewegung. 
Zweierlei erfaßte er gleichzeitig, und beides jagte ihm einen 

eisigen Schauer über die Wirbelsäule. 

Pierre kreuzte die Klinge mit einem der Räuber. Der Knappe stand 

mit dem Rücken zur Eiche gewandt. Und dort zielte der 
Bogenschütze sorgfältig auf ihn, um ihm einen Pfeil in den Rücken 
zu jagen. 

Doch aus der Drehung heraus hatte Roland noch etwas gesehen, 

das ihn erschütterte. Einer der Räuber warf Isabella auf eines der 
Pferde, das zwischen den Kämpfenden herumgeirrt war. Er mußte 
Isabella aus der Kutsche gezerrt haben. Sie war offenbar bewußtlos. 
Schlaff lag sie über dem Pferd, und der Räuber schwang sich hinter 
ihr in den Sattel. 

background image

All das sah Roland in diesem schrecklichen Augenblick, und er 

handelte, ohne zu denken. Noch hätte er Isabellas Entführer aufhalten 
können. Der Kerl mußte keine zwanzig Schritte entfernt an ihm 
vorbeireiten, um auf den Waldweg zu gelangen, der nach Osten aus 
der Schlucht führte; der andere Weg war durch die Wagen blockiert. 
Doch Pierres Leben war in Gefahr, und Rolands Herz entschied sich 
in diesem Sekundenbruchteil für den treuen Knappen. Roland holte 
fast ansatzlos mit dem Schwert aus und schleuderte es wie eine 
Wurflanze zur Eiche hinauf. Ob dieser Fähigkeit, die ihm schon 
einmal das Leben gerettet hatte, beneideten ihn andere Ritter, die als 
Meister des Schwertes galten, doch diese Technik nicht so schnell 
und treffsicher beherrschten. Die Schwertspitze bohrte sich in dem 
Moment in die Brust des heimtückischen Bogenschützen, als der 
Pfeil von der Sehne schnellte. Die Arme des Bogenschützen ruckten 
hoch, und der  Pfeil zischte über Pierre hinweg und klatschte in den 
letzten Wagen vor der Brücke, in dem der Stier stampfte und brüllte. 

Pierre hatte gerade zu einer Finte angesetzt und erschrak. Er hatte 

wohl noch den Luftzug des Pfeils gespürt. Sein Gegner hätte Pierres 
Ablenkung nutzen können, wenn er kaltblütig gewesen wäre. Doch 
auch er erschrak. Er hörte einen gräßlichen Schrei von der Eiche her, 
wo er seinen Kumpan wußte. Er starrte über Pierre hinweg und sah, 
wie Gerfried, der Bogenschütze, von der Eiche stürzte. Es gab einen 
dumpfen Aufprall, und der schaurige Schrei verstummte abrupt. In 
verrenkter Haltung blieb der Räuber liegen, der schon so viele 
Menschen aus dem Hinterhalt getötet hatte. Als der Räuber jetzt mit 
dem Schwert nach Pierre stieß, war es zu spät. Pierre wich 
gedankenschnell aus und traf ihn tödlich. 

Roland sah den Räuber mit Isabella davonpreschen. Hätte der 

Ritter doch noch sein Schwert in der Hand gehabt! Dann hätte er die 
Entführung verhindern können. Verzweifelt riß er sein Messer aus 
der  Lederscheide und warf es. Er traf das Pferd, doch das Messer 
besaß nicht genug Durchschlagskraft. Der Gaul streckte sich, so 
gekitzelt, nur noch mehr. Und dann verschwand der Räuber mit 
Isabella schon um die Wegbiegung. 

background image

Rolands Blick zuckte in die Runde.  Auf dieser Seite des 

Wildbaches gab es keine Gegner mehr. Roland sah die reglosen 
Gestalten der Räuber und eines Spaniers, um den sich sein 
Landsmann kümmerte. Im Bach und am anderen Ufer wurde noch 
gekämpft. Doch es sah aus, als hätten Louis und die Männer der 
Eskorte die Situation im Griff. Zwei. Räuber ergriffen gerade die 
Flucht. 

»Hilf Louis!« rief Roland Pierre zu, der sein blutiges Schwert 

abwischte. »Und bleibt beide zum Schutz bei den Spaniern. Fahrt um 
die Schlucht herum und setzt den Weg nach Hohenstolz fort. Ich hole 
euch wieder ein.« 

Dann hetzte er zu seinem Pferd, das nahe bei der Weggabelung 

stehengeblieben war. Er warf sich in den Sattel und galoppierte 
hinter dem Entführer her. 

Pierre lief zum Bach. Er rannte an den Wagen vorbei, und sein 

Herz war voller Sorge um die Zofe Linda. Er hatte flüchtig gesehen, 
daß einer der Räuber mit einer Frau geflüchtet war, doch es war alles 
zu schnell gegangen, und so wußte er nicht, welche Frau es war. Er 
erreichte die Kutsche und warf einen Blick hinein. Er atmete auf. Die 
Zofe und die ältere Frau kümmerten sich um den Diener und um 
Alfons von Cordoba. Beide Männer waren offensichtlich 
niedergeschlagen worden. 

Pierre lächelte verzerrt Linda zu und rannte weiter. 
Er rutschte über das eingestürzte Brückenstück hinab, glitt auf den 

nassen Planken aus und plumpste ins Wasser. Fluchend rappelte er 
sich auf. Er sah ein totes Pferd und eine reglose Gestalt im 
schäumenden Wasser. Mit einem schnellen Blick zu Louis erkannte 
er, daß seine Hilfe nicht benötigt wurde.  So eilte er zu dem Mann, 
der im Wasser lag, und zerrte ihn ans Ufer. 

Es war Edmund, der Kutscher. 
Er sah leichenblaß aus, und Pierre glaubte schon, er sei tot. Doch 

dann zuckten die Lider des Kutschers, und blinzelnd öffnete er 
schließlich die Augen. Sein Blick war verständnislos. Er war noch 
nicht ganz bei Besinnung. Dann würgte er und übergab sich. Pierre 

background image

kümmerte sich um ihn und befreite ihn von dem Brustpanzer, der 
eine tiefe gezackte Delle auf wies. 

So kam es, daß Irmgard und ihre sieben Kinder ihren  Ernährer 

behielten. Edmund hatte zwar eine Rippe angeknackst und schlimme 
Prellungen davongetragen, doch das heilte bald. Sicherlich wäre er 
im Bach ertrunken, hätte Pierre nicht so schnell und umsichtig 
gehandelt. Edmund dankte es später seinem Retter. Er ließ sein 
siebentes Kind  - wie erwartet ein strammer Junge  - auf den Namen 
Peter taufen; Pierre war ihm etwas zu ausländisch. 

Edmund verlor wieder das Bewußtsein, aber er war jetzt außer 

Gefahr. Alles Wasser, das er geschluckt hatte, war aus seinem 
Magen, und Pierre hatte dafür gesorgt, daß Edmund wieder Luft 
bekam. 

Der Knappe sah mit einem schnellen Blick, daß der Kampf beendet 

war. Er ging zu Louis, der mit zwei Spaniern bei zwei reglosen 
Gestalten stand. Es waren ebenfalls Männer der Eskorte, die dort am 
Boden lagen, denn sie trugen Rüstungen. Pierres Blick glitt zu den 
Leichen der Räuber. Sie hatten keine Rüstungen getragen, und der 
Wildbach spülte ihr Blut davon. 

Louis richtete sich auf und fing Pierres fragenden Blick auf. Die 

Spanier schauten  ebenso betroffen drein. Sonst waren sie von 
lebhafter, gesprächiger Art, wie die Knappen während des 
Nachtlagers bemerkt hatten, doch jetzt verharrten sie bedrückt und 
stumm. 

»Einer ist tot«, sagte Louis mit schwerer Stimme und wischte sich 

müde übers Gesicht, dem noch die Anstrengung nach dem wilden 
Kampf anzusehen war. »Sein Gaul begrub ihn unter sich, als er in 
den Bach stürzte. Ich konnte ihn zwar rausziehen wie den anderen, 
doch da war nichts mehr zu machen.« Louis sah sich um. »Wo ist 
Roland?« 

Sorge war in seinen Augen. 
Pierre berichtete. Louis fluchte erbittert. Die Spanier blickten 

stumm und fragend. Sie verstanden nicht. 

Louis' dröhnende Flüche zeigten indessen Wirkung. Der 

background image

bewußtlose Spanier erwachte aus seiner Ohnmacht. Benommen und 
unbeholfen in der Rüstung versuchte er sich aufzusetzen. Seine 
Landsleute halfen ihm. Sie redeten hastig auf ihn ein. 

Der Mann schüttelte ein paarmal den Kopf und sagte etwas. Jetzt 

erkannte Pierre, daß es der Chef der Eskorte war, nämlich Luis 
Hernandez. 

Des spanischen Luis' Blick wurde klarer und erfaßte den Knappen 

Louis. Sofort kam Farbe in sein trotz der natürlichen Bräune fahles 
Gesicht. Luis spuckte einen Schwall von Worten aus, von denen die 
Knappen nur »Duell - Duell« verstanden. 

Es sah aus, als wolle Luis aufspringen und das Duell auf der Stelle 

austragen. Doch die Rüstung und seine Landsleute hinderten ihn 
daran. Die Spanier drückten ihn zurück und redeten auf ihn ein. 

Louis schüttelte den Kopf. »Undankbarer Patron. Das nächste Mal 

überlege ich mir vielleicht, ob ich ihn nochmal aus dem Wasser 
ziehe. Komm, Pierre, sehen wir mal nach den anderen.« 

Arno von Berghe trommelte nervös mit seinen kräftigen Fingern auf 
der Tischplatte. 

»Immer noch keine Meldung von diesem Primitivling von 

Gregor?« 

Wenzel, der schlanke Mann mit dem gezwirbelten Schnurrbart und 

dem pomadisierten schwarzen Haar, das er in der Mitte gescheitelt 
trug, schüttelte den Kopf. 

»Nein, er hat nichts von sich hören lassen. Willst du ...?« 
Arno von Berghe schlug mit der Faust auf den Tisch. 
»Rede mich mit Herr an!« brüllte er, und seine grollende Stimme 

hallte durch das offene Fenster in den Burghof, so daß selbst der 
Wachtposten auf dem Turm sie hören konnte. »Ich bin Arno von 
Berghe, verdammt« 

Der Wachtposten grinste. Er wußte, daß Wenzel sich mal wieder 

verplappert hatte, und er fragte sich, wie lange der Herr das noch 

background image

hinnehmen würde, ohne ernsthafte Konsequenzen zu ziehen. 
Geschah Wenzel nur recht, wenn ein Donnerwetter über ihn 
hereinbrach. Dieser eitle Affe spielte sich ja schon auf, als sei er der 
zweite Herr auf Burg Höhenstolz ... 

Er lauschte in hämischer Vorfreude, doch zu seinem Bedauern 

blieb alles still. Enttäuscht zuckte er mit den Schultern und spuckte 
in den Burggraben hinab, in dem eine Ente flugs den Kopf einzog. 

Arno von Berghe hatte sich indessen erhoben. Er war ein großer, 

schwergewichtiger Mann in einem eleganten Anzug aus rotem Samt, 
der mit güldenen Stickereien verziert war. Er verharrte kurz vor dem 
mannshohen, goldgerahmten Gemälde an der Wand zwischen den 
beiden Fenstern und schaute sein lebensgroßes Ebenbild an. Er sah 
buschige, dunkelbraune Brauen. Braune, kühnblickende Augen. Eine 
große, spitze Nase, schmale Lippen und ein wuchtig vorstehendes 
Kinn. Das ernste Gesicht des fünfzigjährigen Burgherren. 

Unbewußt tastete Arno von Berghe zu dem Leberfleck am rechten 

Mundwinkel, aus dem ein Haar sproß. Leberfleck und Haar hatte der 
Maler auf dem Bild weggelassen, aber sonst fand Arno von Berghe, 
daß alle Züge recht gut getroffen waren. Ja, die Ähnlichkeit war 
verblüffend. 

Er schloß das Fenster und wandte sich zu Wenzel um. 
»Schick noch einen Boten los. Nein, du reitest besser selbst.« 
»Ja, Herr.« 
Arno von Berghe verschränkte die Hände auf dem Rücken und 

ging unruhig auf und ab. 

Wenzel wartete. Bei den Launen des Herrn wußte man nie, woran 

man war. Manchmal änderte er innerhalb einer Minute dreimal den 
Auftrag und schnauzte einen an, man könne nicht mitdenken. 

Arno von Berghe blieb stehen. 
»Sag ihm, ich erhöhe die Summe um ein Drittel, wenn er mir 

Erfolg meldet.« 

»Aber  - mit Verlaub, Herr, er hat doch ein Viertel mehr gefordert! 

Wenn wir ihn bei Laune halten wollen, sollten wir ihm das 
gewähren, anstatt ihn mit einem Drittel abzuspeisen. Vielleicht sollte 

background image

man sogar erwägen, ihm ein Fünftel anzubieten, damit er  den 
Auftrag auch zuverlässig und zu Eurem Wohlgefallen ausführt.« 

Wenzel war mit sich zufrieden. Er fühlte sich als weiser Berater. 
Arno von Berghe blinzelte indessen. Die Ader an seiner Stirn 

schwoll an. 

»Dummsack!« blaffte er angewidert. 
Wenzel nickte verwirrt. 
»Daß du nicht lesen und schreiben kannst, ist schon traurig 

genug«, fuhr Arno fort. »Daß du aber nicht mal rechnen kannst, setzt 
allem die Krone auf!« Seine Stimme schwoll unheilvoll an. »Ich 
frage mich, ob meine Entscheidung, dich zu meiner dritten Hand zu 
machen, nicht eine Torheit war.« 

Wenzel wußte nichts zu sagen. Er senkte demütig den Kopf, 

obwohl er sich immer noch keiner Schuld bewußt war. 

»Du bietest Gregor ein Drittel mehr an«, fuhr Arno von Berghe 

grollend fort. »Und wenn der Kerl genauso ein Depp ist wie du, dann 
richte ihm von mir aus, daß ein Drittel mehr ist als ein Viertel. Und 
wenn er das nicht glaubt, kannst du ihm glatt ein Tausendstel 
anbieten.« 

Wenzel blickte überrascht. »Ja, Herr«, beeilte er sich zu sagen. 
Arno von Berghe bedachte ihn noch mit einem finsteren Blick und 

schritt weiter auf und ab. 

Nichts als Analphabeten und abergläubische Dummköpfe unter 

meinen Mannen, dachte Arno von Berghe grimmig. Wird Zeit, daß 
ich sie mir nach und nach vom Hals schaffe. Dieses Pack! Dann 
schwand sein Unmut etwas, und er dachte: Na ja, für Hilfsdienste 
sind diese armen Teufel ja zu gebrauchen. Woher sollen sie es besser 
wissen, wenn sie schon als Kinder Hühnerdiebe waren und nie einen 
Lehrer hatten. Er überlegte, ob er nicht einen gelehrten Mann 
anstellen sollte, der seinen Mannen ein wenig Unterricht gab. Diese 
Haderlumpen würden es zwar als Strafe empfinden, wenn sie etwas 
lernen sollten, und es nicht zu würdigen wissen. Blut und Wasser 
würden die schwitzen! 

Der  Gedanke amüsierte ihn. Hei, das war eine gute Idee! Statt 

background image

Peitschenhiebe oder Kerker eine Lehrstunde in Schreiben, Rechnen 
und Lesen! Das würde die Jungs mehr schrecken als alle anderen 
Strafen. Er konnte sich gut in sie hineinversetzen. 

Schließlich war er nicht immer Burgherr gewesen. 
Er lächelte vor sich hin, und der wartende Wenzel wurde eine Spur 

blasser, denn dieses Lächeln war recht boshaft. 

Das letzte Mal hatte der Herr so gelächelt, als er einen 

Wachtposten hatte auspeitschen lassen, der statt  Wache zu halten, 
einer Magd ein Kind gemacht hatte. 

Arno von Berghe blickte auf. 
»Was stehst du noch da und hältst Maulaffen feil?« fuhr er Wenzel 

an. »Reite zu Gregor! Bis spätestens morgen mittag will ich eine 
Erfolgsmeldung hören.« 

»Ja, Herr.« 
Wenzel dienerte und zog sich eilig zurück. Draußen begegnete ihm 

Rudolf, der Diener. 

»Wie ist seine Laune?« fragte Rudolf näselnd. 
»Mies«, flüsterte Wenzel und sah sich besorgt um, als befürchte er, 

belauscht zu werden. 

Diese Sorge war nicht unbegründet. Es gab Spitzel auf der Burg, 

die alles dem Herrn meldeten. Im Grunde konnte man keinem trauen, 
abgesehen von einigen alten Freunden wie Rudolf zum Beispiel. 
Manchmal hatte Wenzel das Gefühl, wie ein Gefangener auf der 
Burg zu leben. Daran änderte auch nicht die Tatsache, daß er als 
einiger der wenigen die Burg verlassen durfte, wenn der Herr ihn mit 
einem Auftrag losschickte. Aber man konnte nie wissen, ob der Herr 
einem nicht einen Spitzel nachschickte, der dafür sorgte, daß man 
auch zurückkehrte - oder nie wieder. 

»Mies?« Rudolfs Spitzmausgesicht zeigte ein Grinsen. »Also wie 

immer.« 

Er klopfte und trat ein, während Wenzel eilig davonschritt. 
Rudolf konnte Wenzels Urteil nicht teilen. Er hatte den Eindruck, 

daß der Herr recht gut gelaunt war. Er pfiff sogar vor sich hin, als er 
die Dokumente und Briefe las, die Rudolf ihm vorlegte. 

background image

»Gut, gut«, sagte Arno von Berghe zufrieden, als er die Absage auf 

einen Brief gelesen hatte, in dem eine Tante ihren Besuch 
angekündigt hatte. »Die Tante sind wir los. Die möchte sich 
bestimmt nicht anstecken.« Er blickte Rudolf an. »Aber mußte man 
mir denn unbedingt die Pocken andichten?« 

»Tante Martha soll nicht leicht zu schrecken sein.« 
Arno von Berghe grinste. »Na, dann ist es vielleicht gut, schweres 

Geschütz aufzufahren. Und weil ich gerade gut gelaunt bin, darfst du 
den Gefangenen einen Krug Wasser und einen Kanten Brot geben.« 

»Jedem?« fragte Rudolf. 
»Papperlapapp«, erwiderte Arno von Berghe unwirsch. »Allen 

zusammen einen Krug Wasser und einen Kanten Brot.« 

Rudolf nickte eifrig. Er verspürte ein wenig Mitleid mit den 

Gefangenen, die im Kerker dahinsiechten, aber er hütete sich, es zu 
zeigen. Er war einmal mit dreißig Stockhieben bestraft worden, weil 
er aus Mitleid den gefangenen Frauen ein Stück Käse zugesteckt 
hatte. 

Arno von Berghe klappte zufrieden die Mappe mit den Briefen und 

Schriftstücken zu. 

»Das sollte uns für eine Weile unerwünschten Besuch vom Halse 

halten und gute Geschäfte einleiten«, murmelte er. 

Rudolf nahm die Mappe, dienerte und ging. 
Als Arno von Berghe allein war, schenkte er Met in einen Becher. 

Er setzte den Becher an die Lippen, bemerkte eine Fliege im Met und 
fischte sie heraus. Die Stubenfliege krabbelte vom Met berauscht 
über seinen Finger. 

»Besoffenes Vieh«, brummte der Burgherr und zerquetschte sie 

zwischen Daumen und Zeigefinger. Er schnippte sie fort und trank 
genußvoll den Becher mit Met in einem Zuge leer. 

Dann rülpste er leicht, lehnte sich zurück und faltete die Hände vor 

dem Bauch. 

Diese verdammten Spanier! 
Sie durften auf keinen Fall die Burg erreichen. Wenn sie bis 

Hohenstolz kamen, konnte alles ans Tageslicht kommen ... 

background image

Die Spanier mußten irgendwo auf dem Weg beseitigt werden. Das 

Werk ruchloser Räuber. Nicht die Spur eines Verdachtes würde auf 
ihn fallen. Schließlich hatte Arno von Berghe den Spaniern jeden 
erdenklichen Schutz angeboten ... 

Er schenkte sich von neuem Met ein. 
Ah, Gregor und seine Mannen würden es schon schaffen. Er 

kannte doch Gregor. Ein primitiver Rohling, aber für solche Dinge 
gut zu gebrauchen. Vielleicht war längst alles erledigt, und dieser 
geldgierige Hund wartete nur mit der Erfolgsmeldung, um einen 
noch höheren Preis herauszuschinden! Der würde sich ohnehin 
wundern, wenn er statt der versprochenen Dukaten in die Tasche 
einen Dolch ins Herz bekommen würde, damit er niemals das 
Geheimnis von Hohenstolz ausplaudern konnte. 

Bei diesem Gedanken grinste er vor sich hin. 
Und es war ein Grinsen, an dem der Satan seine helle Freude 

gehabt hätte, wenn er es gesehen hätte. 

Doch der Gehörnte war zu beschäftigt. Er vergnügte sich gerade 

mit sechs gefallenen Mädchen, die auf der Erde als Hexen verbrannt 
worden waren, in seinem Höllenschlafzimmer. Die ehemaligen 
Hexen kicherten und zupften ihn am Schwanz. Da hatte der schwarze 
Haderlump kein Auge für seinen Vetter auf Erden ... 

Uli, der Räuber, grinste ebenfalls. Er war recht zufrieden mit sich 
und der Welt. Gewiß, es war wiederum nicht alles nach Plan 
verlaufen. Wie hatte Gregor gesagt, als er ihnen alles erläutert hatte: 
»Einfacher geht's nicht, ihr Schwachköpfe. Ich fasse zusammen: Die 
Brücke ansägen. In Deckung gehen. Wenn alle im Bach liegen  - 
zackzack!« Und er hatte die Geste des Halsabschneidens gemacht. 

Nun, es war nicht Zackzack gegangen. Vielleicht waren sie zu 

eifrig gewesen und hatten zuviel gesägt. Jedenfalls war die 
verdammte Brücke zu früh eingestürzt, bevor alle darauf gewesen 
waren. Und dann waren wieder diese drei Kerle aufgetaucht, die 

background image

ihnen schon beim ersten Überfall alles vermasselt hatten. Neun Mann 
waren sie diesmal gewesen. Jetzt waren sie noch zu viert. Der ganze 
Rest der Bande, abgesehen von Alois, der als Wache im Versteck 
geblieben war. Gregor würde sich neue Männer suchen müssen. Na, 
der würde ganz schön sauer sein. 

Gut, daß er, Uli, einen Mann vorausgeschickt hatte, um Gregor die 

Kunde zu bringen. Bei ihm würde Gregor erst einmal Dampf 
ablassen und bei ihrer Ankunft dann schon etwas ruhiger sein. 

Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sie auch noch mit 

leeren Händen zurückgekehrt wären! 

Doch sie kamen nicht mit leeren Händen. 
Sein Blick glitt zu der Spanierin, die gefesselt beim Lagerfeuer 

saß. Sie brachten Gregor ein Geschenk mit. Und was für eines! Das 
würde ihn versöhnen. Außerdem war damit der Auftrag, den Gregor 
ausführen sollte, so gut wie erledigt. Genaues wußte keiner von der 
Bande, doch Gregor hatte ihnen die Hälfte der Beute versprochen 
und anklingen lassen, daß ihm der Tod der Spanier ein kleines 
Vermögen an Dukaten einbringen würde. Nun, sie hatten außer der 
Spanierin keine Beute machen können, aber das ließ sich sicherlich 
noch nachholen. Sie brauchten den Spaniern nur eine Botschaft mit 
einer Lösegeldforderung zu schicken, sie zur Übergabe in eine Falle 
locken und »zackzack«, wie Gregor zu sagen pflegte. 

Uli war also frohgemut, und sein Blick ruhte wohlgefällig auf der 

schönen Spanierin. 

Bruno, der Rotbart an seiner Seite, betrachtete Isabella mit anderen 

Blicken. Er war es gewesen, der sie entführt hatte, und er betrachtete 
sie als  seine  Beute. Doch Uli sprach ja dagegen. Bruno versuchte es 
noch einmal, ihn umzustimmen. 

»Viel zu schade, um sie bei Gregor abzuliefern. Ein solch süßes 

Täubchen flattert einem nicht alle Tage zu.« 

Lüstern tasteten seine Blicke über Isabellas Formen. Isabella hatte 

den Kopf gesenkt und verharrte in apathischem Schweigen. 

Uli nickte in Gedanken. 
Bruno schöpfte Hoffnung. Er ergriff seine schmutzstarrende 

background image

Feldflasche, die mit Wein gefüllt war, und erhob sich. Breitbeinig 
schritt er zu der Gefangenen. Sie blickte auf, als' sein Schatten auf sie 
fiel. 

Sein verfilzter, schmutziger  Bart klaffte auf, und er zeigte ihr 

grinsend einen schwarzen Zahnstummel. Dann setzte er die 
Feldflasche an die wulstigen Lippen und trank gluckernd. Er wischte 
sich mit dem Handrücken über Bart und Mund und starrte Isabella in 
den Ausschnitt. 

»He, Täubchen, willst du auch mal? Du kannst einen Schluck 

haben.« Er hielt ihr die Feldflasche hin. 

»Von uns auch«, rief Rainer, der dritte der üblen Gesellen. »So viel 

du willst, schöne Frau.« 

Es sah aus, als wollte Isabella den Kopf schütteln. Doch dann 

ergriff sie die Feldflasche. Sie warf nur einen kurzen Blick auf die 
schmutzstarrende Umhüllung. Dann warf sie die Flasche dem 
Rotbart mitten ins Gesicht. Das geschah so schnell, daß sich der 
Rotbart nicht mal mehr ducken konnte. Und trotz der Eile hatte 
Isabella gut gezielt. Die Flasche mit dem Rotwein schlug eine leichte 
Delle in die breite Nase des Kerls, und Rotwein spritzte ihm in die 
Augen, bevor die Flasche ins Gras fiel. 

Nach dem Aufschrei des Rotbarts folgte sekundenlang Stille. Nur 

das Gluckern des Weins war zu hören, der aus der Flasche lief. 

Brunos Bart wies jetzt noch dunklere rote Flecke auf. Der Räuber 

wischte sich über Augen und Wange und starrte auf die Frau hinab. 
Furchtlos und stolz erhobenen Hauptes sah Isabella ihn an, und ihre 
Miene zeigte unverhüllte Verachtung. Jäh verzerrte sich sein Gesicht, 
und er holte mit der Hand zum Schlag aus. 

»Halt ein!« rief Uli. 
Bruno verharrte mit erhobener Hand. »Das hat das Luder nicht 

umsonst getan!« keuchte er. 

Uli war zwar auch ein übler Bursche, doch er mochte nicht, daß 

Frauen geschlagen wurden. Vielleicht lag das daran, daß sein 
Stiefvater immer die Mutter vertrimmt hatte, bevor er  - Uli  - von zu 
Hause ausgerissen war und sich entschlossen hatte, ein großer starker 

background image

Kämpfer zu werden, damit er eines Tages seinen Vater vertrimmen 
konnte. Nun, ein starker Kämpfer war er nie geworden, und das war 
auch nicht mehr nötig gewesen, denn bald darauf hatte sich sein 
Vater zu Tode gesoffen. 

»Gregor wird sauer sein, wenn du sie beschädigst«,  mahnte Uli. 

»Der wird schon toben, wenn er erfährt, daß wir der Rest der Bande 
sind. Da kann es nicht schaden, wenn wir ihn mit einem reizvollen 
Geschenk besänftigen.« 

Bruno ließ die Hand sinken. Uli war so etwas wie dritter 

Unterführer, und nach dem Tod  der beiden anderen konnte es gut 
möglich sein, daß er aufrückte. Es war besser, man hörte auf ihn. 
Doch sein Zorn war noch zu groß. 

Seine prankenartige Hand schoß auf Isabella zu, doch er schlug sie 

nicht, sondern riß ihr das Oberteil des Kleides vorn Leib. Er 
erhaschte einen Blick auf ihren Busen, bevor sie ihn mit ihren 
gefesselten Händen bedeckte. 

»Schöne Zitzen«, sagte er grinsend. »Gregor wird nichts dagegen 

haben, wenn wir ihm das Geschenk ohne Verpackung überreichen.« 

Isabella hatte sich schon eine  Närrin gescholten, weil sie dem Kerl 

die Feldflasche ins Gesicht geworfen hatte. Es war klüger, nichts zu 
tun, was diese Schurken reizen konnte. Sie war schon froh, daß die 
Kerle nicht über sie hergefallen waren, sondern sie zu ihrem 
Räuberhauptmann bringen wollten, wie sie ihrer Unterhaltung 
entnommen hatte. Ihr war klar, daß es nur ein Aufschub war, doch 
solange sie noch nicht im Lager der Räuber war, gab es noch 
Hoffnung. Jetzt ging wiederum das Temperament mit ihr durch, und 
erst im Nachhinein stellte sich heraus, daß es eine Fügung des 
Schicksals gewesen war. 

Sie spuckte dem Halunken ins Gesicht. 
»Eh«, sagte Bruno. Er wich etwas zurück und fügte ein weiteres 

»eh« hinzu. Dann wischte er sich zum zweiten Mal an diesem Abend 
über die Augen. 

So sah er nicht den Schatten, der sich gerade hinter einem Busch 

am Rande der Mulde aufgerichtet hatte, in der sie ein paar Stunden 

background image

rasten wollten, weil die Pferde nach dem langen Ritt erschöpft 
waren. 

Der Schatten war Ritter Roland. 
Die Räuber glaubten, ihn nahe bei  der Schlucht abgeschüttelt zu 

haben. Sie waren durch Wälder geritten, hatten mehrmals die 
Richtung geändert und alles getan, um ihre Spuren zu verwischen. 

Verbissen hatte Roland weitergesucht. Immer wieder hatte er die 

Fährte gefunden, doch in der Dunkelheit hatte er verzweifelt 
aufgeben müssen. 

Dann war ihm der Zufall zu Hilfe gekommen. Ein Landmann, der 

mit seinem Fuhrwerk auf dem Weg zum nahen Dorf war, um einen 
Schoppen Wein zu trinken, hatte vier Reiter und eine Frau gesehen. 
Einer der Reiter hatte die Frau vor sich im Sattel umarmt gehalten. 
Der Landmann hatte den kleinen Trupp nur von weitem gesehen und 
sich nicht allzuviel dabei gedacht. Immer wieder nahm mal ein 
Bursche bei einem Ausritt seinen Schatz oder die Magd mit aufs 
Pferd. 

»Die Sitten sind halt verlottert«, hatte er sich beklagt und Roland 

gezeigt, an welcher Stelle die Reiter mit der Frau im Wald 
verschwunden waren. 

Roland hatte sein Pferd am Waldrand zurückgelassen und sich zu 

Fuß durch den dunklen Wald gepirscht. Er hatte damit gerechnet, daß 
die Räuber eine Rast einlegten. Nach einer Viertelstunde hatte ihm 
dann Feuerschein den Weg zum Lager der Kerle gezeigt, das sie in 
einer Mulde zwischen zwei Waldstücken aufgeschlagen hatten. 

Er hatte sich angeschlichen und beobachtet und gelauscht. Er war 

erleichtert gewesen, daß sie Isabella nichts angetan hatten, und aus 
ihren Worten war hervorgegangen, daß sie sie unangetastet zu ihrem 
Versteck bringen wollten. So hatte er noch nichts unternommen und 
auf den günstigsten Zeitpunkt gelauert. Drei Kerle waren ganz nahe 
bei Isabella, und alle konnte er nicht gleichzeitig ausschalten. Einer 
brauchte nur die Spanierin als Schutzschild an sich zu reißen, ihr sein 
Messer an die Kehle zu setzen  - und alles war aus. Dann hatten sie 
ihn als zusätzlichen  Gefangenen. Er hatte abwarten wollen, bis die 

background image

Schurken schliefen oder zumindest einer zu den Pferden ging oder 
sich vom Lager entfernte, um Wasser zu lassen  - irgendeine solche 
Gelegenheit. Sorge machte ihm auch, daß nur drei Räuber bei 
Isabella waren. Nach der Fährte zu schließen, mußten vier Reiter mit 
ihr unterwegs sein, und auch der Landmann hatte von vieren 
gesprochen. Doch Roland konnte nur drei Pferde und drei Männer 
sehen; er konnte ja nicht ahnen, daß Uli einen Mann zu Gregor 
vorausgeschickt hatte. 

So rechnete Roland damit, daß der vierte Kerl vielleicht als Wache 

durch den Wald streifte und war entsprechend vorsichtig. 

Als es zu dem Zwischenfall mit der Feldflasche gekommen war 

und der Rotbart zum Schlag ausgeholt hatte, wäre Roland fast schon 
aufgesprungen, um einzugreifen. Doch dann war ihm einer der 
Räuber zuvorgekommen und hatte Einhalt geboten. 

Jetzt aber hatte sich die Situation zugespitzt. Isabella, deren 

Tapferkeit er ebenso bewundert hatte wie ihre Schönheit, hatte den 
Rotbart bis zur  Weißglut getrieben  - und nicht nur mit ihren 
körperlichen Reizen. 

Roland erkannte, daß auch Uli seinen Kumpan diesmal nicht 

zurückhalten konnte, und so handelte er. 

Wie der Teufel sprang er zwischen die überraschten Räuber, und 

seine Schwertklinge funkelte rötlich im Schein des Feuers. 

»Keine Bewegung  - ihr seid umzingelt!« schrie Roland. Mit zwei 

langen Sätzen war er bei dem Rotbart, der die Hände von den Augen 
riß und die Gestalt, die auf ihn zustürmte, offenen Mundes anstarrte. 

Roland hieb mit der stumpfen Seite der Klinge gegen die Beine des 

Räubers. Schreiend fiel der Kerl in den Sand. Roland wirbelte bereits 
zu den beiden anderen herum. Uli hatte sich als erster von dem 
Schock erholt. Er griff zum Schwert, das er neben sich auf einem 
Streifen Gras abgelegt hatte. Roland schlug ihm auf die Finger, und 
brüllend ließ Uli das Schwert fallen. Der dritte Halunke hatte 
inzwischen sein Schwert ebenfalls hochgerissen. Er sprang auf und 
holte zum Schlag aus. 

Doch Ritter Roland war schneller. Er parierte die Attacke, fintierte 

background image

und sprang vor, um dem Räuber die Klinge in die Brust zu stoßen. 
Röchelnd sank der Schurke zurück. 

Uli sah, daß sein Kumpan starb und geriet in Panik. Er warf sich 

herum und hetzte davon. 

»Halt!« schrie Roland. »Du kommst ohnehin nicht weit. Ihr seid 

umstellt!« 

Er hoffte, daß sein Bluff wirkte, doch Uli hörte nicht auf ihn. Er 

rannte davon und war flink wie ein Wiesel auf dem Weg zu seiner 
Wieselin, die ihm eine heiße Liebesnacht versprochen hat. 

Roland überlegte, ob er ihm nachsetzen sollte. Da hörte er Isabella 

aufschreien und fuhr alarmiert herum. Er erinnerte sich daran, daß er 
vor ein paar Wochen in einer ähnlichen Lage gewesen war. Damals 
hatte er Prinzessin Charlotte gesucht und sie endlich aus den Fängen 
der Räuber hatte befreien können. Der Rotbart! 

Den Kerl hatte er im Eifer des Gefechtes ganz vergessen. Er hatte 

ihn nur niedergeschlagen, weil er am nächsten bei Isabella gestanden 
hatte und eine Gefahr für sie gewesen war. Er hätte ihn töten können, 
doch der Räuber hatte keine Waffe in der Hand gehabt. 

Jetzt hatte sich der Kerl aufgerappelt und sein Messer aus der 

Scheide am Gürtel gerissen. Und er wollte genau das tun, was 
Roland befürchtet hatte. Er wollte sich die Gefangene schnappen. 

»Halt, oder es  ist dein Tod!« warnte Roland und holte mit dem 

Schwert zum Wurf aus. 

Der Räuber wollte nicht hören. Zwei Schritte trennten ihn noch 

von der gefesselten Spanierin, die ihn voller Todesangst anstarrte 
und dann schützend die Hände vors Gesicht riß, weil sie wohl 
befürchtete, der Kerl wolle sie erstechen. Es war gut, daß sie die 
Hände hochriß. So blieb ihr der schreckliche Anblick erspart, als 
Bruno, von Rolands Schwert getroffen, stürzte und neben sie fiel. Sie 
nahm den Aufprall wahr, zog die Hände herunter  und wälzte sich 
zitternd von der Gestalt fort. 

Roland hörte Hufschlag und fluchte. Der flüchtende Räuber nahm 

alle drei Pferde mit. Mit einer fahrigen Bewegung wischte sich 
Roland über die Stirn. Sein Atem ging heftig nach durchstandener 

background image

Anstrengung. Er atmete tief ein und aus. Sein Blick glitt zu den 
beiden reglosen Gestalten. Er hätte sie lieber lebend gehabt, um von 
ihnen zu erfahren, wer ihr Auftraggeber war. Doch sie hatten ihm 
keine Wahl gelassen. Dennoch verspürte Ritter Roland einen bitteren 
Geschmack, weil er zum Töten gezwungen worden war. Er hätte sie 
verschont, wenn sie sich ergeben hätten, so verrucht sie auch 
gewesen sein mochten. 

Er schritt zu Isabella. Stumm schaute sie ihm in die Augen, von 

unsäglicher Dankbarkeit erfüllt. 

Er nahm das Messer, das der tote Räuber noch umklammert hielt, 

und schnitt ihre Fesseln durch. Der Schein des Feuers zuckte über 
ihre samtene Haut, als sie ihm die an den Handgelenken locker 
gebundenen Hände entgegenstreckte, damit er die Stricke 
durchschneiden konnte. Als die Fesseln fielen, rieb sie sich die 
Handgelenke und atmete tief ein und aus. Ihre Blicke tauchten 
ineinander, und was Roland in ihren Augen las, ließ sein Herz 
schneller schlagen. Sie zog ihr eingerissenes Kleid hoch, und dabei 
blickte sie ihm immer noch tief in die Augen. 

»Danke«, sagte sie leise. »Wenn Ihr nicht gekommen wärt...« 
Sie ließ den Rest unausgesprochen, doch Roland wußte, daß sie 

daran dachte, was sie im Versteck der Räuber erwartet hätte. 

Er half ihr galant auf. Sie sank gegen ihn, und er hielt sie fest. Sie 

war nur ein wenig kleiner als er, und als sie ihren Kopf an ihn 
schmiegte, kitzelte ihn ihr seidiges Haar an der Wange. 

Sie zitterte, und er glaubte das Pochen ihres Herzens an seiner 

Brust zu spüren. 

Dann bog sie den Kopf zurück. Ihr Mund war dicht vor seinem, 

und der Blick der großen, schwarzen Augen und der Duft von Seife 
oder Parfüm betörten seine Sinne. 

Er wußte später nicht mehr zu sagen, wie es gekommen war. Ihre 

Lippen fanden sich ganz von selbst, und nach einer süßen Ewigkeit 
war es ihm, als erwache er aus einem wunderschönen Traum. 

»Te quiero, te quiero«,  glaubte er noch eine Elfe flüstern zu hören. 

Und dann erkannte er, daß es keine Elfe war, die er in den Armen 

background image

hielt, sondern Isabella, und die Wirklichkeit hatte ihn wieder. 

Sie war einem anderen versprochen! Niemals konnte sie diese 

spanischen Liebesworte gesagt haben! Verwirrt löste er sich von ihr. 

»Verzeiht...« begann er verlegen und suchte nach den richtigen 

Worten. 

Dann sah er ihr glückliches Lächeln,  das Strahlen ihrer Augen, das 

tief aus ihrem Herzen zu kommen schien, und im nächsten 
Augenblick spürte er von neuem ihre Lippen auf seinem Mund, und 
er glaubte, sein Herz würde vor Glück zerspringen. Denn diesmal 
war er völlig sicher, daß er es nicht träumte. 

Diesmal währte der Kuß nur kurz, viel zu kurz. Es war mehr ein 

flüchtiger, süßer Hauch, als liebkoste ein Schmetterling seine Lippen, 
und dann hörte er Isabella zärtlich wispern: »Nicht hier, Roland, laß 
uns von hier fortgehen.« 

Schlagartig fiel ihm ein, daß einer der Räuber entkommen war. 

Und dann war da noch der vierte Mann. Er fragte Isabella danach, 
und sie erklärte ihm, daß der Anführer des Quartetts ihn 
vorausgeschickt hatte. Dennoch mußten sie verschwinden. Das 
Versteck der Bande konnte in der Nähe sein, und möglicherweise 
kehrte der Räuber mit Verstärkung zurück. Roland löste sich von 
Isabella. Er trat das Feuer aus und warf einen Blick zu den Toten. Es 
blieb keine Zeit, sie zu begraben, wie es Christenpflicht war. Er 
mußte zuerst Isabella in Sicherheit bringen. Das nächste Dorf war 
nicht weit, und er würde von dort jemand in den Wald schicken, der 
die Toten unter die Erde brachte. 

Er führte Isabella zu seinem Pferd. Sie ritt dann im Damensitz vor 

ihm auf dem Hengst und schmiegte sich an ihn. 

Lange Zeit ritten sie schweigend unter dem silbernen Licht der 

Sterne und des Mondes, der wohlgefällig auf sie hinunterlugte. Es 
bedurfte keiner Worte zwischen ihnen. Erst als sie die Lichter des 
kleinen Dorfes sahen, brach Isabella das Schweigen. 

»Ob es dort eine Herberge gibt - mit einem richtig weichen Bett?« 
»Ich hoffe es«, sagte Roland, und von neuem wallte es heiß in ihm 

auf. 

background image

»Ich bin nämlich müde«, sagte Isabella lächelnd und schmiegte 

den Kopf an seine Brust. 

Roland versuchte seine Enttäuschung zu verbergen. 
»Ich auch«, log er mit belegter Stimme und schickte ein 

gekünsteltes Gähnen hinterher. 

Sofort hob sie den Kopf und sah ihn irgendwie forschend an, und 

er glaubte, es in ihren Augen aufblitzen zu sehen. 

»Ein wenig«, schwächte er ab. Vielleicht kränkte es ihren Stolz, 

wenn man eine so schöne Spanierin in den Armen hielt und gähnte. 

Es gab eine Herberge in dem Ort. Ein Gasthof mit sechs 

Gästezimmern. Der Wirt, ein kleiner, pausbäckiger Dicker, der 
ständig zu Isabellas eingerissenem Kleidausschnitt hinauf schielte, 
gab ihnen Zimmer Nummer sechs. Es war das einzige freie Zimmer, 
denn es traf sich, daß an diesem Abend eine kleine Reisegesellschaft 
eingekehrt war und dem Wirt das beste Geschäft seit drei Monaten 
beschert hatte. 

»Es ist das beste Zimmer  - für Hochzeitsreisende«, flüsterte der 

Dicke Roland zu und hielt die Hand auf, wohl in Erwartung eines 
Trinkgeldes. 

»Nun denn«, sagte Roland und drückte lächelnd die Hand des 

Mannes, der überrascht blinzelte. Isabellas Wangen waren leicht 
gerötet, und damit sie sich nicht genierte, sagte Roland zu dem Wirt: 
»Du brauchst nicht so zu grinsen, mein Freund, diese Dame ist meine 
Schwester.« 

»Natürlich, natürlich, nie hätte ich etwas anderes gedacht«, 

beteuerte Pausbäckchen und dachte bei sich: Das sagen alle. Ich will 
verdammt sein, wenn das kein frisch verliebtes Paar ist. 

Er dienerte und wollte das Gepäck holen. Roland und Isabella 

hatten keins. Roland gab ihm nun doch ein Trinkgeld und bat ihn, 
dafür Sorge zu tragen, daß sein Roß versorgt werde. 

Als er mit Isabella allein war, sahen sie sich in die Augen. 
»Du siehst wirklich müde aus  - Bruder«, sagte Isabella mit der 

Andeutung eines Lächelns, und Roland glaubte eine Spur von 
Bedauern in ihrer Stimme zu hören. 

background image

»Nein, nein«, sagte er. »Das ist nur vom Hunger und Durst. Wenn 

wir in der Schenke gespeist haben, werde ich wieder putzmunter 
sein.« 

Er bot ihr seinen Arm, um sie zur Schenke zu gleiten, aus der 

lautes Stimmengewirr erscholl. 

Isabella sah an ihrem eingerissenen, schmutzigen Kleid hinab. »Ich 

- bin nicht hungrig«, sagte sie. »Geh nur essen. Ich werde mich 
gleich schlafen legen.« 

Roland spürte, daß sich Isabella genierte und sich nicht dem 

Gaffen der Dörfler ausgesetzt sehen wollte. Er nahm sich vor, ihr 
Speis und Trank aufs Zimmer bringen zu lassen. 

Der Wirt hatte indessen seinen ebenfalls pausbäckigen Sohn 

angewiesen, sich um die Rösser der Gäste zu kümmern. Der Junge 
kehrte zurück und meldete aufgeregt, daß ein Roß verschwunden sei. 
Roland erklärte, daß sie nur auf einem Pferd gekommen seien, und 
Wirt und Sohn blickten neugierig. Der Wirt führte Roland und 
Isabella dann zum Zimmer. Er schloß auf und zündete die Lampe an. 
Es war ein einfaches, aber sauberes Zimmer zum Hof hinaus. 
Würzige Landluft und ein Schwarm von Fliegen drangen durch das 
halb geöffnete Fenster herein. Irgendwo krähte ein Hahn, der sich 
wohl in der Stunde geirrt hatte, denn die Glocke der kleinen Kapelle 
bimmelte zehnmal. 

Roland warf einen schnellen Blick zu dem Bett. Es hatte einen 

Baldachin aus rotem Tuch und wirkte äußerst einladend. 

Roland beeilte sich dann mit dem Essen. Er freute sich auf das 

Bett. Er aß das Tagesessen des Gasthofes, eine wohlschmeckende, 
kräftig gewürzte Kohlroulade, und trank dazu Bier, das ihm der Wirt 
als frisch gebraut angepriesen hatte. Das Bier mundete Roland, und 
er bestellte noch einen Krug. 

Als er dermaßen seinen Durst gelöscht und seinen Hunger gestillt 

hatte, fühlte er sich so schläfrig, daß ihm fast die Lider zufielen. 

Ein Serviermädchen räumte das Geschirr ab und fragte, ob er  noch 

Wünsche habe. Es war unverkennbar die Tochter des Wirtes, denn 
sie ähnelte ihm sehr und war ebenso pausbäckig  - und noch ein 

background image

bißchen mehr, wie Roland am straffgespannten Mieder und dem 
ebenso straff gespannten Kleide tief an ihrem Rücken sah. 

Er bestellte noch ein Bier, denn die Pausbäckige hatte ihm gesagt, 

daß sie das Essen der Frau Gemahlin aufs Zimmer gebracht habe. 
Nun, Roland wollte Isabella nicht beim Essen stören. Als er den 
dritten Krug ausgetrunken hatte, fühlte er sich noch müder. Das war 
ja ein rechter Schlummertrunk, den ihm die Pausbäckige kredenzt 
hatte. 

Fast wäre Roland nach all den Aufregungen der letzten Nacht und 

dieses langen Tages in der Schenke eingenickt. Doch der Gedanke an 
Isabella trieb ihn wieder hoch. Er bezahlte, gab der  Maid ein 
großzügiges Trinkgeld und ging zum Zimmer. Sein Herz pochte 
schneller, als er die knarrende Treppe hinaufstieg. Vor der Tür 
verharrte er dann. Plötzlich kamen ihm Zweifel. Wenn er sich alles 
nur eingebildet hatte? Wenn Isabella ihn nur nach durchstandener 
Todesfurcht als Retter geküßt hatte? Ein einmaliger Dank im 
Überschwang, ohne einen Gedanken an mehr? Sie war auf dem Weg 
zu einem anderen, um ihn zu ehelichen. Und wenn der Zufall es auch 
gefügt hatte, daß sie ein gemeinsames Zimmer nehmen mußten, so 
konnte es gut sein, daß sie gedachte, das Bett wie Bruder und 
Schwester mit ihm zu teilen. 

Das ging ihm durch den Sinn, als er die Tür öffnete, und er fühlte 

sich plötzlich noch müder und ein wenig verzagt. 

Es war dunkel im dem Zimmer bis auf einen schwachen Streifen 

Mondlicht, der durchs Fenster hereinfiel. Sicherlich schlief Isabella 
bereits. Kein Wunder nach all den Strapazen und Aufregungen. 

Er unterdrückte ein Seufzen, als er sich entkleidete. 
Wie hatte er auch so kühn sein können, anzunehmen, Isabella 

empfinde mehr als Dankbarkeit für ihn? 

Zwei Gerüche nahm er in dem dunklen Zimmer wahr, und zwei 

Seelen rangen in seiner Brust. Die Gerüche stammten vom Hinterhof 
- ein würziger Landduft  - und von Isabellas Seife oder Parfüm. Und 
die Seelen, die sich in seiner Brust stritten, waren gleichfalls stark. 
Die eine sagte gähnend: »Du bist müde und sehnst dich nur nach 

background image

Ruhe.« 

Die andere sagte: »Papperlapapp! Bist du ein Mummelgreis, der in 

der Nähe einer schönen, feurigen Spanierin einschläft?« 

Die erste Seele winkte müde ab: »Sie schläft ohnehin. Außerdem 

bilde dir nichts ein. Sie liebt einen anderen. Mach die Augen zu und 
suche Vergessen in Morpheus' Armen.« 

Die andere Seele kicherte. »Selbst wenn sie schliefe  - so wecke 

sie! Sei kein Hasenfuß! Gib deinem Herzen einen Stoß, auf daß es 
feurig werde und sie schnell in deinen Armen den anderen vergißt...« 

Verwirrt legte sich Ritter Roland in das Bett und zog das Laken 

über sich. Er spürte Isabella neben sich, ihre Wärme, und ihr Duft 
stieg ihm in die Nase. Er nahm sich vor, sie am nächsten Morgen zu 
fragen, welch Parfüm oder welch edle Seife sie benutzte. Er schloß 
die Augen. Eine Fliege summte um den Baldachin. Er lauschte und 
glaubte Isabellas tiefe, gleichmäßige Atemzüge zu hören. 

Ja, es schlief, das Schwesterchen, und auch er... 
Da spürte er eine Berührung. Das zarte Tasten einer weichen Hand. 

Die Hand schwebte leicht über seinen Körper, verweilte kurz und 
tastete weiter  - wie ein Schmetterling, der von Blüte zu Blüte flattert. 
Sie tastete über  seine Hüfte hinauf, über seine Brust, den Hals, die 
Wange und die Lippen. Dort blieb die Hand liegen, und es war 
Roland, als küßte ihn diese zärtliche Hand. 

»Bist du sehr müde?« 
Isabellas Stimme. Leise wie ein Hauch. 
»Nein, nein, ich ...»Da spürte er ihren Körper. Sie war nackt. Die 

müde Seele zog sich verstimmt zurück, und die andere frohlockte 
und peitschte sein Blut durch die Adern. Er drehte sich Isabella zu, 
und wie von selbst fanden sich ihre Lippen, und ihre Körper 
verschmolzen in einem glühenden Kuß. Eines war ihm sofort klar  - 
Isabella hatte gelogen, als sie auf dem Ritt von  ihrer  Müdigkeit 
gesprochen hatte. Sie war hellwach und voller Feuer. Sie bereitete 
ihm gar köstliche Wonnen, und er war kein bißchen müde mehr. Sein 
Herz schien im Rhythmus ihres Liebesspiels zu trommeln, und Ritter 
Roland hatte das Gefühl, als schwebten sie gemeinsam hoch hinauf 

background image

auf den Gipfel des Glücks. Etwas piekte ihn in den Rücken, und er 
glaubte schon, es seien Isabellas Fingernägel, denn die Spanierin war 
voller Leidenschaft. Dann verstärkte sich das Pieken, und Roland 
erkannte, daß es keine Fingernägel waren. Die Berührung konnte 
auch nicht von Isabella stammen, denn es war etwas Kaltes zwischen 
seinen Schulterblättern  - und nichts, aber auch gar nichts an Isabella 
war kalt. Sie umklammerte ihn noch fester mit den Armen und 
Schenkeln, wollte weiter hinauf auf den Gipfel und verstand sein 
Zaudern .nicht. Jäh erstarrte er. Denn er wußte plötzlich, was da 
zwischen seine Schulterblätter stach. Eine Schwertspitze. Und es war 
ihm, als fiele er vom Gipfel des Glücks hinab in den tiefen Schlund 
der Hölle. Denn eine rauhe Stimme zischte ihm in den Nacken: 
»Runter von der Frau. Ich möchte sie nicht mit aufspießen, wenn ich 
dir mein Schwert ins Herz stoße!« 

Ein Zündholz flammte  auf. Der Schatten eines Mannes geisterte über 
die Wand. Dann erhellte der Schein der Lampe das Zimmer. 

Es waren zwei Männer, und sie waren nicht gekommen, um ihm 

und Isabella eine gute Nacht zu wünschen. 

Sie waren gekommen, um zu töten. 
Die beiden Männer  waren die Räuber Uli und Hanspeter, jener 

Kerl, den Uli zu Gregor vorausgeschickt hatte. 

Obwohl Uli ihn zur Eile gedrängt hatte, war Hanspeter in das Dorf 

geritten. Das war ein Umweg gewesen, doch Hanspeter war von 
argem Durst geplagt worden, und er hatte sich gedacht, niemand 
würde je etwas von seinem Abstecher und der damit verbundenen 
Verzögerung erfahren. Doch Uli, der gerade noch einmal 
davongekommen war, hatte ebenfalls Durst gehabt. In der Schenke 
waren sich die beiden begegnet. Sie hatten kräftig gezecht und waren 
sich einig gewesen, daß sie sich bei Gregor nicht mehr blicken lassen 
konnten. Gregor hätte sie ob ihres Versagens auf der Stelle 
umgebracht. Hanspeter hatte vorgeschlagen, in den Schwarzwald 

background image

auszuwandern und dort eine eigene Bande zu gründen. Uli war mehr 
für den Odenwald gewesen, wo er einige Zeit gelebt hatte, bevor er 
sich Gregors Bande angeschlossen hatte. Sie hatten hin und her 
überlegt, und dann war Ritter Roland in die Schenke gekommen. 
Fast hätten sie sich an ihrem Bier verschluckt. Er hatte sie bei all den 
Gästen nicht bemerkt, denn bei all den Gästen nicht bemerkt, denn 
sie hatten ganz hinten in einer Ecke gesessen. 

Roland hatte dann die Schenke verlassen. Von der pausbäckigen 

Maid hatten die Räuber die Informationen erhalten, die sie brauchten. 
Der Rest war einfach gewesen. Sie hatten noch eine Weile gewartet, 
damit sie Roland in tiefem Schlaf überraschen konnten. Uli hatte sich 
Gregors Befehlston angewöhnt: »Den Kerl umbringen  - das Weib 
krallen und über den Hinterhof weg mit ihr  - zackzack«, hatte er 
grinsend zu Hanspeter gesagt. 

Jetzt drückte Uli Roland die Schwertspitze gegen den Rücken und 

schaute triumphierend zu seinem Kumpan, der schon das Fenster 
weit öffnete und in den dunklen Hof hinausspähte. 

Roland lief ein  eisiger Schauer über die Wirbelsäule, und Isabella, 

die jäh erstarrt war, begann zu zittern. 

»Los, los!« zischte Uli, und die Schwertspitze ritzte Rolands Haut. 
Verzweiflung stieg in Roland auf. Er war wie in Trance. Zu groß 

war der Schock. Er war so glücklich gewesen, daß er außer Isabella 
und dem Trommeln seines Herzens nichts um sich herum 
wahrgenommen hatte. 

»Oder soll ich euch beide töten?« fragte Uli drohend. 
Roland wußte, daß das ein Bluff war. Er hatte die Stimme des 

Mannes inzwischen wiedererkannt. Es war einer der Räuber, die er 
im Wald belauscht hatte. Sie wollten ihn töten und Isabella nach wie 
vor entführen. 

Sein Schwert lag bei der Kleidung auf dem Stuhl neben dem Bett. 

Ganz nahe, doch zugleich so unerreichbar fern. Der Räuber brauchte 
nur zuzustoßen. 

Was tun? Verzweifelt suchte er nach einer Chance, wie er den Kerl 

überrumpeln konnte. Er fand keine. Und der zweite Räuber wandte 

background image

sich gerade grinsend am Fenster um und setzte sich zum Bett hin in 
Bewegung. 

Roland wußte, daß er den Mann mit dem Schwert nicht mehr 

länger hinhalten konnte. Er erhob sich langsam, und der Druck der 
Schwertspitze ließ nach. 

Er stand auf, und es prickelte zwischen seinen Schulterblättern. 

Wenn der Räuber jetzt zustieß ... Nackt und hilflos stand Roland vor 
seiner Klinge. Der Schweiß auf seinem Körper glänzte im Schein der 
Lampe. Langsam drehte sich Roland um. Er wollte nicht hinterrücks 
erstochen werden. Er wollte dem Mörder in die Augen sehen. 

Als er den Kopf wandte, streifte sein Blick Isabella. Auch auf ihrer 

Haut schimmerte der Tau der Leidenschaft. Nackt und schön lag sie 
dort auf dem zerwühlten Laken, und ihr langes Haar umgab ihr 
Antlitz wie ein Fächer aus schwarzer Seide. 

Nie hatte er einen schöneren Anblick gesehen, und die Angst in 

ihren Augen schnitt ihm ins Herz. Dann hatte er sich Uli ganz 
zugewandt. 

Der Räuber starrte auf die Frau, und die Augen quollen ihm aus 

den Höhlen. Auch Hanspeter war wie gebannt. 

Isabella tat nichts, um ihre Blößen zu bedecken. In diesem 

Augenblick hatte sie nur einen Gedanken: Roland. 

»Los, Uli, bring es hinter dich, damit wir mit ihr verschwinden 

können«, drängte Hanspeter. 

Isabella sprang auf und war mit zwei Sätzen bei Roland, um sich 

an ihn zu klammern. 

»Dann will ich mit ihm sterben!« rief sie. 
»Quatsch,  du bist viel zu ...« begann Uli, der ebenso wie sein 

Kumpan fasziniert jede Bewegung der schönen Frau beobachtet 
hatte. Weiter kam er nicht. 

Denn Ritter Roland nutzte den Augenblick der Ablenkung. Trotz 

des Schwertes vor seiner Brust handelte er. Zu schnell und 
überraschend für die Räuber. 

Mit einem Sprung war Roland an Ulis Seite und riß dabei Isabella 

mit sich herum, die sich an ihn schmiegte. Uli stieß noch mit dem 

background image

Schwert zu, doch er traf nur Luft. Dann prellte ihm Roland das 
Schwert aus der Hand. Bevor Uli wußte, wie ihm geschah, packte 
Roland ihn am Kragen, holte aus und schleuderte Uli gegen seinen 
Kumpan, der gerade zum Messer greifen wollte. 

Nun, Hanspeter war ein geistesgegenwärtiger Mann. Er sah Uli auf 

sich zufliegen, vergaß sofort sein Messer und duckte sich. So kam es, 
daß Uli gegen die Wand unter dem Fenster krachte. Die Wand 
erbebte, und Uli sank daran herab und blieb mit glasigen Augen auf 
dem Hosenboden sitzen. Er hatte sich gerade einigermaßen erholt 
und Kräfte gesammelt, um aufzuspringen, doch da mußte er 
erkennen, daß inzwischen die Zeit nicht stillgestanden hatte. 

Hanspeter hatte zum Messer gegriffen, doch da war Roland schon 

heran. Er schmetterte den Kerl mit einem Fausthieb zu Boden, 
umklammerte das Handgelenk und drehte es, bis der Räuber 
schreiend das Messer losließ. Roland trat es mit dem nackten Fuß aus 
der Reichweite. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie der andere 
Kerl am Fenster aufsprang, und er wiederholte die Prozedur von 
vorhin. Er packte den benommenen Hanspeter  am Wams, riß ihn 
hoch über seinen Kopf und warf ihn gegen seinen Kumpan. 

Uli zog den Kopf ein, und Hanspeter wäre durch das Fenster 

geflogen, doch quer paßte er nicht hindurch. So knallte er gegen den 
Fensterrahmen, und die Scheiben der beiden Fensterflügel 
zerklirrten. Dann fiel Hanspeter wie ein Stein auf Uli hinab und 
begrub ihn unter sich. 

Uli fluchte, doch das half ihm nichts. Denn Roland war jetzt richtig 

in Fahrt, und es wurde schlimm für die beiden Räuber. Uli war froh, 
als ihn eine gnädige Ohnmacht umfing. Hanspeter erdreistete sich 
tatsächlich, noch einmal anzugreifen, weil er Roland noch mit Uli 
beschäftigt glaubte. Doch sein Angriff war mehr aus Verzweiflung 
geboren und blindlings im Zorn vorgetragen, und so lief Hanspeter 
praktisch in Rolands Fäuste hinein. Zwei Treffer und dann ein 
Volltreffer, und Hanspeter flog rücklings aus dem Fenster. Diesmal 
paßte er hindurch, und er verschwand mit einem klatschenden 
Geräusch unten im dunklen Hinterhof, woraufhin der Hahn 

background image

protestierend krähte, weil er sich beim Schlaf mit seiner 
Lieblingshenne gestört fühlte. 

Roland atmete heftig und sah zu Isabella. Sie war derweil nicht 

untätig geblieben. Sie hatte das Bettlaken an sich gerissen und 
schlang es um ihren Körper. Und das war gut so. Denn der Radau, 
die Schreie, das Poltern, Klirren und Krachen waren natürlich gehört 
worden, und der pausbäckige Wirt eilte mit seiner ganzen 
pausbäckigen Familie im Gefolge herbei. 

»Könnt ihr nicht ruhiger miteinander schlafen, ihr ...« begann er 

mit zornrotem Gesicht und schwang eine Keule. Dann sah er den 
lädierten Uli, den nackten großen Ritter und den kleineren Ritter und 
dazu eine Gestalt, die nur aus einem weißen Laken zu bestehen 
schien. Nun, er war sehr abergläubisch, und in seiner Aufregung hielt 
er die Gestalt in dem Laken für ein Gespenst. Der Gute hätte nicht 
einfach die Tür aufreißen, sondern anklopfen sollen, dann wäre ihm 
dieser Schreck erspart geblieben. Er ließ den Knüppel fallen, warf 
sich herum und wollte schreiend davonrennen, doch seine 
pausbäckige Familie blockierte ihm den Weg. 

Seine Frau und die Tochter hatten keinen Blick für das 

»Gespenst«. Auch nicht für Uli und das Chaos, das nach dem Kampf 
im Zimmer herrschte. Sie starrten offenen Mundes auf den großen 
Ritter und den etwas kleineren. Dann besann  sich die Wirtin auf ihre 
tugendhafte Erziehung. Sie stieß einen schrillen Schrei aus und fiel 
schnell in Ohnmacht, weil sich das so geziemte. Ihr Mann fing sie 
auf, gab ihr einen Klaps auf die Pausbacken, und flugs erwachte sie 
wieder. Hildegard, die Maid dagegen, war noch jung und mit noch 
unruhigerem Blute, und sie vergaß ganz beim Anblick der Ritter, 
ohnmächtig zu werden. Sie starrte nur gebannt, wobei ihr zweites 
Paar Pausbacken heftig im Mieder wogte. 

Dann wandte ihnen der Ritter die Kehrseite zu, und sie verstanden 

die dezente Aufforderung und zogen sich zurück. Hildegard 
versuchte noch einen Blick zu erhaschen, doch ihre Mutter zerrte sie 
schimpfend weg und schloß die Tür. 

Roland tauschte einen Blick mit Isabella. Beide lachten. 

background image

Sie kleideten sich  geschwind an. Dann fesselte Roland den 

bewußtlosen Uli mit der Gardinenschnur und kletterte aus dem 
Fenster in den Hof hinab, um den zweiten Haderlumpen 
aufzusammeln. Der Kerl war unglücklich gefallen. Mitten in einen 
Misthaufen. Roland hielt sich die Nase zu, als er ihn aufklaubte. Er 
hatte ihn eigentlich mit aufs Zimmer nehmen wollen, um sich mit 
ihm und dem anderen zu unterhalten, wenn sie erwachten, doch den 
Gestank wollte er Isabella und sich dann doch nicht zumuten. 

So schleppte er den Burschen in den Stall und verschnürte ihn mit 

einem dicken Strick, den er in der Sattelkammer fand. 

Er betrat das Gasthaus durch die Hintertür, ging die Treppe hinauf 

und drängte sich an den gaffenden Gästen und den Wirtsleuten 
vorbei. Sie machten ihm schnell Platz, denn sein Parfüm gefiel ihnen 
nicht. Nur der Wirt stellte sich ihm mannhaft in den Weg. 

»Ich verlange eine Erklärung«, sagte er zaghaft und schnüffelte. 
»Und wir wollen den Schaden ersetzt haben«, keifte sein Weib. 
»Beides werdet Ihr bekommen«, sagte Roland. »Aber nicht jetzt, 

sondern morgen früh. Gute Nacht.« Damit schob er den Wirt zur 
Seite, ging ins Zimmer und schloß die Tür von innen ab. Flüchtig 
dachte er daran, daß er das vergessen hatte, bevor er sich ins Bett 
gelegt hatte, doch er verzieh sich selbst das folgenschwere 
Versäumnis. Die Kerle hätten genauso gut durchs Fenster einsteigen 
können. Weder er noch Isabella hätten das in ihrem Glückstaumel 
bemerkt. 

Isabella schnüffelte ebenso wie die Leute auf dem Flur, doch bei 

ihr sah es süßer aus. 

»Der zweite lag in einem Misthaufen«, erklärte Roland und blickte 

zu Uli, der noch nichts roch. 

Isabella zog ein kleines Flakon aus ihrer Kleidtasche. Sie tupfte 

etwas daraus auf ihre Hand und wischte Roland zärtlich damit über 
die Wange und unter die Nase. 

Der starke Duft überdeckte den Gestank. 
»Ein wunderbares Parfüm«, sagte Roland. »Ich dachte schon, es 

wäre eine vortreffliche Seife, nach der du duftest.« 

background image

»Beides habe ich davon«, sagte Isabella. »Es ist  Maja,  und es freut 

mich, daß es dir gefällt.« 

Sie warf einen Blick zu Uli. »Dieser Kerl ist einer der Räuber, die 

uns überfielen und mich entführten. Auch der andere war dabei.« 

Roland nickte. »Den einen habe ich wiedererkannt.« 
»Kannst du ihn  nicht wegschaffen? Es stört mich, von seiner 

Anwesenheit zu wissen, wenn wir den Schlaf fortsetzen.« 

»Es wird uns nicht stören. Aber erst einmal wird mir der Vogel 

zwitschern, was ich wissen will.« 

Und so war es dann auch. Uli zwitscherte, als er erwachte. Er war 

nun mal nicht der Tapferste, und er hatte Angst, Roland könnte ihm 
das Leben nehmen, obwohl der Ritter ganz freundlich zu ihm sprach. 
Er flehte um Gnade, und zwischendurch stammelte er alles, was 
Roland wissen wollte. Roland brachte ihn dann in den Stall zu 
seinem Kumpan. Er informierte den Wirt, und der war für drei 
Dukaten bereit, die Räuber gefangenzuhalten und seinen Sohn nach 
Schloß Camelot mit einer Botschaft von Ritter Roland zu schicken. 
Und er versprach, sogleich den Totengräber in den Wald zu 
schicken, um die beiden Toten abholen zu lassen. 

Es war nach Mitternacht, als Roland dann wieder zu Isabella ins 

Bett stieg. 

Und diesmal störte sie nichts, und sie schliefen dann erschöpft und 

glücklich ein, als der Hahn mit seinem Krähen bereits die Hennen 
weckte, auf daß sie sich sputeten, ihr Frühstücksei zu legen. 

»Trinkt einen Schluck«, sagte Gregor gönnerhaft zu Wenzel, der ihm 
die frohe Kunde gebracht hatte, daß sein Herr ein Drittel mehr 
bezahlen wolle. 

Wenzel nickte erfreut und nahm den Krug, den ihm der hünenhafte 

Räuberhauptmann reichte. Er setzte ihn an, trank einen herzhaften 
Schluck und hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Er wollte 
das Teufelszeug ausspucken, doch er hatte durstig geschluckt, und es 

background image

lief bereits die Kehle hinab. So hustete und würgte er, und sein 
Gesicht lief rot an. 

»Schmeckt es Euch nicht?« fragte Gregor mit verschlagenem 

Blick. Er sprach Wenzel sehr höflich an, denn er wußte, daß dessen 
Herr sehr auf Umgangsformen hielt und wollte vermeiden, daß sich 
dieser Fatzke über ihn beschwerte, was die Anrede betraf. 

»D-doch«, stammelte Wenzel, denn er hatte ein wenig Angst vor 

diesem finsteren Riesen. »A-allerdings nicht so sehr«, fügte er 
vorsichtig hinzu. 

Gregor zeigte grinsend sein kräftiges Gebiß. »Ein wahres 

Wundermittel«, erklärte er. »Ich kann Euch das Rezept verraten, 
wenn Ihr wollt. Im großen und ganzen besteht dieser Zaubertrunk aus 
Johanniskraut, Angelika, Baldrian, Enzian und Kamille  - alles gut 
gegen Blähungen.« 

Nun, Wenzel hatte keine Blähungen, und er schob hastig den Krug 

von sich. 

»Hinzu kommen Tausendgüldenkraut für die Potenz und 

Teufelskralle, Salz und Fliegendreck 

- das vertreibt die 

hartnäckigsten Winde nach Völlerei und Saufgelagen.« Wie zur 
Bekräftigung fügte er einen kurzen, prägnanten Furz hinzu und sagte: 
»Hört ihr?« 

Ja, Wenzel hatte es gehört, und es hielt ihn nun nichts mehr in der 

Hütte bei diesem Räuberhauptmann, den der Herr zu Recht als 
Primitivling bezeichnet hatte. 

Er erhob sich. Auch Gregor stand auf. Er überragte Wenzel um 

zwei Haupteslängen. 

»Was soll ich also meinem Herrn melden?« fragte Wenzel. 
Gregors Miene verfinsterte sich. Eine Unmutsfalte kerbte seine 

Stirn zwischen den buschigen Augenbrauen. Die Frage bereitete ihm 
Unbehagen, wartete er doch selbst auf ein Wort von seinen Mannen. 
Der Räuberhauptmann flüchtete sich in den Angriff, den er immer 
für die beste Verteidigung hielt. 

»Verdammt, er soll sich nicht in die Hosen machen! Die Sache 

wird schon zu seiner vollsten Zufriedenheit erledigt werden. Verflixt 

background image

und zugenäht, er soll sich gedulden! Ich erwarte jeden Augenblick 
die Vollzugsmeldung meiner Männer.« 

Wenzel nickte. Ganz wohl war ihm nicht zumute, und das lag nicht 

nur an dem Schluck von dem teuflischen Gebräu, das offenbar bei 
ihm eine andere Wirkung hatte als bei Gregor  - eher eine schweiß- 
als Wind treibende. Roderich würde fuchsteufelswild werden, wenn 
er wiederum vertröstet wurde. Aber da war nichts zu machen, er 
mußte ihm Farbe bekennen. Bedrückt verabschiedete er sich und 
wandte sich zur Tür. Dann  wurde er noch bedrückter, denn als er die 
Tür öffnen wollte, flog sie ihm entgegen, knallte ihm gegen die Stirn, 
und er flog rückwärts wieder in die Hütte. 

Nur verschwommen nahm er den Mann wahr, der wie der 

Leibhaftige in die Hütte sprang und jetzt ein Schwert in der 
vorgereckten Rechten hielt. 

Wenzel war noch zu benommen, um einen klaren Gedanken fassen 

zu können. Auf seiner Stirn wuchs eine Beule. 

Gregor war ebenso überrascht. Während er zum Dolch griff, 

verfluchte er grimmig den Wachtposten, der geschlafen haben 
mußte, denn sonst hätte er ihm jeden Besucher gemeldet oder 
unerwünschten Besuch vom Hals gehalten. 

Der Bursche schlief tatsächlich, doch er war in diesem Punkt völlig 

unschuldig. Er hatte heldenhaft kämpfen wollen, doch es war bei der 
Absicht geblieben. Denn der Besucher war so schnell und 
schlagkräftig gewesen, daß der Kampf schon zu Ende gewesen war, 
bevor der Wachtposten ihn richtig hatte anfangen können. 

Der Besucher war Ritter Roland. 
Und daß er mit der Tür ins Haus fiel, hatte seinen Grund. Er wußte 

von den gefangenen Räubern, wie gefährlich Gregor war. Um ihn 
überraschen zu können, hatte Roland den Wachtposten überwältigt. 
Er hatte sich angeschlichen und gerade in die Hütte spähen wollen, 
als er die Schritte gehört und jemand die Tür aufgezogen hatte. So 
hatte Roland schnell handeln müssen. 

Die Überraschung war zwar gelungen, doch Roland hatte nicht mit 

einem zweiten Gegner gerechnet. Nach Aussagen der beiden Räuber 

background image

hätte Gregor mit dem Wachtposten allein im Versteck sein müssen. 

Nun, der Kümmerling mit dem gescheitelten, fettigen Haar schien 

im Augenblick kein Gegner zu sein. Er hockte benommen auf dem 
Hosenboden und betastete seine Stirn. 

Doch Gregor war schnell. Es war nicht das erste Mal, daß er sich in 

einer solchen Situation sah, denn er wurde seit Jahren gesucht. Daß 
er immer davongekommen war, hatte er seiner Kampfeskraft, seiner 
Kaltblütigkeit und seiner Heimtücke zu verdanken. 

Sein Schwert lag auf dem Stuhl beim Tisch, drei Schritte entfernt  - 

zu weit im Augenblick. So riß Gregor seinen Dolch aus der 
Lederscheide und schleuderte ihn aus der Drehung heraus und auf 
den Mann, der mit erhobenem Schwert auf ihn zusprang. 

Er hörte einen Aufschrei und wirbelte bereits herum, um zu seinem 

Schwert zu gelangen. 

Nicht Roland hatte geschrien. Der unglückliche Wenzel hatte sich 

gerade aufrappeln wollen. Jetzt steckte der Dolch in seiner Schulter, 
und Wenzels Schrei erstarb. Dunkel wurde es um ihn. 

Roland hatte sich geistesgegenwärtig zur Seite geschnellt und war 

so dem Dolch um Haaresbreite  entgangen. Jetzt sprang er auf Gregor 
zu. 

Als der Räuberhauptmann, der offenbar glaubte, den richtigen 

Mann getroffen zu haben, ihm den Rücken wandte, hätte Roland ihm 
das Schwert in den Rücken stoßen können. Doch seine Ritterehre 
verbot ihm das. So ließ er zu, daß Gregor das Schwert vom Tisch riß 
und sich zum Kampfe stellte. 

In Gregors grünen Augen blitzte es triumphierend auf. Noch keiner 

hatte ihn im Schwertkampf besiegt. 

»Ich schlage dich in Scheiben!« brüllte er und griff vehement an. 
Roland parierte und trieb den Räuberhauptmann mit wuchtigen 

Schlägen zurück, bis er gegen den Schrank prallte. 

Gregors grimmige Miene nahm einen leicht verdutzten Ausdruck 

an, und die Narbe an seiner Wange schien eine Spur blasser zu 
werden. Er erkannte, daß er den Gegner unterschätzt hatte, und daß 
es nicht einfach werden würde. Wütend griff er wieder an. Er schlug 

background image

eine wilde Klinge, und es steckte Kraft hinter den Hieben, doch 
Gregor beherrschte nicht so elegant die Technik und ermüdete 
schneller. 

Hin und her wogte der Kampf. 
Roland wartete auf eine Blöße des Gegners. Er spürte, wie der 

Mann ermattete, denn seine Schläge kamen nicht mehr so schnell 
und hart. Doch Roland wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Die 
Zeit arbeitete für ihn. Er ließ sich von Gregor sogar in die Defensive 
drängen. Und prompt fiel er Räuberhauptmann darauf herein. Roland 
tat, als strauchelte er, als er gegen den Tisch zurückwich. Mit einem 
triumphierenden Schrei warf sich Gregor auf ihn zu, das Schwert 
vorgereckt, um ihm den Todesstoß zu versetzen. Doch daraus wurde 
nichts. Roland drehte sich blitzschnell zur Seite, und Gregor konnte 
seinen Schwung nicht mehr abbremsen. Er krachte gegen den Tisch 
und fand sich im nächsten Augenblick zwischen Scherben, einem 
Tischbein und Spritzern seines Zaubertrunks am Boden wieder. 
Sogar die Tabakspfeife und die Speckwürfel, die neben dem Met auf 
einem Teller gelegen hatten, sah er auf und neben sich  - nur von 
seinem Schwert sah er nichts. Es war ihm beim Sturz aus der Hand 
geglitten, und Roland hatte es mit einem schnellen Tritt aus der 
Gefahrenzone befördert. 

Gregor wollte aufspringen, doch da setzte ihm Roland schon das 

Schwert an die Kehle. 

Der Räuberhauptmann erstarrte. Er schielte zu der Klinge, und 

Furcht flackerte in seinen grünen Augen. Doch er flehte nicht um 
Gnade. 

»Töte mich und sei verdammt!« sagte er, zwar mit krächzender 

Stimme, doch erstaunlich ruhig. 

Roland schüttelte den Kopf. »Nicht durch meine Hand sollst du 

dein nichtswürdiges Leben verlieren«, sagt er. 

»Gregor blinzelte überrascht. Das verstand er nicht. Es wollte ihm 

einfach nicht in den Sinn, daß der Stärkere seinen Triumph nicht 
auskostete. Er selbst hatte noch nie einen Gegner verschont. »Was  - 
du willst mich am Leben lassen?« fragte er überrascht und 

background image

mißtrauisch. 

»Warum sollte ich dem Henker die Arbeit abnehmen?« erwiderte 

Roland. 

»Wer bist du?« 
Roland sagte es ihm. 
Gregors grüne Augen nahmen einen verschlagenen Ausdruck an. 
»Ein Ritter!« sagte er. »Hätte nie gedacht, daß das stimmt, was 

man über sie erzählt. War immer der Meinung, daß das meiste davon 
erstunken und erlogen ist.« 

Er schob die Schwertspitze zur Seite, als sei sie eine lästige Fliege, 

die es zu verscheuchen galt, und erhob sich. Der Kerl, der zuvor noch 
Todesangst gehabt hatte, wurde jetzt regelrecht übermütig. Er lachte 
sogar! 

»Na, ich wette, wir werden uns einigen, Ritter. Man hört, ihr 

verplempert 'ne Menge Dukaten bei Hof mit Weibern und Prunk. Ich 
zahle dir ...« 

Roland schüttelte den Kopf. Er hatte den Räuberhauptmann scharf 

im Auge behalten und sich nicht von dem betont entspannten Gerede 
ablenken lassen. Das war sein Glück. Denn mitten im Satz 
verstummte Gregor, wirbelte herum und schlug aus der Drehung 
heraus zu. Doch er traf Roland nicht. Statt dessen traf Roland ihn mit 
dem Schwert, und Gregor sank bewußtlos zu Boden. 

Roland fesselte die beiden Männer. Wenzel erwachte als erster. 

Seine Verletzung war  nicht gefährlich, doch der Bursche war äußerst 
wehleidig und glaubte, im Sterben zu liegen. Ritter Roland bemühte 
sich nicht, ihm das auszureden, sondern ermunterte ihn, noch sein 
Gewissen zu erleichtern. 

Das tat Wenzel dann. Und so erfuhr Ritter Roland das Geheimnis 

von Burg Hohenstolz, und ein Schauer des Entsetzens erfaßte ihn. 

Denn es war ein gar grauenvolles Geheimnis, und wenn es ihm 

nicht gelang, die Knappen und die Spanier noch vor Burg Hohenstolz 
einzuholen, fuhren sie vermutlich in den Tod ... 

background image

Arno von Berghe fluchte. Die Ankunft der Spanier war ihm gemeldet 
worden. Gregor mußte versagt haben, und auch Wenzel hatte sich 
nicht mehr blicken lassen. 

Jetzt war guter Rat teuer. Er blickte in den Burghof hinab, wo die 

Reiter und die Wagen hielten. 

Sie mußten weg  - doch wie? Wenn er sie auf der Burg beseitigen 

ließ, würde das einen Rattenschwanz von Nachforschungen zur 
Folge haben. Vermutlich würde sogar der König Nachforschungen 
anstellen lassen, damit es keinen Ärger mit Spanien gab, und dann 
würde das ganze Spiel auffliegen. 

Er fuhr herum, als es an der Tür klopfte. Seine Nerven waren ein 

wenig angegriffen, und er zuckte zusammen. Fahrig wischte er sich 
über die Stirn. Rudolf, der Diener, trat ein. 

»Wir haben die Spanier in die  -Burg gelassen, wie befohlen«, sagte 

er. 

»Das sehe ich, du Trottel«, grollte Arno von Berghe gereizt. 
Rudolf zog unbewußt den Kopf ein. Dicke Luft, dachte er, und er 

wußte warum. Er gehörte schließlich zum Kreis der Eingeweihten. 

Unruhig schritt Arno von Berghe auf und ab. Schließlich blieb er 

vor dem Gemälde stehen und starrte sein Ebenbild an. Ein Plan nahm 
Gestalt an. Ein kühner Plan, doch mit ein wenig Glück konnte er 
gelingen. 

»Ich werde sie als liebe Gäste begrüßen«, sagte er dann zu Rudolf. 
Rudolf starrte ihn offenen Mundes an. »Aber...« 
»Kein Aber. Geleite sie zu mir und gib allen Anweisung, daß sie 

wie Ehrengäste zu behandeln sind. Sag den Spitzeln Bescheid, sie 
sollen aufpassen, daß niemand vom Gesinde plaudert. Droht jedem 
an, daß er gevierteilt wird, wenn auch  nur ein Wort verlautet. Richtet 
die besten Kammern für die Gäste her und laßt die köstlichsten 
Speisen und Getränke auftragen. Schließlich sind die Spanier von 
hohem Stande.« 

Rudolf nickte. 
Arno von Berghe verschränkte die Hände hinter dem Rücken und 

ging wiederum unruhig auf und ab. Schließlich verharrte er. »Sorg 

background image

dafür, daß unsere Gäste keinerlei Kontakt mit den falschen Leuten 
bekommen! Nun, Spanisch versteht hier ohnehin keiner.« 

»Aber Alfons und Isabella sprechen Deutsch«, wandte Rudolf ein. 

»Außerdem haben sie deutsche Kutscher dabei.« »Behaltet sie 
ebenfalls im Auge. Ich werde schon einen Vorwand finden, wie ich 
die ganze Bagage in ein, zwei Tagen wieder loswerden kann. Na los, 
worauf wartest du noch? Sag den Spaniern, ich lasse bitten!« 

»Sehr wohl.« Eilig ging Rudolf. 
Arno von Berghe betrachtete noch einmal das Porträt. Dann setzte 

er eine leidende Miene auf und wickelte sich ein weißes Tuch um 
den Hals. Als dann die Besucher eintraten, lächelte er gequält und 
erhob sich wie ein schwerkranker Mann aus seinem Lehnstuhl. 

»Verzeiht mir, daß ich mich nicht selbst zum Tor bemühen 

konnte«, sagte er mit heiserer Stimme. »Mein Arzt bestand sogar 
darauf, daß ich das Bett hüten solle, doch bei solch lang erwartetem 
lieben Besuch hält mich nichts auf dem Krankenlager.« 

Galant begrüßte er als erste Maria von Cordoba. Sie reichte ihm 

etwas zögernd die Hand, vermutlich weil sie befürchtete, sich 
anzustecken. Dann begrüßte der Burgherr Alfons und die Zofe. 
Pedro, der Diener streckte ihm strahlend die Hand hin,  doch Arno 
von Berghe nickte ihm und den anderen Männern nur knapp zu. 

»Wo ist denn Isabella?« fragte verwundert. 
Alfons von Cordoba berichtete auf Spanisch, was sich ereignet 

hatte. Arno von Berghe nagte an der Unterlippe, setzte eine betrübte, 
aber auch etwas ratlose Miene auf. 

Rudolf, sein Diener, kam und brachte auf einem silbernen Tablett 

Wein und Gläser. Als alle die gefüllten Gläser in den Händen hielten, 
hob Arno von Berghe sein Glas und prostete den Gästen zu. 

»Auf die Gesundheit«, krächzte er und hüstelte ein paarmal. »Und 

auf das Wiedersehen. Salute.« 

Louis und Pierre sahen, daß die Spanier etwas verwirrt blickten. 
»Das müßt ihr mir ein wenig genauer erzählen«, sagte Arno von 

Berghe, als sie getrunken hatten. »Am besten auf Deutsch, damit ich 
es meinem Rudolf nicht zu übersetzen brauche und er es sogleich auf 

background image

der ganzen Burg verkünden kann.« 

Er streifte Louis, Pierre und die anderen Begleiter mit einem 

kurzen Blick und sagte: »Ihr alle werdet nach der langen Reise 
erschöpft und hungrig sein. Rudolf hat schon alles vorbereitet. Man 
wird euch gleich die Quartiere zuweisen.« Er wies auffordernd zur 
Tür hin. Alfons verstand. Er sprach kurz auf Spanisch mit Luis 
Hernandez und alle Spanier bis auf Maria und Alfons von Cordoba 
und die Zofe Linda verließen das Zimmer. Louis und Pierre 
schlossen sich an. Pierre warf noch einen sehnsüchtigen Blick zu 
Linda, die mit einem vielversprechenden Lächeln antwortete. 

Draußen sprach Pedro zornig vor sich hin. Die Knappen 

verstanden nichts, und es fehlte ein Übersetzer. 

Alfons von Berghe übersetzte dann Pedros zornige Rede, als er mit 

seiner Gemahlin und der Zofe eine halbe Stunde später von Arno von 
Berghe zurückkehrte. 

Pedro ärgerte sich, weil Arno von Berghe ihm nicht einmal die 

Hand gereicht hatte. Bei dem Besuch der Deutschen in Spanien war 
bei einem Ausflug das Boot gekentert, und Arno war in den Teich 
gefallen. Arno konnte nicht schwimmen, und Pedro hatte ihn 
aufgefischt. Arno hatte gesagt, das würde er ihm nie vergessen. Und 
jetzt war er so kühl und behandelte ihn wie Luft! 

Aber das war nicht das einzige, was die sichtlich verwirrten 

Spanier befremdete. 

Arno von Berghe hatte sich sehr verändert. Nicht im Aussehen, 

wenn man einmal von dem kleinen Leberfleck absah, sondern in der 
Art und in seinem Verhalten. 

Daß seine Stimme anders klang und daß er beleibter geworden 

war, mochte auf seine Krankheit zurückzuführen sein, 
beziehungsweise auf die Jahre. Schließlich hatten sie sich vor zwei 
Jahren das letzte Mal gesehen. Daß er bei seinem Leberleiden 
neuerdings Wein trank, war auch seltsam. Mehr aber noch der 
Umstand, daß er alles Spanisch verlernt hatte, obwohl er die Sprache 
doch fließend beherrscht hatte und stolz darauf gewesen war, sie 
anzuwenden. Allein deshalb  hatte Alfons ihm alles zuerst auf 

background image

Spanisch berichtet. Doch nicht einmal ein richtiges spanisches  salud 
hatte er gesagt, sondern ein italienisches  salute.  Zudem hatte er sich 
kaum über den Kampfstier gefreut, den sie ihm als Geschenk 
mitgebracht hatten. Er hatte nur säuerlich gelächelt und sich höflich 
bedankt. Dabei war er vernarrt in den Stierkampf, seit er einen in 
Spanien gesehen hatte. Er hatte damals sogar einen Kampfstier 
kaufen wollen. 

Außerdem war es befremdend, daß Egbert mit seiner Mutter bei 

einem Vetter im Westerwald weilte und erst in einem Monat 
zurückerwartet wurde. Noch im letzten Brief an Isabella hatte er 
geschrieben, daß er vor Sehnsucht vergehe und den Tag ihrer 
Ankunft kaum erwarten könne. 

Pierre und Louis tauschten besorgte Blicke. Louis fragte Alfons 

von Cordoba, ob sie sich vielleicht im Termin geirrt hätten. 

Alfons schüttelte ernst den Kopf, und dann faßte er in Worte, was 

alle dachten. 

»Mich dünkt bei alledem, daß da etwas nicht stimmt. Was wird 

hier nur gespielt?« 

Die Knappen erboten sich, eine Antwort auf diese Frage einzuholen. 
Sie wollten sich unauffällig umhören und des Rätsels Lösung finden. 

Als die Knappen allein waren, bat Pierre Louis dann händeringend, 

allein herumzuhorchen. Er sei hundemüde und müsse sein Geschwür 
am Gesäß behandeln. 

Louis grinste, als er beobachtete, wie Pierre sich kurz darauf in 

Lindas Kammer stahl, und er konnte sich denken, wie die 
Behandlung vonstatten ging. 

Louis gönnte es ihm. 
Er sprach dann mit dem Stallburschen, hörte sich unauffällig beim 

Gesinde um, doch so unverfänglich er seine Fragen auch stellte, er 
stieß auf eine Mauer des Schweigens. Er glaubte Angst in den 
Blicken der Leute zu sehen, wenn er die Sprache auf Arno von 

background image

Berghe, auf seine Krankheit oder gar auf sein verändertes Verhalten 
brachte. 

Der Verdacht, daß da etwas nicht in Ordnung war, verhärtete sich 

immer mehr, und Louis nahm sich vor, vorsichtig zu sein. 

Er überlegte, wie er am geschicktesten vorgehen konnte. Am 

besten versuchte er es noch einmal bei den Stallburschen. Da  hatte er 
einen plausiblen Vorwand, wenn er sagte, er wolle noch nach seinem 
treuen Roß sehen. 

Auf dem Weg zum Stall verharrte er plötzlich und tastete an seinen 

Kopf. Er vermutete schon, ein Vogel hätte da etwas auf sein Haupt 
fallen lassen, doch dann sah  er ein Papierkügelchen über den Boden 
kullern. Er blickte nach oben. Nein, kein Vogel hatte da mit Papier 
geworfen, sondern ein Vögelchen in Gestalt einer blonden Maid. Sie 
neigte sich aus einem Fenster des Gesindehauses und benahm sich 
recht seltsam. Sie schaute sichernd nach links und rechts über den 
Burghof, legte mahnend eine Hand auf die Lippen und gestikulierte, 
er solle näherkommen. 

Nun, eine solche Einladung von einer holden Maid hatte Louis 

noch nie abschlagen können. 

Er trat bis an den Rosenstrauch unter dem Fenster. Die Maid, auf 

den ersten Blick ein recht hübsches, dralles Ding, verschwand 
plötzlich am Fenster. 

Louis wartete ein wenig ratlos. War das eine Aufforderung 

gewesen, sie auf der Kammer zu besuchen? Louis hielt nach einer 
Tür oder Leiter Ausschau. Doch das war nicht nötig. Die Maid 
tauchte wieder am Fenster auf und warf ein zusammengeknülltes 
Papier hinaus. 

Die Wachen am Tor wurden gerade abgelöst, und die Maid zuckte 

am Fenster zurück, schloß es hastig und verschwand. Sie hatte 
erschrocken gewirkt. 

Louis stellte den Stiefel auf das Papier und schaute sich unauffällig 

um. Niemand schien ihm Beachtung zu schenken. So zog Louis eine 
Münze aus der Tasche und ließ sie fallen, um sie zusammen mit dem 
Papier aufzuklauben. 

background image

Er schlenderte weiter, und erst in der Passage zwischen den 

Stallgebäuden und dem Gesindehaus entfaltete er den Zettel und las: 

Großer bärtiger Unbekannter. Kommt sobald es dunkel ist, 

unauffällig zum Stall. Ich muß euch treffen, doch in meiner Kammer 
geht es nicht. Ich warte auf dem Heuboden. Paßt auf, daß Euch 
niemand sieht!
 

Louis steckte den Zettel in die Tasche. Das war ja eine nette 

Einladung! Teufel, der blonden Maid gefielen offenbar schwarze 
Bärte. Und sie redete nicht lange um den heißen Brei herum. Doch 
warum ging es nicht in ihrer Kammer? Eilig hatte sie es wohl auch, 
denn gerade ging die Sonne unter, und es dauerte nicht mehr lange 
bis zur Dunkelheit... 

Louis grinste vor sich hin wie ein Marder, der auf dem Weg in 

einen Stall mit besonders knackigen Hennen ist. Doch dann besann 
er sich auf seine Pflicht. Die Zeit bis zum Stelldichein im Heu konnte 
er noch nutzen, um herauszufinden, was hier auf der Burg los war. 
Doch so sehr er sich auch bemühte, er bekam keine Antwort auf 
seine geschickten Fragen. Er stieß auf Angst und Mißtrauen. 

Dann senkte sich die Dunkelheit über Burg Hohenstolz, und Louis 

wollte die blonde Maid nicht warten lassen. Vielleicht konnte er 
sogar etwas von ihr erfahren und das Angenehme mit dem 
Nützlichen verbinden. 

Sie wartete auf ihn im Stall, und im Schein der Stallaterne, der bis 

auf den Heuboden hinaufreichte, sah Louis, daß sie wirklich hielt, 
was sie auf den ersten Blick versprochen hatte. Sie hieß Adelgunde, 
wie er dann erfuhr, und sie hatte ein liebes Gesicht mit himmelblauen 
Augen und feingeschwungenen Lippen, die Sinnenfreude verrieten, 
und alles an ihr war frisch und fest und prall, wie es Louis gefiel. 

Doch sie war nicht auf ein schnelles Schäferstündchen gekommen, 

wie Louis erhofft hatte. Sie kam zwar gleich zur Sache, doch sie gab 
nicht ihre weiblichen Geheimnisse preis, sondern das Geheimnis von 
Burg Hohenstolz. 

Gebannt lauschte Louis Adelgundes geflüstertem Bericht. 
Arno von Berghe, der richtige, und seine Familie siechten seit 

background image

Monaten bei Wasser und Brot im Kerker dahin. Ebenso alle seine 
Vertrauten, die Schlüsselpositionen innegehabt hatten. Der falsche 
Arno von Berghe hieß Roderich und war ein Räuber wie Gregor. 
Roderich hatte sich die verblüffende Ähnlichkeit zu Arno zunutze 
gemacht, war durch eine Täuschung der Wachen in die Burg gelangt 
und hatte Arno von Berghe niedergeschlagen. Dann hatte er den 
Wachen den Befehl gegeben, die Reisegesellschaft in die Burg zu 
lassen, die vor der Zugbrücke Einlaß begehrt hatte. Das waren 
Roderichs Räuber gewesen, und sie hatten die Burg im Handstreich 
genommen. Seither saß dort Roderich mit seinen Gesellen, und er 
fühlte sich wie die Made im Speck. Der Räuber hatte Arno und seine 
Familie nur am Leben gelassen, weil er gelegentlich Unterschriften 
für Dokumente  brauchte, mit denen Roderich seine Position festigen 
und seinen ergaunerten Reichtum mehren wollte. Ganze Briefe 
schrieben Arno und seine Familie unter Zwang im Kerker. Sie 
mußten sich von Verwandten Geld borgen und schriftlich Leute 
abwimmeln, die ihren  Besuch ankündigten. Nur bei den Spaniern 
war das nicht gelungen. Sie hatten Arnos Brief zu spät erhalten ... 

Louis' Gedanken jagten sich. Klar, daß der falsche Arno für die 

Überfälle verantwortlich war. Entweder waren es seine Räuber 
gewesen oder er hatte sich einer anderen Bande bedient. 

Doch warum hatte der Schurke sie nicht gleich nach ihrer Ankunft 

gefangennehmen oder umbringen lassen? Weshalb spielte er den 
Spaniern die Rolle des richtigen Arno vor? Vermutlich befürchtete 
er, der Verdacht würde auf ihn fallen, wenn die Spanier auf der Burg 
verschwanden, und er wollte vermeiden, daß auf Hohenstolz 
Nachforschungen angestellt wurden. Schließlich lebte auch das 
Gesinde wie Gefangene auf der Burg und konnte plaudern. 
Adelgunde hatte gehört, wie Louis sich umgehorcht hatte. Sie war 
den richtigen von Berghes treu ergeben und sah in Louis den Retter, 
der das teuflische Spiel beenden konnte. 

Louis überlegte. Solange sich der falsche Arno nicht durchschaut 

sah, bestand keine Gefahr. Sie mußten so tun, als hielten sie diesen 
Roderich für Arno ... 

background image

Der Knappe dachte an Ritter Roland. Roderich hatte offenbar nicht 

gewußt, was aus Isabella geworden war. Ob es Roland gelungen war, 
sie aus den Händen der Entführer zu befreien? Nun, sie mußten 
abwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Sie mußten sich etwas 
einfallen lassen, wie einer von ihnen Hilfe holen konnte, ohne 
Roderichs Argwohn zu wecken. Das beste wäre, sie reisten so bald 
wie möglich ab und sorgten dafür, daß die Gefangenen befreit 
wurden ... 

Louis wurde aus seinen Gedanken gerissen, denn er spürte 

plötzlich Adelgunde an seiner Seite. Zuvor war sie recht scheu 
gewesen, doch jetzt drängte sie sich an ihn. 

»Da kommt jemand«, wisperte sie ängstlich. »Oh Gott.« 
Louis hörte die Schritte, die sich auf dem Stallgang näherten. 
»Ganz ruhig«, flüsterte er Adelgunde ins Ohr und legte einen Arm 

um ihre Taille. Sie lauschten. 

Die Schritte verklangen ganz in ihrer Nähe. Jemand pfiff etwas vor 

sich hin. Louis erkannte die Melodie. Es war eine Ballade, die 
Volker vom Hohentwiel, der berühmte Minnesänger und Rolands 
Freund, gedichtet und vertont hatte. 

Etwas klirrte, dann entfernten sich Schritte. Louis riskierte einen 

Blick und sah einen der Stallknechte mit der Stalllaterne in der Hand 
davonschlendern. Schließlich klappte eine Tür, und Louis und 
Adelgunde waren in völliger Dunkelheit wieder allein. 

»Oh Gott, ich dachte, mir bliebe das Herz stehen«, wisperte 

Adelgunde und atmete auf. Immer noch hielt Louis sie im Arm, und 
jetzt zog er sie noch näher an sich heran und sagte sanft: »Keine 
Bange, Jungfer, ich bin ja bei Euch.« 

Er streichelte leicht über ihr Haar. 
Sie zog sich nicht zurück, atmete nur etwas schneller, fast wie 

erregt. Da wurde Louis noch kühner, umfaßte ihr Kinn und küßte 
ihren Mund. Ihre Lippen waren weich und warm, und wenn 
Adelgunde von diesem Kuß überrascht war, so sagte sie es nicht. Sie 
sagte eine lange Weile überhaupt nichts. Er spürte, wie sich ihr 
Busen unter dem dünnen Leinenkleid heftig an seiner Brust hob und 

background image

senkte. 

Louis spielte Ringelreihn mit ihrer Zunge, und Adelgunde schien 

das zu gefallen, denn sie ging auf das Spiel ein. Und während ihre 
Begeisterung offenbar immer mehr wuchs, wuchs bei Louis etwas 
anderes - das Verlangen. 

Als sie schließlich beide Atem holten, lachte Adelgunde leise und 

sagte mit einer Stimme, die Freude verriet: »Ihr seid mir wohl ein 
rechter Schwerenöter!« 

Louis grinste in der Dunkelheit. »Sag Louis zu mir, Jungfer.« 
»Nenn mich Adelgunde«, flüsterte sie. »Und küß mich noch 

einmal. Dein Bart kitzelt so schön.« 

Nun, das ließ sich Louis nicht zweimal sagen. Er küßte sie, feurig 

wie ein Spanier, dachte er bei sich, und sie legte sich ob dieser 
Leidenschaft zurück ins Heu und zog ihn auf sich. Diese Adelgunde 
war ein recht unkompliziertes Mädchen mit heißem Blute, und eine 
Jungfer war sie auch nicht mehr, wie Louis bald feststellte. Sie war 
im Gegenteil recht erfahren in der Liebe. 

So vergaß Louis den Schrecken von Burg Hohenstolz und genoß 

ganz die Wonnen, die Adelgunde ihm bereitete. 

Adelgunde indessen glaubte vor Glück zu zerspringen. 

Louis dachte an Adelgunde, als er sich auf den Weg zu der Kammer 
begab, die der Diener ihm und Pierre zugewiesen hatte. Er glaubte 
noch Adelgundes zärtlich geflüsterte Liebesworte und ihre Seufzer 
der Wonne zu hören. Sie hätte gern die ganze Nacht mit ihm im Heu 
verbracht, doch sie hatte Angst gehabt, in der Küche vermißt zu 
werden, wo sie nach dem Abendessen zum Abwasch erwartet wurde. 

Louis glaubte noch ihr Versprechen auf ein baldiges Wiedersehen 

und auf mehr zu hören, als er die Tür der Kammer öffnete und 
eintrat. 

Deshalb hörte er nicht, wie ein Schatten von der Seite her auf ihn 

zuhuschte. Er verspürte nur einen Schlag auf den Kopf, und in der 

background image

dunklen Kammer schien es nach kurzem Flimmern von Sternen noch 
dunkler zu werden. Er spürte nicht mehr, wie er vornüber stürzte und 
mit der Stirn aufschlug. 

Als er zu sich kam, dröhnte sein Schädel, und er hörte ein Stöhnen. 

Er brauchte einen Augenblick, bis ihm klar wurde, daß er selbst es 
war, der da stöhnte, und daß er halb auf Pierre lag. Daß es Pierre war, 
erfuhr er erst, als er um sich tastete und Pierre ärgerlich zischte: 
»Nimm die Pfoten von meinem Hintern!« 

Louis zog die Hand zurück. Er wollte sich in der Dunkelheit in 

eine bequemere Position drehen und berührte etwas Weiches. Etwas 
Rundes. Pierres Knie? Nein etwas Nachgiebigeres mit einer Art 
Warze daran. Louis erschrak. Das war doch nicht Pierres andere 
Gesäßbacke mit dem Furunkel? 

»Laß meine Brust los«, sagte eine ärgerliche weibliche Stimme, 

und bevor Louis die Hand zurückziehen konnte, klatschte es auch 
schon. 

»Eh - ich war das - nicht!« ertönte Pierres empörte Stimme. 
Louis mußte trotz seines Brummschädels grinsen. Da hatte sich 

Pierre eine Ohrfeige eingehandelt, die Adelgunde eigentlich ihm 
zugedacht hatte. Denn es war unzweifelhaft Adelgundes helle 
Stimme gewesen. Seltsam, noch vor kurzem hatte sie wohlig 
geseufzt, als er das geküßt und gestreichelt hatte, was er im tiefen 
Dunkel zunächst für Pierres Knie mit Warze und dann für Pierres 
Pobacke mit Furunkel gehalten hatte. Nun, Adelgunde wußte wohl 
nicht, daß er es gewesen war. 

»Ich bin's - Louis«, sagte er. »Was ist passiert, Adelgunde?« 
Adelgunde stieß einen überraschten Laut aus und tastete nach 

Louis' Hand. Dabei erwischte sie Pierres Oberschenkel, doch Pierre 
beschwerte sich nicht. Ganz mucksmäuschenstill ließ er zu, daß 
Adelgunde mit zarten Fingern sanft über seinen Schenkel hinauf 
tastete. 

»Sie schnappten mich gleich, als ich dich verlassen hatte«, sagte 

Adelgunde. »Man hat uns im Heu belauscht.« 

»Ihr wart im Heu?« fragte Pierre neugierig. 

background image

»Wo sind wir hier?« erkundigte sich Louis, um abzulenken. 
»Im Kerker.« 
Louis fluchte wild, und Pierre machte ihn darauf aufmerksam, daß 

sie nicht allein waren. Rund drei Dutzend Personen hielten sich in 
dem kalten, engen Verlies auf, das allenfalls einem einzigen Dutzend 
bequemen Platz geboten hätte. Deshalb die Platznot, deshalb lagen 
die Gefangenen fast übereinander. Besonders schlimm war es in der 
Nähe der Tür, wo Louis lag. Roderichs Räuber hatten die 
Gefangenen, von denen die meisten bewußtlos gebracht worden 
waren, einfach hinter der Tür abgelegt, und erst nach und nach hatten 
sie sich etwas weiter in den Kerker hinein verteilt. 

»Man hat uns schon belauscht, als Senor Alfons seinen Verdacht 

äußerte«, sagte Pierre. »Da wußte dieser falsche Hund von Roderich, 
daß sein Spiel durchschaut war, und er handelte schnell, das heißt, er 
ließ handeln. Einen nach dem anderen überwältigten sie und 
schleppten ihn hier runter.« 

»Du weißt über alles Bescheid?« fragte Louis. »Haben die Räuber 

dir gesagt, was los ist?« 

»Die haben mir einen über die Rübe gezogen, ohne was zu sagen.« 

Pierre seufzte. »Nicht mal die Damen haben sie verschont, diese 
Kanaillen. Ich weiß alles von dem richtigen Arno von Berghe, der 
mit seiner Familie und allen Getreuen hier unter uns weilt.« 

Louis tippte sich an den dröhnenden Schädel. »Das hätte ich mir 

auch denken können. Mann, tut mein Schädel weh.« 

»Du Ärmster, sägte Adelgunde voller Mitgefühl. Pierre schloß die 

Augen. Eine Hand, unverkennbar eine zarte weibliche, streichelte 
seinen Oberschenkel. »Louis?« flüsterte eine Stimme, und es war 
klar, daß Hand und Stimme zusammengehörten. Louis tastete nun 
ebenfalls, orientierte sich an Adelgundes Busen und ertastete ihre 
Hand, zog sie an sich  - sehr zu Pierres Bedauern  - und drückte sie 
sanft. 

»Ja?« 
»Ich habe Angst. Was werden sie nun mit uns tun?« 
In diesem Augenblick ertönte ein schauriges Lachen, das durch 

background image

den Kerker hallte, daß es den Gefangenen kalt über den Rücken lief. 
Dann rief eine spöttische Stimme: 

»Das fragt ihr noch? Ihr werdet dort verrotten und verfaulen  - ihr 

alle!« 

Wieder war das schaurige Lachen zu hören. Dann entfernten sich 

schwere Schritte, und das Lachen verhallte. 

Louis drückte Adelgundes zitternde Hand. »Noch sind wir nicht 

verloren.« Er flüsterte, denn der Räuber mußte sie ja belauscht 
haben, und es konnte immer noch einen Lauscher geben. 

»Glaubst du an Wunder?« fragte Adelgunde ebenso leise. 
»Nein«, gab Louis zurück, »aber ich hoffe auf Ritter Roland!« 

Indessen hielt Roland Isabella in den Armen. Die Stunde des 
Abschieds nahte. Zumindest für eine Weile mußten sie sich trennen. 

Roland hatte Gregor und Wenzel ebenfalls zum Gasthof gebracht. 

Der pausbäckige Wirt hatte versprochen, auf die gefesselten 
Gefangenen aufzupassen und sie abzuliefern, wenn König Artus 
Männer schickte. Zudem hatte Roland eine Botschaft hinterlassen, in 
der er alles schilderte, was er von Gregors Räubern und vor allem 
von Wenzel erfahren hatte, der ja das Bindeglied zwischen Roderich 
und dem Räuberhauptmann gewesen war. 

Roland kannte also jede Einzelheit und wußte, welches Schicksal 

auf seine Knappen und die Spanier warten würde, wenn sie auf Burg 
Hohenstolz eintrafen. Wenzel hatte gesagt, sie würden entweder 
getötet oder in den Kerker geworfen  - doch der sei schon ziemlich 
überfüllt. 

Rolands Hoffnung, seine Knappen und die Spanier noch vor der 

Burg einzuholen, hatte sich nicht erfüllt. Sie hatten die Kolonne noch 
von einem Hügel aus gesehen, als sie in der Burg verschwunden war 
und sich das Tor hinter ihnen geschlossen hatte. 

Roland und Isabella waren in ein Wäldchen nahe der Burg geritten, 

um die Dunkelheit abzuwarten. Allein konnte Roland die 

background image

Gefangenen nicht befreien. Er mußte auf die Männer warten, die 
König Artus schicken würde und die Roland zu diesem Wäldchen 
bestellt hatte. Doch Roland war entschlossen, bis zum Eintreffen der 
Männer schon die Lage zu sondieren und einen Plan zur Befreiung 
auszuarbeiten  - zumindest Arno von Berghe und seine Familie mußte 
noch am Leben sein, nach dem, was Wenzel erzählt hatte. Roland 
wollte sich in der Nacht in die Burg einschleichen und alles 
ausspionieren. Er hoffte, Kontakt mit den Knappen aufnehmen zu 
können  - wenn sie noch lebten  - und den Spaniern die Sorge um 
Isabella zu nehmen. 

Isabella. Sie hatte ihn in diesen Stunden alle Gregors und 

Roderichs der Welt vergessen lassen. Jetzt lagen sie ermattet und 
glücklich im Moos und hielten sich umschlungen, als gehörten sie für 
immer zueinander ... 

»Und Egbert...?« 
Roland wußte gar nicht, daß er diesen Gedanken aussprach. 
Isabella schmiegte sich fester an ihn. 
»Ich liebe ihn nicht. Er hat sich unberechtigte Hoffnungen 

gemacht. Das wollte ich ihm klarmachen. Bei diesem Besuch wollte 
ich ihm Lebewohl sagen ...« 

Eine Weile schwiegen sie. Isabella streichelte sanft über Rolands 

Brust. 

»Könntest du dir ein Leben mit mir vorstellen?« fragte sie leise. 
»Ja«, erwiderte Roland, ohne nachzudenken. 
Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Sag nichts mehr. Du 

müßtest mit mir in Armut in einem fremden Lande leben, denn nur 
ein gebürtiger Spanier darf das Erbe derer von Cordoba antreten ...« 

Wieder herrschte eine Weile Stille. Roland wollte gerade sagen, 

daß er schon für sie sorgen könnte und daß sie vielleicht in 
Deutschland bleiben könnten, doch Isabella kam ihm zuvor. 

»Außerdem bist du König Artus und Camelot verpflichtet«, fuhr 

Isabella fort, »und du liebst dieses Land. Ich dagegen bin meiner 
Familie verpflichtet und muß in Spanien bleiben ...« 

»Isabella ...« 

background image

Sie verschloß ihm den Mund mit einem glühenden Kuß. »Laß uns 

nicht an die Zukunft denken, laß uns jetzt glücklich sein«, wisperte 
sie dann an seiner Wange. 

Er konnte es kaum glauben, schon wieder entfachte sie das Feuer 

der Leidenschaft in ihm. 

Eine Eule blinzelte auf die beiden Liebenden hinab und grinste vor 

sich  hin. Dann nahm sie den Schatten war, riß weit die Augen auf 
und stieß einen warnenden Ruf aus. 

Doch Ritter Roland hörte nichts außer Isabellas zärtlichen 

Liebesworten und dem Trommeln seines Herzens. 

»Te quiero, te quiero ...  Der Hieb mit der Keule riß Roland und 

Isabella aus ihrem Glückstaumel. Roland sank mit einem ächzenden 
Laut vornüber, hörte noch Isabellas Schrei des Entsetzens, und dann 
wurde es dunkel und still um ihn. Irgendwann dann glaubte er 
Schalmeienklang zu hören. Elfen tanzten auf einer vom Mondschein 
versilberten Wiese und sangen dazu. Spanische Lieder. Trolle 
schlugen kichernd Purzelbäume, und der frechste von ihnen, der ein 
Gesicht wie der Räuberhauptmann Gregor hatte, gab ihm eine 
Ohrfeige. Roland fegte ihn mit der Hand fort, und der Troll flog fort. 
Schimpfend rannten die anderen Trolle ebenfalls weg. Die Elfen 
wiegten sich im Kastagnettenklang. Sie sahen alle aus wie Isabella, 
und das Mondlicht schimmerte auf ihren nackten, schlanken 
Körpern. Eine der Isabellas schwebte graziös auf ihn zu.  Te quiero, 
te quiero  
sang sie, und Roland wurde von einem heißen 
Glücksgefühl durchpulst. Er wollte nach ihrer Hand greifen, doch 
dann löste sich die Elfe plötzlich auf. »Isabella, Isabella!« schrie er. 
»Bleib bei mir!« 

Doch anstelle von Isabella tauchte ein Gesicht vor ihm auf. Eine 

höhnisch verzerrte Fratze mit Hörnern. Und aus der Fratze formte 
sich ein Stierkopf. Der Stier senkte die blutigen Hörner und 
schnaubte, und aus den Nasenlöchern schlug Roland glühender Atem 
ins Gesicht. 

»Ich werde dich zermalmen, du Hundsfott!« brüllte der Stier, und 

die restlichen Elfen verwandelten sich in Räuber und lachten 

background image

schaurig. Und dann donnerte der Stier auf ihn zu, wuchs rasend 
schnell  wie eine tödliche Lawine auf Roland zu. Er wollte zum 
Schwert greifen, doch er hatte keines. Abwehrend riß er die Hände 
hoch und rollte sich zur Seite. Er prallte gegen etwas Hartes und stieß 
sich den Kopf. Doch der Stier war plötzlich verschwunden. 

Blinzelnd öffnete Ritter Roland die Augen. Sonnenschein blendete 

ihn. Er nahm verschwommen Gestalten wahr, die ihn überragten. 
Und wie aus weiter Ferne hörte er ein Stampfen, Klirren und Brüllen. 
Der Stier? 

Ja, das war in der Tat das Brüllen eines Stiers. Die Gesichter über 

ihm wurden deutlicher. Eine der Gestalten neigte sich etwas vor und 
starrte auf ihn hinab. 

Roland erschrak. Das war ein bekanntes Gesicht. 
Gregor, der Räuberhauptmann. 

»Er kommt zu sich«, sagte Gregor. 

Roland tastete stöhnend an seinen schmerzenden Kopf. Etwas 

Klebriges in den Haaren und eine Beule. Er schloß die Augen und 
kämpfte gegen das Gefühl der Übelkeit an. Es war ihm, als tasteten 
Spinnenbeine in seinem Magen herum. Etwas krachte gegen seine 
Hüfte. Schmerzen zuckten bis in seine Zehen hinab. 

Vielleicht waren es der Tritt und die Schmerzen, die Roland 

vollends zur Besinnung brachten. Schlagartig setzte die Erinnerung 
ein, und er riß die Augen auf, drehte sich und packte zu. 

Er hörte einen überraschten Aufschrei, als er an dem Stiefel  riß. 

Dann einen Aufprall, und als sich die wogenden Nebel vor seinen 
Augen lichteten, sah er, daß Gregor neben ihm auf dem Hosenboden 
saß. Roland hatte den Räuberhauptmann zu Fall gebracht. Gregors 
wüstes Gesicht war vor Wut verzerrt. Er sprang auf und zückte sein 
Schwert. Er wollte Roland töten. 

Roland erkannte, daß er keine Chance mehr hatte. Er war noch zu 

sehr geschwächt und waffenlos. Hilflos lag er am Boden und sah, 

background image

wie das Schwert des Räubers in der Sonne aufblitzte, wie die Klinge 
auf ihn zustieß. 

Aus! durchfuhr es ihn. 
Er hörte Isabella aufschreien. Sie war also ebenfalls 

gefangengenommen worden. Da gebot eine scharfe Stimme Einhalt, 
und die Schwertspitze verharrte an Rolands Kehle. 

Roland wandte den Kopf. Er sah Isabella. Sie bäumte sich im Griff 

zweier stämmiger Männer auf. Sie war schreckensbleich. Sie trug ihr 
eingerissenes Kleid. Sie wehrte sich jetzt nicht mehr. Sie blickte 
Roland stumm und voller Liebe an. 

»Diesem Kerl haben wir das alles zu verdanken!« sagte Gregor 

schweratmend, und seine grollende Stimme hallte über den Burghof. 

»Dafür wird er auch büßen«, sagte eine andere Stimme. 
Roland faßte den Mann ins Auge. Ein großer, untersetzter Mann in 

eleganter Samtkleidung, die mit Stickereien verziert war. Braune 
Augen, eine große, spitze Nase und ein kantig vorgerecktes Kinn. 
Das mußte Roderich sein, der falsche Arno von Berghe. 

»Aber er wird keinen schnellen Tod durch das Schwert haben«, 

fuhr der Kerl fort. »Er wird langsam sterben, ganz langsam. Ich 
denke da an Daumenschrauben, an die Streckbank und an all die 
anderen hübschen Dinge aus der Folterkammer ...« Er zählte einige 
auf, und Roland fröstelte trotz der Morgensonne. 

Gregor zog grinsend sein Schwert zurück. »Du hast recht, alter 

Freund. »Das wird ein feines Fest. Und fast hätte ich uns den Spaß 
verdorben!« er schüttelte den Kopf, als wollte er sich selbst tadeln. 

»Wie hast du dich befreit?« fragte Roland. 
Gregor grinste breit, und die Narbe an seiner Wange schimmerte 

tiefrot. »Das war nicht schwer. Ich konnte den Burschen 
überwältigen, der mir einen Napf mit Schweinefraß in den Stall 
brachte. Ich hätte auch noch die anderen befreit, doch ich mußte 
türmen, denn der Bengel schrie Zeter und Mordio, und das ganze 
Dorf lief zusammen. Da schnappte ich mir ein Pferd und haute ab. 
Ihr beide hattet gerade eine halbe Stunde Vorsprung. Ich brauchte 
nur eurer Fährte zu folgen. Und später fand ich euch dann im Wald. 

background image

Ihr wart so miteinander beschäftigt, daß es ein leichtes war, euch zu 
überraschen. Er warf einen Blick zu Isabella. »Gerne hätte ich dieses 
prächtige Vögelchen für mich behalten, doch ich dachte an meinen 
Freund Roderich und sagte mir, ein kleines Versöhnungsgeschenk 
könnte nicht schaden, nachdem meine Männer versagten.« Die Idee 
stammte im Grunde von Uli, der im Stall erzählt hatte, daß sie ihm  - 
Gregor  - Isabella hatten bringen wollen. Doch davon brauchte 
Roderich nichts zu wissen. 

Roderich lachte leise. »Da dachtest du richtig, mein Freund. 

Nachdem ich nun meine Pläne ändern mußte, trage ich mich mit dem 
Gedanken, mir ein Täubchen als Burgherrin anzulachen. Warum kein 
spanisches Täubchen? Sie wird nach Spanien schreiben, daß sie mich 
heiratet und mitsamt ihren Verwandten auf Burg Hohenstolz bleibt. 
So erspare ich mir einen Haufen Probleme.« 

»Niemals!« schrie Isabella auf. 
Roderich lachte ungerührt. »Es bleibt dir keine andere Wahl, 

schönes Kind, willst du nicht das Leben deiner Eltern und Landsleute 
aufs Spiel setzen. Wirst du meine Gemahlin, darfst du sie des 
Sonntags im Kerker besuchen. Wirst du es nicht, bleibt  dir nur der 
Besuch ihrer Gräber.« 

Roland sah die Verzweiflung in Isabellas schönen Augen, und der 

Anblick schnitt ihm ins Herz. Ihn ohnmächtigem Zorn ballte er die 
Hände. 

»Außerdem«, fuhr Roderich fort, »wirst du dir dein Erbe auszahlen 

lassen und das gesamte Vermögen derer von Cordoba nach hier 
schicken lassen. All euer Besitz in Spanien wird verkauft, und so 
werden wir reich und glücklich auf Burg Hohenstolz leben.« Sein 
Blick tastete wohlgefällig über ihre Formen. »Du bist schön, mein 
Täubchen, und ich  wette, du bist auch nicht dumm und wirst mein 
großzügiges Angebot annehmen.« 

Dann verfinsterte sich seine Miene, und er blickte Gregor an. 
»Was hörte ich da eben  - du sagtest etwas in der Art, daß der da -«, 

er nickte zu Roland hin, »sich mit ihr beschäftigt hat. Sagtest du 
nicht bei deiner Ankunft, sie sei genau die richtige für mich?« 

background image

»Sie haben sich nur geküßt«, versicherte Gregor hastig, denn er 

kannte Roderichs Eitelkeit. »Und er hat sie dazu gezwungen! Das 
siehst du doch an dem zerrissenen Kleid. Der Wüstling wollte sie 
vergewaltigen, aber das habe ich verhindert.« 

Gregors Miene hellte sich auf. »Gut, gut, mein alter Freund. Du 

weißt, daß ich nicht gern die zweite Geige spiele. Nun, ich werde 
dich fürstlich belohnen und zu meiner rechten Hand ernennen.« 

Gregor grinste erfreut. Er hatte sich schon Sorgen um seine 

Zukunft gemacht. So blieb ihm erspart, sich neue Räuber für eine 
Bande zusammensuchen zu müssen. Ein fettes Leben in einer 
richtigen Burg  - das war doch etwas anderes, als in einer Hütte zu 
hausen und von der Hand in den Mund zu leben. Dann fiel ihm ein, 
daß Roland und Isabella ihm einen Strich durch die Rechnung 
machen konnten, indem sie Roderich sagten, was sich tatsächlich im 
Walde abgespielt hatte. Nun, dann würde er sie einfach der Lüge 
bezichtigen. Gut, daß er Roland von Isabella hatte ankleiden lassen. 
Wenn er den Kerl nackt abgeliefert hätte, wäre Roderich natürlich 
alles klar gewesen. Finster starrte Gregor Roland an. Der Kerl mußte 
verschwinden, und zwar schnell, bevor er auf die Idee kam, zu 
plaudern. 

Schnell gab Gregor seine ersten Befehle als zweiter Mann auf Burg 

Hohenstolz. 

»Laßt Roderichs Gemahlin los, ihr Dummbeutel!« fuhr er die 

beiden Männer der Wache an. »Und schafft mir den verdammten 
Ritter aus den Augen. Die Männer schauten fragend zu ihrem 
bisherigen Herrn. Sie hatten zwar alles gehört, doch sie wußten noch 
nichts mit der neuen Machtverteilung anzufangen. »Ritter?« sagte 
Roderich entgeistert. »Davon hast du mir ja gar nichts gesagt! Ist das 
tatsächlich einer?« 

»Ja, behauptet er jedenfalls, und in dem Gasthof sagte man es 

auch. Außerdem war er so blöde, mich zu verschonen, als er mich 
wehrlos vor dem Schwert hatte. Und man sagt doch, daß die Ritter so 
duselig sind. Aber was macht das schon für einen Unterschied, ob er 
nun ein Ritter oder ein Landmann ist? Beide furzen gleich.« 

background image

»Da hast du auch wieder recht«, sagte Roderich grinsend. Er gab 

seinen Männern einen Wink. »Hinfort mit ihm in die Folterkammer.« 

Die Männer ließen Isabella los und wollten Roland packen. 
»Nein!« schrie Isabella, und sie warf sich schluchzend vor 

Roderich auf die Knie. »Foltert ihn nicht! Laßt ihn am Leben! 
Bitte...»Roderich starrte auf sie hinab. Widerstreitende Gefühle 
waren in ihm. Einerseits schmeichelte es ihm ungemein, daß diese 
schöne Frau dort vor seinen Füßen lag, und er genoß das Gefühl der 
Macht. Andererseits nagten Zweifel in ihm, ob der Ritter und 
Isabella sich wirklich nur geküßt hatten. Sie bettelte für ihn, 
schluchzend, verzweifelt  - wie eine Liebende. Unschlüssig nagte er 
an seiner Unterlippe. Was sollte er tun? Wenn er ihr den Wunsch 
abschlug, würde sie ihn hassen und sich ihm nicht freiwillig 
hingeben. Und wenn er ihr den Wunsch gewährte und den Kerl am 
Leben ließ, würde dessen Schatten möglicherweise ständig zwischen 
ihnen sein. In seiner Eitelkeit vergaß der Räuber ganz, daß Isabella 
so oder so allen Grund hatte, ihn zu hassen. Er dachte nur daran, daß 
er Roland als Druckmittel nutzen konnte. »Bitte, laßt ihn leben!« 
flehte Isabella und blickte zu ihm auf. 

»Nun denn, schöne Frau«, sagte Roderich und schielte in ihren 

Ausschnitt. »Ich werde es mir überlegen, und es ist möglich, daß ich 
den Wunsch erfülle, wenn du dich ebenso entgegenkommend 
zeigst.« 

Isabella senkte den Kopf, und das Blut schoß in ihre Wangen. 
Heißer Zorn wallte in Roland auf, und als die Wachen ihn packen 

und hochzerren wollten, war es mit seiner mühsamen Beherrschung 
vorbei. Eher wollte er im Kampfe sterben, als daß Isabella ihren 
Stolz opferte und vor diesem Satan auf den Knien kroch. 

Er kämpfte tollkühn. Er packte den nächsten Wächter und 

wuchtete ihn gegen dessen Kumpan. Bevor die beiden überraschten 
Männer wußten, wie ihnen geschah, sanken sie zu Boden. Roland 
wirbelte bereits zu Roderich herum, der ebenso überrascht war wie 
alle anderen und über Isabella hinweg offenen Mundes zu ihm 
starrte. 

background image

Im nächsten Augenblick traf ihn schon Rolands Faust mitten auf 

die große, spitze Nase. Schreiend taumelte er zurück und fiel auf den 
Rücken. Mit einem mächtigen Satz war Roland bei ihm und schlug 
ihm links und rechts ins Gesicht. Dann fuhr er zu Gregor herum und 
verharrte mitten in der Bewegung. 

Gregor hielt sein Schwert in der Hand, und er brauchte nur noch 

zuzustoßen. Und ein halbes Dutzend Männer eilten heran, mit 
Lanzen, Schwertern und Keulen bewaffnet. 

Gregors Gesicht verzerrte sich. Er war entschlossen, Roland den 

Todesstoß zu versetzen. Doch Isabella war aufgesprungen, und sie 
schob sich zwischen Roland und die Schwertspitze. 

Indessen rappelten sich die Wachen und Roderich auf. Roderichs 

Nase sah etwas breiter aus und blutete, und er raste vor Zorn. 

Er war einen Moment lang benommen gewesen und hatte nicht 

mitbekommen, daß Gregor Roland vor dem Schwerte gehabt hatte. 
Er sah, daß Roland mit dem Rücken zu ihm stand und einen Arm um 
Isabella legte. 

»Feiger Hund!« brüllte er. »Versteckt sich hinter einem 

Weiberrock!« 

Roland schob Isabella sanft zur Seite. Furchtlos blickte er Gregor 

an und drehte ihm dann verächtlich den Rücken zu, um sich 
Roderich zuzuwenden. 

»Der feige Hund bist du!« sagte er ruhig. »Ohne all deine Männer 

würdest du jetzt zu meinen Füßen liegen und um Gnade winseln, du 
Wurm.« 

Einen Augenblick lang sah es aus, als wollte sich Roderich auf ihn 

stürzen. Doch dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er zog ein 
Seidentuch aus der Tasche und tupfte sich Blut von der Nase. 

»Schafft ihn mir aus den Augen«, sagte er. »Werft ihn in die 

Folterkammer. Spannt ihn auf die Streckbank.« 

»Nein!« schluchzte Isabella. 
»Doch«, sagte Roderich, als seine Männer zögerten. 
»Bitte!« flehte Isabella. »Ich tue alles, was Ihr wollt, wenn Ihr ihn 

verschont.« 

background image

Roderich war unschlüssig. »Du hast dich schon entschieden?« 
Isabella schwieg. Sie sah nur Roland an. 
»Nun«, setzte Roderich nach, »wenn du dich jetzt auf der Stelle 

entscheidest, mein Weib zu werden, so will  ich dir deinen Wunsch 
gewähren und dem Kerl eine faire Chance geben.« 

»Ihr laßt ihn leben?« 
Roderich zögerte. »Ich sprach von einer fairen Chance. Nun, er 

darf gegen den Stier kämpfen, und wenn er ihn tötet, ist er frei. Na, 
was hältst du von dieser Idee? Wie lautet deine Antwort?« 

»Ja«, sagte Isabella kaum hörbar. Sie war bereit, sich für Roland zu 

opfern. Aber sie hatte auch Hoffnung. Roland war gewiß kein 
Torero, aber sie hatte seine Tapferkeit und Kraft gesehen, und sie 
zweifelte keine Sekunde daran, daß er den Stier besiegen würde. 

Roderich grinste zufrieden. »Ihr habt es alle gehört«, rief er mit 

lauter Stimme, »Heute nacht wird Hochzeit gefeiert. Ich will ein 
großes Fest mit allem Drum und Dran. Eine Fiesta zu Ehren meiner 
Gemahlin. Und als Höhepunkt der Fiesta gibt es einen Stierkampf! 
Gregor, du sorgst mir dafür, daß hier im Burghof eine Arena errichtet 
wird. Und alle Gefangenen dürfen zuschauen, wie der Kerl da vom 
Stier zerfetzt wird. Hei, wird das eine Gaudi!« Er starrte Roland an. 
»Du solltest meiner Gemahlin dankbar sein, daß sie mich beschwatzt 
hat, dir diese Gnade zu bewähren.« 

Rolands Gedanken jagten sich. Er war noch angeschlagen, doch bis 

zum Abend würde er sich etwas erholt haben. Er verstand sich nicht 
auf den Stierkampf, doch er war überzeugt davon, mit einem Stier 
fertig zu werden. Schließlich hatte er sogar den Drachen Fasolt 
geschafft, und Gorgar, das menschliche Ungeheuer mit seinen 
Schlangen, hatte er ebenfalls bezwungen. Dieser Roderich war ein 
eitler Mann. Er wollte seine Schau haben, um vor seinen Mannen 
und vor Isabella zu protzen. Die Frage, ob er tatsächlich sein Wort 
hielt und ihn freiließ, wenn er den Stier besiegte, war zweitrangig  - 
daran glaubte Roland ohnehin nicht. Und selbst wenn er es tat, war 
damit weder Isabella,  noch den Knappen, noch den anderen 
Gefangenen geholfen. Aber er konnte Zeit gewinnen, wenn er sich 

background image

zum Kampf bereit erklärte, wertvolle Zeit, in der König Artus' Män-
ner etwas unternehmen konnten. Und wenn er erst einmal mit einem 
Schwert in der »Arena« stand, gelang es ihm vielleicht, Roderich zu 
überrumpeln, ihm das Schwert an die Kehle zu setzen und die 
Freilassung aller Gefangenen zu fordern. 

»Ich danke dir, Isabella«, sagte Roland aus seinen Gedanken 

heraus. »Aber ich werde nicht kämpfen.« 

Isabella blickte überrascht. »Was  - du bist zu feige?« brüllte 

Roderich. 

Roland schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Lust, für dich den 

Hampelmann zu spielen. Ich werde nur gegen den Stier kämpfen, 
wenn du alle Gefangenen freiläßt - und Isabella.« 

»Und dich wohl ebenfalls, du Witzbold«, höhnte Gregor. 
Roland blickte ihn kühl an. »Von meinem Leben sprach ich nicht. 

Ihr könnt mich töten, wenn ich den Stier bezwungen habe. Aber 
bevor ich kämpfe, will ich, daß die Gefangenen freigelassen 
werden.« 

Roland war überzeugt davon, daß Roderich niemals auf diese 

wahnwitzige Forderung eingehen würde. So blöde konnte er gar 
nicht sein. Doch Roland erhoffte sich, daß der Kerl bei diesem 
Gerede irgendein kleines Zugeständnis machte, das von Nutzen sein 
konnte. Wenn er  nur erlaubte, daß die Gefangenen nicht gefesselt 
dem Kampf zusahen, war schon einiges gewonnen. Sicherlich würde 
Gregor die Gefangenen nach dem Kampf wieder in den Kerker 
werfen lassen. Doch wenn sie erst einmal zur angeblichen 
Freilassung ohne Fesseln im Burghof waren, gab es vielleicht eine 
Möglichkeit zum Kampf. Schließlich waren die Knappen unter den 
Gefangenen, und wenn inzwischen die Männer von König Artus 
auftauchten. 

»In Ordnung«, sagte Roderich in Rolands Gedanken hinein. »Ich 

bin einverstanden.« 

Roland glaubte seinen Ohren nicht trauen zu können. Das konnte 

doch nicht wahr sein! 

Roderich weidete sich offensichtlich an Rolands Verblüffung. 

background image

»Du hast richtig gehört«, sagte er grinsend. »Ihr seid alle frei, 

wenn du den Stier besiegst. Mein Wort darauf.« 

Roland wußte, daß dieses Wort soviel galt wie ein Fliegenschiß. 

Doch er tat erfreut. 

Roderich genoß den Anblick der verdutzten Gesichter. Er gab 

seinen Männern einen herrischen Wink. 

»Bringt ihn in den Kerker. Er soll noch ein wenig ruhen, damit er 

bei Kräften ist und der Stier ihn nicht gleich im ersten Ansturm auf 
die Hörner nimmt.« Er winkte zwei Männern. »Andreas, Klaus, 
geleitet die zukünftige Herrin zu ihrem Gemach.« 

Isabella warf Roland noch einen Blick zu, bevor sie ihn 

fortführten. Hoffnung leuchtete in ihren schwarzen Augen. Sie 
klammerte sich wohl an den Gedanken, daß Roderich sein Wort 
halten würde. 

Sie folgte dann Andreas und Klaus. 
Roderich und Gregor blieben allein auf dem Burghof zurück. 
»Du willst ihn und die anderen doch nicht wirklich freilassen, falls 

er nicht auf die Hörner genommen wird?« vergewisserte sich Gregor 
und zwinkerte ihm wissend zu. 

»Doch«, sagte Roderich. 
Gregors Augen wurden groß und rund und sein Mund klaffte auf. 
Roderich lachte. »Aber er wird den Stier nicht besiegen, mein 

Lieber. Oder hast du schon mal einen Stierkampf gesehen, in dem 
der Torero einem bis aufs äußersten gereizten Kampfstier mit bloßen 
Händen gegenübertritt?« 

Roland hatte mit einer Teufelei gerechnet, doch auf den Gedanken, 
daß er waffenlos gegen den Stier antreten mußte, war er nicht 
gekommen. 

Da stand er nun, in der aus dicken Eichenbalken errichteten Arena, 

die von vielen Fackeln erhellt war. Alle Gefangenen standen in einer 
Ecke des Burghofes jenseits der dicken Eichenbohlen. Sie waren 

background image

nicht gefesselt, doch was nutzte das schon? Sechs Wachen mit 
Lanzen standen bei ihnen, und ein Entkommen aus der Burg war 
ohnehin unmöglich, denn Gregor hatte zusätzlich zu den beiden 
Wachtposten auf den Türmen noch zwei Männer innen vor dem ver-
rammelten Burgtor postiert, und überall im Burghof waren Roderichs 
Männer verteilt. 

Roland blickte zu dem Wagen, in dem der Stier brüllte und 

stampfte. Der Kampfstier war hungrig, doch das würde seine Kräfte 
nicht mindern. Soeben hatten zwei von Roderichs Räubern durch die 
Belüftungsschlitze den Stier mit Lanzen gestochen, und er brüllte 
noch wilder als zuvor, und der ganze Wagen erzitterte unter seinem 
Stampfen. Die schweren Eisenketten, an die er gebunden war, ließen 
sich von außen lösen. Die beiden Räuber waren gerade damit be-
schäftigt. Dann brauchten sie nur noch den massiven Eisenriegel 
wegzuschieben, und der Stier würde in die behelfsmäßige Arena 
donnern und dort nur Roland finden. 

Rolands Blick wanderte zu den Gefangenen. Isabella sah ihn 

ebenso stumm an wie die Knappen und die anderen. 

Sie hatten im Kerker überlegt, welche Teufelei Roderich vorhaben 

könnte, hatten Pläne geschmiedet und Hoffnung gehabt, Roderich 
irgendwie überlisten zu können. Doch alle Pläne basierten darauf, 
daß Roland zum Kampf  ein Schwert oder eine Lanze erhielt. Eine 
Version ihrer Pläne sah vor, daß die Gefangenen in diesem 
Augenblick einen Fluchtversuch unternehmen sollten, der natürlich 
erfolglos bleiben mußte, der aber die Wachen ablenken würde. Ro-
land hatte gehofft, sich im allgemeinen Durcheinander Roderich 
schnappen zu können. 

Sein Blick wanderte weiter. Roderich hatte sich einen Ehrenplatz 

herrichten lassen. Er thronte auf einem Podium nahe hinter den 
Eichenbalken. Zwei Männer mit Lanzen standen links und rechts 
vom Podium. Gregor saß bei Roderich. Außerdem der Pater, ein 
schlanker Mann in schwarzem Gewand und wallendem grauen Bart. 
Sie tranken Rotwein  - spanischen, den die Spanier als Gastgeschenk 
im Verpflegungswagen gehabt hatten. Der Pater prostete gerade 

background image

Roderich zu und sagte etwas, woraufhin Roderich dröhnend lachte. 

Dieser Satan! 
Dann erhob sich Roderich und hielt mit lauter Stimme eine 

spöttische Ansprache. Wie großmütig er doch sei, daß er einem 
verfluchten Hundsfott diese Chance gewähre. Alle seine Männer 
lachten. Der Pater werde für Roland beten, wenn man ihn in kleinen 
Stückchen zusammensammeln würde. Und anschließend würde der 
Pater ihn und Isabella trauen. 

Dann klatschte er in die Hände und rief zu den Männern beim 

Wagen. »Nun laßt die sanfte Kuh heraus, auf daß wir ein bißchen 
lachen können.« 

»Ich weiß nicht, ob das ein rechtes Duell ist«, sagte der Pater und 

nippte an seinem Rotwein. »Wird in Spanien nicht bewaffnet gegen 
den Stier gekämpft? Ich glaube, ich hörte mal so etwas.« 

Roderich lachte. »Da hörtet ihr richtig, Pater. Aber ich führe in 

deutschen Landen eine neue Variante ein, denn ich bin ein gar großer 
Tierfreund und will dem Stier die gleichen Chancen einräumen wie 
seinem Gegner.« Er grinst den Pater an. 

Der Pater kraulte seinen wallenden Bart. »Ich weiß nicht  - der 

Mann hat doch keine Hörner und ist nicht so schwer wie dieser 
gewaltige Bulle ...« 

»Papperlapapp«, sagte Roderich unwirsch. »Unser Torero ist ein 

Ritter und man erzählt wahre Heldentaten von ihm, wie mein 
abergläubisches Gesinde behauptet. Sogar einen Drachen soll er mit 
bloßen Händen bezwungen haben.« 

Er tippte sich vielsagend an die Stirn. »Nun, da kann er jetzt mal 

zeigen, welch ein tapferer Kämpfer er ist.« 

»Aber ...« begann der Pater. 
»Keine Widerrede! Ihr seid hier, um zu beten und nicht um zu 

nörgeln.« Roderich trank sein Rotweinglas aus und bedachte den 
Pater mit einem mißmutigen Blick. 

»Schon gut, schon gut«, sagte der Pater und hob beschwichtigend 

eine Hand. »Dieser Stierkampf ist noch nicht so bekannt in deutschen 
Landen. Daher verzeiht mir mein Befremden. Nun, sicherlich ist 

background image

Eure Variante für das Tier auch gerechter. Ich werde für den Ritter 
beten.« 

»Amen«, sagte Gregor spöttisch und wischte sich mit dem 

Handrücken Wein von den Lippen. »Betet nur, doch wenn Ihr mich 
fragt, ich halte zu dem Stier.« 

Der Pater tastete an seinem Gewand herum. »Verzeiht mir, ich 

habe mein Gebetbuch, in der Küche vergessen, wo Ihr mich  - Gott 
vergelt's - so großzügig mit Speis und Trank versorgen ließet.« 

»So holt es doch, wenn Ihr die Gebete nicht auswendig könnt«, 

brummte Roderich leicht spöttisch. »Aber beeilt euch, sonst kommt 
Ihr zu spät zu diesem ergötzlichen Schauspiel.« 

Der Pater nickte eifrig. Er erhob sich und eilte davon. 
»Dummkopf«, murmelte Roderich. »Er weiß noch nicht, daß er 

auch im Kerker landen wird.« 

Gregor nickte und schenkte Wein nach. 
Der Pater hatte am späten Nachmittag Einlaß begehrt und bei den 

Torwachen behauptet, er sei auf Burg Hohenstolz immer von Arno 
von Berghe bewirtet worden, wenn ihn sein Weg vorbeigeführt hatte. 
Dieser Schnorrer! Gregor hatte schon Anweisung geben wollen, ihn 
abzuweisen. Doch Roderich hatte Bedenken gehabt. Der Pater 
konnte argwöhnisch werden und sich fragen, weshalb Arno von 
Berghe auf einmal nicht mehr gastfreundlich war. Gerede konnte 
entstehen, das vermieden werden mußte. Außerdem kam der Pater 
gerade zur rechten Zeit. Es machte sich gut, wenn ein richtiger Pater 
ihn  - Roderich  - und Isabella vermählte. Da konnte später niemand 
sagen, daß die Ehe nicht rechtens sei. So hatte sich Roderich ent-
schlossen, Arno von Berghes Rolle zu spielen. Das war nicht 
schwierig gewesen, denn der Pater kannte Arno von Berghe gar nicht 
persönlich. Er war stets in der Gesindeküche bewirtet worden und 
hatte zu Speis und Trank vom Diener ein paar Dukaten als milde 
Gabe erhalten, wie er den Wachtposten erzählt hatte. 

Es ließ sich allerdings nicht vermeiden, daß er die Gefangenen sah 

und sich zusammenreimen konnte, was auf Hohenstolz gespielt 
wurde. So wollte Roderich ihn fortan auf der Burg gefangenhalten. 

background image

Roderich wandte sein Augenmerk zu dem Wagen. Die Männer 

hatten den Riegel fortgeschoben und sprangen hinter die 
Eichenbalken in Deckung. 

Im Wagen brüllte und stampfte der Stier. Doch mehr tat sich nicht. 
Alle starrten ebenso gebannt wie Ritter Roland zum Wagen. 
»Macht schon die Tür auf, ihr Hasenfüße!« brüllte Roderich. 
Die Männer zögerten. Dann faßte sich einer ein Herz und befolgte 

den Befehl. Das hätte er besser nicht getan. Denn als hätte der Stier 
nur darauf gewartet, raste er heraus, und die Tür knallte dem 
Unglücklichen gegen den Schädel und schmetterte ihn zu Boden. Der 
Stier sprang aus dem Wagen, eine gewaltige Masse Muskeln, Sehnen 
und Fleisch und Kraft, und der Boden erzitterte, als er mit gesenkten 
Hörnern auf Roland zuraste. 

Ein Aufschrei hallte über den Burghof. 
Noch zehn Klafter. 
Roland stand sprungbereit. 
Noch fünf Klafter. 
Konnte er es schaffen, dem Stier auszuweichen, der mit Urgewalt 

auf ihn zuraste? 

Roland schnellte sich im letzten Augenblick zur Seite. Doch eines 

der Hörner erfaßte ihn! 

Das Horn streifte ihn nur an der Schulter, doch die Wucht war so 

groß, daß Roland zur Seite geschleudert wurde und stürzte. Der Stier 
raste bis an die Bande aus Eichenbalken, und ein Stück der kurzen 
Kette knallte gegen das Holz. Trotz seiner Massen drehte sich der 
Stier gewandt und schnell und erfaßte mit rollenden Augen den 
Menschen, der dort am Boden lag. Er schnaubte wütend, senkte die 
Hörner und raste los. 

Und Ritter Roland lag, noch benommen von dem Sturz und 

waffenlos, am Boden! 

Allen stockte der Atem. Den Gefangenen vor Entsetzen, den 

Räubern vor Spannung. 

Das mußte das Ende des Kampfes sein. Nichts konnte den Stier 

aufhalten, und Roland konnte nicht mehr rechtzeitig auf die Beine 

background image

kommen. 

Der Stier schien ins Riesengroße zu wachsen. Der Boden unter 

Roland zitterte. 

Ritter Roland erkannte, daß er nicht mehr schnell genug 

aufspringen konnte. 

Er sah dem Tod ins Auge. 

»Der ist hin«, murmelte der Posten auf dem Turm, und es war klar, 
daß er nicht den Stier meinte. Gebannt wie alle anderen verfolgte er 
den Angriff des Stiers, der in zwei, drei Sekunden den am Boden 
liegenden Ritter rammen oder mit den Hörnern zerfetzen würde. 

Da knallte dem Posten etwas gegen den Kopf, und er glaubte, an 

Rolands Stelle von dem Stier getroffen worden zu sein. Ohne einen 
Laut sank er vornüber und dachte nichts mehr. 

Der Pater fing ihn auf und zog ihn hinter die Brüstung. Er warf 

einen schnellen Blick in die Arena hinab und erstarrte in jähem 
Entsetzen. 

Der Stier flog auf Ritter Roland zu. Aus! dachte der schlagkräftige 

Pater, der nicht daran gedacht hatte, sein Gebetbuch zu holen. Er 
schloß die Augen, und alles in ihm schien sich zu verkrampfen. 

Dann hörte er einen vielstimmigen Aufschrei. Er riß die Augen 

auf, und unsagbare Erleichterung erfüllte ihn. 

Roland rollte über den Boden und drehte sich wie von einem 

unsichtbaren Katapult geschnellt, und es war noch alles an ihm dran. 
Der Stier raste an ihm vorbei. Doch schon drehte er ab, senkte von 
neuem die Hörner und donnerte los. 

Es war nur ein Aufschub. Keine Frage, daß Rolands Kräfte eher 

erlahmen würden als die des Stiers. Früher oder später war er nicht 
mehr schnell genug ... 

Der schlagkräftige Pater nahm schnell das Schwert des 

Wachtpostens und hastete davon. Es kam auf jede Sekunde an. Er 
hörte wiederum einen Aufschrei der Zuschauer, doch es klang fast 

background image

jubelnd, nicht entsetzt, und er hoffte, daß Roland auch den nächsten 
Angriff überstanden hatte. 

So war es auch. Roland war rechtzeitig auf den Beinen gewesen 

und hatte sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit gebracht. 

Doch jetzt reizten die Räuber den Stier noch mehr. Sie warfen mit 

Steinen nach ihm. Der Stier drehte sich, schüttelte den massigen 
Schädel, und es sah aus, als hielte er nach neuen Gegnern Ausschau. 
Schaum troff von seinem Maul, und auf dem Horn, das Roland 
gestreift und eine tiefe Furche gerissen hatte, schimmerte Rolands 
Blut im Schein der Fackeln. 

Die Räuber johlten. 
»Gute Idee!« rief Roderich gegen den Lärm an. »Macht ihm noch 

ein bißchen Pfeffer, diesem lahmen Rindvieh!« 

Der Stier röhrte, konnte außer Roland keinen anderen Gegner 

innerhalb der Absperrung entdecken und setzte sich wieder in 
Bewegung. In diesem Augenblick geschah etwas unerwartetes. 

Roland sah plötzlich etwas Rotes in die Arena fliegen. Stoff. Der 

Stier änderte  schnell die Richtung und donnerte an ihm vorbei, 
während Roland sich zur Seite geschnellt hatte, was im Nachhinein 
betrachtet nicht mehr nötig gewesen wäre. 

»He, was soll das?« brüllte Roderich wütend und wandte den 

Kopf. Dann weiteten sich seine Augen. Isabella hatte sich die rote 
Bluse, die sie an diesem Abend trug, vom Leib gerissen und in die 
Arena geworfen. Jetzt bedeckte sie ihren Busen mit den Händen, 
doch die Wachen hatten ihren nackten Oberkörper natürlich gesehen 
und glotzten sie an. 

»Teufel, die Schau wird ja immer aufregender«, murmelte einer 

begeistert. 

Gregor lachte dröhnend. »Laß doch, Roderich! So wird das Vieh 

doch nur noch wilder! Jedes Kind weiß, daß ein Stier durchdreht, 
wenn er rot sieht!« Er schlug sich lachend auf die Schenkel. 

Auch die anderen fielen in das Lachen ein. 
»Ich will nicht, daß jeder mein Weib nackig sieht«, knurrte 

Roderich, doch dann hellte sich seine Miene auf, denn der Stier 

background image

wurde wirklich noch rasender. Er war so in Fahrt, daß er bald gegen 
die Bande geknallt wäre. Er konnte gerade noch schnaubend 
abdrehen, und noch schneller und wütender griff er von neuem an. 

Nun, Roland wußte nicht viel über die Zeremonie des 

Stierkampfes, der im fernen Spanien bei Hofe groß in Mode 
gekommen sein sollte. Roland ärgerte sich darüber, daß er im Kerker 
vergessen hatte, die Spanier nach Einzelheiten zu fragen. Auch er 
wußte, was geschah, wenn ein Stier rot sah. Aber er konnte sich 
denken, daß Isabella ihre Bluse samt Brusttuch nicht in die Arena 
geworfen hatte, um den Stier noch mehr aufzustacheln. Sie hatte das 
brüllende Ungetüm damit abgelenkt, und was ihr gelungen war, 
mußte ihm irgendwie auch gelingen. Er spürte bereits, wie seine 
Kräfte erlahmten, und er wußte, daß er auf die Dauer nicht gegen 
diesen Stier bestehen konnte. Die rote Bluse war für ihn so etwas wie 
der Strohhalm, an den sich ein Ertrinkender klammert. Er schnellte 
sich darauf zu, riß die Bluse hoch und sprang auf. Der Stier 
korrigierte ein wenig die Richtung, als Roland die rote Bluse weit zur 
Seite schwenkte. Doch er donnerte unaufhaltsam weiter. Roland 
wollte kein Risiko eingehen und schnellte sich zusätzlich zur Seite, 
denn er befürchtete, der Stier könnte ihm den Arm abreißen. Die 
Hörner zerfetzten die Bluse, und wenn Roland sie nicht 
geistesgegenwärtig losgelassen hätte, wäre er mitgerissen worden. 

Jetzt trug der Stier die roten Fetzen auf den Hörnern, schüttelte 

brüllend den massigen Schädel, und sie flatterten zu Boden. Wild 
rollte der Stier die Augen, wendete und griff von neuem an. 

Roderich lachte begeistert. 
»Na, hab ich's nicht gesagt?« frohlockte Gregor an seiner Seite. 

»Jetzt geht's erst richtig rund.« 

In diesem Augenblick flog ein zweites rotes Etwas in die Arena. 

Das Kleid der Zofe. Linda hatte es auf Isabellas Flehen hin vom 
Körper gerissen und geworfen. Und jetzt hatte sie kaum genug 
Hände, um ihre Blößen zu bedecken. Den Wachen quollen die 
Augen aus den Höhlen. 

»Wird ja immer besser«, murmelte der Kerl, der schon bei 

background image

Isabellas Bluse frohlockt hatte. 

»Zieht euch nur alle aus!« brüllte Roderich durch den Lärm. »Das 

rettet euren Favoriten nicht. Im Gegenteil!« 

Roland handelte schnell. Er sprang zu dem Kleid. Jetzt hatte er ein 

größeres Tuch als die Bluse. Und diesmal wollte er es sich nicht aus 
den Händen reißen lassen. Er hielt es mit beiden Händen weit von 
sich und starrte dem heranrasenden Stier in die blutunterlaufenen 
Augen. Ja, der Stier änderte ein wenig die Richtung. Im letzten 
Sekundenbruchteil riß Roland das Kleid hoch, und der Stier donnerte 
an ihm vorbei. 

Roderichs Lachen erstarb. 
»Bravo!« schrie Isabella, und die Spanier brüllten alle 

durcheinander, was recht begeistert klang. 

Niemand sah, wie der Pater wiederum seine Schlagkraft bewies, 

indem er den zweiten Posten auf dem Turm mit einem einzigen Hieb 
niederstreckte. Auch diesen Mann fing  er auf und legte ihn ab. Dann 
winkte er zum Burggraben hinab und stieß einen Vogelschrei aus, 
bevor er davonhuschte. Im Dunkel außerhalb des Fackelscheins war 
er in dem schwarzen Gewand kaum zu erkennen. 

Roland schöpfte neue Hoffnung. Er hatte erkannt, daß er den Stier 

auf diese Art mit dem roten Tuch ablenken konnte. Doch wie lange 
würde das gutgehen? Wie lange dauerte es, bis solch ein Kraftkoloß 
ermüdete? Er selbst war in Schweiß gebadet, sein Schädel dröhnte, 
und Blut lief über seine Schulter. Seine Hände zitterten, und seine 
Knie waren weich, als er wiederum das Kleid schwenkte. Der Stier 
lief ins Leere. 

»Macht dem Mistvieh Feuer!« brüllte Roderich ärgerlich, und 

seine Räuber warfen wieder mit Steinen. 

»Lange hält der Kerl das nicht mehr durch. Der kippt ja schon fast 

von alleine um«, sagte Gregor zuversichtlich. »Da!« 

Entsetzt schrien die Gefangenen auf. Denn diesmal hatte der Stier 

noch im letzten Sekundenbruchteil den Schädel zur Seite gerissen 
und mit einem Horn das Kleid aufgespießt, und Roland war zu 
überrascht, um schnell genug loszulassen. Der Stier verfehlte ihn 

background image

zwar, doch Roland wurde von dem Ruck zur Seite gerissen, 
strauchelte und stürzte. Und er hatte das Gefühl, daß er zu 
mitgenommen war, um noch einmal auf die Beine zu kommen. Sein 
Herz hämmerte, und vor Schwäche wurde ihm fast übel. 

Der Stier drehte sich brüllend im Kreis und schüttelte wild den 

Kopf, um das rote Tuch loszuwerden. Das gelang ihm. Er stampfte 
das Kleid in Fetzen. Und dann erfaßte er die Gestalt und setzte sich 
in Bewegung. 

»Jetzt ist er reif!« frohlockte Roderich und starrte gebannt in die 

Arena. Unwillig wandte er den Kopf, als ihm jemand auf die Schulter 
tippte. 

Es war der Pater. 
»Was ist...?« begann Roderich barsch. Dann verstummte er jäh. 

Denn der Pater in dem langen schwarzen Gewand hielt kein 
Gebetbuch in der Hand, sondern einen Dolch. Im nächsten 
Augenblick packte er auch schon Roderich mit der Linken, 
umklammerte ihn mit hartem Griff und setzte ihm mit der Rechten 
den Dolch an die Kehle. Roderich wurde stocksteif. 

Zugleich geschah vieles gleichzeitig. Auf dem Wehrgang und den 

Türmen tauchten Männer auf, nur vage in der Dunkelheit zu 
erkennen, weil im Burghof der Fackelschein blendete. Es waren 
Bogenschützen und Schwerterkämpfer in Kettenhemden. 

Aus den Fenstern über den Köpfen der Gefangenen und ihrer 

Bewacher sprangen Männer hinab und rissen die überraschten 
Wachen zu Boden. 

»Ergebt euch, ihr habt keine Chance!« hallte eine Stimme über den 

Burghof. 

Nur zwei hörten nicht darauf. 
Gregor und der Stier. 
Gregor zückte sein Schwert und wollte den Mann angreifen, den er 

für einen Pater gehalten hatte. 

Da traf ihn ein Pfeil, und er stürzte röchelnd zu Boden. 
Der Stier flog förmlich auf Roland zu, doch Roland war nicht mehr 

waffenlos. 

background image

Einer der Männer auf dem Wehrgang hatte ihm ein Schwert 

zugeworfen. Zugleich schössen zwei Bogenschützen auf den 
rasenden Stier, um Roland vor dem Tod zu bewahren, denn sie 
sahen, daß er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Doch in 
der Hast trafen sie nicht gut. Ein Pfeil prallte von einem Horn ab, und 
der zweite blieb schräg im Fell stecken und baumelte auf dem 
gewaltigen Körper herum wie eine große Stecknadel. So wenig 
Wirkung schien der Pfeil auch zu haben. Roland glaubte den heißen 
Hauch des Todes zu spüren, als der Stier schnaubend nahte. Im 
letzten Augenblick sprang Roland zur Seite, drehte sich so schnell er 
konnte und stieß dem Stier das Schwert in den Nacken. 

Der Stier brüllte, doch nichts sonst geschah. Mit dem Schwert im 

Nacken raste der Stier an Roland vorbei und wankte nicht einmal. 

»Ein Schwert!« schrie Roland. Sein Herz hämmerte, und er rang 

um Atem. 

Einer der Männer warf ihm ein Schwert zu. Ein anderer eine 

Lanze, doch sie landete zu weit fort. Mit einem schnellen Blick 
erfaßte Roland, wie der Mann mit dem schwarzen Gewand und dem 
Rauschebart Roderich einen Dolch an die Kehle hielt und wie seine 
Knappen und Männer in Kettenhemden die Wachen überwältigten. 

Dann richtete er sein Augenmerk wieder auf den Stier, der brüllend 

an den Eichenbalken wendete und mit rollenden Augen von neuem 
den Kopf senkte und losraste. 

Tief steckte das Schwert im Nacken des Stiers. Warum fiel das 

Ungetüm nicht um? Er mußte eine falsche Stelle erwischt haben. 

Roland wartete angespannt mit dem Schwert in der Hand. Er 

schwankte leicht und sah vor Schwäche den Stier ein wenig 
verschwommen im Schein der Fackeln. 

Ein paar Klafter vor Roland brach der Stier plötzlich zusammen, 

als sei er vom Blitz getroffen worden. Er stieß ein urgewaltiges 
Röhren aus, schüttelte den Kopf mit wild rollenden Augen, und Blut 
schoß aus seinem Nacken. Doch er kämpfte sich wieder auf. Er 
schaffte drei stolpernde Schritte und stürzte von neuem. Blut tropfte 
zu Boden. Wiederum schüttelte der Stier den Kopf, diesmal fast 

background image

menschlich resignierend und traurig - ein Anblick, der Roland rührte. 

Der massige gehörnte Schädel sank vornüber. Schnaubend 

versuchte der Stier noch einmal auf die Beine zu kommen, doch er 
schaffte es nicht mehr. Und Roland hatte das Gefühl, diese 
blutunterlaufenen Augen starrten ihn fast bittend an. 

Vorsichtig trat Roland neben den gewaltigen Körper und versetzte 

dem Tier den Todesstoß. Der Stier konnte nichts für diesen Kampf. 
Er war nur seinem Instinkt gefolgt. Menschen hatten ihn zu diesem 
Kampf getrieben. Und dieser gehörnte stolze spanische Bursche hatte 
weiß Gott sein Bestes gegeben. Genau betrachtet war er ein 
überlegener Gegner gewesen. Kein Mensch hätte  diesen prächtigen, 
kraftstotzenden Kerl ohne Waffe bezwingen können. Deshalb wollte 
Roland ihm ersparen, qualvoll zu verenden. 

»Viva! Via!« 
Ein vielstimmiger Jubelschrei hallte über den Burghof, als sich der 

Stier schließlich nicht mehr regte. 

Roland wischte sich mit zitternder Hand Schweiß von der Stirn. 

Seine Brust hob und senkte sich unter keuchenden Atemzügen. Seine 
Knie schienen aus Gummi zu sein, und er fühlte sich so ausgepumpt, 
daß er glaubte, es würde ihm jeden Augenblick schwarz vor Augen 
werden und er würde neben dem Stier zu Boden sinken. 

Immer noch hörte er spanische Jubelschreie, und dann erhob sich 

Isabellas Stimme über den Lärm. 

»Bravo, Torero! Schneide ihm die Ohren ab!« 
Sie rief es mit süßem bayerischen Klang, doch es war die 

Begeisterung der Spanierin in ihren Worten. 

Roland schüttelte leicht den Kopf. Er gab dem Stier einen leichten 

Klaps auf den Rücken. 

»Du hast tapfer gekämpft, Junge, und es tut mir leid, daß nur einer 

von uns überleben konnte. Ich habe noch nie einem besiegten Gegner 
die Ohren abgeschnitten  - und so sollst du auch deine behalten. 
Isabella wird das schon verstehen.« 

background image

Lange behielt der Stier die Ohren allerdings nicht. Nachdem die 
Männer von König Artus Roderich und seine Räuber in den Kerker 
geworfen hatten, gab es eine große Feier  - eine Fiesta, wie es die 
Spanier nannten. Bis in den neuen Tag hinein wurde gespeist, 
getrunken, gesungen und getanzt. 

Der echte Arno von Berghe, seine Familie und seine Getreuen 

hatten Tränen in den Augen und konnten es noch gar nicht so recht 
fassen, daß sie in Freiheit waren. Monatelang waren sie im Kerker 
eingesperrt gewesen und hatten schon alle Hoffnung aufgegeben. Sie 
feierten Roland, selbst der traurige Egbert, der inzwischen wußte, 
daß aus einer Hochzeit mit Isabella nichts werden würde. Roland 
lehnte bescheiden den Dank ab und sagte, er gebühre dem »Pater« 
und den Männern, die König Artus geschickt hatte. 

Der falsche Pater war niemand anders als Volker vom Hohentwiel, 

der berühmte Minnesänger. Rolands Freund war gerade auf Camelot 
gewesen, als Rolands schlimme Botschaft eingetroffen war. Sofort 
war er mit zwei Dutzend Reitern des Königs aufgebrochen. Als sie 
Roland dann nicht in dem Wäldchen angetroffen hatten, wie er in 
seiner zweiten Botschaft angekündigt hatte, war der listenreiche 
Volker auf die Idee gekommen, als Pater verkleidet in der Burg die 
Lage zu sondieren. Später hatte er dann einem der Männer von 
König Artus einen Zettel mit einer Botschaft in den Burggraben 
geworfen, in der er die Lage geschildert und Anweisungen gegeben 
hatte. Die Männer hatten gewartet, bis alle in der Burg vom 
Stierkampf abgelenkt gewesen waren, hatten sich dann 
angeschlichen, und Volkers Vogelschrei war dann das Signal 
gewesen. 

»Den Kampf konnte ich dir leider nicht ersparen«, sagte Volker 

lächelnd zu Roland, als sie um das große Feuer im Burghof 
herumsaßen. »Ohne diese Ablenkung hätten wir kaum so leicht in die 
Burg eindringen können. Aber du hattest ja reizende Unterstützung 
von den Damen.« Galant lächelte er Isabella und ihrer Zofe zu. Die 
beiden bemerkten es kaum, und sie waren wohl die ersten Frauen, 
denen Volkers charmante Worte und sein feuriges Lächeln 

background image

gleichgültig war. Isabella hatte nur Augen für Roland, und Linda nur 
für Pierre. 

Louis hatte sich übrigens kurz davongemacht, um nach den 

Pferden zu sehen, wie er gemurmelt hatte, und Adelgunde war kurz 
darauf ebenfalls verschwunden. 

Sie tauchten dann später wieder auf, als Volker seine flugs 

ersonnene Ballade vortrug, die er »Die Todes-Fiesta« getauft hatte. 

Louis und Adelgunde wirkten äußerst vergnügt. Die dralle, blonde 

Maid hatte Stroh im Haar, und Pierre hatte welches an der Hose, 
doch das sah keiner, weil aller Blicke auf Volker gerichtet waren und 
weil alle gebannt lauschten, selbst die Spanier, die nichts verstanden, 
aber offenbar von Volkers Lautenspiel und seiner einschmeichelnden 
Stimme angetan waren. 

Dann gab es noch zwei kleine Zwischenfälle. 
Irgendwann in der Nacht lief eine der Mägde aufgeregt zwischen 

den Feiernden herum und rief nach Louis. 

Louis, der gerade mit Adelgunde scherzte, blickte kaum auf. 
»Was ist los?« fragte er. 
»Das fragst du noch  - du verdammter, Kerl?« kreischte die Magd. 

Sie stemmte die Hände in die Hüften und starrte den Knappen mit 
zornblitzenden Kulleraugen an. Sie war ein junges, recht 
ansehnliches Ding mit blonden Zöpfen und kräftigem Körperbau. 
Und sie nahm kein Blatt vor das Schmollmündchen. 

»Erst einem Mädchen an die Unterwäsche gehen und dann mit 

einer anderen verduften  - das haben wir gern!«  schrie sie, und es 
klang gar nicht, als hätte sie es tatsächlich gern. Sie heftete ihren 
zornigen Blick auf Adelgunde, die blaß geworden war. »Ich werde 
dieser Ziege die Augen auskratzen!« 

Und schon stürmte sie auf Adelgunde zu. 
»Mal ein besonderer Stierkampf«, sagte einer der Männer lachend, 

als sich die beiden Mädchen in die Haare gerieten. »Sozusagen ein 
Kuh-Kampf«, flüsterte er seinem Nebenmann ins Ohr. 

Doch Louis ging entschieden dazwischen. 
Ein kurzer Wortwechsel, und das Mißverständnis klärte sich 

background image

schnell auf. Die Magd wollte im Dunkel von Louis überrascht 
worden sein. Ganz unangenehm war ihr diese lang dauernde Attacke 
nicht gewesen, wie sie leicht errötend zugab. Doch sie hatte just zu 
der Zeit stattgefunden, in der Louis und Adelgunde nach den Pferden 
geschaut hatten. Das gab Louis zu bedenken, und Adelgunde stellte 
trocken fest: »Du mußt schon einen anderen Louis meinen, du Ziege. 
Mein Louis leidet nicht an Geschmacksverirrung.« 

Die Magd kämpfte gegen Tränen an und schaute Louis genauer an. 

»Wenn ich's mir recht überlege«, gab sie ein bißchen zerknirscht zu, 
»einen Bart hatte er nicht. Und ganz so groß und breit war er wohl 
auch nicht. Aber im Dunkeln ...« 

»Hat er denn gar nichts gesagt?« fragte Louis amüsiert. 
»Nur seinen Namen  - später«, gestand die Magd. »Und noch so 

einiges, das recht fremdländisch klang.« Und mit einem Seufzen 
fügte sie hinzu: »Er war ein so feuriger Mann.« 

Nun, Louis hielt sich auch für recht feurig, doch pflegte er sich den 

Damen zu Beginn der Konversation vorzustellen und nicht hinterher, 
und das sagte er ihr. 

»Und was soll ich denn jetzt machen?« fragte sie kleinlaut und ein 

wenig beschämt. 

»Den richtigen Luis suchen«, schlug er ihr lächelnd vor, und er ließ 

in Gedanken das »o« fort, denn ihm schwante so etwas. 

Just in diesem Moment tauchte wie gerufen der spanische Luis auf. 

Feurig wie nie und wohl auch ein bißchen vom Wein angeregt, 
bedachte er den Knappen mit einem spanischen Wortschwall, bis 
ihm die Luft ausging. Dann wies er auf Louis und sich, holte tief Luft 
und präzisierte das gesagte mit einem zweifachen: »Duell - Duell!« 

Der Knappe Louis seufzte. Nun ließ es sich wohl nicht mehr 

vermeiden. 

Doch da rief die Magd entgeistert: »Das ist er! Ich erkenne ihn 

genau an der Stimme!« Und sie jubelte: »Luis!« und warf sich dem 
verdutzten Spanier an den Hals. Nun, auch er schien sie an gewissen 
Dingen wiederzuerkennen, und er vergaß schnell das Duell und ließ 
sich von ihr fortziehen. 

background image

Das Fest verlief dann weiterhin recht harmonisch, wohl auch für 

den spanischen Luis, denn er ließ sich in dieser Nacht nicht mehr 
blicken. Nur die Magd tauchte mal kurz auf, mit glühenden Wangen 
und strahlenden Augen, um einen Krug Wein und zwei Gläser zu 
holen. 

Später gab es dann Stierbraten für die anderen Feiernden, der allen 

vortrefflich mundete. Nur Ritter Roland aß nichts davon. Man hatte 
ihm zwar versichert, es sei ein anderer Stier geschlachtet worden, 
doch Roland hatte den Köchen angesehen, daß sie flunkerten. Und er 
glaubte noch den Ausdruck in den Augen des sterbenden Stieres  zu 
sehen, der nach seinem so tapferen Kampf dennoch besiegt worden 
war, und er hätte in dieser Nacht keinen Bissen davon 
heruntergekriegt. Er aß auch nichts von dem gebratenen Stierhoden, 
den Louis und Pierre nur so in sich hineinstopften, nachdem ihnen 
der Bratenmeister mit vertraulichem Zwinkern und einem Blick zu 
den Damen zugeflüstert hatte, das sei das Beste für die Manneskraft. 

Statt dessen aß Roland eine Schweinshaxe. Man hatte ihm 

versichert, daß die Sau ordnungsgemäß geschlachtet worden war und 
nicht noch lange hatte kämpfen müssen wie der spanische Stier. 

Später, im Morgengrauen, war Roland nach all den Strapazen 

erschöpft und müde und vom Wein berauscht. Vielleicht irrte er sich 
aus diesem Grund in der Zimmertür und schlüpfte statt in die 
Kammer, die ihm Arno von Berghe zugewiesen hatte, in die von 
Isabella. 

ENDE 

background image

Ritter Roland möchte Mitglied der Tafelrunde werden. Bis er jedoch 
in den exklusiven Club aufgenommen wird, ist es noch ein 
weiter  Weg.  - Fünfzig harte Aufgaben muß er für den König 
ausführen,  und dabei darf er keine unerledigt lassen. Ein hartes 
Brot für einen harten Mann. 
Diesmal schickt König Artus den Ritter mit dem Löwenherzen in 
die Grafschaft Trutzen. Dort soll er den verschwundenen 
Minnesänger Jacques d'Artagnac suchen. 
In Begleitung, seines Freundes Volker macht sich Roland auf 
den Weg. Prompt gerät er in einen 

Bauernaufstand

 

Von Hunger und Ausbeutung gepeinigte Bauern lehnen sich 
gegen  ihren Grafen auf, und Roland steht zwischen den 
Fronten ... 

Liebe Ritter-Fans, Sie erhalten den Roman in 14 Tagen bei 
Ihrem Zeitschriftenhändler. Holen Sie sich diesen urigen 
Lesespaß aus einer Zeit, in der Männer noch Männer waren!