Ritter Roland 10 Joachim Honnef Die Siegesfeier der Banditen

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Die Siegesfeier der

Banditen

von Joachim Honnef

scanned by : horseman

kleser: Larentia

Version 1.0

Der Räuberhauptmann Gregor versteht sein gemeines
Geschäft. Mit seinen brutalen, ungewaschenen Kerlen
zieht er sengend und mordend durch die Lande. - Diese
bärtigen Schufte können weder schreiben noch lesen, für
einen Kampf aber zeigen sie beinahe gieriges Interesse.
Sie mischen überall mit, bis sie an den Richtigen geraten -
Ritter Roland. Der sprengt ihr wildes Gelage und setzt
ihnen heftig zu, als sie die Entführung der hübschen

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Isabella feiern. Roland beendet die Siegesfeier der
Banditen, doch damit fängt die Geschichte erst an.

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»Mir kommt das alles spanisch vor«, seufzte Rüdiger. Der Kutscher
war mit spanischen Passagieren auf dem Weg nach Burg Hohenstolz.
Er schwitzte, und das lag nicht am Wetter. Es war ein milder
Spätsommertag, und die Sonne blinzelte nur gelegentlich hinter
Schäfchenwolken hervor, als wollte sie sich vergewissern, daß auf
Mutter Erde noch alles in Ordnung war. Rüdiger schwitzte wegen der
Tracht, die für einen Kutscher recht ungewöhnlich war. Er trug einen
Brustpanzer, Beinschienen und einen Helm, der wie ein umgestülpter
Blechtopf mit Rand aussah.

Edmund, der Mann neben ihm auf dem Kutschbock, war ebenso

gepanzert und hielt es gleichfalls für unsinnig. Doch er murrte nicht.
Er war glücklich, daß er von den Spaniern Arbeit bekommen hatte.
Seine Frau lag im Wochenbett, und nach seiner Rückkehr von dieser
ungewöhnlichen Fahrt würde Irmgard ihm einen weiteren Beweis
ihrer Liebe schenken - den siebenten.

Seit sieben Jahren waren sie verheiratet, der Kutscher und die mit

Fruchtbarkeit gesegnete ehemalige Magd. Alle ihre Kinder waren im
September geboren worden, neun Monate nach der Silvesternacht,
die Edmund und Irmgard stets mit Wein und Gesang zu feiern
pflegten. Wenn alles gutging, war nach dem Mädchen im letzten Jahr
diesmal wieder ein strammer Knabe an der Reihe, denn Irmgard hatte
bisher immer abwechselnd Mädchen und Buben zur Welt gebracht.
In dieser Beziehung war sie zuverlässig und pünktlich.

Edmund lächelte vor sich hin. Dann dachte er daran, daß der Segen

zugleich einen Esser mehr bedeutete, und sein Lächeln wurde ein
wenig gequält. Nun, sie würden halt die Suppe mit ein wenig mehr
Quellwasser längen und statt des teuren Salzes etwas mehr Kräuter
hineingeben, die Irmgard auf den Wiesen sammelte, wo der Herrgott
sie für seine noch wesentlich größere Familie kostenlos sprießen ließ.
Oder sie mußten sich etwas anderes einfallen lassen. Kurz überlegte
Edmund, ob sie vielleicht den Wein zu Silvester etwas einschränken
sollten, doch rasch verdrängte er den Gedanken und erinnerte sich an
den Lohn, den ihm die Spanier für diese Fahrt zahlten.

Rüdiger riß ihn aus seinen Gedanken. Er jammerte und klagte mal

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wieder. Rüdiger war ein Nörgler. Seit fünfzehn Jahren fuhren sie
zusammen für den reichen Herrn, der die Kutschen vermietete, und
es war noch keine Fahrt vergangen, ohne daß Rüdiger über irgend
etwas gemeckert hätte.

Rüdiger trank weder Wein noch Met oder Gerstensaft. Er hatte

auch kein Weib, mit dem er Silvester feiern konnte, und folglich
keine Kinder. Einmal hatten sie den eingefleischten Hagestolz zu
ihrer Feier eingeladen, doch Rüdiger hatte wohl gespürt, daß er ein
wenig fehl am Platze war und sich noch vor Mitternacht
zurückgezogen. Mit einem schelmischen Grinsen hatte er
versprochen, im nächsten September wieder Taufpate zu werden.
Manchmal konnte dieser Griesgram doch ein richtiger Scherzbold
sein.

»Diese verdammte Rüstung«, maulte Rüdiger. »Ich komme mir

vor wie in einem spanischen Schwitzbad.«

Edmund lachte. »Und wie ist ein spanisches Schwitzbad?«
Rüdiger wandte ihm sein runzliges Gesicht zu, und Edmund fragte

sich wie so oft, weshalb Rüdigers Knollennase so rot war, wenn er
doch Quellwasser den berauschenden Getränken vorzog.

»Na spanisch«, erklärte Rüdiger mit einem genießerischen, nahezu

frivolen Grinsen. »Natürlich ohne Rüstung. Nackig wie es sich beim
Baden gehört. Aber es ist kein normales Bad, wie unsereines es
kennt. Es ist eine gar pikante Zeremonie mit einer eifrigen Senorita,
die dir zu sanftem Gitarrenklang den Rücken ganz zart schrubbt und
außerdem ...«

Edmund sollte nie erfahren, wie sich denn nun ein spanisches

Schwitzbad genau abspielte. Es blieb bei der Andeutung jener
Wonnen, die Rüdiger mit verklärter Miene zum Besten gegeben
hatte.

Rüdiger verstummte schlagartig, zuckte zusammen, und mitten aus

seinem lächelnden Gesicht ragte von einem Augenblick zum ändern
ein Pfeil.

Es war ein Anblick, der Edmund bis ins Mark erschütterte.

Fassungslos und vor Entsetzen wie gelähmt starrte er seinen alten

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Freund Rüdiger an. In diesen schrecklichen Sekunden nahm er gar
nicht wahr, was ringsum geschah. Er sah nicht, wie einer der
gepanzerten Eskortenreiter, von einer Lanze getroffen, im Sattel
schwankte und wie finstere Gesellen zwischen den Buchen und
Büschen am Rande des Hohlwegs auftauchten, als hätte die Hölle sie
ausgespuckt.

Edmund sah nur diesen schaurigen Anblick, das verzerrte Lächeln

seines Freundes aus dessen Gesicht der Pfeilschaft ragte, und alles in
ihm weigerte sich, das Schreckliche zu begreifen. Dann kippte
Rüdiger, unendlich langsam, wie es Edmund schien, vom
Kutschbock und verschwand im Staub, der von scheuenden Pferden
und kämpfenden Männern aufgewirbelt wurde.

Erst in diesem Augenblick erkannte Edmund, daß alles kein

Alptraum, sondern grauenvolle Wirklichkeit war, und er schrie
gellend sein Entsetzen hinaus. Den bärtigen Gesellen, der sich vom
Ast einer mächtigen Blutbuche fast neben dem Kutschbock
herabschwang und mit einem Morgenstern ausholte, sah er nicht...

*

»Ich hätte nie gedacht, daß ich mal Amme für eine spanische Kuh
nebst Anhang spielen müßte«, sagte der Knappe Louis und zügelte
sein Roß neben Ritter Roland, der auf der Kuppe eines sanft
gewölbten Hügels angehalten hatte.

Der mollige Pierre strich sich eine dunkelblonde Haarsträhne aus

der Stirn und bedachte Louis mit einem etwas säuerlichen Grinsen.

»Welche Kuh meinst du, Louis? Die langhaarige mit den beiden

prallen Eutern und den Glutaugen oder ...?«

Louis lachte, und seine kräftigen Zähne blitzten im schwarzen

Bart. »Wie kannst du die schöne Senorita als Kuh bezeichnen und
gar was ihr Mieder so reizend füllt als Euter! Pierre, Pierre! Ich
sprach natürlich von dem Viech, das die Spanier in diesem
komischen Wagen da mitnehmen.« Er nickte zu der
Reisegesellschaft jenseits einer Birkengruppe.

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Vier Reiter in vollem Harnisch ritten einer schwarzen Kutsche

voraus, die von prächtigen Schimmeln gezogen wurde. Dann folgten
zwei Wagen, der Verpflegungswagen und ein schwerer
Kastenwagen, der keinerlei Fenster, sondern nur Belüftungsschlitze
hatte. Seit sie der Gesellschaft folgten, wußten sie, daß sich in dem
letzten Wagen eine oder mehrere Kühe befanden, was das
gelegentliche Brüllen und Stampfen verriet. Den Schluß der Kolonne
bildeten wiederum zwei Männer der Eskorte. Einer trug eine
Standarte wie der rechte Reiter an der Spitze, damit jeder sah, welch
noble Herrschaft er eskortierte. Der andere hielt eine Lanze. Ihre
Rüstungen schimmerten im rötlichen Schein der Abendsonne, die im
Begriff war, sich hinter den majestätischen Fichten auf den Hügeln
im Westen zurückzuziehen, um sich schlafen zu legen oder die
andere Seite der Erde zu betrachten.

Louis warf einen Blick zu Ritter Roland, der die Augen mit einer

Hand vor der tief stehenden Sonne beschattete und zu der
Reisekolonne hinspähte.

»Was meinst du, weshalb die Spanier die Kühe mit auf die Reise

genommen haben?« fragte der Knappe.

»Vermutlich ein Gastgeschenk für Arno von Berghe und Burg

Hohenstolz«, antwortete Roland in Gedanken.

Louis kraulte seinen schwarzen Bart. »Aber Kühe hat Arno auf

seinem großen Land rings um die Burg doch genug«, brummte er.

»Vielleicht melken sie ihre spanischen Kühe unterwegs, weil sie

unsere Milch nicht mögen«, warf Pierre ein. Er bewegte sich
unbehaglich im Sattel. Sie waren seit Tagen unterwegs, und trotz der
ausgedehnten Pausen, welche die Spanier einlegten, hatte Pierre sich
wundgeritten. Zuerst eine kleine Pustel, dann eine Schwiele, und
wenn ihn nicht alles täuschte, dann zierte jetzt eine pflaumengroße
Furunkel seinen Hintern. Aber Auftrag war Auftrag, und der lautete
nun einmal, die spanische Gesellschaft unauffällig zu begleiten und
Schutzengel zu spielen, wenn es nötig sein sollte. König Artus auf
Schloß Camelot war es gewiß recht gleichgültig, wie es um den
Hintern eines Knappen bestellt war ... Pierre seufzte bei diesem

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Gedanken.

»Papperlapapp«, sagte Louis. »Als ob spanische Kühe andere

Milch geben als unsere!« Er lachte dröhnend.

»Ich hörte, sie füttern ihr Vieh mit Paprika und Pfefferbohnen und

geben ihnen anschließend ein paar Eimer Rotwein zum
Durstlöschen«, sagte Pierre und verscheuchte eine Eintagsfliege, die
sich müde nach einem langen Leben eine Sekundenpause auf des
Knappen Nase gegönnt hatte.

Roland lächelte, als seine Knappen zu einer heftigen Diskussion

über spanische Sitten und Gebräuche ansetzten.

»Ich sage dir ...« begann Louis, doch er hielt sein Versprechen

nicht.

Der leichte Wind trieb den Schrei heran. Ein langgezogener

gellender Schrei voller Entsetzen. Die Köpfe der Knappen ruckten
herum.

Von der Reisegesellschaft waren nur noch der letzte Wagen und

die beiden Schlußreiter der Eskorte zu sehen. Ein mit Büschen und
Bäumen bewachsener Hang verdeckte die Sicht auf den Rest der
Kolonne; nur hier und da schimmerte etwas durch eine Lücke, im
Blattwerk.

Rolands Augen verengten sich, als er Gestalten auf dem Hang und

auch auf dem gegenüberliegenden Hügelchen auftauchen sah,
zwischen denen der Fahrweg hindurch führte.

»Ein Überfall«, rief er. »Vorwärts!«

*

Eine Gestalt sprang von einem der Bäume herab. Edmunds Blick
zuckte nach rechts, und erst jetzt nahm er den bärtigen Kerl wahr, der
den Morgenstern schwang. Die todbringenden Stahlzacken funkelten
rötlich im Schein der Sonne.

Edmund schickte ein Stoßgebet zum Himmel und duckte sich in

seiner Verzweiflung zur Seite. Das half vermutlich beides. Der
Morgenstern streifte ihn nur mit einem knirschenden Geräusch an

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dem Brustpanzer und fegte ihn vom Kutschbock. Edmund stürzte in
den Sand des Fahrwegs hinab und blieb benommen liegen. Er
schmeckte Staub und sah alles wie durch einen wallenden rötlichen
Schleier. Männer schrien. Schwerter klirrten. Ein Pferd brach, von
einem Pfeil getroffen, zusammen und wieherte gepeinigt.

Ein anderes Pferd ging in Panik durch. Sein Reiter war von einer

Lanze aus dem Sattel gestoßen worden. Jetzt versuchte er sich
schwerfällig in seiner Rüstung aufzurappeln und zückte das Schwert.
Ein Keulenhieb schmetterte ihm das Schwert aus der Hand. Der
Mann mit dem Morgenstern sprang auf ihn zu und schwang seine
furchtbare Waffe. Da preschte zwischen den Büschen ein Reiter
hervor. Mit einem gewaltigen Satz sprang sein prächtiges Roß in den
Hohlweg hinein, und sein Reiter holte mit dem Schwert aus. Der
Mann mit dem Morgenstern sah den Reiter aus dem Augenwinkel
heranfliegen, und sein Kopf ruckte herum. Das rettete den Mann der
Eskorte. Der Morgenstern knallte keine Handbreit neben seinem
Kopf in den Sand und hieb einen kleinen Krater.

Der Räuber riß den Morgenstern hoch, wollte ihn gegen den Reiter

schleudern.

Unbewußt schrie Edmund auf. Doch da stieß der Reiter, ein großer,

kühn aussehender Mann in einem leichten Kettenhemd, dem wilden
Gesellen das Schwert in die Brust. Der Morgenstern verfehlte Roß
und Reiter und klatschte gegen den Stamm einer Buche am Rande
des Wegs und fetzte Splitter aus der Rinde. Röchelnd sank der
Räuber in den Staub.

Der Reiter - es war Roland, der mit seinen Knappen zur Stelle war

- zog sein Schwert aus der Brust des Räubers und parierte sein Roß.
Er zog es um die Hand und jagte auf zwei der wilden Gesellen zu,
die gegen einen der Spanier kämpften. Der Mann der Eskorte hieb
eine vortreffliche Klinge. Er trieb einen der Angreifer mit wuchtigen
Schlägen zurück und fuhr zu dem zweiten herum, dessen Schwert ihn
an der gepanzerten Schulter traf. Der Spanier wankte unter der
Wucht des Hiebes, stolperte über eine Furche des Wagenwegs und
stürzte.

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Mit einem triumphierenden Schrei sprang der Räuber auf ihn zu

und holte mit dem Schwert aus.

Da war Ritter Roland heran.
Er schmetterte dem Räuber das Schwert aus der Hand. Entsetzt

starrte der Räuber zu dem Reiter auf, und Todesfurcht flackerte in
seinem Blick. Er wußte nicht, daß Roland ein Ritter war, der niemals
einen Wehrlosen schlug. Er starrte auf das blutige Schwert und
rechnete mit dem tödlichen Stoß.

»G-gnade«, stotterte er zitternd und hob wie abwehrend die Hände

hoch, obwohl ihm das nicht viel genutzt hätte.

Roland hatte ihn schon gar nicht mehr beachtet.
»Sieh her!« schrie er einem der Schurken zu, der ihm halb den

Rücken zuwandte und auf einen Mann der Eskorte lossprang, der
sein Schwert verloren hatte und hilflos am Boden lag.

Der Bursche zuckte herum, riß das Schwert hoch, doch er kam

nicht mehr dazu, es einzusetzen. Roland trieb sein Pferd gegen ihn
und warf ihn zu Boden.

Der Mann stieß einen markerschütternden Schrei aus, der dann wie

abgeschnitten verstummte. Roland glaubte schon, sein Roß hätte den
Räuber zu Tode getrampelt, doch dann sah er, daß ein Pfeil aus der
Brust des Mannes ragte. Er hatte beide Hände um den Pfeilschaft
gekrallt, als wollte er noch im Sterben den Pfeil aus seinem Körper
reißen.

Der Räuber war von einem seiner Kumpane getroffen worden!
Roland fuhr im Sattel herum. Irgendwo zur Rechten auf einem der

Bäume mußte der heimtückische Schütze stecken, und er hatte
sicherlich nicht seinen Kumpan töten, sondern den Reiter treffen
wollen.

Roland warf sich vom Pferd. In letzter Sekunde. Ein Pfeil zischte

über den leeren Sattel hinweg.

Roland rollte sich ab und sprang auf. Staub hüllte ihn ein.
In der Kutsche gellte ein Schrei. Der Schrei einer Frau!
Roland hetzte los. Mit einem schnellen Blick sah er, daß auch die

Knappen von den Pferden gesprungen waren. Beide kämpften mit

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dem Schwert, und der Kampflärm hallte über den Hohlweg.

Der Schrei war verstummt, und Roland befürchtete Schlimmes. Er

erreichte die Kutsche.

Dort waren jetzt Kampfgeräusche zu hören. Ein Aufprall. Ein

unterdrücktes Stöhnen und ein seltsam gedämpfter Schrei. Auf der
anderen Seite der Kutsche.

Roland hetzte um das Heck der Kutsche herum.
Mit einem Blick erfaßte er die Situation. Am Boden lag die reglose

Gestalt eines Mannes. Alfons von Cordoba, wie Roland wußte. Und
dessen Tochter Isabella bäumte sich im Griff eines bärtigen Gesellen
auf. Mit einer Hand hielt er ihre Taille umklammert, die andere
preßte er auf ihren Mund. Der Kerl war offenbar nur mit einer Keule
bewaffnet gewesen, die jetzt neben dem bewußtlosen spanischen
Grande am Boden lag.

Isabella wehrte sich nach Leibeskräften. Sie versuchte den Räuber

zu treten und zu beißen.

Roland war mit zwei langen Sätzen heran. Er packte den Kerl an

der Schulter, riß ihn herum und schlug ihm die geballte Linke ans
Kinn. Der Kopf des Räubers ruckte zurück, und sein Griff lockerte
sich. Isabella riß sich los. Sie rief etwas auf Spanisch, lief zu ihrem
Vater und fiel neben ihm auf die Knie.

Roland hielt das Schwert, das er fallen gelassen hatte, weil der

Räuber unbewaffnet war, schon wieder in der Hand. Er wollte den
zurücktaumelnden Räuber mit der Linken am Kragen packen und
ihm mit der Rechten die Klinge an die Kehle setzen, um ihn
gefangenzunehmen. Doch in einem Reflex riß der Kerl noch im
Fallen einen Fuß hoch, und seine Stiefelspitze traf Roland am
Handgelenk und prellte ihm das Schwert aus der Hand.

Der Räuber sprang auf und trat ein weiteres Mal zu. Er traf Roland

wuchtig an der Hüfte. Der Ritter strauchelte und stürzte. Doch anstatt
seinen Vorteil zu nutzen und nachzusetzen, warf sich der Räuber
herum und hetzte davon.

Roland riß sein Schwert aus dem Staub und war mit einem Satz auf

den Beinen.

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Dann ließ er das Schwert sinken und wischte sich mit der Linken

Staub aus dem Gesicht. Der Flüchtende wandte ihm den Rücken zu,
und es verstieß gegen die Ritterehre, einen Wehrlosen zu töten, selbst
wenn es ein verruchter Mordgesell war.

Roland blickte zu Isabella. Sie hatte sich aufgerichtet und wandte

ihm ihr Gesicht zu. Ein rassiges Gesicht mit großen, glutvollen
schwarzen Augen und schwellenden roten Lippen.

»Weshalb laßt Ihr ihn entkommen?« fragte sie und nickte zu dem

Räuber hin, der gerade zwischen den Bäumen verschwand.

»Er war waffenlos und meines Schwertes nicht würdig«, sagte

Roland, und trotz seiner Anspannung bewunderte er die Schönheit
der Spanierin.

Sie las wohl die Bewunderung in seinem Blick. Das Funkeln ihrer

Augen schien sich noch zu verstärken, und die Andeutung eines
Lächelns spielte um ihre Lippen.

»Ihr sprecht fast wie ein Hidalgo - oder Ritter sagt man wohl in

Eurem Lande.«

Roland nickte und erwiderte ihr Lächeln, das sein Herz schneller

pochen ließ. Es war das erste Mal, daß er Isabella aus der Nähe sah
und mit ihr redete. Er war überrascht, daß sie so gut Deutsch sprach,
mit einem süßen, leicht bayerischen Akzent. Gern hätte er ihr
deswegen ein Kompliment gemacht, doch dazu war im Augenblick
keine Zeit. Immer noch wurde gekämpft.

»Geht in die Kutsche«, mahnte er besorgt, während er nähertrat,

um sie mit seinem Körper zu schützen, und zu den Büschen und
Bäumen am Wegesrand spähte. Irgendwo dort mußte noch der
Bogenschütze stecken.

»Vater ist ohnmächtig«, sagte Isabella. »Helft mir, ihn in die

Kutsche zu tragen ...«

»Erst müßt Ihr aus der Gefahr«, sagte Roland hastig. »Er zog die

Tür auf. Drei Gestalten kauerten in der Kutsche. Die ältere Frau
mußte Isabellas Mutter sein; die Ähnlichkeit war unverkennbar. Die
junge Senorita war die Zofe. Beide starrten ihn schreckensbleich an.
Der Mann, der zwischen den Sitzen auf dem Boden lag und offenbar

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betete, war der Diener. Es sah aus, als wollte er durch den
Wagenboden kriechen. Er hob den Kopf. Sein Gesicht hätte zu einem
kühnen Edelmann gepaßt, was die stolzen, markanten Züge anbetraf.
Doch der Bursche zitterte vor Angst, und Roland hätte geschworen,
daß die spanischen Worte, die er jetzt hervorstammelte, ein Flehen
um Gnade waren. Roland nickte ihm aufmunternd zu und wandte
sich an Isabella. »Sagt ihm, daß ich kein Feind bin und daß er Platz
für seinen Herrn schaffen soll.«

»Ja, der gute Pedro ist kein Held«, sagte Isabella mit einem

wissenden Lächeln, und sie fügte einen spanischen Wortschwall
hinzu. So süß ihr Akzent auch war, in ihrer Muttersprache kam ihre
melodische Stimme noch besser zur Geltung.

Pedre fiel offensichtlich ein ganzer Berg von Steinen vom Herzen

ob Isabellas tröstlichen Worten. Er schielte noch einmal zu Rolands
blutigem Schwert und erhob sich dann unbeholfen.

Roland war voller Ungeduld und Anspannung. Von dem

Bogenschützen war nichts zu sehen, und von dem Baum aus, der gut
zwei Dutzend Schritte entfernt war, konnte er kaum jemand auf
dieser Seite der Kutsche treffen. Doch es war möglich, daß es weitere
Bogenschützen gab oder daß der Kerl inzwischen die Position
gewechselt hatte.

»Schnell«, drängte er und legte einen Arm um Isabellas Hüfte, um

sie in die Kutsche zu schieben.

Doch die Eile war nicht mehr nötig. Hufschlag entfernte sich

jenseits der beiden Hügel, und dann tauchte auch schon Louis auf.

Isabellas Augen weiteten sich, als sie den schwarzbärtigen Hünen

mit dem blutigen Schwert erblickte, und sie klammerte sich
schutzsuchend an Roland. Sie kannte die Knappen ja nicht, und sie
hielt Louis anscheinend für einen der Räuber. Nun, Louis war sogar
einmal Räuberhauptmann gewesen, und Roland konnte Isabellas
Erschauern in dieser Situation nur zu gut verstehen. Louis' Stiefel,
Hose und Kettenhemd waren staubig und wiesen Blutflecke auf, und
das blutige Schwert in seiner Hand wirkte nach allem, was über die
Reisenden hereingebrochen war, auch alles andere als

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vertrauenerweckend. Der Schauer wäre sonst vermutlich anderer
Natur gewesen, denn die meisten Damen verspürten normalerweise
beim Anblick des stattlichen Recken einen anderen Schauer - eher
ein wohliges Prickeln.

Louis lachte mit blitzenden Zähnen. »Alles erledigt«, sagte er mit

dröhnender Stimme. »Diese Hundsfott-Bande ist besiegt, und die
Überlebenden haben ihre dreckigen Ärsche auf ihre Rösser
geschwungen und sind abgehauen, diese verdammten Saukerle
und...«

Er verstummte verwundert ob Rolands mahnenden Blickes, den er

nicht zu deuten wußte. Er ahnte nur, daß er offenbar zuviel gesagt
hatte.

»Sie sind abgehauen!« seufzte Isabella erleichtert, und sie sank

gegen Roland. Der Ritter nahm den betörenden Duft einer Seife
wahr, und die Berührung der schönen Frau verwirrte ihn und ließ
sein Herz schneller schlagen.

»Sie spricht Deutsch?« sagte Louis entgeistert.
Isabella hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. Sehr zu Rolands

Bedauern löste sie sich von ihm, strich eine Strähne ihres
pechschwarzen langen Haares aus der Stirn und lächelte Louis an.
Äußerst amüsiert, wie Roland fand.

»Mein Vater ist ein halber Deutscher, und ich hatte einen

deutschen Lehrer - aus dem Bayernlande.«

Pierre tauchte auf, bevor Louis sich von seiner Verblüffung erholt

hatte. Sein rundes Gesicht war gerötet und mit Schweiß bedeckt.
Seine Hose war am Knie aufgerissen, und er mußte unsanft aufs
Gesäß gefallen sein, denn er hielt sich eine Hand darauf. Es sah ganz
so aus, als wollte der Knappe eine Reihe deftiger Flüche von sich
geben, und damit Pierre nicht das gleiche Mißgeschick wie Louis
wiederfuhr, sagte Roland schnell: »Kein Gerede! Wie viele sind
entkommen?«

»Drei, vier«, sagte Pierre mit einem Schulterzucken.
»Ihnen nach!« sagte Roland. »Schnappt sie euch!«
Pierre nahm die Hand vom Hintern und verneigte sich galant vor

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Isabella. Nun, Manieren hat er als Page auf Schloß Camelot gelernt,
dachte Roland. Doch Pierre war nach durchstandenem Gefecht wohl
noch etwas durcheinander, denn er machte den guten Eindruck
zunichte, indem er in der Nase popelte. Er wurde fündig, schaute
nachdenklich darauf und schnippte es fort. Doch das sah Isabella
wohl nicht, denn Louis verdeckte ihr die Sicht.

»Los, los«, sagte Roland. »Trollt euch!«
Die beiden Knappen eilten davon, um ihre Pferde zu suchen, die

von der Kampfstätte fortgelaufen waren, was ihnen niemand
verübeln konnte.

In diesem Augenblick tauchte ein Mann der Eskorte bei der

Kutsche auf. Es war der Spanier, der im Kampf gegen zwei der
Räuber bewiesen hatte, welch hurtige Klinge er zu schlagen
vermochte.

Er war klein, schlank und schwarzäugig, und er redete mit Händen

und Füßen, wobei er immer wieder mal »Caramba« einflocht und
sich von Zeit zu Zeit bekreuzigte.

»Luis meint, daß wir zwei Kutscher und drei Pferde verloren

haben«, sagte Isabella, als sie Rolands fragenden Blick auffing.

Roland sah Pierre, der sein Pferd ein Stück weiter im Hohlweg

gefunden hatte und zurückkehrte. »Besorgt auf einem Weg drei
Pferde«, rief er ihm zu.

Pierre nickte. »In Ordnung. Wo finden wir euch!«
Du kennst doch die Reiseroute! hatte Roland auf der Zunge, doch

er besann sich noch rechtzeitig. Die Spanier sollten nicht wissen, daß
er und die Knappen über alles Bescheid wußten.

»Wir warten bei der Quelle im Birkengrund«, rief Roland und wies

nach Norden.

»In Ordnung«, rief Pierre zurück und trieb seinen Hengst an. Louis

preschte kurz darauf hinter ihm her auf den Spuren der Räuber.

Luis, der spanische, redete immer noch temperamentvoll und

gestenreich. Isabella übersetzte unaufgefordert.

»Luis ist untröstlich. Er sagt, der Überfall kam zu plötzlich.«
Das haben Überfälle meistens so an sich, dachte Roland, doch er

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schwieg aus Höflichkeit.

Luis redete jetzt mit heftigen Gebärden auf Roland ein, und

obwohl Roland des Spanischen nicht mächtig war, sah er an der
Mimik und den Gesten, daß Luis sämtliche deutschen Räuber und
besonders die Kerle, von denen sie überfallen worden waren, zum
Mond oder in den tiefsten Winkel der Hölle wünschte.

»Er flucht genauso wie Euer Freund«, sagte Isabella lächelnd. »Er

sagt, daß er die Situation fest im Griff hatte, aber er dankt Euch
trotzdem für Eure tapfere Hilfe.« Ihre Lippen wölbten sich leicht
spöttisch. »Ich glaube nicht, daß es so glimpflich ausgegangen wäre
ohne Euer beherztes Eingreifen. Aber Luis ist sehr eitel und stolz,
und er würde jeden zum Duell fordern, der es wagte, seine
Fähigkeiten als Meister der Schutztruppe in Frage zu stellen. Er hat
sogar angedroht, sich einen Dolch ins Herz zu stoßen, wenn wir den
Schutz annehmen würden, den uns Arno von Berghe, auf dessen
Einladung hin wir unterwegs sind, angeboten hat.«

Roland faßte den Spanier ins Auge. Luis war zu den anderen geeilt,

die sich um Alfons von Cordoba scharten, der aus seiner Ohnmacht
erwacht war und sich aufgesetzt hatte. Gestenreich redete Luis auf
den Grande ein.

Dieser Luis war also der Heini, der sich gegen jeden deutschen

Schutz auf der Reise verwahrt hatte. Ihm hatten sie also diesen
Auftrag von König Artus zu verdanken, die Spanier unauffällig zu
begleiten und ihnen gegebenenfalls gegen Wegelagerer zu helfen,
damit sie sicher nach Burg Hohenstolz gelangten. Arno von Berghe
war um drei Ecken mit Alfons von Cordoba verwandt, und er wollte,
daß Isabella seinen Sohn Egbert heiratete. Die Spanier erwiderten
jetzt den Besuch derer von Berghe. Arno hätte ihnen so viele Männer
zum Schutz zur Verfügung gestellt, wie sie nur wollten, doch die
Spanier hatten strikt abgelehnt. Vermutlich wollten sie nicht, daß
sich ihr Luis aus gekränktem Stolz tatsächlich das Leben nahm.

Isabella sah Roland immer noch mit diesen großen, seelenvollen

Augen an, und es wurde Roland heiß unter diesem glutvollen Blick.

»Nein, ohne Euch und Eure ebenfalls tapferen Freunde wären wir

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wohl verloren gewesen«, sagte sie. »Ich danke Euch aus tiefstem
Herzen. Dabei weiß ich nicht mal Euren Namen!«

Roland stellte sich galant vor, und sie war nicht sehr überrascht,

daß er ein Ritter war. Sie sagte ihm dann, was Roland schon wußte:
Ihren Namen und den Zweck der Reise.

»Ihr zukünftiger Gemahl kann sich glücklich preisen«, sagte

Roland und blickte ihr bewundernd tief in die Augen.

Die langen Wimpern flatterten leicht. Es war, als fiele ein Schatten

auf ihr Gesicht. »Nun, soweit wird es vielleicht gar nicht kommen.
Doch die Höflichkeit gebietet es uns, den Besuch zu erwidern«, sagte
sie plötzlich kühler. Dann lächelte sie ihn wieder an, und Roland
fragte sich verwirrt, ob er ihre Worte richtig verstanden hatte. Das
hatte ja gerade geklungen, als hätte sich Isabella noch gar nicht zur
Heirat entschlossen!

Roland überlegte, wie er eine diesbezügliche Frage stellen konnte,

ohne unschicklich zu sein, doch es war, als hätte Isabella seine
Gedanken erraten.

»Mein Herz hat sich noch nicht entschieden«, sagte sie leise, und

ihr Blick tauchte tief in seinen. Dann nahmen ihre sanft gebräunten
Wangen einen leicht rötlichen Schimmer an, und sie senkte den
Kopf. Sie wandte sich ab und schritt zu ihrem Vater. Sie war recht
groß und schlank, und ihr Gang war anmutig, beschwingt und doch
irgendwie hoheitsvoll, und ihre Hüften schwangen leicht unter dem
langen, spitzenbesetzten Kleid aus dunkelroter Seide. Sie sprach mit
ihrem Vater. Roland kam sich im Augenblick ein bißchen überflüssig
vor. Er lauschte dem melodischen Klang von Isabellas Stimme, und
er glaubte noch einen Hauch ihres Duftes wahrzunehmen, der von
einer besonderen Seife oder einem Parfüm stammen mußte. Er hörte
ein paarmal das Wort »Hidalgo« und einmal auch seinen Namen, und
er sah, wie die anderen jedesmal die Köpfe wandten und ihn
anstarrten, als sei er aus einer anderen Welt.

Dann erhob sich Alfons von Cordoba. Er war ein kleiner, schlanker

Mann Anfang fünfzig. Er trug einen schwarzen Anzug mit
Silberstickereien, der tadellos saß. Sein markantes Gesicht war ge-

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bräunt, doch jetzt war es eine etwas fahle Bräune. Seine Züge hatten
etwas Hochmütiges, doch dieser Eindruck verlor sich, als er herzlich
lächelte und Roland die Hand hinstreckte.

»Danke«, sagte er schlicht und sah Roland fest in die Augen. Nur

dieses eine Wort, doch Roland wußte, daß es aus vollem Herzen
kam.

Roland drückte die dargebotene Hand.
»Ich bitte Euch, mein Gast zu sein«, sagte Alfons von Cordoba mit

festem Händedruck.

Diese Einladung nahm Roland nur zu gerne an. Besonders weil

Isabellas glutvoller Blick ihn ebenfalls bat.

*

»Ich werd' verrückt«, sagte Louis und zügelte sein Pferd. »Hui -
diese Spanier werden mir immer sympathischer.«

Auch Pierre blickte fasziniert zu der Lichtung hin. Er vergaß sogar

sein schmerzendes Hinterteil und seinen Groll darüber, daß ihnen die
Räuber entkommen waren.

Sie waren ihnen nahe auf den Fersen gewesen, doch die

hereinbrechende Dunkelheit war zum Verbündeten dieser
Haderlumpen geworden. Louis hatte ganz recht: Die Mächte der
Finsternis halten eben immer zusammen. Und dieser Hundsfott von
Bogenschütze! dachte Pierre. Er und Louis hatten gerade überlegt, ob
sie die Verfolgung fortsetzen oder aufgeben sollten, denn die Räuber
waren in einen Wald geritten, und wo hätten sie da im Dunkeln
suchen sollen? Da war ein Pfeil vom Waldrand herangezischt und
hatte Pierres Pferd getroffen. Den treuen Hengst, den er Donnerfurz
genannt hatte, weil der vorherige Besitzer, ein Flickschuster, ständig
»Beim Donnerfurz« geflucht hatte, als Pierre mit ihm um den Preis
gefeilscht hatte. Jetzt ritt er einen vierjährigen Hengst, den er noch
taufen mußte. Der vorherige Besitzer hatte auf die Frage nach dem
Namen nur mit den Schultern gezuckt, seinen Priem ausgespuckt und
gesagt: »Hat keinen. Wozu auch? Pferd ist Pferd.«

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Nun, ob dieser Gaul etwas konnte, mußte sich erst noch

herausstellen. Der erste Eindruck war recht gut, doch sie waren
langsam geritten, wegen Pierres mitgenommenem Hinterteil, und
Pierre hatte das Roß noch nicht so richtig auf die Probe stellen
können.

»Ist das aufregend!« sagte Pierre beinahe andächtig und blickte zu

dem Mädchen hin, das zum Klang einer Gitarre und irgendeinem
rhythmischen Klappern im Schein des Lagerfeuers tanzte.

»Ist die aufregend«, korrigierte Louis grinsend und beobachtete

den feurigen Tanz der Spanierin.

»Das muß die Zofe sein«, murmelte Pierre. »Die ist ja fast noch

schöner als ihre Herrin.«

»Laß das nicht den Ritter hören«, brummte Louis. »Das könnte ihn

ärgern.«

»Was?« Pierre löste kurz den Blick von der Spanierin, die in ihrem

grünen Kleid tanzte, voller Anmut und stolzer Grazie. »Sag nur,
Roland hätte was mit Isabella im Sinn?«

Louis zuckte mit den breiten Schultern. »Natürlich nicht. Sie ist

schließlich einem anderen versprochen, und ein Ritter hängt sich da
nicht rein. Aber mit dem Gedanken spielen, das erlaubt vermutlich
selbst die Ehre eines Ritters. Immerhin sah ich, wie er sie im Arme
hielt, und wenn du mich fragst, so weiß ich nicht, wer wen mehr
angeschmachtet hat - er sie oder sie ihn.«

»Deshalb war er so schroff zu mir!« murmelte Pierre. »Ich

wunderte mich schon, weshalb er mich so anfuhr und sofort
wegscheuchte, bevor ich mir die Spanier mal richtig aus der Nähe
ansehen konnte! Er wollte nicht gestört werden!«

Louis grinste. Er kannte den wahren Grund, verriet Pierre aber

nichts davon.

»Wenn du mich fragst«, sagte er, »so hätte der mickrige Egbert

gegen Roland keine Chance bei Isabella. Aber so ist das nun mal -
wo die Liebe hinfällt...«

»Die von deren Stande heiraten doch meistens nur wegen des

Geldes«, murmelte Pierre. »Ich würde die Zofe da ohne einen

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einzigen Dukaten nehmen.« Gebannt schaute er wieder zu der
Tänzerin.

»Sag nur, du willst heiraten?« brummte Louis überrascht.
»Das nicht gerade«, schwächte Pierre versonnen ab. »Mann, ist die

schön!«

Ihr langes Kleid war tief ausgeschnitten und spannte sich bis zur

Taille eng um ihre Formen, um dann weit auszuschwingen. Es
wirbelte um ihre schlanken Fesseln, wenn sie sich im Takt der
schnellen Musik im Kreise drehte. Jetzt stampfte sie dazu rhythmisch
mit ihren Stiefeln oder Schuhen auf.

»Mann, hat die ein Feuer«, murmelte Pierre begeistert.
»Vielleicht geben die spanischen Kühe doch andere Milch«,

brummte Louis, der den Anblick ebenfalls genoß. »Möchte wissen,
wie sie dieses Klappern zustande bringt, wenn sie so graziös mit den
Händen wirbelt.«

»Das sind Kastagnetten«, sagte Pierre.
»Was - Kastanien?« fragte Louis verblüfft. Er wußte nicht viel

über Spanien, genauer gesagt, diese Spanier waren die ersten, die er
leibhaftig gesehen hatte.

»Kastagnetten«, wiederholte Pierre. »Das sind zwei hölzerne

Klappern, die beim Tanz gegeneinander geschlagen werden. Die soll
es auch in Italien geben.«

»Du kennst dich aber aus«, sagte der ehemalige Räuberhauptmann

mit einer Spur von Anerkennung.

»Bei Hofe hört man so allerhand«, sagte Pierre, und es klang ein

bißchen wehmütig. Manchmal bedauerte Pierre, daß er die seidenen
Sessel von Schloß Camelot mit dem harten Handwerk des Knappen
vertauscht hatte.

Der Tanz wurde noch wilder, fast ekstatisch.
»Laß uns hinreiten«, sagte Pierre. »Ich will sie von ganz nahe

sehen!« Er wollte sein noch namenloses Pferd antreiben.

Louis hielt ihn zurück. »Warte, Pierre. Wenn wir jetzt da

reinplatzen, und sie erfahren, daß uns diese Haderlumpen durch die
Lappen gegangen sind, ist vermutlich die ganze Stimmung im Eimer,

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und mit dem schönen Tanzen ist's vorbei. Ich schlage vor, wir
schwingen uns von den Gäulen und gönnen uns noch ein Weilchen
diesen bezaubernden Anblick.«

»Manchmal hast du fürwahr gute Ideen«, stimmte Pierre zu und

stieg vom Pferd. »Oh, tut mir der Hintern weh«, stöhnte er dabei.

Auch Louis saß ab. Sie banden die Zügel an Baumstämme. Pierres

noch namenloser Hengst schnaubte.

Pierre gab ihm einen Klaps auf den Hals. »Sei still, Junge, und hör

lieber der spanischen Musik zu.«

Der namenlose Hengst spitzte auch tatsächlich die Ohren. Doch

das hatte einen anderen Grund.

Das erkannte Pierre einen Augenblick später, als sich etwas in

seinen Rücken bohrte, was unzweifelhaft eine Schwert- oder
Messerklinge war, und eine scharfe Stimme etwas in seinen Nacken
zischte, was Pierre nicht verstand, was aber äußerst drohend klang.

Pierre erstarrte.
Im nächsten Augenblick zuckte er zusammen, denn etwas ratschte

über sein Kettenhemd hinauf und streifte ihn am Hals und am Ohr.
Eine Schwertklinge! Pierre erschrak bis ins Mark. Der Kerl will mir
die Kehle durchschneiden! durchfuhr es ihn.

Dann hörte er einen dumpfen Aufprall und einen überraschten

Schrei, der »Uaaaahr« oder so ähnlich klang, und Pierre erkannte,
daß sein Kopf noch auf den Schultern war und daß auch die Kehle
nicht fehlte. Er wirbelte herum und sah den Umriß einer Gestalt im
Dunkel. Die Gestalt schwankte, und im nächsten Augenblick zischte
etwas dicht an Pierre vorbei und knallte gegen die Gestalt. Der
Schrei verstummte, und die Gestalt fiel auf den Waldboden und blieb
steif liegen.

Pierre atmete auf. Louis hatte den Burschen mit einem Fausthieb

niedergestreckt.

Jetzt rieb sich Louis die Handknöchel. »Alles klar, Pierre? Hab'

den Kerl gerade noch rechtzeitig gesehen, als er sich mit gezücktem
Schwert an dich ranschlich. Er konnte mich nicht sehen, weil mich
mein Gaul und der Baumstamm verdeckten. Mußte nur noch mal

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nachfassen, obwohl mein erster Schlag schon mächtig Dampf hatte.«

Pierre wischte sich über den Hals und spürte etwas Feuchtes,

Klebriges. Die Schwertklinge mußte seine Haut aufgerissen haben,
als der Kerl, von Louis' erstem Hieb getroffen, zur Seite getaumelt
war und dabei das Schwert unfreiwillig hochgerissen hatte. Pierre
tastete mit bösen Ahnungen zu seinem Ohr. Es war noch da.

»Danke«, sagte Pierre. »Alle Wetter, hat mich der Kerl überrascht!

Und ich wußte gar nicht, was er mir da auf Spanisch zuzischte.«

»Spanisch?« fragte Louis verblüfft.
»Ja ja.«
»Oh Gott, da schwant mir Unheil«, murmelte Louis und warf einen

Blick zum Feuer auf der Lichtung.

Erst jetzt fiel ihm auf, daß die Musik verstummt war. Die Spanierin

hatte mit ihrem Tanz abrupt aufgehört. Wie eine schöne Statue stand
sie dort, hatte eine Hand noch erhoben, und der Schein der Flammen
zuckte über ihre Gestalt.

Alle anderen am Feuer hatten die Köpfe gewandt und blickten zum

Waldrand. Sie hatten den Schrei vernommen.

»Wieso?« fragte Pierre. Dann kapierte er. »Du meinst, es könnte

einer von den Spaniern sein?«

Louis nickte grimmig. »Seit wann sprechen andere Leute hier

spanisch?«

Er sah, wie zwei Männer beim Feuer aufsprangen und ihre

Schwerter zückten.

»Roland, wir sind's!« brüllte Louis.
Er sah, wie Roland sich zu Isabella neigte, die neben ihm saß, und

kurz mit ihr sprach. Isabella rief etwas auf Spanisch, und die Männer
der Eskorte kehrten zum Feuer zurück. Sie hatten übrigens alle die
unbequemen Rüstungen abgelegt, was die Knappen für dumm
hielten, denn gerade des Nachts war die Gefahr, von Räubern
überfallen zu werden, am größten. Vielleicht waren die Spanier so
naiv, anzunehmen, in deutschen Landen gebe es nur diese eine
Bande...

Louis schritt zu dem Bewußtlosen und warf ihn sich über die

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Schulter. Dann ging er mit Pierre zum Lager.

Betroffen schauten ihnen die Spanier entgegen.
»Sag du dem Ritter, was passiert ist«, flüsterte Louis Pierre zu.

»Und denk daran, Angriff ist die beste Verteidigung. Du brauchst
kein Blatt vor den Mund zu nehmen, denn die Spanier verstehen
deine Flüche nicht.« Er hoffte, Pierre genügend angestachelt zu
haben und verbarg ein Grinsen.

Ritter Roland erhob sich am Feuer und trat ihnen entgegen.
»Was ist passiert?« fragte er.
Pierre sagte es ihm. Und er beherzigte Louis schlitzohrigen Rat

und zog vom Leder, daß mancher Schweinehirt errötet wäre. Nach
einigen saftigen Flüchen sagte er: »Dieses dreimal verdammte
Warzenschwein -«, er nickte zu dem Spanier hin, den Louis ablegte,
»- hat mich hinterfotzig mit dem Schwerte bedroht, und deshalb hatte
Louis keine andere Wahl, als ihm eine zu verplätten.« Er fügte hinzu,
das müsse der Ritter doch verstehen und Louis verzeihen.

Roland verstand und verzieh. Er konnte sich ein Lächeln nicht

ganz verkneifen.

»Wir konnten wirklich nicht wissen, daß der Kacker zu unseren

Leuten gehört«, fügte Pierre hinzu, ohne Louis' breites Grinsen zu
bemerken.

Isabella erhob sich geschmeidig am Feuer. »Nein, das konntet Ihr

nicht, wissen«, sagte sie mit leicht bayerischer Klangfärbung, »daß
dieses dreimal verdammte Warzenschwein unser Hofmeister und
Chef des Schutztrupps Luis Hernandez ist, der auf Wache um das
Lager streifte.«

Sie lächelte amüsiert, als Pierre den Mund aufklaffte und er sie

entgeistert anstarrte.

»Verzeiht dem Armen«, fügte sie mit einem Blick zu Luis

Hernandez hinzu, der sich gerade regte und sein Kinn betastete. »Der
Kacker hätte Euch wirklich nicht hinterfotzig mit dem Schwerte
bedrohen sollen. »Verzeihung - ich wußte nicht...« stammelte Pierre
und blickte wütend zu Louis hin und dann hilfesuchend zu Roland.
Roland lächelte, und Louis grinste breit. Er streckte dem Spanier

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hilfreich die Hand hin und zog ihn auf die Füße.

»Komm schon, mein Junge. Wenn ich gewußt hätte, daß du auch

den schönen Namen Luis hast, hätte ich bestimmt nicht so feste
zugelangt.«

Der Spanier verstand nicht. Er stieß eine Serie spanischer Worte

aus, die verdächtig nach Flüchen klangen, und dabei rollte er wild
mit den Augen, und seine Gesten deuteten an, was er mit dem
Hombre anstellen würde, der ihn im Wald niedergeschlagen hatte.

Isabella unterbrach ihn. Sie klärte ihn kurz auf. Da wurde Luis

stumm. Er faßte seinen Namensvetter ins Auge und starrte ihn finster
an. Louis lächelte versöhnlich, doch das wirkte nicht so sehr. Wenn
Blicke töten könnten, wäre der Knappe auf der Stelle tot umgefallen.
Wahre Giftflammen loderten ihm aus den schwarzen Augen des
Spaniers entgegen.

Isabella versuchte die Wogen zu glätten. Sie sprach offenbar

besänftigend auf den spanischen Luis ein. Daraufhin schickte Luis
zwei seiner Männer auf Wache aus und ging zum Feuer, um einen
Schluck Rotwein aus der bauchigen Flasche einzuschenken, die dort
im Grase stand.

Roland zog seine Knappen zur Seite. Kein Wort des Tadels kam

über seine Lippen, wie der beschämte Pierre erwartet hatte. Louis
berichtete, daß ihnen die Räuber entkommen waren und daß Pierre
seinen treuen Donnerfurz verloren hatte, was sicherlich eine
Entschuldigung für Pierres kleine Entgleisung sei.

Isabella hatte derweil ihrem Diener einige Anweisungen gegeben.

Doch es war die Zofe, die dann den beiden Knappen Rotwein
brachte.

Roland stellte die Knappen vor, und Isabella übersetzte.
Aus der Nähe betrachtet, wurde für Louis und Pierre der

Unterschied zwischen den beiden Frauen deutlicher; Roland hatte sie
ja schon genau ansehen können. Die Zofe war jünger, vielleicht
zwanzig, während Isabella um vier, fünf Jahre reifer war. Beide
Frauen waren schön, doch von unterschiedlichem Reiz. Die Zofe
hatte etwas graziös Puppenhaftes, dabei wirkte sie scheu und sanft,

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obwohl ihr Tanz vorhin gezeigt hatte, welch Feuer in ihr nur darauf
wartete, entfacht zu werden, wenn die richtigen Saiten angeschlagen
wurden. Isabella dagegen war von stolzer Anmut und
Selbstsicherheit, und ihren Augen war anzusehen, daß sie sich ihres
Feuers völlig bewußt war und um verschiedene Löschmethoden
wußte. Ja, es hatte fast den Anschein, als sei sie es gewohnt, den
Zeitpunkt des Löschens zu bestimmen.

Die Zofe hieß Linda, wie Roland und die Knappen erfuhren. Sie

war überall ein wenig praller als Isabella, und vielleicht hatte die
Natur deshalb etwas an Größe eingespart. Linda war einen Kopf
kleiner als Isabella, obwohl sie hochhackige Stiefel trug, während
Isabella flache, mit Perlen verzierte Stoffschuhe anhatte.

Lindas Lächeln war lieb, und es schien in erster Linie Pierre zu

gelten, obwohl Louis alle Register zu ziehen versuchte und sich in
seiner Begeisterung sogar dazu hinreißen ließ, eine Konversation zu
beginnen, obwohl er des Spanischen nicht mächtig war. Er ging
dabei recht geschickt zur Werke. Mit einem bewundernden
glutvollen Blick auf ihren Busen und in ihre Augen nahm er eine
etwas unbeholfene Tanzhaltung ein und schnickte mit den Fingern.
Dann lachte er mit blitzenden Zähnen, wies auf Linda und sagte:
»Kastanien - gut.«

Linda lächelte, doch es war mehr das höfliche Lachen, das man für

die seltsame Darbietung eines Gauklers erübrigt, wen man dessen
Auftritt nicht ganz versteht. Sie blickte fast hilfesuchend zu Pierre,
und der Knappe nutzte die Gunst des Augenblicks und bewies, daß er
sich etwas besser auskannte.

»Kastagnetten«, sagte er in fließendem Spanisch und fügte

weltgewandt hinzu: »Flamenco - Senorita - exzellent!« Wobei er
verzückt blickte.

»Oh, gracias«, sagte Linda, und es sah aus, als errötete sie leicht.

Aber vielleicht lag das auch nur am Feuerschein, der jetzt auf ihr
Gesicht fiel, weil sie sich ganz Pierre zuwandte.

Ermutigt spitzte Pierre die Lippen und pflückte mit Daumen und

Zeigefinger einen imaginären Kuß davon, um ihn ihr mit einem

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schmachtenden Blick und einem »Olala - Ole, ole« zuzuwerfen.

Linda verstand offenbar den tieferen Sinn seiner Worte, denn ihre

langen Wimpern flatterten unruhig, und das Funkeln ihrer dunklen
Augen verstärkte sich. Impulsiv schenkte sie Pierre Rotwein nach,
obwohl sein Glas noch voll war. Louis hatte Durst gehabt und sein
Glas in einem Zug geleert. Ein wenig eifersüchtig sah er nun zu
Pierre hin, dessen Glas fast überlief, und wartete darauf, daß Linda
auch ihm nachschenken möge. Doch sie hatte im Augenblick
offenbar nur Augen für Pierre. Der schwarzbärtig« Louis war ihr
wohl zu groß, oder ihr gefiel blond besser.

Dann gab es plötzlich einen Zwischenfall. Es ging alles ziemlich

schnell, so daß hinterher niemand genau zu sagen wußte, wie es
geschehen war. Vermutlich lag es an Sprachschwierigkeiten.
Jedenfalls tauchte vor dem auf Wein wartenden Louis sein zorniger
spanischer Namensvetter auf. Er überschwappte den Knappen
förmlich mit einer Woge von gefährlich klingenden Worten, stieß
ihm vor die Brust, tippte sich genauso hektisch, doch etwas leichter
selbst gegen die Brust und zückte sein Schwert. Louis fühlte sich
bedroht und fackelte nicht lange.

Der ehemalige Räuberhauptmann knallte seinem Namensvetter die

flugs geballte Rechte ans Kinn, und zum zweiten Mal an diesem
Abend sah der spanische Luis die Sterne, die am Himmel blinkten,
vor seinen Augen zerplatzen und m tiefe Finsternis übergehen. Er fiel
rücklings ins Gras und blieb dort liegen.

Linda hatte aufgeschrien und sich an Pierre gedrückt, als gelte es,

vor einem neuen Überfall Schutz zu suchen.

Isabella erklärte jetzt Roland und den Knappen das

Mißverständnis. Der spanische Luis hatte den anderen Louis
keineswegs angreifen, sondern ihn - wenn auch vor Zorn kochend -
in aller Form zum Duell auffordern wollen. Sein Stolz war nach der
Niederlage im Wald arg verletzt, und er wollte Genugtuung. Statt
dessen hatte er sich nun ein Ding eingefangen, und es bedurfte keiner
übermäßigen Phantasie, um sich vorzustellen, daß sein Stolz und sein
Kinn nun noch mehr gelitten hatten.

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Er kam gerade zu sich, tastete mit der nun schon gewohnten

Handbewegung zum Kinn und blickte sich benommen um, als halte
er Ausschau nach einem Stier, der ihn auf die Hörner genommen
hatte. Die Vermutung war nur auf den ersten Blick weit hergeholt.
Denn in diesem Moment brüllte es in dem Wagen, den Louis als
»Kuh-Kutsche« bezeichnete, es klirrte und stampfte, und der ganze
Wagen schwankte und schien zu erbeben.

»Was ist das?« wandte Pierre sich in der allgemeinen Aufregung

an Linda und wies zum Wagen. Sie mißverstand ihn wohl, denn sie
nickte und setzte sich zum Wagen hin in Bewegung. Als sie nach
einem Schritt merkte, daß er stehenblieb, streckte sie die Hand aus,
ergriff seine und zog ihn mit. Verwirrt folgte Pierre ihr zu dem
Wagen, in dem es immer noch brüllte und stampfte und klirrte, als
verteidigten sich die Kühe mit Schwertern gegen einen bösen Bären,
der ihnen an die Euter wollte.

Indessen glättete Isabella beim Feuer die Wogen. Als alles geklärt

war, verlangte sie, daß Luis und Louis sich die Hände reichen und
einen Versöhnungsschluck trinken sollten, auf daß wieder Friede
zwischen Spanien und Deutschland herrsche. Luis, der spanische,
zeigte sich nach einigem Zögern zu Kompromissen bereit. Er reichte
die Hand, und er trank mit Louis. Doch er bestand auf einem Duell.

Louis, der Knappe, fühlte sich arglistig getäuscht nach

vermeintlichem Frieden und bot dem Spanier an, daß er sein Duell
auf der Stelle haben könne. Roland und Isabella vermittelten, doch
sie erreichten nur einen Aufschub. Beide L(o)uis waren finster
entschlossen, das Duell auszutragen. Alle Verhandlungen und auch
die vielen Gläser Wein, die dabei geleert wurden, nutzten nichts.

So ging es nur noch um die Frage des Termins. Isabella und

Roland zogen sich in den Verpflegungswagen zurück, um zu
verhandeln, und sie verstanden sich immer besser dabei.

Indessen stand Pierre mit Linda im tiefen Schatten bei der »Kuh-

Kutsche«, in der die Kühe offenbar den Raudi von Bären besiegt
hatten. Der Mond mit seinem vollen, runden Gesicht versuchte
neugierig in das Dunkel beim Wagen hinabzuspähen, denn er ahnte,

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daß sich da etwas anbahnte. In diesem Punkt war er etwas erfahrener
als Pierre, der sich erregt und verwirrt in der Nähe der schönen Zofe
fühlte, die immer noch seine Hand hielt. Pierre nahm einen
betörenden Duft von Seife oder Parfüm wahr, trotz der nahen »Kuh-
Kutsche« und seinem Geruch nach Pferd und Schweiß. Und dieser
Luft kitzelte nicht nur Pierres Geruchssinn, sondern auch andere
Sinne, und zugleich bot er sich als Einleitung zu einem
Gesprächsthema, nach dem Pierre schon verzweifelt gesucht hatte.
Und so kam es, daß sich folgender Dialog entwickelte, der mit seinen
Folgen für Pierre unvergessen bleiben sollte.

Er schnüffelte und sagte »Parfüm -gut.«
Er sprach den Duftstoff französisch aus, doch dieses Wort

verstehen wohl alle Frauen der Welt.

Linda sagte erfreut: »Si.«
Damit war das Thema erschöpft, doch Pierre bewies, daß er nicht

nur ein guter Knappe war, sondern auch als Page auf Schloß Camelot
die Kunst der Konversation aufgeschnappt hatte.

Er klopfte gegen den Wagen, schnüffelte wieder und sagte: »Nix

gut.«

»Si.«
Nun stand Pierre wiederum vor einem Problem, denn wollte er das

Thema fortsetzen, fehlten ihm die spanischen Worte für »Kuh« und
»Gestank« - oder er mußte sich ganz was anderes einfallen lassen. Er
versuchte es auf Französisch: »La vache - muh - non gute Parfüm.«

Linda lachte. »Si.«
Ihre Beteiligung an dieser Konversation kam Pierre nun doch

etwas einsilbig vor. Doch sie überraschte ihn mit einer Fülle von
spanischen Worten, mit denen er zwar nicht viel anfangen konnte,
die jedoch wohlig in seinen Ohren klangen. Verzückt lauschte er, bis
Linda am Ende ihrer langen Erklärung die Frage stellte: »Du
verstanden?«

Er schüttelte den Kopf. Dann fiel ihm auf, daß sie die Frage, wenn

auch nicht im gepflegtesten, so doch auf Deutsch gestellt hatte. Er
antwortete mit einer recht dümmlichen Frage, die man aber

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verzeihen kann, wenn man die verzwickte Situation bedenkt, in der
er sich befand:

»Du Deutsch?«
Jetzt schüttelte Linda den Kopf. Schließlich war sie eine Spanierin.
Sie konnte Pierres bekümmerte Miene im Dunkel nicht sehen,

doch offenbar war sie entschlossen, jetzt Nägel mit Köpfen zu
machen. Sie tastete im Dunkel nach Pierres Hand, ergriff sie und zog
Pierre aus dem Schatten ins silberne Mondlicht. Dann machte sie ihm
auf gar bezaubernde Art klar, was er zuvor auf Spanisch nicht
verstanden hatte.

Sie wies auf den Wagen und stieß ein leises, süßes »Muh« aus.

Dann reckte sie ihren Busen noch ein wenig vor, ihre Hände wölbten
sich über die prallen Hügel, und sie schüttelte den Kopf und sagte
»nix, nix«. Anschließend hielt sie beide Hände mit ausgestrecktem
Zeigefinger an die Schläfen und sagte: »Toro.« Dann reckte sie einen
Daumen hoch und fügte hinzu: »Du verstanden?«

Die Gesten waren eindeutig gewesen, und Pierre war kein

Dummkopf. Es war ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. In
der Kutsche waren keine Kühe, sondern ein Stier. Und das mußte
nach dem vorherigen Ausbruch ein äußerst wilder Geselle sein.
Vielleicht ein Zuchtstier, den die Spanier Arno von Berghe schenken
wollten, damit er die von Bergheschen Kühe mit spanischem
Temperament beglücke.

Für Pierre war die Sache also klar, doch recht gewitzt spielte er

noch ein wenig den Unwissenden. Er wiederholte ihre sämtlichen
Gesten, verweilte allerdings sehr, sehr lange auf ihrem Busen und
murmelte ein paarmal: »Toro - gut, gut.«

Linda lachte dunkel und ließ ihn gewähren. Es gab keine

Verständigungsschwierigkeiten mehr. Er glaubte ihr Herz im
gleichen Takt wie seines pochen zu spüren, glaubte ein lockendes
Lächeln in ihren im Mondschein funkelnden Augen zu erkennen, und
die Kühnheit übermannte ihn.

Er nahm die Hände von ihrem Busen, weil sie das vielleicht für

unschicklich halten konnte, zog Linda an sich und küßte sie auf den

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Mund.

Sie versteifte sich ein wenig und erwiderte den Kuß nicht sofort,

wie es Sitte und Anstand geboten. Pierre, in dessen Herz eine feurige
spanische Kapelle zum wilden Tanz aufzuspielen schien, ließ sich
nicht entmutigen. Eine innere Stimme mahnte ihn, nicht zu weit zu
gehen, doch das Teufelchen in ihm kicherte: »Jetzt ist sowieso alles
egal.«

So küßte er sie noch heftiger. Die Kapelle in seinem Herzen spielte

ein furioses Finale, und er spürte ihre weichen, süßen Lippen auf
seinem Mund und ihren festen, süßen Busen an seiner Brust, und sein
Herz schien vor Glück zu zerspringen.

Dann glaubte er plötzlich aus seinem schönen Traum zu erwachen.

Linda löste sich aus seinen Armen.

Schade, dachte er, jetzt wird sie dir eine scheuern und davonlaufen.

Hoffentlich gibt das keinen Ärger mit den Spaniern.

Doch seine Sorge war unbegründet. Linda, deren Busen sich unter

heftigen Atemzügen hob und senkte, ergriff lächelnd seine Hand und
zog ihn fort vom Wagen und zwischen die Birken am Rande der
Lichtung. Und dort, unter dem schmunzelnden Mond, der zwischen
den Birken in den dunklen Wald spähte, unterhielten sie sich nicht
über Parfüm und Toros, sondern sie verständigen sich sehr schnell in
einer Sprache, die auf der ganzen Welt verstanden wird.

Der Mond schob erregt ein Wölkchen zur Seite, das ihm die Sicht

nehmen wollte, und ergötzte sich weiterhin an diesem gar
prickelnden Anblick. Und er bekam allerhand zu sehen, der alte
Haderlump.

*

Gregor tobte.

»Neun Männer schicke ich los, um eine kleine Reisegesellschaft

niederzumachen!« brüllte er. »Und was passiert?« Er wartete nicht
auf eine Antwort, sondern fuhr mit noch lauterer Stimme fort: »Vier
gerupfte Idioten kehren zurück! Mit eingezogenem Schwanz und

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ohne Beute und Erfolg!«

Der Hüne blickte unheilvoll in die Runde seiner betretenen

Mannen, und im Schein des Kandelabers auf dem Tisch schien die
wulstige Messernarbe an seiner linken Wange noch roter zu werden.

Er schickte noch eine Reihe von Flüchen hinterher, daß die Adern

an seiner breiten Stirn und seinem dicken Hals anschwollen, und
seine gerupften Mannen blickten noch betretener drein. Am liebsten
hätten sie sich in einem Mauseloch verkrochen, doch in der
Blockhütte gab es keine Mauselöcher, und wenn welche erreichbar
gewesen waren, so hätten sie vermutlich auch nicht hinein gepaßt. So
schwiegen sie und hofften, der Zorn ihres Herrn möge verrauchen,
ohne daß sie zu körperlichem Schaden kamen.

Es sah auch ganz so aus, als sollte sich ihre Hoffnung erfüllen. Der

Grimm aus Gregors grünen Augen schwand etwas, und als er gar
weiter an seiner Wildschweinhaxe nagte, atmeten sie schon ein
wenig auf.

»Unfähige Läuse!« schimpfte Gregor schmatzend. »Ich sollte euch

auspeitschen, teeren und federn, dann aufhängen und vierteilen
lassen!«

Zwei der Männer zuckten zusammen. Es waren die mit den

schwächsten Nerven. Denn sie wußten, daß Gregors Worte
keineswegs im Scherze gemeint waren. Zwar setzte er nicht alles
hintereinander in die Tat um, was er soeben angedroht hatte, doch bei
anderer Gelegenheit hatte er die eine oder andere Strafe ausführen
lassen. Da konnte man noch froh sein, wenn Gregor seinen
gönnerhaften Tag hatte und es beim Auspeitschen beließ.

Uli, einer der nervenstärkeren Räuber, faßte sich ein Herz und

versuchte Gregor zu besänftigen.

»Herr, wir ...«
Weiter kam er nicht, denn der hünenhafte Räuberhauptmann warf

ihm wutentbrannt die nur halb angenagte Wildschweinhaxe ins
Gesicht. Sie traf Ulis Nase, die bei dem gescheiterten Überfall
ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogen worden war, und landete
dann in seinem Schoß.

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»Wagt er es auch noch, mir mit faulen Ausreden zu kommen!«

brüllte Gregor. »Es gibt keine Entschuldigung für euer Versagen!«

Er erhob sich, trat auf die Männer zu, und sein Schatten geisterte

über die Hüttenwand wie ein drohendes Gespenst.

Breitbeinig blieb er vor seinen Räubern stehen und wippte auf den

Stiefeln. Das Leder knarrte leicht, denn die Stiefel waren noch neu.
Es waren feine Stiefel aus bestem Material. Er hatte sie einem noblen
Herrn abgenommen, den er hinterrücks erstochen hatte, weil er seine
Schuhgröße gehabt hatte.

Mitleidlos starrte er Uli an, der seine schmerzende Nase hielt und

nicht wußte, was er mit der Wildschweinhaxe in seinem Schoß
anfangen sollte.

»Oder kann mir einer von euch Dummbeuteln einen triftigen

Grund für euer Versagen nennen?«

Er blickte von einem zum anderen. Sie schwiegen vorsichtig.

Gregor hatte zwar keine Haxe mehr in der Hand aber einen Dolch in
der Lederscheide am Gürtel.

»Redet!« brüllte Gregor.
Da beeilten sich alle, etwas zu sagen, und Gregor konnte dem

allgemeinen Gestammel nichts entnehmen.

Er winkte herrisch ab. »Einer von euch Schwätzern soll reden. Und

bei Luzifer, wenn ihm nichts Vernünftiges einfällt, stopfe ich ihm für
immer das Maul!«

Die Männer tauschten Blicke. Sie guckten einen aus. Schließlich

hefteten sich alle Blicke auf Uli. Uli holte tief Luft, und dann
berichtete er stockend.

»Wir konnten nicht ahnen, daß sie gepanzert waren - ich meine,

das sahen wir erst im letzten Moment. Und außerdem tauchten völlig
überraschend drei Reiter auf, die den Spaniern halfen. Günther dort«,
er nickte zu einem bärtigen Kumpan hin, »- wollte das Blatt noch
wenden. Er versuchte, sich eine Spanierin als Geisel zu schnappen.
Damit wäre der Kampf beendet gewesen, denn wir hätten drohen
können ...«

Gregor winkte schroff ab. »Ich kenne das kleine Einmaleins. Nun,

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die Idee war nicht schlecht, Günther.«

Günther grinste geschmeichelt.
»Nur hat es nicht geklappt!« brüllte Gregor ihn an.
Günther zuckte zusammen und setzte eine schuldbewußte Miene

auf.

»Einer von den drei Deutschen kam dazwischen«, fuhr Uli fort.

»So'n Großer mit 'nem Kettenhemd. Wir hatten schon Verluste,
schließlich waren wir nicht gepanzert wie die anderen, und da blieb
uns nichts anders übrig, als zu verduften. Zwei der Kerle verfolgten
uns ...« Er sah das Erschrecken in Gregors grünen Augen.
Vermutlich dachte der Herr, sie hätten jemand den Weg zu ihrem
Versteck gewiesen. »Doch die haben wir abgemurkst«, log er
schnell.

Gregor grinste. »Endlich mal etwas Erfreuliches«, brummte er

besänftigter. »Mit wie vielen haben wir es jetzt noch zu tun?«

»Ein paar von der Eskorte haben wir auch besiegt trotz der

Rüstung«, log Uli weiter.

»Ich hab' einen Kutscher vom Wagen geholt, obwohl der Mann

gepanzert war«, warf Gerfried, der Bogenschütze, stolz ein. »Und ein
paar Pferde hab' ich auch erwischt.«

»Gut«, lobte Gregor und heftete seinen Blick wieder auf Uli.

»Also, wie viele sind es noch?«

Uli hatte Zeit zum Überlegen gehabt. »Es waren an die fünfzehn

Mann plus Kutscher«, log er. »Doch als wir türmen mußten, mögen
es gerade noch sechs, allenfalls sieben gewesen sein.«

Gregor starrte dumpf brütend vor sich hin und schritt auf und ab.

Eine Weile war nur noch das Knarren der neuen Stiefel zu hören.
Dann blieb Gregor abrupt stehen. »Weckt die anderen! Sie sollen
sofort gestiefelt hier antanzen. Ich habe einen Plan.«

Sofort eilte einer der Männer zu der zweiten Hütte, die versteckt

zwischen Fichten am Hang des kleinen Tales stand.

Gregor schritt an den Tisch und setzte sich.
Er griff nach einem Schmalzbrot, schob die dicke halbe Scheibe in

den Mund und kaute schmatzend. Er aß mit Vorliebe gesalzenes

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Schmalzbrot zu besserem Durst. Heute trank er Weißwein dazu. Die
Wildschweinhaxe hatte er offenbar vergessen. Uli hatte sie
inzwischen verstohlen von seinem Schoß entfernt und neben der
Holzkiste, die ihm als Stuhl diente, auf den Boden gelegt, falls der
Herr danach verlangen sollte.

»Daß ihr keine Beute gemacht habt, ist nicht einmal das

Schlimmste«, sagte Gregor kauend. »Viel ärgerlicher ist, daß die
Spanier noch leben. Mir gehen viele Goldstücke durch die Lappen,
wenn sie Burg Hohenstolz erreichen. Sie dürfen auf keinen Fall dort
eintreffen, verstanden?«

Die Räuber nickten eifrig. Das hatte Gregor schon einmal gesagt,

als er sie losgeschickt hatte. Sie hätten gern gewußt, weshalb die
Spanier die Burg nicht erreichen durften, doch sie wagten es nicht,
Fragen zu stellen. Gregor konnte fuchsteufelswild werden, wenn man
zu neugierig war.

Die Tür schwang quietschend auf. Die anderen Räuber betraten die

Hütte. Es waren finstere Gesellen, bei dessen Anblick eine
furchtsame Seele das große Zittern bekommen konnte. Im Augen-
blick wirkten sie jedoch schläfrig und zahm.

Gregor musterte sie kurz. »Sperrt die Ohren auf! Ich habe einen

vortrefflichen neuen Plan.«

Die Männer horchten. Dann breitete sich ein Grinsen auf ihren

wüsten Gesichtern aus.

Denn Gregors Plan war so teuflisch, daß selbst der Satan ihn kaum

besser ersonnen haben konnte.

Es war ein Plan genau nach ihrem Geschmack ...

*

Roland zügelte sein Pferd und blickte zwischen den Tannen hervor in
die Schlucht zu der spanischen Kolonne. Die Rüstungen der Reiter
schimmerten in der Morgensonne. Wiederum ritten vier Männer der
Kutsche und den beiden anderen Wagen voraus, und zwei Reiter
bildeten die Nachhut. Im Geschirr der Kutsche waren zwei Braune

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bei den Schimmeln zu sehen, der Ersatz für die prächtigen Rösser,
die bei dem Überfall getötet worden waren. Auf dem Kutschbock saß
jetzt nur ein Kutscher, Edmund, und Roland und die Knappen
wußten, daß er um seinen toten Freund Rüdiger trauerte, den sie
begraben hatten, bevor sie zum Birkengrund weitergefahren waren,
um dort zur Nacht zu lagern.

»Dieser verdammte Luis«, murmelte Pierre, und sein Blick war

sehnsüchtig auf die Kutsche gerichtet, als wolle er einen Blick auf
Linda erhaschen, die ihm in der Nacht so viele Wonnen bereitet
hatte.

»Sag nur, du meinst mich«, knurrte Louis.
Pierre bedachte ihn mit einem ärgerlichen Blick. »Nein, den

anderen. Aber du hast auch Schuld. Du hättest dich nicht mit dem
verdammten Spanier anzulegen brauchen.«

»Was sollte ich denn machen?« brauste Louis auf. »Der Kerl

wollte unbedingt ein Duell. Ich hätte es ihm gewährt, doch der Ritter
wollte ja nicht.«

Das stimmte. Roland hatte es seinem Knappen auf Isabellas Bitte

hin strikt verboten. Noch vor dem Morgengrauen hatten sie sich
verabschiedet. Damit Louis nicht als Feigling dastand, wollte
Isabella dem spanischen Luis am Morgen erzählen, der Ritter und
seine Knappen seien in der Nacht durch einen Kurier sofort zum
König befohlen worden. Der deutsche König ging vor. Das Duell
mußte warten. Das würde der gekränkte Luis verstehen.

Roland hatte es zutiefst bedauert, die Spanier und besonders

Isabella verlassen zu müssen. Denn bei der Verhandlung über das
deutschspanische Duell waren sie sich recht nahe gekommen. Sie
wären sich gewiß noch näher in dem Verpflegungswagen
gekommen, wenn nicht einer der Wachtposten Alarm geschlagen
hätte, weil Linda vermißt wurde. Die Sorge um ihre Zofe trübte
Isabellas Stimmung, und sie beteiligte sich an der allgemeinen
Suche. Nun, Linda tauchte dann mit zerzausten Haaren und recht
erregt auf - aber mit einem glücklichen Strahlen in den Augen und
völlig wohlbehalten. Sie sagte, sie habe nur etwas frische Luft im

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Walde schöpfen wollen und hätte sich dabei verirrt. Wenig später
tauchte dann auch Pierre auf, der ebenfalls vermißt worden war. Ein
seltsamer Pierre, der verträumt wie ein Schlafwandler wirkte und
ständig vor sich hin lächelte. Auf Rolands Frage, wo er sich denn in
dunkler Nacht herumgetrieben hatte, war von Pierre nur arg wirres
Zeug zu hören gewesen. So hatte er unter anderem von parfümierten
Toros gesprochen und von stillen Wassern, die tief seien. Der Ritter
hatte nicht viel damit anfangen können, doch Louis hatte mit
spitzbübischem Grinsen erklärt: »Er hat sich die Sterne angesehen
und ist dabei in Verzückung geraten, nicht wahr, Pierre? Besonders
bei dem großen Bären.«

Nun, mit dieser Erklärung waren alle zufrieden gewesen, und

Roland hatte sich auf eine Fortsetzung seiner Unterhaltung mit
Isabella gefreut. Doch daraus war nichts geworden. Einer der
Wachtposten hatte aufgeregt von einem Kerl gesprochen, der durch
den Wald geschlichen sei, bestimmt einer der entkommenen Räuber.
So gab es verstärkte Wachen, und Isabella begab sich mit ihrer
besorgten Mutter und der Zofe in den Verpflegungswagen zur
Nachtruhe, während Isabellas Vater und die Männer, die keine
Wache hatten, beim Feuer schliefen.

Beim Abschied hatte Isabella gesagt, sie freue sich, wenn er nach

Burg Höhenstolz auf ein Wiedersehen kommen könnte - rein zufällig
und ohne den Knappen Louis, damit es nicht doch noch zu einem
Duell komme, bei dem sie möglicherweise ihren Luis Hernandez
verlöre.

Roland hatte versprochen, zur Burg zu kommen. Er konnte es

kaum erwarten ...

»Jedenfalls wäre ich gerne bei den Spaniern geblieben«, seufzte

Pierre.

Louis lachte. »Das kann ich mir denken, du Haderlump. Während

ich mich mit diesem duellwütigen Spanier herumstreiten mußtet
triebst du auf gar reizende Weise Völkerverständigung. Ich wette, du
hast dabei sogar das Geschwür an deinem Hintern vergessen.«

»Woher weißt du überhaupt...?« begann Pierre verständnislos,

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denn von dem Furunkel und allem anderen hatte er kein
Sterbenswörtchen erwähnt.

Louis warf einen Blick zu Ritter Roland, der ein paar Längen vor

ihnen angehalten hatte, und sagte leise mit Verschwörermiene: »Ich
weiß sogar, auf welcher Backe. Auf der linken. Ein Ding so groß wie
'ne mittlere Saubohne. Auf und nieder ging's damit...«

»Du hast gesehen...?« entfuhr es Pierre betroffen.
»Nicht nur das«, unterbrach Louis ihn und grinste noch wilder.

»Als ich die Pferde versorgt hatte und mich mal ein bißchen in der
Umgebung des Lagers umschaute, wäre ich fast über euch gestolpert.
Nun, bevor ich schamhaft wegblickte, wie es sich geziemt, nahmen
meine fürbaß erstaunten Äuglein noch besagte Bohne auf deinem
Hintern wahr und konnten bewundern, wie Besitzer selbiger Bohne
sich ins Zeug legte. Ich muß schon sagen, wacker, wacker, du kleiner
Bulle von Camelot!«

Pierre schoß das Blut in die Wangen. Er setzte zu einer Erwiderung

an, doch da rief Roland: »Weiter!«

Der Ritter trieb seinen Hengst an, und die Knappen folgten seinem

Beispiel.

Die spanische Reiter- und Wagenkolonne hielt jetzt auf die Brücke

zu, die sich hoch über den reißenden Wildbach spannte, der von
Felsbrocken und Gebüsch gesäumt auf dem Grund der Schlucht
glitzerte. Vor der Brücke gabelte sich der Weg. Während ein
Waldweg den östlichen Berg hinaufführte, wies ein Wegweiser nach
Osten gen Falkenried. Von dort aus waren es nur noch zwei
Tagesreisen zur Burg Hohenstolz.

Die Schlucht, an deren Hängen zwischen kahlem, grauen Fels auch

majestätische Fichten und gewaltige Eichen emporragten, bot einen
Anblick wilder, nahezu unberührter Schönheit. Schwalben kreisten
am Himmel, der mit weißen, zarten Wölkchen getupft war. Ein
Vogelschwarm flatterte zwischen den Fichten auf, als hätte jemand
sie beim Frühstück aufgescheucht.

Rolands Blick folgte dem Vogelschwarm, der hinab in die

Schlucht flog, eine Runde drehte, als wollte er die Kolonne begrüßen

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und dann über den östlichen Berg hinweg flatterte.

Plötzlich stutzte Roland. Auf einem der Bäume bei der

Weggabelung leuchtete etwas rotbraun. Roland kniff die Augen
zusammen und spähte genauer hin. Das Rotbraune im Blätterwerk
war verschwunden. Vermutlich ein Eichhörnchen, dachte er. Dann
erschrak er. Das Rotbraune tauchte wieder auf, und es war kein
Eichhörnchen, denn Eichhörnchen tragen normalerweise keine
Lederstiefel. Und als etwas Metallenes kurz das Sonnenlicht
reflektierte, wußte Ritter Roland vollends Bescheid. Eichhörnchen
tragen auch selten Schwerter mit sich herum.

Da war ein Mann im Baum.
Gewiß nicht zum Kirschenpflücken, denn es war eine Eiche und

kein Kirschbaum.

Roland ritt in versammeltem Galopp weiter. »Louis, Pierre!« rief

er, ohne den Kopf zu wenden.

Sofort ritten die beiden Knappen an seine Seite.
»Ich hab' das starke Gefühl, daß da was nicht stimmt«, sagte

Roland. »In der Eiche bei der Weggabelung sitzt ein Mann.«

»Ein weiterer Überfall?« sagte Louis überrascht. Er und Pierre

spähten zu der Eiche hin.

»Tatsächlich!« stieß Pierre hervor. »Da ist einer.«
»Wir müssen die Spanier warnen«, sagte Louis alarmiert.
»Dazu dürfte es zu spät sein«, erwiderte Roland. »Außerdem wird

uns der Kerl in der Eiche längst gesehen und seine Kumpane
informiert haben. Wir trennen uns und nehmen sie in die Zange.
Louis, durch den Bach und ans andere Ende der Brücke! Pierre, mir
nach!«

Sie trieben ihre Pferde zum Galopp.
Roland rechnete damit, daß der Kerl auf der Eiche und seine

vermutlich versteckten Kumpane die Reiter und Wagen passieren
lassen würden. Wenn dann die Kolonne mitten auf der Brücke war,
würden sie ihr in den Rücken fallen, und vom anderen Ufer her
würden vermutlich ebenfalls Angreifer auftauchen.

Dann war die Kolonne in der Falle.

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Rolands Vermutung sollte sich bewahrheiten, doch es geschah

noch etwas, womit er nicht gerechnet hatte.

Die Räuber ließen die Kolonne passieren. Unbehelligt erreichten

die ersten vier Männer der Eskorte die Brücke. Die Hufe der Pferde
pochten dumpf auf den Holzplanken. Das Gespann der Kutsche
folgte. Eines der Führpferde wieherte.

Und dann ächzte und knirschte und krachte es. Die Brücke stürzte

ein, und über die spanische Gesellschaft brach die Hölle herein.

*

Edmund, der Kutscher mit dem Kindersegen, dankte gerade dem
Allmächtigen dafür, daß er den Überfall im Hohlweg überlebt hatte.
In tiefer Trauer gedachte er seines toten Freundes Rüdiger, der
Taufpate seines nächsten Kindes hatte werden sollen.

Da geschah es.
Durch das dumpfe Klappern der Hufe und das Rumpeln der

Wagenräder auf der Holzbrücke war ein Bersten und Krachen zu
hören. Dann schrie einer der Männer der Eskorte auf. Pferde wieher-
ten und scheuten. Im nächsten Augenblick verschwanden sie vor
Edmunds Augen wie durch Zauberei in der Tiefe. Edmund war zu
entgeistert und erschrocken, um lange zu überlegen. Instinktiv tat er
das richtige. Er zügelte hart das Gespann. Die beiden Führpferde
schlitterten noch ein Stück weiter, weil sich plötzlich die Planken vor
ihnen senkten, doch Edmund brachte sie gerade noch vor dem
eingestürzten Teil der Brücke zum Halten. Dann überstürzten sich
die Ereignisse in rasender Folge.

Gellende Schreie hallten durch die Schlucht. Die vier

Eskortenreiter waren mitsamt ihren Pferden in den reißenden Bach
hinabgestürzt. Einer der Männer wurde unter seinem Pferd begraben,
das schrill wiehernd auskeilte und sich mühte, auf die Beine zu
kommen. Ein anderes Tier, dessen Reiter kopfüber aus dem Sattel
gefallen war, brach sich einen Vorderlauf und peitschte hilflos mit
den Hinterhufen das gichtende Wasser, das sich rot färbte.

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Voraus am anderen Ufer tauchten wilde Gestalten zwischen

Büschen und Felsbrocken auf und schwangen Schwerter und Lanzen.
Sie stürzten mit schaurigem Gebrüll zu den Männern, die in den
Bach gefallen waren. Ein Reiter jagte am jenseitigen Ufer auf sie zu.

Das rechte Führpferd des Kutschengespanns brach von einem Pfeil

getroffen zusammen: Entsetzt warf Edmund einen Blick zurück.
Auch hinter der Kutsche, bei der Weggabelung, tauchten Räuber auf.
Sie sprangen von Bäumen herab oder zwischen Büschen und
Felsbrocken am Fuß des Hanges hervor und griffen die zwei
restlichen Männer der Eskorte an. Aus dem Augenwinkel heraus sah
Edmund zwei Reiter auf sie zupreschen, und er erkannte sie wieder.
Das war der Ritter und einer der Knappen, die ihnen schon einmal
geholfen hatten.

Ein Pfeil knallte gegen Edmunds Helm, und er erschrak bis ins

Mark. Jäh fiel ihm ein, wie Rüdiger ums Leben gekommen war, und
ein Schauer lief ihm über den Rücken. Gottlob trug er den
Brustpanzer und den Helm, und der Bogenschütze war hinter ihm.
Dennoch mußte er vom Kutschbock herunter und in Deckung. In
panischer Hast kletterte Edmund hinunter. Dann fiel ihm ein, daß er
vergessen hatte, die Bremse festzudrehen. Das getroffene Führpferd,
das im Geschirr im Sterben lag, bremste zwar mit seiner Last das
Gespann, doch es bestand die Gefahr, daß die Tiere in ihrer Panik die
Kutsche in die Tiefe rissen. Einen Augenblick lang war Edmund
versucht, nur an seine eigene Sicherheit zu denken und sich einfach
davonzuschleichen. Er mußte schließlich an sein Weib und die
Kinder denken, die einen Ernährer brauchten. Doch sein
Pflichtgefühl als Kutscher überwog. Schnell kletterte er wieder
hinauf und drehte die Bremse fest.

Ein Inferno von Geräuschen erfüllte die Schlucht, Schreie,

Hufschlag, Wiehern, das Brüllen des Stiers und das helle Klirren von
Schwertern.

Edmund sprang von der Kutsche hinab und bekam den zweiten

Schock an diesem Vormittag. Eine Gestalt war neben der Kutsche
aufgetaucht. Ein bärtiger Hüne, der einen Morgenstern schwang. Wie

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schon einmal sah Edmund die schreckliche Kugel mit den
Metallzacken auf sich zuschwingen. Alles ging so schnell, daß er
nicht mal mehr schreien konnte. Der Morgenstern traf ihn irgendwo
an der Brust. Edmund spürte einen harten Schlag, der ihm den Atem
nahm, und er hatte plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen. Im
Reflex ruderte er mit den Armen, versuchte irgendwo Halt zu finden,
doch es gab keinen. Er flog über das eingeknickte Brückengeländer
hinweg. Alles drehte sich vor seinen Augen und verschwamm
plötzlich, als er aufprallte und ihm rötliches Wasser ins Gesicht
peitschte.

Allmächtiger! durchfuhr es ihn. Irma und die Kinder - sie brauchen

mich ...

Dann wurde das Wasser schwarz, schlug über seinem Kopf

zusammen und löschte alles aus.

*

Die beiden Männer der Nachhut, die nicht in den Wildbach gestürzt
waren, kämpften wacker. Einer war mit einer Lanze vom Pferd
gestoßen worden, der andere war noch im Sattel. Er stieß gerade
einem der verruchten Gesellen sein Schwert in die Brust. Noch im
Fallen umklammerte der Räuber die Hand des Spaniers, die das
Schwert hielt, und zog ihn aus dem Sattel. Der in der Rüstung
unbeholfene Mann prallte auf den Sterbenden. Dann war ein weiterer
Räuber zur Stelle und schlug dem Spanier eine Keule gegen den
Kopf. Der Helm schützte zwar, doch der Schlag war so wuchtig, daß
der Spanier bewußtlos zur Seite sank. Der Räuber brüllte
triumphierend. Doch nicht lange. Seine Augen weiteten sich in jähem
Erschrecken, als er die beiden Reiter sah, die förmlich auf ihn
zuflogen. Roland und Pierre. Ein Schwerthieb streckte den Räuber zu
Boden. Roland parierte bereits sein Roß, zog es herum und warf
einen schnellen Blick zur Eiche hin. Er sah den Bogenschützen und
warf sich über den Pferdehals. Der Pfeil zischte nur eine Handbreit
über den Ritter hinweg.

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»Runter vom Pferd!« schrie Roland Pierre zu und warf sich aus

dem Sattel. Er rollte sich ab und riß sein Schwert hoch. Bevor er sich
aufrappeln konnte, war einer der Räuber heran. Der Kerl hielt sein
Schwert mit beiden Händen und holte aus, als wollte er Roland den
Schädel spalten. Roland schnellte sich zur Seite, als die Klinge
herabsauste. Das Schwert hackte in den Boden. Bevor der Räuber es
aus dem Lehm ziehen konnte, war Roland auf den Beinen. Er schlug
dem Kerl auf die Finger. Der Räuber heulte auf wie eine Jungfer, die
sich irrtümlich auf einen Igel gesetzt hat, doch er ließ das Schwert
nicht los. Er griff Roland wütend an.

Roland parierte den Hieb, und dann wetzte er seine Klinge an dem

Schwert des Schurken, daß die Funken stieben. Mit wuchtigen
Schlägen trieb er den Kerl zurück.

Der Räuber war niemand anders als Uli. Uli konnte zwar weder

lesen noch schreiben, doch er besaß eine gewisse Bauernschläue. Er
wußte nicht, daß sein Gegner Ritter Roland war, doch er erkannte,
daß er diesem Schwertkämpfer nicht gewachsen war. Und deshalb
gab er Fersengeld. Er hetzte davon, als sei der Leibhaftige hinter ihm
her. Er lief im Zickzack, weil er damit rechnete, sein Gegner könnte
ihm das Schwert nachschleudern. Doch Ritter Roland ließ den
Feigling laufen und wirbelte zu dem nächsten Räuber herum.

Dann erstarrte er mitten in der Bewegung.
Zweierlei erfaßte er gleichzeitig, und beides jagte ihm einen

eisigen Schauer über die Wirbelsäule.

Pierre kreuzte die Klinge mit einem der Räuber. Der Knappe stand

mit dem Rücken zur Eiche gewandt. Und dort zielte der
Bogenschütze sorgfältig auf ihn, um ihm einen Pfeil in den Rücken
zu jagen.

Doch aus der Drehung heraus hatte Roland noch etwas gesehen,

das ihn erschütterte. Einer der Räuber warf Isabella auf eines der
Pferde, das zwischen den Kämpfenden herumgeirrt war. Er mußte
Isabella aus der Kutsche gezerrt haben. Sie war offenbar bewußtlos.
Schlaff lag sie über dem Pferd, und der Räuber schwang sich hinter
ihr in den Sattel.

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All das sah Roland in diesem schrecklichen Augenblick, und er

handelte, ohne zu denken. Noch hätte er Isabellas Entführer aufhalten
können. Der Kerl mußte keine zwanzig Schritte entfernt an ihm
vorbeireiten, um auf den Waldweg zu gelangen, der nach Osten aus
der Schlucht führte; der andere Weg war durch die Wagen blockiert.
Doch Pierres Leben war in Gefahr, und Rolands Herz entschied sich
in diesem Sekundenbruchteil für den treuen Knappen. Roland holte
fast ansatzlos mit dem Schwert aus und schleuderte es wie eine
Wurflanze zur Eiche hinauf. Ob dieser Fähigkeit, die ihm schon
einmal das Leben gerettet hatte, beneideten ihn andere Ritter, die als
Meister des Schwertes galten, doch diese Technik nicht so schnell
und treffsicher beherrschten. Die Schwertspitze bohrte sich in dem
Moment in die Brust des heimtückischen Bogenschützen, als der
Pfeil von der Sehne schnellte. Die Arme des Bogenschützen ruckten
hoch, und der Pfeil zischte über Pierre hinweg und klatschte in den
letzten Wagen vor der Brücke, in dem der Stier stampfte und brüllte.

Pierre hatte gerade zu einer Finte angesetzt und erschrak. Er hatte

wohl noch den Luftzug des Pfeils gespürt. Sein Gegner hätte Pierres
Ablenkung nutzen können, wenn er kaltblütig gewesen wäre. Doch
auch er erschrak. Er hörte einen gräßlichen Schrei von der Eiche her,
wo er seinen Kumpan wußte. Er starrte über Pierre hinweg und sah,
wie Gerfried, der Bogenschütze, von der Eiche stürzte. Es gab einen
dumpfen Aufprall, und der schaurige Schrei verstummte abrupt. In
verrenkter Haltung blieb der Räuber liegen, der schon so viele
Menschen aus dem Hinterhalt getötet hatte. Als der Räuber jetzt mit
dem Schwert nach Pierre stieß, war es zu spät. Pierre wich
gedankenschnell aus und traf ihn tödlich.

Roland sah den Räuber mit Isabella davonpreschen. Hätte der

Ritter doch noch sein Schwert in der Hand gehabt! Dann hätte er die
Entführung verhindern können. Verzweifelt riß er sein Messer aus
der Lederscheide und warf es. Er traf das Pferd, doch das Messer
besaß nicht genug Durchschlagskraft. Der Gaul streckte sich, so
gekitzelt, nur noch mehr. Und dann verschwand der Räuber mit
Isabella schon um die Wegbiegung.

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Rolands Blick zuckte in die Runde. Auf dieser Seite des

Wildbaches gab es keine Gegner mehr. Roland sah die reglosen
Gestalten der Räuber und eines Spaniers, um den sich sein
Landsmann kümmerte. Im Bach und am anderen Ufer wurde noch
gekämpft. Doch es sah aus, als hätten Louis und die Männer der
Eskorte die Situation im Griff. Zwei. Räuber ergriffen gerade die
Flucht.

»Hilf Louis!« rief Roland Pierre zu, der sein blutiges Schwert

abwischte. »Und bleibt beide zum Schutz bei den Spaniern. Fahrt um
die Schlucht herum und setzt den Weg nach Hohenstolz fort. Ich hole
euch wieder ein.«

Dann hetzte er zu seinem Pferd, das nahe bei der Weggabelung

stehengeblieben war. Er warf sich in den Sattel und galoppierte
hinter dem Entführer her.

Pierre lief zum Bach. Er rannte an den Wagen vorbei, und sein

Herz war voller Sorge um die Zofe Linda. Er hatte flüchtig gesehen,
daß einer der Räuber mit einer Frau geflüchtet war, doch es war alles
zu schnell gegangen, und so wußte er nicht, welche Frau es war. Er
erreichte die Kutsche und warf einen Blick hinein. Er atmete auf. Die
Zofe und die ältere Frau kümmerten sich um den Diener und um
Alfons von Cordoba. Beide Männer waren offensichtlich
niedergeschlagen worden.

Pierre lächelte verzerrt Linda zu und rannte weiter.
Er rutschte über das eingestürzte Brückenstück hinab, glitt auf den

nassen Planken aus und plumpste ins Wasser. Fluchend rappelte er
sich auf. Er sah ein totes Pferd und eine reglose Gestalt im
schäumenden Wasser. Mit einem schnellen Blick zu Louis erkannte
er, daß seine Hilfe nicht benötigt wurde. So eilte er zu dem Mann,
der im Wasser lag, und zerrte ihn ans Ufer.

Es war Edmund, der Kutscher.
Er sah leichenblaß aus, und Pierre glaubte schon, er sei tot. Doch

dann zuckten die Lider des Kutschers, und blinzelnd öffnete er
schließlich die Augen. Sein Blick war verständnislos. Er war noch
nicht ganz bei Besinnung. Dann würgte er und übergab sich. Pierre

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kümmerte sich um ihn und befreite ihn von dem Brustpanzer, der
eine tiefe gezackte Delle auf wies.

So kam es, daß Irmgard und ihre sieben Kinder ihren Ernährer

behielten. Edmund hatte zwar eine Rippe angeknackst und schlimme
Prellungen davongetragen, doch das heilte bald. Sicherlich wäre er
im Bach ertrunken, hätte Pierre nicht so schnell und umsichtig
gehandelt. Edmund dankte es später seinem Retter. Er ließ sein
siebentes Kind - wie erwartet ein strammer Junge - auf den Namen
Peter taufen; Pierre war ihm etwas zu ausländisch.

Edmund verlor wieder das Bewußtsein, aber er war jetzt außer

Gefahr. Alles Wasser, das er geschluckt hatte, war aus seinem
Magen, und Pierre hatte dafür gesorgt, daß Edmund wieder Luft
bekam.

Der Knappe sah mit einem schnellen Blick, daß der Kampf beendet

war. Er ging zu Louis, der mit zwei Spaniern bei zwei reglosen
Gestalten stand. Es waren ebenfalls Männer der Eskorte, die dort am
Boden lagen, denn sie trugen Rüstungen. Pierres Blick glitt zu den
Leichen der Räuber. Sie hatten keine Rüstungen getragen, und der
Wildbach spülte ihr Blut davon.

Louis richtete sich auf und fing Pierres fragenden Blick auf. Die

Spanier schauten ebenso betroffen drein. Sonst waren sie von
lebhafter, gesprächiger Art, wie die Knappen während des
Nachtlagers bemerkt hatten, doch jetzt verharrten sie bedrückt und
stumm.

»Einer ist tot«, sagte Louis mit schwerer Stimme und wischte sich

müde übers Gesicht, dem noch die Anstrengung nach dem wilden
Kampf anzusehen war. »Sein Gaul begrub ihn unter sich, als er in
den Bach stürzte. Ich konnte ihn zwar rausziehen wie den anderen,
doch da war nichts mehr zu machen.« Louis sah sich um. »Wo ist
Roland?«

Sorge war in seinen Augen.
Pierre berichtete. Louis fluchte erbittert. Die Spanier blickten

stumm und fragend. Sie verstanden nicht.

Louis' dröhnende Flüche zeigten indessen Wirkung. Der

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bewußtlose Spanier erwachte aus seiner Ohnmacht. Benommen und
unbeholfen in der Rüstung versuchte er sich aufzusetzen. Seine
Landsleute halfen ihm. Sie redeten hastig auf ihn ein.

Der Mann schüttelte ein paarmal den Kopf und sagte etwas. Jetzt

erkannte Pierre, daß es der Chef der Eskorte war, nämlich Luis
Hernandez.

Des spanischen Luis' Blick wurde klarer und erfaßte den Knappen

Louis. Sofort kam Farbe in sein trotz der natürlichen Bräune fahles
Gesicht. Luis spuckte einen Schwall von Worten aus, von denen die
Knappen nur »Duell - Duell« verstanden.

Es sah aus, als wolle Luis aufspringen und das Duell auf der Stelle

austragen. Doch die Rüstung und seine Landsleute hinderten ihn
daran. Die Spanier drückten ihn zurück und redeten auf ihn ein.

Louis schüttelte den Kopf. »Undankbarer Patron. Das nächste Mal

überlege ich mir vielleicht, ob ich ihn nochmal aus dem Wasser
ziehe. Komm, Pierre, sehen wir mal nach den anderen.«

*

Arno von Berghe trommelte nervös mit seinen kräftigen Fingern auf
der Tischplatte.

»Immer noch keine Meldung von diesem Primitivling von

Gregor?«

Wenzel, der schlanke Mann mit dem gezwirbelten Schnurrbart und

dem pomadisierten schwarzen Haar, das er in der Mitte gescheitelt
trug, schüttelte den Kopf.

»Nein, er hat nichts von sich hören lassen. Willst du ...?«
Arno von Berghe schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Rede mich mit Herr an!« brüllte er, und seine grollende Stimme

hallte durch das offene Fenster in den Burghof, so daß selbst der
Wachtposten auf dem Turm sie hören konnte. »Ich bin Arno von
Berghe, verdammt«

Der Wachtposten grinste. Er wußte, daß Wenzel sich mal wieder

verplappert hatte, und er fragte sich, wie lange der Herr das noch

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hinnehmen würde, ohne ernsthafte Konsequenzen zu ziehen.
Geschah Wenzel nur recht, wenn ein Donnerwetter über ihn
hereinbrach. Dieser eitle Affe spielte sich ja schon auf, als sei er der
zweite Herr auf Burg Höhenstolz ...

Er lauschte in hämischer Vorfreude, doch zu seinem Bedauern

blieb alles still. Enttäuscht zuckte er mit den Schultern und spuckte
in den Burggraben hinab, in dem eine Ente flugs den Kopf einzog.

Arno von Berghe hatte sich indessen erhoben. Er war ein großer,

schwergewichtiger Mann in einem eleganten Anzug aus rotem Samt,
der mit güldenen Stickereien verziert war. Er verharrte kurz vor dem
mannshohen, goldgerahmten Gemälde an der Wand zwischen den
beiden Fenstern und schaute sein lebensgroßes Ebenbild an. Er sah
buschige, dunkelbraune Brauen. Braune, kühnblickende Augen. Eine
große, spitze Nase, schmale Lippen und ein wuchtig vorstehendes
Kinn. Das ernste Gesicht des fünfzigjährigen Burgherren.

Unbewußt tastete Arno von Berghe zu dem Leberfleck am rechten

Mundwinkel, aus dem ein Haar sproß. Leberfleck und Haar hatte der
Maler auf dem Bild weggelassen, aber sonst fand Arno von Berghe,
daß alle Züge recht gut getroffen waren. Ja, die Ähnlichkeit war
verblüffend.

Er schloß das Fenster und wandte sich zu Wenzel um.
»Schick noch einen Boten los. Nein, du reitest besser selbst.«
»Ja, Herr.«
Arno von Berghe verschränkte die Hände auf dem Rücken und

ging unruhig auf und ab.

Wenzel wartete. Bei den Launen des Herrn wußte man nie, woran

man war. Manchmal änderte er innerhalb einer Minute dreimal den
Auftrag und schnauzte einen an, man könne nicht mitdenken.

Arno von Berghe blieb stehen.
»Sag ihm, ich erhöhe die Summe um ein Drittel, wenn er mir

Erfolg meldet.«

»Aber - mit Verlaub, Herr, er hat doch ein Viertel mehr gefordert!

Wenn wir ihn bei Laune halten wollen, sollten wir ihm das
gewähren, anstatt ihn mit einem Drittel abzuspeisen. Vielleicht sollte

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man sogar erwägen, ihm ein Fünftel anzubieten, damit er den
Auftrag auch zuverlässig und zu Eurem Wohlgefallen ausführt.«

Wenzel war mit sich zufrieden. Er fühlte sich als weiser Berater.
Arno von Berghe blinzelte indessen. Die Ader an seiner Stirn

schwoll an.

»Dummsack!« blaffte er angewidert.
Wenzel nickte verwirrt.
»Daß du nicht lesen und schreiben kannst, ist schon traurig

genug«, fuhr Arno fort. »Daß du aber nicht mal rechnen kannst, setzt
allem die Krone auf!« Seine Stimme schwoll unheilvoll an. »Ich
frage mich, ob meine Entscheidung, dich zu meiner dritten Hand zu
machen, nicht eine Torheit war.«

Wenzel wußte nichts zu sagen. Er senkte demütig den Kopf,

obwohl er sich immer noch keiner Schuld bewußt war.

»Du bietest Gregor ein Drittel mehr an«, fuhr Arno von Berghe

grollend fort. »Und wenn der Kerl genauso ein Depp ist wie du, dann
richte ihm von mir aus, daß ein Drittel mehr ist als ein Viertel. Und
wenn er das nicht glaubt, kannst du ihm glatt ein Tausendstel
anbieten.«

Wenzel blickte überrascht. »Ja, Herr«, beeilte er sich zu sagen.
Arno von Berghe bedachte ihn noch mit einem finsteren Blick und

schritt weiter auf und ab.

Nichts als Analphabeten und abergläubische Dummköpfe unter

meinen Mannen, dachte Arno von Berghe grimmig. Wird Zeit, daß
ich sie mir nach und nach vom Hals schaffe. Dieses Pack! Dann
schwand sein Unmut etwas, und er dachte: Na ja, für Hilfsdienste
sind diese armen Teufel ja zu gebrauchen. Woher sollen sie es besser
wissen, wenn sie schon als Kinder Hühnerdiebe waren und nie einen
Lehrer hatten. Er überlegte, ob er nicht einen gelehrten Mann
anstellen sollte, der seinen Mannen ein wenig Unterricht gab. Diese
Haderlumpen würden es zwar als Strafe empfinden, wenn sie etwas
lernen sollten, und es nicht zu würdigen wissen. Blut und Wasser
würden die schwitzen!

Der Gedanke amüsierte ihn. Hei, das war eine gute Idee! Statt

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Peitschenhiebe oder Kerker eine Lehrstunde in Schreiben, Rechnen
und Lesen! Das würde die Jungs mehr schrecken als alle anderen
Strafen. Er konnte sich gut in sie hineinversetzen.

Schließlich war er nicht immer Burgherr gewesen.
Er lächelte vor sich hin, und der wartende Wenzel wurde eine Spur

blasser, denn dieses Lächeln war recht boshaft.

Das letzte Mal hatte der Herr so gelächelt, als er einen

Wachtposten hatte auspeitschen lassen, der statt Wache zu halten,
einer Magd ein Kind gemacht hatte.

Arno von Berghe blickte auf.
»Was stehst du noch da und hältst Maulaffen feil?« fuhr er Wenzel

an. »Reite zu Gregor! Bis spätestens morgen mittag will ich eine
Erfolgsmeldung hören.«

»Ja, Herr.«
Wenzel dienerte und zog sich eilig zurück. Draußen begegnete ihm

Rudolf, der Diener.

»Wie ist seine Laune?« fragte Rudolf näselnd.
»Mies«, flüsterte Wenzel und sah sich besorgt um, als befürchte er,

belauscht zu werden.

Diese Sorge war nicht unbegründet. Es gab Spitzel auf der Burg,

die alles dem Herrn meldeten. Im Grunde konnte man keinem trauen,
abgesehen von einigen alten Freunden wie Rudolf zum Beispiel.
Manchmal hatte Wenzel das Gefühl, wie ein Gefangener auf der
Burg zu leben. Daran änderte auch nicht die Tatsache, daß er als
einiger der wenigen die Burg verlassen durfte, wenn der Herr ihn mit
einem Auftrag losschickte. Aber man konnte nie wissen, ob der Herr
einem nicht einen Spitzel nachschickte, der dafür sorgte, daß man
auch zurückkehrte - oder nie wieder.

»Mies?« Rudolfs Spitzmausgesicht zeigte ein Grinsen. »Also wie

immer.«

Er klopfte und trat ein, während Wenzel eilig davonschritt.
Rudolf konnte Wenzels Urteil nicht teilen. Er hatte den Eindruck,

daß der Herr recht gut gelaunt war. Er pfiff sogar vor sich hin, als er
die Dokumente und Briefe las, die Rudolf ihm vorlegte.

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»Gut, gut«, sagte Arno von Berghe zufrieden, als er die Absage auf

einen Brief gelesen hatte, in dem eine Tante ihren Besuch
angekündigt hatte. »Die Tante sind wir los. Die möchte sich
bestimmt nicht anstecken.« Er blickte Rudolf an. »Aber mußte man
mir denn unbedingt die Pocken andichten?«

»Tante Martha soll nicht leicht zu schrecken sein.«
Arno von Berghe grinste. »Na, dann ist es vielleicht gut, schweres

Geschütz aufzufahren. Und weil ich gerade gut gelaunt bin, darfst du
den Gefangenen einen Krug Wasser und einen Kanten Brot geben.«

»Jedem?« fragte Rudolf.
»Papperlapapp«, erwiderte Arno von Berghe unwirsch. »Allen

zusammen einen Krug Wasser und einen Kanten Brot.«

Rudolf nickte eifrig. Er verspürte ein wenig Mitleid mit den

Gefangenen, die im Kerker dahinsiechten, aber er hütete sich, es zu
zeigen. Er war einmal mit dreißig Stockhieben bestraft worden, weil
er aus Mitleid den gefangenen Frauen ein Stück Käse zugesteckt
hatte.

Arno von Berghe klappte zufrieden die Mappe mit den Briefen und

Schriftstücken zu.

»Das sollte uns für eine Weile unerwünschten Besuch vom Halse

halten und gute Geschäfte einleiten«, murmelte er.

Rudolf nahm die Mappe, dienerte und ging.
Als Arno von Berghe allein war, schenkte er Met in einen Becher.

Er setzte den Becher an die Lippen, bemerkte eine Fliege im Met und
fischte sie heraus. Die Stubenfliege krabbelte vom Met berauscht
über seinen Finger.

»Besoffenes Vieh«, brummte der Burgherr und zerquetschte sie

zwischen Daumen und Zeigefinger. Er schnippte sie fort und trank
genußvoll den Becher mit Met in einem Zuge leer.

Dann rülpste er leicht, lehnte sich zurück und faltete die Hände vor

dem Bauch.

Diese verdammten Spanier!
Sie durften auf keinen Fall die Burg erreichen. Wenn sie bis

Hohenstolz kamen, konnte alles ans Tageslicht kommen ...

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Die Spanier mußten irgendwo auf dem Weg beseitigt werden. Das

Werk ruchloser Räuber. Nicht die Spur eines Verdachtes würde auf
ihn fallen. Schließlich hatte Arno von Berghe den Spaniern jeden
erdenklichen Schutz angeboten ...

Er schenkte sich von neuem Met ein.
Ah, Gregor und seine Mannen würden es schon schaffen. Er

kannte doch Gregor. Ein primitiver Rohling, aber für solche Dinge
gut zu gebrauchen. Vielleicht war längst alles erledigt, und dieser
geldgierige Hund wartete nur mit der Erfolgsmeldung, um einen
noch höheren Preis herauszuschinden! Der würde sich ohnehin
wundern, wenn er statt der versprochenen Dukaten in die Tasche
einen Dolch ins Herz bekommen würde, damit er niemals das
Geheimnis von Hohenstolz ausplaudern konnte.

Bei diesem Gedanken grinste er vor sich hin.
Und es war ein Grinsen, an dem der Satan seine helle Freude

gehabt hätte, wenn er es gesehen hätte.

Doch der Gehörnte war zu beschäftigt. Er vergnügte sich gerade

mit sechs gefallenen Mädchen, die auf der Erde als Hexen verbrannt
worden waren, in seinem Höllenschlafzimmer. Die ehemaligen
Hexen kicherten und zupften ihn am Schwanz. Da hatte der schwarze
Haderlump kein Auge für seinen Vetter auf Erden ...

*

Uli, der Räuber, grinste ebenfalls. Er war recht zufrieden mit sich
und der Welt. Gewiß, es war wiederum nicht alles nach Plan
verlaufen. Wie hatte Gregor gesagt, als er ihnen alles erläutert hatte:
»Einfacher geht's nicht, ihr Schwachköpfe. Ich fasse zusammen: Die
Brücke ansägen. In Deckung gehen. Wenn alle im Bach liegen -
zackzack!« Und er hatte die Geste des Halsabschneidens gemacht.

Nun, es war nicht Zackzack gegangen. Vielleicht waren sie zu

eifrig gewesen und hatten zuviel gesägt. Jedenfalls war die
verdammte Brücke zu früh eingestürzt, bevor alle darauf gewesen
waren. Und dann waren wieder diese drei Kerle aufgetaucht, die

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ihnen schon beim ersten Überfall alles vermasselt hatten. Neun Mann
waren sie diesmal gewesen. Jetzt waren sie noch zu viert. Der ganze
Rest der Bande, abgesehen von Alois, der als Wache im Versteck
geblieben war. Gregor würde sich neue Männer suchen müssen. Na,
der würde ganz schön sauer sein.

Gut, daß er, Uli, einen Mann vorausgeschickt hatte, um Gregor die

Kunde zu bringen. Bei ihm würde Gregor erst einmal Dampf
ablassen und bei ihrer Ankunft dann schon etwas ruhiger sein.

Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sie auch noch mit

leeren Händen zurückgekehrt wären!

Doch sie kamen nicht mit leeren Händen.
Sein Blick glitt zu der Spanierin, die gefesselt beim Lagerfeuer

saß. Sie brachten Gregor ein Geschenk mit. Und was für eines! Das
würde ihn versöhnen. Außerdem war damit der Auftrag, den Gregor
ausführen sollte, so gut wie erledigt. Genaues wußte keiner von der
Bande, doch Gregor hatte ihnen die Hälfte der Beute versprochen
und anklingen lassen, daß ihm der Tod der Spanier ein kleines
Vermögen an Dukaten einbringen würde. Nun, sie hatten außer der
Spanierin keine Beute machen können, aber das ließ sich sicherlich
noch nachholen. Sie brauchten den Spaniern nur eine Botschaft mit
einer Lösegeldforderung zu schicken, sie zur Übergabe in eine Falle
locken und »zackzack«, wie Gregor zu sagen pflegte.

Uli war also frohgemut, und sein Blick ruhte wohlgefällig auf der

schönen Spanierin.

Bruno, der Rotbart an seiner Seite, betrachtete Isabella mit anderen

Blicken. Er war es gewesen, der sie entführt hatte, und er betrachtete
sie als seine Beute. Doch Uli sprach ja dagegen. Bruno versuchte es
noch einmal, ihn umzustimmen.

»Viel zu schade, um sie bei Gregor abzuliefern. Ein solch süßes

Täubchen flattert einem nicht alle Tage zu.«

Lüstern tasteten seine Blicke über Isabellas Formen. Isabella hatte

den Kopf gesenkt und verharrte in apathischem Schweigen.

Uli nickte in Gedanken.
Bruno schöpfte Hoffnung. Er ergriff seine schmutzstarrende

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Feldflasche, die mit Wein gefüllt war, und erhob sich. Breitbeinig
schritt er zu der Gefangenen. Sie blickte auf, als' sein Schatten auf sie
fiel.

Sein verfilzter, schmutziger Bart klaffte auf, und er zeigte ihr

grinsend einen schwarzen Zahnstummel. Dann setzte er die
Feldflasche an die wulstigen Lippen und trank gluckernd. Er wischte
sich mit dem Handrücken über Bart und Mund und starrte Isabella in
den Ausschnitt.

»He, Täubchen, willst du auch mal? Du kannst einen Schluck

haben.« Er hielt ihr die Feldflasche hin.

»Von uns auch«, rief Rainer, der dritte der üblen Gesellen. »So viel

du willst, schöne Frau.«

Es sah aus, als wollte Isabella den Kopf schütteln. Doch dann

ergriff sie die Feldflasche. Sie warf nur einen kurzen Blick auf die
schmutzstarrende Umhüllung. Dann warf sie die Flasche dem
Rotbart mitten ins Gesicht. Das geschah so schnell, daß sich der
Rotbart nicht mal mehr ducken konnte. Und trotz der Eile hatte
Isabella gut gezielt. Die Flasche mit dem Rotwein schlug eine leichte
Delle in die breite Nase des Kerls, und Rotwein spritzte ihm in die
Augen, bevor die Flasche ins Gras fiel.

Nach dem Aufschrei des Rotbarts folgte sekundenlang Stille. Nur

das Gluckern des Weins war zu hören, der aus der Flasche lief.

Brunos Bart wies jetzt noch dunklere rote Flecke auf. Der Räuber

wischte sich über Augen und Wange und starrte auf die Frau hinab.
Furchtlos und stolz erhobenen Hauptes sah Isabella ihn an, und ihre
Miene zeigte unverhüllte Verachtung. Jäh verzerrte sich sein Gesicht,
und er holte mit der Hand zum Schlag aus.

»Halt ein!« rief Uli.
Bruno verharrte mit erhobener Hand. »Das hat das Luder nicht

umsonst getan!« keuchte er.

Uli war zwar auch ein übler Bursche, doch er mochte nicht, daß

Frauen geschlagen wurden. Vielleicht lag das daran, daß sein
Stiefvater immer die Mutter vertrimmt hatte, bevor er - Uli - von zu
Hause ausgerissen war und sich entschlossen hatte, ein großer starker

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Kämpfer zu werden, damit er eines Tages seinen Vater vertrimmen
konnte. Nun, ein starker Kämpfer war er nie geworden, und das war
auch nicht mehr nötig gewesen, denn bald darauf hatte sich sein
Vater zu Tode gesoffen.

»Gregor wird sauer sein, wenn du sie beschädigst«, mahnte Uli.

»Der wird schon toben, wenn er erfährt, daß wir der Rest der Bande
sind. Da kann es nicht schaden, wenn wir ihn mit einem reizvollen
Geschenk besänftigen.«

Bruno ließ die Hand sinken. Uli war so etwas wie dritter

Unterführer, und nach dem Tod der beiden anderen konnte es gut
möglich sein, daß er aufrückte. Es war besser, man hörte auf ihn.
Doch sein Zorn war noch zu groß.

Seine prankenartige Hand schoß auf Isabella zu, doch er schlug sie

nicht, sondern riß ihr das Oberteil des Kleides vorn Leib. Er
erhaschte einen Blick auf ihren Busen, bevor sie ihn mit ihren
gefesselten Händen bedeckte.

»Schöne Zitzen«, sagte er grinsend. »Gregor wird nichts dagegen

haben, wenn wir ihm das Geschenk ohne Verpackung überreichen.«

Isabella hatte sich schon eine Närrin gescholten, weil sie dem Kerl

die Feldflasche ins Gesicht geworfen hatte. Es war klüger, nichts zu
tun, was diese Schurken reizen konnte. Sie war schon froh, daß die
Kerle nicht über sie hergefallen waren, sondern sie zu ihrem
Räuberhauptmann bringen wollten, wie sie ihrer Unterhaltung
entnommen hatte. Ihr war klar, daß es nur ein Aufschub war, doch
solange sie noch nicht im Lager der Räuber war, gab es noch
Hoffnung. Jetzt ging wiederum das Temperament mit ihr durch, und
erst im Nachhinein stellte sich heraus, daß es eine Fügung des
Schicksals gewesen war.

Sie spuckte dem Halunken ins Gesicht.
»Eh«, sagte Bruno. Er wich etwas zurück und fügte ein weiteres

»eh« hinzu. Dann wischte er sich zum zweiten Mal an diesem Abend
über die Augen.

So sah er nicht den Schatten, der sich gerade hinter einem Busch

am Rande der Mulde aufgerichtet hatte, in der sie ein paar Stunden

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rasten wollten, weil die Pferde nach dem langen Ritt erschöpft
waren.

Der Schatten war Ritter Roland.
Die Räuber glaubten, ihn nahe bei der Schlucht abgeschüttelt zu

haben. Sie waren durch Wälder geritten, hatten mehrmals die
Richtung geändert und alles getan, um ihre Spuren zu verwischen.

Verbissen hatte Roland weitergesucht. Immer wieder hatte er die

Fährte gefunden, doch in der Dunkelheit hatte er verzweifelt
aufgeben müssen.

Dann war ihm der Zufall zu Hilfe gekommen. Ein Landmann, der

mit seinem Fuhrwerk auf dem Weg zum nahen Dorf war, um einen
Schoppen Wein zu trinken, hatte vier Reiter und eine Frau gesehen.
Einer der Reiter hatte die Frau vor sich im Sattel umarmt gehalten.
Der Landmann hatte den kleinen Trupp nur von weitem gesehen und
sich nicht allzuviel dabei gedacht. Immer wieder nahm mal ein
Bursche bei einem Ausritt seinen Schatz oder die Magd mit aufs
Pferd.

»Die Sitten sind halt verlottert«, hatte er sich beklagt und Roland

gezeigt, an welcher Stelle die Reiter mit der Frau im Wald
verschwunden waren.

Roland hatte sein Pferd am Waldrand zurückgelassen und sich zu

Fuß durch den dunklen Wald gepirscht. Er hatte damit gerechnet, daß
die Räuber eine Rast einlegten. Nach einer Viertelstunde hatte ihm
dann Feuerschein den Weg zum Lager der Kerle gezeigt, das sie in
einer Mulde zwischen zwei Waldstücken aufgeschlagen hatten.

Er hatte sich angeschlichen und beobachtet und gelauscht. Er war

erleichtert gewesen, daß sie Isabella nichts angetan hatten, und aus
ihren Worten war hervorgegangen, daß sie sie unangetastet zu ihrem
Versteck bringen wollten. So hatte er noch nichts unternommen und
auf den günstigsten Zeitpunkt gelauert. Drei Kerle waren ganz nahe
bei Isabella, und alle konnte er nicht gleichzeitig ausschalten. Einer
brauchte nur die Spanierin als Schutzschild an sich zu reißen, ihr sein
Messer an die Kehle zu setzen - und alles war aus. Dann hatten sie
ihn als zusätzlichen Gefangenen. Er hatte abwarten wollen, bis die

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Schurken schliefen oder zumindest einer zu den Pferden ging oder
sich vom Lager entfernte, um Wasser zu lassen - irgendeine solche
Gelegenheit. Sorge machte ihm auch, daß nur drei Räuber bei
Isabella waren. Nach der Fährte zu schließen, mußten vier Reiter mit
ihr unterwegs sein, und auch der Landmann hatte von vieren
gesprochen. Doch Roland konnte nur drei Pferde und drei Männer
sehen; er konnte ja nicht ahnen, daß Uli einen Mann zu Gregor
vorausgeschickt hatte.

So rechnete Roland damit, daß der vierte Kerl vielleicht als Wache

durch den Wald streifte und war entsprechend vorsichtig.

Als es zu dem Zwischenfall mit der Feldflasche gekommen war

und der Rotbart zum Schlag ausgeholt hatte, wäre Roland fast schon
aufgesprungen, um einzugreifen. Doch dann war ihm einer der
Räuber zuvorgekommen und hatte Einhalt geboten.

Jetzt aber hatte sich die Situation zugespitzt. Isabella, deren

Tapferkeit er ebenso bewundert hatte wie ihre Schönheit, hatte den
Rotbart bis zur Weißglut getrieben - und nicht nur mit ihren
körperlichen Reizen.

Roland erkannte, daß auch Uli seinen Kumpan diesmal nicht

zurückhalten konnte, und so handelte er.

Wie der Teufel sprang er zwischen die überraschten Räuber, und

seine Schwertklinge funkelte rötlich im Schein des Feuers.

»Keine Bewegung - ihr seid umzingelt!« schrie Roland. Mit zwei

langen Sätzen war er bei dem Rotbart, der die Hände von den Augen
riß und die Gestalt, die auf ihn zustürmte, offenen Mundes anstarrte.

Roland hieb mit der stumpfen Seite der Klinge gegen die Beine des

Räubers. Schreiend fiel der Kerl in den Sand. Roland wirbelte bereits
zu den beiden anderen herum. Uli hatte sich als erster von dem
Schock erholt. Er griff zum Schwert, das er neben sich auf einem
Streifen Gras abgelegt hatte. Roland schlug ihm auf die Finger, und
brüllend ließ Uli das Schwert fallen. Der dritte Halunke hatte
inzwischen sein Schwert ebenfalls hochgerissen. Er sprang auf und
holte zum Schlag aus.

Doch Ritter Roland war schneller. Er parierte die Attacke, fintierte

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und sprang vor, um dem Räuber die Klinge in die Brust zu stoßen.
Röchelnd sank der Schurke zurück.

Uli sah, daß sein Kumpan starb und geriet in Panik. Er warf sich

herum und hetzte davon.

»Halt!« schrie Roland. »Du kommst ohnehin nicht weit. Ihr seid

umstellt!«

Er hoffte, daß sein Bluff wirkte, doch Uli hörte nicht auf ihn. Er

rannte davon und war flink wie ein Wiesel auf dem Weg zu seiner
Wieselin, die ihm eine heiße Liebesnacht versprochen hat.

Roland überlegte, ob er ihm nachsetzen sollte. Da hörte er Isabella

aufschreien und fuhr alarmiert herum. Er erinnerte sich daran, daß er
vor ein paar Wochen in einer ähnlichen Lage gewesen war. Damals
hatte er Prinzessin Charlotte gesucht und sie endlich aus den Fängen
der Räuber hatte befreien können. Der Rotbart!

Den Kerl hatte er im Eifer des Gefechtes ganz vergessen. Er hatte

ihn nur niedergeschlagen, weil er am nächsten bei Isabella gestanden
hatte und eine Gefahr für sie gewesen war. Er hätte ihn töten können,
doch der Räuber hatte keine Waffe in der Hand gehabt.

Jetzt hatte sich der Kerl aufgerappelt und sein Messer aus der

Scheide am Gürtel gerissen. Und er wollte genau das tun, was
Roland befürchtet hatte. Er wollte sich die Gefangene schnappen.

»Halt, oder es ist dein Tod!« warnte Roland und holte mit dem

Schwert zum Wurf aus.

Der Räuber wollte nicht hören. Zwei Schritte trennten ihn noch

von der gefesselten Spanierin, die ihn voller Todesangst anstarrte
und dann schützend die Hände vors Gesicht riß, weil sie wohl
befürchtete, der Kerl wolle sie erstechen. Es war gut, daß sie die
Hände hochriß. So blieb ihr der schreckliche Anblick erspart, als
Bruno, von Rolands Schwert getroffen, stürzte und neben sie fiel. Sie
nahm den Aufprall wahr, zog die Hände herunter und wälzte sich
zitternd von der Gestalt fort.

Roland hörte Hufschlag und fluchte. Der flüchtende Räuber nahm

alle drei Pferde mit. Mit einer fahrigen Bewegung wischte sich
Roland über die Stirn. Sein Atem ging heftig nach durchstandener

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Anstrengung. Er atmete tief ein und aus. Sein Blick glitt zu den
beiden reglosen Gestalten. Er hätte sie lieber lebend gehabt, um von
ihnen zu erfahren, wer ihr Auftraggeber war. Doch sie hatten ihm
keine Wahl gelassen. Dennoch verspürte Ritter Roland einen bitteren
Geschmack, weil er zum Töten gezwungen worden war. Er hätte sie
verschont, wenn sie sich ergeben hätten, so verrucht sie auch
gewesen sein mochten.

Er schritt zu Isabella. Stumm schaute sie ihm in die Augen, von

unsäglicher Dankbarkeit erfüllt.

Er nahm das Messer, das der tote Räuber noch umklammert hielt,

und schnitt ihre Fesseln durch. Der Schein des Feuers zuckte über
ihre samtene Haut, als sie ihm die an den Handgelenken locker
gebundenen Hände entgegenstreckte, damit er die Stricke
durchschneiden konnte. Als die Fesseln fielen, rieb sie sich die
Handgelenke und atmete tief ein und aus. Ihre Blicke tauchten
ineinander, und was Roland in ihren Augen las, ließ sein Herz
schneller schlagen. Sie zog ihr eingerissenes Kleid hoch, und dabei
blickte sie ihm immer noch tief in die Augen.

»Danke«, sagte sie leise. »Wenn Ihr nicht gekommen wärt...«
Sie ließ den Rest unausgesprochen, doch Roland wußte, daß sie

daran dachte, was sie im Versteck der Räuber erwartet hätte.

Er half ihr galant auf. Sie sank gegen ihn, und er hielt sie fest. Sie

war nur ein wenig kleiner als er, und als sie ihren Kopf an ihn
schmiegte, kitzelte ihn ihr seidiges Haar an der Wange.

Sie zitterte, und er glaubte das Pochen ihres Herzens an seiner

Brust zu spüren.

Dann bog sie den Kopf zurück. Ihr Mund war dicht vor seinem,

und der Blick der großen, schwarzen Augen und der Duft von Seife
oder Parfüm betörten seine Sinne.

Er wußte später nicht mehr zu sagen, wie es gekommen war. Ihre

Lippen fanden sich ganz von selbst, und nach einer süßen Ewigkeit
war es ihm, als erwache er aus einem wunderschönen Traum.

»Te quiero, te quiero«, glaubte er noch eine Elfe flüstern zu hören.

Und dann erkannte er, daß es keine Elfe war, die er in den Armen

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hielt, sondern Isabella, und die Wirklichkeit hatte ihn wieder.

Sie war einem anderen versprochen! Niemals konnte sie diese

spanischen Liebesworte gesagt haben! Verwirrt löste er sich von ihr.

»Verzeiht...« begann er verlegen und suchte nach den richtigen

Worten.

Dann sah er ihr glückliches Lächeln, das Strahlen ihrer Augen, das

tief aus ihrem Herzen zu kommen schien, und im nächsten
Augenblick spürte er von neuem ihre Lippen auf seinem Mund, und
er glaubte, sein Herz würde vor Glück zerspringen. Denn diesmal
war er völlig sicher, daß er es nicht träumte.

Diesmal währte der Kuß nur kurz, viel zu kurz. Es war mehr ein

flüchtiger, süßer Hauch, als liebkoste ein Schmetterling seine Lippen,
und dann hörte er Isabella zärtlich wispern: »Nicht hier, Roland, laß
uns von hier fortgehen.«

Schlagartig fiel ihm ein, daß einer der Räuber entkommen war.

Und dann war da noch der vierte Mann. Er fragte Isabella danach,
und sie erklärte ihm, daß der Anführer des Quartetts ihn
vorausgeschickt hatte. Dennoch mußten sie verschwinden. Das
Versteck der Bande konnte in der Nähe sein, und möglicherweise
kehrte der Räuber mit Verstärkung zurück. Roland löste sich von
Isabella. Er trat das Feuer aus und warf einen Blick zu den Toten. Es
blieb keine Zeit, sie zu begraben, wie es Christenpflicht war. Er
mußte zuerst Isabella in Sicherheit bringen. Das nächste Dorf war
nicht weit, und er würde von dort jemand in den Wald schicken, der
die Toten unter die Erde brachte.

Er führte Isabella zu seinem Pferd. Sie ritt dann im Damensitz vor

ihm auf dem Hengst und schmiegte sich an ihn.

Lange Zeit ritten sie schweigend unter dem silbernen Licht der

Sterne und des Mondes, der wohlgefällig auf sie hinunterlugte. Es
bedurfte keiner Worte zwischen ihnen. Erst als sie die Lichter des
kleinen Dorfes sahen, brach Isabella das Schweigen.

»Ob es dort eine Herberge gibt - mit einem richtig weichen Bett?«
»Ich hoffe es«, sagte Roland, und von neuem wallte es heiß in ihm

auf.

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»Ich bin nämlich müde«, sagte Isabella lächelnd und schmiegte

den Kopf an seine Brust.

Roland versuchte seine Enttäuschung zu verbergen.
»Ich auch«, log er mit belegter Stimme und schickte ein

gekünsteltes Gähnen hinterher.

Sofort hob sie den Kopf und sah ihn irgendwie forschend an, und

er glaubte, es in ihren Augen aufblitzen zu sehen.

»Ein wenig«, schwächte er ab. Vielleicht kränkte es ihren Stolz,

wenn man eine so schöne Spanierin in den Armen hielt und gähnte.

Es gab eine Herberge in dem Ort. Ein Gasthof mit sechs

Gästezimmern. Der Wirt, ein kleiner, pausbäckiger Dicker, der
ständig zu Isabellas eingerissenem Kleidausschnitt hinauf schielte,
gab ihnen Zimmer Nummer sechs. Es war das einzige freie Zimmer,
denn es traf sich, daß an diesem Abend eine kleine Reisegesellschaft
eingekehrt war und dem Wirt das beste Geschäft seit drei Monaten
beschert hatte.

»Es ist das beste Zimmer - für Hochzeitsreisende«, flüsterte der

Dicke Roland zu und hielt die Hand auf, wohl in Erwartung eines
Trinkgeldes.

»Nun denn«, sagte Roland und drückte lächelnd die Hand des

Mannes, der überrascht blinzelte. Isabellas Wangen waren leicht
gerötet, und damit sie sich nicht genierte, sagte Roland zu dem Wirt:
»Du brauchst nicht so zu grinsen, mein Freund, diese Dame ist meine
Schwester.«

»Natürlich, natürlich, nie hätte ich etwas anderes gedacht«,

beteuerte Pausbäckchen und dachte bei sich: Das sagen alle. Ich will
verdammt sein, wenn das kein frisch verliebtes Paar ist.

Er dienerte und wollte das Gepäck holen. Roland und Isabella

hatten keins. Roland gab ihm nun doch ein Trinkgeld und bat ihn,
dafür Sorge zu tragen, daß sein Roß versorgt werde.

Als er mit Isabella allein war, sahen sie sich in die Augen.
»Du siehst wirklich müde aus - Bruder«, sagte Isabella mit der

Andeutung eines Lächelns, und Roland glaubte eine Spur von
Bedauern in ihrer Stimme zu hören.

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»Nein, nein«, sagte er. »Das ist nur vom Hunger und Durst. Wenn

wir in der Schenke gespeist haben, werde ich wieder putzmunter
sein.«

Er bot ihr seinen Arm, um sie zur Schenke zu gleiten, aus der

lautes Stimmengewirr erscholl.

Isabella sah an ihrem eingerissenen, schmutzigen Kleid hinab. »Ich

- bin nicht hungrig«, sagte sie. »Geh nur essen. Ich werde mich
gleich schlafen legen.«

Roland spürte, daß sich Isabella genierte und sich nicht dem

Gaffen der Dörfler ausgesetzt sehen wollte. Er nahm sich vor, ihr
Speis und Trank aufs Zimmer bringen zu lassen.

Der Wirt hatte indessen seinen ebenfalls pausbäckigen Sohn

angewiesen, sich um die Rösser der Gäste zu kümmern. Der Junge
kehrte zurück und meldete aufgeregt, daß ein Roß verschwunden sei.
Roland erklärte, daß sie nur auf einem Pferd gekommen seien, und
Wirt und Sohn blickten neugierig. Der Wirt führte Roland und
Isabella dann zum Zimmer. Er schloß auf und zündete die Lampe an.
Es war ein einfaches, aber sauberes Zimmer zum Hof hinaus.
Würzige Landluft und ein Schwarm von Fliegen drangen durch das
halb geöffnete Fenster herein. Irgendwo krähte ein Hahn, der sich
wohl in der Stunde geirrt hatte, denn die Glocke der kleinen Kapelle
bimmelte zehnmal.

Roland warf einen schnellen Blick zu dem Bett. Es hatte einen

Baldachin aus rotem Tuch und wirkte äußerst einladend.

Roland beeilte sich dann mit dem Essen. Er freute sich auf das

Bett. Er aß das Tagesessen des Gasthofes, eine wohlschmeckende,
kräftig gewürzte Kohlroulade, und trank dazu Bier, das ihm der Wirt
als frisch gebraut angepriesen hatte. Das Bier mundete Roland, und
er bestellte noch einen Krug.

Als er dermaßen seinen Durst gelöscht und seinen Hunger gestillt

hatte, fühlte er sich so schläfrig, daß ihm fast die Lider zufielen.

Ein Serviermädchen räumte das Geschirr ab und fragte, ob er noch

Wünsche habe. Es war unverkennbar die Tochter des Wirtes, denn
sie ähnelte ihm sehr und war ebenso pausbäckig - und noch ein

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bißchen mehr, wie Roland am straffgespannten Mieder und dem
ebenso straff gespannten Kleide tief an ihrem Rücken sah.

Er bestellte noch ein Bier, denn die Pausbäckige hatte ihm gesagt,

daß sie das Essen der Frau Gemahlin aufs Zimmer gebracht habe.
Nun, Roland wollte Isabella nicht beim Essen stören. Als er den
dritten Krug ausgetrunken hatte, fühlte er sich noch müder. Das war
ja ein rechter Schlummertrunk, den ihm die Pausbäckige kredenzt
hatte.

Fast wäre Roland nach all den Aufregungen der letzten Nacht und

dieses langen Tages in der Schenke eingenickt. Doch der Gedanke an
Isabella trieb ihn wieder hoch. Er bezahlte, gab der Maid ein
großzügiges Trinkgeld und ging zum Zimmer. Sein Herz pochte
schneller, als er die knarrende Treppe hinaufstieg. Vor der Tür
verharrte er dann. Plötzlich kamen ihm Zweifel. Wenn er sich alles
nur eingebildet hatte? Wenn Isabella ihn nur nach durchstandener
Todesfurcht als Retter geküßt hatte? Ein einmaliger Dank im
Überschwang, ohne einen Gedanken an mehr? Sie war auf dem Weg
zu einem anderen, um ihn zu ehelichen. Und wenn der Zufall es auch
gefügt hatte, daß sie ein gemeinsames Zimmer nehmen mußten, so
konnte es gut sein, daß sie gedachte, das Bett wie Bruder und
Schwester mit ihm zu teilen.

Das ging ihm durch den Sinn, als er die Tür öffnete, und er fühlte

sich plötzlich noch müder und ein wenig verzagt.

Es war dunkel im dem Zimmer bis auf einen schwachen Streifen

Mondlicht, der durchs Fenster hereinfiel. Sicherlich schlief Isabella
bereits. Kein Wunder nach all den Strapazen und Aufregungen.

Er unterdrückte ein Seufzen, als er sich entkleidete.
Wie hatte er auch so kühn sein können, anzunehmen, Isabella

empfinde mehr als Dankbarkeit für ihn?

Zwei Gerüche nahm er in dem dunklen Zimmer wahr, und zwei

Seelen rangen in seiner Brust. Die Gerüche stammten vom Hinterhof
- ein würziger Landduft - und von Isabellas Seife oder Parfüm. Und
die Seelen, die sich in seiner Brust stritten, waren gleichfalls stark.
Die eine sagte gähnend: »Du bist müde und sehnst dich nur nach

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Ruhe.«

Die andere sagte: »Papperlapapp! Bist du ein Mummelgreis, der in

der Nähe einer schönen, feurigen Spanierin einschläft?«

Die erste Seele winkte müde ab: »Sie schläft ohnehin. Außerdem

bilde dir nichts ein. Sie liebt einen anderen. Mach die Augen zu und
suche Vergessen in Morpheus' Armen.«

Die andere Seele kicherte. »Selbst wenn sie schliefe - so wecke

sie! Sei kein Hasenfuß! Gib deinem Herzen einen Stoß, auf daß es
feurig werde und sie schnell in deinen Armen den anderen vergißt...«

Verwirrt legte sich Ritter Roland in das Bett und zog das Laken

über sich. Er spürte Isabella neben sich, ihre Wärme, und ihr Duft
stieg ihm in die Nase. Er nahm sich vor, sie am nächsten Morgen zu
fragen, welch Parfüm oder welch edle Seife sie benutzte. Er schloß
die Augen. Eine Fliege summte um den Baldachin. Er lauschte und
glaubte Isabellas tiefe, gleichmäßige Atemzüge zu hören.

Ja, es schlief, das Schwesterchen, und auch er...
Da spürte er eine Berührung. Das zarte Tasten einer weichen Hand.

Die Hand schwebte leicht über seinen Körper, verweilte kurz und
tastete weiter - wie ein Schmetterling, der von Blüte zu Blüte flattert.
Sie tastete über seine Hüfte hinauf, über seine Brust, den Hals, die
Wange und die Lippen. Dort blieb die Hand liegen, und es war
Roland, als küßte ihn diese zärtliche Hand.

»Bist du sehr müde?«
Isabellas Stimme. Leise wie ein Hauch.
»Nein, nein, ich ...»Da spürte er ihren Körper. Sie war nackt. Die

müde Seele zog sich verstimmt zurück, und die andere frohlockte
und peitschte sein Blut durch die Adern. Er drehte sich Isabella zu,
und wie von selbst fanden sich ihre Lippen, und ihre Körper
verschmolzen in einem glühenden Kuß. Eines war ihm sofort klar -
Isabella hatte gelogen, als sie auf dem Ritt von ihrer Müdigkeit
gesprochen hatte. Sie war hellwach und voller Feuer. Sie bereitete
ihm gar köstliche Wonnen, und er war kein bißchen müde mehr. Sein
Herz schien im Rhythmus ihres Liebesspiels zu trommeln, und Ritter
Roland hatte das Gefühl, als schwebten sie gemeinsam hoch hinauf

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auf den Gipfel des Glücks. Etwas piekte ihn in den Rücken, und er
glaubte schon, es seien Isabellas Fingernägel, denn die Spanierin war
voller Leidenschaft. Dann verstärkte sich das Pieken, und Roland
erkannte, daß es keine Fingernägel waren. Die Berührung konnte
auch nicht von Isabella stammen, denn es war etwas Kaltes zwischen
seinen Schulterblättern - und nichts, aber auch gar nichts an Isabella
war kalt. Sie umklammerte ihn noch fester mit den Armen und
Schenkeln, wollte weiter hinauf auf den Gipfel und verstand sein
Zaudern .nicht. Jäh erstarrte er. Denn er wußte plötzlich, was da
zwischen seine Schulterblätter stach. Eine Schwertspitze. Und es war
ihm, als fiele er vom Gipfel des Glücks hinab in den tiefen Schlund
der Hölle. Denn eine rauhe Stimme zischte ihm in den Nacken:
»Runter von der Frau. Ich möchte sie nicht mit aufspießen, wenn ich
dir mein Schwert ins Herz stoße!«

*

Ein Zündholz flammte auf. Der Schatten eines Mannes geisterte über
die Wand. Dann erhellte der Schein der Lampe das Zimmer.

Es waren zwei Männer, und sie waren nicht gekommen, um ihm

und Isabella eine gute Nacht zu wünschen.

Sie waren gekommen, um zu töten.
Die beiden Männer waren die Räuber Uli und Hanspeter, jener

Kerl, den Uli zu Gregor vorausgeschickt hatte.

Obwohl Uli ihn zur Eile gedrängt hatte, war Hanspeter in das Dorf

geritten. Das war ein Umweg gewesen, doch Hanspeter war von
argem Durst geplagt worden, und er hatte sich gedacht, niemand
würde je etwas von seinem Abstecher und der damit verbundenen
Verzögerung erfahren. Doch Uli, der gerade noch einmal
davongekommen war, hatte ebenfalls Durst gehabt. In der Schenke
waren sich die beiden begegnet. Sie hatten kräftig gezecht und waren
sich einig gewesen, daß sie sich bei Gregor nicht mehr blicken lassen
konnten. Gregor hätte sie ob ihres Versagens auf der Stelle
umgebracht. Hanspeter hatte vorgeschlagen, in den Schwarzwald

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auszuwandern und dort eine eigene Bande zu gründen. Uli war mehr
für den Odenwald gewesen, wo er einige Zeit gelebt hatte, bevor er
sich Gregors Bande angeschlossen hatte. Sie hatten hin und her
überlegt, und dann war Ritter Roland in die Schenke gekommen.
Fast hätten sie sich an ihrem Bier verschluckt. Er hatte sie bei all den
Gästen nicht bemerkt, denn bei all den Gästen nicht bemerkt, denn
sie hatten ganz hinten in einer Ecke gesessen.

Roland hatte dann die Schenke verlassen. Von der pausbäckigen

Maid hatten die Räuber die Informationen erhalten, die sie brauchten.
Der Rest war einfach gewesen. Sie hatten noch eine Weile gewartet,
damit sie Roland in tiefem Schlaf überraschen konnten. Uli hatte sich
Gregors Befehlston angewöhnt: »Den Kerl umbringen - das Weib
krallen und über den Hinterhof weg mit ihr - zackzack«, hatte er
grinsend zu Hanspeter gesagt.

Jetzt drückte Uli Roland die Schwertspitze gegen den Rücken und

schaute triumphierend zu seinem Kumpan, der schon das Fenster
weit öffnete und in den dunklen Hof hinausspähte.

Roland lief ein eisiger Schauer über die Wirbelsäule, und Isabella,

die jäh erstarrt war, begann zu zittern.

»Los, los!« zischte Uli, und die Schwertspitze ritzte Rolands Haut.
Verzweiflung stieg in Roland auf. Er war wie in Trance. Zu groß

war der Schock. Er war so glücklich gewesen, daß er außer Isabella
und dem Trommeln seines Herzens nichts um sich herum
wahrgenommen hatte.

»Oder soll ich euch beide töten?« fragte Uli drohend.
Roland wußte, daß das ein Bluff war. Er hatte die Stimme des

Mannes inzwischen wiedererkannt. Es war einer der Räuber, die er
im Wald belauscht hatte. Sie wollten ihn töten und Isabella nach wie
vor entführen.

Sein Schwert lag bei der Kleidung auf dem Stuhl neben dem Bett.

Ganz nahe, doch zugleich so unerreichbar fern. Der Räuber brauchte
nur zuzustoßen.

Was tun? Verzweifelt suchte er nach einer Chance, wie er den Kerl

überrumpeln konnte. Er fand keine. Und der zweite Räuber wandte

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sich gerade grinsend am Fenster um und setzte sich zum Bett hin in
Bewegung.

Roland wußte, daß er den Mann mit dem Schwert nicht mehr

länger hinhalten konnte. Er erhob sich langsam, und der Druck der
Schwertspitze ließ nach.

Er stand auf, und es prickelte zwischen seinen Schulterblättern.

Wenn der Räuber jetzt zustieß ... Nackt und hilflos stand Roland vor
seiner Klinge. Der Schweiß auf seinem Körper glänzte im Schein der
Lampe. Langsam drehte sich Roland um. Er wollte nicht hinterrücks
erstochen werden. Er wollte dem Mörder in die Augen sehen.

Als er den Kopf wandte, streifte sein Blick Isabella. Auch auf ihrer

Haut schimmerte der Tau der Leidenschaft. Nackt und schön lag sie
dort auf dem zerwühlten Laken, und ihr langes Haar umgab ihr
Antlitz wie ein Fächer aus schwarzer Seide.

Nie hatte er einen schöneren Anblick gesehen, und die Angst in

ihren Augen schnitt ihm ins Herz. Dann hatte er sich Uli ganz
zugewandt.

Der Räuber starrte auf die Frau, und die Augen quollen ihm aus

den Höhlen. Auch Hanspeter war wie gebannt.

Isabella tat nichts, um ihre Blößen zu bedecken. In diesem

Augenblick hatte sie nur einen Gedanken: Roland.

»Los, Uli, bring es hinter dich, damit wir mit ihr verschwinden

können«, drängte Hanspeter.

Isabella sprang auf und war mit zwei Sätzen bei Roland, um sich

an ihn zu klammern.

»Dann will ich mit ihm sterben!« rief sie.
»Quatsch, du bist viel zu ...« begann Uli, der ebenso wie sein

Kumpan fasziniert jede Bewegung der schönen Frau beobachtet
hatte. Weiter kam er nicht.

Denn Ritter Roland nutzte den Augenblick der Ablenkung. Trotz

des Schwertes vor seiner Brust handelte er. Zu schnell und
überraschend für die Räuber.

Mit einem Sprung war Roland an Ulis Seite und riß dabei Isabella

mit sich herum, die sich an ihn schmiegte. Uli stieß noch mit dem

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Schwert zu, doch er traf nur Luft. Dann prellte ihm Roland das
Schwert aus der Hand. Bevor Uli wußte, wie ihm geschah, packte
Roland ihn am Kragen, holte aus und schleuderte Uli gegen seinen
Kumpan, der gerade zum Messer greifen wollte.

Nun, Hanspeter war ein geistesgegenwärtiger Mann. Er sah Uli auf

sich zufliegen, vergaß sofort sein Messer und duckte sich. So kam es,
daß Uli gegen die Wand unter dem Fenster krachte. Die Wand
erbebte, und Uli sank daran herab und blieb mit glasigen Augen auf
dem Hosenboden sitzen. Er hatte sich gerade einigermaßen erholt
und Kräfte gesammelt, um aufzuspringen, doch da mußte er
erkennen, daß inzwischen die Zeit nicht stillgestanden hatte.

Hanspeter hatte zum Messer gegriffen, doch da war Roland schon

heran. Er schmetterte den Kerl mit einem Fausthieb zu Boden,
umklammerte das Handgelenk und drehte es, bis der Räuber
schreiend das Messer losließ. Roland trat es mit dem nackten Fuß aus
der Reichweite. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie der andere
Kerl am Fenster aufsprang, und er wiederholte die Prozedur von
vorhin. Er packte den benommenen Hanspeter am Wams, riß ihn
hoch über seinen Kopf und warf ihn gegen seinen Kumpan.

Uli zog den Kopf ein, und Hanspeter wäre durch das Fenster

geflogen, doch quer paßte er nicht hindurch. So knallte er gegen den
Fensterrahmen, und die Scheiben der beiden Fensterflügel
zerklirrten. Dann fiel Hanspeter wie ein Stein auf Uli hinab und
begrub ihn unter sich.

Uli fluchte, doch das half ihm nichts. Denn Roland war jetzt richtig

in Fahrt, und es wurde schlimm für die beiden Räuber. Uli war froh,
als ihn eine gnädige Ohnmacht umfing. Hanspeter erdreistete sich
tatsächlich, noch einmal anzugreifen, weil er Roland noch mit Uli
beschäftigt glaubte. Doch sein Angriff war mehr aus Verzweiflung
geboren und blindlings im Zorn vorgetragen, und so lief Hanspeter
praktisch in Rolands Fäuste hinein. Zwei Treffer und dann ein
Volltreffer, und Hanspeter flog rücklings aus dem Fenster. Diesmal
paßte er hindurch, und er verschwand mit einem klatschenden
Geräusch unten im dunklen Hinterhof, woraufhin der Hahn

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protestierend krähte, weil er sich beim Schlaf mit seiner
Lieblingshenne gestört fühlte.

Roland atmete heftig und sah zu Isabella. Sie war derweil nicht

untätig geblieben. Sie hatte das Bettlaken an sich gerissen und
schlang es um ihren Körper. Und das war gut so. Denn der Radau,
die Schreie, das Poltern, Klirren und Krachen waren natürlich gehört
worden, und der pausbäckige Wirt eilte mit seiner ganzen
pausbäckigen Familie im Gefolge herbei.

»Könnt ihr nicht ruhiger miteinander schlafen, ihr ...« begann er

mit zornrotem Gesicht und schwang eine Keule. Dann sah er den
lädierten Uli, den nackten großen Ritter und den kleineren Ritter und
dazu eine Gestalt, die nur aus einem weißen Laken zu bestehen
schien. Nun, er war sehr abergläubisch, und in seiner Aufregung hielt
er die Gestalt in dem Laken für ein Gespenst. Der Gute hätte nicht
einfach die Tür aufreißen, sondern anklopfen sollen, dann wäre ihm
dieser Schreck erspart geblieben. Er ließ den Knüppel fallen, warf
sich herum und wollte schreiend davonrennen, doch seine
pausbäckige Familie blockierte ihm den Weg.

Seine Frau und die Tochter hatten keinen Blick für das

»Gespenst«. Auch nicht für Uli und das Chaos, das nach dem Kampf
im Zimmer herrschte. Sie starrten offenen Mundes auf den großen
Ritter und den etwas kleineren. Dann besann sich die Wirtin auf ihre
tugendhafte Erziehung. Sie stieß einen schrillen Schrei aus und fiel
schnell in Ohnmacht, weil sich das so geziemte. Ihr Mann fing sie
auf, gab ihr einen Klaps auf die Pausbacken, und flugs erwachte sie
wieder. Hildegard, die Maid dagegen, war noch jung und mit noch
unruhigerem Blute, und sie vergaß ganz beim Anblick der Ritter,
ohnmächtig zu werden. Sie starrte nur gebannt, wobei ihr zweites
Paar Pausbacken heftig im Mieder wogte.

Dann wandte ihnen der Ritter die Kehrseite zu, und sie verstanden

die dezente Aufforderung und zogen sich zurück. Hildegard
versuchte noch einen Blick zu erhaschen, doch ihre Mutter zerrte sie
schimpfend weg und schloß die Tür.

Roland tauschte einen Blick mit Isabella. Beide lachten.

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Sie kleideten sich geschwind an. Dann fesselte Roland den

bewußtlosen Uli mit der Gardinenschnur und kletterte aus dem
Fenster in den Hof hinab, um den zweiten Haderlumpen
aufzusammeln. Der Kerl war unglücklich gefallen. Mitten in einen
Misthaufen. Roland hielt sich die Nase zu, als er ihn aufklaubte. Er
hatte ihn eigentlich mit aufs Zimmer nehmen wollen, um sich mit
ihm und dem anderen zu unterhalten, wenn sie erwachten, doch den
Gestank wollte er Isabella und sich dann doch nicht zumuten.

So schleppte er den Burschen in den Stall und verschnürte ihn mit

einem dicken Strick, den er in der Sattelkammer fand.

Er betrat das Gasthaus durch die Hintertür, ging die Treppe hinauf

und drängte sich an den gaffenden Gästen und den Wirtsleuten
vorbei. Sie machten ihm schnell Platz, denn sein Parfüm gefiel ihnen
nicht. Nur der Wirt stellte sich ihm mannhaft in den Weg.

»Ich verlange eine Erklärung«, sagte er zaghaft und schnüffelte.
»Und wir wollen den Schaden ersetzt haben«, keifte sein Weib.
»Beides werdet Ihr bekommen«, sagte Roland. »Aber nicht jetzt,

sondern morgen früh. Gute Nacht.« Damit schob er den Wirt zur
Seite, ging ins Zimmer und schloß die Tür von innen ab. Flüchtig
dachte er daran, daß er das vergessen hatte, bevor er sich ins Bett
gelegt hatte, doch er verzieh sich selbst das folgenschwere
Versäumnis. Die Kerle hätten genauso gut durchs Fenster einsteigen
können. Weder er noch Isabella hätten das in ihrem Glückstaumel
bemerkt.

Isabella schnüffelte ebenso wie die Leute auf dem Flur, doch bei

ihr sah es süßer aus.

»Der zweite lag in einem Misthaufen«, erklärte Roland und blickte

zu Uli, der noch nichts roch.

Isabella zog ein kleines Flakon aus ihrer Kleidtasche. Sie tupfte

etwas daraus auf ihre Hand und wischte Roland zärtlich damit über
die Wange und unter die Nase.

Der starke Duft überdeckte den Gestank.
»Ein wunderbares Parfüm«, sagte Roland. »Ich dachte schon, es

wäre eine vortreffliche Seife, nach der du duftest.«

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»Beides habe ich davon«, sagte Isabella. »Es ist Maja, und es freut

mich, daß es dir gefällt.«

Sie warf einen Blick zu Uli. »Dieser Kerl ist einer der Räuber, die

uns überfielen und mich entführten. Auch der andere war dabei.«

Roland nickte. »Den einen habe ich wiedererkannt.«
»Kannst du ihn nicht wegschaffen? Es stört mich, von seiner

Anwesenheit zu wissen, wenn wir den Schlaf fortsetzen.«

»Es wird uns nicht stören. Aber erst einmal wird mir der Vogel

zwitschern, was ich wissen will.«

Und so war es dann auch. Uli zwitscherte, als er erwachte. Er war

nun mal nicht der Tapferste, und er hatte Angst, Roland könnte ihm
das Leben nehmen, obwohl der Ritter ganz freundlich zu ihm sprach.
Er flehte um Gnade, und zwischendurch stammelte er alles, was
Roland wissen wollte. Roland brachte ihn dann in den Stall zu
seinem Kumpan. Er informierte den Wirt, und der war für drei
Dukaten bereit, die Räuber gefangenzuhalten und seinen Sohn nach
Schloß Camelot mit einer Botschaft von Ritter Roland zu schicken.
Und er versprach, sogleich den Totengräber in den Wald zu
schicken, um die beiden Toten abholen zu lassen.

Es war nach Mitternacht, als Roland dann wieder zu Isabella ins

Bett stieg.

Und diesmal störte sie nichts, und sie schliefen dann erschöpft und

glücklich ein, als der Hahn mit seinem Krähen bereits die Hennen
weckte, auf daß sie sich sputeten, ihr Frühstücksei zu legen.

*

»Trinkt einen Schluck«, sagte Gregor gönnerhaft zu Wenzel, der ihm
die frohe Kunde gebracht hatte, daß sein Herr ein Drittel mehr
bezahlen wolle.

Wenzel nickte erfreut und nahm den Krug, den ihm der hünenhafte

Räuberhauptmann reichte. Er setzte ihn an, trank einen herzhaften
Schluck und hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Er wollte
das Teufelszeug ausspucken, doch er hatte durstig geschluckt, und es

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lief bereits die Kehle hinab. So hustete und würgte er, und sein
Gesicht lief rot an.

»Schmeckt es Euch nicht?« fragte Gregor mit verschlagenem

Blick. Er sprach Wenzel sehr höflich an, denn er wußte, daß dessen
Herr sehr auf Umgangsformen hielt und wollte vermeiden, daß sich
dieser Fatzke über ihn beschwerte, was die Anrede betraf.

»D-doch«, stammelte Wenzel, denn er hatte ein wenig Angst vor

diesem finsteren Riesen. »A-allerdings nicht so sehr«, fügte er
vorsichtig hinzu.

Gregor zeigte grinsend sein kräftiges Gebiß. »Ein wahres

Wundermittel«, erklärte er. »Ich kann Euch das Rezept verraten,
wenn Ihr wollt. Im großen und ganzen besteht dieser Zaubertrunk aus
Johanniskraut, Angelika, Baldrian, Enzian und Kamille - alles gut
gegen Blähungen.«

Nun, Wenzel hatte keine Blähungen, und er schob hastig den Krug

von sich.

»Hinzu kommen Tausendgüldenkraut für die Potenz und

Teufelskralle, Salz und Fliegendreck

- das vertreibt die

hartnäckigsten Winde nach Völlerei und Saufgelagen.« Wie zur
Bekräftigung fügte er einen kurzen, prägnanten Furz hinzu und sagte:
»Hört ihr?«

Ja, Wenzel hatte es gehört, und es hielt ihn nun nichts mehr in der

Hütte bei diesem Räuberhauptmann, den der Herr zu Recht als
Primitivling bezeichnet hatte.

Er erhob sich. Auch Gregor stand auf. Er überragte Wenzel um

zwei Haupteslängen.

»Was soll ich also meinem Herrn melden?« fragte Wenzel.
Gregors Miene verfinsterte sich. Eine Unmutsfalte kerbte seine

Stirn zwischen den buschigen Augenbrauen. Die Frage bereitete ihm
Unbehagen, wartete er doch selbst auf ein Wort von seinen Mannen.
Der Räuberhauptmann flüchtete sich in den Angriff, den er immer
für die beste Verteidigung hielt.

»Verdammt, er soll sich nicht in die Hosen machen! Die Sache

wird schon zu seiner vollsten Zufriedenheit erledigt werden. Verflixt

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und zugenäht, er soll sich gedulden! Ich erwarte jeden Augenblick
die Vollzugsmeldung meiner Männer.«

Wenzel nickte. Ganz wohl war ihm nicht zumute, und das lag nicht

nur an dem Schluck von dem teuflischen Gebräu, das offenbar bei
ihm eine andere Wirkung hatte als bei Gregor - eher eine schweiß-
als Wind treibende. Roderich würde fuchsteufelswild werden, wenn
er wiederum vertröstet wurde. Aber da war nichts zu machen, er
mußte ihm Farbe bekennen. Bedrückt verabschiedete er sich und
wandte sich zur Tür. Dann wurde er noch bedrückter, denn als er die
Tür öffnen wollte, flog sie ihm entgegen, knallte ihm gegen die Stirn,
und er flog rückwärts wieder in die Hütte.

Nur verschwommen nahm er den Mann wahr, der wie der

Leibhaftige in die Hütte sprang und jetzt ein Schwert in der
vorgereckten Rechten hielt.

Wenzel war noch zu benommen, um einen klaren Gedanken fassen

zu können. Auf seiner Stirn wuchs eine Beule.

Gregor war ebenso überrascht. Während er zum Dolch griff,

verfluchte er grimmig den Wachtposten, der geschlafen haben
mußte, denn sonst hätte er ihm jeden Besucher gemeldet oder
unerwünschten Besuch vom Hals gehalten.

Der Bursche schlief tatsächlich, doch er war in diesem Punkt völlig

unschuldig. Er hatte heldenhaft kämpfen wollen, doch es war bei der
Absicht geblieben. Denn der Besucher war so schnell und
schlagkräftig gewesen, daß der Kampf schon zu Ende gewesen war,
bevor der Wachtposten ihn richtig hatte anfangen können.

Der Besucher war Ritter Roland.
Und daß er mit der Tür ins Haus fiel, hatte seinen Grund. Er wußte

von den gefangenen Räubern, wie gefährlich Gregor war. Um ihn
überraschen zu können, hatte Roland den Wachtposten überwältigt.
Er hatte sich angeschlichen und gerade in die Hütte spähen wollen,
als er die Schritte gehört und jemand die Tür aufgezogen hatte. So
hatte Roland schnell handeln müssen.

Die Überraschung war zwar gelungen, doch Roland hatte nicht mit

einem zweiten Gegner gerechnet. Nach Aussagen der beiden Räuber

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hätte Gregor mit dem Wachtposten allein im Versteck sein müssen.

Nun, der Kümmerling mit dem gescheitelten, fettigen Haar schien

im Augenblick kein Gegner zu sein. Er hockte benommen auf dem
Hosenboden und betastete seine Stirn.

Doch Gregor war schnell. Es war nicht das erste Mal, daß er sich in

einer solchen Situation sah, denn er wurde seit Jahren gesucht. Daß
er immer davongekommen war, hatte er seiner Kampfeskraft, seiner
Kaltblütigkeit und seiner Heimtücke zu verdanken.

Sein Schwert lag auf dem Stuhl beim Tisch, drei Schritte entfernt -

zu weit im Augenblick. So riß Gregor seinen Dolch aus der
Lederscheide und schleuderte ihn aus der Drehung heraus und auf
den Mann, der mit erhobenem Schwert auf ihn zusprang.

Er hörte einen Aufschrei und wirbelte bereits herum, um zu seinem

Schwert zu gelangen.

Nicht Roland hatte geschrien. Der unglückliche Wenzel hatte sich

gerade aufrappeln wollen. Jetzt steckte der Dolch in seiner Schulter,
und Wenzels Schrei erstarb. Dunkel wurde es um ihn.

Roland hatte sich geistesgegenwärtig zur Seite geschnellt und war

so dem Dolch um Haaresbreite entgangen. Jetzt sprang er auf Gregor
zu.

Als der Räuberhauptmann, der offenbar glaubte, den richtigen

Mann getroffen zu haben, ihm den Rücken wandte, hätte Roland ihm
das Schwert in den Rücken stoßen können. Doch seine Ritterehre
verbot ihm das. So ließ er zu, daß Gregor das Schwert vom Tisch riß
und sich zum Kampfe stellte.

In Gregors grünen Augen blitzte es triumphierend auf. Noch keiner

hatte ihn im Schwertkampf besiegt.

»Ich schlage dich in Scheiben!« brüllte er und griff vehement an.
Roland parierte und trieb den Räuberhauptmann mit wuchtigen

Schlägen zurück, bis er gegen den Schrank prallte.

Gregors grimmige Miene nahm einen leicht verdutzten Ausdruck

an, und die Narbe an seiner Wange schien eine Spur blasser zu
werden. Er erkannte, daß er den Gegner unterschätzt hatte, und daß
es nicht einfach werden würde. Wütend griff er wieder an. Er schlug

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eine wilde Klinge, und es steckte Kraft hinter den Hieben, doch
Gregor beherrschte nicht so elegant die Technik und ermüdete
schneller.

Hin und her wogte der Kampf.
Roland wartete auf eine Blöße des Gegners. Er spürte, wie der

Mann ermattete, denn seine Schläge kamen nicht mehr so schnell
und hart. Doch Roland wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Die
Zeit arbeitete für ihn. Er ließ sich von Gregor sogar in die Defensive
drängen. Und prompt fiel er Räuberhauptmann darauf herein. Roland
tat, als strauchelte er, als er gegen den Tisch zurückwich. Mit einem
triumphierenden Schrei warf sich Gregor auf ihn zu, das Schwert
vorgereckt, um ihm den Todesstoß zu versetzen. Doch daraus wurde
nichts. Roland drehte sich blitzschnell zur Seite, und Gregor konnte
seinen Schwung nicht mehr abbremsen. Er krachte gegen den Tisch
und fand sich im nächsten Augenblick zwischen Scherben, einem
Tischbein und Spritzern seines Zaubertrunks am Boden wieder.
Sogar die Tabakspfeife und die Speckwürfel, die neben dem Met auf
einem Teller gelegen hatten, sah er auf und neben sich - nur von
seinem Schwert sah er nichts. Es war ihm beim Sturz aus der Hand
geglitten, und Roland hatte es mit einem schnellen Tritt aus der
Gefahrenzone befördert.

Gregor wollte aufspringen, doch da setzte ihm Roland schon das

Schwert an die Kehle.

Der Räuberhauptmann erstarrte. Er schielte zu der Klinge, und

Furcht flackerte in seinen grünen Augen. Doch er flehte nicht um
Gnade.

»Töte mich und sei verdammt!« sagte er, zwar mit krächzender

Stimme, doch erstaunlich ruhig.

Roland schüttelte den Kopf. »Nicht durch meine Hand sollst du

dein nichtswürdiges Leben verlieren«, sagt er.

»Gregor blinzelte überrascht. Das verstand er nicht. Es wollte ihm

einfach nicht in den Sinn, daß der Stärkere seinen Triumph nicht
auskostete. Er selbst hatte noch nie einen Gegner verschont. »Was -
du willst mich am Leben lassen?« fragte er überrascht und

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mißtrauisch.

»Warum sollte ich dem Henker die Arbeit abnehmen?« erwiderte

Roland.

»Wer bist du?«
Roland sagte es ihm.
Gregors grüne Augen nahmen einen verschlagenen Ausdruck an.
»Ein Ritter!« sagte er. »Hätte nie gedacht, daß das stimmt, was

man über sie erzählt. War immer der Meinung, daß das meiste davon
erstunken und erlogen ist.«

Er schob die Schwertspitze zur Seite, als sei sie eine lästige Fliege,

die es zu verscheuchen galt, und erhob sich. Der Kerl, der zuvor noch
Todesangst gehabt hatte, wurde jetzt regelrecht übermütig. Er lachte
sogar!

»Na, ich wette, wir werden uns einigen, Ritter. Man hört, ihr

verplempert 'ne Menge Dukaten bei Hof mit Weibern und Prunk. Ich
zahle dir ...«

Roland schüttelte den Kopf. Er hatte den Räuberhauptmann scharf

im Auge behalten und sich nicht von dem betont entspannten Gerede
ablenken lassen. Das war sein Glück. Denn mitten im Satz
verstummte Gregor, wirbelte herum und schlug aus der Drehung
heraus zu. Doch er traf Roland nicht. Statt dessen traf Roland ihn mit
dem Schwert, und Gregor sank bewußtlos zu Boden.

Roland fesselte die beiden Männer. Wenzel erwachte als erster.

Seine Verletzung war nicht gefährlich, doch der Bursche war äußerst
wehleidig und glaubte, im Sterben zu liegen. Ritter Roland bemühte
sich nicht, ihm das auszureden, sondern ermunterte ihn, noch sein
Gewissen zu erleichtern.

Das tat Wenzel dann. Und so erfuhr Ritter Roland das Geheimnis

von Burg Hohenstolz, und ein Schauer des Entsetzens erfaßte ihn.

Denn es war ein gar grauenvolles Geheimnis, und wenn es ihm

nicht gelang, die Knappen und die Spanier noch vor Burg Hohenstolz
einzuholen, fuhren sie vermutlich in den Tod ...

*

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Arno von Berghe fluchte. Die Ankunft der Spanier war ihm gemeldet
worden. Gregor mußte versagt haben, und auch Wenzel hatte sich
nicht mehr blicken lassen.

Jetzt war guter Rat teuer. Er blickte in den Burghof hinab, wo die

Reiter und die Wagen hielten.

Sie mußten weg - doch wie? Wenn er sie auf der Burg beseitigen

ließ, würde das einen Rattenschwanz von Nachforschungen zur
Folge haben. Vermutlich würde sogar der König Nachforschungen
anstellen lassen, damit es keinen Ärger mit Spanien gab, und dann
würde das ganze Spiel auffliegen.

Er fuhr herum, als es an der Tür klopfte. Seine Nerven waren ein

wenig angegriffen, und er zuckte zusammen. Fahrig wischte er sich
über die Stirn. Rudolf, der Diener, trat ein.

»Wir haben die Spanier in die -Burg gelassen, wie befohlen«, sagte

er.

»Das sehe ich, du Trottel«, grollte Arno von Berghe gereizt.
Rudolf zog unbewußt den Kopf ein. Dicke Luft, dachte er, und er

wußte warum. Er gehörte schließlich zum Kreis der Eingeweihten.

Unruhig schritt Arno von Berghe auf und ab. Schließlich blieb er

vor dem Gemälde stehen und starrte sein Ebenbild an. Ein Plan nahm
Gestalt an. Ein kühner Plan, doch mit ein wenig Glück konnte er
gelingen.

»Ich werde sie als liebe Gäste begrüßen«, sagte er dann zu Rudolf.
Rudolf starrte ihn offenen Mundes an. »Aber...«
»Kein Aber. Geleite sie zu mir und gib allen Anweisung, daß sie

wie Ehrengäste zu behandeln sind. Sag den Spitzeln Bescheid, sie
sollen aufpassen, daß niemand vom Gesinde plaudert. Droht jedem
an, daß er gevierteilt wird, wenn auch nur ein Wort verlautet. Richtet
die besten Kammern für die Gäste her und laßt die köstlichsten
Speisen und Getränke auftragen. Schließlich sind die Spanier von
hohem Stande.«

Rudolf nickte.
Arno von Berghe verschränkte die Hände hinter dem Rücken und

ging wiederum unruhig auf und ab. Schließlich verharrte er. »Sorg

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dafür, daß unsere Gäste keinerlei Kontakt mit den falschen Leuten
bekommen! Nun, Spanisch versteht hier ohnehin keiner.«

»Aber Alfons und Isabella sprechen Deutsch«, wandte Rudolf ein.

»Außerdem haben sie deutsche Kutscher dabei.« »Behaltet sie
ebenfalls im Auge. Ich werde schon einen Vorwand finden, wie ich
die ganze Bagage in ein, zwei Tagen wieder loswerden kann. Na los,
worauf wartest du noch? Sag den Spaniern, ich lasse bitten!«

»Sehr wohl.« Eilig ging Rudolf.
Arno von Berghe betrachtete noch einmal das Porträt. Dann setzte

er eine leidende Miene auf und wickelte sich ein weißes Tuch um
den Hals. Als dann die Besucher eintraten, lächelte er gequält und
erhob sich wie ein schwerkranker Mann aus seinem Lehnstuhl.

»Verzeiht mir, daß ich mich nicht selbst zum Tor bemühen

konnte«, sagte er mit heiserer Stimme. »Mein Arzt bestand sogar
darauf, daß ich das Bett hüten solle, doch bei solch lang erwartetem
lieben Besuch hält mich nichts auf dem Krankenlager.«

Galant begrüßte er als erste Maria von Cordoba. Sie reichte ihm

etwas zögernd die Hand, vermutlich weil sie befürchtete, sich
anzustecken. Dann begrüßte der Burgherr Alfons und die Zofe.
Pedro, der Diener streckte ihm strahlend die Hand hin, doch Arno
von Berghe nickte ihm und den anderen Männern nur knapp zu.

»Wo ist denn Isabella?« fragte verwundert.
Alfons von Cordoba berichtete auf Spanisch, was sich ereignet

hatte. Arno von Berghe nagte an der Unterlippe, setzte eine betrübte,
aber auch etwas ratlose Miene auf.

Rudolf, sein Diener, kam und brachte auf einem silbernen Tablett

Wein und Gläser. Als alle die gefüllten Gläser in den Händen hielten,
hob Arno von Berghe sein Glas und prostete den Gästen zu.

»Auf die Gesundheit«, krächzte er und hüstelte ein paarmal. »Und

auf das Wiedersehen. Salute.«

Louis und Pierre sahen, daß die Spanier etwas verwirrt blickten.
»Das müßt ihr mir ein wenig genauer erzählen«, sagte Arno von

Berghe, als sie getrunken hatten. »Am besten auf Deutsch, damit ich
es meinem Rudolf nicht zu übersetzen brauche und er es sogleich auf

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der ganzen Burg verkünden kann.«

Er streifte Louis, Pierre und die anderen Begleiter mit einem

kurzen Blick und sagte: »Ihr alle werdet nach der langen Reise
erschöpft und hungrig sein. Rudolf hat schon alles vorbereitet. Man
wird euch gleich die Quartiere zuweisen.« Er wies auffordernd zur
Tür hin. Alfons verstand. Er sprach kurz auf Spanisch mit Luis
Hernandez und alle Spanier bis auf Maria und Alfons von Cordoba
und die Zofe Linda verließen das Zimmer. Louis und Pierre
schlossen sich an. Pierre warf noch einen sehnsüchtigen Blick zu
Linda, die mit einem vielversprechenden Lächeln antwortete.

Draußen sprach Pedro zornig vor sich hin. Die Knappen

verstanden nichts, und es fehlte ein Übersetzer.

Alfons von Berghe übersetzte dann Pedros zornige Rede, als er mit

seiner Gemahlin und der Zofe eine halbe Stunde später von Arno von
Berghe zurückkehrte.

Pedro ärgerte sich, weil Arno von Berghe ihm nicht einmal die

Hand gereicht hatte. Bei dem Besuch der Deutschen in Spanien war
bei einem Ausflug das Boot gekentert, und Arno war in den Teich
gefallen. Arno konnte nicht schwimmen, und Pedro hatte ihn
aufgefischt. Arno hatte gesagt, das würde er ihm nie vergessen. Und
jetzt war er so kühl und behandelte ihn wie Luft!

Aber das war nicht das einzige, was die sichtlich verwirrten

Spanier befremdete.

Arno von Berghe hatte sich sehr verändert. Nicht im Aussehen,

wenn man einmal von dem kleinen Leberfleck absah, sondern in der
Art und in seinem Verhalten.

Daß seine Stimme anders klang und daß er beleibter geworden

war, mochte auf seine Krankheit zurückzuführen sein,
beziehungsweise auf die Jahre. Schließlich hatten sie sich vor zwei
Jahren das letzte Mal gesehen. Daß er bei seinem Leberleiden
neuerdings Wein trank, war auch seltsam. Mehr aber noch der
Umstand, daß er alles Spanisch verlernt hatte, obwohl er die Sprache
doch fließend beherrscht hatte und stolz darauf gewesen war, sie
anzuwenden. Allein deshalb hatte Alfons ihm alles zuerst auf

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Spanisch berichtet. Doch nicht einmal ein richtiges spanisches salud
hatte er gesagt, sondern ein italienisches salute. Zudem hatte er sich
kaum über den Kampfstier gefreut, den sie ihm als Geschenk
mitgebracht hatten. Er hatte nur säuerlich gelächelt und sich höflich
bedankt. Dabei war er vernarrt in den Stierkampf, seit er einen in
Spanien gesehen hatte. Er hatte damals sogar einen Kampfstier
kaufen wollen.

Außerdem war es befremdend, daß Egbert mit seiner Mutter bei

einem Vetter im Westerwald weilte und erst in einem Monat
zurückerwartet wurde. Noch im letzten Brief an Isabella hatte er
geschrieben, daß er vor Sehnsucht vergehe und den Tag ihrer
Ankunft kaum erwarten könne.

Pierre und Louis tauschten besorgte Blicke. Louis fragte Alfons

von Cordoba, ob sie sich vielleicht im Termin geirrt hätten.

Alfons schüttelte ernst den Kopf, und dann faßte er in Worte, was

alle dachten.

»Mich dünkt bei alledem, daß da etwas nicht stimmt. Was wird

hier nur gespielt?«

*

Die Knappen erboten sich, eine Antwort auf diese Frage einzuholen.
Sie wollten sich unauffällig umhören und des Rätsels Lösung finden.

Als die Knappen allein waren, bat Pierre Louis dann händeringend,

allein herumzuhorchen. Er sei hundemüde und müsse sein Geschwür
am Gesäß behandeln.

Louis grinste, als er beobachtete, wie Pierre sich kurz darauf in

Lindas Kammer stahl, und er konnte sich denken, wie die
Behandlung vonstatten ging.

Louis gönnte es ihm.
Er sprach dann mit dem Stallburschen, hörte sich unauffällig beim

Gesinde um, doch so unverfänglich er seine Fragen auch stellte, er
stieß auf eine Mauer des Schweigens. Er glaubte Angst in den
Blicken der Leute zu sehen, wenn er die Sprache auf Arno von

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Berghe, auf seine Krankheit oder gar auf sein verändertes Verhalten
brachte.

Der Verdacht, daß da etwas nicht in Ordnung war, verhärtete sich

immer mehr, und Louis nahm sich vor, vorsichtig zu sein.

Er überlegte, wie er am geschicktesten vorgehen konnte. Am

besten versuchte er es noch einmal bei den Stallburschen. Da hatte er
einen plausiblen Vorwand, wenn er sagte, er wolle noch nach seinem
treuen Roß sehen.

Auf dem Weg zum Stall verharrte er plötzlich und tastete an seinen

Kopf. Er vermutete schon, ein Vogel hätte da etwas auf sein Haupt
fallen lassen, doch dann sah er ein Papierkügelchen über den Boden
kullern. Er blickte nach oben. Nein, kein Vogel hatte da mit Papier
geworfen, sondern ein Vögelchen in Gestalt einer blonden Maid. Sie
neigte sich aus einem Fenster des Gesindehauses und benahm sich
recht seltsam. Sie schaute sichernd nach links und rechts über den
Burghof, legte mahnend eine Hand auf die Lippen und gestikulierte,
er solle näherkommen.

Nun, eine solche Einladung von einer holden Maid hatte Louis

noch nie abschlagen können.

Er trat bis an den Rosenstrauch unter dem Fenster. Die Maid, auf

den ersten Blick ein recht hübsches, dralles Ding, verschwand
plötzlich am Fenster.

Louis wartete ein wenig ratlos. War das eine Aufforderung

gewesen, sie auf der Kammer zu besuchen? Louis hielt nach einer
Tür oder Leiter Ausschau. Doch das war nicht nötig. Die Maid
tauchte wieder am Fenster auf und warf ein zusammengeknülltes
Papier hinaus.

Die Wachen am Tor wurden gerade abgelöst, und die Maid zuckte

am Fenster zurück, schloß es hastig und verschwand. Sie hatte
erschrocken gewirkt.

Louis stellte den Stiefel auf das Papier und schaute sich unauffällig

um. Niemand schien ihm Beachtung zu schenken. So zog Louis eine
Münze aus der Tasche und ließ sie fallen, um sie zusammen mit dem
Papier aufzuklauben.

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Er schlenderte weiter, und erst in der Passage zwischen den

Stallgebäuden und dem Gesindehaus entfaltete er den Zettel und las:

Großer bärtiger Unbekannter. Kommt sobald es dunkel ist,

unauffällig zum Stall. Ich muß euch treffen, doch in meiner Kammer
geht es nicht. Ich warte auf dem Heuboden. Paßt auf, daß Euch
niemand sieht!

Louis steckte den Zettel in die Tasche. Das war ja eine nette

Einladung! Teufel, der blonden Maid gefielen offenbar schwarze
Bärte. Und sie redete nicht lange um den heißen Brei herum. Doch
warum ging es nicht in ihrer Kammer? Eilig hatte sie es wohl auch,
denn gerade ging die Sonne unter, und es dauerte nicht mehr lange
bis zur Dunkelheit...

Louis grinste vor sich hin wie ein Marder, der auf dem Weg in

einen Stall mit besonders knackigen Hennen ist. Doch dann besann
er sich auf seine Pflicht. Die Zeit bis zum Stelldichein im Heu konnte
er noch nutzen, um herauszufinden, was hier auf der Burg los war.
Doch so sehr er sich auch bemühte, er bekam keine Antwort auf
seine geschickten Fragen. Er stieß auf Angst und Mißtrauen.

Dann senkte sich die Dunkelheit über Burg Hohenstolz, und Louis

wollte die blonde Maid nicht warten lassen. Vielleicht konnte er
sogar etwas von ihr erfahren und das Angenehme mit dem
Nützlichen verbinden.

Sie wartete auf ihn im Stall, und im Schein der Stallaterne, der bis

auf den Heuboden hinaufreichte, sah Louis, daß sie wirklich hielt,
was sie auf den ersten Blick versprochen hatte. Sie hieß Adelgunde,
wie er dann erfuhr, und sie hatte ein liebes Gesicht mit himmelblauen
Augen und feingeschwungenen Lippen, die Sinnenfreude verrieten,
und alles an ihr war frisch und fest und prall, wie es Louis gefiel.

Doch sie war nicht auf ein schnelles Schäferstündchen gekommen,

wie Louis erhofft hatte. Sie kam zwar gleich zur Sache, doch sie gab
nicht ihre weiblichen Geheimnisse preis, sondern das Geheimnis von
Burg Hohenstolz.

Gebannt lauschte Louis Adelgundes geflüstertem Bericht.
Arno von Berghe, der richtige, und seine Familie siechten seit

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Monaten bei Wasser und Brot im Kerker dahin. Ebenso alle seine
Vertrauten, die Schlüsselpositionen innegehabt hatten. Der falsche
Arno von Berghe hieß Roderich und war ein Räuber wie Gregor.
Roderich hatte sich die verblüffende Ähnlichkeit zu Arno zunutze
gemacht, war durch eine Täuschung der Wachen in die Burg gelangt
und hatte Arno von Berghe niedergeschlagen. Dann hatte er den
Wachen den Befehl gegeben, die Reisegesellschaft in die Burg zu
lassen, die vor der Zugbrücke Einlaß begehrt hatte. Das waren
Roderichs Räuber gewesen, und sie hatten die Burg im Handstreich
genommen. Seither saß dort Roderich mit seinen Gesellen, und er
fühlte sich wie die Made im Speck. Der Räuber hatte Arno und seine
Familie nur am Leben gelassen, weil er gelegentlich Unterschriften
für Dokumente brauchte, mit denen Roderich seine Position festigen
und seinen ergaunerten Reichtum mehren wollte. Ganze Briefe
schrieben Arno und seine Familie unter Zwang im Kerker. Sie
mußten sich von Verwandten Geld borgen und schriftlich Leute
abwimmeln, die ihren Besuch ankündigten. Nur bei den Spaniern
war das nicht gelungen. Sie hatten Arnos Brief zu spät erhalten ...

Louis' Gedanken jagten sich. Klar, daß der falsche Arno für die

Überfälle verantwortlich war. Entweder waren es seine Räuber
gewesen oder er hatte sich einer anderen Bande bedient.

Doch warum hatte der Schurke sie nicht gleich nach ihrer Ankunft

gefangennehmen oder umbringen lassen? Weshalb spielte er den
Spaniern die Rolle des richtigen Arno vor? Vermutlich befürchtete
er, der Verdacht würde auf ihn fallen, wenn die Spanier auf der Burg
verschwanden, und er wollte vermeiden, daß auf Hohenstolz
Nachforschungen angestellt wurden. Schließlich lebte auch das
Gesinde wie Gefangene auf der Burg und konnte plaudern.
Adelgunde hatte gehört, wie Louis sich umgehorcht hatte. Sie war
den richtigen von Berghes treu ergeben und sah in Louis den Retter,
der das teuflische Spiel beenden konnte.

Louis überlegte. Solange sich der falsche Arno nicht durchschaut

sah, bestand keine Gefahr. Sie mußten so tun, als hielten sie diesen
Roderich für Arno ...

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Der Knappe dachte an Ritter Roland. Roderich hatte offenbar nicht

gewußt, was aus Isabella geworden war. Ob es Roland gelungen war,
sie aus den Händen der Entführer zu befreien? Nun, sie mußten
abwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Sie mußten sich etwas
einfallen lassen, wie einer von ihnen Hilfe holen konnte, ohne
Roderichs Argwohn zu wecken. Das beste wäre, sie reisten so bald
wie möglich ab und sorgten dafür, daß die Gefangenen befreit
wurden ...

Louis wurde aus seinen Gedanken gerissen, denn er spürte

plötzlich Adelgunde an seiner Seite. Zuvor war sie recht scheu
gewesen, doch jetzt drängte sie sich an ihn.

»Da kommt jemand«, wisperte sie ängstlich. »Oh Gott.«
Louis hörte die Schritte, die sich auf dem Stallgang näherten.
»Ganz ruhig«, flüsterte er Adelgunde ins Ohr und legte einen Arm

um ihre Taille. Sie lauschten.

Die Schritte verklangen ganz in ihrer Nähe. Jemand pfiff etwas vor

sich hin. Louis erkannte die Melodie. Es war eine Ballade, die
Volker vom Hohentwiel, der berühmte Minnesänger und Rolands
Freund, gedichtet und vertont hatte.

Etwas klirrte, dann entfernten sich Schritte. Louis riskierte einen

Blick und sah einen der Stallknechte mit der Stalllaterne in der Hand
davonschlendern. Schließlich klappte eine Tür, und Louis und
Adelgunde waren in völliger Dunkelheit wieder allein.

»Oh Gott, ich dachte, mir bliebe das Herz stehen«, wisperte

Adelgunde und atmete auf. Immer noch hielt Louis sie im Arm, und
jetzt zog er sie noch näher an sich heran und sagte sanft: »Keine
Bange, Jungfer, ich bin ja bei Euch.«

Er streichelte leicht über ihr Haar.
Sie zog sich nicht zurück, atmete nur etwas schneller, fast wie

erregt. Da wurde Louis noch kühner, umfaßte ihr Kinn und küßte
ihren Mund. Ihre Lippen waren weich und warm, und wenn
Adelgunde von diesem Kuß überrascht war, so sagte sie es nicht. Sie
sagte eine lange Weile überhaupt nichts. Er spürte, wie sich ihr
Busen unter dem dünnen Leinenkleid heftig an seiner Brust hob und

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senkte.

Louis spielte Ringelreihn mit ihrer Zunge, und Adelgunde schien

das zu gefallen, denn sie ging auf das Spiel ein. Und während ihre
Begeisterung offenbar immer mehr wuchs, wuchs bei Louis etwas
anderes - das Verlangen.

Als sie schließlich beide Atem holten, lachte Adelgunde leise und

sagte mit einer Stimme, die Freude verriet: »Ihr seid mir wohl ein
rechter Schwerenöter!«

Louis grinste in der Dunkelheit. »Sag Louis zu mir, Jungfer.«
»Nenn mich Adelgunde«, flüsterte sie. »Und küß mich noch

einmal. Dein Bart kitzelt so schön.«

Nun, das ließ sich Louis nicht zweimal sagen. Er küßte sie, feurig

wie ein Spanier, dachte er bei sich, und sie legte sich ob dieser
Leidenschaft zurück ins Heu und zog ihn auf sich. Diese Adelgunde
war ein recht unkompliziertes Mädchen mit heißem Blute, und eine
Jungfer war sie auch nicht mehr, wie Louis bald feststellte. Sie war
im Gegenteil recht erfahren in der Liebe.

So vergaß Louis den Schrecken von Burg Hohenstolz und genoß

ganz die Wonnen, die Adelgunde ihm bereitete.

Adelgunde indessen glaubte vor Glück zu zerspringen.

*

Louis dachte an Adelgunde, als er sich auf den Weg zu der Kammer
begab, die der Diener ihm und Pierre zugewiesen hatte. Er glaubte
noch Adelgundes zärtlich geflüsterte Liebesworte und ihre Seufzer
der Wonne zu hören. Sie hätte gern die ganze Nacht mit ihm im Heu
verbracht, doch sie hatte Angst gehabt, in der Küche vermißt zu
werden, wo sie nach dem Abendessen zum Abwasch erwartet wurde.

Louis glaubte noch ihr Versprechen auf ein baldiges Wiedersehen

und auf mehr zu hören, als er die Tür der Kammer öffnete und
eintrat.

Deshalb hörte er nicht, wie ein Schatten von der Seite her auf ihn

zuhuschte. Er verspürte nur einen Schlag auf den Kopf, und in der

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dunklen Kammer schien es nach kurzem Flimmern von Sternen noch
dunkler zu werden. Er spürte nicht mehr, wie er vornüber stürzte und
mit der Stirn aufschlug.

Als er zu sich kam, dröhnte sein Schädel, und er hörte ein Stöhnen.

Er brauchte einen Augenblick, bis ihm klar wurde, daß er selbst es
war, der da stöhnte, und daß er halb auf Pierre lag. Daß es Pierre war,
erfuhr er erst, als er um sich tastete und Pierre ärgerlich zischte:
»Nimm die Pfoten von meinem Hintern!«

Louis zog die Hand zurück. Er wollte sich in der Dunkelheit in

eine bequemere Position drehen und berührte etwas Weiches. Etwas
Rundes. Pierres Knie? Nein etwas Nachgiebigeres mit einer Art
Warze daran. Louis erschrak. Das war doch nicht Pierres andere
Gesäßbacke mit dem Furunkel?

»Laß meine Brust los«, sagte eine ärgerliche weibliche Stimme,

und bevor Louis die Hand zurückziehen konnte, klatschte es auch
schon.

»Eh - ich war das - nicht!« ertönte Pierres empörte Stimme.
Louis mußte trotz seines Brummschädels grinsen. Da hatte sich

Pierre eine Ohrfeige eingehandelt, die Adelgunde eigentlich ihm
zugedacht hatte. Denn es war unzweifelhaft Adelgundes helle
Stimme gewesen. Seltsam, noch vor kurzem hatte sie wohlig
geseufzt, als er das geküßt und gestreichelt hatte, was er im tiefen
Dunkel zunächst für Pierres Knie mit Warze und dann für Pierres
Pobacke mit Furunkel gehalten hatte. Nun, Adelgunde wußte wohl
nicht, daß er es gewesen war.

»Ich bin's - Louis«, sagte er. »Was ist passiert, Adelgunde?«
Adelgunde stieß einen überraschten Laut aus und tastete nach

Louis' Hand. Dabei erwischte sie Pierres Oberschenkel, doch Pierre
beschwerte sich nicht. Ganz mucksmäuschenstill ließ er zu, daß
Adelgunde mit zarten Fingern sanft über seinen Schenkel hinauf
tastete.

»Sie schnappten mich gleich, als ich dich verlassen hatte«, sagte

Adelgunde. »Man hat uns im Heu belauscht.«

»Ihr wart im Heu?« fragte Pierre neugierig.

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»Wo sind wir hier?« erkundigte sich Louis, um abzulenken.
»Im Kerker.«
Louis fluchte wild, und Pierre machte ihn darauf aufmerksam, daß

sie nicht allein waren. Rund drei Dutzend Personen hielten sich in
dem kalten, engen Verlies auf, das allenfalls einem einzigen Dutzend
bequemen Platz geboten hätte. Deshalb die Platznot, deshalb lagen
die Gefangenen fast übereinander. Besonders schlimm war es in der
Nähe der Tür, wo Louis lag. Roderichs Räuber hatten die
Gefangenen, von denen die meisten bewußtlos gebracht worden
waren, einfach hinter der Tür abgelegt, und erst nach und nach hatten
sie sich etwas weiter in den Kerker hinein verteilt.

»Man hat uns schon belauscht, als Senor Alfons seinen Verdacht

äußerte«, sagte Pierre. »Da wußte dieser falsche Hund von Roderich,
daß sein Spiel durchschaut war, und er handelte schnell, das heißt, er
ließ handeln. Einen nach dem anderen überwältigten sie und
schleppten ihn hier runter.«

»Du weißt über alles Bescheid?« fragte Louis. »Haben die Räuber

dir gesagt, was los ist?«

»Die haben mir einen über die Rübe gezogen, ohne was zu sagen.«

Pierre seufzte. »Nicht mal die Damen haben sie verschont, diese
Kanaillen. Ich weiß alles von dem richtigen Arno von Berghe, der
mit seiner Familie und allen Getreuen hier unter uns weilt.«

Louis tippte sich an den dröhnenden Schädel. »Das hätte ich mir

auch denken können. Mann, tut mein Schädel weh.«

»Du Ärmster, sägte Adelgunde voller Mitgefühl. Pierre schloß die

Augen. Eine Hand, unverkennbar eine zarte weibliche, streichelte
seinen Oberschenkel. »Louis?« flüsterte eine Stimme, und es war
klar, daß Hand und Stimme zusammengehörten. Louis tastete nun
ebenfalls, orientierte sich an Adelgundes Busen und ertastete ihre
Hand, zog sie an sich - sehr zu Pierres Bedauern - und drückte sie
sanft.

»Ja?«
»Ich habe Angst. Was werden sie nun mit uns tun?«
In diesem Augenblick ertönte ein schauriges Lachen, das durch

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den Kerker hallte, daß es den Gefangenen kalt über den Rücken lief.
Dann rief eine spöttische Stimme:

»Das fragt ihr noch? Ihr werdet dort verrotten und verfaulen - ihr

alle!«

Wieder war das schaurige Lachen zu hören. Dann entfernten sich

schwere Schritte, und das Lachen verhallte.

Louis drückte Adelgundes zitternde Hand. »Noch sind wir nicht

verloren.« Er flüsterte, denn der Räuber mußte sie ja belauscht
haben, und es konnte immer noch einen Lauscher geben.

»Glaubst du an Wunder?« fragte Adelgunde ebenso leise.
»Nein«, gab Louis zurück, »aber ich hoffe auf Ritter Roland!«

*

Indessen hielt Roland Isabella in den Armen. Die Stunde des
Abschieds nahte. Zumindest für eine Weile mußten sie sich trennen.

Roland hatte Gregor und Wenzel ebenfalls zum Gasthof gebracht.

Der pausbäckige Wirt hatte versprochen, auf die gefesselten
Gefangenen aufzupassen und sie abzuliefern, wenn König Artus
Männer schickte. Zudem hatte Roland eine Botschaft hinterlassen, in
der er alles schilderte, was er von Gregors Räubern und vor allem
von Wenzel erfahren hatte, der ja das Bindeglied zwischen Roderich
und dem Räuberhauptmann gewesen war.

Roland kannte also jede Einzelheit und wußte, welches Schicksal

auf seine Knappen und die Spanier warten würde, wenn sie auf Burg
Hohenstolz eintrafen. Wenzel hatte gesagt, sie würden entweder
getötet oder in den Kerker geworfen - doch der sei schon ziemlich
überfüllt.

Rolands Hoffnung, seine Knappen und die Spanier noch vor der

Burg einzuholen, hatte sich nicht erfüllt. Sie hatten die Kolonne noch
von einem Hügel aus gesehen, als sie in der Burg verschwunden war
und sich das Tor hinter ihnen geschlossen hatte.

Roland und Isabella waren in ein Wäldchen nahe der Burg geritten,

um die Dunkelheit abzuwarten. Allein konnte Roland die

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Gefangenen nicht befreien. Er mußte auf die Männer warten, die
König Artus schicken würde und die Roland zu diesem Wäldchen
bestellt hatte. Doch Roland war entschlossen, bis zum Eintreffen der
Männer schon die Lage zu sondieren und einen Plan zur Befreiung
auszuarbeiten - zumindest Arno von Berghe und seine Familie mußte
noch am Leben sein, nach dem, was Wenzel erzählt hatte. Roland
wollte sich in der Nacht in die Burg einschleichen und alles
ausspionieren. Er hoffte, Kontakt mit den Knappen aufnehmen zu
können - wenn sie noch lebten - und den Spaniern die Sorge um
Isabella zu nehmen.

Isabella. Sie hatte ihn in diesen Stunden alle Gregors und

Roderichs der Welt vergessen lassen. Jetzt lagen sie ermattet und
glücklich im Moos und hielten sich umschlungen, als gehörten sie für
immer zueinander ...

»Und Egbert...?«
Roland wußte gar nicht, daß er diesen Gedanken aussprach.
Isabella schmiegte sich fester an ihn.
»Ich liebe ihn nicht. Er hat sich unberechtigte Hoffnungen

gemacht. Das wollte ich ihm klarmachen. Bei diesem Besuch wollte
ich ihm Lebewohl sagen ...«

Eine Weile schwiegen sie. Isabella streichelte sanft über Rolands

Brust.

»Könntest du dir ein Leben mit mir vorstellen?« fragte sie leise.
»Ja«, erwiderte Roland, ohne nachzudenken.
Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Sag nichts mehr. Du

müßtest mit mir in Armut in einem fremden Lande leben, denn nur
ein gebürtiger Spanier darf das Erbe derer von Cordoba antreten ...«

Wieder herrschte eine Weile Stille. Roland wollte gerade sagen,

daß er schon für sie sorgen könnte und daß sie vielleicht in
Deutschland bleiben könnten, doch Isabella kam ihm zuvor.

»Außerdem bist du König Artus und Camelot verpflichtet«, fuhr

Isabella fort, »und du liebst dieses Land. Ich dagegen bin meiner
Familie verpflichtet und muß in Spanien bleiben ...«

»Isabella ...«

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Sie verschloß ihm den Mund mit einem glühenden Kuß. »Laß uns

nicht an die Zukunft denken, laß uns jetzt glücklich sein«, wisperte
sie dann an seiner Wange.

Er konnte es kaum glauben, schon wieder entfachte sie das Feuer

der Leidenschaft in ihm.

Eine Eule blinzelte auf die beiden Liebenden hinab und grinste vor

sich hin. Dann nahm sie den Schatten war, riß weit die Augen auf
und stieß einen warnenden Ruf aus.

Doch Ritter Roland hörte nichts außer Isabellas zärtlichen

Liebesworten und dem Trommeln seines Herzens.

»Te quiero, te quiero ... Der Hieb mit der Keule riß Roland und

Isabella aus ihrem Glückstaumel. Roland sank mit einem ächzenden
Laut vornüber, hörte noch Isabellas Schrei des Entsetzens, und dann
wurde es dunkel und still um ihn. Irgendwann dann glaubte er
Schalmeienklang zu hören. Elfen tanzten auf einer vom Mondschein
versilberten Wiese und sangen dazu. Spanische Lieder. Trolle
schlugen kichernd Purzelbäume, und der frechste von ihnen, der ein
Gesicht wie der Räuberhauptmann Gregor hatte, gab ihm eine
Ohrfeige. Roland fegte ihn mit der Hand fort, und der Troll flog fort.
Schimpfend rannten die anderen Trolle ebenfalls weg. Die Elfen
wiegten sich im Kastagnettenklang. Sie sahen alle aus wie Isabella,
und das Mondlicht schimmerte auf ihren nackten, schlanken
Körpern. Eine der Isabellas schwebte graziös auf ihn zu. Te quiero,
te quiero
sang sie, und Roland wurde von einem heißen
Glücksgefühl durchpulst. Er wollte nach ihrer Hand greifen, doch
dann löste sich die Elfe plötzlich auf. »Isabella, Isabella!« schrie er.
»Bleib bei mir!«

Doch anstelle von Isabella tauchte ein Gesicht vor ihm auf. Eine

höhnisch verzerrte Fratze mit Hörnern. Und aus der Fratze formte
sich ein Stierkopf. Der Stier senkte die blutigen Hörner und
schnaubte, und aus den Nasenlöchern schlug Roland glühender Atem
ins Gesicht.

»Ich werde dich zermalmen, du Hundsfott!« brüllte der Stier, und

die restlichen Elfen verwandelten sich in Räuber und lachten

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schaurig. Und dann donnerte der Stier auf ihn zu, wuchs rasend
schnell wie eine tödliche Lawine auf Roland zu. Er wollte zum
Schwert greifen, doch er hatte keines. Abwehrend riß er die Hände
hoch und rollte sich zur Seite. Er prallte gegen etwas Hartes und stieß
sich den Kopf. Doch der Stier war plötzlich verschwunden.

Blinzelnd öffnete Ritter Roland die Augen. Sonnenschein blendete

ihn. Er nahm verschwommen Gestalten wahr, die ihn überragten.
Und wie aus weiter Ferne hörte er ein Stampfen, Klirren und Brüllen.
Der Stier?

Ja, das war in der Tat das Brüllen eines Stiers. Die Gesichter über

ihm wurden deutlicher. Eine der Gestalten neigte sich etwas vor und
starrte auf ihn hinab.

Roland erschrak. Das war ein bekanntes Gesicht.
Gregor, der Räuberhauptmann.

*

»Er kommt zu sich«, sagte Gregor.

Roland tastete stöhnend an seinen schmerzenden Kopf. Etwas

Klebriges in den Haaren und eine Beule. Er schloß die Augen und
kämpfte gegen das Gefühl der Übelkeit an. Es war ihm, als tasteten
Spinnenbeine in seinem Magen herum. Etwas krachte gegen seine
Hüfte. Schmerzen zuckten bis in seine Zehen hinab.

Vielleicht waren es der Tritt und die Schmerzen, die Roland

vollends zur Besinnung brachten. Schlagartig setzte die Erinnerung
ein, und er riß die Augen auf, drehte sich und packte zu.

Er hörte einen überraschten Aufschrei, als er an dem Stiefel riß.

Dann einen Aufprall, und als sich die wogenden Nebel vor seinen
Augen lichteten, sah er, daß Gregor neben ihm auf dem Hosenboden
saß. Roland hatte den Räuberhauptmann zu Fall gebracht. Gregors
wüstes Gesicht war vor Wut verzerrt. Er sprang auf und zückte sein
Schwert. Er wollte Roland töten.

Roland erkannte, daß er keine Chance mehr hatte. Er war noch zu

sehr geschwächt und waffenlos. Hilflos lag er am Boden und sah,

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wie das Schwert des Räubers in der Sonne aufblitzte, wie die Klinge
auf ihn zustieß.

Aus! durchfuhr es ihn.
Er hörte Isabella aufschreien. Sie war also ebenfalls

gefangengenommen worden. Da gebot eine scharfe Stimme Einhalt,
und die Schwertspitze verharrte an Rolands Kehle.

Roland wandte den Kopf. Er sah Isabella. Sie bäumte sich im Griff

zweier stämmiger Männer auf. Sie war schreckensbleich. Sie trug ihr
eingerissenes Kleid. Sie wehrte sich jetzt nicht mehr. Sie blickte
Roland stumm und voller Liebe an.

»Diesem Kerl haben wir das alles zu verdanken!« sagte Gregor

schweratmend, und seine grollende Stimme hallte über den Burghof.

»Dafür wird er auch büßen«, sagte eine andere Stimme.
Roland faßte den Mann ins Auge. Ein großer, untersetzter Mann in

eleganter Samtkleidung, die mit Stickereien verziert war. Braune
Augen, eine große, spitze Nase und ein kantig vorgerecktes Kinn.
Das mußte Roderich sein, der falsche Arno von Berghe.

»Aber er wird keinen schnellen Tod durch das Schwert haben«,

fuhr der Kerl fort. »Er wird langsam sterben, ganz langsam. Ich
denke da an Daumenschrauben, an die Streckbank und an all die
anderen hübschen Dinge aus der Folterkammer ...« Er zählte einige
auf, und Roland fröstelte trotz der Morgensonne.

Gregor zog grinsend sein Schwert zurück. »Du hast recht, alter

Freund. »Das wird ein feines Fest. Und fast hätte ich uns den Spaß
verdorben!« er schüttelte den Kopf, als wollte er sich selbst tadeln.

»Wie hast du dich befreit?« fragte Roland.
Gregor grinste breit, und die Narbe an seiner Wange schimmerte

tiefrot. »Das war nicht schwer. Ich konnte den Burschen
überwältigen, der mir einen Napf mit Schweinefraß in den Stall
brachte. Ich hätte auch noch die anderen befreit, doch ich mußte
türmen, denn der Bengel schrie Zeter und Mordio, und das ganze
Dorf lief zusammen. Da schnappte ich mir ein Pferd und haute ab.
Ihr beide hattet gerade eine halbe Stunde Vorsprung. Ich brauchte
nur eurer Fährte zu folgen. Und später fand ich euch dann im Wald.

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Ihr wart so miteinander beschäftigt, daß es ein leichtes war, euch zu
überraschen. Er warf einen Blick zu Isabella. »Gerne hätte ich dieses
prächtige Vögelchen für mich behalten, doch ich dachte an meinen
Freund Roderich und sagte mir, ein kleines Versöhnungsgeschenk
könnte nicht schaden, nachdem meine Männer versagten.« Die Idee
stammte im Grunde von Uli, der im Stall erzählt hatte, daß sie ihm -
Gregor - Isabella hatten bringen wollen. Doch davon brauchte
Roderich nichts zu wissen.

Roderich lachte leise. »Da dachtest du richtig, mein Freund.

Nachdem ich nun meine Pläne ändern mußte, trage ich mich mit dem
Gedanken, mir ein Täubchen als Burgherrin anzulachen. Warum kein
spanisches Täubchen? Sie wird nach Spanien schreiben, daß sie mich
heiratet und mitsamt ihren Verwandten auf Burg Hohenstolz bleibt.
So erspare ich mir einen Haufen Probleme.«

»Niemals!« schrie Isabella auf.
Roderich lachte ungerührt. »Es bleibt dir keine andere Wahl,

schönes Kind, willst du nicht das Leben deiner Eltern und Landsleute
aufs Spiel setzen. Wirst du meine Gemahlin, darfst du sie des
Sonntags im Kerker besuchen. Wirst du es nicht, bleibt dir nur der
Besuch ihrer Gräber.«

Roland sah die Verzweiflung in Isabellas schönen Augen, und der

Anblick schnitt ihm ins Herz. Ihn ohnmächtigem Zorn ballte er die
Hände.

»Außerdem«, fuhr Roderich fort, »wirst du dir dein Erbe auszahlen

lassen und das gesamte Vermögen derer von Cordoba nach hier
schicken lassen. All euer Besitz in Spanien wird verkauft, und so
werden wir reich und glücklich auf Burg Hohenstolz leben.« Sein
Blick tastete wohlgefällig über ihre Formen. »Du bist schön, mein
Täubchen, und ich wette, du bist auch nicht dumm und wirst mein
großzügiges Angebot annehmen.«

Dann verfinsterte sich seine Miene, und er blickte Gregor an.
»Was hörte ich da eben - du sagtest etwas in der Art, daß der da -«,

er nickte zu Roland hin, »sich mit ihr beschäftigt hat. Sagtest du
nicht bei deiner Ankunft, sie sei genau die richtige für mich?«

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»Sie haben sich nur geküßt«, versicherte Gregor hastig, denn er

kannte Roderichs Eitelkeit. »Und er hat sie dazu gezwungen! Das
siehst du doch an dem zerrissenen Kleid. Der Wüstling wollte sie
vergewaltigen, aber das habe ich verhindert.«

Gregors Miene hellte sich auf. »Gut, gut, mein alter Freund. Du

weißt, daß ich nicht gern die zweite Geige spiele. Nun, ich werde
dich fürstlich belohnen und zu meiner rechten Hand ernennen.«

Gregor grinste erfreut. Er hatte sich schon Sorgen um seine

Zukunft gemacht. So blieb ihm erspart, sich neue Räuber für eine
Bande zusammensuchen zu müssen. Ein fettes Leben in einer
richtigen Burg - das war doch etwas anderes, als in einer Hütte zu
hausen und von der Hand in den Mund zu leben. Dann fiel ihm ein,
daß Roland und Isabella ihm einen Strich durch die Rechnung
machen konnten, indem sie Roderich sagten, was sich tatsächlich im
Walde abgespielt hatte. Nun, dann würde er sie einfach der Lüge
bezichtigen. Gut, daß er Roland von Isabella hatte ankleiden lassen.
Wenn er den Kerl nackt abgeliefert hätte, wäre Roderich natürlich
alles klar gewesen. Finster starrte Gregor Roland an. Der Kerl mußte
verschwinden, und zwar schnell, bevor er auf die Idee kam, zu
plaudern.

Schnell gab Gregor seine ersten Befehle als zweiter Mann auf Burg

Hohenstolz.

»Laßt Roderichs Gemahlin los, ihr Dummbeutel!« fuhr er die

beiden Männer der Wache an. »Und schafft mir den verdammten
Ritter aus den Augen. Die Männer schauten fragend zu ihrem
bisherigen Herrn. Sie hatten zwar alles gehört, doch sie wußten noch
nichts mit der neuen Machtverteilung anzufangen. »Ritter?« sagte
Roderich entgeistert. »Davon hast du mir ja gar nichts gesagt! Ist das
tatsächlich einer?«

»Ja, behauptet er jedenfalls, und in dem Gasthof sagte man es

auch. Außerdem war er so blöde, mich zu verschonen, als er mich
wehrlos vor dem Schwert hatte. Und man sagt doch, daß die Ritter so
duselig sind. Aber was macht das schon für einen Unterschied, ob er
nun ein Ritter oder ein Landmann ist? Beide furzen gleich.«

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»Da hast du auch wieder recht«, sagte Roderich grinsend. Er gab

seinen Männern einen Wink. »Hinfort mit ihm in die Folterkammer.«

Die Männer ließen Isabella los und wollten Roland packen.
»Nein!« schrie Isabella, und sie warf sich schluchzend vor

Roderich auf die Knie. »Foltert ihn nicht! Laßt ihn am Leben!
Bitte...»Roderich starrte auf sie hinab. Widerstreitende Gefühle
waren in ihm. Einerseits schmeichelte es ihm ungemein, daß diese
schöne Frau dort vor seinen Füßen lag, und er genoß das Gefühl der
Macht. Andererseits nagten Zweifel in ihm, ob der Ritter und
Isabella sich wirklich nur geküßt hatten. Sie bettelte für ihn,
schluchzend, verzweifelt - wie eine Liebende. Unschlüssig nagte er
an seiner Unterlippe. Was sollte er tun? Wenn er ihr den Wunsch
abschlug, würde sie ihn hassen und sich ihm nicht freiwillig
hingeben. Und wenn er ihr den Wunsch gewährte und den Kerl am
Leben ließ, würde dessen Schatten möglicherweise ständig zwischen
ihnen sein. In seiner Eitelkeit vergaß der Räuber ganz, daß Isabella
so oder so allen Grund hatte, ihn zu hassen. Er dachte nur daran, daß
er Roland als Druckmittel nutzen konnte. »Bitte, laßt ihn leben!«
flehte Isabella und blickte zu ihm auf.

»Nun denn, schöne Frau«, sagte Roderich und schielte in ihren

Ausschnitt. »Ich werde es mir überlegen, und es ist möglich, daß ich
den Wunsch erfülle, wenn du dich ebenso entgegenkommend
zeigst.«

Isabella senkte den Kopf, und das Blut schoß in ihre Wangen.
Heißer Zorn wallte in Roland auf, und als die Wachen ihn packen

und hochzerren wollten, war es mit seiner mühsamen Beherrschung
vorbei. Eher wollte er im Kampfe sterben, als daß Isabella ihren
Stolz opferte und vor diesem Satan auf den Knien kroch.

Er kämpfte tollkühn. Er packte den nächsten Wächter und

wuchtete ihn gegen dessen Kumpan. Bevor die beiden überraschten
Männer wußten, wie ihnen geschah, sanken sie zu Boden. Roland
wirbelte bereits zu Roderich herum, der ebenso überrascht war wie
alle anderen und über Isabella hinweg offenen Mundes zu ihm
starrte.

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Im nächsten Augenblick traf ihn schon Rolands Faust mitten auf

die große, spitze Nase. Schreiend taumelte er zurück und fiel auf den
Rücken. Mit einem mächtigen Satz war Roland bei ihm und schlug
ihm links und rechts ins Gesicht. Dann fuhr er zu Gregor herum und
verharrte mitten in der Bewegung.

Gregor hielt sein Schwert in der Hand, und er brauchte nur noch

zuzustoßen. Und ein halbes Dutzend Männer eilten heran, mit
Lanzen, Schwertern und Keulen bewaffnet.

Gregors Gesicht verzerrte sich. Er war entschlossen, Roland den

Todesstoß zu versetzen. Doch Isabella war aufgesprungen, und sie
schob sich zwischen Roland und die Schwertspitze.

Indessen rappelten sich die Wachen und Roderich auf. Roderichs

Nase sah etwas breiter aus und blutete, und er raste vor Zorn.

Er war einen Moment lang benommen gewesen und hatte nicht

mitbekommen, daß Gregor Roland vor dem Schwerte gehabt hatte.
Er sah, daß Roland mit dem Rücken zu ihm stand und einen Arm um
Isabella legte.

»Feiger Hund!« brüllte er. »Versteckt sich hinter einem

Weiberrock!«

Roland schob Isabella sanft zur Seite. Furchtlos blickte er Gregor

an und drehte ihm dann verächtlich den Rücken zu, um sich
Roderich zuzuwenden.

»Der feige Hund bist du!« sagte er ruhig. »Ohne all deine Männer

würdest du jetzt zu meinen Füßen liegen und um Gnade winseln, du
Wurm.«

Einen Augenblick lang sah es aus, als wollte sich Roderich auf ihn

stürzen. Doch dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er zog ein
Seidentuch aus der Tasche und tupfte sich Blut von der Nase.

»Schafft ihn mir aus den Augen«, sagte er. »Werft ihn in die

Folterkammer. Spannt ihn auf die Streckbank.«

»Nein!« schluchzte Isabella.
»Doch«, sagte Roderich, als seine Männer zögerten.
»Bitte!« flehte Isabella. »Ich tue alles, was Ihr wollt, wenn Ihr ihn

verschont.«

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Roderich war unschlüssig. »Du hast dich schon entschieden?«
Isabella schwieg. Sie sah nur Roland an.
»Nun«, setzte Roderich nach, »wenn du dich jetzt auf der Stelle

entscheidest, mein Weib zu werden, so will ich dir deinen Wunsch
gewähren und dem Kerl eine faire Chance geben.«

»Ihr laßt ihn leben?«
Roderich zögerte. »Ich sprach von einer fairen Chance. Nun, er

darf gegen den Stier kämpfen, und wenn er ihn tötet, ist er frei. Na,
was hältst du von dieser Idee? Wie lautet deine Antwort?«

»Ja«, sagte Isabella kaum hörbar. Sie war bereit, sich für Roland zu

opfern. Aber sie hatte auch Hoffnung. Roland war gewiß kein
Torero, aber sie hatte seine Tapferkeit und Kraft gesehen, und sie
zweifelte keine Sekunde daran, daß er den Stier besiegen würde.

Roderich grinste zufrieden. »Ihr habt es alle gehört«, rief er mit

lauter Stimme, »Heute nacht wird Hochzeit gefeiert. Ich will ein
großes Fest mit allem Drum und Dran. Eine Fiesta zu Ehren meiner
Gemahlin. Und als Höhepunkt der Fiesta gibt es einen Stierkampf!
Gregor, du sorgst mir dafür, daß hier im Burghof eine Arena errichtet
wird. Und alle Gefangenen dürfen zuschauen, wie der Kerl da vom
Stier zerfetzt wird. Hei, wird das eine Gaudi!« Er starrte Roland an.
»Du solltest meiner Gemahlin dankbar sein, daß sie mich beschwatzt
hat, dir diese Gnade zu bewähren.«

Rolands Gedanken jagten sich. Er war noch angeschlagen, doch bis

zum Abend würde er sich etwas erholt haben. Er verstand sich nicht
auf den Stierkampf, doch er war überzeugt davon, mit einem Stier
fertig zu werden. Schließlich hatte er sogar den Drachen Fasolt
geschafft, und Gorgar, das menschliche Ungeheuer mit seinen
Schlangen, hatte er ebenfalls bezwungen. Dieser Roderich war ein
eitler Mann. Er wollte seine Schau haben, um vor seinen Mannen
und vor Isabella zu protzen. Die Frage, ob er tatsächlich sein Wort
hielt und ihn freiließ, wenn er den Stier besiegte, war zweitrangig -
daran glaubte Roland ohnehin nicht. Und selbst wenn er es tat, war
damit weder Isabella, noch den Knappen, noch den anderen
Gefangenen geholfen. Aber er konnte Zeit gewinnen, wenn er sich

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zum Kampf bereit erklärte, wertvolle Zeit, in der König Artus' Män-
ner etwas unternehmen konnten. Und wenn er erst einmal mit einem
Schwert in der »Arena« stand, gelang es ihm vielleicht, Roderich zu
überrumpeln, ihm das Schwert an die Kehle zu setzen und die
Freilassung aller Gefangenen zu fordern.

»Ich danke dir, Isabella«, sagte Roland aus seinen Gedanken

heraus. »Aber ich werde nicht kämpfen.«

Isabella blickte überrascht. »Was - du bist zu feige?« brüllte

Roderich.

Roland schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Lust, für dich den

Hampelmann zu spielen. Ich werde nur gegen den Stier kämpfen,
wenn du alle Gefangenen freiläßt - und Isabella.«

»Und dich wohl ebenfalls, du Witzbold«, höhnte Gregor.
Roland blickte ihn kühl an. »Von meinem Leben sprach ich nicht.

Ihr könnt mich töten, wenn ich den Stier bezwungen habe. Aber
bevor ich kämpfe, will ich, daß die Gefangenen freigelassen
werden.«

Roland war überzeugt davon, daß Roderich niemals auf diese

wahnwitzige Forderung eingehen würde. So blöde konnte er gar
nicht sein. Doch Roland erhoffte sich, daß der Kerl bei diesem
Gerede irgendein kleines Zugeständnis machte, das von Nutzen sein
konnte. Wenn er nur erlaubte, daß die Gefangenen nicht gefesselt
dem Kampf zusahen, war schon einiges gewonnen. Sicherlich würde
Gregor die Gefangenen nach dem Kampf wieder in den Kerker
werfen lassen. Doch wenn sie erst einmal zur angeblichen
Freilassung ohne Fesseln im Burghof waren, gab es vielleicht eine
Möglichkeit zum Kampf. Schließlich waren die Knappen unter den
Gefangenen, und wenn inzwischen die Männer von König Artus
auftauchten.

»In Ordnung«, sagte Roderich in Rolands Gedanken hinein. »Ich

bin einverstanden.«

Roland glaubte seinen Ohren nicht trauen zu können. Das konnte

doch nicht wahr sein!

Roderich weidete sich offensichtlich an Rolands Verblüffung.

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»Du hast richtig gehört«, sagte er grinsend. »Ihr seid alle frei,

wenn du den Stier besiegst. Mein Wort darauf.«

Roland wußte, daß dieses Wort soviel galt wie ein Fliegenschiß.

Doch er tat erfreut.

Roderich genoß den Anblick der verdutzten Gesichter. Er gab

seinen Männern einen herrischen Wink.

»Bringt ihn in den Kerker. Er soll noch ein wenig ruhen, damit er

bei Kräften ist und der Stier ihn nicht gleich im ersten Ansturm auf
die Hörner nimmt.« Er winkte zwei Männern. »Andreas, Klaus,
geleitet die zukünftige Herrin zu ihrem Gemach.«

Isabella warf Roland noch einen Blick zu, bevor sie ihn

fortführten. Hoffnung leuchtete in ihren schwarzen Augen. Sie
klammerte sich wohl an den Gedanken, daß Roderich sein Wort
halten würde.

Sie folgte dann Andreas und Klaus.
Roderich und Gregor blieben allein auf dem Burghof zurück.
»Du willst ihn und die anderen doch nicht wirklich freilassen, falls

er nicht auf die Hörner genommen wird?« vergewisserte sich Gregor
und zwinkerte ihm wissend zu.

»Doch«, sagte Roderich.
Gregors Augen wurden groß und rund und sein Mund klaffte auf.
Roderich lachte. »Aber er wird den Stier nicht besiegen, mein

Lieber. Oder hast du schon mal einen Stierkampf gesehen, in dem
der Torero einem bis aufs äußersten gereizten Kampfstier mit bloßen
Händen gegenübertritt?«

*

Roland hatte mit einer Teufelei gerechnet, doch auf den Gedanken,
daß er waffenlos gegen den Stier antreten mußte, war er nicht
gekommen.

Da stand er nun, in der aus dicken Eichenbalken errichteten Arena,

die von vielen Fackeln erhellt war. Alle Gefangenen standen in einer
Ecke des Burghofes jenseits der dicken Eichenbohlen. Sie waren

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nicht gefesselt, doch was nutzte das schon? Sechs Wachen mit
Lanzen standen bei ihnen, und ein Entkommen aus der Burg war
ohnehin unmöglich, denn Gregor hatte zusätzlich zu den beiden
Wachtposten auf den Türmen noch zwei Männer innen vor dem ver-
rammelten Burgtor postiert, und überall im Burghof waren Roderichs
Männer verteilt.

Roland blickte zu dem Wagen, in dem der Stier brüllte und

stampfte. Der Kampfstier war hungrig, doch das würde seine Kräfte
nicht mindern. Soeben hatten zwei von Roderichs Räubern durch die
Belüftungsschlitze den Stier mit Lanzen gestochen, und er brüllte
noch wilder als zuvor, und der ganze Wagen erzitterte unter seinem
Stampfen. Die schweren Eisenketten, an die er gebunden war, ließen
sich von außen lösen. Die beiden Räuber waren gerade damit be-
schäftigt. Dann brauchten sie nur noch den massiven Eisenriegel
wegzuschieben, und der Stier würde in die behelfsmäßige Arena
donnern und dort nur Roland finden.

Rolands Blick wanderte zu den Gefangenen. Isabella sah ihn

ebenso stumm an wie die Knappen und die anderen.

Sie hatten im Kerker überlegt, welche Teufelei Roderich vorhaben

könnte, hatten Pläne geschmiedet und Hoffnung gehabt, Roderich
irgendwie überlisten zu können. Doch alle Pläne basierten darauf,
daß Roland zum Kampf ein Schwert oder eine Lanze erhielt. Eine
Version ihrer Pläne sah vor, daß die Gefangenen in diesem
Augenblick einen Fluchtversuch unternehmen sollten, der natürlich
erfolglos bleiben mußte, der aber die Wachen ablenken würde. Ro-
land hatte gehofft, sich im allgemeinen Durcheinander Roderich
schnappen zu können.

Sein Blick wanderte weiter. Roderich hatte sich einen Ehrenplatz

herrichten lassen. Er thronte auf einem Podium nahe hinter den
Eichenbalken. Zwei Männer mit Lanzen standen links und rechts
vom Podium. Gregor saß bei Roderich. Außerdem der Pater, ein
schlanker Mann in schwarzem Gewand und wallendem grauen Bart.
Sie tranken Rotwein - spanischen, den die Spanier als Gastgeschenk
im Verpflegungswagen gehabt hatten. Der Pater prostete gerade

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Roderich zu und sagte etwas, woraufhin Roderich dröhnend lachte.

Dieser Satan!
Dann erhob sich Roderich und hielt mit lauter Stimme eine

spöttische Ansprache. Wie großmütig er doch sei, daß er einem
verfluchten Hundsfott diese Chance gewähre. Alle seine Männer
lachten. Der Pater werde für Roland beten, wenn man ihn in kleinen
Stückchen zusammensammeln würde. Und anschließend würde der
Pater ihn und Isabella trauen.

Dann klatschte er in die Hände und rief zu den Männern beim

Wagen. »Nun laßt die sanfte Kuh heraus, auf daß wir ein bißchen
lachen können.«

»Ich weiß nicht, ob das ein rechtes Duell ist«, sagte der Pater und

nippte an seinem Rotwein. »Wird in Spanien nicht bewaffnet gegen
den Stier gekämpft? Ich glaube, ich hörte mal so etwas.«

Roderich lachte. »Da hörtet ihr richtig, Pater. Aber ich führe in

deutschen Landen eine neue Variante ein, denn ich bin ein gar großer
Tierfreund und will dem Stier die gleichen Chancen einräumen wie
seinem Gegner.« Er grinst den Pater an.

Der Pater kraulte seinen wallenden Bart. »Ich weiß nicht - der

Mann hat doch keine Hörner und ist nicht so schwer wie dieser
gewaltige Bulle ...«

»Papperlapapp«, sagte Roderich unwirsch. »Unser Torero ist ein

Ritter und man erzählt wahre Heldentaten von ihm, wie mein
abergläubisches Gesinde behauptet. Sogar einen Drachen soll er mit
bloßen Händen bezwungen haben.«

Er tippte sich vielsagend an die Stirn. »Nun, da kann er jetzt mal

zeigen, welch ein tapferer Kämpfer er ist.«

»Aber ...« begann der Pater.
»Keine Widerrede! Ihr seid hier, um zu beten und nicht um zu

nörgeln.« Roderich trank sein Rotweinglas aus und bedachte den
Pater mit einem mißmutigen Blick.

»Schon gut, schon gut«, sagte der Pater und hob beschwichtigend

eine Hand. »Dieser Stierkampf ist noch nicht so bekannt in deutschen
Landen. Daher verzeiht mir mein Befremden. Nun, sicherlich ist

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Eure Variante für das Tier auch gerechter. Ich werde für den Ritter
beten.«

»Amen«, sagte Gregor spöttisch und wischte sich mit dem

Handrücken Wein von den Lippen. »Betet nur, doch wenn Ihr mich
fragt, ich halte zu dem Stier.«

Der Pater tastete an seinem Gewand herum. »Verzeiht mir, ich

habe mein Gebetbuch, in der Küche vergessen, wo Ihr mich - Gott
vergelt's - so großzügig mit Speis und Trank versorgen ließet.«

»So holt es doch, wenn Ihr die Gebete nicht auswendig könnt«,

brummte Roderich leicht spöttisch. »Aber beeilt euch, sonst kommt
Ihr zu spät zu diesem ergötzlichen Schauspiel.«

Der Pater nickte eifrig. Er erhob sich und eilte davon.
»Dummkopf«, murmelte Roderich. »Er weiß noch nicht, daß er

auch im Kerker landen wird.«

Gregor nickte und schenkte Wein nach.
Der Pater hatte am späten Nachmittag Einlaß begehrt und bei den

Torwachen behauptet, er sei auf Burg Hohenstolz immer von Arno
von Berghe bewirtet worden, wenn ihn sein Weg vorbeigeführt hatte.
Dieser Schnorrer! Gregor hatte schon Anweisung geben wollen, ihn
abzuweisen. Doch Roderich hatte Bedenken gehabt. Der Pater
konnte argwöhnisch werden und sich fragen, weshalb Arno von
Berghe auf einmal nicht mehr gastfreundlich war. Gerede konnte
entstehen, das vermieden werden mußte. Außerdem kam der Pater
gerade zur rechten Zeit. Es machte sich gut, wenn ein richtiger Pater
ihn - Roderich - und Isabella vermählte. Da konnte später niemand
sagen, daß die Ehe nicht rechtens sei. So hatte sich Roderich ent-
schlossen, Arno von Berghes Rolle zu spielen. Das war nicht
schwierig gewesen, denn der Pater kannte Arno von Berghe gar nicht
persönlich. Er war stets in der Gesindeküche bewirtet worden und
hatte zu Speis und Trank vom Diener ein paar Dukaten als milde
Gabe erhalten, wie er den Wachtposten erzählt hatte.

Es ließ sich allerdings nicht vermeiden, daß er die Gefangenen sah

und sich zusammenreimen konnte, was auf Hohenstolz gespielt
wurde. So wollte Roderich ihn fortan auf der Burg gefangenhalten.

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Roderich wandte sein Augenmerk zu dem Wagen. Die Männer

hatten den Riegel fortgeschoben und sprangen hinter die
Eichenbalken in Deckung.

Im Wagen brüllte und stampfte der Stier. Doch mehr tat sich nicht.
Alle starrten ebenso gebannt wie Ritter Roland zum Wagen.
»Macht schon die Tür auf, ihr Hasenfüße!« brüllte Roderich.
Die Männer zögerten. Dann faßte sich einer ein Herz und befolgte

den Befehl. Das hätte er besser nicht getan. Denn als hätte der Stier
nur darauf gewartet, raste er heraus, und die Tür knallte dem
Unglücklichen gegen den Schädel und schmetterte ihn zu Boden. Der
Stier sprang aus dem Wagen, eine gewaltige Masse Muskeln, Sehnen
und Fleisch und Kraft, und der Boden erzitterte, als er mit gesenkten
Hörnern auf Roland zuraste.

Ein Aufschrei hallte über den Burghof.
Noch zehn Klafter.
Roland stand sprungbereit.
Noch fünf Klafter.
Konnte er es schaffen, dem Stier auszuweichen, der mit Urgewalt

auf ihn zuraste?

Roland schnellte sich im letzten Augenblick zur Seite. Doch eines

der Hörner erfaßte ihn!

Das Horn streifte ihn nur an der Schulter, doch die Wucht war so

groß, daß Roland zur Seite geschleudert wurde und stürzte. Der Stier
raste bis an die Bande aus Eichenbalken, und ein Stück der kurzen
Kette knallte gegen das Holz. Trotz seiner Massen drehte sich der
Stier gewandt und schnell und erfaßte mit rollenden Augen den
Menschen, der dort am Boden lag. Er schnaubte wütend, senkte die
Hörner und raste los.

Und Ritter Roland lag, noch benommen von dem Sturz und

waffenlos, am Boden!

Allen stockte der Atem. Den Gefangenen vor Entsetzen, den

Räubern vor Spannung.

Das mußte das Ende des Kampfes sein. Nichts konnte den Stier

aufhalten, und Roland konnte nicht mehr rechtzeitig auf die Beine

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kommen.

Der Stier schien ins Riesengroße zu wachsen. Der Boden unter

Roland zitterte.

Ritter Roland erkannte, daß er nicht mehr schnell genug

aufspringen konnte.

Er sah dem Tod ins Auge.

*

»Der ist hin«, murmelte der Posten auf dem Turm, und es war klar,
daß er nicht den Stier meinte. Gebannt wie alle anderen verfolgte er
den Angriff des Stiers, der in zwei, drei Sekunden den am Boden
liegenden Ritter rammen oder mit den Hörnern zerfetzen würde.

Da knallte dem Posten etwas gegen den Kopf, und er glaubte, an

Rolands Stelle von dem Stier getroffen worden zu sein. Ohne einen
Laut sank er vornüber und dachte nichts mehr.

Der Pater fing ihn auf und zog ihn hinter die Brüstung. Er warf

einen schnellen Blick in die Arena hinab und erstarrte in jähem
Entsetzen.

Der Stier flog auf Ritter Roland zu. Aus! dachte der schlagkräftige

Pater, der nicht daran gedacht hatte, sein Gebetbuch zu holen. Er
schloß die Augen, und alles in ihm schien sich zu verkrampfen.

Dann hörte er einen vielstimmigen Aufschrei. Er riß die Augen

auf, und unsagbare Erleichterung erfüllte ihn.

Roland rollte über den Boden und drehte sich wie von einem

unsichtbaren Katapult geschnellt, und es war noch alles an ihm dran.
Der Stier raste an ihm vorbei. Doch schon drehte er ab, senkte von
neuem die Hörner und donnerte los.

Es war nur ein Aufschub. Keine Frage, daß Rolands Kräfte eher

erlahmen würden als die des Stiers. Früher oder später war er nicht
mehr schnell genug ...

Der schlagkräftige Pater nahm schnell das Schwert des

Wachtpostens und hastete davon. Es kam auf jede Sekunde an. Er
hörte wiederum einen Aufschrei der Zuschauer, doch es klang fast

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jubelnd, nicht entsetzt, und er hoffte, daß Roland auch den nächsten
Angriff überstanden hatte.

So war es auch. Roland war rechtzeitig auf den Beinen gewesen

und hatte sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit gebracht.

Doch jetzt reizten die Räuber den Stier noch mehr. Sie warfen mit

Steinen nach ihm. Der Stier drehte sich, schüttelte den massigen
Schädel, und es sah aus, als hielte er nach neuen Gegnern Ausschau.
Schaum troff von seinem Maul, und auf dem Horn, das Roland
gestreift und eine tiefe Furche gerissen hatte, schimmerte Rolands
Blut im Schein der Fackeln.

Die Räuber johlten.
»Gute Idee!« rief Roderich gegen den Lärm an. »Macht ihm noch

ein bißchen Pfeffer, diesem lahmen Rindvieh!«

Der Stier röhrte, konnte außer Roland keinen anderen Gegner

innerhalb der Absperrung entdecken und setzte sich wieder in
Bewegung. In diesem Augenblick geschah etwas unerwartetes.

Roland sah plötzlich etwas Rotes in die Arena fliegen. Stoff. Der

Stier änderte schnell die Richtung und donnerte an ihm vorbei,
während Roland sich zur Seite geschnellt hatte, was im Nachhinein
betrachtet nicht mehr nötig gewesen wäre.

»He, was soll das?« brüllte Roderich wütend und wandte den

Kopf. Dann weiteten sich seine Augen. Isabella hatte sich die rote
Bluse, die sie an diesem Abend trug, vom Leib gerissen und in die
Arena geworfen. Jetzt bedeckte sie ihren Busen mit den Händen,
doch die Wachen hatten ihren nackten Oberkörper natürlich gesehen
und glotzten sie an.

»Teufel, die Schau wird ja immer aufregender«, murmelte einer

begeistert.

Gregor lachte dröhnend. »Laß doch, Roderich! So wird das Vieh

doch nur noch wilder! Jedes Kind weiß, daß ein Stier durchdreht,
wenn er rot sieht!« Er schlug sich lachend auf die Schenkel.

Auch die anderen fielen in das Lachen ein.
»Ich will nicht, daß jeder mein Weib nackig sieht«, knurrte

Roderich, doch dann hellte sich seine Miene auf, denn der Stier

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wurde wirklich noch rasender. Er war so in Fahrt, daß er bald gegen
die Bande geknallt wäre. Er konnte gerade noch schnaubend
abdrehen, und noch schneller und wütender griff er von neuem an.

Nun, Roland wußte nicht viel über die Zeremonie des

Stierkampfes, der im fernen Spanien bei Hofe groß in Mode
gekommen sein sollte. Roland ärgerte sich darüber, daß er im Kerker
vergessen hatte, die Spanier nach Einzelheiten zu fragen. Auch er
wußte, was geschah, wenn ein Stier rot sah. Aber er konnte sich
denken, daß Isabella ihre Bluse samt Brusttuch nicht in die Arena
geworfen hatte, um den Stier noch mehr aufzustacheln. Sie hatte das
brüllende Ungetüm damit abgelenkt, und was ihr gelungen war,
mußte ihm irgendwie auch gelingen. Er spürte bereits, wie seine
Kräfte erlahmten, und er wußte, daß er auf die Dauer nicht gegen
diesen Stier bestehen konnte. Die rote Bluse war für ihn so etwas wie
der Strohhalm, an den sich ein Ertrinkender klammert. Er schnellte
sich darauf zu, riß die Bluse hoch und sprang auf. Der Stier
korrigierte ein wenig die Richtung, als Roland die rote Bluse weit zur
Seite schwenkte. Doch er donnerte unaufhaltsam weiter. Roland
wollte kein Risiko eingehen und schnellte sich zusätzlich zur Seite,
denn er befürchtete, der Stier könnte ihm den Arm abreißen. Die
Hörner zerfetzten die Bluse, und wenn Roland sie nicht
geistesgegenwärtig losgelassen hätte, wäre er mitgerissen worden.

Jetzt trug der Stier die roten Fetzen auf den Hörnern, schüttelte

brüllend den massigen Schädel, und sie flatterten zu Boden. Wild
rollte der Stier die Augen, wendete und griff von neuem an.

Roderich lachte begeistert.
»Na, hab ich's nicht gesagt?« frohlockte Gregor an seiner Seite.

»Jetzt geht's erst richtig rund.«

In diesem Augenblick flog ein zweites rotes Etwas in die Arena.

Das Kleid der Zofe. Linda hatte es auf Isabellas Flehen hin vom
Körper gerissen und geworfen. Und jetzt hatte sie kaum genug
Hände, um ihre Blößen zu bedecken. Den Wachen quollen die
Augen aus den Höhlen.

»Wird ja immer besser«, murmelte der Kerl, der schon bei

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Isabellas Bluse frohlockt hatte.

»Zieht euch nur alle aus!« brüllte Roderich durch den Lärm. »Das

rettet euren Favoriten nicht. Im Gegenteil!«

Roland handelte schnell. Er sprang zu dem Kleid. Jetzt hatte er ein

größeres Tuch als die Bluse. Und diesmal wollte er es sich nicht aus
den Händen reißen lassen. Er hielt es mit beiden Händen weit von
sich und starrte dem heranrasenden Stier in die blutunterlaufenen
Augen. Ja, der Stier änderte ein wenig die Richtung. Im letzten
Sekundenbruchteil riß Roland das Kleid hoch, und der Stier donnerte
an ihm vorbei.

Roderichs Lachen erstarb.
»Bravo!« schrie Isabella, und die Spanier brüllten alle

durcheinander, was recht begeistert klang.

Niemand sah, wie der Pater wiederum seine Schlagkraft bewies,

indem er den zweiten Posten auf dem Turm mit einem einzigen Hieb
niederstreckte. Auch diesen Mann fing er auf und legte ihn ab. Dann
winkte er zum Burggraben hinab und stieß einen Vogelschrei aus,
bevor er davonhuschte. Im Dunkel außerhalb des Fackelscheins war
er in dem schwarzen Gewand kaum zu erkennen.

Roland schöpfte neue Hoffnung. Er hatte erkannt, daß er den Stier

auf diese Art mit dem roten Tuch ablenken konnte. Doch wie lange
würde das gutgehen? Wie lange dauerte es, bis solch ein Kraftkoloß
ermüdete? Er selbst war in Schweiß gebadet, sein Schädel dröhnte,
und Blut lief über seine Schulter. Seine Hände zitterten, und seine
Knie waren weich, als er wiederum das Kleid schwenkte. Der Stier
lief ins Leere.

»Macht dem Mistvieh Feuer!« brüllte Roderich ärgerlich, und

seine Räuber warfen wieder mit Steinen.

»Lange hält der Kerl das nicht mehr durch. Der kippt ja schon fast

von alleine um«, sagte Gregor zuversichtlich. »Da!«

Entsetzt schrien die Gefangenen auf. Denn diesmal hatte der Stier

noch im letzten Sekundenbruchteil den Schädel zur Seite gerissen
und mit einem Horn das Kleid aufgespießt, und Roland war zu
überrascht, um schnell genug loszulassen. Der Stier verfehlte ihn

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zwar, doch Roland wurde von dem Ruck zur Seite gerissen,
strauchelte und stürzte. Und er hatte das Gefühl, daß er zu
mitgenommen war, um noch einmal auf die Beine zu kommen. Sein
Herz hämmerte, und vor Schwäche wurde ihm fast übel.

Der Stier drehte sich brüllend im Kreis und schüttelte wild den

Kopf, um das rote Tuch loszuwerden. Das gelang ihm. Er stampfte
das Kleid in Fetzen. Und dann erfaßte er die Gestalt und setzte sich
in Bewegung.

»Jetzt ist er reif!« frohlockte Roderich und starrte gebannt in die

Arena. Unwillig wandte er den Kopf, als ihm jemand auf die Schulter
tippte.

Es war der Pater.
»Was ist...?« begann Roderich barsch. Dann verstummte er jäh.

Denn der Pater in dem langen schwarzen Gewand hielt kein
Gebetbuch in der Hand, sondern einen Dolch. Im nächsten
Augenblick packte er auch schon Roderich mit der Linken,
umklammerte ihn mit hartem Griff und setzte ihm mit der Rechten
den Dolch an die Kehle. Roderich wurde stocksteif.

Zugleich geschah vieles gleichzeitig. Auf dem Wehrgang und den

Türmen tauchten Männer auf, nur vage in der Dunkelheit zu
erkennen, weil im Burghof der Fackelschein blendete. Es waren
Bogenschützen und Schwerterkämpfer in Kettenhemden.

Aus den Fenstern über den Köpfen der Gefangenen und ihrer

Bewacher sprangen Männer hinab und rissen die überraschten
Wachen zu Boden.

»Ergebt euch, ihr habt keine Chance!« hallte eine Stimme über den

Burghof.

Nur zwei hörten nicht darauf.
Gregor und der Stier.
Gregor zückte sein Schwert und wollte den Mann angreifen, den er

für einen Pater gehalten hatte.

Da traf ihn ein Pfeil, und er stürzte röchelnd zu Boden.
Der Stier flog förmlich auf Roland zu, doch Roland war nicht mehr

waffenlos.

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Einer der Männer auf dem Wehrgang hatte ihm ein Schwert

zugeworfen. Zugleich schössen zwei Bogenschützen auf den
rasenden Stier, um Roland vor dem Tod zu bewahren, denn sie
sahen, daß er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Doch in
der Hast trafen sie nicht gut. Ein Pfeil prallte von einem Horn ab, und
der zweite blieb schräg im Fell stecken und baumelte auf dem
gewaltigen Körper herum wie eine große Stecknadel. So wenig
Wirkung schien der Pfeil auch zu haben. Roland glaubte den heißen
Hauch des Todes zu spüren, als der Stier schnaubend nahte. Im
letzten Augenblick sprang Roland zur Seite, drehte sich so schnell er
konnte und stieß dem Stier das Schwert in den Nacken.

Der Stier brüllte, doch nichts sonst geschah. Mit dem Schwert im

Nacken raste der Stier an Roland vorbei und wankte nicht einmal.

»Ein Schwert!« schrie Roland. Sein Herz hämmerte, und er rang

um Atem.

Einer der Männer warf ihm ein Schwert zu. Ein anderer eine

Lanze, doch sie landete zu weit fort. Mit einem schnellen Blick
erfaßte Roland, wie der Mann mit dem schwarzen Gewand und dem
Rauschebart Roderich einen Dolch an die Kehle hielt und wie seine
Knappen und Männer in Kettenhemden die Wachen überwältigten.

Dann richtete er sein Augenmerk wieder auf den Stier, der brüllend

an den Eichenbalken wendete und mit rollenden Augen von neuem
den Kopf senkte und losraste.

Tief steckte das Schwert im Nacken des Stiers. Warum fiel das

Ungetüm nicht um? Er mußte eine falsche Stelle erwischt haben.

Roland wartete angespannt mit dem Schwert in der Hand. Er

schwankte leicht und sah vor Schwäche den Stier ein wenig
verschwommen im Schein der Fackeln.

Ein paar Klafter vor Roland brach der Stier plötzlich zusammen,

als sei er vom Blitz getroffen worden. Er stieß ein urgewaltiges
Röhren aus, schüttelte den Kopf mit wild rollenden Augen, und Blut
schoß aus seinem Nacken. Doch er kämpfte sich wieder auf. Er
schaffte drei stolpernde Schritte und stürzte von neuem. Blut tropfte
zu Boden. Wiederum schüttelte der Stier den Kopf, diesmal fast

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menschlich resignierend und traurig - ein Anblick, der Roland rührte.

Der massige gehörnte Schädel sank vornüber. Schnaubend

versuchte der Stier noch einmal auf die Beine zu kommen, doch er
schaffte es nicht mehr. Und Roland hatte das Gefühl, diese
blutunterlaufenen Augen starrten ihn fast bittend an.

Vorsichtig trat Roland neben den gewaltigen Körper und versetzte

dem Tier den Todesstoß. Der Stier konnte nichts für diesen Kampf.
Er war nur seinem Instinkt gefolgt. Menschen hatten ihn zu diesem
Kampf getrieben. Und dieser gehörnte stolze spanische Bursche hatte
weiß Gott sein Bestes gegeben. Genau betrachtet war er ein
überlegener Gegner gewesen. Kein Mensch hätte diesen prächtigen,
kraftstotzenden Kerl ohne Waffe bezwingen können. Deshalb wollte
Roland ihm ersparen, qualvoll zu verenden.

»Viva! Via!«
Ein vielstimmiger Jubelschrei hallte über den Burghof, als sich der

Stier schließlich nicht mehr regte.

Roland wischte sich mit zitternder Hand Schweiß von der Stirn.

Seine Brust hob und senkte sich unter keuchenden Atemzügen. Seine
Knie schienen aus Gummi zu sein, und er fühlte sich so ausgepumpt,
daß er glaubte, es würde ihm jeden Augenblick schwarz vor Augen
werden und er würde neben dem Stier zu Boden sinken.

Immer noch hörte er spanische Jubelschreie, und dann erhob sich

Isabellas Stimme über den Lärm.

»Bravo, Torero! Schneide ihm die Ohren ab!«
Sie rief es mit süßem bayerischen Klang, doch es war die

Begeisterung der Spanierin in ihren Worten.

Roland schüttelte leicht den Kopf. Er gab dem Stier einen leichten

Klaps auf den Rücken.

»Du hast tapfer gekämpft, Junge, und es tut mir leid, daß nur einer

von uns überleben konnte. Ich habe noch nie einem besiegten Gegner
die Ohren abgeschnitten - und so sollst du auch deine behalten.
Isabella wird das schon verstehen.«

*

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Lange behielt der Stier die Ohren allerdings nicht. Nachdem die
Männer von König Artus Roderich und seine Räuber in den Kerker
geworfen hatten, gab es eine große Feier - eine Fiesta, wie es die
Spanier nannten. Bis in den neuen Tag hinein wurde gespeist,
getrunken, gesungen und getanzt.

Der echte Arno von Berghe, seine Familie und seine Getreuen

hatten Tränen in den Augen und konnten es noch gar nicht so recht
fassen, daß sie in Freiheit waren. Monatelang waren sie im Kerker
eingesperrt gewesen und hatten schon alle Hoffnung aufgegeben. Sie
feierten Roland, selbst der traurige Egbert, der inzwischen wußte,
daß aus einer Hochzeit mit Isabella nichts werden würde. Roland
lehnte bescheiden den Dank ab und sagte, er gebühre dem »Pater«
und den Männern, die König Artus geschickt hatte.

Der falsche Pater war niemand anders als Volker vom Hohentwiel,

der berühmte Minnesänger. Rolands Freund war gerade auf Camelot
gewesen, als Rolands schlimme Botschaft eingetroffen war. Sofort
war er mit zwei Dutzend Reitern des Königs aufgebrochen. Als sie
Roland dann nicht in dem Wäldchen angetroffen hatten, wie er in
seiner zweiten Botschaft angekündigt hatte, war der listenreiche
Volker auf die Idee gekommen, als Pater verkleidet in der Burg die
Lage zu sondieren. Später hatte er dann einem der Männer von
König Artus einen Zettel mit einer Botschaft in den Burggraben
geworfen, in der er die Lage geschildert und Anweisungen gegeben
hatte. Die Männer hatten gewartet, bis alle in der Burg vom
Stierkampf abgelenkt gewesen waren, hatten sich dann
angeschlichen, und Volkers Vogelschrei war dann das Signal
gewesen.

»Den Kampf konnte ich dir leider nicht ersparen«, sagte Volker

lächelnd zu Roland, als sie um das große Feuer im Burghof
herumsaßen. »Ohne diese Ablenkung hätten wir kaum so leicht in die
Burg eindringen können. Aber du hattest ja reizende Unterstützung
von den Damen.« Galant lächelte er Isabella und ihrer Zofe zu. Die
beiden bemerkten es kaum, und sie waren wohl die ersten Frauen,
denen Volkers charmante Worte und sein feuriges Lächeln

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gleichgültig war. Isabella hatte nur Augen für Roland, und Linda nur
für Pierre.

Louis hatte sich übrigens kurz davongemacht, um nach den

Pferden zu sehen, wie er gemurmelt hatte, und Adelgunde war kurz
darauf ebenfalls verschwunden.

Sie tauchten dann später wieder auf, als Volker seine flugs

ersonnene Ballade vortrug, die er »Die Todes-Fiesta« getauft hatte.

Louis und Adelgunde wirkten äußerst vergnügt. Die dralle, blonde

Maid hatte Stroh im Haar, und Pierre hatte welches an der Hose,
doch das sah keiner, weil aller Blicke auf Volker gerichtet waren und
weil alle gebannt lauschten, selbst die Spanier, die nichts verstanden,
aber offenbar von Volkers Lautenspiel und seiner einschmeichelnden
Stimme angetan waren.

Dann gab es noch zwei kleine Zwischenfälle.
Irgendwann in der Nacht lief eine der Mägde aufgeregt zwischen

den Feiernden herum und rief nach Louis.

Louis, der gerade mit Adelgunde scherzte, blickte kaum auf.
»Was ist los?« fragte er.
»Das fragst du noch - du verdammter, Kerl?« kreischte die Magd.

Sie stemmte die Hände in die Hüften und starrte den Knappen mit
zornblitzenden Kulleraugen an. Sie war ein junges, recht
ansehnliches Ding mit blonden Zöpfen und kräftigem Körperbau.
Und sie nahm kein Blatt vor das Schmollmündchen.

»Erst einem Mädchen an die Unterwäsche gehen und dann mit

einer anderen verduften - das haben wir gern!« schrie sie, und es
klang gar nicht, als hätte sie es tatsächlich gern. Sie heftete ihren
zornigen Blick auf Adelgunde, die blaß geworden war. »Ich werde
dieser Ziege die Augen auskratzen!«

Und schon stürmte sie auf Adelgunde zu.
»Mal ein besonderer Stierkampf«, sagte einer der Männer lachend,

als sich die beiden Mädchen in die Haare gerieten. »Sozusagen ein
Kuh-Kampf«, flüsterte er seinem Nebenmann ins Ohr.

Doch Louis ging entschieden dazwischen.
Ein kurzer Wortwechsel, und das Mißverständnis klärte sich

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schnell auf. Die Magd wollte im Dunkel von Louis überrascht
worden sein. Ganz unangenehm war ihr diese lang dauernde Attacke
nicht gewesen, wie sie leicht errötend zugab. Doch sie hatte just zu
der Zeit stattgefunden, in der Louis und Adelgunde nach den Pferden
geschaut hatten. Das gab Louis zu bedenken, und Adelgunde stellte
trocken fest: »Du mußt schon einen anderen Louis meinen, du Ziege.
Mein Louis leidet nicht an Geschmacksverirrung.«

Die Magd kämpfte gegen Tränen an und schaute Louis genauer an.

»Wenn ich's mir recht überlege«, gab sie ein bißchen zerknirscht zu,
»einen Bart hatte er nicht. Und ganz so groß und breit war er wohl
auch nicht. Aber im Dunkeln ...«

»Hat er denn gar nichts gesagt?« fragte Louis amüsiert.
»Nur seinen Namen - später«, gestand die Magd. »Und noch so

einiges, das recht fremdländisch klang.« Und mit einem Seufzen
fügte sie hinzu: »Er war ein so feuriger Mann.«

Nun, Louis hielt sich auch für recht feurig, doch pflegte er sich den

Damen zu Beginn der Konversation vorzustellen und nicht hinterher,
und das sagte er ihr.

»Und was soll ich denn jetzt machen?« fragte sie kleinlaut und ein

wenig beschämt.

»Den richtigen Luis suchen«, schlug er ihr lächelnd vor, und er ließ

in Gedanken das »o« fort, denn ihm schwante so etwas.

Just in diesem Moment tauchte wie gerufen der spanische Luis auf.

Feurig wie nie und wohl auch ein bißchen vom Wein angeregt,
bedachte er den Knappen mit einem spanischen Wortschwall, bis
ihm die Luft ausging. Dann wies er auf Louis und sich, holte tief Luft
und präzisierte das gesagte mit einem zweifachen: »Duell - Duell!«

Der Knappe Louis seufzte. Nun ließ es sich wohl nicht mehr

vermeiden.

Doch da rief die Magd entgeistert: »Das ist er! Ich erkenne ihn

genau an der Stimme!« Und sie jubelte: »Luis!« und warf sich dem
verdutzten Spanier an den Hals. Nun, auch er schien sie an gewissen
Dingen wiederzuerkennen, und er vergaß schnell das Duell und ließ
sich von ihr fortziehen.

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Das Fest verlief dann weiterhin recht harmonisch, wohl auch für

den spanischen Luis, denn er ließ sich in dieser Nacht nicht mehr
blicken. Nur die Magd tauchte mal kurz auf, mit glühenden Wangen
und strahlenden Augen, um einen Krug Wein und zwei Gläser zu
holen.

Später gab es dann Stierbraten für die anderen Feiernden, der allen

vortrefflich mundete. Nur Ritter Roland aß nichts davon. Man hatte
ihm zwar versichert, es sei ein anderer Stier geschlachtet worden,
doch Roland hatte den Köchen angesehen, daß sie flunkerten. Und er
glaubte noch den Ausdruck in den Augen des sterbenden Stieres zu
sehen, der nach seinem so tapferen Kampf dennoch besiegt worden
war, und er hätte in dieser Nacht keinen Bissen davon
heruntergekriegt. Er aß auch nichts von dem gebratenen Stierhoden,
den Louis und Pierre nur so in sich hineinstopften, nachdem ihnen
der Bratenmeister mit vertraulichem Zwinkern und einem Blick zu
den Damen zugeflüstert hatte, das sei das Beste für die Manneskraft.

Statt dessen aß Roland eine Schweinshaxe. Man hatte ihm

versichert, daß die Sau ordnungsgemäß geschlachtet worden war und
nicht noch lange hatte kämpfen müssen wie der spanische Stier.

Später, im Morgengrauen, war Roland nach all den Strapazen

erschöpft und müde und vom Wein berauscht. Vielleicht irrte er sich
aus diesem Grund in der Zimmertür und schlüpfte statt in die
Kammer, die ihm Arno von Berghe zugewiesen hatte, in die von
Isabella.

ENDE

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Ritter Roland möchte Mitglied der Tafelrunde werden. Bis er jedoch
in den exklusiven Club aufgenommen wird, ist es noch ein
weiter Weg. - Fünfzig harte Aufgaben muß er für den König
ausführen, und dabei darf er keine unerledigt lassen. Ein hartes
Brot für einen harten Mann.
Diesmal schickt König Artus den Ritter mit dem Löwenherzen in
die Grafschaft Trutzen. Dort soll er den verschwundenen
Minnesänger Jacques d'Artagnac suchen.
In Begleitung, seines Freundes Volker macht sich Roland auf
den Weg. Prompt gerät er in einen

Bauernaufstand

Von Hunger und Ausbeutung gepeinigte Bauern lehnen sich
gegen ihren Grafen auf, und Roland steht zwischen den
Fronten ...

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