(Ebook German) Pratchett, Terry Scheibenwelt Troll Dich


Troll Dich
den Ruhestand zurückziehen oder so. Es ist einfach nicht rich-
TERRY PRATCHETT
tig, daß du dich in deinem Alter noch mit solchen Dingen be-
er Wind wehte von den Bergen und brachte winzige Eis- schäftigst.«
D Der Mann rollte mit den Augen.
kristalle mit sich.
Verdammte Zwangsversteigerung!« teilte er der kalten
Für Schnee war es zu kalt. Dieses Wetter trieb Wölfe bis zu
Welt mit. Das kommt davon, wenn man etwas kauft, das ei-
den Dörfern hinab, und im Herzen des Waldes ließ die Kälte
nem Zauberer gehörte. Ich habe mir deine Zähne und Hufe an-
Bäume bersten.
gesehen, aber ich hätte auch lauschen sollen.«
Bei solchem Wetter blieben vernünftige Leute daheim vor
Wer hat wohl gegen dich geboten, hm?« erwiderte das
dem Kamin und erzählten Geschichten über Helden.
Das Pferd war alt, der Reiter noch älter. Der Gaul sah aus Pferd.
Cohen der Barbar lehnte weiterhin am Baum. Er war nicht
wie ein eingeschweißter Toastständer, und die Gestalt darauf
ganz sicher, ob er jemals wieder stehen konnte, ohne sich ir-
schien nur deshalb nicht herunterzufallen, weil ihr die Kraft
gendwo abzustützen.
dazu fehlte. Trotz der bitteren Kälte trug der Reiter nur einen
Bestimmt hast du viele Schätze versteckt«, sagte das Pferd.
dünnen Lederkilt und einen schmutzigen Verband am Knie.
Wir könnten unsere Reise zum Rand fortsetzen. Was hältst
Er nahm die zerfransten Reste einer Zigarette aus dem Mund
du davon? Wir suchen uns ein hübsches, warmes Fleckchen,
und zerdrückte sie in der Hand.
vielleicht an einem hübschen, warmen Strand. Das war doch
Na schön«, sagte er. Bringen wir's hinter uns.«
was, oder?«
Für dich ist das leicht gesagt«, erwiderte das Pferd. Und
Es gibt keine versteckten Schätze«, entgegnete Cohen.
wenn du einen deiner Benommenheitsanfälle bekommst?
Hab alles ausgegeben. Für Wein und was weiß ich. Der Rest
Außerdem macht dir dein Rücken Schwierigkeiten. Ich finde
ist verschenkt oder verloren.«
keinen großen Gefallen an der Vorstellung, nur deshalb ge-
Du hättest was auf die hohe Kante legen sollen. Fürs Al-
fressen zu werden, weil du zum falschen Zeitpunkt Rücken-
schmerzen hast.« ter.«
Ich habe nie damit gerechnet, alt zu werden.«
Keine Sorge, das passiert nicht«, behauptete der Reiter,
Eines Tages stirbst du«, sagte das Pferd. Vielleicht heute.«
stieg ab und behauchte seine eiskalten Finger. Anschließend
Ich weiß. Was glaubst du, weshalb ich hierhergekommen
wandte er sich der Satteltasche zu und holte ein Schwert her-
bin?«
vor, dessen Schneide an eine schlecht gepflegte Säge erinnerte.
Das Pferd drehte sich um und blickte in die Schlucht. Der
Versuchsweise schwang er es einige Male.
Weg hatte hier viele Mulden und Rillen. Hier und dort wuch-
Hab noch immer den Dreh raus«, sagte er, verzog dann das
Gesicht und lehnte sich an einen Baum. sen bereits kleine Bäume zwischen den Steinen. Zu beiden Sei-
ten drängte der Wald heran. In einigen Jahren würde niemand
Ich könnte schwören, daß dieses verfluchte Schwert jeden
Tag schwerer wird.« mehr wissen, daß es hier eine Straße gegeben hatte. Schon jetzt
Du solltest damit aufhören«, meinte das Pferd. Dich in schien sich niemand mehr daran zu erinnern.
Dein Vater hat dich aus dem Stamm vertrieben, als du elf
Du bist hierhergekommen, um zu sterben!«
warst. Das hast du mir selbst erzählt.«
Nein. Ich muß etwas erledigen. Eine Aufgabe, die seit mei-
Wofür ich ihm sehr dankbar bin. Dadurch habe ich gelernt,
ner Jugend auf mich wartet.«
auf den Füßen anderer Leute zu stehen. Komm jetzt.«
Ach?«
Cohen versuchte, sich wieder aufzurichten. Die Sehnen Das Pferd schob sich näher. Cohen griff nach dem Sattel-
schickten Botschaften von heißer Agonie durch die Beine. knauf und zog sich hoch.
Mein Vater«, krächzte er und brachte sich wieder unter Kon- Du willst heute gegen einen Troll kämpfen?« fragte der
trolle. Mein Vater sagte zu mir ...«Er schnappte nach Luft. Gaul.
Sohn«, spekulierte das Pferd. Cohen griff in eine andere Satteltasche und holte den Ta-
Wie bitte?« bakbeutel hervor. Der Wind zupfte und zerrte am Papier, als
Sohn. Dein Vater hat vermutlich >Sohn< gesagt. Und wenn er sich eine weitere Zigarette drehte.
Väter ihre Söhne mit >Sohn< ansprechen, wollen sie ihre Spröß- Ja.«
linge an väterlicher Weisheit teilhaben lassen. Das ist allge- Und nur deshalb hast du den weiten Weg bis hierher
mein bekannt.« zurückgelegt?«
Es sind meine Erinnerungen.« Mir blieb keine Wahl«, erwiderte Cohen. Wann hast du
Entschuldigung.« zum letzten Mal eine Brücke mit einem Troll darunter gese-
Er sagte ... Sohn - Himmel, du hast recht -, Sohn, wenn du hen? Früher gab's Hunderte, als ich jung war. Heute leben
einen Troll beim Zweikampf besiegst, dann bist du zu allem mehr Trolle in den Städten als in den Bergen. Und die meisten
fähig.« von ihnen sind fett wie Butter. Wozu haben wir auf so vielen
Das Pferd blinzelte. Dann drehte es sich erneut um und sah Schlachtfeldern gekämpft? Und nun ... zur Brücke.«
noch einmal an den nahen Bäumen vorbei zur düsteren
Schlucht. Eine steinerne Brücke führte zur anderen Seite. Die schmale Brücke führte über einen schäumenden und
Profundes Unbehagen regte sich in dem Roß. heimtückischen Fluß in einer tiefen Schlucht. An solchen Or-
Seine Hufe scharrten nervös über das Geröll. ten erwartete man ...
Zum Rand«, sagte es. Zu einem hübschen, warmen Ort.« Eine graue Gestalt setzte über die Brüstung und landete mit
Nein.« nach außen gestellten Füßen vor dem Pferd. Sie hob eine
Was nützt es, einen Troll zu töten? Was hast du davon, Keule.
wenn du einen Troll getötet hast?« Also gut", knurrte sie.
Einen toten Troll. Darum geht's ja gerade. Außerdem: Ich Äh ...«, begann das Pferd.
brauche ihn gar nicht zu töten. Ich muß ihn nur besiegen. Im Der Troll blinzelte. Die niedrige Temperatur und der be-
Zweikampf. Mann gegen ... Troll. Mein Vater würde sich in wölkte Winterhimmel wirkten sich nachteilig auf die Leit-
seinem Grabhügel umdrehen, wenn ich es nicht wenigstens fähigkeit des Siliziumgehirns aus, und deshalb bemerkte die
versuche.« graue Gestalt erst jetzt, daß niemand auf dem Pferd saß.
Kurze Zeit später blinzelte der Troll erneut, weil er eine
brücke. Meine Frau weist ständig darauf hin. Ha! Der wird ein
Messerspitze am Nacken spürte.
Gesicht machen ... O nein! Was denkst du bloß von mir?«
Hallo«, erklang eine Stimme dicht an seinem Ohr.
Gute Frage«, sagte Cohen.
Der Troll schluckte. Und zwar ganz vorsichtig.
Der Troll ließ die Keule fallen und griff nach der Hand des
Es ist Tradition«, sagte er verzweifelt. So eine Brücke ...
Alten.
die Leute rechnen damit, daß sie hier einem Troll begegnen.
Ich heiße Muskovit. Und du ahnst nicht, wie groß die Ehre
Ah«, fügte er hinzu, als sich ein weiterer Gedanke träge
für mich ist!«
formte, wieso habe ich nicht gehört, daß du dich herange-
Er beugte sich über die Brüstung. Beryll! Komm hoch! Und
schlichen hast?«
bring die Kinder mit!«
Weil ich mich mit solchen Sachen auskenne«, erwiderte
Er wandte sich wieder an Cohen. Stolz und Freude leuchte-
der Alte.
ten in seinem Gesicht.
Stimmt«, bestätigte das Pferd. Er hat sich an mehr Leute
Beryll will immer, daß wir von hier fortziehen und uns
herangeschlichen, als du jemals verschlingen könntest.«
nach etwas Besserem umsehen. Aber ich erinnere sie ständig
Der Troll riskierte einen Blick zur Seite.
daran, daß sich unsere Familie schon seit Generationen um
Meine Güte«, hauchte er. Du hältst dich wohl für Cohen
diese Brücke kümmert. Es hat immer einen Troll unter der To-
den Barbar, wie?«
desbrücke gegeben. Das ist Tradition.«
Für wen hältst du mich?« erwiderte Cohen der Barbar.
Eine große Trollfrau wankte mit zwei Babys in den Armen
Wenn er nicht so schlau gewesen wäre, sich Tücher um die
über den Hang. Ein Schweif aus Trollkindern folgte ihr. Sie be-
Knie zu wickeln«, wieherte das Pferd, hätte er sich mit dem
zogen hinter ihrem Vater Aufstellung und beobachteten Co-
Klicken verraten.«
hen aus großen Augen.
Der Troll brauchte eine Weile, um diesen Hinweis zu ver-
Das ist Beryll«, sagte Muskovit. Seine Frau starrte den Men-
arbeiten.
schen an. Und dies ...« Er zog eine kleinere Version seiner
Donnerwetter!« entfuhr es ihm. Potzblitz! Auf meiner
selbst nach vorn. In der einen Hand hielt der Junge eine Mi-
Brücke!«
niaturausführung der Keule seines Vaters. ... ist mein Sohn
Was?« fragte Cohen.
Schutt. Aus dem gleichen Fels gehauen. Wird die Brücke über-
Der Troll duckte sich und gestikulierte aufgeregt. Es ist al-
nehmen, wenn ich nicht mehr bin, stimmt's, Schutt? Nun,
les in Ordnung, alles in Ordnung!« sagte er hastig, als sich Co-
mein Junge, das ist Cohen der Barbar! Toll, was? Auf unserer
hen näherte. Du hast mich erwischt! Hatte überhaupt keine
Brücke! Wir haben hier nicht nur dicke reiche Kaufleute wie
Chance! Gebe mich geschlagen! Ich rufe meine Familie, wenn
dein Onkel Pyrit«, fügte Muskovit hinzu. Seine Worte galten
du gestattest. Sie soll's mit eigenen Augen sehen. Sonst glaubt
dem Knaben, doch er blickte an ihm vorbei zu Beryll. Nein,
mir niemand. Cohen der Barbar! Auf meiner Brücke!«
wir bekommen richtige Helden, so wie in der guten alten Zeit.«
Die große steinerne Brust schwoll noch weiter an. Mein blö-
Die Trollfrau musterte Cohen von Kopf bis Fuß.
der Schwager gibt immer an mit seiner großen, blöden Holz-
Ist er reich?« fragte sie skeptisch.
Reichtum und so spielt überhaupt keine Rolle«, erwiderte dicke Kaufleute! Er ist jemand! Du hättest sein Angebot an-
Muskovit. nehmen sollen, als du noch Gelegenheit dazu hattest!«
Hast du vor, unseren Vater umzubringen?« erkundigte sich Eher esse ich Würmer!«
Schutt argwöhnisch. Würmer? Ha! Seit wann können wir uns Würmer leisten?«
Natürlich hat er das vor«, sagte der Brückentroll streng. Auf ein Wort«, sagte Cohen.
Das ist seine Pflicht. Und anschließend werde ich berühmt, Er schlenderte zum Ende der Brücke und ließ dabei das
und man singt Lieder über mich. Hier steht Cohen der Barbar Schwert hin und her baumeln. Der Troll folgte ihm.
vor uns, jawohl, kein Bauerntölpel mit einer Heugabel. Er ist Der Barbar holte den Tabak hervor, sah zu Muskovit und bot
ein berühmter Held, der einen weiten Weg zurückgelegt hat, ihm den Beutel an.
um uns einen Besuch abzustatten. Zeig Respekt.« Möchtest du rauchen?« fragte er.
Und zu Cohen: Entschuldige bitte, Herr Held. Die Jugend Das Zeug kann einen umbringen«, erwiderte der Troll.
von heute. Du weißt schon.« Ja. Aber nicht heute.«
Das Pferd kicherte. Verschwende keine Zeit, indem du mit dem Alten
Sei still«, zischte Cohen leise. schwatzt!« rief Beryll vom anderen Ende der Brücke. Heute
Mein Vater hat mir von dir erzählt, als ich noch ein klei- ist genau der richtige Tag für dich, zur Sägemühle zu gehen!
ner Stein war«, sagte Muskovit. Wie ein Koloß schreitet er Hornstein meinte, daß er die Stelle nicht mehr lange freihal-
über die Welt. So lauteten seine Worte.« ten kann. Du solltest die gute Chance endlich nutzen.«
Es wurde still. Cohen fragte sich, was ein Koloß sein mochte. Muskovit sah Cohen an und lächelte schief.
Er spürte Berylls durchdringenden Blick auf sich ruhen. Eigentlich meint sie's nur gut«, sagte er.
Er ist doch nur ein alter Mann«, stellte sie fest. Sieht gar Ich klettere nicht wieder zum Fluß runter, um dich ans
nicht aus wie ein Held. Wenn mit ihm wirklich soviel los sein Ufer zu ziehen!« donnerte Beryll. Erzähl ihm von den Zie-
soll... warum ist er dann nicht reich?« genböcken, Herr Wichtiger Troll!«
Jetzt hör mal...«, begann Muskovit. Ziegenböcke?« wiederholte Cohen.
Darauf haben wir die ganze Zeit gewartet, wie?« fuhr Beryll Ich weiß überhaupt nichts von Ziegenböcken«, ächzte
fort. Dauernd haben wir unter einer Brücke gesessen, durch Muskovit. Immer wieder erwähnt sie irgendwelche Ziegen-
die das Regenwasser sickert. Und warum? Vielleicht in der böcke. Und ich habe nicht die geringste Ahnung, was sie
Hoffnung, daß ein krummbeiniger Alter daherkommt? Ich meint.« Er schnitt eine Grimasse.
hätte auf meine Mutter hören sollen! Soll ich zulassen, daß Sie beobachteten, wie Beryll die Trollkinder über die Bö-
unser Sohn unter einer Brücke hockt, bis ein alter Knacker ein- schung geleitete. Kurze Zeit später verschwanden sie im Dun-
trifft, um ihn umzubringen? Das ist das Leben eines Trolls? keln unter der Brücke.
Von wegen!« Ich habe gar nicht vor, dich umzubringen«, sagte Cohen,
Du weißt gar nicht, was du ...« als sie wieder allein waren.
Ha! Pyrit bekommt keine alten Männer, sondern große, Enttäuschung zeichnete sich auf der Miene des Trolls ab.
Tatsächlich nicht?« ein Hund Flöhe.« Muskovit blickte niedergeschlagen zum
Ich wollte dich nur von der Brücke stoßen und anschlie- Fluß hinab. Einer handelt mit Holz unten in Sauerwasser. Ein
ßend deinen Schatz stehlen.« anderer kümmert sich um die Brücke, und der Dicke verdient
Ach?« seine Brötchen als Kaufmann in Bitterspieß! Wohl kaum der
Cohen klopfte Muskovit auf den Rücken. Ich mag Leute richtige Job für einen Troll, oder?«
mit... mit einem guten Gedächtnis. Daran mangelt es heute. Aber einer ist im Brückengeschäft tätig«, sagte Cohen.
Es fehlen Leute, die sich an alles erinnern.« Im Brückengeschäft? Den ganzen Tag über sitzt er in einem
Der Troll nahm Haltung an. kleinen Häuschen und verlangt ein Silberstück von Leuten,
Ich gebe mir Mühe«, versicherte er. Mein Junge möchte die seine Brücke passieren wollen. Überarbeitet sich bestimmt
gern losziehen, um in der Stadt zu arbeiten. Aber ich habe ihm nicht. Nimmt sich häufig frei und überläßt es einem Zwerg,
gesagt, daß fast fünfhundert Jahre lang Trolle unter dieser das Geld zu sammeln! So was will ein Troll sein? Man kann
Brücke gesessen haben.« ihn nur noch von einem Menschen unterscheiden, wenn man
Gib mir einfach den Schatz«, meinte Cohen. Dann setze ihn aus der Nähe sieht!«
ich meinen Weg fort.« Cohen nickte verständnisvoll.
Welchen Schatz?« fragte Muskovit. Ich habe keinen.« Weißt du, jede Woche muß ich meine Frau begleiten, wenn
Oh, ich bitte dich«, sagte Cohen. Eine so gut gehütete sie ihre Brüder besucht«, sagte der Troll traurig. Und bei sol-
Brücke ...« chen Gelegenheiten faseln alle drei davon, daß man mit der
Ja, aber es kommt niemand mehr hierher. Du bist der er- Zeit gehen muß und so ...«
ste Reisende seit Monaten, ehrlich. Berylls Ansicht nach hätte Kummer stand in seinen Augen.
ich der Partner ihres Bruders werden sollen, als eine neue Was ist verkehrt daran, als Troll unter einer Brücke zu
Straße gebaut wurde, die zu seiner Brücke führte. Aber«, Mus- hocken?« fragte er. Ich bin unter einer Brücke aufgewachsen.
kovit hob die Stimme, ich habe darauf hingewiesen, daß im- Mein Sohn Schutt soll ebenfalls als Troll unter einer Brücke
mer ein Troll unter dieser Brücke saß.« leben, wenn ich nicht mehr bin. Was ist falsch daran? Man
Ja«, murmelte Cohen. braucht Trolle unter Brücken. Ich meine, wo kämen wir sonst
hin?«
Eins der Probleme ist, daß sich dauernd Steine lösen«, fuhr
der Troll fort. Und es ist einfach nicht zu fassen, wieviel die Sie lehnten deprimiert an der Brüstung und blickten ins
Steinmetze verlangen. Verdammte Zwerge. Man kann ihnen schäumende Wasser des Flusses.
nicht trauen.« Er beugte sich vor. Um ganz offen zu sein: Ich Ich entsinne mich, daß man einmal von den Klingenklip-
muß drei Tage pro Woche in der Sägemühle meines Schwagers pen bis hierher reiten konnte, ohne jemandem zu begegnen«,
arbeiten, damit wir über die Runden kommen.« sagte Cohen langsam. Er betastete sein Schwert. Und kam es
Ich dachte, dein Schwager hätte eine Brücke«, wandte Co- doch zu einer Begegnung, so dauerte sie nicht lange.«
hen ein.
Er warf den Zigarettenstummel in die Schlucht. Heute
Einer von ihnen. Meine Frau hat ebenso viele Brüder wie gibt's überall Bauernhöfe. Kleine Bauernhöfe, auf denen kleine
Leute arbeiten. Und überall erstrecken sich Zäune. Daraus be- Ich habe doch erwähnt, daß meine Frau drei Brüder hat,
steht die Welt heute: aus Bauernhöfen, Zäunen und kleinen oder? Nun, Lehm ist der Kaufmann. Er meinte, neu bepflanzt
Leuten.« ließe sich das Land leichter verkaufen.«
Beryll hat natürlich recht«, meinte Muskovit und setzte Es war still, während Cohen gründlich über die letzte Be-
sein inneres Gespräch fort. Unter einer Brücke hervorzu- merkung nachdachte.
springen und so ... Das hat keine Zukunft.« Man kann den Schönschattenwald nicht verkaufen«, sagte
Nun, ich habe nichts gegen Bauernhöfe«, sagte Cohen. er schließlich. Er gehört niemandem.«
Auch nicht gegen Bauern. Man braucht sie. Früher lebten sie Ja. Genau deshalb soll er zum Verkauf angeboten werden.«
allerdings in weiter Ferne, in einer Welt, die man Zivilisation Cohen schlug mit der Faust auf die Brüstung. Ein Stein lö-
nennt. Und jetzt ist sie hier, die Zivilisation.« ste sich und fiel in die Schlucht.
Ja«, bestätigte Muskovit. Alles verändert sich, und zwar Entschuldigung«, brummte er.
ständig. Zum Beispiel mein Schwager Hornstein. Der betreibt Schon gut. Jeden Tag fallen hier irgendwelche Dinge ab.«
eine Sägemühle. Das muß man sich mal vorstellen. Ein Troll Cohen drehte sich um. Was passiert nur? Ich erinnere mich
mit einer Sägemühle! Du solltest mal sehen, was er mit dem an die großen Kriege. Vielleicht hast auch du an ihnen teilge-
Schönschattenwald angestellt hat!« nommen?«
Cohen hob überrascht den Kopf. Ja. Mit einer Keule.«
Meinst du den Wald mit den vielen großen Spinnen?« Wir zogen aufs Schlachtfeld, um für eine strahlende Zu-
Jetzt gibt es dort keine Spinnen mehr. Nur noch Baum- kunft oder was weiß ich zu kämpfen. So hieß es damals.«
stümpfe.« Ich kämpfte, weil mich ein großer Troll mit einer Peitsche
Stümpfe? Stümpfe? Der Wald gefiel mir. Er war... nun, un- dazu aufforderte«, entgegnete Muskovit vorsichtig. Du weißt
heimlich. Daran fehlt's heute, an unheimlichen Wäldern. Im sicher, was ich meine.«
Schönschattenwald konnte man schnell lernen, was es mit Haben wir uns wegen Bauernhöfen und Fichten die Köpfe
Angst und Schrecken auf sich hat.« eingeschlagen?«
Wenn du Gefallen daran findest, einen Schrecken zu be- Muskovit ließ die breiten Schultern hängen. Und ich kann
kommen«, sagte Muskovit, wie wär's hiermit: Mein Schwa- nicht mehr bieten als diese lächerliche Brücke«, sagte er. Das
ger hat sich gerade für eine neue Bepflanzung entschieden - tut mir wirklich leid. Du kommst den ganzen weiten Weg ... «
mit Fichten.« Und es gab den einen oder anderen König.« Cohen blickte
Fichten!« erneut zum Fluß hinab. Vielleicht trieben sich auch einige
Die Idee stammt nicht von ihm. Er könnte einen Baum Magier herum. Ich weiß es nicht mehr genau. Aber eins steht
kaum von anderen unterscheiden. Die Anregung kam von fest: Es gab einen König. Bin ihm allerdings nie begegnet. Selt-
Lehm. Er hat ihn drauf gebracht.« sam.« Der alte Barbar drehte den Kopf, sah Muskovit an und
Cohen hatte das Gefühl, die Orientierung zu verlieren. lächelte bitter. Ich habe seinen Namen vergessen. Den des
Lehm?« Königs. Ich glaube, man hat ihn uns nie genannt.«
Ha!«
Etwa eine halbe Stunde später verließ Cohens Pferd den dü-
steren Wald und erreichte ödes, windiges Heideland. Eine Zeit- Um der Alten Welt willen.«
Ha!«
lang stapfte es weiter, dann fragte es schließlich: Na schön -
wieviel hast du ihm gegeben?« Cohen blickte nach unten.
Er lächelte.
Zwölf Goldstücke«, antwortete Cohen.
Warum zwölf?« Und wegen drei Adressen«, fügte er hinzu. Eines Tages
sterbe ich, aber nicht heute.«
Weil ich nicht mehr hatte.«
Du scheinst den Verstand verloren zu haben.«
Als ich meine berufliche Laufbahn als barbarischer Held Der Wind wehte von den Bergen und brachte winzige Eiskri-
begann, gab's einen Troll unter jeder Brücke«, sagte Cohen. stalle mit sich. Für Schnee war es zu kalt. Dieses Wetter trieb
Und durch einen Wald wie den hinter uns konnte man nicht Wölfe bis zu den Dörfern hinab, und im Herzen des Waldes
reiten, ohne daß einige Kobolde versuchten, einem den Kopf ließ die Kälte Bäume bersten. Allerdings gab es weniger Wölfe
und auch weniger Wald.
abzuhacken.« Er seufzte. Wer hat all das verschwinden las-
sen?« Bei solchem Wetter blieben vernünftige Leute daheim und
saßen vor dem Kamin.
Du«, erwiderte das Pferd.
Nun, ja. Aber ich dachte immer, es gibt viel mehr. Ich habe Sie erzählten Geschichten über Helden.
immer geglaubt, die Wildnis reiche bis in die Unendlichkeit.«
Wie alt bist du?« fragte das Pferd.
Keine Ahnung.«
Du bist sicher alt genug, um es besser zu wissen.«
Mag sein.« Cohen zündete sich eine weitere Zigarette an
und hustete, bis ihm die Augen tränten.
Fängst auf deine alten Tage an, Mitleid zu zeigen.«
Und wenn schon.«
Gibst das letzte Geld einem Troll!«
Ja.« Cohen blies den Rauch in Richtung der untergehenden
Sonne.
Warum?«
Der Barbar blickte zum Himmel hoch. Das rote Glühen war
so kalt wie die Hänge der Hölle. Ein eisiger Wind wehte über
die weite Steppe und zerrte an den Resten von Cohens Haar.
Um der Art und Weise willen, wie die Dinge beschaffen
sein sollten.«


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