Böll 1


Heinrich Böll

Heinrich Böll ist der bekannteste Schriftsteller der Bundesrepublik, kaum einer hat wie er der jüngsten deutschen Literatur zu international_____1 Ansehen verholfen. Als einziger deut­scher Schriftsteller nach dem 2. Weltkrieg erhielt er 1972 den Nobelpreis für Literatur. Böll fand jedoch nicht nur als meisterhafter Erzähler und Schriftsteller Beachtung, er wurde ebenso aufgrund seines hohen gesellschaftspolitischen Engagements für Demokratie und Bürgerrechte zu einer moralischen Instanz in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft.

Heinrich Böll wurde am 21. Dezember 1917, „im schlimmsten Hungerjahr des Weltkriegs“, als Sohn eines Schreiners in Köln geboren, das bis zu seinem Tode sein Wohnsitz bleibt. Von 1924 bis 1928 besuchte er die Volksschule, danach das Gymnasium, ________2 ________3 er 1937 das Abitur machte.

Nach dem Abitur nahm Böll zunächst eine Buchhändlerlehre in Bonn auf, brach sie jedoch bereits nach einem halben Jahr ab und half in der Werkstatt seines Vaters aus. Gleichzeitig begann er zu schreiben.

1938 griffen die Nazis erstmals direkt in sein Leben ein, man zog ihn für ein halbes Jahr zum „Reichsarbeitsdienst“ ein. Dieser diente dazu, die Jugendlichen durch körperliche Arbeit in militärähnlichen Verbänden im „Geiste des Nationalsozialismus“ zu erziehen. Für Böll, der bereits in jungen Jahren eine tiefe Abneigung gegenüber den Ideen des Nationalsozialismus empfand, wurde der Arbeitsdienst ________4 den Nazis zur Vorbedingung seines geplanten Universitätsstudiums gemacht.

Im Sommer 1939, kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges, immatrikulierte Böll sich an der Kölner Universität, u. a. im Fach Germanistik, ________5 ohne sein Studium ernsthaft zu betreiben. Er spürte, wie viele andere mit ihm, das Herannahen des Krieges und damit die Perspektivlosigkeit seines Hochschulstudiums: So ________6 er schon einige Monate später zum Kriegsdienst eingezogen und diente bis zum Ende des Weltkriegs als Soldat der Wehr­macht. Er wurde in Polen, der Sowjetunion, Rumänien und Ungarn eingesetzt. Zwei Erfahrun­gen des Krieges haben auf Bölls Leben und seine späteren literarischen Arbeiten eine nachhal­tige Wirkung ausgeübt: „Der Krieg hat mich gelehrt, wie lächerlich die Männlichkeit ist (...). Das klingt jetzt sehr böse, weil ja Männer im Krieg auch einiges mitmachen, sie sterben, sie werden verwundet. Und trotzdem hat mich der Krieg (...) in seiner absurden Lächerlichkeit möglicherweise zum Verächter des Mannes gemacht.“ Außerdem erlebte er den Krieg als ein großes und unsauberes Geschäft. Ende 1944, kurz ________7 seine Mutter bei einem Flieger­angriff auf Köln ums Leben gekommen war, zog Böll die persönliche Konsequenz ________8 seiner Verachtung des Krieges und desertierte. Er versteckte sich bei seiner Frau Annemarie, die er 1942 geheiratet hatte. Kurz vor Ende des 2. Weltkriegs geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft und blieb einige Monate interniert. Im November 1945 kehrte er mit seiner Familie in das zu 80% von Bomben zerstörte Köln zurück und arbeitete dort zunächst als Hilfsarbeiter und Angestellter.

Jetzt beginnt zugleich seine literarische Karriere. Er schreibt in den Jahren 1946-1949 vor allem Kurzgeschichten, die im Jahre 1950 in einem Sammelband veröffentlicht werden. Einem größeren Publikum bekannt wird Böll, als er 1951 den Literaturpreis der „Gruppe 47“ erhält. Dieser 1947 gegründete Diskussionskreis bekannter deutscher Schriftstellerinnen und Schrift­steller wollte mit den Mitteln der Literatur für ein neues, demokratisches Deutschland wirken. Die Gruppe 47 hatte einen bedeutenden Einfluß ________9 die Entwicklung des literarischen Lebens in der jungen Bundesrepublik.

Bölls Literatur ist in ihrer ersten Phase geprägt ________10 die Erfahrungen des Krieges und der ersten Nachkriegsjahre, das dadurch bedingte soziale Elend und die Zerstörung aller menschlichen Werte. 1952 kommentiert er seine literarischen Ziele so: „Die Menschen, von denen wir schreiben, lebten in Trümmern, sie kamen aus dem Kriege (...) und wir als Schrei­bende fühlten uns ihnen so nahe, daß wir uns mit ihnen identifizierten. Mit Schwarzhändlern und den Opfern der Schwarzhändler, mit Flüchtlingen und all denen, die auf andere Weise heimatlos geworden waren (...)“

Böll wurde damit zum führenden Repräsentanten der als „Trümmerliteratur“ bekannten literarischen Strömung im Nachkriegsdeutschland. Zu seinen bekanntesten Werken aus dieser Zeit zählen die Erzählung „Der Zug war pünktlich“ (1949) und der Roman „Wo warst du, Adam“ (1951). Bereits an ihnen werden Merkmale sichtbar, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Schaffen Bölls ziehen werden: Bölls ganze Aufmerksamkeit und Sympathie gilt den unmittelbaren Opfern der Geschichte (und Gesellschaft) - hier vor allem des Krieges und des Faschismus. Sie sind ausnahmslos_____11 die Helden seiner Romane. In den nachfolgenden Werken „Und sagte kein einziges Wort“ (1953), „Haus ohne Hüter“ (1954) und in „Das Brot der frühen Jahre“ (1955) entfaltet Böll die gesellschaftlichen Konflikte der frühen Bundesrepublik, ihre Unfähigkeit zu einer grundlegenden Demokratisierung und die weitgehende Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit zugunsten einer blinden Orientierung ________12 wirtschaftlichem Aufschwung und Wohlstand. Böll läßt seine Helden in Widerspruch treten ________13 den zentralen Mächten der Gesellschaft in Politik, Wirtschaft, Militär und Kirche.

In all diesen Werken opponieren Bölls Helden gegen die übermächtigen und undurchschaubaren Institutionen der Gesellschaft, indem sie für die Verwirklichung ihres individuellen Glücks kämpfen, das durch diese gestört bzw. verhindert wird. In diesem Sinne sind alle Romane Bölls auch „Liebesromane“. In ihnen gestaltet Böll das individuelle Verlangen nach Liebe und Glück der „kleinen Leute“ zum humanen Gegenmodell einer entfremdeten, anonymen Gesellschaft, ________14 die Menschen unterdrückt. Nicht zuletzt begründet dieses zentrale Motiv in den Schriften Bölls seinen Ruf als großer Humanist. Weltberühmt wurde Böll mit seinem 1963 erschienen Roman „Ansichten eines Clowns“, der im In- und Ausland ________15 den meistgelesenen Werken der deutschen Nachkriegsliteratur gehört. Böll erzählt hier die Geschichte des Bonner Industriellensohns Hans Schnier, der sich den Erwartungen seiner Familie an eine bürgerliche Karriere und einen „moralischen“ Lebenswandel verweigert, indem er den Beruf eines Clowns ergreift und unverheiratet mit seiner Freundin zusammenlebt.

Von der Familie und seinen Verwandten verstoßen, entlarvt Hans Schnier als Außenseiter die tatsächliche Unmenschlichkeit und moralische Verlogenheit der „guten Gesellschaft“, ebenso ihre Unfähigkeit, sich trotz demokratischer Fassade von den Traditionen des Nationalsozialismus wirklich zu lösen. Sein letztlich hilfloser Protest ________16 zum Scheitern verurteilt. Er resigniert schließlich total, als er auch noch seine Freundin an einen kirchentreuen Katholiken verliert.

Die öffentliche Reaktion auf den Roman war gespalten: Begrüßten die einen die entschie­dene Kritik Bölls am „CDU-Staat“, so waren viele konservative Menschen vor allem ________17 die scharfe Kritik des gläubigen Katholiken Böll an den Repräsentanten der katho­lischen Kirche schockiert und empört.

Böll, der selbst stark vom katholischen Milieu seiner Kölner Heimat geprägt war, kritisierte aus seiner Position des christlichen Humanisten zeit seines Lebens insbesondere das immer gleich bleibende Bündnis der Institution Kirche mit den politisch Mächtigen - im 3.Reich wie in der Bundesrepublik. Er forderte dagegen ihre Solidarität mit den Schwachen und Unter­drückten. Im Jahre 1979 spitzte sich sein_____18 Konflikt mit der Kirche zu, er tritt gemeinsam mit seiner Frau aus der Kirche aus.

Überhaupt beschränkte sich Böll niemals auf die Rolle des gesellschaftskritischen Schrift­stellers, vielmehr hat er sich zu jeder Zeit als engagierter Bürger direkt in die aktuellen politi­schen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik eingeschaltet. Literarische Arbeit und gesellschaftspolitisch_____19 Engagement stellten für ihn eine unzertrennliche Einheit dar. Viele empfanden ihn daher als Sprachrohr einer demokratischen Öffentlichkeit, die die bürger­lichen Grundrechte der Verfassung sowie die Freiheit des Individuums gegen ihre tendenzielle Zerstörung durch Wirtschaft, Politik, Kirche und auch einen Teil der Presse verteidigte. Fast immer befand er sich dabei im Widerspruch zur herrschenden öffentlichen Meinung.

In den 50er Jahren wandte sich Böll energisch gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepu­blik, ebenso gegen den militanten Antikommunismus in der Adenauer-Ära und trat bereits zu einem frühen Zeitpunkt ________20 eine Entspannungspolitik gegenüber den sozialistischen Ländern Osteuropas ein. Vor diesem Hintergrund beteiligte er sich - neben anderen Schrift­stellern wie u.a. Günter Grass - ________21 einer Wählerinitiative zugunsten der SPD, setzte sich insbesondere für die Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler ein. Auf der anderen Seite äußerte sich Böll öffentlich zugunsten verfolgter Oppositioneller in osteuropäischen Ländern, vor allem des sowjetischen Regimekritikers Solschenizyn, ________22 er nach seiner Ausbür­gerung in sein Haus aufnahm. In seinen letzten Lebensjahren ist insbesondere Bölls aktive Teilnahme an der Friedensbewegung der frühen 80er Jahre hervorzuheben, ________23 haupt­sächliches Ziel es war, die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in der Bundes­republik und anderen europäischen Ländern zu verhindern. Ebenso sympathisierte er ange­sichts der immer deutlicher zutage tretenden Bedrohung unserer natürlichen Umwelt mit der Ökologiebewegung und sprach sich - wohl auch aus Enttäuschung über die Entwicklung der SPD unter der Kanzlerschaft Helmut Schmidts - 1983 für die Wahl der Partei „Die Grünen“ aus.

Die größte öffentliche Aufmerksamkeit jedoch erregte Böll, ________24 er in den 70er Jahren politisch und literarisch in die Auseinandersetzung um den Terrorismus und die darauf folgende Reaktionen des Staatsapparates der Bundesrepublik eingriff.

Anfang der 70er Jahre beherrschte in der Bundesrepublik eine terroristische Gruppe, die „Baader-Meinhof-Gruppe“, die öffentliche Auseinandersetzung. Sie wollte mit gewaltsamen Mitteln, unter anderem durch Entführung und Ermordung führender Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Justiz, den Umsturz des kapitalistischen Gesellschaftssystems der Bundesrepu­blik herbeiführen.

Die Staatsmacht reagierte darauf mit großer Härte, eine Eskalation der Gewalt war die Folge. Jeder radikale Protest gegen gesellschaftliche Verhältnisse konnte unter den Verdacht der Staatsgefährdung geraten. Viele Oppositionelle ________25 zu Staatsfeinden erklärt und teilweise von Polizei und Geheimdienst überwacht, schärfere Gesetze wurden vor allem von konservativen Politikern - unterstützt von gleichgesinnten Journalisten - gefordert.

Böll sah in dieser Entwicklung, wie viele andere mit ihm, eine gefährliche Tendenz zum „Überwachungsstaat“ und damit zur Zerstörung der demokratischen Freiheiten. Er appellierte an Terroristen und Staatsmacht gleichermaßen, zur Menschlichkeit zurückzukehren. In dieser Zeit schreibt er auch seine berühmte Novelle „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Sie schildert, wie eine junge, sensible, eigentlich unpolitische Frau durch die Liebesbeziehung mit einem als Anarchist von der Polizei gesuchten Mann plötzlich in die Mühlen der Justiz gerät und zugleich von dem Reporter einer sensationshungrigen Boulevardpresse in aller Öffentlich­keit zur „Terroristenbraut“ abgestempelt wird. ________26 Staatsapparat und „die Zeitung“, in der man unschwer die „Bildzeitung“ erkennen kann, das Leben der Katharina Blum zerstört haben, greift sie tatsächlich zum Mittel der Gewalt und erschießt am Ende den Zeitungsrepor­ter.

Bölls Novelle und seine politischen Äußerungen führten daraufhin zu einer scharfen Ausein­andersetzung um seine Person: In der linken und teilweise auch liberalen Öffentlichkeit wurde sein Engagement unterstützt, er wurde mit einem journalistischen Ehrenpreis, der Carl-von-Ossietzky-Medaille, ausgezeichnet. Führende CDU/CSU Politiker sowie die konservative Presse, insbesondere der Springerkonzern, dem u. a. die Bildzeitung gehört, übten dagegen scharfe Kritik an Böll. So wurde der einzige bundesdeutsche Nobelpreisträger für Literatur, der Pazifist und Humanist Böll, zum „Sympathisanten“, ja zum geistigen Vater des Terrorismus und der Gewalt erklärt.

Heinrich Böll blieb bis zu seinem Lebensende der literarisch und politisch umstrittene Schriftsteller, der unbequeme Kritiker einer Gesellschaft, zu deren menschlicher Gestaltung er nach den schrecklichen Erfahrungen von Faschismus und Weltkrieg seinen Beitrag leisten wollte.

Böll starb am 16. Juli 1985. In einer Gedenkrede zu seinem Tod sagte Bundespräsident Richard von Weizsäcker: „(...) er erregte und erzeugte Achtung. Seine mutige, engagierte, wache und immer wieder mahnende Stimme wird uns fehlen. Sein Werk bleibt.“



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