Daniil Charms
Fallen
Zwei Menschen fielen vom Dach. Sie fielen beide vom Dach eines fünfstöckigen Hauses, eines Neubaus. Einer Schule, anscheinend. Sie rutschten in sitzender Stellung das Dach hinab bis an den äußersten Rand, und hier begannen sie zu fallen. Ihr Fallen als erste bemerkte Ida Markovna. Sie stand am Fenster des gegenüberliegenden Hauses und spuckte gegen die Fensterscheibe. Da plötzlich sah sie, daß jemand vom Dach des gegenüberliegenden Hauses zu fallen begann. Als sie näher hinschaute, sah Ida Markovna, daß es gleich zwei waren, die zu fallen begannen. Ida Markovna riß sich das Hemd vom Leib und begann, mit diesem Hemd so schnell wie möglich die beschlagene Fensterscheibe abzuwischen, um besser sehen zu können, wer dort vom Dach fällt. Als ihr jedoch bewußt wurde, daß die Fallenden womöglich ihrerseits sie nackt sehen und wer weiß was von ihr denken könnten, sprang Ida Markovna vom Fenster weg und versteckte sich hinter dem geflochtenen Dreifuß, auf dem einmal ein Blumentopf gestanden hatte.
In diesem Augenblick sah die beiden vom Dach Fallenden eine andere Person, die im selben Haus wohnte wie Jda Markovna, nur zwei Stockwerke tiefer. Diese Person hieß ebenfalls Ida Markovna. Sie saß gerade auf dem Fensterbrett und nähte einen Knopf an ihren Pantoffel. Als sie zum Fenster hinausschaute, sah sie die beiden vom Dach fallen.
Ida Markovna schrie auf, sprang vom Fensterbrett und beeilte sich, das Fenster aufzumachen, um besser sehen zu können, wie die vom Dach Gefallenen auf der Erde aufschlugen. Aber das Fenster ging nicht auf. Da fiel Ida Markovna ein, daß sie das Fenster von unten zugenagelt hatte und stürzte zum Ofen, in dem sie ihr Werkzeug aufbewahrte: vier Hämmer. Meißel und Zange. Die Zange in der Hand, lief sie zum Fenster und zog den Nagel aus dem Rahmen. Jetzt sprang das Fenster mit Leichtigkeit auf. Ida Markovna beugte sich weit aus dem Fenster und sah, wie die beiden vom Dach Fallenden pfeifend auf die Erde zusausten.
Auf der Straße hatte sich bereits eine kleine Menschenmenge gebildet. Schon ertönten Pfiffe aus einer Trillerpfeife, und an den Ort des zu erwartenden Geschehens trat ohne Eile ein klein gewachsener Polizist. Ein dicknasiger Hauswart lief geschäftig hin und her, er trieb die Leute auseinander und machte darauf aufmerksam, daß die Fallenden den Versammelten auf die Köpfe fallen könnten. In diesem Augenblick kreischten beide Markovnas, die eine bekleidet, die andere nackt, beide aus dem Fenster hängend, auf und strampelten mit den Beinen. Und da schlugen die beiden Fallenden, mit gebreiteten Armen und weit aufgerissenen Augen dumpf auf dem Erdboden auf.
So schlagen manchmal auch wir, aus erreichten Höhen herabfallend, auf dem trostlosen Förderkorb unsere Zukunft auf.
Abgeschlossen am 7. [September] 1940