Obraz 6 (5)

Obraz 6 (5)



rig, dcnn begleiten durfte ich sie nicht, aber nun hatten wir cin Gcheimnis miteinander, und das war das Holdeste, was wir bcsaGen. Ich blieb oben in den Felsen, roch an Rosas Veilchen, legte mich iiber einen Absturz an den Boden, das Gesicht iiber der Tiefe, und schaute hinab auf die Stadt und lauerte, bis ihre siiGe kleine Gestalt tief unten erschien und am Brunnen vorbei und iiber die Briicke lief. Und jetzt wuGte ich sie in ihres Vaters Haus angekommen, und don ging sie durch die Stuben und ich lag hier oben weit von ihr, aber von mir zu ihr lief ciń Band, lief ein Strom, wehte ein Geheimnis.

Wir sahen uns wieder, hier und dort, auf den Felsen, bei den Gartenzaunen, diesen ganzen Friihling lang, und gaben uns, ais der Flieder anfing zu bliihen, den ersten angstli-chen KuG. Wenig war es, was wir Kinder einander geben konnten, und unser KuG war noch ohne Glut und ohne Fiille, und das lose Haargekrausel um ihre Ohren wagte ich nur leise zu streicheln, aber alles war unser, wessen wir an Liebe und Freude fahig waren, und mit jeder schiichternen Beriihrung, mit jedem unreifen Liebeswon, mit jedem ban-gen Aufeinanderwanen lcrnten wir ein neues Gliick, stie-gen wir eine kleine Stufe an der Liebesleiter empor.

So lebtc ich, mit Rosa und den Veilchen beginnend, mein ganzes Liebesleben noch einmal durch, unter gliicklicheren Sternen. Rosa verlor sich, und Irmgard erschien, und die Sonne wurde heiGer, die Sterne trunkener, aber nicht Rosa noch Irmgard wurde mein, Stufe um Stufe muGte ich stei-gcn. viel erleben, viel lernen, muGte auch Irmgard, auch Anna wieder verlieren. Jedes Madchen, das ich einst in mei-ner Jugend geliebt, liebte ich wieder, aber jedem vermochte ich Liebe einzuflóGen, jeder etwas zu geben, von jeder be-schenkt zu werden. Wiinsche, Traumc und Móglichkeiten, die einst einzig in meiner Phantasie gelebt hatten, waren jetzt Wirklichkeit und wurden gelebt. O ihr schónen Blu-men alle, Ida und Lorę, ihr alle, die ich einst einen Sommer lang, einen Monat lang, einen Tag lang geliebt habe!

Ich begriff, daG ich jetzt der hiibsche gliihendc kleine Jung-ling war, den ich zuvor so eifrig nach der Liebespforte hattc laufcn sehcn, daG ich jetzt dies Stuck von mir, dies nur zu einem Zehntel, einem Tausendstel crfiillte Stiick meines Wesens und Lebens auslebte und wachsen lieG, unbe-schwert von allen den andern Figuren meines Ichs, unge stórt vom Denker, ungeąualt vom Stcppenwolf, ungeschma lert vom Dichter, vom Phantasten, vom Moralisten. Nein, jetzt war ich nichts andrcs ałs Liebender, atmete kein an-dres Gliick und kein andres Leid ais das der Liebe. Schon Irmgard hatte mich tanzen, Ida mich kiissen gelehrt. und die Schonste, Emma, war die erste, die mir, am Herbst abend unterm wehenden Ulmcnlaub, ihre braunlichen Brii ste zu kiissen und den Becher der Lust zu trinken gab. Vieles erlebte ich in Pablos kleinem Theater, und kein Tau-sendstel davon ist mit Worten zu sagen. Alle Madchen, die ich je geliebt, waren nun mein, jede gab mir, was nur sie al-lein zu geben hatte, jeder gab ich, was nur sie von mir zu nehmen wufite. Vic! Liebe, viel Gliick, viel Wollust, viel Verwirrung auch und Leid bekam ich zu kosten, alle ver-saumte Liebe meines Lebens bliihte in dieser Traumstunde zaubcrhaft in meinem Garten, keusche zarte Blumen, grelle lodernde Blumen, dunkle schneUwelkende Blumen, flak-kernde Wollust, innige Traumerei, gliihende Schwermut, angstvolles Sterben, strahlende Neugeburt. Ich fand Frauen, die nur eilig und im Sturm zu gewinnen waren, und andre, um welche lang und sorgfaltig zu werben ein Gliick war; jeder dammernde Winkel meines Lebens tauchte wieder auf, in welchem einst, sci es nur eine Minutę lang, die Stimme des Geschlechts mjr gerufen, ein Frauenblick mich entziindet, ein Schimmer weiBer Mad-chenhaut mich gelockt hatte, und alles Versaumte ward ein-geholt. Jede wurde mein, jede auf ihre Art. Die Frau mit den merkwiirdigen tiefbraunen Augen unter flachshellem Haar war da, neben der ich einst eine Viertelstunde am Fenster im Gang eines Schnellzuges gestanden und die spa-ter mehrmals in meinen Traumen erschiencn war - sie sprach kein Wort, aber sic lehrte mich ungeahnte, erschrek-kende, tódliche Liebcskiinste. Und die glattc, stille, glasig lachelnde Chinesin vom Hafen in Marseille, mit dem glat-ten, tiefschwarzen Haar und den schwimmenden Augen, auch sie wufite Unerhórtes. Jede hatte ihr Gehcimnis, duf-tete nach ihrcm Erdreich, kiifite, lachte auf ihre Wcise, war auf ihre besondere Art schamhaft, auf ihre bcsondere Art schamlos. Sie kamen und gingen, der Strom fuhrte sie zu mir, spiilte mich zu ihnen hin. von ihnen weg, es war ein

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