Obraz2 (11)

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chen hóren. Und dafi dies alles, ebenso wie heute die An- j fangę des Radios, den Menschen nur dazu dienen werde, von sich und ihrem Ziele weg zu fliehen und sich mit ei- I nem immer dichteren Netz von Zerstreuung und nutzlo- ■ sem Beschaftigtsein zu umgeben. Aber ich sagte alle diese mir gelaufigen Dinge nicht mit dem gewohnten Ton von Erbitterung und Hohn gegen die Zeit und gegen die Tech- ’ nik, sondern scherzhaft und spielcnd, und die Tante la- j chelte, und wir saCen wohl eine Stunde beisammen, tran-ken Tee und waren zufrieden.

Auf Dienstagabend hatte ich das schóne, merkwiirdige Madchen aus dem Schwarzen Adler eingeladen, und die Zeit bis dahin herumzubringen machte mir nicht wenig; Miihe. Und ais endlich der Dienstag gekommen war, war' mir die Wichtigkeit meiner Beziehung zu dem unbekann-ten Madchen bis zum Erschrecken klargeworden. Ich dachte nur an sie, ich erwartete alles von ihr, ich war bereit,' ihr alles zu opfern und zu Fiifien zu legen, ohne doch im mindesten in sie verliebt zu sein. Ich brauchte mir nur vor- ■ zustellen, sie wiirde unsere Verabredung brechen oder ver-gessen kónnen, dann sah ich deutlich, wie es mit mir stand;, dann ware die Welt wieder leer, ware ein Tag so grau und wertlos wie der andre, ware um mich her wieder die ganzc, grauenvolle Stille und Erstorbenheit gewesen und kein' Ausgang aus dieser schweigsamen Hólle ais das Rasiermes-ser. Und das Rasiermesser war mir in diesen paar Tagen um nichts lieber geworden, es hatte nichts von seinem Schrek-ken verloren. Dies eben war ja das HaBliche; ich hatte eine tiefe, herzerdriickende Angst vor dem Schnitt durch meinc Kehle, ich furchtete mich vor dem Sterben mit ebenso Wilder, zaher, sich wehrender und baumender Kraft, ais wenn ich der gesundeste Mensch und mein Leben ein Paradiei gewesen ware. Ich erkannte meinen Zustand mit vollef, rucksichtsloser Deutlichkeit und erkannte, daB die uner-traglichc Spannung zwischen Nichtlebenkonnen und' Nichtsterbenkónnen es war, die mir die Unbekannte, die kleine hiibsche Tanzerin aus dcm Schwarzen Adler, so wichtig machte. Sie war das kleine Fensterchen, das winzige lichte Loch in meiner finstern Angsthóhle. Sie war die Erlo-sung, der Weg ins Freie. Sie mufite mich leben lehren odcf sterben lehren, sie mit ihrer festen und hubschen Hand mufite mein erstames Herz antasten, damit cs unter der Be-riihrung des Lebens entweder aufbliihe oder in Asche zer-lallc. Woher sie diese Krafte nahm, woher die Magie ihr kam, aus welchen geheimnisvollen Grunden ihr diese tiefe Bedeutung fiir mich erwachsen war, daruber konnte ich nicht nachdenken, es war auch einerlei; mir lag nichts daran, dies zu wissen. An keinem Wissen, an keiner Ein-sicht war mir mehr das mindeste gelegcn, eben damit war ich ja uberfiittert, eben darin lag die scharfste und hóhnend-ste Qual und Schmach fiir mich, dafi ich meinen eigenen Zustand so deutlich sah, seiner so sehr bewufit war. Ich sah diesen Kcrl, dieses Vieh von Steppcnwolf vor mir wie eine 1'liege im Netz und sah zu, wie sein Schicksal der Entschei-dung zutrieb, wie er verstrickt und wehrlos im Netze hing, wie die Spinne zum Zubeifien bercit war, wie eine rettende lland ebenso nahe schien. Ich hatte iiber die Zusammen-hiinge und Ursachen meines Leidens, meiner Seelenkrank-Itcit, meiner Verhextheit und Neurose die kliigsten und einsichtsvollsten Sachen sagen kónnen, die Mechanik war mir durchsichtig. Aber nicht Wissen und Verstehen war es, was mir not tat, wonach ich mich so verzweifelt sehnte, son-ilern Erleben, Entscheidung, Stofi und Sprung.

Obwohl ich in jenen paarTagen des Wanens niemals daran /wcifeltc, dafi meine Freundin ihr Wort halten werde, war u h am letzten Tage doch sehr erregt und ungewifi; nie im l.eben habe ich ungeduldiger auf den Abend eines Tages gcwartet. Und wahrend die Spannung und Ungeduld mir hcinahe unertraglich wurde, tat sic zugleich doch wundcr-h.tr wohl: unausdenklich schon und neu war es fiir mich, den Ernuchterten, der seit langer Zeit auf nichts gewartet, ■ich auf nichts gefreut hatte - wunderbar war es, diesen l’.mzcn Tag yoll Unruhe, Bangigkeit und heftiger Erwartung lun und her zu rennen, sich die Bcgegnung, die Gesprache, die Ergebnisse des Abends im voraus auszudenken, sich da-lur zu rasieren und anzukleiden (mit besonderer Sorgfalt, nciiem Hemd, neuer Krawatte, neuen Schuhnesteln). Mochte dies klugc und gehcimnisvollc Madchen sein, wer •■u- wollte, mochte sie auf diese oder jcne Weise in diese Be-/ichung zu mir geraten sein, mir war es einerlei; sie war da. d.is Wunder war geschehen, dafi ich nochmals einen Men-u hen und ein ncucs Interesse am Leben gefunden hatte!

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