lich darauf warteten. dafi »ihre Zeit« kommt. Niemanden kónnen Na-tionallieder, Heimatlieder in Gasthausern stóren, ebenfalls nicht na-tionale Veranstaltungen und alles mógliche (auch unmógliche) natio-nalromantische Paradieren. So sind auch nationale Proteste, offene Oppositionsbriefe, besorgte Warnungen (die sogar positiv auf einige Anomalien aufmerksam machen kónnen) nicht besorgniserregend. N^emand soli sich Konfschmerzen bereiten wegen der rot-weifi-blauen Fahne. aber man mufi ernsthaft besorgt sein, wenn jemand ausschlies-slich dank dieser Fahne das erreicht, was er nie erreicht hatte, wenn sie iedem beliebigen ais einzige Legitimierung seiner Fahiekeiten, seines Charakters und Wissens dient. Dann kann eine Oberschwem-mung derer auftreten, die immer »gute Sóhne ihrer Nation« waren, dann gibt es kein gutmiitiges Spiel mehr mit dem Nationalen, dann kommt es zum offenen Terror der Mediokritat, falscher Grófien, die komoromifilos den Weg ihrer Karriere gehen und in der Extase des Wahnsinns und Tobens jeden auslóschen, der sich ihnen in den Weg stellt.
Einem solchen nationalistischen Totalitarismus óffnet sich im Prin-zip sofort der Weg, wenn der Bewertungsmafistab (sogar in gerings-tem Ausmafl) das werden kann, dafi jemand zum Beispied Deutscher, Russe, Ungar, Serbe, Kroate usw. ist, denn dieses Kriterium setzt vor-aus, daft es iemandes (kleineres oder grófteres) Verdienst ist, dafi er ais Aneehóriger einer bestimmten Nation geboren wurde, und so kann seine Affirmierung (wenn auch minimal) iiberhaupt auf dieser Tat-sache grunden, die man eventuell auch rassisch begriinden kónnte. Dabei ist es wichtig zu betonen, dafi wenn das friihere Prinzip auf der Bevorzugung des Habitus einer Nation gegriindet wurde, dann wird ihm nicht das Prinzip entgegengesetzt, nach dem man einer anderen Nation den Vorrang gibt, sondern es befindet sich im selben Koordi-natensystem. Das ist das selbe Prinzip und fuhrt zu den selben Resul-taten, und daher kónnen keinerlei eventuelle friihere nationalen Anomalien ein vernunftmaftiges Alibi fur einen neuen Nationalismus sein. Nationalismus nicht verhindert, sondern verbreitet.
Die These von Marx, dafi die Arbeiter kein Vaterland haben bedeu-tet zunachst, dafi sich das internationale Proletariat nicht erlauben darf, in eine Manipulation mit der Heimat gezogen zu werden, daft es »auf dem Altar des Vaterlandes«, in dem eine Klasse iiber die andere herrscht nichts opfern will und nichts opfern wird, und dafi jede sol-che heimatlich patriotische Hochstimmung eine berechnete Mystifizie-rung der Herrschenden ist. Diese These von Marx bedeutet das Selbst-bewufitsein des Proletariats darin, daft sich sein Briider in anderen Vaterlandern befinden, seine eigenen Lebensfeinde aber in »seinem« eigenen. Deshalb ist jedes Binden des Proletariats an jenes Abstrakte Heimatliche mit dem Nationalen ais Nationalen ein TJerrat der Inte-ressen des Proletariats, wie ihn z. B. die Leader der II. Internationale veriibt haben, ais sie fur Kriegsaktien der eigenen Heimat stimmten und so ihre »patriotische Pflicht« erfullten, die den wahren intema-tionalen Klasseninteressen der Arbeiterklasse diametral entgegen lie-
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