Peter Bichsel Kaffee, ganz richtig 2


Geschmacksache

Kaffee, ganz richtig

Gedanken über ein nicht weltbewegendes Thema


Peter Bichsel, 46 Jahre alt, Schriftsteller Schweizer Nationalität, ist seit Herbst ver­gangenen Jahres Stadtschreiber im Frank­furter Stadtteil Bergen-Enkheim. Für die „Frankfurter Rundschau“ schrieb er diese Betrachtung.

Die ältere deutsche Dame, die - offensichtlich aus ihren Ferien in Italien zurückkehrend - kurz nach Basel den deutschen Speisewagen betritt und glücklich feststellt: „Endlich wie­der einen guten deutschen Kaffee!“, diese deutsche Dame bringt mich zum Lachen, zum zynischen Lachen. Für mich ist das ganz klar, für uns Schweizer ist das ganz klar: Deutscher Kaffee ist nicht gut und hat nach unserer Meinung nichts mit Kaffee zu tun. Ich mag ihn nicht, ich trinke dann hier zum Früh­stück doch lieber Tee.

So weit so gut und eigentlich kein Problem - kaum erwähnenswert. Nur etwas fällt mir dabei auf - ich halte mein Urteil über deut­schen Kaffee nicht für ein persönliches Urteil, sondern für ein objektives, das heißt, ich bin überzeugt, daß die Deutschen falschen Kaffee trinken (wohl, weil sie keine Ahnung davon haben) und wir Schweizer den einzig richti­gen.

Mir fällt auch auf, daß die Franzosen - bekannt für guten kulinarischen Geschmack - auch keinen richtigen Kaffee trinken.

Irgendwie macht es mich doch skeptisch, wenn wir schlußendlich die einzigen sind, die das richtig machen. Zwar wird mich niemand dazu bringen, deutschen Kaffee gut zu finden. Das ist meine Sache und mein Geschmack. Ich frage mich nur, woher ich eigentlich die Arroganz beziehe, mein Urteil als objektiv zu emp­finden.

Woher beziehe ich die Arroganz zu behaup­ten: Wir Schweizer machen den Kaffee rich­tig, ihr Deutschen macht ihn falsch? Schließ­lich ist die Kaffeebohne weder schweizeri­schen noch deutschen Ursprungs. Wäre es nicht richtiger zu sagen: So wie ihr ihn macht, so schmeckt er uns nicht. Er ist uns zu schwach und zu wenig schwarz.

Schließlich ist es nämlich vorstellbar, daß den Deutschen unser Kaffee nicht schmeckt. Es ist vorstellbar, daß schwach oder stark gerö­stete Kaffeebohnen in beide Richtungen ge­schmuggelt werden, in der einen Richtung nicht des Preises wegen, sondern des Ge­schmackes wegen. Es ist vorstellbar, daß ein Deutscher seinen Lieblingskaffee mitbringt zu seinem Urlaub in der Schweiz.

Ein weltbewegendes Thema ist das nicht. Es gibt wichtigere Themen, es gibt wohl auch wichtigere Unterschiede. Die unbedeutende Sache mit dem Kaffee zeigt mir nur, wie sehr ich zu einer Nation gehöre, wie sehr auch ich ein Schweizer bin (und fast kein Europäer), und wie schwer es auch mir fällt, als Angehö­riger einer Nation den Geschmack, die Sitten, die Eigenarten einer anderen Nation zu ak­zeptieren. Ich neige auch dazu, vor allem bei Kleinigkeiten, unsere Art als richtig und die andre Art als falsch zu bezeichnen.

Dabei ist mein Kaffeegeschmack nicht mein ursprünglich persönlicher Geschmack, er ist der Geschmack einer Gruppe, einer Nation - und ich nehme nicht an, daß sich mein Kaf­feegeschmack mit dem eines Brasilianers deckt.

Wie auch immer, ich kann's nicht ändern, ich gehöre einer Nation an, das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, daß ich dann nationali­stisch werde, wenn ich glaube, unser Ge­schmack und unsere Art sei nicht nur für uns, sondern objektiv die bessere. Da beginnt die Arroganz. Ich bin zwar kein Hurrapatriot, ich bin auch kein Nationalist, trotzdem, ich bin nicht gefeit davor, nationalistisch zu rea­gieren.

Ich habe jemanden ausgelacht, der sich auf etwas freute, was er für einige Zeit vermißte. Dafür hätte ich doch Verständnis haben müs­sen. Das kenne ich doch selbst. Die Dame, die kurz nach Basel den Speisewagen betrat, hatte sich richtig gefreut. Sie lobte strahlend ihren geliebten deutschen Kaffee. Es bleibt dabei, ich mag ihren Kaffee nicht. Aber zum mindesten müßte ich mir doch vorstellen können, daß sie ihn mag, daß sie ihn lieber mag als meinen.



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