Thomas Bernhard
Ereignis
Der Anstreicher ist auf ein Gerüst geklettert und sieht sich nun etwa vierzig oder fünfzig Meter vom Erdboden entfernt. Er lehnt sich an ein Holzbrett. Während er mit einem großen Kienspan im Kübel umrührt, schaut er auf die Leute hinunter, die die Straße bevölkern.. Er ist bemüht, Bekannte herauszufinden, was ihm auch gelingt, aber er hat nicht die Absicht, hinunter zu schreien, denn da würden sie heraufschauen und ihn lächerlich finden. Ein lächerlicher Mensch in einem schmutzigen gelben Anzug mit einer Zeitungspapierkappe auf dem Kopf! Der Anstreicher vergißt seine Aufgabe und blickt senkrecht hinunter auf die schwarzen Punkte. Er entdeckt, daß er niemand kennt, der sich in einer ähnlich lächerlichen Situation befände. Wenn er vierzehn oder fünfzehn Jahre alt wäre! Aber mit zweiunddreißig! Während dieser Überlegung rührt er ununterbrochen im Farbkübel um. Die anderen Anstreicher sind zu sehr beschäftigt, als daß ihnen an ihrem Kollegen etwas auffiele. Ein lächerlicher Mensch! Ein entsetzlich lächerlicher Mensch! Jetzt ist ihm, als stürze er in diese Überlegung hinein, tief hinein und hinunter, in Sekundenschnelle, und man hört Aufschreie, und als der junge Mann unten aufgeplatzt ist, stürzen die Leute auseinander. Sie sehen den umgestülpten Kübel auf ihn fallen und gleich ist der Anstreicher mit gelber Fassadenfarbe übergossen. Jetzt heben die Passanten die Köpfe. Aber der Anstreicher ist natürlich nicht mehr oben.