Ein galaktischer Krieg hat die Föderation der Plane-
ten unter Führung der Erde zerschlagen. Ein Rückfall
in die Feudalherrschaft des Mittelalters ist die Folge.
Hemmungsloses Machtstreben einzelner Fürsten
treibt die Planeten noch weiter auseinander. Einziges
Bindeglied sind die Raum-Wikinger, eine Gruppe
von untereinander rivalisierenden Räuberbanden, die
mit ihren lichtschnellen Raumschiffen die schwer an-
geschlagenen Planeten der einstigen Föderation, de-
ren Zivilisation der Krieg ins Chaos und in die Barba-
rei zurückgeworfen hat, gnadenlos überfallen und
ausplündern, um mit der Beute Handel zu treiben.
Lucas Trask von Traskon verabscheut diese Praktiken
– bis ihn ein Schicksalsschlag aus der bisher so ge-
ordnet erscheinenden Bahn wirft. Vor seinen Augen
wird seine Braut erschossen, und Lucas schließt sich
den Raum-Wikingern an, denn nur mit ihrer Hilfe
kann es ihm gelingen, den Mörder in den Weiten des
Weltalls zu finden ...
Ein spannendes Weltraum-Abenteuer mit verblüf-
fenden Parallelen zur soziologischen Entwicklung
unserer Zeit von H. BEAM PIPER.
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Null-ABC (2888)
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THE SPACE VIKINGS
Aus dem Amerikanischen
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Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 1963 by Ace Books, Inc.
Übersetzung © 1976 by
Verlag Ullstein GmbH,
Frankfurt/M – Berlin – Wien
Printed in Germany 1976
Gesamtherstellung:
Augsburger Druck- und
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H. Beam Piper
Die
Welten-
Plünderer
SCIENCE-FICTION-Roman
Herausgegeben
von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch
GRAM
1
Sie standen am Geländer, die Arme umeinander ge-
legt, und ihr Kopf ruhte an seiner Wange. Hinter ih-
nen tuschelte großblättriges Gebüsch sanft im Wind,
und von der Hauptterrasse kamen Musik und la-
chende Stimmen herauf. Die Stadt Wardshaven brei-
tete sich vor ihnen aus mit weißen Gebäuden zwi-
schen grünen Bäumen, über die hell im Sonnenlicht
blitzende Aircars hinweghuschten. Violett schimmer-
ten die fernen Berge durch den Nachmittagsdunst,
und die riesige rote Sonne hing an einem Himmel,
der so gelb war wie ein reifer Pfirsich.
Sein Auge bemerkte ein Glitzern zehn Meilen süd-
westlich, und er runzelte die Stirn. Gleißendes Son-
nenlicht lag auf einer riesigen Kugel von siebenhun-
dert Meter Durchmesser. Es war Herzog Angus' neu-
es Schiff, die Enterprise, die jetzt nach der letzten Pro-
befahrt in die Werft zurückgekehrt war. Daran wollte
er aber jetzt nicht denken.
Statt dessen zog er sie noch enger an sich und flü-
sterte ihren Namen. »Elaine«, und dann, jede Silbe
betonend, »Lady Elaine Trask von Traskon.«
»O nein, Lucas!« Ihr Protest war halb scherzhaft
und halb besorgt. »Es bringt Unglück, wenn man
schon vor der Hochzeit bei seinem neuen Namen ge-
nannt wird.«
»Für mich heißt du schon immer so seit jenem
Abend auf dem Ball des Herzogs, als du von der
Schule auf Excalibur zurückgekehrt warst.«
Sie sah ihn aus den Augenwinkeln an.
»Seitdem habe ich mich selbst so genannt«, be-
kannte sie.
»Traskon New House hat eine Westterrasse«, sagte
er. »Morgen werden wir dort zu Abend essen und
gemeinsam den Sonnenuntergang betrachten.«
»Ich weiß.«
»Du hast spioniert«, schalt er sie. »Traskon New
House sollte eine Überraschung für dich sein.«
»Ich habe schon immer meine Geschenke ausge-
kundschaftet, an Neujahr oder an meinem Geburts-
tag. Aber ich habe das Anwesen nur aus der Luft ge-
sehen. Das Innere wird eine große Überraschung für
mich sein«, versprach sie. »Ich werde mich sehr dar-
über freuen.«
Und wenn sie alles gesehen hatte, und Traskon
New House keine Überraschung mehr für sie war,
würden sie eine lange Raumfahrt machen. Bis jetzt
hatte er ihr noch nichts davon gesagt. Zu einigen von
den anderen Schwert-Welten – Excalibur natürlich,
Morglay und Flamberge und Durendal. Nein, nicht
Durendal; dort flammte der Krieg jetzt wieder auf.
Aber sie würden sehr viel Freude haben. Und sie
würde wieder klaren blauen Himmel sehen und Ster-
ne am Abend. Der Wolkenschleier verbarg die Sterne
auf Gram, und Elaine hatte sie vermißt, seit sie von
Excalibur zurückgekehrt war.
Der Schatten eines Aircars fiel kurz auf sie, und sie
schauten hoch und sahen, wie er sich langsam auf
dem Landeplatz von Karvall House niederließ, und
Lucas erkannte das Wappen: Schwert und Atomsym-
bol, die Zeichen des Herzogshauses von Ward. Er
fragte sich, ob es Herzog Angus selbst war, oder nur
ein paar von seinen Leuten, die ihm vorausgereist
waren. Aber jetzt mußten sie wieder zu den Gästen
zurück. Und er nahm sie in seine Arme und küßte sie,
und sie erwiderte heiß seinen Kuß.
Ein leises Hüsteln hinter ihnen schreckte sie auf. Es
war Sesar Karvall, grauhaarig und stattlich. Auf der
Brust seines grauen Uniformrockes schimmerten Or-
den und Ehrenzeichen, und im Knauf seines Dolches
leuchtete ein Saphir.
»Ich dachte mir schon, daß ich euch zwei hier fin-
den würde«, lächelte Elaines Vater. »Ihr habt morgen
und danach Zeit füreinander. Jetzt aber darf ich euch
daran erinnern, daß wir Gäste haben, und es werden
jede Minute mehr.«
»Wer
kam
eben
im
Schiff
der
Wards?«
fragte
Elaine.
»Rovard Grauffis. Und Otto Harkaman; ich glaube,
du kennst ihn noch nicht, Lucas?«
»Nein, wir sind uns noch nicht vorgestellt worden.
Ich würde ihn ganz gern kennenlernen, bevor er wie-
der abfliegt.« Er hatte nichts gegen Harkaman per-
sönlich, nur gegen das, was er repräsentierte.
»Kommt der Herzog?«
»Ganz bestimmt. Lionel von Newhaven und der
Lord of Northport kommen mit ihm. Sie sind jetzt im
Palast.« Karvall zögerte. »Sein Neffe ist wieder in der
Stadt.«
Elaine war nicht besonders glücklich darüber; sie
wollte schon sagen: »O je! Ich hoffe, er wird nicht ...«
»Hat Dunnan Elaine wieder belästigt?«
»Nicht der Rede wert. Er war gestern hier und
wollte mit ihr sprechen. Wir konnten ihn ohne allzu
große Unannehmlichkeiten zum Gehen bewegen.«
»Ab morgen wird es für mich der Rede wert sein.«
Oder vielmehr für seine Sekundanten und Andray
Dunnan; er hoffte, daß es nicht dazu kommen würde.
Er wollte nicht in die Lage geraten, einen aus dem
Hause Ward erschießen zu müssen, auch wenn er
verrückt war.
»Er tut mir so leid«, sagte Elaine. »Vater, du hättest
mich mit ihm reden lassen sollen. Vielleicht hätte ich
ihm alles begreiflich machen können.«
Sesar Karvall war schockiert. »Kind, auf so etwas
durftest du dich nicht einlassen! Der Mann ist
wahnsinnig!«
Lucas gab dem älteren Mann ein Zeichen, ihnen
voranzugehen, und sie betraten die schattige Allee.
Am anderen Ende spielte in einem offenen Kreis ein
Springbrunnen, in dessen jadegrünem Bassin mar-
morne Jungen und Mädchen badeten. Auch ein Beu-
testück von einem der Planeten der Alten Föderation;
das war etwas, das er bei der Ausstattung von
Traskon New House vermieden hatte.
»Ich werde beim Herzog ein gutes Wort für den
Burschen einlegen«, sagte Sesar Karvall, in Gedanken
immer noch bei Dunnan. »Vielleicht nützt es etwas,
wenn er mit ihm redet.«
»Ich bezweifle es. Ich glaube nicht, daß Herzog
Angus irgendwelchen Einfluß auf ihn hat.«
Dunnans Mutter war des Herzogs jüngere Schwe-
ster gewesen; von seinem Vater hatte er ein ursprüng-
lich gut gehendes Landgut geerbt. Jetzt war es ver-
schuldet bis hinauf zum Antennenmast des Gutshau-
ses. Einmal hatte der Herzog Dunnans Schulden
übernommen, weigerte sich aber, es ein zweites Mal
zu tun. Dunnan hatte mehrfach an Raumfahrten teil-
genommen – als Junior-Offizier bei Handels- und
Raubfahrten in die Alte Föderation. Man hielt ihn für
einen ganz guten Astrogator. Er hatte erwartet, daß
sein Onkel ihm das Kommando der Enterprise über-
geben würde, was natürlich lächerlich war. Ent-
täuscht hatte er eine Söldnerkompanie angeheuert,
mit der er militärische Aufgaben übernehmen wollte.
Es wurde geargwöhnt, er stehe in Verbindung mit
dem schlimmsten Feind seines Onkels, Herzog Om-
fray von Glaspyth.
Und er war heillos verliebt in Elaine Karvall, mit
einer Leidenschaft, die sich an ihrer eigenen Hoff-
nungslosigkeit zu nähren schien.
Am Fuße der Rolltreppen blieben sie stehen; unten
im Garten drängten sich die Gäste, und die hellen
Schals der Damen und die Jacketts der Herren er-
zeugten wechselnde Farbmuster zwischen den Blu-
menbeeten, auf den Wiesen und unter den Bäumen.
Bedienungsroboter, hellgelb und schwarz in den Far-
ben der Karvalls, schwebten umher, spielten leise
Musik und boten Erfrischungen an. Rund um den
kreisförmigen Robo-Tisch wand sich eine Spirale aus
Kleidern in allen Farben. Frohes Stimmengewirr plät-
scherte dahin wie ein Bergbach.
Und während sie diese Eindrücke in sich aufnah-
men, kreiste grün oder golden ein weiterer Aircar
über ihnen. Er trug die Aufschrift PANPLANET
NACHRICHTENSERVICE. Sesar Karvall fluchte ver-
ärgert.
»Gab es nicht irgendwann so etwas wie Privat-
sphäre?« fragte er.
»Es ist halt 'ne große Story, Sesar.«
Das war es auch; mehr als die Heirat von zwei
Menschen, die zufällig einander liebten. Es war die
Heirat zwischen den Farm- und Ranchbetrieben derer
von Traskon und den Karvall'schen Stahlwerken.
Mehr noch, es war die öffentliche Ankündigung, daß
Reichtum und militärische Macht beider Häuser nun
hinter dem Herzog Angus von Wardshaven standen.
So gab es also einen allgemeinen Festtag. Alle Fabri-
ken hatten mittags geschlossen und würden die Ar-
beit erst am übernächsten Morgen wieder aufneh-
men, und in allen Parks würde man tanzen und in je-
der Taverne feiern. Den Menschen der Schwert-Welt
war jeglicher Vorwand für einen Feiertag recht.
»Es sind unsere Leute, Sesar; sie haben ein Recht
darauf, sich mit uns zu amüsieren. Ich weiß, daß je-
dermann in Traskon alles auf dem Bildschirm ver-
folgt.«
Er hob die Hand und winkte dem Nachrichten-
schiff zu, und als es seine Sensoren herumschwenkte,
winkte er wieder. Dann fuhr er die lange Rolltreppe
hinunter.
Lady Lavina Karvall war der Mittelpunkt einer
Ansammlung von würdigen älteren Damen, um die
die Brautjungfern des kommenden Tages herumflat-
terten wie bunte Schmetterlinge. Jetzt holten sie ihre
Tochter zu sich in den Kreis der Damen. Lucas sah
Rovard Grauffis, klein und düster dreinblickend – er
war Herzog Angus' Knappe – und Burt Sandrasan,
Lady Lavinas Bruder. Sie sprachen miteinander, und
dann kam ein Oberdiener in mit der gelben Flamme
und dem schwarzem Hammer der Karvall-Werke
verziertem Rock mit irgendeinem Verwaltungspro-
blem zu seinem Herrn, und die beiden gingen ge-
meinsam weg.
»Sie kennen Captain Harkaman noch nicht, Lucas«,
sagte Rovard Grauffis. »Kommen Sie doch herüber,
um ihm Hallo zu sagen und einen Schluck mit ihm zu
trinken. Ich kenne Ihre Einstellung, aber er ist ein or-
dentlicher Bursche. Ich für meinen Teil wünschte mir,
es gäbe hier mehr von seiner Art.«
Das war sein größter Kummer. Es gab immer we-
niger Männer dieser Art auf irgendeiner der Schwert-
Welten.
2
Ein Dutzend Männer drängten sich um den Bar-
Roboter: sein Cousin, der Familien-Anwalt Nikkolay
Trask;
Lothar
Ffayle,
der
Bankier;
Alex
Gorram,
der
Schiffsbauer,
und
sein
Sohn
Basil;
Baron
Rathmore;
noch
weitere
Angehörige
der
adeligen
Familie
Wards-
haven, die er nicht näher kannte, und Otto Harka-
man.
Harkaman war ein Raum-Wikinger. Selbst wenn er
nicht die Größten unter den Anwesenden um Haup-
teslänge überragt hätte, hätte ihn das von jedem un-
terschieden. Er trug eine kurze schwarze, goldbe-
stickte Jacke und schwarze Hosen, die in knöchelho-
hen Stiefeln endeten; der Dolch an seinem Gürtel war
nicht nur ein Schmuckstück. Sein gelocktes rotbrau-
nes Haar war lang genug, um in einem Kampfhelm
als Polsterung dienen zu können; sein Kinnbart war
eckig geschnitten.
Auf Durendal hatte er für einen der Zweige der
königlichen Familie gekämpft, die sich mit allen Mit-
teln um den Thron stritten. Es war der falsche gewe-
sen; er hatte sein Schiff verloren, die Mehrzahl seiner
Männer und beinahe sein Leben. Auf Flamberge war
er ein bettelarmer Flüchtling gewesen, der nichts hat-
te als die Kleidung, die er trug, seine Waffen und die
Ergebenheit eines halben Dutzends Abenteurer, die
genau so wenig besaßen wie er. Dann hatte ihn Her-
zog Angus eingeladen, nach Gram zu kommen und
die Enterprise zu kommandieren.
»Es ist mir ein Vergnügen, Lord Trask. Ihre char-
mante Zukünftige kenne ich ja schon, und nun, da ich
auch Sie kennengelernt habe, darf ich Ihnen beiden
gratulieren.« Dann, als sie einen Drink nahmen, stell-
te er die etwas peinliche Frage: »Sie gehören nicht zu
denen, die Geld in die Tanith-Expedition investiert
haben, oder?«
Lucas verneinte und hätte es dabei bewenden las-
sen, aber der junge Basil Gorram mußte die Sache
noch breittreten.
»Lord Trask lehnt das Tanith-Abenteuer ab«, sagte
er geringschätzig. »Er ist der Ansicht, wir sollten zu
Hause bleiben und Reichtum produzieren, anstatt
Raub und Mord in die Alte Föderation zu exportie-
ren.«
Das Lächeln blieb auf Otto Harkamans Lippen; nur
die Freundlichkeit war weg. Scheinbar zufällig wan-
derte sein Glas von der rechten in die linke Hand.
»Nun, unsere Operationen könnte man als Raub
und Mord definieren«, räumte er ein. »Raum-
Wikinger sind professionelle Räuber und Mörder.
Haben Sie etwas dagegen? Vielleicht haben Sie etwas
gegen mich persönlich einzuwenden?«
»Ich
hätte
Ihnen
weder
die
Hand
gegeben
noch
mit
Ihnen
getrunken,
wenn
dem
so
wäre.
Mir
ist
es
gleich,
wieviele
Planeten
Sie
überfallen
oder
wieviel
Städte
Sie
plündern,
oder
wieviele
Unschuldige,
wenn
es
welche
sind,
Sie
in
der
Alten
Föderation
massakrieren.
Schlimmeres,
als
diese
Leute
in
den
vergangenen
zehn
Jahrhunderten
einander
angetan
haben,
können
Sie
auch
nicht
tun.
Wogegen
ich
etwas
habe, ist die Art,
wie Sie auf die Schwert-Welten losgehen.«
»Sie sind ja wahnsinnig!« entfuhr es Basil Gorram.
»Junger Mann«, sagte Harkaman tadelnd, »das Ge-
spräch war zwischen Lord Trask und mir. Und wenn
jemand eine Feststellung macht, die Sie nicht verste-
hen, dann sagen Sie nicht, er sei verrückt. Fragen Sie
ihn, was er meint. Und was meinen Sie also, Lord
Trask?«
»Das sollten Sie am besten wissen; eben haben sie
Gram um achthundert der besten Männer ärmer ge-
macht. Mich zum Beispiel um vierzig Vaqueros,
Farm- und Holzarbeiter und Maschinisten, und ich
bezweifle, ob ich sie durch ebenso gute ersetzen
kann.« Er wandte sich an den älteren Gorram. »Alex,
wieviele haben Sie an Captain Harkaman verloren?«
Gorram wollte »ein Dutzend« sagen: dann aber
mußte er doch zugeben, daß es mehr als doppelt so
viele waren. Roboter-Techniker, Maschinenüberwa-
cher, Programmierer, ein paar Ingenieure, ein Vorar-
beiter. Unmutig machten die anderen ähnliche Anga-
ben. Burt Sandrasan hatte fast ebensoviele Leute ver-
gleichbarer Qualifikation verloren. Sogar Lothar Ffay-
le gab zu, eines Computer-Manns und eines Wach-
Sergeanten verlustig gegangen zu sein.
Auf den Farmen, den Ranches und in den Fabriken
würde es auch ohne sie weitergehen, aber nicht mehr
ganz so wie bisher. Weder auf Gram noch in irgend-
einer der Schwert-Welten arbeitete man noch annä-
hernd so effizient wie drei Jahrhunderte zuvor.
»Und
der
genetische
Verlust.
Die
besten
Schwert-
Welt-Gene
entweichen
buchstäblich
in
den
Weltraum,
wie
die
Atmosphäre
eines
Planeten
mit
geringer
Schwerkraft;
jede
neue
Generation
stammt
von
Vätern
ab,
die
ihren
eigenen
Vätern
nicht
mehr
ganz
gleich-
wertig
sind.
Als
die
Raum-Wikinger
ihre
Heimat
noch
auf
den
Schwert-Welten
hatten,
war
das
nicht
so
schlimm;
sie
kamen
hin
und
wieder
nach
Hause.
Jetzt
aber
erobern
sie
Planeten
der
Alten
Föderation, richten
darauf Stützpunkte ein und bleiben dort.«
Alles atmete auf; zu einem Streit würde es nicht
kommen. Harkaman, der sein Glas jetzt wieder in der
rechten Hand hielt, lachte ein wenig.
»Das stimmt. Ich bin der Vater von einem Dutzend
Bastarden in der Alten Föderation; und ich kenne
Raum-Wikinger, deren Väter auf Planeten der Alten
Föderation geboren wurden.« Er wandte sich Gorram
zu. »Sie sehen, der Gentleman ist keineswegs ver-
rückt. Übrigens ist bei der Terranischen Föderation
das gleiche passiert. Die guten Leute liefen alle weg,
um Kolonien zu gründen, und Hampelmänner und
Ja-Sager und Mitläufer und Angsthasen blieben auf
Terra und versuchten, die Galaxis zu regieren.«
»Nun, vielleicht ist Ihnen all dies neu, Captain«,
sagte Rovard Grauffis säuerlich, »aber für uns ist Lu-
cas Trasks Trauergesang über den Niedergang und
das Ende der Schwert-Welten ein altes Lied. Ich kann
nicht hierbleiben und mich mit ihm darüber ausein-
andersetzen; dazu habe ich zu viel zu tun.«
Lothar Ffayle hingegen hatte offenkundig die Ab-
sicht, zu bleiben und sich auseinanderzusetzen.
»Im Grunde sagen Sie nur, daß wir uns auf ande-
ren Planeten ausbreiten, Lucas. Wollen Sie, daß wir
hier sitzenbleiben und einen Bevölkerungsdruck er-
zeugen wie auf Terra im Ersten Jahrhundert?«
»Mit dreieinhalb Milliarden Menschen, auf zwölf
Planeten verteilt? So viele gab es schon auf Terra al-
lein. Und wir haben achtzehn Jahrhunderte ge-
braucht, um das zu erreichen.«
Das war seit dem neunten Jahrhundert der Atom-
Ära gewesen, seit dem Ende des Großen Krieges. Auf
Abigor hatten zehntausend Männer und Frauen die
Kapitulation verweigert, waren mit dem Rest der
Flotte der Systemstaat-Allianz in den Weltraum auf-
gebrochen auf der Suche nach einer Welt, von der
man in der Föderation keine Kunde hatte und die
man auch lange Zeit nicht finden sollte. Es war die
Welt, die die Auswanderer Excalibur genannt hatten.
Von dort aus hatten ihre Enkel Joyeuse und Durendal
und Flamberge kolonisiert; Haulteclere war in der
nächsten Generation von Joyeuse aus kolonisiert
worden, und Gram von Haulteclere aus.
»Wir breiten uns nicht aus, Lothar; wir schrump-
fen. Der Ausbreitungsprozeß ging vor dreihunder-
tundfünfzig Jahren zu Ende, als jenes Schiff der Alten
Föderation nach Morglay zurückkehrte und seine In-
sassen berichteten, was draußen seit dem Großen
Krieg passiert war. Vordem entdeckten wir neue Pla-
neten und kolonisierten sie. Seitdem nagen wir die
Knochen der toten Terranischen Föderation ab.«
Irgend etwas war los bei den Rolltreppen zur Lan-
dungsbühne. Erregt strömten die Menschen in diese
Richtung, und die Schiffe der Nachrichtenagenturen
kreisten dort wie Geier über einer kranken Kuh. Har-
kaman fragte sich hoffnungsvoll, ob nicht vielleicht
eine Schlägerei im Gange sei.
»Irgendein Betrunkener, den man hinauswirft«, tat
Nikkolay Trask die Sache ab. »Sesar hat heute ganz
Wardshaven hereingelassen. Aber was diese Tanith-
Expedition anbelangt, Lucas: Es ist nicht einfach ein
Überfall. Wir übernehmen den ganzen Planeten; in
fünfzig Jahren wird auch er eine Schwert-Welt sein.
Ein bißchen weiter weg, natürlich, aber ...«
»Innerhalb eines weiteren Jahrhunderts werden
wir die ganze Föderation erobern«, erklärte Baron
Rathmore. Er war Politiker und hatte keine Angst vor
Übertreibungen.
»Was ich nicht verstehe«, sagte Harkaman, »ist,
warum Sie Herzog Angus unterstützen, Lord Trask,
wenn Sie glauben, daß die Tanith-Expedition so
schlecht für Gram ist.«
»Wenn
Angus
sie
nicht
unternähme,
würde
es
ein
anderer
tun.
Aber
Angus
wird
sich
zum
König
von
Gram
krönen
lassen,
und
ich
glaube
nicht,
daß
jemand
anderer
das
tun
könnte.
Dieser
Planet
braucht
eine
ordnende
Hand.
Ich
weiß
nicht,
was
Sie
außerhalb
die-
ses
Herzogtums
schon
gesehen
haben,
aber
halten
Sie
Wardshaven
nicht
für
typisch.
Einige
Herzogtümer
wie
Glaspyth
oder
Didreksburg
sind
richtige
Schlan-
gengruben.
Alle
wichtigeren
Barone
wollen
einander
an
den
Kragen
und
können
nicht
einmal
ihre
eigenen
Ritter
und
Hintersassen
im
Zaume
halten.
Auf
Southmain
Continent
zum
Beispiel
gibt
es
einen
elen-
den
kleinen
Krieg,
der
dauert
jetzt
schon
über
zwei-
hundert Jahre.«
»Dorthin will wahrscheinlich Dunnan mit seiner
Söldner-Armee«, sagte ein Roboter-Fabrikant. »Ich
hoffe, sie wird aufgerieben, und Dunnan mit ihr.«
»Dazu brauchen die nicht erst nach Southmain zu
gehen, Glaspyth genügt«, sagte jemand anderer.
»Jedenfalls, wenn wir keine planetarische Monar-
chie bekommen, die Ordnung schafft, wird die Zivili-
sation dieses Planeten untergehen wie die der Alten
Föderation.«
»Ich bitte Sie, Lucas!« protestierte Alex Gorram.
»Da gehen Sie doch zu weit.«
»Ja,
zum
einen
haben
wir
keine
Neobarbaren«,
sagte
jemand.
»Und
wenn
sie
jemals
hierherkämen,
würden
wir
sie
in
Nullkommanichts
zu
Asche
zerblasen.
Wäre
übrigens
vielleicht
ganz
gut;
könnte
uns
davon abhal-
ten, uns gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.«
Harkaman
sah
ihn
überrascht
an.
»Wofür
halten
Sie
eigentlich
die
Neobarbaren?«
fragte
er.
»Für
räuberi-
sche Nomaden, Attilas Hunnen in Raumschiffen?«
»Ja, sind sie denn das nicht?« fragte Gorram.
»Bei
Nifflheim,
nein!
Es
gibt
keine
eineinhalb
Dut-
zend
Planeten
in
der
Alten
Föderation,
die
noch
den
Hyperdrive
haben,
und
die
sind
alle
zivilisiert.
Das
heißt,
wenn
man
Gilgamesch
zivilisiert
nennen
kann«,
fügte
er
hinzu.
»Es
sind
hausgemachte
Barbaren.
Ar-
beiter
und
Bauern,
die
revoltierten,
um
den
Reichtum
unter
sich
aufzuteilen
und
sich
anzueignen,
und
die
dann
sahen,
daß
sie
die
Produktionsmittel
zerstört
und
alle
technischen
Gehirne
vernichtet
hatten.
Überleben-
de
von
Planeten,
die
in
den
interstellaren
Kriegen
vom
elften
zum
dreizehnten
Jahrhundert
unter
Beschuß
waren
und
nicht
mehr
die
Maschinerie
der
Zivilisation
besaßen.
Anhänger
politischer
Führer
auf
Planeten
mit
Diktatur.
Kompanien
arbeitsloser
Söldner,
die
vom
Plündern
leben.
Religiöse
Fanatiker,
die selbstgesalb-
ten Propheten folgen.«
»Glauben Sie denn, wir hätten nicht genügend
neobarbarische Einflüsse hier auf Gram?« fragte
Trask. »Sehen Sie sich einmal um.«
»Glaspyth«, sagte jemand.
»Die Bande von Galgenvögeln, die Andray Dun-
nan rekrutiert hat?« bemerkte Rathmore.
Alex
Gorram
brummte,
seine
Werft
sei
voll
von
ih-
nen
–
Agitatoren,
die
Unruhe
stifteten
und
einen
Streik
zu organisieren versuchten, um die Roboter loszu-
werden.
»Ja«, nahm Harkaman die letzte Äußerung auf.
»Ich kenne zumindest vierzig Beispiele in den letzten
acht Jahrhunderten, von anti-technologischen Bewe-
gungen auf einem guten Dutzend Planeten. Schon im
zweiten Jahrhundert der voratomaren Zeit gab es so
etwas auf Terra. Und nachdem sich Venus von der
Ersten Föderation trennte, bevor die Zweite Föderati-
on konstituiert war.«
»Interessieren
Sie
sich
für
Geschichte?«
fragte
Rathmore.
»Ein Hobby. Alle Raumfahrer haben Hobbys. Im
Hyperraum gibt es sehr wenig Arbeit an Bord; Lan-
geweile ist das größte Problem. Van Larch, ein Artil-
lerie- und Raketenoffizier, ist Maler. Der größte Teil
seiner Werke ging mit der Corisande auf Durendal
verloren, aber auf Flamberge hat er uns ein paarmal
vor dem Verhungern bewahrt, indem er Bilder malte
und sie verkaufte. Mein Hyperraum-Astrogator,
Guatt Kirbey, komponiert; er versucht, die Mathema-
tik der Hyper-Raum-Theorie in Musik auszudrücken.
Mir selbst sagt das nicht viel«, räumte er ein. »Ich
studiere Geschichte. Wissen Sie, es ist merkwürdig;
praktisch alles, was auf irgendeinem der bewohnten
Planeten passiert ist, hat sich schon vor dem Bau des
ersten Raumschiffes auf Terra ereignet.«
Um sie herum war es jetzt ruhig im Garten; die
Menge drängte sich bei der Landebühne. Harkaman
hätte mehr gesagt, aber in diesem Augenblick sah er
ein halbes Dutzend von Sesar Karvalls uniformierten
Wächtern vorbeilaufen. Sie trugen Helme und kugel-
sichere Kleidung; einer von ihnen hatte eine Maschi-
nenpistole, die anderen trugen Plastikknüppel. Der
Raum-Wikinger stellte sein Glas weg.
»Gehen wir«, sagte er. »Unser Gastgeber mobili-
siert seine Truppen; ich glaube, die Gäste sollten sich
einen Kampfplatz suchen.«
3
Die bunt gekleidete Menge starrte in unruhiger Neu-
gierde auf die Landebühne. Die Damen hatten sich in
ihre Schals gehüllt, manche sogar ihren Kopf bedeckt.
Über den Häuptern schwebten vier Aircars der Nach-
richtenagenturen; was auch geschah, wurde über TV
auf dem ganzen Planeten verbreitet. Karvalls Wäch-
ter versuchten, sich einen Weg durch das Gedränge
zu bahnen; der Sergeant sagte immer und immer
wieder: »Bitte, Ladies und Gentlemen; verzeihen Sie,
edler Herr«, ohne jedoch etwas auszurichten.
Otto Harkaman fluchte und schob den Sergeanten
beiseite. »Platz da!« brüllte er. »Lassen Sie die Wa-
chen passieren.« Zur Linken wie zur Rechten warf er
dabei je einen Gentleman fast zur Seite. Beide fuhren
wütend herum, entfernten sich aber dann hastig.
Unter kurzer Meditation über den Nutzen rüder
Manieren im Notfall folgte Trask mit den anderen.
Der hünenhafte Raum-Wikinger bahnte sich einen
Weg nach vorn, wo Sesar Karvall, Rovard Grauffis
und ein paar andere standen.
Mit dem Rücken zu den Treppen befanden sich
dort vier Männer in schwarzen Umhängen, die Ge-
sichter ihnen zugewandt. Zwei waren nichtadelige
Bedienstete – gemietete Leibwächter, um es genau zu
sagen. Der Mann vor ihnen trug einen funkelnden
Diamanten auf seinem Barett, sein Umhang war mit
blaßblauer Seide gesäumt. Sein dünnes, spitzes Ge-
sicht hatte tiefe Linien um den Mund und war durch
einen schmalen schwarzen Oberlippenbart akzentu-
iert: Andray Dunnan. Trask fragte sich kurz, wie bald
er ihn aus fünfundzwanzig Metern Entfernung über
dem Lauf einer Pistole würde anvisieren müssen. Das
Gesicht des ein wenig größeren, bärtigen Mannes ne-
ben ihm war kalkweiß und ausdruckslos. Sein Name
war Nevil Ormm; niemand wußte so recht, woher er
stammte. Er war Dunnans Gefolgsmann und ständi-
ger Gefährte.
»Sie lügen!« rief Dunnan gerade. »Sie lügen er-
bärmlich aus Ihren stinkigen Mäulern, Sie alle! Sie
haben jede Nachricht abgefangen, die sie mir zu-
kommen lassen wollte.«
»Meine Tochter hat Ihnen keine Mitteilungen ge-
schickt, Lord Dunnan«, sagte Sesar Karvall mit er-
staunlicher Geduld. »Außer der einen, die ich Ihnen
eben ausgerichtet habe: Daß sie mit Ihnen nicht das
Geringste zu tun haben möchte.«
»Das soll ich glauben? Sie halten sie gefangen; nur
der Satan weiß, welchen Torturen Sie sie unterworfen
haben, um sie zu dieser abscheulichen Heirat zu
zwingen.«
Durch die Umstehenden ging eine Bewegung; das
war mehr, als man wohlerzogener Zurückhaltung
zumuten konnte. Über dem ungläubigen Gemurmel
wurde die Stimme einer Frau hörbar:
»Also wirklich! Er ist tatsächlich verrückt!«
Dunnan hörte es wie alle anderen. »Ich und ver-
rückt?« rief er empört. »Vielleicht, weil ich all dieses
heuchlerische Getue durchschaue? Hier ist Lucas
Trask – er möchte eine Beteiligung an den Karvall-
Werken; und hier ist Sesar Karvall – er möchte Zu-
gang zu den Erzvorkommen auf Traskons Land. Und
mein lieber Onkel – der möchte die Hilfe von beiden,
um sich Omfray im Herzogtum Glaspyth aneignen
zu können. Und da ist dieser Kredit-Hai von Ffayle,
der mir mein Land entreißen möchte, und Rovard
Grauffis, der Apportierhund meines Onkels, der kei-
nen Finger rührt, um seinen Anverwandten vor dem
Ruin zu bewahren, und Harkaman, dieser Ausländer,
der mich um das Kommando der Enterprise betrogen
hat. Ihr alle habt euch gegen mich verschworen.«
»Sir Nevil«, sagte Grauffis, »Sie sehen, daß Lord
Dunnan im Augenblick nicht ganz er selbst ist. Wenn
Sie sein Freund sind, bringen Sie ihn von hier fort,
bevor Herzog Angus kommt.«
Nevil Ormm lehnte sich nach vorn und sprach
drängend in Dunnans Ohr. Doch Dunnan stieß ihn
zornig von sich.
»Großer
Satan,
sind
auch
Sie
gegen
mich?«
fragte
er.
Ormm packte ihn am Arm. »Sie Narr, wollen Sie
denn jetzt alles zerstören?« Er senkte seine Stimme;
der Rest war unhörbar.
»Nein, zum Teufel, ich gehe nicht, bevor ich mit ihr
gesprochen habe von Angesicht zu Angesicht!«
Von neuem ging eine Bewegung durch die Zu-
schauer; die Menge teilte sich, und Elaine erschien,
gefolgt von ihrer Mutter, Lady Sandrasan und fünf
oder sechs anderen Damen. Sie alle hatten ihre Schals
auf dem Kopf, das rechte Ende über der linken Schul-
ter. Sie alle blieben stehen bis auf Elaine, die ein paar
Schritte weiterging und vor Andray Dunnan trat. Der
hatte sie nie schöner gesehen. Aber es war die eisige
Schönheit eines geschliffenen Dolchs.
»Lord Dunnan, was wünschen Sie mir zu sagen?«
fragte sie. »Sagen Sie es schnell und gehen Sie dann;
hier sind Sie nicht willkommen.«
»Elaine!« rief Dunnan und machte einen Schritt auf
sie zu. »Warum bedecken Sie Ihr Haupt; warum spre-
chen Sie zu mir wie zu einem Fremden? Ich bin An-
dray, der Sie liebt. Warum lassen Sie sich zu dieser
verwerflichen Heirat zwingen?«
»Niemand zwingt mich; ich heirate Lord Trask aus
freien Stücken, weil ich ihn liebe. Und jetzt gehen Sie
bitte, ohne meine Hochzeit noch weiter zu stören.«
»Das ist eine Lüge! Die anderen haben Sie dazu ge-
bracht, das zu sagen! Sie müssen ihn nicht heiraten!
Man kann Sie nicht zwingen. Kommen Sie jetzt mit
mir. Man wird nicht wagen, Sie aufzuhalten. Ich hole
Sie fort von all diesen grausamen, habgierigen Leu-
ten. Sie lieben mich, Sie haben mich immer geliebt.
Sie haben es mir so oft gesagt.«
Ja, in seiner privaten Traumwelt, einer Welt der
Phantasie, die jetzt Andray Dunnans Realität gewor-
den war, existierte eine von seiner Einbildungskraft
geschaffenen Elaine Karvall nur, um ihn zu lieben.
Mit der wirklichen Elaine konfrontiert, wies er die
Wirklichkeit einfach von sich.
»Ich
habe
Sie
nie
geliebt,
Lord
Dunnan,
und
nie
so
etwas
gesagt.
Ich
habe
Sie
auch
nicht
gehaßt,
aber
lang-
sam
wird
das
doch
ein
wenig
schwierig
für
mich.
Ge-
hen Sie jetzt. Ich möchte Sie nie mehr wiedersehen.«
Damit drehte sie sich um und ging zurück durch
die Menge, die sich vor ihr teilte. Ihre Mutter und ih-
re Tante und die anderen Damen folgten.
»Sie haben mich angelogen!« schrie Dunnan ihr
nach. »Die ganze Zeit haben Sie gelogen. Sie sind ge-
nauso schlecht wie alle anderen, die sich gegen mich
verschwören und mich verraten. Ich weiß schon, was
los ist; ihr alle wollt mich aus meinen Rechten ver-
drängen und unterstützt meinen Onkel, der sich mit
verbrecherischen Machenschaften den Thron ange-
eignet hat. Und du, du heuchlerische Hure, du bist
die schlimmste von allen!«
Sir Nevil Ormm packte ihn an der Schulter und riß
ihn herum, stieß ihn auf die Rolltreppe zu. Dunnan
widersetzte sich, kreischte wie ein verwundeter Wolf.
Ormm stieß wütende Flüche aus.
»Ihr beiden!« rief er den Leibwächtern zu, »helft
mir doch. Packt ihn.«
Dunnan heulte immer noch, während man ihn auf
die Rolltreppe riß, bis ihn die Umhänge der beiden
Helfer, die auf dem Rücken den hellblauen Halb-
mond der Dunnans trugen, verbargen. Alsbald erhob
sich ein Aircar mit dem nämlichen Wappen und
schoß davon.
»Lucas, er ist verrückt«, sagte Sesar Karvall mit
Nachdruck. »Elaine hat keine fünfzig Worte mit ihm
gewechselt, seit er von seiner letzten Reise zurückge-
kehrt ist.«
Lucas lachte und legte seine Hand auf Karvalls
Schulter. »Das weiß ich, Sesar. Sie glauben doch nicht,
daß Sie das noch eigens beteuern müssen?«
»Und ob er verrückt ist!« ließ sich Rovard Grauffis
vernehmen. »Haben Sie gehört, was er über seine
Rechte sagte? Warten Sie nur, bis Seine Gnaden da-
von erfahren.«
»Erhebt er Anspruch auf den herzoglichen Thron,
Sir Rovard?« fragte Otto Harkaman scharf und ernst.
»Nun, er behauptet, seine Mutter sei eineinhalb
Jahre vor Herzog Angus geboren, doch habe man ihr
wahres
Geburtsdatum
gefälscht,
um
Angus
zur
Thron-
folge
zu
verhelfen.
Aber
Angus
war
drei
Jahre
alt
bei
ihrer
Geburt.
Ich
war
des
alten
Herzog
Fergus'
Schild-
knappe; Angus trug ich schon auf meiner Schulter,
als man Andray Dunnans Mutter am Tage nach ihrer
Geburt den Lords und Baronen zeigte.«
»Natürlich ist er verrückt«, stimmte Alex Gorram
zu. »Ich frage mich, warum der Herzog ihn nicht
psychiatrisch behandeln läßt.«
»Ja, ich würde ihn behandeln lassen«, sagte Har-
kaman und fuhr sich mit den Fingern durch den Bart.
»Verrückte, die Ansprüche auf Throne erheben, sind
Bomben, die entschärft werden müssen, bevor sie al-
les zerstören.«
»Aber das können wir nicht tun«, sagte Grauffis.
»Immerhin ist er Herzog Angus' Neffe.«
»Ich könnte es tun«, sagte Harkaman. »Seine Trup-
pe besteht nur aus dreihundert Mann. Warum man
ihm erlaubt hat, sie überhaupt zu rekrutieren, weiß
nur der Satan. Ich habe achthundert Männer; fünf-
hundert Bodenkämpfer. Ich würde ganz gern mal se-
hen, wie sie sich im Gefecht schlagen, bevor wir star-
ten. In zwei Stunden könnten sie kampfbereit sein,
und noch vor Mitternacht wäre alles vorbei.«
»Nein, Captain Harkaman; Seine Gnaden würden
das niemals erlauben«, entgegnete Grauffis. »Sie ha-
ben keine Vorstellung von dem politischen Schaden,
der unter den unabhängigen Lords angerichtet wür-
de, auf deren Hilfe wir bauen. Sie waren nicht hier
auf Gram, als Herzog Ridgerd von Didreksburg den
zweiten Mann seiner Schwester Sancia vergiften
ließ.«
4
Unter der Kolonnade blieben sie stehen; aus den
Schallöffnungen hörte man alte Liebeslieder. Lucas
sah auf die Uhr – vor neunzig Sekunden hatte er es
zum letzten Mal getan. Fünfzehn Minuten noch, bis
die Zeremonie begann, und eine weitere Viertelstun-
de für die anschließenden Glückwünsche. Und keine
Hochzeit, und war sie noch so pompös, dauerte län-
ger als eine halbe Stunde. Eine Stunde also noch, bis
er und Elaine in ihrem Aircar sein würden, unter-
wegs nach Traskon.
Plötzlich
verstummten
die
Liebeslieder;
nach
einer
kurzen
Stille
ertönte
Trompetengeschmetter:
Der
Her-
zogliche
Salut.
Die
Menge
erstarrte,
das
Stimmenge-
wirr
erstarb.
Am
oberen
Ende
der
Treppe
erschien der
Herzog mit seinem Gefolge. Hochrufe brachen aus;
die Aircars der Nachrichtenagenturen nahmen Posi-
tionen über der Prozession ein.
»Unser Fahrzeug ist doch bereit?« fragte Lucas
zum hundertsten Mal.
Sein Vetter Nikkolay versicherte ihm, daß es der
Fall sei. Gestalten im Schwarz und Gelb der Karvalls
erschienen jetzt auf der Terrasse. Wieder hob die Mu-
sik an; feierlich erklang jetzt der Hochzeitsmarsch.
Lucas sah sich in plötzlicher Panik um. »Um Satans
Willen, wo ist unser Schal?« fragte er und atmete auf,
als einer seiner Männer ihn vorwies, grün und braun
in den Farben der Traskons. Zehn Meter vor dem
Herzog blieben sie stehen.
»Wer heischt etwas von Uns?« fragte Herzog An-
gus den Befehlshaber seiner Wache.
Er hatte ein dünnes, spitzes, fast weiblich empfind-
sames Gesicht und trug einen kleinen Spitzbart. Er
war barhäuptig bis auf den schmalen goldenen Reif,
dessen Verwandlung in eine Königskrone sein ganzes
Streben galt. Der Befehlshaber wiederholte die Frage.
»Ich bin Sir Nikkolay Trask; ich bringe meinen Vet-
ter und Lehensherrn, Lucas Lord Trask, Baron von
Traskon. Er kommt, um die Lady-Demoiselle Elaine,
Tochter von Lord Sesar Karvall, Baron von Karvall-
mills, um die Zustimmung Eurer Gnaden zur Verehe-
lichung zu erbitten.«
Sir Maxamon Zhorgay, Sesar Karvalls Gefolgs-
mann, nannte anschließend seinen Namen und den
seines
Herrn;
sie
brachten
die
Lady-Demoiselle
Elaine,
um
sie
Lord
Trask
von
Traskon
zur
Frau
zu
geben.
Der
Herzog
fragte,
ob
der
Ehekontrakt
geschlossen
sei;
beide
Parteien
bejahten
dies.
Sir
Maxamon
überreichte
dem
Herzog
eine
Pergamentrolle.
Herzog
Angus
be-
gann,
die
steifen,
gewundenen
Formulierungen
vorzu-
lesen.
Bei
Heiraten
zwischen
Adelshäusern
dufte
es
keine
offenen
Fragen
geben
oder
mangelnde
Klarheit
über
Nachfolge-,
Erb-
oder
Mitgiftrechte.
Lucas
ertrug
es
mit
Geduld;
er
wollte
nicht,
daß
seine
und
Elaines
Urenkel
sich
wegen
eines
falsch gesetzten Kommas
gegenseitig umbringen sollten.
»Und diese Personen hier vor uns schließen diese
Ehe aus freien Stücken?« fragte der Herzog, als die
Verlesung zu Ende war. Gleichzeitig trat er nach
vorn, und sein Schildknappe reichte ihm das Staats-
schwert, beidhändig und schwer genug, um einem
Bison den Kopf vom Rumpf zu trennen. Die Rechts-
gelehrten und Gefolgsleute wichen zur Seite. »Es ist
also Ihr Wille, Lord Trask?« fragte er fast beiläufig.
»Von ganzem Herzen, Euer Gnaden.«
»Und Ihrer, Lady-Demoiselle Elaine?«
»Es ist mein allergrößter Wunsch.«
Der Herzog nahm das Schwert bei der Klinge und
hielt es ihnen hin; sie legten ihre Hände auf den edel-
steingeschmückten Knauf.
»Und erkennt Ihr und Eure Häuser uns, den Her-
zog von Wardshaven, als Euren Herrn und Fürsten
an, und gelobt Ihr Treue uns und unseren rechtmäßi-
gen Nachfolgern?«
»Das tun wir.« Nicht nur er und Elaine antworte-
ten, auch die Menge stimmte in die Antwort ein.
»Und wir, Angus, übertragen Euch beiden und Eu-
ren Häusern das Recht, nach Willen unser Zeichen zu
führen, und verpflichten uns, Eure Rechte gegen alle
und jeden zu verteidigen, der sie zu beeinträchtigen
sich unterfangen möchte. Und wir erklären, daß diese
Heirat zwischen Euch beiden, diese Übereinkunft
zwischen Euren beiden Häusern, uns wohlgefällig ist
und erklären Euch beide, Lucas und Elaine, für
rechtmäßige Eheleute, und wer diese Verbindung in
Frage stellt, stellt uns selbst in Frage.«
Dies war eigentlich nicht die für einen Herzog auf
Gram übliche Formel. Es war vielmehr die eines pla-
netarischen Königs wie Napolyon von Flamberge
oder Rodolf von Excalibur. Und jetzt fiel Angus auch
ein, daß er ständig den pluralis majestatis benutzt hat-
te. Die ganze Zeremonie wurde TV-übertragen, und
Omfray von Glaspyth und Ridgerd von Didreksburg
würden beide zusehen; in diesem Augenblick began-
nen sie sicher schon, Söldner anzuheuern. Vielleicht
würde er auf diese Weise Dunnan loswerden.
Der Herzog gab seinem Gefolgsmann das beid-
händige Schwert zurück. Der junge Ritter, der den
grün-braunen Schal trug, reichte ihn ihm, und Elaine
ließ den schwarz-gelben Schal von ihren Schultern
gleiten, das einzige Mal, daß eine ehrbare Frau das in
der Öffentlichkeit tat. Ihre Mutter fing ihn auf und
faltete ihn zusammen. Lucas legte ihr den Schal in
den Farben der Trasks über die Schultern und nahm
sie in seine Arme. Wieder wurden Hochrufe laut, und
Sesar Karvalls Wachtruppe feuerte Böllerschüsse ab.
Endlich begann das Hochzeitsfest, an dem alle au-
ßer Braut und Bräutigam teilnehmen sollten. Eine der
Brautjungfern gab Elaine ein riesiges Blumenbukett,
das sie von der Treppe aus in die Menge werfen
würde; sie hielt es mit einem Arm und hing mit dem
anderen an Lucas'.
»Liebling, wir haben es wirklich geschafft!« flüster-
te sie, als sei es zu wundervoll, um wahr zu sein.
Eines der Übertragungsschiffe – orange und blau,
also Westlands TV & Ferndruck – bewegte sich jetzt
auf die Landungsbrücke zu. Einen Moment lang war
Lucas unwillig; hier wurden die Regeln journalisti-
schen Anstands überschritten, auch für TV & F. Dann
lachte er; heute war er zu glücklich, als daß er sich
über irgend was hätte ärgern können. Am Fuß der
Rolltreppe schlüpfte Elaine aus ihren vergoldeten
Slippern – es befand sich ein anderes Paar im Aircar,
darum hatte sie sich selbst gekümmert –, und sie tra-
ten auf die Treppe und wandten sich um. Die Braut-
jungfern stürzten hinzu und begannen, sich um die
Schuhe zu balgen, und als sie halb oben war, warf
Elaine ihr Bukett in die Menge, und die Mädchen un-
ten griffen mit entzückten Schreien nach den ver-
streuten Blumen. Elaine warf jedermann Kußhände
zu, und Lucas grüßte mit erhobenen Armen, bis sie
die Plattform erreicht hatten. Als sie die Treppe ver-
ließen, hatte sich der orange-blaue Aircar direkt vor
ihnen niedergelassen und versperrte den Weg. Jetzt
war Lucas wirklich wütend und eilte mit einem Fluch
darauf zu. Dann erkannte er, wer in dem Aircar war.
Er sah Andray Dunnan, der mit verzerrtem Gesicht
einen Schlitz neben dem Fenster öffnete, in dem der
Lauf einer Maschinenpistole erschien.
Mit einem Aufschrei stieß er Elaine zu Boden und
wollte sich über sie werfen, als die Waffe ratternd zu
feuern begann. Irgend etwas hämmerte ihm in die
Brust; sein rechtes Bein knickte unter ihm ein. Er fiel.
Er fiel und fiel und fiel durch endloses Dunkel, in
tiefe Bewußtlosigkeit.
5
Er war gekreuzigt und mit einer Dornenkrone ge-
krönt. Wem hatte man das angetan? Es war vor lan-
ger Zeit geschehen, auf Terra. Seine Arme, die es ihm
fast aus den Gelenken zog, schmerzten; auch seine
Füße und Beine schmerzten, und er konnte sich nicht
bewegen. Und da war dieses Brennen auf seiner Stirn.
Er war blind.
Nein; nur seine Augen waren geschlossen. Er öff-
nete sie, und vor ihm war eine weiße Wand, die ein
blaues Schneekristall-Muster trug, und er erkannte,
daß es eine Decke war und daß er auf dem Rücken
lag. Seinen Kopf konnte er nicht rühren, aber durch
Bewegungen seiner Augen sah er, daß er völlig nackt
und von einem Gewirr von Schläuchen und Drähten
umgeben war, was er zunächst nicht verstand. Dann
wußte er, daß er sich nicht in einem Bett befand, son-
dern auf einem Robomedic, und die Schläuche waren
für medikamentöse Versorgung und Wund-Drainage
und intravenöse Ernährung, und die Drähte zu Dia-
gnosezwecken in seinen Körper eingepflanzte Elek-
troden, und auch die Dornenkrone bestand aus Elek-
troden für einen Enzephalographen. Er hatte schon
einmal auf einem solchen Ding gelegen, als er von ei-
nem Bison schwer verletzt worden war.
Das war es also; er war noch in Behandlung. Und
doch, es schien so lange her; so vieles schien gesche-
hen zu sein. Hatte er es geträumt?
Dann kam die Erinnerung, und verzweifelt, aber
vergeblich versuchte er sich zu erheben.
»Elaine!« rief er. »Elaine, wo bist du?«
Irgend etwas bewegte sich, und jemand erschien in
seinem beschränkten Gesichtsfeld. Es war sein Cou-
sin, Nikkolay Trask.
»Nikkolay«, sagte er. »Was ist mit Elaine gesche-
hen?«
Nikkolay zuckte zusammen.
»Lucas.« Er schluckte. »Elaine ... Elaine ist tot.«
Elaine tot? Was für ein Aberwitz!
»Sie war sofort tot, Lucas. Von sechs Schüssen ge-
troffen; ich glaube, sie hat nicht einmal den ersten ge-
spürt. Sie mußte nicht leiden.«
Jemand stöhnte auf, und dann begriff Lucas, daß er
es selbst war.
»Du wurdest zweimal getroffen«, erklärte ihm
Nikkolay. »Einmal ins Bein; die Kugel durchschlug
den Oberschenkelknochen. Und einmal in die Brust.
Ging nur einen Zentimeter an deinem Herzen vor-
bei.«
»Leider.« Jetzt wurde seine Erinnerung klarer. »Ich
stieß sie zu Boden und versuchte, sie mit meinem
Körper zu decken. Ich muß sie direkt in die Salve ge-
worfen haben, und nur noch die letzten Schüsse tra-
fen mich selbst.« Da war noch etwas anderes. »Dun-
nan. Hat man ihn erwischt?«
Nikkolay schüttelte den Kopf. »Er ist entkommen.
Stahl die Enterprise und verließ mit ihr den Planeten.«
»Ich will ihn selbst erledigen.«
Wieder bäumte er sich auf; Nikkolay nickte jeman-
dem zu, den Lucas nicht sehen konnte. Eine kühle
Hand berührte sein Kinn, und er roch das Parfüm ei-
ner Frau, das ganz anders als das Elaines war. Etwas
wie ein kleines Insekt biß ihn in den Nacken. Es wur-
de dunkel.
Elaine war tot. Es gab keine Elaine mehr, nirgend-
wo in der Welt. Das mußte doch heißen, daß es keine
Welt mehr gab. Deswegen also war es so dunkel ge-
worden.
Zuweilen erwachte er wieder, manchmal bei Tages-
licht, wenn er den gelben Himmel durch ein offenes
Fenster sehen konnte, oder bei Nacht, wenn die Lam-
pen an den Wänden leuchteten. Stets war irgend je-
mand bei ihm. Nikkolays Frau, Lady Cecelia, Rovard
Grauffis, Lady Lavina Karvall – er mußte sehr lange
geschlafen haben, denn sie war jetzt viel älter, als er
sie in Erinnerung hatte – und ihr Bruder, Burt San-
drasan. Und eine Frau mit dunklem Haar in einem
weißen Kittel mit einem goldenen Kaduzeus auf der
Brust. Einmal war da Herzogin Flavia, und einmal
Herzog Angus selbst.
Er fragte, wo er sei, ohne besonders daran interes-
siert zu sein. Man sagte ihm, er befinde sich im Her-
zoglichen Palast. Er wünschte, sie würden alle ver-
schwinden und ihn dorthin gehen lassen, wo Elaine
war.
Und immer wieder wurde es dunkel, und dann
versuchte er, sie zu finden, denn da war etwas, was er
ihr unbedingt zeigen wollte. Sterne am Nachthimmel,
das war es. Aber es gab keine Sterne, keine Elaine,
nichts, und er wünschte, es gäbe auch keinen Lucas
Trask.
Aber es gab einen Andray Dunnan. Er konnte ihn
sehen, wie er in seinem schwarzen Umhang auf der
Terrasse stand und wie die Diamanten auf seinem
Barett böse glitzerten. Er konnte ihn sehen, wie er mit
irrem Blick über den Lauf der Maschinenpistole hin-
weg auf ihn starrte. Und dann suchte er ihn im kalten
Dunkel des Raumes, ohne ihn finden zu können.
Allmählich blieb er längere Zeit wach, und dann
waren seine Sinne klar. Man befreite ihn von seiner
elektronischen Dornenkrone. Die Schläuche wurden
ihm abgenommen, und er bekam Fleischbrühe und
Fruchtsaft. Er wollte wissen, weshalb man ihn in den
Palast gebracht hatte.
»Es war das einzige, was wir tun konnten«, erklärte
ihm Rovard Grauffis. »Im Hause Karvall hatten sie
ihre eigenen Probleme. Sesar wurde nämlich auch ge-
troffen.«
»Nein!« Das war also der Grund, warum ihn Sesar
nicht besucht hatte. »Ist er tot?«
»Verletzt; es geht ihm schlechter als Ihnen. Als die
ersten Schüsse fielen, rannte er sofort die Treppe hin-
auf. Er hatte nichts als seinen Dolch. Dunnan schoß
ihn nieder; wahrscheinlich hatte er deswegen keine
Zeit, Sie zu erledigen. Sesar liegt auf einem Robome-
dic wie Sie. Er schwebt nicht mehr in Lebensgefahr.«
Dann
wurde
auch
das
Gewirr
von
Drähten
entfernt
und
die
Elektroden
mit
ihnen.
Die
Ärztin
erklärte
ihm,
er
habe
Schlimmes
durchgemacht,
als
ob
er
das
nicht
gewußt
hätte.
Er
fragte
sich,
ob
sie
von
ihm
Dank dafür
erwartete, daß sie ihn am Leben erhalten hatte.
»In ein paar Wochen bist du wieder auf den Bei-
nen«, meinte sein Cousin. »Ich habe dafür gesorgt,
daß in Traskon New House alles für dich bereit ist.«
»Ich werde dieses Haus nicht mehr betreten, solan-
ge ich lebe, und ich wünschte, das wäre nur noch die
nächste Minute. Es sollte Elaines Haus sein. Allein
werde ich seine Schwelle nicht überschreiten.«
Weniger und weniger wurde sein Schlaf durch
Träume gestört, und langsam kam er wieder zu Kräf-
ten. Häufig kamen Besucher und brachten kleine Ge-
schenke, und er stellte fest, daß ihm ihre Gesellschaft
Vergnügen bereitete. Er wollte wissen, was wirklich
geschehen
war
und
wie
Dunnan
hatte
entkommen
können.
»Er brachte die Enterprise in seine Gewalt«, erklärte
ihm Rovard Grauffis. »Er hatte diese Söldnerkompa-
nie und bestach ein paar von den Leuten auf Gorrams
Werft. Ich dachte schon, Alex würde seinen Sicher-
heitschef umbringen, als er erfuhr, was geschehen
war. Beweisen können wir nichts – obwohl wir alles
versuchen –, aber wir sind sicher, daß Omfray von
Glaspyth das Geld bereitgestellt hat. Er hat es etwas
zu nachdrücklich verneint.«
»Dann war die ganze Sache vorgeplant?«
»Die Kaperung des Schiffs jedenfalls; die muß
Dunnan schon monatelang geplant haben, bevor er
daranging, seine Söldner zu rekrutieren. Ich glaube,
er hatte ursprünglich die Absicht, es am Abend vor
der Hochzeit zu tun. Dann versuchte er, die Lady-
Demoiselle Elaine zu überreden, sich von ihm entfüh-
ren zu lassen – offenbar glaubte er allen Ernstes, daß
das möglich sei –, und als sie ihn demütigte, beschloß
er, Sie beide zu töten.« Er wandte sich Otto Harka-
man zu, der ihn begleitete. »Solange ich lebe, werde
ich es bereuen, Sie damals nicht beim Wort genom-
men und Ihr Angebot akzeptiert zu haben.«
»Wie kam Dunnan denn zu dem Aircar von West-
lands TV & F.?«
»Oh. Am Morgen des Hochzeitstages setzte er sich
mit dem Zentralbüro von Westlands in Verbindung
und erklärte, er könne Enthüllungen über die Heirat
machen und darüber, warum der Herzog selbst die
Eheschließung übernahm. Er ließ durchblicken, daß
irgendein Skandal im Spiele sei und bestand darauf,
daß ein Reporter zu ihm kommen müsse, um ihn per-
sönlich zu interviewen. Sie schickte einen Mann, und
der wurde nicht wieder gesehen; unsere Leute fanden
seine Leiche in Dunnans Haus, als wir es später
durchsuchten. Den Presse-Aircar fanden wir auf der
Werft; er hatte einige Treffer abbekommen, aber Sie
wissen ja, wie stark diese Dinger gebaut sind. Er war
direkt zur Werft gefahren, wo Dunnans Männer
schon die Enterprise gekapert hatten; sobald er dort
war, starteten sie.«
Er starrte auf die Zigarette zwischen seinen Fin-
gern. Sie war fast schon so kurz, daß die Glut seine
Haut erreichte. Mit Anstrengung lehnte er sich vor-
wärts, um sie auszudrücken.
»Rovard, wann wird dieses zweite Schiff fertig
sein?«
Grauffis lachte bitter. »Der Bau der Enterprise hat
uns alles abverlangt, was wir hatten. Das Herzogtum
ist jetzt am Rande des Bankrotts. Vor sechs Monaten
haben wir die Arbeit an dem zweiten Schiff abgebro-
chen, weil wir nicht genug Geld hatten, um es weiter-
zubauen und gleichzeitig die Enterprise fertigzustel-
len. Wir zählten darauf, daß die Fahrten der Enterpri-
se zur Alten Föderation so viel einbringen würden,
daß wir das zweite Schiff würden beenden können.
Von da ab, mit zwei Schiffen und einer Basis auf Ta-
nith, würden wir Geld einnehmen statt ausgeben.
Aber jetzt ...«
»Hier bin ich nicht besser dran als damals auf
Flamberge«, fügte Harkaman hinzu. »Eher schlechter.
König Napolyon wollte den Elmersans helfen, und
ich hätte da ein Kommando bekommen. Jetzt ist es
dafür zu spät.«
Lucas
nahm
seinen
Stock,
mit
dessen
Hilfe
er
müh-
sam
aufstand.
Dem
gebrochenen
Bein
ging
es
besser,
doch
war
er
immer
noch
schwach.
Er
machte
ein
paar
unsichere
Schritte,
blieb
auf
den
Stock
gestützt
stehen,
schleppte
sich
dann
zu
dem
offenen
Fenster
und
starrte
einen Moment hinaus. Dann wandte er sich um.
»Captain Harkaman, es könnte sein, daß Sie den-
noch ein Kommando bekommen, hier auf Gram. Das
heißt, wenn es Ihnen nichts ausmacht, es unter mir
als dem an Bord befindlichen Eigentümer auszuüben.
Ich werde mich an die Verfolgung Andrey Dunnans
machen.«
Beide sahen ihn an. Nach kurzer Pause sagte Har-
kaman: »Es würde mir eine Ehre sein, Lord Trask.
Aber woher wollen Sie ein Schiff bekommen?«
»Es ist schon halb fertig. Sie haben bereits eine
Mannschaft dafür. Der Herzog kann es für mich
vollenden und für die Kosten seine neue Baronie
Traskon verpfänden.«
Er kannte Rovard Grauffis seit seiner Kindheit; bis
zu diesem Augenblick hatte er noch niemals gesehen,
daß sich Herzog Angus' Gefolgsmann Überraschung
anmerken ließ.
»Sie meinen, Sie tauschen Traskon gegen das Schiff
ein?« fragte er.
»Wenn es fertig, voll ausgerüstet und startbereit ist,
ja.«
»Der Herzog wird einverstanden sein«, sagte
Grauffis sofort. »Aber Lucas, Traskon ist alles, was
Sie besitzen. Ihr Titel, Ihre Einkünfte ...«
»Wenn ich ein Schiff habe, brauche ich all das nicht
mehr. Ich will Raum-Wikinger werden.«
Das brachte ihm Harkamans laute Zustimmung
ein. Grauffis sah ihn mit leicht geöffnetem Munde an.
»Lucas Trask – Raum-Wikinger?« fragte er. »Jetzt
habe ich alles gehört.«
Nun, warum nicht? Er hatte die Auswirkungen der
Wikinger-Überfälle auf die Schwert-Welten beklagt,
weil Gram eine Schwert-Welt war. Und Traskon lag
auf Gram, und Traskon hätte die Heimat sein sollen,
wo er und Elaine leben wollten und wo ihre Kinder
und Kindeskinder würden geboren werden. Aber das
Fundament, auf dem alles geruht hatte, es war nun
zerstört.
»Das war ein anderer Lucas Trask, Rovard. Der ist
jetzt tot.«
6
Grauffis entschuldigte sich dafür, Herzog Angus über
Televisor angesprochen zu haben. Offenbar hatte
Angus alles liegen und stehen lassen, als er hörte was
sein Gefolgsmann ihm zu berichten hatte. Harkaman
schwieg, bis Grauffis gegangen war, und sagte dann:
»Lord Trask, ich kann Ihnen nicht sagen, wie
glücklich ich bin. Es war nicht angenehm für mich,
als Kapitän ohne Schiff auf die Großzügigkeit anderer
angewiesen zu sein. Was ich keinesfalls möchte, ist,
eines Tages mit dem Gedanken leben zu müssen, Ihr
Unglück in meinen eigenen Vorteil umgemünzt zu
haben.«
»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Wenn
jemand übervorteilt wird, dann sind Sie es. Ich brau-
che einen Raum-Kapitän, und Ihr Mißgeschick ist
mein Glück.«
Harkaman stopfte sich eine Pfeife. »Haben Sie je-
mals Gram verlassen?«
»Ich war ein paar Jahre auf der Universität von
Camelot auf Excalibur. Das war alles.«
»Nun, haben Sie irgendeine Vorstellung von dem,
was Sie erwartet?« Der Raum-Wikinger knipste sein
Feuerzeug an und zog an seiner Pfeife. »Sie wissen
natürlich, wie groß die Alte Föderation ist. Das heißt,
Sie kennen die Zahlen; aber sagen Ihnen die irgend
etwas? Ich weiß, daß sogar viele Raumfahrer sich
nichts darunter vorstellen können. Wir verwenden
leichthin Zahlen wie zehn in der hundertsten Potenz,
aber gefühlsmäßig zählen wir immer noch eins, zwei,
drei, vier. Ein Schiff im Hyperraum legt etwa ein
Lichtjahr pro Stunde zurück. Von Gram nach Excali-
bur braucht man dreißig Stunden. Aber wenn Sie per
Funk die Geburt eines Sohnes von Gram nach Excali-
bur melden, er würde selbst schon Vater sein, bevor
die Nachricht dort ankommt. Die Alte Föderation, wo
Sie Dunnan suchen wollen, hat ein Volumen von
zweihundert Milliarden Kubik-Lichtjahren. Und in
diesem riesigen Raum jagen Sie nach einem Schiff
und einem Mann. Wie wollen Sie das machen, Lord
Trask?«
»Das habe ich mir noch nicht überlegt; ich weiß
nur, daß ich's tun muß. Auf irgendeiner der Basen in
der Alten Föderation werde ich seine Fährte finden.
Früher oder später.«
»Wir werden hören, wo er vor einem Jahr war, und
bis wir dort sind, ist er schon seit eineinhalb oder
zwei Jahren wieder weg. Seit über dreihundert Jahren
fallen wir in der Alten Föderation ein, Lord Trask. Ich
würde sagen, daß gegenwärtig mindestens zweihun-
dert Raum-Wikinger-Schiffe dort operieren. Warum
haben wir nicht schon lange alles abgegrast? Entfer-
nung und Flugzeit, das ist die Antwort. Wissen Sie,
Dunnan könnte an Altersschwäche sterben – und bei
Raum-Wikingern ist das nicht die normale Todesur-
sache –, bevor Sie ihn erwischen.«
»Trotzdem, ich werde ihn jagen bis an mein Ende.
Alles andere hat für mich keine Bedeutung mehr.«
»So etwas habe ich erwartet. Aber ich werde nicht
mein ganzes Leben bei Ihnen sein. Ich brauche ein ei-
genes Schiff, wie die Corisande, die ich auf Durendal
verlor. Irgendwann werde ich eines haben. Aber bis
Sie Ihr Schiff selbst befehligen können, werde ich das
für Sie tun. Das ist ein Versprechen.«
Eine feierliche Bekräftigung schien angezeigt. Lu-
cas ließ einen Roboter kommen, der ihnen Wein ein-
schenkte, und sie tranken einander zu.
Bis er kräftig genug war, um selbst auf der Werft
nach dem Rechten zu sehen, verfolgte er die Arbeit
auf dem Bildschirm und konferierte entweder per-
sönlich oder über Televisor mit Ingenieuren und Bau-
leitern. Seine Räume im Herzogspalast wurden fast
über Nacht von Krankenzimmern in Büros verwan-
delt. Die Ärzte, die ihn noch vor kurzem gedrängt
hatten, sich neuen Interessen zuzuwenden, warnten
ihn nun vor den Gefahren der Überanstrengung.
Harkaman setzte sich schließlich in ihrem Sinne ein.
»Übertreibe es nicht, Lucas.« Sie verzichteten jetzt
auf Formalitäten und duzten sich. »Du darfst die Ma-
schinerie nicht überbeanspruchen, bevor sie wieder
ganz in Ordnung ist. Wir haben genügend Zeit.
Wenn wir einfach irgendwo nach Dunnan suchen,
bringt uns das nicht weiter. Aber je länger er in der
Alten Föderation herumfährt, bevor er hört, daß wir
hinter ihm her sind, desto mehr Spuren wird er hin-
terlassen. Er wird irgendwann, irgendwo aus dem
Hyperraum kommen, und wir werden auf ihn war-
ten.«
»Glaubst du, er ist nach Tanith geflogen?«
Harkaman stand von seinem Stuhl auf und ging
minutenlang im Raum hin und her, kam dann zurück
und setzte sich wieder.
»Nein. Das war Herzog Angus' Idee, nicht seine.
Auf Tanith könnte er sowieso keine Basis errichten.
Du weißt doch, was für eine Mannschaft er hat.«
Man hatte sich sehr bemüht, Dunnans Hintermän-
ner und Komplicen festzustellen; Herzog Angus hoff-
te immer noch auf einen eindeutigen Beweis für die
Beteiligung von Omfray von Glaspyth. Dunnan hatte
eineinhalb Dutzend Leute von Gorrams Werft bei
sich, die er bestochen hatte. Einige davon waren fähi-
ge Techniker, die meisten aber Agitatoren, Unruhe-
stifter und drittklassige Kräfte. Selbst unter diesen
Umständen war Alex Gorram froh, sie loszuwerden.
Was Dunnans eigene Söldnergruppe betraf, so waren
etwa zwanzig frühere Raumfahrer darunter. Daneben
gab es eine bunte Auswahl vom Trunkenbold über
den kleinen Dieb bis zum Gewaltverbrecher. Dunnan
selbst war Astrogator, kein Ingenieur.
»Selbst für einen Routinefeldzug ist der Haufen zu
mies«, sagte Harkaman. »Niemals wären sie in der
Lage, auf Tanith eine Basis zu errichten. Wenn also
Dunnan nicht völlig wahnsinnig ist, was ich bezwei-
fle, dann ist er zu irgendeinem normalen Wikinger-
Basis-Planeten wie Hoth oder Nergal oder Dagon
oder Xochitl geflogen, um Offiziere, Ingenieure und
fähige Raumfahrer zu rekrutieren.«
»Die Roboterausrüstung und die Maschinen, die
für Tanith bestimmt waren – war das alles an Bord,
als er das Schiff in die Gewalt bekam?«
»Ja, und das ist ein weiterer Grund, warum er ver-
mutlich zu einem Planeten wie Hoth oder Nergal
oder Xochitl fliegt. Auf einem von Wikingern besetz-
ten Planeten in der Alten Föderation wird ihm das
Zeug fast in Gold aufgewogen.«
»Und wie sieht es auf Tanith aus?«
»Fast
genauso
wie
auf
Terra,
Haulteclere
oder
Flam-
berge.
Es
war
einer
der
letzten
von
der
Föderation
vor
dem
Großen
Krieg
kolonisierten
Planeten.
Niemand
weiß
genau,
was
passierte.
Es
gab
keinen
interstellaren
Krieg;
zumindest
findet
man
dort,
wo
vorher
Städte
waren,
keine
Schlackenkrater.
Wahrscheinlich
gab
es
eine
Menge
interner
Auseinandersetzungen,
nachdem
sie
die
Föderation
verlassen
hatten.
Kampfspuren
sind
noch
zahlreich
feststellbar.
Dann
kam
der
Niedergang
ihrer
Zivilisation
bis
auf
den
Stand
der
vormechani-
schen
Zeit:
Wind-
und
Wasserkraft,
auch
Tiere
als
Energiequellen.
Sie
haben
Zugtiere,
die
wie
von
Terra
importierte
Carabaos
aussehen, und ein paar kleine
Segelboote auf den Flüssen. Außerdem haben sie
Schießpulver; das scheint ja das letzte zu sein, was ir-
gendeinem Volk verlorengeht.«
»Vor fünf Jahren war ich dort. Tanith gefiel mir gut
als Basis. Es gibt einen Mond, fast ganz aus Nickelei-
sen, und Erzlager. Dann kam ich auf den blödsinni-
gen Gedanken, bei den Elmersans auf Durendal an-
zuheuern, und verlor mein Schiff. Als ich hierher
kam, hatte euer Herzog etwas mit Xipolotec vor. Ich
habe ihn davon überzeugt, daß Tanith seinen Zwek-
ken besser entspricht.«
»Dann könnte Dunnan noch dorthin geflogen sein.
Vielleicht meint er, er könne auf diese Weise Herzog
Angus eins auswischen. Immerhin hat er ja die ganze
Ausrüstung.«
»Und niemand, der mit ihr umzugehen versteht.
Wenn ich Dunnan wäre, würde ich nach Nergal oder
Xochitl fliegen. Dort sind immer ein paar Tausend
Raum-Wikinger, die ihre Beute verjubeln und es sich
zwischen ihren Raubzügen gut gehen lassen. Auf
beiden Planeten könnte er eine komplette Mannschaft
zusammenstellen. Ich schlage vor, daß wir zuerst
nach Xochitl fliegen. Vielleicht hören wir Neues von
ihm, wenn sich schon sonst nichts ergibt.«
Nun
gut,
sie
würden
es
erst
auf
Xochitl
versuchen.
Harkaman
kannte
den
Planeten
und
war
befreundet
mit
dem
Adeligen
von
Haulteclere,
der
dort
herrschte.
Auf
der
Werft
ging
die
Arbeit
weiter;
der
Bau
der
En-
terprise
hatte
ein
Jahr
gedauert,
aber
die
Stahlwerke
und
Maschinenfabriken
hatten
jetzt
ihre
Produktion
auf
volle
Touren
gebracht,
und
Material
und
Ausrü-
stung
kamen
in
ständigem
Strom.
Lucas'
Zustand
bes-
serte
sich
von
Tag
zu
Tag,
und
bald
verbrachte
er
den
größten
Teil
seiner
Zeit
auf
der
Werft
und
verfolgte
den
Einbau
der
Maschinen:
Abbot-Vertikal-
und
Horizon-
talantrieb
für
den
normalen
Raum,
Dillingham-
Hyperantrieb,
Kraftumwandler,
Pseudograph,
alles
in
der
Mitte
des
kugelförmigen
Schiffs.
Dann
kamen
die
Aufenthaltsräume
und
Werkstätten,
alle
mit
Collapsi-
um
beschichtetem
Stahl
gepanzert.
Dann
stieg
das
Schiff
zu
einer
Umlaufbahn
tausend
Meilen
über
dem
Planeten
auf,
gefolgt
von
Schwärmen
gepanzerter
Ar-
beits-
und
Zubringerschiffe;
der
Rest
der
Arbeit
war
leichter
im
Raum
zu
erledigen.
Gleichzeitig
wurden
die
vier
je
sechzig
Meter
langen
Tochterfahrzeuge
fer-
tiggestellt,
die
an
Bord
mitgeführt
werden
sollten.
Je-
des
davon
hatte
seine
eigenen
Hyperantriebsmaschi-
nen
und
die
gleiche
Reichweite
und Geschwindigkeit
wie das Schiff selbst.
Und jetzt studierte er seinen neuen Beruf eines in-
terstellaren Räubers und Mörders, gegen den er sich
einst so energisch ausgesprochen hatte. Otto Harka-
mans Männer wurden seine Lehrer. Vann Larch, Ar-
tillerie und Raketen, der auch Maler war; Guatt Kir-
bey, melancholisch und pessimistisch, der hyperap-
tiale Astrogator, der seine Musik in Wissenschaft
auszudrücken versuchte; Sharll Renner, der Normal-
raum-Astrogator, und Alvyn Karffard, der Erste Offi-
zier, der schon am längsten bei Harkaman war. Und
Sir Paytrik Morland, erst neuerdings zu Harkaman
gestoßen, der frühere Befehlshaber der Wachen von
Graf Lionel von Newhaven, der für die Bodenkämp-
fer und die Gefechtskontragravitation zuständig war.
Sie benützten die Farmen und Dörfer von Traskon für
ihre Übungen, und er stellte fest, daß, obwohl die
Nemesis – so sollte ihr Schiff heißen – nur Platz für
fünfhundert Mann Boden- und Lufttruppen bot –
über tausend ausgebildet wurden.
Er machte eine Bemerkung darüber zu Rovard
Grauffis.
»Ja. Doch erwähnen Sie draußen davon nichts«,
sagte der Gefolgsmann des Herzogs. »Sie und Sir
Paytrick und Captain Harkaman werden sich die
fünfhundert besten aussuchen. Den Rest wird der
Herzog in seine Dienste nehmen. Es wird nicht mehr
allzu lange dauern, bis Omfray von Glaspyth weiß,
was ein Raum-Wikinger-Überfall wirklich bedeutet.«
Und Herzog Angus würde Steuern von seinen
neuen Untertanen auf Glaspyth erheben, um die auf
seine neue Baronie Traskon aufgenommenen Kredite
zurückzahlen zu können. Irgendein Schriftsteller des
Voratomaren Zeitalters, den Harkaman gerne zitierte,
hatte gesagt: »Gold bringt nicht immer gute Soldaten,
aber gute Soldaten bringen immer Gold.«
Die Nemesis kehrte zur Werft zurück und ließ sich
auf ihre geschwungenen Beine nieder wie eine gigan-
tische Spinne. Die Enterprise hatte das Schwert- und
Atomsymbol der Wards getragen; die Nemesis sollte
sein eigenes Wappen führen, aber der braune Bison-
kopf auf grünem Grunde der Traskons gehörte nicht
länger ihm. Er wählte einen auf einem aufrecht ge-
stellten Schwert gespießten Schädel, und das Wappen
wurde am Schiff angebracht, bevor er und Harkaman
es zur ersten Probefahrt bestiegen.
Als sie zweihundert Stunden später wieder in der
Werft landeten, erfuhren sie, daß in ihrer Abwesen-
heit ein Frachter von Morglay nach Bigglersport ge-
kommen war und Nachrichten von Andray Dunnan
gebracht hatte. Auf Herzog Angus' dringende Bitte
hatte sich der Kapitän nach Wardshaven begeben
und erwartete sie im herzoglichen Palast.
Ein Dutzend Männer saß an dem Tisch in den Pri-
vatgemächern des Herzogs. Der Frachterkapitän, ein
kleiner Mann mit angegrautem Bart, zog abwech-
selnd an einer Zigarette und nippte an einem Glas
Brandy.
»Vor zweihundert Stunden bin ich auf Morglay ge-
startet«, sagte er. »Ich war zwölf Tage dort gewesen,
dreihundert galaktische Standardstunden, und die
Fahrt von Curtana hatte dreihundertzwanzig gedau-
ert. Dieses Schiff, die Enterprise, war dort einige Tage
vor mir gestartet. Ich würde sagen, daß es Windsor
auf Curtana jetzt zwölfhundert Stunden hinter sich
gelassen hat.«
Im Raum herrschte Stille. Die Brise ließ die Vor-
hänge an den offenen Fenstern flattern; unten im Gar-
ten zwitscherten Nachtvögel zwischen den Bäumen.
»Damit hätte ich nicht gerechnet«, sagte Harka-
man. »Ich nahm an, er würde sofort zur Alten Föde-
ration fliegen.« Er schenkte sich Wein ein. »Natürlich,
Dunnan ist verrückt. Und ein Verrückter hat manch-
mal einen Vorteil, wie ein linkshändiger Messer-
kämpfer. Er tut, was man nicht erwartet.«
»So verrückt war das gar nicht«, sagte Rovard
Grauffis.
»Wir haben sehr wenig direkten Verkehr mit Cur-
tana. Es ist reiner Zufall, daß wir jetzt von ihm hö-
ren.«
Das Glas des Frachterkapitäns war halb leer. Er
füllte es auf bis zum Rand.
»Es ist das erste Schiff von Gram, das dort seit Jah-
ren landete«, stimmte er zu. »Das erregte natürlich
Aufmerksamkeit. Auch, daß er das Wappen gewech-
selt hat und jetzt statt des Schwert- und Atomsym-
bols den blauen Halbmond zeigt. Dazu kam die Ver-
ärgerung anderer Kapitäne und Arbeitgeber darüber,
daß er ihnen Männer weggelockt hat.«
»Wieviele waren es denn, und was für welche?«
Der Mann mit dem grauen Bart zuckte die Achseln.
»Ich war zu sehr damit beschäftigt, meine Fracht für
Morglay zusammenzustellen, als daß ich mich viel
darum hätte kümmern können. Es war wohl fast eine
volle Raumschiffbesatzung, Offiziere und Raumfah-
rer aller Art. Und eine Anzahl Industrie-Ingenieure
und Techniker.«
»Dann wird er die an Bord befindliche Ausrüstung
selbst verwenden wollen und irgendwo eine Basis er-
richten«, sagte jemand.
»Wenn er Curtana vor zwölfhundert Stunden ver-
ließ, ist er noch im Hyperraum«, sagte Guatt Kirbey.
»Es sind über zweitausend Stunden von Curtana zum
nächsten Planeten der Alten Föderation.«
»Und bis Tanith?« fragte Herzog Angus. »Ich bin
sicher, daß er Kurs dorthin genommen hat. Er nimmt
an, daß ich das andere Schiff fertigstelle und ebenso
ausgerüstet wie die Enterprise losschicke; deswegen
möchte er als erster dort sein.«
»Ich hatte gedacht, Tanith würde der letzte Ort
sein, den er anfliegen würde«, sagte Harkaman, »aber
was wir gehört haben, ändert alles. Er könnte tatsäch-
lich dorthin geflogen sein.«
»Er ist verrückt, und Sie versuchen, Maßstäbe der
Logik bei ihm anzuwenden«, sagte Guatt Kirbey. »Sie
überlegen sich, was Sie selbst tun würden, und Sie
sind nicht verrückt. Natürlich hatte ich manchmal
meine Zweifel, aber ...«
»Ja,
er
ist
verrückt,
und
Captain
Harkaman
stellt
das
in
Rechnung«,
sagte
Rovard
Grauffis.
»Dunnan
haßt
uns
alle.
Er
haßt
Seine
Gnaden.
Er
haßt
Lord
Lucas
und
Sesar
Karvall;
möglicherweise
nimmt
er
freilich
an,
daß
er
beide
getötet
habe.
Er
haßt
Captain
Harkaman.
Wie also kann er uns allen auf einmal einen schweren
Schlag versetzen? Indem er Tanith nimmt.«
»Sie sagten, er kaufte Proviant und Munition?«
»Ja. Patronen und Granaten, Schiffsraketen und ei-
ne Menge Boden-Luft-Raketen.«
»Womit hat er das alles gekauft? Maschinen?«
»Nein. Gold.«
»Ja. Lothar Ffayle hat festgestellt, daß Dunnan eine
Menge Gold von Banken in Glaspyth und Didreks-
burg erhalten hat«, sagte Grauffis. »Offensichtlich
brachte er es an Bord, als er das Schiff kaperte.«
»Nun gut«, sagte Lucas Trask. »Es gibt keine völli-
ge Sicherheit, aber wir haben Grund zu der Annah-
me, daß er nach Tanith fuhr. Wir wissen nicht, wie
groß unsere Chancen sind, ihn dort zu finden, jeden-
falls sind sie um einiges größer als irgendwo anders.
Tanith wird unser erstes Ziel sein.«
7
Auf dem Außenbildschirm, der grau und leer gewe-
sen war seit über dreitausend Stunden, war jetzt ein
schwindelnder Wirbel von Farbe, der unbeschreibli-
chen Farbe eines zusammenbrechenden Hyperraum-
Feldes. Trask bemerkte, daß er den Atem anhielt, wie
Otto Harkaman neben ihm. Offenbar war dies etwas,
woran man sich nicht gewöhnen konnte. Sogar Guatt
Kirbey, der Astrogator, biß erregt auf seiner Pfeife
herum, während er auf den Schirm starrte.
Dann, auf einmal, erschienen die Sterne, die vorher
einfach nicht dagewesen waren, und erfüllten den
Schirm vor dem schwarzsamtenen Hintergrund des
normalen Raumes mit gleißendem Licht. Genau in
der Mitte, heller als die anderen, brannte gelb Ertados
Stern, die Sonne von Tanith. Ihr Licht war zehn Stun-
den alt.
»Gar nicht schlecht, Guatt«, sagte Harkaman und
griff zur Tasse.
»Nicht schlecht? Gehenna, es war perfekt«, sagte
jemand anderer.
Kirbey zündete seine Pfeife wieder an. »Na, es
wird wohl gehen müssen«, sagte er. Er hatte graues
Haar und einen struppigen Schnurrbart, und nichts
war ihm jemals gut genug. »Ich wäre noch etwas nä-
her 'rangekommen. Jetzt brauchen wir drei Mikro-
sprünge, und der letzte muß ziemlich genau stim-
men. Laßt mich also in Frieden.« Er begann, Knöpfe
zu drücken.
Einen
Moment
lang
glaubte
Trask,
Andray
Dunnans
Gesicht
auf
dem
Schirm
zu
sehen.
Er
zuckte
zusam-
men,
langte
nach
einer
Zigarette
und
steckte
sie
ver-
kehrt
herum
in
den
Mund.
Als
er
sie
umgedreht
hatte
und
anzünden
wollte,
sah
er,
daß
seine
Hand
zitterte.
Otto Harkaman mußte es auch gesehen haben.
»Nur die Ruhe, Lucas«, flüsterte er. »Halt deinen
Optimismus unter Kontrolle. Wir vermuten ja nur,
daß er hier sein könnte.«
»Für mich ist es sicher. Er muß hier sein. Wir müs-
sen annehmen, daß er hier ist. Wenn wir das tun, und
es ist nicht der Fall, ist das eine Enttäuschung. Tun
wir es nicht, und er ist doch hier, ist es eine Katastro-
phe.«
Andere dachten offenbar ebenso. Das Schaltpult
der Gefechtsstation war eine einzige rot leuchtende
Fläche: Die Kontrollampen, die volle Kampfbereit-
schaft signalisierten.
»So«, sagte Kirbey. »Wir springen.«
Er packte den roten Hebel zu seiner Rechten und
riß ihn herum. Wieder war auf dem Schirm das Ko-
chen farbiger Turbulenzen; wieder erschütterten ge-
waltige, dunkle Kräfte das Schiff. Dann starrten die
Sensoren blind in ein dimensionsloses Nichts, und es
wurde grau auf dem Schirm. Und dann kamen wie-
der die farbigen Wirbel, und diesmal war Ertados
Stern, immer noch im Zentrum, eine münzengroße
Scheibe, und um ihn herum standen seine sieben Pla-
neten wie kleine Funken verstreut. Tanith war der
dritte – wie das bei den bewohnbaren Planeten eines
G-Systems meistens der Fall war. Sein einziger Mond
war auf dem Bildschirm kaum zu erkennen; er hatte
achthundert Kilometer Durchmesser und war acht-
zigtausend Kilometer von seinem Planeten entfernt.
»Was meinst du?« fragte ihn Harkaman so beflis-
sen, als wolle er die Meinung eines Experten erfahren
und nicht seinen Schüler prüfen. »Wohin sollte Guatt
uns steuern?«
»So nahe heran wie möglich natürlich.« Das würde
mindestens eine Lichtsekunde sein; wenn die Nemesis
sich aus dem Hyperraum einer Masse der Dimension
von Tanith stärker näherte, würde das kollabierende
Feld selbst sie zurückwerfen. »Wir müssen anneh-
men, daß Dunnan seit mindestens neunhundert
Stunden dort ist. In dieser Zeit könnte er auf dem
Mond eine Warnstation und vielleicht sogar eine Ra-
ketenbasis eingerichtet haben. Die Enterprise hat vier
Beiboote, genau wie die Nemesis; wäre ich an seiner
Stelle, würde ich zumindest zwei davon um den Pla-
neten herum auf Patrouillenfahrt schicken. Unterstel-
len wir also, daß wir sofort nach dem letzten Sprung
entdeckt werden, und richten wir es so ein, daß der
Mond dann direkt zwischen uns und dem Planeten
steht. Ist er besetzt, dann können wir die Basis auf
dem Weg zum Planeten ausschalten.«
»Viele Kapitäne würden versuchen, in eine Positi-
on zu gelangen, wo der Mond durch den Planeten
verdeckt ist«, sagte Harkaman.
»Und du?«
Der hochgewachsene Mann schüttelte den Kopf.
»Nein. Wenn sie auf dem Mond Raketen haben,
könnten sie sie mit Hilfe von Daten der anderen Seite
in einer Kreisbahn um den Planeten herum auf uns
abschießen, und dann wäre es schwierig für uns, zu-
rückzuschlagen. Also geradewegs drauf los. Hören
Sie, Guatt?«
»Ja. Leuchtet mir ein. Und jetzt laßt mich in Ruhe.«
Wieder erschien auf dem Schirm der rasende Wir-
bel in allen Farben. Als das Bild wieder klar wurde,
war der dritte Planet direkt im Zentrum. Sein kleiner
Mond war, fast ebenso groß, ein wenig rechts dar-
über, von der Sonne beleuchtet auf der einen, vom re-
flektierten Licht des Planeten auf der anderen Seite.
Kirbey sicherte den roten Hebel, zog die Jalousie
über die Instrumentenkonsole und versperrte sie.
»Sie sind dran, Sharll«, sagte er zu Renner, den
Normalraum-Astrogator.
»Acht Stunden bis Atmosphärenberührung«, sagte
Renner. »Das heißt, wenn wir keine Zeit dabei verlie-
ren, den Kleinen da oben abzuschießen.«
Vann Larch besah sich den Mond auf dem Tele-
schirm.
»Ich sehe nichts, was da abzuschießen wäre.«
Warum mußte das sein? dachte Trask erbittert. Vor
wenigen Minuten noch war Tanith zehneinhalb Mil-
liarden Kilometer entfernt gewesen. Vor Sekunden
noch etwa achtzig Millionen. Jetzt waren es noch
vierhunderttausend, und obwohl der Planet auf dem
Schirm zum Greifen nahe erschien, würde es noch
acht Stunden dauern, bis sie ihn erreichten.
Harkaman, der nach Belieben einschlafen konnte,
wobei irgendein sechster oder x-ter Sinn in ihm wach-
te, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schloß die
Augen. Trask wünschte, er wäre auch dazu in der
Lage gewesen. Es würde Stunden dauern, bevor ir-
gend etwas geschah, und bis dann brauchte er so viel
Ruhe wie möglich. Er trank noch mehr Kaffee, rauch-
te eine Zigarette nach der anderen, stand auf, ging im
Kommandoraum herum, kam zurück, setzte sich
wieder, starrte auf den Schirm. Der Planet schien
nicht im geringsten näherzukommen – aber er mußte
doch; sie schossen mit mehr als Fluchtgeschwindig-
keit darauf zu. Er saß da und starrte ...
Mit einem Ruck fuhr er hoch. Das Schirmbild war
jetzt viel größer. Flußläufe und die Schattenlinien von
Bergen waren deutlich sichtbar. In der nördlichen
Hemisphäre mußte der Herbst begonnen haben; bis
zum sechzigsten Breitengrad gab es Schnee, und ein
brauner Gürtel bildete den Übergang zu den grünen
Flächen im Süden. Harkaman saß da und aß. Auf der
Uhr war es vier Stunden später.
»Gut geschlafen?« fragte er. »Wir empfangen jetzt
Signale. Nicht viel, aber etwas. Innerhalb von fünf
Jahren, seit ich das letzte Mal da war, können die
Leute das nicht gelernt haben.«
Wenn Raum-Wikinger entzivilisierte Planeten
heimsuchten, eignete sich deren Bevölkerung ziem-
lich rasch Bruchstücke technischer Kenntnisse an. In
den vier müßigen Monaten ihrer Fahrt durch den
Hyperraum hatte er häufig Geschichten gehört, die
das bestätigten. Von der Stufe aus, auf die Tanith ge-
sunken war, wäre der Schritt zur elektronischen
Kommunikation für einen Zeitraum von fünf Jahren
entschieden zu groß gewesen.
»Sie haben doch keine Männer verloren, oder?«
Das gab es häufig – Männer, die bei einheimischen
Frauen blieben oder sich mit ihren Mannschaftska-
meraden überworfen hatten, Männer auch, die ein-
fach blieben, weil der Planet ihnen gefiel. Wegen ih-
rer Fähigkeit und Kenntnisse waren sie bei den Ein-
heimischen stets willkommen.
»Nein, dazu waren wir nicht lange genug da. Nur
dreihundertfünfzig Stunden. Was über Funk herein-
kommt, stammt nicht von den Einheimischen; irgend
jemand muß da noch außer ihnen sein!«
Wieder sah Lucas zu den Signallampen der Ge-
fechtsstation hinüber. Alle leuchteten rot. Gefechts-
klar. Er ließ seinen Messe-Roboter kommen, wählte
ein paar Gerichte aus und begann zu essen. Nach
dem ersten Bissen fragte er Alvyn Karffard: »Weiß
Paul irgend etwas Neues?«
Karffard sah nach. Ein kleiner Antigravitationsfeld-
Verzerrungseffekt. Noch war man zu weit entfernt,
um Genaueres sagen zu können. Er wandte sich wie-
der seiner Mahlzeit zu. Beim Kaffee angelangt, zün-
dele er sich eine Zigarette an, als ein rotes Licht auf-
leuchtete und eine Stimme aus einem der Lautspre-
cher rief:
»Ortung! Ortung vom Planeten aus! Radar und
Mikrowellen!«
Karffard begann, rasch in ein Telefon zu sprechen;
Harkaman nahm einen zweiten Hörer und lauschte.
»Kommt von einem bestimmten Punkt, ungefähr
zwanzig fünfzig nördlicher Breite«, sagte er. »Könnte
von einem Schiff sein, das sich hinter dem Planeten
versteckt. Auf dem Mond ist gar nichts.«
Schneller und schneller schienen sie sich dem Pla-
neten zu nähern. Allerdings schien es nur so: das
Schiff verlangsamte seine Fahrt, um in eine Kreisbahn
einzuschwenken, doch schuf die abnehmende Ent-
fernung die Illusion wachsender Geschwindigkeit.
Wieder leuchtete ein Warnlicht auf.
»Schiff geortet! Knapp außerhalb der Atmosphäre;
kommt von Westen um den Planeten herum.«
»Ist es die Enterprise?«
»Das ist noch nicht festzustellen«, sagte Karffard
und rief plötzlich: »Da ist es, auf dem Schirm, dieser
Funke, etwa dreißig Grad nördlich, gerade über der
Westseite.«
Auch an Bord dieses unbekannten Schiffes würden
jetzt Lautsprecher verkünden: »Schiff geortet!« und
auf der Gefechtsstation würden die roten Lampen
leuchten. Und Andray Dunnan am Kommandopult ...
»Es funkt uns an.« Das war Paul Koreffs Stimme,
die aus dem Lautsprecher kam. »Schwert-Welt-
Standard-Impuls-Code. Frage: ›Welches Schiff sind
Sie?‹ Nennt seine Televisorkombination. Bittet um
Antwort.«
»Na schön«, sagte Harkaman, »seien wir höflich
und antworten wir. Wie lautet die Kombination?«
Koreffs Stimme nannte sie, und Harkaman gab sie
ein. Sofort wurde es hell auf dem Kommunikations-
schirm vor ihnen. Trask zog einen Stuhl neben den
von Harkaman und umklammerte die Armlehnen.
Würde es Dunnan selbst sein, und wie würde er rea-
gieren, wenn er erkannte, wem er sich auf dem
Schirm gegenübersah?
Es dauerte ein wenig, bis er erkannte, daß das an-
dere Schiff keineswegs die Enterprise war. Die Enter-
prise war die Zwillingsschwester der Nemesis; ihr
Kommandoraum war identisch mit seinem eigenen.
Dieses Schiff war anders eingerichtet und ausgestat-
tet. Die Enterprise war neu; dieses Schiff war alt und
hatte bestimmt jahrelang unter einem nachlässigen
Kapitän und einer schlampigen Mannschaft gelitten.
Und der Mann auf dem Schirm war nicht Andray
Dunnan oder irgend jemand anderer, den Lucas
schon jemals gesehen hatte. Sein Gesicht war dunkel,
und eine alte Narbe erstreckte sich vom linken Auge
über die ganze Wange. Vor ihm stand ein Aschenbe-
cher mit einer Zigarre, aus der ein dünner Rauchfa-
den aufstieg, und Kaffee dampfte in einem reich ver-
zierten, aber leicht verbeulten Silberbecher daneben.
Der Mann grinste fröhlich. »Oh! Captain Harkaman
von der Enterprise, wenn ich nicht irre; willkommen
auf Tanith. Wer ist der Gentleman bei Ihnen? Doch
nicht der Herzog von Wardshaven, oder?«
TANITH
1
Mit einem raschen Blick auf den Kontrollschirm ver-
gewisserte sich Lucas, daß seine Miene ihn nicht ver-
riet. Neben ihm rief Harkaman lachend:
»Oh, Captain Valkanhayn – welch unerwartetes
Vergnügen! Sie sind an Bord der Geißel des Weltraums,
nehme ich an? Was machen Sie auf Tanith?«
Eine Stimme aus einem der Lautsprecher meldete,
daß ein zweites Schiff über dem Nordpol geortet
worden sei. Valkanhayn lächelte zufrieden.
»Das ist Garvan Spasso mit der Lamia«, sagte er.
»Und was wir hier tun? Wir haben diesen Planeten
übernommen. Und wir beabsichtigen auch, ihn zu
behalten.«
»So! Sie und Garvan haben sich also zusammenge-
tan. Sie beide sind wirklich für einander geschaffen.
Und jetzt haben Sie einen Planeten, ganz für sich al-
lein. Freut mich so sehr für Sie beide. Und was holen
Sie da heraus – außer Geflügel?«
Die Selbstsicherheit des anderen schien ein wenig
erschüttert, aber er nahm sich zusammen.
»Machen Sie keine Witze; wir wissen, warum Sie
hier sind. Aber wir waren zuerst da. Tanith ist unser
Planet. Glauben Sie, Sie können ihn uns wieder weg-
nehmen?«
»Ja, das kann ich, und Sie wissen es!« entgegnete
Harkaman.
»Ihre beiden Schiffe zusammen sind uns an Feuer-
kraft unterlegen; sogar unseren Tochterschiffen wäre
die Lamia nicht gewachsen. Die einzige Frage ist, wol-
len wir überhaupt?«
Von seiner Überraschung hatte sich Lucas jetzt er-
holt, nicht aber von seiner Enttäuschung. Wenn die-
ser Bursche die Nemesis für die Enterprise hielt ... Be-
vor er sich selbst daran hindern konnte, hatte er den
Gedanken laut zu Ende gedacht.
»Die Enterprise ist also gar nicht hier gewesen!«
»Sind Sie denn nicht an Bord der Enterprise?« rief
der Mann auf dem Schirm erstaunt.
»Oh, nein. Verzeihen Sie mein Versäumnis, Cap-
tain Valkanhayn«, entschuldigte sich Harkaman.
»Dies ist die Nemesis. Der Gentleman neben mir, Lord
Lucas Trask, ist ihr Eigner, für den ich das Komman-
do ausübe. Lord Trask, Captain Boake Valkanhayn
von der Geißel des Weltraums. Captain Valkanhayn ist
ein Raum-Wikinger.« Er sagte das, als erwartete er,
seine Worte würden in Zweifel gezogen. »Auch sein
Kompagnon, Captain Spasso, dessen Schiff sich uns
nähert – das soll also heißen, daß die Enterprise gar
nicht hier war?«
Valkanhayns Stimme klang verwundert und etwas
besorgt:
»Bedeutet das, daß der Herzog von Wardshaven
zwei Schiffe besitzt?«
»Soviel ich weiß, hat der Herzog von Wardshaven
überhaupt kein Schiff«, entgegnete Harkaman. »Die-
ses Schiff ist das Eigentum von Lord Trask. Die Enter-
prise, nach der wir suchen, steht im Besitz und unter
dem Kommando eines gewissen Andray Dunnan.«
Der Mann mit dem Narbengesicht hatte seine Zi-
garre aufgenommen und zog mechanisch daran.
Dann nahm er sie wieder aus dem Mund, als frage er
sich, wie sie überhaupt dort hingekommen sei.
»Aber hat der Herzog von Wardshaven nicht ein
Schiff hierhergeschickt, um eine Basis einzurichten?
Das haben wir jedenfalls gehört. Wir hörten auch, Sie
seien von Flamberge nach Gram gegangen, um ein
Kommando für ihn zu übernehmen.«
»Wo haben Sie das gehört? Und wann?«
»Auf Hoth. Muß etwa zweitausend Stunden her
sein; ein Gilgamescher brachte die Nachricht von Xo-
chitl.«
»Nun, in Anbetracht dessen, daß sie aus fünfter
oder sechster Hand kam, war Ihre Information nicht
falsch, als sie noch frisch war. Immerhin war sie ein-
einhalb Jahre alt, als Sie sie erhielten. Wie lange sind
Sie schon hier auf Tanith?«
»Etwa tausend Stunden.«
Harkaman schüttelte betrübt den Kopf. »Tut mir
leid, daß Sie Ihre Zeit so unnütz vergeudet haben.
Nun, hat mich gefreut, wieder mal mit Ihnen zu spre-
chen, Boake. Grüßen Sie Garvan von mir.«
»Was denn, Sie bleiben nicht?« War Valkanhayn
erschreckt – eine seltsame Reaktion für einen Mann,
der eben noch mit einem erbitterten Kampf hatte
rechnen müssen? »Sie machen sich sofort wieder auf
den Weg?«
Harkaman zuckte die Achseln. »Was sollen wir
hier, Lord Trask? Offenkundig befindet sich die En-
terprise anderswo. Sie war noch im Hyperraum, als
Captain Valkanhayn und sein Kompagnon hier an-
kamen.«
»Gibt es hier irgend etwas, was unser Bleiben loh-
nen würde?« Das schien die Antwort zu sein, die
Harkaman erwartet hatte. »Das heißt, außer Geflü-
gel?«
Harkaman schüttelte den Kopf. »Es ist Captain
Valkanhayns Planet; seiner und Captain Spassos. Sol-
len sie ihn doch behalten.«
»Aber hören Sie: Das ist ein interessanter Planet. Es
gibt eine große Stadt, mit vielleicht zehn- oder zwan-
zigtausend Leuten; Tempel und Paläste und alles.
Dann gibt es ein paar Städte der Alten Föderation.
Diejenige, wo wir sind, ist in gutem Zustand, und sie
hat einen großen Raumhafen. In den haben wir schon
viel Arbeit investiert. Und die Einheimischen machen
keinerlei Schwierigkeiten. Alles, was sie haben, sind
Speere, Pfeile und Bogen und Luntengewehre ...«
»Ich weiß. Ich bin schon hier gewesen.«
»Nun, könnten wir nicht ein Übereinkommen tref-
fen?« fragte Valkanhayn. Ein bettelnder Ton war in
seine Stimme gekommen. »Ich kann Garvan auf den
Schirm bekommen und zu Ihnen weiterschalten ...«
»Wir haben eine Menge Schwert-Welt-Waren an
Bord«, sagte Harkaman. »Für einiges davon könnten
wir Ihnen gute Preise machen. Wie sieht es bei Ihnen
mit Roboteranlagen aus?«
»Aber bleiben Sie denn nicht hier?« Valkanhayn
war fast in Panik geraten. »Hören Sie, ich werde mit
Garvan reden, wir können uns alle hier zusammen-
tun. Entschuldigen Sie mich nur für eine Minute ...«
Sobald er sich ausgeschaltet hatte, warf Harkaman
den Kopf zurück und lachte los, als hätte er eben den
lustigsten Witz der ganzen Galaxis gehört. Trask
selbst war nicht nach Lachen zumute.
»Da komme ich nicht mit«, gab er zu. »Unsere
Fahrt hierher war umsonst.«
»Tut mir leid, Lucas.« Harkaman hatte sich immer
noch nicht beruhigt. »Ich weiß, daß wir einen Reinfall
erlebt haben – aber dieses Paar schlitzäugige Hüh-
nerdiebe! Fast könnten sie mir leid tun, wenn es nicht
so komisch wäre.« Wieder mußte er lachen. »Weißt
du, was sie vorhatten?«
Trask schüttelte den Kopf. »Wer sind sie?«
»Wie ich schon sagte, ein paar Hühnerdiebe. Sie
überfallen Planeten wie Set, Hertha und Melkarth, wo
die Einheimischen nichts in der Hand haben, womit
sie kämpfen könnten – oder aber etwas, worum es
sich zu kämpfen lohnt. Ich wußte nicht, daß sie sich
zusammengetan hatten, aber es leuchtet ein. Nie-
mand anders würde sich einen von ihnen zum Kom-
pagnon nehmen. Irgendwie müssen sie von Herzog
Angus' geplanter Tanith-Expedition Wind bekommen
haben, und sie rechneten sich aus, ich würde sie,
wenn sie zuerst hier wären, lieber an der Sache betei-
ligen, als es auf einen Kampf ankommen zu lassen.
Wahrscheinlich hätte ich das auch getan. Immerhin
haben sie ja Schiffe, und irgend etwas bringen sie
schon zuwege. Jetzt aber wird es keine Basis auf Ta-
nith geben, und die beiden haben einen wertlosen
Planeten, auf dem sie sitzenbleiben.«
»Können sie nicht selbst irgend etwas daraus ma-
chen?«
»Aber was denn?« fragte Harkaman. »Sie haben
weder Ausrüstung noch Männer. Nicht für einen Job
wie diesen. Das einzige, was sie tun können, ist, sich
wieder davonzumachen und die ganze Sache zu ver-
gessen.«
»Wir könnten ihnen eine Ausrüstung verkaufen.«
»Das könnten wir, wenn sie irgend etwas hätten,
um zu bezahlen. Das haben sie nicht. Aber wir wer-
den landen und unseren Männern Gelegenheit geben,
Boden unter die Füße zu bekommen und für eine
Weile einen Himmel zu sehen. Die Mädchen hier sind
auch nicht schlecht«, sagte Harkaman. »Soweit ich
mich erinnern kann, nehmen einige davon sogar hin
und wieder ein Bad.«
»So werden also alle Informationen aussehen, die
wir über Dunnan kriegen. Sobald wir dort ankom-
men, wo er sein soll, ist er schon wieder ein paar tau-
send Lichtjahre entfernt«, sagte Lucas mißmutig.
»Aber ich bin einverstanden; wir sollten den Män-
nern hier eine Möglichkeit geben, sich die Beine zu
vertreten. Die beiden da draußen werden uns keine
Schwierigkeiten machen.«
Die drei Schiffe steuerten auf einen Punkt fünfund-
zwanzigtausend Kilometer von dem Planeten ent-
fernt und oberhalb der Schattengrenze zu. Die Geißel
des Weltalls trug als Wappen eine gepanzerte Faust,
die einen Kometen beim Kopf packte; es sah mehr
wie ein Handbesen aus denn wie eine Geißel. Die La-
mia hatte eine aufgerollte Schlange mit Kopf, Armen
und Oberkörper einer Frau als Zeichen. Valkanhayn
und Spasso hatten noch nicht wieder von sich hören
lassen, und Lucas fragte sich, ob sie etwa beabsichtig-
ten, die Nemesis in die Zange zu manövrieren. Er be-
merkte dies zu Harkaman und Alvyn Karffard, doch
beide lachten nur.
»Diese Besprechung kann noch Stunden dauern«,
sagte Karffard.
»Ja. Valkanhayn und Spasso sind nicht die Eigen-
tümer ihrer Schiffe«, erklärte Harkaman. »Für Be-
triebskosten und Ersatzteile haben sie sich dermaßen
bei ihrer Mannschaft verschuldet, daß alles jetzt allen
gehört. Und so sehen die Schiffe auch aus. Eigentlich
kommandieren die beiden nicht einmal; sie sitzen nur
gewählten Kommandoräten vor.«
Endlich hatten sie die beiden sogenannten Kom-
mandeure auf dem Schirm. Garvan Spasso war ein
kleiner, ziemlich kahlköpfiger Mann. Seine Augen
standen ein wenig zu eng beieinander, und sein dün-
ner Mund hatte einen hinterhältigen Zug. Er begann
sofort zu sprechen:
»Captain, Boake sagt mir, daß Sie nicht im Auftrag
des Herzogs von Wardshaven hier sind.« Er sagte es
unmutig, fast anklagend.
»Das stimmt«, sagte Harkaman. »Wir sind hierher
gekommen, weil Lord Trask annahm, ein anderes
Schiff von Gram, die Enterprise, sei hier. Nachdem das
aber nicht der Fall ist, ist unser Verbleiben hier sinn-
los. Wir hoffen jedoch, daß Sie nichts einzuwenden
haben, wenn wir landen und unseren Leuten ein paar
hundert Stunden Auslauf geben. Sie waren jetzt drei-
tausend Stunden im Hyperraum.«
»Siehst du!« schrie Spasso. »Mit diesem Trick
möchte er erreichen, daß wir ihn landen lassen ...«
»Captain Spasso«, unterbrach ihn Trask. »Beleidi-
gen Sie nicht die Intelligenz aller Beteiligten – auch
nicht Ihre eigene.« Spasso starrte ihn an. »Mir ist klar,
was Sie hierhergeführt hat«, fuhr Lucas fort. »Sie er-
warteten, Captain Harkaman würde hier eine Basis
für den Herzog von Wardshaven einrichten, und Sie
glaubten, daß, wenn Sie vor ihm hier sein würden, er
Sie lieber in die Dienste des Herzogs nehmen würde,
als bei Ihrer Vernichtung Munition zu verschwenden
und Schäden in Kauf zu nehmen. Nun, tut mir leid,
Gentlemen. Captain Harkaman steht in meinen Dien-
sten, und ich habe nicht das mindeste Interesse, eine
Basis auf Tanith zu erstellen.«
»Ich verstehe schon!« schrie Spasso. »Es gibt zwei
Schiffe, die Enterprise und dieses. Der Herzog von
Wardshaven hat die Enterprise bauen lassen, und ir-
gend jemand anderer dieses Schiff hier. Beide wollen
hier eine Basis errichten!«
»Aber natürlich können Sie landen, Otto«, sagte
Valkanhayn. »Ich weiß, wie es ist, dreitausend Stun-
den im Hyper zu sein.«
»Sie sind bei dieser alten Stadt mit den zwei hohen
Turmgebäuden, nicht wahr?« fragte Harkaman. »Um
Mitternacht
müßten
wir
dort
sein.
Was
macht
der
Raumhafen
jetzt?
Als
ich
dort
war,
sah
er
ziemlich
übel
aus.«
»Oh, wir haben ihn hergerichtet. Ein ganzes Re-
giment Einheimische arbeitet für uns ...«
Aus Otto Harkamans Beschreibungen und durch
die Bilder, die Vann Larch während des langen
Sprungs von Gram gemalt hatte, war ihnen die Stadt
nicht unvertraut. Als sie näherkamen, machte sie ei-
nen imposanten Eindruck mit den fast tausend Meter
hohen Zwillingstürmen und dem großen, achteckigen
Raumhafen. Nach und nach freilich wich die Illusion
einer lebenden Stadt. Zwischenräume zwischen den
Häusern waren von Gebüschen überwuchert. Früher
einmal hatte es drei der hohen Gebäude gegeben, die
buchstäblich vertikale Städte für sich waren. Doch wo
das dritte gestanden hatte, war jetzt nur noch ein tie-
fer Krater, umgeben von einem Wall von Trümmern.
Eine mittelschwere Rakete von etwa zwanzig Kilo-
tonnen mußte hier eingeschlagen haben. Am äußeren
Rand des Raumhafens hatte ein ähnlicher Treffer
Narben hinterlassen.
Der Rest der Stadt schien eher an Vernachlässigung
denn auf Grund von Gewaltanwendung zu sterben.
Mit Sicherheit war das Gebiet nicht zusammenge-
bombt worden. Der Kampf mußte hauptsächlich mit
Subneutronen- oder Omega-Strahlenbomben durch-
geführt worden sein, vermutete Lucas, welche die
Menschen töteten, ohne sonst Schaden anzurichten.
Oder mit Bio-Waffen, einer von Menschen geschaffe-
nen Pest, die außer Kontrolle geraten war und den
Planeten mehr oder weniger entvölkert hatte.
Als die Tochterschiffe die Nemesis zu ihrem Lande-
platz bugsierten, konnte er tief unten im Hafen Leute
an der Arbeit sehen. Entweder hatten Valkanhayn
und Spasso mehr Männer, als die Größe ihrer Schiffe
vermuten ließ, oder es mußte eine große Menge Ein-
heimischer für sie arbeiten. Mehr als die ganze Bevöl-
kerung der sterbenden Stadt, zumindest soweit Har-
kaman sich erinnern konnte.
Im ganzen waren es etwa fünfhundert gewesen; sie
lebten davon, daß sie Schrott aus den alten Gebäuden
gruben und gegen Lebensmittel, Textilien, Pulver
und ähnliche Dinge, die sie von anderswoher beka-
men, eintauschten.
»Ich beneide die armen Hunde nicht«, sagte Har-
kaman und sah auf das ameisenartige Gewimmel
hinunter. »Vermutlich haben Valkanhayn und Spasso
sie zu Sklaven gemacht. Wenn ich wirklich eine Basis
hier einrichten wollte, wäre ich den beiden nicht ge-
rade dankbar für die Public-Relations-Arbeit, die sie
hier bei den Leuten geleistet haben.«
2
Spasso und Valkanhayn und ein paar ihrer Offiziere
empfingen sie vor dem großen Gebäude in der Mitte
des Hafens. Ihr Weg führte sie durch eine lange Vor-
halle, vorbei an Frauen und Männern, die mit ihren
Händen oder mit Schaufeln Unrat vom Boden aufho-
ben und in einen Behälter warfen. Beide Geschlechter
trugen unförmige Gewänder aus grobem Stoff und
flache Sandalen.
Überwacht wurden sie von einem weiteren Ein-
heimischen mit einem kurzen Schwert im Gürtel und
einer Peitsche in der Hand. Er trug einen Raum-
Wikinger-Helm mit dem Wappen von Spassos Lamia.
Als sie an ihm vorübergingen, verbeugte er sich, wo-
bei er die Hand zur Stirn führte. Danach konnten sie
hören, wie er die anderen anschrie und wie seine
Peitsche klatschte.
Man kann Sklaven aus Menschen machen, und
manche davon werden zu Sklaventreibern; sie beu-
gen sich vor ihrem Herrn und lassen es dann die an-
deren entgelten. Harkaman rümpfte die Nase, als sei
ein Stück verfaulten Fisches in seinem Schnurrbart
hängengeblieben.
»Wir haben etwa achthundert davon. Dreihundert
nur waren tauglich für irgendeine Arbeit hier: den
Rest haben wir in Dörfer am Ufer des großen Flusses
geschickt«, erklärte Spasso.
»Und wie beschaffen Sie Nahrungsmittel für sie?«
fragte Harkaman. »Oder kümmern Sie sich gar nicht
darum?«
»Oh, die holen wir uns von überall her«, erwiderte
Valkanhayn.
»Wir senden Teams los mit Landeschiffen. Sie flie-
gen zu einem Dorf, treiben die Bewohner hinaus, ho-
len sich, was an Brauchbarem zu finden ist, und brin-
gen es hierher. Hin und wieder kommt es zu einem
Kampf, aber alles, was sie haben, sind ein paar Bogen
und etliche Vorderlader. Wenn sie sich widersetzen,
brennen wir das Dorf nieder und erschießen altes,
was sich bewegt.«
»So ist es richtig«, sagte Harkaman sarkastisch.
»Wenn die Kuh nicht gemolken werden möchte, muß
man sie erschießen. Natürlich gibt sie dann nicht
mehr allzu viel Milch, aber ...«
Der Raum, in den ihre Gastgeber sie führten, be-
fand sich am anderen Ende der Halle. Wahrscheinlich
war er einmal so etwas wie ein Konferenzraum mit
getäfelten Wänden gewesen, doch die Vertäfelung
war schon lange verschwunden. Überall hatte man
Löcher in die Mauern geschlagen, und er bemerkte,
daß die Tür fehlte und daß die Metallschiene, auf der
sie gelaufen war, herausgerissen worden war.
In der Mitte des Raumes war ein großer Tisch, um
ihn herum Stühle und Liegen mit farbigen Überzü-
gen. Das ganze Mobiliar war handgemacht und auf
Hochglanz gewienert. An den Wänden hingen Beu-
tewaffen; Lanzen und Speere, Bogen und Schwerter,
und eine Anzahl schwere Gewehre, klobig, doch
sorgfältig gefertigt.
»Haben Sie das von den Einheimischen?« fragte
Harkaman.
»Ja, das meiste davon stammt aus einer großen
Stadt unten an der Flußgabelung«, sagte Valkanhayn.
»Die haben wir uns ein paar Mal vorgenommen.
Auch die Kerle, die wir als Aufseher beschäftigen,
kommen von dort.«
Er nahm einen Schlegel mit ledernem Kopf, schlug
auf einen Gong und rief nach Wein. Von irgendwoher
antwortete eine Stimme: »Ja, Herr, ich komme!« Au-
genblicke später erschien eine Frau, die in jeder Hand
einen Krug trug. Anstelle der poncho-artigen Um-
hänge der anderen Sklaven trug sie einen blauen Ba-
demantel, der ihr um einige Nummern zu groß war.
Sie hatte dunkelbraunes Haar und blaue Augen: wäre
sie nicht so verängstigt gewesen, man hätte sie schön
nennen können. Sie stellte die Krüge auf den Tisch
und holte Silberbecher aus einem Schrank; als Spasso
sie entließ, ging sie hastig hinaus.
»Es wäre wohl albern zu fragen, ob Sie diesen Leu-
ten irgend etwas bezahlen für die Arbeit, die sie tun,
oder für die Sachen, die Sie ihnen wegnehmen«, sagte
Harkaman. Nach der Art zu schließen, wie die Män-
ner von der Geißel des Weltraums und der Lamia lach-
ten, war es auch so. Harkaman zuckte die Achseln.
»Nun, es ist ihr Planet. Hier können Sie Unheil stiften,
so viel Sie wollen.«
»Glauben Sie denn, wir sollten sie bezahlen?«
staunte Spasso ungläubig. »Diese verdammte Horde
von Wilden! Sollen wir die vielleicht verhätscheln?«
»Etwas anderes wird Ihnen gar nicht übrig blei-
ben«, entgegnete Harkaman. »Sie haben zwei Schiffe.
Mit einem nur können Sie auf Raubzug gehen; das
andere muß hier bleiben, um den Planeten zu halten.
Fliegen Sie beide weg, werden die Einheimischen, die
Sie auf jede nur mögliche Art drangsalieren, sich über
alle Leute hermachen, die Sie zurücklassen. Lassen
Sie aber niemand zurück, wozu soll dann eine plane-
tarische Basis gut sein?«
»Nun, warum tun Sie sich nicht mit uns zusam-
men?« ließ Spasso endlich die Katze aus dem Sack.
»Mit unseren drei Schiffen zusammen könnten wir
einiges auftun.«
Harkaman schaute ihn fragend an. »Die Gentle-
men«, sagte Trask, »drücken sich nicht ganz korrekt
aus. Sie meinen: Warum gestatten wir ihnen nicht,
sich uns anzuschließen?«
»Bitte, wenn es Ihnen so lieber ist«, sagte Valkan-
hayn etwas kleinlaut. »Wir geben zu, daß Ihre Neme-
sis dabei die Hauptsache wäre. Aber warum nicht?
Drei Schiffe; wir könnten hier eine richtige Basis ha-
ben. Nicky Grathams Vater hatte nur zwei, als er auf
Jaganath anfing, und wenn man bedenkt, was die
Grathams jetzt haben ...«
»Sind wir interessiert?« fragte Harkaman.
»Ich fürchte, nicht allzu sehr. Natürlich sind wir
eben erst gelandet; vielleicht bietet Tanith große Mög-
lichkeiten. Es wird wohl am besten sein, wir vertagen
die Entscheidung und schauen uns erst einmal um.«
Sterne standen am Himmel, und am westlichen Hori-
zont leuchtete silbern der Mond. Es war nur ein klei-
ner Mond, aber er war nahe. Lucas ging zum Rand
des Beobachtungsdecks. Der Lärm von drinnen, wo
die Mannschaft der Nemesis mit den Besatzungen der
Lamia und der Geißel des Weltraums feierte, wurde
schwächer. Im Süden bewegte sich ein Stern: Eines
der Tochterschiffe, das sich auf Wache befand. Tief
unten flackerten Feuer, und er hörte Gesang. Plötz-
lich begriff er, daß es die armen Teufel von Einheimi-
schen waren, die Valkanhayn und Spasso zu Sklaven
gemacht hatten.
»Haben Sie schon genug vom Zauber des Raum-
Wikingertums, Lucas?«
Er wandte sich um. Es war Baron Rathmore, der
für etwa ein Jahr mitgekommen war und dann von
irgendeinem Basisplaneten nach Hause zurückkehren
und politisches Kapital aus seiner Reise schlagen
wollte.
»Im Augenblick, ja. Die Kerle hier sollen aber nicht
typisch sein.«
»Ich hoffe nicht. Sie sind ein Haufen brutaler Sadi-
sten, und Schweine obendrein.«
»Nun, über Brutalität und schlechte Manieren
könnte ich noch hinwegsehen, aber Spasso und Val-
kanhayn sind ein paar schäbige kleine Betrüger, und
dumm sind sie außerdem. Wenn Dunnan vor uns
hierher gekommen wäre, hätte er eine gute Tat in sei-
nem abscheulichen Leben tun können. Ich kann nicht
verstehen, wieso er nicht hierher kam.«
»Ich denke, das wird er noch tun«, sagte Rathmore.
»Ich kannte ihn, und ich kannte Nevil Ormm. Ormm
ist ehrgeizig, und Dunnan ist wahnsinnig rachsüchtig
...« Er unterbrach sich mit bitterem Lachen. »Ausge-
rechnet Ihnen erzähle ich das!«
»Warum ist er dann nicht direkt hierher geflogen?«
»Vielleicht will er keine Basis auf Tanith. Das wäre
ja etwas Konstruktives; Dunnan ist ein Zerstörer. Ich
glaube, er fuhr mit seiner ganzen Fracht irgendwohin
und verkaufte sie. Möglicherweise wird er warten, bis
er annehmen kann, daß das andere Schiff fertig ist.
Dann kommt er und schießt alles in Fetzen, so wie ...«
Er verstummte abrupt.
»So wie auf meiner Hochzeit; ich denke die ganze
Zeit daran.«
Am
nächsten
Morgen
nahmen
Lucas
und
Harkaman
einen
Aircar,
um
die
Stadt
an
der
Flußgabelung
in
Au-
genschein
zu
nehmen.
Sie
war
vollkommen
neu
in
dem
Sinn,
daß
sie
seit
dem
Zusammenbruch
der
Föderation
und
dem
Verlust
zivilisierter
Technologie
gebaut
wor-
den
war.
Generationen
mußten
mit
Spaten
und
Och-
senkarren
daran
gearbeitet
haben.
Wenn
man
aus
einer
Zivilisation
kam,
die
Antischwerkraft
und
Antriebssy-
steme
aller
Art
kannte,
wirkte
die
Stadt nicht beein-
druckend. Die Einheimischen nannten sie einfach
Tradetown.
Als sie sich näherten, dröhnte ein riesiger Gong,
und mit einer weißen Rauchwolke folgte der Knall
eines Signal-Mörsers. Boote wurden hastig zu Wasser
gelassen; durch das Fernglas konnten sie sehen, wie
Leute auf den umgebenden Feldern herumliefen und
Vieh vor sich hertrieben. Als sie über der Stadt waren,
war niemand mehr zu sehen. Ein Teil der Stadt war
niedergebrannt, und auch Geschoßeinschläge waren
zu sehen. Leichte chemische Sprengstoffe; selbst für
Valkanhayn und Garvan war diese Stadt eine zu gute
Kuh, als daß sie sie hätten schlachten wollen, bevor
sie restlos gemolken war.
Langsam kreisten sie in einer Höhe von dreihun-
dert Metern. Als sie wieder abdrehten, stieg schwar-
zer Rauch von Gebäuden am Stadtrand auf, die Töp-
fereien oder Ziegelbrennereien sein mochten. Auch
außerhalb der Stadt stiegen an beiden Flußufern
schwarze Rauchsäulen empor.
»Wenn ich mir vorstelle, wie es diesem Planeten
ergehen wird, wenn Spasso und Valkanhayn lange
hier bleiben ...« bemerkte Trask.
»Wäre
auf
längere
Sicht
vielleicht
gar
nicht
schlecht.
Was
auf
lange
Sicht
gut
ist,
ist
oft
für
den
Augenblick
hart.
Aber
ich
weiß,
was
mit
Spasso
und
Valkanhayn
passieren
wird.
Sie
werden
sich
selbst
entzivilisieren.
Und
irgendwann
sind
ihre
Schiffe
verschlissen,
und
sie
können
sie
nicht
mehr
reparieren.
Und
dann,
wenn
sie
einmal
nicht
auf
der
Hut
sind,
springen
ihnen
die
Ein-
heimischen
an
die
Gurgel
und
machen
sie
kalt.
In
der
Zwischenzeit
aber
lernen
sie eine Menge von ihnen.«
»Weißt du«, sagte Lucas schließlich, »ich werde
diesen Leuten einen Gefallen tun. Ich lasse mich von
Spasso und Valkanhayn überreden, ihnen diesen Pla-
neten abzunehmen.«
Harkaman, der am Steuer saß, fuhr herum. »Bist du
verrückt?«
»Wenn jemand eine Feststellung macht, die Sie
nicht verstehen, dann sagen Sie nicht, er sei verrückt.
Fragen Sie ihn, was er meint. Wer hat das gesagt?«
»Eins zu null«, grinste Harkaman. »Und was mei-
nen Sie, Lord Trask?«
»Ich
werde
Dunnan
nie
erwischen,
wenn
ich
immer
hinter
ihm
herfliege.
Ich
muß
ihn
irgendwo
abfangen.
Dies
hier
scheint
mir
ein
guter
Ort
zu
sein,
um
ihn
ab-
zufangen.
Wenn
er
erfährt,
daß
ich
hier
eine
Basis
habe,
greift
er
an,
früher
oder
später.
Und
selbst
wenn er das
nicht tut, erhalten wir mehr Informationen über ihn
von den Schiffen, die hier vorbeikommen, als wenn
wir überall in der alten Föderation nach ihm suchen.«
Harkaman
überlegte
einen
Moment
und
nickte
dann.
»Ja,
wenn
wir
eine
Basis
wie
auf
Nergal
oder
Xo-
chitl
einrichten
könnten«,
stimmte
er
zu.
»Vier
oder
fünf
Schiffe,
Raum-Wikinger,
Händler,
Gilgamescher
und
so
weiter,
leben
ständig
auf
diesen
beiden
Plane-
ten. Hätten wir die Ausrüstung, die Dunnan mit-
nahm, dann könnten wir so eine Basis gründen. Aber
wir haben nicht annähernd das, was wir brauchen,
und du weißt, was Spasso und Valkanhayn haben.«
»Das alles können wir von Gram holen. So, wie die
Dinge liegen, haben die Beteiligten an der Tanith-
Expedition, angefangen bei Herzog Angus, ihre gan-
ze Investition verloren. Wenn sie bereit sind, schlech-
tem Geld gutes nachzuwerfen, können sie sie zu-
rückbekommen und einen hübschen Profit oben-
drein. Und es müßte doch in nicht allzu großer Ent-
fernung Planeten geben, mit mehr als nur Ruderboo-
ten und Ochsenkarren. Von denen könnten wir uns
vieles holen, was wir brauchen.«
»Das stimmt; ich kenne ein halbes Dutzend in einer
Entfernung von weniger als fünfhundert Lichtjahren.
Aber sie sind nicht von der Art, die Spasso und Val-
kanhayn gewöhnlich plündern. Und außer Maschi-
nen gibt es Gold zu holen und wertvolle Waren, die
wir auf Gram verkaufen könnten. Wenn das alles ge-
länge, kämst du weiter, wenn du hier auf Tanith auf
Dunnan wartest, statt im Weltraum nach ihm herum-
zusuchen. Genauso haben wir auf Colada Sumpf-
schweine gejagt, als ich ein Kind war; man sucht sich
einen guten Platz, und setzt sich hin und wartet.«
Als
sie
Valkanhayn
und
Spasso
an
Bord
der
Nemesis
zum
Essen
einluden,
war
es
nicht
schwer,
das
Ge-
spräch
auf
Tanith
und
seine
Möglichkeiten
zu
bringen.
Nachdem
sie
bei
Brandy
und
Kaffee
angelangt
waren,
sagte
Trask
beiläufig:
»Zusammen,
glaube
ich,
könnten
wir schon etwas aus diesem Planeten machen.«
»Das
sage
ich
ja
schon
die
ganze
Zeit«,
unterbrach
Spasso
ihn
eifrig.
»Dies
ist
ein
wundervoller
Planet
...«
»Das könnte er werden. Vorerst bietet er nur die
Möglichkeit dazu. Zum einen brauchen wir einen
Raumhafen.«
»Na, und wo sind wir denn hier«, wollte Valkan-
hayn wissen.
»Das war einmal ein Raumhafen«, entgegnete Har-
kaman. »Und es könnte auch wieder einer werden.
Wir brauchen ein Dock, in dem wir alle nötigen
Großreparaturen durchführen können. In dem wir
sogar ein komplettes Schiff bauen können. Ich habe
noch niemals ein Schiff mit nennenswerter Fracht un-
beschädigt auf einer Wikinger-Basis landen sehen.
Prinz Viktor von Xochitl verdient sein Geld mit
Schiffsreparaturen, und Nicky Gratham auf Jaganath
und die Everrards auf Hoth ebenfalls.«
»Dann brauchen wir Maschinenfabriken, ein Stahl-
und ein Collapsiumwerk«, fügte Trask hinzu. »Au-
ßerdem eine Roboter-Erzeugung und ...«
»Aber das ist völlig unmöglich!« rief Valkanhayn.
»Ein Schiff dieser Größe müßte zwanzigmal fahren,
um all das Zeug hierher zu bringen. Und wie sollten
wir es jemals bezahlen?«
»So hatte Herzog Angus von Wardshaven die Basis
geplant. Die Enterprise, praktisch ein Duplikat der
Nemesis, führte alles dazu Nötige mit sich, als sie ge-
kapert wurde.«
»Als sie ...?«
»Jetzt wirst du den Gentlemen die Wahrheit sagen
müssen«, meinte Harkaman lachend.
»Das
will
ich
auch.«
Lucas
nahm
einen
Schluck
Brandy
und
erklärte
Herzog
Angus'
Tanith-Expedi-
tion.
»Das
ganze
war
Teil
eines
größeren
Planes; An-
gus wollte Wardshaven eine wirtschaftliche Vor-
machtstellung sichern, um seine politischen Vorha-
ben zu fördern. Ich war dagegen, weil ich fand, daß
nur Tanith Vorteile daraus ziehen würde.« Er erzähl-
te ihnen von der Enterprise und ihrer Fracht und wie
Andray Dunnan sie gekapert hatte.
»Das hätte mir aber weiter nichts ausgemacht; ich
hatte kein Geld in das Projekt investiert. Was mich al-
lerdings auf die Palme brachte, um es gelinde auszu-
drücken, war, daß Dunnan, bevor er mit dem Schiff
davonfuhr, auf unsere Hochzeitsgesellschaft schoß,
mich und meinen Schwiegervater verletzte und die
Frau tötete, mit der ich kaum eine halbe Stunde ver-
heiratet war. Ich rüstete dieses Schiff auf eigene Ko-
sten aus, heuerte Captain Harkaman an, der nach der
Kaperung der Enterprise ohne Kommando war, und
kam hierher, um Dunnan zu suchen und zu töten.
Das kann ich am besten dadurch erreichen, indem ich
selbst eine Basis auf Tanith einrichte. Sie muß mit
Gewinn betrieben werden, anders geht es nicht.« Er
zog bedächtig an seiner Zigarre. »Gentlemen, ich lade
Sie ein, meine Partner zu werden.«
»Nun, Sie haben uns immer noch nicht gesagt, wo-
her Sie das nötige Geld bekommen wollen«, insistier-
te Spasso.
»Der
Herzog
von
Wardshaven
und
die
anderen,
die
in
das
ursprüngliche
Tanith-Unternehmen
investiert
haben, werden es aufbringen. Es ist die einzige Mög-
lichkeit für sie, den Verlust der Enterprise wieder gut-
zumachen.«
»Aber dann wird ja der Herzog von Wardshaven
das Sagen haben, nicht wir«, wandte Valkanhayn ein.
»Der Herzog von Wardshaven«, erinnerte ihn Har-
kaman, »residiert auf Gram. Wir sind hier auf Tanith.
Dazwischen liegen dreitausend Lichtjahre.«
Das schien eine befriedigende Antwort zu sein.
Spasso wollte indessen wissen, wer dann auf Tanith
den Oberbefehl haben würde.
»Wir werden eine Versammlung aller drei Mann-
schaften einberufen müssen«, begann er.
»Nichts dergleichen werden wir tun«, erklärte
Trask. »Der Oberbefehl liegt bei mir. Wenn Sie es zu-
lassen, daß Ihre Befehle diskutiert und einer Abstim-
mung unterworfen werden – ich werde das nicht tun.
Sie werden Ihre Mannschaften in diesem Sinne unter-
richten. Alle Befehle, die Sie ihnen in meinem Namen
übermitteln, müssen ohne Debatte befolgt werden.«
»Ich weiß nicht, wie die Männer das aufnehmen
werden«, sagte Valkanhayn.
»Ich weiß, wie sie es aufnehmen werden, wenn sie
schlau sind«, sagte Harkaman. »Und ich weiß auch,
was passieren wird, wenn sie es nicht sind. Lucas
Trask ist Besitzer, und ich bin Captain. Ich befolge
seine Befehle bezüglich dessen, was zu tun ist, und al-
le anderen befolgen meine Befehle, wie es zu tun ist.«
Spasso sah Valkanhayn an und zuckte dann die
Achseln. »So will er es eben, Boake. Möchtest du dich
mit ihm darüber auseinandersetzen? Ich nicht.«
»Der erste Befehl lautet«, sagte Trask, »daß die
Einheimischen bezahlt werden, die hier für Sie arbei-
ten. Sie dürfen nicht mehr von den Scheusalen ge-
schlagen werden, die ihre Aufseher sind. Wenn wel-
che von ihnen gehen wollen, können sie es tun; sie
erhalten Geschenke und kostenlosen Heimtransport.
Wer bleiben will, erhält Proviant, Kleidung und Un-
terkunft, darüber hinaus eine Entlohnung. Außerdem
gibt es keine Raubzüge mehr zu den Dörfern. Wir
zahlen für alles, was wir von den Einheimischen be-
kommen.«
»Da wird es Schwierigkeiten geben«, prophezeite
Valkanhayn. »Unsere Männer glauben, daß alles, was
ein Einheimischer hat, jedem gehört, der es ihm weg-
nehmen kann.«
»Ich auch«, sagte Harkaman. »Aber nur auf einem
Planeten, wo ich einen Raubzug mache. Dies ist unser
Planet, und es sind unsere Einheimischen. Wir berau-
ben weder unseren eigenen Planeten noch unsere
Einheimischen. Das werden Sie Ihren Leuten beibrin-
gen müssen.«
3
Spasso und Valkanhayn brauchten länger, um ihre
Mannschaften auf die neue Linie einzuschwören, als
Trask gedacht hatte. Schließlich erklärten sie sich be-
reit, sich unter den Befehl von Lord Trask und Admi-
ral Harkaman zu stellen – die Titel gingen auf
Rathmores Vorschlag zurück.
Admiral Harkamans erster Hoheitsakt war die An-
ordnung, die Flotteneinheiten einer Generalinspekti-
on zu unterziehen. Der Zustand der beiden Schiffe
schockierte ihn nicht, aber nur deshalb, weil er weit
Schlimmeres erwartet hatte. Sie waren raumtauglich;
immerhin waren sie mit eigener Kraft von Hoth hier-
her gelangt. Kampftauglich waren sie freilich nur,
wenn der Kampf nicht zu hart war. Seine ursprüngli-
che Einschätzung, die Nemesis könne beide in Fetzen
schießen, erwies sich als eher zurückhaltend. Die Ma-
schinen waren in gerade noch brauchbarem Zustand,
und die Bewaffnung schlecht.
»Wir werden nicht bloß hier auf Tanith herumsit-
zen«, erklärte er den beiden Kapitänen. »Wir werden
es mit keinen schutzlosen Planeten zu tun haben. Ein
Planet, den man kampflos plündern kann, ist die Zeit
nicht wert, die man für den Weg zu ihm braucht. Auf
keinem dieser Planeten wird es ohne Kampf abgehen,
und ich beabsichtige nicht, das Leben meiner Unter-
gebenen, zu denen Ihre beiden Mannschaften ebenso
gehören wie meine, durch untermotorisierte und un-
terbewaffnete Schiffe aufs Spiel zu setzen.«
Schon am nächsten Tag begann die Arbeit an der
Lamia, und es kam zu beträchtlichen Reibungen zwi-
schen ihren Offizieren und den Ingenieuren von der
Nemesis. Baron Rathmore ging an Bord und kam la-
chend zurück.
»Wissen Sie, wie die das Schiff verwalten?« fragte
er. »Es gibt eine Art Offiziers-Sowjet, Erster Ingeni-
eur, Erster Offizier, Raketenoffizier, Astrogator und
so weiter. Spasso ist weiter nichts als ihre Marionette.
Ich sprach mit allen von ihnen. Keiner will sich auf
irgend etwas festlegen, aber sie glauben, daß wir
Spasso des Kommandos entheben und einen von ih-
nen ernennen, und jeder denkt, er selbst werde es
sein. Ich weiß nicht, wie lange wir sie in dem Glauben
lassen können. Aber es wird reichen, bis wir etwas
Besseres finden.«
»Wir müssen Spasso loswerden«, stimmte Harka-
man zu. »Am besten, wir setzen einen von unseren
eigenen Leuten an seinen Platz. Valkanhayn kann das
Kommando auf der Geißel des Weltraums behalten; er
versteht etwas von seinem Handwerk. Aber Spasso
ist zu nichts nutze.«
Die
Lamia
wurde
so
schnell
wie
möglich
überholt.
Zwar
war
sie
noch
lange
kein
gutes
Schiff,
doch
im-
merhin
schon
weit
besser
als
zuvor.
Sie
wurde
mit
dem
besten
Detektor-System
ausgerüstet,
das
man
bauen
konnte,
und
in
eine
Kreisbahn
gebracht.
Alvyn
Karf-
fard
übernahm
sie
mit
einigen
von
Spassos
Offizieren,
ein
paar
von
Valkanhayns
und
mehreren
von
der
Ne-
mesis.
Harkaman
beabsichtigte,
auf
ihr
die
Offiziere
der
Lamia
und
der
Geißel
des
Weltraums
zu
schulen,
und
ließ
sie abwechselnd auf dem Schiff Dienst machen.
Eine
Handelswährung
aus
farbigem
Kunststoff
wurde
eingeführt
und
ein
Magazin
eingerichtet,
wo
sie
gegen
Schwert-Welt-Artikel
eingetauscht
werden
konnte.
Nach
einer
Weile
dämmerte
es
den
Einheimi-
schen,
daß
sie
die
Chips
auch
für
ihren
eigenen
Handel
benutzen
konnten;
Geld
schien
eines
der
Zivilisati-
onsmerkmale
zu
sein,
die
auf
Tanith
schon
lange
verlo-
rengegangen
waren.
Ein
paar
von
ihnen
waren
in
der
Lage,
die
Schwerkraft-Handlifter
zu
bedienen;
einige
lernten
sogar,
mit
Maschinen
wie
Bulldozern
umzuge-
hen.
Sobald die Lamia auf ihrer Kreisbahn war, begann
die Arbeit an der Geißel des Weltraums. Man entschied,
daß Valkanhayn sie nach Gram fliegen sollte: es wür-
den genügend Leute von der Nemesis dabei sein. Vor
allem aber sollten sie mit Herzog Angus und den
Geldgebern der Tanith-Expedition beraten. Baron
Rathmore und Paytrick Morland sollten zusammen
mit einigen anderen letztere Aufgabe wahrnehmen:
Alvyn Karffard war als Valkanhayns Erster Offizier
vorgesehen und hatte Instruktionen, nötigenfalls
selbst das Kommando zu übernehmen. Guatt Kirbey
war der Astrogator.
»Vorher aber müssen die Nemesis und die Geißel des
Weltraums noch auf Kaperfahrt gehen«, sagte Harka-
man. »Wir können die Geißel des Weltraums nicht leer
nach Gram schicken. Wenn Baron Rathmore und
Lord Valpry und die anderen mit Herzog Angus und
den Investoren sprechen, müssen sie zeigen können,
daß Tanith Gewinn abwirft. Und auch wir selbst
können ein wenig Geld für Investitionen brauchen.«
»Aber beide Schiffe. Otto?« Das gefiel Lucas nicht.
»Und wenn Dunnan kommt und findet niemanden
hier außer Spasso und der Lamia?«
»Das müssen wir riskieren. Ich persönlich glaube,
daß es ein bis eineinhalb Jahre dauern wird, bis Dun-
nan kommt. Sicher, wir haben uns getäuscht, als wir
seinen Weg auszurechnen versuchten. Aber für den
Beutezug, den ich im Sinne habe, brauchen wir zwei
Schiffe, und außerdem möchte ich diese beiden Schif-
fe nicht während unserer Abwesenheit hierlassen,
selbst wenn du das gern möchtest.«
»Ja, das will ich eigentlich auch nicht. Trotzdem:
Können wir Spasso vertrauen, wenn er allein hier
bleibt?«
»Wir lassen genügend von unseren Leuten zurück,
um das sicherzustellen. Alvyn zum Beispiel – und Ba-
ron Rathmore und den jungen Valpry. Andererseits
gäbe es auch die Möglichkeit, Spasso mitzunehmen.
Das würde bedeuten, daß wir ihn an unserem Tisch
ertragen müssen; aber es wäre nicht unklug.«
»Hast du schon ein Ziel ausgewählt?«
»Drei. Zuerst Khepera. Das ist nur dreißig Lichtjah-
re von hier. Viel wird zwar dort nicht zu holen sein,
doch bietet sich für unsere unerfahrene Mannschaft
Gelegenheit für relativ ungefährliches Kampftraining.
Außerdem können wir sehen, wie sich Spassos und
Valkanhayns Leute halten und ihnen Selbstvertrauen
für die nächste Aufgabe geben.«
»Und dann?«
»Amaterasu. Meine Informationen über Amaterasu
sind etwa zwanzig Jahre alt. In zwanzig Jahren kann
viel passieren. Soweit ich weiß – selbst war ich nie
dort – ist der Planet einigermaßen zivilisiert. Etwa so
wie Terra vor der Atom-Ära. Keine Nukleartechnik,
aber sie haben hydro-elektrische und solar-elektrische
Energie, nicht-nukleare Düsenflugzeuge und einige
ganz gute chemische Sprengwaffen, die sie häufig
und gern gegeneinander anwenden. Zuletzt soll ein
Schiff von Excalibur vor zwanzig Jahren eine Beute-
fahrt dorthin gemacht haben.«
»Klingt vielversprechend. Und der dritte Planet?«
»Beowulf. Auf Amaterasu werden wir keinen
Schaden davontragen, der unsere Kampfkraft beein-
trächtigen könnte, aber wenn wir Beowulf für zuletzt
aufheben, könnten umfangreiche Reparaturen not-
wendig sein.«
»Dort ist es also nicht ganz ungefährlich?«
»Nein. Sie besitzen Kernenergie. Ich glaube nicht,
daß es klug wäre, Spasso und Valkanhayn gegenüber
etwas von Beowulf zu erwähnen. Warten wir erst
Khepera und Amaterasu ab. Vielleicht fühlen sie sich
danach wie Helden.«
4
Khepera hinterließ einen unangenehmen Nachge-
schmack in Lucas' Mund. Er spürte ihn noch, als die
farbige Turbulenz vom Bildschirm verschwand und
dem grauen Nichts des Hyperraums wich. Garvan
Spasso starrte angestrengt auf den Schirm, als könne
er darauf noch den Planeten sehen, den sie eben ge-
plündert hatten.
»Das war gut; das war gut!« krähte er. Er hatte das
schon ein Dutzend Mal gesagt, seit sie gestartet wa-
ren. »Drei Städte in fünf Tagen. Das stellt einen Wert
von über zwei Millionen Stellars dar.«
Zehnmal so groß war der angerichtete Schaden; es
gab keine Wertskala, die das verursachte Leiden und
Sterben hätte wiedergeben können.
»Hören Sie auf damit, Spasso. Sie haben das jetzt
oft genug gesagt.«
Früher hätte er nicht so mit dem Burschen gespro-
chen, und auch mit niemand anderen. Spasso reagier-
te verärgert:
»Wer glauben Sie eigentlich, daß Sie sind ...?«
»Er glaubt, er ist Lord Trask von Tanith«, sagte
Harkaman. »Und er hat recht; er ist es.« Für einen
Moment sah er Trask forschend an und wandte sich
dann wieder Spasso zu. »Ich bin es genauso müde
wie er, zu hören, wie Sie sich über lausige zwei Mil-
lionen Stellars den Mund zerreißen. Eigentlich sind es
eher eineinhalb Millionen, aber auch zwei Millionen
sind kaum der Rede wert. Vielleicht wären sie es für
die Lamia, aber wir haben eine Flotte von drei Schif-
fen und eine planetarische Basis, für deren Kosten wir
aufkommen müssen. Aus dieser Beute wird ein Bo-
denkämpfer oder ein guter Raumfahrer einhundert-
fünfzig Stellars bekommen. Wir selbst erhalten etwa
tausend. Wie lange, glauben Sie, können wir mit sol-
chem Kroppzeug weitermachen?«
»Das nennen Sie Kroppzeug?«
»Jawohl, und Sie werden das auch tun, bevor wir
nach Tanith zurückkehren. Wenn Sie so lange leben.«
Einen Augenblick war Spasso noch ungehalten.
Dann zeigte sein Fuchsgesicht gierige Hoffnung,
dann Besorgnis. Offensichtlich kannte er Otto Har-
kamans Reputation, und manches von dem, was
Harkaman getan hatte, entsprach nicht seiner Vorstel-
lung, wie er auf leichte Art und Weise zu Geld kom-
men wollte.
Khepera war kein Problem gewesen; die Bewohner
hatten kaum etwas, um sich zu verteidigen. Hand-
feuerwaffen und leichte Kanonen, die nicht mehr als
ein paar Schüsse hatten abgeben können. Wo immer
sich Widerstand erhoben hatte, waren die Gefechts-
schiffe aufgekreuzt, hatten Bomben geworfen und
mit Maschinengewehren eingegriffen. Dennoch hat-
ten die Kheperaner gekämpft, erbittert und hoff-
nungslos – so wie er selbst gekämpft hätte, hätte er
Traskon verteidigen müssen.
Von einem der Roboter ließ sich Lucas Kaffee und
eine Zigarette bringen. Als er aufsah, war Spasso ge-
gangen, und Harkaman saß auf der Schreibtischkante
und stopfte sich seine kurze Pfeife.
»Also, du hast den Elefanten gesehen, Lucas«, sag-
te er. »Scheint dir nicht gefallen zu haben.«
»Elefant?«
»Ein alter terranischer Ausdruck, den ich irgendwo
gelesen habe. Ich weiß nur, daß ein Elefant ein Tier
von etwa der Größe eines eurer Megatheres auf Gram
war. Der Ausdruck bedeutet, daß man etwas zum er-
stenmal erlebt, was großen Eindruck auf einen macht.
Elefanten müssen ein eindrucksvoller Anblick gewe-
sen sein. Das war nun dein erster Wikinger-Raubzug.
Du hast ihn also gesehen.«
»Ein schmutziges Geschäft.«
Harkaman nickte. »Das sind Raub und Mord im-
mer. Du brauchst mich nicht zu fragen, wer sagte,
daß Raum-Wikinger berufsmäßige Räuber und Mör-
der sind. Aber wer weiß, wer gesagt hat, es sei ihm
gleich, wieviele Planeten in der Alten Föderation
überfallen und wieviele Unschuldige massakriert
wurden?«
»Der Mann ist jetzt tot. Lucas Trask von Traskon.
Er wußte nicht, wovon er sprach.«
»Jetzt wäre es dir also lieber, du wärest auf Gram
geblieben?«
»Nein. Hätte ich es getan, ich würde jede Stunde
darauf brennen, das zu tun, was ich jetzt tue. Viel-
leicht kann ich mich daran gewöhnen.«
»Das wirst du. Zumindest hast du deinen Magen-
inhalt unten behalten. Ich habe nach meinem ersten
Überfall gekotzt, und ein Jahr lang verfolgte er mich
in meinen Träumen.« Er reichte dem Roboter seine
Kaffeetasse zurück und erhob sich. »Ruh dich ein
paar Stunden aus. Dann nimm ein paar Alcodote-
Pillen. Sobald alles an Bord ist, wird überall auf dem
Schiff gefeiert werden, und wir werden bei allen vor-
beischauen müssen, um einen Drink zu nehmen und
zu sagen: ›gut gemacht, Jungs!‹«
Elaine kam zu ihm, während er ruhte. Voller Ent-
setzen sah sie ihn an, und er versuchte, sein Gesicht
vor ihr zu verbergen. Und dann begriff er, daß er es
vor sich selbst verbergen wollte.
5
Seite an Seite gingen die Nemesis und die Geißel des
Weltraums auf Amaterasu herunter. In einer Entfer-
nung von 0,5 Lichtsekunden hatte das Radar-
Warnsystem sie erfaßt. Jetzt wußte der ganze Planet,
daß sie kamen, und über das Warum war niemand
im Zweifel. Paul Koreff hörte mindestens zwanzig
Sender ab und teilte für jeden davon einen Mann ein.
Was aus dem Lautsprecher kam, war ziemlich banale
Lingua Terra. Vieles davon verriet große Aufregung,
manches Panik.
Für Spasso war das eine unangenehme Überra-
schung. »Sie haben Radio und Radar«, rief er.
»Na und?« fragte Harkaman. »Das hatten sie schon
vor zwanzig Jahren, als Rock Morgan mit der Coalsack
hier war. Aber sie haben doch keine Kernenergie,
oder?«
»Das nicht. Ich kriege eine Menge Stromfluß 'rein,
aber nichts Nukleares.«
»Gut. Ein Mann mit einer Keule schlägt einen
Mann, der nur seine Fäuste hat. Ein Mann mit einer
Pistole ist einem halben Dutzend mit Keulen überle-
gen. Und zwei Schiffe mit Nuklearwaffen werden mit
einem ganzen Planeten fertig, der keine solchen Waf-
fen besitzt. Ist es jetzt Zeit, Lucas?«
Er nickte. »Paul, kannst du dich auf den Sender
von Eglonsby aufschalten?«
»Was wollen Sie tun?« wollte Valkanhayn wissen
und war von vornherein dagegen.
»Sie zur Kapitulation auffordern. Wenn sie sich
weigern, werden wir einen Höllenbrenner abwerfen,
und dann suchen wir uns eine andere Stadt und for-
dern sie auf, sich zu ergeben. Ich glaube nicht, daß
die sich dann noch weigern wird.«
Valkanhayn war bestürzt, wahrscheinlich über die
Vorstellung, eine ungeplünderte Stadt zu verbrennen.
Spasso fauchte etwas wie »... wird den dreckigen
Neobarbs eine Lehre sein ...« vor sich hin. Koreff
nahm ein Mikrophon in die Hand.
»Raum-Wikinger Nemesis und Geißel des Weltraums
rufen die Stadt Eglonsby. Raum-Wikinger ...«
Er wiederholte es über eine Minute. Es kam keine
Antwort.
»Vann«, rief er den Artillerie- und Raketenoffizier.
»Eine unterkritische Warnexplosion, etwa acht Kilo-
meter über der Stadt.«
Er legte das Mikrophon weg. Der Teleskopschirm
ging aus, und der unvergrößerte Schirm wurde dun-
kel, als sich Filter vorschalteten. Der einzige ungefil-
terte Schirm an Bord der Nemesis empfing ein Bild
von dem fallenden Sprengkörper. Eglonsby raste auf
den Betrachter zu, und dann wurde es plötzlich dun-
kel. Auf den anderen Schirmen flammte es gelb-
orange auf. Nach einer Weile wurden die Filter abge-
schaltet, und der Teleskopschirm ging wieder an.
Harkaman griff zum Mikrophon.
»Raum-Wikinger rufen Eglonsby; dies ist die letzte
Warnung. Melden Sie sich sofort.«
Nicht ganz eine Minute später kam eine Stimme
aus einem der Lautsprecher: »Eglonsby ruft Raum-
Wikinger. Die Bombe hat großen Schaden verursacht.
Wir bitten Sie, das Feuer einzustellen, bis ein Bevoll-
mächtigter mit Ihnen Verbindung aufnehmen kann.
Hier spricht der Ingenieur der Zentralstation. Ich
selbst habe keine Befugnis, mit Ihnen zu verhandeln.«
»Klingt ja sehr stark nach Diktatur«, bemerkte
Harkaman zu Lucas. »Wenn du dir den Diktator holst
und ihm eine Pistole vor die Nase hältst, dann hast
du alles.«
Dann sagte er wieder ins Mikrophon: »Es gibt
nichts zu verhandeln. Holen Sie jemand, der bevoll-
mächtigt ist, uns die Stadt zu übergeben. Geschieht
dies nicht innerhalb einer Stunde, wird die Stadt mit
sämtlichen Einwohnern vernichtet werden.«
Nur Minuten später sagte eine neue Stimme:
»Hier spricht Gunsalis Jan, Sekretär von Pedrosan
Pedro, Präsident des Syndikalrates. Sobald Präsident
Pedrosan direkt mit Ihrem Oberbefehlshaber spre-
chen kann, stellen wir eine Verbindung mit ihm her.«
»Das bin ich selbst; verbinden Sie also sofort.«
Keine fünfzehn Sekunden vergingen, und sie hör-
ten Präsident Pedros Stimme:
»Wir sind gewillt, uns zu verteidigen, doch geben
wir uns keiner Illusion darüber hin, welche Opfer an
Gut und Leben dies für uns bedeuten würde«, be-
gann er.
»Und ob Sie das tun. Verstehen Sie etwas von
Kernwaffen?«
»Der Begriff ist mir aus der Geschichte bekannt.
Wir selbst besitzen keinerlei Nuklearenergie. Auf die-
sem Planeten gibt es kein spaltbares Material.«
»Der Verlust, wie Sie es nennen, würde alles und
jeden in Eglonsby in einem Umkreis von fast hundert
Meilen betreffen. Haben Sie weiter die Absicht, uns
Widerstand zu leisten?«
Der Präsident des Syndikalrates hatte sie nicht und
erklärte dies. Trask fragte ihn, wieviel Autorität seine
Position ihm verleihe.
»Im Falle eines Notstandes habe ich unbeschränkte
Befugnisse. Ich nehme an«, fügte die Stimme tonlos
hinzu, »daß dies ein Notstandsfall ist. Der Rat wird
automatisch jeder von mir getroffenen Entscheidung
zustimmen.«
Harkaman drückte auf einen Knopf. »Was ich sag-
te; eine Diktatur mit parlamentarischer Maske.«
»Wenn er nicht der vorgeschobene Diktator einer
Oligarchie ist.« Lucas bedeutete Harkaman, den
Knopf wieder loszulassen.
»Wieviele Mitglieder umfaßt dieser Rat?«
»Sechzehn, gewählt von den Syndikaten, die sie
vertreten. Es gibt das Arbeitersyndikat, das Fabrikan-
tensyndikat, das Mittelstandssyndikat, das ...«
»Korporierter Staat, entspricht dem ersten vorato-
maren Jahrhundert auf Terra«, sagte Harkaman.
»Fliegen wir also hinunter und reden mit ihnen.«
Als sie sicher waren, daß die Öffentlichkeit instru-
iert worden war, keinen Widerstand zu leisten, ging
die Nemesis auf dreitausend Meter Höhe herab und
schwebte dann über dem Zentrum der Stadt. Gemes-
sen am Standard von Leuten, die Antigravitation be-
nutzen, waren die Gebäude niedrig; die höchsten er-
reichten kaum dreihundert Meter, und nicht viele
maßen über zweihundert. An mehreren Stellen gab es
seltsam angeordnete gekreuzte Pisten, die offenbar
nirgendwohin führten. Harkaman lachte, als er sie
sah.
»Start- und Landebahnen. Die kenne ich von ande-
ren Planeten, wo sie Antigravitation nicht mehr ken-
nen. Sie sind für mit Flügeln versehene Luftfahrzeuge
mit chemischen Brennstoffen. Ich hoffe, ich werde
genügend Zeit haben, mich hier einmal umzusehen.
Ich wette, es gibt hier sogar noch Eisenbahnen.«
Der »große Schaden«, den die Bombe angerichtet
hatte, entsprach etwa der Wirkung eines mittleren
Hurrikans. In erster Linie hatte der Sprengkörper eine
moralische Wirkung gehabt, und das war auch ihre
Absicht gewesen.
Sie trafen Präsident Pedrosan und den Syndikalrat
in einem ausgedehnten Raum im Obergeschoß eines
der mittelgroßen Gebäude. Valkanhayn war über-
rascht; diese Leute mußten schon fast zivilisiert sein.
Man wurde vorgestellt. Die Namen der Ratsmitglie-
der wurden vor ihren Vornamen genannt, was auf
Organisationsformen schließen ließ, die sich alphabe-
tischer Auflistungen bedienten. Alle trugen uniform-
ähnliche Kleidung. Als man an einem großen ovalen
Tisch Platz genommen hatte, zog Harkaman seine Pi-
stole und klopfte damit auf den Tisch.
»Lord Trask, werden Sie direkt mit diesen Leuten
sprechen?« fragte er mit steifer Förmlichkeit.
»Gewiß, Admiral.« Er wandte sich an den Präsi-
denten, ohne die anderen zu beachten. »Nehmen Sie
zur Kenntnis, daß diese Stadt sich in unserer Gewalt
befindet und daß wir völlige Unterwerfung erwarten.
Solange Sie dies beachten, wird Ihnen, von der Über-
eignung uns passend erscheinender Objekte abgese-
hen, kein Schaden erwachsen; wir werden auf Ge-
waltanwendung verzichten, und Akte des Vandalis-
mus wird es nicht geben. Dieser unser Besuch wird
Sie teuer zu stehen kommen, daran kann kein Zweifel
bestehen, aber so hoch die Kosten auch sind, sie wer-
den gering sein im Vergleich zu dem, was Ihnen
sonst widerfahren würde.«
Der Präsident und die Ratsmitglieder wechselten
erleichterte Blicke. Sollten die Steuerzahler sich um
die Kosten kümmern; sie selbst würden die Sache mit
heiler Haut überstehen.
»Beachten Sie, daß wir größtmöglichen Wert bei
kleinsten Volumen erwarten«, fuhr Lucas fort. »Juwe-
len, Kunstgegenstände, Pelze, gehobene Luxusgüter
aller Art. Seltene Metalle. Außerdem Monetärmetall,
Gold und Platin. Sie haben eine Währung auf Metall-
basis, nehme ich an?«
»O nein!« Präsident Pedrosan war leicht erschüt-
tert. »Unsere Währung basiert auf Dienstleistungen
einer Gesellschaft.«
Harkaman räusperte sich unhöflich. Offenbar
kannte er solche Wirtschaftssysteme. Trask wollte
wissen, ob sie überhaupt Gold oder Platin verwende-
ten.
»Gold in gewissem Umfang, für Schmuck.« Augen-
scheinlich waren sie in wirtschaftlicher Hinsicht keine
völligen Puritaner. »Und natürlich Platin in der Indu-
strie.«
»Wenn sie Gold wollen, hätten Sie Stolgoland über-
fallen müssen«, sagte einer der Räte. »Dort gibt es ei-
ne Währung mit Goldstandard.« So, wie er es sagte,
klang es, als klagte er sie an, mit den Fingern zu es-
sen, oder womöglich ihre eigenen Rinder aufzufres-
sen.
»Ich weiß, die Karten, die wir von diesem Planeten
haben, sind ein paar Jahrhunderte alt; Stolgoland
scheint nicht drauf zu sein.«
»Ich wollte, es wäre auch nicht auf den unseren.«
Das hatte ein General Dagró Extor, Syndikus für
Staatsschutz, gesagt.
»Es wäre für den ganzen Planeten von großem
Nutzen, wenn Sie statt uns Stolgoland angegriffen
hätten«, sagte ein anderer.
»Noch ist es für die Gentlemen nicht zu spät, diese
Entscheidung zu treffen«, sagte Pedrosan. »Wie ich
vermute, dient Gold bei Ihnen als Monetärmetall?«
Als Trask nickte, fuhr er fort: »Es ist auch die Basis
der stolgonischen Währung. Tatsächlich besteht das
Geld aus Papier, das theoretisch gegen Gold einge-
tauscht werden kann. In Wirklichkeit ist die Zirkula-
tion von Gold verboten, der gesamte Goldschatz der
Nation ist in drei verschiedenen Horten eingelagert.
Wir wissen genau, wo sie sind.«
»Sie fangen an, mich zu interessieren, Präsident
Pedrosan.«
»Wirklich? Nun, Sie haben zwei große Raumschiffe
und sechs kleinere Fahrzeuge. Sie haben Nuklearwaf-
fen, etwas, was niemand auf diesem Planeten besitzt.
Sie haben Antigravitation, etwas, was hier nur mehr
eine Legende ist. Andererseits haben wir eine einein-
halb Millionen starke Bodentruppe, Düsenflugzeuge,
Panzerfahrzeuge und chemische Waffen. Wenn Sie
bereit wären, Stolgoland anzugreifen, würden wir
diese gesamte Streitmacht zu Ihrer Verfügung stellen;
General Dagró wird sie nach Ihren Anweisungen be-
fehligen. Nur eines bitten wir Sie: Lassen Sie, wenn
Sie den Goldhort von Stolgoland auf Ihre Schiffe ge-
schafft haben, unsere Truppen im Besitz des Landes.«
Die Invasion Stolgolands begann am fünften Mor-
gen nach ihrer Ankunft in Eglonsby. Die mit Ab-
wehrstellungen versehenen Orte wurden neutrali-
siert. Neutralisiert war ein hübsches Wort, dachte
Trask; es paßte so gut zu den Schreien derer, die ver-
stümmelt, verbrannt und geblendet überlebten. Wäh-
rend Pedrosans Truppen mit all den üblichen Scheuß-
lichkeiten über die Bewohner herfielen, luden die
Raum-Wikinger das Gold und alle anderen Wertge-
genstände in ihre Schiffe.
Noch vor Sonnenuntergang waren sie wieder über
Eglonsby. Die Beute belief sich auf fast eine halbe
Milliarde Excalibur-Stellars. Boake Valkanhayn und
Garvan Spasso waren ganz außer sich vor Staunen.
Als sie wieder im Hyperraum waren, dauerten die
Gelage drei galaktische Standardtage, und niemand
war auch nur annähernd nüchtern. Harkaman redete
nur noch von den historischen Werken, die er in einer
öffentlichen Bücherei gefunden hatte. Spasso über-
schlug sich fast vor Glück. Niemand konnte ihn mehr
einen Hühnerdieb nennen. Er wiederholte das, solan-
ge er überhaupt noch etwas sagen konnte. Khepera,
verkündete er, das war einmal. Lausige zwei oder
drei Millionen Stellars; puh!
6
Beowulf war schlimm.
Valkanhayn
und
Spasso
hatten
sich
gegen
den
Über-
fall
ausgesprochen.
Niemand
griff
Beowulf
an:
Beo-
wulf
war
zu
stark.
Beowulf
hatte
Kernenergie,
nuklea-
re
Waffen.
Antigravitations-
und
Normalraumschiffe.
Alles
hatten
sie
–
außer
Hyperdrive.
Beowulf war ein
zivilisierter Planet, und zivilisierte Planeten überfiel
man nicht ungestraft.
Außerdem, hatten sie von Amaterasu nicht genug
Beute geholt?
»Nein«,
sagte
Trask.
»Wenn
wir
irgend
etwas
aus
Tanith
machen
wollen,
brauchen
wir
Energie,
und
ich
denke
nicht
an
Windmühlen
oder
Wasserräder.
Wie
Sie
sagten,
hat
Beowulf
Nuklearenergie.
Dort
bekom-
men wir unser Plutonium und unsere Kraftwerke.«
Also steuerten sie Beowulf an. Als sie sich bis auf
sechs Lichtminuten genähert hatten, stellten sie fest,
daß sie durch Radar und Mikrostrahlen geortet wur-
den. Wieder im Normalraum, waren sie zwei Licht-
sekunden über dem Südpol, und ein halbes Dutzend
Schiffe waren entweder in einer Umlaufbahn oder
stiegen von dem Planeten auf. Alles Normalraum-
schiffe natürlich, aber manche waren fast so groß wie
die Nemesis.
Dann – Raketen, Abfangraketen, riesige, rasch an-
schwellende und dann wieder verlöschende Feuer-
bälle, rote Lichter auf der Schadensanzeige, Sirenen-
geheul – es war ein Alptraum.
Die Bodenoperation war ein Alptraum anderer Art.
Mit Paytrik Morland und einigen anderen unternahm
Trask den Landeanflug. Raketen und Artilleriege-
schosse empfingen sie. Kampfschiffe rasten, aus allen
Rohren feuernd, an ihnen vorbei und explodierten.
Schirmbilder brachen wegen der Strahlung zusam-
men; widersprüchliche Befehle dröhnten aus den
Lautsprechern. Schließlich konzentrierte sich der
Kampf über zwei Punkten: Über den Lagerdepots
und über der Energiekartuschenfabrik.
Die Tochterschiffe gingen nieder, über jedem der
beiden Punkte ein Dreieck bildend; die Geißel des
Weltraums hielt sich in einer Zentralposition und ließ
Ladetransporter und große, klauenarmige Manipula-
toren ausschwärmen. Das Kommandofahrzeug
kreuzte zwischen den beiden Zielen; bei dem einen
kamen faßähnliche Plutoniumkanister, collapsiumbe-
schichtet und tonnenschwer, aus den Gewölben, bei
dem anderen brachten Ladetransporter nuklearelek-
trische Energiekartuschen, manche so groß wie Zehn-
Liter-Tanks, die zur Energieversorgung von Raum-
schiffen dienten, manche so klein wie eine Revolver-
patrone für Dinge wie Taschenlampen.
Ungefähr jede Stunde sah er auf seine Uhr. Dann
war es drei oder vier Minuten später.
Schließlich gab die Nemesis das Signal, und aus den
Lautsprechern kam der Rückruf.
7
Die Ortung der Lamia erfaßte sie, als sie den Normal-
raum wieder erreicht hatten. Trasks Befürchtung,
Dunnan könne in ihrer Abwesenheit angreifen, war
grundlos gewesen. Unglaublich, was Alvyn Karffard
in dieser so kurzen Zeit geleistet hatte.
Er hatte den Raumhafen völlig von Trümmern be-
freit und die Wälder um ihn und die beiden hohen
Gebäude herum niedergelegt. Die Einheimischen
nannten die Stadt Rivvin; aus vorgefundenen Doku-
menten hatte man festgestellt, daß dies ihr ursprüng-
licher Name war. Er hatte den ganzen Planeten kar-
tographisch erfaßt, vor allem den Kontinent, auf dem
Rivvin lag. Und er hatte gute Beziehungen mit den
Leuten von Tradetown hergestellt und mit ihrem Kö-
nig Freundschaft geschlossen. Als die Beute ausgela-
den wurde, traute niemand seinen Augen, nicht ein-
mal diejenigen, die sie selbst gemacht hatten. Auch
die kleine Herde von langhaarigen Einhörnern – die
Bewohner von Khepera hatten sie Kreggs genannt –
hatten die Reise gut überstanden.
Beide Schiffe waren schwer beschädigt worden.
Die Nemesis wurde so gut wie möglich repariert und
auf Patrouillenfahrt geschickt, und dann machte man
sich daran, die Geißel des Weltraums herzurichten. Sie
völlig wiederherzustellen war eine Aufgabe für eine
richtige Werft wie die Alex Gorrams auf Gram. Boake
Valkanhayn würde sie auf der Reise nach Gram und
zurück kommandieren. Seit Beowulf hatte Trask nicht
nur aufgehört, den Mann nicht zu mögen, sondern
sogar begonnen, ihn zu bewundern. Einst war er ein
guter Mann gewesen, bevor ein unglückliches Schick-
sal, für das er nur teilweise selbst verantwortlich war,
ihn befallen hatte. Damals war er nachlässig und
gleichgültig geworden. Jetzt aber hatte er sich wieder
gefangen. Das hatte sich schon nach ihrer Landung
auf Amaterasu gezeigt. Er kleidete sich sorgfältiger,
sprach korrekter. Dem Überfall auf Beowulf hatte er
sich zwar widersetzt, dann aber, als es zum Kampfe
kam, tapfer und umsichtig gekämpft. Bei seinen
Männern war der Respekt vor ihm zurückgekehrt. Er
war wieder ein Raum-Wikinger.
Garvan Spasso war keiner und würde nie einer
sein. Er war außer sich, als er hörte, Valkanhayn
würde sein Schiff, beladen mit einem guten Teil der
Beute von den drei Planeten, nach Gram fliegen.
»Wissen Sie, was passieren wird?« fragte er Trask.
»Er startet mit dieser Fracht, und das wird das letzte
sein, was wir von ihm hören. Wahrscheinlich fliegt er
damit auf Joyeuse oder Excalibur und kauft sich mit
dem Erlös einen Adelstitel.«
»Ach, das bezweifle ich, Spasso. Auch einige von
unseren Leuten sind dabei – Guatt Kirbey wird der
Astrogator sein, und dem vertrauen Sie doch, oder?
Und Sir Paytrik Morland und Baron Rathmore und
Lord Valpry und Rolve Hemmerding ...« Dann ver-
stummte er für einen Moment, denn er hatte eine
Idee. »Hätten nicht Sie vielleicht Lust, die Fahrt mit
der Geißel mitzumachen?«
Spasso hatte, kein Zweifel. Trask nickte.
»Gut. Dann sind wir sicher, daß keiner ein krum-
mes Ding dreht«, sagte er völlig ernst.
Als Spasso gegangen war, setzte er sich mit Baron
Rathmore in Verbindung.
»Sehen Sie zu, daß er so viel Geld bekommt, wie
ihm zusteht, wenn er nach Gram kommt. Und bitten
Sie Herzog Angus, ihm irgendeine sinnlose Position
mit einem entsprechend eindrucksvollen Titel zu ver-
leihen, Lordverweser des herzoglichen Waschraums
oder so etwas. Dann kann er ihn mit falschen Infor-
mationen impfen und ihm Gelegenheit geben, sie
Omfray von Glaspyth zu verkaufen. Anschließend
kann man durchsickern lassen, daß er Angus' Spion
sei. Irgend jemand wird ihn niederstechen; dann sind
wir ihn endgültig los.«
Einhundertfünfundzwanzig Tage bis Gram, und ein-
hundertfünfundzwanzig Tage zurück. Die waren
schon lange vergangen. Natürlich, da waren die Re-
paraturen an der Geißel des Weltraums, die Bespre-
chungen mit den Kapitalgebern der ursprünglichen
Tanith-Expedition, die Zeit, die für die Beschaffung
der nötigen Ausrüstung für die neue Basis nötig war.
Dennoch war Lucas ein wenig beunruhigt. Über et-
was, was so weit außerhalb seiner Kontrolle lag wie
die Geißel des Weltraums, beunruhigt zu sein, war
nutzlos, das wußte er. Dennoch, er konnte nicht an-
ders. Selbst der sonst unerschütterliche Harkaman
begann sich Sorgen zu machen, nachdem zweihun-
dertsiebzig Tage vergangen waren.
Sie saßen im Obergeschoß des Raumhafengebäu-
des, ihre Drinks auf einem kleinen Tisch zwischen
sich.
»Sie muß bald kommen«, sagte Trask und goß sich
Brandy nach. »Es sind genug von unseren Leuten an
Bord, um sicher zu sein, daß niemand anderer sich
des Schiffes bemächtigen kann. Und ich glaube wirk-
lich, daß man Valkanhayn jetzt vertrauen kann.«
»Ich auch. Ich mache mir keine Gedanken darüber,
was an Bord des Schiffes geschehen könnte. Aber wir
wissen nicht, was auf Gram passiert ist. Glaspyth und
Didreksburg könnten sich zusammengeschlossen
und Wardshaven eingenommen haben, bevor Herzog
Angus Glaspyth erobern konnte. Boake könnte mit
dem Schiff in einer Falle gelandet sein.«
Das Televisor-Signal unterbrach ihn. Beide spran-
gen auf, und Harkaman schaltete ein. Es war ein
Mann aus dem Kontrollzentrum, der berichtete, daß
zwei Objekte zwanzig Lichtminuten nördlich des
Planeten geortet worden seien. Harkaman stürzte
seinen Brandy hinunter.
»Gut. Haben Sie Generalalarm gegeben? Stellen Sie
alles, was kommt, auf diesen Schirm.« Er holte seine
Pfeife heraus und stopfte sie mechanisch. »In ein paar
Minuten werden sie den letzten Mikrosprung ma-
chen und etwa zwei Lichtsekunden entfernt sein.«
Trask setzte sich wieder, sah, daß seine Zigarette
fast völlig verglüht war, zündete eine neue daran an
und wünschte, er hätte ebenso ruhig bleiben können
wie Harkaman. Drei Minuten später ortete der Kon-
trollturm die beiden Flugkörper in eineinhalb Licht-
sekunden Entfernung. Dann flackerte der Bildschirm
auf, und im neu eingerichteten Kommandoraum der
Geißel des Weltraums erschien Boake Valkanhayn.
Auch Valkanhayn schien sich einer Erneuerung un-
terzogen zu haben. Seine reich verzierte Kapitänsjak-
ke sah aus wie das Werk eines der besten Schneider
von Gram, und auf der Brust trug er einen großen,
dekorativen Ritterstern, der unter anderem das
Schwert- und Atomsymbol des Hauses Ward trug.
»Fürst Trask; Graf Harkaman«, grüßte er. »Geißel
des Weltraums, Tanith; dreitausendzweihundert Stun-
den unterwegs von Wardshaven auf Gram unter dem
Kommando von Baron Valkanhayn, begleitet von
dem gecharterten Frachter Rosinante unter dem
Kommando von Kapitän Morbes. Erbitte Anflugin-
struktionen und Landeerlaubnis.«
»Baron Valkanhayn?« fragte Harkaman.
»Jawohl«, grinste Valkanhayn. »Und ich habe eine
Pergamentrolle von der Größe einer Bettdecke, um
das zu beweisen. Ich habe eine ganze Menge solcher
Rollen. Auf einer steht, Sie seien Otto, Graf Harka-
man, auf einer anderen, daß Sie Admiral der königli-
chen Marine sind.«
»Er hat es tatsächlich fertiggebracht!« rief Trask.
»Er hat sich zum König von Gram gemacht!«
»So ist es. Und Sie sind sein Vertrauter, der hoch-
geschätzte Lucas, Fürst Trask, und Vizekönig des
Dominiums seiner Majestät Tanith.«
»Gehenna!« wies ihn Harkaman zurecht. »Tanith
ist unser Dominium.«
»Lohnt es sich auch, sich der Souveränität Eurer
Majestät zu unterstellen?« fragte Trask. »Von den
Pergamentrollen einmal abgesehen?«
Valkanhayn grinste immer noch. »Warten Sie, bis
wir erst einmal mit dem Löschen der Fracht begin-
nen.«
»Kommt Spasso mit Ihnen zurück?« fragte Harka-
man.
»Oh, nein. Sir Garvan Spasso ist in die Dienste Sei-
ner Majestät, des Königs Angus getreten. Er ist jetzt
Polizeichef von Glaspyth, und niemand kann ihn
mehr Hühnerdieb nennen. Wenn er Hühner stiehlt,
dann gleich die ganze Farm dazu.«
Das klang nicht gut. Spasso konnte König Angus'
Namen in ganz Glaspyth in Verruf bringen. Was Kö-
nig Angus' Annexion von Tanith und seine Souverä-
nität anbetraf, so erschien es ratsam, beides anzuer-
kennen. Sie brauchten eine Schwert-Welt als Abneh-
mer für ihre Beute. Bis sie entsprechende eigene In-
dustrien hatten, würden sie im Hinblick auf viele
Dinge, die durch Überfälle nicht beschafft werden
konnten, von Gram abhängig sein.
»Ich nehme an, der König weiß, daß ich nicht zu
meinem Vergnügen oder für seinen Profit hier bin?«
fragte Trask Lord Valpry im Laufe einer ihrer Unter-
haltungen, während die Geißel des Weltraums in eine
Kreisbahn einschwenkte. »Mir geht es hier nur um
Andray Dunnan.«
»Oh, ja«, war die Antwort. »Er hat mir sogar er-
klärt, er würde es sehr begrüßen, wenn Sie ihm den
Kopf seines Neffen in einem Plastikblock eingegossen
bringen würden. Was Dunnan getan hat, hat auch
seine Ehre berührt. Souveräne Fürsten verstehen da
keinen Spaß.«
»Vermutlich weiß er, daß Dunnan früher oder spä-
ter Tanith angreifen wird?«
»Wenn Sie die Defensivbewaffnung sehen, die wir
mitgebracht haben, werden Sie nicht mehr daran
zweifeln.«
Das Material war beachtlich, aber noch nichts ge-
gen die Industrieausrüstung. Minenroboter für den
Gebrauch auf dem Eisenmond Taniths, und Normal-
raumtransporter für den achtzigtausend Kilometer
langen Weg zwischen Planeten und Satellit. Ein Col-
lapsiumerzeuger; jetzt konnten sie selbst Armierun-
gen durchführen. Ein kleines vollautomatisches
Stahlwerk, das auf dem Mond betrieben werden
konnte. Industrieroboter und Maschinen, die Maschi-
nen erzeugten. Und vor allem zweihundert Ingenieu-
re und hochqualifizierte Techniker.
Verschiedene der industriellen Baronate würden
binnen kurzem erkennen, was sie in diesen Männern
verloren hatten. Er fragte sich, was Lord Trask von
Traskon davon gehalten hätte.
Lucas Fürst von Tanith war nicht länger daran in-
teressiert, was auf Gram geschah. Vielleicht, wenn im
folgenden Jahrhundert alles günstig verlief, würden
seine Nachfolger Gram über Vizekönige von Tanith
aus regieren.
8
Die
Nachricht
von
der
Basis
auf
Tanith
verbreitete
sich
langsam,
erst
durch
Tramp-Frachter,
die
zwischen
den
Schwert-Welten
verkehrten,
dann
durch
Handelsschif-
fe
und
Raum-Wikinger
in
der
alten
Föderation.
Drei
Jahre
und
sechs
Monate
nachdem
die
Nemesis
über
Ta-
nith
aus
dem
Hyperraum
gekommen
war,
kam
der
er-
ste
unabhängige
Raum-Wikinger,
um
eine
Fracht
zu
verkaufen
und
Reparaturarbeiten
durchführen
zu
las-
sen.
Zuvor
hatte
er
mit
den
Everrards
auf
Hoth
in
Han-
delsverbindungen
gestanden,
zeigte
sich
aber
mit
den
Ergebnissen
auf
Tanith
wesentlich mehr zufrieden
und beteuerte, wiederkommen zu wollen.
Von Andray Dunnan oder der Enterprise hatte er
nie etwas gehört.
Es war ein Gilgamescher, der die erste Nachricht
brachte. Von Gilgameschern – das Wort wurde so-
wohl für die Bewohner wie für Schiffe von Gilga-
mesch benutzt – hatte Lucas zum erstenmal auf Gram
gehört, seit er auf Tanith war aber auch von jedem
Raum-Wikinger, und zwar niemals in lobender und
selten in druckbarer Form.
Gilgamesch galt, mit gewissen Einschränkungen,
als zivilisierter Planet, wiewohl nicht mit Odin, Isis,
Baldur, Marduk, oder irgendeiner der anderen Wel-
ten gleichzusetzen, die die Kultur der terranischen
Föderation ohne Unterbrechung bewahrt hatten. Viel-
leicht verdiente Gilgamesch eine bessere Beurteilung;
seine Bevölkerung hatte zwei Jahrhunderte der Fin-
sternis durchgemacht und sich selbst wieder hochge-
bracht. Sie hatten sich all die alten Techniken wieder
erarbeitet. Bis hin zum Hyperdrive.
Sie
raubten
nicht,
sie
handelten.
Gewaltanwendung
lehnten
sie
aus
religiösen
Gründen
ab,
wiewohl
mit
gewissen
vernünftigen
Einschränkungen.
Wenn
es
um
die
Verteidigung
ihres
Planeten
ging,
konnten
sie
mit
fanatischer
Zähigkeit
kämpfen.
Ihre
Gesellschaft
schien
auf
einer
Art
Theo-Sozialismus
zu
basieren,
und
ihre
Religion
war
ein
absurdes
Potpourri
aus
den
mei-
sten der wichtigeren Monotheismen der Föderations-
periode.
Nachdem ihr Schiff in eine Kreisbahn gegangen
war, kamen drei von ihnen herunter, um Handelsge-
spräche zu führen. Das Problem dabei war nur, daß
sie feilschen wollten. Das Feilschen schien sogar ihr
Lieblingssport zu sein.
»Haben Sie jemals von einem Raum-Wikinger-
Schiff namens Enterprise gehört?« fragte Lucas, nach-
dem der Handel zum siebten oder achten Male in ei-
ne Sackgasse geraten war. »Es trägt einen Halbmond,
hellblau auf schwarz. Der Name des Kapitäns ist An-
dray Dunnan.«
»Solch ein Schiff hat vor etwas mehr als einem Jahr
Chermosh überfallen«, sagte einer der drei, ein Prie-
ster. »Einige von unseren Leuten fahren nach Cher-
mosh, um dort Handel zu pflegen. Dieses Schiff
plünderte die Stadt, in der sie waren; manche von ih-
nen erlitten schwere Verluste an weltlichen Gütern.«
»Wie bedauerlich.«
Der Priester von Gilgamesch zuckte mit den Schul-
tern. »Alles geschieht nach Yahs, des Allmächtigen,
Willen«, sagte er, doch dann erhellte sich seine Miene.
»Die Chermosher sind Heiden, die falsche Götter ver-
ehren. Die Raum-Wikinger plünderten ihren Tempel
und zerstörten ihn; sie nahmen die Götzenbilder mit
sich fort. Unsere Leute berichteten, daß es viel Heulen
und Wehklagen unter den Götzenverehrern gab.«
Der Kapitän der Black Star brachte weitere Informa-
tionen. Er war auf mehreren Planeten gelandet, die
zeitweise von Raum-Wikingern besetzt gewesen wa-
ren, um dort Tauschhandel zu treiben, seinen Män-
nern eine Ruhepause zu gönnen und Nachforschun-
gen anzustellen, und er wußte die Namen einiger
Planeten, die von dem Schiff mit dem blauen Halb-
mond angegriffen worden waren. Einer dieser Vorfäl-
le lag erst sechs Monate zurück.
Angesichts des Tempos, mit der sich Informationen
in der Alten Föderation verbreiteten, war diese prak-
tisch brandheiß.
Der Eigner und Kapitän der Alborak hatte etwas
hinzuzufügen, als er sechs Monate später nach Tanith
kam.
»Es war vor fast zwei Jahren auf Jagannath«, sagte
er. »Die Enterprise befand sich in einer Umlaufbahn,
um kleinere Reparaturen durchführen zu lassen, und
ich bin dem Mann ein paarmal begegnet. Sieht aus
wie auf diesen Bildern, doch trägt er jetzt einen klei-
nen Spitzbart. Er hatte eine Menge Beute verkauft.
Waren aller Art, Edel- und Halbedelsteine, geschnitz-
te und eingelegte Möbel, die aussahen, als stammten
sie aus dem Palast irgendeines Neobaren-Königs, au-
ßerdem Zeug aus einem Tempel. Buddhistische Sa-
chen, es waren ein paar große goldene Bai-Butsus
darunter. Seine Mannschaft kaufte Drinks für alle, die
kamen. Einige von den Männern waren ziemlich
dunkel über dem Kragen, als wären sie nicht sehr
lange zuvor auf einem Heißstern-Planeten gewesen.
Auch hatte er eine Menge Imhotep-Pelze zu verkau-
fen, wirklich fabelhafte Stücke.«
»Was waren das für Reparaturen? Kampfschä-
den?«
»Ich hatte den Eindruck. Etwa hundert Stunden
nach seiner Landung startete er wieder, zusammen
mit einem anderen Schiff, der Starhopper; der Kapitän
hieß Theodor Vaghn. Es verlautete, sie wollten ir-
gendwo zu zweit auf Raubfahrt gehen.« Der Kapitän
der Alborak dachte einen Moment nach. »Und noch
etwas. Er kaufte Munition, von Revolverpatronen bis
zu Höllenbrennern. Außerdem nahm er alles mit, was
er an Luft- und Wassergeneratoren, Carnikultur- und
hydroponischer Ausrüstung bekommen konnte.«
Nicht uninteressant, das zu wissen. Lucas dankte
dem Raum-Wikinger und fragte ihn dann:
»Wußte er zu diesem Zeitpunkt, daß ich hier bin?«
»Wenn er es wußte, wußte es sonst niemand auf
Jagannath. Ich selbst hörte erst sechs Monate später
davon.«
Noch am selben Abend sprach Trask darüber mit
Valkanhayn. »Irgendwo muß er eine Basis haben,
und zwar nicht auf einem Planeten vom Terra-Typ«,
meinte er. »Was sollte er denn sonst mit den Luft-
und Wasserapparaturen und seiner hydroponischen
und Carnikultur-Ausrüstung anfangen.«
Die Alte Föderation war voll von Planeten nicht-
terranischen Typs, doch warum sollte sich irgend je-
mand die Mühe machen, dorthin zu gehen? Ein Pla-
net ohne Sauerstoffatmosphäre und mit nur zehn- bis
fünfzehntausend Kilometern Durchmesser war kaum
der Mühe eines Besuches wert. War man jedoch ent-
sprechend ausgerüstet, eignete er sich vorzüglich als
Versteck.
»Was für eine Art Kapitän ist dieser Theodor
Vaghn?« fragte er.
»Ein guter«, sagte Harkaman prompt. »Er hat eine
sadistische Ader, aber er kennt sein Metier und führt
ein gutes Schiff mit einer ordentlichen Mannschaft.
Glaubst du, daß er mit Dunnan unter einer Decke
steckt?«
»Du etwa nicht? Jetzt, da er eine Basis hat, baut er
sich wahrscheinlich eine Flotte auf.«
»Jetzt wird er schon wissen, daß wir hinter ihm her
sind«, sagte Vann Larch, »und er weiß, wo wir sind.
Damit hat er einen Trumpf in der Hand.«
9
Der Kapitän des Raum-Wikinger-Schiffs Damnthing
hieß Roger-fan-Morvill Esthersan, was bedeutete, daß
ein Mann der Schwert-Welt ihn als einen Bastard von
einer der Frauen der Alten Föderation anerkannt hat-
te. Seine Mutter war vielleicht von Nergal gewesen;
er hatte dichtes schwarzes Haar, mahagonibraune
Haut und rotbraune Augen. Er probierte den Wein,
den der Roboter ihm eingeschenkt hatte, nickte zu-
stimmend und begann dann, das mitgebrachte Paket
aufzuschnüren.
»Etwas, was ich auf Tetragrammaton fand«, sagte
er. »Ich dachte, Sie wären vielleicht daran interessiert.
Es stammt von Gram.«
Es
war
eine
Automatikpistole
mit
Gürtel
und
Half-
ter.
Das
Leder
war
aus
Bisonhaut;
die
ovale
Gürtel-
schnalle
war
mit
einem
hellblauen
Halbmond
auf
schwarzem
Grunde
verziert.
Die
Pistole
war
eine
ge-
wöhnliche
10-mm-Militärwaffe
mit
plastikummantel-
tem
Griff;
der
Lauf
trug
den
Stempel
des
Hauses
Hoyl-
bar,
des
Waffenherstellers
von
Glaspyth.
Offenbar
war
es
eine
der
Waffen,
die
Herzog
Omfray
für
Andray
Dunnans
ursprüngliche
Söldnerkompanie
bereitge-
stellt hatte.
»Tetragrammaton? Wie lange ist das her?«
»Etwa dreihundert Stunden. Ich kam direkt hier-
her. Dunnans Schiffe hatten den Planeten drei Tage
vor unserer Ankunft verlassen.«
Das war brandheiß. Nun, früher oder später mußte
sich so etwas ergeben. Der Raum-Wikinger fragte Lu-
cas, ob er wisse, was für eine Art Planet Tetragram-
maton war. Er war von Neobarbaren bewohnt, die
sich um eine bescheidene Zivilisation bemühten. Die
Bevölkerung war gering, auf einem Kontinent kon-
zentriert, lebte von Landwirtschaft und Fischerei. Ihr
Exportprodukt war ein gräßlich riechendes Pflanzen-
öl, das als Grundlage für delikate Parfüms diente und
von niemandem richtig synthetisiert werden konnte.
Auch eine gewisse Industrie war vorhanden.
»Ich
hörte,
daß
sie
jetzt
Stahlwerke
haben«,
sagte
der
Mischling.
»Wie
es
scheint,
hat
jemand
auf
Rimmon
eben
die
Eisenbahn
wiedererfunden,
und
sie
brauchen
dort
mehr
Stahl,
als
sie
selbst
produzieren
können.
Al-
so
nahm
ich
mir
vor,
mir
auf
Tetragrammaton
Stahl
zu
holen,
und
ihn
auf
Rimmon
gegen
eine
Ladung
Him-
melstee
einzutauschen.
Als
ich
jedoch
hinkam,
war
der
Planet
ein
einziges
Chaos
–
nicht
durch
Plünderung,
es
war
ganz
einfach
mutwillige
Zerstörung.
Die
Einwoh-
ner
kamen
gerade
wieder
aus
den
Trümmern
hervor,
als
ich
landete.
Einer
von
ihnen
hatte
diese
Pistole;
er
sage,
er
habe
sie
einem
getöteten
Raum-Wikinger
ab-
genommen.
Die
Schiffe,
die
sie
überfallen
hatten,
wa-
ren
die
Enterprise
und
die
Yo-Yo.
Ich
wußte,
daß
Sie
an
solchen
Informationen
interessiert
sind.
Ich
nahm
eini-
ge
der
Aussagen
der
Bewohner
auf
Band
auf
und
kam
dann
auf
direktem
Weg hierher.«
»Nun, ich danke Ihnen. Die Bänder höre ich mir
gern an. Sie sagten, Sie suchten Stahl?«
»Ich habe aber kein Geld. Deswegen wollte ich Te-
tragrammaton plündern.«
»Zum Nifflheim mit dem Geld; Ihre Fracht ist be-
reits bezahlt. Das da«, sagte er und deutete dabei auf
die Pistole, »und was auf den Bändern ist.«
Noch am gleichen Abend wurden die Bänder ab-
gehört. Sonderlich informativ waren sie nicht. Die be-
fragten Einheimischen waren nicht in direktem Kon-
takt mit Dunnans Leuten gekommen, außer im
Kampfe. Der Mann, der die 10-mm-Hoytbar in Besitz
gehabt hatte, war noch der ergiebigste Zeuge, und
selbst er wußte wenig. Dunnan hatte Landeschiffe ge-
sandt, wie es schien, und erklärt, er wünsche Handel.
Dann mußte irgend etwas geschehen sein – niemand
wußte was – und sie hatten begonnen, die Stadt zu
vernichten. Auf ihre Schiffe zurückgekehrt, hatten sie
das Feuer mit Kernwaffen fortgesetzt.
»Klingt ganz nach Dunnan«, sagte Hugh Rathmore
verächtlich. »Die schiere Mordlust. Das schlechte Blut
der Blackcliffes.«
»Einiges ist merkwürdig an der ganzen Sache«,
sagte Boake Valkanhayn. »Ich würde sagen, es war
ein Terrorüberfall, aber wen zum Teufel wollte er ter-
rorisieren?«
»Das habe ich mich auch gefragt«, sagte Harkaman
stirnrunzelnd. »Die Stadt, wo er landete, scheint die
Hauptstadt des Planeten zu sein. Sie landeten, stellten
sich freundlich, was absolut unnötig war, und began-
nen dann zu plündern und zu massakrieren. Es gab
aber nichts von wirklichem Wert; alles, was sie mit-
nahmen, war, was die Männer selbst in ihre Lande-
fahrzeuge tragen konnten, und auch das taten sie nur
wegen eines geradezu religiösen Tabus, das es ihnen
verbietet, irgendwo wieder abzuziehen, ohne etwas
geraubt zu haben. Die wirkliche Beute war in diesen
anderen beiden Städten – ein Stahlwerk und große
Stahlvorräte in der einen und eine Menge Öl in der
anderen. Und was taten sie? Sie warfen auf jede eine
Fünf-Megatonnen-Bombe und pusteten sie ins
Nichts. Schlicht und einfach ein Terrorangriff. Aber
wen, wie Boake mit Recht fragte, wollten sie denn
terrorisieren? Wenn es irgendwo anders auf dem Pla-
neten große Städte gäbe, dann wäre es verständlich.
Aber es gibt keine.«
»Dann wollten sie eben jemanden außerhalb des
Planeten terrorisieren.«
»Aber niemand würde je etwas davon hören«,
wandte jemand ein.
»Doch, die Mardukaner; sie treiben Handel mit Te-
tragrammaton«, sagte der Kapitän der Damnthing.
»Jedes Jahr kommen mehrere Schiffe von ihnen hin.«
»Richtig«, stimmte Trask zu. »Marduk.«
»Glaubst du wirklich, daß Dunnan Marduk zu ter-
rorisieren versucht?« fragte Valkanhayn. »Großer Sa-
tan, so verrückt ist nicht einmal der!«
»Doch, ich glaube, das ist er«, sagte Trask. »Und
genau dadurch, daß er verrückt ist, wir aber nicht, ist
er im Vorteil. Was hören wir denn von ihm? Wo er
auch auftaucht, macht er wenig oder gar keine Beute.
In allen Berichten ist nur von Mutwillen, mörderi-
schen Bombardements die Rede. Ich glaube, daß
Dunnan Marduk bekriegt.«
»Dann ist er verrückter als sein Großvater und sein
Onkel zusammen!« rief Rathmore.
»Du meinst, er unternimmt diese Terrorangriffe auf
ihre Handelspartner in der Hoffnung, die marduka-
nische Raumflotte von ihrem Heimatplaneten wegzu-
locken?« Harkamans Stimme klang jetzt nicht mehr
so ungläubig. »Und sobald ihm das gelungen ist,
würde er dort angreifen?«
»So scheint es mir. Denk an unsere grundsätzliche
Annahme: Dunnan ist wahnsinnig. Weißt du noch,
wie er sich selbst einredete, der rechtmäßige Erbe der
Herzogswürde von Wardshaven zu sein?« Und dann
seine irrwitzige Leidenschaft für Elaine; doch diesen
Gedanken verdrängte er hastig. »Jetzt ist er über-
zeugt, der größte Raum-Wikinger der Geschichte zu
sein. Nun muß er etwas tun, was diesem Anspruch
gerecht wird. Wann ist zum letzten Mal ein zivilisier-
ter Planet angegriffen worden? Ich meine nicht Gil-
gamesch, ich meine ein Planet wie Marduk.«
»Vor einhundertzwanzig Jahren. Fürst Havilgar
von Haulteclere, sechs Schiffe gegen Aton. Zwei
Schiffe kamen zurück. Vier nicht. Seitdem hat es nie-
mand mehr versucht«, sagte Harkaman.
»Dann wird Dunnan der Große es tun. Ich hoffe, er
wird es versuchen«, fügte er zu seiner eigenen Über-
raschung hinzu. »Vorausgesetzt, ich kann genau fest-
stellen, was geschehen ist. Dann brauchte ich mir sei-
netwegen keine Gedanken mehr zu machen.«
Immerhin hatte es eine Zeit gegeben, da er befürch-
tet hatte, jemand anders würde Dunnan töten. Bevor
er selbst es tun konnte.
10
Seshat, Obiducut, Lugaluru, Audhumla.
Der junge Mann, der durch den Tod seines Vaters
bei Dunnans Überfall in die vererbliche Präsident-
schaft der demokratischen Republik Tetragrammaton
nachgerückt war, war sicher gewesen, daß die mar-
dukanischen Schiffe, die auf diesen Planeten kamen,
auch mit den Obengenannten Handel trieben. Über-
haupt den Kontakt herzustellen, war nicht leicht ge-
wesen; nur mit äußerstem Mißtrauen hatte der junge
Präsident sich zu diesem Treffen überreden lassen.
»Sie zerstörten das Stahlwerk hier und die Ölraffi-
nerie in Jannsboro. Sie beschossen und bombardier-
ten Dörfer und kleine Städte. Sie verstreuten radioak-
tives Material, das ebensoviele Todesopfer forderte
wie die Bombardements. Und als sie wieder fort wa-
ren, kam dieses andere Schiff.«
»Die Damnthing? Sie trägt einen Tierkopf mit drei
Hörnern als Wappen.«
»Ja. Sie richtete zunächst ein wenig Schaden an. Als
der Kapitän sah, was uns zugestoßen war, ließ er Le-
bensmittel und Medikamente zurück.« Roger-fan-
Morvill Esthersan hatte das nicht erwähnt.
»Nun, wir würden Ihnen gern helfen, wenn wir
können. Besitzen Sie Kernenergie? Wir können Ihnen
einige Anlagen liefern. Erinnern Sie uns daran, sobald
Sie wieder auf den Beinen sind. Aber fürchten Sie
nicht, uns etwas schuldig zu sein. Der Mann, der Ih-
nen dies angetan hat, ist mein Feind. Und jetzt möch-
te ich mit jedem Angehörigen Ihres Volkes reden, der
mir auch nur das Geringste sagen kann ...«
Seshat lag am nächsten und war ihr erstes Ziel. Zu
spät, Seshat hatte schon sein Teil abbekommen, und
nach der Anzeige der Geigerzähler zu schließen, vor
nicht allzu langer Zeit. Vierhundert Stunden höch-
stens. Zwei Höllenbrenner waren abgeworfen wor-
den; die Städte, auf die sie gefallen waren, waren nur
noch rauchende Löcher, buchstäblich in den Boden
gebrannt. Auch einen Planetensprenger hatte man
gezündet und damit ein größeres Erdbeben ausgelöst.
Wahrscheinlich gab es eine gewisse Anzahl Überle-
bender – es ist ja schwierig, eine menschliche Plane-
tenbevölkerung völlig auszurotten –, doch innerhalb
eines Jahrhunderts würden sie erst bei Lendenschurz
und Steinbeil angelangt sein.
»Wir wissen nicht einmal, daß es Dunnan persön-
lich war«, sagte Paytrik Morland. »Vielleicht sitzt er
in einer luftdichten Höhlenstadt auf einem Planeten,
von dem wir noch nie gehört haben, auf einem gol-
denen Thron, umgeben von einem Harem.«
Auch Trask begann zu argwöhnen, daß das wirk-
lich so sein konnte. Der größte Raum-Wikinger der
Geschichte würde gewiß ein Raum-Wikinger-
Imperium gründen.
»Ein
Herrscher
reist
von
Zeit
zu
Zeit
durch
sein
Reich;
ich
verbringe
auch
nicht
meine
ganze
Zeit
auf
Tanith.
Versuchen
wir
es
einmal
mit
Audhumla.
Er
ist
am weitesten weg. Vielleicht kommen wir hin, wäh-
rend er noch Obidicut und Lugaluru in Fetzen
schießt. Guatt, rechnen Sie einen Kurs aus.«
Als die farbigen Turbulenzen vom Bildschirm ver-
schwunden waren, sah Audhumla aus wie Tanith
oder Khepera oder Amaterasu oder irgendein ande-
rer Planet vom Terra-Typ. Es gab einen einzelnen
ziemlich großen Mond, und auf den Teleskopschir-
men die gewöhnlichen Umrisse und Linien von Mee-
ren, Kontinenten, Flüssen und Bergketten. Nichts
aber, was erkennen ließ ...
Oh, doch; Lichter auf der dunklen Seite. Der Größe
nach mußten es ausgedehnte Städte sein. Alle er-
reichbaren Daten über Audhumla waren längst über-
holt; in den letzten fünf oder sechs Jahrhunderten
mußte sich eine beträchtliche Zivilisation entwickelt
haben.
Ein weiteres Licht erschien, ein greller, blau-weißer
Funke, der zu einem größeren, weniger hellen gelben
Licht wurde. Gleichzeitig brachen alle Alarmanlagen
im Kommandoraum in ein Pandämonium von schril-
lem Geklingel, von Schnarren, Blitzen und Heulen
aus.
Strahlung.
Energieentladungen.
Antigravitations-
Verzerrungseffekte.
Infraroter
Output.
Ein
Wirrwarr
von
unentzifferbaren
Funk-
und
Televisor-Signalen.
Radar- und Funkortungsstrahlen vom Planeten.
Trasks Fäuste schmerzten; er hatte das Schaltpult
damit bearbeitet.
»Wir haben ihn! Wir haben ihn!« schrie er heiser.
»Höchste Beschleunigung, volle Geschwindigkeit bis
an die Grenze des Möglichen! An Verzögerung den-
ken wir erst, wenn wir auf Schußweite sind.«
Der Planet wurde ständig größer.
»Schiff geortet. Höhe einhundert bis fünfhundert
Kilometer – hundert, nicht tausend – 35° nördlicher
Breite, 15° westlich der Abendlinie. Schiff ist unter
Feuer, Bombenexplosionen in nächster Nähe«, dröhn-
te eine Stimme.
Jemand anderer brüllte, die gesichteten Lichter sei-
en in Wirklichkeit brennende Städte oder glühende
Wälder. Die vorher unterbrochene Stimme fuhr wie-
der fort:
»Schiff auf dem Teleskopschirm sichtbar, genau an
der Abendlinie. Ein weiteres Schiff geortet, aber nicht
sichtbar, irgendwo beim Äquator; Antigravitations-
feld eines dritten registriert.«
Offenbar gab es zwei Seiten und einen Kampf. Jetzt
waren sie in etwa zweitausend Kilometer Höhe. Karf-
fard stoppte die Beschleunigung und versuchte, in
eine Umlaufspirale zu gelangen. Plötzlich sahen sie
eines der beiden Schiffe.
»Sieht ziemlich übel aus.« Das war Paul Koreffs
Stimme. »Verliert 'ne Unmenge Luft und Wasser-
dampf. Ein anderes Schiff gibt Signal«, fügte er hinzu.
»Kommt eben über dem Äquator hoch. Schwert-
Welt-Impuls-Code; sendet seine Kommunikations-
Kombination und bittet um Identifizierung.«
Karffard gab die Kombination ein. Während Trask
verzweifelt versuchte, seine Gesichtszüge unbeweg-
lich erscheinen zu lassen, leuchtete das Schirmbild
auf. Es war nicht Andray Dunnan – welche Enttäu-
schung. Dennoch, es gab einen Trost. Denn es war
sein Gefolgsmann, Sir Nevil Ormm.
»Sir Nevil! Welche freudige Überraschung«, hörte
er sich sagen. »Zuletzt sahen wir uns auf der Terrasse
von Karvall House, nicht wahr?«
Und zum ersten Male veränderte das kalkweiße
Gesicht von Andray Dunnans âme damnée seinen
Ausdruck; doch ob es Angst, Überraschung, Schock,
Haß, Zorn oder eine Kombination aus alledem war,
konnte Trask nur vermuten.
»Trask! Der Satan hole Sie ...!«
Dann
erlosch
das
Bild.
Auf
dem
Teleskopschirm
kam
das
andere
Schiff
immer
näher.
Paul
Koreff,
der
die
Daten
von
Masse,
Energieausstoß
und
Dimensio-
nen
verglichen
hatte,
identifizierte
sie
als
die
Enterprise.
»Nichts wie drauf! Mit allem, was wir haben!«
Es hätte des Befehls nicht bedurft; Vann Larch
sprach schon hastig in sein Mikrophon, und Alvyn
Karffard warnte die Besatzung vor plötzlicher Ab-
bremsung und raschem Richtungswechsel. Auf dem
Teleskopschirm war das andere Schiff deutlich zu se-
hen; Trask konnte das schwarze Oval mit dem blauen
Halbmond ausmachen, und Dunnan würde auf sei-
nem Schirm den aufs Schwert gespießten Schädel der
Nemesis erkennen.
Wenn er nur hätte sicher sein können, daß dort
drüben auch Dunnan war. Und wenn sie mit einem
der Projektile, die sie jetzt abschossen, einen Glücks-
treffer erzielten, würde er es wohl niemals wissen. Es
war ihm gleich, wie Dunnan starb. Nur eines wollte
er wissen: Daß Dunnans Tod ihn von einer Verpflich-
tung befreite, die er sich selbst auferlegt hatte – die
ihm aber jetzt nichts mehr bedeutete.
Die Enterprise feuerte Abwehrraketen, die Nemesis
ebenso. Etwas mußte allerdings durchgekommen
sein: Rote Schadenssignale flammten auf. Der Treffer
war schwer genug gewesen, sogar die riesige Masse
der Nemesis zu erschüttern.
Gleichzeitig erhielt das andere Schiff einen Treffer,
der es atomisiert hätte, wäre es nicht mit Collapsium
armiert gewesen. Dann, als sie einander am nächsten
waren, unterstützte Artillerie das Raketenfeuer, und
dann war die Enterprise hinter dem Horizont und au-
ßer Sicht.
Ein weiteres Schiff von der Größe von Otto Har-
kamans Corisande II näherte sich; es trug einen Plane-
ten als Wappen, an einem Faden gehalten von einer
nagellackierten Frauenhand. Sie schossen aufeinan-
der zu, wie durch einen Garten riesiger Feuerblumen,
und rasten dann aneinander vorbei. Gleichzeitig fing
Paul Koreff ein Signal des dritten, beschädigten Schif-
fes auf – eine Kommunikationskombination. Trask
gab sie ein.
Der Mann, der auf dem Bildschirm erschien, trug
einen Raumanzug. Ein schlechtes Zeichen, wenn-
gleich er seinen Helm noch nicht aufgesetzt hatte.
Das Wappen auf seiner Brust stellte ein drachenähn-
liches Tier dar, dessen Schwanz einen Planeten um-
schloß, und über dem eine Krone schwebte.
»Wer sind Sie, Fremdling? Sie kämpfen gegen mei-
ne Feinde; sind Sie also mein Freund?«
»Ich bin der Freund eines jeden, der Andray Dun-
nan zum Feind hat. Das Schwert-Welt-Schiff Nemesis;
ich bin der Kapitän, Fürst Lucas Trask von Tanith.«
»Königlich mardukanisches Schiff Victrix.« Über
das schmale Gesicht des Mannes huschte ein gequäl-
tes Lächeln. »Hat freilich nicht ganz gehalten, was der
Name verspricht. Ich bin Prinz Simon Bentrik.«
»Sind Sie noch kampffähig?«
»Etwa die Hälfte unserer Artillerie ist noch feuer-
bereit, auch besitzen wir noch ein paar Raketen. Das
Schiff hat ein Dutzend Einschüsse. Manövrierfähig-
keit sehr beschränkt.«
»Wenn wir noch schnell genug abbremsen können,
werden wir alles in unserer Macht Stehende tun, um
Sie zu schützen.«
»Da kommt die Enterprise!« rief Karffard plötzlich
und fügte ein paar obszöne Bemerkungen hinzu.
»Dann tun Sie doch etwas!« wollte Trask eben ru-
fen, als er auf dem Bildschirm sah, wie sich etwas
Längliches, Stumpfes von der Victrix löste und in wei-
ter Kurve auf die Bahn der Enterprise, einbog. Die En-
terprise hatte noch kaum den Horizont überschritten,
als das Projektil in sie hineinraste und ein riesiger
Feuerball beide verschlang. Einen Augenblick lang
glaubte er, die Enterprise sei zerstört worden, doch
dann kam sie wieder in Sicht, um gleich darauf hinter
dem Horizont zu verschwinden.
»Fabelhafter Schuß, Victrix!« ertönte es noch im
Kommandoraum der Nemesis, als die Yo-Yo wieder
erschien, und Vann Larch knurrte: »Schluß mit den
Kinkerlitzchen! Jetzt wird ein Machtwort gespro-
chen!«
Er rief Befehle – ein Durcheinander von Code-
Buchstaben und -Zahlen –, und Projektile sausten da-
von. Die meisten detonierten im leeren Raum. Und
dann explodierte die Yo-Yo, ganz still, da der luftleere
Raum keinen Schall trug, aber sehr hell. Für kurze
Zeit lag taghelles Licht auf der Nachtseite des Plane-
ten.
»Das war unser Planetensprenger«, sagte Larch.
»Ich weiß nicht, was uns für Dunnan bleibt.«
Es
dauerte
nicht
lange,
bis
die
Enterprise
wieder
er-
schien,
um
zu
sehen,
was
passiert
war.
Larch
empfing
sie
mit
einer
Auswahl
kleinerer
Geschosse,
begleitet
von
einem
Fünfzig-Megatonnen-Nuklear-Sprengkör-
per
mit
Zielkamera.
Er
hatte
sein
eigenes
Arsenal
klei-
nerer
Raketen,
und
er
kam
durch.
Auf
dem
Teleskop-
schirm
war
unter
dem
Äquator
der
Enterprise
ein
Loch
zu
sehen,
dessen
gezackter
Rand
sich
nach außen
wölbte. Irgend etwas, möglicherweise ein abschußbe-
reiter Sprengkörper, war in ihrem Inneren explodiert.
Wie es drinnen aussah, und wieviele Angehörige der
Besatzung noch am Leben waren, war schwer zu sa-
gen. Doch einige mußten leben, denn von der Enter-
prise kam immer noch Gegenwehr. Die Geschosse
wurden abgefangen und detonierten. Dann wurde
die Enterprise immer größer auf dem Bildschirm, füll-
te ihn schließlich aus. Auf dem Schirm wurde es mil-
chig-weiß, als die Rakete einschlug.
Auch über die anderen Schirme huschte ein greller
Blitz, bis die automatischen Filter sich vorgeschaltet
hatten. Selbst dann war die helle Strahlung fast
schmerzlich für die Augen. Endlich, als die Lichtin-
tensität nachgelassen hatte und die Filter sich wieder
ausschalteten, war nichts von der Enterprise zurück-
geblieben als ein oranger Nebel.
»Werde ich je erfahren«, sagte Trask fast unhörbar
zu sich selbst, »ob Dunnan auf diesem Schiff war?«
MARDUK
1
Fürst Trask von Tanith und Prinz Simon Bentrik spei-
sten zusammen auf der Terrasse eines Hauses, das
ursprünglich das Zentralgebäude einer Farm aus der
Föderationszeit gewesen war. Jetzt war es das Rats-
gebäude einer Stadt, die um es herumgewachsen war
und Dunnans Überfall irgendwie ohne Schaden über-
standen hatte. Gewöhnlich von fünf- bis zehntausend
Leuten bewohnt, war der Ort nun überschwemmt
von fast fünfzigtausend heimatlosen Flüchtlingen aus
einem halben Dutzend anderer zerstörter Städte. Alle,
die Einwohner, Mardukaner und Raum-Wikinger,
hatten sich an den Hilfsaktionen beteiligt. Dies war
die erste Mahlzeit, zu der die beiden Kommandeure
sich ohne drängende Hast zusammenfanden. Prinz
Bentriks Freude daran war freilich etwas getrübt: Von
seinem Platz aus konnte er in der Ferne den Umriß
seines schwer beschädigten Schiffes sehen.
»Ich weiß nicht, ob wir es wieder starten, ge-
schweige denn in den Hyperraum damit kommen
können.«
»Dann bringen wir Sie und Ihre Besatzung eben
mit der Nemesis nach Marduk zurück. Sie haben doch
nicht geglaubt, wir würden Sie hier einfach sitzen las-
sen.«
»Ich weiß nicht, wie der Empfang sein wird. Raum-
Wikinger sind in letzter Zeit auf Marduk nicht popu-
lär. Allerdings, vielleicht wird man sich bei Ihnen be-
danken, daß Sie mich für das Verfahren zurückge-
bracht haben, das auf mich wartet«, sagte Bentrik bit-
ter. »Nun, ich würde jeden erschießen lassen, der es
nicht fertigbrächte, zu verhindern, daß man seinem
Schiff so übel mitspielt wie meinem. Die beiden An-
greifer waren schon in der Atmosphäre, bevor ich er-
kannt hatte, daß sie aus dem Hyperraum kamen.«
»Ich nehme an, daß sie schon vor Ihrer Ankunft auf
dem Planeten waren.«
»Oh, das ist lächerlich, Fürst Trask!« rief der Mar-
dukaner. »So kann man ein Schiff nicht auf einem
Planeten verstecken. Nicht vor den Instrumenten, wie
wir sie in der Königlichen Flotte haben.«
»Auch wir haben ganz gute Ortungsinstrumente«,
erinnerte ihn Trask. »Trotzdem, es gibt eine Stelle, wo
es möglich ist: Auf dem Grund eines Ozeans. Dort
hätte ich die Nemesis versteckt, wenn ich vor Dunnan
hiergewesen wäre.«
Prinz Bentriks Gabel sank wieder auf seinen Teller
zurück. Das war eine Theorie, die er gern akzeptierte.
»Aber die Einheimischen – sie wußten nichts.«
»Konnten sie auch nicht. Sie haben kein Frühwarn-
system. Wenn er direkt über dem Meer herunterkam,
aus der Sonne heraus, dann konnte niemand das
Schiff entdecken.«
»Ist das ein gebräuchlicher Raum-Wikinger-Trick?«
»Nein. Ich kam selbst darauf, auf dem Weg von
Seshat hierher. Aber wenn Dunnan Ihrem Schiff auf-
lauern wollte, mußte er ebenfalls auf die Idee kom-
men. Es ist praktisch die einzige Möglichkeit.«
Dunnan – oder Nevil Ormm. Er wünschte, er wüß-
te es, und fürchtete, es sein Leben lang nicht zu erfah-
ren.
2
Marduk hatte drei Monde; einen großen von zwei-
tausend Kilometer Durchmesser und zwei bessere
Felsbrocken. Der große Mond war befestigt und wur-
de ständig von mehreren Schiffen umkreist. Die Ne-
mesis wurde geortet, sobald sie den letzten Hyper-
sprung hinter sich hatte; zwei Schiffe schwenkten aus
ihrer Kreisbahn aus und kamen ihr entgegen, wäh-
rend einige weitere vom Planeten selbst aus starteten.
Prinz Bentrik hatte gleich Schwierigkeiten. Selbst als
ihm die Lage schon zweimal geschildert worden war,
wollte der Kommandant des mardukanischen Schif-
fes nicht verstehen. Eine im Kampf mit Raum-
Wikingern vernichtete Flotteneinheit war schlimm
genug; daß die Mannschaft aber von anderen Raum-
Wikingern gerettet und auf Marduk zurückgebracht
worden sein sollte, das gab es einfach nicht. Er nahm
Verbindung mit dem königlichen Palast in Malverton
auf; erst war er eisig höflich zu jemandem, der einige
Rangstufen unter ihm stand, dann respektvoll höflich
zu jemandem, den er als Fürst Vandarvant ansprach.
Schließlich erschien ein zierlicher, weißhaariger
Mann auf dem Schirm. Sofort sprang Prinz Bentrik
auf und nahm Haltung an, und alle anderen Mardu-
kaner im Kommandoraum taten es ihm gleich.
»Euer Majestät! Eine große Ehre!«
»Geht es Ihnen gut, Simon?« fragte der alte Herr
fürsorglich. »Man hat Ihnen doch nichts angetan?
Oder?«
»Sie haben mein Leben gerettet und das meiner
Männer, und mich wie einen Freund und Kameraden
behandelt, Euer Majestät. Erlauben Sie, daß ich Ihnen
formlos ihren Anführer, Fürst Trask von Tanith vor-
stelle?«
»Bitte, Simon. Ich bin dem Gentleman sehr zu
Dank verpflichtet.«
»Seine Majestät, Mikhyl der Achte, Planetarischer
König von Marduk«, sagte Fürst Bentrik. »Seine Ho-
heit Lucas, Fürst Trask, Planetarischer Vizekönig von
Tanith für Seine Majestät Angus den Ersten von
Gram.«
Der Monarch neigte leicht sein Haupt; Trask mach-
te eine Verbeugung.
»Ich bin sehr glücklich, Fürst Trask, zunächst, wie
ich bekennen muß, über die sichere Rückkehr meines
Verwandten, Prinz Bentrik, daneben aber auch über
die Ehre, jemandem zu begegnen, der das Vertrauen
König Angus' von Gram genießt. Für das, was Sie für
meinen Cousin, seine Offiziere und Mannschaften ge-
tan haben, danke ich Ihnen. Und ich bitte Sie, wäh-
rend Ihres Aufenthaltes auf diesem Planeten in mei-
nem Palast Wohnung zu nehmen; ich werde alles für
Ihren Empfang vorbereiten lassen und wünsche, daß
Sie mir noch heute abend formell vorgestellt wer-
den.« Er zögerte ein wenig. »Gram; das ist doch eine
der Schwert-Welten, nicht?« Noch ein kurzes Zögern.
»Sind Sie wirklich ein Raum-Wikinger, Fürst Trask?«
Vielleicht hatte er geglaubt, daß Raum-Wikinger
vier Meter groß seien und drei Hörner hätten.
Es dauerte mehrere Stunden, bis die Nemesis in eine
Umlaufbahn gesteuert war. Bentrik verbrachte den
größten Teil davon in einer Televisorkabine und kam
dann sichtlich erleichtert wieder heraus.
»Wegen der Geschehnisse auf Audhumla erhebt
man keine allzuschweren Vorwürfe«, erklärte er
Trask. »Es wird einen Untersuchungsausschuß geben.
Ich fürchte, ich mußte Sie da hineinziehen. Nicht nur
wegen Audhumla; vom Raumfahrtminister abwärts
wollen alle erfahren, was Sie über diesen Dunnan
wissen. Wie Sie, hoffen auch wir, daß er in seinem
Flaggschiff atomisiert worden ist, aber wir können
nicht sicher sein. Wir müssen über ein Dutzend Han-
delspartner beschützen, und mehr als die Hälfte von
ihnen hat er schon heimgesucht.«
»Seht euch die Stadt an!« flüsterte Paytrik Morland
plötzlich. »Wir reden dauernd von zivilisierten Plane-
ten, aber ich hätte nie geahnt, daß es so etwas gibt.
Daneben sieht ja Excalibur eher wie Tanith aus!«
Der Ort war Malverton, die Hauptstadt. Wie über-
all, wo Antigravitation bekannt war, bestand sie aus
einer Kreisfläche mit hohen, durch viel Grün getrenn-
ten Gebäuden, die von den kleineren Kreisen des
Raumhafens und der Industrievororte umgeben war.
Der Unterschied war, daß jede dieser letzteren so
groß wie Camelot auf Excalibur oder vier Wardsha-
vens auf Gram war, und Malverton selbst war beina-
he halb so groß wie das ganze Baronat von Traskon.
»Sie sind auch nicht zivilisierter als wir, Paytrik. Sie
sind nur mehr. Wenn wir zwei Millionen Einwohner
auf Gram hätten – was hoffentlich nie der Fall sein
wird – dann hätte auch Gram solche Städte.«
Einen Planeten wie Marduk zu regieren, war in der
Tat etwas komplizierter als der lose Feudalismus der
Schwert-Welten. Angesichts der Komplexität der Be-
völkerung und ihrer Probleme war diese »Goldber-
gokratie« vielleicht die einzige Möglichkeit gewesen.
Alvyn Karffard sah sich rasch um, um sicher zu
gehen, daß keiner der Mardukaner in Hörweite war.
»Ganz gleich, wie viele Leute sie haben«, sagte er,
»Marduk ist zu erobern. Kein Wolf kümmert sich
darum, wieviele Schafe in einer Herde sind. Mit
zwanzig Schiffen könnten wir diesen Planeten ein-
nehmen wie Eglonsby. Natürlich, es gäbe Verluste,
aber sobald wir unten wären, hätten wir ihn.«
»Woher sollten wir zwanzig Schiffe nehmen?«
Tanith konnte allenfalls fünf oder sechs bereitstel-
len. Beowulf hatte eines, ein zweites war fast fertigge-
stellt. Auf Amaterasu befand sich jetzt ein weiteres.
Aber eine Raum-Wikinger-Armada von zwanzig zu-
sammenzubekommen ... Er schüttelte den Kopf. Der
wirkliche Grund, warum Raum-Wikingern noch
niemals ein erfolgreicher Überfall auf einen zivilisier-
ten Planeten gelungen war, lag in ihrer Unfähigkeit,
sich in ausreichender Stärke unter einer einzigen
Führung zusammenzufinden.
Außerdem wollte er Marduk nicht überfallen. Ein
erfolgreicher Raubzug würde gewaltige Beute brin-
gen, doch hundert, ja tausendmal soviel Verwüstung
hinterlassen, und etwas Zivilisiertes wollte er nicht
zerstören.
Der Landeplatz des Palastes war voll von Men-
schen, als Lucas und Prinz Bentrik landeten. Trask
wurde sogleich zu seiner Suite gebracht. Sie war au-
ßerordentlich luxuriös, blieb jedoch durchaus im
Rahmen des Schwert-Welt-Standards. Die Zahl der
menschlichen Diener, die Arbeiten verrichteten, für
die Roboter besser geeignet waren, war erstaunlich.
Die vorhandenen Roboter leisteten wenig, und viel
Arbeit und Geist war dabei verschwendet worden,
menschliche Formen nachzuahmen – zum Nachteil
der Funktion.
Nachdem sich Lucas der meisten der ohnehin über-
flüssigen Diener entledigt hatte, schaltete er einen Te-
levisorschirm ein und sah sich verschiedene Nach-
richtensendungen an. Es gab ein breites Spektrum
von Kommentaren. Die Regierung hatte bereits de-
mentiert, daß (1) Prinz Bentrik die Nemesis gekapert
und als Prise hierher gebracht habe, und (2) daß die
Raum-Wikinger Prinz Bentrik gefangengenommen
hätten und als Geisel hielten. Weitere Informationen
hielt die Regierung zurück, und die Opposition
sprach von korrupten Machenschaften und heimtük-
kischer Verschwörung.
»Warum veröffentlicht die Regierung nicht die
Fakten, um diesem Unfug ein Ende zu machen?«
fragte Trask.
»Warum sollte sie«, erwiderte Bentrik. »Je länger
die Regierung wartet, desto mehr macht sich die Op-
position lächerlich, wenn die Tatsachen auf den Tisch
kommen.«
Die formelle Vorstellung würde am Abend statt-
finden; erst würde es ein Diner geben, und da Trask
noch nicht offiziell vorgestellt war, konnte er nicht
mit dem König dinieren. In seiner Eigenschaft als Vi-
zekönig von Tanith jedoch galt er als Staatschef und
würde mit dem Kronprinzen speisen, dem er freilich
zuvor offiziell vorgestellt werden sollte.
Es geschah in einem kleinen Vorraum des Bankett-
saales; Kronprinz, Kronprinzessin und Prinzessin
Bentrik erwarteten ihn bei seiner Ankunft. Der Kron-
prinz war ein Mann in mittleren Jahren, mit grauen
Schläfen und dem glasigen Blick, der Kontaktlinsen
verrät. Die Ähnlichkeit zwischen ihm und seinem Va-
ter war offenkundig; beide hatten denselben nach-
denklichen, etwas lebensfremden Gesichtsausdruck
und hätten Professoren der gleichen Universitätsfa-
kultät sein können. Er reichte Trask die Hand und
versicherte ihn der Dankbarkeit des Hofes und der
Königlichen Familie.
»Wissen Sie, daß Simon nach mir und meiner Toch-
ter den nächsten Platz in der Thronfolge einnimmt?«
fragte er. »Aus diesem Grund dürfen wir mit ihm
kein Risiko mehr eingehen.« Er wandte sich Bentrik
zu. »Ich fürchte, das war dein letztes Raumabenteuer,
Simon. Von nun an wirst du deine Tätigkeit auf den
Raumhafen beschränken müssen.«
»Ich bin nicht traurig darüber«, sagte Prinzessin
Bentrik. »Und wenn irgend jemand Fürst Trask zur
Dankbarkeit verpflichtet ist, dann ich.« Sie drückte
ihm herzlich die Hand. »Fürst Trask, mein Sohn
möchte Sie sehr gerne kennenlernen. Er ist zehn Jahre
alt und er glaubt, Raum-Wikinger seien romantische
Helden.«
»Da müßte er mal selbst einer werden.«
Und einen Planeten sehen, auf dem Raum-
Wikinger gehaust hatten!
Die meisten Gäste am oberen Ende der Tafel waren
Diplomaten – Botschafter von Odin, Baldur, Isis, Ish-
tar, Aton und den anderen zivilisierten Welten. Sie al-
le waren über das, was Trask für Fürst Bentrik getan
hatte, eingehend unterrichtet. Während des Essens
zeigten sie sich ungemein höflich und interessiert
und versuchten, ihm möglichst nahe zu sein, bis sich
die Prozession in den Thronsaal bewegte.
König Mikhyls goldene Krone trug das Planeten-
Emblem und wog wohl doppelt so viel wie ein Ge-
fechtshelm. Seine Robe war sicher schwerer als ein
gepanzerter Raumanzug. Beides war freilich nicht
annähernd so prunkvoll wie die Regalia von König
Angus' I. von Gram. Er erhob sich, ergriff Prinz Ben-
triks Hand, nannte ihn »lieber Cousin«, und be-
glückwünschte ihn zu seinem tapferen Kampf und
seiner glücklichen Rettung. Das straft alles Gerede
von einem Kriegsgerichtsverfahren Lügen, dachte
Trask. Dann reichte Mikhyl Trask die Hand und
nannte ihn einen »geschätzten Freund meiner und
meines Hauses«. Erste Person Singular; da würden
manche ein wenig staunen.
Dann setzte der König sich wieder, und der Rest
der Anwesenden defilierte an ihm vorbei, und
schließlich war es vorüber, und der König erhob sich
und schritt, begleitet von seinem unmittelbaren Ge-
folge, zwischen sich verbeugenden und knicksenden
Höflingen durch das breite Portal hinaus. Nach einer
angemessenen Weile begleiteten Kronprinz Edvard
und Fürst Bentrik ihn auf dem gleichen Weg hinaus,
und die anderen folgten ihnen in den Ballsaal, wo es
leise Musik und Erfrischungen gab. Es war nicht viel
anders als ein Empfang beim Hof von Excalibur, ab-
gesehen davon, daß Getränke und Speisen von
menschlichen Dienern gereicht wurden.
Nach einer halben Stunde kam eine Gruppe von
Höflingen und gab bekannt, daß Seine Majestät geru-
he, Fürst Trask in seinen Privatgemächern zu emp-
fangen. Manchen der Anwesenden stockte sichtlich
der Atem; sowohl Prinz Bentrik als auch der Kron-
prinz versuchten, nicht allzu unverhohlen zu lächeln.
Augenscheinlich kam so etwas nicht allzu häufig vor.
In einem kleinen, überaus einfach wirkenden
Raum, den er durch mehrere große, unglaublich
prächtige Säle erreicht hatte, empfing ihn der alte
König Mikhyl allein. Als die Wachen die Tür ge-
schlossen hatten, winkte er Trask zu einer Sitzgruppe
mit einem niedrigen Tischchen, auf dem sich Fla-
schen, Gläser und Zigarren befanden.
»Nur
meine
königliche
Autorität
macht
es
mir
mög-
lich,
Sie
den
Gästen
im
Ballsaal
zu
entreißen«,
begann
er. »Sie stehen im Mittelpunkt des Interesses.«
»Ich bin Eurer Majestät dankbar. Hier ist es ruhig,
und ich kann mich setzen. Im Thronraum waren Euer
Majestät das Zentrum der Aufmerksamkeit, und doch
glaubte ich, einen Ausdruck der Erleichterung bei Ih-
nen zu bemerken, als Sie ihn wieder verließen.«
»Ich versuche, das so gut wie möglich zu verber-
gen.« Der alte König nahm sein kleines goldgefaßtes
Käppchen ab und hängte es an seine Stuhllehne.
»Majestät kann ziemlich ermüdend sein, wissen Sie.«
Hierher konnte er also kommen und sie ablegen.
Trask spürte, daß eine Geste seinerseits am Platze
war. Er nahm den Uniformdolch von seinem Gürtel
und legte ihn auf den Tisch. Der König nickte.
»Jetzt können wir ehrliche Handelsleute sein. Un-
sere Geschäfte sind für den Rest des Tages geschlos-
sen, und wir unterhalten uns bei etwas Wein und Ta-
bak«, sagte er. »Nicht wahr, Freund Lucas?«
Es war wie die Aufnahme in einen Geheimbund,
deren Ritual er Schritt für Schritt erraten mußte.
»Ja, Freund Mikhyl.«
Sie erhoben die Gläser und tranken; Freund Mikhyl
bot Zigarren an, und Freund Lucas hielt ihm die Ker-
ze hin.
»Ich habe einiges Unangenehme über Ihr Tun ge-
hört, Freund Lucas.«
»Alles ist wahr, und das meiste noch untertrieben.
Wir sind berufsmäßige Räuber und Mörder, wie einer
meiner Kollegen sagt. Das Schlimmste daran ist, daß
Raub und Mord einfach eine Tätigkeit wird wie Ro-
boter-Service oder Gemüseverkauf.«
»Dennoch, Sie kämpften mit zwei anderen Raum-
Wikingern, um die havarierte Victrix meines Cousins
zu schützen. Warum?«
Also mußte er die Geschichte erzählen. König Mik-
hyls Zigarre ging aus, während er lauschte.
»Und seitdem jagen Sie ihn? Und jetzt wissen Sie
nicht, ob Sie ihn getötet haben oder nicht?«
»Ich fürchte, er lebt noch. Der Mann auf dem Bild-
schirm war der einzige, dem Dunnan wirklich ver-
traute. Einer von beiden wird zweifellos immer auf
der Basis bleiben.«
»Und wenn Sie ihn einmal töten – was dann?«
»Ich würde versuchen, aus Tanith einen zivilisier-
ten Planeten zu machen. Früher oder später wird es
eine Auseinandersetzung mit König Angus geben,
und dann werden Wir Unsere Majestät Lucas I. von
Tanith sein, auf einem Thron sitzen und Unsere Un-
tertanen empfangen, und ich werde verdammt froh
sein, wenn ich meine Krone abnehmen und mit ein
paar Männern reden kann, die mich ›Freund‹ statt
›Euer Majestät‹ nennen.«
»Nun, es wäre natürlich gegen mein Berufsethos,
einem Untertanen zur Auflehnung gegen seinen Sou-
verän zu raten; dennoch könnte das eine gute Sache
sein. Sie haben doch beim Diner den Botschafter von
Ithavoll kennengelernt, nicht wahr? Vor drei Jahr-
hunderten war Ithavoll eine mardukanische Kolonie
– jetzt können wir uns offenbar keine Kolonien mehr
leisten – und trennte sich dann von uns. Ithavoll war
damals ein Planet, wie Tanith jetzt einer zu sein
scheint. Heute ist es eine zivilisierte Welt und gehört
zu Marduks besten Freunden. Wissen Sie, manchmal
glaube ich, daß es da und dort wieder heller wird in
der Alten Föderation. Wenn es so ist, tragen Ihre
Raum-Wikinger dazu bei.«
»Sie meinen, die Planeten, die wir als Basen benut-
zen, und die Dinge, die wir den Einwohnern beibrin-
gen?«
»Auch das natürlich. Eine Zivilisation erfordert zi-
vilisierte Technologien. Die aber müssen für zivili-
sierte Zwecke benutzt werden. Wissen Sie etwas von
einem Raum-Wikinger-Überfall auf Aton etwa vor
einem Jahrhundert?«
»Sechs Schiffe von Haulteclere; vier zerstört, die
anderen beiden kehrten beschädigt und ohne Beute
zurück.«
Der König von Marduk nickte.
»Dieser Überfall rettete die Zivilisation auf Aton; es
gab vier große Nationen; die beiden größten waren
am Rande des Krieges, die beiden anderen warteten
nur darauf, sich auf den erschöpften Sieger zu stür-
zen und dann gegeneinander um die Reste zu kämp-
fen. Die Raum-Wikinger zwangen sie, sich zu verei-
nigen. Aus dieser zeitweiligen Allianz entsprang die
Liga für Gemeinsame Verteidigung und später die
Planetarische Republik. Jetzt ist die Republik eine
Diktatur, unter uns gesagt eine ganz scheußliche, die
Unserer Majestät Regierung ganz und gar nicht ge-
fällt. Früher oder später wird sie zerbrechen, doch
Partikularherrschaft und Nationalismus dürfen nicht
wiederkehren. Die Raum-Wikinger schreckten sie
davon ab, als die damit verbundenen Gefahren es
nicht mehr konnten. Vielleicht wird dieser Dunnan
für uns auf Marduk dasselbe tun.«
»Haben Sie Schwierigkeiten?«
»Sie haben entzivilisierte Planeten gesehen. Wie
kommt es dazu?«
»Sie wissen, wie es in vielen Fällen war: Krieg. Zer-
störung von Städten und Industrien. Überlebende in
den Ruinen, die zu viel damit zu tun haben, sich
überhaupt am Leben zu erhalten, als daß sie noch ei-
ne Zivilisation aufrechterhalten könnten.«
»Das ist Entzivilisation durch Katastrophen. Es gibt
auch eine Entzivilisation durch Erosion, und niemand
bemerkt sie, während sie fortschreitet. Jeder ist stolz
auf seine Zivilisation, seinen Reichtum und seine Kul-
tur. Aber der Handel geht zurück; weniger Schiffe
kommen von Jahr zu Jahr. Also tönt man großartig
von planetarischer Autarkie; wer ist denn überhaupt
noch auf interplanetarischen Handel angewiesen? Je-
dermann scheint Geld zu haben, doch die Regierung
ist stets bankrott. Defizitärer Haushalt – und immer
mehr unerläßliche soziale Leistungen, für die die Re-
gierung Geld ausgeben muß. Die unerläßlichste da-
von ist natürlich der Kauf von Stimmen, um die Re-
gierung an der Macht zu halten. Und der Bewe-
gungsspielraum der Regierung wird immer geringer.
Die Disziplin der Soldaten läßt nach, ihre Unifor-
men und Waffen verkommen. Die unteren Ränge
sind unverschämt. Immer größere Teile der Stadt
sind nachts gefährlich, manche schon bei Tag. Seit
Jahren schon sind keine neuen Gebäude erstellt wor-
den, und die alten werden nicht mehr repariert.«
Trask schloß die Augen. Plötzlich spürte er die
warme Sonne von Gram auf seinem Rücken, hörte
die lachenden Stimmen von der Terrasse herauf,
sprach wieder mit Lothar Ffayle, Rovard Grauffis,
Alex Gorram, Cousin Nikkolay und Otto Harkaman.
Er sagte:
»Und schließlich setzt man überhaupt nichts mehr
instand. Und die Reaktoren bleiben stehen, niemand
scheint in der Lage zu sein, sie wieder zu starten.
Noch ist es in den Schwert-Welten nicht ganz so weit
gekommen.«
»Hier auch noch nicht. Noch nicht.« Freund Mikhyl
entschwand, König Mikhyl VIII. sah über den Tisch
hinweg seinen Gast an. »Fürst Trask, haben Sie schon
von einem Mann namens Zasper Makann gehört?«
»Gelegentlich. Nichts Gutes freilich.«
»Er ist der gefährlichste Mann auf diesem Plane-
ten«, sagte der König. »Doch niemand will es mir
glauben. Auch nicht mein Sohn.«
3
Der Untersuchungsausschuß war mehr wie eine klei-
ne, geruhsame Cocktail-Party. Ein Admiral Shefter
präsidierte, wobei er sorgfältig alles vermied, was
diesen Eindruck hervorgerufen hätte. Alvyn Karffard,
Vann Larch und Paytrik Morland von der Nemesis
waren da, und Bentrik sowie mehrere der Offiziere
der Victrix, außerdem mehrere Experten für Operati-
onsplanung, Schiffskonstruktion, Forschung und
Entwicklung. Eine Weile plauderten sie miteinander,
bis Shefter sagte:
»Nun,
Commodore
Prinz
Bentrik
wird
keine
Zu-
rechtweisung
erhalten
für
die
Art,
in
der
er
sich
hat
überraschen
lassen.
Das
war
in
jener
Situation
nicht
zu
vermeiden.« Er sah den Offizier von Forschung und
Entwicklung an. »Es darf aber nicht mehr sehr häufig
passieren.«
»Nicht mehr oft, Sir. Einen Monat werden wir etwa
brauchen und dann die Zeit, bis wir alle Schiffe ent-
sprechend ausrüsten können.«
Der Mann von der Schiffskonstruktion war der An-
sicht, es würde nicht einmal so lange dauern.
»Wir werden Sorge tragen, daß Sie umfassende In-
formation über das neue Unterwasser-Detektionssy-
stem erhalten, Fürst Trask«, sagte der Admiral.
»Die Herren verstehen jedoch, daß sie das alles für
sich behalten müssen«, sagte ein anderer Offizier.
»Wenn ruchbar wird, daß wir Raum-Wikinger über
unsere technischen Geheimnisse informieren ...« Er
befühlte seinen Nacken in einer Weise, die Trask
vermuten ließ, daß Enthauptung die gebräuchliche
Form der Exekution auf Marduk war.
»Wir müssen herausfinden, wo der Kerl seine Basis
hat«, sagte der Mann von der Operationsplanung.
»Vermutlich nehmen Sie nicht an, Fürst Trask, daß er
auf seinem Flaggschiff war, als Sie es vernichteten?«
»O nein. Ich glaube nicht, daß er und Ormm jemals
auf demselben Schiff fuhren. Einer von ihnen blieb
wohl stets auf der Basis.«
»Nun, wir sagen Ihnen alles, was wir über sie wis-
sen«, versprach Shefter. »Das meiste unterliegt der
Geheimhaltung, und Sie werden auch das für sich
behalten müssen. Haben Sie irgendeine Vorstellung,
wo sich seine Basis befinden könnte, Fürst Trask?«
»Eigentlich nicht, wir glauben nur, daß es ein Pla-
net nichtterranischen Typs sein müßte.« Er erzählte
ihnen von Dunnans massierten Käufen von Luft- und
Wasseraufbereitungsanlagen und Carnikultur- und
hydroponischer Ausrüstung. »Das hilft uns natürlich
nicht sehr viel weiter.«
»Ja, es gibt ja rund fünf Millionen Planeten im Ge-
biet der früheren Föderation, die in künstlicher Um-
welt bewohnbar sind. Darunter ein paar, die völlig
von Meeren bedeckt sind und wo man mit genügend
Zeit und Material nach Belieben Unterwasserstädte
errichten könnte.«
»Was ich gern wissen möchte«, sagte ein Nachrich-
ten-Offizier, »ist, woher dieser Dunnan wußte, wann
unser Schiff auf Audhumla sein würde. Ihre Erwäh-
nung der Unterwasser-Kuppelstädte erinnerte mich
daran. Ich kann mir nicht denken, daß er sich einfach
ein Jahr auf den Meeresgrund setzte und wartete, bis
irgend etwas kommen würde. Er muß gewußt haben,
daß die Victrix Audhumla anfliegen würde, und auch
wann.«
»Das gefällt mir gar nicht, Commodore«, sagte
Shefter.
»Glauben Sie, mir gefällt es, Sir?« entgegnete der
Nachrichten-Offizier. »Aber so scheint es nun einmal
zu sein. Wir müssen uns damit abfinden.«
»Das tun wir«, stimmte Shefter zu. »Gehen Sie der
Sache nach, Commodore, und ich brauche Sie kaum
darauf hinzuweisen, daß Sie jeden, den Sie damit be-
auftragen, aufs Gründlichste durchleuchten müssen.«
Er füllte langsam sein Glas. »Es ist lange her, daß die
Flotte Sorgen wie diese hatte.« Er wandte sich Trask
zu. »Ich nehme an, ich kann Sie im Palast erreichen,
wann immer es nötig ist?«
»Fürst Trask und ich sind Gäste Prinz Edvards, ich
meine Baron Cragdales, in seinem Jagdhaus«, sagte
Bentrik. »Wir fahren von hier aus direkt dorthin.«
»Ah.« Admiral Shefter lächelte ein wenig. Zweifel-
los stand dieser Raum-Wikinger auf sehr freund-
schaftlichem Fuß mit der königlichen Familie. »Wir
werden in Verbindung bleiben, Fürst Trask.«
Das Jagdhaus, wo Kronprinz Edvard einfach nur
Baron Cragdale war, lag am Ende eines steil anstei-
genden Gebirgstales, durch das ein Flüßchen lief.
Manche der Gipfel zu beiden Seiten waren mit ewi-
gem Schnee bedeckt. Die tiefer liegenden Hänge wa-
ren bewaldet wie auch das Tal dazwischen. Zum er-
stenmal seit über einem Jahr war Elaine bei Lucas,
begleitete ihn und sah die Schönheit der Landschaft
durch seine Augen. Und er hatte schon geglaubt, sie
hätte ihn für immer verlassen.
Das Jagdhaus selbst entsprach nicht ganz dem, was
ein Schwert-Weltler sich unter einem Jagdhaus vor-
stellte. Aus der Luft gesehen wirkte es auf den ersten
Blick wie eine Sonnenuhr – ein schlanker Turm erhob
sich aus einem Rund aus flachen Gebäuden und Gär-
ten. Das Boot landete an seinem Fuße, und er, Prinz
und Prinzessin Bentrik, der junge Graf von Ravary
und sein Tutor stiegen aus. Sofort eilte eine Schar von
Bediensteten auf sie zu; das zweite Boot mit Bentriks
Dienern und seinem Gepäck kreiste noch über der
Landestelle. Elaine, bemerkte Lucas, war nicht mehr
bei ihm. Dann wurde er von den Bentriks getrennt
und in einem Lifter nach oben gebracht. Bedienstete
packten seine Koffer aus, bereiteten sein Bad und
bemühten sich weiter um ihn, während er sich um-
zog.
Zwei Dutzend Gäste kamen zum Diner. Bentrik
hatte ihn gewarnt, daß er einigen seltsamen Typen
begegnen würde; vielleicht meinte er auch damit, daß
nicht alle zum Adel gehörten. Unter den Bürgerlichen
waren mehrere Professoren (vor allem der Sozialwis-
senschaft) ein Gewerkschaftsführer, ein paar Reprä-
sentanten, ein Mitglied der Delegiertenkammer sowie
einige Sozialarbeiter, was immer das bedeutete.
Seine Tischnachbarin war eine Lady Valerie Alva-
rath. Sie war schön – schwarzes Haar, auffallend
blaue Augen, eine in den Schwert-Welten außeror-
dentlich seltene Kombination – und sie war intelli-
gent oder wußte zumindest geschickt den Eindruck
zu erwecken. Sie wurde ihm als die Hofdame der
Tochter des Kronprinzen vorgestellt. Als er sie fragte,
wo die Tochter sei, lachte sie.
»Sie wird noch lange nicht an Empfängen für
Raum-Wikinger teilnehmen, Fürst Trask. Sie ist ge-
nau acht Jahre alt; ich habe sie noch zu Bett gebracht,
bevor ich herkam. Nach dem Diner werde ich noch
einmal bei ihr nachsehen.«
Dann fragte ihn Kronprinzessin Melanie, die zu
seiner
Linken
saß,
einiges
über
die
Hofetikette
der
Schwert-Welten.
Er
erging
sich
in
allgemeinen
Aus-
führungen
über
das,
was
er
in
seiner
Studentenzeit
am
Hof
von
Excalibur
kennengelernt
hatte.
Diese
Leute
hatten
schon
eine
Monarchie
gehabt,
bevor
Gram
ko-
lonisiert
worden
war;
er
wollte
nicht
zugeben,
daß
Grams
Monarchie
eingerichtet
worden
war, nachdem
er den Planeten verlassen hatte. Der Tisch war klein
genug, daß jeder hören konnte, was er sagte, und die
Möglichkeit hatte, ihm Fragen zu stellen. Auch nach
dem Essen, als man in der Bibliothek den Kaffee
nahm, zeigte man sich wißbegierig.
»Aber wie steht es mit Ihrer Regierungsform, Ihrer
sozialen Struktur und so fort?« wollte jemand wissen.
»Nun, wir gebrauchen das Wort Regierung nicht
sehr häufig«, antwortete Lucas. »Wir reden viel von
Autorität und Souveränität, ein wenig zu viel viel-
leicht, aber die Regierung scheint uns ein Souverän
zu sein, der sich in Dinge einmischt, die ihn nichts
angehen. So lange sie die öffentliche Ordnung auf-
recht erhält und ernstere Verbrechen riskant für die
Verbrecher macht, sind wir zufrieden.«
»Aber das ist rein negativ. Tut die Regierung denn
nichts Positives für das Volk?«
Er versuchte, ihnen das Feudalsystem der Schwert-
Welten zu erklären. Es war schwierig, stellte er fest,
jemandem, der nichts davon wußte, etwas zu erklä-
ren, was man selbst ein ganzes Leben für selbstver-
ständlich angesehen hatte.
»Aber die Regierung tut tatsächlich nichts für das
Volk!« erklärte einer der Professoren. »Sie überläßt al-
le sozialen Leistungen der Laune der Lords oder Ba-
rone.«
»Und das Volk hat keine Möglichkeit der Willens-
erklärung; aber das ist ja Tyrannei!« fügte ein Mit-
glied des Parlaments hinzu.
Er versuchte zu erklären, daß das Volk sehr wohl
seinen Willen erklären konnte und daß Barone und
Lords, die am Leben bleiben wollten, sorgfältig dar-
auf achteten. Das Parlamentsmitglied sah die Sache
jetzt anders. Das war keine Tyrannei, das war Anar-
chie. Und der Professor wollte immer noch mehr über
die sozialen Leistungen wissen.
»Wenn Sie Schulen, Krankenhäuser oder die Sau-
berhaltung der Städte meinen, das regeln die Leute
selbst. Die Regierung paßt lediglich auf, daß niemand
auf sie schießt, während sie es tun.«
»Das ist nicht, was Professor Pullwell meint, Lucas.
Er denkt an Renten für Pensionisten«, sagte Prinz
Bentrik. »Etwas wie das, worüber Zaspar Makann so
große Töne spuckt.«
Auf dem Weg von Audhumla hierher hatte er da-
von gehört. Nach dreißig Jahren Arbeit oder im Alter
von sechzig würde jedermann auf Marduk mit an-
gemessener Rente pensioniert werden. Als er wissen
wollte, woher das Geld komme, hatte man ihm er-
klärt, es werde eine Verkaufssteuer geben und daß
die Renten im Laufe von dreißig Tagen würden aus-
gegeben werden müssen, was die Konjunktur anrege,
und daß die Hochkonjunktur Steuergeld für die Ren-
ten erbringen würde.
»Bei uns erzählt man sich einen Witz über drei Gil-
gamescher, die auf einem unbewohnten Planeten ge-
strandet sind«, sagte er, »Zehn Jahre später, als man
sie rettete, waren alle drei ungeheuer reich, und zwar
dadurch, daß sie sich gegenseitig Hüte verkauft hat-
ten. Genauso würde auch diese Sache hier laufen.«
Eine der Sozialarbeiterinnen erstarrte; es war nicht
recht, herabsetzende Scherze zu machen. Einer der
Professoren räusperte sich; hier bestand keinerlei
Parallele; der Selbstfördernde Rentenplan war durch-
aus machbar. Leicht schockiert erinnerte sich Trask,
daß der Mann Professor der Wirtschaftswissenschaf-
ten war.
Alvyn Karffard würde keine zwanzig Schiffe benö-
tigen, um Marduk zu plündern. Er brauchte den Pla-
neten nur mit ein paar smarten Vertrauensleuten zu
infiltrieren, und innerhalb eines Jahres würde ihnen
alles auf dem Planeten gehören.
Dann kam das Gespräch auf Zaspar Makann. Man-
che meinten, er habe einige gute Ideen, schade aber
durch Extremismus seiner eigenen Sache. Einer der
reicheren Adeligen sagte, er sei ein Pfahl im Fleisch
der herrschenden Klasse; ihre Schuld sei es, daß Leu-
te wie Makann Anhänger gewinnen konnten.
Trask erachtete es nicht für angebracht, Freund
Mikhyl hier zu zitieren. Er nahm es auf seine eigene
Verantwortung, zu sagen: »Nach dem, was ich über
ihn gehört habe, ist er sicherlich die größte Bedro-
hung für die zivilisierte Gesellschaft auf Marduk.«
»Ich neige der Ansicht Fürst Trasks zu«, sagte Ben-
trik nüchtern. »Und ich fürchte, die Wahlergebnisse
werden für uns ein Schock sein, nicht für Makann. Er
spricht gerade auf einer Versammlung der Volks-
wohl-Partei in Drepplin«, sagte er dann. »Darf ich
einschalten, damit Sie sehen, was ich meine?«
Als der Kronprinz zustimmend nickte, drückte er
auf den Knopf. Der Bildschirm wurde hell.
Ein Gesicht erschien darauf. Die Züge waren nicht
die Andray Dunnans – der Mund war breiter, die
Backenknochen stärker, das Kinn runder. Aber die
Augen waren die Dunnans, wie Trask sie auf der Ter-
rasse von Karvall House gesehen hatte. Wahnsinnige
Augen. Mit schriller Stimme schrie er:
»Unser
geliebter
Herrscher
ist
ein
Gefangener!
Er
ist
von
Verrätern
umgeben!
Die
Ministerien
sind
voll
da-
von!
Sie
sind
alle
Verräter!
Die
blutrünstigen
Reaktio-
näre
der
fälschlicherweise
so
genannten
Loyalisten-
Partei!
Eine
Verschwörung
der
interstellaren
Bankiers!
Die
dreckigen
Gilgamescher!
Alle
vereint
in
einer
un-
heiligen
Allianz!
Und
jetzt
dieser
Raum-Wikinger, die-
ses blutbefleckte Ungeheuer aus den Schwert-Welten
...«
»Entsetzlich! Schluß damit!« versuchten einige
Stimmen den Redner zu übertönen.
Nur, es ging nicht. Sie konnten den Televisor ab-
drehen, aber Zaspar Makann würde weitergeifern,
und Millionen auf dem Planeten würden ihn weiter
hören. Bentrik schaltete auf einen anderen Kanal. Das
Bild zeigte einen großen Park. Dicht gedrängt stan-
den Leute, von denen die meisten Kleidung trugen,
deren sich auf Gram jeder Landstreicher geschämt
hätte; da und dort aber standen zwischen ihnen
Gruppen von Männern in etwas, was beinahe aussah
wie eine Militäruniform. Jeder von ihnen trug einen
dicken kurzen Schlagstock. Am anderen Ende des
Parks war Zaspar Makann auf einer riesigen Projekti-
onswand zu sehen. Sobald er sich unterbrach, um
Atem zu holen, erhob sich ein Ruf, ausgehend von
den Gruppen uniformierter Männer:
»Makann! Makann! Makann ist der Führer! Makann an
die Macht!«
»Sie gestatten ihm sogar eine Privatarmee?« fragte
er den Kronprinzen.
»Ach, diese albernen Hampelmänner in ihren Ope-
rettenuniformen«, sagte der Kronprinz achselzuk-
kend. »Sie sind nicht bewaffnet.«
»Nicht sichtbar«, wandte Trask ein. »Noch nicht.«
»Ich wüßte nicht, woher sie Waffen bekommen
sollten.«
»Nein, Euer Hoheit«, sagte Prinz Bentrik. »Ich auch
nicht. Und gerade das macht mir Sorgen.«
4
Am nächsten Nachmittag brachte ihm einer seiner
Diener die Nachricht, Baron Cragdale würde sich
freuen, wenn Fürst Trask die Zeit für eine private Un-
terredung aufbringen könnte. Das Gespräch war erst
wenige Minuten alt, als Baron Cragdale plötzlich
Kronprinz Edvard wurde.
»Fürst Trask, ich höre von Admiral Shefter, daß Sie
und er die Möglichkeit einer Kooperation gegen un-
seren gemeinsamen Feind Dunnan diskutiert haben.
Das ist gut; es findet meine Billigung und die Billi-
gung von Prinz Vandarvant, dem Premierminister,
und, wie ich hinzufügen darf, die von Freund Mik-
hyl. Indes glaube ich, wir sollten weiter gehen. Ein
formeller Vertrag zwischen Tanith und Marduk
könnte sehr zum gegenseitigen Vorteil sein.«
»Auch ich neige dieser Ansicht zu, Prinz Edvard.
Aber geht diesem Heiratsantrag nicht eine ziemlich
kurze Bekanntschaft voraus? Seit unserer Ankunft
hier sind erst fünfzig Stunden vergangen.«
»Nun, wir wußten schon vorher einiges über Sie
und Ihren Planeten. Es gibt hier eine größere Kolonie
von Gilgameschern. Auch auf Tanith haben Sie eine
Anzahl davon, nicht wahr? Und was ein Gilgame-
scher weiß, wissen alle, und unsere arbeiten eng mit
unserem Nachrichtendienst zusammen.« Das war
wohl der Grund, warum Dunnan die Gilgamescher
mied. Zweifelsohne war es das, was Zaspar Makann
meinte, als er gegen die interstellare Verschwörung
der Gilgamescher zu Felde zog.
»Mir ist klar, inwieweit ein solches Arrangement
für beide Seiten von Vorteil sein würde. Ich wäre
durchaus dafür. Zusammenarbeit gegen Dunnan na-
türlich und gegenseitige Einräumung von Handels-
rechten bei unseren Partnern, und direkter Handel
zwischen Marduk und Tanith; Beowulf und Amate-
rasu würden noch dazukommen. Findet dies auch die
Zustimmung des Premierministers und des Königs?«
»Freund Mikhyl ist dafür; es gibt einen Unterschied
zwischen ihm und dem König, wie Sie sicher bemerkt
haben. Der König kann sich für nichts aussprechen,
bevor die Versammlung oder der Kanzler ihre Mei-
nung äußern. Auch Fürst Vandarvant ist persönlich
dafür; als Premierminister behält er sich seine Stel-
lungnahme noch vor. Wir werden uns um die Unter-
stützung der Loyalisten-Partei bemühen müssen, be-
vor wir uns eindeutig festlegen können.«
Ganz inkognito kam an diesem Abend der Pre-
mierminister zu Cragdale, begleitet von mehreren
Führern der Loyalisten-Partei. Im Prinzip stimmten
sie alle einem Vertrag mit Tanith zu. In politischer
Hinsicht hatten sie Zweifel. Nicht vor den Wahlen;
das war ein zu kontroverses Thema. »Kontrovers«
war, wie es schien, auf Marduk das schlimmste Eti-
kett, das man einem politischen Vorhaben anhängen
konnte. Es würde die Wähler der Arbeiterpartei be-
einflussen; sie würden befürchten, daß eine Steige-
rung der Importe ihre Arbeitsplätze gefährden könn-
te. Zaspar Makanns Partei protestierte bereits flam-
mend dagegen, daß die Nemesis in Werkstätten der
königlichen Flotte wieder instandgesetzt wurde.
Und mehrere Mitglieder der Volksversammlung,
die zu Makann hin tendierten, hatten eine Resolution
eingebracht, in der sie ein Kriegsgerichtsverfahren
gegen Prinz Bentrik und eine Untersuchung der
Loyalität von Admiral Shefter forderten. Und jemand
anderer, wahrscheinlich ein Strohmann Makanns, be-
hauptete, Bentrik habe die Victrix den Raum-
Wikingern verkauft und daß die Filme von der
Schlacht von Audhumla gefälscht, auf der Mondbasis
hergestellte Trick-Aufnahmen seien.
Admiral Shefter tat letzteres, als Trask ihn am
nächsten Tag aufsuchte, verächtlich ab.
»Kümmern
Sie
sich
nicht
darum;
so
etwas
haben
wir
vor
jeder
Wahl.
Auf
diesem
Planeten
kann
man
jeder-
zeit
unbeschadet
auf
die
Gilgamescher
oder
auf
die
Armee
eindreschen;
beide
haben
weder
Wählerstim-
men,
noch
können
sie
zurückschlagen.
Das
ganze
wird
am
Tag
nach
der
Wahl
vergessen
sein.
So
ist
es
immer.«
»Das heißt, wenn Makann nicht gewinnt«, sagte
Trask.
»Ganz gleich, wer die Wahl gewinnt. Ohne die
Flotte können sie alle nicht auskommen, und das wis-
sen sie ganz genau.« Trask wollte wissen, ob der
Nachrichtendienst irgendwelche Informationen habe.
»Nicht darüber, woher Dunnan wußte, daß die Vic-
trix nach Audhumla beordert worden war, nein«,
sagte Shefter. »Das war auch gar kein Geheimnis;
mindestens tausend Leute, bei mir angefangen bis
hinunter zu Schuhputzern, konnten davon wissen,
sobald der Befehl ausgefertigt war. Wir werden hier
etliche Jalousien herunterlassen müssen.
Was die Liste von Schiffen anbelangt, die Sie mir
gaben, ja. Eines davon kam regelmäßig auf diesen
Planeten; erst gestern ist es wieder gestartet. Die Ho-
nest Horris.«
»Großer Satan! Haben Sie denn nichts unternom-
men?«
»Ich glaube nicht, daß wir etwas hätten tun kön-
nen. Oh, wir untersuchen die Dinge, aber ... Sehen
Sie, das Schiff ist in letzter Zeit durch viele Hände ge-
gangen. Vor ein paar Jahren war es unter dem Kom-
mando eines gewissen Horris Sasstroff hier. Sein Zu-
stand war so schlecht, daß es nicht mehr starten
konnte. Sasstroff war nicht in der Lage, die Reparatur
zu bezahlen, und wir mußten es pfänden. Dann wur-
de es von einer kleinen Gesellschaft zur anderen ver-
kauft und landete schließlich bei der Startraders Ltd.
auf Gimli. Scheint eine ordentliche Gesellschaft zu
sein, aber wir untersuchen das Ganze. Wir suchen
auch nach Sasstroff, konnten ihn allerdings noch
nicht finden.«
»Wenn Sie ein Schiff auf Gimli schicken, dann kön-
nen Sie feststellen, was man dort über die Honest Hor-
ris weiß. Vielleicht werden Sie entdecken, daß sie
überhaupt niemals dort war.«
»Das könnte schon sein«, räumte Shefter ein. »Wir
gehen der Sache nach.«
Innerhalb
weniger
Tage
wußte
jedermann
auf
Marduk,
daß
ein
Vertrag
mit
Tanith
im
Gespräch
war.
Wenn
nicht,
war
es
nicht
die
Schuld
von
Zaspar
Makanns
Partei,
die
eine
beunruhigend
große
Anzahl
von
Fern-
sehstationen
zu
kontrollieren
schien
und
im
Äther
Schauergeschichten
von
Grausamkeiten
der
Raum-
Wikinger
und
Anschuldigungen
gegen
wohlweislich
nicht
genannter
Verräter
in
der
Umgebung
des
Königs
und
des
Kronprinzen
verbreiteten.
Die
Indiskretion
kam
offenbar
nicht
von
Cragdale,
denn
man
nahm
all-
gemein
an,
daß
Trask
noch
im
königlichen
Palast
in
Malverton
sei.
Zumindest
fanden
dort
die
Demonstra-
tionen
der
Makannisten
gegen
ihn
statt.
Er
sah
sich
so
eine
Demonstration
auf
dem
Bildschirm
an.
Die
Kame-
ra
war
offenbar
auf
einer
der
Landebühnen
des
Pala-
stes
postiert
und
hatte
den
ganzen
Park
im
Blickfeld.
Eine
dichte
Menschenmenge
brandete
gegen
den
dün-
nen
Polizeikordon
an.
Die
vorderen
Reihen
der
Menge
nahmen
sich
wie
ein
Schachbrett
aus
–
eine
Gruppe
in
Zivilkleidung,
dann
eine
Gruppe
in
den
seltsam
wei-
bisch
anmutenden
Uniformen
von
Zaspar
Makanns
Volksgarde,
dann
wieder
andere
in
gewöhnlicher
Kleidung,
dann
wieder
Volksgarde.
Über
den
Köpfen
schwebten
kleine
Antigravitationsboote, aus deren
Lautsprechern es rhythmisch dröhnte:
»RAUS MIT DEN RAUM-WI-KIN-GERN, RAUS
MIT DEN RAUM-WI-KIN-GERN!«
Die Polizei verharrte bewegungslos; der Mob kam
näher. Als er noch fünfzig Meter entfernt war, rann-
ten die Volksgardisten nach vorn und verteilten sich
dann, bis sie eine sechs Mann tiefe, sich über die gan-
ze Front erstreckende Linie bildeten. Andere Grup-
pen kamen von hinten und stießen die nicht unifor-
mierten Demonstranten beiseite. Obwohl sie ihm mit
jeder Sekunde widerwärtiger waren, konnte Trask
nicht umhin, ihrem geschickten, diszipliniert ausge-
führten Manöver Anerkennung zu zollen. Wie lange
sie diese Taktik wohl gedrillt hatten? Jetzt stürmten
sie weiter auf die Polizei zu.
»RAUS MIT DEN RAUM-WI-KIN-GERN, RAUS
MIT DEN RAUM-WI-KIN-GERN!«
»Feuer!« hörte er sich schreien. »Laßt sie nicht nä-
herkommen; feuert jetzt!«
Aber die Polizisten hatten nichts, womit sie hätten
feuern können, nur Knüppel, nicht besser als die der
Volksgardisten. Nach kurzem Schlagwechsel ver-
schwanden sie einfach in der Menge, und Makanns
Truppe stürmte weiter.
Alles war sehr schnell gegangen. Die Palasttore
wurden zugemacht; die Menge schloß zu der Phalanx
von Makanns Volksgardisten auf und kam zum Ste-
hen. Die Lautsprecher brüllten weiter ihren rhythmi-
schen Chor.
»Diese Polizisten wurden ermordet«, sagte Trask.
»Ermordet von dem Mann, der sie unbewaffnet dort
hinaus geschickt hat.«
»Das wäre ja Graf Naydnayr, der Sicherheitsmini-
ster«, sagte jemand fast vorwurfsvoll.
»Dann müßte eben er dafür gehängt werden.«
»Aber was hätten Sie denn getan?« fragte Kron-
prinz Edvard.
»Ich hätte fünfzig Kampfwagen hingeschickt. Dann
hätte ich eine Grenze angegeben, die niemand über-
schreiten durfte, und im Zuwiderhandlungsfalle so-
fort das Feuer eröffnet. Dann hätte ich weitere
Kampfwagen hinausgeschickt und jeden erschießen
lassen, der die Uniform der Volksgardisten trägt. In-
nerhalb von achtundvierzig Stunden gäbe es keine
Wohlfahrtspartei mehr, und auch keinen Zaspar Ma-
kann.«
Der Kronprinz erstarrte. »Vielleicht sind das Ihre
Methoden in den Schwert-Welten, Fürst Trask, aber
nicht unsere auf Marduk. Unsere Regierung hat nicht
die Absicht, das Blut des eigenen Volkes zu vergie-
ßen.«
Er war schon versucht zu antworten, daß in diesem
Falle zuletzt das Blut der Regierung vergossen wür-
de. Statt dessen sagte er ruhig:
»Tut mir leid, Prinz Edvard. Sie haben eine wun-
derbare Zivilisation hier auf Marduk. Sie hätten fast
alles daraus machen können. Aber jetzt ist es zu spät.
Die Dämme sind gebrochen, die Barbaren sind da.«
5
Die vielfarbige Turbulenz wich dem Grau des Hyper-
raums; fünfhundert Stunden bis Tanith. Guatt Kirbey
verschloß sein Steuerpult, glücklich, sich seiner Mu-
sik zuwenden zu können. Vann Larch würde jetzt
Zeit haben für Pinsel und Farbe, und Alvyn Karffard
für das Modell, an dem er baute, seit die Nemesis
Audhumla verlassen hatte.
Trask ging das Verzeichnis der Schiffsbibliothek
durch und drückte auf den Knopf für Geschichte, alte
terranische. Davon war genügend vorhanden, dank
Otto Harkaman. Dann sah er nach unter Hitler, Adolf.
Harkaman hatte recht; alles, was in einer menschli-
chen Gesellschaft möglich war, hatte sich, irgendwo
und zu irgendeiner Zeit in der einen oder anderen
Form bereits ereignet. Hitler konnte ihm helfen,
Zaspar Makann zu verstehen.
Als die gelbe Sonne Taniths in der Mitte des
Schirmbilds stand, wußte er eine Menge über Hitler –
gelegentlich auch Schicklgruber genannt – und er be-
griff mit Bedauern, auf welche Weise das Licht der
Zivilisation auf Marduk erlosch. Neben der Lamia wa-
ren auch die Geißel des Weltraums und die Königin Fla-
via auf Patrouille. Etwa ein halbes Dutzend anderer
Schiffe war auf einer Umlaufbahn: Ein Gilgamescher,
ein Frachter, ein paar Raum-Wikinger und ein neues
unbekanntes Schiff. Als er die Mondbasis fragte, um
wen es sich handle, erfuhr er, es sei die Sonnengöttin
von Amaterasu. Harkaman war die der Corisande auf
Handelsfahrt.
Er suchte seinen Cousin Nikkolay Trask in Riving-
ton auf. Als er sich nach Traskon erkundigte, fluchte
Nikkolay.
»Ich weiß nichts von Traskon; ich habe nichts mehr
damit zu tun. Traskon ist jetzt das persönliche Eigen-
tum unserer geliebten – vielgeliebten – Königin Evita.
Die Trasks besitzen jetzt auf Gram nicht einmal mehr
genügend Land für ein Familiengrab. Siehst du, was
du angerichtet hast?« fügte er bitter hinzu.
»Laßt gut sein, Nikkolay. Wenn ich auf Gram ge-
blieben wäre, hätte ich Angus mit auf den Thron ge-
holfen, und am Ende wäre alles genauso gekommen.«
»Es könnte sehr viel anders sein«, sagte Nikkolay.
»Du könntest mit deinen Männern zurück nach Gram
gehen und selbst den Thron besteigen.«
»Nein;
nach
Gram
gehe
ich
nie
zurück;
Tanith
ist
jetzt
mein
Planet.
Aber
ich
werde
Angus
die
Gefolg-
schaft
aufkündigen.
Ich
kann
genau
so
gut
mit
Mor-
glay
oder
Joyeuse
oder
Flamberge
Geschäfte
machen.«
»Das wird nicht nötig sein; du kannst auch mit
Newhaven und Bigglersport Handel treiben. Graf
Lionel und Herzog Joris lehnen sich gegen Angus
auf, sie weigern sich, ihm Leute zur Verfügung zu
stellen, haben seine Steuereinnehmer vertrieben, bau-
en ihre eigenen Schiffe. Auch Angus baut Schiffe. Ich
weiß nicht, ob er sie gegen Bigglersport und Newha-
ven oder gegen dich verwenden wird, aber so viel ist
sicher: Es wird Krieg geben, bevor noch ein Jahr ver-
geht.«
Die Goodhope und die Speedwell, stellte er fest, wa-
ren nach Gram zurückgekehrt. Sie standen unter dem
Kommando von Männern, die sich neuerdings der
Gunst König Angus' erfreuten. Die Black Star und die
Königin Flavia – deren Kapitän einen Befehl von Gram
mißachtet hatte, sie in Königin Evita umzutaufen –
waren geblieben. Sie waren seine Schiffe, nicht König
Angus'. Der Kapitän des Frachters aus Wardshaven
weigerte sich, Fracht für Newhaven aufzunehmen; er
war von König Angus gechartert worden und nahm
von niemand anderem Befehle an.
»Gut«, sagte Trask. »Das war Ihre letzte Reise hier-
her. Wenn dieses Schiff noch einmal unter der Char-
ter von Angus von Wardshaven erscheint, eröffnen
wir das Feuer.«
Dann ließ er die Regalia, die er bei seiner letzten
Televisor-Botschaft an Angus getragen hatte, abstau-
ben. Zunächst hatte er beabsichtigt, sich zum König
von Tanith zu erklären. Lord Valpry, Baron Rathmore
und sein Cousin sprachen sich dagegen aus.
»Beschränken Sie sich darauf, sich Fürst von Tanith
zu nennen«, sagte Valpry. »Der Titel hat keinen Ein-
fluß auf Ihre Autorität hier, und wenn Sie Anspruch
auf den Thron von Gram erheben, kann niemand sa-
gen, Sie seien ein fremder König, der den Planeten zu
annektieren versuche.«
Also setzte er sich als Fürst von Tanith auf seinen
Thron und kündigte »Angus von Wardshaven, dem
selbsternannten König von Gram« die Gefolgschaft
auf. Sie schickten das Band mit dem im übrigen lee-
ren Frachter.
Als Harkaman von seiner Fahrt zurückkehrte, billigte
er Trasks Verhalten gegenüber König Angus.
»Wir können auch ohne die Schwert-Welten aus-
kommen. Wir haben unsere eigene Industrie, die alles
herstellt, was wir brauchen, und können mit Beowulf
und Amaterasu, mit Xochitl, Jagannath und Hoth Ge-
schäfte machen, wenn wir zu einer Übereinkunft mit
ihnen kommen. Alle müssen sich bereiterklären, die
Handelspartner der anderen in Frieden zu lassen. Zu
dumm, daß du mit Marduk keine Übereinkunft erzie-
len konntest.« Harkaman bedauerte das sekunden-
lang und zuckte dann die Achseln. »Unsere Enkel
werden wahrscheinlich Marduk plündern.«
»Siehst du so schwarz?«
»Du nicht? Du warst dort; und du hast gesehen,
was los ist. Die Barbaren kommen nach oben, sie ha-
ben einen Führer und halten zusammen. Jede Gesell-
schaft hat eine barbarische Grundlage. Die Leute,
welche die Zivilisation nicht verstehen, und denen sie
nicht gefiele, wenn sie es täten. Die Mitläufer. Die
Unkreativen, die nicht schätzen, was andere für sie
geschaffen haben, und die glauben, daß Zivilisation
einfach selbstverständlich sei und daß sie sich nur an
dem zu erfreuen brauchen, was sie begreifen – Luxus,
ein hoher Lebensstandard und leichte Arbeit für ho-
hen Lohn. Verantwortung? Pah! Wozu haben sie
denn eine Regierung?«
Trask nickte. »Und jetzt glauben die Mitläufer, sie
verstehen mehr von der Maschine als die, die sie
entworfen haben. Also nehmen sie jetzt alles selbst in
die Hand. Makann sagt, daß sie es können, und er ist
der Führer. Trotzdem verstehe ich das Ganze einfach
nicht. Auf unserem Heimweg las ich über Hitler.
Wenn Makann die entsprechende Literatur gelesen
hätte, würde mich das absolut nicht wundern. Er be-
dient sich sämtlicher seiner Tricks. Aber Hitler kam in
einem Land an die Macht, das durch eine militärische
Niederlage verarmt war. Marduk hat seit fast zwei
Generationen keinen Krieg geführt, und der letzte
war eine Farce.«
»Es war nicht der Krieg, der Hitler an die Macht
brachte. Es war die Tatsache, daß die herrschende
Klasse einer Nation diskreditiert wurde. Die Massen
hatten niemand, der für sie die Verantwortung über-
nehmen konnte. Was sie auf Marduk haben, ist eine
herrschende Klasse, die sich selbst diskreditiert hat.
Eine herrschende Klasse, die sich ihrer Privilegien
schämt und sich um ihre Verpflichtungen drückt. Ei-
ne herrschende Klasse, die allmählich glaubt, die
Massen seien ebenso gut wie sie, was sie in Wirklich-
keit keineswegs sind. Und eine herrschende Klasse,
die keine Gewalt anwenden wird, um ihre Position
zu erhalten. Und sie haben eine Demokratie und las-
sen es zu, daß die Feinde der Demokratie sich mit
demokratischen Mäntelchen maskieren.«
»Auf den Schwert-Welten gibt es so etwas nicht«,
sagte Lucas. »Und unsere herrschende Klasse schämt
sich nicht ihrer Macht, und unser Volk setzt sich nicht
aus Mitläufern zusammen, und solange man es gut
behandelt, wird es nicht versuchen, selbst an die
Macht zu gelangen. Und trotzdem steht nicht alles
zum Besten.«
Harkaman nickte. »Weißt du warum? Unsere Herr-
scher sind die Barbaren unter uns. Nicht einer von
ihnen – Napolyon von Flamberge, Rodolf von Excali-
bur oder Angus von etwa der Hälfte von Gram –
fühlt sich wirklich der Zivilisation verpflichtet, und
das ist das Kennzeichen eines Barbaren.«
»Und wem fühlst du dich verpflichtet, Otto?«
»Dir. Du bist mein Häuptling. Auch ein Kennzei-
chen eines Barbaren.«
Bevor er Marduk verließ, hatte Admiral Shefter ein
Schiff auf Gimli geschickt, das Nachforschungen über
die Honest Horris anstellen sollte; ein paar Männer in
einem kleineren Boot sollten dort bleiben, um mit et-
wa von Tanith kommenden Schiffen Verbindung
aufzunehmen. Trask sandte Valkanhayn mit der Gei-
ßel des Weltraums dorthin.
Als
sie
wieder
von
Gimli
zurückkamen,
berichtete
Valkanhayn,
daß
dort
niemand
je
etwas
von
der
Honest
Horris
gehört
hatte.
Sie
hatten
das
hauptsächlich
mit
Offizieren
besetzte
mardukanische
Schiff
getroffen.
Ih-
ren
Aussagen
zufolge
waren
die
Nachforschungen
nach
der
Honest
Horris
an
einem
toten
Punkt
ange-
kommen.
Ihre
Eigentümer
behaupteten
–
und
konnten
an
Hand
von
Dokumenten
beweisen
–,
daß
sie
es
ei-
nem
Privatunternehmer
verchartert
hätten,
der
seiner-
seits
behauptete
und
beweisen
konnte,
ein
Bürger
der
planetarischen
Republik
von
Aton
zu
sein;
sobald
sie
ihn
befragen
wollten,
nahm
er
Zuflucht
beim
atoniani-
schen
Botschafter,
der
sofort
dem
mardukanischen
Außenministerium
eine
Protestnote
schickte.
Die
Wohlfahrtspartei
hatte
sich
sogleich
des
Falles
be-
mächtigt
und
die
Untersuchung
als
willkürliche
Ver-
folgung
eines
Angehörigen
einer
befreundeten Nation
gebrandmarkt, hinter der korrupte Werkzeuge der in-
terstellaren Verschwörung von Gilgamesch steckten.
»So steht es nun«, schloß Valkanhayn. »Offenbar
haben sie Wahlen und wollen es mit niemandem ver-
derben, der eine Stimme zu vergeben hat. Also mußte
die Untersuchung gestoppt werden. Auf Marduk hat
alles Schiß vor diesem Makann. Glaubst du, er und
Dunnan könnten unter einer Decke stecken?«
»Daran habe ich in der Tat schon gedacht. Sind seit
der Schlacht von Audhumla noch irgendwelche von
Marduks Handelspartnern überfallen worden?«
»Ein paar. Die Bolide war vor nicht allzu langer Zeit
auf Audhumla. Mehrere mardukanische Schiffe wa-
ren dort, die Victrix war inzwischen wieder kampffä-
hig gemacht worden. Die Bolide wurde vertrieben.«
So
schickte
er
Harkaman
in
der
Corisande
und
Raval-
lo
in
der
Black
Star
aus,
um
nach
Dunnans
Schiffen
zu
forschen
und
der
königlich
mardukanischen
Flotte
bei-
zustehen.
Weniger
als
tausend
Stunden
nach
seinem
Start war Ravallo mit der Black Star wieder zurück.
»Ich fuhr nach Gimli und traf dort ein mardukani-
sches Schiff. Es hatte Neuigkeiten für Sie, und ein
paar Passagiere.«
»Passagiere?«
»Ja. Sie werden sehen, wer es ist, wenn sie herun-
terkommen.«
Die Besucher waren Lucile, Prinzessin Bentrik und
ihr Sohn, der junge Graf von Ravary. Sie speisten mit
Trask; nur Kapitän Ravallo war noch dabei.
»Ich wollte meinen Mann nicht verlassen und Ih-
nen hier nicht zur Last fallen, Fürst Trask«, begann
sie, »aber er bestand darauf. Während der ganzen
Reise bis Gimli mußten wir uns in den Räumen des
Kapitäns verbergen; nur ein paar von den Offizieren
wußten, daß wir an Bord waren.«
»Makann hat die Wahlen gewonnen, ist es das?«
fragte er. »Und Prinz Bentrik will nicht riskieren, daß
Sie und Steven zu Geiseln gemacht werden?«
»So ist es«, sagte sie. »Richtig gewonnen hat er die
Wahlen nicht, aber es läuft auf dasselbe hinaus. Nie-
mand hat im Repräsentantenhaus eine Mehrheit, aber
er hat mit einigen der Splitterparteien eine Koalition
gebildet. Ich schäme mich zu sagen, daß er auch die
Unterstützung einiger Loyalisten hat.«
»Und abgesehen vom Repräsentantenhaus?« fragte
Trask.
»Mit den Splitterparteien und einigen abtrünnigen
Loyalisten hat er auch eine Mehrheit im Delegierten-
haus. Noch vor einem Monat hätten die meisten ent-
rüstet verneint, irgend etwas mit Makann zu tun zu
haben, aber hundert von einhundertzwanzig unter-
stützen ihn jetzt. Makann ist natürlich Kanzler.«
»Und wer ist Premierminister?« fragte er. »Andray
Dunnan?«
Einen Augenblick lang sah sie ihn etwas verblüfft
an und sagte dann: »Nein, nein. Premierminister ist
Kronprinz Edvard. Nein; Baron Cragdale. Er glaubt
ehrlich, die Wahl sei der Ausdruck des Volkswillens
und daß es seine Pflicht sei, sich ihm zu beugen.«
Trask fragte, ob die Volksgardisten jetzt öffentlich
Waffen trügen.
»O
ja.
Sie
hatten
ganz
recht;
sie
waren
die
ganze
Zeit
bewaffnet,
verfügten
sogar
über
Kampfwagen
und
schwere
Artillerie.
Nach
der
Bildung
der
neuen
Regie-
rung
erhielten
sie
Armee-Status.
Sie
haben
sämtliche
Polizeistationen auf dem Planeten übernommen.«
»Und der König?«
»Ach, der macht weiter, zuckt die Achseln und
sagt: ›Ich bin nur der König‹. Was könnte er sonst
auch tun? In den letzten dreihundert Jahren haben
wir die Macht des Throns immer mehr beschnitten.«
»Was macht Prinz Bentrik? Und warum befürchtet
er, daß man Sie beide als Geiseln nehmen könnte?«
»Er wird kämpfen«, sagte sie. »Fragen Sie mich
nicht wie oder womit. Vielleicht als Guerilla in den
Bergen, ich weiß es nicht. Ich wollte bei ihm bleiben
und ihm helfen. Er aber erklärte mir, ihm sei am be-
sten geholfen, wenn Steven und ich ein Gebiet verlie-
ßen, wo er beständig um uns besorgt sein müßte.«
»Ich wollte bleiben«, sagte der Junge. »Ich hätte bei
ihm kämpfen können. Aber er sagte, ich müsse mich
um Mutter kümmern. Und wenn er getötet würde,
müsse ich ihn rächen.«
»Wie geht es der kleinen Prinzessin Myrna?« fragte
Trask, und dann, nach kurzem Zögern – »und Lady
Valerie?«
Er sah sie ganz nahe vor sich, mit ihren blauen Au-
gen und ihrem tiefschwarzen Haar, wirklicher als
Elaine seit Jahren für ihn gewesen war.
»Sie sind in Cragdale; dort dürften sie sicher sein.
Ich hoffe es jedenfalls.«
6
Als Gastgeber ließ Trask ein wenig zu wünschen üb-
rig. Freilich, er hatte Sorgen, und alle trugen densel-
ben Namen: Fürst Viktor von Xochitl. Gilgamescher
hatten die Nachricht gebracht, Viktor baue eine starke
Flotte auf. Er hatte einmal mit Viktor gesprochen; der
Herr von Xochitl hatte sich unverbindlich, ja feindse-
lig gezeigt.
Xochitl lag tausend Lichtjahre von Tanith entfernt.
Trask verwarf den Gedanken an einen Präventiv-
schlag; es war möglich, daß seine Schiffe Xochitl un-
verteidigt vorfanden, um dann auf ein völlig verwü-
stetes Tanith zurückkehren zu müssen. Solche Dinge
waren in Raumkriegen schon vorgekommen. Es gab
nur eines: Wachsam zu bleiben und Tanith zu vertei-
digen, falls Viktor es angriff, um dann zum Gegenan-
griff zu schreiten, sofern noch brauchbare Schiffe üb-
rig waren. Fürst Viktor stellte möglicherweise die
gleichen Überlegungen an.
Er hatte jetzt keine Zeit mehr, an Andray Dunnan
zu denken. Mehr und mehr wünschte er, Harkaman
würde die Suche nach ihm aufgeben und mit der Co-
risande zurückkehren. Er brauchte das Schiff auf Ta-
nith, und er brauchte den Verstand und den Mut sei-
nes Kommandeurs.
Weitere Nachrichten kamen von Xochitl. Nur zwei
Schiffe, beides bewaffnete Frachter, befanden sich auf
dem Planeten. Fürst Viktor hatte mit dem Rest den
Planeten verlassen – etwa zweitausend Stunden be-
vor die Nachricht Trask erreichte. Das war zweimal
so lange, als die Armada von Xochitl gebraucht hätte,
um Tanith zu erreichen. Auch auf Beowulf war er
nicht, das war nur fünfundsechzig Stunden von Ta-
nith entfernt, und sie hätten längst darüber gehört.
Das gleiche galt für Amaterasu oder Khepera. Wie-
viele Schiffe Viktor hatte, war ungewiß; sicher nicht
weniger als fünf, vielleicht sogar mehr. Er hätte sich
in das Tanith-System einschleichen und seine Schiffe
auf einem der äußeren unbewohnbaren Planeten ver-
stecken können. Doch war dies nicht der Fall, wie
Valkanhayn und Ravallo feststellten. Zumindest lau-
erte Viktor von Xochitl nicht in ihrem eigenen Plane-
tensystem auf eine Gelegenheit zum Angriff.
Aber irgendwo war er und führte bestimmt nichts
Gutes im Schilde. Man konnte nur warten. Trask war
zuversichtlich, daß er ihm einen höllisch heißen Emp-
fang bereiten konnte. Er hatte die Nemesis, die Geißel
des Weltraums, die Black Star und die Königin Flavia,
daneben die Lamia und mehrere unabhängige Raum-
Wikinger-Schiffe, darunter die Damnthing seines
Freundes Roger-fan-Morvill Esthersan, der darauf be-
standen hatte, zu bleiben und ihm bei der Verteidi-
gung beizustehen. Natürlich nicht aus bloßem Altru-
ismus. Wenn Viktor angriff und seine Flotte vernich-
tet wurde, würde Xochitl ungeschützt sein, und es
gab genug Beute auf dem Planeten, um sämtliche
Schiffe damit zu füllen. Sämtliche Schiffe, die nach
der Schlacht von Tanith noch übrig waren, natürlich.
Entschuldigend sagte Trask zur Prinzessin Bentrik:
»Tut mir sehr leid, daß Sie von Zaspar Makanns
Regen in Fürst Viktors Traufe geraten sind«, begann
er.
Sie lachte. »Wir werden ja sehen. An Schirm und
Schutz scheint es mir hier nicht zu mangeln. Wenn es
zum Kampf kommt – werden Sie dafür sorgen, daß
Steven an einem sicheren Ort ist?«
»Bei einem Raumangriff gibt es keine sicheren Or-
te. Ich werde ihn bei mir behalten.«
Der junge Graf von Ravery wollte wissen, auf wel-
chem Schiff er dienen würde, wenn der Angriff käme.
»Auf gar keinem Schiff, Graf, Sie werden zu mei-
nem Stab gehören.«
Zwei Tage später kam die Corisande aus dem Hy-
perraum. Auf dem Televisorschirm drückte sich Har-
kaman betont vorsichtig aus. Trask nahm ein Lande-
boot und flog zu dem Schiff hinaus.
»Marduk mag uns nicht mehr«, erklärte ihm Har-
kaman. »Sie haben Schiffe auf allen ihren Partnerpla-
neten,
und
alle
haben
Befehl,
auf
jeden
–
ich
wiederho-
le,
auf
jeden
–
Raum-Wikinger
zu
feuern,
einschließlich
der
Schiffe
des
selbsternannten
Fürsten
von
Tanith.
Ich
habe
das
von
Kapitän
Garravay
von
der Vindex. Nach
unserem Gespräch gab es einen netten kleinen Kampf
Schiff gegen Schiff, damit er filmen konnte. Auf diese
Weise wird niemand auf unerwünschte Gedanken
kommen.«
»Dieser Befehl kam von Makann?«
»Vom kommandierenden Admiral. Es ist nicht dein
Freund Shefter. Shefter trat aus ›Gesundheitsgrün-
den‹ zurück. Jetzt ist er in einem ›Hospital‹.«
»Wo ist Prinz Bentrik?«
»Das weiß kein Mensch. Er wurde des Hochverrats
beschuldigt und verschwand einfach. Verschwand im
Untergrund, oder wurde heimlich verhaftet und exe-
kutiert; du kannst es dir aussuchen.«
Trask fragte sich, was er Prinzessin Lucile und Graf
Steven sagen sollte.
»Sie haben Schiffe auf allen ihren Partnerplaneten.
Vierzehn im ganzen. Aber ihr Ziel ist nicht, Dunnan
zu fangen. Sie wollen die Flotte von Marduk wegha-
ben. Sie vertrauen der Flotte nicht mehr. Ist Prinz Ed-
vard noch Premierminister?«
»Nach den letzten Informationen ja. Wie es scheint,
hält sich Makann peinlich genau an das Gesetz, abge-
sehen davon, daß er seine Volksgardisten in die Ar-
mee eingebracht hat. Er beteuert seine Ergebenheit
gegenüber dem König, wann immer er den Mund
aufmacht.«
»Und wann wird das Feuerwerk losgehen?«
»Wie? Ach ja, du hast über Hitler gelesen. Ich weiß
es nicht. Wahrscheinlich ist es schon passiert.«
Dreitausend Stunden waren vergangen, seit die erste
Warnung Tanith erreicht hatte. Das bedeutete, daß es
fünftausend Stunden her war, seit Viktors Schiffe
vermutlich Xochitl verlassen hatten. Manche, darun-
ter Valkanhayn, bezweifelten jetzt, ob das überhaupt
stimmte.
»Das Ganze ist nichts als eine Lüge der Gilgame-
scher«, erklärte er. »Irgend jemand hat sie bezahlt,
damit sie uns das andrehen und unsere Schiffe hier
festsetzen. Oder, die Gilgamescher haben die Sache
selbst erfunden, um freie Hand bei unseren Partner-
planeten zu bekommen.«
Vier Tage später näherte sich eine Hyperraum-
Yacht mit dem Wappen von Bigglersport. Sobald sie
den letzten Mikrosprung hinter sich hatte, meldete
sie sich über Televisor.
Trask kannte den Mann nicht, der auf dem Bild-
schirm erschien, doch Hugh Rathmore wußte, wer er
war: Herzog Joris' Geheimsekretär.
»Fürst Trask, ich muß Sie so bald wie möglich spre-
chen«, begann er fast stotternd. Wie dringend seine
Mission auch sein mochte, man hätte gewiß vermutet,
daß er nach einer Reise von dreitausend Stunden sei-
ne Erregtheit ein wenig abgelegt haben würde. »Es ist
von größter Wichtigkeit.«
»Sie sprechen mit mir selbst. Diese Televisor-
Verbindung ist ausreichend sicher. Wenn es von
größter Wichtigkeit ist, dann sollten Sie mir so bald
wie möglich ...«
»Fürst Trask, Sie müssen nach Gram kommen, mit
jedem Mann und jedem Schiff, das Sie aufbringen
können. Nur der Satan weiß, was jetzt dort los ist,
aber vor dreitausend Stunden, als der Herzog mich
aussandte, landete Omfray von Glaspyth in Wards-
haven. Er hat eine Flotte von acht Schiffen, bereitge-
stellt vom König von Haulteclere, einem Verwandten
seiner Frau. Kommandiert werden sie von König
Konrads Cousin, dem Fürsten von Xochitl.«
Dann kam ein Ausdruck schockierter Überra-
schung in das Gesicht des Mannes auf dem Bild-
schirm, und Trask wunderte sich, bis, er bemerkte,
daß er sich in seinem Stuhl zurückgelehnt hatte und
schallend lachte. Bevor er sich entschuldigen konnte,
hatte der Mann auf dem Schirm wieder die Sprache
gefunden.
»Ich weiß, Fürst Trask; Sie haben keinen Grund,
viel von König Angus zu halten – dem früheren Kö-
nig Angus, oder dem möglicherweise bereits verstor-
benen König Angus –, aber ein blutrünstiger Mörder
wie Omfray von Glaspyth ...«
Es dauerte eine ganze Weile, bis er dem Geheimse-
kretär des Herzogs von Bigglersport die Komik der
Situation erklärt hatte.
Noch andere gab es in Rivington, die sie nicht auf
der Stelle verstanden. Die berufsmäßigen Raum-
Wikinger, Männer wie Valkanhayn, Ravallo und Al-
vyn Karffard waren wütend. Monatelang waren sie
nun gefechtsbereit hier gesessen und hätten ganz Xo-
chitl kassieren können, wenn sie das nur gewußt hät-
ten. Die Leute von Gram waren entsetzt. Angus von
Wardshaven war schlimm genug gewesen, aber
selbst er war immer noch besser als ein schurkischer
Mordbube – manche nannten ihn sogar einen Teufel
in Menschengestalt – wie Omfray von Glaspyth.
Beide Gruppen hatten natürlich ihre feste Vorstel-
lung darüber, was Fürst Trask jetzt zu tun hatte. Die
Raum-Wikinger bestanden darauf, daß alles, was auf
Tanith hyperraum-fähig war, sofort zum Xochitl ge-
schickt werden solle, um von dort alles zu holen bis
auf ein paar absolut unbewegliche Teile der Natur.
Die Leute vom Gram forderten ebenso leidenschaft-
lich und laut, daß jeder, der irgendwie eine Waffe
halten konnte, unverzüglich auf einen Kreuzzug zur
Befreiung Grams gesandt werde.
»Du bist wohl für keines von beiden?« fragte ihn
Harkaman, als sie nach zwei Tagen Auseinanderset-
zung endlich allein waren.
»Nifflheim, nein, wenn wir Xochitl angriffen –
weißt du, was dann passieren würde?« Harkaman
schwieg. »Innerhalb eines Jahres würden sich vier
oder fünf von diesen kleinen Planetenherrschern wie
Gratham oder die Everrards gegen uns verbünden
und einen Aschenhaufen aus Tanith machen.«
Harkaman nickte zustimmend. »Seit wir ihn zum
erstenmal gewarnt haben, haben Viktors Schiffe un-
sere Planeten in Frieden gelassen. Wenn wir jetzt, oh-
ne direkt provoziert worden zu sein, Xochitl angrif-
fen, würde niemand mehr wissen, was er von uns zu
erwarten hat. Leute wie Nicky Gratham oder die
Everrards von Hoth werden nervös, wenn sie die La-
ge nicht mehr durchschauen, und wenn sie nervös
sind, werden sie schießwütig.« Er zog nachdenklich
an seiner Pfeife und meinte dann: »Dann machst du
dich also jetzt auf den Weg nach Gram.«
»Das ist damit noch nicht gesagt; wenn Valkan-
hayn und Ravallo und diese Leute unrecht haben,
dann heißt das noch nicht, daß Valpry, Rathmore und
Ffayle deswegen recht haben. Du weißt noch, was ich
denen am Tag unserer ersten Begegnung in Karvall
House sagte. Du hast die Entwicklung gesehen, die
Gram inzwischen genommen hat. Otto, die Schwert-
Welten haben keine Zukunft mehr; sie sind jetzt
schon halb entzivilisiert. Hier auf Tanith – hier lebt
und wächst die Zivilisation. Ich möchte hierbleiben
und ihr dabei helfen.«
»Hör zu, Lucas«, sagte Harkaman. »Du bist Fürst
von Tanith, und ich bin nur dein Admiral. Aber ich
sage dir eines: Du mußt etwas unternehmen, sonst
fällt hier alles auseinander. Wie die Dinge stehen,
kannst du Xochitl angreifen, und die Zurück-auf-
Gram-Partei würde mitziehen. Oder du kannst dich
für diesen Kreuzzug gegen Omfray von Glaspyth
entscheiden, und die Anti-Xochitl-Partei macht noch
mit. Läßt du aber die Dinge weiter so treiben, dann
wirst du bald auf keine der beiden Fraktionen mehr
Einfluß haben.«
»Und
dann
ist
es
aus
mit
mir.
Und
in
wenigen
Jahren
wird
es
auch
aus
mit
Tanith
sein.«
Er
stand
auf
und
ging
erregt
im
Raum
hin
und
her.
»Nein,
ich
werde
Xo-
chitl
nicht
angreifen.
Ich
habe
dir
erklärt,
warum,
und
du
hast
zugestimmt.
Und
ich
werde
auch
nicht
Taniths
Männer,
Schiffe
und
wirtschaftliche
Kraft
in
irgendei-
ne
dynastische
Auseinandersetzung
der
Schwert-Welt
werfen.
Großer
Satan,
Otto;
du warst im Durendal-
Krieg. Das ist genau das gleiche, und es wird noch ein
halbes Jahrhundert so weitergehen.«
»Was also willst du tun?«
»Wer mich hierher geführt hat, war Andray Dun-
nan, nicht wahr?« fragte er.
»Ich fürchte, weder Ravallo noch Valpry, ja nicht
einmal Valkanhayn oder Morland dürften so interes-
siert an Dunnan sein wie du.«
»Dann werde ich eben ihr Interesse wecken. Wie
du weißt, habe ich mich auf der Fahrt von Marduk
hierher mit Hitler beschäftigt. Ich werde ihnen allen
eine große Lüge auftischen. Eine Lüge, so groß, daß
niemand sich unterstehen wird, sie nicht zu glauben.«
7
»Glauben Sie denn, ich hätte Angst vor Viktor von
Xochitl?« fragte er. »Ein halbes Dutzend Schiffe; zu-
sammen mit dem, was wir hier haben, könnten wir
einen neuen Van-Allen-Gürtel um Tanith herum da-
mit einrichten. Unser wahrer Feind sitzt auf Marduk,
nicht auf Xochitl; sein Name ist Zaspar Makann.
Zaspar Makann und Andray Dunnan, der Mann, den
ich von Gram aus verfolgte; sie haben sich verbündet,
und ich nehme an, daß Dunnan jetzt selbst auf Mar-
duk ist.«
Die Delegation, die mit der Yacht des Herzogs von
Bigglersport von Gram gekommen war, war nicht be-
eindruckt. Marduk war für sie nur ein Name, einer
der legendären zivilisierten Planeten der Alten Föde-
ration, die kein Schwert-Weltler jemals gesehen hatte.
Zaspar Makann war nicht einmal das. Und auf Gram
hatte sich seit der Ermordung Elaine Karvalls und der
Kaperung der Enterprise so viel ereignet, daß sie
Dunnan völlig vergessen hatten.
Paytrik Morland, auf Gram geboren, hatte sich bis-
her für den Kampf gegen Omfray von Glaspyth aus-
gesprochen. Jetzt änderte er seinen Standpunkt. Er
war auf Marduk gewesen und wußte, wer Zaspar
Makann war. Viele Offiziere der Königlichen Flotte
waren seine Freunde geworden, und der Gedanke,
daß sie jetzt Feinde waren, schockierte ihn. Auch
Manfred Ravallo und Boake Valkanhayn begannen
nun, Trasks These zuzuneigen. Natürlich mußte
Dunnan und Makann Hand in Hand arbeiten. Wer
gab Dunnan den Tip, daß die Victrix auf Audhumal
sein würde? Makann; er wußte es von seinen Zuträ-
gern bei der Flotte. Und was die Honest Horris anbe-
langte: War es nicht Makann, der eine Untersuchung
blockierte? Warum hatte Admiral Shefter zurücktre-
ten müssen, sobald Makann an der Macht war?
»Wie dem auch sei; wir wissen nichts von diesem
Zaspar Makann«, begann der Geheimsekretär und
Sprecher des Herzogs von Bigglersport.
»Eben«, erwiderte Harkaman. »Deshalb schlage ich
vor, Sie verhalten sich ruhig, bis Sie ein wenig über
ihn wissen.«
»Also, es würde mich gar nicht wundern, wenn
Dunnan die ganze Zeit, während wir nach ihm such-
ten, auf Marduk gewesen wäre«, sagte Valkanhayn.
Trask überlegte. Was hätte Hitler getan, wenn er
eine seiner großen Lügen erzählt und festgestellt hät-
te, daß sie der Wahrheit entsprach? Vielleicht war
Dunnan auf Marduk gewesen ... Nein; ein halbes
Dutzend Schiffe hätte er nicht auf einem zivilisierten
Planeten verstecken können. Nicht einmal auf dem
Grund eines Ozeans.
»Und ich würde mich nicht wundern«, rief Alvyn
Karffard, »wenn Andray Dunnan kein anderer als
Zaspar Makann wäre. Ich weiß, daß er nicht aussieht
wie Dunnan, wir alle sahen ihn auf dem Schirm. Aber
es gibt so etwas wie plastische Chirurgie.«
Das machte die Lüge doch ein wenig zu groß.
Zaspar Makann war fast einen Kopf kleiner als Dun-
nan; es gibt Dinge, die keine Chirurgie leisten kann.
Paytrick Morland, der Dunnan gekannt und Makann
auf dem Bildschirm gesehen hatte, hätte das auch
wissen müssen, aber entweder dachte er nicht daran,
oder er vermied es, einer Argumentation zu wider-
sprechen, die er selbst bereits völlig akzeptiert hatte.
»Soweit ich feststellen konnte, hatte vor fünf Jahren
auf Marduk niemand auch nur von Makann gehört.
Das entspräche etwa dem Zeitpunkt, da Dunnan dort
angekommen sein könnte«, sagte er.
Der große Raum, in dem sie sich aufhielten, war
inzwischen zu einem Stimmen-Babel geworden. Jeder
versuchte, den anderen zu überzeugen, daß er selbst
es die ganze Zeit schon gewußt habe. Dann bekam
die Zurück-auf-Gram-Partei ihren Gnadenstoß; Lo-
thar Ffayle, von dem Herzog Joris' Sendboten am
meisten Unterstützung erhofft hatten, lief zur Gegen-
partei über.
»Ihr wollt, daß wir einen Planeten verlassen, den
wir aus dem Nichts aufgebaut haben; daß wir auf den
Ertrag von Zeit und Geld, die wir hier investiert ha-
ben, verzichten, um euch auf Gram die Kastanien aus
dem Feuer zu holen? Zur Gehenna mit euch! Wir
bleiben hier und verteidigen unseren eigenen Plane-
ten. Und wenn ihr klug seid, bleibt ihr gleich bei
uns.«
Die Delegation aus Bigglersport bemühte sich im-
mer noch, Söldner für den König von Tradetown an-
zuwerben und einen Gilgamescher für ihren Trans-
port auf Gram anzuheuern, als aus der großen Lüge
so etwas wie die Wahrheit wurde.
Der Beobachtungsposten auf dem Tanith-Mond or-
tete zwanzig Lichtminuten nördlich über dem Plane-
ten ein Schiff. Eine halbe Stunde später wurde ein
weiteres in fünf Lichtminuten Entfernung entdeckt –
ein sehr kleines. Dann tauchte in zwei Lichtsekunden
Entfernung ein drittes auf, das über Radar und Mi-
krostrahlen als ein Tochterboot ausgemacht werden
konnte. Er fragte sich, ob auf Amaterasu oder Beo-
wulf etwas passiert sein mochte; jemand wie
Gratham oder die Everrards konnten die defensive
Mobilisierung Taniths ausgenützt haben. Dann kam
der Anruf von dem Tochterboot, und Prinz Simon
Bentrik erschien auf dem Bildschirm.
»Ich freue mich, Sie zu sehen! Ihre Frau und Ihr
Sohn sind hier und machen sich Sorgen um Sie. Aber
es geht ihnen gut.« Er rief jemandem zu, den jungen
Graf Steven von Ravary und seine Mutter zu holen.
»Wie steht's mit Ihnen?«
»Ich hatte ein gebrochenes Bein, als ich die Mond-
basis verließ, aber das ist unterwegs geheilt«, sagte
Bentrik. »Die kleine Prinzessin Myrna ist mit an Bord.
Nach allem, was ich weiß, ist sie jetzt Königin von
Marduk.« Er schluckte. »Fürst Trask, wir sind als
Bettler gekommen. Wir bitten um Hilfe für unseren
Planeten.«
»Sagen Sie mir, was passiert ist. Hat Makann den
König gestürzt und die Macht übernommen?«
Bentrik mußte es bestätigen. Es hatte schon vor den
Wahlen begonnen. Die Volksgardisten hatten Waffen
besessen, die ganz legal auf Marduk hergestellt wor-
den waren, um auf neobarbarischen Planeten ver-
kauft zu werden, die dann aber heimlich in Arsenale
der Volksgardisten geschafft wurden. Ein Teil der Po-
lizei war zu Makann übergegangen; der Rest war so
verängstigt, daß er nicht mehr zu handeln wagte. Be-
stechung und Einschüchterung hatten die Wahlen zu
einer Farce gemacht. Dennoch hatte Makanns Partei
die absolute Mehrheit im Repräsentantenhaus ver-
fehlt und war gezwungen gewesen, eine labile Koali-
tion einzugehen, um die Wahl eines ihr genehmen
Repräsentantenhauses sicherzustellen.
»Natürlich wählten sie dann Makann zum Kanz-
ler«, sagte Bentrik. »Alle Oppositionsführer im Re-
präsentantenhaus sind verhaftet worden, auf Grund
von allen möglichen lächerlichen Anschuldigungen –
Sexualverbrechen, passive Bestechung, Spionage –
nichts war zu absurd. Dann boxten sie ein Gesetz
durch, das den Kanzler ermächtigte, selbst freiwer-
dende Sitze im Repräsentantenhaus zu besetzen.«
»Warum hat sich der Kronprinz für etwas Derarti-
ges hergegeben?«
»Er hoffte, auf diese Weise nicht ganz die Kontrolle
zu verlieren. Die Königliche Familie ist für das Volk
ein beinahe heiliges Symbol. Selbst Makann konnte
nicht umhin, sich dem König und dem Kronprinzen
gegenüber für loyal zu erklären ...«
»Aber es half nichts; er spielte direkt in Makanns
Hand. Was geschah dann?«
Der Kronprinz war ermordet worden. Der Mörder,
ein Unbekannter, vermutlich ein Gilgamescher, war
von sofort eingreifenden Volksgardisten erschossen
worden. Zum Schutze des Königs hatte sich Makann
auf der Stelle des königlichen Palastes bemächtigt,
und Massaker der Volksgardisten waren überall ge-
folgt. Die mardukanische Planetenarmee wurde auf-
gelöst; Makanns Erklärung war, daß ein Militär-
putsch gegen den König und die Regierung geplant
gewesen sei. Die in kleinen Garnisonen über den Pla-
neten verstreute Armee war in einem Tag und zwei
Nächten vernichtet worden. Jetzt war Makann dabei,
sie von neuem aufzustellen – ausschließlich aus Mit-
gliedern der Wohlfahrtspartei.
»Aber Sie haben doch nicht tatenlos zugesehen?«
»O nein«, erwiderte Bentrik. »Ich unternahm etwas,
dessen ich mich vor einigen Jahren noch nicht für fä-
hig gehalten hätte. Ich organisierte einen Putsch der
königlich mardukanischen Flotte. Nach Admiral
Shefters erzwungenem Rücktritt und seiner Einwei-
sung in eine Nervenheilanstalt verschwand ich von
der Bildfläche und verwandelte mich in einen Lifter-
Fahrer auf der Werft von Malverton. Als man dann
Verdacht gegen mich schöpfte, gelang es einem der
Offiziere – er wurde später festgenommen und zu
Tode gefoltert –, mich auf einer Fähre zur Mondbasis
zu schmuggeln. Ich arbeitete dort im Hospital. Am
Tag, als der Kronprinz ermordet wurde, gab es auch
bei uns eine Meuterei. Wir töteten jeden, der auch nur
in dem Verdacht stand, ein Makannist zu sein. Seit-
dem ist die Mondbasis das Ziel schwerer Angriffe
vom Planeten aus.«
Hinter ihm bewegte sich etwas; als er sich um-
wandte, sah er, daß Prinzessin Bentrik und der Junge
den Raum betraten. Er erhob sich.
»Wir werden das zu gegebenem Zeitpunkt weiter
besprechen. Hier sind ein paar Leute ...«
Er schob sich nach vorn, ging dann aus dem Raum
und nahm alle anderen Anwesenden mit.
Als Bentrik endlich gelandet war, gelang es Lucas,
dem Prinzen hastig ins Ohr zu flüstern:
»Wenn Sie hier mit jemandem sprechen – verges-
sen Sie nicht, daß Dunnan mit Zaspar Makann zu-
sammenarbeitet, und daß Makann nach Festlegung
seiner Position ein Expeditionskorps gegen Tanith
senden wird.«
»Woher zum Teufel wissen Sie denn das?« fragte
Bentrik. »Von den Gilgameschern?«
Dann kamen Harkaman, Rathmore, Valkanhayn,
Ffayle und die anderen hinzu, und Fürst Bentrik ver-
suchte, seine Frau und seinen Sohn gleichzeitig zu
umarmen.
»Fürst Trask.« Lucas fuhr herum und sah in tief-
blaue Augen unter kohlschwarzem Haar. Sein Puls
begann zu klopfen, als er sagte: »Valerie!« und dann:
»Lady Alvarath; ich bin so glücklich, Sie hier zu se-
hen.« Dann bemerkte er, wer neben ihr stand, und
kauerte sich nieder, um sich auf die geeignete Größe
zu bringen. »Lady Valerie, kommen Sie mit?« fragte
er. »Wir werden Quartier für Prinzessin Myrna su-
chen.«
»Ist sie nun Prinzessin Myrna oder Königin Myrna?«
fragte er Bentrik.
Der Prinz schüttelte den Kopf. »Wir wissen es
nicht. Der König lebte, als wir die Mondbasis verlie-
ßen, aber das war vor fünfhundert Stunden. Auch
über ihre Mutter wissen wir nichts. Sie war im Palast,
als Prinz Edvard ermordet wurde. Seitdem haben wir
nichts mehr über sie gehört. Der König hatte ein paar
Televisor-Auftritte und plapperte Dinge nach, die
Makann ihm vorgesagt hatte. Unter Hypnose. Das ist
das mindeste, was sie ihm angetan haben. Sie haben
ihn zu einer Marionette gemacht.«
»Und wie kam Myrna auf die Mondbasis?«
»Das war vor allem Lady Valeries Verdienst. Ihres
und Sir Thomas Kobblys und Captain Rainers. Sie
bewaffneten die Bediensteten in Cragdale, kaperten
Prinz Edvards Raumjacht und fuhren damit davon.
Die Yacht ist jetzt unterwegs nach Gimli«, sagte Ben-
trik. »Dort wird sie versuchen, die Einheiten der Kö-
niglichen Flotte um sich zu vereinigen, die nicht zu
Makann übergegangen sind. Sie sollen auf Gimli
meine Rückkehr erwarten. Falls ich nicht innerhalb
von fünfzehnhundert Stunden nach meinem Start
von der Mondbasis dort eintreffe, sollen sie nach ei-
genem Gutdünken verfahren. Vermutlich würden sie
dann Marduk angreifen.«
»Das sind etwas über sechzig Tage«, sagte Harka-
man. »Eine arg lange Zeit, die die Mondbasis gegen
einen ganzen Planeten aushalten müßte.«
»Es ist eine starke Basis. Sie wurde vor vierhundert
Jahren gebaut, als Marduk gegen eine Gruppe von
sechs anderen Planeten kämpfte. Einmal widerstand
sie fast ein ganzes Jahr ununterbrochenen Angriffen.
Seitdem ist sie noch verstärkt worden.«
»Und was haben die Gegner aufzubieten?« fragte
Harkaman.
»Bei meinem Abflug waren es sechs Einheiten der
früheren Königlichen Flotte, die zu Makann überge-
gangen sind. Außerdem noch vier von Andray Dun-
nans Schiffen ...«
»Sie meinen, er ist tatsächlich auf Marduk?«
»Ich dachte, Sie wüßten das, und wunderte mich
schon, woher. Ja; Fortuna, Bolide und zwei bewaffnete
Frachter, die Reliable und die Honest Horris.«
»Sie glaubten gar nicht wirklich, daß Dunnan auf
Marduk sei?« fragte Valkanhayn.
»Eigentlich nicht. Ich mußte irgendeine Geschichte
erfinden, um diesen Leuten den Kreuzzug gegen Om-
fray von Galspyth auszureden.« Valkanhayns eige-
nen Vorschlag einer Plünderungsexpedition gegen
Xochitl ließ er unerwähnt. »Nun, da sie sich als wahr
erweist, bin ich dennoch nicht überrascht. Vor langer
Zeit nahmen wir an, daß Dunnan Marduk überfallen
wollte. Offenbar haben wir ihn unterschätzt. Viel-
leicht hat auch er über Hitler gelesen. Er plante kei-
nen Überfall; er plante die Eroberung, und zwar auf
die einzige Art, wie eine große Zivilisation erobert
werden kann – durch Subversion.«
»Ja«,
warf
Harkaman
ein.
»Wer
war
denn
dieser
Ma-
kann
vor
fünf
Jahren,
als
Dunnan
dieses
Programm
startete?«
»Niemand«, sagte Bentrik. »Ein bescheuerter Agita-
tor in Drepplin; er hatte eine Anhängerschaft von ein
paar anderen Hohlköpfen, die sich im Hinterzimmer
eines Restaurants trafen. Im folgenden Jahr hatte er
bereits eine Anzahl von Büros und konnte sich Fern-
sehzeit kaufen. Im Jahr darauf hatte er schon drei ei-
gene Fernsehstationen und hielt Massenkundgebun-
gen ab. Und so weiter und so fort.«
»Ja. Dunnan finanzierte ihn. Und er wird ihn er-
schießen lassen, genauso wie er Prinz Edvard hat er-
schießen lassen, und den Mord als Vorwand zur Li-
quidation seiner persönlichen Anhänger nehmen.«
»Und dann gehört ihm Marduk. Und die mardu-
kanische Flotte wird Tanith angreifen«, fügte Valkan-
hayn hinzu. »Also greifen wir Marduk an, vernichten
ihn jetzt, solange er noch nicht zu stark dazu ist.«
Nicht wenige hatten dasselbe mit Hitler tun wol-
len. Viele mußten später bedauern, daß es nicht
rechtzeitig geschehen war.
»Die Nemesis, die Corisande und die Geißel des Welt-
raums auf alle Fälle?« fragte Lucas.
Harkaman und Valkanhayn stimmten zu. Valkan-
hayn erklärte, daß die Wikinger-Geschenk von Beowulf
wohl mitmachen würde, und Harkaman war sich der
Hilfe von Black Star und Königin Flavia beinahe sicher.
Er wandte sich Bentrik zu.
»Starten Sie bitte sofort nach Gimli; innerhalb der
nächsten Stunde noch, wenn möglich. Wir wissen
nicht, wieviele Schiffe dort versammelt sind, jeden-
falls dürfen sie sich nicht in Kleinangriffen verzetteln.
Sagen Sie dem dortigen Kommandeur, daß Schiffe
von Tanith unterwegs sind. Auf die sollen sie warten.
Vielleicht dauert es eine gewisse Zeit, bis wir eine
kampfkräftige Flotte beisammen haben. Selbst wenn
wir uns grundsätzlich darüber geeinigt haben. Aus-
einandersetzungen gibt es nicht nur in Demokratien.«
Der
Führer
der
Bigglersporter
Delegation
versuchte
es
mit
einer
leidenschaftlichen
Tirade
über
Hilfelei-
stung
an
Fremde,
während
der
eigene
Planet
versklavt
werde.
Er
wurde
niedergebuht
und
darüber
aufgeklärt,
daß
Tanith
verteidigt
werden
sollte,
wie
es
sich
gehöre,
nämlich
auf
fremdem
Grund
und
Boden.
Nach
dem
Treffen
erfuhren
die
Bigglersporter,
daß
ihre
eigene
Raumyacht
zu
Amaterasu
und
Beowulf
ausgesandt
worden
war,
um
dort
Hilfe
zu
holen,
daß
das
in
Trade-
town
rekrutierte
Infanterieregiment
von
den
Behörden
von
Rivington
übernommen
worden
war,
und
daß
der
von
ihnen
gecharterte
Gilgamescher
Frachter
sie
nun-
mehr
statt
auf
Gram
auf
Marduk
bringen
würde.
Das
Problem
bestand
aus
zwei
Teilen:
Die
reine
Flot-
tenaktion
zur
Unterstützung
des
Marduk-Mondes,
wenn
er
noch
aushielt,
und
die
Niederwerfung von
Makanns Anhängern auf dem Planeten selbst nebst
der
Wiederherstellung
der
mardukanischen
Monar-
chie.
Entsprechend
ausgerüstet
und
unterstützt,
wür-
de ein ansehnlicher Teil der Bevölkerung begierig die
Gelegenheit ergreifen, gegen Makann aufzustehen.
Die
Grendelsbane
kam
von
Beowulf,
die
Sonnengöttin
von
Amaterasu.
Drei
unabhängige
Raum-Wikinger-
Schiffe
befanden
sich
noch
auf
einer
Umlaufbahn
um
Tanith;
sie
schlossen
sich
der
Expedition
an;
mit
ihnen
würde
es
auf
Marduk
Probleme
geben
–
sie würden
plündern wollen. Sollten die Mardukaner damit fer-
tigwerden.
Zwölf
Raumschiffe
warteten
in
der
Nähe
des
Mon-
des
von
Tanith,
darunter
die
drei
unabhängigen
und
der
in
Beschlag
genommene
Gilgamescher
Truppen-
transporter.
Das
war
die
größte
Flotte,
die
Raum-
Wikinger
je
versammelt
hatten.
Alvyn
Karffard
sagte
es,
als
sie
die
Formation
auf
dem
Bildschirm
überprüf-
ten.
»Es ist keine Raum-Wikinger-Flotte«, widersprach
Prinz Bentrik. »Es sind nur drei Raum-Wikinger-
Schiffe. Die anderen kommen von drei zivilisierten
Planeten, Tanith, Beowulf und Amaterasu.«
Karffard
war
überrascht.
»Sie
meinen,
wir
sind
zivi-
lisierte
Planeten?
Wie
Marduk,
Baldur,
Odin
oder
...?«
»Nun, sind Sie es etwa nicht?«
Trask lächelte. Schon seit einigen Jahren hatte er so
etwas geahnt. Bis jetzt aber war er nicht wirklich si-
cher gewesen.
Vierhundertfünfzig Stunden in dem kleinen Univer-
sum, das die Nemesis war; draußen war nur das
Nichts, und drinnen konnte man lediglich warten,
während jede Stunde sie näher zu Gimli brachte. Sir
Thomas Kobbly betätigte sich als Landschaftsmaler
und verbrachte den größten Teil seiner Zeit damit,
mit Vann Larch über Maltechnik zu diskutieren.
Nicht wenige Freiwillige waren bereit, Lady Valerie
Alvareth die Zeit zu vertreiben, doch hoher Rang hat
seine Privilegien: Trask selber sorgte dafür, daß sie
nicht allzu sehr unter Langeweile zu leiden hatte.
Etwa hundert Stunden vor dem Wiedereintauchen
in den Normalraum kamen Scharll Renner und Cap-
tain Rainer während der Cocktail-Stunde vor dem
Diner zu ihm.
»Ich glaube, wir haben herausgefunden, wo Dun-
nans Basis ist«, sagte Renner.
»Oh, gut!« Das hatten auch schon viele andere ge-
glaubt. »Und wo ist sie eurer Meinung nach?«
»Auf Abaddon«, erklärte Captain Rainer. Als er
sah, daß Trask der Name nichts sagte, fügte er hinzu:
»Der neunte, äußerste Planet des Marduk-Systems.«
Er sagte es grimmig.
»Ja; wissen Sie noch, wie Sie Boake und Manfred
mit ihren Schiffen losschickten, damit sie erkundeten,
ob Prinz Viktor sich auf einem der äußeren Planeten
aufhielt? Nun, wenn man das Zeitelement in Rech-
nung stellt und bedenkt, wie die Honest Horris zwi-
schen Marduk und irgendwo anders – aber nicht
Gimli – hin- und herfuhr, und wie Dunnan mit seinen
Schiffen dasein konnte, sobald die Schießerei auf
Marduk losging – er mußte doch auf einem der un-
bewohnten äußeren Planeten des Marduk-Systems
sein.«
»Ich weiß nicht, warum wir nicht selbst darauf ge-
kommen sind«, warf Rainer ein. »Vermutlich, weil es
einfach keinen Grund gibt, überhaupt an Abaddon zu
denken. Es ist nur ein kleiner Planet, etwa sechstau-
send Kilometer im Durchmesser, und fünfeinhalb
Milliarden Kilometer vom Zentralgestirn entfernt. Er
ist hart gefroren. Deswegen hat sich um Abaddon
niemand Gedanken gemacht.«
Für Dunnans Zwecke aber mußte er genau das
Richtige sein. Lucas rief Prinz Bentrik und Alvyn
Karffard zu sich; sie fanden den Gedanken sofort
überzeugend. Trask und Bentrik fingen auf der Stelle
an, Schlachtpläne zu schmieden. Karffard stellte die
Frage, ob sie nicht besser warten sollten, bis sie auf
Gimli waren und die anderen zu Rate ziehen konn-
ten.
»Nein«, entgegnete Trask. »Dies ist das Flaggschiff;
hier und nirgendwo anders wird die Strategie ent-
schieden.«
»Nun, was die mardukanische Flotte anbetrifft ...«
sagte Captain Rainer. »Ich glaube, Flottenadmiral
Bargham ist Befehlshaber auf Gimli.«
Prinz Simon Bentrik schwieg einen Augenblick, als
gestehe er sich nur widerwillig ein, daß die große
Entscheidung nicht länger zu umgehen war.
»Vielleicht ist er es im Augenblick, aber nicht mehr,
sobald ich dort bin. Ich werde der Befehlshaber sein.«
»Aber ... Euer Hoheit, er ist Flottenadmiral; Sie sind
nur Kommodore.«
»Ich bin nicht nur Kommodore. Der König ist ein
Gefangener, wahrscheinlich sogar tot. Der Kronprinz
ist tot. Prinzessin Myrna ist noch ein Kind. Ich erkläre
mich zum Regenten und Fürst-Protektor.«
8
Auf Gimli gab es gewisse Schwierigkeiten mit Flot-
tenadmiral Bargham. Flottenadmiräle nahmen von
einem Kommodore keine Befehle entgegen. Vielleicht
von Regenten; was aber verlieh Prinz Bentrik die Au-
torität, sich zum Regenten zu machen? Regenten
wurden auf Vorschlag des Kanzlers von der Delegier-
tenkammer gewählt.
»Sie meinen Zaspar Makann und seine Marionet-
ten?« lachte Bentrik.
»Nun, die Verfassung ...« Er hielt inne, bevor ihn
noch jemand fragte, von welcher Verfassung er
sprach. »Nun, ein Regent muß gewählt werden. Nicht
einmal Mitglieder der königlichen Familie können
sich einfach zum Regenten erklären.«
»Ich kann es. Und ich habe es eben getan. Im übri-
gen wird es so schnell wohl keine Wahlen mehr ge-
ben. Nicht, bevor wir sichergestellt haben, daß das
Volk von Marduk wieder mit der Kontrolle der Re-
gierung betraut werden kann.«
Nachdem sie wieder gestartet waren, gab es eine Par-
ty. Dann machten sie sich daran, die Strategie für die
Schlacht von Abaddon auszuarbeiten.
Doch es gab keine Schlacht von Abaddon. Abad-
don war ein toter Planet. Über der einen Seite war
Nacht, die andere lag im schwachen Zwielicht des
fünfeinhalb Milliarden Kilometer entfernten Sonnen-
punktes. Scharf gezackte Berge erhoben sich aus dem
Schnee, der den Planeten von Pol zu Pol bedeckte.
Die Oberflächentemperatur lag unter –100° Celsius.
Ein Schiff umkreiste ihn. Schwache radioaktive Strah-
lung wurde registriert, die aber von Mineralien stam-
men konnte. Elektrische Entladungen waren nicht
feststellbar.
Im Kommandoraum der Nemesis tauschte man
nicht gerade Artigkeiten aus. Die Kapitäne der ande-
ren Schiffe meldeten sich und wollten wissen, was
nun zu tun sei.
»Näher heran«, ordnete Trask an. »Um den Plane-
ten herum, und bis auf einen Kilometer heran, wenn
notwendig. Sie könnten sich irgendwo verstecken.«
»Auf dem Grund eines Ozeans kann er jedenfalls
nicht sein«, sagte jemand. Es war einer dieser schwa-
chen Witze, über die jedermann lacht, weil es sonst
im Augenblick so gar nichts zu lachen gibt.
Schließlich stießen sie darauf – am Nordpol, der
nicht kälter als der Rest des Planeten war. Zuerst
wurde Strahlung registriert von der Art, wie sie aus
einem stillgelegten Kernkraftwerk kommt. Dann
wurde minimale elektrische Entladung verzeichnet.
Endlich wurde auf den Teleskopschirmen der Raum-
hafen sichtbar, ein riesiges ovales Amphitheater zwi-
schen zwei Gebirgskämmen.
Die Sprache im Kommandoraum war noch genau-
so deftig, aber der Ton hatte sich geändert. Es war
bemerkenswert, welch weite Gefühlsskala sich durch
ein paar einfache Blasphemien und Obszönitäten
ausdrücken ließ. Alle, die sich vorher über Sharll
Renner mokiert hatten, waren jetzt voller Lob.
Aber
da
war
kein
Leben.
Die
Schiffe
drängten
sich
über
der
Stelle;
Landungsboote
gingen
hinunter.
Auf
den
Bildschirmen
des
Kommandoraums
erschienen
die
ersten
Nahaufnahmen.
Eindrücke
im
Schnee,
die
von
den
Landegestellen
von
Raumschiffen
stammten.
Reihen
von
Ladetransportern.
Und
rund
herum
in
den
Bergflanken
Schleusentüren
zu
Höhlen
und
Tunnels.
Viele
Leute
mit
einer
Menge
Ausrüstung
mußten
in
den
etwa
fünf
oder
sechs
Jahren
hier
gearbeitet haben,
seit Andray Dunnan – oder jemand anderer – die Ba-
sis eingerichtet hatte.
Andray
Dunnan.
Sie
fanden
sein
Wappen,
den
blau-
en
Halbmond
auf
schwarzem
Grund.
Sie
fanden
Objek-
te,
die
Harkaman
als
Bestandteile
der
ursprünglichen
Fracht
der
gestohlenen
Enterprise
wiedererkannte.
In
den
Wohnräumen
fanden
sie
sogar
ein
vergrößertes
Foto
von
Nevil
Ormm
–
schwarz
umrandet.
Was
sie
je-
doch
nicht
fanden,
war
irgendeine
Art
Gefechtsausrü-
stung
–
keine
Pistole,
nicht
einmal
eine Handgranate.
Dunnan
war
ausgeflogen,
aber
sie
wußten
wohin.
Die
Eroberung
Marduks
war
in
ihre
letzte
Phase
getre-
ten.
Als der größte Teil des Weges nach Marduk zurück-
gelegt war, richteten sie den letzten Mikrosprung auf
den Marduk-Mond, der auf dem Teleskopschirm be-
reits gut zu sehen war. Sie verließen den Hyperraum
in eineinhalb Lichtsekunden Entfernung – nach Kir-
beys Ansicht eine gute Leistung. Als sich das Schirm-
bild wieder stabilisiert hatte, sahen sie, daß sie noch
nicht zu spät gekommen waren. Der Marduk-Mond
lag unter Feuer – und feuerte zurück.
Bentrik stand neben Trask und sprach in ein Mi-
krophon. »Simon Bentrik, Fürst-Protektor von Mar-
duk, ruft die Mondbasis.« Zweimal wiederholte er
langsam seine Kommunikator-Kombination. »Mond-
basis, bitte kommen; hier spricht Simon Bentrik,
Fürst-Protektor.«
Er wartete zehn Sekunden und wollte eben von
neuem beginnen, als ein Flimmern über den Schirm
ging.
Der Mann, der darauf erschien, trug ein Rangab-
zeichen eines mardukanischen Offiziers. Er bedurfte
einer Rasur, grinste jedoch fröhlich. Bentrik begrüßte
ihn mit seinem Namen.
»Hallo, Simon; freut mich, Sie zu sehen. Euer Ho-
heit, meine ich; was bedeutet das mit dem Fürst-
Protektor?«
»Jemand mußte es tun. Ist der König noch am Le-
ben?«
Das Grinsen verschwand aus dem Gesicht des
Kommodores, beginnend bei den Augen.
»Wir wissen es nicht. Zuerst ließ ihn Makann über
Televisor sprechen und die Bevölkerung auffordern,
mit ›unserem Kanzler, der unser aller Vertrauen ge-
nießt‹, zusammenzuarbeiten und seinen Anordnun-
gen Folge zu leisten. Makann erschien stets mit ihm
auf dem Schirm.«
Bentrik nickte. »Ich erinnere mich.«
»Als Sie noch da waren, blieb Makann im Hinter-
grund und ließ den König die Rede halten. Nach ei-
ner Weile konnte der König nicht mehr zusammen-
hängend sprechen; er stammelte und wiederholte
sich; dann nahm nur noch Makann selbst das Wort;
sie konnten nicht einmal mehr sicher sein, daß er
nachplappern würde, was man ihm über einen Ohr-
hörer vorsagte. Dann erschien er überhaupt nicht
mehr. Vermutlich physische Symptome, die man
nicht sehen sollte.« Bentrik fluchte vor sich hin; der
Offizier auf der Mondbasis nickte. »Ich hoffe in sei-
nem Interesse, daß er tot ist.«
Armer Freund Mikhyl. Bentrik sagte: »Ich auch.«
Der Befehlshaber der Mondbasis fuhr fort:
»Wir
haben
mehrere
Schiffe
der
Renegaten,
darunter
die
Fortuna
und
die
Honest
Horris.
Wir
haben
den
Hafen
von
Malverton
zerstört.
Jetzt
benützen
sie
die
antarkti-
sche
Flottenbasis,
obwohl
auch
die
schwer
beschädigt
ist.
Zweimal
versuchten
sie,
bei
uns
zu
landen,
und
verloren
mehrere
Schiffe.
Vor
achthundert
Stunden
stieß
der
Rest
von
Dunnans
Flotte,
bestehend
aus
fünf
Schiffen,
zu
ihnen.
Sie
landeten
in
Malverton,
als
der
Ort
auf
der
von
uns
abgewandten
Seite
des
Planeten
lag.
Makann
gab
bekannt,
sie
seien
Einheiten
der
Kö-
niglichen
Flotte,
die
von
den
Partnerplaneten
gekom-
men
seien.
Das
hat
man
ihm
offenbar
abgekauft.
Au-
ßerdem
verkündete
er,
daß
ihr
Kommandeur,
Admiral
Dunnan, Befehlshaber der Volksarmee sei.«
Dunnans Truppen mußten also Malverton in der
Hand haben. Es, stand zu vermuten, daß Makann
jetzt genauso sein Gefangener war, wie König Mikhyl
VIII vorher Makanns Gefangener gewesen war.
»Also hat Dunnan Marduk erobert. Jetzt braucht er
nur noch zuzusehen, daß er sich nicht mehr vertrei-
ben läßt«, sagte Bentrik. »Ich sehe vier Schiffe über
der Mondbasis; wieviele haben Sie noch?«
»Es sind die Bolide und die Eclipse, Dunnans Schiffe,
und die Champion sowie die Guardian von der frühe-
ren Königlichen Flotte. Fünf weitere sind in einer
Umlaufbahn: Die Paladin, und Dunnans Starhopper,
Banshee, Reliable und Exporter. Die beiden letzteren
sind als Frachter registriert, agieren aber wie richtige
Kampfschiffe.«
Die vier über der Mondbasis nahmen Kurs auf die
Einsatzflotte; zwei, die in einer Umlaufbahn gewesen
waren, wechselten ebenfalls ihren Kurs. Drei weitere
waren vom Planeten her unterwegs, die anderen ver-
langsamten ihre Fahrt, um sie aufschließen zu lassen.
Trask wollte die vier vom Satelliten kommenden stel-
len, bevor die fünf vom Planeten dazustießen, aber
Karffards Computer errechneten, daß es nicht mög-
lich war.
»Na gut, dann müssen eben alle unsere faulen Eier
in einen einzigen Korb«, sagte er. »Versucht sie zu
treffen, sobald es möglich ist.«
Als
die
Entfernung
eintausend
Kilometer
betrug,
schoß
man
die
ersten
Raketen
ab.
Abgefangene
Projek-
tile
flammten
zu
Feuerbällen
auf.
Ein
feindliches
Schiff
erhielt
einen
Treffer.
Der
Kapitän
der
Königin
Flavia
er-
schien
auf
dem
Bildschirm
und
meldete,
sein
Schiff
sei
schwer
beschädigt.
Drei
Schiffe
mit
dem
mardukani-
schen
Wappen
umkreisten
einander
hektisch;
zwei
davon
feuerten
auf
das
dritte,
das
sich
verzweifelt
zur
Wehr
setzte.
Das
dritte
zerplatzte,
und jemand rief aus
dem Lautsprecher: »Ein Verräter weniger!«
Noch ein Schiff explodierte, dann ein weiteres. Er
hörte jemanden sagen: »Das war eines von unseren«,
und fragte sich, welches es wohl gewesen sei. Nicht
die Corisande, hoffte er; nein, er konnte sie zwei ande-
re Schiffe verfolgen sehen, die ihrerseits auf die Black
Star, die Sonnenkönigin und den Frachter von Gilga-
mesch Kurs nahmen. Dann kamen die Nemesis und
die Starhopper auf Gefechtsdistanz und beschossen
einander wütend.
Die Schiffe waren zu einem sich um sich selbst
drehenden feuerspeienden Knäuel geworden, das
sich rasch dem Planeten näherte. Als sie den inneren
Rand der Exosphäre erreichten, begann das Knäuel
sich zu entwirren, und Schiff auf Schiff schwenkte in
eine Kreisbahn ein. Manche davon waren schwer be-
schädigt, andere griffen beschädigte Gegner an.
Er holte Harkaman auf den Schirm. »Wo ist die
Black Star?« fragte er.
»Vernichtet«, antwortete Harkaman. »Wir haben
die Bolide und die Reliable erledigt.«
Über Marduk wurde an diesem Tage eine beträcht-
liche Menge Materie in Energie verwandelt. Auch
Manfred Ravallo; das bedrückte ihn. Manfred war ein
guter Mann gewesen und ein guter Freund. Er hatte
ein Mädchen in Rivington ... Nifflheim, achthundert
Mann waren an Bord der Black Star gewesen, die mei-
sten von ihnen hatten Mädchen auf Tanith, die jetzt
vergebens auf sie warten würden. Was hatte Harka-
man einmal auf Gram gesagt? Alter sei bei Raum-
Wikingern nicht gerade die häufigste Todesursache ...
Jetzt wurde es Zeit für ihn, seine ihm noch verblie-
benen Schiffe zu zählen. Und dann galt es, über eine
Strategie für die Schlacht auf Marduk nachzudenken.
Die Black Star war verloren, die Challenger und die
Conquistador – beides mardukanische Schiffe – eben-
so. Die Geißel des Weltraums war arg mitgenommen,
schlimmer als nach dem Angriff auf Beowulf, sagte
Valkanhayn. Auch die Wikinger-Geschenk und die Co-
risande waren schwer beschädigt, ebenso aber die
Nemesis – die roten Lichter der Schadensanzeige be-
wiesen es. Drei Schiffe waren vermißt: Die drei unab-
hängigen Raum-Wikinger Harpy, Fluch und Cagn und
Roger-fan-Morvill Esthersans Damnthing.
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß alle drei ver-
nichtet wurden, ohne daß es irgend jemand bemerkt
hätte«, sagte Prinz Bentrik stirnrunzelnd.
»Ich auch nicht. Allerdings könnte ich mir denken,
daß alle drei sich davongemacht haben. Sie sind nicht
hierher gekommen, um Marduk zu befreien, sondern
um Beute zu machen. Ich hoffe nur, daß sie solche
Leute berauben, die bei den letzten Wahlen für Ma-
kann gestimmt haben.« Nur eines gab ihm ein wenig
Trost, und er sagte es Bentrik. »Die einzigen, die be-
waffnet sind und Widerstand leisten werden, sind
Makanns Sturmtruppen und Dunnans Piraten; nur
sie werden die Opfer sein.«
»Wir wollen nicht mehr Opfer als ...« Prinz Simon
verstummte plötzlich. »Ich rede schon wie der ver-
storbene Kronprinz Edvard«, sagte er. »Auch er woll-
te kein Blutvergießen – und wessen Blut ist jetzt ver-
gossen worden? Wenn sie das tun, was Sie vermuten,
dann werden wir, fürchte ich, auch einige Ihrer
Raum-Wikinger töten müssen.«
»Sie sind nicht meine Raum-Wikinger.« Er war ein
wenig überrascht, als er bemerkte, wie er diesen Na-
men wie etwas nicht zu ihm Gehöriges verwendete,
nachdem er ihn selbst acht Jahre lang getragen hatte.
Nun, warum nicht. Er war also Herrscher eines zivili-
sierten Planeten. »Aber vermeiden wir einen Kampf,
bis der Hauptkrieg vorüber ist. Diese drei Schiffsla-
dungen Raum-Wikinger sind nicht schlimmer als ein
Schnupfen. Makann und Dunnan sind die Pest.«
Bis
zur
Landung
würde
es
noch
vier
Stunden
dau-
ern.
Sie
spielten
die
Aufzeichnungen
ab,
die
sie
unter-
wegs
gemacht
hatten.
Der
Fürst-Protektor
Simon
Ben-
trik
sprach:
Die
ungesetzliche
Herrschaft
des
Verräters
Makann
war
beendet.
Seinen
irregeleiteten
Anhängern
wurde
nahegelegt,
sich
wieder
loyal
zur
Krone
zu
ver-
halten.
An
die
Volksgardisten
erging
der
Befehl,
sich
unter
Ablieferung
ihrer
Waffen
aufzulösen.
Wo
sie
sich
weigerten,
wurde
der
königstreue
Teil
der
Bevölke-
rung
aufgerufen,
sich
mit
dem
legitimen
Streitkräften
zu
verbünden
und
sie
zu
bekämpfen.
Waffen
würden
sobald wie möglich zur Verfügung gestellt.
»Sie sagten nichts von der Verfassung, und auch
nichts von Demokratie«, bemerkte Trask.
»Allerdings«, antwortete der selbsternannte Fürst-
Protektor. »Etwas stimmt nicht mit der Demokratie.
Sonst könnte sie nicht von Leuten wie Makann zer-
stört werden, die sie von innen her mit demokrati-
schen Mitteln bekämpfen. Ich glaube nicht, daß sie
prinzipiell nicht funktioniert, es sind nur einige Feh-
ler im System. Und es ist gefährlich, sich auf einen
defekten Mechanismus zu verlassen. Man muß die
schwachen Stellen erkennen und sie beseitigen.«
»Nun, hoffentlich glauben Sie nicht, der Feudalis-
mus der Schwert-Welten hätte keine Schwächen.« Er
nannte einige Beispiele und zitierte dann Otto Har-
kaman, der gesagt hatte, dort breite sich die Barbarei
von oben nach unten aus, statt von unten nach oben.
»Es
könnte
sein«,
fügte
er
hinzu,
»daß
es
etwas
gibt,
was
eine
vernünftige
Regierung
überhaupt
unmöglich
macht.
Solange
der
homo
sapiens
terranis
ein
wildes
Tier
ist,
was
er
immer
war
und
immer
sein
wird,
bis
er
sich
in
einer
Million
Jahren
endlich
zum
Besseren
ändert,
ist
ein
brauchbares
Regierungssystem
vielleicht
einfach
nicht
denkbar,
so
wie
die
Umwandlung
von
Elementen
eine
physikalische
Unmöglichkeit war, so lange man
sie mit chemischen Mitteln versuchte.«
»Wir müssen eben versuchen, den bestmöglichen
Weg zu finden. Und wenn wir scheitern, bleibt uns
nur die Hoffnung, daß unsere Nachfolger es ein we-
nig besser machen werden«, sagte Bentrik.
Malverton wurde auf den Teleskopschirmen grö-
ßer, während sie hinuntergingen. Der Königliche Pa-
last war mit am stärksten umkämpft. Er war noch
nicht genommen worden.
Die oberen Terrassen standen nicht unter Beschuß,
als sie landeten. Erst als sie in das Gebäude eindran-
gen, stießen sie auf Widerstand. Sie stürmten in
Räume voller Leichen, in denen Staub und Pulver-
dampf in der Luft hing. Verwundete wurden ins
Freie gebracht. In einer riesigen Halle hatte man Ge-
fangene versammelt, und Männer von der Nemesis
machten polyenzephalographische Veridikatoren be-
reit, starke Stühle mit Drähten und verstellbare Hel-
me, auf die durchscheinende Kugeln montiert waren.
Ein paar von Morlands Männern schnallten einen
Volksgardisten auf einen der Stühle.
»Du weißt, was das ist, ja?« sagte einer von ihnen.
»Das ist ein Veridicator. Die Kugel leuchtet blau; so-
bald du versuchst, uns anzulügen, wird sie rot. Und
sobald sie rot wird, hau ich dir mit dieser Pistole die
Zähne ins Maul.«
»Haben Sie schon etwas über den König in Erfah-
rung gebracht?« fragte ihn Bentrik.
Der andere wandte sich um. »Nein. Keiner der bis-
her Befragten weiß etwas über ihn, was nicht länger
als einen Monat zurückliegt. Er ist ganz einfach ver-
schwunden.« Er wollte noch etwas sagen, sah Ben-
triks Miene und blieb stumm.
»Er ist tot«, sagte Bentrik dumpf. »Sie folterten ihn,
wandten Gehirnwäsche an und benützten ihn auf
dem Bildschirm als die Marionette eines Bauchred-
ners, solange es ging; als er dann nicht mehr vorzeig-
bar war, steckten sie ihn in einen Konverter.«
Stunden später fanden sie Zaspar Makann. Hätte er
noch gelebt, er hätte ihnen vielleicht etwas sagen
können, aber er und einige seiner fanatischen Anhän-
ger hatten sich im Thronsaal verschanzt und starben
bei seiner Verteidigung. Sie fanden Makann auf dem
Thron, der oberen Hälfte des Kopfes ledig, die Hand
um eine Pistole gekrampft. Die große Krone lag auf
dem Boden; das samtgefütterte Innere war von Ku-
geln durchlöchert und voller Blut und Gehirnmasse.
Bis auf einen zerschmetterten Kronleuchter und
mehrere Leichen, die hinausgeschafft werden muß-
ten, war der Sitzungssaal des Ministerrates intakt. Sie
richteten ihr Hauptquartier darin ein. Boake Valkan-
hayn und einige andere Schiffskapitäne stießen zu
ihnen. Im Palast wurde noch an mehreren Stellen ge-
kämpft, und in der Stadt herrschte weiterhin Chaos.
Ein paar Angehörige der Königlichen Familie
brachten eine alte Frau herein, schmutzig, zerlumpt,
am Ende ihrer Kräfte.
»Sie möchte mit Prinz Bentrik sprechen – sie läßt
sich nicht abwimmeln – sagt, sie wisse, wo der König
ist.«
Bentrik sprang auf, führte sie zu einem Stuhl,
schenkte ihr ein Glas Wein ein.
»Er ist noch am Leben, Euer Hoheit. Kronprinzes-
sin Melanie und ich – verzeihen Sie, Hoheit, die Wit-
we des Kronprinzen – wir haben ihn versorgt, so gut
wir konnten. Wenn Sie nur, bitte, schnell kommen
möchten ...«
Mikhyl VIII., Planetarischer König von Marduk,
lag, auf schmutzige Kissen gebettet, auf dem Boden
eines schmalen Raumes hinter einem Masse-Energie-
Konverter, der Abfälle aller Art in Strom für den Ost-
flügel des Palastes verwandelte. Eine hagere, zerrauf-
te Frau in einem verschmierten Overall kauerte neben
ihm. Es war Kronprinzessin Melanie, die Trask noch
als die charmante, liebenswürdige Gastgeberin von
Cragdale in Erinnerung hatte. Sie versuchte aufzu-
stehen und taumelte.
»Prinz Bentrik! Und Fürst Trask von Tanith!« rief
sie. »Schnell; schaffen Sie ihn hier weg, irgendwo hin,
wo er versorgt werden kann. Bitte.« Dann setzte sie
sich wieder auf den Boden und fiel bewußtlos zur
Seite.
Sie konnten nicht erfahren, was geschehen war.
Prinzessin Melanie war völlig zusammengebrochen.
Ihre Begleiterin, eine Edelfrau vom Hofe, stammelte
nur unzusammenhängende Silben. Und der König,
den sie gewaschen, umgekleidet und in ein sauberes
Bett gebracht hatten, lag nur da und sah sie verständ-
nislos an, als beinhalte nichts von dem, was er sah
oder hörte, für ihn irgendeinen Sinn. Die Ärzte konn-
ten nichts tun.
»Sein Geist ist tot. Er hat nicht mehr davon als ein
neugeborenes Kind. Wir können ihn am Leben erhal-
ten, ich weiß nicht wie lange. Es ist unsere ärztliche
Pflicht. Seiner Majestät aber tun wir nichts Gutes da-
mit.«
Am nächsten Tag wurden die verbleibenden Wider-
standsnester im Palast niedergekämpft – bis auf eines
tief unter dem Hauptgenerator. Sie versuchten es mit
Schlafgas; die Verteidiger hatten Ventilatoren und
bliesen es zurück. Sie versuchten es mit Sprengstoff,
durften aber die Belastungsfähigkeit des Gebäudes
nicht überschreiten. Und niemand wußte, wie lange
es dauern würde, sie auszuhungern.
Am dritten Tage kroch ein Mann heraus, ein wei-
ßes, an den Lauf seines Karabiners geknüpftes Hemd
schwenkend.
»Ist Fürst Lucas Trask von Tanith hier?« fragte er.
»Ich spreche nur mit ihm selbst.«
Trask wurde rasch herbeigeholt. Von dem anderen
Mann war nur der Gewehrlauf und das weiße Hemd
zu sehen. Als Trask ihn ansprach, hob er seinen Kopf
über den Rand des Schutthaufens, hinter dem er in
Deckung lag.
»Fürst Trask, wir haben Andray Dunnan hier. Er
war unser Führer, aber wir haben ihn entwaffnet und
festgenommen. Wenn wir ihn Ihnen ausliefern, lassen
Sie uns dann gehen?«
»Wenn alle unbewaffnet herauskommen und Dun-
nan mir überstellt wird, dann verspreche ich, daß die
restlichen Männer den Palast verlassen dürfen und
unbestraft bleiben sollen.«
»Gut. Wir kommen in einer Minute.« Der Mann
hob die Stimme. »Wir haben sein Wort!« rief er.
»Bringt ihn heraus.«
Es waren etwa drei Dutzend Leute. Einige trugen
Uniformen hoher Ränge der Volksgarde oder von
Funktionären der Wohlfahrtspartei. Sie führten einen
schmalgesichtigen Mann mit Spitzbart heraus. Trask
mußte zweimal hinschauen, bevor er Andray Dun-
nan erkannte. Er sah Herzog Angus von Wardshaven
ähnlicher, als er es in Erinnerung hatte. Dunnan blick-
te ihn mit gleichgültiger Verachtung an.
»Euer vertrottelter König konnte nicht ohne Zaspar
Makann regieren, und Zaspar Makann nicht ohne
mich. Und Sie auch nicht. Lassen Sie diese Bande von
Überläufern erschießen, und ich werde Marduk für
Sie regieren.« Noch einmal sah er Trask an. »Wer sind
Sie?« fragte er. »Ich kenne Sie nicht.«
Trask zog seine Pistole und entsicherte sie.
»Ich bin Lucas Trask. Den Namen haben Sie schon
gehört«, sagte er. »Geht weg hinter ihm, Leute.«
»Ach ja; der arme Tor, der glaubte, er würde Elaine
Karvall heiraten. Nun, das werden Sie nicht, Lord
Trask von Traskon. Sie liebt mich, nicht Sie. Sie ist auf
Gram und wartet auf mich.«
Trask schoß ihm eine Kugel durch den Kopf. Dun-
nans Augen weiteten sich ungläubig; dann gaben sei-
ne Knie nach, und er fiel auf das Gesicht. Trask si-
cherte seine Pistole wieder, steckte sie weg und be-
trachtete den auf dem Betonboden liegenden Körper.
Es hatte ihm überhaupt nichts ausgemacht. Es war,
als hätte er eine Schlange erschossen, oder einen der
scheußlichen Skorpione, die in den alten Häusern in
Rivington herumkrochen.
»Nehmen Sie das Aas, stecken Sie es in einen
Masse-Energie-Konverter«, sagte er. »Den Namen
Dunnan möchte ich in Zukunft nie wieder hören.«
Er sah gar nicht hin, als Dunnans Leiche abtrans-
portiert wurde. Er schaute zu, wie die Führer von
Marduks gestürzter Mißregierung auf schwachen
Beinen hinaus in die Freiheit schlurften, bewacht von
Paytrick Morlands Garde. Einen Vorwurf mußte er
sich machen: Er hatte ein Verbrechen gegen Marduk
begangen, indem er sie alle am Leben ließ. Bevor
noch die Sonne von neuem aufging, würde jeder ein-
zelne von ihnen erneut Unheil anrichten, es sei denn,
er würde von jemandem erkannt und getötet. Nun,
König Simon I. würde schon mit dem Problem fertig
werden.
Er erschrak ein wenig, als er begriff, wie er von sei-
nem Freunde gedacht hatte. Nun, warum nicht? Mik-
hyls Geist war tot. Sein Körper würde ihn nicht län-
ger als ein Jahr überleben. Dann ein Kind als Königin
und eine lange Regentschaft – lange Regentschaften
waren gefährlich. Besser ein starker, mächtiger König.
Die Nachfolge konnte gesichert werden, indem man
Steven und Myrna verehelichte. Myrna hatte im Alter
von acht Jahren akzeptiert, eines Tages aus Staatsrä-
son heiraten zu müssen; warum also nicht ihren
Spielkameraden Steven?
Und Simon Bentrik würde erkennen, was notwen-
dig war. Er war weder ein Tor, noch ein Feigling; er
brauchte nur etwas Zeit, um sich neuen Ideen und
Gegebenheiten anzupassen. Trask durfte Simon den
Gedanken nur nicht allzu heftig aufdrängen. Er muß-
te ihn nur damit vertraut machen und ihm dann die
nötige Zeit geben. Außerdem würde es den Vertrag
geben – Tanith, Marduk, Beowulf und Amaterasu;
später auch Verträge mit anderen zivilisierten Plane-
ten. Verschwommen begann der Gedanke an eine Li-
ga der Zivilisierten Welten in ihm Gestalt anzuneh-
men.
Es würde wohl keine schlechte Idee sein, den Titel
»König von Tanith« anzunehmen. Und sich von den
Schwert-Welten zu trennen, vor allem von Gram.
Sollte Viktor von Xochitl den Planeten haben. Oder
Garvan Spasso.
Und wenn er schon König sein sollte, mußte er
nicht auch eine Königin haben? So war es doch in der
Regel. Er dachte an Valerie Alvarath. Während der
Fahrt auf der Nemesis hatten sie Gefallen aneinander
gefunden. Er fragte sich, ob ihr seine Gesellschaft auf
Dauer gefallen würde, auch auf einem Thron ...
Elaine war bei ihm. Er spürte sie neben sich und
glaubte fast, sie berühren zu können. Ihre Stimme
flüsterte ihm zu: Sie liebt dich, Lucas; sie wird ja sagen.
Sei gut zu ihr, und sie wird dich glücklich machen. Dann
war sie wieder verschwunden, und er wußte, daß sie
niemals zurückkehren würde.
Leb wohl, Elaine.