Angel Bd07 John Passarella Im Netz des Grauens

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Angel : Jäger der Finsternis. - Köln : vgs

(ProSieben-Edition)

Im netz des Grauens / John Passarella.

Aus dem Amerikan. von Christina Deniz. – 1. Aufl. – 2002

ISBN 3-8025-2866-2







Das Buch »Angel -Jäger der Finsternis.

Im Netz des Grauens«

entstand nach der gleichnamigen

Fernsehserie (Orig.: Angel) von

Joss Whedon und David Greenwalt,

ausgestrahlt bei ProSieben.

© des ProSieben-Titel-Logos mit freundlicher

Genehmigung der ProSieben Televisions GmbH

Erstveröffentlichung bei Pocket Books, eine Unternehmungsgruppe

Von Simon & Schuster, New York 2001.

Titel der amerikanischen Originalausgabe: Angel. Avatar.

und © 2001 by Twentieth Century Fox Film Corporation.

All Rights Reserved.

1. Auflage 2002

© der deutschsprachigen Ausgabe:

Egmont vgs Verlagsgesellschaft, Köln 2002

Alle Rechte vorbehalten.

Titelfoto: © Twentieth Century Fox Film Corporation 2000

Lektorat: Sabine Arenz

Produktion: Wolfgang Arntz

Umschlaggestaltung: Sens, Köln

Satz: Kalle Giese, Overath

Druck: Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germany

ISBN 3-8025-2866-2

Besuchen Sie unsere Homepage im WWW:

www.vgs.de


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Prolog



Elliot Grundys Dämon wurde allmählich ungeduldig.

Was nicht weiter ungewöhnlich ist, dachte Elliot, immerhin ist Geduld

eine Tugend ... Sein Computermodem hatte sich angesichts der
irritierend schlechten Verbindung gerade noch einmal beruhigt, als der
Dämon auch schon wissen wollte, wo sie war.

»Keine Sorge«, versicherte ihm Elliot, obwohl das »ihm« noch in

Frage stand. Genauer gesagt hatte Elliot keine Ahnung, welchen
Geschlechts der Dämon war, doch dass es ein »Er« war, erschien ihm
irgendwie natürlicher. Vorausgesetzt, man hatte sich erst einmal mit der
gänzlich unnatürlichen Tatsache abgefunden, dass man sich mit einem
Dämon eingelassen hatte. »Sie wird schon auftauchen.«

Elliot saß an seinem Schreibtisch im Schlafzimmer seines Einzimmer-

Apartments. Er trug ein ärmelloses T-Shirt, das über seiner Wampe
spannte, sowie Trainingshosen. Eine Partytüte Käsechips und eine
Zweiliterflasche Pepsi leisteten ihm Gesellschaft. Innerhalb kürzester
Zeit war die Tastatur von einer Schicht orangefarbenen Würzpulvers
bedeckt. Nichts indes, was sein Handstaubsauger nicht wieder in
Ordnung bringen könnte.

Elliot nahm seine Internet-Chatsoftware in Betrieb und rief den

Chatroom auf – einer von vielen, die er gebookmarkt hatte.

Bevor er sich in den virtuellen Treffpunkt einloggte, aktivierte er sein

Text-to-Speech-Hilfsprogramm, das alles Geschriebene im Chat
akustisch wiedergab, so dass er nicht stundenlang angestrengt auf den
Bildschirm starren musste. Für die Ankündigungen, die ihm verrieten,
wer neu am Chat teilnahm und wer sich wieder verabschiedete, wählte er
eine männliche Stimme. Es war ein Single-Chatroom ohne Moderator.
Man kam und ging, wie es einem gefiel. Keine Zensur, keine Regeln.
Und anonym. Sein Lieblingschat. Als nächstes wies er sich selbst eine
andere männliche und der Frau, die er treffen würde, eine weibliche
Stimme zu.

Da es sich um einen grafisch gestalteten Chatroom handelte, musste er

sich zu seinem Login-Namen noch einen Avatar aussuchen. Die
verfügbaren Charaktere reichten von Comicfiguren bis hin zu
Karikaturen von berühmten Filmstars wie Bogart, Mae West oder James
Dean. Die Avatare in diesem Chat besaßen alle überdimensional große

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Köpfe auf winzigen, ziemlich starren Körpern – fast wirkten sie, als
wären sie mit den Figuren aus South Park verwandt.

Elliot entschied sich für das Frankenstein-Monster und gab sich den

Namen »FrankN9«. Dann loggte er sich ein.

Der Chatroom war das zweidimensionale Ebenbild einer Bar, mit

Hockern, Tischen und Theke. Ein animierter Barkeeper, der mit einem
weißen Tuch unaufhörlich einen Bierkrug trocken rieb, fungierte als
nichtmenschlicher Ankündiger des Chatprogramms: »FrankN9 hat
soeben die Bar betreten«, ertönte nun seine Stimme aus den Computer-
Lautsprechern.

Einige Avatare trudelten bereits ziellos durch die Bar, darunter ein

Cowboy, eine rote Bulldogge, ein Showgirl auf hohen Absätzen und, wie
um eine weitere der bisweilen albernen Animationen zu demonstrieren,
eine Hula-Tänzerin. Um Verwechslungen mit womöglich identischen
Charakteren zu vermeiden, war unter jedem Avatar dessen Screen-Name
zu lesen. Die Teilnehmer selbst kommunizierten via comicartigen
Sprechblasen. »Hi, F

RANK

N9« erschien jetzt über den Köpfen des

Cowboys und des Hula-Mädchens. Grundy hatte sich nicht die Mühe
gemacht, diesen Leuten Text-to-Speech-Stimmen zuzuweisen.

Hinter Elliot ertönte plötzlich die Stimme des Dämonen, die selbst

Barry White vor Neid hätte erblassen lassen. »Wo ist sie?«

Elliot widerstand dem Wunsch, sich nach ihm umzudrehen. Ein Grund

dafür war, dass er sich angesichts der Art und Weise, wie der Dämon
sich gebärdete, ein wenig unbehaglich fühlte, insbesondere, wenn man
den Abend allein mit Käsechips und Cola zubringen musste.
Andererseits musste er sich keine Sorgen machen, da der Dämon ihm
erklärt hatte, dass er auf dieser Ebene nur mittels der Substanz von Elliot
erscheinen könne – das Ergebnis ihres Pakts.

»Sie wird schon kommen«, wiederholte Elliot und wischte sich seine

verschmierten Finger an der Trainingshose ab. »Sie hat sich nur ein
bisschen verspätet, mehr nicht.«

Er tippte eine Frage ein, die gleich darauf über seinem Kopf erschien

und gleichzeitig mit der von ihm ausgewählten zweiten Männerstimme
aus seinen Lautsprechern tönte: »Hat jemand L8Dvamp gesehen?«

Einige schnelle Antworten folgten. Die Bulldogge: »B

IS

JETZT NOCH

NICHT

.« Der Cowboy: »

WOHL KEIN GLÜCK HEUTE ABEND

,

PARTNER

Dann wandte sich die Gruppe wieder ihrem Chat zu – unablässig
poppten Sprechblasen auf.

Hinter seinem Rücken vernahm Elliot ein ungehaltenes Grunzen. Elliot

hatte keine Ahnung, wie der Dämon das Geräusch erzeugte, aber es fuhr

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ihm direkt in den Unterleib und ließ seine Gedärme unangenehm
vibrieren. Er räusperte sich. »Sieh mal, sie ist wahrscheinlich nur...«

»L8Dvamp hat soeben die Bar betreten«, sagte die Stimme des

Barkeepers.

Elliot seufzte vor Erleichterung. Er begann zu schreiben, und seine ihm

zugewiesene Computerstimme sagte: »H

I

,

L

8

DVAMP

!

ICH HAB AUF DICH

GEWARTET

L8Dvamp hatte ihren gewohnten Avatar gewählt: einen weiblichen

Vampir mit aufgetürmten schwarzen Haaren, roten Augen und
Blutstropfen an den Reißzähnen. Die Figur trug ein weißes Kleid mit
tiefem Ausschnitt. »

GUTEN ABEND

, F

RANK

N8«, sagte die weibliche

Stimme, die Elliot für sein Date vorgesehen hatte. »H

AST WOHL

GEDACHT

,

ICH

HÄTTE

KALTE

F

ÜSSE

B

EKOMMEN

Nachdem diese Gefahr tatsächlich bestanden hatte, doch

glücklicherweise durch ihr Auftauchen abgewendet worden war, nahm
Elliot erst einmal einen großen Schluck aus seiner Pepsi. Dann rülpste er
vernehmlich und sagte zu dem Dämon: »Blöde Schlampe. Geschieht ihr
recht, was auch immer ihr geschieht.« Doch er schrieb: »H

ABE DIESEN

G

EDANKEN NIE IN

E

RWÄGUNG GEZOGEN

Plötzlich poppte auf seinem Bildschirm ein kleines Fenster auf, in dem

»L8Dvamp hat Sie in einen privaten Raum eingeladen« zu lesen war.
Darunter befanden sich zwei Buttons, »Annehmen« und »Ablehnen«.
Elliot atmete tief aus. Gut, sie kommt direkt zum Wesentlichen, dachte er
und akzeptierte die Einladung. »Was hab ich dir gesagt, Großer«, sagte
er zu dem Dämon hinter sich. »Sie kann unserem kollektiven Charme
einfach nicht widerstehen.«

»Weitermachen«, befahl der Dämon.
Ein neues Fenster überlagerte nun das Bild der Bar. In ihm standen ein

Pärchensessel und ein Messingbett. In diesem simulierten Liebesnest
konnten die Dinge einen ziemlich eindeutigen Verlauf nehmen, wenn
sich das Geplänkel zwischen den Paaren zu einem Hotchat entwickeln
sollte. Doch Elliot hatte andere Pläne. Zudem hatte sich L8Dvamps
Avatar schon in Richtung Pärchensessel aufgemacht.

Elliot lehnte sich vor, die Käsechips waren längst vergessen, und

schrieb: »

ALSO

...

BIST DU BEREIT FÜR EIN PERSÖNLICHES TREFFEN

»M

EINST DU WIRKLICH

,

WIR WÜRDEN EIN GUTES

P

AAR ABGEBEN

»I

N MEINEM

H

OROSKOP STAND

,

ICH WÜRDE EINE ERNSTHAFTE

B

EZIEHUNG ZU

EINER

F

RAU MIT DEM

S

TERNZEICHEN

F

ISCHE EINGEHEN

.

U

ND DU BIST

F

ISCHE

. W

ENN DAS KEIN

W

INK DES

S

CHICKSALS IST

»

OKAY

,

UNTER EINER BEDINGUNG

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»Mist«, entfuhr es Elliot. »Was kommt jetzt?« Doch er schrieb: »W

AS

IMMER DU MÖCHTEST

»B

ESCHREIBE DICH

«, tönte L8Dvamps Stimme aus den Lautsprechern,

»

DAMIT ICH

DICH

ERKENNE

,

WENN

WIR

UNS

TREFFEN

Sie hat ›wenn‹ gesagt, triumphierte er im Stillen. Nicht ›falls‹. Er

schrieb: »E

RST GESTERN

A

BEND BAT ICH DICH

,

MIR DEINEN

T

RAUMMANN ZU

BESCHREIBEN

.

UND DU MEINTEST

,

ES WÄRE

ERSTAUNLICH

, W

IE

NAHE

ICH

D

EINEN

V

ORSTELLUNGEN

KÄME

»J

A

,

AUCH DAS SCHEINT

S

CHICKSAL ZU

SEIN

«, erwiderte sie.

»G

UT

,

DANN

BESCHREIB

MIR

DOCH

NOCHMAL

GANZ

GENAU

D

EINEN

T

RAUMTYPEN

«, forderte er sie auf.

»M

ITTE ZWANZIG

,

ATHLETISCH GEBAUT

,

MINDESTENS

1,80 M

ETER

GROSS

,

GEBRÄUNTER

T

EINT

«, schrieb sie.

Elliot war gerade mal 1,70 Meter groß, hatte rostfarbene Haare und

Aknenarben in einem blassen runden Gesicht, seine schlaffen Arme
baumelten um einen birnenförmigen, schwabbeligen Körper. Doch er
schrieb: »Also, ich bin 1,80 Meter groß ...« Dann drehte er sich zu dem
Dämon um, denn er musste sicherstellen, dass er die weitere
Beschreibung korrekt vornahm.

Der Dämon stand nur eine Armeslänge von seinem Stuhl entfernt und

sah aus wie ein Klumpen gelbes Wachs mit vage menschlichen
Umrissen. Er besaß keine spezifischen Gesichtscharakteristika und nur
plumpe Extremitäten mit schaufeiförmigen Händen, von Fingern oder
gar Zehen ganz zu schweigen.

Doch nun dehnte sich die formlose Masse aus und wuchs zu einer

stattlichen Größe von 1,80 Meter heran.

Aus dem Kopf sprossen sodann merkwürdige Stacheln, die sich nach

und nach in blonde Haare verwandelten.

Blaue Augen erschienen in dem teigigen Gesicht und richteten sich

fortan unverwandt auf Elliot.

Nasenlöcher und eine klaffende Höhle bildeten sich gleich darunter,

um sich schließlich zu einer schmalen Nase und einem vollen Mund zu
formen.

Dann nahm die fahle Wachsoberfläche die Struktur von Haut an, die

sich über einen muskulösen Körper spannte und eine sonnengebräunte
Farbe annahm.

Während der Dämon seine Verwandlung in ein menschlich

anmutendes Wesen abschloss, einschließlich Fingern, Zehen und
Körperbehaarung, setzte Elliot »seine« Beschreibung fort und schloss die
Litanei mit einem »

UND

?

WAS SAGST DU

?« ab.

»

BILDER SAGEN MEHR ALS TAUSEND WORTE

«, schrieb sie.

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»W

IE

MEINST

DU

DAS

»

BEVOR WIR UNS TREFFEN

,

MÖCHTE ICH GANZ SICHER GEHEN

.

HAST

DU EINE WEBCAM

»Super«, sagte Elliot zu dem Dämon. »Sie will deine Visage sehen.«
»Mach es«, knurrte der Dämon und entblöste zwei Reihen perfekter

Zähne.

Elliot seufzte. »Zieh dir besser was an.«
»Richtig«, sagte der Dämon und breitete seine Arme aus. Elliots

Sachen würden ihm niemals passen, daher ließ er einfach seiner
Phantasie freien Lauf und kreierte ein einfaches weißes Hemd, Jeans und
ein Paar Stiefel für sich.

Zufrieden wandte sich Elliot wieder seiner Tastatur zu.
»I

CH

ZEIGE

DIR

MEINS

,

WENN

DU

MIR

DEINS ZEIGST

«, witzelte er.

»H

AHAHA

»B

LEIB DRAN

«, schrieb er. »I

CH MÖCHTE DICH WIRKLICH GERN

TREFFEN

,

BEVOR ES ZU

SPÄT IST

.« Wie wahr, dachte er, denn mir sitzt

ein ziemlich ungeduldiger Dämon im Nacken ...

Der Chatroom hatte eine Option für Video-Konferenzen, was Elliot in

diesem Moment sehr gelegen kam. So nahm er seine Webcam vom
Monitor und drückte sie dem Dämon in die Hand, der sich die Linse
sogleich vors Gesicht hielt. Mit der Konferenz-Option der Chatsoftware
nahm Elliot die Kamera in Betrieb und startete die Übertragung. Nur
Sekunden später erschien ein briefmarkengroßes Fenster in der Ecke
seines Monitors mit dem körnigen Farbfoto von L8Dvamp. Sie hatte
schwarzes Haar, ein ziemlich ausdrucksloses Gesicht und rot
geschminkte Lippen.

»V

IELEN

D

ANK FÜR DEIN

V

ERSTÄNDNIS

, F

RANK

N9«, sagte sie.

Elliot trennte die Video-Verbindung. »K

EIN

P

ROBLEM

, L8D

VAMP

«,

antwortete er. »W

O

SOLLEN WIR UNS TREFFEN

»I

CH BIN BEI

C

YBER

J

OE

'

S

«, schrieb sie. »W

IE

SCHNELL KANNST

DU

HIER

SEIN


CyberJoe's
war ein neues Internet-Cafe in West Hollywood.

Früher war der Laden ein beliebter Danceclub gewesen; der Innenraum

besaß noch immer ein umlaufendes zweites Geschoss, von wo aus man
auf die ehemalige Tanzfläche hinuntersehen konnte. Auf diesem Balkon,
an dem wahrscheinlich einst die obligatorische Spiegelkugel befestigt
gewesen war, standen in den Nischen nun Tische, die den Gästen mehr
Privatsphäre boten. Obwohl sich in Bezug auf das Innendesign wenig
geändert hatte, war die Spiegelkugel längst Geschichte; die Musik kam

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nun gedämpft aus Camouflage-Boxen und variierte zwischen Electronic,
New Age und Subdued.

Jeder der Tische war mit einem Computer nebst teurem Flatscreen

ausgerüstet. Treppen und Geländer waren mit blauen und gelben
Neonröhren verziert worden, wie um den Informationsfluss zu
visualisieren, der von hier aus mit Lichtgeschwindigkeit in alle Welt
strömte.

Trotz des technikbetonten Ambientes war die Beleuchtung so

gedämpft wie in einem Edelrestaurant. Doch die Gesichter der Gäste
wurden nicht etwa in sanftes Kerzenlicht getaucht, sondern waren von
einer geisterhaften blassbläulichen Aura umgeben, die von den
Flachbildschirmen ausging.

Dafür, dass dieser Vergnügungstempel einst allabendlich unter

ohrenbetäubender Musik vibriert hatte, war CyberJoe's heute ein relativ
stiller Ort. Lediglich das monotone unablässige Klappern der Tastaturen
durchdrang den Raum. Daher hatten sich die Betreiber dazu
entschlossen, den Internetbenutzern neben dreißig verschiedenen Kaffee-
und Tee-Variationen auch Computer-Quiz-Wettbewerbe und Chat-
Themenabende anzubieten, um die Kommunikation und die sozialen
Kontakte unter den Gästen zu fördern. Dabei hatten sie allerdings die
Tatsache außer Acht gelassen, dass sich zwischenmenschliche
Beziehungen schwierig gestalten, wenn man permanent auf einen
Bildschirm starrt.

Insofern gelangten auch Ginger Marks (alias L8Dvamp) und Eddie

(alias FrankN9) schließlich zu der Überzeugung, dass es ihrem ersten
Treffen förderlicher war, wenn sie CyberJoe's den Rücken kehrten und
einen ruhigen Abendspaziergang unternahmen. So schlenderten sie eine
Weile schweigend dahin, und Ginger konnte nicht umhin, alle paar
Minuten einen verstohlenen Seitenblick auf Eddie zu riskieren.
Schließlich lächelte sie. »Also, ich muss schon sagen«, begann sie. »Du
bist genau so, wie ich mir dich vorgestellt habe.«

Eddie lächelte zurück, als ob er dieses Kompliment erwartet hätte.
Ginger fand, dass er fast zu perfekt war, um wahr zu sein. Genau so

hatte sie sich ihren Traummann immer vorgestellt. Bis auf die Tatsache,
dass ihr, als er das Cafe betrat, seine Nase ein bisschen zu schmal und
die Augenbrauen etwas zu buschig für ihren Geschmack vorgekommen
waren. Doch dann war es plötzlich so, als ob diese Details einfach nicht
mehr existierten. Das war seltsam, denn er sah im Grunde noch genau so
aus wie vor einer halben Stunde, und doch irgendwie ... noch besser. Ob
mir hier meine Einbildung einen Streich spielt?, dachte sie. Niemandes
Aussehen ändert sich, nur weil man es sich wünscht.

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»Und was ist mit mir?«, fragte sie und spreizte ihre Hände, so dass ihre

silbernen Armreifen klimperten. Sie trug eine weinrote Bluse und
schwarze Capri-Hosen. Um den Hals trug sie eine Kette mit einem
Anhänger, der das Fische-Symbol in Form des Buchstabens »H«
darstellte. »Bin ich so, wie du dir mich vorgestellt hast?«

»Das äußere Erscheinungsbild eines Menschen ist mir nicht halb so

wichtig wie seine inneren Werte«, sagte er mit einem breiten Grinsen.
Dann nahm er ihre Hand und küsste sie. »Doch ich muss sagen, du bist
in jeder Beziehung appetitlich.«

»Vielen Dank, Eddie.« Sie lachte. »Es ist schon komisch; ständig

möchte ich dich FrankN9 nennen oder wenigstens Frank.«

»Immer noch besser als Frankenstein.«
Einige Halbwüchsige, die sich zum Spaß gegenseitig anrempelten,

kamen ihnen grölend entgegen. Einer stieß einen anderen grob in den
Rücken, um dann in Richtung Ginger und Eddie davonzulaufen. Die
anderen nahmen lautstark die Verfolgung auf. Rasch zog Eddie Ginger
aus der Schusslinie. »Hooligans«, murmelte er verächtlich.

»Ach, das sind doch nur Kids, die ein bisschen über die Stränge

schlagen.«

Über ihre Schulter warf Eddie einen schnellen Blick in eine enge

Seitenstraße hinein. Dann sah er ihr tief in die Augen auf eine Weise,
wie es noch kein Mann zuvor getan hatte. Die Intensität seines Blicks
ging ihr durch und durch, und sie bekam weiche Knie. Er war so
unglaublich attraktiv und gut gebaut, und er schien so leidenschaftlich zu
sein ... Sie war nicht sicher, was als Nächstes kommen würde, aber sie
wusste, sie würde sich darauf einlassen.

»Hast du was dagegen«, raunte er ihr ins Ohr, »wenn wir diesen

Trampelpfad für einen Moment verlassen? Ich hab dir etwas Wichtiges
mitzuteilen.«

Verloren im Sog seiner dunkelblauen Augen konnte sie nur stumm

nicken.

Nachdem er sie einige Schritte in die einsame Gasse geführt und seine

Hände auf ihre Schultern gelegt hatte, konnte sie endlich wieder
sprechen. »Gut«, sagte sie. »Jetzt sind wir allein. Ich hoffe wirklich, die
wichtige Sache, die du mir zu sagen hast, ist nicht, dass du verheiratet
bist.«

Er kicherte. »Nein, eigentlich ist es nichts, was ich dir zu sagen habe.

Tatsächlich ist es etwas, das ich schon den ganzen Abend tun wollte.
Und es erfordert ein kleines bisschen ... Privatsphäre, wenn du verstehst,
was ich meine.«

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Sie kam einen Schritt näher, bog ihren Rücken durch und spitzte ihre

Lippen für den lang ersehnten

KUSS

. »Oh ... ich verstehe sehr gut.«

Als seine Hände von ihren Schultern glitten, trafen sich ihre Münder.

Kurz darauf fühlte sie, wie seine Zungenspitze ihre Lippen teilte.
»Ginger«, flüsterte er. »Ich befürchte, du verstehst ganz und gar nicht.«

Im gleichen Moment wanderten seine Hände zu ihren Schlüsselbeinen

und umfassten sie. Dann wurden seine Finger plötzlich länger und härter,
seine Nägel wuchsen und gruben sich tief in ihr Fleisch, versenkten sich
in ihren Hals, ihren Brustkorb und ihren Rücken.

Ginger versuchte zu schreien, aber auch seine Zunge schien gewachsen

zu sein und bohrte sich nun tief in ihren Schlund hinein.

Sie versuchte, ihn wegzustoßen, doch plötzlich waren ihre Hände zu

schwer, um sie auch nur anzuheben. Schlaff baumelten ihre Arme
herunter, und einer der Silberreifen glitt von ihrem ausgedörrten
Handgelenk und landete klimpernd auf dem Asphalt. Ihr Körper geriet in
Zuckungen, erbebte unter seinem Griff, und dann gab sie sich der
gnädigen Finsternis hin, die schließlich über ihr zusammenschwappte.

Auch der Körper des Dämons pulsierte während ihrer Vereinigung, als

ob er unter Strom stünde. Doch während die Energie nach und nach aus
Gingers Körper floss, wurde der seine mit dem kostbaren Lebenselixier
aufgeladen wie eine Batterie und versetzte ihn in einen köstlichen
Rausch. Und doch währte die Euphorie nur eine halbe Minute, danach
hatte sie ihm nichts mehr zu geben.

Als seine Hände und seine Zunge von dem abließen, was von Gingers

Körper übrig geblieben war, peitschten seine elf Auswüchse durch die
Luft wie Zitteraale, noch immer nass und glänzend von Gingers Blut und
Eingeweiden. Während seine vielgliedrigen Finger fast den Boden er-
reichten, war seine gierige Zunge gerade einmal 40 Zentimeter lang. Nun
warf der Dämon den Kopf zurück, und das Ding schoss schmatzend in
seinen Mund zurück. Dann streckte er seine Arme vor und drehte die
Handflächen nach oben wie ein Chirurg, der darauf wartet, dass man ihm
sterile Handschuhe überstreift, und zwang seine aalgleichen Finger
wieder in eine menschliche Form.

Mit einem flüchtigen Blick auf das, was einmal Ginger Marks gewesen

war, verließ Eddie, der Dämon, die einsame Gasse beschwingten
Schrittes und erfrischt. Und obwohl er randvoll war mit Energie und
Lebenskraft wusste er, dass dieses Gefühl nicht lange anhalten würde.
Gingers Essenz war nur ein Schritt auf dem schicksalhaften Weg seines
Werdens, dem Weg zu seiner Wiedergeburt.

Und das, was er zurückließ, das, was sich nun in der zerknitterten

weinroten Bluse und den schwarzen Capri-Hosen befand, hatte nicht

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wenig Ähnlichkeit mit einer abgestreiften Schlangenhaut, wäre da nicht
der schwarze Haarschopf gewesen.

Sämtliche Eingeweide, Gefäße und Körperflüssigkeiten, die es Ginger

ermöglicht hatten, zu leben und zu atmen, fehlten. Selbst von ihren
Knochen war nur mehr ein feines weißes Pulver übrig.

Und die gleiche kühle Abendbrise, die jetzt eine leere Coladose

scheppernd die verlassene Gasse hinuntertrieb, zerrte an der
federleichten transparenten Hauthülle, die einst die rechte Hand von
Ginger Marks gewesen war.































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1



»Jeder ist heutzutage im Web«, erklärte Cordelia Chase ihrem Kollegen
Doyle, als habe sie ein unaufmerksames Kind vor sich. »Selbst Leute,
die ein Leben haben.«

In dem Moment, da Angel das Büro verlassen hatte, hatte Cordelia

damit begonnen, Doyle für ihre Pläne, die Geschäfte der Agentur ein
wenig anzukurbeln, zu gewinnen. Genauer gesagt, eine Website für
Angel Investigations einzurichten.

»Ach so, das ist also die Lösung aller Probleme«, sagte Doyle in

seinem typisch irischen Tonfall. »Man erstelle eine Website, und die
armen geknechteten Massen werden vor unserer Tür Schlange stehen.«

»Natürlich nicht«, gab Cordelia zurück. »Die Armen haben schließlich

keine Computer. Was uns fehlt, sind ein paar zahlungskräftige Kunden,
mit Betonung auf ›zahlungskräftig‹, versteht sich.«

Cordelia saß an ihrem Schreibtisch im Empfangsbereich der Agentur

und trug ein ärmelloses knappes Top, schwarze Jeans und hochhackige
Pumps.

Doyle, der an der Tischplatte lehnte, trug seine alte Lederjacke über

einem grünen Hemd mit zerknittertem Kragen.

Obwohl Cordelia sich stets darüber beschwerte, dass sie mit ihrem

mageren Empfangsdamen-Gehalt modisch nur schwer auf dem neuesten
Stand bleiben konnte, fühlte Doyle sich in ihrer Gegenwart immer, als
hätte er in seinen Kleidern auf der Straße geschlafen – im Regen.

Mehr noch, bestenfalls verschlug ihm Cordelia den Atem,

schlimmstenfalls, und weitaus öfter, schnürte ihr Anblick ihm die Kehle
zu. Und doch rang er ständig mit sich, ihr vielleicht eines Tages zu
gestehen, was er für sie empfand ... nun, die Hoffnung ist ein
unerschöpflicher Quell.

Und obwohl Doyle sich sehr gut vorstellen konnte, dass Cordelia die

meisten Männer in ihrer Gegenwart dazu brachte, dass sie sich ihrer
unwürdig fühlten, hatte er zudem schwer an der Bürde zu tragen, dass
sein Vater ein Brachen-Dämon war. Sicher, mütterlicherseits war er zu
hundert Prozent menschlich, doch wie viel würde ihm dieser Pluspunkt
mit Sunnydales ehemaligem Highschool-Starlet einbringen? Cordelia
hatte mehr als einmal unmissverständlich klargestellt, dass sie sämtliche
Dämonen als Gegner betrachtete, die es zu bekämpfen galt. Deshalb war

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es nicht überraschend, dass er ihr seine Herkunft bisher verschwiegen
hatte. Eines Tages, so hoffte er, würde er sie davon überzeugen können,
dass die Tatsache, ein Halbdämon zu sein, ihn nicht automatisch zum
bösen Buben abstempelte. Und bis dahin, so beschloss er, machte es
keinen Sinn, einem Traum hinterherzujagen.

»Wir helfen den Hilflosen«, entgegnete er. »So heißt es jedenfalls im

Willkommenstext unseres Anrufbeantworters. Mit deiner Stimme und in
deinen eigenen Worten, Cordelia, möchte ich noch hinzufügen. Und im
Allgemeinen zeichnen sich die Hilflosen nicht durch prall gefüllte Brief-
taschen aus.«

»Wir werden auch in Zukunft den Hilflosen helfen«, gab Cordelia

zurück. »Aber würde es uns denn umbringen, wenn wir zur Abwechs-
lung ein paar hilflose, gut situierte Kunden dazubekämen?«

»Vermutlich nicht.«
»Also, sind wir Partner?«
Doyle wusste, wie Cordelia es meinte, und doch musste er angesichts

dieser Frage schlucken. Schnell vertrieb er die falschen Bilder, die diese
Worte ausgelöst hatten, aus seinem Kopf und sagte: »Okay, dann werde
ich hierbei wohl des Teufels Advokat spielen. Wobei ich wohl eher
Angels Advokat sein werde. Doch was ist eigentlich mit den Kosten?«

»Och, das kriegen wir ganz billig hin«, versicherte Cordelia ihm. »Für

das Erstellen von Websites gibt's jede Menge kostenloser Tools im
Internet; alles in allem wird der ganze Spaß nicht mehr kosten als unsere
monatliche Strom- oder Telefonrechnung. Und die haben wir schließlich
auch immer noch bezahlen können, nicht wahr?« Sie klopfte mit den
Fingerknöcheln auf die Tischplatte. »Gott sei Dank, wie ich sagen
muss.«

»Gut, zum nächsten Problem: Weißt du überhaupt, wie man eine

Website erstellt?«

»Ich hab rausgefunden, wie man Rechnungen ausdruckt«, sagte

Cordelia, »nicht, dass ich diesbezüglich viel Praxis hätte, doch wie viel
schwieriger kann da Website-Design sein?«

»Ich verwette ein hübsches Sümmchen, dass es schwieriger ist, eine

Homepage zu erstellen, als Rechnungen durch den Drucker zu jagen.«

»Siehst du, das ist dein Problem, Doyle«, sagte Cordelia. »Du wettest

zu viel... Glaub mir, die Sache ist bombensicher.«

Doyle räusperte sich. »Glaub mir, ich hab mehr als genug bei

bombensicheren Geschäften verloren.«

Cordelia öffnete eine Schreibtischschublade, holte mehrere

Computerhandbücher hervor und ließ sie mit einem vernehmlichen
Klatschen auf den Tisch fallen. »Das sind sämtliche Bücher, die ich zum

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Thema Webdesign in der Stadtbibliothek auftreiben konnte. Allerdings
hab ich ›Das ultimative Homepage-Kompendium für Dummies‹ nicht
mitgenommen, weil ich den Titel ein bisschen beleidigend fand.« Sie
runzelte die Stirn. »Andererseits aber auch irgendwie ermutigend ...«

»Ich halte es trotzdem für verrückt, ein solches Projekt überhaupt zu

versuchen.«

»Doyle, es gibt sogar Programme, die das für dich erledigen«, sagte

Cordelia. »Es wird schon nicht so schwierig werden. Und wenn wir erst
unsere eigene Homepage haben, wird es sein, als hätten wir eine
Außenstelle unserer Agentur da draußen im Netz, deren Unterhalt bei
weitem billiger ist als die Miete für dieses Loch hier. Und ich werde als
besonderen Service auch unsere Dämonen-Datenbank auf die Site
stellen. Ich wette, 'ne Menge Leute werden diese Daten abrufen wollen –
gegen gutes Geld, versteht sich.«

Doyle grinste halbherzig. »Und du sagst mir, ich wette zu viel...«
»Doyle, einige Seiten im Netz haben 10 Millionen Hits pro Monat!«,

rief Cordelia. »Das ist so viel wie L.A. Einwohner hat oder so ...«

»Und findest du das alles nicht ziemlich deprimierend? Ich meine, all

diese Menschen, die nur noch vor ihren Rechnern sitzen und all das, was
sie einst liebten, komplett ignorieren?«

»Niemand muss einsam sein. Es gibt Chaträume und Chatprogramme

zum Kommunizieren.«

»Mein Gott«, rief Doyle aus und verdrehte die Augen. Dann seufzte er.

»Glaubst du wirklich, dass du so was auf die Beine stellen kannst?«

»Ja, und zwar direkt von meinem Schreibtisch aus«, antwortete

Cordelia und lächelte ihr bezauberndstes Lächeln. »Zwischen all den
Telefonaten, dem Schreiben von Rechnungen und meinen vielen ...
ähm... Vorsprechterminen.«

Cordelias letztes Vorsprechen lag schon eine Weile zurück, und Doyle

fragte sich, ob sie sich nur deshalb auf das Website-Projekt stürzte, um
sich von ihrer stagnierenden Schauspieler-Karriere abzulenken. Als
Cordelia Sunnydale in Richtung L.A. verlassen hatte, war sie überzeugt
gewesen, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis Hollywood sie
für den Film entdeckte. Klar, dass ihrer Auffassung nach nicht sehr viel
Zeit bis zu diesem Tag verstreichen würde. Doch inzwischen sah die
Realität so aus, dass sie auf den Job bei Angel Investigations mehr als
angewiesen war.

Da Doyle ihr kaum dabei helfen konnte, im Filmgeschäft Fuß zu

fassen, schien es ihm das Mindeste, ihr moralischen Beistand bei ihrem
Website-Projekt zu leisten. Es gab da nur ein Problem. »Angel wird da
nie mitmachen«, sagte er.

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»Weshalb ich beschlossen habe«, erwiderte Cordelia, »die Sache

vorerst vor ihm geheim zu halten.« Als Doyle zu einem Protest ansetzen
wollte, hob sie beschwichtigend die Hände. »Zumindest bis zu dem Tag,
an dem der große Geldsegen über uns hereinbricht. Also, bist du dabei?«

»Du kannst auf mich zählen, Cordelia«, sagte Doyle. »Aber ich hab

kein gutes Gefühl bei der Sache.«

»Okay, Herr Bedenkenträger«, erwiderte Cordelia. »Aber glaub mir,

du machst dir wieder einmal Sorgen um rein gar nichts.«

Angel machte sich wieder einmal Sorgen darum, dass er womöglich zu
spät kam.

Eines der großen Probleme mit Doyles Visionen, die den Freund

regelmäßig heimsuchten, war, dass sie sehr ungenau waren, wenn man
einmal davon absah, dass sie Doyle regelmäßig Migräneanfälle
bescherten.

Was Doyle sah, waren nicht mehr als flüchtige Momentaufnahmen von

Menschen, die errettet werden mussten aus einer Lage, die oft schlimmer
war als der Tod.

Rasch ging Angel im Geiste noch einmal die Bilder durch, die Doyle

ihm geschildert hatte: Ein Spielsalon und ein männlicher Teenager, der
von einer Kreatur bedroht wurde. Kaum hilfreiche Details zur Kreatur
selbst, außer dass sie sehr »groß« gewesen sein sollte.

Als er die Lichter des Santa-Monica-Piers hinter sich ließ, fiel ihm ein,

dass Doyle das Wort »one« in der Neonreklame über dem Spielsalon
erkannt hatte. Eine Suche im örtlichen Telefonbuch hatte keinen Erfolg
gebracht. Ein Anruf bei der Auskunft – möglicherweise handelte es sich
um eine erst kürzlich eröffnete Spielhalle – hatte ebenfalls zu nichts
geführt.

Er wollte gerade wieder in sein Cabrio steigen, um ins Beverly Center

zu fahren, als eine Gruppe Jugendlicher über die Kreuzung gelaufen kam
und direkten Kurs auf ein Gebäude nahm, über dem eine blaue
Neonreklame prangte. »Warp« sowie ein gelbes Blitzsymbol waren alles,
was Angel von den kursiven Lettern erkennen konnte.

Einem plötzlichen Impuls folgend lief er die Straße hinab, er konnte

nur dunkel ahnen, was er als Nächstes sehen würde. Und tatsächlich, als
er vor dem Laden stand, erkannte er, dass das Blitzsymbol ein stilisiertes
»Z« war, gefolgt von einem roten »one« – Warp Zone! Doyle hatte in
seiner Vision also nur einen Teil des Namens erhascht.

Die Jugendlichen, die ihn unbeabsichtigt hierher geführt hatten,

betraten den Spielsalon, und Angel folgte ihnen. Angesichts der über ihn

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hereinbrechenden Licht- und Geräuschkulisse fand er es schwierig, einen
klaren Gedanken zu fassen.

Wie er feststellte, befanden sich hier an die hundert Teenager, die sich

allesamt mit computergenerierten Aliens, Kampfschwadronen, Panzern,
Zombies, Mutanten und, ja, sogar Vampiren herumschlugen. Andere
fütterten Wechselautomaten mit Dollarscheinen, die im Gegenzug die
Jetons ausspuckten, mit denen die unbeseelten Spielgefährten zum Leben
erweckt wurden. Nur wenige der Jugendlichen unterhielten sich
miteinander. Selbst die Gruppe, die den Laden kurz vor ihm betreten
hatte, zerstreute sich schnell auf der Suche nach einem freien
Flipperautomat, Videospiel oder VR-Helm.

Sollte der Rattenfänger von Hameln jemals auf die Idee kommen

zurückzukehren, würde er die Kids wahrscheinlich mit Gameboys hinter
sich herlocken, dachte Angel.

Abgesehen von den Jugendlichen, die hier ihre Zeit verplemperten,

war in der Spielhölle nichts Außergewöhnliches festzustellen.
Andererseits verstanden viele Kreaturen der Nacht es vorzüglich, sich
ein menschliches Aussehen zuzulegen. Er selbst wusste dies am besten,
war er doch ein Vampir, und selbst ein beseelter Vampir musste seine
wahre Natur vor der Öffentlichkeit verbergen.

Andererseits bezweifelte Angel, dass ein Vampir auch nur einen Fuß

in diesen lauten, überfüllten Vergnügungstempel setzen würde, und so
trat er wieder hinaus in die kühle Nacht. Es war an der Zeit, sich den
Schatten zuzuwenden ...

Vor der Tür sah er sich aufmerksam um. Die einst weiße Fassade des

Salons war mit Graffiti beschmiert. Plötzlich vernahm er ein Geräusch.

Noch immer das Gepiepse, Gejaule und Gebimmel im Ohr, war er

nicht sicher, ob er das Scharren von Schuhsohlen auf dem Zement
wirklich gehört hatte. Dennoch machte er sich kampfbereit und schlich
lautlos an der Hauswand entlang bis zur nächsten Seitenstraße.

Als er vorsichtig um die Ecke lugte, erkannte er in der schwach

beleuchteten Gasse hinter dem Spielsalon die Gestalt eines riesigen
bulligen Kerls in dunklem Trench und mit zerknautschtem Hut. Der
Mann hatte einen Arm um die Schultern eines blonden Jungen mit
zerzaustem Haar gelegt, der ein Wrestling-Shirt und zerrissene Jeans
trug. Seine Sneakers schleiften über den Boden, als ob er nicht bei
Bewusstsein oder gar in schlimmerem Zustand wäre. Indem er den
schlaffen Körper des Jungen fest im Griff hatte, versuchte der Riese den
Eindruck zu erwecken, als ob sie Arm in Arm dahinschlenderten. Angels
Blick fiel auf einen Haufen Zigarettenkippen am Boden.

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Da geht man nur mal kurz vor die Tür, um sich 'nen Nikotin-Flash zu

geben, und stolpert direkt in einen Hinterhalt übernatürlicher Art...,
dachte Angel.

Vorsichtig und darauf bedacht, nicht das kleinste Geräusch zu

verursachen, kletterte Angel auf den Müllcontainer, der an der Rückseite
des Spielsalons stand. Von dort zog er sich auf das Flachdach des
Gebäudes und rannte lautlos wie ein Schatten zur anderen Seite hinüber.
Sein langer Regenmantel flatterte hinter ihm her wie ein schwarzes
Banner.

Als er sich dem Rand des Dachs näherte, stoppte er kurz, um die Lage

am Boden zu peilen, dann setzte er zum Sprung an. Er landete hart, doch
direkt hinter dem Mann und dem Jungen. Noch im Liegen riss er seinen
Ellbogen hoch und rammte ihn wie einen Keil in den Rücken der
Kreatur.

Der Mann stolperte, ließ den Jungen los und krachte in einen

Maschendrahtzaun.

Angel hatte das Gefühl, als ob er es mit einem Baum aufgenommen

hätte, einem riesigen Baum mit stählernen Wurzeln. Er rollte herum,
sprang auf die Füße und fragte sich, warum er sich bei dem Manöver
nicht die Schulter ausgerenkt hatte, die höllisch wehtat. Höllisch im
wahrsten Sinne des Wortes, dachte er. Er war mit der sprich wörtlichen
Unterwelt bestens vertraut, und kaum etwas auf Erden, das wusste er nur
zu gut, hielt größere Qualen bereit.

Der Mann machte weder Anstalten zu fliehen, noch stellte er sich

einem Kampf. Stattdessen beugte er sich über den bewusstlosen Jungen
und hob ihn wieder auf. Im Dämmerlicht war es Angel noch immer
unmöglich auszumachen, womit er es hier eigentlich zu tun hatte, doch
es schien, als ob der Typ eine Sonnenbrille trug sowie schwarze ...
Handschuhe?

»Würden Sie sich bitte ausweisen«, rief Angel in die Nacht, »denn

ehrlich gesagt hab ich nicht die geringste Ahnung, wer oder was zum
Teufel Sie eigentlich sind.« Der Unbekannte ignorierte ihn.

Daher beschloss Angel, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Sein

Fußtritt traf den Mann direkt am Unterkiefer -sein Kopf ruckte zurück,
der Hut segelte auf die Erde. Wieder rutschte der Junge aus dem Griff
seines Entführers und sackte auf den Boden.

Angel stellte fest, dass das Opfer noch atmete, und er stellte auch fest,

dass er nun die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Gegenübers besaß. Er
wusste nur nicht, ob er sich darüber freuen sollte.

Ohne Kopfbedeckung konnten die antennenartigen Fühler an der Stirn

der Kreatur nun ungehindert hin und her schwingen. Auch entpuppte

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sich das, was Angel für eine Sonnenbrille gehalten hatte, als riesige
Facettenaugen, wie man sie sieht, wenn man Insektenköpfe unter einem
Elektronenmikroskop betrachtet. Unterhalb der flachen Nase waren
kräftige Mundwerkzeuge zu erkennen, die bei flüchtiger Betrachtung
durchaus mit einem dunklen Vollbart verwechselt werden konnten. Und
das, was Angel im ersten Moment für schwarze Handschuhe gehalten
hatte, waren starke, krabbenartige Greifscheren, die nun ausholten und
ihn hart am Kopf trafen.

Rasch schüttelte Angel den Schlag ab, kam einen Schritt näher und

deckte die Kreatur mit einer Reihe von Faustschlägen ein. Als sich diese
Taktik als uneffektiv erwies, verlegte er sich auf einen Handkantenschlag
in den Nacken des Riesenkäfers. Doch da schoss eine der scharfen
Greifzangen in die Höhe und quetschte Angels Hand so fest zusammen,
dass die Fingerknöchel knirschten und Blut an seinem Unterarm
herablief. Bevor die Kreatur die Hand ihres Opfers vollständig
zermalmen konnte, rammte Angel ihr seine freie Faust ins Gesicht. Hätte
das Insekt eine Nase besessen, hätte der Hieb diese geradewegs ins Hirn
hineingetrieben – vorausgesetzt, sein Schädel war Träger des Gehirns.
Statt dessen wurde der Kopf der Kreatur nur kurz zurückgeworfen, und
als er wieder vorschnellte, knirschten und schnappten die Beißwerkzeuge
nur Millimeter vor Angels Gesicht zu.

Angel transformierte in den Vampirmodus und präsentierte dem

Riesenkäfer sein Blutsaugergesicht mit wulstigem Stirnknochen, gelben
Pupillen und Reißzähnen. In seiner freien Hand hielt er plötzlich einen
angespitzten Holzpflock, von denen er stets ein paar im Ärmel seines
Mantels mit sich führte und die er mithilfe eines Federmechanismus
hervorzaubern konnte.

Hart trieb er den Bolzen in die massive Brust des Käfermannes, doch

erwartungsgemäß zeigte dies kaum Wirkung. Es schien, als ob die
Kreatur unter ihrem Mantel eine Rüstung oder einen natürlichen Panzer
besaß. Konzentriere dich auf seine Augen, dachte Angel, als er den
Pflock wieder herauszog. Die Spitze seiner Waffe glitt immer wieder an
der nach außen gewölbten Oberfläche der Facettenaugen ab, was Angel
auf eine neue Idee brachte.

Er ließ den Pflock fallen und packte eine der Antennen am Kopf der

Kreatur. Sie war rauh und mit winzigen Stacheln übersät, doch der
Schmerz, den die Minidornen in seiner Handfläche auslösten war nichts
im Vergleich zu dem, was seine andere Hand im unerbittlichen Griff der
Greifzange ausgehalten hatte. Mit aller Kraft riss Angel an dem Fühler.

Die Kreatur stieß einen schrillen Schrei aus, der ihm durch Mark und

Bein ging.

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Angel bleckte bösartig die Zähne. »Und ich dachte, du wärest der eher

schweigsame Typ.«

Das Insekt versuchte, seinen Peiniger abzuschütteln, gab sogar die

gequetschte Hand wieder frei, aber Angel war nicht länger an einem Patt
interessiert. Unbeirrt riss er an der empfindlichen Antenne, obwohl der
Blutverlust, den die Dornen in seiner Hand verursachten, ihn langsam,
aber sicher schwächte.

Die Kreatur kam in Rage und bewegte sich ruckartig vorwärts. Dann

packte sie Angel fest um die Hüfte, hob ihn ein Stück in die Höhe, um
dann an Tempo zuzulegen.

Ich hab ein blödes Gefühl bei der Sache, dachte Angel, und eine

Sekunde später kollidierte der Thorax des Käfermannes mit der
rückwärtigen Hauswand des Spielsalons , wobei er Angel als Prellbock
benutzte. Schon trat der Käfer einige Schritte zurück und wiederholte
dann das Manöver so lange, bis Angel schwarz vor Augen wurde. Das
Nächste, woran er sich erinnerte, war, dass er durch die Gasse flog und
unsanft gegen drei Müllkübel mit verrottetem Unrat segelte. Angel
bezweifelte, dass irgendjemand in der lärmenden elektronischen
Anderswelt des Spielsalons das Scheppern und Krachen von draußen
vernommen hatte ...

Er rollte sich auf Hände und Knie, um den Kampf wieder

aufzunehmen. Doch als er auf die Beine sprang, musste er feststellen,
dass er wohl länger außer Gefecht gesetzt worden war als vermutet.
Beide, die Käferkreatur wie auch der Junge, waren verschwunden.

Er schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu

können. Dann bückte er sich und hob seinen Pflock auf. Als er ihn
wieder im Magazin unter seinem Ärmel verstauen wollte, bemerkte er,
dass die Spitze mit einer blassgrünen Flüssigkeit benetzt war.

Blut, erkannte er. Also hatte er die Kreatur zumindest verletzt.
Er nahm wieder seine menschlichen Gesichtszüge an und überlegte

fieberhaft. All die Schläge auf seinen Kopf mussten irgendeine
Information dort blockiert haben, wo die Synapsen ohnehin schon
eingerostet waren. Doch dann erinnerte er sich plötzlich daran,
Vorjahren einmal etwas über eine käferartige Kreatur gelesen zu haben –
den Sakorbuk-Dämon! Doch was wusste er über die Sakorbuk-Dämo-
nen und ihren – wie Detective Kate Lockley es ausdrücken würde –
M.O., sprich: den Modus Operandi? Nur so viel, dass sie das Fleisch
frisch verstorbener Menschen bevorzugten. Das jüngste Opfer des
Dämons, den er getroffen hatte, war offensichtlich noch am Leben –
doch wie lange noch?

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Er wusste, dass diese starke, jedoch behäbige Kreatur noch nicht allzu

weit gekommen sein konnte, zumal sie eine Beute trug. So rannte Angel
die Gasse entlang in die Richtung, die der Käferdämon eingeschlagen
hatte, bevor er diesen angegriffen hatte.

Alle paar Schritte fiel sein Blick aufgrüne Tropfen, die auf dem

dunklen Asphalt beinahe glühten. Fast noch besser als Hansel und
Gretels Brotkrumen, dachte er. Plötzlich und unerwartet endete die
Fährte. Entweder hatte die Kreatur aufgehört zu bluten, oder er hatte
übersehen, dass sie die Richtung gewechselt hatte.

Er ging einige Schritte zurück, umkreiste ratlos die letzten sichtbaren

Blutspuren am Boden und wollte schon aufgeben, als sein Blick auf
einen Gullydeckel fiel. Mit der Kanalisation von Los Angeles bestens
vertraut, hievte er entschlossen die Eisenplatte beiseite und stieg in den
Untergrund hinab. Nachdem er von der letzten Sprosse der Metallleiter
auf den feuchten Boden gesprungen war, vernahm er zu seiner Rechten
ein rhythmisches Plätschern.

Nicht weit vor ihm trottete der Käferdämon mit seinem leblosen Opfer

schweren Schritts durch das dünne Rinnsal aus fauligem Abwasser, das
von den Wänden des Tunnels rann. Eine schmierige leuchtend-grüne
Substanz – womöglich ein Körpersekret? – markierte in einer
unregelmäßigen Linie den Weg des Käfermannes. Angel zermarterte
sich das Hirn – er wusste, es gab da eine entscheidende Information
bezüglich der Sakorbuk-Dämonen, die ihm entfallen war, und er kam
einfach nicht darauf.

Er folgte den beiden in gemessenem Abstand und bewegte sich dabei

auf dem trockenen Seitenstreifen an der Wand entlang, um den
Riesenkäfer nicht durch Geplätscher auf sich aufmerksam zu machen.
Der Dämon schien ein klares Ziel zu haben, eine Art Nest, wie Angel
vermutete.

Kurze Zeit später ließ der Sakorbuk seine Last auf den Boden sinken.

Angel entdeckte vier weitere Käferdämonen, die bei einer t-förmigen
Abzweigung des Kanals anscheinend auf ihren Kumpel gewartet haben.
Auch sie trugen weite Mäntel, die vermutlich allein dazu dienten, ihre
wahre Gestalt vor zufälligen Blicken zu verbergen.

Angel entdeckte auch vier weitere Teenager-Opfer, darunter ein

blasses Mädchen mit dunklem Haar. Sie schienen wohlauf zu sein und
lehnten mit über dem Kopf gekreuzten Armen an der Tunnelmauer, die
Hände mittels einer weißen Substanz an der Wand fixiert, die aussah wie
die Mutter aller Kaugummis.

Leise schlich Angel vorwärts, während der Sakorbuk, den er verfolgt

hatte, sein bewusstloses Opfer wieder aufhob. Dann begann er, mit dem

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Käfer zu seiner Rechten in einer unverständlichen Sprache zu sprechen,
wobei die Mandibeln hörbar klackten. Ein anderer kam hinzu, zog die
Arme des frisch eingetroffenen Jungen in die Höhe und presste sie über
Kreuz gegen die Wand.

Als dies erledigt war, hob der erste Käfer den Kopf, riss seine

Mundwerkzeuge weit auf und gab ein spuckendes Fauchen von sich.
Eine klare Flüssigkeit überzog daraufhin die Hände des Jungen, die sich
rasch verfestigte und weiß wurde. Nun waren alle vier Opfer vor der
Wand aufgereiht wie Hühner auf der Stange, oder vielleicht doch eher
wie Wachteln auf einem Büffet?

Die Käferdämonen stellten sich nun so auf, dass jeder vor einem der

vier Opfer zu stehen kam. Unisono warfen die vier ihre gepanzerten
Köpfe in den Nacken und stießen ein gurgelndes Geräusch aus. Die
blassen Kehlen schwollen an, und dann quoll plötzlich eine kränklich-
weiße Substanz aus den seitlichen Hautlappen hervor.

Als Angel einen Schritt näher kam, erkannte er, dass es sich bei der

vermeintlichen Substanz um vier tropfenförmige Käferlarven handelte –
jede von ihnen etwa dreißig Zentimeter lang. Die Maden fielen auf den
feuchten Untergrund des Abwasserkanals und suchten sich sogleich mit
Hilfe zweier winziger Fühler ihren Weg in Richtung der gefesselten
Teenager.

In diesem Moment fiel Angel ein, wonach er die ganze Zeit vergeblich

in seinem Gedächtnis gekramt hatte: Die Larven hatten keineswegs die
Absicht, sich am Fleisch ihrer Opfer gütlich zu tun, vielmehr dienten
ihnen die Körper gewissermaßen als Wirte, bis diese selbst zu
Riesenkäfern mutierten. Auf diese Weise pflanzten sich die Sakorbuks
fort! Und die großen hormonalen Veränderungen heranwachsender Men-
schen schienen diesem Prozess überaus zuträglich. Die Beziehung war
insofern eher parasitär als symbiotisch zu nennen, da die Dämonenlarve
den Körper so lange in Besitz nahm, bis dieser zur endgültigen
Sakorbuk-Form mutiert war.

Zwei der vier Larven hatten sich inzwischen bis zu einem Schuh

beziehungsweise einem Hosenbein vorgearbeitet. Zentimeter um
Zentimeter bahnten sie sich unaufhaltsam ihren Weg.

»Ihr feiert 'ne Party und habt mich nicht eingeladen?«, rief Angel, als

er aus dem Schatten auf die Käferdämonen zutrat. Der Sakorbuk, den er
verfolgte hatte, ließ sofort eine Salve an Klicks und Klacks in Richtung
seiner Kumpel los. Diese klackerten aufgeregt zurück, dann kreischten
sie und versuchten, sich Angel in den Weg zu stellen, während ihr
Nachwuchs unbeirrt weiterkroch.

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Aufgrund des Tumults erwachte das junge Mädchen, das von Angel

am weitesten entfernt war, und als ihr Blick auf den glitschigen
durchscheinenden Engerling fiel, der an ihrem T-Shirt hochkroch, schrie
sie so laut, dass auch die drei Jungs zur Besinnung kamen. Die fielen
sogleich in das allgemeine Gekreische mit ein, wobei sie sich wild hin
und her warfen, um die eklige Last abzuschütteln.

Unterdessen hatten die vier Sakorbuks Angel eingekreist. Dieser

fackelte nicht lange und warf sich mit aller Kraft auf den, der ihm am
nächsten stand; zufällig war es derjenige, den er verfolgt hatte.
Vermutlich lag es daran, dass der Dämon knöcheltief im Wasser stand
und durch Angels frühere Attacke bereits geschwächt war, das Biest ging
jedenfalls zu Boden und fiel auf seinen gepanzerten Rücken. Angel
watete schnell durch das faulige Wasser auf die hilflosen Teenager zu.
Es war unmöglich, es mit vier Käferdämonen gleichzeitig aufzunehmen,
bevor die Larven ihr Ziel erreicht und das Unvorstellbare vollendet
hatten.

Er zückte einen seiner Pflöcke und spießte damit die Made auf dem

Körper des zuletzt entführten blonden Jungen auf. Dann schleuderte er
sie mit Schwung tief in den Tunnel hinein, wo sie mit einem nassen
Klatschen aufschlug. Doch schon rollte sie wieder herum und kroch
erneut auf ihr Opfer zu.

»Schönes Beispiel für 'ne Kreatur, die nur das eine im Kopf hat«,

murmelte Angel.

»Aufpassen!«, schrie plötzlich der blonde Junge nur eine Sekunde,

bevor Angel von einem Paar harter Kneifer gegen die Wand geschleudert
wurde.

Er vollführte einen Snap-Kick, der den Käfer ein gutes Stück

zurückwarf. Bevor dieser sich versah, verpasste Angel ihm gleich noch
einen kräftigen Hieb mit dem vorgestreckten Pflock. Die Spitze traf den
Panzer des Angreifers, jedoch ohne diesen auch nur anzukratzen,
geschweige denn, die Attacke des Sakorbuk so lange auszubremsen, dass
Angel die Jugendlichen von ihrer abscheulichen Last hätte befreien
können.

»Oh Gott!«, kreischte da der zweite Junge in der Reihe auf. Er hatte

den Kopf so weit wie möglich zurückgebogen, während die für ihn
bestimmte Larve nun an seinem Hals hochkroch und dabei eine
Schleimspur hinterließ.

Der dritte Junge grinste freudlos und begann wieder, sich hin und her

zu werfen und seine Hände von der klebrigen Substanz an der Wand
loszureißen – doch ohne Erfolg. Auch seine Larve war bereits an der
Kehle ihres Opfers angelangt.

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Das Mädchen, von Angel am weitesten entfernt, war die Kleinste der

vier, was bedeutete, dass ihre Larve den kürzesten Weg zurückzulegen
hatte. Heiser vom panischen Schreien war sie nur noch in der Lage, ein
krächzendes Flüstern hervorzustoßen: »Lieber Gott! Nimm es fort!
Nimm es bitte fort von mir!« Dann plötzlich verstummte sie, denn die
Made lag nun direkt über ihrem Gesicht, nachdem das Mädchen kurz
zuvor die Lippen aufeinander gepresst hatte. Plötzlich schien es, als ob
sie Schaum vor dem Mund hätte, bis Angel erkannte, dass die Larve eine
blasige Flüssigkeit absonderte, die die Lippen und Nasenlöcher ihres
Opfers besudelte. Das Mädchen verdrehte die Augen, und dann wurden
ihre Muskeln plötzlich schlaff, während sich ihr Mund sperrangelweit
öffnete. Schon machte die Larve Anstalten, sich hineinzuquetschen, und
es stand außer Zweifel, dass sich der knochenlose Körper schnell und
mühelos seinen Weg durch den Schlund des Mädchens würde bahnen
können.

Angel bückte sich und zog einen Dolch aus seinem Stiefelschaft - die

Doppelschneide war etwa 15 Zentimeter lang und perfekt ausbalanciert.
Gekonnt warf er die Waffe in die Höhe, fing sie an der Spitze wieder auf,
zielte und schleuderte sie direkt in Richtung des Mädchens. Die
Schneide durchbohrte den sich windenden fetten Körper der Larve, und
der enorme Schwung beförderte sie zudem aus dem Gesicht ihres
Opfers. Mit einem feuchten Plopp landete sie aufgespießt auf dem Boden
des Kanals und wand sich um die Klinge, bis ihr ehemals glänzender
weißer Körper plötzlich stumpf und grau wurde.

In diesem Moment wurde Angel niedergeschlagen – im Straucheln sah

er noch, wie der zweite Junge in der Reihe gerade ein Stück aus dem
Körper seiner Larve herausbiss, die gerade aufsein Gesicht gekrochen
war. Der dritte Junge warf panisch seinen Kopf herum, die Lippen fest
aufeinandergepresst, die bereits von dem betäubenden Schaum eingehüllt
waren.

Angel stützte sich mit den Handflächen auf den nassen Tunnelboden

und trat mit beiden Beinen nach hinten, wobei er den ersten Käferdämon
ein gutes Stück weit von sich weg und direkt in die Gruppe der anderen
drei beförderte. Doch der rettende Dominoeffekt wollte nicht eintreten,
denn die Panzer der Rieseninsekten waren einfach zu stabil, als dass er
großen Schaden hätte anrichten können. Als er sich umdrehte, fiel sein
Blick auf die blassen Hautlappen am Hals seiner Angreifer, jene Stelle,
aus denen kurz zuvor die Larven geschlüpft waren – wenn es einen
wunden Punkt am gepanzerten Körper dieser Sakorbuks gab, dann
befand er sich vermutlich genau dort.

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Zwei der Käferdämonen versuchten, ihn in die Zange zu nehmen.

Angel vollführte einen Uppercut und traf den Angreifer zu seiner Linken
direkt unterhalb der schnappenden Mandibeln. Gleichzeitig betätigte er
den Federmechanismus an seinem Unterarm, und schon lag ein weiterer
Pflock in seiner Hand, den er kraftvoll zwischen die Hautlappen des
Dämons stieß. Zu seiner Überraschung versenkte sich der Bolzen in
ganzer Länge darin, begleitet von einem Geräusch, nicht unähnlich einer
geknackten Walnuss im hölzernen Kiefer eines Nussknackers. Der Kopf
der Kreatur sank auf den kräftigen Thorax und purzelte dann zu Boden,
während die Antennen ein letztes Mal hin und her schwangen.

Bevor der Käfer zu seiner anderen Seite auf diesen ungeheuerlichen

Vorgang reagieren konnte, rammte Angel ihm seinen Ellbogen vor den
Kopf, sodass er einen Schritt zurücktaumelte. Sein anschließender
Angriff mit dem Pflock erwischte die verwundbare Stelle am Hals des
Dämons in einem eher ungünstigen Winkel – und doch war der
angerichtete Schaden unüberhörbar. Zwar saß der Kopf noch auf den
Schultern der Kreatur, doch Angel ging rasch zwei Schritte zurück und
trat mit einem eingedrehten Kick dagegen. Der Schädel fiel krachend zu
Boden.

Während Angel gegen die Käfermänner kämpfte, wartete der Junge,

dem Angel hierher gefolgt war, darauf, dass die für ihn bestimmte Larve
seinen Fuß ein zweites Mal erklomm. Als es schließlich so weit war,
schleuderte er den Parasit mit einer schnellen Bewegung von sich, sodass
dieser an die gegenüberliegende Wand klatschte. Dort klebte er noch für
einen Moment am nasskalten Mauerwerk, bevor er schließlich auf dem
Boden aufschlug. Wenn das Ding schon nicht tot ist, dann hoffentlich
wenigstens ausgeknockt, dachte Angel. Er schwang beide Beine, so gut
es ging, über seinen Kopf und trat dem Jungen zu seiner Linken, der
noch immer verzweifelt versuchte, Stücke aus seiner Made
herauszubeißen, die Larve aus dem Gesicht. Dieser versuchte daraufhin
das gleiche Manöver bei seinem Nachbarn, dem der Betäubungsschaum
langsam, aber sicher zuzusetzen schien. Doch aufgrund der
Beißattacken, bei denen er vermutlich selbst etwas von der Substanz ge-
schluckt oder inhaliert hatte, war auch er reichlich entkräftet, sodass er
seine Tritte nicht annähernd hoch genug ausführen konnte und sein Ziel
verfehlte.

Nachdem Angel zwei der Käferdämonen ausgeschaltet hatte, senkte

der dritte nun den Kopf, wie um die Schwachstelle an seinem Hals zu
schützen, und stürmte dann mit fuchtelnden Greifzangen auf ihn zu.
Angel ließ den Pflock fallen, sprang hoch und packte eine der
schwingenden Antennen, wobei er sich mit beiden Füßen am massigen

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Brustkorb seines Angreifers abstützte. So konnte er sein eigenes Gewicht
in Verbindung mit dem Schwung des Sakorbuks dazu nutzen, ihn ein
Stück weit in Richtung Boden zu zerren, wo er ihm dann einen Tritt
versetzte, ohne die Antenne loszulassen. Das immense Gewicht der
Kreatur riss beim Rückschlag so stark an dem empfindlichen Fühler,
dass er Angel aus der Hand glitt. Der Dämon kreischte auf und krachte
zu Boden. Zuckend blieb er liegen.

»Ich liebe es, wenn sie sich zusammenrollen und tot stellen«, bemerkte

Angel.

Der letzte Sakorbuk – der, den Angel hierher verfolgt hatte – stürzte

sich nun mit aller Wucht auf ihn, wie um das Leben aus ihm
herauszupressen. Angels Kopf wich den schnappenden Beißwerkzeugen
und auch der klaren klebrigen Flüssigkeit aus, mit der der Sakorbuk nun
auf seine Augen zielte. Angels rechte Hand tastete nach dem Pflock, den
er fallen gelassen hatte, doch er erwischte ihn nur knapp und stieß ihn zu
allem Überfluss auch noch so weit von sich, dass er ihn nicht mehr
erreichen konnte. Unverwandt starrte er auf die schnappenden
Mandibeln und wartete darauf, dass sie sich wieder klackend schlossen.
Als der Moment gekommen war, schoss seine Hand – dank seiner
überirdischen Vampir-Reflexe – blitzschnell vor und umklammerte die
Beißwerkzeuge so fest, dass der Sakorbuk sie nicht mehr öffnen konnte.
Dies verlieh seiner Attacke zudem die Hebelwirkung, die nötig war, um
den Kopf der Kreatur so weit zurückzudrücken, dass die empfindliche
Halspartie frei lag. Das nun Folgende würde alles andere als angenehm
werden, weshalb er beschloss, der Sache als ganzer Vampir gegen-
überzutreten.

»Sag mal ›A‹«, presste er hervor, als er seine freie Faust in den

weichen Hautlappen rammte. Sie versank bis zum Ellbogen im Kopf des
Sakorbuk, um schließlich an der anderen Seite wieder herauszutreten.
Sein Arm war über und über mit dem grünem Blut der Kreatur
beschmiert.

Angel schob den toten Körper von sich und sprang auf die Beine. Als

er den noch immer zuckenden Käferdämon passierte, dessen Antenne er
so übel mitgespielt hatte, zögerte er nicht lange und bohrte seinen
Stiefelabsatz abermals in den Hautlappen der Kreatur. Die Kneifer-Arme
des Sakorbuks fielen schlaff herab, der Kopf sank ins brackige Wasser –
und dann war es vorbei.

Angel fand, dass Käferzertreten noch nie solchen Spaß gemacht hatte.
Der dritte Junge in der Reihe war der schaumigen Droge seiner Larve

schließlich erlegen und lag nun mit weit geöffnetem Mund da. Er hätte
ihn auch nicht schließen können, denn die Made war bis zur Hälfte in

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seinem Schlund verschwunden. Angel stürmte zu ihm und versuchte, den
glitschigen Körper des Parasiten zu packen. Dann drückte er so lange zu,
bis die Larve in seine Hand zurückflutschte und sich in seinem Griff
wand wie ein fettes Ferkel. Zu allem Überfluss begann sie nun wieder,
schaumiges Sekret abzusondern, weshalb Angel sie fallen ließ und
zutrat. Die dünne Hautmembran platzte auf, und zäher weißlicher
Schleim spritze über den Tunnelboden.

Die beiden letzten verbliebenen Larven hatten auf dem Weg zu ihren

Opfern wieder einen beachtlichen Fortschritt erzielt. Angel zog seinen
Dolch aus der toten grauen Made und machte ihnen ebenfalls den
Garaus. Dann machte er sich daran, die Hände der Jugendlichen von der
Tunnelwand zu lösen. Nur der blonde Junge, das zuletzt verschleppte
Opfer der Sakorbuks, wirkte irgendwie alarmiert. Obwohl er genug
Piercings hatte, um jeden Metalldetektor außer Betrieb zu setzen, waren
seine weit aufgerissenen Augen starr auf Angel gerichtet.

»Wer... oder was sind Sie?«
Angel fiel ein, dass er sich noch nicht zurückverwandelt hatte.

Vermutlich dachte der Junge, dass er vom Regen in die Traufe geraten
war und in der dämonischen Nahrungskette nun auf den Speisezettel
einer weitaus schlimmeren Kreatur als der eines höllischen Bandwurms
geraten war.

Haben wir nicht alle ein Gesicht, dass wir gern manchmal vor der Welt

verbergen?, dachte Angel. Einige sehen eben nur schlimmer aus als
andere.

»Was sind Sie?«, fragte der Junge wieder, und seine Stimme bebte vor

Panik.

»Ob du's glaubst oder nicht«, sagte Angel. »Ich bin ein Freund.«
Seine Worte schienen den Jungen kaum zu beruhigen. Auch die

anderen Jugendlichen starrten ihn an. Die Betäubung schien
offensichtlich nur von kurzer Dauer zu sein, gerade lang genug, damit
die Larven ungehindert durch die Speiseröhre in den Magen kriechen
konnten.

Angel beschloss, sich zu verabschieden.
»Sieht so aus, als ob ihr alle okay seid«, sagte er. »Aber ich würde

euch raten, schnell von hier zu verschwinden. Ich habe gehört, hier in der
Kanalisation sollen komische Dinge vor sich gehen.«

Als er sich umwandte, nahm er wieder seine normale Gestalt an, und

dann verschluckte ihn die Dunkelheit.

Nie zuvor war ihm sein menschliches Gesicht so sehr wie eine Maske

vorgekommen.

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29

2



»Ich suche ... Angel?«

»Dies ist... Angel Investigations«, sagte Cordelia. Sie schloss

geräuschvoll die unterste Schublade ihres Schreibtischs, nachdem sie
darin hastig den Bücherstapel mit den Webdesign-Büchern verstaut
hatte, als die Bürotür aufging.

Immer noch nicht willens, Angel über ihr Projekt zu informieren, war

sie der Ansicht, dass die Computerbücher auf ihrem Schreibtisch ein
todsicherer Hinweis in Bezug auf ihre Pläne gewesen wären.

»Komme ich ungelegen?«, fragte die attraktive Brünette mit einem

neugierigen und gleichzeitig amüsierten Lächeln.

»Moment mal! Ich kenne Sie doch«, sagte Cordelia. Sie wandte sich

zu Doyle um, der seinerseits hastig von Cordelias Schreibtisch
gesprungen war, als die Tür sich öffnete. Auch er hatte Angel erwartet
und wollte nicht zu untätig und entspannt wirken, nachdem ihr Chef im
Einkaufscenter auf Dämonenjagd gewesen war. »Doyle, ich fasse es
nicht!«, rief Cordelia. »Das ist Chelsea Monroe von L.A. After Dark

Doyle schüttelte der Besucherin herzlich die Hand und sagte: »Es ist

eine große Freude, Sie kennen zu lernen, Miss Monroe. Cordelias
Freunde sind auch meine Freunde.«

»Doyle, du Schwachkopf«, sagte Cordelia. »Diese Frau ist keine

Freundin von mir. Das ist Chelsea Monroe ... von L.A. After Dark.« Sie
sah ihn erwartungsvoll an und hoffte, dass der Groschen nun endlich fiel.
Bin ich etwa die Einzige in dieser Firma, die das Glück an die Tür
klopfen hört?, dachte sie.

»Das sagtest du bereits«, meinte Doyle.
Chelsea Monroe hob eine Hand vor ihren Mund und unterdrückte ein

Kichern. Sie hatte Modelgröße – tatsächlich hatte sie noch bis vor drei
Jahren auf dem Laufsteg gearbeitet – und trug ein teures figurbetontes
Kostüm aus goldfarbenem Stoff, das viel Dekollete und Bein zeigte.
Schwarze hochhackige Pumps und eine dazu passende Handtasche
vervollständigten ihr Outfit.

Cordelia seufzte. »Doyle, wenn ich dir einen Dollar leihe, kaufst du dir

dann bitte ein bisschen Ahnung? Miss Monroe moderiert diese
Sendung.«

»L.A. After Dark?«, vermutete Doyle, und Chelsea nickte knapp.

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30

»Ja, eine Late-Night-Show«, erklärte Cordelia. »Ihre Einschaltquoten

sind genauso hoch wie die von Leno und Letterman. Exposes,
Studiotermine, Insidergerüchte. Clubtouren und so weiter und so fort.
Klingelt's da bei dir oder nicht, du Kobold?«

»Nein, eher nicht, aber ich glaub's dir – wirklich.«
»Chelsea Monroe«, sagte Cordelia wieder, diesmal mit einem breiten

Grinsen im Gesicht und einem Kopfschütteln. »Und jetzt ist sie hier, um
eine Story über mich zu machen – ich meine, über Angel. Sie sind doch
hier, um eine Story über Angel zu machen, nicht wahr? Wird auch lang-
sam Zeit, dass diese Firma mal eine l a-Publicity bekommt.« Sie runzelte
die Stirn. »Moment, hab ich das Letzte jetzt etwa zu laut gesagt?«

»Laut genug, dass es mit Sicherheit noch die Nachbarn gehört haben«,

sagte Doyle, der ihr den »Kobold« noch nicht verziehen hatte.
»Vorausgesetzt, wir hätten so etwas wie Nachbarn.«

Cordelia ignorierte ihn und wandte sich an Chelsea. »Ich muss sie

allerdings vor Angel warnen. Er ist nicht gerade sehr gesprächig. Ein
Weltmeister im Grübeln, ja, das ist er. Na j a, er ist eben ein Vam ...
ähem, ein Mann, der nicht viele Worte macht. Locken Sie ihn ein
bisschen aus der Reserve, und Sie werden nicht enttäuscht werden,
glauben Sie mir. Er besitzt so viel Präsenz, ich meine, wahre Präsenz.«

»Eigentlich bin ich nicht hier, um Angel zu interviewen«, erklärte

Chelsea Monroe. »Aber ich habe ihm ein lohnendes Geschäft
vorzuschlagen. Ist er da?«

»Er hat vor kurzem angerufen«, sagte Doyle.
»Um uns mitzuteilen, dass er auf dem Weg hierher ist«, fügte Cordelia

hinzu und dachte: Eigentlich dachten wir, Sie wären er. »Wenn es Ihnen
nichts ausmacht, in seinem Büro auf ihn zu warten, mache ich Ihnen in
der Zwischenzeit einen Kaffee, ja?«

»Perfekt«, sagte sie. »Wenn Sie nichts dagegen haben, sehe ich so

lange meine Notizen durch.«

»Kein Problem«, sagte Cordelia.
Chelsea sah sich im Büro um, und Cordelia krümmte sich innerlich, als

sie den Raum mit den Augen eines Besuchers betrachtete: Secondhand-
Möbel und Aktenschränke, die schon weitaus bessere Tage erlebt hatten.
Doch Chelsea nickte wohlwollend. »Ich mag Ihre Einrichtung«, meinte
sie. »Diese nostalgische Atmosphäre gibt dieses typisch schwarze
Privatdetektiv-Genre sehr gut wieder.«

»Das hatten wir auch beabsichtigt«, sagte Cordelia schnell und atmete

innerlich auf vor Erleichterung. »Nicht wahr, Doyle?«

»Oh ja, genau«, stimmte Doyle zu. »Spade, Marlowe. Wir sind große

Fans ...«

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Chelsea betrat Angels Büro und ließ die Tür einen Spalt weit offen.
»Hast du das gesehen?«, wisperte Cordelia Doyle zu. »Ich bin sicher

das ist Louis Vuitton.«

»Louise wer? Ach, du meinst, Chelsea Monroe ist nur ihr

Künstlername?«

»Nein, ich rede von ihrem Outfit. Ich hab einen Blick für so was.

Nicht, dass es mir was nützen würde, da ich mir solche Klamotten
niemals leisten könnte. Und nicht, dass es dich interessiert, aber ich
schwöre, sie trägt eine Prada-Handtasche.«

»Richtig, es interessiert mich einen Dreck«, sagte Doyle. »Was mich

betrifft, mich interessiert die wahre Frau unter all dem Tinnef.«

»Zügle deine Hormone noch ein bisschen«, sagte Cordelia, »und sag

mir, was sie von Angel wollen könnte.«

»Was für eine Frage! Ist er nicht derjenige, dem die Frauen auf der

Straße in Scharen hinterherlaufen?«

»Redet ihr von mir?«, fragte Angel, der den Raum so leise betreten

hatte, dass niemand es bemerkt hatte. Vampire hatten das Anschleichen
wirklich drauf...

»Na, hast du Glück gehabt?«, wollte Doyle wissen.
Angel nickte. »Ich hab rausgefunden, wohin das Ungeziefer

verschwindet, wenn die Lichter ausgehen. Genauer gesagt, rede ich von
Käfern - von sehr großen Käfern. Sakorbuk-Dämonen, wenn euch das
was sagt...«

»Ich bin sicher, das ist alles überaus spannend und vermutlich auch

überaus eklig«, mischte sich Cordelia ein, »aber mal zu was anderem:
Chelsea Monroe ist hier und wartet in deinem Büro auf dich. Sie möchte
mit dir sprechen.«

Der Name löste keine erkennbare Reaktion in Angels Gesicht aus.

»Hatte sie einen Termin?«

Cordelia verdrehte verzweifelt die Augen. »Natürlich nicht! Sie ist

Chelsea Monroe!« Dann erst bemerkte sie sein desolates Outfit. Er trug
seinen Mantel über dem Arm wie auch den Federmechanismus für die
Pflöcke. Sein graues Shirt und die schwarzen Hosen waren über und über
mit Müllresten, einem weißen Schleim und einer klebrigen grünen
Flüssigkeit beschmutzt. Seine Hände waren blutverschmiert.

»Schau dich bloß an. Du bist das personifizierte Chaos. Ein

verdrecktes, abstoßendes und, wenn ich hinzufügen darf, stinkendes
Chaos.«

Angel ignorierte sie. »Was muss ich über diese Chelsea Monroe

wissen?«

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Doyle übernahm diesen Part. »Dass sie eine bemerkenswert schöne

Frau ist, die dir ein Angebot machen will.«

»Ein Arbeitsangebot«, fügte Cordelia hinzu.
Doyle hob eine Augenbraue und sah sie an. »Unser Chef hier wäre

nicht der Erste, der die Arbeit mit ein bisschen Vergnügen kombinieren
würde.«

»Sie ist beim Fernsehen, Angel. Sie will uns – dich – für ihre

Sendung.«

»Wie dem auch sei«, meinte Angel. »Ich wasche mich besser, bevor

ich mit ihr spreche.« Er ließ den Pflock-Spender auf einen Stuhl fallen
und legte seinen Regenmantel darüber – man konnte schließlich nie
wissen, wer überraschend ins Büro spazierte. Dann zog er sich sein Shirt
über den Kopf und präsentierte seine starke, aber vampirbleiche Brust.
»Und man sollte das hier lieber verbrennen. Die Reinigung stellt sich
immer so an mit den Flecken, die zerschmetterte Käferdämonen-Hirne
nun mal hinterlassen.«

Er reichte Cordelia das Shirt, die allerdings nur abwehrend die Hände

hob. Dann schob sie Angel mit dem Fuß einen Papierkorb hin in dem
Bemühen, der Dämonenhirn-Sauerei nicht näher als nötig zu kommen.
Angel ließ das Shirt in den Eimer fallen.

»Störe ich gerade bei einer geschäftlichen Besprechung?«, fragte

Chelsea, die lässig am Türrahmen von Angels Büro lehnte und dabei
eine Hand auf die Hüfte gestützt hatte. »Wenn ja, muss ich mir wohl
langsam zu meinem perfekten Timing gratulieren.« Sie durchquerte den
Raum und musterte Angel dabei rasch, aber gründlich von Kopf bis Fuß.
»Ich nehme an, Sie sind Angel?«

Er nickte und sah dabei ein bisschen so aus wie ein Reh im

Scheinwerferlicht, wie Cordelia fand.

Chelsea reichte ihm ihre perfekt manikürte rechte Hand. »Ich bin

Chelsea Monroe von L.A. After Dark.«

Gerade als er ihre Hand ergreifen wollte, fiel ihm ein, in welchem

Zustand seine eigene war, und so zog er sie rasch zurück. »Ich wasche
mich besser zuerst.«

»Wenn es sich lohnt, auf etwas zu warten«, sagte Cordelia, »kann ich

eine sehr geduldige Frau sein.«

Doyle beugte sich zu Cordelia hinab und flüsterte: »Ist das der

Moment, wo sie sich anbieten, ihm den Rücken zu schrubben?«

»Erst beim zweiten Treffen«, gab Cordelia ebenso leise zurück.
»Könntet ihr beide euch bitte um Miss Monroe kümmern, bis ich -«
»Bitte nennen Sie mich doch Chelsea«, unterbrach sie ihn, »Miss

Monroe klingt so förmlich, insbesondere wo einer von uns beiden fast

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nackt ist.«

»Richtig«, sagte Angel und räusperte sich. »Geben Sie mir noch ein

paar Minuten. Und, Cordelia, könntest du ...«

»Na klar, kompletter Gedächtnisausfall!«, rief Cordelia in Richtung

Chelsea. »Ich hab Ihren Kaffee total vergessen.«

Nachdem er in seine Privaträume verschwunden war, meinte Chelsea:

»Tolle Figur, obwohl ihm ein bisschen Sonne bestimmt nicht schaden
könnte.«

Laut genug, dass Cordelia es hören konnte, murmelte Doyle: »Das

wage ich zu bezweifeln.«

Fünf Minuten später betrat Angel in einem frischen weinroten Hemd und
schwarzen Jeans sein Büro. Seine rechte Hand steckte in einem weißen
Verband, obwohl er damit rechnete, dass der Schnitt, den die Kneifer des
Riesenkäfers verursacht hatten, schon am nächsten Morgen verheilt sein
würde.

Als er auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch Platz nahm,

registrierte er, dass Chelsea Monroe ihn angrinste, während sie einen
Finger auf ihre Unterlippe gelegt hatte.

»Was ist denn?«, wollte Angel wissen, der sich fragte, ob irgendwo

noch ein Rest von grünem Schleim oder Sakorbuk-Hirnmasse an ihm
klebte.

»Nichts«, antwortete sie schnell. »Es ist nur... Sie entsprechen so ganz

und gar nicht dem Bild, das ich von Ihnen hatte.«

»Hoffentlich haben Sie keinen Heiligenschein und ein Paar Flügel

erwartet.«

Sie lachte. »Nein, es ist nur... na ja, in diesem Teil der Stadt, in dieser

Umgebung erwartet man eher einen heruntergekommenen, zynischen
Misanthropen im schmuddeligen Trench. Vielleicht einen Ex-Cop mit
Bierbauch und schlechtem Haarschnitt, der an einem Zigarrenstumpen
kaut, und dem die Wettscheine aus der Tasche lugen, vielleicht ein Typ
Ende vierzig, Anfang fünfzig ...«

Leg noch mal zweihundert Jahre drauf, dachte Angel. »Sorry, dass ich

nicht dem Stereotyp entspreche.« Hab noch nicht mal 'ne Knarre,
geschweige denn 'ne offizielle Lizenz für Privatdetektive, nicht, dass 'ne
inoffizielle Lizenz irgendwas nützen würde. »Vermute, das bedeutet, ich
bin durchgefallen.«

»Kein Grund, sich zu entschuldigen. Ehrlich gesagt bin ich sogar sehr

erfreut.« Sie lächelte ein warmherziges Lächeln. »Allerdings wären Sie
in großen Schwierigkeiten, wenn wir die Rolle eines Privatdetektivs zu
besetzen hätten, aber deswegen bin ich nicht hier.«

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»Warum genau sind Sie hier?« Angel lehnte sich entspannt zurück.
»Sie sind sehr direkt. Ich mag das.«
»Das spart 'ne Menge Zeit.«
»Wie wahr«, sagte sie und nahm einen Schluck Kaffee, während sie

über den Rand der Tasse Augenkontakt mit ihrem Gegenüber hielt.

Angel konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie von völlig

verschiedenen Dingen sprachen. Vielleicht ist es ja auch so, dachte er.
»Schmeckt der Kaffee?«

»Er ist...« Sie kicherte und schüttelte den Kopf. »Sagen wir, er

schmeckt genau so, wie ich ihn mir vorgestellt habe.«

Angel bemühte ein Lächeln. »Wir wollten nicht zu sehr vom Klischee

abweichen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Stimmt«, sagte sie. »Scheußlicher Kaffee kann in manchen

Situationen etwas überaus Beruhigendes haben. Aber Sie wollen
sicherlich wissen, warum ich hier bin.«

»So sehr mich Ihre Anwesenheit auch freut, ja.«
»Okay, dann fange ich mal an«, sagte sie. »L.A. After Dark macht eine

Sondersendung für die Sweeps. Sweeps sind bestimmte Zeiten im Jahr,
in denen die Einschaltquoten sehr –«

»Ich bin damit vertraut«, versicherte ihr Angel.
»Gut«, fuhr sie fort. »Überflüssig zu erwähnen, dass dies eine wichtige

Zeit für TV-Sendungen ist. Nun, dieses Special wird den Namen ›Your
Cheating Heart – Dein betrügerisches Herz‹ tragen, wie der Song von
Hank Williams.«

Angel nickte, so weit konnte er noch folgen.
»Wir sind daher auf der Suche nach provokativem Filmmaterial über

Eheleute, die einander betrügen. Nicht im Sinne von versteckten
Kameras in Hotelzimmern. Nichts Pornografisches, nur...«

»Provokativ«, wiederholte Angel.
»Genau«, sagte sie. »Nach Möglichkeit ›Auf frischer Tat ertappt‹-

Material, wobei natürlich niemand bei der eigentlichen ›Tat‹ gezeigt
wird, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Angel beugte sich vor und stützte seinen Kopf auf. »Ich verstehe sehr

gut«, sagte er. »Ich verstehe nur nicht, wie ich in dieses ... spezielle
Konzept passen könnte.«

»Wir hoffen, dass Sie und einige Ihrer Kollegen uns mit Hinweisen

versorgen könnten. Unsere Crew wird sich dann an Ihre Fersen heften,
wenn Sie observieren.«

»Kommt überhaupt nicht in Frage.«
Sie lehnte sich vor, wie um die Distanz zwischen ihnen körperlich zu

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überbrücken. »Wir sind bereit, Ihre Dienste entsprechend zu honorieren
und –«

»Das ist nicht das Problem.«
»Wir werden Ihre Klienten auch Einverständniserklärungen

unterschreiben lassen, und ihre Gesichter werden im Film unkenntlich
gemacht. Auch ihre Namen werden selbstverständlich nicht
veröffentlicht und so weiter. Wir haben kein Interesse daran, das Leben
irgendwelcher Menschen für diese Sache zu ruinieren.«

»Ein Punkt für Sie«, sagte Angel trocken und stand auf. Für ihn war

das Gespräch beendet.

Als er um den Schreibtisch herumging, erhob sie sich und kam auf ihn

zu. »Was sind denn Ihre Bedenken?«, fragte sie und legte eine Hand auf
seinen Arm.

»Ich muss leider ein weiteres Detektiv-Klischee zerstören«, sagte er.

Er konnte die Wärme ihrer Finger durch den Stoff seines Hemdärmels
spüren. In ihren hochhackigen Schuhen war sie nur geringfügig kleiner
als er. Und viel größer als Buffy. Warum hab ich die beiden gerade
miteinander verglichen?, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. »Ich
befasse mich gar nicht mit Fällen wie die von Ihnen geschilderten.«

»Falls ich in meinem Ton irgendwie wertend in Bezug auf Ihre

Branche geklungen haben sollte, so entschuldige ich mich dafür. Wir
müssen schließlich alle von irgendetwas leben.«

»Nein, das ist es nicht«, erwiderte Angel. »Es ist eine Tatsache. Angel

Investigations übernimmt keine Fälle von betrogenen Ehegatten, um
dann den Partner auf frischer Tat zu stellen.«

»Wirklich?«
»Wirklich.«
Sie sah ihm einen Moment fest in die Augen, wie um darin einen

Hinweis darauf zu entdecken, dass er gerade gelogen hatte. »Wissen Sie
was? Ich glaube Ihnen.«

»Ich wüsste auch nicht, warum Sie daran zweifeln sollten«, sagte er.

»Es ist nun mal die Wahrheit.«

»Okay«, erwiderte sie. »Dann danke ich Ihnen für Ihre Zeit.«
Angel griff nach dem Türknauf und öffnete die Tür einen Spalt weit.

Da drehte sich Chelsea noch einmal zu ihm um und drückte sie wieder
zurück ins Schloss. »Erlauben Sie mir noch eine letzte Frage.«

»Warum wir keinen besseren Kaffee haben?«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »Das ist eine gute Frage, aber

nicht die, die ich stellen wollte. Ich habe mich gerade gefragt, was Angel
Investigations
eigentlich genau ist.«

»Wir helfen den Hilflosen«, erwiderte Angel.

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»So einfach ist das?«
»Einfach ist es nie, aber es ist das, was wir versuchen. Darum sind wir

hier.«

»Sagen Sie mir, ist es wahr, was Cordelia gesagt hat?«
Angel lächelte. »Kommt drauf an, was sie gesagt hat.«
»Richtig«, meinte Chelsea und versuchte, zwischen den Zeilen zu

lesen. »Sie deutete an, dass Sie eine Menge Fälle übernehmen, für die
Sie kein Honorar bekommen.«

»Wir helfen den Hilflosen; wir ziehen ihnen nicht die Schecks aus der

Tasche.«

»Sehen Sie, das beantwortet auch die andere Frage.«
»Welche andere Frage?«
»Warum der Kaffee so schrecklich ist«, erwiderte sie und gab die Tür

wieder frei.

»Stromrechnung oder guter Kaffee«, sagte Angel. »Keine schwierige

Entscheidung.«

Als sie in den Empfangsraum traten, reichte sie ihm zum Abschied ihre

Hand, die er diesmal auch nahm. »Nun, es war mir eine Freude, Angel.
Haben Sie eigentlich auch einen Nachnamen?«

»Einfach Angel«, sagte er. »Das erscheint mir ausreichend.«
»Ich bin sicher, das ist es.«
Wieder hatte er das Gefühl, dass sie aneinander vorbeiredeten. »Viel

Erfolg mit Ihrer Sondersendung.«

»Danke schön«, sagte Chelsea und ging zur Eingangstür. Bevor sie das

Büro verließ, drehte sie sich noch einmal mit einem gedankenverlorenen
Blick um. Dann lächelte sie strahlend. »Wundern Sie sich nicht, wenn
Sie mich heute nicht zum letzten Mal gesehen haben.«

Bevor Angel etwas darauf erwidern konnte, war sie verschwunden.
»Das war interessant«, sagte er mehr zu sich selbst als zu Doyle und

Cordelia, die ihn beide erwartungsvoll ansahen.

Schließlich ergriff Cordelia das Wort. »Du weißt, ich habe mir nie

vorgestellt, mal als Unterhaltungs-Moderatorin zu arbeiten. Aber wenn
ich's mir so überlege – es könnte bezaubernd sein, meinst du nicht
auch?«

»Oh ja, bezaubernd ist sie«, bemerkte Doyle.
»Spuck's schon aus, Angel«, drängte Cordelia. »Wann kommt das

Kamera-Team hierher? Wir müssen bis dahin hier noch ein bisschen –«

»Es wird kein Kamera-Team geben.«
»Was?« Cordelias Unterkiefer klappte herunter. »Willst du etwa sagen,

du hast Chelsea Monroe abgewiesen? Du hast L.A. After Dark sausen

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lassen? Angel, eine solche Publicity kann man nicht für Geld
bekommen!«

»Zur Abwechslung muss ich Cordelia mal Recht geben«, meinte

Doyle. »Ein bisschen mehr Betrieb in diesem Laden wäre wirklich schön
gewesen. Und ich rede natürlich nicht von den Geldeintreibern, die sich
hier die Klinke in die Hand geben.«

»Sie macht eine Story«, sagte Angel und starrte noch immer auf die

Tür, durch die Chelsea schon längst verschwunden war. »Aber es ist
nicht unser Thema.«

»Vermutlich hast du Recht«, sagte Doyle. »Die Kakerlaken, mit denen

wir uns tagtäglich rumschlagen, kommen beim Fernsehpublikum
bestimmt nicht gut an.«

»Also, ich weiß nicht, Angel«, meinte Cordelia. »So wie sie dich

angesehen hat, schien es, als hätte sie da eine ganz bestimmte
Undercover-Geschichte im Kopf gehabt.«

Angel runzelte die Stirn. Es spielt keine Rolle, was Chelsea

vorschwebt, dachte er. Ich weiß, was ich mir auf keinen Fall leisten
kann.

Als Vampir, dem der Fluch einer Seele zuteil wurde, war er auch

verflucht dazu, sich daran zu erinnern, was er war und getan hatte, bevor
er seine Seele wiederbekommen hatte. Und damit auch daran, was aus
ihm geworden war, nachdem er einen kurzen Moment des Glücks mit
Buffy Summers, der Jägerin, genossen hatte. Obwohl er für mehr Ver-
brechen verantwortlich war, als ein einzelner Mensch je begehen konnte,
so war er doch nicht menschlich. Er war ein Vampir und somit
unsterblich. Und er fragte sich wieder einmal, ob er all diese Frevel je
wieder gutmachen konnte.

Schweigend stieg er die Stufen zu seiner Wohnung hinunter.
Unschuldig sah Cordelia zu Doyle. »Was denn? Was hab ich denn

gesagt?«










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3



Jenna Kershaw, eine attraktive junge Frau mit sandfarbenem Haar, hatte
die ersten drei Knöpfe ihrer blauen Seidenbluse geöffnet und damit einen
Hauch ihres Dekolletes sowie den Saum ihres schwarzen Spitzen-BHs
freigelegt. Dazu trug sie einen knielangen Faltenrock. Sie saß bequem
auf dem weißen Sofa und schlug die Beine übereinander.

Vor ihr stand ein großer Couchtisch, dessen Glasplatte auf einer

verschlungenen Chromröhre ruhte. Darauf lag ein opulenter Bildband,
der dem Leser beeindruckende Einblicke in die faszinierende Welt der
Hängebrücken versprach. Kennt man eine Hängebrücke, kennt man alle,
vermutete Jenna.

Zu beiden Seiten des Wohnzimmerfensters hingen ein paar anämische

Farne, offensichtlich Opfer einer zu direkten oder indirekten
Lichtversorgung. Jenna vermochte nicht auszumachen, woran es den
Pflanzen fehlte, denn einen grünen Daumen hatte sie noch nie gehabt.

An der fernen Kopfseite des Zimmers stand ein beeindruckendes

Multimediacenter mit wohl einem Dutzend HiFi-Komponenten, einem
Videorekorder und einem DVD-Player. Oben auf dem Ensemble thronte
ein Fernseher, dessen Bildschirm so groß war, dass man Angst haben
musste, die Schauspieler würden jeden Moment ins heimische
Wohnzimmer stolpern. In der Ecke zu ihrer Rechten stand auf einem
kleinen Schreibtisch ein schicker blaubeerfarbener Computer.

Greg erschien mit zwei gefüllten Gläsern und einer Flasche Weißwein.

»Hier kommt deine Bestellung.«

»Oh fein.«
Er setzte sich neben sie aufs Sofa und reichte ihr ein Weinglas, bevor

er die Flasche abstellte. Als er sich zurücklehnte, seufzte er zufrieden
und platzierte seinen Ellbogen auf der niedrigen Seitenlehne. Er hatte
braunes gewelltes Haar, blassgrüne Augen, eine lange Nase und einen
sorgfältig getrimmten Schnurrbart. Unter dem Halsausschnitt seines
grünen Poloshirts lugte eine Goldkette hervor, und er trug khakifarbene
Leinenhosen zu braunen Sportschuhen. Mister Lässig, dachte Jenna und
fand, er hätte gut in einen Bier-Werbespot gepasst. Noch besser aber
passte er in die Rolle des Einparkers in einem First-Class-Hotel in
Beverly Hills.

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»Ich kann's immer noch nicht fassen«, sagte Greg. »Ich gucke die

Today-Show jeden Morgen, und ich schwöre dir, du bist das Ebenbild
von Katie Couric. Aber ich denke, das hörst du nicht zum ersten Mal.«

Sie nahm einen Schluck von ihrem Weißwein. »Nicht so oft, wie du

vielleicht denkst«, erwiderte sie. Ihr Blick fiel auf den Bildband, der auf
dem Tisch lag. »Du liest ein Buch über Hängebrücken?«

»Nein, ich schau mir nur die Bilder an«, sagte er. »Aber sag mal, was

hältst du von meinem Entertainment-Center?« Ohne eine Antwort
abzuwarten, fügte er hinzu: »Warte, bis ich das Licht runtergedreht und
eine DVD eingelegt habe. Du wirst glauben, du sitzt im Kino.«

Sie stellte ihr Glas vorsichtig auf der Tischplatte ab, legte einen ihrer

kühlen Finger unter sein Kinn und drehte seinen Kopf wieder in ihre
Richtung. »Greg, wir sind aber nicht im Kino.«

»Ich weiß, aber wäre das jetzt nicht das Beste überhaupt?«
»Denk einen Augenblick darüber nach, Greg«, sagte sie und lächelte

ihn herausfordernd an. »Was wäre denn jetzt das Beste überhaupt?«

Greg kicherte. »Gehe ich recht in der Annahme, dass du nicht mehr

von meinem Fernseher sprichst?«

»Kluger Junge«, sagte sie.
Er setzte sein Weinglas ab. Doch anstatt sich nun ihr zuzuwenden,

drehte er ihr den Rücken zu, klappte die Seitenlehne seines Sofas hoch
und förderte aus dem darunter liegenden Hohlraum wenigstens sechs
Fernbedienungen zutage. »Die Segnungen eines modernen Haushalts«,
seufzte er, während er mit der einen Fernbedienung den Fernseher aus-
und mit drei weiteren den Receiver, den Equalizer und den CD-Player
einschaltete. Mit der vierten wurde das Licht heruntergedimmt, während
die ersten Takte eines langsamen, romantischen Jazz-Stücks den Raum
erfüllten. Die Anordnung der Surround-Lautsprecher vermittelte den
Einruck, als ob sie mitten auf der Bühne zwischen einer unsichtbaren
Combo säßen. »Ich bin immer noch auf der Suche nach der Killer-
Universal-Fernbedienung.«

Jenna schob schon ihre Hand unter den Kragen seines Hemdes, fuhr

mit den Fingern an der Goldkette entlang, bis sie den Anhänger in Form
eines Skorpions gefunden hatte. Er hatte winzige Augen aus Diamanten
und einen Rubinsplitter als Stachel. Sie rutschte näher, um besser sehen
zu können. Ihr Knie presste sich gegen seinen Oberschenkel.

»Gefällt er dir?«, fragte er ein bisschen atemlos.
»Mm-hmm.« Sie sah ihm in die Augen. »Sag mal Greg, was denkst du

gerade?«

Statt einer Antwort kam er näher und küsste sie sanft auf die Lippen.

»Daran.«

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»Das war schön«, sagte sie und schloss in Erwartung des nächsten

Kusses, von dem sie wusste, dass er kommen würde, die Augen.

Seine linke Hand berührte ihr Knie, schlüpfte unter den Saum ihres

Rocks, während er sich wieder vorbeugte und sie erneut küsste,
leidenschaftlicher diesmal. Seine Hand wanderte zu ihrer Hüfte hinauf.
Sie öffnete leicht ihren Mund und legte ihm sanft die Hände um den
Hals; ihre Daumen strichen suchend über die Schlüsselbeine.

Greg stöhnte leise, als sich ihre Zunge ihren Weg in seinen Mund

bahnte. Eine Sekunde später riss er ungläubig die Augen auf und begann
zu würgen. Bevor er sich losreißen konnte, hatten sich ihre Fingernägel
schmerzhaft in seinen Hals, die Brust und den Rücken gebohrt und
hielten ihn so in Schach. Und dann wurden ihre Finger zu etwas
anderem, etwas Scharfem, Flexiblem und Langem, das sich immer tiefer
in sein Fleisch wühlte. Er konnte kaum noch atmen. Ihre Zunge und ihre
tentakelgleichen Finger saugten alles aus dem zuckenden Mister Lässig
heraus, was dieser zu bieten hatte.

Seine Muskulatur schrumpfte, die Lunge fiel zusammen, und die

Augen wurden in den Schädel hineingesogen. Sämtliches Gewebe
vertrocknete, wie auch sein Skelett zusammenfiel und sich in weißen
Staub verwandelte. Und über dem ganzen ungeheuerlichen Szenario lag
ein Brausen, als die Lebensenergie der sterblichen Hülle in ihr neues
Domizil überging.

In weniger als einer Minute war alles vorbei. Schnappend schoss

Jennas Zunge zurück in den Mund, während ihre Tentakel hin und her
wippten und die schneeweißen Wände des Apartments mit Blut und
anderen Körperflüssigkeiten bespritzten.

Sie erhob sich, nun wieder vollständig in ihre menschliche Form

zurückgekehrt, so wie Greg sie kennen gelernt und begehrt hatte. »Es ist
das Beste überhaupt, Greg.«

Sie schlüpfte aus dem Apartment und glühte fast vor Energie. Energie

aus der Materie und Essenz eines Menschen, die sie durchflutete und die
diesmal vielleicht so lange anhalten würde, bis sie Elliots Wohnung
erreicht hatte.

Wie immer nach einer Absorption fühlte sich der Dämon belebt. Aber

es war nicht genug, würde niemals genug sein, bis zu dem Moment, da
der rituelle Kreis sich schloss.

Seit dem Tod ihres zweiten Ehemannes, Ben, litt Lois Laulicht unter
Schlaflosigkeit.

Sie kam gerade so mit ihrer Witwenrente und den Mieteinnahmen aus

dem renovierten Apartmenthaus zurecht, das ihr gehörte und in dem sie

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selbst wohnte. Es wäre mehr als genug gewesen, wäre da nicht die
zweite Hypothek, die Ben einige Jahre vor seinem Tod auf das Haus
aufgenommen hatte. Deshalb musste sie scharf kalkulieren und auf
extravagante Ausgaben verzichten.

Ben hatte lange genug gelebt, um die Renovierungsarbeiten zum

Abschluss zu bringen, aber nicht lange genug, um in den Genuss der
daraus resultierenden höheren Mieteinnahmen zu kommen. Eines Tages,
so wusste Lois, war die Hypothek abgetragen, und sie würde sich nicht
mehr so viele Sorgen machen müssen. Obwohl sie sich oft fragte, ob sie
diese unbeschwerten Tage noch erleben würde.

Immer wenn sie nicht schlafen konnte, verließ sie ihre Wohnung in der

ersten Etage und wanderte durch die Stockwerke und Flure des Hauses,
das Bens Lebenswerk gewesen war. Die meisten ihrer Mieter waren
junge Leute, und sie liebte es, umgeben zu sein von der Lebensfreude
und Kraft der Jugend. Irgendwie fühlte sie sich dabei selbst wieder ein
wenig jünger. Nicht, dass ihre nächtlichen Ausflüge dazu dienten, die
Bewohner auszuspionieren. Nein, auf ihren späten Wanderungen war sie
einzig und allein auf der Suche nach Ben. Sie suchte und fand ihn in
jedem Gemälde, jeder Wandverkleidung, jeder Säule und Tapete im
Haus. Das gab ihr Trost und beruhigte ihre Nerven und trieb sie
schließlich wieder zurück in Morpheus Arme – wenn auch nur für eine
weitere kurze Nacht.

Als Lois heute Nacht die dritte Etage betrat, bemerkte sie etwas

Ungewöhnliches. Gedämpftes Licht ergoss sich in den Flur und erhellte
das Stockwerk. Als sie näher kam, stellte sie fest, dass es aus der ein
Stück offen stehenden Tür von Apartment 300B drang.

Gregs Apartment, erinnerte sie sich, und sie wusste auch, dass dieser

Mieter oft lange aufblieb. »Greg«, rief sie und betrat in ihrem
flauschigen Morgenmantel und den ausgetretenen Schlappen den Flur.
Es war nicht seine Art, die Tür unverschlossen, geschweige denn, offen
stehen zu lassen. Während ihre Generation noch sorglos bei
unverschlossener Tür und sperrangelweit geöffneten Fenstern geschlafen
hatte, um auch den leisesten Windhauch ins Schlafzimmer zu lassen,
hatten die jungen Leute von heute allen Grund, um ihre Sicherheit zu
fürchten. Sie holten sich mächtige Computer in ihre vier Wände,
warteten gespannt darauf, dass das menschliche Genom vollständig
entschlüsselt wurde, und vergaßen doch nie, dass es unter ihresgleichen
Räuber, ja, Monster in Menschengestalt gab, die keine Gelegenheit
ausließen, die Schwachen, Wehrlosen und Unachtsamen zur Strecke zu
bringen.

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Vorsichtig schob Lois die Tür zu Gregs Apartment auf und vernahm

gedämpfte Instrumentalmusik, die eindeutig von der sündhaft teuren
Stereoanlage kam. Zögernd betrat sie das diskret erleuchtete Apartment
300B. »Greg«, rief sie wieder. Und dann lauterund selbstbewusster:
»Greg, alles in Ordnung mit Ihnen, mein Lieber?«

Ihr Blick fiel auf eine Flasche Wein und zwei Gläser auf dem

Beistelltisch. Wusste doch, dass er noch wach ist, dachte sie. Dann sah
sie den Kleiderhaufen, der vor dem Sofa auf dem Boden lag. Um
Himmels willen. Am Ende haben sie sich gerade ins Schlafzimmer
zurückgezogen ...

Sie entschloss sich gerade, leise den Rückzug anzutreten und die Tür

hinter sich zu schließen, um sich und ihnen eine peinliche Szene zu
ersparen, als sie aus den Augenwinkeln etwas bemerkte, das neben dem
Kleiderhaufen lag, etwas ... Haariges.

Mit einem vorsichtigen Blick in den kleinen Flur, der den Wohnraum

mit dem Schlafzimmer verband, huschte sie zum Couchtisch, um sich
die Sache näher anzuschauen. Das Haarteil lag direkt neben dem Kragen
eines grünen Polohemdes auf dem Boden. Sie kniete nieder und stellte
fest, dass dort ausschließlich Männerkleidung lag; Sachen, in denen sie
ihren Mieter öfter gesehen hatte. Mit zitternden Händen griff sie nach
dem Haarwust und stellte fest, dass er mit etwas Verschrumpeltem und
Abgewetztem verbunden war, das aus dem Hemdkragen hing. Eine
Goldkette mit einem Skorpionanhänger klimperte, und dann rieselte ein
feiner weißer Staub von der... Haut! Es war Gregs Haar, dass sie in den
Händen hielt, und daran hing sein augenloses Gesicht mit einer Haut, die
so dünn wie Wachspapier und so elastisch wie warmer Teig war.

Lois schrie, und sie schrie noch, als Trish aus Apartment Nummer

300A herbeistürzte und die Polizei rief.

Nachdem Angel in seiner Wohnung im untersten Stockwerk
verschwunden war, hatte Cordelia die Wälzer aus der Bibliothek wieder
aus der Schublade hervorgeholt und an einer Ecke ihres Schreibtischs
aufgetürmt.

Noch ein Buch, und der Tisch bricht zusammen, dachte Doyle. Er griff

nach einem der Werke und stellte fest, dass es wegen Cordelias wenig
liebevoller Behandlung bereits leicht ramponiert war. Er schüttelte den
Kopf. »Wie kann man bloß einem Ratgeber von über tausend Seiten den
Titel ›Leicht gemacht‹ verpassen ...«

»Stimmt, Strandlektüre ist das nicht.«
»Ich würde sagen, diese Bücher sind ein probates Mittel gegen

Schlaflosigkeit, wo doch schon ein Blick hinein mir höllische

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Kopfschmerzen –« Er ließ das Buch fallen und presste die Hand gegen
seine Stirn. Schmerz! Plötzlich und überwältigend. Er stolperte
rückwärts, die Augen fest geschlossen, während die Vision, ein
»Geschenk« der Mächte der Ewigkeit, über ihn hereinbrach und ihn fast
von den Füßen riss. Und das wäre nicht das erste Mal. Bilder zuckten
durch seinen Kopf, zu schnell, um sie zu verarbeiten, und ließen ihn
atemlos verstummen.

So abrupt, wie sie gekommen war, verschwand die Vision wieder.

Cordelia war an seiner Seite und stützte ihn, während er auf wackeligen
Beinen dastand. Er konnte ihr Parfüm riechen – Jasmin. Doch im
Moment war er viel zu verstört, um sich angenehmen Gedanken im
Zusammenhang mit Cordelia hinzugeben. Er ließ sich von ihr zu einem
Stuhl geleiten.

»Das muss wehtun«, sagte sie.
»Das weiß man im Voraus nie«, meinte er. »Sorry, dass ich dein Buch

fallen gelassen habe.«

»Sei froh, dass es dir nicht auf den Zeh geknallt ist«, sagte Cordelia.

»Ich hab dieses Werk im Regal für stumpfe Mordwaffen aufgetrieben.«

»Schließ die Bücher lieber wieder weg, Cordelia«, sagte Doyle. »Ich

muss mit Angel sprechen.«

»Klar«, erwiderte sie. »War nicht zu übersehen, dass dein

Frühwarnsystem wieder Alarm geschlagen hat.«

Während er vor seinem Computer im Schlafzimmer hockte, musste
Elliot sich eingestehen, dass er weder ein Hacker noch ein
Programmierer war. Und sämtliche Käsechips und Colaflaschen dieser
Welt würden aus ihm nicht machen können, was er nicht war.

Er war Zielscheibe von Hohn und Spott gewesen, solange er denken

konnte, und das, obwohl er stets wusste, dass er für Größeres bestimmt
war. Soll'n sie mich doch am Arsch lecken, hatte er oft gedacht. Eines
Tages, wenn ich reich und berühmt bin, werden sie wegen eines Jobs
angekrochen kommen, redete er sich ein. Das Problem war nur, dass er
aus eigener Kraft niemals reich und berühmt werden würde, und auch
das Glück würde ihm nicht hold sein, weil er noch nicht mal Lotto
spielte. Immerhin hatten ihn das Leben, die Schule und die endlosen
Tage der Schikanen durch seine Altersgenossen darauf vorbereitet, eines
Tages den Endgegner in »Ultimate Quest« zu besiegen.

Die ultimative Schlacht, jawohl!, dachte er. Und so testete er ab und an

ein halbfertiges Beta-Spiel. Doch was hatte es ihm gebracht außer noch
mehr Computergames? Die Websites, die Autoren für Spielereviews,
Tipps und Tricks suchten, zahlten so wenig, dass man sich wie ein

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ehrenamtlicher Mitarbeiter vorkam. Und all das als Service für
Feierabend-Daddler und andere Loser, die nicht mal ein Level-Eins-
Monster besiegen konnten.

Er war jetzt Mitte zwanzig und bewegte sich schon auf eingefahrenen

Gleisen. Fast jeder Honorar-Scheck, der von seinem Arbeitgeber
CompAmerica, dem größten PC-Kistenschieber der Westküste, bei ihm
eintraf, ging für Computer-Hardware drauf, die er dort mit
Mitarbeiterrabatt kaufen konnte. Und selbst dann verdienen diese
Schweine noch an mir, dachte er. Mit gemischten Gefühlen erinnerte er
sich an den Tag, an dem sich für ihn alles geändert hatte, an dem sich ein
qualvoller Moment ungeheuren Frusts mit einem süßen Hauch von
Inspiration vermischt hatte.

Trudy Ryan, ein neunzehnjähriger Rotschopf mit blasser Haut und

zarten Sommersprossen auf dem Nasenrücken, war Kassiererin bei
CompAmerica gewesen. Nachdem sie kaum eine Woche in der Filiale
gearbeitet hatte, hatte Elliot beschlossen, sie auszuführen. Keine einfache
Sache. Seit ihrem ersten Tag hatte er sie verstohlen beobachtet, um den
richtigen Moment abzupassen. Sie hatte ein sympathisches Lächeln und
behandelte jedermann freundlich, was ihn fälschlicherweise dazu
veranlasst hatte, sich Hoffnungen zu machen.

Eines Tages bemerkte Elliot, dass an der Kasse Leerlauf herrschte und

Bernardo, der Shopmanager, gerade vor die Tür gegangen war, um eine
zu rauchen.

Mit einem Arm voller Computer-Kleinkram, mit dem er beim Eingang

der Filiale einen der Sonderangebots-Körbe auffüllen sollte, trat Elliot zu
Trudy, die gerade gelangweilt in einem People-Magazin blätterte, an die
Kasse. Nach einigen Minuten belanglosen Smalltalks nahm Elliot seinen
ganzen Mut zusammen und fragte die süße Rothaarige, ob sie mit ihm
einen Burger essen und vielleicht hinterher ins Kino gehen wolle.

Von einer Sekunde zur anderen verwandelte sich Trudys verbindliches

Lächeln in ein höhnisches Grinsen. »Moment mal, soll das heißen, du
hast mich gerade um ein Date gebeten?«

Elliot, der noch immer den Arm voller Sonderangebote hatte, zuckte

leicht zusammen, und eine Schachtel mit Disketten landete polternd auf
dem Boden. »Nur ins Kino.«

»Sorry, Elliot, aber du bist einfach nicht mein Typ.«
»Und wer ist dein Typ?«, presste Elliot hervor.
»Auf jeden Fall keine Loser.«
»Was weißt du schon?«, sagte er. »Du kennst mich ja nicht mal.«
»Was gibt's da groß kennen zu lernen?«, gab sie zurück. »Guck

einfach in den Spiegel, und steig auf die Waage.«

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Blöde Schlampe, dachte er, doch er biss sich auf die Zunge.
»Und jetzt verpiss dich, du Penner, bevor ich dich wegen sexueller

Belästigung am Arbeitsplatz anzeige.«

Mit hochrotem Kopf warf Elliot die Sonderangebote in einen der

großen Drahtkörbe und stürmte zurück in den hinteren Teil des Ladens.

Fünfzehn Minuten später, als er einen Monitor aus dem Lager in den

Verkaufsraum brachte, entlud sich sein ganzer Frust in einem Wutschrei,
während er den Karton brutal durch den Gang schleuderte. Die Kiste
kollidierte mit einem teuren Computersystem, auf dem gerade eine Spiel-
Demo lief; Glas splitterte, Funken flogen, und Elliot, noch immer in
Rage, trat immer wieder gegen den Elektronikschrott.

In diesem Moment hörte er Bernardos Stimme durch den Gang zetern,

und da kam die Inspiration mit ins Spiel. Mit einem gespielten
Schmerzensschrei ließ er sich in eines der Regale fallen und riss auch
gleich noch einen Turm mit Modemkartons mit sich, um dem ganzen
mehr Dramatik zu verschaffen.

Mit einer verstauchten Wirbelsäule ist nicht zu spaßen, ja, ja ... Er

hatte sie alle verarscht, einschließlich Bernardo. Und so konnte er die
Tretmühle wenigstens für eine Weile verlassen und zu Hause eine ruhige
Kugel schieben.

Während dieser »Arbeitspause« hatte auch der Dämon begonnen, ihn

in seinen Träumen zu besuchen. Die ersten Erscheinungen waren in der
Tat nicht mehr als Träume gewesen, doch dann erreichte ihn die Stimme
auch tagsüber, während er vor seinem Computer saß. Und sie machte
ihm ein Angebot - ein schier unglaubliches Angebot. Vielleicht war es ja
doch noch nicht zu spät, Ruhm und Glück zu erlangen. Es gab es mehr
als einen Weg, die Ziellinie zu erreichen. Wie hieß es doch so schön:
Wenn die Gelegenheit an deine Tür klopft...

In diesem Moment klopfte es an der Tür.
Elliot hörte auf zu tippen und fragte sich, ob das wohl die Polizei war.

Doch es gab keine Möglichkeit, ihn mit den Morden in Verbindung zu
bringen - nicht zuletzt, weil er nicht für sie verantwortlich war. Der
Dämon war es gewesen. Soll'n sie doch mal versuchen, einen Dämon
einzulochen, dachte er. »Ha!«, sagte er laut.

Das Klopfen wurde lauter.
Elliots Blick fiel auf etwas, das auf seinem Keyboard lag, eingeklemmt

zwischen den Tasten »Q« und »A«. Er griff danach und erkannte, dass es
sich um einen kompletten Fingernagel handelte, seinen Fingernagel. Er
war einfach so von seinem kleinen Finger abgefallen. Die Haut darunter
war trocken und weich. Und nun, da er sich seine Hände genauer besah,
musste er feststellen, dass sich auch der Nagel seines rechten Ringfingers

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löste. Er zog daran, und schon war er ab. Genau wie im Film Die Fliege,
nur ohne Schleim ..., ging ihm durch den Kopf. »Was zum Teufel...?«

»Jemand zu Hause?«, rief da eine Stimme von draußen. Es war eine

Frauenstimme.

Elliot verließ sein Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. »Eine

Minute!«, rief er. Er betrat das Bad, öffnete den Medizinschrank und
nahm zwei Streifen Pflaster heraus. Als er die Verpackungen in den
Weidenpapierkorb werfen wollte, verfehlte er diesen. Still fluchend ging
er zur Haustür und sah durch den Spion. »Na, super«, flüsterte er
freudlos.

Er entfernte die Kette und öffnete die Tür. »Hi, Shirley.«
Fragte man Elliot, so würde er Shirley Blodgett als eher schlichten Typ

bezeichnen. Nichts Erotisches, nichts Geheimnisvolles umgab sie, und
sie schien sich selbst aus dem Weg zu gehen, nur um, nun, schlicht zu
wirken. Das Raffinierteste, was sie je mit ihrem naturkrausen Haar
anstellte, war, es mit einem Haartuch zu bändigen. Sie trug nie Make-up,
weil sie angeblich dagegen allergisch war. Sie hatte sich nie Ohrlöcher
machen lassen, weil sie den Schmerz nach eigenen Angaben nicht
ertragen könnte, ungeachtet der Tatsache, dass sich bereits Fünfjährige
freiwillig Ohrlöcher stechen ließen. Sogar ihre Kleidung war schlicht. So
trug sie vorzugsweise Flanell- oder Baumwollhemden, wobei die
Ärmellänge je nach Jahreszeit variierte. Als sie auf der Arbeit einmal
eine ärmellose Bluse getragen hatte, hatte Elliot einen Blick auf ihren
BH werfen können – er war blütenweiß gewesen, was ihn nicht
sonderlich überraschte. Sie hatte ein Faible für weite Cargo-Hosen, außer
an heißen Tagen – da trug sie weite Bermuda-Shorts. Er konnte sich
nicht erinnern, sie jemals in einem Kleid oder Rock gesehen zu haben.

Davon abgesehen, dass sie in dem Apartment unter ihm wohnte – sie

hatte ihn seinerzeit informiert, als die Wohnung, in der er nun lebte, frei
wurde –, arbeitete auch sie bei CompAmerica. Insofern war es wichtig,
die Sache mit dem verstauchten Rücken durchzuziehen, wann immer sie
ihn besuchen kam. Und sie fand immer neue Gründe, bei ihm aufzu-
kreuzen. Heute hatte sie eine schlanke blaue Vase dabei, in der Blumen
steckten, an deren Namen Elliot sich selbst dann nicht erinnern würde,
wenn man ihn ihm verriet.

»Hi, Elliot!«, zwitscherte sie in ihrer kessesten Stimmlage.
»Was verschafft mir die Ehre?«
»Ich bin nach der Arbeit am Freundlichen Geschenkelädchen

vorbeigekommen und hab die hier für dich gekauft«, sagte sie. Sie hob
die Vase in die Höhe, als ob man sie andernfalls hätte übersehen können.

»Das sehe ich«, sagte er geradeheraus. »Warum?«

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»Um dein Apartment ein bisschen freundlicher zu gestalten«,

erwiderte sie. Sie quetschte sich an ihm vorbei und betrat unaufgefordert
seine Wohnung. Er verdrehte die Augen, als sie geradewegs in Richtung
Küche ging. »Und um diesem Ort eine weibliche Note zu verschaffen.«

»Das wird nicht funktionieren«, sagte er, nachdem er die Haustür

geschlossen hatte, und folgte ihr. »Ich kann nicht besonders gut mit
Pflanzen umgehen; vergesse, sie zu gießen oder gieße sie zu viel. Sie
werden eingehen, du wirst weinen, und ich werde ein schlechtes
Gewissen haben. Erspar mir also die unvermeidlichen Schuldgefühle,
und nimm sie mit zu dir, wo sie all die Liebe und Zuwendung kriegen
werden, die sie verdienen.«

Sie lachte. »Hör auf mit dem Blödsinn. Die Blumen machen keine

Arbeit, weil sie aus Seide sind.«

»Seide? Dann brauchen sie am Ende noch Mineralwasser oder so, und

das kann ich nicht besorgen, weil ich mich kaum bewegen kann.«

»Nein, du Doofie«, sagte sie, stellte die Blumen mitten auf seinen

kleinen runden Küchentisch und zupfte sie ein wenig zurecht. »Sie
stehen hier einfach nur rum und sehen hübsch aus. Du musst sie bloß alle
paar Wochen abstauben, mehr nicht.« Sie wandte sich lächelnd zu ihm
um. »Das kriegst du doch wohl noch hin, Grundy?«

»Na ja, ich bin ja nicht völlig hilflos.«
Sie setzte sich auf einen der beiden Küchenstühle aus Weidengeflecht.

»Wie geht's deinem Rücken, Elliot?«

»Tut immer noch weh«, antwortete er und drückte sich wie zur

Demonstration eine Hand ins Kreuz.

Sie schüttelte den Kopf. »Als ich von deinem Unfall hörte, konnte ich

es erst gar nicht glauben.«

Für einen Moment dachte er, sie würde ihn als Simulant verdächtigen,

aber woher sollte sie es wissen? Immerhin verrückte er weder schwere
Möbel in seiner Wohnung, noch nahm er Tango-Stunden. Er verließ sein
Apartment so gut wie nie. Wenn die Geschäftsführung hier also keine
versteckten Kameras angebracht hatte, bestand für ihn keine Gefahr, dass
der Schwindel aufflog. »Key, diese 17-Zoll-Monitore sind
schweineschwer!«, sagte er. »Da passiert so was schnell.«

»Na ja, sie fragen mich immer, wie's dir geht«, erwiderte sie. »Sie

wissen ja, dass du direkt über mir wohnst.«

Elliot bezweifelte ernsthaft, dass sich zum Beispiel Trudy auf seine

Rückkehr freute. »Stimmt«, sagte er. »Liegt irgendwie nahe, dass sie
dich fragen.« Klar, dachte Elliot bitter. Ich kann sie förmlich hören: >Na,
Shirley, wie geht's dem Loser Grundy denn heute?<

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Shirley nickte. »Sie können ja nicht wissen, dass wir quasi

Seelenverwandte sind oder so, weil wir zusammen arbeiten, im selben
Haus wohnen und am selben Tag Geburtstag haben.«

»Na ja, du warst es ja, die mir von der freien Wohnung erzählt hat«,

erinnerte sie Elliot. »Und die Sache mit dem Geburtstag ist nur Zufall.«

»Hat dich aber trotzdem erschreckt«, bemerkte Shirley. »Als ob uns

das Schicksal zusammengeführt hätte.«

»Ich glaube an den freien Willen«, sagte Elliot.
Shirley stand auf und sah sich im Raum um, wie um Augenkontakt zu

vermeiden. »Ich bin sicher, sie wissen, dass wir noch nie zusammen aus
waren.«

»Davon kannst du ausgehen«, stimmte Elliot ihr schnell zu.
Sie nickte. »Nun, wenn bei dir alles in Ordnung ist, gehe ich jetzt nach

unten. Sag Bescheid, wenn du was brauchst. Ich kann jederzeit –«

Ein wohl bekannter Schmerz flammte in Elliots Kopf auf; gleichzeitig

drang ein Krachen aus dem Schlafzimmer.

»Was war das?«, frage Shirley.
Sie denkt, ich hab jemanden bei mir, dachte Elliot, und das war etwas,

was er auf jeden Fall vermeiden wollte. Es war zweifellos das Beste,
wenn sie auch weiterhin dachte, dass er hier oben allein hauste. Nicht
zuletzt, um sich ihre Sympathien nicht zu verscherzen; man wusste nie,
wozu man sie noch brauchen konnte. »Oh, das ist... nur ein
Computerspiel. Hab wohl vergessen, die Pause-Taste zu drücken, als du
geklopft hast. Mein Held ist wohl gerade abgeknallt worden.«

»Das ist gut«, sagte Shirley. »Ich meine, natürlich ist es nicht gut, dass

deine Spielfigur gerade gestorben ist, ich meine, es ist gut, dass da
drinnen nichts kaputtgegangen ist...«

Er musste sie loswerden. Der Dämon war zurückgekehrt, und es

konnte sein, dass er nicht realisierte, dass Elliot gerade Besuch hatte.
»Weißt du, wenn ich lange so herumstehe, bekommt das meinem Rücken
gar nicht«, sagte er. »Ich mache jetzt besser den Computer aus und lege
mich ein bisschen hin. Und, hey, danke für die Blumen.« Während er
sprach, geleitete er sie Richtung Wohnungstür. Nachdem sie ohnehin
angekündigt hatte zu gehen, war es nur logisch, ihm dorthin zu folgen.

»Hoffentlich machen sie dir Freude«, sagte sie, als er die Tür hinter ihr

zuzog. »Und ruh dich ein bisschen aus. Ich mag's nicht, wenn's dir
schlecht geht.«

»Danke«, rief er durch die geschlossene Tür und legte die Kette wieder

vor.

Dann lief er ins Schlafzimmer, um seinen Dämon zu begrüßen.

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4



Obwohl Shirley schon längst gegangen war, schloss Elliot die Tür hinter
sich, als er sein Schlafzimmer betrat.

Der Dämon war neben dem Bett erschienen und hatte dabei eine

Nachttischlampe umgeworfen.

»Wer ist da draußen?«, fragte er Elliot mit seiner tiefen Grabesstimme,

welche jedoch noch aus dem Mund der Frau kam, die er für den heutigen
Abendmord kreiert hatte. Wenn er bei Elliot war, bemühte sich der
Dämon selten um Perfektion.

»Nur Shirley von unten«, sagte Elliot leichthin. »Sie benimmt sich wie

ein Hund mit seinem Knochen. Nur weil wir am selben Tag Geburtstag
haben, glaubt sie, das würde etwas bedeuten und gäbe ihr das Recht,
unangemeldet bei mir reinzuschneien und mich zu belästigen.« Er
schüttelte den Kopf, als ob diese Bewegung Shirley ihre absurden
Gedanken austreiben könnte. Dann ging er um das Bett herum und stellte
die Lampe wieder an ihren Platz. »Wie lief's denn so heute Abend?«

»Ich war erfolgreich.«
Elliot trat hinter den Dämon, der noch immer aussah wie die Ansagerin

der Morgennachrichten, obwohl seine, nein, ihre Hände bereits wieder
ein schaufeiförmiges Aussehen annahmen. »Ach ja? Ich meine, das wird
doch jetzt nicht ewig so weitergehen, oder doch?«

»Nein, Elliot«, sagte der Dämon. »Wenn der Kreis komplett ist, ist das

Ritual beendet. Es ist fast so weit. Meine Kräfte werden sehr bald
vollständig wiederhergestellt sein. Ich kann schon spüren, wenn sie mit
meiner Erscheinung nicht hundert Prozent einverstanden sind und das
Ganze nach ihren Vorstellungen korrigieren. Wenn ich unter ihnen
weile, kann ich ihre Wünsche erspüren. Sie sehen mich an, und sie
sehen, was sie sehen wollen. Ich werde zu dem, was sie sich herbei-
sehnen, und deshalb werden sie zu meiner natürlichen Beute, obwohl ich
mir dazu nur ein bisschen von deiner Substanz ausgeliehen habe. Stell
dir erst mal meine Macht vor, wenn sie nicht mehr länger derart
geschwächt ist, wenn ich wieder vollständig aufgeladen bin.«

»Weißt du, die Sache mit der ausgeliehenen Substanz ist mir noch

nicht ganz klar.«

»Das ist sehr einfach. Bevor wir unseren Pakt, unser Bündnis

geschlossen hatten, war ich nichts weiter als ein losgelöster Geist,

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tobende Gedanken ohne Form. Wann immer ich mich aber auf dieser
Ebene manifestieren will«, sagte der Dämon und breitete seine Arme
aus, die wieder wie unförmiger Ton aussahen, »bediene ich mich deiner
Körperlichkeit, genauer gesagt, ich leihe mir Substanz von dir aus.«

»Und dann überfallen mich diese Kopfschmerzen?«, fragte Elliot.

»Und diese Übelkeit?«

Der Dämon nickte. »Der zeitweilige Verlust eines Teils deiner

Substanz belastet deinen sterblichen Körper. Und deshalb empfindest du
Erleichterung, wenn ich verschwinde und deine geborgte Materie nicht
mehr brauche.«

Elliot sah auf seine fehlenden Fingernägel. »Und keine permanenten ...

Nebenwirkungen?«

»Jede Unannehmlichkeit oder... Abweichung, die du bei dir feststellen

könntest, wird nicht von Dauer sein.«

»Okay. Du leihst dir also Substanz von mir aus und gibst sie mir

wieder, wenn du verschwindest. Aber was passiert mit den Körpern, die
du dir einverleibst, die du absorbierst oder was auch immer?«

»Jede Absorption vergrößert meine magischen Kräfte und versetzt

mich in die Lage, meine physische Form immer länger
aufrechtzuerhalten. Wenn das Ritual abgeschlossen ist, werde ich meine
neue Physis auf dieser Ebene behalten können. Ich werde dann meinen
eigenen Körper besitzen – muss nichts mehr leihen –, einen permanenten
und machtvollen Körper, mächtiger als mein vorheriger je war.«

»Gut, das passiert also, wenn wir den Kreis geschlossen haben, aber

wo lagerst du in der Zwischenzeit die ganze Substanz, die du absorbiert
hast? In irgendeinem mystischen Kühlhaus, oder was?«

»Der Mechanismus des Kreises entzieht sich deinem Verständnis,

Elliot. Nur so viel: Die Substanz meiner Opfer wird gebunden durch
meine Magie, bis der Kreis – wie sagt man bei euch – seine kritische
Masse erreicht hat.«

Elliot überkam ein ungewohntes Gefühl des Bedauerns. »Und deshalb

brauchst du so viele Opfer?«

»Ihr Menschen seid schwache, sterbliche Kreaturen. Ist es da ein

Wunder, dass ich die Substanz so vieler von euch benötige, um für mich
eine neue Hülle zu kreieren? Alle Zeichen sind erforderlich, um den
rituellen Kreis zu schließen.«

Elliot wusste, es war sinnlos, weiter in ihn zu dringen. Der Dämon

starrte ihn an, und Elliot fragte sich nicht zum ersten Mal, ob dieser seine
Gedanken lesen oder seine Zweifel spüren konnte.

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»Um dir zu beweisen, dass die Zeremonie Fortschritte macht, Elliot«,

sagte der Dämon, »kann ich die Person, die du am meisten begehrst,
erspüren und dann ihre Form annehmen, damit du –«

»Nein, das ist widerlich«, sagte Elliot und befürchtete im gleichen

Moment, den Dämon womöglich beleidigt zu haben. »Ich meine, wo ist
der Witz? Ich weiß doch, dass es ein Trugbild ist. Insofern, nein danke,
ich warte lieber auf was Reales.«

Noch widerlicher als diese Vorstellung war die abstoßende

Erscheinung des Dämons in seinen Ruhephasen. Elliot fand, er sah aus
wie eine Wachsfigur, die zu nahe bei einem offenen Feuer gestanden
hatte. Seine Augäpfel tropften über seine Wangen wie grauer Matsch,
und die Nase verschmolz geradezu mit den grausam verzerrten Lippen.
Normalerweise hatte der Dämon seine Rückverwandlung in eine
farblose, vage menschliche Form abgeschlossen, wenn er in Elliots
Apartment zurückkehrte und ersparte ihm damit die widerwärtige
Wandlung vom Menschen zum nackten Grauen. Glücklicherweise sagte
der Dämon nun: »Ich werde mich jetzt ausruhen.«

Schönheitsschlaf, dachte Elliot. Nach jeder Absorption musste der

Dämon die Materie und Kraft seines letzten Opfers auf magische Weise
verarbeiten. Und jedes Mal war seine äußere Erscheinung danach ein
bisschen ausgeprägter. Vor seinen ersten Morden war seine wächserne
amorphe Hülle ständig in Bewegung gewesen, seine Physiognomie hatte
sich geformt, war wieder zerronnen, um sich erneut zu verfestigen. Jetzt
war seine Erscheinung zwar immer noch sehr grob, blieb aber zumindest
konstant. Im Grunde war dieser Körper nicht wirklich ein Körper, eher
ein Gehäuse für die Substanz, die sich der Dämon von Elliot lieh.
»Angenehme Träume, Großer«, rief Elliot ihm zu und drehte sich wieder
zu seinem Computer um.

Ein Luftzug wirbelte durch den Raum und fegte einige Papiere vom

Schreibtisch. In Zeitraffergeschwindigkeit zog sich der Körper des
Dämons zusammen, dann verschwand er mit einem lauten »Plopp« aus
dem Hier und Jetzt.

Elliot fühlte, wie der Kopfschmerz nachließ, doch im Zimmer roch es

nach Ozon und etwas Saurem, ein Gestank, den er immer mit dem
Dämon in Verbindung bringen würde. Halte noch ein bisschen durch,
beschwor er sich. Dann hast du alles, was du dir wünschst, alles, was der
Dämon dir versprochen hat, dachte er.

Kurz nachdem die Polizei und Detective Kate Lockley vom LADP in der
2707 Flair Avenue in West Hollywood eingetroffen waren, fand sich
auch Angel am Tatort ein.

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Normalerweise war es in dieser gehobenen Wohngegend am Abend

ruhig und friedlich. Nicht so heute Nacht. Angel zählte drei
Streifenwagen mit quäkendem Funk, flackernde rot-blaue Polizeilichter
zerrissen die Dunkelheit, ein Krankenwagen stand in der Auffahrt direkt
neben dem Auto des Leichenbeschauers. Der Kleinbus eines lokalen TV-
Boulevardmagazins parkte auf der anderen Straßenseite, davor wartete
der Ü-Wagen eines Nachrichtensenders mit voll ausgefahrener Schüssel.
Eine Reporterin stand im grellen Scheinwerfer-licht, als ob sie jeden
Moment einen Live-Bericht in die Kamera sprechen wollte.

Auf der Straße hatte sich eine kleine Menschenmenge angesammelt,

und die Anwohner standen erwartungsvoll vor ihren Haustüren.

Angel parkte sein Cabrio in diskretem Abstand zu den offiziellen

Fahrzeugen. Ein kleines Schild, das an einer der altmodischen
Straßenlaternen hing, wies das Gebäude in der 2707 Flair Avenue als
Coast View Apartments aus. Falls jemand auf das Dach des
dreigeschossigen Baus klettern würde, hätte er an einem klaren Tag
eventuell die Chance, einen Blick auf die Gestade des Pazifiks zu
erhaschen. Streng genommen handelte es sich bei dem Namen also nicht
um irreführende Werbung, wenngleich ...

Als Angel näher kam, entdeckte er Kate, die sich gerade mit zwei

Rettungssanitätern unterhielt, eine ernsthaft wirkende junge Schwarze
und ein schlaksiger Weißer, der aussah, als ob er diesen Job schon ein
paar Jahre zu lange machte. Auch ohne seine vampirgeschärften Sinne
konnte Angel einen Teil des Gesprächs mithören. Gerade sagte Kate:
»Die verdammte Leiche wird nicht angerührt, bis ich es sage,
verstanden?« Die Sanitäter nickten energisch.

Ein junger Streifenpolizist trat Angel in den Weg und packte ihn am

Oberarm. »Wohnen Sie hier, Kumpel?« Angel schüttelte den Kopf.

»Dann gehen Sie weiter; hier gibt's nichts zu sehen.« In diesem

Moment sah Kate zu ihnen hinüber. »Lassen Sie ihn durch, Tompkins.
Aber halten sie die Presse von dem Gebäude fern. Ich will nicht, dass die
mit irgendjemandem sprechen, bis wir hier fertig sind.«

Als die Sanitäter wieder zu ihrem Rettungswagen gingen, kam Kate zu

Angel hinüber. »Na, den Polizeifunk abgehört?« Kate stammte aus einer
Cop-Familie und kompensierte ihr gutes Aussehen, ihre blonden Haare
und die blauen Augen, mit einem stets kühlen, sachlichen Auftreten.

»In der Regel nicht, und heute Abend schon gar nicht.«
»Du hast in dieser Gegend normalerweise nichts verloren, Angel. Und

dies ist ein Tatort, also, wer hat dir davon erzählt?«

»Sagen wir, ich hab einen anonymen Hinweis erhalten.« Von den

Mächten der Ewigkeit..., sinnierte er.

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»Warum bist du hier?«
»Um zu helfen.«
»Wieso glaubst du, dass wir deine Hilfe brauchen?«
»Ich hab keine Ahnung, was hier passiert ist.« In seiner Vision hatte

Doyle die leere Hauthülle eines Opfers gesehen, das Schild mit dem
Namen des Apartment-Hauses und ein Wesen, dem Tentakel oder
Ähnliches aus dem Körper und dem Mund wuchsen. Angel beugte sich
zu ihr hinüber und flüsterte: »Aber welcher Killer lässt nichts außer der
Haut seiner Opfer zurück?«

»Woher weißt du ...? Wir haben nie eine offizielle –«
»Also ist es nicht der erste Mord dieser Art?«
»Nein«, sagte sie leise. »Was weißt du noch?«
»Lass mich erst den Tatort sehen«, gab Angel zurück.
»Kommt gar nicht in Frage.«
Angel zuckte mit den Schultern, drehte sich um und ging zu seinem

Wagen zurück. »Gut, dann findet's eben selbst raus.«

»Warte«, rief sie. »Ich führe dich hin. Und danach sagst du mir alles,

was du weißt.«

»Alles«, sagte Angel. Leider jedoch hatte er ihr schon alles gesagt, was

er wusste. Doch er hatte den Fuß praktisch schon in der Tür, und er hatte
nicht die Absicht, sich diese Gelegenheit entgehen zu lassen.

Kate führte ihn hinauf zum Apartment 300B. Im Hausflur hatten die

Polizisten alle Hände voll zu tun, die anderen Bewohner zu bitten, in ihre
Wohnungen zurückzukehren, bis die Detectives ihre Aussagen
aufnehmen würden. Im Eingang von Apartment 300A unterhielt sich ein
Streifenpolizist mit einer jungen blonden Frau. Auf dem Treppenabsatz
neben der Tür von Wohnung 300B stand eine ältere Dame in einem
Bademantel, ihr Gesicht war leichenblass, und ihre Hände zitterten. Zwei
weitere Polizisten warteten mit ihr.

»Das ist Lois Laulicht«, informierte Kate Angel. »Die Vermieterin.

Hat die Leiche gefunden. Sagte aus, dass die Tür offen gestanden hätte.
Da ist sie reingegangen, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist.
Bekanntlich war es das nicht.« Kate machte eine Kopfbewegung in
Richtung der jungen Frau. »Das ist die Nachbarin des Opfers, Patricia
McGonigle. Hörte die Vermieterin schreien und traf sie dann neben dem
Opfer kniend an. Rief die Polizei.«

Kate blieb vor der Tür von Apartment 300B stehen und sagte: »Hände

in die Taschen, Angel. Schau dich um, aber fass nichts an. Die
Spurensicherung ist noch hier.«

Angel nickte, und sie geleitete ihn in den großen Wohnraum.

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Ein Mann von der Spurensicherung nahm gerade Fingerabdrücke von

zwei Weingläsern und einer Flasche ab. Zwei andere maßen das
Apartment aus, während ein vierter Nahaufnahmen vom Sofa machte
und sich nach jedem Foto etwas notierte.

Angel roch das Blut, noch bevor er die feinen hellroten Tropfen an der

Rückenlehne der Couch entdeckte. Er drehte sich um und betrachtete die
Wand, die ebenfalls Blutspritzer aufwies. Hier sollte eigentlich mehr
Blut sein, dachte er. Viel mehr Blut.

Die Sicht auf die Leiche wurde ihm von einem großen hageren Mann

in einem schwarzgrauen Nadelstreifenanzug versperrt. In der einen Hand
trug er eine kleine schwarze Tasche, mit der anderen rieb er sich über die
grauen Stoppeln an seinem Kinn. Kopfschüttelnd ging er schließlich
davon und gab damit den Zugang zur Leiche frei.

Oder was noch von ihr übrig war.
»Sterbliche Überreste« schien Angel ein angemessener Ausdruck dafür

zu sein.

»Unser letztes Opfer«, kommentierte Kate. »Wir vermuten, es handelt

sich um den Mieter dieser Wohnung, Greg Schauer, vierunddreißig Jahre
alt. Allein stehend, keine Mitbewohner, Angestellter im Blue Fountain
Hotel
in Beverly Hills, soll angeblich in ein oder zwei Bier-Werbespots
mitgewirkt haben.«

»Ihr glaubt, dass es sich um ihn handelt?«
»Na ja, viel ist ja nicht mehr von ihm übrig, an dem man ihn

identifizieren könnte. Kein Gesicht, keine Zähne, die man mit ärztlichen
Unterlagen abgleichen könnte. Es sollte möglich sein, Fingerabdrücke
von der... Haut zu nehmen, aber wenn er nie in Haft gesessen oder
Militärdienst abgeleistet hat, gibt es keinerlei Dokumente, mit denen
man sie abgleichen könnte. Natürlich können wir die Fingerabdrücke mit
denen vergleichen, die wir hier in der Wohnung finden, vielleicht sogar
eine DNA-Analyse hinkriegen. Wir wissen nämlich, dass dies hier die
Kleidung von Mr. Schauer ist – das hat jedenfalls seine Vermieterin
bestätigt.«

Angel bückte sich neben der Leiche, besser gesagt der Haut von Greg

Schauer. Eine Menge Haar hing an dem Skalp. »Vierunddreißig?«

Kate blickte auf ihr Notizbuch. »Ja, so steht es hier. Natürlich leben

wir in L.A., da lügt ja jeder, wenn's ums Alter geht. Warum fragst du?«

»Ziemlich viele graue Haare für einen Mittdreißiger.«
»Dazu hat die Vermieterin auch was gesagt«, erwiderte Kate. »Sie

meinte, das wellige braune Haar sähe ganz nach Greg aus, aber die
grauen Strähnen wären definitiv neu.«

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»Natürlich, was immer ihm dies angetan hat, hätte sein Haar auf einen

Schlag ergrauen lassen können.«

»Was immer?«, fragte Kate. »Du meinst wohl ›wer immer‹ ?«
»Was immer«, beharrte Angel.
Er starrte auf die transparente Epidermis, die aus dem Hemdkragen

und den Hosenschlägen ragte, und dann bemerkte er noch etwas anderes:
ein weißes Pulver, feinkörniger als Sand, das fast im Flor des
Teppichbodens versank. »Was wisst ihr über dieses ... Pulver?«

Sie zuckte die Achseln. »Erst haben wir an Drogen gedacht. Immer ein

möglicher Grund für Mord. Wir haben dann die Proben von den anderen
Tatorten analysieren lassen.«

»Keine Drogen«, schlussfolgerte Angel. »Sondern menschliche

Knochen, nicht wahr?«

»Wir haben die Details bisher vor der Presse geheim halten können.

Bisher wissen sie nur, dass es sich um eine Serie von nicht miteinander
in Zusammenhang stehenden Morden handelt. Aber früher oder später
kriegen sie's raus. Und den Zirkus, der dann losgeht, mag ich mir gar
nicht vorstellen.«

»Können wir irgendwo reden?«
»Haben wir denn was miteinander zu bereden?«
Angel nickte knapp.
»Ich brauche hier noch ein paar Stunden, um die Hausbesitzerin und

die Mieter zu befragen.«

»Und danach?«
Sie schrieb ihm eine Adresse auf die Rückseite ihrer Visitenkarte.

»Triff mich dort in zwei Stunden. Dann hast du genau fünfzehn
Minuten.«

Als Angel den Coast View Apartmentkomplex wieder verließ, trafen
zwei weitere Presseteams am Tatort ein.

Er beneidete Kate nicht um die Aufgabe, die Details der Morde vor der

Öffentlichkeit geheim halten zu wollen. Zu viele Leute hatten die Opfer
gesehen. Irgendjemand würde reden. Nicht dass es etwas ausmachen
würde, wahrscheinlich würde ihnen sowieso niemand glauben. Und
obwohl die klassische Polizeiarbeit gebot, gewisse Details der Presse zu
verschweigen, um den wahren Täter aus dem Pool der irregeleiteten
Spinner zu fischen, die alle vorgaben, diese Taten begangen zu haben,
würde diese Methode ihnen hier nicht helfen.

Es war schlichtweg ein Unding, dass ein Mensch einen anderen quasi

aushöhlen konnte und nichts zurückließ außer seiner Haut. Haut, die
aussah wie ein fortgeworfenes Bonbonpapier; Haut, die immer noch in

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den Sachen steckte, die der Mensch getragen hatte und die mit pulveri-
sierten Knochen angefüllt war.

Doch wenn Angel hoffte, diesen Fall mit Kates Hilfe lösen zu können,

so musste er ihr eine plausible Erklärung für das alles liefern, etwas, das
ihr und ihren Vorgesetzten logisch erschien.

Er saß in einer der Ecknischen von Shea's Tavern und tippte unruhig

mit Kates Visitenkarte auf den Mahagonitisch, vor ihm stand ein
unberührtes Glas Kilian's Red. Er hatte etwas bestellen müssen, und
Shea 's waren gerade die Null-Rhesus-Positiv-Drinks ausgegangen.

Kate kam herein und sah ziemlich erschöpft aus. Sie begrüßte den

Mann hinter der Theke und setzte sich dann neben Angel in die Nische.
»Was hab ich doch für ein Glück«, sagte sie. »Ich darf den ersten
›Epidermis-Mordfall‹ der Kriminalgeschichte bearbeiten. Als Nächstes
werde ich wohl die Irish Sweepstakes gewinnen.«

»Irgendwas Neues?«
»Nur Vermutungen«, sagte sie. »Vielleicht ein Serienmörder, eine

Gang oder eine Sekte, die sich mit rituellen Tötungen oder
Kannibalismus beschäftigt. Vielleicht ein Organhändler-Ring.«

»Gab es irgendeine Verbindung oder Gemeinsamkeit zwischen den

Opfern?«

»Alle, bis auf eine Frau, waren Singles. Wir vermuten, dass sie ihren

Mann betrogen hat. Also, was denkst du über Mr. Schauers Ableben?«

»Kein gewaltsames Eindringen«, sagte Angel. »Zwei Weingläser,

Musik. Kurz, er hatte Besuch.«

»Wahrscheinlich, und weiter?«
»Was ... wer immer ihn getötet hat, war schnell.«
»Wie kommst du darauf?«
»Keine Kampfspuren. Keine zerbrochenen Gläser. Der Mann wurde

direkt dort, wo er saß, umgebracht, wahrscheinlich bevor er überhaupt
wusste, wie ihm geschah.«

»Okay.«
»Er hat den Killer in seine Wohnung gelassen«, fuhr Angel fort.

»Freiwillig. Also, wer immer ihn getötet hat, war jemand, den Schauer
kannte oder dem er zumindest vertraute.«

Kate nickte. »Aber nachdem die Opfer sich offensichtlich nicht

gekannt haben, müssen wir von verschiedenen Tätern ausgehen.«

»Du hast mir nicht alles erzählt, oder? Ich meine, es hat was mit dem

Aussehen des Täters zu tun, richtig?«

Sie zeigte auf seinen Cocktail. »Trinkst du den nicht?«
Er schüttelte den Kopf und bedeutete ihr, sich zu bedienen. Sie nahm

einen Schluck. »Einige der Morde fanden ganz in der Nähe der Orte

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statt, wo der Killer seine Opfer getroffen hat. Öffentliche Orte wie Bars,
Clubs, Cafes und so. Wir haben Zeugen aufgetrieben, die beobachtet
haben, wie die Opfer die Etablissements in Begleitung ihrer Mörder
verlassen haben.«

»Ihr geht von mehreren Tätern aus?«
»Es gab jedes Mal ein Opfer und einen Täter. Aber es war nie derselbe

Täter.« Sie nahm einen weiteren Schluck und nickte. »Deshalb vermuten
wir auch, dass eine Bande oder Sekte hinter den Morden steckt. Mehrere
Opfer – gleicher Tathergang.«

Angel vermutete, dass sie es mit dem Werk eines einzigen Dämons zu

tun hatten, was ihn zu seiner nächsten Frage veranlasste. »Die
Augenzeugen haben also verschiedene Täterbeschreibungen geliefert?«

»So ist es«, sagte Kate und sah ihn neugierig an. »Aber das sagte ich ja

bereits.«

»Du sagtest, es gab einen Täter an jedem Tatort«, führte Angel aus.

»Ich glaube aber, die Augenzeugen haben verschiedene Beschreibungen
ein und desselben Täters geliefert.«

»Vermutlich weißt du«, warf Kate ein, »dass Augenzeugenberichte

grundsätzlich sehr unzuverlässig sind. Stress, Panik, voreilig gemachte
Aussagen, um Erinnerungslücken zu füllen ...« Sie hielt inne. Trotz ihrer
Vorbehalte gegenüber Zeugenaussagen schien Kate plötzlich
verunsichert.

»Die Opfer waren sowohl männlich als auch weiblich?«
»Das vermutest du nur, oder?«, fragte sie.
»Aber ich habe Recht.«
Sie seufzte schwer. »Ja. Die Berichte der Zeugen sind alle total

chaotisch und unbrauchbar. Mal war der Täter klein, dann wieder sehr
groß. Es wurden alle möglichen Haarfarben, Outfits, ja, sogar beide
Geschlechter zu Protokoll gegeben. Als ob irgendeine Massenhysterie,
Gruppenhypnose oder geistige Verwirrung mit im Spiel wäre.« Sie
schüttelte ratlos den Kopf.

»Geistige Verwirrung?«, fragte Angel lächelnd.
»Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass die Zeugen unter dem

Einfluss bewusstseinsverändernder Drogen gestanden haben, insofern
klammere ich mich an jeden Strohhalm, ja«, gestand Kate. »Es ist, als ob
sich die Zeugen irgendwie gegen uns verschworen hätten, um die Ermitt-
lungen zu behindern ... Moment mal, daran haben wir ja noch gar nicht
gedacht...«

»Kate«, sagte Angel düster. »Ihr jagt ein Monster.«
»Ein Monster?« Sie hob eine Augenbraue.

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»Ein menschliches Monster«, fügte er hinzu. »Ein Monster, wie ihr

ihm noch nie im Leben begegnet seid. Ich will euch dabei helfen, es –
oder sie – zu finden.«

»Nochmal: Warum glaubst du, dass wir dabei deine Hilfe benötigen?«
»Seid ihr bei eurer Tätersuche auch nur einen Schritt weitergekom-

men?«

Kate räusperte sich und senkte den Blick. Das war Antwort genug. Er

fuhr fort: »Ich möchte diesen Typen ebenso aufhalten wie ihr, aber ich
habe meine eigenen Methoden, andere Methoden.«

»Illegale Methoden?«
»Nicht unbedingt. Meine Kontaktpersonen reden nicht mit der Polizei,

aber sie reden mit mir.«

Kate grinste gequält. »Nach einer freundlichen, aber nachdrücklichen

Aufforderung, wie ich vermute?«

»Hat bis jetzt noch immer funktioniert.«
»Was genau hast du vor?«
»Ich brauche Einsicht in die Akten.«
Kate seufzte und schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir Leid, Angel.

Nicht in diesem Fall.« Sie schlüpfte aus der Sitznische und verließ die
Bar, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Angel zerknüllte ihre Karte in seiner Hand. »Verdammt!«


Am nächsten Morgen saß Cordelia vor zwei aufgeschlagenen Computer-
Ratgebern und schüttelte den Kopf, während Doyle, der vor ihrem
Schreibtisch saß, sie erwartungsvoll anstarrte. »Was ist denn jetzt schon
wieder los?«, fragte er mit einem leicht sarkastischen Ausdruck in
seinem kantigen Gesicht.

»Ich dachte immer, Java ist 'ne Kaffee-Sorte?«
»Das war's also mit unserem Webprojekt, oder?«
Cordelia sah ihn stirnrunzelnd an. »Auf keinen Fall. Wir haben hier die

Chance, mit Millionen von Internetbenutzern da draußen, die allesamt
förmlich vor ihren Rechnern kleben, in Kontakt zu treten.«

»Millionen kontaktscheuer Internetbenutzer«, bemerkte Doyle

kopfschüttelnd. »Ich werde das nie kapieren. Nenn mich ruhig
altmodisch, aber ich brauche bei der Kommunikation ein Gesicht und
keinen seelenlosen Klumpen aus Plastik und Glas.«

»Willkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert, du Neandertaler.«
»Wenn schon, dann >Kobold<, bitte«, sagte Doyle. »Nicht dass ich

diese Beleidigung vorziehe, aber...«

In diesem Moment stürmte Kate ins Büro; sie sah irgendwie

beunruhigt, um nicht zu sagen verwirrt aus. Sie trug eine Kiste mit

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Hängeordnern unter dem Arm und kam auch gleich zur Sache. »Ist er
da?«

»Guten Morgen, Kate«, sagte Cordelia mit ihrem zauberhaftesten und

falschesten Lächeln.

»Ob das ein guter Morgen ist, ist sicherlich Ansichtssache«, gab Kate

zurück. »Also, ist er hier?«

Cordelia deutete in Richtung der geschlossenen Bürotür. »Betreten auf

eigene Gefahr.«

»Ja ja ...« Ohne anzuklopfen betrat Kate Angels Büro.
»Was hat sie nur?«, fragte Doyle Cordelia.
»Zu wenig Schlaf, so viel ist sicher.«
Überrascht sah Angel von der L.A. Times auf, die er nach weiteren

Informationen zu den bizarren Morden durchgeblättert hatte, als Kate
sein Büro betrat.

Noch ehe er sich erheben und sie begrüßen konnte, stellte die Polizistin

die Kiste mit den Aktenordner geräuschvoll auf seinem Tisch ab. »Das
sind Kopien«, erklärte sie, »und ich will sie wiederhaben. Vollständig.
Lass es mich nicht bereuen, Angel.«

»Das wirst du nicht.«
»Ich hab noch eine Sache vergessen zu erwähnen, ich meine den

Grund, warum wir an eine Sekte oder einen Kult glauben: Eine der
Leichen ist vom Tatort verschwunden.« Sie hob eine Hand, um die nahe
liegende Frage abzuwürgen. »Wir haben in einer Gasse einen Haufen
Klamotten gefunden, auch persönliche Gegenstände des Opfers und
diesen ... weißen Knochenstaub, doch nur ein paar Fetzen zerrissener
Haut. Gott weiß, was für ein kranker Geist diese traurigen Überreste
haben wollte.«

»Haben wollte oder haben musste, das ist hier die Frage.«













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5



Vorjahren hatte ein Erdbeben das Dach der Trinity United-
Methodistenkirche zum Einsturz gebracht, woraufhin die ganze
Gemeinde gesammelt und es wieder instand gesetzt hatte.

Drei Jahre später hatte ein Feuer das Gotteshaus heimgesucht und die

Bausubstanz so schwer beschädigt, dass die Behörden das Gebäude auf
die Abrissliste setzen mussten. Seither hofften die Gemeindemitglieder,
ihre Kirche an alter Stelle wieder errichten zu können. Doch die Ruine
wartete vergeblich auf ihren Abriss, was den Enthusiasmus der
Gläubigen mit der Zeit erheblich gedämpft hatte.

Und so boten sich dem Besucher vier marode Außenmauern, die

Andeutung eines Daches und mit Sperrholz vernagelte,
graffitiverschmierte Fensterhöhlen – das kostbare Bleiglas, das nicht
vom Feuer zerstört worden war, hatte man bereits vor langer Zeit in
Sicherheit gebracht. Die Bankreihen präsentierten sich in den
verschiedensten Stadien der Beschädigung durch Wasser oder Feuer,
aber sie waren noch immer mit dem morschen Boden verbunden. Die
verkohlte Kanzel und der nicht minder verwüstete Altarraum überragten
die wackligen Kommunionsbänke.

Für diejenigen, die einen Sinn für Ironie besaßen, was auf die

Bruderschaft von Vishrak durchaus zutraf, war dies also der ideale Ort,
einen Bund mit einem Dämon einzugehen.

Vincent 74 hatte volles weißes Haar, ein wettergegerbtes Gesicht und

einen gepflegten, grau gesprenkelten Bart. Wie alle Anwesenden trug
auch er ein schwarzes bodenlanges Kapuzengewand mit blutroten
Paspeln. Die Farbe Schwarz symbolisierte ihre Existenz im Schatten. Bis
zu jenem glorreichen Tag, an dem es den Brüdern gelingen würde, einen
Vishrak-Dämon an sich zu binden, war es ihnen untersagt, die rote
Innenseite ihrer Gewänder nach außen zu tragen. An dem Tag, an dem
sie den Dämon jedoch erst einmal unter ihre Kontrolle brachten, würden
sie aus den Schatten treten und ihre absolute Herrschaft antreten.

Oberbruder Vincent hatte hier das Sagen, bis der Omni aus San

Francisco eintraf. Jener war der älteste noch lebende Bruder; er hatte
schon am Blut-Ritual von 1939 teilgenommen, wenn man den Gerüchten
glauben durfte. Doch auch ungeachtet seines Alters war der Omni der
uneingeschränkte Führer der Bruderschaft – allein kraft seines Amtes.

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Während Vincent gespannt im Mittelschiff der Kirche wartete, hatten

sich die anderen um den Altar versammelt und unterhielten sich mit
gedämpften Stimmen. »Altar« klang eindrucksvoller als
»zusammenklappbarer Esstisch«. Die Bruderschaft von Vishrak musste
mobil sein, und wenn die Beine des Tischs eingeklappt waren, passte er
wunderbar in den Kombi von Willem 94.

Die drei Dutzend schwarzen Kerzen im Altarraum verbreiteten eine

solche Hitze, dass sich alle Brüder die Kapuzen vom Kopf gezogen
hatten. Alle außer Dora 99, ihrem jüngsten Mitglied, die einzige
Schwester in der Bruderschaft. In ihrem Kreis gab es keine schriftlich
festgehaltenen Regeln oder Vorschriften, lediglich jahrzehntealte Tra-
ditionen, und da Dora sich als sehr generös erwiesen hatte, wurde sie
nach einer öffentlichen Abstimmung in die Bruderschaft aufgenommen.
Meistens behielt Dora ihre Kapuze auf, um unter all den Männern nicht
unnötig aufzufallen, doch heute war es genau andersherum – die Kapuze
verschaffte ihr unerwünschte Aufmerksamkeit.

Als sie bemerkte, dass Vincents Blick auf ihr ruhte, verließ sie die

anderen und trat auf ihn zu. »Ich habe noch nie einen Omni gesehen«,
erklärte sie aufgeregt und legte ihm eine Hand auf den Arm.

»Hab Geduld«, sagte er und schob ihre Hand beiseite. Er vermutete,

sie war darauf aus, sich ein bisschen beim mächtigsten Mitglied ihres
Zirkels einzuschmeicheln. »Du wirst heute Abend Zeugin von Wundern
werden.« Er drehte sich um und ging den Mittelgang entlang, um wieder
allein zu sein. Dora machte Anstalten, ihm nachzukommen, schrie dann
aber erschrocken auf, als eine schnuppernde Rattenschnauze hinter einer
der zersplitterten Holzbänke hervorlugte.

Die Nager schienen immer zahlreicher zu werden, besonders im

Altarraum und Mittelgang, und vermutlich lag das daran, dass die Brüder
hier in den letzten Tagen eine Menge Fastfood-Abfall auf den Boden
geworfen hatten. Albert 97, der Ratten hasste, hatte aus diesem Grund
heute Abend einen Baseballschläger mitgebracht. Gelegentlich war ein
lautes »Twock« in der Nähe der Kanzel zu hören, gefolgt von einem
frustrierten Fluch. Es war eine Frage der Geschwindigkeit, und es schien,
dass die Ratten es im wahrsten Sinne des Wortes spielend mit Alberts
sportlichen Fähigkeiten aufnahmen.

Vincent stand allein im Westflügel, dessen Wände mit Spinnenweben

überzogen waren. Nach mehr als einem Vierteljahrhundert
hingebungsvoller Arbeit für die Bruderschaft von Vishrak würde er
heute zum ersten Mal miterleben, wie ein Omni das Ritual der
Wiederherstellung vollzog.

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Vincent atmete tief durch, als eine hellgraue BMW-Limousine auf den

unkrautüberwucherten Parkplatz bog.

Ein glatzköpfiger Mann in einem schwarzen Anzug stieg aus; er trug

ein schwarzes Gewand über dem Arm. Vincent stieß das schief in den
Angeln hängende Portal ein Stück weit auf, während der Mann auf ihn
zukam.

»Ah, Vincent, lange nicht gesehen«, begrüßte ihn der Omni, als er die

verfallene Kirche betrat. Obwohl es den Brüdern verboten war, über
Persönliches zu reden oder zu spekulieren, hatte Vincent das Gerücht
aufgeschnappt, dass der Omni an einer sehr erfolgreichen
Anwaltskanzlei beteiligt sein sollte.

»Fast drei Jahre ist es her.«
»Und nun ist es endlich so weit.«
»Wir haben Eurer Ankunft geduldig entgegengesehen, Omni.«
Twock! »Diese verdammten Ratten«, gellte plötzlich Alberts Stimme

durch die Kirche.

»Mir scheint, einige geduldiger als andere«, erwiderte der Omni

stirnrunzelnd. »Halte das mal«. Er reichte Vincent eine Holzkiste, die er
unter seinem zusammengefalteten Gewand verborgen hatte. Victor hätte
für sein Leben gern gewusst, was der Omni für die Zeremonie
mitgebracht hatte, doch er es hätte es nie gewagt, unerlaubt einen Blick
in die Kiste zu werfen. Stattdessen wartete er, bis der Ältere seinen
Umhang angelegt und die Kapuze hochgeschlagen hatte, sodass nur noch
sein blasses Gesicht zu sehen war -dunkle Augen, Adlernase, großer
Mund, schmale Lippen.

Obwohl der Omni den Eindruck eines Mannes um die sechzig

erweckte, wusste Vincent, dass er wenigstens zwanzig Jahre älter war.
Ein anderes Gerücht besagte, dass es jedem Omni, der das sechzigste
Lebensjahr erreicht hatte, erlaubt war, jährlich einen Tropfen Vishrak-
Blut zu trinken, was die Lebenserwartung um ein weiteres Jahr
verlängerte. Rein theoretisch konnte ein Omni auf diese Weise unsterb-
lich werden, vorausgesetzt ihm stand genügend Vishrak-Blut zur
Verfügung. Unsterblich, aber nicht unverletzbar. Die Tatsache, dass es
ausschließlich Omnis gestattet war, Vishrak-Blut zu sich zu nehmen,
sagte viel über ihre wichtige Stellung innerhalb der Bruderschaft aus:
Nur ein Omni verfügte über das Wissen und die magischen Fähigkeiten,
einen Vishrak-Dämon zu finden und zu unterwerfen. Der Rat wachte gut
über dieses Geheimnis und wählte einen neuen Omni erst, nachdem ein
anderer gestorben war.

»Lasst uns beginnen«, sagte der Omni. Mit ausholenden,

selbstsicheren Schritten durchmaß er den Mittelgang. Hier und da war

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der Untergrund aufgerissen, doch der Omni blickte nicht einmal zu
Boden, vermied mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit alle Löcher
und Stolperfallen, obwohl der Untergrund in völliger Dunkelheit dalag.

Als er Albert erreichte, wurde das ohnehin blasse Gesicht des

Rattenfängers noch bleicher.

»Wie heißt du?«, fragte ihn der Omni.
»Al... Albert 97, Omni«, stammelte Albert.
»Lass die Ratten in Ruhe, Albert 97!«
»Aber diese Ratten –«
Da legte der Omni einen Finger seiner linken Hand auf Alberts Wange,

und rote Energie zischte und knisterte, erzeugte kleine Blitze, die sich
auf Alberts Kopfhaut entluden. Der Bruder schrie und krümmte sich
wimmernd auf dem Boden zusammen wie ein Fötus.

»Stelle nie wieder meine Befehle in Frage.«
Dora 99 war neben Albert in die Hocke gegangen, um ihn zu trösten.
Der Omni starrte sie indigniert an. »Ihr habt eine Frau in eurem Zirkel

zugelassen?«

Vincent räusperte sich. »Sie hat den Brüdern – der Bruderschaft –

wiederholt ihre ... Ergebenheit bewiesen.«

Sofort fiel Dora vor dem Omni auf die Knie und presste ihre Lippen

auf seine Schuhspitzen. »Ich werde alles für die Bruderschaft tun, großer
Omni.«

Der Omni sah zu Vincent, der sich beeilte hinzuzufügen: »Dora 99 ist

absolut gehorsam und vertrauenswürdig.«

»Gut«, erwiderte der Omni. »Steh auf, Frau.« Sie erhob sich und sah

ihn unterwürfig an. »Weißt du, wie man Befehle befolgt?«

»Das tue ich, Omni«
»Dann geh aus dem Weg.«
»Omni...?«
»Die Zeremonie wurde noch nie in Anwesenheit einer Frau

durchgeführt, und ich werde kein Risiko eingehen, nun, da wir so kurz
vor unserem Ziel stehen.«

Enttäuscht wisperte Dora: »Ja, Omni«, und stellte sich neben Albert,

der noch immer würgte, sich dabei aber die Hand auf den Mund presste,
um nicht noch einmal den Unmut des Ältesten auf sich zu ziehen.

Der Omni schritt auf den Altar zu, und die Brüder stoben auseinander

wie eine Wolkendecke nach einem kurzen Gewitter. Auf dem Tisch
lagen die sterblichen Überreste von Ginger Marks alias L8Dvamp,
zuletzt gesehen bei CyberJoe's. Ihr ergrautes Haar war büschelweise
ausgefallen, doch die Haut war noch intakt, nur hier und da ein wenig

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zerknittert und faltig. »Deine Leute haben gute Arbeit geleistet, Vincent
74«, sagte der Omni. »Nun steht mir zur Seite.«

Vincent trat einen Schritt vor, und der Omni fuhr fort: »Wir vollziehen

die erforderliche Dreizehn.« Sie waren fünfzehn Personen, doch Dora
und Albert, die ein wenig abseits standen, waren von dem Ritual
ausgeschlossen. »Nehmt euch an den Händen, um den Kreis zu
schließen.«

Rund um die Hauthülle waren schwarze Kerzen aufgestellt, eine über

dem Kopf, sowie je eine bei den Händen und Füßen. »Kniet nieder«,
befahl der Omni, »und senkt eure Köpfe vor dem Zeichen.«

Die Brüder taten wie ihnen geheißen und richteten dann ihren Blick zu

Boden. All das war neu für sie und zugleich so erregend wie ein
verheißungsvolles Versprechen, das nun endlich eingelöst wurde.

Der Omni blickte auf. »Seht auf das reine, sichere Zeichen der

Erfüllung eurer Bestimmung. Seht auf die Pracht und die Kraft der
Vishrak. Als Zeugen dieses Tages werden wir unser Schicksal
beschwören – ihn, der auferstehen wird, um uns mit Kraft und
Herrlichkeit zu dienen, und wir werden herrschen immerdar. Dies sei
unser Schicksal.«

»Dies sei unser Schicksal«, intonierte die Gruppe.
Der Omni öffnete das lackierte Holzkistchen, entnahm eine weitere

schwarze Kerze und entzündete sie an einer der anderen, die um die
Hauthülle standen. Dann hielt er die brennende Kerze über die Brust des
Opfers genau an die Stelle, unter der früher einmal das Herz geschlagen
hatte.

Jetzt zog der Omni einen Zeremoniendolch aus seinem Umhang. Mit

den Worten: »Lasst uns dem Herzen Blut geben«, stach er sich mit der
Spitze in den Daumen und ließ dann einen Tropfen Blut auf die Haut von
Ginger Marks fallen. »Nun tut, was ich getan habe!«, sagte der Omni,
woraufhin jeder der zwölf Brüder seinen eigenen Dolch hervorzog und
seinem Beispiel folgte.

Als Nächstes nahm der Omni eine goldene Kugel von der Größe eines

Tennisballs aus der Kiste. Sie schien einen versteckten Mechanismus zu
besitzen, denn nun klappte sie in zwei gleich große Hälften auseinander,
die von winzigen Scharnieren gehalten wurden. Das Innere der Kugel
enthielt ein winziges Glasfläschchen mit Schraubverschluss. Ein Raunen
ging durch die Anwesenden. »Ruhe!«, zischte der Omni. »Seht das Blut
eines Vishrak, Jahrzehnte alt. Ich bin erst der dritte Omni, der es besitzt.«

Vorsichtig, sehr vorsichtig öffnete er die Viole. Sie fallen zu lassen

oder auch nur mehr als einen Tropfen zu verschwenden wäre das
schlimmste Sakrileg überhaupt. Der letzte Omni, dem dies passiert war,

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hatte sein Missgeschick mit dem Leben bezahlen müssen. Es war ihm
mit seinem eigenen Dolch, der ihm ins Herz gestoßen wurde, genommen
worden.

Der Omni presste die Kuppe seines rechten Zeigefingers auf den

Flaschenhals und schüttelte die Viole einmal kurz, sodass seine
Fingerspitze von dem Blut des Dämons lediglich benetzt wurde – Blut,
das eher schwarz denn rot erschien. Dann verschloss er das Gefäß wieder
und legte es zurück in die schützende Kugel.

Er präsentierte den Anwesenden seine feuchtglänzende Fingerkuppe

und fuhr mit dem Ritual fort. »Auf dass die Kraft und die Herrlichkeit
des Vishrak übergehen möge auf euch, berühre ich nun den Geist seines
Dieners.«

Seines unfreiwilligen Dieners, dachte Vincent, aber derartige

Spitzfindigkeiten spielten keine Rolle, wenn man es mit einem Dämon
zu tun hatte.

Sanft presste der Omni seinen Zeigefinger auf die Stirnhaut des

Opfers. »Ich berühre meinen Geist mit dem Blut«, sagte er und benetzte
seine eigene Stirn. Dann legte er den Finger auf seine Zunge und schloss
die Lider. Nur eine Sekunde später zog er den Finger wieder aus dem
Mund und riss die Augen auf – es war nurmehr das Weiße zu sehen.

Dann sprach der Omni wieder, doch seine Stimme war dunkler als je

zuvor und hallte grollend von den Wänden wider. »So wie das Blut der
Seinen zu mir gefunden hat, so wird mich nun der Name desjenigen
finden, der ohne Form ist. Und sein Name wird mich dazu befähigen,
ihm seine Form zu geben ...« Der Omni fiel auf die Knie, den Kopf
vornübergebeugt. Sein ganzer Körper begann zu zittern, und über seiner
dunklen Gestalt pulsierte ein schwachrotes Glühen, das aus seinen Poren
zu strömen schien.

Da plötzlich breitete er die Arme aus, warf den Kopf zurück und stieß

einen unmenschlich lauten Schrei aus: »Yunk'sh!«

»Yunk'sh.'«, riefen die zwölf Brüder der Vishrak wie aus einem

Munde.

Selbst Dora, die von der Zeremonie ausgeschlossen war, fühlte die

Kraft, die von diesem Namen ausging, und flüsterte ihn leise vor sich
hin.

Albert 97 indes setzte sein Gejammer fort. Und er weinte blutrote

Tränen.

Vincent hatte die Befürchtung, dass Albert von dem Omni in den

Wahnsinn getrieben worden war. Wenn das zutraf, war er für die
Bruderschaft nicht mehr von Nutzen. In diesem Fall würde Vincent die
Exekution des Mannes befehlen oder ihn selbst töten müssen. Alberts

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Körper würde dann im Keller der Kirche den Ratten zum Fraß vor-
geworfen werden – welch ironisches Ende eines doch so erfolgreichen
Abends.

In Elliots Schlafzimmer begann die Luft zu flackern, und die Wände
vibrierten.

Elliot ließ die Hacker-FAQ, die er gerade studierte, fallen und starrte

auf die Innenflächen seiner Hände. Mittel- und Zeigefinger seiner
Rechten waren zu einer grauen ledrigen Einheit verschmolzen. Blut
tropfte aus seiner Nase. »Was zum Teufel ...?«

Sein Dämon materialisierte sich gerade, doch es war anders als je

zuvor. Bisher war sein Körper stets schrittweise erschienen, und es war
schmerzhaft gewesen, das auszuhalten. Nichts hatte darauf hingedeutet,
nichts Elliot auf die Agonie vorbereitet, die ihn nun praktisch aus den
Latschen haute. Es war, als ob eine unsichtbare Kraft versuchte, ihm das
Rückgrat herauszureißen und seine Därme durch die Speiseröhre ans
Tageslicht zu zerren.

Elliot robbte zum Bett und suchte vergeblich nach dem Papierkorb.

Dann rappelte er sich wieder auf und dachte im gleichen Moment: Das
war ein Fehler! Der Raum schien wie auf einer seltsamen Achse zu
rotieren.

Der Dämon stand nun in voller Pracht am Fußende des Bettes, seine

wächserne, unfertige Form schwankte hin und her wie ein Betrunkener,
während er sich mit seinen Spaten-Händen immer wieder auf die
Wangen seines zerlaufenen Gesichts schlug.

Der offensichtliche Verlust seiner Selbstkontrolle beunruhigte Elliot

zutiefst.

Zu allem Überfluss entfuhr dem Dämon nun ein Knurren, das mehr aus

seinem Körper als aus seinem geschmolzenen Mund zu kommen schien.

»Was ist denn los?«, schrie Elliot.
Statt einer Antwort kam der Dämon nun um das Bett herum und

schwankte auf Elliot zu, die Arme vorgestreckt wie eine gesichtslose
Mumie in einem alten Horrorfilm.

Elliot hatte nicht die geringste Ahnung, was schief gelaufen war, aber

es sah ganz danach aus, als ob sein Dämon vorhätte, ihn zu töten.





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6



Elliot hatte sich geirrt...

Der Dämon wurde nicht von Mordlust getrieben, zumindest nicht im

Zusammenhang mit seinem menschlichen Adlatus. Und dennoch
benötigte er Elliot. Jetzt umschlang er ihn mit seinen schleimigen Armen
und nahm ihn in eine Art grotesken Schwitzkasten, schwankte, während
er Stärke, Materie und Form von Elliot bezog. Wieder begann sich
Elliots Schlafzimmer um ihn zu drehen, und dann wurde sein Blickfeld
an den Außenrändern plötzlich grau.

Plötzlich ließ der Dämon von ihm ab.
Elliot fiel zurück aufsein Bett und hatte das Gefühl, als ob ihm jemand

in den Unterleib getreten hätte.

Der Dämon indes stand fest und sicher; sein Gesicht war besser

ausgebildet denn je.

»Würdest du mir mal erklären, was das alles sollte?«, fragte Elliot ein

wenig atemlos. Sein Blick fiel auf seine rechte Hand und er musste
feststellen, dass nun auch sein Ringfinger mit dem kleinen Finger
verwachsen war. Für den Moment war er einfach nur erleichtert, dass der
Dämon ihn nicht getötet hatte, doch später würde er ihn fragen müssen,
was da mit seinem Körper geschah.

»Ein ... Kult, der meinesgleichen verehrt, hat die Überreste eines

meiner Opfer gefunden«, erklärte der Dämon.

»Ist das nicht 'ne gute Sache, wenn man verehrt wird?«
»Im Laufe der Jahrtausende haben die Ältesten dieses Kults magische

Riten erlernt und die Fähigkeit entwickelt herauszufinden, wenn einer
von uns versucht, wiedergeboren zu werden. Sie sammeln ihre Kräfte.
Und sie verehren uns nur, um uns an ihren Willen zu binden. Sie wollen
sich unserer Mächte bedienen im Kampf gegen all diejenigen, die sie als
ihre Feinde ansehen.«

»Müssen sie dich nicht erst fangen, um dich zu ... binden?«
Der Dämon presste seine schaufeiförmigen Hände aneinander, und fast

schien es, als ob sie miteinander verschmolzen wie weicher Ton. »Sie
kennen meinen Namen. Ich heiße Yunk'sh.«

»Yunk'sh ... aha«, sagte Elliot. »Na und? Sie kennen also deinen

Namen, ich meine, deswegen können sie dich ja nicht im Telefonbuch
ausfindig machen oder so.«

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»Namen haben Kraft. Hast du dich nie gefragt, warum ich dir meinen

nie genannt habe? Dir, einem Sterblichen?«

Elliot zuckte die Achseln. Tatsächlich war es ihm nie in den Sinn

gekommen, ihn danach zu fragen. Doch nun schien es, als ob sich die
Dinge ein wenig überschlugen. »Das ist alles ... ein wenig ungewohnt für
mich. Ich versuche nur, hier irgendwie zurechtzukommen.«

»Indem sie nun meinen Namen kennen, hat ihr Magier, ihr Omni, die

Möglichkeit, mich zu lokalisieren. Wenn ich erst einmal an sie gebunden
bin, werde ich unter ihrer Kontrolle stehen, und wahrscheinlich werden
sie mir befehlen, dich zu töten. Ich kann es auf keinen Fall riskieren,
durch die Bruderschaft von Vishrak unterworfen zu werden.«

»Hey, ich stehe auf deiner Seite, Alter«, sagte Elliot.
»Wenn ich als Ungebundener wiedergeboren werden soll und wenn du

deine Belohnung willst, dann müssen wir schnellstens dafür sorgen, dass
der Kreis geschlossen wird.«

Bevor sie ihren Pakt geschlossen hatten, hatte der Dämon Elliot

gefragt, was dieser sich am meisten wünsche. »Was begehrst du am
meisten? Macht? Ruhm? Gutes Aussehen? Geld? Frauen?«

Ohne zu zögern hatte Elliot »Macht« geantwortet. »Ich will

Geschäftsführer und der größte Anteilseigner meiner eigenen
Softwarefirma werden. Mach mich so groß, dass Bill Gates neben mir
aussieht wie ein Almosenempfänger.« Besaß er erst einmal Macht, besaß
er auch Geld. Und jeder wusste doch, dass die Mädels auf mächtige,
reiche Männer flogen. »Aber wenn du schon mal dabei bist, könntest du
auch mein Aussehen ein kleines bisschen verbessern«, fügte Elliot hinzu.
»Lass diese Akne verschwinden und auch zwanzig, na ja, sagen wir
dreißig Pfund Gewicht, und mach mich ein bisschen größer. Wenn die
Leute erst einmal bewundernd zu mir aufblicken, will ich, dass sie
tatsächlich zu mir aufblicken.«

»So soll es sein, Grundy«, hatte der Dämon gesagt. »All dies soll dir

erfüllt werden. Und wenn wir fertig sind, brauchst du dir um dein
Aussehen keine Sorgen mehr zu machen.«

Diese Worte kamen Elliot in den Sinn, als er nun seine linke Hand

anstarrte, das graue Fleisch und die beiden dicken Finger anstelle von
vier, die nun neben seinem Daumen abstanden. Sämtliche Fingernägel
waren abgefallen, und die Haut seiner Hand schien sich irgendwie
verdickt zu haben und fühlte sich an, wie man sich Haileder oder
Elefantenhaut vorstellte. »Sag mal, Yunk'sh« – es war komisch, den
Dämon nun beim Namen zu nennen –, »ich muss dich noch was zu unse-
rem Pakt fragen«, sagte Elliot und hielt seine missgestaltete Hand in die

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Höhe. »Die sieht nicht mehr sehr menschlich aus, wenn du mich fragst«,
fügte er hinzu. »Mit dieser Tatze werde ich mein Keyboard ruinieren.«

»Das kommt alles in Ordnung«, sagte Yunk'sh. »Das, was du gerade

erlebst, ist ein Übergang ... oder besser gesagt eine Übertragung. Ich
leihe mir von dir den Körper, und du reflektierst währenddessen meine
wahre Natur. Nun, da das Ritual sich seiner Vollendung nähert, herrscht
eine Art Überschuss an Substanz, die ich von meinen Opfern absor-
biere.«

»Und was passiert dann? Ich meine, am Ende?«
»Ich werde über reale Substanz verfügen, nicht über die von dir

geborgte, um meinen neuen Körper zu formen. Ich werde die Substanz
all meiner Opfer in meinem neugeborenen Körper vereinen, und du wirst
wieder der Alte sein.«

»Ach so ... abgesehen von den minimalen körperlichen

Verbesserungen, die Teil unseres Pakts sind, richtig?«

»Wie du es wünschst«, sagte Yunk'sh. »Bis dahin musst du dich

jedoch vor deinesgleichen verstecken, einverstanden?«

Elliot nickte. Das war ein vergleichsweise geringer Preis für die Macht

und das Ansehen, die er genießen würde, wenn dies alles erst mal vorbei
war. Abgesehen von gelegentlichen Trips zum nächsten Fastfood-Imbiss
verließ er das Haus ohnehin nicht mehr. Immerhin musste er ja seine
Arbeitsunfähigkeits-Geschichte aufrechterhalten. Zudem hatte sich
Shirley angeboten, ihm seine Einkäufe und sonstige Erledigungen
abzunehmen, damit er seinen Rücken schonen konnte. Ich werde ihr
Angebot annehmen. Was kann mir Besseres passieren als ein
Dienstmädchen, das eine Etage tiefer wohnt?, überlegte er. »Das geht in
Ordnung«, erwiderte Elliot. »Kein Problem.«

Angel hatte die Polizeiakten stundenlang studiert und Fall für Fall
überprüft, ob sich nicht irgendein Muster erkennen ließ.

Wenn es ihm gelang, das Bild im Ganzen zu erkennen, war es

vielleicht möglich vorauszusagen, wann und wo der Dämon als Nächstes
zuschlagen würde.

Neun Opfer bis jetzt, das letzte, Greg Schauer, mitgerechnet, und alle

waren sie zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig Jahre alt
gewesen. Was sagt uns das?, dachte Angel. Ein paar Millionen
potentieller Opfer da draußen, weiter nichts. Sechs weibliche und drei
männliche Opfer, das bedeutete eine Zwei-zu-eins-Vorliebe für Frauen.
Für Angel war das eine ziemlich bedeutungslose Statistik, da man aus ihr
noch nicht einmal ableiten konnte, ob als Nächstes eine Frau oder ein
Mann getötet werden würde. Alle bis auf eine Frau waren Single, und

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dieser war es offensichtlich schwer gefallen, treu zu sein. Was bedeutete
das? Die Opfer waren darauf aus gewesen, einschlägige Bekanntschaften
zu machen.

Einige waren zu Hause ermordet worden, während andere ihrem

Mörder in abgelegenen oder dunklen Straßen zum Opfer gefallen waren.
Laut den Zeugenaussagen hatten die Ermordeten ihren Killer kurz zuvor
an öffentlichen Orten getroffen, was den Schluss nahe legte, dass diese
Treffen im Vorfeld arrangiert worden waren. Insofern hatten die Opfer
zugestimmt, sich mit ihrem Mörder zu treffen, wahrscheinlich zum
ersten und letzten Mal.

Angel seufzte. »Auf der Suche nach Liebe bei den falschen Leuten.«

Sofern man Dämonen als Leute bezeichnen kann, dachte er.

Doyle klopfte an die Tür. »Jetzt sieh sich einer das an! Den ganzen

Spaß enthältst du uns vor?«

Resigniert sah Angel auf die Aktenorder und Fotos, die über seinen

ganzen Schreibtisch verstreut waren. »Tatsächlich bin ich gerade in
Spendierlaune.«

»Vorsicht, sonst nehme ich dich noch beim Wort.«
»Keine gute Tat bleibt ungesühnt«, erwiderte Angel und schob die

Hängeordner nachlässig zusammen. »Doch egal, zwei Köpfe sind besser
als einer.«

»In diesem Fall würde ich drei Köpfe empfehlen«, schlug Doyle vor.

Er lehnte sich ein wenig zurück, so dass Cordelia im Empfangsraum ihn
hören könnte. »Wobei es sich bei letzterem wohl um einen großen Kopf
handelt, wenn man Cordelia glauben darf.«

»Besser groß als dick«, sagte Cordelia und stellte sich neben Doyle in

den Türrahmen.

»So? Worüber reden wir hier eigentlich?«, fragte Doyle mit einem

breitem Grinsen im Gesicht.

»Keine Ahnung, Doyle«, sagte Cordelia. »Über dein Alkoholproblem?

Oder deine Spielsucht?«

»Nicht über meinen Erfolg bei Frauen?«
»Realitätsverlust fällt unter Alkoholproblem.«
»Ich glaube, diesmal hat sie dich, Doyle«, meinte Angel.
»Eine Rose mit vielen Dornen, ja, das ist sie«, sagte Doyle leise.
Cordelia starrte ihn einen Moment lang an und versuchte, in seinem

Gesicht zu lesen. Schließlich gab sie es auf und wandte sich an Angel.
»Und ... ziemlich grausige Fälle diesmal?«

»Schaut selbst«, erwiderte Angel und teilte den Aktenstapel in zwei

Haufen. Er hatte sich das Wesentliche bereits eingeprägt, und nun war
Eile geboten. Cordelia nahm sich den für sie bestimmten Stapel und

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kehrte an ihren Schreibtisch zurück, während Doyle es sich mit seinen
Unterlagen auf einem Sessel bequem machte.

Angel fasste das Wesentliche noch einmal kurz zusammen: »Neun

Morde. Männliche und weibliche Opfer zwischen Mitte zwanzig und
Mitte dreißig. Bis auf eine Ausnahme waren alle Single und lebten
allein.«

Cordelia hielt ein Farbfoto in die Höhe, auf dem die ausgebreitete

Hauthülle eines der Opfer zu sehen war, die der Leichenbeschauer
mittels Klebemaßband ausgemessen hatte. »Also, wenn ihr mich fragt,
hat's da jemand mit der so genannten Blitzdiät ein bisschen übertrieben.«

Doyle schüttelte den Kopf. »Was immer dieser Dämon auch ist, er

saugt einfach alles aus ihnen raus, stimmt's?«

»Alles, was übrig bleibt, ist die Haut und pulverisierte Knochenreste.«

Nachdenklich lehnte sich Angel gegen die Wand und verschränkte die
Arme vor seiner Brust.

»Saugt nur die Cremefüllung raus.« Cordelia erschauderte. »Könnte

sich der Dämon von ihnen ernähren?«

»Möglich.«
»Vielleicht ist unser Dämon ja ein ganz normaler Serienkiller auf

Abwegen?«

»Nein, dazu erscheinen die Morde zu ... vorsätzlich«, erwiderte Angel.

»Wenn es diesem Dämon einfach ums Töten ginge, könnte er jeden
Menschen, der ihm über den Weg läuft, überwältigen. Ich meine, anstatt
sie sorgfältig auszusuchen und sich umständlich mit ihnen zu
verabreden. Ziemlich viel Aufwand, nur um sich den Thrill eines Mordes
zu verschaffen, meint ihr nicht auch?«

»Sorgfältig ausgesuchte Opfer«, sinnierte Doyle.
»Wir müssen herausfinden, was seine Motivation ist«, sagte Angel.

»Nur dann können wir vielleicht im Voraus sagen, wer sein nächstes
Opfer sein wird.«

»Warum«, sagte Cordelia, und es war nicht als Frage gemeint.
»Ist das nicht offensichtlich?«, fragte Doyle.
»Wir helfen den Hilflosen, schon vergessen?«
»Nein, das meinte ich nicht«, sagte Cordelia. »Ich meine, wir müssen

rausfinden, warum er es macht.«

Angel stieß sich von der Wand ab. »Sie hat Recht, Doyle. Hier geht's

nicht einfach nur um vorsätzlich geplante Morde. Da steckt noch mehr
dahinter. Der Dämon hat was ganz Bestimmtes im Sinn.«

Angewidert starrte Cordelia noch einmal auf das Foto vor ihr.

»Vielleicht will er ja einfach nur die Theorie widerlegen, die besagt, dass
man durchaus zu dünn sein kann.«

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»Wo ist Ginger Marks?«, fragte Doyle, während er in seinen

Unterlagen blätterte.

»Wer ist Ginger Marks?«, wollte Cordelia wissen.
»Opfer Nummer acht«, erwiderte Doyle. »Ich finde hier kein Foto von

ihrer... Haut.«

»Tja, die hat jemand mitgehen lassen«, sagte Angel und runzelte die

Stirn.

»Mein Gott, das ist so abartig«, platzte Cordelia heraus. »Wieso stiehlt

jemand menschliche Haut?«

»Eine andere Frage, auf die wir eine Antwort brauchen«, sagte Angel.

»Warum.«

»Warum? Ich sage dir warum. Weil da draußen zu viele perverse

Schweine rumlaufen, darum!«

»Das mag sein. Doch wir sollten die Möglichkeit nicht außer Acht

lassen, dass jemand eine ganz besondere Verwendung für diese Haut
hat.«

Cordelia schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Nein, ich

möchte mir das jetzt nicht bildlich vorstellen ...«

»Ganz ruhig, Cordelia«, sagte Angel lächelnd. »Ich dachte eine

Verwendung der übernatürlichen Art.«

»Okay... gut, schon besser.«
»Also, was machen wir jetzt?«, fragte Doyle. Angel hatte eine Idee.

»Dieser Dämon, der dir in deiner Vision erschienen ist, Doyle«, fragte
er. »Könntest du ihn uns noch mal beschreiben?«

»Na ja, die Vision war unpräzise, wie immer«, sagte Doyle. »Ich kann

mich nur noch an herumwippende Tentakel erinnern. Aber worauf willst
du hinaus?«

Dreißig Minuten später hatte Angel mithilfe von Doyles Erinnerungen

eine Skizze zu Papier gebracht. Es war nicht mehr als eine Silhouette,
doch er zeigte sie Doyle alle paar Minuten, um hier und dort etwas zu
korrigieren und zu präzisieren. Als das »Fahndungsfoto« fertig war,
zeigte es eine menschenähnliche Gestalt mit einer langen Schlangenzun-
ge und Fingern, die zu Tentakeln mutiert waren.

»Ich bin auch schon mit Typen ausgegangen, auf die diese

Beschreibung gut passt«, meinte Cordelia.

Doyle hob die Augenbrauen. »Du hast dich mit Dämonen verabredet?«
»Nein, aber mit Typen, die grapschende Oktopusarme und

schlabberige Zungen hatten.«

»Oh«, machte Doyle, es klang leicht enttäuscht.
Angel warf ihm einen Blick zu; erwusste, der Halbdämon wartete noch

immer auf eine Gelegenheit, sich Cordelia zu nähern. Und er wusste

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auch, dass sich dies als schwierig erweisen würde, da Cordelia eine tiefe
Abneigung gegen Dämonen, Halbdämonen und was sich sonst noch an
Kreaturen in ihrer Datenbank fand, hegte.

Doyle räusperte sich. »Könnte sein, dass ich jemanden kenne, der uns

einen Tipp geben könnte. Vielleicht sollten wir deine Zeichnung und
eines der Polizeifotos mitnehmen, Angel, und sehen, was wir rausfinden
können.«

»Gut. Aber wir sollten eine Kopie der Skizze hier behalten. Und du,

Cordelia, könntest in der Zwischenzeit mal unsere Nachschlagewerke
und die Online-Datenbank befragen. Vielleicht finden wir ja jemanden,
auf den diese Beschreibung hier passt.«

»Geht klar«, sagte Cordelia. »Und ich werde noch eine Internet-Suche

anschließen. Vielleicht gibt's ja in Bezug auf die Opfer irgendetwas, was
sie miteinander verbindet.«

»Klingt gut.«
In diesem Moment ging die Tür des Büros auf, und Chelsea Monroe

von L.A. After Dark trat ein. Bei ihrem ersten Besuch hatte sie ein
goldfarbenes Kostüm getragen. Diesmal hatte sie sich für ein
silberfarbenes und eine smaragdgrüne Bluse entschieden. »Da bin ich
wieder«, sagte sie. »Ich habe Neuigkeiten und würde sie gerne bei einem
späten Dinner loswerden.«

Schon griff Cordelia nach ihrer Handtasche und erhob sich von ihrem

Stuhl. »Klasse. Es gibt da nämlich einen neuen Laden, in dem ich
unheimlich gern mal essen gehen würde, und ... oh, Sie haben wohl an
ein Abendessen nur mit Angel gedacht, stimmt's?«

»Ich fürchte, ja«, sagte Chelsea mit einem warmen Lächeln.

»Jedenfalls heute Abend.«

Angel sah zu Doyle, der lässig eine Hand hob. »Schon okay, wir haben

ja noch ein bisschen Zeit. Geh ruhig, mein Kumpel Dink ist vor
Mitternacht ohnehin nicht ansprechbar.«

»Aber...«, begann Angel.
»Kann ich dich mal kurz sprechen«, sagte Doyle und machte eine

Kopfbewegung in Richtung Angels Büro.

Angel sah kurz zu seiner rothaarigen, grünäugigen Besucherin, die mit

einem geduldigen, zuversichtlichen Lächeln auf seine Entscheidung
wartete. »Bitte entschuldigen Sie mich für eine Minute.«

»Weißt du was?«, meldete sich nun Cordelia zu Wort, die hinter ihrem

Schreibtisch hervortrat. »Ich werde Chelsea, ich meine Miss Monroe, ein
wenig unterhalten, während sie auf dich wartet.«

In Angels Büro sprach Doyle aus, was sie beide dachten. »Cordelia

fährt ihre Antennen aus.«

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»Weshalb wolltest du mich sprechen, Doyle?«
»Es geht um dich und ... sie, um Chelsea Monroe, meine ich. Na ja, ich

finde, du solltest auf alle Fälle mit ihr zu Abend essen.«

»Warum?«
»Es kann einem Mann doch nicht genügen, ausschließlich Leute in Not

zu retten.«

»Kann es nicht?«
»Nein«, sagte Doyle. »Es würde dir wirklich mal gut tun, dich ab und

an ein bisschen unter die Menschen zu mischen.«

»Darum geht's doch gar nicht, Doyle, sie –«
»Vielleicht will sie ja nur mit dir zu Abend essen, nachher vielleicht

ein bisschen tanzen. Und vielleicht will sie sogar ein Exklusiv-Interview
mit dir. Aber du wirst es nie erfahren, wenn du ihr keine Chance gibst.
Abgesehen davon ist es einfach nicht gut, sich so zu isolieren und
sämtliche sozialen Kontakte zu meiden. Also, was ich sagen will, ist: Du
solltest dir ab und zu wieder ein bisschen Spaß gönnen, was soll's ...«

»Aber du weißt doch, was passiert, wenn ich zu viel Spaß habe, ich

meine, wenn ich mich zu menschlich gebärde«, warf Angel ein. Er
dachte noch immer mit Grauen daran, was geschehen war, nachdem er
mit Buffy geschlafen hatte. Ein winziger Moment wahren Glücks, und er
war wieder zum destruktiven, grausamen Angelus geworden. Damals
hatte er nicht gewusst, dass er auf diese Weise seine Seele verlieren
würde, doch heute wusste er es. Er hatte Sunnydale in Richtung L.A.
verlassen, um Buffy aus dem Weg zu gehen, um zu vermeiden, dass er
ständig daran erinnert wurde, was sie und er nie wieder füreinander sein
konnten. Das war er ihr schuldig gewesen, damit sie wieder ein Leben,
ein normales Leben führen konnte. Und für ihn war die selbst auferlegte
Isolation der beste Weg, jene Dinge irgendwann zu vergessen, die ihn bis
heute nicht ruhen ließen.

»Ich sage ja nicht, dass du Chelsea zum Altar führen sollst«, sagte

Doyle, der wusste, was Angel dachte. »Genieße es doch einfach, ab und
an ein bisschen menschlich zu sein. Da ist doch wirklich nichts
Schlimmes dabei.«

»Und was ist mit dir?«, fragte Angel. »Warum nimmst du dich nicht

selbst beim Wort und gestehst Cordelia endlich, was du für sie
empfindest?«

»Ich warte darauf, dass mein jungenhafter Charme sie eines Tages

überzeugt«, sagte Doyle. »Ich denke, dann wird ihr auch meine
dämonische Hälfte nichts mehr ausmachen.«

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»Aber das ist keine Maske, die du trägst, Doyle. Es ist ein Teil von dir

und du musst damit leben. Und sie auch, solltet ihr beide jemals
zusammenkommen.«

»Na ja, aber es ist auch keine Sache, die man einem Mädchen, einem

menschlichen Mädchen, sofort auf die Nase bindet. So was braucht
Zeit.«

Angel vermutete, Doyle selbst brauchte noch Zeit. Der Freund hatte

sich nie mit seiner Identität abgefunden. Tatsächlich war nach seinem
einundzwanzigsten Geburtstag, als er die Wahrheit über seine Herkunft
erfahren hatte, sein Leben völlig aus dem Ruder gelaufen. Angel war der
Meinung, dass Doyle zuerst lernen musste, sich selbst zu akzeptieren,
bevor er dies von einem anderen Menschen erwarten konnte. »Eines
Tages«, sagte Angel.

»Und das wird ein Freudentag werden, was?«, sagte Doyle mit

glänzenden Augen. »Also, dann hätten wir das geklärt. Du lässt dich
heute Abend von der Dame zum Dinner und vielleicht zum Tanzen
ausführen, okay?«

»Ich werde mir anhören, was sie zu sagen hat«, erwiderte Angel. »Das

ist alles. Warte, bis ich zurück bin.«

»Der Versuch allein ist nicht strafbar.«


»Also, ich finde Ihr Outfit einfach klasse«, sagte Cordelia. »Dieser
Metallic-Look ist echt umwerfend.« Sie hatte ihren Stuhl so vor den
Schreibtisch geschoben, dass sie nun Chelsea Monroe direkt gegenüber
saß.

»Vielen Dank«, sagte Chelsea. Sie zog ihr silberfarbenes Jackett aus

und legte es sich über den Arm. Das grüne Seidentop hatte Spaghetti-
Träger und war rückenfrei.«

»Wie ist das eigentlich?«, wollte Cordelia wissen. »Ich meine, Chelsea

Monroe zu sein, die Moderatorin des erfolgreichsten Unterhaltungs-
Magazins?«

»Na ja ... man lernt eine Menge interessanter Leute kennen.«
»Ich glaube, man muss schon sehr tough sein, um hinter die

zwielichtigen Kulissen des nächtlichen L.A. zu schauen, stimmt's?«

»Das hilft ungemein, ja.«
»Na ja, aber der wirklich glamouröse Teil ist das nicht, oder?«
»Nein, nicht wirklich.«
»Sie sind bestimmt auf vielen Empfängen zu Gast? Ich meine, sie

treffen in dieser Branche doch bestimmt 'ne Menge berühmter Leute, die
ihnen eine Rolle anbieten, oder?«

»Gelegentlich, aber –«

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»Sehen Sie! Ich wusste es. Das ideale Sprungbrett. Wenn sie erst mal

mitgekriegt haben, dass man Talent hat, ist der Vertrag nur noch ein
Telefonat weit entfernt.«

»Also, so einfach ist das nun auch wieder nicht -«
»Ich hab eine Idee. Vielleicht könnte ich ja als Gastmoderatorin bei

Ihnen anfangen? Haben Sie mal an sowas gedacht? Oder als Vertretung?
Sie brauchen doch auch mal eine Pause, einen Urlaub und so weiter.
Jeder ist seines Jobs doch mal überdrüssig - alle, bis auf Vam ..., ich
meine jeder von uns. Haben wir's nicht alle mal satt?«

»Ich nehme an, ja.«
»Meinen Sie, Sie könnten mal ein gutes Wort für mich einlegen?«
»Na ja, normalerweise wird Das Beste aus L.A. After Dark

ausgestrahlt, wenn ich gerade nicht verfügbar bin, aber ich glaube nicht,
dass eine Gastmoderatorin -«

»Sie haben ja Recht. Was rede ich bloß«, sagte Cordelia und legte ihre

Hand auf Chelseas Unterarm. »Ist ja nicht so, dass sie schon mal in
irgendeinem halbwegs anständigen Film zu sehen gewesen wären, nur
weil sie diese Show machen. Sie haben Recht.«

»Habe ich?«
»Absolut. Diese Gastmoderatoren-Nummer wäre das Ende meiner

Karriere. Trotzdem danke.«

»Keine Ursache ...«
In diesem Moment trat Doyle wieder in den Empfangsraum, während

Angel in der Tür seines Büros stehen blieb. »Sind sie bereit?«, fragte er
Chelsea.

»Klar, wir sind hier fertig«, sagte Cordelia. Dann erhob sie sich und

trug ihren Bürosessel wieder hinter ihren Schreibtisch.

Chelsea grinste, als sie Angels Büro betrat.
Verwirrt schloss dieser die Tür hinter ihr. »Alles in Ordnung da

draußen?«

Chelsea hängte ihre Jacke an den Kleiderständer. »Zunächst hatte ich

befürchtet, ihre Seifenblase zum Zerplatzen zu bringen, aber ich glaube,
sie hat gerade meine kaputtgemacht.«

»Ja, Cordelia hat ein überaus ... erfrischendes Wesen.«
Chelsea lächelte. »Sie ist wie eine Naturgewalt.«
»Mit einem sehr ausgeprägten Selbstbewusstsein.« Angel nahm auf

seinem Stuhl Platz und sah sie erwartungsvoll an.

Chelsea zeigte heute mehr Haut, dafür weniger Dekollete als bei ihrem

letzten Besuch. Ihre Haut war glatt und blass, nicht krankhaft blass, eher
vornehm blass. Aufgrund der Sendzeit ihrer Show konnte man auch sie
als Kreatur der Nacht bezeichnen. Angel vermutete, dass sie, wenn sie in

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die Sonne ging, vermutlich Sommersprossen auf den Wangen und ihrem
schön geschwungenen Nacken bekam. Und er stellte fest, dass er sie
anstarrte. »Ich hatte Sie nicht erwartet.«

»Ich dachte, ich habe sie gewarnt«, erwiderte sie kichernd. »Egal, was

die Einladung zum Abendessen angeht...«

»Eine sehr freundliche Einladung. Danke.«
Für eine Sekunde gefror ihr Lächeln. »Heißt das ›danke‹ oder ›nein,

danke‹?«

»Ich bin heute Abend schon verabredet«, sagte Angel.
»Vielleicht ein anderes Mal.«
»Ich verstehe«, sagte Chelsea. »Doch wo ich schon mal hier bin:

Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen einen Vorschlag unterbreite?«

»Nein, nur raus damit«, erwiderte Angel und runzelte dann angesichts

seiner Worte die Stirn. »Entschuldigung, Sie wissen, wie es gemeint
war.«

»Natürlich«, sagte Chelsea, nahm eine von Angels Visitenkarten vom

Tisch und fuhr mit einem ihrer langen manikürten Fingernägel über die
Kante. »Lassen Sie mich mal zusammenfassen: Sie helfen also den
Hilflosen.« Angel nickte. »Selbst wenn diese Hilflosen es sich nicht
leisten können, Sie dafür zu bezahlen.«

Angel zuckte die Achseln. »Selbst Rechtsanwälte übernehmen

Pflichtverteidigungen.«

»Aber sie werden von Rechts wegen dazu gezwungen«, gab sie

zurück. »Sie nicht.«

»Was ist denn falsch daran, Leuten zu helfen?«
»Absolut nichts«, sagte Chelsea. »Es ist sogar sehr edel.«
Für Angel war es mehr als das. Es war ein Weg, Buße zu tun für die

hundertfünfzig Jahre, die angefüllt waren mit grauenhaften Verbrechen,
die er als Angelus begangen hatte. Selbstverständlich konnte er ihr das
nicht erzählen. »Ich mache es nicht, um das Verdienstkreuz oder den
Stadtschlüssel zu bekommen.«

»Umso edler«, sagte Chelsea und legte ihren Fingernagel nun auf ihre

volle Unterlippe. Dann sah sie ihn an. »Ich habe da so eine Idee für
meine Sendung, ein neues Konzept-Segment.«

»Falls es wieder um untreue Ehepartner geht«, meinte Angel, »so sagte

ich Ihnen bereits beim letzten Mal, dass wir solche Fälle nicht
übernehmen.«

»Nein, bei meiner Idee handelt es sich um etwas anderes«, erklärte sie.

»Genauer gesagt, um Sie und Ihre Firma. Ich finde, die Menschen sollten
von Ihnen erfahren. Oder um es anders auszudrücken: Ich meine, Sie
sollten endlich Anerkennung für Ihre selbstlose Arbeit erfahren.«

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»Wenn ich auf Anerkennung aus wäre, wäre meine Arbeit nicht

selbstlos.«

Sie lachte. »Da ist was dran. Aber nicht jeder, der Hilfe braucht, ist

verarmt. Diese Sendung würde Ihr Geschäft ankurbeln. Seien wir
ehrlich, das wäre eine super Werbung für Sie.«

»Eigentlich finden mich die Hilflosen auch ohne Werbung.«
»Aber Ihrer Firma könnte es doch besser gehen, oder nicht?«
»Sicher, aber ich nehme die Dinge so, wie sie sind.«
»Ich könnte Ihnen mehr Kunden verschaffen, als Sie in einem Leben

bedienen könnten, Angel.« Diesmal war ihr Lächeln herausfordernd.

Angel räusperte sich. »Das möchte ich gar nicht in Frage stellen, Miss

Monroe.« Sie war eine attraktive Frau und offensichtlich an ihm
interessiert, und das nicht nur, um ein neues Segment für ihre Sendung
ins Leben zu rufen. Wieder musste er sich vergegenwärtigen, dass das,
was sie sah, nicht der Realität entsprach. Was sie sah, war das Bild, das
er der Welt von sich präsentierte. Und obwohl sie ihn vermutlich
körperlich attraktiv und seine Arbeit löblich fand, trennte die Lebenslüge
um seine verfluchte Seele sie wie eine Kluft, die nur er zu sehen
vermochte.

»Bitte, einfach Chelsea.«
Angel nickte. »Also gut, Chelsea. Bitte verstehen Sie, dass ein geringer

Bekanntheitsgrad meiner Arbeitsweise sehr entgegenkommt. Manchmal
hat Anonymität auch ihre Vorteile.«

»Jeder andere hätte vor Freude einen Luftsprung gemacht angesichts

der Riesenchance, die sich ihm bietet.«

»Ich bin eben anders.«
»Sie sind einmalig«, erwiderte sie. »So abgedroschen es auch klingen

mag, aber ich glaube wirklich, dass Sie zu den Guten zählen, Angel.«

»Die anderen Möglichkeiten wären weniger reizvoll.«
Chelsea seufzte und erhob sich. »Tja, dann hab ich mir jetzt wohl zum

zweiten Mal eine Abfuhr geholt.«

»Vorsicht«, sagte Angel und stand ebenfalls auf. »Das könnte zur

Gewohnheit werden.«

»Ich wüsste gerne, was wirklich in Ihnen vorgeht.«
Angel stand auf, während sie ihre Jacke vom Haken nahm. Er nahm sie

ihr ab, und sie schlüpfte hinein. Dann hielt er ihr die Tür auf. »Och, nur
das Übliche«, antwortete er, »Wahrheit, Gerechtigkeit und der American
Way.«

Sie kam einen Schritt auf ihn zu und malte ihm mit ihrem manikürten

Fingernagel ein »S« auf die Brust, wobei sie ihn unverwandt anblickte.
»Superman, was?«

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»Ach was«, gab Angel zurück. »Strumpfhosen haben mir noch nie

gestanden.«

»Nun, die Einladung zum Dinner steht noch, ob wir ins Geschäft

kommen oder nicht. Ich bin nämlich inzwischen sehr neugierig
geworden und will den wahren Angel kennen lernen.«

»Spricht da die Reporterin oder die Frau aus Ihnen?«
Sie zwinkerte ihm zu. »Gehen Sie mit mir essen, und finden Sie es

heraus.«

Das ist ja unglaublich, jetzt flirte ich schon mit ihr, dachte Angel.

Mache ich etwa gerade das, was Doyle meinte? Oder wünsche ich mir
gar, dass da noch mehr sein möge, etwas ... Reales?

Nachdem sie gegangen war, starrten Doyle und Cordelia ihn

schweigend an.

»Was denn? Was hab ich denn gemacht?«
»Ähem ... nichts«, sagte Doyle, »nur dafür gesorgt, dass hier ein paar

Fenster beschlagen sind.«

»Wir haben nur ein bisschen rumgeplänkelt«, sagte Angel. »Total

harmlos.«

Cordelia sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an. »Die ist ja total auf

dich abgefahren.«

»Sie versucht nur, 'ne Geschichte aus mir rauszukitzeln.«
»Ich glaube, sie erwartet nach dem Dinner ein bisschen mehr als nur

'ne gute Geschichte«, meinte Doyle. »Und ich meine nicht das Dessert.«

»Bitte kein Dessert«, warf Cordelia hastig ein. »Wir alle wissen doch,

was passiert, wenn Angel einen ... Nachtisch nimmt.«

»Ich finde, jetzt übertreibt ihr aber«, sagte Angel. »Kein Dessert, kein

Dinner oder was auch immer. Doyle, bist du bereit für unseren Besuch
bei Dink?«

Doyle runzelte die Stirn. »So viel für heute zum Thema Spaß und

Spiel. Aber um deine Frage zu beantworten: ja, ich bin bereit, aber
vorher müssen wir noch woanders hin.«









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7



Angel führ in seinem schwarzen Cabrio den Hollywood-Boulevard
entlang und blickte starr geradeaus.

Die meisten Geschäfte, die sich mit ihrem Angebot vor allem an

Touristen richteten, hatten bereits geschlossen. Die Pulks von
Tagesausflüglern und Sightseeing-Gruppen hatten den Nachtschwärmern
und Schlaflosen Platz gemacht.

Sie passierten Mann's Chines Theatre und das Roosevelt-Hotel. Zu

ihrer Rechten, auf den Hügeln der Stadt, ragte der angestrahlte
Hollywood-Schriftzug hell in den Nachthimmel.

Doyle, der auf dem Beifahrersitz saß und eine Fastfood-Schachtel auf

dem Schoß balancierte, sah Angel neugierig an. »Alles okay mit dir?«,
fragte er schließlich.

Angel seufzte. »Weißt du, es ist ja nicht so, dass ich überhaupt keine

Selbstbeherrschung habe.«

»Natürlich, das weiß ich doch.«
»Ich bin durchaus in der Lage, mit einer Frau zu Abend zu essen und

es dabei bewenden zu lassen.«

»Klar. Und ich hab es auch wirklich ernst gemeint, als ich das mit dem

Tanzengehen und so gesagt habe. Ich finde wirklich, du solltest es
machen. Bei Vine jetzt rechts abbiegen, okay?«

Angel runzelte die Stirn, doch nicht wegen Doyle.
»Und was Cordelia betrifft«, fuhr Doyle fort. »Sie reagiert eben

manchmal ein bisschen hysterisch.«

Vielleicht aus gutem Grund, dachte Angel. Immerhin war sie beim

letzten Mal dabei gewesen. »Und warum hab ich das Gefühl, dass ich in
einen Abgrund schaue, wenn ich deinen Rat befolge?«

»Vielleicht, weil es ein Spiel mit dem Feuer ist?«
»Es ist mehr als das«, gab Angel zurück. »Es fühlt sich irgendwie ...

falsch an. Auch wenn aus dieser Sache wahrscheinlich nie etwas Ernstes
geworden wäre, ist da immer dieser Gedanke, dass es in einer Sackgasse
geendet hätte – und immer dort enden wird.«

»Nur weil du ab und an ein bisschen Spaß hast, wirst du ja nicht

zwangsläufig zu dem, was du mal warst. Du solltest allerdings wissen,
wann der Spaß vorbei ist.« Doyle setzte sich gerade auf. »Und jetzt bei
dem Souvenirshop links abbiegen.«

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»Wie heißt eigentlich der Laden, zu dem wir fahren?«
»Eigentlich sind es zwei«, erklärte Doyle. »Oben befindet sich

Radley's Snackbar für die Touristen und Einheimischen. Aber wir sind
nur am unteren Stockwerk interessiert. Das ist Sperrgebiet für die
Vertreter des Menschlichkeit. Es heißt Underbar. So, und hier jetzt links
und dann direkt wieder rechts. Hinter dem Haus kann man parken.«

Alle Straßenlaternen bis auf eine waren defekt, was die Straße zu

einem Paradies für Kriminelle machte. Angel lenkte seinen Sportwagen
in eine der Parkbuchten. Als sie ausstiegen, sah er ein paar Leute, die
sich im Halbkreis um zwei Raufbolde aufgestellt hatten und diese
anfeuerten. Einige der Schaulustigen trugen voluminöse Mäntel und
Hüte.

Angel bahnte sich einen Weg zum Ort des Geschehens und sah, dass

einer der Schläger weit über zwei Meter groß und das reinste
Muskelpaket war. Zudem war er gelbhäutig und trug einen schwarzen
Haarknoten. Keine Frage, ein Dämon. Goldketten wanden sich über
seiner starken Brust wie Patronengurte, die schwarzgrüne Tarnhose und
die schweren Militärstiefel vervollständigten den martialischen Look.
Aus den Fingerknöcheln seiner vorschlaghammergroßen Fäuste ragten
gekrümmte Krallen.

Sein Gegner war gerade mal einen Meter siebzig groß und trug einen

langen grauen Mantel, dessen aufgeschlagener Kragen das blasse
Gesicht seines Trägers weitgehend verdeckte. Seine kleinen Hände
waren ausgestreckt, und es sah aus, als ob er betete. Was keine schlechte
Idee war, weil sein Kontrahent ihn inzwischen gegen die dunkelbraune
Backsteinmauer gedrückt hatte – ein Kontrahent, der zweihundert Pfund
schwerer und wesentlich größer war als er. Warum ist der Kleine noch
nicht tot?, war Angels erster Gedanke.

Doch als der Dämon zu einem mächtigen Schlag ausholte,

beantwortete sich die Frage von selbst. Die Klauen schlugen in die
Backsteinmauer und hinterließen auf ihr vier weiße, tiefe Kratzer. Der
Kleine hatte sich einfach unter dem Angriff hinweggeduckt, und das mit
der unglaublichen Geschwindigkeit und Grazie eines Kolibris. Doch mit
dem Rücken zur Wand würde er schnell an Bewegungsfreiheit einbüßen
und den Hieben des Dämons schon bald nicht mehr ausweichen können.

»Mach ihn alle, Gahryen!«, schrie eine Frau.
Sie stand neben einer feuerroten Kawasaki und war ebenfalls sehr

groß. Zu ihrem schwarzen Leder-Bustier trug sie einen passenden Rock
und enge hochhackige Lederstiefel. Das Gelb ihrer Haut war heller als
das ihres Begleiters, doch auch sie hatte pechschwarze Haare, die ihr,
zusammengebunden zu einem Pferdeschwanz, bis zu den Kniekehlen

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reichten. Über ihrer Brust spannten sich gleichfalls zahlreiche
Goldketten; direkt über ihrem Dekollete prangte ein riesiger
bernsteinfarbener Edelstein.

»Dir werd ich austreiben, Slyora anzumachen«, drohte Gahryen – mit

Slyora war offensichtlich die Frau neben dem Motorrad gemeint – und
nahm sich die blutrünstige Aufforderung seiner Freundin zu Herzen,
indem er dem Kleinen einen Schlag gegen den Kopf versetzen wollte.
Doch sein flinker Gegner war schon einen Schritt zur Seite gesprungen,
bevor ein Teil der Wand hinter ihm unter dem Schlag einstürzte.

»Ich hab nicht hinter ihr hergepfiffen«, protestierte der andere

nuschelnd. »Ich hab nur geniest.« Erst jetzt bemerkte Angel, dass aus
dem Mund des Kleinen winzige Tentakel wuchsen.

Gahryen überhörte die Erklärung, holte erneut aus und schlug seinen

Gegner zu Boden.

»Doyle«, sagte Angel. »Geh schon mal rein zu Dink. Ich kümmere

mich vorher kurz um das hier.«

»Alles schön und gut, da gibt's nur ein kleines Problem.«
»Welches?«
»Das ist Dink«, sagte Doyle und deutete auf die kleine,

zusammengekrümmte Gestalt am Boden.

»Umso wichtiger, dass wir ihn so lange am Leben halten, damit wir

erfahren, was wir wissen müssen.«

»Gahryen«, rief Angel, als der Dämon gerade im Begriff war, die

Spitze seines Springerstiefels in Dinks Brustkorb zu rammen. »Warum
pulverisierst du nicht jemanden von deiner Größe?«

Mit einem erstaunten Gesichtsausdruck wirbelte Gahryen herum. Sein

breites Grinsen entblößte eine Reihe spitzer Zähne, die beinahe ebenso
gelb waren wie seine Haut. »In meiner Größe gibt's hier niemanden.«

Angel breitete seine Arme aus und blickte zu Boden. »Und was ist mit

mir?« Er machte einige Schritte auf den zusammengebrochenen Dink zu,
ohne Gahryen aus den Augen zu lassen. Der riesige Dämon folgte
Angels Bewegungen wie eine Kompassnadel, die sich stets nach den
Polen ausrichtet. »Dink, geh rüber zu Doyle«, sagte Angel, »ich
kümmere mich um Gahryen.«

»Deine Beerdigung«, meinte Dink und rappelte sich auf. Angel

runzelte die Stirn. Na ja, Dankbarkeit ist nicht jedermanns Sache, dachte
er. Sein Blick fiel auf die kurzen grauen Tentakel unter der platten Nase
des Kleinen, und da erkannte er, dass auch Dink ein Dämon war.

Dink stürzte davon, hastete durch den Pulk der Schaulustigen und wäre

vermutlich noch weiter gerannt, wenn Doyle ihn nicht mit

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ausgestrecktem Arm am Schlafittchen gepackt hätte. »Nicht so schnell,
Dinikylessus!«

»Was soll das, Doyle. Wenn dein Freund Selbstmord begehen will, ist

das seine Sache. Ich für meinen Teil muss mir das nicht auch noch
angucken.«

»Hab ein wenig Vertrauen, Dink. Angel kann sehr gut auf sich selbst

aufpassen.«

»Da war' ich nicht so sicher«, meinte Dink. »Marzekian-Dämonen

töten dich nicht einfach. Sie sorgen auch dafür, dass niemand dich
danach noch identifizieren kann.«

Angel hob die Hände in dem Versuch, sich nach Möglichkeit aus dem

drohenden Kampf herauszudiskutieren. »Ich glaube, hier liegt ein kleines
Missverständnis vor.«

»Das einzige Missverständnis, das hier vorliegt, ist, dass du der

Annahme zu sein scheinst, in fünf Minuten noch zu leben«, sagte
Gahryen und holte mit seiner klauenbesetzten Faust aus.

Angel duckte sich und blockte den Schlag mit seinem linken Unterarm

ab, während seine Rechte Gahryens nackten Oberkörper traf - knapp
unterhalb des kitschigen Edelsteins, der genauso aussah wie der von
Slyora. Der Dämon grunzte, doch das war auch schon alles.

»Du hast Recht«, sagte Angel. »In fünf Minuten werde ich nicht mehr

unter den Lebenden weilen.« Sprach's, verwandelte sich und zeigte
Gahryen seine untote Seite. »Andererseits ist mir dieser Zustand nicht
unbedingt fremd.«

Gahryen schien leicht erstaunt, doch unbeeindruckt. Er zuckte die

Achseln und wollte Angel sein Knie in den Unterleib rammen.

Angel sprang zurück, stemmte sich mit den Handballen an der Wand

ab und trat Gahryen ins Gesicht. Doch der Dämon war schneller, als
Angel vermutet hatte, er packte den Knöchel seines Gegners und riss ihn
von den Beinen. Kopfüber umschlang Angel die Kniekehlen des
Dämons und brachte ihn mit einem kräftigen Ruck zu Fall. Er rollte sich
von dem massiven Körper, fühlte jedoch, wie sich die krallenbewehrten
Knöchel in seinen Oberbauch bohrten, durch den Kleiderstoff drangen
und sein Fleisch verletzten.

Doyle sah das bösartige Grinsen in Gahryens Gesicht, und dann fiel

sein Blick auf den matt leuchtenden gelben Stein auf der Brust des
Dämons. Er wandte sich zu Dink um. »Der Typ ist ein Marzekian-
Dämon, richtig?«

»Ja, und?«
»Angel!«, rief Doyle.

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Messerscharfe Knöchelklauen surrten durch die Luft, verfehlten nur

knapp das Gesicht des Vampirs. »Bin gerade ein wenig beschäftigt,
Doyle«, erwiderte Angel.

»Das ist ein Marzekian-Dämon!«
»Danke für die Information«, meinte Angel, während zerschmetterte

Backsteine aus der Wand hinter ihm durch die Luft flogen.

»Marzekian-Dämonen tragen Schutzzauber-Steine!«
Angel sprang einen Schritt zur Seite, um einem Faustschlag

auszuweichen, und rammte Gahryen dann seinen Ellbogen in die Kehle.
Mitten auf der Brust seines Gegners leuchtete der Edelstein schwach.
Angel bekam Gahryens rechten Arm zu packen und drehte ihn auf den
Rücken. Gleichzeitig stieß er ihm eine Stiefelspitze in die Kniekehle.
Gahryen stolperte vorwärts, und Angel nutzte diesen Moment der
Schwäche und setzte seine Vampirstärke ein, um den Dämon mit der
Brust voran gegen die Wand zu schmettern.

Zerstöre den Stein und banne den Dämon, schoss es ihm durch den

Kopf.

Angel ließ den Dämon los, der rückwärts stolperte, das Gesicht mit

eitrigem Blut verschmiert. Die Bruchstücke des zerschmetterten Steins
klimperten zu Boden wie Wechselgeld. Gahryen sah es mit einem
Ausdruck des Entsetzens. Wo einst der Stein gewesen war, zeigte sich
jetzt nur mehr ein dunkles, pulsierendes Loch in der Brust, das sich von
Sekunde zu Sekunde vergrößerte. Risse und Sprünge erschienen im
Oberkörper des Dämons und offenbarten nichts als gähnende Leere.

Gahryen schrie. Wie unter dem Griff eines unsichtbaren Riesen wurde

sein Körper zusammengequetscht. Wind kam auf, blies den
Umstehenden heiß ins Gesicht und wirbelte Staub und Unrat durch die
Luft. Gleichzeitig wurde Gahryen in das bodenlose Loch, das sich in
seinem Körper aufgetan hatte, gesogen, bis von seiner Existenz nichts
mehr übrig war. Der tosende Sturmwind legte sich, und dann war es auf
einmal totenstill in der dunklen Gasse.

Plötzlich ertönte hinter Angel ein greller Aufschrei.
»Pass auf«, rief Doyle.
Angel fuhr herum und sah Slyora auf sich zustürmen, in der Hand ein

langes Messer, das sie aus dem Schaft ihres hohen Lederstiefels
hervorgezaubert hatte. Sie hielt die Waffe über dem Kopf, bereit, ihn mit
einem Stich niederzustrecken. Angel riss seinen linken Arm hoch und
bekam ihr Handgelenk zu packen; das Messer war nur Millimeter von
seinem Gesicht entfernt. »Auf ein Neues«, ächzte er, entwand ihr die
Waffe und schlug mit dem Griff auf den Edelstein auf ihrer Brust ein.

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»Nein!«, schrie Slyora, doch der Stein war bereits beschädigt.

Verzweifelt versuchte sie, die Einzelteile des Edelsteins an ihrer Brust
festzuhalten.

»Gahryen wird dich bestimmt schon vermissen«, meinte Angel und

winkte ihr zu. »Mach's gut.«

»Das ist nicht fair!«, jammerte sie, während sich in ihrem Oberkörper

die schwarze Leere wie zuvor bei Gahryen ausbreitete. Und dann wurde
auch sie mit einem zischenden Geräusch vom Nichts verschluckt.

»So, Leute, die Vorstellung ist beendet«, ließ sich Doyle vernehmen.
Die Schaulustigen trieben auseinander; einige verließen den Ort des

Geschehens, andere verschwanden im Souterrain des Gebäudes, in dem
Angel die Underbar vermutete.

Angel trat zu Doyle und dem kleinen Dämon. Doyle meinte: »Du

fängst Streit mit einem Marzekian-Dämon an, Dink? Also, ich hätte dir
ein bisschen mehr Verstand zugetraut.«

»Sie hat mich angerempelt, und ich musste niesen«, nuschelte Dink

und deutete auf die gekrümmten Barteln um seinen Mund. Sie waren
eine Spur dunkler als seine übrige blassgraue Haut; seine riesigen
Augäpfel waren leuchtend orange mit vertikalen Pupillen.

»Und als du geniest hast, hat sich das angehört wie -«
»Ein Pfiff«, beendete Dink den Satz.
»Wie dem auch sei, Dink, ich hab dir was mitgebracht.« Doyle hielt

dem Kleinen die weiße Schachtel vor die Nase. »Dein Lieblingsessen.«

»Lebende Nachtkriecher?«
Doyle nickte.
»Oh, her damit! Todesnahe Erfahrungen machen mir immer großen

Appetit.«

»Du hast wohl schon viele todesnahe Erfahrungen gemacht?«, fragte

Angel.

»Na ja, um ehrlich zu sein, irgendwie macht mir alles großen Appetit«,

gab Dink zu. »Und im Übrigen versuche ich, mich von Ärger
fernzuhalten.«

Doyle reichte ihm den Karton. Sofort nahm Dink den Deckel ab und

warf einen gierigen Blick hinein. »Hach«, seufzte er, »und sie wimmeln
sogar noch in ihrem Heimatboden herum. Gibt einfach nichts Besseres.
Keine Frage.« Er fischte sich einen langen Wurm heraus und warf den
Kopf zurück. Die Tentakel um seinen Mund wogten hin und her wie die
Nesseln einer Seeanemone. Dann saugte Dink den Snack in sich hinein
wie Spaghetti und kaute genüsslich darauf herum. »Also, was willst du
von mir, Doyle«, fragte er schmatzend. »Du bringst mir doch nicht
einfach so meine Lieblingswürmer vorbei.«

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»Stimmt, jetzt wo du darauf zu sprechen kommst: Du musst mir einen

kleinen Gefallen tun.«

»Nicht so hastig!«, meinte Dink. »Würmer machen mich immer so

durstig. Ich schlage vor, du lädst mich zu einem Drink ein.«

Er spazierte auf den Backsteinbau zu und stieg die Stufen zum

Eingang hinab, wobei er sich am Geländer festhielt.

»Alles macht ihn durstig«, flüsterte Doyle Angel zu.
»Keine Frage«, erwiderte Angel.
Über der gläsernen Eingangstür leuchtete in grünen Neonlettern »

Underbar«. Darunter hing ein weißes Kunststoffschild, auf dem
»Geschlossene Gesellschaft – Einlass nur für geladene Gäste« stand.
Ohne zu zögern betrat Dink die Bar.

Fragend sah Angel seinen Freund an. »Als Dämon oder Halbdämon ist

man hier jederzeit willkommen«, erklärte Doyle.

An der rechten Wand der Underbar befand sich eine lange Theke mit

Barhockern, im rechten Teil des Raums standen verstreut einige Tische
und Stühle. Der Laden war halb voll. Die meisten Gäste waren
unverkennbar Dämonen der unterschiedlichsten Art. Selbst der
Barkeeper, ein Typ von fast zwei Meter Größe, war schwarz wie ein
Obsidian, hatte unruhige pinkfarbene Augen und ein gewundenes Hörn
an seinem kahlen Schädel. Auf einem Regalbrett hinter ihm stand ein
Käfig mit lebenden weißen Mäusen, von denen er sich ab und zu eine in
den Mund steckte.

Trotz des träge arbeitenden Deckenventilators war der Raum voller

Dunst. Soweit Angel feststellen konnte, stammte dieser von einem
grauen Dämon, der anstelle eines Gesichts nur Fleischfalten besaß. Der
Dunst schien direkt aus seinen Poren zu strömen.

Ein Paar grünhäutiger Zeitgenossen spielte ein lustiges Spiel, in dem

es um scharfe Messer und Reaktionsgeschwindigkeit ging. Während der
eine seine knochige Hand auf den Tisch legte, hieb der andere mit dem
Messer darauf ein. Der Witz bestand darin, die Hand rechtzeitig
wegzuziehen. Die beiden schienen schon eine Weile hier zu sein, und
nun, da jeder von ihnen den einen oder anderen hochprozentigen Drink
zu sich genommen hatte, häuften sich die Schmerzensschreie. Doch
niemanden schien es sonderlich zu stören, dass die beiden gerade dabei
waren, ihre Hände in Hackfleisch zu verwandeln.

In einer Ecke stand eine verstaubte Musikbox, die wie ein verloren

gegangenes Exponat aus einer Art-Deco-Ausstellung wirkte und an der
ein »Außer Betrieb«-Schild hing. Darunter hatte jemand »Wieder mal!«
gekritzelt. In Fußhöhe gähnte ein großes Loch in der Verkleidung; offen-
sichtlich das Ergebnis eines Streits um den rechten Musikgeschmack.

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Sanft stieß Doyle Angel an. »Mitch Radley gehört sowohl das Ober-

als auch das Untergeschoss. Es heißt, er wäre einer jener Dämonen, die
durchaus für menschlich durchgehen könnten.«

Zielsicher bahnte sich Dink einen Weg zwischen den Tischen

hindurch, während er einen weiteren Wurm aus dem Karton fingerte und
verschlang. Als er den Tisch neben dem Flipperautomat erreicht hatte,
ließ er sich auf einen der Stühle fallen, den Blick unverwandt auf den
Karton mit den Leckereien gerichtet. Er warf die Kapuze seines
Umhangs zurück und entblößte ein Paar weicher grauer Ohren. Als
Doyle und Angel sich zu ihm setzten, deutete Dink aufsein Geschenk:
»Hast dich ja richtig in Unkosten gestürzt, Doyle. Ist ja ein halbes
Dutzend.«

»War das Sonderangebot des Tages«, meinte Doyle. »Kauf sechs

Stück, und du kriegst einen Wurm kostenlos dazu.«

»Wie lieb von dir«, sagte Dink und zog einen weiteren Wurm heraus.

Er sah Angel an, während der Snack sich zwischen seinen Fingern
krümmte und windete. »Ich würde Ihnen ja einen anbieten, aber lebende
Würmer sind wohl nicht jedermanns Sache, was?«

»In der Tat«, meinte Angel. Eine Sache, von der ich nicht vorhabe, ihr

auf den Grund zu gehen, dachte er.

»Angel hat ein paar Fotos dabei und möchte, dass du mal einen Blick

drauf wirfst, Dink«, sagte Doyle.

»Zuerst mein Drink«, meinte der kleine Dämon. »Wodka mit

Traubensaft, bitte. Schmeckt wunderbar zu Würmern.«

»Da kann ich leider nicht mitreden«, erwiderte Doyle und schüttelte

sich.

Während sich der Freund an der Bar um die Getränke kümmerte, zog

Angel einen Umschlag aus der Manteltasche und entnahm ihm die Fotos
der Ermordeten. »Was können Sie mir darüber sagen?«, fragte er, als er
die Aufnahmen auf dem Tisch ausbreitete.

Dink biss ein Stück von seinem Wurm ab und wedelte mit der noch

zappelnden anderen Hälfte umher, wobei schmutzig graue
Körperflüssigkeit auf die Bilder tropfte. »Das ist ja widerlich«, sagte er.

Angel verdrehte die Augen. Ganz meine Meinung, dachte er.
In diesem Moment kam Doyle mit einem großen Glas an den Tisch

zurück. »Ein Wodka-Traubensaft, bitte sehr.«

Dink tauchte seine Mundtentakel in das Glas und produzierte ein

nervenzermürbendes Schlürfgeräusch, als er es bis zur Hälfte leerte.
Viele der Gäste sahen kopfschüttelnd zu ihnen herüber.

»So, Schluss jetzt mit der Hinhaltetaktik, Dink«, zischte Doyle ihm zu.

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»Okay, okay«, sagte Dink. »Lass mich nochmal 'nen Blick drauf

werfen.« Er wischte die Wurminnereinen von den Fotos und schüttelte
den Kopf. Dann seufzte er schwer, wobei die kleinen Tentakel an seinem
Mund zu zittern begannen. Schließlich sah er von Doyle zu Angel. »Ist
es das, was ich glaube, das es ist? Eine menschliche Hauthülle?«

Angel nickte.
»Ich dachte, es wären nur Gerüchte, aber...«, fuhr Dink fort. »Also,

wenn ihr wollt, dass ich mehr sage, kostet das 'ne Kleinigkeit. Sagen wir
fünfzig Mäuse, und keinen Dollar weniger.«

»Moment mal, Angel hat gerade deinen Arsch gerettet«, bemerkte

Doyle, »wir füllen deinen Wanst mit Würmern, und das ist nun der
Dank?«

»Fünfzig, oder ich schweige wie ein Grab.«
»Zwanzig«, sagte Angel in einem Ton, der keine weitere Diskussion

mehr zuließ,

Dink schluckte. »Okay, zwanzig sollten reichen.«
»Gut, und jetzt raus mit der Sprache«, befahl Angel.
»Ich werd's euch erzählen«, sagte Dink. »Aber es wird euch nicht

gefallen.«





















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Willem 94 saß am Steuer des Lieferwagens, den die Bruderschaft von
Vishrak gemietet hatte. Vincent 74 hockte in der Mitte, und der Omni
hatte sich gegen die Beifahrertür gelehnt, mit erhobenen Händen leise
singend – nur das Weiße in seinen Augen war noch sichtbar.

Der Magier versuchte, mit Hilfe eines Zaubers den Dämon namens

Yunk'sh ausfindig zu machen, während die anderen des Kults im
dunklen hinteren Teil des Wagens auf drei langen Picknick-Holzbänken
ausharrten.

Willem hatte Angst, Vincent zu fragen, wie der Suchzauber

funktionierte, insbesondere nach dem Zwischenfall mit Albert 97 –
Vincent hatte dem Bruder mit dessen eigenem Baseballschläger den
Schädel zertrümmert. Danach hatte er einigen Mitbrüdern befohlen, die
Leiche in den Keller der Kirche zu verfrachten. Immerhin war Albert,
der arme Bastard, schon tot gewesen, bevor sich die Ratten über ihn
hergemacht hatten.

»Das sollte euch eine Lehre sein«, hatte Vincent ihnen danach gedroht.

»Wir müssen jegliche Störung vermeiden und uns voll und ganz auf die
Unterwerfung des Yunk'sh konzentrieren.«

Bevor sie den Wagen bestiegen hatten, hatte der Omni ihnen erklärt:

»Der Dämon muss sich eine Physis zulegen, Substanz, die er sich von
einem menschlichen Diener ausborgt, um seine Opfer aussaugen zu
können. Nun, nachdem wir das Namensritual abgeschlossen haben, bin
ich im Stande, seine Präsenz zu erspüren, solange die Manifestation
andauert.«

Und so fuhren sie durch die nächtlichen Straßen von Los Angeles auf

der Suche nach einem Hinweis auf den Aufenthalt des Dämons. Und
Willem beachtete sorgsam, wie man es ihm befohlen hatte, alle Ampeln
und Verkehrshinweise.

Der Twilight Club in Culver City war ein zweigeschossiger Nachtclub
mit einer großen Barinsel im Basement, die von Sitznischen gesäumt
war, und einem Parkett-Tanzboden in der oberen Etage, den kleine runde
Tische umgaben. Eine hölzerne Außentreppe führte hinauf zum u-
förmigen Dachgeschoss.

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Den größten Umsatz machte der Twilight Club mit Gästen um die

zwanzig, die hier nach Feierabend die Happy Hour nutzten und die
Mischung aus Tanzen, Trinken und Leute treffen schätzten. Während der
letzten sieben Jahre hatte der Laden drei verschiedene Besitzer gehabt
und seinen Namen fünf Mal geändert in dem Versuch, einen optimalen
Namen für die Mischung aus Musik, Atmosphäre und Küche zu finden.

Um dem hämmernden Beat der Musik zu entgehen, hatte sich Hank

Stepanski, einer der drei Barkeeper des Clubs, gemeinsam mit Angel für
eine Zigarettenlänge vor die Tür begeben. Hank Stepanski war die letzte
Person, die Mike McBain, Opfer Nummer sechs der »Epidermis-Morde«
lebend gesehen hatte.

Als sie ein ruhiges Plätzchen unter der Außentreppe gefunden hatten,

zündete sich Hank eine filterlose Zigarette an und nahm einen tiefen
Zug. »Das ist vielleicht ein Ding, Mr. Angel«, sagte er kopfschüttelnd.
Angel hatte ihn wiederholt darum gebeten, ihn einfach »Angel« zu
nennen, doch es schien hoffnungslos. »Ich könnte schwören, ich hab
Suzette mit ihm gesehen.«

»Suzette?«
»Wissen Sie, ich sehe jeden Abend 'ne Menge Gesichter. Meistens

vergesse ich sie wieder. Aber die Stammkunden und die ganz
Spendablen bleiben einem natürlich im Gedächtnis.« »Wer war
Suzette?«

»Der Hammer«, meinte Hank mit einem wölfischen Grinsen. »Der

absolute Hammer.« Er kicherte. »Hat immer die schärfsten Klamotten
angehabt, eng, kurz, viel Haut, Sie wissen schon. Ein ziemlicher
Hingucker. Kam immer freitags und samstags hierher, hoffte wohl, für
den Film oder so entdeckt zu werden. Na ja, die Leute von Sony arbeiten
nicht weit von hier. Hat wohl gehofft, die Star-Macher vom Dienst
würden hier nach Feierabend rumhängen.«

»Was war denn an diesem Abend anders als sonst? War McBain

womöglich gar nicht ihr Typ?«

»Er wartete an der Bar auf sie«, erinnerte sich Hank. Seine Zigarette

war bereits zur Hälfte heruntergebrannt, und Angel vermutete, dass das
Gespräch zu Ende sein würde, sobald er sie aufgeraucht hatte. »Schien
so, als ob sie sich kannten.«

»Kam sie normalerweise allein hierher?«
»Immer«, sagte Hank. »Sie hat auch fast immer allein getanzt, mit

einem so verträumten Gesichtsausdruck ... Manchmal musste man sie
einfach anstarren, obwohl ich nicht glaube, dass es ihr was ausgemacht
hat. War wohl das Ziel dieser ganzen One-Woman-Show, wenn Sie mich
fragen. Manchmal hat sie auch mit Leuten gesprochen, von denen sie

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dachte, dass die 'ne große Nummer im Showbiz sind. Aber an diesem
Abend war's anders. Sah fast so aus, als ob sie mit dem Typen verabredet
war.«

»Vielleicht war er ja 'ne große Nummer im Showbiz?«
Hank nahm einen weiteren Zug. »Schon möglich. Aber nach dem, was

in den Zeitungen zu lesen war, war der arme Hund doch nur ein
einfacher Angestellter.«

»Was passierte, nachdem sie McBain getroffen hatte?«
Hank betrachtete seine Zigarette. »Butch reißt mir den Kopf ab, wenn

ich nicht schleunigst wieder reinkomme.«

»Nur noch ein paar Minuten.«
Hank nickte. »Klar. Aber ich komm am besten gleich zur Sache. Ich

kenne Suzette. Nicht persönlich, aber so vom Sehen und Beobachten. Na
ja, und da saß also diese Frau direkt vor mir an der Bar, und ich hab sie
erst gar nicht erkannt.«

»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
Hank wartete, bis zwei ausgelassene Pärchen über die Treppe im

Dachgeschoss verschwunden waren. »Weil das alles irgendwie keinen
Sinn gemacht hat. Jedenfalls nicht für mich. Diese Frau hatte ihre
Margarita halb ausgetrunken – Suzette trinkt nie Margarita –, und dann
hab ich fast das Glas fallen gelassen, das ich poliert habe. Weil diese
Frau plötzlich Suzette war! Bang! Als ob sie direkt vor mir erschienen
wäre. Zugegeben, ihre Klamotten waren für ihren Geschmack ein
bisschen zu brav, aber wieso hab ich sie bis zu diesem Moment einfach
übersehen können? Und bevor ich mich versah, sind sie und McBain
Arm in Arm rausspaziert.«

»Hatten Sie an dem Abend viel zu tun?«
»Wie immer.« Er lächelte wieder sein unbekümmertes Lächeln. »Sie

müssen verstehen, Mr. Angel, Suzette spielt nicht gerade 'ne Nebenrolle
in meinen immer wiederkehrenden Träumen. Doch es kommt noch
besser. Fünf Minuten nachdem sie den Laden mit McBain verlassen hat,
kommt sie wieder rein.«

»Vielleicht hat sie ihn einfach abserviert?«
»In fünf Minuten?«
»So was kommt vor.«
»Möglich. Aber sie hat in fünf Minuten nicht nur diesen Typen

abblitzen lassen, sondern sich auch noch komplett umgezogen, Mr.
Angel. Als sie zum zweiten Mal reinkam, trug sie nämlich einen weißen
hautengen Körperanzug mit strategisch angebrachten Gucklöchern drin –
diesmal also ganz ihr Stil.« Er ließ den Zigarettenstummel auf den Boden
fallen und trat ihn mit der Stiefelspitze aus. »Und dann kommt sie als

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Erstes zu mir rüber und meint: ›Hank, ich brauch 'nen Drink zum
Auflockern.‹ Ich frag sie, ob sie noch 'ne Margarita will, und raten Sie
mal, was dann passiert ist? Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wovon
ich eigentlich rede. Dachte wohl, ich wäre total übergeschnappt. Und ich
sag Ihnen, Mr. Angel, vielleicht bin ich's ja sogar.«

Nach Aussage der Oberkellnerin des Restaurants Captain's Table
handelte es sich bei Jill Gonczis Begleiter um jenen heißen Stripper, der
just am vorherigen Wochenende auf der Junggesellinnen-Party ihrer
besten Freundin aufgetreten war.

»Entweder er oder sein Doppelgänger«, sagte sie. »Der Tänzer hieß

übrigens Aaron. Glauben Sie, die benutzen ihren richtigen Namen?« Sie
fuhr fort, Angel zu erklären, dass sie dies schon alles der Polizei erzählt
und den Beamten auch den Namen der Firma mitgeteilt hätte, für die der
Stripper gearbeitet hatte: Steel Studs of America. Für Angel klang der
Name eher nach einer Malocher-Gewerkschaft.

Janis Howe, die zweiundzwanzigjährige Bedienung, die dem Paar

seine Getränke serviert hatte, lieferte eine andere Geschichte. Während
sie mit Angel im Aufenthaltsraum der Angestellten sprach, hatte sie die
nervöse Angewohnheit, ständig ihren blonden Pferdeschwanz zu
striegeln. Sie trug schwarze Hosen und eine weiße Baumwollbluse mit
schmalen roten Streifen. Bei näherem Hinsehen entpuppten sich die
Streifen als in Reihe angeordnete Hummer, Krebse und Fische. »Er war
mein Freund«, sagte sie.

»Ihr Freund?«
»Brian, ja, er war mein Ex-Freund«, erklärte sie mit einem peinlich

berührten Lächeln und präsentierte Angel den kleinen silbernen Ring an
ihrem rechten Finger. »Den habe ich von ihm, und ich trage ihn immer
noch. Er wollte ihn nie zurück, also ...« Sie zuckte die Achseln. »Wir
gehen beide auf die UCLA, deshalb sehe ich ihn noch manchmal. Als ich
an diesem Abend an ihren Tisch kam, wusste ich gleich, dass er es ist.
Ich hab vor Schreck sogar zwei Teller mit Essen fallen lassen.«

»Sie haben ihn wiedererkannt, aber er Sie nicht?«
»Er hat mich angelächelt, aber es war ein sehr unverbindliches

Lächeln, so als ob ich eine Fremde für ihn wäre. Ich hab erst gedacht, er
tut eben so, als ob er mich nicht kennt. Die beiden haben Geld für die
Getränke auf dem Tisch zurückgelassen und sind dann zusammen
verschwunden, ohne noch etwas anderes zu bestellen.« Sie hob die
Schultern. »Ich dachte, es hat ihm nicht in den Kram gepasst, dass ich
auch da war.«

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»Sind Sie sicher, dass es sich bei diesem Mann um Ihren Ex-Freund

handelte?«

»Damals war ich davon überzeugt, ja«, sagte Janis. »Doch

inzwischen... Wissen Sie, er schien mich überhaupt nicht zu kennen. Und
natürlich würde Brian niemals jemanden töten.«

»Aber Sie haben der Polizei seinen Namen genannt?«
Sie sah einen Moment lang zu Boden, dann blickte sie Angel direkt ins

Gesicht. »Ich hab denen nur gesagt, dass er genauso wie mein Freund
ausgesehen hat.« Sie verdrehte die Augen. »Ich meine natürlich wie
mein Ex-Freund.«

»Hat die Polizei Brian verhört?«
Sie nickte. »Aber er war zum fraglichen Zeitpunkt am College und

steckte mitten in den Vorbereitungen zu einer Aufführung. Es gab jede
Menge Zeugen. Wahrscheinlich war es nur eine dieser verrückten
Doppelgänger-Verwechslungen.«

»Ich nehme an, Ihr Ex-Freund hat niemals für die Steel Studs of

America gearbeitet?«

Janis lachte. »Sie haben mit Nancy, der Oberkellnerin, gesprochen,

stimmt's?«

Angel nickte.
»Sie hat mir diesen Stripper – Aaron? – beschrieben, und er hatte nicht

die geringste Ähnlichkeit mit Bryan. Glauben Sie mir, mein Brian ist ein
süßer, aber ganz und gar durchschnittlicher Typ. Niemand würde ihn mit
einem von den Chippendales verwechseln.«

»Klingt, als ob sie ihn noch sehr vermissen«, hakte Angel nach.
Sie nickte knapp und wischte sich rasch eine Träne fort. »Ein

bisschen«, sagte sie, doch ihre Stimme klang gepresst. »Er ist bereits im
Senior-Jahr, hat schon ein Jobangebot in seiner Heimatstadt Philadelphia
und wollte sich nicht auf eine Fernbeziehung einlassen. Er meinte, es
wäre besser, jetzt Schluss zu machen als nach dem Abschluss. Erfand, es
wäre das Beste für uns beide.«

Angel drückte ihr die Hand und bedankte sich für das Gespräch.


Cordelia hatte sich um Verstärkung bemüht.

Die tausendseitigen Werke, die Webdesign bereits im Titel zum

Kinderspiel erklärten, hatten bisher lediglich ihren Verbrauch an
Kopfschmerztabletten erfolgreich gesteigert. Das ganze Internet-Projekt
erwies sich als komplexer, als die ganzen Do-it-yourself-Ratgeber es
hatten vermuten lassen. Und so hatte sie erkennen müssen, dass eine
Homepage, die die Leute beeindrucken und in Angels Büro locken sollte,
nicht mal eben so aus dem Boden zu stampfen war. Sie konnte zwar die

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Texte dafür schreiben, aber die nötigen Grafiken und Programmierungen
für die Site zu erstellen, das war etwas für Computerfreaks wie Willow
Rosenberg, deren Begeisterung für dieses Thema Cordelia noch nie hatte
teilen können.

Was lag also näher, als die gute Willow anzurufen und sich ein paar

Adressen von Leuten geben zu lassen, die sich auf Webdesign
spezialisiert hatten – zu einem Preis natürlich, den sich Angel
Investigations
leisten konnte.

Nachdem ein gewisser Arnold Pipich sich einverstanden erklärt hatte,

diesen Job zu übernehmen, und als Honorar dafür lediglich ein paar
Videospiele gefordert hatte, war Cordelia davon überzeugt, den richtigen
Mann gefunden zu haben. Allerdings war der richtige »Mann« erst
fünfzehn Jahre alt, und es stellte sich auch heraus, dass Videospiele
teurer waren, als sie angenommen hatte.

»Fünfzig, sechzig Dollar pro Game«, hatte Doyle sie informiert.
»Fünfzig Dollar sind 'ne Menge Geld«, hatte sich Cordelia beschwert.

»Ich nehme an, unter diesen Umständen sind Visa- und Master-Cards in
den Spielhallen groß im Rennen?«

»Nix Spielhalle, man kauft diese Games für zu Hause«, hatte Doyle

erklärt. »Dazu schließt man eine Konsole an den Fernseher an, füttert
diese mit der Spiele-CD, und schon geht's los.«

Cordelia hatte ihn verständnislos angestarrt. »Warum?«
»Soll angeblich Spaß machen.«
Und so stand Arnold Pipich nun neben Cordelias Stuhl und starrte,

über ihren Schreibtisch gelehnt, auf die Fragmente der Homepage, die
sie zwischen Tür und Angel auf ihrem Bildschirm zusammengeschustert
hatte.

Der Schüler war pummelig, trug ein grünes Shirt mit dem Bild einer

Platine darauf und viel zu große Jeans. Seine dunklen Haare sahen aus,
als ob er sie in den letzten Tagen weder mit Wasser noch mit einem
Kamm in Berührung gebracht hätte. Und natürlich trug er eine Brille mit
flaschenbodendicken Gläsern. »Sieht irgendwie doof aus«, kommentierte
er Cordelias Arbeit.

»Deswegen bist du ja hier, Bürschchen«, gab Cordelia gereizt zurück.

»Das Buch lügt wie gedruckt. Diese Website-Assistenten sind echt das
Letzte.«

»Am besten fange ich nochmal ganz von vorne an. Ist 'ne ziemlich

einfache Sache, wie's aussieht.«

»Wirklich?«, fragte Cordelia. »Etwa so einfach, dass ein Videogame

als Bezahlung genügt?«

»Ich dachte eher an drei.«

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»Zwei«, sagte Cordelia, »und das ist mein letztes Wort.«
Hinter den dicken Brillengläsern zwinkerte ihr eines von Arnolds

vergrößerten Augen verschwörerisch zu. »Mal sehen, was wir für zwei
Videospiele so auf die Beine stellen können.«

»Arnold! Das ist mein Knie und nicht die Tastatur!« Sie schlug seine

Hand von ihrem Bein und wünschte, sie hätte sich heute Morgen für
Jeans entschieden.

»Wie war's damit? Ich mach euch 'ne Killerwebsite mit dem geilsten

Scripting und der schärfsten Grafik ... und alles, was ich im Gegenzug
dafür verlange, ist nur ein Computergame und ein Treffen mit dir an
einem Ort, wo meine Freunde uns sehen können ...«

»Tut mir Leid, Junge, aber die Hacker-Braut-Nummer zieht bei mir

nicht.«

»Och Mann«, schmollte Arnold. »Also gut, ich mach's für zwei

Spiele.«

Cordelia sah gehetzt auf, als Doyle in den Rezeptionsbereich trat.

»Doyle, das ist Arnold. Arnold wird unsere Website erstellen. Das heißt,
sobald er damit aufgehört hat, mich anzubaggern.«

»Störe ich gerade bei irgendwas?«, fragte Doyle.
»Nur bei einem Fall von jugendlicher sexueller Belästigung.«
»Lass deine Finger von dem Jungen, Cordelia«, witzelte Doyle, »und

such dir jemanden in deinem Alter. Mich zum Beispiel.« Als Cordelia
nicht darauf einging, fuhr er fort: »Also, habt ihr euch schließlich doch
auf den Videogame-Deal geeinigt. So viel zu deinen ach so einfachen
Website-Assistenten-Zauberprogrämmchen.«

»Na ja, Arnold ist auch so eine Art Zauberer oder Hacker oder was

weiß ich, stimmt's, Arnold?«

»Ich bin, was immer du brauchst, Baby.«
»Dann fang mal an, Hacker-Boy«, sagte Cordelia und reichte Arnold

einen Kugelschreiber und einen Notizblock. »Mach dir am besten
Notizen, damit du nichts Wichtiges vergisst.«

»Vielleicht solltet ihr das lieber verschieben, Cordelia«, sagte Doyle.

»Unser Boss ist gerade gekommen.«

Bevor Cordelia reagieren konnte, trat Angel auch durch die

Eingangstür und runzelte die Stirn. »Wer ist das?«, fragte er mit Blick
auf Arnold.

»Das ist Arnold«, sagte Cordelia schnell.
»Aha, und Arnold ist ein ... Kunde?«
»Ein Mitarbeiter.«
»Ziemlich jung für einen Mitarbeiter«, meinte Angel.
»Er sieht jünger aus, als er ist«, bemerkte Doyle.

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»Er ist wegen unseres Computers hier«, beeilte sich Cordelia

hinzuzufügen.

»Wieso, ist das Ding kaputt?«
»Nicht direkt«, sagte Cordelia und zog eine Grimasse. Dann seufzte

sie. »Also gut, ich fand es an der Zeit, dass unsere Firma eine eigene
Website bekommt.«

»Ach ja?«
Wortreich begann Cordelia, Angel die Vorteile einer Homepage

auseinander zu setzen. »Und dann hab ich gedacht«, schloss sie ihren
Vortrag, »wir könnten unsere Internetpräsenz damit koppeln, dass wir
zahlenden Kunden den Zugriff auf unsere ganz spezielle Datenbank
anbieten.«

Angel schüttelte den Kopf. »Also, davon hab ich keine Ahnung,

Cordelia.«

»Gib mir wenigstens eine Chance«, sagte Cordelia rasch, bevor das

Damokles-Schwert endgültig auf ihr Projekt niedersausen konnte. »Nur
einen Monat. Wenn du erst mal siehst, wie viele neue Kunden durch
diese Tür da strömen werden, wirst du mir auf der Stelle 'ne
Gehaltserhöhung geben.«

»Sagen wir, zwei Wochen.«
»Du wirst es nicht bereuen«, erwiderte sie und schenkte ihm ihr

strahlendstes Lächeln.

Doch Angel bedauerte es bereits jetzt. »Cordelia, Doyle, ich muss euch

was erzählen. Wird Arnold noch länger hier zu tun haben?«

»Nimm dir 'neu Kaffee«, sagte Cordelia. »Und gib mir noch ein paar

Minuten, okay?«

Fünf Minuten später trafen sich Doyle und Cordelia in Angels Büro.

»Also, hat dieser Dink geplaudert?«, fragte Cordelia und setzte sich.

»Ja, und es war jeden einzelnen Wurm wert«, sagte Doyle.
Angel unterrichtete sie über seine jüngsten Recherchen. »Wir glauben,

diese Morde sind das Werk eines Vishrak-Dämonen, der die Macht
besitzt, sich so attraktiv zu machen, dass er seine Opfer verführen kann.«

»Kate hast du aber was anderes erzählt«, bemerkte Cordelia.
Angel räusperte sich. »Kate glaubt, dass irgendein Kult dahinter

steckt.«

»Kult?«, fragte Cordelia und sah von einem zum anderen.
»Tatsächlich spielt ein Kult in dieser ganzen Geschichte eine Rolle«,

erklärte Doyle, »aber dazu kommen wir später.«

»Und wie macht sich dieser Dämon nun attraktiv?«, wollte Cordelia

wissen. »Normalerweise sind die doch einfach nur widerlich.«

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Doyle runzelte die Stirn. »Der Trick des Dämons besteht darin, seine

Opfer das sehen zu lassen, was sie sehen wollen.«

»Eine Illusion also?«
»Mehr als das«, sagte Angel. »Hier handelt es sich um wahre Magie,

nicht um irgendwelche Taschenspielertricks. So ähnlich wie ... überaus
starke Pheromone.«

»Pheromone?«, fragte Cordelia. »Soweit ich mich noch an den

Biologieunterricht erinnere, sind das doch Sexuallockstoffe, die wie
Drogen wirken?«

»Gewissermaßen«, antwortete Doyle. »Aber in unserem Fall wirkt

übernatürliche Magie, keine Drogen. Um es auf den Punkt zu bringen:
Wir reden hier über das pure Böse.«

»Die Opfer und sogar die Augenzeugen sehen jemanden, den sie schon

immer überaus attraktiv fanden«, fuhr Angel fort. »Und der Effekt
scheint von Mal zu Mal stärker zu werden. Ich habe mit dem Barkeeper
gesprochen, der Mike McBain, das sechste Opfer, als Letzter gesehen
hat.« Er berichtete Doyle und Cordelia, wie Hank Stepanskis Traumfrau
sich quasi vor ihm transformierte, bevor sie mit Mike McBain den Club
verließ. »Doch die Augenzeugen, die Jill Gonczi in dem Restaurant
zuletzt gesehen haben, haben nie davon gesprochen, dass sich die
fragliche Person graduell oder plötzlich verändert hat. Sie haben einfach
jemanden gesehen, den sie anziehend fanden oder von dem sie einmal
fasziniert waren. Das bedeutet, dass der Dämon seine vollständige Macht
beinahe erlangt hat. Er hat den Kreis fast geschlossen.«

»Welchen Kreis?«, fragte Cordelia. »Wovon redest du?«
»Dieser Dämon ist nicht richtig getötet worden«, erklärte Doyle.
»Nicht richtig getötet? Ist das nicht wie >ein bisschen schwangen?«
»Manchmal sind sehr komplizierte Rituale erforderlich, um bestimmte

Dämonen zu töten.«

»Doyle hat Recht«, sagte Angel. »Wenn man einen Dämon tötet, hat

man ihn damit nicht automatisch für immer gebannt.«

»Aha, das dämonische Hintertürchen«, bemerkte Cordelia.
»Und dieser hier ist besonders perfide«, sagte Doyle. »Durch die

Absorptionen, die im Grunde nichts anderes als Menschenopfer
darstellen, versucht der Vishrak-Dämon, sich einen neuen Körper zu
beschaffen, um auf unsere Ebene zu gelangen«, erklärte Angel.

»Und zwei Mal ›wiedergeborene‹ Dämonen sind die allerschlimmsten

Scheißkerle überhaupt«, fügte Doyle hinzu.

»Er will also den perfekten Körper?«, sinnierte Cordelia. »Doch will

das in L.A. nicht jeder?«

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Angel schüttelte den Kopf. »Es geht nicht um einen ganz bestimmten

Körper. Es geht um eine ganze Serie von Körpern. Er versucht, ein
Ritual zu vollenden – eine Art Wiederkunfts-Ritual.«

Endlich schien Cordelia zu verstehen. »Also braucht er gewissermaßen

einen kompletten Satz an Körpern, bevor er einen eigenen erhält.«

»Genau«, sagte Angel.
»Aber wie vervollständigt er dieses Set, ich meine, nach welchen

Kriterien?«

Doyle runzelte die Stirn. »Genau das wissen wir eben noch nicht.«
»Und was geschieht, wenn er in der Lage ist, den Kreis zu schließen,

bevor wir ihn stoppen können?«

»Dann werden noch mehr Leute sterben.«





























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9



»Irgendwie kapiere ich das alles noch nicht ganz«, meinte Cordelia.
»Wenn der Dämon noch gar keinen eigenen Körper hat, wie trifft und
tötet er dann seine Opfer?«

»Mit Hilfe eines willigen menschlichen Komplizen«, erklärte Angel.

»Es scheint, dass der Dämon sich etwas von diesem Menschen ausleihen
kann, ein wenig Substanz, um seine Morde überhaupt begehen zu
können. Wir sind nicht sicher, was mit dem Menschen, dessen er sich
dafür bedient, während dieses Prozesses geschieht, aber es ist vermutlich
nicht gerade erfreulich.

Der Dämon befindet sich derzeit in einem Stadium des Flusses und

wechselt ständig von einem aktiven, sehr gefährlichen in einen ruhenden
Zustand und zurück.«

»Doch er ist nur verwundbar, wenn er sich in seiner geborgten Form

befindet«, fügte Doyle hinzu.

»Also müssen wir ihn auf frischer Tat ertappen?«, fragte Cordelia

stirnrunzelnd.

»Ertappen und töten«, bemerkte Angel. »Das ist der feine

Unterschied.«

»Und hier wird's jetzt kompliziert«, ergänzte Doyle.
»Lass mich raten«, sagte Cordelia. »Der Kult?«
Angel nickte. »Die wollen den Dämon nämlich auch auf frischer Tat

kriegen.«

Cordelia hob die Hände und machte ein ratloses Gesicht. »Moment

mal, dieser Kult ist also auf unserer Seite? Das wäre ja mal ganz was
Neues.«

»Nicht wirklich«, sagte Doyle ernst. »Sie wollen den Dämon und seine

Macht ihrem Willen unterwerfen.«

»Der Dämon als folgsames Haustier?«, fragte Cordelia.
»So ähnlich. Und da heißt es immer, Pitbulls wären gefährlich«,

murmelte Doyle.

»Offensichtlich verfügt der Kult über eine weit zurückreichende

Dynastie an Magiern, die obskure Rituale und Zauber beherrschen, um
den Dämon zu finden und ihn zu unterwerfen«, sagte Angel. »Allerdings
müssen sie ihn in seinem geborgten Körper antreffen, um ihn zu
beherrschen.«

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Cordelia nickte. »Und darum müssen sie ihn buchstäblich auf frischer

Tat ertappen.«

»So ist es«, stimmte Doyle zu.
»Wie viel von dieser Geschichte hast du eigentlich Kate erzählt?«,

fragte Cordelia Angel.

»Nur das von dem Kult«, erwiderte er. »Genauer, dass wir an eine

blutrünstige Sekte glauben, die menschliches Material für irgendein
Ritual braucht.«

»Was ja noch nicht mal so weit hergeholt ist«, fügte Doyle hinzu.
Plötzlich hellte sich Cordelias Gesicht auf. »Wenn dieser Kult weiß,

wie man den Dämon finden kann, können diese Leute uns doch zu ihm
führen.«

»So weit, so gut«, sagte Angel, »doch dazu müssten wir erst mal den

Kult ausfindig machen.«

Sie spazierten den Sunset Boulevard entlang und gingen dann in ein
Cafe, wo Christine Foust die erste Tasse arabischen Mokkas ihres
Lebens trank, während Stefan an seinem Kaffee, einer afrikanischen
Spezialröstung, nippte.

Chris hatte sich vorgenommen, jede Kaffeesorte und -zubereitung, die

Starbucks im Angebot hatte, wenigstens einmal zu probieren. Nach
diesem Experiment konnte sie immer noch zu ihrem Lieblingskaffee
zurückkehren und für immer dabei bleiben.

Sie hatte hellbraune Haare, die ihr fast bis auf die Schultern fielen,

wässrige blaue Augen und einen etwas unregelmäßigen Teint – das
Ergebnis eines exzessiven Outdoor-Lebensstils anstelle wohl dosierter
Sonnenbäder. Sie trug einen ärmellosen, grob gestrickten Pullover sowie
eine stonewashed Jeans und nagelneue Bergsteigerstiefel. Sehr zum
Missfallen ihrer Mutter hatte sie sich in Kleidern, Röcken oder Schuhen
mit Absatz nie wohl gefühlt. Auch Stefan war leger gekleidet mit seinem
blaugold gestreiften Shirt, den Jeans und den bequemen Halbschuhen.

Von Natur aus beschwingt, auch ohne die anregende Wirkung des

Kaffees, ging Christine ein wenig schneller als ihr Begleiter, der ein eher
ruhiger Vertreter seiner Art zu sein schien. So drehte sie sich zu ihm um
und lief rückwärts weiter, während sie miteinander redeten. Stefan war
ein wenig größer als sie, hatte ebenfalls hellbraune Haare jedoch dun-
kelblaue Augen und eine kantige Mundpartie. Mit seinen breiten
Schultern, der schmalen Taille und den muskulösen Beinen sah er
genauso aus wie der Outdoor-Fan, als den er sich in seinen E-Mails und
während der zahlreichen Chats beschrieben hatte. Sie hatten beide

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zugegeben, versiertere Alpinisten als Computerbenutzer zu sein, obwohl
sie sich über dieses Medium kennen gelernt hatten.

Für ihr zweites Treffen war eine Bergsteiger-Tour geplant, doch für

dieses erste Date hatte Christine das Cafe vorgeschlagen - ein sicherer
öffentlicher Ort. Innerhalb von Minuten hatte es zwischen ihnen gefunkt.
Alles fühlte sich so richtig, so natürlich an. Stefan schien all das in sich
zu vereinigen, was sie sich je von einem Mann gewünscht hatte. Sie hätte
ihn am liebsten mit Haut und Haaren verschlungen.

Die Tatsache, dass sie mit drei Brüdern und ohne Schwester

aufgewachsen war, hatte sie geprägt. Es hatte ihr daher noch nie
Probleme bereitet, einen Jungen um eine Verabredung zu bitten, noch
bevor er dies tun konnte. Und so hatte sie dieses persönliche Treffen
vorgeschlagen, und sie war mehr als bereit, noch weiter zu gehen.

»Darf ich dich mal was Persönliches fragen, Stefan?«
Er nahm einen weiteren halbherzigen Schluck von seinem Kaffee.

»Immer raus damit.«

»Wie stehst du zu öffentlich zur Schau gestellten Gefühlen?«
»Du meinst Händchen haltend durch den Park schlendern oder so?«
»Na ja, ich dachte schon an ein bisschen mehr.«
Er blieb stehen und zwang damit auch sie anzuhalten. »Wirklich?

Sollte ich nun neugierig werden?«

»Oh, an deiner Stelle würde ich jetzt definitiv neugierig werden.« Sie

warf einen Blick in die nächste Seitenstraße, die im Augenblick
menschenleer zu sein schien. Dann packte sie ihn am Hemd und zog ihn
mit sich. Willig ließ er sich von ihr aus dem grellen, lauten Treiben in die
ruhige Nebenstraße entführen. »Ist das abgeschieden genug für dich?«

»Kommt drauf an, was du vorhast«, sagte er und sah sich argwöhnisch

um.

»Nur... das«, erwiderte sie und zog sein Gesicht an das ihre heran.
»Ich hab mich noch nie beschwert, wenn eine Frau den ersten Schritt

gemacht hat«, wisperte er nah an ihren Lippen.

»Gut zu wissen«, murmelte sie und öffnete ihren Mund zu einem Kuss.
Sie hörte, wie sein Kaffeebecher mit der afrikanischen Mischung auf

dem Boden aufschlug. Ach, zum Teufel damit, dachte sie und ließ ihren
Plastikbecher ebenfalls fallen.

Sie fühlte seine Zungenspitze in ihrem Mund, spürte, wie seine Hände

an ihren nackten Armen bis zu ihren Schultern hoch glitten und sich
unter die Ränder ihrer Weste schoben. Da schoss plötzlich etwas
Scharfes in ihren Hals und wurde dann zu etwas ... anderem. Sie
versuchte zu schreien, doch ihr Mund war viel zu weit aufgerissen, ihr
Nacken, ihr Rücken und die Brust wurde von irgendetwas durchbohrt.

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Der Versuch, auf das Ding in ihrem Schlund zu beißen, erwies sich als
aussichtslos – es war, als versuchte sie, auf einem Stück Stahl
herumzukauen. Sie schlug mit ihren Fäusten auf seine Arme ein, trat ihm
mit ihren schweren Stiefeln gegen die Schienbeine, doch nichts davon
führte dazu, dass er von ihr abließ.

Sie hörte ein entferntes Kreischen und dachte, es käme aus ihrer Kehle,

doch gleich darauf umgaben sie schwärzeste Dunkelheit und unendliche
Stille.

Ungeduldig schlug der Omni mit der Faust auf das Armaturenbrett.
»Schneller! Der Vishrak ist ganz in der Nähe! Keine Zeit mehr, Vorsicht
im Straßenverkehr walten zu lassen. Weiter! Schneller! Los!«

Willem 94 trat das Gaspedal durch. Nach mehr als einer Stunde

ziellosen Fahrens durch die Stadt, hatte der Omni plötzlich seinen
Gesang unterbrochen, und dann war sein Kopf scharf nach rechts
geruckt. »Yunk'sh hat sich genau da drüben manifestiert«, hatte er
hysterisch gerufen.

›Da drüben‹, das war vor fünfzehn Minuten und etlichen Kilometern

gewesen. Der Omni hatte das Gesangsritual dazu benutzt, den Dämon
aufzuspüren. Für Vincent hatte das Ganze eher die Funktion eines
psychischen Sonars – Signale wurden ausgeschickt und als
kontinuierlicher Strom zurückgesandt, der keine bemerkenswerte
Botschaft enthalten hatte, bis der Omni schließlich die Manifestation des
Vishrak wahrgenommen hatte. Was nichts anderes bedeutete, als dass
Yunk'sh gerade dabei war, Hand an sein nächstes Opfer zu legen.

Vincent hatte ihnen die weitere Strategie erklärt. »Der Dämon

verkleidet sich als Mensch, ein Wolf im Schafspelz. Er wird das Schaf
von der Herde wegtreiben an einen abgelegenen Ort, bevor er mit der
Absorption beginnt. Nur innerhalb dieser Zeitspanne können wir
intervenieren.«

»Hier einbiegen«, befahl der Omni.
Willem trat ein wenig auf die Bremse, während er in den Sunset

Boulevard einbog und schlingerte leicht, als er versuchte, sich wieder
einzuordnen. Er hörte, wie einige der Mitbrüder von den Holzbänken
kippten und gegen die Innenseite des Kleinlasters schlugen. Gedämpfte
Flüche ertönten, und draußen hob ein Hupkonzert an.

Der Omni öffnete sein hölzernes Kästchen und entnahm ihm eine

Viole mit grüner Flüssigkeit. Er benetzte jede Fingerspitze seiner rechten
Hand mit dieser Lösung und legte das Fläschchen wieder in die Kiste
zurück. Dann presste er beide Hände aneinander, so dass die Flüssigkeit
nun an allen zehn Fingerspitzen klebte. Sein Kopf flog von links nach

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rechts und wieder zurück, während sie den Sunset Boulevard
entlangrasten.

Immer wieder musste sich Willem in halsbrecherischen Manövern in

den laufenden Verkehr einordnen, um einen Unfall zu vermeiden.

Die Fingerspitzen des Omni begannen plötzlich zu glühen wie flüssige

Smaragde. »Hier links einbiegen! Sofort!«

Willem stieg auf die Bremse und schlug das große Lenkrad ein,

während er zur linken Straßenseite überwechselte und dabei mehrere
Autos schnitt. Um sie herum quietschen Reifen, während andere Fahrer
versuchten, mit Ausweichmanövern einer drohenden Kollision zu
entgehen. Dennoch kam es zu einem Auffahrunfall, irgendwo schepperte
Glas, und Kotflügel wurden zusammendrückt wie Ziehharmonikas. Der
Lieferwagen jedoch schaffte es, den Sunset Boulevard ohne Schaden zu
verlassen, obwohl die Brüder im hinteren Teil abermals durcheinander
gewirbelt wurden wie Kegel.

»Da!«, rief der Omni triumphierend.
Mit heruntergeklappter Kinnlade fuhr Willem rechts ran und brachte

den Wagen zum Halten. Im dämmrigen Licht einer Straßenlaterne war
ein großer, durchtrainierter Mann zu erkennen, der sich gerade über
etwas gebeugt hatte, das nur noch vage an einen menschlichen Körper
erinnerte: eine längliche weiche Hauthülle, die in schlaffen Kleidern
steckte. Bei näherem Hinsehen wurde klar: Der Mann war kein Mann,
sondern ein Dämon mit langen vielgliedrigen Tentakeln, wo seine Finger
hätten sein sollen, die zudem an den Enden gefährlich spitz zuliefen.
Auch aus seinem Mund ragten so etwas wie Tentakel, von denen Blut
und andere Körperflüssigkeiten tropften. Und obwohl auf seinen Knien
die Skizze eines Vishrak-Dämons lag, war Willem auf die Realität nicht
vorbereitet.

Laut hämmerte Vincent an die Wagenwand hinter sich und rief:

»Raus! Jetzt!« Die hinteren Türen flogen auf, und der Lieferwagen
begann zu schaukeln, als die Brüder von der Rampe sprangen. Vorsichtig
stieß der Omni die Beifahrertür auf, sodass die Flüssigkeit an seinen
Fingerspitzen nicht verwischte, und stieg ebenfalls aus. Vincent
schüttelte Willem, um ihn aus seiner Erstarrung zu reißen. »Raus jetzt!
Komm schon!« Endlich kam Bewegung in Willem, und er fummelte
umständlich am Griff der Fahrertür herum. Doch Vincent war schon an
der Beifahrerseite ausgestiegen.

Der Rausch, der sich nach der Absorption einstellte, war köstlich, aber

nur von kurzer Dauer.

Doch dann stellte sich noch etwas anderes ein: ein unangenehmer

Druck, der sich in seinem Schädel aufbaute, ein Stechen unter seiner

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falschen menschlichen Kopfhaut, Platzangst und Panik kamen auf,
zusammen mit dem übermächtigen Bedürfnis zu fliehen. Und dann
spürte er es: Eine Macht, die versuchte, ihn zu unterwerfen. Der Kult!,
schrie eine Stimme in ihm.

Er ließ die federleichte Hülle von Christine Foust fallen und sah über

seine Schulter, gerade als der Kleinlaster in die Straße einbog und rechts
ranfuhr. Dann spuckte das Gefährt Leute in Kutten aus, doch Yunk'sh
war mehr an dem Mann interessiert, der jetzt an der Beifahrerseite
ausstieg: ein hagerer Mann mit hellgrün leuchtenden Fingerkuppen. Der
Zauberer, erkannte er. Der Omni – Empfänger des Vishrak-Blutes und
Bezwinger der Vishrak-Dämonen.

Die Hände des Omni waren wie die Türen eines offenen Käfigs.

Yunk'sh wusste nicht wie, aber er wusste, dass wenn die Hände des
Mannes auch nur einmal das Fleisch seines angenommenen Körpers
berührten, er für immer an diesen Magier und seinen Kult gebunden war
– für alle Ewigkeiten gezwungen, sich ihrem Willen zu unterwerfen, ihr
willfähriger Sklave zu sein ... Yunk'sh trat einen Schritt zurück.

»Yunk'sh!«, rief da der Mann mit tiefer Stimme, einer Stimme, die vor

Macht vibrierte. »Ich unterwerfe dich unserem Willen und für unsere
Zwecke. Du wirst fortan leben, um uns zu dienen.«

»Niemals!«, schrie Yunk'sh den Magier an, doch plötzlich war es, als

ob er sich auf der Stelle in einen Eisblock verwandelt hätte. »Niemals
spiele ich die Schlange für euren Mungo.«

Mit ausgestreckten Händen kam der Omni auf ihn zu, die

Fingerspitzen glühten grell. »Ich binde dich nun. Lebe, um zu dienen.«

Endlich konnte sich Yunk'sh wieder bewegen und trat einen Schritt zur

Seite. Auf keinen Fall durfte der Omni ihn berühren und damit die
Unterwerfung besiegeln. Die anderen Mitglieder des Kultes formierten
sich, um ihn einzukreisen. Einer von ihnen trat in sein Blickfeld und
versperrte ihm so die Sicht auf die glühenden Fingerkuppen des Omni.
In diesem Moment spürte Yunk'sh, wie sein Wille zurückkehrte. Indem
er es vermied, die Hände des Zauberers anzusehen, flog sein Blick von
rechts nach links. Mit Ausnahme des Omni und eines anderen Ältesten
schienen alle Kultmitglieder nervös zu sein.

Yunk'sh zog seine Tentakel ein. Solange das Wiederkunfts-Ritual nicht

abgeschlossen war, konnte er es nicht riskieren, sich wahllos über
irgendeinen Menschen herzumachen. Jeder Mensch, den er für dieses
Ritual geopfert hatte, war einzigartig innerhalb des Kreises. Ein
wahlloser Opfer-Mord würde den ganzen Prozess null und nichtig
machen, und alles wäre verloren. Dann würde er fast zweihundert Jahre

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in einer Art psychischen Vorhölle ausharren müssen, bevor er das Ritual
erneut beginnen konnte. Inakzeptabel!, dachte er wütend.

Auch wenn er keine weitere Absorption riskieren konnte, gab es doch

andere Möglichkeiten, einen Menschen zu töten. Während der Omni in
die letzte verbliebene Lücke des Kreises trat, der Yunk'sh nun umgab,
sah sich der Dämon hastig um und entschied sich für den kleinsten unter
seinen Häschern. Und obwohl er im Verlauf seines dämonischen Lebens
auf Erden die Kraft und Stärke vieler Männer in sich aufgenommen
hatte, war es immer noch am effektivsten, das schwächste Glied in einer
Kette zu durchbrechen. Seine Fäuste vergruben sich in der Kutte des
Ausgewählten, und dann hob er den Körper in die Höhe. Doch das
Gesicht, das ihm unter der Kapuze entgegenblickte, war das einer Frau.

»Lass uns dich unterwerfen, Yunk'sh«, rief sie mit einem irren

Grinsen. »Es wird triumphal werden.«

»Schwachsinnige«, knurrte der Dämon und schmetterte ihren

federleichten Körper gegen eine nahe Mauer. Das Geräusch von
platzendem Fleisch und brechenden Knochen ging fast unter in dem
Sirenengeheul, das nun die Nacht erfüllte.

Diese Idiotin, dachte Yunk'sh. Erkennt sie denn nicht, dass ihr

Angebot für mich nichts weiter bedeutet als unendliche Versklavung?

»Gary! Samuel! Schnappt ihn euch«, gellte nun die Stimme des

ältesten Bruders durch die Straße.

Mit vor Furcht verzerrten Mienen traten die beiden Männer vor.
Yunk'sh fühlte ihre Hände auf seinen Armen. Er rammte dem ersten

Angreifer dessen Nase ins Gesicht, der daraufhin schreiend zu Boden
fiel. Dann stieß er den zweiten in Richtung des inzwischen gefährlich
nahen Omni. Beide Männer kippten um wie gefällte Bäume. Der Dämon
wirbelte herum und stürmte durch die so entstandene Lücke in die
Freiheit und die Straße hinab.

Nur Momente später hatte er sich wieder so weit unter Kontrolle, dass

es ihm möglich war, sich aus dieser Ebene zu entfernen. Die Umrisse
seines Körpers verblassten, der Klang seiner schweren Schritte ebbte ab,
bis nichts mehr von ihm zu sehen und zu hören war. Einmal mehr
verwandelte er sich in Energie, die richtungslos durch den Äther
rauschte, bis sie Elliot aufspürte – sein Leuchtfeuer und Rettungsanker
zugleich. Doch die Erinnerung an die leuchtend grünen Fingerspitzen des
Omni wollte ihn nicht loslassen.

»Runter von mir, du Schwachkopf!«, schrie der Omni Bruder Gary an.

Gary rappelte sich auf, entfernte sich einige Schritte von dem Magier

und half dann Samuel wieder auf die Beine.

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»Alles zurück in den Wagen«, rief Vincent. »Die Polizei ist gleich

hier.«

»Dora ist tot«, sagte Willem.
»Lasst sie hier«, befahl Vincent. Sein Gesicht war gramerfüllt, und er

hatte die Hände vor Frustration zu Fäusten geballt.

Als sie wieder in dem Lieferwagen saßen, fuhr Willem sie eilig aus der

Gefahrenzone.

Der Omni saß gegen die Beifahrertür gelehnt, die Hände auf das

Gesicht gepresst. Die Flüssigkeit an seinen Fingerspitzen hatte aufgehört
zu glühen.

Vincent sah ihn unbehaglich an. »Das war doch hoffentlich nicht sein

letztes Opfer?«

»Nein«, sagte der Omni. »Aber ich spüre, dass seine Vollendung kurz

bevorsteht. Vielleicht zwei Opfer, die ihm dazu noch fehlen, keinesfalls
mehr.«

»Also haben wir noch eine weitere Chance.«
»Wir hatten unglaublich großes Glück, dass wir den Dämon heute

Nacht haben ausfindig machen können. Er ist nun gewarnt. Was wir jetzt
brauchen, ist ein guter, ein sehr guter Plan, wenn uns dies ein weiteres
Mal gelingen soll.«

»Führe uns, wir folgen dir, Omni.«




















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Im Online-Rollenspiel »Ultimate Quest« verkörperte Elliot Grundy einen
Level-12-Schanianen.

Er sowie ein gegnerischer Level-4-Zauberer waren die Einzigen im

gerade laufenden Game, die die magische Kriegskunst beherrschten.

Soeben hatte seine Figur den »Wald des Schicksals« erreicht. Sollte

kein Problem sein, ich werde diesen kleinen Hohlkopf in einer Sekunde
rösten, dachte er gerade in dem Moment, als der Magier ihm mit einem
Auflösungs-Zauber den Garaus machte. Genau das war ihm schon vor
zwei Monaten in der »Kanalisation« passiert.

Außer sich vor Wut knallte Elliot die Maus so fest auf den Tisch, dass

das Plastikgehäuse zerbrach. Auflösungs-Zauber bedeutete, dass er nun
keinen Körper mehr besaß und seine Partie keine Möglichkeit hatte, ihn
zum Tempel zu bringen, um ihn dort zu heilen. Kurz: Sein sorgfältig
aufgebauter Charakter war für immer verloren.

Schon schickten ihm die Mitglieder seiner Partie Nachrichten auf den

Schirm. Die erste kam von Jason, einem schwertkämpfenden Barbaren:
»Elliot, du Arsch. Weißt du, dass du gerade von einem elfjährigen
Newbie gekillt worden bist?« Billy schrieb: »Was du bist du doch für ein
armseliger Abknicker!« Und Milton: »Hey, Grundy, du Lutscher. Man
könnte fast meinen, du hast dich in Level 12 hochgehackt, aber für sowas
braucht man ja Grips!« Und schließlich Gurt: »Hey, Leute, vielleicht
kann der Kleine ja für Grundy einspringen?«

Wütend schrieb Elliot: »Als ob ich euch Idioten brauchte«, und loggte

sich aus.

Während er das Blatt mit seinem Schamanen-Profil in kleine Stück

riss, begannen die Wände seines Schlafzimmers zu vibrieren. Im
gleichen Moment fühlte er den wohl bekannten anschwellenden Schmerz
in seinem Kopf.

Der Schreibtisch wackelte, die zerschmetterte Maus rutschte auf dem

Pad hin und her, und die Fensterrahmen knirschten und ächzten. Bücher
fielen aus einem frei stehenden Regal, und das einzige Bild an der Wand
– ein Acryl-Gemälde, das Fantasy-Figuren zeigte, die ehrfürchtig zu
einem mittelalterlichen Schloss aufsahen – fiel herunter und zerbrach.
Shirley hatte es ihm geschenkt, nachdem sie herausgefunden hatte, dass
er sich für Fantasy-Rollenspiele interessierte.

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Die Luft im Zimmer begann zu flimmern. Elliot stolperte und streckte

seinen missgestalteten Arm aus, um sich an der Wand abzustützen. Der
Arm war grau und unförmig, verschrumpelt wie ein Elefantenrüssel, und
endete in zwei dicken plumpen Fingern. Da der Dämon ihm Lebenskraft
entzog, wann immer er sich in seiner körperlichen Form manifestierte,
hatte Elliot das Gefühl, seit Tagen nicht mehr geschlafen oder gegessen
zu haben.

Der Dämon materialisierte sich, doch irgendetwas war heute anders als

sonst.

Die flirrende Luft schien sich zu verfestigen und wurde zu einem

dicken Nebel. Extremitäten und ein Schädel bildeten sich heraus und
schienen die Konsistenz von Zuckerwatte zu haben. Weitere äußere
Merkmale wurden sichtbar, während sich die ganze Form streckte und so
etwas wie Masse erlangte. Yunk'sh erschien in Gestalt von Stefan, der
Figur, die er zuletzt kreiert hatte, doch einige seiner Charakteristika
fehlten. Jemand anderem als Elliot wäre es wahrscheinlich nicht
aufgefallen. Schon ging Yunk'sh über in seinen neutralen Zustand, doch
er war eindeutig geschwächt.

»Was ist passiert? Der Kult?«, fragte Elliot.
Yunk'sh schwankte und nickte, während er sein Gleichgewicht

wiederfand. »Sie erschienen gerade in dem Moment, als ich mit dem
letzten Opfer fertig war. Einer ihrer Zauberer hat die Worte der
Unterwerfung gesprochen.«

Entsetzt ließ sich Elliot aufs Bett plumpsen. Er befürchtete das

Schlimmste, die Kopfschmerzen waren vergessen. Yunk'sh hatte ihm
gesagt, dass der Kult ihn, Elliot, auf der Stelle töten würde, falls es ihnen
gelänge, sich den Dämon Untertan zu machen. War Yunk'sh etwa in
seinem Schlafzimmer erschienen, um just diesen Auftrag auszuführen?
»Was heißt das für dich – für uns?«

»Im Moment heißt das noch gar nichts«, sagte der Dämon. »Ich konnte

seiner Berührung entgehen.«

»Das ist gut. Nein, verdammt, das ist großartig!«
»Kaum«, gab der Dämon zurück. »Ihr Magier und sein Zauber sind

bereit. Sie kennen das Ritual. Alles was noch fehlt, ist die
Unterwerfungsberührung, und dann bin ich ihr Diener.«

»Aber du hast sie erwartet«, sagte Elliot. »Und du hast sie

ausgetrickst.«

»Ich hatte gehofft, dass ihr Wissen und ihre Möglichkeiten nicht

ausreichen würden, dass, wenn sie mich finden würden, sie nicht
wüssten, wie sie meine Macht unter ihre Kontrolle bringen sollen. Ein

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109

Trugschluss. Nun weiß ich, dass diese Leute eine große Gefahr
darstellen.«

»Nur noch zwei Opfer, und dann kann dir die ganze Welt gestohlen

bleiben.« Und mir auch, dachte Elliot.

Ein melodiöses Klopfen riss ihn aus seinen Träumen. Elliot verdrehte

die Augen. Das konnte nur Shirley sein. »Warte hier«, sagte er zu
Yunk'sh. »Wenn ich nicht zur Tür gehe, denkt sie, ich liege hilflos in
meiner Wohnung, und ruft den Notarzt.«

Als er aus dem Schlafzimmer eilte, kickte er mit dem Fuß gegen das

Jahrbuch, das auf dem Boden lag und das daraufhin mit dem Türrahmen
kollidierte. Er hob es auf, und es öffnete sich genau auf der Seite, die er
mit einer Büroklammer markiert hatte: ein Auszug aus der
Schülerzeitung. Auf der linken Seite war die blonde Julie McGraw
abgelichtet, seinerzeit die erste Cheerleaderin an der Schule, die mit den
Fingern ihrer Hand ein »V« für Victory, Sieg, geformt hatte. Unter ihr
Bild hatte sie »Ich wünsche dir einen tollen Sommer« geschrieben und
einen kleinen Smiley darunter gemalt.

Elliot konnte sich noch gut daran erinnern, wie er damals seinen

ganzen Mut hatte zusammennehmen müssen, um sie zu bitten, das
Jahrbuch zu signieren. Und dann hatte sie ihre Botschaft noch nicht
einmal persönlich formuliert, und er fragte sich, nicht zum ersten Mal, ob
sie seinen Namen überhaupt gekannt hatte, ob er nach vier gemeinsamen
Schuljahren für sie noch immer ein gesichts- und namenloser Schleimer
gewesen war. Wie dem auch sei, all das würde sich ändern, wenn er die
Sache mit Yunk'sh hinter sich gebracht hatte. Wenn er erst einmal reich
und mächtig war, würden die Julie McGraws und Trudy Ryans dieser
Welt Elliot Grundy nicht mehr länger übersehen.

Diesmal riss ihn ein hektisches Klopfen aus seinen Träumen. Seufzend

stellte er das Jahrbuch wieder zurück an seinen Platz und schloss die
Schlafzimmertür hinter sich. »Komme!«

Damit er in solchen Situationen seinen deformierten Arm rasch

verbergen konnte, hatte Elliot sich einen Sportverband und einen weiten
Bademantel bereitgelegt. Innerhalb weniger Sekunden waren Hand und
Unterarm bis zum Ellbogen bandagiert. Dann schlüpfte er in den
Bademantel, schob den Riegel der Haustür zurück, löste die Kette und
öffnete. »Hi, Shirley.«

In ihrem karierten Flanellhemd und der Latzhose sah sie aus, als ob sie

gerade von einem Countrywestern-Konzert käme. »Hallo, Elliot!«

Gut gelaunt wie immer, dachte Elliot, aber wenigstens kommt sie nicht

mit leeren Händen.

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110

Sie hielt ihm eine große Tupperdose vor die Nase. »Ich konnte nicht

umhin festzustellen, dass du dich in letzter Zeit hauptsächlich von
Fastfood ernährst.«

Elliot warf einen Blich in seine Küche und auf die leeren

Pizzaschachteln und Hamburger-Verpackungen, die sich auf der
Anrichte türmten. »Schätze, man muss nicht Sherlock Holmes heißen,
um das rauszufinden.«

Sie kicherte. »Dachte, du hättest vielleicht Lust auf Hausmannskost.

Ach ja, als ich auf dem Weg zu dir war, hab ich aus deiner Wohnung ein
Krachen gehört. Alles in Ordnung bei dir?«

»Mir geht's gut. Ich hab ... im Schlafzimmer ein Bild aufgehängt und

es fallen lassen.«

»Oh Gott, was ist denn mit deiner Hand passiert?«
»Ach nichts. Hab versucht, mir meine eigene Hausmannskost zu

kochen und bin dem Topf mit dem heißen Wasser ein bisschen zu nah
gekommen.«

»Du liebe Güte!« Bevor er zu einem Protest ansetzen konnte, huschte

sie an ihm vorbei in die Küche. Sie stellte die Tupperdose auf einen
kleinen Tisch und drehte sich dann mit einem besorgten Stirnrunzeln zu
ihm um. »Lass mal sehen.«

»Nein! Wirklich, es ist halb so schlimm. Das hat sich schon ein Arzt

angesehen, und es wird alles wieder gut. Bleiben noch nicht mal Narben
zurück, wie er sagt.«

»Aber Elliot, Sportverbände sind für Muskelzerrungen, nicht für

Verbrennungen.«

»Ach, den hab ich mir selbst angelegt. Über den anderen

drübergewickelt, um besser geschützt zu sein, falls ich mich mal stoße
oder so .. .«Verdammt, ich muss sie wieder loswerden, dachte er mit
einem nervösen Seitenblick auf die geschlossene Schlafzimmertür. Hab
Geduld, Yunk'sh, ich schmeiße sie jetzt raus, versprochen, dachte er.

»Na ja, für heute bleibst du ja von weiteren Küchenunfällen verschont.

Ich hab genug Lasagne mitgebracht, dass es für zwei reicht. Dachte, wir
könnten bei einem netten Abendessen ein bisschen quatschen. Du weißt
schon, den neuesten Klatsch aus dem Laden und so.«

»Hey... das klingt einfach ... super. Ist nur so, dass mir ein wenig

schwindelig wurde, als ich das Bild aufhängen wollte. Wäre wohl besser,
wenn ich mich ein bisschen ausruhe und dann später esse.«

»Oh.« Shirleys stets präsentes Lächeln bröckelte wie Putz von einer

Mauer.

»Keine Sorge. Das Essen kommt nicht um. Ich mach's mir in der

Mikrowelle warm.«

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»Wenn's nicht zu spät wird, ruf mich an. Dann komme ich runter und

leiste dir Gesellschaft.«

»Bleib aber nicht extra wegen mir auf«, sagte Elliot schnell. »Könnte

vielleicht spät werden heute.«

»Klar«, sagte sie und nickte. Das Feuer der Begeisterung in ihren

Augen war erloschen. Nervös presste sie ihre Hände gegeneinander, eine
Art Übersprungshandlung, als ob sie nicht wüsste, wohin mit ihnen.

Elliot begleitete sie zurück durch die Diele und hielt ihr die Tür auf.
»Ach ja«, sagte Shirley, als sie in den Hausflur trat. »Wenn du die

Lasagne unter einem Plastikdeckel in der Mikrowelle erwärmst, sei
vorsichtig: An dem heißen Dampf kann man sich hässlich verbrennen.«

»Klar, und danke nochmal.«
»Keine Ursache. Also ... ich glaube, das war's dann«, meinte Shirley.

»Bis dann.«

Elliot schloss die Tür, schob den Riegel wieder vor und seufzte. Er aß

gern Lasagne. Doch beim Dinner einer pausenlos brabbelnden Shirley
gegenüberzusitzen, war mehr, als er ertragen konnte. Warum kann sie
nicht ein bisschen mehr wie Julie McGraw sein?, fragte er sich. Würde
es sie umbringen, mal ab und zu ein Kleid zu tragen? Oder ein bisschen
Make-up aufzulegen oder irgendwas mit diesen unmöglichen Haaren
anzustellen?, dachte er. Als er im Geiste Shirley mit Julie verglich, kam
ihm eine Idee. Wenn er erst einmal zu Geld und Macht gekommen war,
würde er jemanden dafür bezahlen, Julie ausfindig zu machen und
herauszufinden, ob sie noch zu haben war. Die wird schwer beeindruckt
sein von dem neuen Elliot Grundy, ging ihm durch den Kopf.

Er warf den Bademantel über einen Stuhl und nahm den Verband

wieder ab. Als er sich am Nacken kratzte, spürte er unter seinen Fingern
rauhe, irgendwie schuppige Haut. »Also, das ist neu«, entfuhr es ihm.
Dann ertastete er kleine Beulen, die in regelmäßigen Abständen vom
Haaransatz bis zum Rückgrat reichten. »Ach du Scheiße«, flüsterte er
und schüttelte den Kopf. Ab sofort würde er Rollkragenpullover tragen
müssen.

»Verdammt. Was kommt als Nächstes?«

Da rief Yunk'sh aus dem Schlafzimmer nach ihm.
Während er die Hubbel auf seinem Rücken befühlte, dachte Elliot:

Vielleicht ist es langsam an der Zeit herauszufinden, wie genau Yunk'sh
meine Träume zu erfüllen gedenkt.

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Cordelia öffnete die Tür zu Angels Büro und trug schwer an einem
ledergebundenen Folianten, dessen vergilbten Seiten sich nur zu gern
von der uralten Bindung lösen wollten.

»Ich hab was gefunden!«, verkündete sie aufgeregt. Dann zog sie

ungnädig die Stirn in Falten. »Ist es eigentlich zu viel verlangt, ein
Inhaltsverzeichnis ans Ende dieser Dinger zu setzen? Würde uns 'ne
Menge Zeit sparen.«

»Ich bin sicher, sie bereuen ihren Fehler schwer«, meinte Doyle

grinsend.

»Und ›modrig‹ ist angesichts dieses Geruchs eine unverschämte

Untertreibung«, nörgelte sie weiter.

»Was hast du gefunden?«, fragte Angel.
Cordelia legte das Große Handbuch der Dämonenkunde auf seinen

Schreibtisch und öffnete es. Die verblasste Seite zeigte einen kleinen
Holzschnitt, auf dem eine Figur zu sehen war, die große Ähnlichkeit mit
Angels Skizze von Doyles Vision hatte. »Ohne deine Vorlage hätte ich
wohl Wochen gebraucht, diesen kleinen Eintrag ausfindig zu machen.«

Gemeinsam beugten sich Angel und Doyle über das Buch. »Der Text

beinhaltet weniger Information als Spekulation«, murmelte Angel. »Da
heißt es nur, dass die Wiederkunfts-Zyklen der Vishrak-Dämonen
irgendwie mit dem Moment ihres ersten Erscheinens auf Erden
verbunden sind.«

Doyle kam um den Schreibtisch herum und las weiter. »Man vermutet

weiter, dass das Ganze irgendwie mit einer planetaren Konstellation im
Weltall zusammenhängt. Aber wie? Das kann alles bedeuten. Bestimmte
Wochentage, Jahreszeiten, Mondphasen.«

Angel zitierte aus dem Text: ›»Je größer die Zahl der Opfer im

rituellen Kreis, desto größer die Macht, die dem Vishrak-Dämon nach
seiner zweiten Inkarnation innewohnen wird.‹«

»Bis jetzt haben wir neun Opfer zu beklagen«, erinnerte Doyle.
»Neun ist aber schon 'ne ganze Menge«, bemerkte Cordelia. »Das kann

nichts Gutes bedeuten.«

Angel schüttelte den Kopf.
Alle drei schreckten hoch, als in diesem Moment das Telefon klingelte.

Cordelia hob ab, leierte ihre Standardbegrüßung herunter, formte dann
ein lautloses »Kate« und reichte Angel den Hörer.

Sie und Doyle bekamen nur seinen Teil des Gesprächs mit, doch der

war beunruhigend genug.

»Wo? Gleich zwei? Beides Frauen? In einer Kutte? Ich nehme nicht

an, dass einer der Fahrer sich das Nummernschild gemerkt hat? Okay,

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bin unterwegs.« Angel legte auf und sagte: »Wie es scheint, haben wir
gerade unser zehntes Opfer.«

»Am Telefon hast du aber von zweien gesprochen«, erinnerte

Cordelia.

»Nur die eine wurde nach dem bekannten Muster ermordet. Die andere

hat man so hart gegen eine Mauer geschmettert, dass sämtliche Knochen
in ihrem Körper brachen. Ich vermute, sie hat das Ritual absichtlich
gestört. Sie trug eine schwarze Kutte mit Kapuze.«

»Die typischen Kult-Klamotten also«, meinte Doyle.
»Geht noch mal die Polizeiakten durch«, sagte Angel, »und seht, ob ihr

irgendeinen Hinweis auf diesen Kult finden könnt. Wenn wir wissen,
was für ein Verein das ist, können wir vielleicht rausfinden, wer das
nächste Opfer sein wird.«

»Was, wenn das zehnte Opfer den Kreis bereits geschlossen hat?«,

fragte Cordelia. »Was, wenn der Dämon jetzt alles hat, was er will?«

»Wenn es stimmt, was über die Wiederkunft der Vishrak-Dämonen

geschrieben steht, dann Gnade uns Gott, wenn sich deine Befürchtungen
als richtig erweisen.«

»Amen«, sagte Doyle und hob eine Augenbraue.


Die verbliebenen Kultmitglieder hatten sich wieder in der ausgebrannten
Trinity United Methodisten-Kirche versammelt, nur Gary und Samuel
fehlten.

Aus Angst vor dem Zorn von Vincent und der Rache des Omni hatte

sich Gary nur allzu gern bereit erklärt, Samuel ins Krankenhaus zu
fahren, um seine zerschmetterte Nase behandeln zu lassen.

Doch auch nach diesem Rückschlag war der Enthusiasmus der Gruppe

nicht gebrochen. Immerhin hatten sie zum ersten Mal einen Vishrak-
Dämon in Aktion gesehen; tatsächlich war er der erste Dämon
überhaupt, den sie je zu Gesicht bekommen hatten. Vincent und der
Omni indes konnten den Fehlschlag nur bitterlich beklagen - sie waren
so nahe dran gewesen!

Doch es schien noch nicht alles verloren. »Es gibt noch einen anderen

Weg, Yunk'sh zu unterwerfen«, sagte der Omni jetzt.

»Welchen?«, fragte Vincent, der darauf versessen war, dem Omni zu

zeigen, dass seine Leute doch zu etwas taugten.

»Wie die Unterwerfung während einer Absorption, muss auch diese

Methode angewendet werden, bevor das Wiederkunftsritual
abgeschlossen ist. Unseren uralten Quellen zufolge gibt es noch eine
allerletzte Möglichkeit zur Unterwerfung, nachdem der Dämon sein
zwölftes Opfer gefunden hat.«

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»Ach?«
Der Omni nickte. »Wenn das Opferritual abgeschlossen ist, wird

Yunk'sh seine endgültige Wiederkunftsgestalt erhalten, ich spreche von
seinem wahren dämonischen Körper, nicht von diesen Interimsleibern,
die er mithilfe der Substanz seines willfährigen Dieners kreieren muss,
um die Opfer in die Falle zu locken. Er muss dann einen ganzen Tag und
eine ganze Nacht in seinem neuen Körper verbleiben, bevor dieser für
immer ihm gehört. Diese Frist nennt man auch die >Zeit der
Konsolidierung^«

»Und was können wir nun tun?«, fragte Vincent.
»Wir müssen herausfinden, welche Gestalt der Dämon hatte, bevor er

das Wiederkunftsritual eingeleitet hat. Da er seinerzeit nicht richtig
getötet worden ist und damit nie wirklich aus unserer Welt verbannt
wurde, hat dieser Körper, wir nennen ihn den ›Restkörper‹, noch immer
Einfluss auf die Psyche des Dämons. Wenn es uns gelingt, dieses
Restkörpers während der Zeit der Konsolidierung habhaft zu werden,
können wir den Dämon unterwerfen.«

»Aber wie sollen wir seinen Restkörper finden?«
»Ich habe den Dämon beim Namen genannt und das Fleisch berührt,

das er berührt hat. Und ich habe seine geborgte Hülle gesehen – seine
derzeitige körperliche Manifestation. Wenn uns das Glück hold ist, wird
diese Verbindung, die wir zu ihm herstellen konnten, ausreichen, seinen
Restkörper zu lokalisieren. Wählt drei von euch aus, damit sie nach San
Francisco reisen.«

»Warum gerade San Francisco?«
»Der Rat der Omni hat mir von einem Vishrak-Dämonen berichtet, der

vor fünfundneunzig Jahren sein Unwesen in San Francisco getrieben
haben soll. Damals konnten sie nur hoffen, dass der Dämon nicht
vollständig getötet und verbannt worden war.«

»Und Sie glauben, dass der Restkörper dieses Dämons die erste

weltliche Manifestation von Yunk'sh ist?«, fragte Vincent.

Der Omni nickte. »So berichten es die Aufzeichnungen. Dort heißt es:

›So bedeutend wie der Mond für die Gezeiten, so bedeutend auch die
Sterne, wenn ein nur halb gebannter Vishrak wieder eintreten will in
unsere Welt.‹ Wir glauben, dass die losgelöste Psyche des unvollständig
getöteten Dämons warten muss, bis erneut eine ganz bestimmte
Sternenkonstellation gegeben ist, damit seine Wiederkunft stattfinden
kann. Kurz: Wir glauben, dass das Gelingen der Wiederkunft des
Dämons von einem ganz bestimmten Planeten abhängig ist.

»Doch wie sollen wir herausfinden, wann der Dämon zum ersten Mal

auf unserer Ebene präsent war? Und welche Sternenkonstellation zu

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diesem Zeitpunkt vorgeherrscht hat?«

»Der Rat der Omni hat den Weg der Planeten studiert, die bekanntlich

alle zwölf Sternzeichen im Tierkreis durchlaufen. Seit einem Jahr
versuchen wir nun herauszufinden, unter welchem Zeichen ein Dämon
steht, indem wir das Zeichen bestimmen, unter dem der Beginn seines
Wiederkunftsrituals fällt. Da es bis zu einem Jahr dauern kann, bis die
Psyche eines Dämons vollständig erwacht ist, hat ein Dämon, dessen
herrschender Planet zum Beispiel Jupiter ist, nur sehr geringe Chancen
auf eine Wiederkunft. Der Grund ist einfach: Jupiter benötigt zwölf
Jahre, um alle zwölf Zeichen zu durchlaufen, also ein Jahr für jedes Zei-
chen. Bevor nun die Psyche eines Jupiter-Dämons vollständig erwacht
ist, hat sein Planet das relevante Zeichen für das Wiederkunftsritual
höchstwahrscheinlich längst wieder verlassen, und die Psyche des
Dämons bliebe machtlos.«

»Aber wie –«, begann Willem.
Der Omni ignorierte ihn. »Neptun hingegen braucht ein-

hundertfünfundsechzig Jahre, um den Kreis zu durchlaufen und verbleibt
demnach über dreizehn Jahre in jedem Zeichen. Genug Zeit also für die
Psyche eines Neptun-regierten Vishrak, genug Zeit, sich einen
menschlichen Gehilfen zu suchen und das Wiederkunftsritual zu
beginnen.«

»Ist Yunk'sh denn nun ein Neptun-regierter Dämon oder nicht?«,

fragte Vincent.

»1998 trat Neptun in das Zeichen Wassermann ein«, sagte der Omni.

»Seitdem ist ein Jahr vergangen, und Yunk'shs Psyche, nun vollständig
erwacht, muss den Kreis schließen, um danach in seinem endgültigen
Körper machtvoller denn je wiederaufzuerstehen.«

»Also kam Yunk'sh ursprünglich in unsere Welt, als Neptun in das

Zeichen Wassermann eintrat?«

»Das glauben wir«, sagte der Omni. »So wie wir glauben, dass der

Vishrak-Dämon, der vor beinahe hundert Jahren in San Francisco gelebt
hat, damals nicht richtig getötet worden ist und dass uns sein Restkörper
eben dort erwartet.«

»Aber wenn dieser Dämon Yunk'sh ist«, hakte Willem 94 nach,

»warum findet seine Wiederkunft dann nicht in San Francisco, sondern
in L.A. statt?«

Vincent warf Willem einen verärgerten Blick zu, doch der Omni griff

die Frage auf. »Die losgelöste Psyche eines Dämons kann innerhalb
unserer Ebene wandern. Die Wiederkunft kann in einem Radius von
mehreren hundert Meilen stattfinden, von dem Punkt aus gerechnet, an
dem der Dämon sein vorläufiges Ende gefunden hat.

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Ich muss mich nun auf das Restkörper-Ritual vorbereiten. Danach,

Vincent, werde ich ein Werkzeug herstellen, dass die drei Auserwählten
mit nach San Francisco nehmen werden, um den Restkörper zu
lokalisieren. Die Zeit drängt. Sie müssen mit dem Restkörper
zurückkehren, bevor Yunk'sh den Kreis vollenden kann. Am besten, sie
fahren schon heute Abend und kehren morgen Nachmittag zurück.

Meine Herren, diesmal dürfen wir nicht versagen!«


Elliots deformierter linker Arm ruhte auf der Seitenlehne seines
Schreibtischstuhls, während seine rechte Hand wieder einmal die raue,
unebene Haut betastete, die vom Nacken bis zum Rücken reichte.

Er war ratlos, wusste nicht, wie er den Dämon auf diplomatische Art

und Weise ausfragen, wie den Wahrheitsgehalt seiner Versprechen
überprüfen konnte, die ihn, Elliot, zum reichsten Techno-Gott aller
Zeiten machen sollten. Denn bis jetzt waren für ihn bei dem Deal mit
Yunk'sh nur Elefantenhaut und Wurstfinger herausgekommen.

Der Dämon stand am Fuß von Elliots Bett und wechselte soeben

wieder in seine neutrale Hülle, gegen die eine Schaufensterpuppe
geradezu lebhaft wirkte.

Schließlich platzte Elliot heraus: »Herrgott, kannst du nicht einfach bei

diesen Kult-Heinis aufkreuzen, wenn sie es am wenigsten erwarten, und
diese Idioten kaltmachen?«

»Ihr Omni konnte schon mithilfe der Magie meine physische

Manifestation ausfindig machen, und er ist so mächtig, dass er auch
ihren Aufenthaltsort vor mir verbergen kann – zumindest solange ich
mich in diesem Zwischenstadium befinde. Deswegen müssen wir
unseren Zeitplan ändern und mein Ritual abschließen, bevor sie ihres
abschließen.«

»Wir kommen doch ziemlich schnell voran. Immerhin hab ich in drei

Wochen zehn Leute für dich an Land gezogen.«

»Einmal begonnen, muss das Ritual innerhalb des lunaren Kreises

abgeschlossen werden.«

»Was hat der Mond damit zu tun?«
»Kreise in Kreisen«, sagte Yunk'sh, als ob das alles erklären würde.

»Die Meinen werden nur dann geboren, wenn der Tag zur Nacht wird.«

»Eine Sonnenfinsternis?«
Yunk'sh nickte. »Wenn mein Ritual nicht innerhalb einer Mondphase

abgeschlossen werden kann, muss ich warten, bis mein herrschender
Planet den Kreis erneut durchläuft. Das sind fast zwölf Jahrzehnte!«

»Bis dahin schaue ich mir längst die Radieschen von unten an.«
»Exakt«, sagte Yunk'sh. »Ich hoffe, das ist Motivation genug?«

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Elliot fand die Gelegenheit günstig. »Wo wir gerade von Motivation

reden: Ich hab dir 'ne Menge Leute zum Fraß vorgeworfen.«

»Du fühlst keine Reue?«
»Ach, weißt du, bisher hat sich niemand einen Dreck um mich

geschert«, sagte Elliot nicht ohne Bitterkeit. »Das Leben ist nicht fair.
Glaub mir, ich hab's auf die harte Tour erfahren. Du musst nehmen, was
du kriegen kannst, ohne Rücksicht auf Verluste.«

»Was ist dann dein Problem?«
»Na ja, ich frage mich nur... wie du es eigentlich bewerkstelligen

willst, mich zum Technologie-Giganten zu machen. Du weißt schon,
wenn der Kreis erst mal geschlossen ist.«

»Du zweifelst an meinen Worten?«, donnerte Yunk'sh. »Oder gar an

meiner Macht?« Die Heftigkeit seines Ausbruchs ließ die Wände des
kleinen Schlafzimmers erzittern.

»Nein, nein«, rief Elliot hastig. »Ich bin nur neugierig ... und aufgeregt

wegen all dem, was mich erwartet, und ich möchte einfach wissen, wie
es ablaufen wird.«

»Dann sieh hin«, sagte der Dämon und deutete mit seiner unförmigen

Hand auf Elliots Computerbildschirm.

Elliot starrte auf den Monitor, der sich nun mit einer Art

objektorientiertem Programmcode füllte. Er hatte genug Ahnung vom
Programmieren, um zu verstehen, was dort ablief. Sekundenschnell lief
der Code über den Bildschirm; es waren Tausende, vielleicht Millionen
Zeilen einer ihm unbekannten Programmiersprache. »Was machst du ...
was passiert da?«

»Was du siehst, ist, wie ihres ausdrücken würdet, das Com-

puterbetriebssystem der Zukunft. Ein System, das auf sämtlichen
vorangegangenen Systemen aufbaut und sie doch gleichzeitig alle in den
Schatten stellt.«

»Ist es abwärtskompatibel zu allen heutigen Betriebssystemen?«,

fragte Elliot ein wenig atemlos. »Ich meine, auch zu Mac und Unix?«

»Natürlich«, sagte Elliot. »Und dabei ist es nur einen Bruchteil so

umfangreich und benötigt nur einen Bruchteil der Systemanforderungen
heutiger Betriebssysteme. Seine Leistungsfähigkeit ist gigantisch, und
dabei ist es kinderleicht zu bedienen. Es wird alles das in sich vereinen,
was sich die Computerbenutzer dieser Welt schon immer von einem
Betriebssystem gewünscht haben, und es wird niemals abstürzen.«

»Wie wird es heißen?«, fragte Elliot.
»Es ist dein Werk, Elliot«, sagte Yunk'sh. »Du solltest ihm seinen

Namen geben.«

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»EOS«, flüsterte Elliot. »Elliots Operating System. Nein, GOS,

Grundys Operating System.«

»Wie du wünschst.«
»Kann ich es mal ausprobieren?«
»Starte deinen Computer neu«, sagte Yunk'sh. »Es wird nur einmal

laufen und auch nur auf diesem Rechner – als Zeichen meines guten
Willens. Du wirst feststellen, dass deine Geduld und Mühen nicht
enttäuscht werden. Aber warte, bis ich weg bin, bevor du das System
ausprobierst.«

»Warum?«
»Willst du, dass ich mich auflöse?«
»Stimmt«, meinte Elliot. »Was hindert diesen Kult eigentlich daran,

dich zu finden, während du dich hier in meinem Apartment
manifestierst?«

»Nichts«, sagte der Dämon gerade heraus. »Deshalb sollte ich mich

hier auch nicht allzu lange aufhalten.«

»Dann versteck dich, wo immer das auch ist«, sagte Elliot und starrte

wieder wie gebannt auf seinen Bildschirm. »Ich suche dir in der
Zwischenzeit dein nächstes Opfer.«

»Meine Wiederkunft und dein Leben hängen allein davon ab, wie

schnell du es findest.«

»Vertraue mir, ich weiß Bescheid«, sagte Elliot. »Wenn ich dein

Gesicht für die Webcam brauche, rufe ich dich.«

»Rufe, und ich werde erscheinen«, sagte Yunk'sh. »Aber halte dich

nicht zu lange mit deiner Erfindung auf. Wir beide sind noch lange nicht
fertig miteinander.«

Elliot nickte und bekam nur noch nur am Rande mit, wie der Dämon

verschwand. Er startete seinen Computer neu und lachte vor Freude laut
auf, als das neue Betriebssystem in einer Sekunde bootete. Innerhalb
weniger Augenblicke hatte es alle Software, die sich auf Elliots Rechner
befand, erkannt, portiert und in die neue Oberfläche eingebunden. Das
System war grafisch orientiert und arbeitete doch so schnell, dass sich
alle Anwendungen im Bruchteil einer Sekunde starten ließen. Selbst sein
ehemals behäbiges, speicherhungriges Bildbearbeitungsprogramm, das
sein System normalerweise stets ausbremste, war jetzt blitzschnell.

Ich liebe es, dachte er. Und die Menschen werden GOS lieben. Und

wenn ich damit erst mal groß rausgekommen bin, wird Mr. Gates nur
noch eine bedeutungslose Fußnote in der Computergeschichte sein. Ha!

Das GOS hatte ihn in seinen Bann gezogen. Doch nach zehn Minuten

des Ausprobierens und Staunens wurde das Haus, in dem Elliot wohnte,

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von einem Stromausfall betroffen. Er schrie vor Frust, als der Bildschirm
schwarz wurde. Seine Einmal-Testphase war vorbei.

Als die Lichter wieder angingen, bootete der Computer gemächlich

wie eh und je; das GOS war verschwunden.

11



Kate Lockley und Angel sahen auf den zerschmetterten Körper der
neunzehnjährigen Dora Epstein herunter.

Der Leichenbeschauer hatte schwerste innere Verletzungen und

Hirnblutungen als Todesursache angegeben.

Angel kniete neben der Leiche nieder und stellte seine eigene

Diagnose: Der Körper war mit ungeheurer Wucht gegen die Mauer
geworfen worden. Und wer immer dies getan hatte, war zu mächtig
gewesen, um menschlich zu sein.

Kate wollte all dies natürlich nicht wahrhaben. Mehr zu sich selbst

sagte Angel: »Um einen solchen Schaden zu verursachen, braucht man
immense Kraft.«

»Oder euphorisierende Drogen«, gab Kate zurück.
Ja, sicher, dachte Angel. Natürlich war es für Kate einfacher, für diese

ganze Sache eine rationale, wenngleich nicht weniger grausame
Erklärung zu finden.

»Wie siehst du das Ganze?«, fragte Kate.
Sehr einfach, dachte Angel. Der Dämon war gerade mit seinem

zehnten Opfer beschäftigt, als der Kult eintraf und ihn unterwerfen
wollte, woraufhin sich der Dämon den erstbesten Angreifer geschnappt
hat – entweder, um die anderen abzuschrecken oder um sich Platz für die
Flucht zu schaffen.

»Vielleicht ein Streit innerhalb des Kults«, sagte er. »Ein Machtkampf

womöglich, den Miss Epstein am Ende leider verloren hat.«

»Oder sie hat die Seiten gewechselt und versucht, die anderen davon

abzuhalten, Opfer Nummer zehn zu töten«, schlug Kate vor.

»Möglich«, sagte Angel, um ihr einen Gefallen zu tun.
Nicht ohne Bitterkeit in der Stimme sagte sie: »Vielleicht haben wir ja

Glück, und sie bringen sich gegenseitig um. Oder sie begehen alle
miteinander Selbstmord. Wäre für alle das Beste.«

»Ja, es sind schon die unglaublichsten Dinge passiert.«

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Sie lächelte ihn freudlos an. »Du versuchst nur, mich aufzuheitern. Ich

nehme nicht an, dass dir irgendwelche Gerüchte oder Informationen zu
Ohren gekommen sind, die uns weiterhelfen könnten?«

»Bisher noch nicht«, sagte Angel. Zumindest nichts, was ich hier

preisgeben könnte, dachte er. »Aber ich nehme an, ein Streit innerhalb
des Kults käme uns nicht ungelegen.«

Gedankenverloren zog Kate einen Schmollmund. »Das würde die

Kamikaze-Fahrt dieses Lieferwagens auf dem Sunset erklären – er raste
nicht davon, er raste vielmehr, um irgendwohin zu gelangen. Vielleicht
saß in ihm ein Teil der abtrünnigen Mitglieder, die die anderen davon
abhalten wollten, ihr grausames Ritual durchzuführen.« Kate sah von der
leeren menschlichen Hauthülle zu dem geschundenen Körper von Dora.
»Nur so eine Theorie«, murmelte sie, »für die uns bisher jeglicher
Beweis fehlt.«

Doyle und Cordelia hatten die Polizeiakten großräumig auf dem
Fußboden der Rezeption ausgebreitet.

Nicht gerade ein Highlight detektivischer Methodik, wie Doyle

zugeben musste, doch er wollte sich nicht beschweren, solange sein Job
darin bestand, mit der jungen hübschen Miss Chase auf engstem Raum
zusammenzuarbeiten.

Immer wenn er zu ihr hinüberrutschte, um einen Blick auf eines ihrer

Dokumente zu werfen, konnte er den dezenten Duft ihres Parfüms
wahrnehmen.

»Einige Morde wurden an Freitagen, einige an Samstagen begangen«,

sagte Doyle, so geschäftsmäßig es ihm angesichts ihrer Nähe möglich
war. »Also geht es dem Vishrak nicht um bestimmte Wochentage.«

»Um bestimmte Mondphasen auch nicht«, bemerkte Cordelia. »Unser

Dämon zeichnet sich nicht gerade durch Geduld aus. Scheint ein
wahlloser Gelegenheitskiller zu sein.«

»Geografisch gesehen gibt es ebenfalls nichts, was als Muster taugen

könnte, wenngleich es ein paar Überschneidungen gibt«, sagte Doyle
und seufzte »Ich weiß, dass des Rätsels Lösung direkt vor unseren
Augen ist, aber wir sehen es einfach nicht, verstehst du, was ich meine?«

Verdrossen schüttelte Cordelia den Kopf und fuhr sich durchs Haar.

Doyle stellte fest, dass er sie anstarrte. »Also, ich sehe kein Muster«,
sagte sie. »Man findet unter all den Opfern noch nicht mal dasselbe
Sternzeichen.«

Der Schwung ihres Nackens ist so ..., dann wurde er in seinen

Gedanken unterbrochen. Doyle schüttelte den Kopf. »Was hast du da
gerade gesagt?«

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»Nichts, nur dass keines der Opfern dasselbe ...«
»... Sternzeichen hatte!«, beendete Doyle ihren Satz. »Das ist es! Der

Dämon vervollständigt den Tierkreis!«

Cordelia war so aufgeregt ob ihrer Entdeckung, dass sie spontan

Doyles Unterarm berührte. »Astrologie, nicht Astronomie. Das bedeutet
zwölf Zeichen, zwölf Opfer – also fehlen ihm noch zwei.«

»Der Tierkreis«, flüsterte Doyle und packte Cordelia bei den

Schultern. »Ich könnte dich dafür küssen, Schatz.«

Sie legte ihm eine Hand auf die Brust. »Das würde ich dir nicht

empfehlen.«

»Richtig«, sagte Doyle und senkte den Blick. »Die Freude ist einfach

mit mir durchgegangen.«

»Okay, vielleicht eine flüchtige Umarmung«, sagte sie und drückte ihn

kurz an sich, was ihn völlig aus dem Konzept brachte. Die Berührung
war vorbei, noch ehe er reagieren konnte. Dann lächelte sie ihn an. »Hab
ich gut gemacht, was?«

»Das kann man wohl sagen«, sagte Doyle, war sich aber nicht sicher,

ob er sich damit auf die Horoskop-Geschichte bezog.

In diesem Moment kam Angel herein und sah staunend auf die beiden

hinab. »Arbeitet ihr an einem neuen Ablage-System?«

Doyle grinste von einem Ohr zum anderen. »Nicht mehr nötig.

Cordelia hat rausgefunden, nach welchem Prinzip der Dämon seine
Opfer aussucht.«

»Hat sie?«, fragte Angel zweifelnd und runzelte die Stirn ob seiner

Ungläubigkeit. »Ich meine, das ist... ja großartig.«

Doyle nickte. »Unser Dämon bedient sich der Astrologie, um die Leute

auszuwählen.«

»Man sollte es besser ›Horrorskop‹ nennen«, sagte Cordelia und

schüttelte sich.

Während Doyle ihm erklärte, was sie herausgefunden hatten, half

Angel ihnen, die Akten wieder vom Boden aufzusammeln. »Das heißt
also«, resümierte Angel, »es fehlen ihm für seine Wiederkunft noch
genau zwei Opfer. Und wir haben keinen blassen Schimmer, wie er sie
findet.«

»Immerhin wissen wir, welche Sternzeichen sie haben werden«, sagte

Cordelia.

»Was hilft uns das? Acht Prozent der Bevölkerung kommen da in

Frage«, sagte Angel. »Wir müssen herausfinden, wie er die Opfer
kontaktiert und die Treffen arrangiert.«

Doyle beschloss, das Problem von einer anderen Seite anzugehen.

»Was hast du am Tatort Neues erfahren?«

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122

»Dort lag eine weitere Hauthülle, die zu einer gewissen Christine

Foust gehört. Und eine neunzehnjährige weibliche Angehörige dieses
ominösen Kults mit zerschmetterten Knochen und tödlichen inneren
Verletzungen. Ebenfalls die Handschrift des Dämons.«

»Also haben diese Kultmitglieder den Dämon überrascht, als er sich

noch in seiner geborgten Form befand«, schloss Doyle. »Wahrscheinlich
direkt nachdem er den Körper der jungen Frau bis auf den letzten
Tropfen ausgesaugt hat.«

»Ist es eigentlich nötig, immer so drastisch zu werden?«, fragte

Cordelia verdrossen.

»Sorry«, sagte Doyle. So viel zu den seltenen Momenten intimer

Verbundenheit mit ihr, dachte er. »Was, wenn dieser Kult die
Unterwerfung bereits vollzogen hat?«

Angel schüttelte den Kopf. »Der Tatort sah ganz danach aus, als ob

ihnen genau das nicht gelungen ist. Aber ich zweifle nicht, dass sie es
wieder versuchen werden.«

»Also müssen wir nicht nur den Dämon stoppen«, fasste Doyle die

Lage zusammen, »sondern wir müssen auch den Kult davon abhalten,
den Dämon zu fassen ...«

»Was für eine Zumutung«, sagte Cordelia ungehalten.


Angel hielt Wort und teilte Kate die neueste Entdeckung mit.

Sie war rasch von dem Astrologie-Motiv zu überzeugen, aber nicht

allzu optimistisch dahin gehend, wie diese Information effektiv zu
nutzen sei. »Hast du 'ne Idee, wie man mit diesem Wissen jetzt
weitermachen soll?«

»Wir wissen, dass sie die Opfer im Vorfeld irgendwie kontaktieren, um
die Treffen zu arrangieren. Jetzt müsste man mit Freunden, Verwandten
und Nachbarn sprechen, um ein weiteres Muster zu erstellen.«

Kate nickte. »Sag mir, wie sie den Killer kennen lernen – oder die

Killer, wenn wir davon ausgehen, dass der ganze Kult an den Morden
beteiligt ist. Alle Opfer sind junge, allein stehende Leute auf der Suche
nach Liebe oder wenigstens einem netten Abend.«

»Vielleicht treffen sie sich in einem Club, einem Verein oder einem

Single-Treff?«

Kate setzte sich gerade auf. »Was ist mit dem Internet? Ich war bei den

Opfern zu Hause. Alle hatten einen Computer, einige von ihnen eine
beeindruckende Logistik inklusive Scannern und dieser kleinen runden
Webcams.«

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123

Vor Angels geistigem Auge erschien das Bild des jungen Arnold

Pipich, der Cordelia dabei half, eine Homepage für seine Firma zu
erstellen. Der menschliche Gehilfe, dachte er. Er oder sie sucht online
geeignete Opfer für den Dämon und arrangiert die Treffen. Und mit der
Fähigkeit des Dämons, die Menschen sehen zu lassen, was sie sich
wünschten, trafen die Opfer stets den Mann oder die Frau ihrer Träume.
»Das wäre sicherlich eine sehr effektive Möglichkeit, geeignete Opfer zu
finden«, sagte er. »Unter all den Millionen, die online sind, dürfte es
unserem Täter nicht schwer fallen, den- oder diejenige zu finden, die das
richtige Sternzeichen hat.«

»Nehmen wir also an, die erste Kontaktaufnahme findet online statt«,

sagte Kate. »Das Internet ist ein unüberschaubares Chaos, wie und wo
soll man da anfangen?«

»Vielleicht indem man die Sites ausfindig macht, die alle Opfer in der

Vergangenheit frequentiert haben.«

»Ich könnte ihre Computer daraufhin überprüfen lassen«, sagte Kate.

»Und mit den Nachbarn, Freunden etc. sprechen; vielleicht wissen sie ja
etwas von einschlägigen Kontakten, die die Opfer online geknüpft
haben.«

»Wie kann ich dabei helfen?«
»Überlass diesen Teil der Arbeit ruhig den Profis«, sagte Kate. »Ich

kann nicht zulassen, dass du in der Stadt rumläufst und dich als Polizist
ausgibst.«

»Auf diese Idee wäre ich nie gekommen, wenn du es nicht erwähnt

hättest.«

Kate lächelte. »Auf Wiedersehen, Angel.« Sie erhob sich und wandte

sich zum Gehen. Doch dann drehte sie sich noch einmal zu ihm um.
»Und, danke.«

»Freut mich, dass ich helfen konnte.«


Am nächsten Tag durchforsteten Angel und Doyle wieder einmal das
Große Handbuch der Dämonenkunde.

Da sie nun wussten, mit welcher Art von Dämon sie es zu tun hatten,

hofften sie, den entscheidenden Hinweis zu finden, der ihnen helfen
konnte, den Vishrak entweder vor oder nach Vollendung des
unheilvollen Kreises endgültig zu vernichten.

Cordelia hatte sich einschlägige Astrologie-Literatur vorgenommen, in

der Hoffnung, eine Information darüber zu erhalten, wie und wann der
Dämon seine Opfer auswählte. »Es könnte sein, dass die Mondphasen
etwas damit zu tun haben«, sagte sie. »Hier steht, der Mond benötigt

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124

etwa zweieinhalb Tage, um jedes Tierkreiszeichen zu durchlaufen. Und
wir wissen, dass der Dämon etwa alle zwei bis drei Tage zuschlägt.«

Angel sah von seiner Lektüre auf. »Demnach müsste der Dämon sein

Ritual innerhalb einer Mondphase durchführen.«

»Was ist mit der Reihenfolge der Zeichen?«, fragte Doyle.
Cordelia blätterte einige Seiten vor und zurück. »Die Reihenfolge der

Sternzeichen, die die Opfer hatten, stimmt nicht mit der überein, die der
Mond durchläuft.«

»Gehen wir mal von einem Zeitrahmen von achtundzwanzig Tagen

aus, und nehmen wir weiterhin an, der Countdown begann mit dem
ersten Mord«, überlegte Angel. »Danach hätte der Dämon von jetzt an
gerechnet nur noch eine gute Woche Zeit.«

»Aber angesichts dieser Fanatiker, die ihm im Nacken sitzen«, warf

Doyle ein, »bezweifle ich sehr, dass er sich eine ganze Woche Zeit
lassen wird, um sein Ritual zu beenden.«

Das Telefon klingelte, und Cordelia hob ab. Es war Kate, und Cordelia

wollte Angel gerade den Hörer weiterreichen, da betrat Arnold Pipich,
ihr Web-Guru, das Büro. Angel sagte: »Stell mir das Gespräch doch bitte
in mein Büro durch.« Cordelia tat, wie ihr geheißen.

Als Angel das Telefonat annahm, begrüßte Kate ihn ohne Umschweife

mit: »Chaträume.«

»Chaträume?«
»Ich hab mich auf die letzten Opfer konzentriert, und was ich von

Freunden und Angehörigen erfahren habe, läuft darauf hinaus, dass die
Betroffenen ihre Abende vorzugsweise in Internet-Chaträumen
zugebracht haben sollen. Einer unserer Techniker wird sich jetzt ihre
Rechner vornehmen und nachschauen, ob ein ganz bestimmter Chat-
room von allen Opfern besucht wurde.«

»Diese Chaträume liefern Informationen ziemlich umgehend. Ein paar

vermeintlich harmlose Fragen, und schon weiß unser Killer, ob die
Person am anderen Ende als potentielles Opfer in Frage kommt oder
nicht«, überlegte Angel laut. »Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten.«

»Angel, komm jetzt nicht auf dumme Gedanken. Ich hab dich

angerufen, weil ich dich höflicherweise auf dem Laufenden halten
wollte, nicht, weil ich deine Hilfe brauche.«

»Das werde ich nicht vergessen«, sagte Angel, bevor er auflegte.
Angel hatte keinen Zweifel daran, dass Kate die Puzzlestücke

zusammensetzen konnte, wenngleich sie nie auf den Gedanken kommen
würde, dass hinter all dem ein Dämon steckte. Und genau diese fehlende
Information könnte ihren Tod bedeuten. Außerdem drängte die Zeit.
Dem Dämon fehlten nur noch zwei Opfer für seine Wiederkunft. Doyle

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hatte Recht: Der Vishrak musste seinen Zeitplan ändern, damit der Kult
nicht noch einmal Gelegenheit erhielt, ihn zu unterwerfen.

Da kam ihm eine Idee: Falls es uns nicht gelingen sollte, den Dämon

rechtzeitig zu finden, müssen wir eben dafür sorgen, dass er uns findet.

Aufgeregt trat Arnold vor Cordelias Schreibtisch.

Er hatte einen Ziehharmonika-Ordner unter dem Arm und trug ein

olivgrünes T-Shirt mit dem Bild eines mandeläugigen grauen Aliens,
abgewetzte Jeans und ausgetretene Sneakers. »Ratet mal, warum ich so
glücklich bin?«, fragte er.

»Keine Ahnung«, sagte Doyle. »Verschenkt CompAmerica neuerdings

ein Mousepad an jeden zahlenden Kunden?«

»Nein, das war letzte Woche«, sagte Arnold allen Ernstes.
»Dann hast du ein Hacker-Girl zum Schülerball eingeladen, und sie hat

zugesagt?«, fragte Cordelia grinsend.

»Nein«, sagte Arnold und errötete. »Ich kann nicht tanzen.«
»Warum überrascht mich das jetzt nicht?«
Arnold kicherte. »Ich wette, du könntest mir die Grundlagen

beibringen.«

»Nicht mal für ein Vorstellungsgespräch bei Steven Spielberg.«
Arnold wandte sich um Unterstützung an Doyle. »Würde sie einen

Mann hängen lassen?«

»Da fragst du den Falschen, Arnold.«
»Genug jetzt«, sagte Cordelia. »Sag uns lieber, was du mit unserer

Homepage gemacht hast.«

»Macht euch auf 'ne Überraschung gefasst.«
»Zeig einfach, was du auf die Beine gestellt hast.«
Arnold ließ seinen Aktenordner auf den Schreibtisch fallen und trat

neben Cordelia, die sofort einen halben Meter mit ihrem Stuhl wegrollte.
Der Kleine ist mir ein bisschen zu vorwitzig mit seinen verschwitzten
Händchen ..., dachte sie.

Dramatisch ließ Arnold seine Fingerknöchel knacken, bevor er in

einem Tempo auf die Tastatur einhackte, das jede Stenotopystin vor
Neid erblassen lassen würde. Das Modem quiekte, kreischte und piepste.
»Okay«, sagte Arnold. »Wir sind jetzt online. Ich gehe nun auf die neue,
verbesserte und, wie ich zugeben muss, einfach atemberaubende Site von
Angel Investigations, designed von eurem ergebenen Arnold Pipich.«

Cordelia stützte sich mit den Ellbogen auf ihren Knien ab und lehnte

sich gespannt vor. Aus den Computerlautsprechern ertönte das Geräusch
von Dauerregen. Sie hob eine Augenbraue. »Doyle, komm mal her und

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sieh dir das an.« Doyle stellte sich zwischen sie und Arnold und fragte:
»Was ist das?«

»Flash Animation«, sagte Arnold und kreuzte die Arme vor seiner

Brust. »Man braucht heutzutage einfach ein paar Killer-Grafiken auf der
Homepage, um Aufmerksamkeit zu erregen. Passt mal auf!«

Der Bildschirm war schwarz, doch nun zuckte krachend ein Blitz über

den Monitor, in dessen Licht die Silhouette einer Millionenstadt vor
einem verhangenen Nachthimmel zu sehen war. Eine Donnersalve
dröhnte aus den Boxen, als auf einem der Hochhausdächer plötzlich der
Umriss eines Mannes sichtbar wurde. Obwohl er nur reglos dastand,
wurde sein Mantel mit jedem Windstoß aufgebläht und flatterte
dramatisch hinter ihm her. Es folgte ein weiterer Blitzeinschlag, und
dann wurde in Frakturschrift der Name »Angel« eingeblendet. Der
nächste unheilvolle Donner produzierte das Wort »Investigations« gleich
darunter. Eine dunkle Stimme sagte: »Wir helfen den Hilflosen«, und
dann erschienen am unterem Rand des Bildschirms Adresse und weitere
Kontakt-Informationen, die sich aus einer Nebelwolke in Buchstaben
verwandelten.

»Wessen Stimme ist das?«, fragte Cordelia.
»Meine«, sagte Arnold stolz.
Cordelia betrachtete ihn neugierig. »Du stellst wirklich ganz

beachtliche Dinge mit Software an, das muss man dir lassen.«

»Offensichtlich«, bemerkte Doyle.
»Und, das war's schon?«, fragte Cordelia.
»Jetzt sagt nicht, dass das nicht cool war?«
»Doch, das war toll, Arnold, aber viel Info ist das ja bisher noch nicht

gewesen. Das Ganze ist eher eine animierte Visitenkarte ...«

»Herrgott«, erwiderte Arnold. »Das ist doch nur die Einstiegsseite.

Klick mal auf das Finnenlogo, dann geht's gleich hinein in den Bauch der
Bestie.«

Interessante Wortwahl, dachte Cordelia. »Zeig mal.«
Arnold klickte auf das Logo, und die nächste Seite wurde geladen:

schwarzer Hintergrund, silberfarbene Buttons, weißer Text. »Ich hab das
alles monochrom gehalten«, erklärte er. »Hab gesehen, dass euer Boss
am liebsten Schwarz trägt, also dachte ich, dieser Look würde zu ihm
passen. Ich hab den Content benutzt, den du mir gegeben hast.«

»Content?«
»Den Text«, sagte Arnold. »Ich hab ihn mit einem E-Mail-Link

verknüpft, aber das sollte man für die Zukunft mit richtigen Links lösen.
So ist es üblich. Und schau mal, hier kann man sich auch gleich für eure
Datenbank registrieren lassen. Der Rest erklärt sich von selbst.«

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»Was ist das für eine Nummer da unten?«
Plötzlich schien Arnold ein wenig peinlich berührt. »Das ist ein

kostenloser Hitcounter von Alles für den Garten. Der zeigt dir an, wie
viele Leute deine Site besucht haben. Wenn ihr aber Features wollt, mit
denen ihr ein wenig mehr über eure Besucher erfahren könnt, kostet das
ein bisschen was.«

»Guck mal, Doyle«, rief Cordelia. »Wir hatten schon fünfundsiebzig

Besucher auf unserer Site.« Als Arnold sich lautstark räusperte, wandte
sie sich zu ihm um. »Was?«

»Die fünfundsiebzig Hits sind dadurch zu Stande gekommen, dass ich

die Site online testen und damit aufrufen musste.«

»Und was ist mit all den Millionen Surfern da draußen?«, fragte

Cordelia. »Ich dachte, man stellt so ein Seite ins Netz und sie strömen
herbei wie die Fliegen zum Licht. Wo sind die alle?«

»Jeden Tag werden Millionen neuer Websites ins Netz gestellt«,

erklärte Arnold. »Man muss seine bei verschiedenen Suchmaschinen
anmelden, damit sie dort aufgelistet werden, und man muss dafür sorgen,
dass andere Sites einen Link auf die eigene Homepage setzen und umge-
kehrt.«

»Du redest von Werbung, richtig?«, fragte Doyle. »Das ist so, als ob

man eine Anzeige aufgibt?«

»Ja, das würde 'ne Menge bringen. Coole Sachen auf der Site bringen

auch was, so wie auch Flash-Animationen, Lustiges, Merkwürdiges und
kostenlose Gimmicks natürlich.«

»Also, Merkwürdiges wäre nicht das Problem«, sagte Cordelia.

»Kannst du das alles für uns machen? Ich meine, das Registrieren bei
den Suchmaschinen und diese Linkaustausch-Sache?«

»Na ja, Werbung kostet Geld, aber was die anderen Sachen betrifft, die

hab ich drauf«, sagte Arnold. »So oder so, bevor ich da noch mehr Arbeit
reinstecke, brauche ich wenigstens die Hälfte meines Honorars.«

»Das ist kein Problem«, versicherte ihm Cordelia.
Zweifelnd sah sich Arnold in den ganz und gar nicht geschäftsmäßigen

Geschäftsräumen seines Auftraggebers um. »Na ja ...«

»Also gut, du willst die Hälfte, du kriegst die Hälfte«, sagte Cordelia.

»Das wäre dann genau ein Videospiel, richtig?« Arnold nickte. »Sag mir,
wie es heißt, und ich sehe zu, wo ich's am billigsten kriegen kann.«

»Die Preise sind überall ziemlich gleich.«
»Das lass mal meine Sorge sein, du kleiner Gauner. Also, den Namen

des Spiels, wenn ich bitten darf.«

»Ghul-Akademie 3«, sagte er. »Oder wenn du's irgendwo bekommst:

Vampirpowergirls, das soll auch ziemlich geil sein.«

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Cordelia seufzte. »Weißt du, Arnold, vielleicht solltest du das Geld

lieber in ein paar Tanzstunden investieren.«

»Wenn du mich unterrichtest.«
»Ghul-Akademie 3, richtig?«, fragte Cordelia und schrieb sich den

Titel auf. Möglicherweise war es für Arnold doch schon zu spät, noch
ein Leben zu haben.

Angel kam aus seinem Büro und nickte Arnold freundlich zu.
»Angel«, rief Cordelia. »Komm mal her und sieh dir das an. Arnold,

spiel ihm nochmal die Videosequenz vor.«

Gelassen verfolgte Angel die Animation bis zum Schluss, dann sagte

er: »Der Typ da, das soll wohl ich sein, oder? Warum trage ich eigentlich
einen Umhang?«

»Das ist kein Umhang, sondern ein Mantel.«
»Für mich sieht das wie ein Umhang aus.«
»Dadurch wirkt das Ganze noch dramatischer«, meinte Arnold. »Alles

soll doch möglichst cool aussehen, oder nicht?«

»Unwichtige Spielerei«, sagte Angel.
Heftig schüttelte Arnold den Kopf, vielleicht, um das Bild des sich in

Wohlgefallen auflösenden Resthonorars zu vertreiben. »Coole Sites sind
Publikumsmagneten, also ist das alles ganz und gar nicht unwichtig.«

»Und wenn schon, ich ...«
»Außerdem hat das alles 'ne unheimlich starke Symbolkraft«,

unterbrach Arnold ihn hastig. »Da sind Sie – ganz allein – trotzen jedem
Sturm in jeder noch so finstren Nacht – unerschrocken, unverzagt...«

»Also, für mich hört sich das ziemlich überzeugend an«, sagte

Cordelia.

»Wenn du meinst...«, murmelte Angel. »Gute Arbeit, Arnold.«
»Willst du auch noch den Rest sehen?«, fragte Cordelia.
»Nein, im Moment nicht«, erwiderte Angel. »Kate glaubt, dass unser...

Tatverdächtiger sich in Chatrooms rumtreibt, um seine Opfer zu finden,
und –«

»Hey, es geht bestimmt um den Mord, der gestern Abend in den

Nachrichten war, stimmt's?«, fragte Arnold. »Dieser Serienkiller? Es
hieß, der hat schon jede Menge Leute auf dem Gewissen ...«

Angel sah ihn missbilligend an. »Arnold, diese Information ist

vertraulich. Bist du für heute hier fertig?«

»Yeah«, gab Arnold kleinlaut zurück, schnappte sich seine Unterlagen

und machte sich auf in Richtung Tür.

»Warte 'ne Sekunde, Arnold«, rief Angel ihm nach. »Du bist doch

unser Computerberater, richtig?«

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Arnold lächelte. »Webdesigner, Computerberater, Internetexperte«, er

zuckte die Achseln, »ich hab viele Talente.«

»Dann erzähl mir mal, wie das in diesen Chatrooms so abläuft.«
»Na ja, meistens wird da nur hirnlos rumgeplänkelt, alle quatschen

durcheinander, belangloses Zeug meistens. Aber der Vorteil ist, man ist
total anonym. Man sucht sich irgendeinen Namen, irgendeine Identität,
manchmal noch einen Avatar, und kaum einer weiß, wer sich tatsächlich
dahinter verbirgt.« Er lachte. »Ich hab gehört, dass sich fünfzigjährige
Opas manchmal als kleine Mädchen ausgeben.«

»Danke, Arnold«, sagte Angel. »Du hast uns sehr geholfen.«
Nachdem Arnold fort war, sagte Doyle: »Du glaubst, wir können

unseren Dämon online fangen?«

Angel nickte.
»Aber wie?«
»Hey, das ist Los Angeles«, sagte Cordelia. »Hier lügen die Leute,

wenn's um ihr Alter geht. Sie lügen, wenn's um ihr Aussehen geht.
Warum nicht lügen, wenn's ums Sternzeichen geht?«

»Also stellen wir dem Dämon eine Falle«, schloss Doyle.
»Guter Plan«, sagte Angel.
Doyle nickte. »In der Tat.«
»Und wer spielt den Köder?«, wollte Cordelia wissen.
Doyle und Angel sahen sie nur schweigend an.



















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»Oh nein! Nicht ich! Kommt gar nicht in Frage!«

»Das wäre aber die beste Lösung«, sagte Angel.
»Und du wärst ja nie wirklich in Gefahr«, fügte Doyle hinzu.
»Stopp!«, rief Cordelia und warf verzweifelt die Arme in die Luft.

»Ich werde mich auf keinen Fall in irgendeine Bar hocken und aufs
tödliche Stelldichein warten!«

»Du wirst ihn an einem öffentlichen Ort treffen«, versicherte ihr

Angel. »Doyle und ich werden dich keine Sekunde aus den Augen
lassen.«

»Dieser Dämon ist nicht wählerisch, er tötet sowohl Frauen als auch

Männer«, sagte Cordelia. »Genauso gut könnte einer von euch den
Lockvogel spielen.«

»Das ist richtig«, gab Angel zu. »Aber Doyle und ich sind bessere

Bodyguards als du. Und der Dämon würde nie vor Publikum
zuschlagen.«

»Ich muss also nie mit ihm alleine sein?«
»Nur in der kurzen Zeit, da du ihn nach draußen und in unsere Arme

lockst«, erklärte Angel.

»Das klingt machbar«, sagte Cordelia. »Theoretisch«, fügte sie hinzu.

»Aber praktisch kann da noch 'ne ganze Menge schief laufen, und dann
haucht eure Naive als Opfer Nummer elf ihr Leben aus.«

»Naive?«
»Ja, diese Rolle wird am Theater stets von jungen unschuldigen

Starlets verkörpert. Und jetzt bitte keine Anzüglichkeiten in Sachen
›unschuldig‹.«

»Wo denkst du hin?«, murmelte Doyle, der wieder die Polizeiakten

durchblätterte.

»Wir werden dich während des gesamten Treffens beobachten«, sagte

Angel. »Und wir werden in deiner Nähe bleiben, bis ihr aufbrecht. Und
dann werden wir vor euch draußen sein und den richtigen Moment
abpassen.«

»Und als Nächstes wirst du mir sagen, dass nichts, aber auch rein gar

nichts schief gehen kann.«

»Nein, das werde ich nicht.«

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»Oh mein Gott«, sagte Cordelia und ließ sich auf ihren Stuhl fallen.

»Das ist dein Ernst, nicht wahr?«

»Ich werde nicht zulassen, dass er dir etwas antut, Cordelia.«
Für einen Moment sah sie Angel tief in die dunklen Augen, sah die

Aufrichtigkeit und Entschlossenheit darin. Und obwohl nichts im Leben
wirklich sicher war, wusste sie doch, dass er da sein würde, wenn es hart
auf hart kam. Dass er dann sogar sein Leben für sie riskieren würde. Sie
würde immer auf ihn zählen können. »Ich weiß.«

Doyle sah von seinen Unterlagen auf. »Tatsächlich dürfte dir nicht das

Geringste widerfahren, Cordelia.«

»Warum das?«
»Der Dämon kann dich für seine Sammlung gar nicht gebrauchen. Er

hat bereits jemanden mit deinem Sternzeichen getötet. Du passt nicht in
seinen ominösen Kreis.«

»Dann würde er mich also ganz umsonst ermorden, wie ärgerlich für

ihn ...«

Doyle versuchte, den Sarkasmus in ihrer Bemerkung zu überhören,

aber er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Noch schlimmer, er
müsste wahrscheinlich wieder ganz von vorne anfangen.«

»Wow, ich bin sicher, ich würde mich gleich viel besser fühlen, wenn

ich wusste, dass ich ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht habe.
Aber Moment mal, ich werde ja gar nichts mehr fühlen, weil ich dann
schon längst mausetot bin!« Beklommen sah sie zu Angel. »Sorry,
wollte dir nicht zu nahe treten.«

»Schon okay«, erwiderte er.
»Ich will eine Gefahrenzulage«, sagte Cordelia. »Wisst ihr, ich bin

schon lange hinter diesen roten Schuhen her. Das Problem ist nur, ihr
Preis übersteigt mein Budget bei weitem.«

»Du riskierst dein Leben für ein paar Schuhe?«, fragte Doyle.
»Hey, unser untoter Boss hier hat gerade gesagt, mein Leben wäre

hundertprozentig sicher«, rief Cordelia und zeigte mit dem Finger auf
Angel.

»Okay, jetzt nehme ich's langsam doch persönlich.«
»Kriege ich nun eine Gefahrenzulage oder nicht?«
»Wie wäre es mit einer klitzekleinen einmaligen Sonderzahlung?«
»Die Schuhe sind wirklich toll.«
»Ich denke, wir werden uns schon einigen.«
»Okay, dann bin ich dabei«, sagte Cordelia. »Wie gehen wir vor?«
»Kate lässt die Computer der Opfer nach Hinweisen auf immer wieder

auftauchende Chatrooms durchsuchen, aber ich glaube, das ist eine
Sackgasse«, berichtete Angel. »Jedes Mal, wenn der Dämon sich mit

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einem seiner Opfer verabredet hat, war der Treffpunkt ein anderer. Ich
bin mir ziemlich sicher, dass er oder sein menschlicher Gehilfe sich in
verschiedenen Chatrooms rumtreibt.«

»Von diesen virtuellen Treffpunkten gibt's aber 'ne ganze Menge im

Netz«, bemerkte Doyle. Als die beiden ihn erstaunt ansahen, fügte er
hinzu: »Hab ich wenigstens gehört.«

»Das ist richtig«, sagte Angel. »Also sollten wir uns auf die Suche

nach einem Chatroom machen, der Astrologie zum Thema hat; vielleicht
sogar einen, der von L.A. aus gemanagt wird.«

»Dann lasst uns am besten sofort anfangen«, sagte Cordelia energisch,

dann stutzte sie. Notiz an mich selbst: Gleich nachdem ich diese Schuhe
gekauft habe, Geisteszustand überprüfen lassen!, dachte sie bei sich.

Wieder einmal wurden Willem 94 und sein Lieferwagen benötigt:
Diesmal für die sechsstündige Fahrt nach San Francisco.

Terrance 90 hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen, während

Clifford 98 hinten saß, sich aber zu den beiden anderen vorgebeugt hatte.
Als dienstältester Bruder unter den drei Auserwählten war Terrance 90
für die »Operation San Francisco« verantwortlich.

Der Omni hatte ihm einen schlanken Stab mit auf den Weg gegeben,

den er als »Wünschelrute« bezeichnet hatte. Doch sie waren nicht auf
dem Weg nach San Francisco, um Wasser zu finden, sie waren auf der
Suche nach dem Restkörper von Yunk'sh.

Der Omni hatte berichtet, dass der Stab aus dem Holz einer vom Blitz

getroffenen Eiche geschnitzt und anschließend mit dem Blut eines
Vishrak sowie einigen geheimen Ingredienzen geweiht worden war.
Schließlich hatte der Omni die Spitze der Rute mit dem wohl bekannten
grünen Elixier benetzt, um ihn gewissermaßen auf Yunk'sh, bezie-
hungsweise seinen Restkörper zu eichen. Der Stab hatte eine Reichweite
von fünfzig Meilen.

Der Rat der Omni war der Auffassung, dass sich Yunk'sh am Tag vor

dem großen Erdbeben in San Francisco erstmals manifestiert hatte – das
war im Jahre 1906 gewesen.

Dazu passte auch die Aussage von Pater Brian McGrath von der St.

Anns-Kirche, der die Präsenz des Dämonen im südlichen Market District
wahrgenommen hatte. McGrath hatte nichts unversucht gelassen, den
Dämon zu vernichten, doch der Geistliche starb am 18. April, entweder
durch das Erdbeben selbst oder in einer der nachfolgenden Feu-
ersbrünste.

Und irgendwann während dieses vier Tage andauernden Infernos, das

große Teile der Stadt vernichtet hatte, verbrannte auch Yunk'shs Körper.

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Was immer letztlich für sein Verschwinden aus dieser Welt
verantwortlich gewesen war, der Dämon war nicht vollständig getötet
worden und konnte so seiner endgültigen Verbannung entgehen. Seine
psychische Energie wurde freigesetzt und harrte fortan jenseits der
weltlichen Ebene aus, bis die Gestirne erneut die richtige Konstellation
aufwiesen. Bis dahin konnte er sich in aller Ruhe einen menschlichen
Gehilfen suchen, um am Tag X das Wiederkunftsritual einzuleiten.

Im ersten schwachen Licht des Morgens, sie hatten die Stadtgrenze

von San Francisco gerade erreicht, begann die Spitze der Wünschelrute
plötzlich grün zu glühen. »Schau!«, schrie Clifford.

»Ich bin nicht blind, Clifford«, erwiderte Terrance. »Aber wegen dir

bin ich jetzt auf dem linken Ohr taub. Und deine Überraschung scheint
mir ein Indiz für dein mangelndes Vertrauen zu sein, wie ich hinzufügen
möchte.«

»Schwing ihn mal ein bisschen hin und her«, sagte Willem.
»Guck nach vorn und achte auf die Straße«, sagte Terrance, doch er

folgte Willems Vorschlag. Als er den Stab in Richtung Süden
ausrichtete, erstarb das Glühen vollständig, doch als er ihn wieder direkt
vor sich hielt, kehrte die phosphorisierende Aura zurück. »Scheint, wir
sind auf der richtigen Fährte!«

Die Wünschelrute, so hatte der Omni erklärt, funktionierte wie ein

Kompass, wobei der Restkörper quasi den magnetischen Nordpol
darstellte. Bevor der Omni den Namen des Dämons herausgefunden
hatte, wäre es ihnen niemals möglich gewesen, Yunk'sh mit diesem Stab
zu lokalisieren. Doch nun besaß der Kult den Schlüssel, um ihn für
immer einzusperren.

Die Dämmerung war gerade hereingebrochen, als sie sich dem

offensichtlichen Aufenthaltsort von Yunk'shs Restkörper näherten, dem
südlichen Market District. Willem vermutete die Leiche unter dem
freiliegenden Fundament eines ehemaligen Gebäudes, auf dem sich
Schutt und Unrat türmten, und das mit Maschen- und Stacheldrahtzaun
umgeben war. Doch die Magie der Wünschelrute war die Magie der
Nacht, und nun, bei Tagesanbruch, wurde das grüne Glühen immer
schwächer.

Willem parkte den Lieferwagen unweit der Bauruine. Eine

ehrfurchtsvolle Stimme drang an sein Ohr. Es war Terrance, der die
Worte des Omni wiederholte: »Das Gebiet, auf dem sich der Restkörper
befindet, wird von einer Aura des absolut Bösen umgeben sein, sodass
nur die Würdigen es wagen, sich ihm zu nähern, während alle anderen
vor Angst die Flucht ergreifen.«

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»Wir warten, bis es wieder dunkel wird«, beschloss Willem. »Warum

nehmen wir uns bis dahin nicht ein Motel-Zimmer, schlafen ein bisschen
und bereiten uns vor?«

»Einverstanden«, sagte Terrance.


Gegen Mitternacht kehrten die drei Männer zurück.

Als die Straße menschenleer war, verließen sie ihren Wagen. Sie

waren von oben bis unten in dunkle Farben gekleidet, trugen
Arbeitshandschuhe aus Baumwolle und schwere Militärstiefel.

Terrance und Willem sicherten die Straße, während Clifford mit einem

Bolzenschneider ein Loch in den Metallzaun schnitt. Terrance hielt die
Wünschelrute und hatte eine kleine Schaufel dabei. Mit je einem
Brecheisen in jeder Hand verspürte Willem einen leichten Anflug von
Panik, nicht wegen dem, was sie finden würden, sondern wegen dem
Ort, an dem sie sich befanden. Das pure Unbehagen lag über dieser
Straße wie ein übler Geruch, und seine weichen Nackenhaare stellten
sich auf. Kein Wunder, dass hier kaum ein Mensch zu sehen ist, dachte
er. Er stellte fest, dass die meisten Straßenlaternen kaputt waren und die
wenigen, die noch funktionierten, nur sehr schwach brannten. Es war, als
ob die hier vorherrschende Düsternis jeden Versuch, ein wenig Licht in
diese Straße zu bringen, sabotierte.

Die Männer schlüpften durch den Zaun, angeführt von Terrance, der

die Wünschelrute vor sich hielt wie eine Fackel. Das grüne Leuchten war
nun fast unangenehm grell. »Fühlt ihr das?«, fragte er mit einer
merkwürdigen Erregung in der Stimme. »Als ob tausend Spinnen über
den Körper krabbeln.« Die beiden anderen nickten.

Clifford fröstelte, und Willem hatte das dringende Bedürfnis, sich mit

der Hand in den Nacken zu schlagen, als wollte er sich damit zur Raison
zu bringen. Erst Furcht, nun Abscheu. Das Vernünftigste wäre, schreiend
in die Nacht davonzulaufen, so weit weg wie nur irgend möglich, dachte
er. Aber den Mut aufzubringen, die Angst zu überwinden, unterscheidet
den Meister vom Diener, sagte er sich.

Als Terrance den Stab senkte, flammte die Spitze hellgrün auf und

tauchte den Untergrund in ein fast überirdisches Licht. Er schrie vor
Schmerz laut auf und ließ ihn fallen. Das grüne Leuchten erstarb und
hinterließ fleckige Schatten auf der Netzhaut.

Willem trat neben Terrance und deutete auf den verkohlten Stab. »Ich

denke, hier ist es.«

Terrance sah von einem zum anderen. »Gut, lasst uns anfangen.«
Sie begannen damit, den Schutt beiseite zu räumen, der hauptsächlich

aus zerbröckelten Steinen und Mauerresten bestand. Darunter kamen

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Holzlatten und -pfosten zum Vorschein. Eine Schubkarre oder ein
Handwagen wäre ihnen nun sehr gelegen gekommen.

Ein flaches Stück verkohlten Holzes zerbröselte unter Willems Griff –

es war ein Gedenktäfelchen zu Ehren der Heiligen Anna. Hatte Pater
McGrath den Kampf gegen Yunk'sh etwa in seiner eigenen Kirche
aufgenommen? Ein weiteres Feuer inmitten all der Feuer, die San
Francisco an diesem schicksalhaften Tag verwüsteten? Die Wahrheit
würde für immer verborgen bleiben.

Clifford wollte Terrance zur Hilfe eilen, der sich gerade mit einem

zersplitterten Balken abmühte, doch er sackte zusammen und würgte.
Wütend fauchte Terrance ihn an: »Nur die Unwürdigen müssen diesen
Ort fürchten!«

»Ich hab dir doch gleich gesagt, du sollst den dritten Chili-Hot-Dog

nicht mehr essen, Clifford«, sagte Willem.

Das reichte. Clifford wirbelte herum und kotzte sich auf die eigenen

Stiefel.

»Fühlst du dich jetzt besser?«, fragte Terrance mit unverhohlener

Verachtung in der Stimme.

Clifford nickte wenig überzeugend, sein Gesicht war aschfahl.
Von da an ging die Arbeit zügig voran, und schließlich hatten sie ein

Loch ausgehoben, in dem sie stehen konnten, ohne von der Straße aus
gesehen zu werden. Da entdeckte Willem am Grund der Grube einen
kleinen Spalt, unter dem ein versteckter Hohlraum lag. Rasch
verbreiterten sie die Öffnung. An Willems Schlüsselanhänger war eine
kleine Stablampe befestigt, mit der Terrance nun versuchte, den
Hohlraum auszuleuchten. Als er wieder aufsah, lag unverhohlene
Erregung in seinem Blick. »Haben wir kein stärkeres Licht?«

»Wir haben eine große Taschenlampe im Lieferwagen«, sagte Willem.
Terrance löste die Stablampe vom Schlüsselbund und drückte sie

Willem in die Hand. »Hol sie!«

Willem kletterte aus der Grube und fühlte sich mit jedem Schritt, den

er sich von dem Schuttplatz entfernte, besser. Mit einem tiefen Seufzer
holte er die Taschenlampe aus dem Wagen und trat den Rückweg an. Er
schmeckte Galle, die langsam seine Speiseröhre hinaufstieg. »Nein, ich
werde nicht zulassen, dass die Angst mich überwältigt«, beschwor er
sich leise. Als er zurück durch den Zaun kletterte, wurde er bereits von
Terrance erwartet. »Wo ist Clifford?«, fragte Willem.

»Ich hab ihn in das Loch runtergelassen«, sagte Terrance. »Auf dass er

seine Würdigkeit unter Beweis stellt.«

Da rief Clifford aus der Dunkelheit - die Angst in seiner Stimme war

unüberhörbar. »Ich ... ich glaube, ich hab es gefunden. Aber diese

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136

Stablampe gibt jeden Moment ihren Geist auf, ich brauche mehr Licht,
schnell!«

»Bring ihm die Taschenlampe runter«, befahl Terrance. »Wenn er

wirklich den Restkörper unseres Dämonenlords gefunden hat, wird er
Hilfe brauchen, um ihn zu bergen.«

Willem schluckte seinen Protest herunter und sprang in die Grube. Die

schwere Taschenlampe gab ihm Mut, denn ihr Licht schlug eine
beachtliche Schneise in die sie umgebende Dunkelheit. Mühelos glitt er
hinab in den kaum mannshohen Hohlraum. Unter seinen Füßen spürte er
einen Berg losen Schutts, und dann fand der Strahl seiner Taschenlampe
Cliffords bestürzte Miene. »Du bist ein bisschen blass um die Nase,
Clifford.«

»Halt's Maul und richte die Taschenlampe auf das verdammte Ding

hinter mir!«

Willem ließ den Strahl über den Boden wandern, bis er die verkohlten

und über zwei Meter langen Überreste eines verbrannten Körpers fand.
Die Leiche lag auf dem Rücken, die Arme über dem Kopf erhoben, als
ob das Opfer kurz vor seinem Tod etwas hatte abwehren wollen –
Trümmer vielleicht oder Flammen. Wenn menschliche Körper verbrann-
ten, krümmten sie sich unter der Hitze zusammen wie Engerlinge. Doch
nichts an diesem Körper hier schien natürlich oder menschlich zu sein.
Kein Zweifel, sie hatten Yunk'shs Restkörper gefunden. Für einen
kurzen Augenblick wurde Willems Unbehagen von Ehrfurcht abgelöst.
»Sieh dir das an ...«

Doch Clifford schien gerade mit einer Panikattacke zu kämpfen.

»Merkst du nicht, wie die Wände um uns herum näher kommen?«

»Das ist unmöglich, Clifford. Da spielt dir nur deine Einbildung einen

Streich. Im Übrigen gibt's hier gar keine Wände.«

Was nicht ganz stimmte. Sie befanden sich zwar in den Ruinen eines

Raums, doch Boden und Wände hatten sich durch das Erdbeben so
verschoben, dass das Ganze den Eindruck eines Kirmes-Tollhauses
machte. Willem stellte fest, dass die Taschenlampe schwächer wurde; er
rüttelte sie, und der Körper des Dämons erstrahlte wieder in vollem
Licht. »Lass uns anfangen«, murmelte er.

Clifford kletterte zu der Leiche hinüber und hob sie grob an den

Schultern an. »Vorsicht!«, schrie Willem und stieg auf den Schutthaufen.
Dann reichte er Terrance, der am Rand der Grube stand, die
Taschenlampe hinauf. »Halte mal, ich brauche beide Hände.«

Er packte die Füße des Dämonenkörpers - sie waren hart und faserig

und wahrscheinlich auch sehr zerbrechlich. »Könnte schlimmer sein,
Clifford. Wenigstens gibt's hier keine Ratten.«

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Freudlos lächelte Clifford ihn an. »Mann, ich hasse Ratten mehr als

alles auf der Welt«, sagte er, als plötzlich etwas hinter ihnen quiekte.
»Was war das?«

»Nichts«, sagte Willem, doch er hatte es auch gehört. War dies

womöglich ein Ort, an dem die Angst zur Realität wurde? Allein der
Gedanke trieb ihn an. Er stemmte die Füße der Leiche gegen die Wand
und zog sich dann durch den Spalt nach oben. Terrance machte einen
Schritt zur Seite.

Willem legte sich auf den Boden und schob sich so weit an den Spalt

heran, dass er mit beiden Händen die Füße des Dämons packen und den
Körper durch das Loch ziehen konnte. Trotz seiner Länge wog er
weniger als erwartet – das Ergebnis des Flüssigkeitsverlustes. Gerade als
seine zitternden Arme die Hüften der Leiche umschlangen, erschien Clif-
fords blasses Gesicht in dem Spalt. »Ratten«, jammerte er. »Viele
Ratten.« Wieder ertönte ein Quieken aus dem Loch.

Willem befürchtete, dass Clifford jeden Moment seine

Selbstbeherrschung verlor, und rief: »Bleib stehen und beweg dich nicht.
Wir sind ja fast fertig.«

Hastig schob Clifford den Dämonenkörper von unten durch den Spalt.

Der Ekel und die Panik standen ihm ins Gesicht geschrieben.

Mehr Gequieke wurde laut. »Sie beißen mich!«, schrie Clifford in

höchster Not.

Terrance leuchtete mit der Taschenlampe nach unten. »Herrgott, da ist

doch gar nichts!«

Doch Clifford war kurz davor überzuschnappen und wäre vermutlich

wie ein Springteufel aus dem Loch geschossen, wenn die Leiche nicht
den Durchgang blockiert hätte. Willem zerrte, während Clifford von
unten panisch schob und drückte, und plötzlich zerbrach der linke Arm
des verbrannten Dämons in tausend kleine schwarze Stücke. Da packte
Terrance mit zu und zog den Körper rasch zu sich hinauf und außer
Reichweite, sodass Clifford und Willem nach oben klettern konnten,
ohne weiteren Schaden anzurichten.

Die schwarzen Partikel flogen Clifford ins Gesicht, und als sich

Willem aus der Grube stemmte, vernahm er plötzlich so etwas wie ein
Summen, als ob hinter ihm Hunderte von Fliegen Cliffords Gesicht
umschwärmten. Rasch vertrieb er dieses Horrorszenario aus seinem
Kopf, doch als er sich umdrehte, schlug Clifford wie wild nach den
umherstiebenden Teilchen, anstatt nun endlich aus dem Loch zu klettern.
Hektische Röte breitete sich auf seinen Wangen aus, und dann begann er
plötzlich zu jammern – nein, es war eher ein dunkles Heulen, das von
Sekunde zu Sekunde anschwoll.

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Außer sich vor Wut sprang Terrance in die Grube und hob sein

Brecheisen. »Du unwürdiger Bastard, du. Du ruinierst am Ende noch
alles!«

Obwohl Willem sich rasch abwandte, drang das entsetzliche Geräusch

eines zersplitternden Schädels an sein Ohr, und dann hörte er, wie
Cliffords Körper schwer auf dem Boden des Lochs aufschlug. Terrance
warf seine blutverschmierte Waffe hinterher und kletterte wieder nach
oben. Zusammen mit Willem hob er den Körper des Dämons vorsichtig
durch den Zaun.

Plötzlich sank der Boden unter ihnen ab, und dann ertönte ein Krachen

und Ächzen, als der Schuttplatz hinter ihnen einbrach. Tonnen von
Geröll begruben den Ort unter sich, an dem der Körper des Dämons fast
ein Jahrhundert gelegen hatte.

»Lass uns schnellstens von hier verschwinden«, sagte Terrance. »Wir

haben eine lange Fahrt vor uns.«

























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139

13



Elliots Körper hatte eine neuerliche Veränderung erfahren.

Sein linkes Bein war vom Oberschenkel bis zum Knöchel erheblich

angeschwollen, die Haut selbst war grau und ledrig geworden, und auch
sein Fuß hatte sich unförmig verdickt. Er hatte die Seiten seiner Sneakers
aufschlitzen und mit Gewebeband notdürftig fixieren müssen, damit er
überhaupt hineinpasste. Die einzigen Kleidungsstücke, die er jetzt noch
über sein deformiertes Bein ziehen konnte, waren weite Pyjamas,
Bermudashorts und Jogginghosen.

Die Sache mit dem Bein beunruhigte Elliot mehr als sein linker Arm

und die missgestaltete Hand, denn er war nun in seiner Mobilität
erheblich eingeschränkt. Sein Gang war unsicher, weil das linke Bein o-
förmig nach außen gebogen war. Doch der kurze Blick, den er auf das
GOS – das wunderbare Grundy Operating System, mit dem er die Welt
beglücken würde – hatte werfen dürfen, war Ansporn genug, Yunk'sh
dabei zu helfen, sein Ritual so rasch wie möglich zu beenden. Und es
hatte auch gereicht, ihn die Opfer vergessen zu lassen, die nicht zuletzt
für seine glorreiche Zukunft ihr Leben aushauchen mussten.

Im Laufe des Tages war der Dämon nur kurz bei Elliot erschienen, um

dessen Fortschritte bei der Suche nach dem nächsten Opfer zu
überprüfen. Keinesfalls durfte er sich bei ihm länger als nötig aufhalten,
damit der Kult ihn hier nicht lokalisieren konnte.

Elliots Suche nach einem geeigneten Kandidaten waren tagsüber

einige Grenzen gesetzt. Die meisten Leute hatten einen Job, und die, die
er im Laufe des Vormittags in den Chatrooms antraf, reagierten äußerst
skeptisch auf seinen Vorschlag, sich schon am Abend persönlich mit ihm
zu treffen. Entweder wurden sie durch sein unverhohlenes Drängen
abgeschreckt, oder aber die Berichte über die unheimliche Mordserie
hatten sie vorsichtiger werden lassen. Gott sei Dank war die Presse
bisher noch nicht auf alle Begleitumstände und Einzelheiten
eingegangen.

Nachdem Elliot das x-te potentielle Opfer verschreckt hatte, flammte

plötzlich der altbekannte Schmerz in seinem Kopf auf, und eine Welle
von Übelkeit erfasste ihn. Die Luft um ihn herum vibrierte, und er drehte
sich kurz um, um den Dämon zu begrüßen. »Noch kein Glück«, sagte er,
noch bevor Yunk'sh die entscheidende Frage stellen konnte.

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140

Yunk'sh hatte das neutrale Aussehen einer Schaufensterpuppe

angenommen, eine erhebliche Verbesserung gegenüber seiner üblichen
Wachs-Fassade. Während er sprach und gestikulierte, wirkten Mimik
und Bewegungen sehr natürlich, doch die Haut war zu glatt und sah aus
wie aus Gummi. Natürlich war dies nur ein vorläufiger Körper, den der
Dämon für die Zeit seines Zwischenstadiums ausgewählt hatte. Wenn er
sich für seine Morde in einen richtigen Menschen verwandelte, war die
Täuschung mehr als perfekt.

»Diese Verzögerung ist inakzeptabel, Elliot.«
Irgendwas mit seinem Nackenmuskel unter der Haut stimmt nicht,

dachte Elliot. Vielleicht liegt es daran, dass unter seiner Hülle weder
Gewebe noch Knochen stecken. Geformt aus dämonischem Ton ... »Ich
kann nicht viel machen, bis die Leute von der Arbeit kommen«, sagte er.

Doch der Blick des Dämons schien plötzlich irgendwie entrückt. »Ich

spüre Gefahr«, sagte er.

Elliot hievte sich aus seinem Schreibtischstuhl; sein deformiertes Bein

war inzwischen ein echtes Hindernis. »Welche Art von Gefahr?«

»Unklar«, erwiderte der Dämon. »Doch vertraue meinen

Vorahnungen. Wir müssen uns beeilen.«

Mit einem nervösen Blick auf seine Armbanduhr sagte Elliot: »Gib mir

noch ein bisschen Zeit, mehr verlange ich nicht. Wir brauchen noch zwei
Kandidaten. Und du kannst heute Abend wohl kaum beide erledigen,
oder?«

»Wenn ich das nächste Mal erscheine, möchte ich mit einer guten

Nachricht empfangen werden.« Mit dieser Drohung verschwand der
Dämon, phasenweise wie immer, bis nur noch ein Luftstrudel auf seine
Anwesenheit hindeutete.

Als Elliots Migräneanfall nachließ, brach ihm der Angstschweiß aus.

Verdammt, ich muss schnellstens Opfer Nummer elf finden!, dachte er
panisch.

»Na, Glück gehabt?«, fragte Angel Cordelia.

»Na ja, es gibt wirklich 'ne Menge höllisch geiler Typen im Netz, aber

nicht einer von ihnen scheint höllisch im wahrsten Sinne des Wortes zu
sein.«

»Mit anderen Worten: keine Dämonen?«
»So ist es«, erwiderte Cordelia. »Ein paar dieser Typen wollten sich

sogar mit mir treffen. Aber ich habe dann immer einen der Orte
vorgeschlagen, an denen der Killer sich in der Vergangenheit mit seinen
Opfern getroffen hat. Keiner von den Jungs hat einen Rückzieher
gemacht, also hab ich einen Rückzieher gemacht, weil wir ja annehmen,

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141

dass unser Dämon nicht noch einmal an einen der früheren Treffpunkte
zurückkehren würde.«

»Hat es lange gedauert, den Kontakt aufzubauen?«
»Am Anfang war's ein bisschen mühsam, aber dann hatte ich eine

Idee.« Cordelia lächelte ihr umwerfendes Lächeln. »Ich hab mir gedacht,
warum den Computer nicht für das benutzen, für das er gedacht ist?«
Ungeduldig schüttelte Angel den Kopf; er hatte offensichtlich keine Lust
auf ein Ratespiel. »Multitasking«, erklärte Cordelia. »Also hab ich mich
in den letzten Stunden in vier Chatrooms gleichzeitig rumgetrieben. Und
in jedem Chatfenster gebe ich mich für eine andere Person aus. Das ist
richtig cool! So wie unsichtbares Schauspielern, und es erfordert eine
Menge Fantasie.« Sie runzelte die Stirn. »Ich hoffe nicht, dass man auf
diese Weise zu einer multiplen Persönlichkeit verkommt ...«

Doyle, der auf einem Stuhl neben ihr saß, massierte sich die Stirn.

»Wohl kaum, aber es verursacht mir rasende Kopfschmerzen, deine
Chats auch nur halbwegs mitzuverfolgen.«

»Immerhin habe ich Jahre damit zugebracht, auf hoffnungslos

überfüllten Parties zu flirten«, meinte Cordelia. »Wer hätte damals schon
ahnen können, dass mir das mal im Job zugute kommen könnte?«

»Du bleibst dran, oder?«, fragte Angel.
Cordelia nickte. »Klar, und um das Ganze zu optimieren, packe ich

auch immer das betreffende Sternzeichen mit in meinen Screennamen.«

»Das sollte auf den Dämon wirken wie ein blutiger Fleischklumpen in

haiverseuchten Gewässern«, meinte Doyle.

Angel reichte Cordelia ein Blatt Papier. »Vielleicht hilft dir das ein

bisschen weiter.«

Cordelia warf einen Blick darauf. »Eine Liste von Chatrooms? Gut, die

werde ich sofort mal ausprobieren.«

»Eigentlich sollst du sie nicht benutzen.«
Cordelia rieb sich mit den Fingerknöcheln über die Schläfe und sah ihn

irritiert an. »Du gibst mir die Liste und sagst mir, ich soll sie nicht
benutzen?«

»Genau.«
»Gut, damit hätten wir also geklärt, dass du es bist, der nicht mehr

ganz richtig im Kopf ist«, sagte Cordelia. »Doyle, jetzt geht's mir schon
besser.«

»Mir auch«, sagte Doyle.
»Kate hat diese Liste anhand der Bookmarks erstellt, die sie auf den

Rechnern der Opfer gefunden hat«, erklärte Angel.

»Und warum soll ich sie nicht abklappern?«
»Weil ich Kate versprochen habe, sie nicht zu benutzen.«

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»Und hättest du mir dann nicht verschwörerisch zuzwinkern müssen,

als du mir sagtest, ich dürfe sie nicht verwenden?«

»Das ist nicht mein Stil«, sagte Angel. »Kate hat mir die Liste erst

ausgehändigt, nachdem ich ihr versprochen hatte, in keinem dieser
Chatrooms eine Falle aufzustellen.«

»Und sie hat dir geglaubt?«
»Kate geht dieser Fall mehr an die Nieren, als sie zugibt. Es ist für

jeden Menschen schwer, diesen Killer mit normalen Maßstäben messen
zu wollen; er passt nicht in ihr Weltbild.«

»Sie sollte nach Sunnydale ziehen«, meinte Cordelia. »Entweder sie

wird dort zu einer Expertin im Sich-was-Vormachen oder sie wächst
über sich hinaus und kriegt eine völlig neue Sicht der Dinge.«

»Es ist kein Geheimnis, dass sie meine Hilfe möchte. Die Frage ist nur,

wie weit sie gewillt ist, mich ... eingreifen zu lassen.«

»Ja, aber warum zum Teufel gibt sie dir die Liste, wenn sie nicht will,

dass du sie benutzt. Für mich klingt das reichlich sinnfrei«, sagte Doyle.

»Vielleicht. Aber eigentlich wollte ich die Liste auch aus einem ganz

anderen Grund haben. Sie ist wichtig, um diejenigen Chatrooms
abzuhaken, die in diesem Fall bereits eine Rolle gespielt haben.«

»Abhaken? Aber warum denn?«, fragte Cordelia.
»Genau wie der menschliche Gehilfe des Dämons niemals ein Treffen

am gleichen Ort stattfinden lässt, so wird er sich sein Opfer niemals im
gleichen Chatroom suchen. Die Stammgäste in diesen virtuellen Treffs
werden eine Person, die plötzlich auf Nimmerwiedersehen verschwindet,
vielleicht nicht zur Kenntnis nehmen, wenn aber zwei oder mehr Leute
ohne Abschiedsgruß die Community verlassen, fällt das womöglich auf.
Dann ist der nächste Schritt, der Gang zur Polizei, nicht weit.«

Doyle kratzte sich am Kinn. »Klingt einleuchtend.«
»Die Liste, die Kate mir gegeben hat, unterstützt meine Theorie. Nur

ein Chatroom kommt zwei Mal vor.«

»Und das ist wohl auch der, den die Polizei beobachten lässt, nicht?«,

vermutete Doyle.

»Vermutlich. Aber ich glaube, das war purer Zufall.«
Cordelia verglich Kates Aufstellung mit den Chatrooms, die sie gerade

frequentierte. »Zwei Übereinstimmungen«, sagte sie.

»Log dich aus denen aus, und such dir zwei, die nicht aufgelistet sind«,

wies Angel sie an. »Wenn der Dämon wegen des Kults, der ihm im
Nacken sitzt, wirklich nervös geworden ist, kann es sein, dass er seine
Vorsicht zugunsten eines möglichst schnellen Mordes zurückstellt.«

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»Da ich den Köder in diesem grausamen Spiel zu spielen habe«, sagte

Cordelia, »könnten wir Ausdrücke wie ›töten‹, ›Mord‹ und
›verstümmeln‹ in Zukunft bitte vermeiden?«

Elliot setzte sich kerzengerade in seinem Stuhl auf.

Sein Blick war starr auf den Alias-Namen einer Frau gerichtet, die

soeben den Chatroom betreten hatte. Ihr Handle beinhaltete den Namen
eines Sternzeichens, das Yunk'sh zur Vervollständigung seines Kreises
noch fehlte, und das, was noch besser war, als Nächstes an der Reihe
wäre.

Soweit es möglich war, hatte Elliot ein Opfer mit dem

Tierkreiszeichen ausgesucht, von dem der Dämon gesagt hatte, dass es
zur Erreichung des nächsten Stadiums im Kreis von großem Nutzen sei.
Normalerweise hatte ihm Yunk'sh zwei oder drei zur Auswahl gegeben,
und es war keine besondere Reihenfolge nötig gewesen. Doch nun, da
nur noch zwei Zeichen fehlten, hatte der Dämon eine Priorität gesetzt,
und diese starrte Elliot gerade von seinem Monitor entgegen.

Er fragte die Frau am anderen Ende, ob das Sternzeichen in ihrem

Namen ihr tatsächliches war. Als sie dies bejahte, verlegte er sich auf
New-Age-Schwafelei, weil ihm auf die Schnelle nichts Besseres einfiel:
»Mein Astrologe hat gesagt, ich würde eine für mein zukünftiges Leben
wichtige Frau kennen lernen – und weißt du was, er meinte, sie hätte
dein Sternzeichen!«

Sie schluckte den Köder und fragte ihn, ob er womöglich Widder sei.

Er grinste und schrieb: »Geboren am 10. April! Woher wusstest du das?«

Statt einer Antwort schrieb sie, dass dies wohl eine schicksalhafte

Begegnung sein müsste und dass sie bestimmt ein gutes Paar abgeben
würden ...

Als Cordelias Chatroom-Marathon in die dritte Stunde ging, kehrte
Angel in sein Büro zurück und studierte zum wiederholten Mal die
Polizeiunterlagen.

Er hoffte, etwas Neues zu finden, etwas dass er vielleicht übersehen

hatte beim endlosen Studium der Zeugenaussagen, Obduktionsberichte
und Tatortfotos.

Nachdem er Cordelia zwei Stunden beim Chatten zugesehen hatte,

nahm Doyle eines der Homepage-Kompendien zur Hand und blätterte es
kopfschüttelnd durch.

Wie elektrisiert zuckte er zusammen, als Cordelia plötzlich seine Hand

ergriff. »Volltreffer!«

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Für einen Moment war Doyle wie gelähmt. Visionen, in denen sie

beide trotz aller Hindernisse ein Paar geworden waren, erschienen vor
seinem geistigen Auge, und es fühlte sich irgendwie ... richtig an.

Cordelia bemerkte, dass er auf ihre Hand starrte, und zog sie weg.

»Oh, sorry.«

Er fühlte den dringenden Wunsch, sie wieder zu ergreifen, und sei es

auch nur für einen Moment.

»Ich war einfach so aufgeregt«, sagte sie entschuldigend.
»Kein Problem«, erwiderte Doyle heiser. Er räusperte sich und sah auf

den Bildschirm. »Was ist passiert?«

»Gerade hat mich jemand gefragt, ob mein Pseudonym etwas mit

meinem Sternzeichen zu tun hat«, erklärte sie.

Doyle legte das Buch beiseite und lehnte sich vor. Es war immer gut,

einen Grund dafür zu haben, sich der entzückenden Miss Chase
körperlich zu nähern.

»Also hab ich sein Sternzeichen erraten«, fuhr Cordelia fort, »und

weißt du, was dann passiert ist?«

»Du hast ein Service für vierundzwanzig Personen gewonnen?«, fragte

Doyle grinsend.

»Bingo!«, sagte sie ungehalten, »oder was immer der Moderator

schreit, wenn der Kandidat den Vogel abgeschossen hat. Nein, er hat
mich gerade in einen Privat-Chat gebeten.« Cordelia bestätigte die
Einladung, indem sie auf den »Ja«-Button klickte.

»Das Freundchen soll sich mal bloß keine Hoffnungen machen auf 'ne

schnelle Nummer Cybersex oder so ...«

Cordelia verdrehte die Augen. »Er ist nicht an Cybersex interessiert.

Ein Privat-Chat dient lediglich dazu, ein Gespräch unter vier Augen –
also ohne Zuschauer – zu führen.

»Ich verstehe.«
Cordelia sprach laut die Worte mit, die sie gerade schrieb: »Ich heisse

Cordelia, wie heisst du?« Sie wartete. »Er sagt, sein Name ist Richard,
aber ich soll ihn ›Rich‹ nennen.«

»Ach ja? Der kommt ja schnell zur Sache ...«
»Sag mal, Doyle, was ist eigentlich los mit dir?«
Doyle erkannte, dass er sich kindisch benahm und sagte schnell:

»Nichts.«

»Oh ... er fragt mich schon, ob ich ihn persönlich treffen möchte. An

einem öffentlichen Ort, damit es für mich auch sicher ist und so ...«

»Aha, die sprichwörtliche Stunde der Wahrheit.«
»In der wir die einsamen Herzen aus dem Heer der widerwärtigen

Dämonen aussortieren.«

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Sie bekam Doyles Gesichtsausdruck nicht mit, als sie »widerwärtige

Dämonen« sagte, doch er musste fairerweise zugeben, dass das
Exemplar, das sie suchten, in der Tat zu den widerwärtigsten Dämonen
überhaupt zählte. Er hoffte nur, sie scherte nicht alle Dämonen – oder
Halbdämonen – über einen Kamm.

Cordelia machte Richard gerade einen Vorschlag für den Treffpunkt:

»

WIE WÄR

'

S MIT

C

YBER

J

OE

'

S

Doyle ballte seine Hände zu Fäusten. »Komm schon, Mr. Dämonen-

Scherge, da willst du doch nicht wieder hin zurück, oder?«

Triumphierend klatschte Cordelia in die Hände. »Er schreibt, das

Ambiente dort wäre ihm zu ungemütlich. Er schlägt einen Danceclub vor
und fragt mich, ob ich gerne tanze.«

»I

CH

TANZE

LEIDENSCHAFTLICH

GERN

«, Schrieb sie.

Doyle sah sie erstaunt an. »Stimmt das?«
»Ja, dieser Teil stimmt«, gab sie zurück, ohne ihren Blick vom

Bildschirm abzuwenden.

Doyle nickte und legte diese Information im Geiste sorgfältig ab.

Vielleicht konnte sie ihm ja eines Tages nützlich sein. »Das machst du
wirklich toll, Cordelia. Bleib dran.«

In diesem Moment kam Angel mit einem dicken Hängeordner aus

seinem Büro. »Was ist los?«

»Sieht fast so aus, als ob wir einen Dämonen-Gehilfen am Haken

haben.«

»Okay«, ließ sich Cordelia vernehmen. »Er hat einen Treffpunkt

vorgeschlagen. »Sie warf einen Blick auf ihre Notizen. »Und was soll
ich euch sagen, er steht nicht auf unserer Liste!« Sie sah von Doyle zu
Angel. »Soll ich mich mit ihm verabreden?«

Angel schüttelte den Kopf. »Nicht so schnell. Es ist fast Mitternacht.

Wenn du es so dringend machst, wird er womöglich noch misstrauisch.«

»Nicht, wenn er so verzweifelt ist, wie wir annehmen«, gab Cordelia

zu bedenken.

»Richtig«, sagte Angel. »Aber lass ihn verzweifelter sein als du es bist.

Moment mal... ich hoffe, du hast das jetzt nicht in den falschen Hals
bekommen?«

»Schon okay, ich weiß, wie du's gemeint hast. Davon abgesehen bin

das ja nicht ich, sondern die Frau, die ich hier spiele.«

»Klar«, sagte Angel. »Schreib ihm, es ist schon zu spät und dass du ihn

morgen triffst.«

Cordelia tat, wie ihr geheißen, und wartete. »Er schreibt, das Schicksal

wolle es, dass wir uns noch heute Abend treffen. Er meint, er wäre

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durchaus bereit, spontan zu sein, wenn ich ihm auf halbem Wege
entgegenkäme. Mann, der muss wirklich sehr verzweifelt sein.«

»Zögere ein bisschen«, riet Angel ihr. »Gib ihm Gelegenheit, dich zu

überzeugen.«

»

ALSO

,

ICH WEISS NICHT

...«, schrieb Cordelia.

Sie wartete, dann lachte sie. »Er schreibt, wenn wir wirklich

füreinander bestimmt seien, würden wir noch unseren Enkeln von den
Umständen unseres ersten Treffens erzählen.«

Cordelia schrieb, was Angel ihr diktierte: »

IMMER MIT DER RUHE

,

WIR

REDEN

HIER

NICHT

VON

EINER

HOCHOFFIZIELLEN

VERABREDUNG

,

SONDERN

NUR

VON

EINEM

KLEINEN

UNVERBINDLICHEN

TREFFEN

.« Sie

runzelte die Stirn. »Klingt ein bisschen, als ob ich ein lockeres
Frauenzimmer wäre, findest du nicht?«

»Nicht du, die Frau, die du spielst«, sagte Angel. »Im Übrigen kann

das auch als hoffnungslos romantisch interpretiert werden.«

»Er will wissen, wie wir uns erkennen sollen.« Sie grinste verschmitzt.

»Wenn dieser Dämon wirklich jede Gestalt annehmen kann, die ich mir
wünsche, werde ich ihn mal ein bisschen fordern.«

»Übertreib's bloß nicht; er soll die Finte ja nicht riechen.«
»Spielverderber!« Sie begann wieder zu schreiben: »

WIE SIEHST DU

AUS

?« Sie wartete, dann grinste sie. »Er meint, ich soll mal meinen

Traummann beschreiben, damit er weiß, ob er da mithalten kann. Ha!«

»Ich sage dir, der ist zu schön, um wahr zu sein«, meinte Angel

grimmig. »Und genau das wurde seinen Opfern zum Verhängnis. Jetzt
kommt deine Chance, Cordelia.«

Sie rieb sich die Hände und schrieb: »

MEIN TRAUMMANN IST EINE

MISCHUNG AUS

...«


»...

BRAD PITT

,

JEAN

-

CLAUDE VAN DAMME

...

UND JUDE LAW

«, tönte es

aus Elliots Lautsprechern.

Der Chatroom, in dem er sich befand, war rein textbasiert und stellte

keine Cartoon-Avatare zur Verfügung, aber er hatte seinem Gegenüber
dennoch eine Frauenstimme zugewiesen.

»Mannomann, mach mal Pause«, ächzte er und schrieb: »

HOHE

ANFORDERUNGEN

,

DIE DU DA STELLST

,

ABER ICH DENKE

,

ICH KANN SIE

ERFÜLLEN

»

HA

-

HA

«, kam es aus den Boxen.

KANNST DU DAS AUCH

BEWEISEN

?

»Worauf du dich verlassen kannst, Mädchen«, murmelte Elliot.

»Yunk'sh, komm her!« Dann schrieb er: »

DIESER CHAT

UNTE

R

ST

Ü

T

Z

T

K

EINE

WEBCAMS

,

ABE

R

IC

H

SC

H

IC

K

E

D

I

R

EIN

F

O

T

O

V

O

N

MI

R

,

EINVERSTANDEN

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147

»

OKEY DOKEY

«, sagte die Frauenstimme.

»Verdammt! Yunk'sh!«, wimmerte Elliot plötzlich und hielt sich den

schmerzenden Kopf. Blut tropfte aus seiner Nase, während die Luft im
Raum zu vibrieren begann. Und dann erschien Yunk'sh in neutraler
Schaufensterpuppen-Gestalt.

»Gute Nachrichten«, rief Elliot. »Ich hab eine an der Angel, die du

schon heute Abend treffen kannst, aber ich muss ihr schnellstens ein Bild
schicken.«

»Welche Form wird denn gewünscht?«
»Der typische Surferheini – blond, einsachtzig groß, muskulös, aber

kein Kraftpaket.«

Und Yunk'sh transformierte – Körper und Physiognomie veränderten

sich so rasch und geschmeidig wie Quecksilber. Es war fast schon
beängstigend, wie schnell der Dämon inzwischen sein Aussehen ändern
konnte. »Zufrieden?«

Elliot überprüfte das Ergebnis und nannte ihm dann seine

Verbesserungsvorschläge. Stück für Stück änderte der Dämon sein
Aussehen ohne die geringste Verzögerung. »Prima«, sagte Elliot, »aber
mach die Haut ein wenig blasser und das Haar ein bisschen dunkler. Gut.
Das Kinn muss stärker ausgeprägt sein. Und die Nase auch, sonst steht
der Unterkiefer zu weit vor, Klasse. Mal sehen ... irgendwas fehlt noch.
Ach ja, der Dreitagebart.« Die Stoppeln sprossen. »Noch ein bisschen
mehr... ja, so sieht's gut aus ...«, meinte Elliot schließlich zufrieden.

»Oh, wir müssen dir ja noch was anziehen. Am besten ein cooles

Seidenhemd, in Weiß, das sieht gut aus zu dem dunklen Bartschatten.
Leg noch 'ne Goldkette an. Ich hab ihr gesagt, du wärst Widder, also
mach einen entsprechenden Anhänger dran. Großartig! Und jetzt lächle
in die Kamera, wenn ich dann bitten darf.«

Elliot hielt die Webcam in die Höhe und schoss ein digitales Brustbild.

»Ach du Scheiße«, sagte er. »Wir haben die Zähne vergessen ... Ja,
danke, die Beißerchen sehen gut aus. Und ...« Klick. »Perfekt!«

Elliot wandte sich wieder seinem Computer zu und startete die

Datenübertragung. »Das sollte sie vom Hocker hauen«, murmelte er.
Dann tippte er: »

UND

?

WAS DENKST

DU?«

»Wow!«, kam es aus den Lautsprechern. »I

CH BIN SICHER

,

ICH

HATTE

SCHON

MAL

EINEN

UNRUHIGEN

T

RAUM

,

IN

DEM

DU

V

ORGEKOMMEN

BIST

»Volltreffer!«, rief Elliot und reckte eine Faust in die Höhe.
Dann schrieb er: »I

CH HABE DIR MEINS GEZEIGT

,

JETZT ZEIG MIR

DEINS

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148

Cordelia hob den Kopf und sagte: »Er will ein Bild von mir. Was jetzt?«

Doyle sah zu Angel, doch der zuckte nur mit den Achseln.
»Vielen Dank für eure Unterstützung«, meinte Cordelia. »Dann muss

ich eben was anziehen, in dem er mich sofort erkennt.« Sie schrieb:
»S

ORRY

,

HAB WEDER

K

AMERA NOCH

S

CANNER ZUR HAND

. A

BER DU

WIRST MICH IN DER

B

AR SCHON ERKENNEN

. I

CH TRAGE EIN KURZES

ROTES

K

LEID UND HOCHHACKIGE

SCHWARZE

P

UMPS

.« Sie drehte sich

stirnrunzelnd zu Angel und Doyle um. »Ich mache aus den Pumps lieber
flache Treter, damit ich im Ernstfall um mein Leben rennen kann.
Andererseits ... wenn ich plötzlich in meinen schwarzen Sandalen dort
aufkreuze, schöpft er womöglich noch Verdacht.«

»Das könnte sein«, stimmte Doyle zu. »Im Übrigen sitzt du hier in

Jeans herum und nicht in einem roten Kleid, geschweige denn, in einem
kurzen.«

»Wir werden auf dem Weg bei mir zu Hause vorbeifahren, und ich

ziehe mich dort rasch um«, sagte Cordelia. »Der Club liegt ohnehin auf
dem Weg.«

»Dann mach das Treffen jetzt klar«, sagte Angel. »In einer Stunde.«
Cordelia nickte, wandte sich wieder ihrem Chatfenster zu und traf die

letzten Vorbereitungen für die Verabredung.

»Was ist mit Kate? Sollten wir sie nicht an diesem Einsatz beteiligen?«,
fragte Doyle leise.

Angel schüttelte den Kopf. »Wir haben nur ein paar Minuten, um den

Dämon zu fassen und zu töten, wenn er sich in seiner menschlichen
Form befindet. Kate würde versuchen, ihn offiziell festzunehmen ...«

Doyle nickte. »Und während sie ihm seine Rechte vorliest,

verschwindet er einfach vor ihren Augen.«

»Genau«, sagte Angel. »Und außerdem wird sie nicht

däumchendrehend daneben stehen, während ich dem Dämon den Kopf
abreiße und seinen Körper verbrenne.«

Doyle grinste schief. »Stimmt, die Polizei ist nicht gerade wild auf

öffentlich zur Schau gestellte Selbstjustiz.«

Angel nickte. »So was schreckt die Touristen ab.«
Cordelia loggte sich aus dem Chat aus. »Worüber quatscht ihr beide da

eigentlich?«

»Ähem.« Doyle räusperte sich. »Über Sicherheitsmaßnahmen und so.«
Sie bohrte einen Finger in seine Brust. »Das ist ganz einfach, Doyle,

lässt du mich sterben, kommt mein Geist zurück und rächt sich an dir bis
an dein Lebensende.«

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149

»Was?« Doyle wandte sich Hilfe suchend an Angel. »Wieso krieg ich

jetzt für alles allein die Schuld?«

»Wenn ich sterbe, wird sich unser großer Grübler ohne meine Hilfe für

sein Versagen grämen müssen. Die rasselnden Ketten und blutrünstigen
Schreie werden nur für dich bestimmt sein, für dich allein.«

Doyle hob in gespielter Furcht die Hände.
Doch plötzlich wurde Cordelias Gesichtsausdruck ernst. »Doch mal

ehrlich, Jungs, ihr werdet mich doch nicht sterben lassen, nicht wahr?«
































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150

14



»Alles klar, Großer«, sagte Elliot. »Nummer elf in genau einer Stunde.«

»Exzellent, Elliot! Ich –« Plötzlich brüllte Yunk'sh vor Pein laut auf

und presste beide Hände gegen den Kopf, der sich daraufhin verformte
wie Knetmasse.

Elliot fuhr von seinem Stuhl hoch. »Was ist los?«
Schwer atmend flüsterte der Dämon: »Der Kult.« Mühsam richtete er

sich wieder auf, doch sein Gesicht war völlig zerstört und sah aus wie
eine Plastik von Picasso. »Sie haben meinen Restkörper gefunden.«

»Aber wie? Du hast doch gesagt, der Körper wurde vor fast hundert

Jahren so gut wie zerstört.«

»Verbrannt, aber nicht zerstört. Er liegt in San Francisco. Der Magier

muss den Kult direkt zu ihm geführt haben.«

»Aber es ist doch nur eine Leiche, und die ist doch völlig nutzlos für

sie, oder nicht?«

Yunk'sh drehte den Kopf hin und her in dem Bemühen, sich wieder ein

paar Ohren zu kreieren. »Wenn er in die richtigen Hände fällt – in die
Hände eines Magiers – kann der Restkörper immer noch Macht über
mich haben.«

»Wie?«
»Nachdem ich das Ritual abgeschlossen habe, müssen ein ganzer Tag

und eine ganze Nacht vergehen, bevor mein neuer Körper mir gehört,
bevor meine Psyche ihn vollständig in Besitz nehmen kann. Mit einem
ganz bestimmten Zauber während dieser Zeit der Konsolidierung kann
meine psychische Energie jedoch in die Irre geführt werden, so dass sie
glaubt, dass sie immer noch dem alten, zerstörten Körper innewohnt.«

»Sie können also den verbrannten Körper dazu benutzen, dich aus der

Ferne zu unterwerfen?«

Yunk'sh nickte. »Doch damit der Zauber wirken kann, darf der Körper

nicht zu weit von mir entfernt sein. Deshalb müssen sie ihn in diese Stadt
bringen, um das Unterwerfungsritual erfolgreich abzuschließen.«

»Das verschafft uns ein bisschen mehr Zeit, oder? Doch, Moment mal,

du sagtest gerade, der Zauber funktioniert erst, wenn der Kreis
geschlossen ist und du darauf wartest, deinen neuen Körper in Besitz zu
nehmen.«

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151

»Wenn die eine Methode zur Unterwerfung versagt, werden sie eben

diese andere letzte Möglichkeit versuchen.«

»Es sei denn, du tötest diesen Magier oder zerstörst deinen

Restkörper?«

»So ist es«, erwiderte Yunk'sh. »Doch der Schutzzauber, den der

Magier um den Kult gelegt hat, macht es mir unmöglich, sie zu
lokalisieren, vor allem nicht, so lange ich mich in diesem
unzureichenden Zwischenstadium befinde.«

»Was passiert, wenn du deinen neuen, perfekten Körper erhältst?«
»Noch bevor sie dahinter kommen, dass ich endlich wieder auf dieser

Ebene präsent bin, werde ich ihren Schutzzauber brechen. Und wenn ich
sie finde und sie versuchen, mich zu unterwerfen, werde ich sie alle
vernichten.«

»Ich bin bei dir, Großer«, sagte Elliot zuversichtlicher, als er in

Wirklichkeit war. »Doch zuerst musst du dich um Nummer elf
kümmern. Nicht, dass du es nicht schon wüsstest: Aber du musst dieses
Opfer schnell töten, sehr schnell.«

Cordelias Blick flog durch den Danceclub, wanderte über die Bar und
die Tanzfläche von Cloud Nine, bevor sie sich zu Angel umwandte, der
neben ihr stand.

Sie nahm einen kleinen Schluck von ihrer Cola und hielt sich dann das

Glas vor den Mund. »Versprich mir«, wisperte sie, »dass ich nicht für
ein paar lausige Schuhe krepieren werde.«

Angel lehnte sich ein wenig zu ihr herüber. »Cordelia, ich werde dich

nicht aus den Augen lassen«, sagte er. »Aber ich gehe jetzt besser außer
Sichtweite, damit wir ihn nicht verscheuchen.«

»Stimmt, das darf auf keinen Fall passieren«, sagte sie nicht ohne

Ironie. »Warte mal, wo ist eigentlich Doyle?«

»Der steht am Ausgang«, flüsterte Angel ihr zu. »Falls ich dich wider

Erwarten in der Menge verliere - was nicht passieren wird, aber man
weiß ja nie -, wird er die Observation von der Tür aus übernehmen. Wie
du weißt, müssen wir dieses Ding irgendwie nach draußen locken, um ...
du weißt schon ... das Ganze hinter uns zu bringen.«

Mit diesen Worten verschwand Angel in der Menschenmenge der

Zwanzig- bis Dreißigjährigen, die ausgelassen tanzten, flirteten, tranken
oder all dies gleichzeitig taten. Jeder, der den Danceclub betrat, musste
unweigerlich die abgesenkte Tanzfläche überqueren, um zur Bar oder zu
einem der Tische zu gelangen. Offensichtlich hatte die Stimmung auf der
Tanzfläche gerade ihren Höhepunkt erreicht. Künstliche Wolken waren
rings um die Absperrung angebracht, die alle paar Minuten fast

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hypnotisch vor und zurück schwebten. Wenn man schon das
Himmelreich simulieren will, dachte Cordelia, sollte man die Tanzfläche
hoch oben anbringen und nicht im Boden versenken. Allerdings besaß
der Club kleine Fahrstühle, die die Tanzwütigen zu zusätzlichen frei
schwebenden Plattformen in schwindelnder Höhe transportierten. Die
Frau da oben in dem kurzen Rock hat mit Sicherheit exhibitionistische
Neigungen, ging ihr durch den Kopf.

Gedankenverloren rührte Cordelia mit dem Strohhalm in ihrer Cola

herum und fragte sich einmal mehr, warum

um alles in der Welt sie sich

als Lockvogel für einen Dämon hatte hergeben können. Die Schuhe,
dachte sie, ich muss sie einfach haben ... Und dann musste sie zugeben,
dass die Schuhe nur ein Vorwand gewesen waren. Die Arbeit als
Empfangsdame bei Angel hatte sich sehr schnell zu etwas anderem
entwickelt. So wie ihre Beziehung zu Xander Harris sie in den Inner
Circle der Scooby Gang gebracht hatte, wenn auch nur als
»Aushilfskraft«. Ignoranz war eine herrliche Sache gewesen, bis man
feststellen musste, dass es da draußen wirklich Monster gab, und von
diesem Moment an war es schwer gewesen, weiterhin die Drei-Affen-
Tour zu fahren. Von da an hatte sie nicht mehr länger Au gen, Ohren und
Mund vor der Realität verschließen können.

Angel brauchte ihre Hilfe, um diesen Dämon zu stoppen. Und sie

wusste, wenn sie ihm diese Hilfe versagte, wäre es ihr nicht mehr
möglich, sich im Spiegel anzuschauen, ohne daran zu denken, dass ein
Mensch hatte sterben müssen, nur weil sie zu feige gewesen war.

Die große unbekannte Variable in dieser Rechnung war, dass niemand

wusste, was passieren würde, wenn der Dämon seinen Opferzyklus
abgeschlossen hatte. Ihre Recherchen hatten allerdings ergeben, dass
diese Welt eine andere sein würde, wenn in ihr erst einmal ein
wiedergeborener Vishrak-Dämon sein Unwesen trieb ...

Sie stieß vor Schreck fast ihr Glas um, als ihr plötzlich jemand von

hinten auf die Schulter tippte.

Das Cloud Nine lag in einer belebten Gegend südlich des Wilshire
Boulevards, weshalb Yunk'sh es vorgezogen hatte, hinter dem Club in
relativer Abgeschiedenheit zu materialisieren.

Da der Kult ihn lokalisieren würde, sobald er sich manifestiert hatte,

war er einige Minuten nach der verabredeten Zeit erschienen, um
sicherzustellen, dass Opfer Nummer elf schon auf ihn wartete. Einige
Paare und Gruppen standen vor dem Club herum. Ohne zu zögern,
bahnte sich Yunk'sh einen Weg durch den Pulk, obwohl sein Erscheinen
ihm bewundernde Blicke und Bemerkungen einbrachte.

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153

Während er sich in seinem zeitweiligen Zwischenstadium befand, hatte

Yunk'sh die Möglichkeit, sein körperliches Erscheinen mit Hilfe der
Substanz, die er sich von Elliot auslieh, zu verändern. Im Gegensatz zu
diesen physischen Transformationen, die ihn schwächten, war die
Fähigkeit, seine Umwelt zu verblenden, ein ungleich machtvolleres
Instrument beim Auswerfen des Köders.

Nun, da das Ritual sich seinem Ende näherte, war diese Fertigkeit so

wirkungsvoll wie nie. Jedes menschliche Wesen in seinem Umkreis sah
in ihm den Mann oder die Frau seiner Träume – das Objekt seiner
Begierde. Manchmal nur eine Traumfigur, doch nicht selten auch
jemanden, den sie kannten oder einst gekannt hatten. Konnte es einen
besseren Köder geben als in Gestalt der Person zu erscheinen, der sie
vertrauten und die sie liebten? Wie er an den Reaktionen um sich herum
feststellte, brauchte der Zauber der Verblendung innerhalb des
betreffenden Radius inzwischen nicht mehr als zehn Sekunden, um zu
wirken. Zuvor hatte dies noch Minuten gedauert. Wenn er schnell an
ihnen vorbeiging, würden sie sich einmal nach ihm umschauen,
vielleicht auch ein zweites Mal, doch dann war er außer Sicht und
vielleicht wieder vergessen.

Wenn er erst seinen endgültigen Dämonenkörper besaß, würde es ihm

möglich sein, den Zauber der Verblendung besser zu kontrollieren,
einschließlich der Möglichkeit, diesen Effekt gezielt auf jeden
anzuwenden, den er dafür bestimmte. So würde er zukünftig eine ganz
bestimmte Person aus einer Gruppe dafür auswählen können, während
alle anderen nicht in diesen Bann geschlagen wurden. Doch in seiner
geborgten Form war ihm dies noch nicht möglich, weshalb sich der
Zauber der Verblendung vorerst unkontrolliert in alle Richtungen
ausbreitete wie ein aufdringliches Parfüm.

Die Fassade des Cloud Nine glänzte metallisch-silbern. Blaue Neon-

Wolken flankierten die gläserne Doppeltür, die Yunk'sh nun aufstieß.
Hämmernder Techno empfing ihn, und er blieb einen Moment lang
stehen und ließ seinen Blick über die Tische, den langen Dancefloor mit
der schier hypnotischen Masse zuckender Körper und zur Bar hin
wandern. Und dort saß sie, wartet auf ihn in ihrem kurzen roten Kleid –
wie versprochen.

Als er sich wieder in Bewegung setzte, trat eine junge Blondine zu

ihm. Sie trug ein glitzerndes knappes Top zu schwarzen Satinhosen und
Stilettos. »Kenne ich dich nicht?«, fragte sie und ergriff seinen Arm.

»Tut mir Leid, aber Sie müssen mich mit jemandem verwechseln«,

erwiderte er, ohne sie anzusehen. Direkter Augenkontakt verstärkte den
Zauber den Verblendung.

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Seufzend bahnte er sich einen Weg zwischen den Tischen hindurch.

Wenn das Ritual erst einmal abgeschlossen war und sein neues Leben
begonnen hatte, würde er sich den Luxus erlauben können, sich nur dann
ein Opfer zu nehmen, wann es ihm beliebte. Würde er indes bis dahin
seiner Gier unkontrolliert nachgeben, würde er seinen neuen Körper nie
erhalten. Oder wie Elliot es auszudrücken pflegte: »Konzentrier dich auf
das Wesentliche.«

Er überquerte den Dancefloor und achtete darauf, dabei nicht

unabsichtlich eine Hand oder einen Arm zu berühren. Die Berührung
von nacktem Fleisch verstärkte den Zauber der Verblendung ...

Der Dämon steuerte auf die Frau in Rot zu. Sie saß mit dem Rücken zu

ihm an der Theke, und der Zauber der Verblendung sollte sie in diesem
Moment erreicht haben, da er auf sie zulief. Yunk'shs äußere
Erscheinung entsprach derjenigen, die er nach Elliots Vorgaben in
dessen Schlafzimmer kreiert hatte: der Typ Mann also, der Cordelia am
besten gefiel. Doch Typen darzustellen war nur ein Kompromiss.
Zusätzlich wollte er sicherstellen, dass er den Menschen repräsentierte,
den das Opfer am meisten begehrte. Daher griff der Zauber der
Verblendung ihre geheimsten Wünsche auf und korrigierte oder
modifizierte Yunk'shs Aussehen entsprechend.

Und so verlor er, während er näher trat, rasch ein paar Pfund Gewicht,

machte sein Haar eine Spur dunkler und die Haut einige Nuancen
blasser. Nun verkörpere ich den Mann, den sie im tiefsten Innern ihrer
Seele begehrt, dachte er, als er sie berührte.

Drei Männer hatten Cordelia bereits auf einen Drink eingeladen, zwei
andere sie zum Tanzen aufgefordert.

Daher war sie drauf und dran, demjenigen, der ihr gerade auf die

Schulter tippte, unmissverständlich mitzuteilen, dass er sich trollen
sollte. Sie wirbelte herum und setzte zu einer Abfuhr an, die sich
gewaschen hatte, da ...

»Doyle, was machst du denn hier unten?«
Er stellte sich neben sie und stützte einen Ellbogen auf die Theke.

»Ich... wollte nur mit dir reden, Cordelia.«

»Warum bewachst du nicht den Eingang?«
Er runzelte die Stirn. »Den Eingang bewachen?«
»Angel hat gesagt, du würdest uns nach draußen folgen. Na, klingelt's

jetzt bei dir?«

»Angel«, sagte Doyle, als hörte er diesen Namen zum ersten Mal. »Wo

ist Angel? Gerade im Moment, meine ich. Siehst du ihn?«

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Cordelias Blick wanderte über die überfüllte Tanzfläche. »Nein, im

Moment nicht. Aber er ist ganz in der Nähe, wahrscheinlich beobachtet
er mich vom anderen Ende des Clubs aus.« Sie schüttelte verärgert den
Kopf. »Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, den Plan zu ändern,
Doyle. Dieses Du-weißt-schon wird hier jeden Moment aufkreuzen, also
vermassel es nicht. Ich hab's ernst gemeint mit meiner Drohung, dich bis
an dein Lebensende als Geist in den Wahnsinn zu treiben.«

Plötzlich schien Doyle sehr verwundert. »Angel hat's dir also noch

nicht gesagt?«

»Wovon redest du?«
»Etwa vor einer Minute ist das Du-weißt-schon mit einer anderen Frau

abgezogen.«

»Mit einer anderen Frau? Aber warum?«
»Eine andere Frau in einem kurzen roten Kleid. Sehr wahrscheinlich

eine Verwechslung. Wir müssen unbedingt hier raus, damit du ihn auf
dich aufmerksam machen und ihn von dieser anderen weglocken kannst.
Angel wartet draußen. Es hat mir gesagt, ich soll dich schnellstens abho-
len.«

»Dann nichts wie raus hier«, sagte Cordelia. »Ich fasse es nicht, wie

eilig ich es hab, das Opfer zu spielen ...« Doch sie ergriff Doyles Arm,
und als seine Hand in die ihre rutschte, fühlte sie ein merkwürdiges
Kribbeln ...

Einsam und allein saß Doyle vor einem Glas Murphy's Irish Stout, dem
einzigen anständigen Importbier, das der Club zu bieten hatte, und
wartete.

Er hatte Angel schon ein paar Mal in der Menge aus den Augen

verloren, doch alles, worum er sich zu kümmern hatte, war Cordelia.
Und sie war nun wirklich kaum zu übersehen in ihrem atemberaubenden
roten Kleid. Da er sich am Eingang postiert hatte und sie zwangsläufig
diesen Weg nehmen musste, um den Club zu verlassen, beunruhigte es
ihn nicht sonderlich, wenn ihm ab und zu ein Menschenpulk die Sicht
auf die Bar versperrte.

Der Dämon hatte sich verspätet, doch nichts in dem verstaubten

Folianten hatte daraufhingewiesen, dass sich Vishrak-Dämonen durch
Überpünktlichkeit auszeichneten. Und davon abgesehen, war allen
Dämonen die Ordnung ein Greuel; sie huldigten dem Chaos. Nur zu
gerne machte er sein eigenes dämonisches Vermächtnis für den Wirrwarr
in seinem Leben verantwortlich. Und wenn schon nichts anderes, dann
hatte die Arbeit mit Angel ihm wieder so etwas wie Selbstachtung
verschafft. Und die Aussicht darauf, die Menschheit schon bald wieder

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156

von einem Übel zu befreien, brachte einmal mehr eine willkommene
Änderung in sein ruhe- und zielloses Dasein.

Und dass er bei dieser Arbeit die Bekanntschaft der zauberhaften

Cordelia hatte machen dürfen, war ein zusätzlicher Pluspunkt. Noch
schien sie unerreichbar für ihn, den halben Brachen-Dämon. Das letzte
Mal, als sie sein verquollenes blau-grünes Dämonengesicht gesehen
hatte, hatte sie ihm mit einem Tablett eins übergezogen. Natürlich hatte
sie nicht gewusst, dass er es war, den sie traktierte. Und doch schien es
ihm nicht möglich, die rechten Worte und den rechten Zeitpunkt zu
finden, ihr zu gestehen, wie er aussah, wenn seines Vaters Erbe die
Oberhand gewann. Und jeder weitere Tag, der verging, machte es ihm
unmöglicher, ihr die Wahrheit über sich zu sagen.

Doyle leerte sein Glas in einem Zug und sah zur Bar. Wieder

versperrte ihm eine Gruppe Gäste die Sicht auf Cordelia. Doch nach
einem kurzen Moment der Panik, erhaschte er einen Blick auf etwas
Rotes, das sich nun erhob und eilig in Richtung Ausgang strebte. Er
reckte den Hals und sah Cordelia in ihrem kurzen Kleid die Tanzfläche
überqueren, genauer gesagt sah er... zwei Cordelias! Zwei Cordelias in
genau demselben roten Kleid! Doyle stieß das leere Glas und seinen
Stuhl um, als er aufsprang und die Verfolgung aufnahm.

Schon vor zehn Minuten hatte Angel feststellen müssen, dass der
hoffnungslos überfüllte Club nicht mal annähernd die erforderlichen
Brandschutzbestimmungen erfüllte. Und noch immer strömten weitere
Gäste hinein.

Er hatte Mühe, Cordelia im Auge zu behalten, was dadurch erschwert

wurde, dass er sich selbst weitestgehend im Hintergrund halten musste.
Wenn der Dämon eintraf und mitbekam, dass jemand sein potentielles
Opfer ununterbrochen beobachtete, würde er womöglich Lunte riechen.
Also war Angel gezwungen, den Abstand zwischen Cordelia und sich so
groß wie möglich zu halten.

In der letzten Viertelstunde war er mehrfach von attraktiven Frauen,

die beschlossen hatten, die Sache jetzt selbst in die Hand zu nehmen,
zum Tanzen aufgefordert worden. Doch er hatte die Einladungen auf
einen Drink oder gar mehr nur höflich abgelehnt. In Anbetracht der
Körbe, die er den vielen Frauen gegeben hatte, hatte eine unter ihnen
offensichtlich befunden, dass er eine ganz besondere Herausforderung
darstellte.

Sie war groß, schlank und trug ein ärmelloses lavendelfarbenes Kleid,

eine Halskette mit Amethysten und Diamanten sowie diverse

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Silberreifen am Handgelenk. »Ich heiße Ashley«, sagte sie, »und wie
heißt du?«

»Angel«, sagte er abwesend.
Sie pflanzte sich direkt vor ihm auf. »Angel, hmm? Das ist perfekt. So

ein toller Typ wie du ist nur schwer zu übersehen, weißt du?«

»Ich...warte auf jemanden«, erklärte Angel. Er versuchte, wieder Sicht

auf Cordelia zu bekommen, die nervös mit einem Strohhalm in ihrer
Cola herumrührte. Noch immer kein Dämon weit und breit. Gut. Oder
doch nicht gut. Was, wenn der Dämon bemerkt hat, dass hier was nicht
stimmt, und sich ein anderes Opfer genommen hat?, dachte er.

»Warum vertreibst du dir nicht ein wenig die Zeit mit mir, solange du

wartest?«, meinte Ashley und berührte den Kragen seines Hemdes. »Ich
wette, du bist ein guter Tänzer.«

»Die Wette dürftest du verlieren.«
»Warum überzeugst du mich nicht vom Gegenteil?«
Angel trat einen Schritt zur Seite und bemerkte, dass nun eine Frau zu

Cordelia getreten war. Sie stand mit dem Rücken zu ihm, und alles was
er sehen konnte, war, dass sie blond war. Cordelia verhielt sich so, als ob
sie die Frau kannte. Eine weitere aufstrebende Jungschauspielerin?

»Nur ein Tanz«, sagte Ashley und drehte sein Gesicht wieder in ihre

Richtung. »Ich bin wirklich keine schlechte Tänzerin.«

»Tut mir Leid, aber ich ...«, er brach ab. Cordelia war nicht mehr zu

sehen.

Er versuchte, sich an Ashley vorbeizudrücken, aber sie trat ihm wieder

in den Weg. »Also, wenn du nicht tanzen willst, warum gehen wir dann
nicht ein bisschen vor die Tür?«

Angels Blick flog über die Tanzfläche, fand Cordelia, die gerade durch

eine der Tischreihen eilte. Die blonde Frau hielt nun ihre Hand und
geleitete sie offensichtlich zum Ausgang. »Ich muss jetzt gehen«, sagte
er.

»Wir könnte auch zu mir fahren«, sagte Ashley schnell. »Ich hab einen

herrlichen Ausblick auf -«

Doch Angel war schon verschwunden, noch bevor sie näher auf das

Panorama eingehen konnte. Als er bei den Tischen ankam, sah er Doyle,
der gerade von seinem Stuhl aufsprang und sich durch die Menge
Richtung Ausgang durchschlug. »Doyle!«, rief Angel ihm nach, doch
der Freund war zu weit entfernt, als dass dieser ihn über die laute Musik
hinweg hätte hören können.

Als sie den Club verlassen hatte, drückte Doyle Cordelias Hand so fest,
dass sie aufschrie. »Doyle, du tust mir weh!«

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»Bitte entschuldige, aber wir müssen uns beeilen.«
Er dirigierte sie durch die kleine Menschentraube vor dem Eingang

und führte sie dann um das Gebäude herum. »Wohin gehen wir?«, fragte
Cordelia.«

»Zu Angel.«
Plötzlich rief jemand hinter ihr »Cordelia!«, und dieser Jemand hatte

Doyles Stimme.

Abrupt blieb sie stehen und zwang damit auch Doyle anzuhalten. »Das

war Doyle! Ich meine, das warst du!«

Er trat hinter sie und verstellte ihr den Blick. »Das ist ein Trick, los

weiter!« Er schubste sie vorwärts, und sie stolperte.

»Hör auf damit!«, rief Cordelia. Sie fuhr herum und sah Doyle fest in

die Augen. Da sah sie etwas in seinem Blick, das nicht zu ihm passte,
etwas Wildes, etwas Unkontrolliertes. »Was ist denn nur in dich
gefahren?« Als sie über seine Schulter blickte, erkannte sie einen Mann,
der auf sie zugerannt kam. Es war Doyle. Aber Doyle steht doch direkt
vor mir..., dachte sie. »Moment mal, du bist nicht Doyle, stimmt's?«

Doch sie hatte nicht vor, die Antwort abzuwarten. Sie versuchte, um

ihn herum zu laufen, doch er packte sie grob am Arm und zog sie weiter
in die Gasse hinter dem Club. Dann drückte er sie hart gegen die
Hauswand.

Fassungslos musste sie mitansehen, wie Doyle sich vor ihren Augen

veränderte und zu dem Mann wurde, dessen Bild sie auf ihrem Computer
empfangen hatte. »Ich wusste es!«, rief sie. »Du bist dieser Vish-
Vishrak-Dämon!«

»Nenn mich einfach Richard.«
In diesem Moment schoss der andere Doyle um die Ecke, der sogleich

mit der Faust des Dämons kollidierte und zu Boden geschickt wurde.
Der Schlag hatte ihn direkt an der Kehle getroffen, und er würgte und
rang um Luft, als sich der Dämon erneut veränderte. Seine Finger
wuchsen zu monströsen Tentakeln heran, die gefährlich hin und her
peitschten. Sein Mund öffnete sich und entrollte eine lange, sehr lange
Zunge. »Ich habe den Zauber der Verblendung unterdrückt«, grollte er
mit tiefer Stimme. »Ihr seht nicht mehr länger, was ihr begehrt, sondern
nur noch das, was ich will, dass ihr seht. Und ich will, dass ihr mich
fürchtet. Und jetzt«, er wandte sich an Cordelia, »mach den Mund auf!«

»Warte, du darfst mich nicht töten!«
»Warum nicht?«
»Weil es eine Falle war. Ich hab nicht das richtige Sternzeichen, ich

meine, das Sternzeichen, das du für dein Ritual benötigst. Wir wissen

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alles über dich, also hab ich so getan, als ob ich das richtige Sternzeichen
hätte, um dich in diese Falle zu locken.«

»Danke für die Warnung«, sagte der Dämon. »Und du hast Recht, ich

werde dich nicht absorbieren.«

»Weil das deinen Kreis zerstören würde, richtig?«
»Aber dafür, dass du dich in Dinge einmischst, die dich nichts

angehen, werde ich dich töten.«

Doyle rollte sich auf Hände und Knie und wollte aufstehen. Eine Hand

war noch immer gegen seine Kehle gepresst, als er hervorstieß: »Lass sie
in Ruhe!«

»Wenn du mich aussaugst«, sagte Cordelia, »musst du wieder von

vorne anfangen, ist es nicht so?«

Der Dämon stieß ein heiseres Kichern hervor. »Es gibt viele Arten,

einen Menschen zu töten.«

»Andere Arten?«, fragte Cordelia leise.
Der Dämon nickte. Seine Zunge schrumpfte wieder zu normaler Größe

zusammen, aber seine Fingertentakel schwangen immer noch durch die
Luft. Plötzlich legten sie sich um Cordelias Hals. »Und Erwürgen ist
eine davon.«

»Nein!« Cordelia versuchte, den Kopf zu schütteln, aber der Griff der

Tentakel wurde festerund fester. Schon flammten die ersten Blitze vor
ihren Augen auf.

»Dich zu erwürgen wird mein Ritual in keinster Weise beeinflussen«,

sagte der Dämon. »Doch es wird mir eine große persönliche
Befriedigung verschaffen.«

»Doyle ...«, keuchte Cordelia. Vergebens schlug sie nach den

Handgelenken des Dämons. Wäre er menschlich gewesen, hätte sie
vielleicht einen seiner Finger packen und so weit zurückbiegen können,
dass er brach. Doch die Tentakel waren allesamt um ihren Hals
geschlungen, und so konnte sie nichts mehr ausrichten.

Dunkelheit schwappte über ihr zusammen.










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160

15



Angel stürzte aus dem Cloud Nine und starrte angestrengt die Straße
hinauf und hinab. Doch von Doyle, Cordelia oder der blonden Frau
fehlte jede Spur. So blieb ihm nur noch die Möglichkeit, es hinter dem
Club zu versuchen.

Als er in die Seitenstraße einbog, hörte er Stimmen, eine davon war

Cordelias. Er rannte schneller. Wenn der Dämon auch dort war, zählte
jede Sekunde. Als er um die Ecke bog, sah er Cordelia, die mit dem
Rücken zur Wand stand. Hände hatten sich um ihren Hals gelegt. Nein,
nicht Hände, Tentakel!

Ganz in der Nähe rappelte sich Doyle vom Boden auf; es sah ganz

danach aus, als ob er die erste Runde bereits verloren hatte.

»Lass sie los!«, rief Angel.
Der Kopf des Dämons ruckte herum, und er starrte Angel an, doch er

ließ nicht von Cordelia ab. Angel rannte auf die beiden zu, ballte die
Fäuste und bearbeitete mit ihnen den Nacken des Dämons. Dieser hatte
offensichtlich beschlossen, Cordelia einen langsamen Tod zu bescheren,
obwohl die Zeit drängte.

Angel bückte sich und zog ein langes scharfes Messer aus dem Schaft

seines Stiefels – die Klinge, die dazu gedacht war, den Kopf des Dämons
von seinem Körper zu trennen. Mit beiden Händen hob er die Waffe
hoch.

Sofort ließ der Vishrak-Dämon sein Opfer los und trat einen Schritt zur

Seite. Cordelia japste und sackte vornüber auf die Knie, wo sie sich im
letzten Moment am Boden abstützte, um nicht aufs Gesicht zu fallen.
Doyle, ebenfalls keuchend, kroch auf sie zu, um ihr aufzuhelfen.

»Du musst der sein, den sie >Angel< nennen«, sagte der Dämon mit

tiefer Stimme.

Angel kam einige Schritte auf ihn zu, das Messer noch immer im

Anschlag, bereit zuzustoßen, sobald sich die Gelegenheit dazu ergab.
»Stimmt. Sorry, dass ich bisher noch nicht meine Aufwartung machen
konnte.«

Der Dämon trat zurück. Mit einem schmatzenden Geräusch zog er

seine Tentakel wieder ein, bis nur noch ganz normale Finger
zurückblieben. »Namen haben Macht, und ich gedenke nicht, dir meinen
preiszugeben.«

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161

Angel zuckte die Achseln. »Ich denke, eine offizielle Vorstellung

können wir uns schenken, weil ich dich ohnehin töten werde.« Er machte
einen Satz vorwärts, doch der Dämon war schneller und blockte die
Attacke mit seinem Unteram ab. Doch die Überraschung ob der puren
Kraft des Angriffs war in seiner Miene unübersehbar. Hart stieß der
Dämon seinen Angreifer zurück, doch Angel trat ihm mit einem Snap-
Kick gegen die Kniescheibe. Der Dämon taumelte und geriet so außer
Reichweite. W

7

ie Raubtiere umkreisten sie sich, warteten darauf, dass

einer den Anfang machte.

»Der Kult kennt meinen Namen«, sagte der Dämon. »Also kannst du

keiner von ihnen sein.«

»War noch nie ein Fan von Clubs und fanatischen Kaffeekränzchen.«
»Warum mischst du dich dann ein?«
»Ist ein schmutziger Job, ich weiß, aber einer muss ihn ja machen.«
»Altruismus ist längst nicht mehr in Mode. Davon abgesehen bist du

kein Mensch.«

»Schuldig im Sinne der Anklage«, gab Angel zurück.
»Warum verteidigst du also die Menschen?«
Angel vollführte einen tiefen Tritt mit seinem linken Fuß und stieß mit

dem Messer zu. Die Schneide durchschnitt in der Magengegend Stoff
und Fleisch, doch der Dämon blutete nicht. Der Schnitt war anscheinend
auch nicht tief genug, um den Vishrak auch nur ansatzweise zu irritieren.
Angel wirbelte herum und richtete das Messer auf die Kehle des
Dämonen. Doch seine Attacke wurde so hart von den hochgerissenen
Unterarmen der Bestie gestoppt, dass seine Hand taub wurde. Gleich
darauf rammte der Dämon ihm sein Knie in die Rippen und schlug ihm
auf den Arm, sodass das Messer Angels gefühllosen Fingern entglitt.

Der Dämon kam näher, um seinen Teilerfolg weiter auszubauen.

Angel griff nach seinem rechten Handgelenk, und schon umklammerten
seine Finger einen hölzernen Pflock. Sein Gegner war zwar kein Vampir,
aber ein wohl platzierter Stoß mit der angespitzten Waffe war nie
verkehrt. Angel nutzte die Wucht, mit der der Dämon auf ihn zustürzte,
um ihm den Pflock tief in die Brust zu rammen und ein paar Mal kräftig
herumzudrehen. Er bezweifelte indes, dass der Dämon so etwas wie ein
Herz oder ein anderes lebenswichtiges Organ in seinem
pseudomenschlichen Körper besaß.

Als der Dämon zurücktaumelte, schnappte sich Angel das Messer vom

Boden und umklammerte es fest. Der Dämon riss sich den Pflock aus der
Brust, dann sah er gehetzt auf, als ein weißer Lieferwagen um die Ecke
bog und auf sie zuschoss. »Wir müssen das ein anderes Mal fortsetzen,
Angel«, sagte er, wandte sich um und rannte die Straße hinunter.

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162

Doyle presste Cordelia schützend gegen die Wand, als der

Lieferwagen an ihnen vorbei und hinter dem Dämon hersauste. »Seid ihr
beiden okay?«, rief Angel Cordelia und Doyle zu.

Cordelia nickte stumm und presste sich eine Hand gegen die Gurgel.
Doyle sagte: »Wir leben.«
Schneller als jeder Mensch auf Erden dies konnte, nahm Angel die

Verfolgung des Lieferwagens auf. Der Fahrer des Wagens hatte es
offensichtlich nicht darauf abgesehen, den Dämon zu überrollen,
vielmehr versuchte er, ihn einzuholen. Schließlich gelang es ihm, beide
einzuholen. Das Nummernschild des Wagens war offensichtlich
vorsätzlich mit Schmutz unlesbar gemacht worden, doch Angel hatte kei-
nen Zweifel an der Identität und den Plänen seiner Insassen.

Als er an dem Lieferwagen vorbeizog, sah er den Dämon, dessen

Gestalt sich plötzlich aufzulösen schien. Seine Erscheinung flackerte und
flimmerte wie eine Fata Morgana, dann war er verschwunden. Wütend
schlug der Fahrer des Lieferwagens auf die Hupe. Angel rannte hinüber
zur Fahrerseite und bekam den Außenspiegel mit einer Hand zu fassen.
Mit dem Griff seines Messers zerschmetterte er das Seitenfenster.

Mit vor Furcht aufgerissenen Augen fluchte der Fahrer lauthals. Dann

legte er den Rückwärtsgang ein und raste wohl in der Absicht zurück,
Angel mitzuschleifen. Eine Hauswand kam bedrohlich nah, und bevor er
zwischen ihr und der Fahrertür zerquetscht werden konnte, löste Angel
seinen Griff und warf sich zu Boden. Metall und Putz knirschten, als der
Außenspiegel über die Hauswand schrammte und schließlich zerbrach.

Angel stieß sich den Kopf, als er sich mehrmals überschlug. Kleine

Metall- und Plastikteile flogen durch die Luft. Als er sich wieder
aufrappelte, bog der Lieferwagen gerade um die Ecke und verschwand.

Ein voller Schlag ins Wasser! Erst hatte der Dämon entwischen

können, und nun musste er sich auch noch mit dem Kult herumschlagen.
Zurück auf Los ...

Mit seiner noch menschlichen Hand kratzte sich Elliot über die Beulen,
die aus seinem Rückgrat wuchsen.

Das Jucken und Kribbeln fand hauptsächlich in der Phase statt, da

seine menschliche zu grauer, ledriger Haut wurde. Gelegentlich konnte
er sich sogar lange Streifen seiner alten Haut vom Körper ziehen, wie
nach einem schlimmen Sonnenbrand.

Er kniff die Augen zusammen, als sich in seinem Kopf der altbekannte

immense Druck aufbaute. Yunk'sh kommt langsam, aber gewaltig ...,
dachte er und hätte angesichts dieses Witzes fast gelacht, wenn ihm nicht
fast der Schädel geplatzt wäre. Die Luft im Schlafzimmer flimmerte, und

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nur Sekunden später stand Yunk'sh in der Gestalt von Richard vor ihm,
doch das innere Leuchten, das nach jeder Absorption von ihm ausging
und ihn umgab wie eine Aureole, fehlte.

Yunk'sh sah aus, als ob er jemanden schlagen wollte, ja, er wirkte, als

ob er dies bereits getan hatte und drauf und dran war, das Erlebte noch
einmal zu wiederholen. »Es war eine Falle«, stieß er donnernd hervor.
»Sie haben versucht, mich zu töten!«

»Verdammt, es war auch einfach zu schön, um wahr zu sein«, seufzte

Elliot. »War sie eine vom Kult?«

»Nein, der Kult traf erst später ein. Diese ... Cordelia hat für jemand

anderen gearbeitet, ein außerordentliches Exemplar namens Angel, das
über unmenschliche Kräfte verfügt. Wir können von Glück sagen, dass
er nicht diesem Kult angehört, denn er hat nicht vor, mich zu
unterwerfen – er will mich nur vernichten.«

»Wie könnte er das?«
Yunk'sh starrte Elliot so lange schweigend an, bis der sich unbehaglich

fühlte. »Während ich mich in meiner physischen Form befinde, kann ich
mittels eines Rituals unterworfen oder getötet werden, indem man mich
köpft. Obwohl Köpfen nur der halbe Job ist; er muss meinen Körper
zudem verbrennen, bevor ich dematerialisieren kann. Allerdings kann
der Schock, den die Köpfung zur Folge hat, mich davon abhalten, mich
schnell genug zu materialisieren.«

Eine Weile verharrte Elliot nur stumm auf seinem Schreibtischstuhl.

Schließlich sagte er: »Also weiß dieser Angel, auf welchem Weg ich dir
deine Opfer suche und nutzt dieses Wissen nicht, um diesen Kult zu
unterstützen ...«

»Das ist jetzt alles Nebensache. Ich muss ein anderes Opfer finden.

Noch heute Nacht.«

»Aber es wird schwierig für mich werden, jetzt im Internet –«
»Nicht auf deine Weise«, unterbrach ihn der Dämon. »Ich werde dort

draußen auf die Jagd gehen, die ganze Nacht, wenn nötig. Ich werde
nicht so kurz vor meiner Wiederkunft aufgeben und habe auch nicht vor,
dabei noch einmal zu versagen. Ich bin nur zurückgekommen, um dich
auf dein Martyrium vorzubereiten.«

»Martyrium?!«
»Ja, es ist ganz einfach. Ich werde in kurzen Abständen materialisieren

und dematerialisieren. Und während dies mich schwächt, wirst du
krank.«

»Noch mehr Kopfschmerzen?«
Der Dämon nickte. »Und du wirst womöglich auch körperlich krank.

Auch deine Deformationen könnten zunehmen.«

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»Ich wünschte, du hättest mir von den Deformationen erzählt, bevor

ich den Vertrag unterschrieben habe.«

»Wenn ich es getan hätte, hättest du mein Angebot dann

ausgeschlagen?«

Elliot seufzte tief. Es ist ja nicht so, als ob ich jetzt noch aussteigen

könnte, und außerdem ist's ja bald vorbei..., dachte er. »Da diese ganzen
Einschränkungen ja nur vorübergehend sind, vermutlich nicht.«

Der Dämon lachte, und es klang wie herannahender Donner. »Gut,

Elliot, denn so oder so, wir müssen diese Sache jetzt bis zum Ende
durchziehen.«

»Oder wie meine Mutter immer gesagt hat: ›Wenn das Leben dir

Zitronen beschert, mach Limonade daraus.‹«

Als der Dämon in einem Strudel aus Luft verschwand, ließ der Druck

hinter Elliots Augen schlagartig nach, doch dies war nur eine
Gnadenfrist. Innerhalb weniger Minuten hatte er sich mit einer
Zweiliterflasche Cola und einer Riesentüte Käsechips eingedeckt und
war in sein Schlafzimmer zurückgekehrt. Schließlich platzierte er direkt
neben sich einen leeren Eimer.

In den frühen Morgenstunden waren die Straßen fast wie ausgestorben.

Für Yunk'sh bedeutete dies: weniger potentielle Opfer, aber auch

weniger potentielle Augenzeugen und Störungen.

Er hatte sich in Santa Monica materialisiert, nahe genug bei

gelegentlich vorbeilaufenden Passanten und doch weit genug entfernt
von Menschenmengen, die um diese Uhrzeit noch vor den Bars und
Clubs herumhingen. Sofort änderte er seine Gestalt, machte sich kleiner
und schmächtiger, um harmlos zu erscheinen. Schließlich stand er da,
mit langem schwarzen Haar, blassblauen Augen, durchlöcherten
Ohrläppchen und einem Spitzbärtchen, um ein bisschen hip zu
erscheinen. Ein großer Kristallanhänger, ein silberfarbenes Shirt, eine
schwarze Lederjacke mit silbernen Monden und Sternen sowie dazu
passende Hosen komplettierten sein neues Outfit.

Sein erster Versuch sollte so dezent wie möglich erfolgen, wenngleich

sein Äußeres alles andere als dezent war. Doch er musste auf jeden Fall
glaubwürdig erscheinen.

Er hielt ein junges Paar an, das Hand in Hand auf ihn zukam, und er

erzählte ihnen, dass er ein angehender Astrologe sei und ihnen zwanzig
Dollar zahlen würde, wenn sie ihm ihr genaues Geburtsdatum verrieten.

Der Mann mit den kurzen roten Haaren lachte und meinte: »Eigentlich

sollte es ja genau andersherum sein, wenn du richtig liegst, bezahlen wir
dich.«

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Yunk'sh dachte kurz darüber nach. Wenn er ihr Geburtsdatum

tatsächlich erriet, mussten sie dieses anhand ihres Personalausweises erst
belegen, bevor sie das Geld einstreichen konnten. »Ich weiß, es ist spät,
aber meine übersinnlichen Fähigkeiten scheinen um Mitternacht herum
besonders stark ausgeprägt zu sein.« Er lächelte. »Muss wohl an der
Geisterstunde liegen.«

Die Frau kicherte; das Eis schien gebrochen. Das Paar tauschte einen

Blick, und Yunk'sh stellte fest, dass sie sich den Deal überlegten. Was
war schon dabei? Wenn sie nur wüssten ..., dachte er. Schließlich, als ob
dies irgendetwas zur Sache tat, fragte die Frau: »Wie heißt du?«

»Sergio«, sagte Yunk'sh.
»Also gut, Sergio«, sagte sie. »Ich spiele mit. Ich heiße übrigens

Sylvia, falls es etwas helfen sollte. Leg los.«

Yunk'sh nannte ihr das Sternzeichen, das an der Reihe gewesen wäre,

wenn Cordelia ihm keine Falle gestellt hätte. Doch er wusste schon, dass
Sylvia nicht die Richtige war, bevor diese ihren Kopf schüttelte. Yunk'sh
wandte sich an den jungen Mann. »Dann ist es wohl dein Sternzeichen?«

»Tut mir Leid, Kumpel, aber du wirst dein Geld heute Abend wohl

nicht los.«

Auch mit einem anderen Paar hatte er kein Glück, sodass er sich im

Schutz der Dunkelheit auflöste und in Culver City wieder materialisierte.

Sein Blick fiel auf einen Fußgänger, dann auf einen Autofahrer, der

vor einer roten Ampel stand. Und obwohl er dringend ein nächstes Opfer
benötigte, konnte ersieh nicht allzu lange an einem Ort aufhalten. Auch
musste er sicherstellen, dass die Orte, an denen er erschien, möglichst
weit voneinander entfernt lagen, damit der Kult ihn nicht verfolgen
konnte.

Als Nächstes versuchte er es in Hollywood in der Hoffnung, auf einige

ruhelose Touristen zu stoßen. Er sprach einen baumstarken Mann in
einem grün-weißen Rugby-Shirt, verblichenen Jeans und grauen
Schlangenlederstiefeln an, der gerade eine Tiefgarage verließ.

»Du bist gut, mein kleiner Zauberlehrling«, sagte der Mann mit einem

schiefen Grinsen, als Yunk'sh dessen Sternzeichen korrekt erriet.
»Scheint mein Glückstag zu sein.«

»Sie müssen verstehen«, sagte Yunk'sh sanft, »dass ich einen Beweis

sehen möchte, bevor ich Ihnen das Geld gebe.«

Der Mann musterte ihn von oben bis unten, schätzte offensichtlich den

Grad der Gefahr ab, die von dem winzigen Sergio ausgehen mochte.
Schließlich schien er zu der Erkenntnis zu gelangen, dass er nichts zu
verlieren, indes zwanzig Dollar zu gewinnen hatte. Er zückte seine
Brieftasche und entnahm ihr den eingeschweißten Führerschein des

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Bundesstaates Oregon. »Lies und weine«, sagte er, als er Yunk'sh das
Dokument reichte.

Aufgeregt überflog der Dämon die Daten und das Foto. »Sie sind J.

Christopher Van Trump?«

»Der bin ich, Mysterio. Aber du kannst mich Chris nennen.«
»Und das ist Ihr korrektes Geburtsdatum, Chris?«
Chris kicherte. »Sagt jedenfalls der Staat Oregon. Nun aber her mit der

Kohle.«

Blitzschnell packte Yunk'sh den riesigen Mann am Kragen seines

Rugby-Shirts und stieß ihn einige Schritte zurück in den Zugang der
Tiefgarage, hart genug, ihn außer Gefecht zu setzen, aber nicht hart
genug, um ihn zu töten.

Chris hatte bereits einige Drinks intus, sodass der nächste Angriff ihn

von seinen ohnehin wackeligen Beinen riss. Als er auf den Rücken fiel,
öffnete er ungläubig den Mund, als ob er nicht verstünde, was da soeben
geschehen war. Yunk'sh packte ihn am Schopf und riss seinen Kopf
hoch.

Dann fuhr er seine Zunge aus und zwang sie dem Mann in den Rachen,

während sich seine Tentakel in Schultern und Nacken bohrten.

Chris' Körper zuckte, seine Hacken trommelten unkontrolliert auf den

Boden, doch er konnte weder schreien, noch um sich schlagen, und
schon bald war das, was von Chris noch übrig war, nicht mehr in der
Lage, sich zu rühren.

Als Yunk'sh in Elliots Schlafzimmer erschien, um von seinem Erfolg zu
berichten, würgte und spuckte sein Gehilfe gerade in Richtung
Plastikeimer.

Auf der Bettdecke leuchtete ein dünner Film orangefarbenen

Chipspulvers wie chemischer Kampfstoff.

»Wie ... schön ... für dich«, keuchte Elliot. »Aber... bevor mein Kopf

endgültig explodiert, mach bitte, dass du hier rauskommst!«

»Auf das letzte Opfer muss ich mich gut vorbereiten, dazu brauche ich

Zeit«, sagte Yunk'sh verbindlich. »Du sollst nur wissen, dass das Ende
nah ist.«

»Ja, genauso fühle ich mich auch«, sagte Elliot und erbrach sich

wieder in seinen Eimer.

Yunk'sh verzog das Gesicht angesichts der geradezu gewalttätigen

Geräusche, die das Schlafzimmer erfüllten, und verschwand.

Zurück im Büro von Angel Investigations hatte sich Doyle neben
Cordelia gesetzt und ihr den Arm tröstend um die Schulter gelegt.

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Sie war immer noch heiser und wurde ab und zu von einem

Hustenanfall geschüttelt. Zwischendurch erschauerte sie immer noch
unter dem Eindruck der Ereignisse; sie stand eindeutig noch ein wenig
unter Schock.

Angel stand vor ihrem Schreibtisch und flehte um Verzeihung.

»Cordelia, es tut mir –«

»Vergiss es«, sagte sie. »Du hast versprochen, mich nicht sterben zu

lassen, und tatsächlich lebe ich ja noch. Das war der Deal, richtig?«

»Ja, und du warst einfach fantas –«
»Und, es war meine Schuld«, fuhr sie fort. »Ich hab mich eben zu

wenig mit Körperverletzung, Entführung und Fast-Strangulierung
beschäftigt.«

Angel legte die Stirn in Falten. Er konnte es ihr nicht verübeln, dass sie

sauer war, doch er war nicht sicher, ob sie ihm je wieder vertrauen
würde. Glücklicherweise wurde das peinliche Schweigen, das sich nun
im Raum auszubreiten drohte, durch das Klingeln des Telefons unterbro-
chen.

Angel hob ab und lauschte in den Hörer. Seine Lippen formten lautlos

das Wort »Kate«.

Doyle und Cordelia tauschten nervöse Blicke. Dann sagte Angel nach

einer Weile: »In Hollywood? ... Ja ... das ist interessant ... warte einen
Moment.« Er bedeckte die Sprechmuschel mit seiner Hand.
»Offensichtlich hat der Dämon nicht bis morgen warten können«, sagte
er zu Cordelia und Doyle.

Cordelias Augen weiteten sich erschrocken. »Opfer Nummer elf?«
Angel nickte. »In Hollywood, aber komplett andere Vorgehensweise.

Sieht aus, als ob er einen Mann vor einer Tiefgarage überwältigt hat.«

»Woher wusste er das Sternzeichen dieses Menschen?«, fragte Doyle.
»Es gibt Anzeichen für einen Kampf. Die Polizei hat die Brieftasche

des Opfers und seinen Führerschein gefunden – beides lag direkt neben
der Leiche.«

Cordelia legte Doyle locker einen Arm um die Hüfte, und er hatte

nicht vor, deswegen zu protestieren. »Doyle wird mich trösten. Nicht
wahr, Doyle?«

»Das werde ich«, sagte er und straffte sich.
»Also, wenn du wieder okay bist, dann wäre es wohl das Beste, wenn

ich ...«, setzte Angel an.

»Das bin ich nicht«, gab Cordelia rasch zurück. »Aber wenn du hier

bleibst, wird es auch nicht besser. Ich brauche nur ein wenig Zeit, um
damit fertig zu werden. Und nun geh und halte diese Bestie auf.«

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Angel wandte sich wieder seinem Telefonat zu. »Ich bin auf dem Weg,

Kate«, sagte er und legte den Hörer auf.

»Angel, was wirst du Kate sagen? Ich meine, wegen heute Abend?«
»Ich muss improvisieren«, gab er zu. »Was immer ich beschließe, ihr

zu sagen, wird sie nicht erfreuen.«

»Das ist die Untertreibung des Jahres.«
Angel ging zur Tür. Als er sich noch einmal umdrehte, fiel sein Blick

auf Cordelia, und er schwankte noch immer, ob er sie jetzt so einfach
allein lassen konnte, so kurz nachdem sie fast erwürgt worden war. Doch
sie hatte Recht: Sie war nun in Sicherheit, und er musste sich mit dem
Problem auseinander setzen – und zwar schnell.

Bevor er das Büro verließ, sagte er zu Doyle: »Pass gut auf sie auf.«





























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16



Angel duckte sich unter den Polizeiabsperrungen hindurch und ging auf
Kate Lockley zu, die in einem weißen Sweatshirt und Jeans am Tatort
stand. Die Polizeimarke hing an ihrem Gürtel.

Die grellen Lichter der Einsatzwagen durchschnitten die Dunkelheit.

Ganz in der Nähe parkte ein hell erleuchteter Krankenwagen.

Mehrere Polizisten in Zivil und einige uniformierte Kollegen sicherten

die Gegend, während die Spurensicherung den Tatort markierte,
Messungen vornahm, fotografierte und filmte. Der Leichenbeschauer
hatte soeben seine Untersuchung beendet und zog sich die Gummihand-
schuhe aus, während er mit zwei Sanitätern sprach.

Auf der anderen Straßenseite wartete bereits ein KNBC-

Übertragungswagen. Zwei Uniformierte hielten die Fernsehleute, einen
Reporter und einen Kameramann auf Abstand. Angel wusste, er würde
sich an der Presse vorbeischmuggeln müssen, wenn er hier fertig war.

Ein roter Lichtkegel fiel auf die Leiche, die hauptsächlich aus einem

Haufen Kleider und ein wenig durchsichtiger Haut bestand, die aus dem
Hemdkragen und den Ärmeln des Shirts ragte.

»Im Gegensatz zu den anderen Opfer haben wir hier eine völlig andere

Vorgehensweise«, sagte Kate. »Der Mann wurde auf offener Straße
angesprochen. Sieht aus, als ob er unter Gewaltanwendung mit dem
Kopf aufgeschlagen ist.« Sie deutete auf eine Blutspur an der Wand.
»Hat aber nicht ausgereicht, um ihn zu töten. Brieftasche lag am Boden,
kein Bargeld und keine Kreditkarten darin. Nachdem Raub nie ein Motiv
bei den anderen Morden war, nehmen wir an, dass hier später jemand
vorbeigekommen ist und alle Wertgegenstände, einschließlich seiner
Schuhe, an sich genommen hat. Es ist uns allerdings nicht möglich
festzustellen, ob der oder die Täter den Führerschein ihres Opfers in
Augenschein genommen haben, bevor sie es töteten.«

»Das müssen sie«, schloss Angel. »Andernfalls wäre die Straße mit

Leichen übersät. Dieser Mord passt ins Bild. Der Mörder hat nach einem
Menschen gesucht, der ein ganz bestimmtes Sternzeichen haben musste -
und offensichtlich hat er ihn ja auch gefunden.« Darüber hinaus, dachte
Angel, braucht der Dämon seine Opfer lebend.

»Seltsam, dass du das erwähnst«, sagte Kate freudlos, »aber zwei

Zeugen haben ausgesagt, dass ein Straßenastrologe versucht hat, ihre

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Sternzeichen zu erraten. Er hat ihnen zwanzig Dollar versprochen, für
den Fall, dass er richtig liegt.«

»Er wollte sie bezahlen? Sehr ungewöhnlich, findest du nicht?«
»Ganz sicher nicht die Methode gemeiner Straßenräuber.«
»Und wenn er richtig geraten hat, mussten sie ihm das Ganze

irgendwie beweisen«, sagte Angel. »Haben die Zeugen auch etwas dazu
gesagt?«

Kate nickte. »Und sie beschrieben den Mann als klein und schmächtig,

mit langen dunklen Haaren und in schwarzer Lederkluft mit silbernen
Sternen und Monden. Natürlich passt das nicht zu den anderen
Beschreibungen, die wir von dem Mörder haben, aber wenigstens
beschrieben sie uns in diesem Fall zur Abwechslung mal alle ein und
dieselbe Person. Ganz definitiv ein Fortschritt.«

»Er wollte harmlos erscheinen, vielleicht ein bisschen exzentrisch, um

diese Rolle zu spielen.«

»Ein Meister der Verwandlung?«
»Ganz bestimmt«, sagte Angel und ließ es dabei bewenden. Die

übereinstimmenden Täterbeschreibungen waren eine bedeutungslose
Spur. Er wusste, Kate würde den Mörder nicht finden, indem sie ein
Phantombild veröffentlichte.

»Du weißt doch etwas«, sagte Kate plötzlich.
Angel nickte und kam einen Schritt auf sie zu. »Ich hätte ihn heute

Abend fast gehabt«, sagte er mit gedämpfter Stimme.

»Wie bitte?!«
»Ich hatte ihm eine Falle gestellt«, gab er zu.
»Jetzt sag mir nicht, dass du in diese Chatrooms gegangen bist«,

fauchte Kate.

»Nicht in die, die auf deiner Liste standen.« Und dann erklärte Angel

ihr schnell, wie sie sich mittels einer falschen Identität und mithilfe des
gesuchten Sternzeichens im Namen in verschiedene Chatrooms
eingeloggt hatten.

Kate war außer sich vor Wut, doch sie versuchte, nicht zu schreien, als

sie sagte: »Vielleicht hast du damit unsere einzige Chance, diese Typen
dingfest zu machen, zerstört!«

Angel schwieg. Es gab nichts, was er ihr sagen konnte, nichts, was sie

akzeptieren, geschweige denn verstehen würde.

Schließlich seufzte Kate, fuhr sich mit der Hand durch ihr blondes

Haar und schüttelte fassungslos den Kopf. Als sie erneut das Wort
ergriff, war ihre Stimme wieder ruhig und beherrscht. »Ich bin sicher,
aufgrund eurer Aktion hat er seine Vorgehensweise schon heute Abend
geändert.«

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»Er war verzweifelt«, sagte Angel. »Der Kult braucht nur noch ein

einziges Opfer, und dann -«

»Und dann was?«
»Ich weiß nicht«, log Angel und hob die Schultern.
Sie warf wieder einen Blick auf das Opfer hinter sich, und es war, als

ob sie eine Entscheidung traf. »Wenn ich gleich von hier verschwinde,
kommst du mit, und dann nehme ich deine Aussage schriftlich zu
Protokoll. Verstanden?«

»Ja.«
»Gut«, sagte Kate. »Dann sind wir hier fertig. Und noch was: Ich will

meine Akten zurück.«

»Kate –«
»Das ist mein Ernst. Wenn ich rauskriege, dass du mit Zeugen sprichst,

an Tatorten auftauchst oder Chatrooms besuchst, werde ich dich wegen
Behinderung der polizeilichen Ermittlungen und allem, was ich dir sonst
noch zur Last legen kann, festnehmen lassen.«

Er konnte es ihr nicht verdenken, dass sie so reagierte. Sie hatte Angst,

dass sein Alleingang den Killer in eine neue, unberechenbare Richtung
zwang. Nur er wusste, dass sich nichts deswegen geändert hatte. Der
Dämon hatte sein elftes Opfer, und es fehlte nur noch ein einziges. Wenn
es dem Vishrak gelang, den Kreis zu schließen, und wenn seine Wie-
derkunft nicht aufgehalten werden konnte, dann waren Kates Drohungen
seine geringste Sorge – und auch die ihre.

Cordelia hatte sich aus Doyles Umarmung gelöst und lief nun ruhelos im
Rezeptionsbereich des Büros hin und her. Dabei rieb sie heftig ihren
linken Arm, als ob sie so den Schrecken der letzten Stunden, der ihr noch
immer in den Knochen saß, vertreiben konnte.

»Egal, wie gut man jemanden zu kennen scheint«, sagte sie. »Man

kann niemandem in den Kopf hineinschauen. Doyle, er sah so normal
und vertrauenserweckend aus wie du.«

»Ja, das kann ich mir gut vorstellen«, sagte Doyle.
»Trotzdem seltsam«, fügte sie hinzu, »dass er als du erschienen ist und

nicht als der gut aussehende Muskelmann, den ich mir gewünschte
hatte.«

Doyle runzelte die Stirn, unsicher, ob er aus diesem Vergleich ohne

Würdeverlust hervorgehen konnte. »Du hast wirklich mich gesehen?«

Cordelia nickte. »Er muss gewusst haben, wer du bist, wer wir sind.«
»Aber wie konnte er das?«, fragte Doyle und hoffte auf eine halbwegs

logische Erklärung für das alles. Es wäre so viel einfacher für ihn, ihr die

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Wahrheit über sich zu sagen, wenn sie zuerst zugeben würde, ob und was
sie für ihn empfand.

Cordelia überlegte. »Na ja ... immerhin ist er ein Dämon.« Doyle

nickte ihr aufmunternd zu. »Und er verfügt über diese Fähigkeit, dieses
Verblendungs-Dingsda ...«

Doyle nickte wieder und entschied, ihr ein wenig auf die Sprünge zu

helfen. »Die Macht der Verblendung besteht darin, die Opfer sehen zu
lassen, was sie sich am meisten wünschen.«

Cordelia sah ihn an und schien plötzlich zu verstehen. »Das ist es!«,

rief sie und schnippte mit dem Finger.

Doyle erhob sich. »Bist du endlich dahinter gekommen?«
»Aber ja«, sagte sie. »Ich war nervös, habe mich gefragt, ob ihr beide

rechtzeitig zur Stelle sein würdet, um mich zu beschützen, also war das,
was ich mir in diesem Moment am meisten wünschte, euch zu sehen.«

»Oh«, sagte Doyle enttäuscht. Sie hatte noch immer nicht kapiert.
»Obwohl ich mich frage, warum ich dich und nicht Angel gesehen

habe«, sinnierte sie weiter. »Immerhin ist er der bessere Bodyguard des
Teams.« Sie bemerkte, dass Doyle die Stirn runzelte. »Nicht dass du
völlig hilflos wärst...«

»Vielen Dank, zu großzügig.«
»Du weißt, was ich meine, Doyle.« Sie seufzte und fuhr sich mit einer

Hand durchs Haar. »Vielleicht hat dieser Dämon sich eines der Bilder
aus meinem Kopf bedient, um mich hinters Licht zu führen.«

Doyle versuchte es nun auf die direktere Art. »Du weißt, wen ich

gesehen habe?«

»Als du den Dämon angeschaut hast?«
Er nickte, sah ihr lange in die Augen und sagte: »Ich habe dich

gesehen.«

»Natürlich hast du das, ich stand ja direkt neben dem Dämon.«
»Vielleicht sollte ich mich korrigieren: Ich habe dich zweimal gesehen.

Zwei Cordelias, die Seite an Seite liefen. Beide trugen das gleiche
unverwechselbare rote Kleid. Wie Zwillinge.«

»Das ist komisch«, sagte Cordelia. »Ich frage mich, warum du mich

gesehen hast... ich meine, warum du den Dämon in meiner Gestalt
gesehen hast...«

»Was glaubst du, warum?«
Cordelia zuckte die Achseln und breitete hilflos die Arme aus. »Keine

Ahnung! Vielleicht warst du in Sorge um mich und wolltest mich
retten.«

»Tja, das war ich, und das habe ich getan.« Doch das erklärt es nicht

wirklich, dachte er.

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Sie kam zu ihm herüber und legte ihm eine Hand unters Kinn.

»Danke«, sagte sie. »Ich vertraue dir uneingeschränkt ... und Angel.
Andernfalls hätte ich mich auf diese idiotische Aktion nie eingelassen.«

»Der Dämon hat dich ziemlich erschreckt.«
»Was für eine Untertreibung«, sagte sie und legte Daumen und

Zeigefinger fast aufeinander. »Ich war nur so weit vom Tode entfernt.
Ich habe einen Tunnel gesehen, jawohl, aber kein Licht an seinem Ende.
Alles war schwarz, einfach schwarz.« Sie erschauerte. »Und dann das
Gefühl dieser ekligen Tentakel um meinen Hals. Unbeschreiblich. Das
kannst du dir nicht vorstellen!«

»Du weißt, Cordelia, nicht alle Dämonen tragen schwarze Hüte. Was

ich sagen will, nicht alle sind so böse wie dieser Vishrak. Ein fauler
Apfel ..., du kennst das Sprichwort.«

»Du hast Recht«, sagte Cordelia. »Einige sind bösartiger als andere.

Außer Angel. Er ist nicht böse ... zumindest nicht im Moment. Solange
er nicht auf Abwege kommt und –«

»Es gibt noch andere gute, außer Angel.«
»Weißt du Doyle, nach meinen letzten Erfahrungen mit Dämonen

plädiere ich dafür, in Zukunft erst zu schießen und dann Fragen zu
stellen.«

Plötzlich fühlte sich Doyle sehr, sehr traurig.


Als Elliot am nächsten Tag erwachte, war es schon fast wieder Abend.

Nachdem er dem Dämon als lebendes Reservoir für Substanz diente,

hatte ihn Yunk'shs verzweifelte Suche nach Opfer Nummer elf und die
damit verbundenen vielen Manifestationen restlos erschöpft.

Es kostete ihn große Anstrengung, sich auf den Rücken zu rollen, weg

von dem stinkenden Eimer. Als er sich an der Brust kratzte, fühlte er
auch dort unebene graue Haut. Yunk'sh hatte ihn vor weiteren
Deformationen gewarnt, die sich im Laufe seiner gestrigen Jagd
einstellen könnten. Elliot fragte sich, was sich noch geändert haben
mochte.

Er betrachtete seine rechte Hand und war erleichtert, dass sie immer

noch fünf menschliche Finger aufwies, obwohl alle Nägel gesprungen
waren. Das Zwicken auf seinem Rücken reichte nun bis hinauf zur
Kopfhaut, und er war leicht entsetzt, als er nach einer Überprüfung ganze
Haarbüschel mit Hautfetzen in der Hand hielt. Er betastete sein Gesicht
und befand es für menschlich. Als er an sich heruntersah, stellte er fest,
dass sein rechtes Bein und der dazugehörige Fuß normal aussahen,
obwohl die Haut über der Kniescheibe uneben und grau war. Der Check

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veranlasste ihn zwar nicht gerade zu einem Freudentaumel, aber
immerhin war er in seiner Mobilität nicht eingeschränkter als zuvor.

Er schwang die Beine über die Bettkante und stand auf. Der leichte

Anflug von Kopfschmerz verschwand, als er sich in seinen Bart-
Simpson-Boxershorts ins Badezimmer aufmachte.

Als er in dem schonungslosen Licht des Badezimmers in den Spiegel

schaute, war er einigermaßen beruhigt, kein Hörner-Paar oder ein drittes
Auge auf seiner Stirn zu erblicken. Die Hubbel auf seiner Schädeldecke
waren zwar unübersehbar, aber nichts, was eine Baseballkappe nicht
verdecken konnte.

Er gurgelte fast eine halbe Minute, ließ dann kaltes Wasser ins Becken

ein und bespritzte damit sein verhärmtes Gesicht, bevor er sich den
Schlaf aus den Augen rieb.

Als er wieder aufsah und sein Gesicht im Spiegel betrachtete, war die

Veränderung nicht zu übersehen. Seine Augenbrauen waren weg und
verschwanden gerade im Abflussstrudel seines Waschbeckens. Als er
genauer hinsah, musste er feststellen, dass auch seine Wimpern
größtenteils ausgefallen waren.

Also Baseballmütze und Sonnenbrille, dachte er. Wenn der Verlust

von Augenbrauen und Wimpern das Schlimmste war, was er zu
befürchten hatte, würde das letzte Opfer, was ihn betraf, ein Spaziergang
werden.

Der Versuch, sich am Bauchnabel zu kratzen, misslang, denn es war

kein Bauchnabel mehr da ... Und obwohl diese Veränderung an seinem
Körper diejenige war, die am einfachsten zu verbergen sein würde,
verstörte sie Elliot doch zutiefst. Tatsächlich hatte der fehlende
Bauchnabel zur Folge, dass er sich irgendwie nicht-menschlich fühlte.
Doch in ein, vielleicht zwei Tagen würde er wieder völlig normal sein.
Das war auch der Tag, an dem das GOS, Elliots revolutionäres Geschenk
an die Technologie-Welt, zur Realität wurde. Oder wie er es Yunk'sh
gegenüber auszudrücken pflegte: »Konzentrier' dich auf das
Wesentliche.«

Nach einer heißen Dusche fühlte er sich schon besser, doch nicht

unbedingt menschlicher. Als er den Plastikvorhang zurückschob, musste
er feststellen, dass sein Körper komplett haarlos war. Als er sich
trockenrubbelte, bemerkte er, dass sich die Hubbel an seiner Wirbelsäule
bis zum Steißbein ausgedehnt hatten, das merkwürdigerweise länger war
als normal. »Scheiße«, flüsterte er. »Mir wächst ein Schwanz.«

Angesichts dieser Entwicklungen war Elliot nun umso eiliger bemüht,

das zwölfte und letzte Opfer für den Dämon zu finden. Er hatte einen
Ordner angelegt, in dem sich die Namen aller Opfer, ihre Sternzeichen

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und andere Daten über sie befanden. Einige seiner zurückliegenden
Chat-Sessions hatten sich über Tage hingezogen, bevor er es gewagt
hatte, ein persönliches Treffen vorzuschlagen. Er hatte stets dafür
gesorgt, dass seine Gesprächspartner Vertrauen fassten und ihnen das
Gefühl gegeben, eine ganz besondere Frau beziehungsweise ein ganz
besonderer Mann zu sein, je nachdem, welche Rolle er für Yunk'sh zu
spielen hatte.

Auf einem anderen Blatt hatte er eine Tabelle angelegt, in der alle

zwölf Tierkreiszeichen, die wichtigsten ihnen zugeschriebenen
Charaktereigenschaften und die Beziehungen der Zeichen zueinander
aufgelistet waren. Diese Aufstellung hatte ihm bei der Kontaktaufnahme
wertvolle Dienste geleistet, da er nicht unbedingt über fundierte
Astrologiekenntnisse verfügte. Er konnte die Male, die er sein Horoskop
in der Zeitung nachgelesen hatte, an den Fingern einer Hand abzählen,
was derzeit allerdings nur mit den Fingern seiner linken Hand möglich
war, wie er feststellte.

Da das Zeitfenster, in das die Wiederkunft von Yunk'sh fallen musste,

davon abhing, dass Neptun sich an gleicher Stelle befand wie zu dem
Zeitpunkt, als der Dämon erstmals auf dieser Ebene erschienen war,
musste dieser den Tierkreis vervollständigen, weil dieser Kreis,
zumindest symbolisch, das gesamte menschliche Spektrum in sich
vereinigte – ein Kreis in einem Kreis. Elliot hatte gelernt, dass sich vieles
in der Magie auf Symbole berief und von ihnen abhängig war. Doch
abgesehen von diesen mageren Informationen war Elliot, was die
Astrologie betraf, völlig ahnungslos geblieben.

So hatte er seinen Spickzettel bei der Kontaktaufnahme mehr als

einmal zu Rate gezogen, und jedes Mal, wenn der Dämon ein Opfer
erledigt hatte, das entsprechende Zeichen durchgestrichen. Es war letzten
Endes nichts weiter als ein makabrer Einkaufszettel, doch enorm
praktisch, insbesondere nachdem Yunk'sh begonnen hatte, nach konkre-
ten Sternzeichen zu verlangen. Nur noch zwei Zeichen waren jetzt darauf
übrig.

Elliot griff sich einen Stift und strich das gestern Nacht erledigte

Sternzeichen durch. Mission erfolgreich beendet, dachte er, wenn auch
nicht ganz so, wie wir's geplant hatten. Nur noch ein Zeichen fehlt. Ich
frage mich, ob er sich das Beste bis zum Schluss aufgehoben hat.

Er wartete, bis sein Computer hochgefahren war, öffnete dann seine

Bookmarks mit den Chatrooms und glich sie mit einer anderen Liste ab,
auf der die Namen potentieller Kontakte standen, die für das letzte Opfer
in Frage kamen.

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Wenn Yunk'sh erschien, wollte und musste er einen Plan für heute

Abend vorlegen. Vielleicht ließ der Dämon ihn ja noch ein bisschen mit
dem GOS spielen, während er draußen das Ritual beendete. Elliot fand,
er sollte sein neues Betriebssystem in- und auswendig kennen, bevor er
es der Weltöffentlichkeit präsentierte.

Er fand nur drei geeignete Kandidaten in seiner Liste, und zu zweien

davon hatte er so etwas wie eine Online-Beziehung aufgebaut. Elliot
beschloss, dass es das Beste war, das leichteste Ziel zu wählen – die
Frau, mit der er im Chat am weitesten gekommen war – und ein Treffen
für heute Abend zu arrangieren. Das war auch angesichts der Tatsache
praktisch, dass er schon den halben Tag verschlafen hatte.

Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Gerade,

dachte er. Während er darauf wartete, dass die Chatsoftware hochfuhr,
hämmerte er mit den beiden dicken Fingern seiner linken Hand
ungeduldig gegen die Tischkante.

Jäh hielt er in dem Stakkato inne.
Das leichteste Ziel.
Hastig griff er nach seinem Spickzettel und überflog noch einmal alle

die Sternzeichen, die er ausgestrichen hatte. Nur eines fehlte noch, eines
von zwölf. Und dieses letzte Zeichen war... sein eigenes.

Er erhob sich so abrupt, dass der Stuhl umfiel, und wich vor seinem

Computer zurück, als hätte ihn dieser gebissen. »Verdammte Scheiße«,
entfuhr es ihm. »Dieser linke Bastard!«

Er war ein Narr gewesen, ein blinder Narr. Diese ganzen körperlichen

Veränderungen waren mitnichten vorübergehend, wie Yunk'sh ihm
gesagt hatte. Während der Kreis sich langsam schloss, hatte sich Elliots
Körper nach und nach verändert, um schließlich Yunk'shs neuer Körper
zu werden! Er, Elliot, würde das zwölfte und letzte Opfer sein, und dann
würde der Dämon sich seines deformierten Leibes bemächtigen! Elliot
spürte, wie die Plausibilität dieses Plans ihn schwindeln ließ.

»Der hat mich total verarscht!«, schrie er panisch. »Ich muss

verdammt noch mal weg von hier!« In Windeseile zog er ein Sweatshirt
und weite Jogginghosen an, und umwickelte fluchend seine
aufgeschnittenen Sneakers mit Klebeband, nachdem er seinen
unförmigen linken Fuß hineingezwängt hatte. Mit fliegenden Fingern
durchwühlte er seinen Kleiderschrank nach der Dogers-Baseballmütze,
danach suchte und fand er eine billige Sonnenbrille in der Krimskrams-
Küchenschublade.

Als er die Eingangstür zu seinem Apartment erreicht hatte, blieb er

plötzlich stehen und schlug immer wieder seinen Kopf gegen den
Türrahmen. Ich kann nirgendwo hingehen, wurde ihm grausam klar. Ich

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bin auf immer mit ihm verbunden. Egal, wie weit ich wegrenne, er wird
mich finden – früher oder später.

In diesem Moment zerplatzten all seine Träume wie Seifenblasen.
Der Dämon hatte ihn angelogen, in jeder Beziehung. Er hatte ihn

angelogen, weil er einen menschlichen Gehilfen brauchte, dessen
Substanz er sich bedienen konnte, um seine Opfer überhaupt töten zu
können. Und er hatte Elliot für die Suche nach diesen Opfern gebraucht.
Für alle, bis auf eines. Das zwölfte Opfer würde Yunk'sh allein finden.
Und er hatte ihm diese Falle stellen können, weil der Köder für Elliot
unwiderstehlich gewesen war. Doch ohne die Erfüllung seines
Lebenstraumes blieb Elliot nur mehr sein nacktes Leben.

Und heute Abend wird er mich töten, dachte er.
Elliot begann, im Wohnraum auf und ab zu laufen und schlug sich

immer wieder gegen die Stirn, als ob er sich auf diese Weise die Lösung
für seine Probleme aus dem Kopf prügeln konnte. Optionen, dachte er
fieberhaft, ich brauche Optionen.

Er seufzte. »Also muss ich diesen Kult finden und ihnen den Dämon

ausliefern?«, murmelte er vor sich hin. »Nein, nein, nein, das ist es nicht!
Sie werden dich hinhalten, bis der Dämon dich getötet und den Kreis
geschlossen hat, um ihn dann zu unterwerfen ... Was kann ich also tun?
Was kann mir helfen? Nein, nicht ›was‹, sondern ›wer‹!«

Elliot eilte zurück in sein Schlafzimmer und setzte sich wieder vor

seinen Computer. Als er ein neues Webbrowser-Fenster öffnete, knurrte
er: »Der Feind meines Feindes.« Er rief eine Suchmaschine auf und gab
mehrere Schlüsselworte ein. Eines davon lautete »Angel«.
















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17



Als bei Angel Investigations das Telefon klingelte, nahm Cordelia das
Gespräch an und meldete sich wie üblich: »Angel Investigations, guten
Tag. Wir helfen den Hilflosen. Was kann ich für Sie tun?«

Sie lauschte kurz, dann weiteten sich ihre Augen: »Oh, hallo!« Eine

kurze Pause trat ein, dann sagte sie: »O nein! Nein, warten Sie eine ...
nein, er ist hier.« Sie sah zu Angel auf, der aus seinem Büro getreten
war, nachdem das Telefon geklingelt hatte. »Gut... ja, okay, ich richte es
ihm aus.« Sie legte auf und notierte etwas.

»Sag nicht, dass das schon wieder Kate war«, stöhnte Angel. Er hatte

gestern, vielmehr heute früh, Stunden damit zugebracht, Detective
Lockley alles über die Falle, die sie dem Killer gestellt hatten, zu
berichten. Doch das hatte ihr nicht gereicht, und so hatte sie Cordelia und
Doyle um neun Uhr aufs Revier bestellt, die all dies noch einmal zu
Protokoll geben mussten. Schließlich hatte sie Ruhe gegeben; offenbar
war sie zu der Überzeugung gelangt, dass die drei die Wahrheit gesagt
hatten – was auch zutraf, bis auf die Tatsache, dass sie Kate gegenüber
das Wort »Dämon« durch »Killer« ersetzt hatten.

Doyle erhob sich von seinem Stuhl ließ den Stapel Zeitungen, den er

durchgesehen hatte, hinter sich auf den Sitz fallen. »Lass es jeden sein,
nur nicht Detective Lockley.«

Cordelia schüttelte den Kopf. »Nein, das war Chelsea Monroe von L.A.

After Dark. Sie klang nervös, sagte, es sei dringend. Sie braucht deine
Hilfe, Angel. Du sollst zu dieser Adresse hier kommen.«

Angel nahm die Notiz entgegen und überflog sie kurz.
»Geh ruhig«, sagte Doyle. »Und mach dir keine Sorgen. Ich suche

weiter nach einem Spruch oder Ritual, mit dem man den Dämon
lokalisieren kann, sobald er sich in seiner geborgten Form befindet. Und
Cordelia wird mit den Chatrooms weitermachen.«

»Gut«, sagte Angel. »Aber, Doyle, vergiss nicht, auch deine anderen

Quellen zu konsultieren. Wir müssen diese Sache von allen Seiten
angehen.«

Doyle nickte. »Wenn sich was tut, rufen wir dich sofort auf dem

Handy an.«

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Die Adresse, die Cordelia ihm gegeben hatte, führte Angel zu Armand's
in Beverly Hills.

Er traf sie in der »Halbmond«-Lounge, der Piano-Bar. Mit einem

schnellen Blick durch den Raum überzeugte er sich davon, dass das
Treffen ungestört und gefahrlos ablaufen würde.

Die halbrunde Bar war so angeordnet, dass sie das darunter liegende

Restaurant überragte, und die äußere Kurve des Raums wurde von einem
bodenhohen Glasfenster begrenzt, durch das man einen
atemberaubenden Blick auf die palmengesäumten Boulevards und
modernen Gebäude des Stadtteils hatte. Ein unschuldiger, unwirklicher,
fast steriler Anblick, als ob jemand gerade erst die Einschweißfolie
entfernt hatte. Selbst eine Stadt kann ihrem Betrachter etwas vormachen,
dachte Angel.

Chelsea Monroe saß an einem der kleinen Tische, ein langstieliges

Weinglas vor sich. Sie erhob sich, als sie ihn kommen sah, und lächelte
ihn ungewohnt schüchtern an. Sie trug eine glänzende bronzefarbene
Bluse, einen wadenlangen weinroten Rock und dazu farblich passende
Lederstiefel. Wenn sie nicht in eines ihrer eleganten Designerkostüme
gekleidet war, wirkte sie fast leger. Sie starrte ihn aus ihren
dunkelgrünen Augen an, als ob sie sich jeden seiner Züge genau
einprägen wolle. »Angel, ich bin so froh, dass Sie gekommen sind.«

Andere Paare waren ebenfalls heraufgekommen, um den

Klavierspieler besser hören zu können, der an einem weißen Flügel saß,
und vielleicht, um dem Trubel im Restaurant ein wenig zu entgehen.
Und wie nach einer stillen Übereinkunft unterhielten sich alle Gäste hier
sehr gedämpft, nicht zuletzt, um ihren Gesprächen einen etwas pri-
vateren Rahmen zu verleihen.

Mit einem letzten argwöhnischen Blick in die Runde kam Angel heran

und flüsterte: »Cordelia meinte, es sei dringend?«

»Ich musste Sie dringend aus diesem Büro herauslocken«, sagte

Chelsea. »Ich habe den dringenden Verdacht, Sie flüchten sich in Ihre
Isolation. Und nun setzen Sie sich bitte zu mir.«

Angel runzelte die Stirn, doch erfolgte der Aufforderung. »Ich dachte,

Sie wären in Gefahr.«

»Das bin ich«, sagte sie. »Wir sind es.«
»Ich verstehe nicht.«
»Ich wollte uns einfach eine Chance geben.«
»Es gibt kein ›uns‹«, bemerkte Angel förmlich. »Und Sie haben mich

angelogen.«

»Bitte verzeihen Sie mir meine kleine List.« Sie berührte sanft seinen

Handrücken. Für einen Moment ließ er es geschehen. Und für einen

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Moment erlaubte er es sich, die zuvor erwähnte Chance in Betracht zu
ziehen, eine Chance, die nie wirklich existieren würde und die nun mit
einem Hauch von Bedauern auf Nimmerwiedersehen dahinschwand.
»Dies alles hat nichts mit meiner Show zu tun, hat es schon eine ganze
Weile nicht mehr. Obwohl ich dachte, ich könnte die Show als Vorwand
nutzen, ein wenig Zeit mit Ihnen zu verbringen.«

»Sie haben so getan, als ob Sie in Gefahr wären«, sagte Angel.
Ein Paar ging Hand in Hand zum Tanzparkett und begann, sich im

Takt sanfter Cole-Porter-Klänge zu wiegen.

Chelsea lächelte bemüht. »Sie sind mir unter die Haut gegangen,

Angel.«

»Wie bitte?«
Sie nickte in Richtung des Pianospielers. »Er spielt einen Song von

Cole Porter. Ich nehme nicht an, dass Sie Lust haben, mit mir zu
tanzen?«

Aus irgendeinem Grund fiel es ihm schwer, noch weiter böse auf sie

zu sein, und er wunderte sich darüber. Er seufzte. Der Blick aus dem
Fenster vermittelte die Illusion, dass alles möglich war, und genau das
war es: eine Illusion. Die Realität des Lebens bestand aus schweren
Entscheidungen, Opfern und viel Verantwortung. »Chelsea, es tut mir
Leid, aber das ist einfach nicht möglich.«

»Sollte nicht alles möglich sein?«,fragte sie. »Wenn man es nur

wirklich will?«

Sein Handy klingelte.
Angel zog es hervor. »Ich erwarte einen dringenden Anruf«, erklärte

er. Mit einem resignierten Nicken trank Chelsea einen Schluck ihres
Weines.

Angel wandte sich ein wenig ab und senkte seine Stimme, als er den

Anruf entgegennahm. »Cordelia! Habt ihr was gefunden?«

Aufgeregt zwirbelte Cordelia das Telefonkabel zwischen ihren Fingern.

»Nein, aber etwas hat uns gefunden. Da kommst du nie drauf... Okay,

dann rate eben nicht. Wir hatten Hunger, also ist Doyle losgefahren, um
uns etwas zu essen zu besorgen, und in der Zwischenzeit habe ich einen
Anruf erhalten. Es war er! Dieser menschliche Gehilfe! Er hat uns im
Web gefunden. Nein, ich sag nicht, dass ich's dir schon immer gesagt
habe, aber ich hab dir ja schon immer gesagt, dass die Homepage 'ne
gute Idee ist.«

Während sie ihm zuhörte, erhob sich Cordelia von ihrem Stuhl, griff

aufgeregt nach einem Kugelschreiber und warf dabei die Dose mit den
Schreibutensilien um. Stifte und Büroklammern ergossen sich auf die

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Tischplatte. »Er will zu uns überlaufen, um uns zu helfen, den Vishrak
zu töten, bevor es zu spät ist. Ich glaube ihm, er war wirklich völlig
außer sich.«

In diesem Moment kam Doyle mit einer weißen Plastiktüte und

diversen Schachteln vom Chinesen durch die Tür.

Cordelia räumte eine Ecke auf ihrem Schreibtisch frei. »Er glaubt, der

Dämon will ihn als Nächstes töten. Klar, ich habe seinen Namen, die
Adresse und die Telefonnummer. Nein, ich hab ihm gesagt, er soll zu
Hause warten und dass ich dich anrufe und gleich zu ihm schicke.«

Lautlos formten Doyles Lippen die Frage »Angel?«, und Cordelia

nickte. »Okay, okay«, rief Cordelia in den Hörer. »Ich rufe ihn zurück
und sage es ihm. Gut, schreib mit.« Sie nannte Angel Name, Adresse
und Telefonnummer des Anrufers. »Ich glaube, das ist in der Nähe von
Culver City -Moment, noch nicht auflegen! Wie geht's Chelsea? Was?
Ein Missverständnis? Nun, wenn du es sagt.«

Als sie auflegte, fragte Doyle: »Hab ich was verpasst?«
»Dieser menschliche Gehilfe des Dämons hat gerade angerufen. Er

will die Seiten wechseln.«

»Weil der Vishrak ihn als Nächstes töten wird.«
»Oh, dann hast du diesen Teil des Gesprächs also mitgekriegt. Egal,

ich hab diesem Grundy gesagt, er soll zu Hause auf Angel warten.«

»Du hast ihm gesagt, er soll da warten, wo der Dämon ihn jederzeit

finden kann?«, fragte Doyle.

»Jetzt hörst du dich genauso an wie Angel«, sagte Cordelia und nahm

den Telefonhörer wieder zur Hand. »Ich soll diesen Grundy zurückrufen
und ihm sagen, dass er auf der Stelle herkommen soll.« Sie wählte die
Nummer und schüttelte den Kopf, da niemand abnahm. »Und im
Übrigen ist ein Dämon hinter ihm her. Glaubst du wirklich, dass dieser
Typ irgendwo auf der Welt sicher ist?«

Nachdem Elliot den Hörer aufgelegt hatte, fühlte er, wie die Angst
seinen Magen zusammenkrampfte, sich langsam ausbreitete und ihn
schier lahmte.

Die Frau in Angels Büro hatte ihn angewiesen, Ruhe zu bewahren und

darauf zu warten, dass Angel zu ihm nach Hause kam. Doch mit jeder
Minute, die verstrich, wuchs die Panik in ihm wie ein Krebsgeschwür.
Der Dämon konnte jede Sekunde hier auftauchen, und dieser Angel
mochte vielleicht erst in einer Stunde hier sein. Nach fünf Minuten des
Wartens beschloss Elliot zu verschwinden. Überall ist besser als hier. Ich
kenne Angels Büroadresse. Warum nicht dort warten?, dachte er.

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Er brauchte etwa eine Minute, um seine Handschuhe und seine

Sneakers überzustreifen. Dann zog er den Schirm seiner Baseballmütze
tief in die Stirn und schlüpfte in einen Regenmantel. Mit den geklebten
Turnschuhen und den übereinander gezogenen Kleidungsstücken
unterschied er sich kaum von den unzähligen Obdachlosen auf Los
Angeles' Straßen. Und sein deformiertes Bein und die merkwürdige
Haltung, verborgen unter all den Kleidern, waren nicht auffälliger als
jede andere leichte Körperbehinderung auch.

Leise und so schnell, wie es ihm möglich war, huschte er in den

Hausflur seines Apartments im dritten Stock und eilte auf die Treppe zu.
Er war zuversichtlich, noch immer seinen alten Chevy Cavalier fahren zu
können. Da der Wagen eine Automatik-Schaltung besaß, brauchte er mit
dem rechten Fuß lediglich zu bremsen und Gas zu geben, während er mit
der rechten Hand den Gang einlegte.

Er hörte, wie in seiner Wohnung das Telefon klingelte. Für nichts in

der Welt gehe ich da wieder rein!, dachte er.

Beklommen schlüpfte er auf den Fahrersitz seines Autos und betätigte

so oft die Zündung, bis er die Karre endlich zum Leben erweckt hatte. Er
seufzte vor Erleichterung, als er sich endlich in den fließenden Verkehr
einfädelte.

Die Rushhour war schon vorbei, und so verlief die Fahrt recht

angenehm. Dies gab ihm Gelegenheit, über seine Entscheidung
nachzudenken. Yunk'sh würde das Apartment verlassen vorfinden, und
er fragte sich, wie lange der Dämon dort ausharren und auf ihn warten
würde, bevor er sich auf die Suche nach seinem menschlichen Gehilfen,
nein, nach seinem neuen Körper!, machen würde.

Der daraus resultierende Vorsprung war Elliots einzige Chance, Angel

rechtzeitig zu erreichen. Oder würde Yunk'sh des Wartens müde werden
und womöglich statt seiner ein anderes Opferjagen und sich einverleiben,
so wie er es schon letzte Nacht praktiziert hatte, um das Ritual abzu-
schließen? Und auch, wenn der Dämon sein zwölftes Opfer anderswo
auftrieb, so hatte Elliot die leise Befürchtung, dass Yunk'sh ihn dennoch
suchen und mit ihm abrechnen würde.

Sekunden nachdem das Telefon in Elliots Apartment geklingelt hatte,
erschien der Dämon im Schlafzimmer. Yunk'sh spürte sofort, dass sein
menschlicher Gehilfe nicht zu Hause war.

In Anbetracht seines bevorstehenden Triumphes bedeutete Elliots

Abwesenheit zunächst nichts weiter als eine unbedeutende
Unannehmlichkeit. Doch als die Minuten verstrichen, ohne dass sein

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Handlanger zurückkehrte, begann sich der Dämon zu fragen, ob er Elliot
Grundy womöglich unterschätzt hatte.

Elliot hatte sich nie für lange Zeit von seiner Wohnung entfernt. Da er

so gut wie keine sozialen Kontakte besaß, verbrachte er seine gesamte
Zeit mit Essen, Schlafen, Fernsehen oder vor dem Computer. Er war
uninteressant, lebte unbemerkt und war vor allem niemand, den man
vermisste. Alles in allem also der perfekte Diener, das perfekte Opfer
und, nicht zuletzt, der perfekte Körper.

Ruhelos wanderte Yunk'sh durch das Apartment auf der Suche nach

einem Hinweis auf Elliots Verbleib oder darauf, wann er zurückkehren
würde. Nichts. »Wo ist mein gieriger kleiner Knecht?«, murmelte er.

Er wusste, der Kult hatte seinen alten Körper nach Los Angeles

überführt. Es machte ihn fast rasend, die Präsenz seiner Überreste nun
ständig zu spüren, ohne zu wissen, wo genau sie sich befanden. Während
seinem geborgten Interimskörper Grenzen gesetzt waren, würde er nach
seiner Wiederkunft in der Lage sein, den magischen Schutzwall dieser
Spinner niederzureißen und den Kult sowie seinen Restkörper zu
vernichten. Zuvor jedoch musste er den Kreis schließen. Und dafür
brauchte er Elliot.

Weitere Minuten verstrichen, und Yunk'sh begann zu befürchten, dass

Elliot sich seines Schicksals am Ende gewahr geworden war und die
Flucht ergriffen hatte. Er ging zurück ins Schlafzimmer und sichtete die
Notizen auf dem Schreibtisch. Er fand eine Liste mit allen Opfern
inklusive Lebensdaten und persönlicher Informationen und zerriss das
verräterische Dokument in tausend Stücke. Dann stieß er auf eine
Tabelle mit sämtlichen zwölf Sternzeichen, die bis auf eines
durchgestrichen waren. Das verbliebene war mit einem roten Stift
mehrmals eingekreist worden. »Also weiß dieser sterbliche Narr sehr
wohl, was ich mit ihm vorhabe«, entfuhr es Yunk'sh, und er schlug
wütend mit der Hand auf die Tastatur.

Sofort hörte der Bildschirmschoner auf zu arbeiten, und stattdessen

erschien die zuletzt geladene Site in Elliots Webbrowser. Sie war
schwarz, und der Dämon stellte fest, dass er die Homepage einer
Privatdetektei vor sich hatte. Er brüllte vor Wut laut auf, als er den
Namen »Angel« las und rammte seine Faust in den Monitor. Der
Bildschirm implodierte, und dann ergoss sich ein Funkenregen über den
Schreibtisch. Yunk'sh wuchtete den Monitor in die Höhe, riss dabei
sämtliche Kabel heraus und schleuderte ihn quer durchs Schlafzimmer,
wo das Geschoss ein großes Stück Mauer aus der Wand schlug. Der
scharfe Geruch von Ozon erfüllte die Luft.

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So schlägst du dich nun also auf die Seite meines nichtmenschlichen

Feindes. Doch Angel kann dich nicht retten, Elliot. Wir beide, du und
ich, sind untrennbar miteinander verbunden. Du kannst fortrennen, aber
du kannst nicht entkommen. Wo immer du dich versteckst, ich werde
dich finden, dachte er.

Jedes Mal, wenn Yunk'sh seine physische Form annehmen wollte,

musste er auf die Verbindung zu Elliot zurückgreifen. Und diese
Verbindung war es auch, die ihn immer wieder in dieses Apartment
geführt hatte. Doch Yunk'sh hatte die Möglichkeit, dieser Verbindung zu
folgen, und sie würde ihn zu Elliot führen – todsicher.

Da klopfte es an der Tür.
Nur eine Person besucht Elliot regelmäßig, dachte er. Er verließ das

Schlafzimmer und schlich zur Eingangstür. Der Zauber der Verblendung
begann zu wirken und suchte sich mit gierigen Fingern sein Opfer
jenseits der Tür.

»Elliot, mach auf! Ich bin's! Shirley! Ich hab Krach aus deiner

Wohnung gehört.«

Yunk'sh sah durch den Spion. Die Fischaugenlinse präsentierte ihm

das krause Haupthaar einer jungen Frau. Und sie war allein. Vielleicht
verschwand die aufdringliche Person ja wieder, wenn er sich einfach
nicht rührte.

»Mensch, Elliot! Mach auf! Du und ich, wir beide müssen doch

aufeinander aufpassen, erinnerst du dich nicht? Es ist unser Schicksal,
schon vergessen?«

Schicksal?, dachte er.
»Los, Elliot! Ich mache mir Sorgen. Wenn du die Tür jetzt nicht

aufmachst, rufe ich die Polizei!«

Yunk'sh erinnerte sich an Elliots zahlreiche Beschwerden über diese

Shirley Blodgett, und dann erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. Nie
hatte Elliot ihrer zudringlichen Aufmerksamkeit entrinnen können. Nicht
nur, dass sie in derselben Firma arbeiteten, sie wohnte auch gleich unter
ihm und hatte stets eine riesige Sache daraus gemacht, dass sie am
gleichen Tag Geburtstag hatten ...

Der Zauber der Verblendung hatte seinen Höhepunkt erreicht, und das

Lächeln des Dämons erschien nun auf Elliots Gesicht. »Mir geht's gut,
Shirley«, sagte Yunk'sh mit Elliots nasaler Stimme und öffnete die Tür.

Da stand sie vor ihm, in ihrem grünen Pullover, Jeans und schwarzen

Joggingschuhen, die Hände in Gram ineinander verkrampft und das
Gesicht vor Sorge verzerrt. Erst als er ihr beruhigend zulächelte,
entspannten sich ihre Züge.

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»War wohl ziemlich hysterisch von mir, gleich die Polizei rufen zu

wollen«, sagte sie. »Ich meine, du siehst nicht gerade krank aus. Sogar
deine Verbrennung scheint ja wieder verheilt zu sein.« Sie streckte ihre
Hand aus. »Darf ich mal sehen?«

»Na klar«, sagte er und entblößte seinen Arm.
Sie musste zweimal hinschauen, bevor sie zufrieden nickte. Als sie

seine Hand ergriff, konnte er fühlen, wie ein leichtes Zittern sie
durchlief. »Aber sag mal«, fragte sie, »was war denn das für ein Krach in
deiner Wohnung?«

»Nichts Besonderes. Ich hab einen Schrank sauber machen wollen,

und da ist mir ein Regalbrett zusammengebrochen.«

»Also, dieser Arzt hat wirklich ganze Arbeit geleistet«, meinte sie und

ließ seine Hand wieder los.

Sie kam herein, und er schloss die Tür hinter ihr. »Ach ja, was ich

noch sagen wollte, die Lasagne war einfach köstlich!«

Sie fuhr herum und kniff überrascht die Augen zusammen.

»Tatsächlich? Nun, freut mich, dass sie geschmeckt hat.«

»Nächstes Mal sollten wir, na ja, du weißt schon, ähem, zusammen

essen. Weißt du, das ist einfach nicht fair. Ich hab dich die ganzen
Monate über in Anspruch genommen. Aber das wird sich nun ändern.«

»Bist du sicher, dass alles mit dir in Ordnung ist?«
»Ich fühle mich großartig ...jetzt, wo du da bist.«
»Du siehst ein bisschen blass aus.«
Mit einem spitzbübischen Grinsen sagte Yunk'sh: »Das lässt sich

schnell ändern.«















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18



Angel lenkte sein Cabrio auf den erstbesten freien Parkplatz, sprang aus
dem Wagen und hetzte hinüber zu Elliots Haus.

Das alte dreigeschossige Gebäude war von einem ehemals

hochherrschaftlichen Einfamilienhaus in einen kleinen Apartmentblock
umgewandelt worden. Am Ende des kleinen Foyers versperrte aus
Sicherheitsgründen eine Innentür den Zugang zum Treppenhaus. Angel
drückte auf die Klingel zu Elliots Apartment. Nach einer Weile war
durch den Lautsprecher eine gehetzte Männerstimme zu hören. »Ja
bitte?«

»Elliot«, sagte Angel. »Hier ist Angel. Geht es Ihnen gut?«
»Ja, aber ich hab Angst. Wollte gerade hier abhauen. Kommen Sie

rauf.«

Der Summer ertönte, Angel drückte die Sicherheitstür auf und nahm

im Laufschritt die Treppe nach oben. Dennoch waren seine Schritte auf
den Steinstufen nicht zu hören. Auch einer dieser Vorteile, die das
Vampirdasein so mit sich bringt, dachte er. Lautloses Anschleichen.

Da erwusste, dass der Dämon jeden Moment zurückkehren konnte,

verharrte Angel einen Moment lang vor der Wohnungstür und lauschte
in die Stille hinein. Dann klopfte er. »Elliot?« Nichts. »Elliot, machen
Sie bitte auf!«

Von drinnen waren gedämpfte Schritte zu hören. Ruhige, gemessene

Schritte, die immer zögernder wurden, je näher sie kamen. Eine Hand
legte sich auf den Türknopf, doch das war auch schon alles. Wenn Elliot
auf der anderen Seite stand, dann wartete er auf etwas. Vielleicht ist er ja
nicht allein, dachte Angel. »Elliot?«

Schließlich wurde klappernd die Sicherheitskette gelöst und der Riegel

zurückgeschoben. Der Knopf drehte sich, dann schwang die Tür nach
innen auf. Und da stand, schön und liebenswürdig lächelnd wie immer,
Buffy Summers vor ihm!

»Buffy...« Es folgte ein Moment des Zögerns, doch das war alles, was

der Dämon brauchte.

Über Buffys Schulter hinweg sah Angel einen Kleiderhaufen und ein

Paar schwarze Sneakers am Boden liegen, die achtlos unter das Sofa
gekickt worden waren. Daneben lag die durchscheinende Haut eines
Menschen; dunkles gekraustes Haar ergoss sich auf den Teppichboden.

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Dies alles nahm Angel im Bruchteil einer Sekunde wahr, und er wun-
derte sich einmal mehr, wie viele Details ein Hirn im Stande war,
innerhalb kürzester Zeit zu verarbeiten.

»Hallo, Geliebter«, sagte Buffy und umschlang Angels Nacken mit

beiden Händen.

Mit – selbst für eine Jägerin – übermenschlicher Kraft hob sein

Gegenüber ihn nun in die Höhe und zog ihn in das Apartment hinein, wo
Angel gegen die Wand hinter dem Sofa geschleudert wurde wie eine
Stoffpuppe. Ein Bild flammte vor seinem innerem Auge auf: Die blonde
Frau an Cordelias Seite, damals in diesem Club – ich habe ihr Gesicht
nie gesehen!

Angel rollte sich auf dem Boden ab, riss dabei mit dem ausgestreckten

Arm eine Stehlampe um und rappelte sich wieder auf. Der Dämon,
immer noch in Gestalt von Buffy, schoss auf ihn zu und versetzte ihm
einen Tritt in die Magengegend, der ihn sofort wieder in die Knie zwang.
Der zweite Tritt traf ihn mitten ins Gesicht, doch Angel schaffte es, den
Fuß zu packen und den Dämon von sich zu stoßen. Sein Gegner fiel
rückwärts auf den Boden und breitete im Fallen die Arme aus, um den
Aufschlag abzumildern.

Angel sprang auf die Füße und hielt die Stehlampe vor sich wie einen

Schlagstock. Auch der Dämon hatte sich wieder aufgerappelt. Angel
versetzte ihm einen Tiefschlag gegen die Knie. Der Dämon strauchelte,
verlor aber nicht das Gleichgewicht, selbst als Angel ihm nachsetzte und
ihn mit Schlägen vor die gegenüberliegende Wand zurücktrieb, bis das
Kabel der Lampe aus der Steckdose rutschte.

Fast tollwütig starrte Buffy ihn an; es war eine Mischung aus rasender

Wut und abgrundtiefer Feindseligkeit. Selbst als er zum bösartigen
Angelus geworden war und Buffy ihn mit allen ihr zur Verfügung
stehenden Mitteln hatte bekämpfen müssen, waren ihre Züge nie durch
einen solch hasserfüllten Ausdruck entstellt gewesen. Verzweiflung,
Entschlossenheit, Kummer, ja, all dies hatte er in ihrem Gesicht gelesen.
Doch niemals diesen blindwütigen Hass, der sich nun in den Zügen der
Frau widerspiegelte, die er liebte. Aber eine Illusion funktionierte nur so
lange, wie der Betrachter an sie glaubte.

Der Dämon ließ eine Faust auf den metallenen Lampenstiel

niedersausen und verbog ihn dabei so stark, dass er wie ein »V« aussah.
Dann schoss er vor und würgte Angel so fest, dass sich seine Nägel ins
Fleisch bohrten. Angel verwandelte sich und schlug dem Angreifer mit
seinen vampirischen Kräften hart ins Gesicht. Die Hand um seinen Hals
lockerte sich, und er stieß das Buffy-Monster von sich.

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»Soso, ein Vampir bist du«, grollte der Dämon. »Das erklärt deine

Stärke, nicht aber deine Entschlossenheit.« Nachdem bereits die Stimme
nicht mehr die von Buffy war, fiel nun auch der letzte Vorhang dieses
Illusionstheaters, und der Dämon zeigte sich in seiner wahren Gestalt: Er
war grau und dreifingrig, ein wenig größer als Angel, mit Sta-
chelkämmen auf Armen, Schienbeinen und entlang des Rückgrats. Sein
mit Dornen besetzter langer Schwanz peitschte gefährlich durch die Luft.
»Warum sollte ein Vampir dem armen kleinen Elliot Grundy helfen?«,
fragte er höhnisch, als er auf Angel zukam.

Angel warf die verbogene Lampe zu Boden. »Das hat sich ja wohl

erledigt«, sagte Angel mit einem Nicken in Richtung des Kleiderhaufens
und der traurigen Hauthülle am Boden. »Weil du ihn bereits getötet
hast.«

»Das ist nicht Elliot.« Der Dämon grinste bösartig und entblößte dabei

zwei Reihen nadelspitzer Zähne. »Nachdem Elliot geflohen war, hat
seine Nachbarin, die unter ihm wohnt, beschlossen, mir... behilflich zu
sein.« Er schwang eine offene Linke in Richtung Angel, doch der duckte
sich im letzten Moment zur Seite. Die Hand sauste nur Millimeter von
seinem Gesicht entfernt durch die Luft. Sofort konterte Angel mit einem
Schlag in den Brustkorb seines Gegners.

»Elliot dachte, er wäre dein zwölftes Opfer.«
»Ich bin nur an Zeichen interessiert«, gab der Dämon zurück. »Seine

Nachbarin hat am selben Tag Geburtstag wie Elliot. Ein Umstand, der
nicht selten Thema hier in diesem Apartment war. Und sie hat mich nicht
enttäuscht. Als ich den letzten Tropfen aus ihr herausgesaugt hatte, war
das Ritual beendet. Meine geborgte Form, die physische Essenz, die ich
bisher von Elliot bezogen hatte, ist damit überflüssig. Die geballte
Lebenskraft und Materie zwölf menschlicher Wesen hat sich nun in
diesem Dämonen-Körper manifestiert, und ich wurde, wenn man so will,
ein zweites Mal geboren.« Er hob den Kopf und grinste. »Schon spüre
ich, wie meine neu gewonnene Macht auf dieser Ebene stärker und
stärker wird.«

Angel sprang vor, und sie tauschten eine Reihe von Hieben und Tritten

aus, bei denen Angel seinen ersten ernsthaften Schlag einstecken musste.
Blut tropfte von seiner linken geplatzten Augenbraue. Dann umkreisten
sie einander wie zwei Raubtiere.

»Wenn das dein neuer Körper sein soll, muss ich sagen, ich hab schon

bessere gesehen.«

»Lass dich nicht täuschen. Meine äußere Form ist noch nicht

komplett«, erwiderte der Dämon. »Im Laufe des kommenden Tages
werde ich immer stärker, und dann bin ich in der Lage, meinem

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189

Geschmack ... die freie Wahl zu lassen. Elliot wird mein erstes frei
gewähltes Hauptgericht, und zum Nachtisch nehme ich mir deine
hübsche kleine Assistentin zur Brust.«

Er versucht, mich zu provozieren, damit ich einen Fehler mache,

begriff Angel und ignorierte das beklemmende Gefühl in seiner Brust.
Das Ritual war abgeschlossen, der Kreis geschlossen. Der Dämon war
nicht länger eine verirrte Psyche, seine Wiederkunft in einem neuen
Körper war vollzogen. Doch Angel wusste, noch konnte dieser Körper
zerstört und der Dämon damit für immer gebannt werden. Und dieses
Mal kann er sich nicht, wenn's hart auf hart kommt, aus dem Staub
machen, dachte Angel.

Er bückte sich und griff nach dem Messer in seinem Stiefel. Dann

verringerte er die Entfernung zu seinem Gegner und wartete darauf, dass
der Dämon die Gelegenheit nutzte, ihn wieder anzugreifen.

Und tatsächlich kam der Vishrak auf ihn zu, bereit, ihn erneut zu

würgen. Angel duckte sich und nutzte den Schwung seines Angreifers,
um ihn sich über den Rücken zu legen und quer durch den Raum zu
werfen. Der Dämon krachte in einen Küchentisch, zerschmetterte diesen,
und riss auch noch einen Stuhl mit sich. Ein wenig mehr Schwung, und
er wäre direkt durch das Küchenfenster auf die Straße gefallen.

Mit dem Messer in der Hand wirbelte Angel herum, bereit, sein Werk

zu beenden, als er mitten in der Bewegung innehielt. Aus dem Foyer des
Hausflurs war ein Krachen, gefolgt von hastigem Fußgetrappel auf der
Treppe zu hören, das immer näher kam. Da er nicht erwartete, dass ein
Überfallkommando der örtlichen Polizei im Anmarsch war, hatte Angel
ein ungutes Gefühl angesichts der eilig herannahenden Gäste.

Der Dämon erhob sich aus den Trümmern des Küchentischs und kam,

einen Stuhl vor sich haltend, auf Angel zu. Gerade wollte er ihn nach
ihm werfen, als eine Gruppe von Männern in schwarzen Kutten das
Apartment stürmte. Sie alle hielten Zeremonien-Dolche in den Händen
und hatten offensichtlich nicht mit dem Stuhl gerechnet, der nun auf sie
zuflog.

Die beiden Männer in der Mitte rissen instinktiv ihre Hände hoch, als

das zum Geschoss zweckentfremdete Möbel sie traf. Andere wichen im
letzten Moment aus und umrundeten Angel, als sei er nur eine
Zimmerpflanze, die im Weg stand, um geradewegs auf den Dämon
zuzustürmen. Yunk'shs gelbe Augen weiteten sich vor Entsetzen, als
jetzt ein siebter Mann das Apartment betrat – ein Glatzkopf mit grün
leuchtenden Fingerkuppen, die er von sich streckte. Der Zauberer des
Kults, dachte Angel.

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»Yunk'sh«, intonierte der Kahlköpfige. »Ich binde dich hiermit an

unseren Willen und für unsere Zwecke.«

Der Dämon wandte sich von dem Magier ab und sprang einfach durch

das geschlossene Küchenfenster. Und irgendwie wusste Angel, dass der
Dämon den Fall aus dem dritten Stock überleben würde.

Der Magier erstarrte und sah sich im Raum um. Sein Blick blieb an

Angel hängen, und zum ersten Mal schien er zu realisieren, dass er einen
Vampir vor sich hatte. »Du hast dich eingemischt und wolltest uns
zuvorkommen, Vampir.«

»Reden Sie keinen Stuss«, protestierte Angel. »Ich wollte ihn töten,

nicht unterwerfen.«

»Wenn du Yunk'sh töten willst, müssen wir dich töten«, gab der

Zauberer zurück.

Angel rammte dem Mann seinen Ellbogen so hart ins Gesicht, dass

dessen Nasenbein knirschte, dann warf er ihn zu Boden. Ȇberlegen
Sie's sich nochmal.«

»Tötet ihn!«, kreischte der Glatzkopf und schmierte sich unabsichtlich

die grüne Flüssigkeit an seinen Fingerspitzen ins Gesicht, als er seine
zerschmetterte Nase betastete.

Angel sah sich einer Gruppe von sechs Gegnern gegenüber – sieben,

wenn man den Magier mitrechnete, der sich aber offenbar mehr in der
Rolle des Befehlsgebers gefiel. Alle sechs hatten Messer und schienen
mit ihrem Gebrauch bestens vertraut. Langsam umkreisten sie ihn. Angel
befürchtete, dass der Dämon sich immer weiter entfernte, während er
sich hier auf Nebenkriegsschauplätzen verlustierte.

»Nicht mit Messern!«, gellte die Stimme des Zauberers durch den

Raum. »Ein Pflock durch sein Herz!«

Das älteste Kult-Mitglied unter den Anwesenden deutete auf das

Kleinholz am Boden, das einmal ein Küchentisch gewesen war.
»Willem, such dir dort eine Waffe, und lass es uns schnell hinter uns
bringen.«

Angel war ganz dieser Meinung. Er krümmte sich wieder zusammen

und riss zwei der Kuttenträger die Beine unter ihren Körpern fort. Ein
anderer sprang ihm auf den Rücken, doch Angel rollte sich ab wie eine
Raubkatze und schleuderte dabei seine Last so hart zu Boden, dass der
Mann mucksmäuschenstill liegen blieb. Er sprang auf die Füße, blockte
eine Messerattacke mit seinem Unterarm ab und bohrte dem Angreifer
seine freie Faust in den Magen. Innerhalb von Sekunden lagen sämtliche
Kultmitglieder am Boden und jammerten, außer besagtem Willem, der
unter den Trümmern des Tischs immer noch nach einer geeigneten
Waffe suchte. Angesichts seiner reglos daliegenden oder am Boden

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herumkriechenden Brüder, wirkte er nicht sonderlich entschlossen, das
Werk auf eigene Faust zu beenden.

»Töte ihn!«, schrie da das älteste Mitglied der Teufelssekte.
Zögernd schnappte sich Willem einen spitzen Holzscheit und zielte

damit auf Angel.

Der griff sich daraufhin den Stuhl, den der Dämon durchs Apartment

geschleudert hatte und warf ihn nach Willems Beinen. Willem wankte,
fiel, und der behelfsmäßige Pflock segelte durch die Luft.

Kurz darauf tätigte Angel von einem öffentlichen Telefon aus einen
anonymen Anruf bei der Polizei und gab eine gewaltsame
Auseinandersetzung im Apartment eines gewissen Elliot Grundy zu
Protokoll.

Soweit es Kate betraf, war er aus dem Fall raus. Doch wenn die Polizei

es schnell genug zum Tatort schaffte, war es ihnen vielleicht möglich,
einige der Kultmitglieder festzunehmen und die traurigen Überreste von
Elliots Nachbarin sicherzustellen.

Wenn der Dämon nicht gelogen hatte, war Elliot sein nächstes Opfer,

gefolgt von Cordelia. Und wenn Cordelia Angels Anweisungen befolgt
hatte, saßen sie und Elliot bereits in seinem Büro und warteten auf ihn.

Elliot brabbelte und hatte Mühe, still zu sitzen. Er wollte weg, doch er

wusste nicht, wohin. »Erwird mich als Nächstes töten, um das Ritual zu
vollenden. Ich bin das letzte Zeichen, das ihm noch fehlt. Sie müssen mir
glauben!«

»Er hat bereits Ersatz gefunden, Elliot«, sagte Angel und vermied es,

ihm mitzuteilen, dass er dennoch als Nächstes auf der Liste des Dämons
stand. Wenn Elliot nützliche Informationen über diesen Yunk'sh besaß,
dann war es wichtig, diese zu erfahren, bevor sein menschlicher Gehilfe
einen weiteren hysterischen Anfall erlitt.

»Was? Aber wie konnte er... so schnell ... ein anderes Opfer finden?«
»Deine Nachbarin.«
Elliots Unterkiefer klappte herunter, und er sank auf dem Stuhl

zusammen wie ein nasser Sack. »Shirley... O Gott! Wir haben – hatten –
dasselbe Sternzeichen. Und das hab ich ihm auch erzählt, als ich mich
wieder mal über sie beklagt habe. O Shirley... Ich hab immer gesagt, sie
ist so lästig wie Hundekacke am Schuh, aber sie hat es doch nicht böse
gemeint. Warum musste er sie töten?« Mit einem schweren Seufzer
presste er seine Hand auf die Brust. »Das erklärt natürlich einiges.«

»Was?«
»Seit ich diesen Pakt mit ihm abgeschlossen habe, hatte ich immer

diesen Druck auf der Brust, auch wenn Yunk'sh mich nicht gebraucht

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192

hat, um sich körperlich zu manifestieren. Nun, dieses Gefühl hat
aufgehört, als ich auf dem Weg hierher war. Ich dachte erst, es hinge mit
der großen Erleichterung zusammen, die ich spürte, weil ich geflohen
war, doch es muss bedeuten, dass er meine Substanz nicht mehr länger
braucht. Wahrscheinlich, weil er Shirley...« Elliot starrte auf seine Hände
– eine menschlich, die andere dämonisch. »Es ist meine Schuld. Ich habe
Schuld an allem, was passiert ist.«

Angel hockte sich vor ihn hin. »Ich brauche dich, um Yunk'sh zu

finden, Elliot. Der Dämon sagte, sein neuer Körper sei noch nicht
perfekt. Weißt du, was er damit meint?«

Verständnislos sah Elliot ihn an.
Angewidert reichte Cordelia Angel den Telefonhörer. »Detective

Lockley wird sich bestimmt freuen, dieses Stück Dreck festzunehmen.«

Doyle legte ihr beruhigend seine Hand auf die ihre. »Nicht jetzt«,

flüsterte er.

Cordelia sah ihn empört an. »Dieser Hirnamputierte hat geholfen,

zwölf Menschen zu töten!«

»Wir brauchen ihn«, sagte Doyle sanft, aber bestimmt.
»Ich möchte bloß wieder menschlich werden«, jammerte Elliot vor

sich hin.

Angel packte ihn unterm Kinn und zwang ihn, ihn anzusehen. »Elliot,

das hilft uns nicht weiter.«

»Okay«, sagte er. »Sehen Sie, ich arbeite mit Ihnen zusammen. Ich

nehme alle Schuld auf mich, gehe in den Knast und helfe Ihnen, Yunk'sh
zu töten – unter einer Bedingung.«

»Elliot«, sagte Angel warnend. »Du bist an zwölf vorsätzlichen

Morden beteiligt. Ich glaube nicht, dass du in der Position bist,
Forderungen zu stellen.«

»Das weiß ich«, sagte Elliot. »Aber alles, was ich will, ist, wieder ein

Mensch sein.«

»Dieses Recht hast du längst verwirkt, Grundy«, sagte Cordelia scharf.
»Cordelia«, sagte Angel ernst. »Deine Bemerkungen helfen uns hier

nicht weiter.« Wieder erinnerte er sich daran, dass auch Cordelias Name
auf Yunk'shs Liste stand. Wenn Elliot etwas wusste, das ihnen helfen
konnte, den Dämon zu bekämpfen, dann musste er es herausfinden.
»Elliot, ich tue, was ich kann.«

»Okay«, sagte Elliot. »Danke. Ich werde Ihnen alles sagen, was ich

weiß.« Erbrauchte einen Moment, um seine Gedanken zu ordnen, dann
sagte er: »Für einen Zeitraum von vierundzwanzig Stunden, nachdem er
seinen neuen Körper erhalten hat, befindet sich der Dämon in einer Art...
Fluss oder so. In dieser Zeit ist er verletzlich.«

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»Verletzlich?«
»Ja, in dieser Zeit kann er noch unterworfen werden.«
»Das hat dieser Kult bisher mindestens zweimal versucht, ohne

Erfolg.«

»Nicht mit seinem Restkörper«, erklärte Elliot. »Bis jetzt war dieser

alte Körper für sie nutzlos, doch nun, da der Dämon seinen neuen Körper
in Besitz genommen hat, haben sie vierundzwanzig Stunden Zeit, ihn
auch aus der Ferne zu unterwerfen, indem sie seinen Restkörper dazu
benutzen. Das ist die Zeit, die er braucht, um sich permanent in seinem
neuen Körper niederzulassen. Offensichtlich haben diese Kult-Heinis ein
magisches Ritual, mit dem sie Yunk'shs Psyche austricksen und sie an
den alten Körper binden können.«

»Der Kult ist im Besitz von Yunk'shs altem Körper? Seinem

Restkörper?«

»Ja. Yunk'sh sagte, sie hätten ihn letzte Nacht in San Francisco

gefunden und dass er nun wahrscheinlich hier in L.A. ist.«

»Moment mal!«, rief Doyle. Er rannte zum Aktenschrank und holte

einen dicken ramponierten Folianten hervor. »Als ich nach einem Spruch
gesucht habe, der uns dabei helfen sollte, den Dämon zu finden, bin ich
auf einen Zerstörungszauber gestoßen, aber ich hab mich nicht weiter
darum gekümmert.«

»Warum?«, fragte Angel.
»Weil der nur bei diesem Restkörper wirkt, von dem Elliot gesprochen

hat.«

Sie fanden heraus, dass der Zerstörungszauber zur Vernichtung des

Vishrak nur innerhalb der vierundzwanzig Stunden angewendet werden
konnte, in denen die physische Energie des Dämons sich in seinem
neuen Körper niederließ. Doch um diesen Spruch anwenden zu können,
würden sie eine Art mystisches Gefäß brauchen, ähnlich einer Thesulah-
Kugel, um die Energie des Dämons und damit den Restkörper zu
bannen.

»Ich rede nochmal mit Dink«, bot sich Doyle an. »Er soll mal seine

Lauscher aufstellen; vielleicht kriegt er ja was über den Aufenthaltsort
dieses Kults raus. Wir müssen an diesen Restkörper herankommen,
bevor sie das Unterwerfungsritual abschließen können.«

Angel nickte. »Gut, ich besorge die Kugel. Doyle, sobald du den

Aufenthaltsort des Kults weißt, ruf mich auf dem Handy an und ich stoße
dazu.«

»Was ist mit uns?«, meldete sich Cordelia zu Wort und bezog sich

dabei auf Elliot und ihre Person. »Ich werde nicht mit diesem Typen
allein bleiben, egal, wie Leid es ihm tut.«

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»Cordy, du begleitest Doyle; Elliot, du kommst mit mir.«
»Ich werde Ihnen nur im Weg sein.«
Doch Angel war der Diskussionen überdrüssig. »Pass mal auf, Junge,

Yunk'sh hat angekündigt, dass du als Erster auf seiner Liste stehst, wenn
er erst mal seinen neuen Körper hat.«

»Ich komme mit Ihnen.«
»Das dachte ich mir.«
Bevor sie sich trennten, zog Angel Doyle zur Seite. »Lass Cordelia

nicht aus den Augen.«

»Das fällt mir ohnehin nicht sonderlich schwer«, sagte Doyle

augenzwinkernd. »Aber, moment Mal... diesen grimmigen Blick kenne
ich doch. Gibt es etwas, das ich wissen sollte?«

»Yunk'sh ist sehr nachtragend«, sagte Angel leise.
»Oh«, erwiderte Doyle ernst. »Ich verstehe.«


Die weiße Schachtel auf Elliots Schoß hätte gut und gern
Christbaumschmuck enthalten können. Stattdessen beherbergte sie eine
schlichte Glaskugel, handgeblasen während eines streng festgelegten
Rituals. An einem Weihnachtsbaum hätte sie eher unspektakulär gewirkt,
umso unglaublicher schien es, dass diese Kugel über die Macht verfügen
sollte, die psychische Energie eines Vishrak-Dämons für sehr kurze Zeit
in sich aufzunehmen.

Gott sei Dank hatte der Besitzer von Weihrauch sie auf Lager gehabt.

Tatsächlich war es die erste und einzige Thesulah-Kugel, die der Händler
je besessen hatte.

»Interessanter Laden«, bemerkte Elliot. »Kaufen Sie öfter dort ein?«
»Hin und wieder.« Angels Handy klingelte, und er nahm den Anruf

entgegen. Sekunden später griff er ins Handschuhfach und holte
Notizblock und Stift hervor. »Okay, ich hab's notiert: Trinity United
Methodisten-Kirche.« Er schrieb die Adresse auf. »Danke, Doyle. Richte
Dink aus, ich schulde ihm eine Jumbo-Tüte Würmer. Wir treffen uns
dort.«

»Würmer?«, fragte Elliot, als Angel das Gespräch beendet hatte.
»Ja, der Mann hat einen ausgefallenen Geschmack.«
»Scheint so«, meinte Elliot. »Sie haben den Aufenthaltsort dieses

Kults gefunden?«

»Ja. Aber hör mal, ich könnte dich jetzt auch der Polizei übergeben; da

wärst du sicherer«, bot Angel an.

Elliot dachte einen Moment darüber nach. »Nein, ich möchte

wenigstens diese eine Sache für Shirley tun. Sie hätte nie in das alles mit

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reingezogen werden dürfen. Es ist meine Schuld. Ich wollte nie, dass sie
zu Schaden kommt, aber dann ist es doch passiert.«

»Eine Menge Leute sind deinetwegen zu Schaden gekommen, Elliot.«
»Ich weiß«, sagte er leise. »Aber Shirley hat mich gemocht.«


Die verrußte Ruine der Trinity United Methodisten-Kirche lag in einem
heruntergekommenen Geschäftsviertel der Stadt.

Links davon war eine Autowerkstatt, die erst kürzlich pleite gegangen

war. Auf der rechten Seite, direkt neben dem von Unkraut
überwucherten Parkplatz der Kirche, befand sich ein ehemaliges
Teppichlager, das vor zwei Jahren ebenfalls Bankrott angemeldet hatte.
Das nächste, noch floriende Geschäft lag fast einen halben Block von
hier entfernt: die Geschäftsräume eines privaten Kreditinstitutes.
Daneben befanden sich ein Pfandleiher und ein Weinlager. Einige
Straßenlaternen waren anscheinend schon seit längerem kaputt, und es
hatte auch nicht den Anschein, als würden sie je repariert werden.

Angel, Doyle, Cordelia und Elliot hockten gegenüber der verfallenen

Kirche hinter Angels Cabrio und warteten.

Vor wenigen Minuten war der Magier des Kults mit einem dicken

Pflaster auf der Nase eingetroffen. Es war klar, dass das
Unterwerfungsritual jeden Moment stattfinden würde.

Die Zeit wurde knapp.
Angel hielt ein Brecheisen in den Händen, mit dem er nervös in einem

porösen Spalt des Bürgersteiges herumbohrte. »Doyle, hast du alles bei
dir?«

Doyle hob einen Leinensportbeutel in die Höhe. »Alles, bis auf die

Kugel.«

Elliot überreichte Doyle die kleine weiße Schachtel, der sie rasch in

dem Sack verstaute. »Okay.«

Angel wandte sich zu Cordelia um. »Bist du bereit, den Spruch zu

intonieren?«

»Meine Lateinkenntnisse sind ein wenig eingerostet.«
»Wessen nicht?«, bemerkte Doyle kichernd.
»Cordelia, du wirst für den Zauberspruch nur wenige Minuten zur

Verfügung haben«, sagte Angel.

Er wusste, dass die Zeit ein kritischer Faktor bei diesem Unternehmen

war, vor allem, wenn sie im Besitz des Restkörpers waren. Aus diesem
Grund hatte Angel mit dem Brecheisen das Vorhängeschloss am
Personaleingang des ehemaligen Teppichlagers geknackt. »Ihr habt zwei
Minuten, um in Stellung zu gehen.«

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»Woher wissen wir, ob Sie's da drinnen geschafft haben?«, fragte

Elliot.

»Vertrau mir«, erwiderte Angel. »Ihr werdet es wissen.«


19



Zwei Minuten später überquerte Angel die Straße; er verließ sich darauf,
dass Doyle, Cordelia und Elliot ihre Posten hinter der Kirche bezogen
hatten.

Er trug das Brecheisen wie ein Schwert an seinem Körper, und es hob

sich kaum von seiner schwarzen Kleidung ab. Als er sich den schweren
Doppeltüren der Kirche näherte, bemerkte er, dass der rechte Flügel
schief in den rostigen Angeln hing. Das hieß, die Tür würde über den
Boden des Eingangsbereichs schleifen und quietschen, wenn sie nach
innen aufgestoßen wurde. Perfekt!, dachte er.

Als er die Tür erreicht hatte, hielt er einen Moment inne. Dann trat er

so hart gegen den ramponierten Flügel, dass dieser polternd in den
Vorraum der Kirche flog.

Aufgeregte Rufe drangen aus dem Altarraum.
Angel stürmte durch die Empfangshalle und blieb dann einen Moment

lang stehen, um sich zu orientieren. Der größte Teil des Kuppelgewölbes
und der Innenwände war durch den verheerenden Brand zerstört worden,
doch die verkohlten und zersplitterten Holzträger ragten noch immer in
die Höhe wie das Gerippe eines verrotteten Riesen. Das Chorgestühl war
ebenfalls teilweise verbrannt oder vermodert, wo es durch eindringendes
Wasser Schaden genommen hatte.

Schwarze Kerzen flackerten im Altarraum und stellten die einzige

Lichtquelle in dem verfallenen Gotteshaus dar.

Im Schein des schwachen gelben Lichts zählte Angel zwölf Gestalten,

die angesichts der Störung nun auseinander strebten und so den Blick auf
einen behelfsmäßigen Altar freigaben. Auf ihm lag eine verkohlte
Leiche.

Einige der Brüder hatten lange Dolche gezückt und kamen auf Angel

zu; nur der Magier mit der ramponierten Nase blieb zurück. »Der
Vampir!«, rief er und wandte sich an den Ältesten unter ihnen. »Vincent,
hol die Pflöcke!«

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Hastig kramte der Angesprochene in einem Leinensack, der vor der

ersten Sitzreihe stand, und förderte mehrere grob geschnitzte
Holzpflöcke zutage. Grob geschnitzt oder nicht, diese Waffen sind scharf
genug, um ihren Zweck zu erfüllen, dachte Angel. Die Kultmitglieder
bewaffneten sich eifrig.

»Manche Leute lernen es nie«, sagte Angel laut genug, dass alle ihn

hören konnten.

»Kreist ihn ein!«, brüllte Vincent.
Nachdem Vincent und der Magier nicht sonderlich scharf auf eine

körperliche Auseinandersetzung mit ihm zu sein schienen, sah sich
Angel nun zehn Gegnern gegenüber. Vier kamen direkt über den
Mittelgang auf ihn zu, und je zwei näherten sich ihm von den Seiten her.
Solange er in der Nähe des Ausgangs blieb, bestand keine Gefahr, dass
er auch von hinten attackiert wurde.

Die vier Männer an den Flanken griffen zuerst an, doch es war nicht

viel Platz im Mittelgang, und so mussten sie sich ihm gleichzeitig
nähern. Der Bruder zu Angels Rechten hielt seinen Pflock hoch erhoben,
während der zu seiner Linken nur mit einem Messer bewaffnet zu sein
schien. Angel warf sich herum und rammte dem Angreifer mit dem
Pflock sein Brecheisen in die Magengegend. Der Mann schrie, klappte
zusammen und spuckte Blut; der Pflock war vergessen. Angel schwang
das Brecheisen und traf das Kultmitglied, das gleich hinter dem
Verletzten stand, hart an der Wange. Es schlug mit dem Kopf gegen eine
Mauer und brach jammernd zusammen.

Die nächste Attacke erfolgte von den vieren, die über den Mittelgang

auf ihn zustürmten, wiewohl aus Platzgründen nur zwei von ihnen
angreifen konnten. Angel schlug dem einen den Pflock aus der Hand und
stieß dem anderen sein Brecheisen zwischen die Zähne. Doch dazu hatte
er einen Schritt nach vorn machen müssen, was einen der Brüder dazu
ermutigte, ihm auf den Rücken zu springen.

Angel wechselte in den Vampirmodus, packte den Arm seines

Angreifers und schleuderte ihn über seinen Kopf hinweg in die zwei
Männer hinein, die als Nächstes auf ihn zuhielten.

Die Schneide eines Messers traf seinen Unterarm.
Aus den Augenwinkeln nahm er einen weiteren Pflock wahr, der in

seine Richtung geführt wurde. Er rollte sich nach vorne ab und krachte in
eine der verkohlten Sitzbänke. Doch bevor er sich wieder aufrappeln
konnte, war schon jemand über ihm und bohrte ihm sein Messer in die
Schulter. Angel spürte, wie die Klinge ihn erwischte. Als er
herumwirbelte, sah er, wie der Magier und Vincent durch den Mittelgang

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auf ihn zukamen; beide trugen Pflöcke in Händen. Nun hatte er also ihre
ungeteilte Aufmerksamkeit.

Da nahm er eine hastige Bewegung im Altarraum wahr.


In dem Moment, da Angel so geräuschvoll eine der Türen des
Hauptportals aus den Angeln getreten hatte, waren Doyle, Cordelia und
Elliot durch den Hintereingang in die Kirche gehuscht.

Leise hatten sie die Überreste des Kirchenchor-Probenraums hinter

sich gelassen und den Gang betreten, der geradewegs in den Altarraum
führte.

Eine Seitentür führte in die zerstörte Kapelle, die mit dem Chorraum

verbunden und vom Hauptschiff aus nicht einsehbar war.

Die Tür zum Chorraum fehlte; zwei Treppen führten hinauf zu der

Stelle, wo der Kult den Tisch mit Yunk'shs aufgebahrtem Restkörper
aufgebaut hatte.

Und hier hatten sie gewartet, bis das letzte Kultmitglied in den

Mittelgang getreten war, um sich am Kampf gegen Angel zu beteiligen.

Als die Luft rein war, schlichen sie zu dem provisorischen Altar.

Doyle packte die Schultern des verkohlten Dämonenkörpers, dem ein
großer Teil eines Armes fehlte, während Elliot vortrat, um ein Bein der
Leiche anzuheben.

Cordelia behielt den im Mittelgang tobenden Kampf im Auge, und der

Ausdruck auf ihrem Gesicht verriet Doyle, dass Angel alle Hände voll zu
tun hatte. Doyle versuchte, nicht daran zu denken; seine und Cordelias
Aufgabe bestand darin, die Leiche zu stehlen und den Zauber zu
sprechen.

Alles lief genau nach Plan, der darin bestand, dass Angel sämtliche

Kultmitglieder von Yunk'shs Restkörper weglockte, damit sie agieren
konnten. Alles läuft nach Plan, alles läuft nach Plan, sagte er sich immer
wieder...

... bis zu dem Moment, da die Stimme des Magiers durch die Ruine

gellte: »Diebe! Sie stehlen den Körper!«

»Los!«, sagte Elliot zu Cordelia und deutete auf die Beine der Leiche.
Mit vor Ekel verzerrten Zügen packte Cordelia zu. »Hab sie.«
»Los jetzt!«, rief Doyle, und dann setzten sich die beiden in

Bewegung.

Die Leiche des Dämons war erstaunlicherweise sehr leicht, und so

durchquerten sie rasch den Korridor. Mit dem Rücken stieß Doyle die
Tür auf, und dann waren sie auch schon draußen.

Plötzlich entglitten Cordelia die Beine der Leiche. Widerwillig bückte

sie sich und hob die Last wieder auf. »Dieses grausige Ding macht mich

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ganz fertig.«

»Mich auch«, sagte Doyle.
»Ihm fehlt ein Arm«, sagte sie.
Doyle zwang sich zu einem Grinsen. »Wiederbelebungen kosten

normalerweise einen Arm und ein Bein. Ich finde, er ist noch ganz gut
dabei weggekommen.«

Er hatte seinen Sportbeutel im Teppichlager zurückgelassen in der

Annahme, dass er beide Hände brauchen würde, um den Körper
fortzutragen. Als sie über den Parkplatz liefen, nahm Cordelia aus den
Augenwinkeln einen großen grauen Schatten wahr. Gebückt huschten
Doyle und sie in den Schutz einiger Büsche. In diesem Moment
durchschlug der Schatten krachend eines der vernagelten Kirchenfenster.

»Was zur Hölle war das?«, fragte Cordelia entsetzt.
»›Hölle‹ ist in diesem Zusammenhang gar nicht mal so verkehrt«,

flüsterte Doyle. Er war leichenblass geworden. »Das war der Vishrak.
Und er sah nicht eben gut gelaunt aus.« Er machte eine Kopfbewegung
in Richtung Teppichlager. »Los! Rein da!«

Angel schleuderte den Kuttenträger von seinem Rücken und sprang auf
eine der morschen Holzbänke.

Elliot war zurückgeblieben, um den Magier aufzuhalten, und im

Moment gab es nichts, was Angel tun konnte, um dem Jungen zu helfen.
Er hatte sein Brecheisen verloren und war eingekreist von Messern und
Pflöcke schwingenden Kultmitgliedern.

Elliot war unbewaffnet, und der Magier war gnadenlos. Blitzschnell

stieß er dem jungen Mann das Messer in den Bauch und drehte es
mehrmals herum, um die inneren Verletzungen so tödlich wie möglich
zu machen. Doch Elliot hatte noch ein

ASS

im Ärmel, genauer gesagt

seinen linken deformierten Arm. Er war dick, von harter grauer Haut
überzogen und lief in drei klauenhaften Fingern aus. Er ballte die Hand
zur Faust und schlug dem Magier damit hart gegen die Schläfe. Der
Mann erstarrte, stolperte und brach über dem provisorischen Altar
zusammen.

Mit seiner menschlichen rechten Hand versuchte Elliot zu verhindern,

dass seine Wunde aufbrach, doch es war zu spät. Alle Kraft schwand aus
seinem Körper, und dann brach er auf dem Boden zusammen.

Angel trat unterdessen einem der Brüder ins Gesicht und brach ihm

den Kiefer. Da knackte und ächzte der Boden unter der Bank, auf der er
stand, und dann brach er ein. Angel rettete sich mit einem Satz zur Seite,
wobei er zwei seiner Angreifer mitriss.

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200

Nachdem er sich gerade aus dem Gewühl von Armen und Beinen

befreit hatte, war es ihm unmöglich, auch noch das Brecheisen
abzublocken, das nun auf ihn niedersauste, während er sich gerade
aufrappelte. Lediglich ein kleiner Satz zur Seite konnte Schlimmeres
verhindern, doch er hörte, wie seine Schädeldecke unter der Heftigkeit
des Schlags brach.

Er stolperte rückwärts und dann knickten die Beine unter ihm ein. Auf

Knien und Händen bewegte er sich weiter, doch er wusste, er war zu
langsam. Im Stillen wünschte er Doyle und Cordelia viel Glück.

Da vernahm er plötzlich das Geräusch splitternden Sperrholzes,

gefolgt von dem unmenschlichen Gebrüll des Dämons, der soeben durch
eines der vernagelten Kirchenfenster in den Mittelgang gesprungen war.
Gesteinsbrocken flogen umher, und uralter Mörtel und Kalk rieselten auf
ihn nieder.

Der Dämon war nun fast zweieinhalb Meter groß, hatte stahlharte

Arme und Beine und einen durch die Luft peitschenden
stachelbewehrten Schwanz, der durch das morsche Kirchengestühl fuhr,
als wäre es aus Pappe.

»Der Dämon!«, schrie der Magier und kam schwankend auf die Füße.

»Es ist immer noch Zeit, ihn zu unterwerfen!«

»Deine Zeit ist abgelaufen«, donnerte die Stimme des Dämons durch

die Ruine. »Ihr seid Narren, wenn ihr glaubt, ihr könntet mir euren
Willen aufzwingen!« Wie um seinen Standpunkt zu untermauern, packte
er den erstbesten Bruder an der Kehle und riss ihm so rasch einen Arm
aus, als ob er ein zerkochtes Hühnchen zerlegte.

Der Mann schrie auf und wischte sich hektisch über die Augen.

Yunk'sh ließ sein Opfer fallen und stampfte direkt auf ihn zu. Mit seinen
mächtigen Händen umfasste er den blutverschmierten Kopf des Mannes,
drehte ihn ein paar Mal herum, dass die Nackenwirbel krachten, und
trennte ihn dann mit einem leichten Ruck vom Körper.

Yunk'sh warf den abgetrennten Kopf in Richtung des Magiers, der

gerade hektisch den Inhalt eines lackierten Kästchens durchwühlte. Der
Schädel traf die Überreste der Kommunionsbank und riss sie um.

»Haltet ihn!«, rief der Magier den anderen zu.
Doch er musste sich keine Sorgen machen, denn der Dämon hatte

durchaus vor, noch ein bisschen zu bleiben und sich einen nach dem
anderen vorzunehmen. Als Nächstes rammte er den Kopf eines Bruders
in die Wand und bohrte fast im Vorbeigehen die drei Finger seiner rech-
ten Hand in den Brustkorb eines weiteren.

Für Angel sah es aus, als ob der Dämon mit jedem weiteren Mord noch

ein Stück wuchs und an Gewicht und Stärke zulegte.

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201

Der Boden ächzte unter dem immensen Gewicht des Vishrak und

wurde mit jedem seiner Schritte aufs Neue erschüttert.

Angel zog sich auf die Beine und war erstaunt, dass er schwankte. Blut

bedeckte die eine Seite seines Kopfes vom Scheitel bis zum Hals. Seine
Sicht war unscharf, und jedes Objekt in seinem Blickfeld war von einem
Geisterbild umgeben wie bei einem schlechten Fernsehempfang.

Willem hatte in jeder Hand ein Messer und kam nun mit

vorgestreckten Armen auf den Dämon zu. Als er sprach, konnte er ein
leichtes Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken. »Wir werden dich
unterwerfen!«

Das dröhnende Gelächter des Dämons erschütterte die marode Kirche

und drang hinaus bis in die sternenklare Nacht.

Zögernd hob Willem seine Waffen.
Mit der Leichtigkeit eines Tänzers machte Yunk'sh einen Schritt

vorwärts, packte Willems Handgelenke und riss daran. Der Alte fiel um,
und der Dämon hielt Willems abgerissene Anne, deren Fäuste noch
immer die Messer umklammerten, in den Händen. Und mit ihnen nagelte
er nun Willems Oberkörper am Boden fest.

Jetzt waren nur noch Vincent und der Magier übrig.
Mit tauben Fingern bückte sich Angel nach seinem Brecheisen. Als

Vampir heilten seine Wunden schnell, doch auch dieser Prozess
benötigte seine Zeit. Und er brauchte Zeit, um wieder zu Kräften zu
kommen, ganz zu schweigen von seinen Sinnen.

»Wo ist mein Restkörper, Zauberer?«, verlangte Yunk'sh zu wissen. Er

trat eine der Sitzbänke aus dem Weg; sie flog viele Meter weit durch die
Kirche. Dann stürmte er den Mittelgang entlang.

Nervös stand Vincent vor dem Magier und umklammerte mit beiden

Händen ein Messer. »Omni, seid Ihr bereit, ihn zu unterwerfen?«

»Nur einen Moment noch«, sagte der Omni, während er sich das grüne

Elixier auf die letzten Fingerkuppen strich. Als dies geschehen war,
begann die Flüssigkeit, hell zu glühen. »Ich bin bereit.«

In diesem Moment hatte Yunk'sh sie erreicht und riss Vincent das

Messer aus der Hand. In der nächste Sekunde hatte er ihm damit die
Kehle aufgeschlitzt. Mit aufgerissenen Augen presste Vincent beide
Hände auf die Halsschlagader, doch dann schwankte er und fiel um.

Der Omni kam mit ausgestreckten Fingern auf den Dämon zu.

»Yunk'sh, ich unterwerfe dich unserem Willen und für unsere Zwecke.«

»Du bist allein, Zauberer!«
»Du wirst leben, um uns zu dienen. Wenn ich meine Hände auf dich

lege, wirst du vor mir niederknien!«

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202

Die Schneide des Messers blitzte auf, einmal, zweimal, dann ertönte

ein dumpfes Geräusch, als die abgetrennten Hände des Omni zu Boden
plumpsten. Die grünen Fingerkuppen hatten aufgehört zu glühen. »Du
solltest uns zu Diensten sein!«, schrie er außer sich. »Es ist unser Recht.«

»Du langweilst mich, Sterblicher«, sagte Yunk'sh. Wieder sauste die

Klinge durch die Luft, und dann rollte der kahle Kopf des Omni von
dessen Schultern. Der Körper schwankte noch ein paar Mal, dann stürzte
er zu Boden wie ein gefällter Baum.

Dies alles geschah in geradezu unglaublicher Geschwindigkeit. Und

Angel fragte sich, ob Doyle und Cordelia bereits begonnen hatten, den
Spruch aufzusagen. Würde er funktionieren? Er musste den Dämon so
lange aufhalten, bis er es herausgefunden hatte. Und so trat er jetzt aus
dem Schatten eines Pfeilers hinaus in den Mittelgang. »Du hast
jemanden vergessen!«

Yunk'sh wirbelte herum. »Ah ... der Vampir. Angel.«
»Höchstpersönlich«, sagte Angel und ging mit dem Brecheisen in

Kampfstellung.

»Du irrst, wenn du glaubst, dass du mich jetzt noch besiegen kannst.«
»Nenn mich einen Idioten, aber ich werde es trotzdem versuchen.«
Der Dämon donnerte heran wie eine Herde Büffel.
»Vermutlich nicht meine beste Idee«, murmelte Angel.


Sie standen in der Mitte eines mit Kreide gezogenen Kreises im
schwachen Licht einer einzigen Kerze.

Cordelia nahm das Messerund verzog das Gesicht, als sie einen langen

vertikalen Schnitt am Hals der verbrannten Dämonenleiche ausführte.
Als sie die Kugel in der Kerbe nahe dem Schlüsselbein versenkte, schlug
Doyle den alten Folianten an der Stelle auf, die er zuvor markiert hatte.
Dann holte er aus seinem Sportbeutel ein Fleischbeil. Er umklammerte
den Griff mit beiden Händen und hielt die Klinge etwa einen halben
Meter über der Kugel in der Luft.

»Lies den Spruch dreimal«, flüsterte er Cordelia zu. »Und nenne ihn

immer dort bei seinem Namen, Yunk'sh, wo im Text ›Dämon‹ steht.«

»Noch was?«
»Ja, beeil dich!«, erwiderte Doyle.
»Was, wenn es nicht funktioniert?«
»Wir werden nicht lange genug leben, um uns darüber noch Sorgen

machen zu müssen.«

Cordelia las den Spruch dreimal, und mit jeder Wiederholung wurde

ihre Stimme lauter und zuversichtlicher:

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203

»Yunk'sh, tibi impero ut in hoc corporem regrediaris. Yunk'sh, tibi

impero ut hanc ampullam animes. Yunk'sh, tibi impero ut in hac figura
habites.«

Doyle übersetzte sich im Geiste die Beschwörung in seinen eigenen

Worten: »Yunk'sh, ich befehle dir, in diesen Körper zurückzukehren.
Yunk'sh, ich befehle dir, dieses Gehäuse wieder zu beleben. Yunk'sh, ich
befehle dir, fortan in dieser Form zu verweilen.«

Sie warteten, starrten auf die noch immer dunkle Kugel, warteten und

warteten, dann sahen sie sich schweigend an. Schließlich sagte Doyle:
»Wir sind tot.«

Angel riss das Brecheisen in die Höhe, doch Yunk'sh raste geradewegs
in ihn hinein und riss ihn zu Boden.

Als er hintenüberfiel und sich dabei mehrmals überschlug, wusste

Angel, er hatte nur noch wenige Sekunden, bevor der Dämon ihn
zerschmettern würde.

Er hockte auf dem Boden, das Brecheisen erhoben, als ein Teil des

Mittelgangs unter dem immensen Gewicht des Dämons einbrach. Einer
seiner riesigen Füße versank im morschen Untergrund, und Yunk'sh
stürzte. Noch im Fall bekam er Angels Fessel zu packen und riss ihn
wieder von den Beinen. Dann packte er den Fuß seines Gegners und zog
ihn zu sich. Noch immer hielt Angel das Brecheisen fest umklammert,
und als er nah genug war, stieß er es dem Dämon in die Brust.

Yunk'sh brüllte vor Schmerz laut auf und zog heftiger an Angels Bein.

Gleichzeitig griff er sich mit der freien Hand einen der zahlreichen
herumliegenden Holzpflöcke und brachte ihn in Position, um ihn seinem
Peiniger ins Herz zu stoßen.

In diesem Moment erbebte der Körper des Dämons wie unter einem

heftigen Fieberanfall. »Was ist das?«, brüllte Yunk'sh.

Mit seinem freien Fuß trat Angel ihm mitten ins Gesicht. Er fühlte, wie

die Kraft aus Yunk'sh Arm schwand, und konnte sich schließlich aus
seinem Griff befreien und außer Reichweite kriechen.

Wie rasend kletterte Yunk'sh aus dem Loch im Boden, doch da wurde

sein Körper erneut geschüttelt. Und plötzlich verharrte er reglos auf der
Stelle, als ob jemand einen Film angehalten hätte.

Ein grünes Leuchten umgab die riesige graue Gestalt und verflüchtigte

sich sodann wie Morgennebel.

Da erzitterte der Körper des Dämons erneut.


Erschüttert starrte Doyle auf die noch immer dunkle Glaskugel.

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204

Plötzlich glimmte ein kleines grünes Licht in ihrem Innern auf, nicht

größer als ein Stecknadelkopf. Langsam breitete es sich aus, bis die
Intensität des Leuchtens zum Hinsehen fast zu stark war.

Der verkohlte Körper des Dämons begann zu zittern, und dann

vibrierte auch der Boden im Teppichlager.

Cordelie kreischte auf und machte einen Satz zurück. »Tu es! Jetzt!«
»Mit Vergnügen«, sagte Doyle und grinste grimmig. Er hob das Beil

hoch in die Luft. Dann ließ er es auf die schwarze Kehle der
Dämonenleiche niedersausen, zerschmetterte dabei die Kugel und trennte
den Kopf vom Körper. Eine laute Implosion war zu hören, während
grüne Flammen aufloderten und das Geräusch sofort erstickten.

Das Licht der weißen Kerze flackerte und zuckte, wurde schwächer,

doch es brannte weiter.

Als sie wieder sehen konnten, war von dem Restkörper des Dämons

nichts mehr übrig als ein Häufchen Asche.

»Ist es vorbei?«, fragte Cordelia. »Ist der Dämon diesmal wirklich

tot?«

Doyle nickte. »Und da heißt es immer, man stirbt nur einmal ...«























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205

Epilog



»Und? Ist Kate jetzt glücklich?«, fragte Doyle.

»Das ist sie. Und vor allem ist sie froh, dass es vorbei ist«, sagte

Angel. »Als sie aufgrund unseres anonymen Anrufs bei der Kirche
eintrafen, haben sie ja nur die Leichen dieser Kultmitglieder
vorgefunden. Ihre Theorie wurde damit bestätigt.«

»Was ist eigentlich mit dem neuen Körper des Dämons geschehen?«,

wollte Cordelia wissen.

»Er hatte nie Gelegenheit, sich vollständig auf der physischen Ebene

zu manifestieren. Daher ist er einfach verschwunden.«

»Er hätte eine Reiserücktrittsversicherung abschließen sollen«,

witzelte Doyle.

»Und nachdem Elliot gestorben war – oder vielleicht auch, nachdem

Yunk'sh gestorben war –, wurde Elliots letzter Wunsch erfüllt. Er hat
seinen menschlichen Körper zurückerhalten. Haarlos zwar, aber durch
und durch menschlich.«

Das Telefon klingelte, und Cordelia nahm ab. Doch je länger sie dem

Anrufer lauschte, desto tiefer wurden die Falten auf ihrer Stirn. »Wovon
reden Sie? Nein, Sie perverses Schwein!« Wütend knallte sie den Hörer
auf die Gabel.

»Was war das?«, fragte Doyle.
Da klingelte das Telefon erneut, doch diesmal nahm Cordelia den

Anruf zögernder entgegen. »Nein! Und Sie sind ein widerwärtiger
kleiner Wicht.«

»Derselbe Typ?«, fragte Angel.
Cordelia schüttelte den Kopf, doch bevor sie zu einer Erklärung

ansetzen konnte, klingelte es schon wieder. Sie hob ab und sagte:
»Bleiben Sie bitte dran.« Da bimmelte es auf der zweiten Leitung, und
sie legte dieses Gespräch ebenfalls in die Warteschleife. »Was zum
Teufel ist hier eigentlich los?«

In diesem Moment spazierte Arnold Pipich durch die Tür und grinste

von einem Ohr zum anderen. »Habt ihr das gesehen? Wir haben
fünftausend Hits auf der Site!«

»Was? Aber wie?«, fragte Cordelia. »Einen Moment mal! Diese

ganzen Anrufe ... Arnold, was hast du getan?«

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206

»Also, als Erstes habe ich die Site bei allen Suchmaschinen

angemeldet, aber das war nicht genug, weil, nun, ihr wisst ja, es gibt
täglich Millionen neuer Webpräsenzen da draußen. Also hab ich dieses
Preisausschreiben ins Leben gerufen: ›Gewinnen Sie eine Nacht der
Leidenschaft mit einem jungen heißen Hollywood-Sternchen!‹«

»Du hast was?« Cordelias Augen wurden groß und rund.


»Also, ich hab mir... ähem ... deine Set-Karte ausgeliehen ... lag ja in
deinem Schreibtisch ... Und dann hab ich ein paar der Hochglanzfotos
eingescannt und sie auf die Site gestellt. Na ja, und dann hab ich die
URL in verschiedenen Mailinglisten gepostet. Mucho Traffic!« »Bist du
noch ganz dicht? Seit heute ruft hier jeder Perverse von L.A. an!«

»Mach dir keine Sorgen«, sagte Arnold und zwinkerte Cordelia zu.

»Ich hab's so gedreht, dass ich der Gewinner sein werde.«

»Lies erst mal das Kleingedruckte«, sagte Cordelia. »Mitarbeiter und

deren Familienangehörige sind von der Verlosung ausgeschlossen.«

»Cordelia«, ließ sich nun Angel vernehmen. »Ich hatte von Anfang an

so meine Bedenken, was diese Homepage angeht.«

»Ja!« Cordelia nickte entschlossen. »Du brauchst nichts mehr zu

sagen.« Und an Arnold gerichtet: »Zieh den Stecker, du kleiner Scheißer,
aber sofort!«

Arnold ließ die Schultern sinken. »Na gut.«
Da klopfte es an der Tür.
Es war Chelsea Monroe. Heute trug sie ein ärmelloses moosgrünes

Kleid, das sehr gut zu ihrem brünetten Haar passte. »Kriege ich eine
Minute, um mich zu entschuldigen?«

Angel nickte und geleitete sie in sein Büro. Selbst bei geschlossener

Tür konnte er hören, wie Cordelia den kleinen Arnold Pipich
beschimpfte. Kopfschüttelnd nahm er gegenüber Chelsea Platz.

»Als Erstes«, begann sie, »möchte ich mich für die Piano-Bar

entschuldigen.«

»Schon vergessen.«
Chelsea lächelte, schlug die Beine übereinander und sah ihn einen

Moment lang schweigend an. »Ich bin Journalistin«, sagte sie
schließlich. »Ich habe nur eine Frage, und ich möchte Sie bitten, sie mir
zu gewähren.«

Er nickte.
»Warum unterdrücken Sie eigentlich einen natürlichen Impuls? Ich

meine, ich bin von Ihnen angezogen, und ich denke, umgekehrt ist es
genauso.«

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207

Angel seufzte, denn die Wahrheit durfte wieder einmal nicht

ausgesprochen werden: Weil ich eine Lüge bin, der personifizierte
Betrug. Du hast eine ganz bestimmte Vorstellung davon, wer und was
ich bin. Aber das bin nicht wirklich ich; es ist nur eine Maske, die ich
trage, eine willkommene Täuschung, die es mir erlaubt, in eurer Welt zu
leben. Du könntest nie akzeptieren, was ich bin, und wenn doch, so wäre
es dennoch keine Option, dachte er.

Es war ein Dilemma, doch er fand, sie hatte eine Antwort verdient,

eine ehrliche Antwort, und da erinnerte er sich plötzlich.

Als der Verblendungszauber des Dämons ihn in Elliots Wohnung

erreicht hatte, da wurde ihm sein sehnlichster Herzenswunsch gezeigt –
und diese Illusion war nicht Chelsea Monroe gewesen. Er hatte Buffy
gesehen ... immer noch Buffy. »Ich versuche gerade, über jemanden
hinwegzukommen«, sagte er schließlich. »Jemand, der mir immer noch
sehr viel bedeutet.«

Chelsea sah rasch zur Seite, dann nickte sie tapfer und blickte ihn

wieder an. »Sie muss etwas ganz Besonderes sein.«

Angel lächelte, doch es war ein bittersüßes Lächeln. »Das ist sie.« Und

ich werde nie wieder mit ihr zusammen sein können, dachte er.

»Was für eine glückliche Frau sie doch ist«, sagte Chelsea, erhob sich

und verließ sein Büro.

Später, lange nachdem Cordelia Arnold aus dem Dienst entlassen

hatte, trat Angel hinaus in den Rezeptionsbereich.

Doyle und Cordelia unterbrachen ihre Unterhaltung und sahen ihn an.

»Du hast sie abgeschossen, stimmt's?«, fragte Cordelia.

»Sie war nur an dem Bild interessiert«, sagte Angel.
»Angel, du bist ein Bild von einem Mann«, sagte Cordelia. »Und das

meine ich in jeder Beziehung. Du magst deine gesamte Existenz darüber
definieren, dass du ein Vampir bist. Aber du bist mehr als das. Du bist
ein guter Mensch. Du sagst, du hilfst den Hilflosen, und das tust du.
Diesen Mann hat sie gesehen, Angel. Und dieser Mann ist real.«

In Doyles Augen glimmte so etwas wie ein Funke Hoffnung auf. »Sie

hat Recht.«

Und Angel dachte: Ja, vielleicht ist es so.


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