Massai Mara in Kenia
Der Untergang des Paradieses
Von Thilo Thielke, Nairobi
Kenias Tierparadies Massai Mara droht der Kollaps: Wegen der bürgerkriegsartigen
Unruhen trauen sich kaum noch ausländische Gäste für eine Safari ins Land. Die
Jagdaufseher können nicht mehr bezahlt werden, die Wilderei nimmt epidemische Ausmaße
an.
Als der US-amerikanische Fernsehsender ABC Ende 2006 gemeinsam mit einem Expertengremium
in einer feierlichen Zeremonie die sieben alternativen Weltwunder kürte, da platzte Kenia fast vor
Stolz. Denn neben dem tibetischen Potala Palast, der Altstadt von Jerusalem, der isländischen
Vulkanwelt, hawaiianischen Korallenriffs, dem Internet und den mexikanischen Maya-Pyramiden
fiel die Wahl auch auf die Massai Mara mit ihrer einzigartigen Gnu- und Zebramigration.
Einmal im Jahr wird dieses Naturreservat nämlich von einer Invasion dieser Grasfresser
heimgesucht: Zwei Millionen Tiere ziehen dann in endlosen Kolonnen aus der tansanischen
Serengeti hinüber. Sie folgen dem Regen, und viele werden auf ihrem Zug von Krokodilen gerissen,
die das ganze Jahr schon an den Flussläufen auf die fette Beute warten. Diejenigen aber, die
durchkommen, lösen eine faszinierende Kettenreaktion aus.
Den Grasfressern folgen nämlich die Fleischfresser: die Löwen, Geparden, Hyänen, Leoparden und
Schakale, und denen folgen die Geier, Adler und Bussarde. Doch was die Kenianer ganz besonders
freut, ist, dass dieser gewaltigen tierischen Karawane immer auch eine menschliche folgt: viele
Japaner und rotgesichtige Wazungu, wie die Weißen hier genannt werden. Die meisten von ihnen
haben sich als mehr oder weniger ansehnliche Kreuzungen aus Robert Redford ("Jenseits von
Afrika") und Lettow-Vorbeck (WK I) verkleidet. Sie tragen khakifarbene Safarihüte, Ferngläser und
Shorts, tagsüber werden sie in weißen Minibussen durch die Wildnis gefahren, und abends trinken
sie Gin Tonic oder Amarula-Likör und erzählen sich gegenseitig ihre Abenteuer.
Sie wandeln auf den Spuren der Schriftstellerin Tania Blixen und der Jäger Ernest Hemingway und
Theordore Roosevelt, der 1910 berichtete: "Auf den Steppen schwärmt es von Herden seltsamer
und schöner Tiere, die nirgends ihresgleichen haben, sowie von anderen, die sogar noch
merkwürdiger sind und sowohl an Gestalt wie an Gemütsart etwas Phantastisches und Groteskes
haben. Es ist ein nimmer endendes Vergnügen, die gewaltigen Herden von Antilopen zu
betrachten."
Manchmal warten 120 Autos auf die Gnus
70.000 dieser Safari-Gäste stürmen so jedes Jahr die 1500 Quadratkilometer kleine Massai Mara,
und wenn unter irgendeiner Schirmakazie ein faules Löwenrudel döst, dann kommt es nicht selten
zum Stau der Minibusse mit all den knipsenden Fremden an Bord. Einige sind der Meinung, dass
mittlerweile viel zu viele Menschen in der Massai Mara sind. Aris Grammaticas zum Beispiel, der
Gründer des berühmten und sehr vornehmen "Governor's Camp" lästerte: "Manchmal stehen da 120
Autos am Fluss und warten auf die Gnus. Die Gäste kommen nachher zurück ins Camp und fragen:
Warum sind denn hier so viele Wagen? Ist das etwa eine Stadt?" Ganz unrecht haben die Gäste
nicht, denn eine Kleinstadt beherbergt die Massai Mara mit ihren 8000 Betten, die während der
Great Migration oft Wochen vorher ausgebucht sind, schon.
Die Gemeinde Narok, die das Reservat verwaltet, freut sich aber über diesen Ansturm. Sie lebt
nämlich davon, und sie lebt davon nicht schlecht: 70 Millionen Dollar fließen jedes Jahr durch den
Tourismus in ihre Kassen (wovon nach Schätzungen des kenianischen Tierschützers Richard
Leakey allerdings 70 Prozent auch gleich wieder in dubiosen Kanälen verschwinden). Von dem
Geld aber, das nicht gleich versickert, werden die Wildlife-Ranger finanziert, die dafür sorgen, dass
die Tierwelt halbwegs ungeschoren bleibt. Denn in zunehmendem Maße drängen Massai-Hirten mit
ihren Rinderherden in das Reservat. Und auch immer mehr Wilderer machen sich über Antilopen,
Zebras oder Kudus her.
Im Jahr 2007 wurden von den Tierschützern fast 500 Drahtfallen in der Mara entdeckt, 15 Tiere
konnten gerettet und 46 nur noch tot geborgen werden. Mehr als 900 Wilderer waren in den
vergangenen Jahren in der Massai Mara festgenommen worden, viele von ihnen kamen aus
Tansania. Wie hoch die Verluste jedoch wirklich sind, darüber gibt es nicht einmal eine Schätzung.
Kein Geld mehr für die Ranger - der Tierschutz kollabiert
Probleme existierten in dem einzigartigen Gebiet also schon seit langem, und deshalb auch fand
Kenias Tageszeitung "Daily Nation" die Schlagzeile "Massai Mara, unser Ruhm, unsere Schande"
für das berühmte Naturschutzgebiet. Seit die kenianische Regierung aber im Dezember 2007 die
Präsidentschaftswahlen fälschte und das ostafrikanische Land im Chaos versinkt, herrscht in der
Massai Mara akute Not.
Simbabwe ist das abschreckende Beispiel
Die Touristenzahlen in den Nationalparks und "Game Reserves" sind dramatisch eingebrochen, sie
sind in den vergangenen Wochen um rund 90 Prozent geschrumpft. Hotels mussten schließen,
Mitarbeiter entlassen werden. Weil kaum noch ein Tourist kommt und die hohen Parkgebühren (30
Dollar) zahlt, geht dem "Mara Conservancy Trust", der für den Tierschutz verantwortlich ist, das
Geld aus.
Die Folgen hält die Tierschutzorganisation Wildlife Direct bereits jetzt für katastrophal. Die Massai
Mara, berichten die Aktivisten, sei "ernsthaft bedroht durch weitverbreitete Wilderei in Folge des
Zusammenbruchs des Tourismus". Weil kein Geld mehr für die Ranger eingenommen werde, drohe
nun auch der Kollaps des Tierschutzes.
"Wir erwarten einen drastischen Anstieg der Wilderei", befürchtet auch der Chef des Mara
Conservancy Trusts, Brian Heath: "Die Tierwelt der Mara zieht nicht nur Tausende von Touristen
an, sondern auch Wilddiebe, die es auf Bushmeat abgesehen haben." Zudem dürften auch die
wachsenden sozialen Spannungen zu einem Anstieg der Wilderei führen. Abschreckendstes Beispiel
für einen derartigen Trend ist Simbabwe, das von einem ruchlosen sozialistischen Tyrannen ruiniert
wird und dessen Nationalparks von Wilderern bereits nahezu zerstört sind. Zudem ist auch Narok,
die nächstgelegene Großstadt auf dem Weg nach Nairobi, bereits in den Strudel ethnischer Gewalt
gezogen worden, die derzeit das ganze Rift Valley heimsucht.
Jagdaufseher Joseph Kimojino, Chef der Tourismus-Sektion bei der Mara Conservancy, ist schon
weitgehend beschäftigungslos. "Jetzt, wo die Touristen nicht mehr kommen, bin ich zu Hause bei
meiner Familie", schreibt er in seinem Blog, "das heißt nicht, dass es keine Arbeit mehr für uns gibt,
sondern dass es kein Geld mehr gibt, um uns weiter zu beschäftigen. Es ist hart, aber wir wissen
nicht, wann die Touristen zurückkommen werden. Dies sollte eigentlich eine unserer besten Saisons
werden. Aber ohne das Geld, das wir sonst durch die Eintrittsgebühren einnehmen, werden wir alle
unsere Operationen drastisch einschränken müssen."
Richard Leakey, der als damaliger Direktor des staatlichen "Kenya Wildife Service" Anfang der
neunziger Jahre die kenianischen Elefanten vor dem Untergang rettete, will nun Spenden sammeln,
um die Hege der Massai Mara von den Tourismuseinnahmen unabhängig zu machen: "Wir haben
die Verantwortung, diese außergewöhnliche Wildnis nicht nur für die Kenianer, sondern für die
ganze Welt, zu retten. Wenn wir nichts tun, laufen wir Gefahr, sie für immer zu verlieren."