Hexen und Drogen im Mittelalter
Geschichtliche Daten entnehmen wir dem Canon episcopi (um 900) von Regio von Prüm,
einer Schrift über Kirchenzucht, in der erstmals von verbrecherischen Weibern die Rede ist,
die mit dem Teufel einen Pakt eingegangen sind. Im Lateranum IV (1215) werden die
Gläubigen verpflichtet, Ketzer der Kirche zu überantworten. Um das Jahr 1231 schließlich
unterstützt Friedrich II. von Hohenstaufen die Kirche bei der Verfolgung der Gottlosen durch
die Konstitutionen von Melfi. Kraft Gesetz werden die Ketzer und Giftmischer von nun an
mit dem Tode bestraft. Dokumentiert ist die erste Hexenverbrennung im Jahre 1275 n. Chr. in
Toulouse, während in Deutschland die Hexenprozesse erst mit dem Jahre 1484 beginnen. Im
Jahre 1489 avanciert der Malleus maleficarum, der Hexenhammer, zum Lehrbuch der Richter
in den Hexenprozessen.
Die häusliche Krankenpflege gehört seit Anbeginn zum ureigensten Bereich der Frau. So
nimmt es nicht wunder, dass es vor allem die Frauen waren, die der Pflanzen kundig waren
und sie nutzbar machten. Ihre Kenntnisse über die Wildkräuter zur Nahrungsergänzung und
Heilmittel wie auch deren Missbrauch brachten ihnen im Volke gar oft den Namen einer
Zauberin ein. Stellten sie doch aus den Pflanzen, welche auf Psyche oder Organismus
einzuwirken vermögen, oft Liebestränke, Abtreibemittel oder gar todbringende Tränke her.
Aus der Geschichte der Antike wissen wir, dass die halluzinogenen Drogen in der Religion
eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Die berühmtesten Zauberinnen waren die Schwestern
Kirke und Medea, die Töchter der dreiköpfigen Hekate, welche, schwarz vermummt, von
Riesenhunden begleitet, durch die Nacht schwärmte. Sie war die Herrin des Hexenwesens.
Nach Hansen ist die Hexe diejenige, die den Raum der Wirklichkeit mit Hilfe ihrer magischen
Kräuter verlassen kann, um in eine andere Wirklichkeit zu fliegen, zum Fest auf dem
Bocksberg, oder dem Hexen-Sabbat, der dadurch gekennzeichnet ist, dass hier alle Dinge
getan werden durften, die sonst durch kirchliche Moralvorstellungen untersagt waren, wie
z.B. der übermäßige Genuß von Alkohol und das Einatmen rauschgiftartiger Dämpfe. Diese
Laster wurden hauptsächlich Frauen zugeschrieben, da sie angeblich anfälliger für die Sünde
waren.
Der Abt Regio von Prüm schreibt in seinem Canon episcopi : Über die Frauen, die, wie sie
sagen, zur nächtlichen Stunde mit Dämonen durch die Lüfte reiten... verführt durch Illusionen
und Phantasmen der Dämonen, vermeinen und behaupten, zu nächtlicher Stunde mit Diana,
der Göttin der Heiden, und einer zahlreichen Menge von Frauen auf irgendwelchen Tieren zu
reiten und große Bäume der Erde in der Stille der unheimlichen Nacht zu durchmessen, ihren
Befehlen wie einer Herrin zu gehorchen und in bestimmten Nächten zu ihren Diensten
aufgerufen zu werden.
In der Gesetzessammlung Friedrichs II. für das Königreich Sizilien heißt es u.a. : Wer böse
und schädliche Arzneien, welche die Sinne verwirren, oder Gifte gibt, vertreibt oder besitzt,
soll zum Tode verurteilt werden... Keiner, der einen Liebestrank oder ein Zaubermittel
bereitet, soll unbestraft bleiben, auch wenn er niemand schädigt.
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts werden von der Kirche, nachdem die meisten ketzerischen
Sekten ausgelöscht worden waren, die Hexen mit aller Macht bekämpft. Die Aussage der
Hexen, mit dem Teufel symbolisch verheiratet zu sein und mit dessen Hilfe fliegen zu
können, wurde ihnen zum Verhängnis.
Hieronymus Cardanus schreibt in seinem Buch De Subtilitate von einer Salbe, welche soll
der Kraft und Wirkung sein, dass man durch sie wunderbare Ding ersehen mag . Sie wird
zubereitet aus Kinderfeiste, Eppichsaft, Wolfskraut, Tormentill, Solano (Nachtschatten) und
Ruß.
Francis Bacon schrieb kurz vor seinem Tode (1626): Es heißt, dass die Salben der Hexen aus
dem Fett von aus ihren Gräbern geholten Kindern gemacht sei, aus dem Saft von wildem
Sellerie, Sturmhut und Fünffingerkraut, gemischt mit Mehl von feinem Weizen. Ich aber
glaube, dass es schläfrig machende Kräuter sind, mit denen sie die Wirkung erzielen, als da
sind : Bilsenkraut, Schierling, Alraune, Mondraute, Tabak, Opium, Safran, Pappelblätter...
Daß die Hexen, wie wir heute annehmen, oft Drogensüchtige waren, beschreibt schon
Cervantes (1547-1616) in den Novelas ejemplares (1612): Ich sehe und verstehe alles,
doch da der Genuß meinen Willen in Fesseln geschlagen hat, bin ich schlecht und werde auch
stets schlecht bleiben...Meine Salbe hat mir die schönsten Stunden verschafft.
Wir unterscheiden drei Flugsalben:
1. die magische Salbe
2. die indifferente Salbe und
3. die narkotische Salbe
In Hartliebs Buch aller verbotenen Kunst vom Jahre 1456 wird die magische Salbe aus
sieben Kräutern hergestellt. Die Hexen prechen yeckliches kraut an einem tag, der dann
demselben kraut zugehört, als am sundag solsequium (Wegwarte), am mentag lunariam
(Mondraute), am erctag verbenam (Eisenkraut?), am Mittwoch mercurialem (Bingelkraut),
am pfinztag barbam jovis (Hauswurz), am freitag cappillos veneris (Frauenhaar), am
sameztag adermonium (Odermennig) .
Paracelsus (1493-1541) schreibt über die indifferenten Flugsalben der Hexen : ...wozu sie
Katzen- und Wolfsfett, Eselsmilch und ähnliches nehmen, Dinge, die aber keine Wirkung
hätten...
Die narkotischen Salben enthielten meist Tollkirsche, schwarzes Bilsenkraut, Alraune,
Stechapfel, Mohn, gefleckten Schierling und Wasserschierling, Beifuß, Eisenhut,
Gundermann, Petersilie, Raute, Mutterkorn und Wurmfarn.
Nach der Anthropologin Margaret Alice Murray (1921 n. Chr.) soll im Altertum ein
Hexenkult bestanden haben, zu dem auch die Hexen des Mittelalters einen Bezug gehabt
hätten. Verehrt worden sei der Fruchtbarkeitsgott Dianus bzw. die Fruchtbarkeitsgöttin Diana.
Der Name des Gottes sei geheimgehalten worden und in späteren Zeiten mit Teufel
umschrieben worden. Um 400 n. Chr. wird in Kirchenkreisen von Menschen gesprochen, die
angeblich ihre Kinder töten, um so das ausgelassene Fett zur Bereitung von sogenannten
Flugsalben zu gewinnen.
Nach Hansen bestritten die Hexen im Mittelalter ihren Lebensunterhalt mit der Herstellung
ihrer giftigen und ungiftigen Kräutermischungen. Die Bereitung von Flugsalben, die sie in
den Körper einrieben (Oberschenkel oder Vulva), um zum Sabbat zu fliegen, gehörte
ebenfalls zu ihrem Tun. Auch den Besenstiel, das Attribut der Hexe, sollen die Hexen mit der
grünen Flugsalbe eingeschiert haben, um dann später auf ihm zu reiten.
Weitere, uns heute unbekannte Zauberpflanzen waren die Pflanzen Cemos und Catananche.
Homer erwähnt auch die Zauberpflanze Moly, die bis heute noch nicht identifiziert ist.
Überliefert ist desgleichen, dass verschiedene Orchideenarten von den griechischen
Zauberinnen zu Liebestränken verarbeitet wurden.
Die Kunst der Zauberinnen, Liebestränke zu bereiten und mit Beschwörungsformeln versehen
zu verordnen, war in Rom besonders verbreitet. Auch verstanden sich diese Frauen darauf,,
unerwünschte Personen durch Verordnung einer Mischung von giftiger Judenkirsche und
schwarzem Nachtschatten zu beseitigen. Plinius schreibt über die Wirkung der Judenkirsche,
auch Halicacabum genannt, folgendes: In der Gabe einer Drachme weckt dieses Kraut
unzüchtige Begierden und gaukelt nichtige Gestalten und Bilder als wirklich sichtbar vor.
Verdoppelt man dieses Maß, so erzeugt es wirklichen Wahnsinn, verstärkt man aber diese
Gabe noch einmal, so tritt der Tod ein.
Tausend Jahre hindurch war die Hexe der einzige Arzt des Volkes. Kaiser, Könige, Päpste
und reiche Barone konsultierten die Doctores aus Salerno oder jüdische Ärzte. Die Masse des
Volkes aber fragte nur die Saga oder eine kluge Frau um Rat, und wenn sie nicht heilte,
beschimpfte man sie und nannte sie Hexe. Besonders die Hebammen kamen in Verruf, Hexen
zu sein.
Von jeher halfen Frauen sich gegenseitig bei der Geburt. Die medizinische Praxis der
Hebamme umfasste sowohl Verhütungs- und Abtreibungsmethoden als auch
fruchtbarmachende Behandlung und Liebeszauber. Ihre Hilfe während der Geburt bestand in
der Darreichung beruhigender, wehenfördernder und wehendämpfender sowie blutstillender
Mittel wie z.B. Mutterkorn zur Einleitung der Wehen wie auch als Abtreibemittel. Der Klerus
interpretierte: die Hebamme verstößt damit gegen die biblische Forderung: Unter schmerzen
sollst Du gebären!
Die mittelalterliche Hebamme und Ärztin beweist, dass die Medizin durchaus zu jedem
Zeitpunkt der Geschichte eine ausschließlich von Männern entwickelte und betriebene
Wissenschaft war.
Im späteren Mittelalter erklärt die Kirche die von der Kribbelkrankheit (Ergotismus)
befallenen Menschen zu Opfern von Hexen und Hexern. Das Krankheitsbild der Mutterkorn-
Erkrankungen oder Epidemien war schon zu Zeiten Plinius und Dioscurides bekannt. In den
Jahren 590-1100 n. Chr. starben viele tausend Menschen in Frankreich an dieser Krankheit,
am heiligen Feuer, auch Antonius-Feuer genannt.Die Kirche erkannt in dieser Krankheit eine
strafe Gottes und interpretierte, der Mensch müsse als Buße in seinem eigenen Fleisch
schmoren. 1089 n. Chr. wird zur Verhütung der Seuche der Antoniusorden begründet. Man
erkennt, dass überall, wo Roggenmehl zu Brot verarbeitet wird, das Antoniusfeuer auftritt. Es
kommt zu Massenerkrankungen, und das heilige Feuer (Ignis sanctus) wütet 1577 in Hessen,
1588 und 1736 in Schlesien, 1641 im Vogtland, 1770 in Westfalen.
Im 17. Jahrhundert ist der Höhepunkt der Hexenprozesse erreicht. Der Jesuit Spee verurteilt in
seiner Schrift Cautio criminalis die grausamen Verfahren der Hexenprozesse, ebenso
wendet sich Universitätsprofessor Christian Thomasius (1655-1728) in Jena gegen die
Grausamkeit der Verbrennungen. Der Lutheraner Kleve-Berg erkennt die Drogensucht der
Hexen und spricht sich gegen Hexenprozesse aus. Im Jahre 1749 schließlich erklärt der
venezianische Priester Girolamo Tartarotti das Hexenwesen als eine Krankheit, die nicht von
der Justiz, sondern von der Medizin geheilt werden sollte. Das Jahr 1750 zeitigte durch
Gesetzgebung das Verbot der Hexenverbrennungen, gleichwohl wurde in Deutschland im
Jahre 1775 zum letzten Mal eine Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
aus Pflanzenheilkunde von Wolfgang Widmaier
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