Schattellstudie HSK


Kontrastive Fallstudie Deutsch - Polnisch

  1. Vorbemerkung

  2. Terminologische Entscheidungen

  3. Probleme der Wortklassen

  4. Kontrastive Probleme im verbalen Bereich

  5. Kontrastive Probleme im nominalen Bereich

  6. Kontrastive Probleme der Phorik

  7. Abschließendes

  8. Literatur in Auswahl

  1. Vorbemerkung

Die vorliegende Fallstudie soll die Problematik der kontrastiven Beschreibung des Deutschen und des Polnischen anhand der im Erscheinen begriffenen „Deutsch-polnischen kontrastiven Grammatik“ (im weiteren: DPG) veranschaulichen, die unter der Leitung Ulrich Engels von deutschen und polnischen Germanisten und Slawisten im Rahmen eines langjährigen Projekts erarbeitet wurde. Als theoretisches Konzept wurde der simultanen Beschreibung der beiden Sprachen die dependenzielle Verbgrammatik (DVG) zugrundegelegt. Ausgangspunkt für die Anlage der Beschreibung war die „Deutsche Grammatik“ von Ulrich Engel, u.a. auch deshalb, weil es in der Polonistik keine Tradition depedenzieller Grammatikschreibung gibt. Im Laufe der Erarbeitung der DPG waren natürlich Anpassungen und Veränderungen etwa im Bereich der Wortklassendefinition notwendig, da teilweise speziell für das Deutsche entwickelte und somit nur auf dieses anwendbare Kriterien wie beispielsweise das der Vorfeldfähigkeit sich nicht auf das Polnische anwenden lassen. Die Darstellungsweise wurde auf folgende Zielgruppen eingerichtet: „Studierende der jeweils anderen Sprache und ihre Lehrer, also polnische Germanisten und deutsche Polonisten / Slawisten, polnische Deutschlerner und deutsche Polnischlerner“ (DPG 7). Um die Verständlichkeit zu erleichtern und Übersichtlichkeit zu gewährleisten, erfolgt die Darstellung im Spaltensatz in folgender Weise: „Quer über eine Seite wird immer das geschrieben, was Gemeinsamkeiten beider Sprachen betrifft. […] Manifeste Unterschiede - etwa bei der Flexion, der Valenz, der Wortstellung u.s.f. - werden grundsätzlich zweispaltig geschrieben“ (DPG 9).

Das die Sprechakte als Elemente des Textes betreffende erste Hauptkapitel gibt keine dependenzielle Beschreibung der Beziehungen im Text, obwohl von Hans-Werner Eroms (1985) die Möglichkeit einer Einbeziehung der Sprechakttypen in die Beschreibung von Sätzen gezeigt wurde, weil die in der dependenziellen Satzbeschreibung und die in der dependenziellen Textbeschreibung „verwendeten Kategorien nicht auf Deckung zu bringen sind“ (Vorabdruck der DPG, 16). In der Einleitung zur DPG werden die Begriffe der Wortklassen, der Abhängigkeit, der Rektion und der Valenz sowie der Satzstruktur im Überblick dargestellt.

Im Folgenden sollen, nach einzelnen Bereichen geordnet, einige Beispielprobleme angesprochen werden, die im Rahmen der simultanen dependenziell orientierten Beschreibung des Deutschen und des Polnischen während der Arbeit an der DPG zu erwägen bzw. zu lösen waren, ohne daß näher dargestellt werden kann, in welcher Weise das im einzelnen geschehen ist.

  1. Terminologische Entscheidungen

Für die simultane Systembeschreibung zweier oder mehrerer Sprachen muß eine Beschreibungssprache gewählt werden, die nicht notwenig eine der beschriebenen Sprachen sein muß. Die Beschreibungssprache der DPG ist Deutsch, was insofern terminologische Konsequenzen hat, als im Falle der Isomorphie der Phänomene die üblichen polonistischen Termini nicht eingedeutscht werden, sondern die für das Deutsche installierten Benennungen auf Isomorphes im Polnischen bezogen werden. Bei nur dem Polnischen eigenen Phänomenen werden in der DPG möglichst durchsichtige, d.h. erscheinungs- bzw. funktionsorientierte Benennungen eingeführt, wie etwa die „Prädikativpartikeln”, mit denen die im Präsens ohne Kopula satzkonstitutiven Partikeln trzeba, można, warto, bezeichnet werden, weil diese zwar wie die deutschen Kopulapartikeln Dependens eines Kopulaverbs sind, aber im Präsens generell ohne ihr Regens, d.h. die Kopula, auftreten und somit das oberste Regens im Satz sind.

  1. Probleme der Wortklassen

Als Kriterium für die Unterscheidung von Subjunktoren und Konjunktoren ist im Deutschen das Kriterium der Endstellung des finiten Verbs in Subjunktivsätzen üblich und tauglich. Das Polnische indessen hat kein Kennzeichen der Unter- bzw. Nebenordnung eines Teilsatzes, was auch der Grund für gewisse Differenzen hinsichtlich der Klassifikation der Junktoren zwischen verschiedenen Grammatiken dieser Sprache sein mag. Für die DPG war ein Kriterium zu ermitteln, das eine klare Trennung der Subjunktoren von den Konjunktoren beider Sprachen erlaubt. Dieses Kriterium scheinen die Stellungsmöglichkeiten dieser Junktoren zu sein: Subjunktoren können vor dem ersten der beiden verbundenen Elemente oder zwischen diesen erscheinen, während Konjunktoren nur unmittelbar vor dem zweiten der verbundenen Elemente stehen können. Die Analogie zum Unterschied zwischen der klassischen mathematischen Notation (z.B. x+y) und der sog. polnischen Notation nach Łukasiewicz (z.B. +xy) ist kaum zu übersehen.

Auch die Einteilung der Modalpartikeln, Rangierpartikeln, Gradpartikeln, Kopulapartikeln und Abtönungspartikeln hinsichtlich ihrer dependenziellen Eigenschaften, neben ihren semantischen, mußte auf manche für das Deutsche genutzten Stellungskriterien verzichten, da diese nicht auf das Polnische anwendbar sind.

  1. Kontrastive Probleme im verbalen Bereich

Die beiden wesentlichsten Unterschiede zwischen dem deutschen und dem polnischen Verbalsystem bestehen darin, daß nur das Deutsche temporale Auxiliarverben besitzt, während nur das Polnische die grammatikalisierte Kategorie des Aspekts aufweist. Daraus ergeben sich in dem einen Fall verschiedene Dependenzdiagramme, im zweiten indessen semantische Differenzierungen, die im Deutschen teilweise nur lexikalisch wiedergegeben werden können. Im Dialog dagegen kann dank der temporalen Auxiliarverben der erfragte Vollzug unter Auslassung des Hauptverbs und des eventuellen Objekts allein durch das finite (Auxiliar)verb bestätigt werden: Hast du das abgeholt? - Ja, habe ich. Im Polnischen ebenfalls durch das Finitum, das hier das Hauptverb ist: Odebrałeś to? - Tak, odebrałem.

Das Polnische weist zwei Besonderheiten der verbalen Flexion auf:

Dies verlangt, einen anderen Begriff des sog. verbum finitum zugrunde zu legen. In einem Satz wie żebyście mi przyszli punktualnie! `Daß ihr mir ja pünktlich kommt!' muß die Präteritalform przyszli als Finitum gelten, obwohl sie nur die Numeruskategorie Plural trägt, während das Personalflexem der 2. Person (-ście) in den Subjunktor integriert ist.

In sog. unbestimmt-persönlichen Sätzen wird im Polnischen das präsentische Kopulafinitum jest (vom Infinitiv być) zu Prädikativpartikeln wie trzeba `man sollte' / muß' oder można `man kann' generell ausgelassen. Im Präteritum und im Futur muß die Kopula dagegen erscheinen (trzeba było, trzeba będzie). Im Gegensatz zu den deutschen allein bei Kopulaverben erscheinenden Partikeln wie quitt, leid, gram, konstituieren polnische Kopulapartikeln wie trzeba usw. im Präsens Sätze ohne das Finitum, was ihren Namen „Prädikativpartikeln” motiviert. In der Polonistik wird zudem die das präsentische Finitum des Kopulaverbs być vertretende Partikel to in Sätzen wie Piotr to mój znajomy `Piotr ist mein Bekannter' eben als „Kopulapartikel” bezeichnet.

Die Unterschiede in den Paradigmata des Konjunktivs haben syntaktische bzw. dependenzielle Konsequenzen. Die im Polnischen fehlende Möglichkeit der Kennzeichnung indirekter Rede durch einen dem deutschen Konjunktiv (I) vergleichbaren „Wiedergabeindex” (Engel 1988, 112) läßt keine asyndetisch-parataktischen Objektsätze des Redeinhalts wie im Deutschen zu, so daß solche Sätze generell von einem Subjunktor (meist że oder) abhängen.

Das deutsche verfügt im Konjunktiv I und II über Perfektformen wie habe gesehen, hätte gesehen mit Vergangenheitsbezug, denen im Polnischen heute, von veralteten Formen abgesehen, nur ein Konjunktivparadigma gegenübersteht, das alle Zeitbezüge abdeckt, zuweilen mit deren Verdeutlichung durch Temporalangaben. Die Dependenzdiagramme etwa polnischer Sätze der unerfüllbaren Bedingung stellen sich dementsprechend anders und zumeist einfacher dar.

  1. Kontrastive Probleme im nominalen Bereich

Die wesentlichste Differenz zwischen beiden Sprachen besteht in diesem Bereich darin, daß im Polnischen die Linearisierung der von einem Nomen abhängigen Attribute in solche links vom Nomen und solche rechts vom Nomen nicht in der Weise möglich ist wie im Deutschen, da etwa flektierte Adjektivattribute in begrifflichen Nominationen nachgestellt, in ad-hoc-Benennungen i.d.R. vorangestellt erscheinen.

Im Deutschen können die generell links vom Nomen erscheinenden Determinative danach ausgesondert werden, daß sie nicht mit dem sächsischen Genitiv kombinierbar sind. Die Determinative des artikellosen Polnischen indessen erscheinen nicht generell links vom Nomen, sondern auch rechts von diesem. Ihr Klassenmerkmal ist, daß sie in postnominaler Anordnung immer direkt hinter dem Nomen stehen.

Einige polnische Pronomina haben klitische Formen, die als thematische Elemente an bestimmte Positionen in einer Phrase gebunden sind, etwa: jego - go, jemu - mu. Es ist also eine Regel anzugeben, die die entsprechende Form solcher Dependentien festlegt.

Eine Scheindifferenz in den Dependenzverhältnissen von Nominalphrasen des Deutschen und des Polnischen wird deutlich an Syntagmen wie ein Liter altes Öl, wo Öl als Regens des „Mengenattributes“ ein Liter angesehen wird, das kongruent (als „nomen invarians“ bei Ulrich Engel bzw. traditionell als sog. „enge Apposition“) flektiert wird (mit einem Liter altem Öl). Die polnische Entsprechung jeden litr starego oleju zeigt ein von jeden litr abhängiges Genitivattribut, das die Menge spezifiziert. Die Abhängigkeitsverhältnisse waren einst im Deutschen ebenso deutlich: mit einer Karaffe edlen Weines. Erst die Kasusneutralisierung bzw. Anpassung hat in der Grammatikschreibung eine umgekehrte Darstellung der dependenziellen Hierarchie ermöglicht. In einer simultanen Beschreibung des Deutschen und des Polnischen ist daher zu prüfen, ob man die Beschreibung deutscher Syntagmen mit einem (kasusneutralisierten) kovarianten Nominalattribut „auf die Füße“ stellt, um nicht zwischen den beiden Sprachen strukturelle Kontraste zu suggerieren, die im Grunde genommen nicht vorliegen.

Die Gestalt der vom Verb abhängigen Elemente unterliegt bei Nominalisierungen im Deutschen stärkeren Veränderungen als im Polnischen, da hier sowohl Dativ- als auch Genitivobjekte und Instrumentalobjekte ohne Veränderung ihrer Form als Attribute in die vom Verbalnomen regierte Phrase integriert werden können, womit gewissermaßen die vom Verb ererbte Valenz des abgeleiteten Nomens auch formal deutlicher erhalten bleibt.

  1. Kontrastive Probleme der Phorik

Allgemein läßt sich für das Polnische sagen, daß es Kataphern stärker nutzt als das Deutsche. Andererseits entspricht den deutschen demonstrativen Determinativa der, die, das und dieser, diese, dieses im Polnischen nur ein solches (ten, ta, to). Zu Nomina, von denen Relativsätze abhängen, tritt im Polnischen ten, ta oder to, während im Deutschen nur der, die, das, nicht aber dieser, diese, dieses zu Bezugsnomina eines Relativsatzes treten. Letztere sind offensichtlich stark auf Anaphorik festgelegt, der, die, das indessen haben bivalente Phorik wie ihre polnischen Entsprechungen ten, ta, to.

Zu Bezugsnomina von Relativsätzen kann im Polnischen pro-adjektivisches taki, taka, takie gesetzt werden, dem zwar im Deutschen lexikalisch solcher, solche, solches entspricht, aber nicht (als Katapher) zu Bezugsnomina von Relativsätzen tritt. Zum Vergleich: Wir suchen nur eine (?solche) Lösung, die wirklich dauerhaft ist. - Poszukujemy tylko takiego rozwiązania, które jest naprawdę trwałe.

In manchen Fällen bedingt diese ausgeprägte Kataphorik auch Strukturdifferenzen, so daß beispielsweise ein deutscher Gliedsatz einen polnischen Attributsatz zum Äquivalent hat: Daß du das vorher gewußt hast, bedeutet, daß du leider unehrlich warst. - To, że wiedziałeś to przedtem, oznacza, że byłeś niestety nieuczciwy.

  1. Abschließendes

Der nunmehr abgeschlossene Systemteil der DPG zeugt „Von der einfachen Darstellung komplexer Verhältnisse” (Eichinger 1992) in kontrastiver Darstellung. Eingeflossen ist in diese simultane Grammatik des Deutschen und des Polnischen der nunmehr etwa 30jährige Ertrag deutsch-polnischer (mit Verlaub meist) konfrontativer Untersuchungen. Gemäß der Konzeption des Handbuches zur Dependenz und Valenz (S.4) „liegt eine einigermaßen breite Forschung zu kontrastiven Valenz- und Dependenzdarstellung” zum Englischen, Französischen und Spanischen vor. Die vorliegende kontrastive Fallstudie behandelt das Polnische, „wo die Untersuchung dieser Fragen unter dem Blickwinkel der konfrontativen Linguistik auch eine gewisse Tradition hat”, besonders vor dem Hintergrund etwa deutsch-spanischer Konfrontation (/Kontrastierung). Diese Tradition begann in Polen (erst oder bereits?) mit L. Zabrocki.

  1. Literatur in Auswahl

EICHINGER, L.M. (1992): Von der einfachen Darstellung komplexer Verhältnisse. In: L.M. EICHINGER: Überlegungen zu einer funktionalen Grammatik des Deutschen. Universität Passau. Deutsche Sprachwissenschaft (Typoskript).

EICHINGER, L.M., EROMS, H.-W. (Hrsg.): Dependenz und Valenz [= Beiträge zur germanistischen Sprachwissenschaft, Bd. 10]. Hamburg 1995.

EICHINGER, L.M. (1995):Von der Valenz des Verbs und den Abhängigkeiten in der Nominalgruppe. In: EICHINGER, L.M., EROMS, H.-W. (Hrsg.), 37-52.

Engel, Ulrich, et al. (1998): Deutsch-polnische kontrastive Grammatik. Heidelberg.

Engel, Ulrich, et al. (1999): Deutsch-polnische kontrastive Grammatik. 2 Bde. Heidelberg (= DPG)

Eroms, Hans-Werner (1985): Eine reine Dependenzgrammatik für das Deutsche. In: Deutsche Sprache 13, 120-149.

Christoph Schatte, Poznań (Polen)

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Eroms, H.-W., et al. (eds.): Handbücher zu Sprach- und Kommunikationswissenschaft 25
Dependenz und Valenz, 2. Halbbd., Kap. 88. Berlin - New York 2006, 1214-1217.



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