221 LV Schillergymn Text


Schiller auf Tschechisch

An einer Schule im sächsischen Pirna lernen deutsche und tschechische Schüler - in beiden Sprachen

Am Anfang stand das Bier: pivo. Das Wort hat Sarah Ulbig schon als kleines Kind von ihrem Vater gelernt. Jetzt kennt sie Vokabeln wie ty vole! - „Du Ochse!“ Der Vater schätzt das tschechische Bier, die Tochter mag inzwischen die tschechische Sprache.

Dass dafür ein Ausdruck wie „Du Ochse!“ als Beweis dienen soll, erscheint ungewöhnlich. Aber erstens verwenden diesen Ausdruck, meint Sarah, extrem viele Tschechen, wenn sie „verdammt!“ sagen wollen. Zweitens hat die 15-Jährige ihr Vokabel-Wissen einem ungewöhnlichen Umstand zu verdanken: Klassenkameraden haben ihr viele umgangs-sprachliche Wörter beigebracht, tschechische wohlgemerkt. Sarah geht auf das erste deutsch-tschechische Gymnasium in Deutschland. Binational und bilingual, das sind die Schlagwörter, mit denen das Friedrich-Schiller-Gymnasium im 25 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernten Pirna für sich Werbung macht. 100 Schüler in drei Klassen bereiten sich dort in jedem Herbst auf das Abitur vor. 15 Schüler in einer besonderen Klasse dürfen sich dabei als Auserwählte fühlen. Sie sind es sogar im wörtlichen Sinne, denn sie haben eine Aufnahmeprüfung bestanden.

In der fünften Klasse lernen sie sieben Stunden pro Woche Tschechisch, in der sechsten Klasse sechs Stunden. Im Jahr darauf werden sie mit 15 tschechischen Schülern, die bis dahin in ihrer Heimat Deutsch gelernt haben, zu einer Klasse zusammengeführt. Von da an werden die Schüler in immer mehr Fächern gemeinsam unterrichtet: In Informatik, Sport und Musik auf Deutsch, in Kunsterziehung auf Tschechisch. In Geographie findet getrennter, aber jeweils zweisprachiger Unterricht statt. Am Schluss machen alle das Abitur, das in beiden Ländern anerkannt wird.

Das Tschechische begegnet einem im Schulgebäude auf Schritt und Tritt. Alles ist zweisprachig, von den Fluchtwegplänen bis zur Tafel mit der Schiller-Biographie. Aber das stellt für die Schüler kein großes Problem dar. Sie haben andere Sorgen. Der zehnjährige Michael ärgert sich, dass er „vorne“ und „hinten“ verwechselt. Die 14-jährige Julia klagt über die Konditionalsätze. „Aber immerhin komme ich jetzt mit den sieben Fällen klar.“ Und Sarah Ulbig kämpft mit dem Unterschied zwischen vollendeten und unvollendeten Verben. „Aber das Hauptproblem waren von Anfang an die Ausnahmen“, sagt die Zehntklässlerin. Die ersten hat sie gleich in der fünften Klasse gelernt, die letzten wird sie wohl bis zur zwölften Klasse nicht schaffen. „Eigentlich besteht die ganze Sprache aus Regeln, die nicht gelten“, sagt Klára Czastková, eine von elf tschechischen Lehrerinnen und Lehrern, die am Schiller-Gymnasium unterrichten. „Es ist eine sehr schwere Sprache.“

Schulleiter Bernd Wenzel hat dennoch nicht das Gefühl, mit der Zweisprachigkeit die Schüler zu überfordern. „Mit dem Tschechischen erschließen sich die Schüler eine zusätzliche Welt“, sagt er. Tschechien, als Teil Mitteleuropas, ist ein wichtiger sprachlicher Raum. Natürlich ist an seiner Schule Englisch weiterhin Pflicht, auch Französisch und Russisch sind im Angebot. „Aber wir müssen Grundhaltungen durchbrechen. Die längste Außengrenze hat Deutschland schließlich nicht zu Frankreich, sondern zu Tschechien.“ Im Grenzgebiet und bei Firmen, die grenzüberschreitend arbeiten, könnten die Tschechisch-Kenntnisse der entscheidende Vorteil sein, wenn sich seine Schüler später bewerben, meint Wenzel mit Hinweis auf die Mitglied-schaft Tschechiens in der Europäischen Union.

Auch Sarah ist sich sicher, eine wichtige Sprache zu lernen. „Ich möchte vielleicht mal nach Prag gehen. Ich interessiere mich für Fotografie und Innenarchitektur - und Prag ist eine echte Künstlerstadt.“ Judith freut sich, eine Sprache zu sprechen, die nicht jeder kann. Und Michael denkt pragmatisch: Später werde er beim Einkaufen im Nachbarland besser klarkommen.

Sein älterer Bruder lernt auch in einer Tschechisch-Klasse. Das war sein Anreiz. Bei Sarah war es die „beste Freundin, die auch hierhin wollte. Und die Tatsache, dass ich schon in der Grundschule Englisch und Französisch hatte und wusste: Sprachen lernen liegt mir sehr.“ Also nahm Sarah 1997 an der Aufnahmeprüfung teil. „Wir gehören zu den Schulen in Sachsen, die Begabte besonders fördern“, erläutert Bernd Wenzel. „In der Prüfung testen wir vorwiegend das Denk- und Merkvermögen, die Kreativität sowie die soziale Kompetenz.“ Auch auf tschechischer Seite gibt es eine Auswahl.

Die tschechischen Schüler wohnen wenige Minuten von der Schule entfernt im Internat am Markt, in einem 700 Jahre alten Gebäudekomplex, der aufwändig saniert wurde. Auch deutsche Schüler können dort wohnen. Unterbringung und Verpflegung werden vom tschechischen Staat und dem Freistaat Sachsen mitfinanziert. Von den 90 Schülern, die derzeit im Internat wohnen, sind aber nur 15 Deutsche. „Eigentlich wollen wir ein binationales Internat haben, aber das ist noch nicht gelungen“, sagt Schulleiter Wenzel.

Sarah Ulbig geht mindestens einmal pro Woche ins Internat, obwohl sie nicht dort wohnt. Sie möchte mit den Tschechen zusammenkommen. „Das ist gar nicht so einfach“, meint die 15-Jährige. „Die Integration ist schwierig. Trotz des gemeinsamen Unterrichts dauert es lange, die Sprachbarriere zu überwinden.“

Auch Sarah hat sich erst nach und nach öfter mit den tschechischen Mitschülern unterhalten. Inzwischen hat sie mehrere Freundschaften geschlossen, darunter eine ganz besondere zur gleichaltrigen Sylva. „Meine Sprachkenntnisse werden ja auch immer besser, und Freundschaften sind dabei sehr hilfreich.“

(Quelle: DIE ZEIT, 5/ 2003- zu Prüfungszwecken bearbeitet)

ARBEITSZEIT: 50 MINUTEN

Verstehendes Aufnehmen eines gelesenen Textes (LV)

Deutsches Sprachdiplom der KMK, Stufe II, Frühjahr 2005, Seite 1 von 2



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