ARBEITSZEIT: 210 Minuten

Textproduktion (TP)

a) textgebundene Aufgabe (Inhaltsangabe und Kommentar)
Das Ende der Kindheit (nach Bernd Schirmer)	Ein „Schiller“ = 20-Mark-M�nze in der ehemaligen DDR

Sie sagte etwas zu ihm, aber sie sagte es so leise, dass er es nicht h�rte. Er hatte die Ohrh�rer im Ohr.

Ich gehe jetzt runter spielen, sagte sie nun lauter.

Er schaltete das Radio aus. Er ließ sich die Hefte zeigen und rechnete die Hausaufgaben nach. Er nickte und sie l�chelte stolz.

Um sechs bist du oben, sagte er.

Aber dann sah er den Zettel. Darauf stand: Kaffee, Butter, Milch.

Er rief sie zur�ck.

Ich wasche das Geschirr ab und du gehst schnell einkaufen, einverstanden?

Sie verzog das Gesicht.

Mutti wird sich freuen.

Na gut, sagte sie und nahm den Einkaufskorb.

Er �ffnete den K�chenschrank und nahm aus der roten B�chse ein Zwanzigmarkst�ck. Sie sah nach, wer auf der M�nze abgebildet war. Es war ein Schiller ¹⁾. Sie steckte die M�nze in die rechte Tasche ihrer Jeans und warf die T�r ins Schloss.

Er legte die Gl�ser und Tassen ins heiße Sp�lwasser. Dann schaute er im Schrank nach den S�ßigkeiten. Er h�tte ihr sagen sollen, dass sie sich vom Restgeld Gummitiere mitbringen darf. Da klingelte es.

Sie stand weinend vor der T�r. Er nahm ihr behutsam den Einkaufskorb ab. Der Korb war leer. Sie zitterte und weinte. Er wischte ihr die Tr�nen ab.

Ich kann doch nichts daf�r.

Er musterte sie. Sie griff entmutigt in die Hosentasche.

Das Geld ist weg, ja?

Sie nickte.

Weißt du, wie lange Mutti und Vati daf�r arbeiten m�ssen?

Sie sah in den leeren Korb und zog dann die Jeans aus. Es war kein Loch in den Hosentaschen.

Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du ein Portemonnaie mitnehmen sollst?

Sie schluckte und ging langsam ins Kinderzimmer. Als er ihr die Jeans brachte, war sie schon auf einen Stuhl gestiegen. Sie griff nach dem Sparschwein im Regal. Er nahm es ihr aus der Hand und stellte es an seinen Platz zur�ck. Dann hob er sie vom Stuhl.

�berlege, sagte er ruhig.

Sie sagte, dass sie das Geldst�ck im Supermarkt noch gehabt hatte. Doch an der Kasse war es nicht mehr in der Hosentasche. Da ist sie zur�ck zu den K�hlregalen und den Milchk�sten gelaufen. �berall hat sie gesucht. Eine Verk�uferin hat sie gefragt, was sie hier suche und ob sie vielleicht etwas weggenommen habe. Die anderen Leute haben sie ganz vorwurfsvoll angesehen. Da ist sie schnell nach Hause gelaufen.

Komm mit, sagte er.

Die Kassiererin trug einen Dutt ²⁾. Als er ihr die Geschichte erz�hlte, runzelte sie nur die Stirn und schaute vielsagend auf das M�dchen.

Er kaufte Butter, Milch, Kaffe und einen Beutel Gummitiere.

Als ihm die Kassiererin das Restgeld herausgab, fragte er, ob denn wirklich niemand ein Zwanzigmarkst�ck gefunden und abgegeben habe. Doch die Kassiererin fertigte schon den n�chsten Kunden ab, der m�rrisch �ber die Verz�gerung war.

Draußen reichte er dem M�dchen den Beutel mit den Gummitieren, aber sie wollte die Gummitiere nicht haben. Sie wollte auch nicht mehr spielen gehen. Sie wollte auch nicht viel essen am Abend. Sie war blass und trank nicht mal den Kakao. Als sie im Bett lag, wollte er ihr ein M�rchen vorlesen. Aber sie wollte nichts h�ren.

Warum sind die Menschen so schlecht?, fragte sie.

Die Menschen sind nicht schlecht, sagte er.

Warum hat dann niemand das Geld abgegeben, jemand muss es doch gefunden haben.

Er streichelte sie. Ihre Stirn war heiß. Er rief seine Frau. Sie kam mit dem Fieberthermometer. Es war nur leicht erh�hte Temperatur. Am Morgen war ihre Stirn wieder k�hl. Sie fr�hst�ckten gemeinsam. Er hatte das Radio ausgeschaltet. Es war �berhaupt sehr still.

Als er von der Arbeit kam, saß sie noch �ber den Hausaufgaben.

Schau mal, was ich habe, sagte er. Er griff in seine Hosentasche und holte ein Geldst�ck hervor. Es war ein Schiller.

Sie sah ihn �berrascht an.

Ich war noch einmal im Supermarkt bei der Kassiererin, sagte er. Ein Mann hat das Geld gefunden. Es lag festgefroren im K�hlregal neben der Butter.

Festgefroren?

Sie lachte.

So eine verr�ckte Sache, sagte er.

Sie strahlte.

Hast du noch Hausaufgaben?

Ach, sagte sie, das ist alles nicht bis morgen.

Geh runter spielen, sagte er.

Sie sprang die Treppe hinab und rannte zum Spielplatz. Aber auf einmal hatte sie eine Idee. Sie lief zum Supermarkt. Die Kassiererin mit dem Dutt saß an der Kasse.

Danke, sagte sie.

Die Frau sah sie verwundert an.

War die M�nze wirklich angefroren?

Die Verk�uferin wusste von nichts. Niemand hatte Geld bei ihr abgegeben.

Am Abend stand sie in der K�che, die Hand tief in der Hosentasche ihrer Jeans. Auf einmal wurde sie ganz verlegen. Dann brachte sie ein Taschentuch und ein Zwanzigmarkst�ck zum Vorschein. Sie hielt dem Vater den Schiller hin.

Ich habe es doch nicht verloren, sagte sie. Ich habe nur nicht richtig gesucht.

Sie l�chelte unbefangen.

Die Eltern sahen sich an. Erst viel sp�ter bemerkten sie, dass in der roten B�chse im K�chenschrank zwanzig Mark fehlten.

(Quelle: Bernd Schirmer, Sindbads M�tze, Mitteldeutscher Verlag, Halle-Leipzig 1980)

Worterkl�rungen:

¹⁾ (Zeile 14:) ein Schiller = 20-Mark-M�nze in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), ein „Schiller“ genannt, weil auf der Vorderseite der M�nze der deutsche Dichter Friedrich von Schiller (geboren 1759 - gestorben 1805) abgebildet ist. (Siehe Abbildung auf Seite 1)

²⁾ (Zeile 39:) der Dutt = eine Frisur, bei der Frauen ihr langes Haar zu einem Knoten zusammenstecken

Aufgaben: siehe AUFGABENBLATT!

Deutsches Sprachdiplom der KMK, Stufe II, Fr�hjahr 2005, Seite 3 von 3

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