POESIE DER NACHKRIEGSZEIT
DER NEUE ANFANG
Mit dem Dritten Reich endete auch die kunstleere Epoche in der Geschichte Deutschlands. Sowohl die Kunst wie auch die Literatur dieser Zeit stellte keinen Wert dar. Die jungen Literaten, die nicht selten eine schmerzvolle Kriegserfahrung hatten, versuchten sich von der verdorbenen, allumfassenden Propagandasprache der NS-Zeit, die auch in die Literatur eingedrungen war, möglichst weit zu entfernen.
Das Ende des 2. Weltkrieges sollte einen neuen Anfang bedeuten: Die Sprache der Literatur musste man dem Reinigungsprozess unterziehen; auf keinen Fall durfte Ideologie oder Gefühl thematisiert werden. Die neue Literatur sollte unpsychologisch, wahrhaftig und realistisch sein, das Wahrheitspostulat war also für die neue Generation enorm wichtig. Auf der einen Seite sollte die neu entstehende Literatur wirklichkeitsnah, auf der anderen aber magisch sein. Obwohl die Schriftsteller und Dichter gerne zu den Gattungen der Romantik, des Expressionismus oder der Neuen Sachlichkeit zurückgriffen, wurden die Verschönungsmethoden in großem Maße abgelehnt- man bediente sich der lakonischen Sprache, die die zertrümmte und kahle Welt, „das notvolle Leben in den Ruinenstädten und Flüchtlingslagern der herumirrenden Menschen“ widerspiegelte, weswegen die Literatur der Anfänge der Nachkriegszeit (d.h. ungefähr 1945-Anfang 50er Jahre) als TRüMMERLITERATUR bezeichnet wird.
Beispiel:
Inventur (Günter Eich)
Dies ist meine Mütze,
dies ist mein Mantel,
hier mein Rasierzeug
im Beutel aus Leinen.
Konservenbüchse:
Mein Teller, mein Becher,
ich hab in das Weißblech
den Namen geritzt.
Geritzt hier mit diesem
kostbaren Nagel,
den vor begehrlichen
Augen ich berge.
(…)
Das ist eines der bekanntesten Gedichte dieser Zeit, in dem das lyrische Ich seine Bindung an die Alltagsgegenstände als sein kostbarstes Gut ausdrückt.
Die Zuordnung der Literaten zu dieser Strömung ist nicht immer angebracht, denn oftmals stellt es nur einen kleinen Ausschnitt im Werk des Autoren dar. Trotzdem gestatte ich es mir, einige Namen aufzuzählen: Erich Kästner, Hans Werner Richter, Wolfgang Borchert, Paul Celan.
BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
An dieser Stelle muss man mehr Acht der Person Hans Werner Richter geben, der als Gründer der „Gruppe 47“ gilt. Die Tätigkeit der Gruppe lag vor allem in der Auseinandersetzung der Literaten und Kritiker über die während der Treffen präsentierten Werke. Die Gruppe übte bis in spätere 70er Jahre einen großen Einfluss auf das kulturelle, aber auch politische Leben aus. An den Tagungen nahmen zahlreiche Kritiker und Gäste teil. Zur Diskussion wurden solchen Persönlichkeiten, wie Heinrich Böll, Hans Magnus Enzensberger, Peter Handke, Paul Celan, Ingeborg Bachmann, Günter Grass, Ernst Bloch oder Marcel Reich- Reinicki eingeladen. Das Ziel der Gruppe war die Erneuerung der durch die Faschisten vergiftete Sprache und die Schaffung der neuen, der sogenannten KAHLSCHLAGLITERATUR, die sich seiner politischen und sozialen Verantwortung bewusst war. Die „Gruppe“ hat 3 Generationen der Schriftsteller „erzogen“. Sie entwickelte sich aus dem Bedürfnis nach der Integration der Intelektuellen und Befreiung der Literatur von der Schande des NS-Regimes.
Hermetische Lyrik
Mit der ersten Phase der Tätigkeit der „Gruppe 47“ ist die hermetische Strömung in der Poesie zu assoziieren. „Hermetisch“ bedeutet so viel, wie: in sich geschlossen, autonom, eigenständig, von der äußeren Welt abgegrenzt, geheimnisvoll, nicht leicht zugänglich, dunkel und vieldeutig. Es gibt zwei Gründe, aus welchen sich die hermetische Lyrik entwickelte- in erster Linie handelt sich dabei um die extreme Manipulierung und den Missbrauch, denen die Sprache im NS-Regime unterlag. Die Sprache, die Dichtung, konnte nicht mehr glaubhaft in den Augen der Leser bleiben, zweitens wurde der Ausdruckswert der Sprache in Frage gestellt; die Welt konnte nach der Ansicht von vielen Dichtern nicht mit der Sprache erfasst werden. Deswegen, damit die Dichter ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen konnten, mussten die Gedichte in einer ganz neuen Form erscheinen. Es wurden nicht nur unterschiedliche Formen aber auch Themen aufgegriffen. Charakteristisch für die hermetische Poesie war die Wirklichkeitsflucht und die gesellschaftliche Isolierung- sie sollte also von der Realität abgeschlossen werden. Der Dichter bediente sich nicht mehr der Symbole, sondern der Chiffren und Metaphern, weil sie keinen Bezug zur wirklichen Welt hatten, sondern aus dem Inneren des Autors kamen. Das ist auch ein Grund dafür, warum diese Gedichte schwer zu verstehen sind. Innerhalb dieser Strömung waren die Meinungen über die Position und Rolle des Gedichts geteilt- die einen bestanden auf seine Autonomie, Eigenständigkeit und Funktionslosigkeit, die anderen versuchten über das Gedicht einen Dialog mit dem Leser herzustellen, d.h. auf eine mehr zugängliche Weise zu schreiben, so dass vielleicht mithilfe eines Gedichts manche ihre eigene seelische Lage zu erkennen imstande sind.
Naturlyrik
Diese veränderte Beziehung zur Wirklichkeit, die sich nicht mehr in die Worte erfassen ließ, ist auch an den Gedichten der modernen Naturlyrik zu erkennen. In der Naturlyrik des 18. und 19. war die Natur als größtes Werk und Beweis für die Schöpferkraft Gottes geschildert worden, mit der der Mensch in einer direkten Beziehung gestanden war. Die moderne Naturlyrik zeigte deutlich, dass diese Beziehung verloren gegangen ist. Im Gedicht konnte die Natur nicht wiedergegeben werden, denn der Mensch hat ihre ursprüngliche Gestalt zerstört. Vielmehr ging es nun darum, den verlorenen Naturbestand durch das Gedicht, und konkreter mithilfe „der magischen Sprache“ in Erinnerung zu bringen, wobei das oft bruchstückhafte Erinnerungen sind.
Johannes Bobrowski „Auf einem Brunnen“
Vergeßlich sein-
Brunnen.
Hinter den Erlen
der Wiesenrauch. Du wirst
schöpfen den Sand, das Wasser
fällt.
Die magische Sprache gilt in diesem Kontext, genauso wie bei der hermetischen Lyrik, als Ausdruck des Widerspruchs gegen die verbrauchte und missbrauchte Sprache- die dunkle Sprache ist also ein gemeinsames Merkmal dieser beiden Richtungen. Was jedoch die hermetische von der Naturlyrik unterscheidet, ist die fehlende Beziehung zur Wirklichkeit.
Das Naturgedicht ist aber nicht nur die subjektive Ich-Lyrik, die das Verhältnis „Der Mensch- die Natur beschreibt“, sondern oft sachlich und gegenstandsbezogen, d.h. konzentriert sich auf einzelne Pflanze oder Tiere, nimmt aber auch die Natur total wahr. Generell gesehen lassen sich folgende Untergattungen unterscheiden: Landschafts- und Heimatlyrik, Tageszeiten- und Jahreslyrik, Pflanzen- und Tierlyrik u. ä.
Die Naturlyrik beschränkte sich aber nicht auf bloße Beschreibung der Natur. Oft kam es zu einer Verschränkung mit der politischen und hermetischen Lyrik. Im politischen Raum bedeutete „der grüne Trend“ das Engagement für eine natürliche Umwelt, für das Retten der Natur. Viele Lyriker dieser Zeit vertraten jedoch den Standpunkt, dass sich die Natur nur noch im Gedicht vor der Zerstörung behaupten kann, was folgende Worte von Günter Kunert widerspiegeln:
„Das Gedicht bloß verwahrt
Was hinter den Horizonten verschwindet…“
Das Naturgedicht bildete auch den Ansatzpunkt für die hermetische Lyrik, konkreter für Metaphorisierungsprozesse; die Naturgegenstände verhalfen nämlich dem Dichter, das Unaussprechliche auszudrücken.
Politische Lyrik
Als Gegenposition zur hermetischen Lyrik entwickelte sich parallel die engagierte (politische) Lyrik, in der sich der Dichter mit verschiedensten sozialen und politischen Fragen auseinandergesetzt hat. Die Aufgabe des Dichters bestand darin, dass er sich mit einer ganz konkreten Mitteilung an die Öffentlichkeit richtete. Man legte großen Wert auf die Kommunizierbarkeit- die Poesie sollte leicht einsehbar und verständlich sein. Die Reaktion auf die apolitische Poesie war nicht der einzige Anstoß zur Entstehung der engagierten Lyrik. In erster Linie diente sie zur Bewältigung der schändlichen Vergangenheit, außerdem könnte man sie als ein Teil der Protestbewegungen, etwa gegen Vietnamkrieg betrachten. Zu den großen politischen Gedichten dieser Zeit gehört ohne Zweifel
Marie Luise Kaschnitz` Hiroshima:
Der den Tod auf Hiroshima warf
Ging ins Kloster, läutet dort die Glocken.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Sprang vom Stuhl in die Schlinge, erwürgte sich.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Fiel in Wahnsinn, wehrt Gespenster ab
Hunderttausend, die ihn angehen nächtlich
Auferstandene aus Staub für ihn.
Das Gedicht war kein Geschöpf an sich und für sich, sondern für den Leser, für den die Lektüre des Gedichts eine Konfrontation mit der gesellschaftlichen oder politischen Wirklichkeit bedeutete.
Quellen:
Honsza, Norbert, Deutschsprachige Literatur der Gegenwart, Warszawa, 1980
Honsza, Norbert, W blasku epok. Niemiecka literatura od średniowiecza do współczesności, Łódź, 2010
Żygulski, Zdzisław; Syrocki, Marian, Geschichte der deutsche Literatur, Bd. 4, Warszawa, 1961
www.ahg-ahaus.de/files/fachschaften/deutsch/tewocht/LyrikNachkrieg.doc