Obraz1 (4)

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gern einmal hatte Klavier spielen schen. Gedankenvoll sah ich ihm zu, oder eigentlich nicht gedankenvoli, sondem trau-merisch und in den Anblick seiner schónen, klugen Hande verloren, vom Gefiihl der Nahe erwarmt und auch etwas be-angstigt. Was er da eigentlich treibe, was er da zu schrauben und zu hantieren habe, darauf achtete ich gar nicht.

Es war aber ein Radioapparat, den er da aufgestellt hatte und in Gang brachte, und jetzt schaltete er den Lautspre-cher ein und sagte: „Man hórt Miinchen, das Concerto grosso F-Dur von Handel."

In der Tat spuckte, zu meinem unbeschreiblichen Erstau-nen und Entsetzen, der teuflische Blechtrichter nun alsbald jene Mischung von Bronchialschleim und zerkautem Gummi aus, welchen die Besitzer von Grammophonen und Abonnenten des Radios iibereingekommen sind, Musik zu nennen - und hinter dem triiben Geschleime und Ge-krachze war wahrhaftig, wie hinter dicker Schmutzkruste ein altes kóstliches Bild, die edle Struktur dieser góttlichen Musik zu erkenncn, der kónigliche Aufbau, der kiihle weite Atem, der satte breite Streicherklang.

„Mein Gott", rief ich entsetzt, „was tun Sie, Mozart? Ist es Ihr Ernst, daG Sie sich und mir diese Schweinerei antun? DaG Sie diesen scheuGlichen Apparat auf uns loslassen, den Triumph unsrer Zeit, ihre letzte siegreiche Waffe im Ver-nichtungskampf gegen die Kunst? MuG das sein, Mozart?"

O wie lachte da der unheimliche Mann, wie lachte er kalt und geisterhaft, lautlos und doch alles durch sein Lachen zutriimmernd! Mit innigem Vergniigen sah er meinen Qua-len zu, drehte an den verfluchten Schrauben, riickte am Blechtrichter. Lachend lieG er die entstellte, entseelte und vergiftete Musik weiter in den Raum sickem, lachend gab er mir Antwort.

„Bitte kein Pathos, Herr Nachbar! Haben Sie iibrigens das Ritardando da beachtet? Ein Einfall, hm? Ja, und nun lassen Sie einmal, Sie ungeduldiger Mensch, den Gedanken dieses Ritardando in sich hinein - hóren Sie die Basse? Sie schrei-ten wie Gótter - und lassen Sie diesen Einfall des alten Handel Ihr unruhiges Herz durchdringen und beruhigen! Hóren Sie einmal, Sie Mannlein, ohne Pathos und ohnc Spott, hinter dem in der Tat hoffnungslos idiotischen

Schleier dieses lachcrlichen Apparates die ferne Gestalt die-ser Góttermusik voruberwandeln! Merken Sie auf, es laik sich etwas dabei lernen. Achten Sie darauf, wie diese irrsin-nige Schallróhre scheinbar das Diimmste, Unniitzeste und Verbotenste von der Welt tut und eine itgendwo gespielte Musik wahllos, dumm und roh, dazu jammerlich entstellt, in einen fremden, nicht zu ihr gehórigen Raum hinein schmeiBt - und wie sie dennoch den Urgeist dieser Musik nicht zerstóren kann, sondern an ihr nur ihre eigene rat-lose Technik und geistlose Betriebmacherei erweisen muB! Hóren Sie gut zu, Mannlein, es tut Ihnen not! Also, Ohren auf! So. Und nun hóren Sie ja nicht blofi einen durch das Radio vergewaltigten Handel, der dennoch auch in dieser scheuBlichen Erscheinungsform noch góttlich ist - Sie hóren und sehen, Wertester, zugleich ein vortreffliches Gleichnis alles Lebens. Wenn Sie dem Radio zuhóren, so hóren und sehen Sie den Urkampf zwischen Idee und Er-scheinung, zwischen Ewigkeit und Zeit, zwischen Góttli-chem und Menschlichem. Gerade so, mein Lieber, wie das Radio die herrlichstc Musik der Welt zehn Minuten lang wahllos in die unmóglichsten Raume wirft, in burgerliche Salons und in Dachkammern, zwischen schwatzende, fres-sende, gahnende, schlafende Abonnenten hinein, so, wie er diese Musik ihrer sinnlichen Schónheit beraubt, sie ver-dirbt, verkratzt und verschleimt und dennoch ihren Geist nicht ganz umbringen kann - gerade so schmeifit das Le-ben, die sogenannte Wirklichkeit, mit dem herrlichcn Bil-derspiel der Welt um sich, laBt auf Handel einen Vortrag iiber die Technik der Bilanzverschleierung in mittleren in-dustriellen Betrieben folgen, macht aus zauberhaften Or-chesterklangen einen unappetitlichen Tóneschleim, schiebt seine Technik, seirte Betriebsamkeit, seine wiiste Notdurft und Eitelkeit iiberall zwischen Idee und Wirklichkeit, zwischen Orchester und Ohr. Das ganze Leben ist so, mein Kleiner, und wir miissen es so sein lassen, und wenn wir keine Esel sind, lachen wir dazu. Leuten von Ihrer Art steht es durchaus nicht zu, am Radio oder am Leben Kritik zu iiben. Lernen Sie lieber erst zuhóren! Lernen Sie ernst nch-men, was des Ernstnehmens wert ist, und lachen iiber das andre! Oder haben Sie selbcr es denn etwa besser gemacht, edler, kliiger, geschmackvoller? O nein, Monsieur Harry,

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