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R . E K B L O M :
D eu tsch
l e i m i g
und lita u is c h
T t \ i n i(n )g a 8 .
Das Auftreten und d ie E ntw icklung der b eid en slavisch en W örter
kbn^dzb und vit§d£b stim m en in auffallend h oh em Grade überein.
Vit§d£b ist allerdings n ordischen U rsprungs, w äh rend k^ngdib von
ein em ahd. kuning ausgeht,1 aber d iesem U m stand k a n n m an ja
k ein e eigentliche B edeutung b eim essen ; d ie H aup tsache ist, dass sie
ungefähr zu der gleichen Zeit au fgek om m en sind — etw as vor dem
Jahre 8 0 0 ,2 dass sie zuerst ins W en d isch e eindrangen, dass sie die
ursprüngliche B edeutung ‘vornehm er M ann, E d lin g’ au fw eisen und
dass sie in die w eitest au seinan d erliegend en T eile des slavischen
u nd des baltischen R aum es verbreitet w u rd en . W eiter haben sie
b eid e eine beträchtliche R eihe einander n ahesteh en d er B edeutungen.
E in nicht sehr w esentlicher U n tersch ied tritt uns in d essen ent
gegen. D ie B edeutung von kbnqdzb h ielt sic h vom sozialen Stand
pun k t gesehen a u f einer etwas h öheren Stufe. (D a s W ort konnte
je d o ch nur in sehr geringer A u sdehn u ng d ie B edeutung ‘König’
b eib eh alten : der K aisernam e K a rl drängte sich d azw isch en und
ergab frühsl. *kärl ‘König’ als R esultat.) D as W ort to n § dzb bedeutet
‘König, Fürst, Graf, E delm ann , Junker, Bürgerm eister, G em einde
vorsteher, Geistlicher, Bräutigam , H err’. 3
Im jetzigen L itauisch tritt kü nigas m it der B edeutung ‘Priester,
G eistlicher’ auf; das L ettische h at kungs ‘H err’.
In d essen hat m an m einer M einung n ach slav. la>n§dzb in gew issem
M asse fa lsch beurteilt, und zw ar insow eit, als m an glaubte, es sei
verhältnism ässig früh in s S lavisch e au fgen om m en w o r d e n .4 Ich bin,
w ie gesagt, n unm ehr überzeugt, dass ktn g d zb , ebenso w ie vitqdzb
und einige andere W örter derselben Struktur, gegen 800 aufgetreten
1
Siehe m eine Studie N ord, hvllingr als slav. Wanderwort, Spräkvet. sällsk. i Upp
sala förhandl. 1957.
* VgL die oben angeführte Schrift, S. 63.
s Bezüglich der Bedeutungen von oit(dih vgl. die obengenannte Arbeit, S. 64.
* Siehe meine Arbeit Germ. *kuningaz ‘K önig’, Studia neophilol. 17 (1944), S. 11 f.
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sind . Wörter von diesem T ypu s, die ihren Ursprung a u f das Ger
m an isch e zurückführen, sch ein en m it einer gew issen Vorliebe
übernom m en w orden zu sein , u m den B ed arf an Titeln und F ach
ausdrücken zu decken, der sich im Z usam m enhang m it dem im
m er stärker em porw achsenden F eu d alism u s und dem L eh en s
w esen der frühen Karolingerzeit geltend m achte.1 Slav.
ist
direkt von ahd. kuning ( < w germ . *kuningaz) ausgegangen. Die
D iskussion über Sein oder N ichtsein v o n got. *kuniggs ist also
überflüssig: es handelt sich hier u m ein e ziem lich späte E rschei
nung. Die baltischen E ntsprechungen sin d von noch späterem D a
tum ; ich m eine jetzt, dass das h och litauisch e W ort kiinigas u n
m ittelbar aus einer deutschen Form ku nig und in Z usam m enhang
m it der beginnenden ostdeutschen K olonisation, also um 1200, ent
standen ist.
Finn. kuningas, gleichw ie sein e Gegenstücke in den ostseefinni
schen Sprachen, ist weit früher, w oh l vor dem 6. Jh., entstanden.2
E s ist sicherlich von einem urnord. *kuningaz (V ariante zu *kunun-
g a z) ausgegangen: zw ischen estn. ku ningas und lett. küngs gibt es
k einen unm ittelbaren Z usam m enhang. A u ch hat das O stseefinnische
die Bedeutung ‘König, H äuptling’ beibehalten , w ährend im jetzigen
Lettisch das Wort küngs die b esch eid en ere Bedeutung ‘H err’ h a t.3
Ich w eise hier a u f m ein e ob en angeführte Schrift Germ. *kunin-
g az ‘K önig’ hin. Es ist in d essen zu beach ten, dass die Seiten 14—18
dort nunm ehr hauptsächlich als ein e Ü bersicht jetzt veralteter
M einungen aufzufassen sind .
Ich m eine jetzt, dass die lo k a l am m eisten verbreitete litauische
Variante künigas direkt um 1200 von der deutschen Variante kunig
ausgegangen ist,4 einer Form , die sch on in der ersten H älfte des
9. J h .s5 — im Tatian — anzutreffen ist. Man darf ind essen nicht
1 Vgl. Meillet-Vaillant, Le Slave commun* (1934), S. 513.
2 Siehe B. CoIIinder, Die urgerm. Lehnwörter im Finn., Hum. vet.sam f. i Upp
sala 28, 1 (1932), S. 70.
* Die südwestliche estnische Variante kunigas geht, nach Dr. O. Loorits, auf alett.
*kün!gas zurück.
* Genauer genommen, von der ostm itteldeutsch gefärbten Ordenssprache. Ich ver
wende im folgenden die Bezeichnung »md«. Vgl. hierzu K. Helm und W. Ziesemer, Die
Literatur des Deutschen Ritterordens, Giessener Beitr. zur deutschen Philol. 24 (1951),
S. 35 ff.
5 Also im Althochdeutschen.
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vergessen, dass ahd. kuning u nd ku nig vorh an den sind und dass
es n icht ganz undenkbar w äre, dass sie b eid e ins L itauische ent
leh nt w urden, aber die lo k a le V erteilung der b eid en litauischen
Varianten h lit.1 kü nigas u nd n d lit.1 kü nin gas stim m t ja m it der
Verteilung der unten (S . 179) angeführten litauischen Belege ü ber
ein und m acht eine doppelte E ntlehn u ng unw ahrscheinlich.
D ie ersten Forscher, die sich m it d iesem T h em a beschäftigten,
Hessen die Form kü nin gas vo m frühgerm . * kuning az au sgeh en .2
U m die hochlitauische V ariante k ü n ig a s b eküm m erten sie sich w e
nig: *kuningaz und kü nin gas w aren ja , form al gesehen, fast id e n
tisch. N ichtsdestow eniger w ar der V ersuch verfehlt. E ine W ortform
kü nin gas konnte ja nicht oh ne w eiteres zu k ü n igas w erden: n-
Sch w u nd kam im W estgerm an isch en v or (vgl. ahd. kuning > ku
nig ; aengl. cyning > c y n ig }; n ich t aber im L itauischen. Ü brigens
ist eigentlich diese m ein e A useinandersetzung ziem lich unnötig:
der Z usam m enhang zw ischen frühgerm . *kuningaz und ndlit.
kü n in gas w ar w ährend m ehrerer Jahrhunderte unterbrochen; lit.
kü n igas ist ganz sich er erst im A nfang der O rdenszeit als deutsches
L ehnw ort ins L itauische ein gek om m en (vgl. unten ). Klar ist also,
dass m an m it einem ndlit. kü n in gas als ^regelrechtem Vorgänger von
kü nigas nicht rechnen kann.
E ine um gekehrte E ntw icklung — ein assim ilatorischer /j-E inschub
— k om m t in vielen Sprachen vor, vgl. dtsch. eininge < einige, w ening
< w en ig.3 Für das L itauische h at der n -E in sch u b eine w esentliche
B edeutung; vgl. u n ten .4
A uch die Forscher, w elch e in späterer Zeit versucht h aben, das
hier vorliegende Problem anders zu lösen oder, vielm ehr, das
V erhältnis zw ischen ndlit. kü n in gas u n d dem ursprünglicheren,
von m d. kunig, künec, kuneg u sw . stam m en den hlit. kü nigas fest
zustellen, sind in Schw ierigkeiten geraten.
K. Büga m eint — richtig — , dass ein hlit. kü n igas existiert. U n
richtig ist dagegen sein e A uffassung, d ass ein ndlit. kü nin gas nicht
1 D. h. hochlitauisch (und literatursprachlich) bzw. niederlitauisch (dialektisch
sporadisch).
* Genauer — aus wgerm. *kuningaz oder anord. (dialekt.) *kuningaz bzw. frühgot.
*kuningaz ( > *kuniggs). — Siehe V. Kiparsky, Gemeinslav. Lehnwörter aus dem Germ.
(1934), S. 181.
* Vgl. E . Schröder, Pennig, Zeitschr. für Deutsches Alterthum 37 (1893), S. 124 fl.
4
Siehe J. Endzelin,
O
npoucxoofed. n pacji.
UH(ß.
h
a -noti, PyccKift
$
h j i o j i
.
B'fecTHHici»,
68 (1912), S. 370 f.
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vork om m e.1 F. Kurschat, A. Ju šk evič u nd G. Gerullis2 führen ndlit.
kiiningas an. Übrigens gibt Büga zu, dass es z. B. zu pinigas eine
Parallelform piningas gibt.3
A. Sen n 4 nähert sich B ögas M einung; hebt aber hervor, dass es
ein kiiningas gibt. Er m eint jed och , dass dieser Um stand im vor
liegenden Z usam m enhang k ein e B ed eu tu ng habe, da kiiningas, seiner
M einung nach, durch p oln isch en E influss hätte gebildet w erden
können, w as indessen w oh l k au m m öglich ist, da apoln. -
10
-
00
-iq-
(d . h. nasalierter a-Laut, dem Palatalisierung vorangeht) und lit.
-in- um das Jahr 1200 sehr versch ied en ausgesprochen wurden.
W enn es gilt, die Struktur und die G eschichte des Wortes kiinigas
zu beurteilen, geben andere litau isch e W örter recht w enige H in
w eise. Es gibt zwar ein Parallelw ort pin iga s ‘M ünze’, das aber
w enig Neues hinzubringt. Vor 1200 hatte das W ort kiinigas im L i
tauischen keine Geschichte. Es trat da aus dem M itteldeutschen5 als
L ehnw ort ins Litauische ein. J. E n d zelin und P. Skardžius6 haben
k ein en Anlass gehabt, sich m it kiin iga s näher zu beschäftigen.
Die Endungen -nykas und -n inkas bieten hier etwas grösseres
Interesse. Es lohnt sich aber k aum , sich um sie allzu viel zu b e
m ühen, w enn es gilt, die E ntstehung eines so späten Lehnwortpaares
w ie kiinigas—kiiningas zu b eleu ch ten . W ichtiger sind die W örter,
die über das Auftreten des n -E in sch u b s klare A uskunft geben. Zu
d iesen gehören g a n ýti ‘w eid en ’, n y k ti ‘versch w in d en ’ und nykštis
‘D au m en ’ ; vgl. oben E ndzelins erstgenannte Arbeit.
A u s d e m u m d a s J a h r 1 2 0 0 i n s L i t a u i s c h e e i n g e k o m
m e n e n L e h n w o r t k i i n i g a s ( < m d . k u n i g , m i t n - S c h w u n d )
w u r d e d a s n d l i t . k i i n i n g a s d u r c h л - E i n s c h u b g e b i l d e t .
1 Siehe а. а. O., S. 69 f.
* Vgl. Lillauisch-deulsches Wörterbuch (1883), S. 210. Jlu m . свадебн. н ароди, піьсни,
(1883), S. 418 bzw. Lit. Dialektstudien (1930), S. 23.
3
Siehe а. а. O., S. 70. — E. Fraenkel versichert in Lit. etgm. Wörterbuch (1950— ),
S. 310, dass küningas nicht existiert, was einem eigentümlich vorkommt, da Gerullis,
selbst geborener Litauer, а. а. O., S. 23, eine niederlitauische Form m it künirjgs
transkribiert.
* Deutsche und gern. Lehnwörter im L it., Rom . und germ. Monatsschrift 3, S. 343 f.
6 Genauer (? ) — aus dem Ordensdeutschen.
* Vgl. а. а. O., S. 370 f., Lett. Grammatik (1922), S. 265 f., Baltu valodu skanas un
fo'rmas (1948), S. 98 ff., Latv. valodas gramatika (1951), S. 361 IT. bzw. Lietuviq kalbos
to d tiq daryba (1943), S. 141 fl. Vgl. auch meine Arbeit D ie frühe dorsale Palatalisierung,
Hum. vet.sam f. і Uppsala 39, 2 (1951), S. 38 ff. und die dort angeführte Literatur.
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Scando-Slavica · Tomus III
Ich m ein e also, m an m ü sse vorau ssetzen , dass das zweite n in
ndlit. kim in gas sekundär ist, a u f d ieselb e W eise entstanden w ie der
entsprechende Laut in ndlit. g a n in ti, n ifikti, n in kstis, d. h . durch
fernassim ilatorische W irkung des ersten n ( = Ji-E inschub).
V ielleicht wird die folgende Ü b ersicht m ein e M einung besser
v er a n sch a u lich en :
M itteldeutsch
(östl.) — Ordensspr.
kunig
m it n-Schwund
H ochlitauisch
östl. u. Literaturspr.
kü nigas
g a n y ti
n y k ti
n ykstis
(-n yka s
N iederlitauisch
w estl.; sporadisch
kü nin gas
m it n-Einschub
g a n in ti
n ifik ti
n in kstis
-n in kas)
W en n B üga u n d Senn ndlit. kü n in g as b zw . apoln. ksiqdz (S . 179,
o b en ) n icht in die D iskussion ein b ezogen u n d w e n n sie, andern-
teils, d en m d. /i-S ch w un d und den ndlit. n -E in sch u b beachtet
hätten, so w ürden sie zu d em selb en R esultat w ie ich gekom m en
sein. M an kann verstehen, dass B üga die Form kü n in gas losw'erden
w ollte: er hatte sein en einzigen A usw eg, d ie W irkung des /i-E in -
sch u b es, übersehen.