Deutsche Literatur Epochen

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SchulbuchPlus: ZUGÄNGE. © öbvhpt, Wien 2007

SchulbuchPlus:

Lehr- und Lernmaterialien

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UGÄNG

E

E i n e L i t e r a t u r k u n d e

SB-Nr. 530

Alfred Bauer

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SchulbuchPlus: ZUGÄNGE. © öbvhpt, Wien 2007

Inhalt

Einleitung

0 v MITTELALTER
Arbeitsblatt: „Nibelungenlied“ ............................................................................................. 1
Arbeitsblatt: Wolfram von Eschenbach „Parzival“ ............................................................... 3
Informationsblatt: „Hildebrandslied“ .................................................................................... 4
Informationsblatt: Wernher der Gartenaere „Helmbrecht“ ................................................... 5
Zusammenfassung: Mittelalter ............................................................................................ 7

03 v RENAISSANCE, REFORMATION UND BAROCK
Arbeitsblatt: Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen „Der abenteuerliche
Simplicissimus Teutsch“ ....................................................................................................... 1
Arbeitsblatt: Andreas Gryphius „Es ist alles Eitel“ (Sonett, Metapher, Antithese) .............. 2
Informationsblatt: Erasmus von Rotterdam ......................................................................... 4
Zusammenfassung: Renaissance, Humanismus und Reformation ...................................... 5
Zusammenfassung: Die deutsche Literatur in der Zeit des Barock (17. Jahrhundert) ......... 6

04 v AUFKLÄRUNG UND STURM UND DRANG
Arbeitsblatt: Gotthold Ephraim Lessing „Nathan der Weise“ ............................................. 1
Arbeitsblatt: Bürgerliches Trauerspiel (Gotthold Ephraim Lessing „Emilia Galotti“/
Friedrich Schiller „Kabale und Liebe“) ............................................................................... 2
Arbeitsblatt: Johann Wolfgang von Goethe „Die Leiden des jungen Werthers“ ................. 4
Arbeitsblatt. Jakob Michael Reinhold Lenz „Der Hofmeister“ ............................................ 6
Zusammenfassung: Grundlagen – Einfluss des Auslandes .................................................. 8
Zusammenfassung: Die deutsche Literatur in der Zeit der Aufklärung ............................... 11
Zusammenfassung: Die deutsche Literatur des Sturm und Drang ....................................... 14

05 v LÄNGSSCHNITTE UND LEITBEGRIFFE (6. Klasse)

06 v KLASSIK UND ROMANTIK
Arbeitsblatt: Friedrich Schiller „Maria Stuart“ .................................................................... 1
Arbeitsblatt: Heinrich von Kleist „Michael Kohlhaas“ (Novelle) ....................................... 3
Informationsblatt: Johann Wolfgang von Goethe „Iphigenie“ ............................................. 5
Informationsblatt: E. T. A. Hoffmann „Der Sandmann“ ....................................................... 6
Zusammenfassung: Die deutsche Klassik (1786/1794–1805) .............................................. 7
Zusammenfassung: Die deutsche Romantik (ca. 1795 bis ca. 1820) .................................. 11

07 v BIEDERMEIER UND VORMÄRZ
Arbeitsblatt: Johann Nestroy „Der Talisman“ ..................................................................... 1
Arbeitsblatt: Georg Büchner „Woyzeck“ ............................................................................. 3
Informationsblatt: Franz Grillparzer „Der Traum ein Leben“ ............................................. 4
Informationsblatt: Politische Lyrik in der Zeit des Biedermeier und Vormärz ..................... 6
Zusammenfassung: Biedermeier und Vormärz .................................................................... 8

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08 v BÜRGERLICHER REALISMUS UND GRÜNDERZEIT
Arbeitsblatt: Gottfried Keller „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ ....................................... 1
Arbeitsblatt: Theodor Fontane „Effi Briest“ ......................................................................... 2
Informationsblatt: Ludwig Anzengruber „Das vierte Gebot“ ............................................... 4
Zusammenfassung: Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit ............................................. 6

09 v NATURALISMUS UND MODERNE DER JAHRHUNDERTWENDE
Arbeitsblatt: Gerhart Hauptmann „Die Weber“ ................................................................... 1
Arbeitsblatt: Arthur Schnitzler „Leutnant Gustl“ ................................................................ 2
Informationsblatt: Gerhart Hauptmann „Bahnwärter Thiel“ ................................................ 3
Informationsblatt: Arthur Schnitzler „Liebelei“ .................................................................. 5
Zusammenfassung: Naturalismus ........................................................................................ 7
Zusammenfassung: Die Wiener Moderne ............................................................................. 10

0 v LÄNGSSCHNITTE UND LEITBEGRIFFE (7. Klasse)

 v EXPRESSIONISMUS UND ERSTER WELTKRIEG
Arbeitsblatt: Alfred Döblin „Berlin Alexanderplatz“ .......................................................... 1
Informationsblatt: Franz Kafka „Die Verwandlung“ ............................................................ 2
Zusammenfassung: Expressionismus und Erster Weltkrieg (ca. 1910 bis 1920/25) ........... 4

 v NEUE SACHLICHKEIT UND FASCHISMUS
Arbeitsblatt: Ödön von Horváth „Geschichten aus dem Wiener Wald“ .............................. 1
Arbeitsblatt: Bertolt Brecht „Leben des Galilei“ ................................................................. 2
Informationsblatt: Joseph Roth „Radetzkymarsch“ .............................................................. 3
Informationsblatt: Stefan Andres „El Greco malt den Großinquisitor“ ............................... 5
Zusammenfassung: Neue Sachlichkeit und Faschismus ....................................................... 7
Zusammenfassung: Die deutsche Literatur im Exil (1933–1945) ........................................ 10
Zusammenfassung: Literatur der „Inneren Emigration“ ....................................................... 12
Zusammenfassung: Literatur im „Dritten Reich“ ................................................................. 14

3 v DEUTSCHE LITERATUR DER NACHKRIEGSZEIT UND DER GEGENWART
Arbeitsblatt: Max Frisch „Biedermann und die Brandstifter“ .............................................. 1
Arbeitsblatt: Carl Merz /Helmut Qualtinger „Der Herr Karl“ .............................................. 2
Arbeitsblatt: Christa Wolf „Kassandra“ ............................................................................... 3
Informationsblatt: Friedrich Dürrenmatt „Der Besuch der alten Dame“ .............................. 4
Informationsblatt: Friedrich Schiller „Wilhelm Tell“/Max Frisch „Wilhelm Tell
für die Schule“ ...................................................................................................................... 6
Informationsblatt: Friedrich de la Motte Fouqué „Undine“/Ingeborg Bachmann
„Undine geht“ ...................................................................................................................... 8
Zusammenfassung: Die deutsche Literatur nach 1945 ......................................................... 10
Zusammenfassung: Die deutsche Literatur seit Ende der sechziger Jahre .......................... 13
Zusammenfassung: Die Literatur der DDR ......................................................................... 14
Zusammenfassung: Österreichische Literatur von 1945 bis zur Gegenwart ........................ 15

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Einleitung

So wie jeder Leser von einem Werk ausgeht und nicht von der Literaturgeschichte, geht auch
die Literaturkunde „Zugänge“ vom einzelnen Werk aus, zu dem sie Informationen liefert. Das
heißt, sie nimmt den Leser in seiner Praxis ernst und verweist nachdrücklich auf die Grund-
forderung des modernen Deutschunterrichts, immer von der Arbeit an einem Text auszugehen.
Trotzdem halten wir die literaturgeschichtliche Einordnung und Orientierung für unverzicht-
bar: Die Beschränkung auf das einzelne Werk ohne Einordnung in einen historischen Zusam-
menhang würde zu Beliebigkeit und vor allem zum Verlust des geschichtlichen Bewusstseins
führen. Deshalb werden in der Literaturkunde die einzelnen Werke in Epochen geordnet und
diesen einführende allgemeine Bemerkungen vorausgestellt. Den literaturgeschichtlichen Rah-
men dazu liefern die folgenden Lehr- und Lernmaterialien.
Dabei ergibt sich natürlich die Frage nach Funktion und Umfang. Literaturgeschichtliches Wis-
sen soll Orientierungs – und Anwendungswissen sein. Es soll dem Leser dienen, sich rasch zu-
rechtzufinden (sich zu orientieren), und es soll ihm helfen, Werke zuzuordnen. Ziel ist also kein
literaturgeschichtliches Wissen um seiner selbst willen. In der schulischen Praxis würde das
bedeuten, dass das Wissen etwa bei einer Prüfung (bis hin zur mündlichen Matura) an einem
Text demonstriert, angewendet werden soll und nicht „heruntergeleiert“.
Die Autoren der Literaturkunde gehen davon aus, dass zu den einzelnen Epochen zunächst
ein besonders kennzeichnendes Werk als Ganztext gelesen wird, um den sich weitere Werke
mit Teilaspekten reihen können, die weitere Einblicke in Kennzeichen und Themen einer Zeit
liefern. In jedem Abschnitt sind dabei ein oder mehrere Texte durch umfangreiche Bearbeitung
als „Haupttexte“ hervorgehoben. Deren Lektüre, ergänzt durch andere Texte (auch Sachtexte
der Zeit), und die literaturgeschichtliche Zusammenfassung ergäben dann den Überblick über
die Epoche, ein Bild von ihr.
Diese literaturgeschichtlichen Zusammenfassungen können und sollen keinen Anspruch auf
Vollständigkeit erheben, sie bieten keine Literaturgeschichte. Sie sind von der Praxis bestimmt
und beruhen auf gängigen Literaturgeschichten. Dass solche Zusammenfassungen angreifbar
sind, ist uns bewusst, aber sie sind unverzichtbar. Sie können je nach Bedürfnissen vereinfacht,
ergänzt oder unverändert in die Hand des Schülers/der Schülerin gegeben werden.
Den jeweiligen Zusammenfassungen sind noch Arbeits- und Informationsblätter vorangestellt.
Auch sie sind für LehrerInnen und SchülerInnen gedacht. Die Arbeitsblätter bieten Vorschläge
zur Erarbeitung eines Textes, die entweder von einem Schüler/einerSchülerin allein – etwa als
Hilfe bei einem Referat – oder aufgeteilt auf mehrere SchülerInnen verwendet werden können.
Auch dem Lehrer wollen sie einen raschen Zugriff auf wichtige Aspekte eines Textes zeigen.
Die Auswahl erfolgte danach, wie repräsentativ der Text ist, wie zugänglich, wie zumutbar (von
der Schwierigkeit und der Länge) und wie erreichbar (Ausgaben der Texte).
In den Informationsblättern wird noch auf mögliche Alternativen oder mögliche Lücken (eine
Literaturkunde mit Texten ist natürlich in der Auswahl begrenzt) hingewiesen. Die Information
beschränkt sich dabei auf eine kurze Zusammenfassung des Inhalts der Texte und die Behand-
lung wichtiger Themen und Aspekte.
Arbeitsblätter, Informationsblätter und Zusammenfassungen können ausgedruckt und kopiert
den Schülern in die Hand gegeben werden.

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In den Literaturhinweisen sind vor allem gängige, leicht zugängliche Werke genannt, wenn
möglich wurden Taschenbuchausgaben ausgewählt oder die günstigen Reclam-Ausgaben. In
allen finden sich dann ausführliche Literaturangaben, mit denen man weiterarbeiten kann. So
könnten auch SchülerInnen an ein verständiges Benützen von Sekundärliteratur herangeführt
werden.
Vereinzelt sind auch Verzahnungen mit anderen Bereichen des Deutschunterrichts – wie etwa
dem Schreiben – hergestellt. Auf die Werkbeschreibung oder Literarische Facharbeit sei damit
ausdrücklich hingewiesen.
Immer wieder wird auch versucht, eine Methode aufzugreifen, die schon in den „Zugängen“
selbst unter dem Kapitel „Kreativer Umgang mit Texten – produktionsorientierte Verfahrens-
weisen“ (S. 41) präsentiert wird. Sie sollte im Deutschunterricht größeren Raum bekommen
und wird hier daher noch einmal dargestellt – gestützt auf Günter Waldmann, der viel zu ihrer
Ausformung und Verbreitung getan hat. Waldmann geht davon aus, dass dichterische Spra-
che von Alltagssprache verschieden ist; nicht grundsätzlich, sondern nur insoweit, als sie in
der Sprache bereits vorhandene Formen aufgreift, verstärkt und kultiviert. Dadurch entsteht
ein Mehr. Waldmann nennt es sprachliche Überstrukturierung, auf der Ebene des Klangs, des
Worts, des Satzes und des Textes. Dieses Mehr muss, damit es überhaupt wirksam werden kann,
vom Leser erkannt, erfahren werden (Differenzerfahrung). Geschieht das nicht, existiert es für
den Leser nicht.
Diese Differenzerfahrung möchte nun Waldmann auf produktive Art und Weise nutzen, er läst
den Leser den Unterschied durch eigenes Tun erfahren und somit erkennen (learning by doing).
Also nicht nur Reflexion und Analyse, sondern konkrete Erfahrung durch eigenes Tun, das
heißt Schreiben. Der Unterschied kann aber auch selbst hergestellt werden. Um zu erfahren,
wie ein Text „gemacht“ ist, warum ein Autor/eine Autorin etwas gerade so geschrieben hat und
nicht anders, verändere ich diesen Text, stelle eine Differenz her, indem ich der vom Autor/von
der Autorin gewählten Möglichkeit andere – von mir gewählte – Möglichkeiten gegenüberstel-
le. Dieses Eingreifen in den Text soll aber kein respektloses Zerstückeln, keinen respektlosen
Umgang mit Texten darstellen, im Gegenteil: Es macht Respekt erst möglich, da erst durch die
Differenzerfahrung Können und Fertigkeit eines Autors/einer Autorin, Vollkommenheit oder
Unvollkommenheit eines Textes erlebt werden können. Man bekommt erst dadurch ein begrün-
detes Urteil und ein vertieftes Verständnis. Kann jemand, der immer nur und ausschließlich
Schönes, Vollkommenes und nie weniger Schönes und Vollkommenes sieht, wirklich sagen,
was schön und vollkommen ist?
Mit produktiven Verfahrensweisen kann man die Arbeit an Texten aktiv, intensiv und lustvoll
gestalten, was bei analytischen Verfahrensweisen nicht immer erreichbar ist. Produktive Ver-
fahren eignen sich also besonders dazu, solche Merkmale dichterischer Texte zu erarbeiten,
deren analytisches Erarbeiten mühsam und wenig lustvoll ist. Ausgedehnte Hinweise dazu ent-
halten:

Günter Waldmann: Produktiver Umgang mit Lyrik. Eine systematische Einführung in die
Lyrik, ihre produktive Erfahrung und ihr Schreiben. Schneider Verlag, Baltmannsweiler 1988
Günter Waldmann/Karin Bothe: Erzählen. Eine Einführung in kreatives Schreiben und produk-
tives Verstehen von traditionellen und modernen Erzählformen. Klett Verlag, Stuttgart 1992

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MITTELALTER

Nibelungenlied

ARBEITSBLATT

(Siehe Zugänge, S. 108)

Für die Behandlung und Lektüre im Unterricht als Ganztext eignen sich:
Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutscher Text mit Übertragung. Hg. und übersetzt von Helmut
Brackert. Fischer Taschenbuch 6038, 6039

Besser geeignet, weil preisgünstiger und in einer vorzüglichen Prosa gestrafft erzählt:
Das Nibelungenlied. Neu erzählt von Franz Fühmann. Klett Lesehefte
Die ergänzenden Materialien in diesem Heft erlauben eine vertiefende und ergänzende Arbeit
in Einzelreferaten und Gruppenarbeit.

Folgende Themen und Fragestellungen können am Text erarbeitet werden:
Die Rolle von Treue und Untreue: Wo spielt Treue eine wesentliche Rolle? Wer ist wem zur
Treue verpflichtet? Skizzieren Sie die entsprechenden Szenen! Welche Probleme und Konflikte
können daraus entstehen? Wer begeht mit welchen Motiven Untreue? Was sind die Konse-
quenzen für den weiteren Verlauf?
Die Rolle des Betrugs: Skizzieren Sie die Szenen, in denen Betrug eine entscheidende Rolle
spielt. Wer betrügt wen mit welcher Absicht? Sind es Hauptoder Nebenpersonen? Welche Rolle
spielt der Betrug im Gesamtgefüge der Handlung?
Die Rolle der Gewalt: Wo tritt Gewalt in den menschlichen Beziehungen auf? Wer übt Gewalt
wem gegenüber aus, in welcher Form? Gibt es Ansätze, Konflikte auf andere Art zu lösen?
Welche Rolle spielt also Gewalt für den Handlungsverlauf?
Die Stellung der Frau: Welche Rollen werden Frauen zugeschrieben? Sind sie selbständig Han-
delnde oder sind sie der Verfügungsgewalt der Männer unterworfen? Was bedeutet das Handeln
der Frauen für den Handlungsverlauf?
Die Stellung des Königs: Skizzieren Sie die Stellen, wo der König (Gunther oder Etzel) Ent-
scheidungen zu treffen hat. Trifft er sie selbständig? Hat er Ratgeber? Wie ist ihr Einfluss? Was
bedeutet ihr Handeln für den Handlungsverlauf?

Produktionsorientierte, kreative Zugänge:
Sich in die Lage einer Hauptperson versetzen: Erzählen Sie die ganze Geschichte aus der Sicht
Kriemhilds. (Das liegt insofern nahe, als ja Kriemhild immer mehr zur heimlichen Hauptfigur
wird.)
Einzelne Szenen aus verschiedener Perspektive erzählen: Gestalten Sie zum Beispiel die erste
Begegnung Kriemhilds mit ihren Brüdern und Hagen an Etzels Hof aus der Sicht Kriemhilds
und Hagens.

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Literaturhinweise:
Deutsche Dichter. Bd. 1. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1989
Otfried Ehrismann: Nibelungenlied. Epoche – Werk – Wirkung. H. C. Beck, München 1987
Joachim Heinzle: Das Nibelungenlied, Bd. 1. S. Fischer, Frankfurt am Main 1843
Die Nibelungen. Hg. von Joachim Heinzle und Anneliese Waldschmidt. Suhrkamp, Frankfurt
am Main (= stm 2110) (geht vor allem auf die Rezeption im 19. und 20. Jahrhundert ein)

Lesehinweis:
Wolfgang Hohlbein: Hagen von Tronje. Ueberreuter, Wien 1994 (Das Nibelungenlied wird hier
aus der Sicht Hagens erzählt.)

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Wolfram von Eschenbach:
Parzival

ARBEITSBLATT

(Siehe Zugänge, S. 112)

Leider gibt es vom „Parzival“ keine so geeignete Ausgaben, dass eine Behandlung im Unter-
richt als Ganzschrift ohne weiteres empfohlen werden kann. Abgesehen davon, dass ja kaum
Zeit für zwei Ganztexte bleibt. Sollte man sich aber für den „Parzival“ entscheiden, was ja auf
Grund der Weltfülle, der Komplexität, der künstlerischen Gestaltung richtig wäre (ohne damit
das „Nibelungenlied“ abwerten zu wollen), so gibt es folgende Möglichkeiten:

Parzival. Übersetzt von Wolfgang Spiewok. RUB Nr. 3681–3682 (Zwar noch halbwegs preis-
günstig, aber für die Arbeit in einer 6. Klasse wohl zu umfangreich.)
Parzival. Übersetzt von Dieter Kühn. Frankfurt am Main 1986 (Ein interessanter Versuch, auch
die Eigenart der Sprache Wolframs entsprechend zu berücksichtigen, für den Schulgebrauch
wohl zu teuer. Für Vergleichszwecke aber sehr interessant.)

Will man also trotz dieser Textsituation einen Versuch machen, könnten etwa folgende
Fragen bearbeitet werden:
Der Prozess der Entwicklung, Selbsterkenntnis und Selbstfindung Parzivals: Stellen Sie die
wichtigsten Stationen dar. Was gewinnt seine Persönlichkeit jeweils hinzu? Wodurch wird die-
ser Prozess gefördert oder verhindert? Vergleichen Sie damit Gawans Weg? Stellen Sie seine
Abenteuer dar! Gibt es eine Entwicklung, einen Gewinn an Selbsterkenntnis oder an Selbstfin-
dung?
Die Darstellung der Liebe: Welche Liebesbeziehungen werden dargestellt? Wodurch sind sie
gekennzeichnet? Wie ist der Verlauf? Welche Formen der Liebesbeziehung sind positiv gese-
hen, welche negativ?
Die Bedeutung der Verwandtschaftsverhältnisse: Stellen Sie die verwandtschaftlichen Verhält-
nisse dar. Fertigen Sie einen Stammbaum an.

Literaturhinweise:
Karl Bertau: Wolfram von Eschenbach. C. H. Beck, München 1983
Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach. Metzler, Stuttgart 1981
Deutsche Dichter. Bd. 1. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1989

Lesehinweise:
Dieter Kühn: Der Parzival des Wolfram von Eschenbach. Insel, Frankfurt am Main 1987
Adolf Muschg: Der Rote Ritter. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1993

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Hildebrandslied

INFORMATIONSBLATT

Inhalt: Hadubrand und Hildebrand fordern einander vor ihren Heeren (Gefolgschaften)
heraus. Offensichtlich hat Hadubrand zur Verteidigung seiner Herrschaft den ihm frem-
den Eindringling gestellt. Voll gerüstet und gewappnet treten sie einander gegenüber;
Hildebrand als Älterer will nun herausfinden, mit wem er es zu tun hat. Hadubrand gibt
sich als Sohn Hildebrands zu erkennen, den er für tot hält. Hildebrand weist auf nahe Ver-
wandtschaft hin und will ihm goldene Armringe schenken, wird aber von Hadubrand als
Betrüger beschimpft. Hildebrand beklagt, dass er nach dreißig Jahren Abwesenheit und
vielen Kämpfen jetzt seinem eigenen Sohn gegenübersteht, will diesem aber den Kampf
nicht verweigern, der entscheiden muss. (Hier bricht der Text ab, aber aus anderen Quel-
len lässt sich erschließen, dass Hildebrand seinen Sohn tötet.)

Das Hildebrandslied ist das einzige erhaltene althochdeutsche Beispiel eines germa-
nischen Heldenliedes. Es besteht aus stabgereimten Langzeilen und spielt vor dem Hin-
tergrund der Ostgotenherrschaft in Italien um 500 n. Chr. Wahrscheinlich geht es auf eine
bairische Bearbeitung eines langobardischen Liedes (Anfang des 8. Jh.) zurück. Die ein-
zige erhaltene Handschrift stammt aus dem Kloster Fulda, aus dem 9. Jahrhundert.
In der Literatur findet man häufig, es handle sich beim Hildebrandslied um die Darstellung
eines Vater-Sohn-Konflikts. Zutreffend ist aber eher die Kennzeichnung als Vater-Sohn-
Kampf, bei dem es letztlich um einen Ehrkonflikt geht. Ein Vater-Sohn-Konflikt geht ja in
der Regel vom Sohn aus, der sich am Vater misst, reibt und sich mit ihm auseinander-
setzt, manchmal mit tödlichem Ausgang.
Seltener geht die Auseinandersetzung vom Vater aus, der dann den Sohn als Rivalen oder
Konkurrenten sieht und ihn aus dem allgemeinen Lebensneid des Älteren dem Jüngeren
gegenüber bekämpft. Das setzt aber voraus, dass sich die beiden kennen und zusam-
menleben. Hadubrand kennt aber seinen Vater nicht, hat ihn seit jüngsten Jahren nicht
mehr gesehen (dreißig Jahre war Hildebrand fort), woran soll er sich messen, reiben? Es
ist also letztlich ein Ehrkonflikt: Die beiden haben einander herausgefordert, Hadubrand
hat Hildebrand außerdem beschimpft und beleidigt, die Annahme eines Geschenks aus
Mißtrauen zurückgewiesen, sodass Hildebrand, obwohl er weiß, dass es sein Sohn ist,
keinen Ausweg mehr sieht: Er muss seine Ehre schützen, und er muss auch seinem Sohn,
der ihn herausgefordert hat, die Ehre geben, das heißt, er darf ihm den Zweikampf nicht
verweigern. Die Ehre wird somit zu einem Wert, der alles andere, sogar die Familienban-
de, dominiert. Verschärft wird das noch dadurch, dass Hadubrand ja daran zweifelt, es
mit seinem Vater zu tun zu haben, und in einer unruhigen Zeit sein Land und seinen Besitz
verteidigt, Hildebrand aber genau weiß, daß ihm sein Sohn gegenübersteht.
Aus heutiger Sicht verstörend wirkt natürlich, dass der Wissende, also Hildebrand, keine
zusätzlichen Anstrengungen unternimmt, auf andere Art seine Identität nachzuweisen.
Sobald die Ehre ins Spiel kommt, gibt es kein Zurück mehr: Er ruft nur mehr das Schicksal
an und überlässßt ihm alles weitere.

Literaturhinweis:
Deutsche Dichter. Bd. 1. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1989

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Wernher der Gartenaere:

INFORMATIONSBLATT

Helmbrecht

Inhalt: Der junge Helmbrecht, Sohn eines wohlhabenden und selbstbewussten Bauern,
will seinen Stand verlassen und Ritter werden. Begünstigt und bestärkt in diesem Vorha-
ben wird er von seiner Mutter und seiner Schwester, die ihm reiche Kleidung schenken,
die ihn weit über seinen Stand erhebt. Der Vater dagegen will ihn davon abbringen. In
langen Gesprächen versucht er seinen Sohn zu überzeugen, doch Helmbrecht hat nur
noch Verachtung für den Stand des Bauern übrig, selbst die Träume des Vaters, die ihm
ein schreckliches Ende vorhersagen, können ihn nicht mehr abschrecken. So wird er zum
Raubritter, der die Bauern – also die Angehörigen seines früheren Standes – gnadenlos
ausplündert. Nach einem Jahr besucht er seine Eltern, kehrt aber beim Empfang den
Abstand hervor, indem er sie von oben herab mit irgendwo aufgeschnappten Sprachbro-
cken fremder Sprachen begrüßt, die er noch dazu falsch verwendet. Erst als ihn sein Vater
schon fast des Hauses verwiesen hat, gibt er sich zu erkennen. Freundlich wird er nun
aufgenommen und großzügig bewirtet. Wieder kommt es zu einem Gespräch mit dem Va-
ter: Helmbrecht schildert das sittenlose Leben seiner „ritterlichen“ Kumpane, das nur aus
Unrecht, Gewalt, Raub und Prasserei besteht. Der Vater stellt dagegen das alte Ritteride-
al, wie er es in seiner Jugend noch selbst erlebt hat. Auf weitere Vorhaltungen des Vaters
droht Helmbrecht, ihn in Zukunft nicht mehr vor seinen Freunden zu schützen. Schließlich
überredet er noch seine Schwester, einen seiner Kumpanen zu heiraten. Die Hochzeit
endet aber in einer Katastrophe: Ein Richter mit seinen Schergen nimmt die Raubritter
gefangen, neun werden auf der Stelle hingerichtet, Helmbrecht wird „verschont“: Die Au-
gen werden ihm ausgestochen, der linke Fuß und der rechte Arm abgeschlagen; so gehen
die Träume des Vaters in Erfüllung. Derart verstümmelt kehrt er zu seinem Vater zurück,
der ihn mit gnadenloser Härte und voll bitteren Hohns des Hofes verweist, nur die Mutter
steckt ihm ein Stück Brot zu. Ein Jahr irrt Helmbrecht noch umher, ehe er von Bauern, die
er ehedem ausgeplündert und misshandelt hat, gehängt wird.

Über den Autor ist nichts bekannt, aus seiner Sprache lässt sich auf eine Herkunft aus
Bayern oder Österreich schließen; wahrscheinlich war er ein Fahrender. Die Verserzäh-
lung „Helmbrecht“ entstand in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts. Ein Vorbild oder eine
Quelle sind nicht bekannt, überhaupt steht das Werk mit seiner Thematik im 13. Jahrhun-
dert ziemlich einzigartig da. Früher meinte man, der Titel sei „Meier Helmbrecht“, was
den Vater als titelgebende Figur in den Mittelpunkt gerückt hat, nach heutigem Wissen ist
„Helmbrecht“ der Titel, was den Sohn und sein exemplarisches Versagen in den Mittel-
punkt stellt.
Obwohl der Dichter zu Beginn versichert, sein Werk sei aus dem Leben gegriffen, das
Erzählte hätte sich vor seinen Augen abgespielt, lesen wir heute die Geschichte als eine
Parabel, die menschliches Fehlverhalten exemplarisch darstellt. Helmbrecht verstößt ge-
gen die Ordnung der Familie, missachtet das 4. Gebot, indem er die Gehorsamspflicht
gegenüber dem Vater verletzt, behandelt seine Eltern bei seinem Besuch verächtlich und
droht sogar seinem Vater, ihn künftig vor seinen Kumpanen nicht mehr zu beschützen.
Helmbrecht verstößt aber auch gegen die Ordnung der Gesellschaft, indem er seinen
Stand verlässt und seine früheren Standesangehörigen gnadenlos ausplündert.

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Diese Verserzählung ist auch eine radikal ins Böse verkehrte Variante der Parabel vom
verlorenen Sohn: Dort wird der Sohn, nachdem er seine Familie verlassen und alles durch-
gebracht hat, vom Vater wieder mit Liebe aufgenommen. Hier wird der Sohn, trotz seiner
Verstümmelungen vom Vater gnadenlos verjagt und damit jenem Urteil zugeführt, das er
bereits in seinen Träumen über ihn verhängt hat.
In den langen Gesprächen zwischen Vater und Sohn – sie machen mehr als die Hälfte
der Verserzählung aus – wird nicht nur die eigentliche Lehre verkündet, es kommen dabei
Dinge zur Sprache, die in der Literatur des Mittelalters sehr selten sind. Kommen dort
Bauern bestenfalls als Objekte vor, tritt hier ein Bauer selbstbewusst als handelndes Sub-
jekt auf, der voll Stolz verkündet, dass mancher König nur durch den Fleiß und Schweiß
der Bauern sich gekrönt sieht und Bauern überhaupt erst die Grundlage schaffen für
Ruhm und Ehre der anderen Stände.
Das Rittertum, sonst eine ideale Welt, erscheint hier nur im Zerrbild des brutalen Raubrit-
ters, das ideale Rittertum existiert nur noch in der Erinnerung des Meier Helmbrecht. So ist
zwar die Moral der Erzählung eindeutig konservativ, die bestehende Ständegesellschaft
bewahrend und bestätigend, andererseits steht dieses Epos mit den zuletzt dargestellten
Aspekten im Mittelalter ganz einzigartig da.

Literaturhinweise:
Deutsche Dichter. Bd. 1. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1989
Peter von Matt: Verkommene Söhne, mißratene Töchter. Hanser, München 1995

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Zusammenfassung: Mittelalter

Politik, Gesellschaft und Kultur

Nach dem Untergang des Weströmischen Reiches, verursacht durch inneren Zerfall und dem
Ansturm der germanischen Stämme, kam es im bisher von Rom beherrschten Europa zu einem
politischen, wirtschaftlichen, zivilisatorischen und kulturellen Bruch und Rückschritt. An die
Stelle einer hochentwickelten, von Städten und ihren Bewohnern geprägten Kultur und Zivi-
lisation traten agrarisch dominierte Gesellschaften in den germanischen Nachfolgestaaten, in
denen mehr als 90 Prozent der Bevölkerung auf dem Lande lebten oder in der Landwirtschaft
tätig waren. Die ursprünglich freien Bauern wurden in einem längeren Prozess zu Abhängig-
keit, Hörigkeit und schließlich Leibeigenschaft gezwungen.
Solcherart dienten sie dem geistlichen und weltlichen Adel, dem sie mitsamt dem zu bebauen-
den Land vom König als Lehen überlassen worden waren, als Belohnung für geleistete Dienste
und zur Versorgung. Die daraus resultierende Ständeordnung, erster Stand = geistlicher Adel
(Klerus), zweiter Stand = weltlicher Adel (Ritter), dritter Stand = Bauern, wurde von der Kirche
als gottgewollt legitimiert und bestand das ganze Mittelalter. Erst gegen dessen Ende traten als
neues Element die Bewohner der Städte, die Bürger, hinzu. Da der weltliche Adel zunächst jede
Bildung ablehnte und die Bauern von ihr ausgeschlossen waren, blieb der Klerus ihr einziger
Träger und Vermittler, wurden die Klöster auch zu Zentren der Kultur, die daher nach Inhalt und
Zweck überwiegend religiös geprägt war. Dementsprechend dominierte auch die lateinische
Sprache, und die Verwendung der deutschen Sprache bedurfte ganz besonderer Bedingungen
und Voraussetzungen. In der deutschen Sprache unterscheidet man in diesem langen Zeitraum
Althochdeutsch (etwa 750–1050), Mittelhochdeutsch (etwa 1050–1350) und Frühneuhoch-
deutsch (etwa 1350–1650). Es gab keine einheitliche Hochsprache, sondern nur die zahlreichen
Dialekte.
Ausschlaggebend für Lautung und Schreibweise war der Schreibort oder die Schreibprovinz,
das waren vom 8. bis zum 12. Jahrhundert die Klöster und Bischofssitze und seit dem 13. Jahr-
hundert die Städte und Kanzleien der weltlichen und geistlichen Landesherren.
Dieser lange Zeitraum wird in der Literaturgeschichtsschreibung entweder nach den Sprachab-
schnitten (also althochdeutsche Literatur usw.) gegliedert, nach den Herrscherfamilien
(Literatur zur Zeit der Karolinger, Ottonen usw.) oder nach den Hervorbringern bezeichnet als
Literatur der Geistlichen, der Ritter und der Bürger. Für unsere Zwecke empfiehlt sich eine
Beschränkung auf zwei Höhepunkte: Zeit Karls des Großen, Stauferzeit um 1200.
Karl der Große versuchte die teilweise sehr mühsam errungene politische Einigung der ver-
schiedenen germanischen Stämme (Beispiel Sachsen!) durch eine gemeinsame Kultur, Religi-
on und Sprache zu stärken. So sollte das Christentum das einigende Band für alle Völker wer-
den, dessen Lehre allerdings auf lateinischen Texten beruhte. Eine erfolgreiche Missionierung
musste sich aber der deutschen Sprache bedienen, die daher von Karl bewusst gefördert wurde;
damals entstand auch der Begriff „deutsch“ und zwar aus thiudisk, das heißt volkssprachig.
Die deutsche Sprache war demnach die lingua theodisca in bewusstem Gegensatz zur lingua
romana (Lateinisch).
Die Literatur dieser Zeit war daher religiöse Gebrauchsliteratur, beruhte zum groß-
en Teil auf Übersetzungsarbeit und wurde von gebildeten Geistlichen in Klöstern
(besonders wichtig das Kloster Fulda) verfasst.

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Dazu gehört auch die „Evangelienharmonie“ (Darstellung des Lebens Jesu aufgrund der vier
Evangelien) des Mönchs Otfried von Weißenburg, der nicht mehr den germanischen Stabreim,
sondern den Endreim verwendete. In den weiteren Kreis der religiösen Dichtung gehören das
„Muspilli“ (ein geistliches Gedicht vom Weltuntergang), das „Wessobrunner Schöpfungsge-
dicht“ und die „Merseburger Zaubersprüche“. Als Dichtung nimmt dabei in dieser Zeit das
„Hildebrandslied“ eine ganz einzigartige Stellung ein (siehe Informationsblatt). In der Zeit der
Ottonen und Salier dominiert wieder völlig das Lateinische, sodass sogar volkssprachige Stoffe
als lateinische Hexameterepen verfasst werden, wie zum Beispiel „Waltharius“.
Die neue höfische Kultur entstand zuerst in Frankreich, ein erster Ansatz dazu war das Entste-
hen einer klerikalen weltlichen Literatur, allerdings immer noch in lateinischer Sprache.
Erst die Begegnung mit der reicheren und fortgeschritteneren Kultur und Zivilisation des Ori-
ents im 1. Kreuzzug (1096–1099) und das Entstehen einer neuen Kultur an den Höfen, die vom
Kriegeradel bestimmt wurde, führte zur Herausbildung einer volkssprachigen Literatur.
Auf deutschem Gebiet setzte diese Entwicklung später ein, das hängt damit zusammen, dass
erst im 12. Jahrhundert die Reiseherrschaft des Landesherren (Landesfürst) – er reiste mit sei-
nem noch recht kleinen Hofstaat im Lande umher und übte so die Herrschaft aus – durch die
Schaffung von festen Residenzen abgelöst wurde. In denen entwickelte sich rasch eine hö-
fische, nicht mehr religiös geprägte Kultur, in der viel aus Frankreich übernommen wurde. Sie
diente der Geselligkeit, dem Unterhaltungs- und Repräsentationsbedürfnis des Adels, und bot
außerdem den großen
Fürstenhäusern die Möglichkeit, die eigene Bedeutung, den eigenen Wert gegenüber dem
König oder dem Kaiser darzustellen. Höfische Kultur war also auch ein Instrument in der Aus-
einandersetzung zwischen Hochadel und König. Von den vielfachen Formen der Literatur und
Geselligkeit an den französischen Höfen entlieh man in Deutschland im wesentlichen nur zwei:
das höfische Epos und den Minnesang.

Das höfische Epos

Wolfram von Eschenbach (siehe Zugänge, S. 112).
Gottfried von Straßburg (siehe Zugänge, S. 115).
Hartmann von Aue: Er hat durch Übertragung der mustergültigen Werke des Chrétien des
Troyes den Artussagenkreis in die deutsche Literatur gebracht. In den Epen „Erec“ und „Iwein“
stellt er Ritter in den Mittelpunkt, die sich vom ritterlichen Ideal entfernen und erst nach vielen
Abenteuern und mühevollen Kämpfen zurückfinden.
Das germanische Heldenlied: Das Nibelungenlied (siehe Zugänge, S. 108).
Der Minnesang (siehe Zugänge, S. 116).
Lehrmeister Walthers von der Vogelweide war Reinmar von Hagenau, ein bedeutender Zeitge-
nosse Heinrichs von Morungen. Neidhart von Reuenthal erweiterte die Minnethematik durch
Winter- und Sommerlieder und Verlegung der Schauplätze in den bäuerlichen Bereich.
Eine späte Form und stark geprägt von der Eigenart des Dichters sind die Lieder Oswalds von
Wolkenstein.
Die mittelhochdeutsche Minnelyrik ist in großen Liederhandschriften erhalten, zum Beispiel in
„Die große Heidelberger Liederhandschrift“.
Lateinische Lieder (so genannte Vagantenlyrik) sind in der Benediktbeurer Handschrift („Car-
mina burana“) gesammelt.

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Literaturhinweise:

Zu Kultur und Zivilisation
Joachim Bumke: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. Deutscher
Taschenbuch Verlag, München 1986 (= dtv 4442)
Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976

Zur Epoche
Karl Bertau: Deutsche Literatur im europäischen Mittelalter. 2 Bde. C. H. Beck, München
1972/73
Joachim Bumke/Thomas Cramer/Dieter Kartschoke: Geschichte der deutschen Literatur im
Mittelalter. 3 Bde. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1990 (= dtv 4551, 4552, 4553)
Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 1 und 2. Hg. von Horst Albert Glaser. Rowohlt
Verlag, Reinbek bei Hamburg (= rororo 6249, 6250)
Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. Hg. von
Joachim Heinzle. Niemeyer, Tübingen 1984 ff.
Peter Wapnewski: Deutsche Literatur des Mittelalters. Vandenhoeck, Göttingen 1980
Max Wehrli: Geschichte der deutschen Literatur vom frühen Mittelalter bis zum Ende des
16. Jahrhunderts. 1984

Zu einzelnen Autoren und Werken
Walther von der Vogelweide: Gedichte. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung von Peter
Wapnewski. S. Fischer, Frankfurt am Main 1962 (= Fischer TB 6052)
Walther von der Vogelweide: Sämtliche Lieder. Übertragen von Friedrich Maurer. Stuttgart
1972 (= UTB 167)
Gerhard Halm: Walther von der Vogelweide. Eine Einführung. München – Zürich 1986
Hartmann von der Aue: Erec. Übersetzt von Thomas Cramer. S. Fischer, Frankfurt am Main
1972 (= Fischer TB 6017)
Hartmann von Aue: Iwein. Übersetzt von Thomas Cramer. 3. Aufl. Walter de Gruyter, Berlin
1981
Christoph Cormeau/Wilhelm Störmer: Hartmann von Aue. Epoche – Werk – Wirkung. 2. Aufl.
C. H. Beck, München 1985
Peter Wapnewski: Hartmann von Aue. 7. Aufl. Stuttgart 1979
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Übersetzt von Rüdiger Krohn. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1980 (= RUB 4471–4473)
Christoph Huber: Gottfried von Straßburg „Tristan und Isolde“. Eine Einführung. München
– Zürich 1986

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RENAISSANCE, REFORMATION
UND BAROCK

Johann Jakob Christoffel

ARBEITSBLATT

von Grimmelshausen:
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch

(Siehe Zugänge, S. 126)

Es ist natürlich unmöglich, diesen umfangreichen Roman als Ganztext im Unterricht zu behan-
deln; man wird sich dabei auf einige chakteristische Ausschnitte beschränken müssen. Will man
übergreifende, umfassende Fragestellungen bearbeiten, bleibt als einzige praktische Möglich-
keit die gekürzte Fassung in der Reclam-Universalbibliothek.

Zur Frage Entwicklungsroman: Arbeiten Sie die wichtigsten Lebensstationen des Simplicius
heraus. Welche Berufe übt er dabei aus? Versuchen Sie sie in einer Graphik im Hinblick auf
sozialen Aufstieg und Abstieg darzustellen. Wird er dadurch im Sinne einer Weiterentwicklung
seines Charakters verwandelt oder verändert?
Die Vielfalt der dargestellten Welt und der Schauplätze: Arbeiten Sie die verschiedenen sozi-
alen Milieus heraus, in denen Simplicius auftritt. Arbeiten Sie die verschiedenen Schauplätze
heraus und tragen Sie sie in einer Karte ein.
Die Figur des Schelms: In welchen Episoden zeigt Simplicius typisch „schelmische“ Verhal-
tensweisen?
Die Darstellung des Krieges: In welchen Episoden wird der Krieg dargestellt? Auf welche Art
und Weise? Wie weit ist der Krieg bestimmend für das Leben des Simplicius?
Unbeständigkeit als einzige Beständigkeit: Überprüfen Sie diese Behauptung anhand des
Lebenslaufs des Simplicius.

Literaturhinweise:
Der Simplicissimusdichter und sein Werk. Hg. von G. Weydt. 1969
Deutsche Dichter. Bd. 2. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1988
Curt Hohoff: Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen in Selbstzeugnissen und Bilddo-
kumenten. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1987 (= rororo 267)
Volker Meid: Grimmelshausen. Epoche, Werk, Wirkung. C. H. Beck, München 1984
G. Weydt: Johann Jakob von Grimmelshausen. Stuttgart 1979

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Andreas Gryphius:

ARBEITSBLATT

„Es ist alles Eitel“ (Sonett, Metapher und Antithese)

(Siehe Zugänge, S. 129)

Besondere Kennzeichen von Gryphius’ Sonett (und damit von vielen Gedichten des Barock)
sind die strenge äußere und innere Form (gedanklicher Aufbau) und die zahlreichen rheto-
rischen Figuren und Bilder. Beides lässt sich analysierend ohne weiteres vermitteln. Günter
Waldmann schlägt dazu auch produktionsorientierte Vorgangsweisen vor. Die Form des Sonetts
lässt sich auch so erfahren, indem man sie selbst erst finden muss. Eduard Mörike hat dazu
folgendes Beispiel „gebastelt“:

Heut lehr’ ich euch die Regel der Son---.
Versucht gleich eins! Gewiss, es wird ge---,
Vier Reime hübsch mit vieren zu versch---,
Dann noch drei Paare, dass man vierzehn h---,

Lasst demnach an der vielgeteilten K---
Als Glied in Glied so einen Schlussring sp---:
Das muss alsdann wie pures Gold erk---;
Gewisse Herrn zwar hängen Klett’ an K---.

Ein solcher findet meine schönen N---
Bei diesem Muster. „Ah, Fräulein, Sie st---!“
„O nein, Herr Graf, hier gilt es Silben z---.“

„Wirklich! Doch wenn die Lauren selber d---,
Was soll Petrarka?“– „Der mag Strümpfe str---.
Eins wie das andre ist für schöne S---.“

Vervollständigen Sie die Reime. Welches Reimschema ergibt sich also für ein Sonett?
Beachten Sie, dass es bei den dreizeiligen Strophen (Terzinen) die Möglichkeit cde-cde (Möri-
ke) oder cdc-dcd oder ccd-eed (Gryphius) gibt.
Dieser strengen äußeren Form entspricht beim Barocksonett auch ein strenger gedanklicher
Aufbau (innere Form): Der Gedankengang geht von der Behauptung (These) über Beispiele
(Exempla), die diese Behauptung belegen sollen, zu einer Schlussfolgerung (Conclusio).
Stellen Sie diesen Gedankengang beim Sonett von Gryphius dar. Versuchen Sie das auch bei
anderen Sonetten.
Diese strenge Form geht eine enge Verbindung mit einer durch sprachliche Bilder und Figuren
aufgeladenen (manchmal überladenen) Sprache ein. Von den vielen seien hier stellvertretend
zwei aufgegriffen: Die Antithese und die Metapher. Während im Gedicht von Gryphius die
Antithese auf der Ebene des Worts, des Satzes und des gesamten Inhalts leicht erkannt werden
kann und sich somit auch leicht selbst herstellen lässt, schlägt Günter Waldmann noch folgende
Übung zur Metapher vor:

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haftpflichtversichert Mensch
pflegeleicht Leben
leistungsorientiert Liebe
schmutzabweisend Hoffnung
stromlinienförmig Sehnsucht
vollautomatisiert Trauer

Bilden sie mit je einem Wort aus der linken und aus der rechten Spalte ungewöhnliche Wort-
paare und überlegen Sie, was sie bedeuten könnten. Versuchen Sie sie zu erklären oder zu um-
schreiben. Solcherart gewappnet könnte man jetzt auch darangehen, ein eigenes Sonett zu
produzieren.

1. Schreiben Sie ein Sonett, und gehen Sie dabei von der äußeren Form aus:

Einzuhalten ist die strenge Reimform, Versmaß und Rhythmus sind dabei nicht so maßgeb

lich.

2. Von der inneren Form ausgehend: Verfassen Sie einen Text nach dem Schema Behauptung

– Beispiele – Schlussfolgerung. Die Einhaltung der strengen Reimform ist dabei nicht un-

bedingt notwendig.

3. Vom Thema „Es ist alles … (?)“ ausgehend: Bilden Sie dazu passende Antithesen und

Metaphern.

Geht man derart schrittweise vor, ist es auch möglich, ein Sonett zu versuchen, das alle Krite-
rien erfüllt.

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Erasmus von Rotterdam

INFORMATIONSBLATT

(1466/69–1536)

(Siehe Zugänge, S.122)

Erasmus gilt als der Vertreter des europäischen Humanismus, an seinem Leben und Werk
kann man wichtige Bestrebungen und Kennzeichen dieser Zeit demonstrieren.

Persönliche Freiheit – selbstbestimmte, autonome Persönlichkeit:
Das unstete Leben des Erasmus, das ihn, nach Studienjahren in Paris, nach England,
in die Niederlande, nach Italien, wiederum nach England, nach Deutschland und in die
Schweiz geführt hat, lässt sich auch so verstehen, dass er seine persönliche Freiheit einer
sicheren Anstellung vorgezogen hat. Am Problem der persönlichen Freiheit, der Willens-
freiheit, kam es auch zur Auseinandersetzung mit Martin Luther und schließlich zum Bruch
mit der Reformation: Erasmus betonte im Gegensatz zu Luther, dass es ohne Freiheit kein
moralisches Leben und keine Verantwortung gibt.

Die Beschäftigung mit der Sprache und den Werken der Antike:
Erasmus gab kritische Ausgaben von vielen antiken Klassikern heraus. So bildete seine
Ausgabe des griechischen Neuen Testaments die Grundlage für Martin Luthers Bibelü-
bersetzung.
Großen Einfluss auf die Beschäftigung mit antiker Literatur hatte seine Sprichwörtersamm-
lung „Adagiorum collectanea“. Unermüdlich hob er in seinem Briefwechsel mit Gelehrten
ganz Europas den Bildungswert der klassischen Kultur hervor.

Erziehung und Bildung:
In seinen „Colloquia familiaria“ behandelt Erasmus Fragen des Lebens, der Kunst und
Wissenschaft. Im Zentrum stehen aber Erziehung und Bildung als Mittel der charakter-
lichen Entwicklung. (Exemplarisch dafür der Dialog „Der Abt und die gebildete Frau“.)
Gestaltung der Gesellschaft: Als christliches Gegenstück zum „Principe“ des Machiavelli
verfasste Eramus die Schrift „Die Erziehung eines christlichen Fürsten“, eigentlich für den
späteren Kaiser Karl V. bestimmt. Darin wird der Fürst als Verwalter eines souveränen
Volkes beschrieben, der die christliche Freiheit des Bürgers schützen soll, der dafür zu-
sätzliche Verantwortung für Freiheit und Frieden trägt. Diesen Frieden ließ Erasmus in
seiner „Querela pacis“ selbst Kritik am Krieg üben. Der Idealstaat des Erasmus wird von
gleichberechtigten und verantwortlichen Bürgern in freier Abstimmung gebildet. Sein Ziel
soll die christliche Friedens- und Fortschrittsgemeinschaft in Europa sein.

Literaturhinweise:
Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Philipp Reclam jun., Stutt-
gart1986
Anton J. Gail: Erasmus von Rotterdam. Rowohlt, Reinbek 1974 (= rororo 214)

Lesehinweis:
Stefan Zweig: Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam. 33. Aufl. S. Fischer, Frank-
furt am Main 1995 (= Fischer TB 2279)

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Zusammenfassung:
Renaissance, Humanismus und Reformation

Die Begriffe Renaissance und Humanismus werden häufig synonym verwendet. Im allgemei-
nen gilt aber Renaissance als der umfassende Epochenbegriff. Er bezeichnet die Zeit des Über-
gangs vom Mittelalter zur Neuzeit (14. -16. Jahrhundert). Von Italien ausgehend, in bewuss-
ter Abwendung vom Mittelalter – dem „dunklen, barbarischen“ – durch Wiederbelebung und
Wiedergeburt der Antike sollte die Kultur erneuert werden. Der Humanismus liefert dazu die
geistige Grundlage. Unter Humanismus versteht man zunächst das Bemühen um Humanität,
um Menschlichkeit. Dieses Bemühen verlangt eine derartige Gestaltung des Lebens und der
Gesellschaft, dass Menschenwürde und freie Persönlichkeitsentfaltung möglich werden. Das
setzt aber voraus, dass der Mensch an sich durch Bildung und Erziehung arbeitet und sich be-
müht, die dafür notwendigen günstigen Lebens- und Umweltbedingungen zu schaffen.
Humanismus als Epoche bezeichnet die kulturelle, wissenschaftliche und philologische Bewe-
gung in der Zeit des 14. bis 16. Jahrhunderts, die ihren Ausgang in Italien nahm und sich über
Mittel- und Westeuropa ausbreitete. Diese Bewegung ging aus von den Vertretern des geho-
benen Bürgertums wie Francesco Petrarca und Giovanni Boccaccio, wendete sich gegen die
Erstarrung der Wissenschaft auch an den Universitäten und wurde gefördert und getragen durch
die großen Höfe der Fürsten und Päpste.
Allgemeine Kennzeichen sind: Bildung, Erziehung und Streben nach Menschlichkeit. Grund-
lage dafür war das Studium der alten Sprachen und eine realistische Sicht auf die Natur und
deren realistische Erklärung. Der Mensch wurde als autonome Persönlichkeit gesehen, er wur-
de zum Maß („Der Mensch als Maß aller Dinge“). Eng damit verbunden war der Gedanke der
Menschenwürde.
Unter Reformation versteht man die Veränderungen auf religiösem Gebiet, die schließlich in
eine Spaltung der Christenheit mündeten, die verbunden ist mit den Namen Martin Luther,
Ulrich Zwingli und Johannes Calvin.

Der Ertrag dieser Epoche für die deutsche Literatur ist wegen der Dominanz der lateinischen
Sprache eher gering. Allerdings wurden die Voraussetzungen für eine größere Verbreitung und
Wirksamkeit der Literatur durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern ge-
schaffen. Für die deutsche Sprachentwicklung ist Martin Luther mit seiner Bibelübersetzung
und seine geistlichen Lieder von überragender Bedeutung (siehe Zugänge, S. 124).
Das Fastnachtspiel erreichte in Hans Sachs seinen Höhepunkt. Er verwendete für seine Stücke
humanistische, reformatorische, aber auch schwankhafte Stoffe.
Im Bereich der Erzählliteratur ist Sebastian Brant mit seiner satirischen Erzählung „Narren-
schiff“ zu nennen. Es ist dies ein umfassender Versuch, der Welt einen Spiegel vorzuhalten. Vor
allem gab es viele Volksbücher. Die Volksbücher, in denen im Volk weit verbreitete Schwän-
ke zusammengefaßt wurden („Till Eulenspiegel“, „Die Schildbürger“) erfüllten das Unterhal-
tungsbedürfnis des bürgerlichen Lesers. Auch die „Historia von D. Johann Fausten“ setzt sich
aus Anekdoten, Legenden, Schwänken zusammen.

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Zusammenfassung:
Die deutsche Literatur in der Zeit des Barock
(7. Jahrhundert)

Politik, Gesellschaft und Kultur

Im 17. Jahrhundert setzten die Könige und Landesfürsten die Herrschaftsform des Absolutismus
durch, indem sie die Mitsprache der Stände zurückdrängten und die adelige Selbstverwaltung
beseitigten. Für die neuen Aufgaben der zentralen Verwaltung benötigten sie Beamte, die aus
dem wohlhabenden und gebildeten Bürgertum kamen. Diese übernahmen somit Aufgaben, die
bisher der Adel innehatte. Da sie für besondere Verdienste in den Adelsstand erhoben werden
konnten, bildeten sie für den Adel eine wenig geschätzte Konkurrenz.
Die Landesherren versuchten auch auf religiösem Gebiet ihr Machtmonopol durchzusetzen,
was in katholischen Staaten zur Bekämpfung und Vertreibung protestantischer Glaubensrich-
tungen führte (Gegenreformation). Religiöse Auseinandersetzungen standen auch am Beginn
des Dreißigjährigen Krieges, der aber immer mehr zu einem europäischen Machtkonflikt wurde
– ausgetragen auf dem Boden des Deutschen Reiches. Er brachte ungeheure Menschenverluste
und Zerstörungen, er stellt die Jahrhundertkatastrophe dar.
Die Gesellschaft besaß eine klare ständische Gliederung in Adel, Bürger und Bauern. Ein Auf-
stieg war nur in Ausnahmefällen möglich (siehe oben). Mobilität gab es also nur innerhalb der
Stände. Der Adel wurde zwar durch den fürstlichen Absolutismus entmachtet, gewann aber im
Militärwesen große Bedeutung und hohes Sozialprestige.
Die Bauern bildeten den Großteil der Bevölkerung (ca. 80 Prozent lebten auf dem Lande) und
befanden sich in verschiedenen Formen der Abhängigkeit und Unfreiheit.
Das Bürgertum in den Städten war streng nach Rang und Besitz gegliedert und gewann durch
die Wirtschaftsform des Merkantilismus immer mehr an Bedeutung.

Der Autor und seine Stellung: Die meisten Autoren bekleideten ein Amt im Dienste der Stadt,
des Hofes oder an der Universität. Höfische Ämter waren Erzieher, Historiograph (um die Ge-
schichte der fürstlichen Familie zu verherrlichen) und Bibliothekar. Als solche zählten sie zu
den Bediensteten und waren abhängig. Das Schreiben war daher Nebenbeschäftigung für Mu-
ßestunden, der Autor konnte davon nicht leben, eine Existenz als freier Schriftsteller war nicht
möglich. Er war auf Mäzene und Gönner angewiesen. Er widmete daher häufig sein Werk
einem adeligen Herrn, der seine Anerkennung durch Geldgeschenke, Sachgüter oder Pensionen
zeigen konnte. In der Regel bekam der Autor für sein Werk kein oder nur ein geringes Honorar
(der Begriff des geistigen Eigentums und seiner Vermarktung fehlte noch). Das Honorar war
nur eine Anerkennung, stellte aber keinen echten Gegenwert für die schriftstellerische Leis-
tung dar. Es gab noch kein Urheberrecht, daher wurden vielfach Nachdrucke oder Raubdrucke
hergestellt, die allerdings mehr den Verleger als den Autor schädigten, da dieser am Verkauf
der Bücher finanziell nicht beteiligt war. Der Autor war nur dem kleinen Kreis der Gebildeten
und am literarischen Leben Beteiligten bekannt, konnte aber als besondere Auszeichnung zum
poeta laureatus gekrönt werden.

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Buchproduktion und Vertrieb: Im Jahr wurden im deutschen Sprachraum etwa 500 bis 1000
neueBücher produziert (ca. 60 Prozent davon in lateinischer Sprache), die auf den großen Mes-
sen in Frankfurt und Leipzig vorgestellt wurden. Es gab nur wenige Buchhändler, die immer
auch gleichzeitig Verleger waren; den Vertrieb der Bücher übernahmen Kolporteure.

Die Leser: Das Leserpublikum schätzt man auf etwa 50 000 bis 80 000 Personen, von denen
aberviele zu beruflichen Zwecken lateinische Literatur lasen, die deutsche Literatur der Zeit la-
sen vielleicht einige tausend. Das hing auch mit den hohen Buchpreisen zusammen: Ein großer
Barockroman kostete so viel wie 130 Kilo Rindfleisch. Käufer waren daher Angehörige der
Höfe, der Universitäten und der kommunalen Beamtenschaft. Der Adel bevorzugte unterhalten-
de Literatur (vor allem der romanischen Sprachen im Original oder übersetzt). Die Gelehrten
lasen hauptsächlich antike Klassiker und neulateinische Dichtung. Die Mittelschicht las entwe-
der gar nicht oder beschränkte sich auf religiöse Bücher wie die Bibel oder Andachtsschriften.
Das breite Publikum las überhaupt nicht.

Sprache, Sprachpflege, Sprachgesellschaften, Poetiken: Durch die lutherische Bibelüber-
setzung gab es zwar eine einheitliche, aber noch keine vereinheitlichte Hochsprache, das La-
teinische dominierte noch. Durch die politische Zersplitterung fehlte ein literarisches Zentrum,
daher spielten regionale Zentren wie Städte und Adelshöfe eine wichtige Rolle.
Eine Besonderheit dieser Epoche waren die Sprachgesellschaften. Sie beschäftigten sich mit
Sprache und Literatur, aber auch mit Sitte und Anstand. In ihnen waren humanistische Gelehrte
und Vertreter des Adels vereinigt, Kaufleute spielten nur eine geringe Rolle. Die erste und ein-
flussreichste war die „Fruchtbringende Gesellschaft“. Diese Sprachgesellschaften wollten die
richtige Verwendung der deutschen Sprache pflegen, sie sollte den ihr angemessenen Platz ge-
genüber den anderen europäischen Sprachen einnehmen. Dazu setzten sie Regeln und Ordnung
fest und bekämpften ihren Missbrauch.
Der deutschen Literatur musste erst ihr Platz in der europäischen Literatur erkämpft werden.
Dazu sollten ihr grammatische, rhetorische und poetologische Regelwerke (Poetiken) verhel-
fen. Sie stellten Anleitungen zum Dichten dar, sie betonten das Handwerkliche der Kunst. Die
Dichtkunst galt als lehr- und lernbar (Originalität, Individualität und Inspiration spielten dabei
keine so große Rolle wie heute). Die nachhaltigste Poetik stammt von Martin Opitz (1597–
1639): „Das Buch von der deutschen Poeterey“ (1624). In ihr legt Opitz unter anderem fest,
dass die deutsche Sprache nicht zwischen Längen und Kürzen, sondern zwischen betonten und
unbetonten Silben unterscheidet.
Als Versmaß anerkennt er nur Jambus und Trochäus. Für das Drama legt er die so genannte
Ständeklausel fest: In der Tragödie dürfen nur hohe Standespersonen vorkommen, da nur ihnen
die hohen Gefühle gemäß seien. Nur die Komödie ist auch für Personen niederen Standes.

Allgemeine Kennzeichen, vorherrschende Themen, wichtige Autoren und Werke

Die Barockliteratur ist im allgemeinen nicht Ausdruck des subjektiven Erlebens, sondern drängt
es eher zurück zugunsten einer Haltung der Objektivität und der Verallgemeinerung. Individu-
elle Erfahrung soll im Allgemeinen, Objektiven sichtbar werden. Dazu bedient man sich vor-
gegebener Formen und Vorschriften, was später zum Vorwurf des Gemachten, Künstlichen,
Unnatürlichen geführt hat.

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Diese Zurückdrängung des Individuellen hing einerseits mit der ständischen Ordnung und Glie-
derung zusammen, die dem einzelnen enge Grenzen setzte. Andererseits war sie Gegenreaktion
auf die Absolutsetzung des Individuums in der Zeit der Renaissance. Deren Angriffe auf die
traditionellen Welt- und Wertvorstellungen erzeugten eine starke Unsicherheit, die zusammen
mit den schrecklichen Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges eine gemeinsame Grundein-
stellung erzeugte. Vorherrschende Themen in der Literatur waren daher: die Vergänglichkeit,
das Diesseits als Jammer- und Tränental, die Realität als wesenloser Schein, der Mensch als
Spielball der Unbeständigkeit, das Leben ein Traum. Dem setzten die Figuren das Ideal der
Beständigkeit (constantia) im Leben und in der Befolgung der eigenen Lebensgrundsätze ent-
gegen.

Der barocke Roman kennt drei Hauptgattungen

Der heroisch-galante (höfisch-historische) Roman: Er entstand nach französischem Vorbild,
im Mittelpunkt der Handlung steht ein adeliges Liebespaar, das nach vielen Missgeschicken
dank seiner heroischen Haltung zusammenfindet. Es sind das äußerst umfangreiche Romane für
dasUnterhaltungsbedürfnis des Adels.
Daniel Casper von Lohenstein (1635–1683): Arminius.

Der Schelmenroman (auch pikaresker Roman): Nach spanischem Vorbild schildert er das
Leben eines Landstreichers, Glücksritters und Schelmen meist in der Ich-Form.
Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1621–1676): Der abenteuerliche Simplicissi-
mus (siehe Zugänge, S. 126).

Der Schäferroman: Er ist ein Teil der Schäfer- und Hirtendichtung, die bis auf die Antike zu-
rückgeht. In ihr flüchten die Personen in eine idyllische, fiktive Welt der Hirten.

Das Barocktheater

Das Theater war ein ganz wesentlicher Bestandteil der Barockkultur und diente vor allem der
Unterhaltung des Hofes. Es gab aber auch ein bürgerliches Schultheater und volkstümliche
Wandertruppen.

Das Theater am Hof: Viele Adelige richteten in dieser Zeit in ihren Schlössern Theatersäle
ein, oder große Fürsten errichteten eigene Hoftheater. Zur Aufführung gelangten Opern und
Tragödien, wobei entweder die prunkvolle Darbietung von Gesang, Tanz und Dichtung oder
die Darstellung heroischer Schicksale hoher Standespersonen gefordert war. Ihre Autoren wa-
ren demnach, sowohl was den Inhalt ihrer Stücke als auch was deren Aufführung betraf, vom
adeligen Auftraggeber abhängig.
Hauptvertreter: Andreas Gryphius (1616–1664) und Daniel Casper von Lohenstein (1635–
1683).

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Die Barocklyrik

war gesellig-öffentlich, beliebte Formen waren daher das Liebesgedicht, Soldaten und Trink-
lieder, Huldigungsgedichte. Neben dieser weltlichen Lyrik spielte auch die geistliche eine große
Rolle. Die beliebtesten Formen waren das Sonett und die Ode.
Hauptvertreter: Andreas Gryphius (siehe Zugänge, S. 129) und Christian Hoffmann von Hoff-
mannswaldau (1616–1679).

Die Bedeutung der Religion für die Literatur dieser Zeit

Durch das Konzil von Trient (1545–1563) gewann die katholische Kirche einen großen Teil
ihrer alten Stärke zurück und ging mit den Jesuiten als „Speerspitze“ daran, verlorenes Terrain
zurückzugewinnen (Gegenreformation). Dadurch geriet besonders die lutherische Kirche unter
Druck, die ihrerseits wieder in heftigen Auseinandersetzungen mit der reformierten Kirche Cal-
vins stand. Eine Fülle religiöser Kampfschriften entstand, die von der Werberede über Werbe-
briefe, Streitgespräch, Polemiken, Dialogen bis zu großen theologischen Auseinandersetzungen
reichte. Eine besondere Wirkung erzielte Abraham à Sancta Clara (Johann Ulrich Megerle,
1644–1709) mit seinen Predigten in Wien, die ihn als volktümlichen, sprachgewaltigen Sitten-
prediger und Kanzelredner ausweisen.
Wie sehr die Dichtkunst der Barockzeit von der Religion bestimmt war, zeigen die vielen geist-
lichen Lieder und letzten Endes sogar Martin Opitz in seinem „Buch von der Deutschen Poe-
terey“, wo er in einem eigenen Kapitel die Poesie aus der Theologie herleitet.

Literaturhinweise:
Deutsche Dichter. Bd. 2. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1988
Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 3. Hg. von Horst Albert Glaser. Rowohlt, Rein-
bek bei Hamburg 1985 (= rororo 6252)
Wilhelm Emrich: Deutsche Literatur der Barockzeit. Königstein/Taunus 1981
P. Hankamer: Deutsche Gegenreformation und deutscher Barock. 1964
Marian Szyrocki: Die deutsche Literatur des Barock. Philipp Reclam jun., Stuttgart (= RUB
9924)

Lesehinweis:
Günter Grass: Das Treffen in Telgte. Deutscher Taschenbuch Verlag. München 1994 (= dtv
11988)

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AUFKLÄRUNG
UND STURM UND DRANG

Gotthold Ephraim Lessing:

ARBEITSBLATT

Nathan der Weise

(Siehe Zugänge, S. 140)

Fragen zum Werk:
Nathan als typisch aufklärerische Figur: Wo tritt Nathan als Weiser und Belehrender auf? Skiz-
zieren Sie Szenen und Inhalte. Arbeiten Sie an einer Szene (zum Beispiel dem ersten Gespräch
mit dem Tempelherrn) heraus, wie durch ein vernünftig geführtes Gespräch Aufklärung zu er-
reichen ist und damit sinnvolles menschliches Handeln. Wo und wann zeigt Nathan dieses
menschliche Handeln?
Wodurch wird Aufklärung und damit Toleranz und Humanität gefährdet? Skizzieren Sie die
Szenen, in denen Orthodoxie, Vorurteile und Intoleranz auftreten. Wer vertritt sie mit welchen
Motiven?

Fragen zu Aufbau und Personenkonstellation:
Teilen Sie die verschiedenen Personen den jeweiligen Religionen zu. Was ist dabei festzu-
stellen? Fertigen Sie eine graphische Darstellung der Verwandtschaftsverhältnisse an. Welche
Personen bleiben außerhalb? Warum?

Fragen zu Lessings Situation und zur Entstehung des Werks:
Erarbeiten Sie sich mit Hilfe von Biographien und Materialien (siehe Literaturhinweise)
einen genauen Einblick in Lessings Lebensumstände und in die Entstehungsbedingungen des
Werks.

Literaturhinweise:
Deutsche Dichter. Bd. 3. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1988
Erläuterungen und Dokumente zu Gotthold Ephraim Lessing „Nathan der Weise“. Hg. von
P. von Düffel. Philipp Reclam jun., Stuttgart (= RUB 8118)
Dieter Hildebrandt: Lessing. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1990 (= rororo 12566) Les-
sing. Ein Arbeitsbuch für den literaturgeschichtlichen Unterricht. Von Wilfried Barner, Gunter
E. Grimm, Helmuth Kiesel, Martin Kramer. C. H. Beck Verlag, München 1975

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Bürgerliches Trauerspiel

ARBEITSBLATT

Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti
Friedrich Schiller: Kabale und Liebe

Diese Gattung entstand in England und entwickelte sich ursprünglich aus dem Standesgegensatz
Adel-Bürgertum. Ein aufrückendes, selbstbewusstes Bürgertum stellte sich dem Adel gegenü-
ber. So sind die Personen aus dem Mittelstand, also etwa der Kaufmann, der Gelehrte, können
aber auch aus dem niederen Adel stammen, vertreten dann aber bürgerliche Wertvorstellungen
(wie die Galottis). Damit wird dem Bürger im Gegensatz zur Ständeklausel des Barock die
tragische Würde zugesprochen und dem bürgerlichen Publikum die moralische und soziale
Identifizierung ermöglicht. Ziel eines solchen Theaters ist es dann, an die Empfindungen der
Zuschauer zu appellieren und sie zu steigern.
Im 18. Jahrhundert entwickelte sich im Bürgertum die patriarchalische Kleinfamilie, die sich
vom öffentlichen Leben abschirmte. Diesem natürlichen Zusammenleben wurde im Bürger-
lichen Trauerspiel der Hof als politischöffentlicher Bereich, als Ort der Laster, der Intrigen, der
Verstellung und der Unnatur gegenübergestellt. Diese Familie wird durch den Hof in ihrer Ehre
und in ihrem Bestand gefährdet und verletzt.
Neben der Besprechung des Inhalts, der Form, der Charakteristik der Personen und ihrer Bezie-
hungen zueinander könnten noch folgende Fragen besprochen werden.
Was sind die Kennzeichen der patriarchalischen Familie? Welche Vorstellungen werden von
Odoardo, dem Musiker Miller und dem Grafen Appiani in dieser Hinsicht vertreten?
Was sind die Kennzeichen der Welt des Hofes? Welche Empfindungen des Lesers/Zuschauers
werden angesprochen, welche werden gesteigert? Worin bestehen Gefährdung und Angriff?

Da bereits Lessing die patriarchalische Familie in ihrer Erstarrung zeigt, könnte man auch die
heutige Sicht einbringen: Welche Welt wird hier für die jungen Frauen (Emilia, Luise) einge-
richtet? Was haben sie von einer solchen Welt zu erwarten? Welche Rollen hält sie für sie zur
Verfügung? Wie könnte man sich ein späteres Leben Emilias vorstellen, bei diesem Ehemann
und diesem Vater, die sich noch dazu so blendend verstehen?
Anregung zur Produktion: Versetzen Sie eine selbstbewusste junge Frau an die Stelle der Emi-
lia, etwa in der Szene mit ihrer Mutter nach der Begegnung mit dem Prinzen in der Kirche. Wie
würde sie ihre Begegnung mit dem Prinzen erzählen? Wie hätte sie darauf reagiert? Schreiben
sie diese Szene neu. Versuchen Sie das auch in der einzigen Begegnung mit ihrem zukünftigen
Gatten, dem Grafen Appiani.

Vergleich zwischen „Emilia Galotti“ und „Kabale und Liebe“

Schiller verwendet durchaus vergleichbare Personen/Figuren. Dem patriarchalischen Odoardo
entspricht der Musikus Miller. Der Claudia, die sich von Hofleben zumindest angezogen fühlt,
entspricht die Millerin, die sich durch Ferdinands Liebe zu Luise geschmeichelt fühlt und viel-
leicht unerfüllbare Träume hegt. Der dem Konflikt ausgesetzten Emilia entspricht die ebenso
gefährdete Luise, dem Machtmenschen Marinelli der intrigante Sekretär Wurm und schließlich

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der Gräfin Orsina die Lady Milford. Arbeiten Sie bei diesen vergleichbaren Personen Gemein-
samkeiten und Differenzen heraus.

Auf der anderen Seite gibt es aber gravierende Unterschiede: Während Lessing sein Stück
nach Italien in ein Renaissancefürstentum verlegt, spielt Schillers Stück in seiner Gegenwart
und greift aktuelle Probleme auf und kritisiert sie („Soldatenhandel“ in der Kammerdiener-
Szene). Aus der Familie aus niederem Adel ist eine Kleinbürgerfamilie geworden, die daher
umso mehr bedroht ist. Aus dem Hofmann im Dienste des Fürsten, Marinelli, ein Bürgerlicher,
der sich in den Dienst des Adels stellt und somit seinen Stand verrät und damit zu den verach-
tungswürdigsten Wesen gehört, das nicht zufällig den Namen Wurm trägt. Während der Prinz
neben seiner ganzen absolutistischen Willkür auch noch durch seine Schwäche menschliche
Züge gewinnt, ist der Präsident eine durch und durch böse Figur. Der Adel wird nur noch im
Hofmarschall Kalb (auch dies ein sprechender Name) karikiert, er stellt ein Zerrbild höfischer
Gekünsteltheit und Unnatur dar.

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Johann Wolfgang von Goethe:

ARBEITSBLATT

Die Leiden des jungen Werthers

(Siehe Zugänge, S. 144)

Folgende Themen lassen sich bei einer Ganzlektüre bearbeiten

Die Liebe Werthers zu Lotte: Wie versteht Werther diese Liebe? Was bedeutet sie für ihn?
Wie verhält sich Lotte dabei?

Die Liebesgeschichte des Knechts als Parallele: Skizzieren Sie den Verlauf der Liebesge-
schichte des Knechts. In welcher Beziehung steht sie zu der Werthers? Wie verhält sich Werther
in dieser Geschichte? Wie steht er vor allem zum Mord und zum Mörder?

Werthers Idee vom Selbstmord: An welchen Stellen äußert sich Werther über den Selbst-
mord? Auf welche Art und Weise?

Werthers Kritik am bürgerlichen Leben: Was kritisiert Werther am Bürgertum?

Werthers Stellung zum Adel:Wie steht Werther zum Adel? Wie verhalten sich Adelige ihm
gegenüber?

Werthers Liebe zur Natur: In welchen Briefen äußert sie sich? Auf welche Art? Was bedeutet
Natur für Werther?

Die äußere Form dieses Romans – ein Briefroman – bedingt die Ich-Perspektive. Das heißt, die
Position Werthers wird absolut gesetzt, es gibt kein Korrektiv. Das kann man leicht erkennen,
wenn man die Perspektive ändert. Schreiben Sie eine Stelle um in die Er-Erzählhaltung. Welche
Erfahrungen machen Sie, welche Schwierigkeiten entstehen dabei?

Einen ganz anderen Zugang bietet folgende Überlegung: Der leider schon verstorbene Pro-
fessor der Psychiatrie Erwin Ringel hatte sie zu einer seiner Hauptaufgaben die Erforschung
des Selbstmordes gemacht. Er erkannte das Zusammenspiel verschiedener Faktoren (suizidales
Syndrom), das zum Selbstmord führt. Er zählte dazu:

1. Die Einengung
a) Die situative Einengung: Der Mensch fühlt sich in die Enge gedrängt, wie in einer Röhre, die
immer enger wird.
b) Die dynamische Einengung: Der Mensch entwickelt sich in eine Richtung, die Gegenkräf-
te versagen. Diese Richtung ist gekennzeichnet durch Depression, Angst, Hoffnungslosigkeit,
Verzweiflung und Panik.
c) Die menschliche Isolierung.
d) Die Einengung der Wertwelt: Immer weniger wird wichtig, immer mehr Gebiete liegen ab-
seits, außerhalb, sind nicht erreichbar, nicht verfügbar. Oder man klammert sich an Wertvorstel-

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lungen, die der Allgemeinheit nicht so bedeutsam sind oder in ihr überhaupt nicht gelten, man
gerät so in die Position des Außenseiters.

2. Die Aggression: Da Selbstmord ein Akt der Aggression ist, muss Aggression entstehen, aber
sie kann sich nicht an anderen entladen.

3. Selbstmordphantasien: Welche der oben genannten Faktoren lassen sich bei Werther fin-
den?

Literaturhinweis:
Erläuterungen und Dokumente zu Johann Wolfgang von Goethe „Die Leiden des jungen
Werthers“. Hg. von Kurt Rothmann. Philipp Reclam jun., Stuttgart (= RUB 8113)

Lesehinweis:
Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden den jungen W. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976

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Jakob Michael Reinhold Lenz:

ARBEITSBLATT

Der Hofmeister

Jakob Michael Reinhold Lenz (1751–1792) ist der typische Vertreter des „Sturm und Drang“.
Trotzdem findet er noch immer zu geringe Beachtung, wird sein Werk auch in der Schule oft
zuwenig behandelt. Daher wird hier der Vorschlag gemacht, neben den typischen Werken Schil-
lers ein Stück von Lenz zu behandeln. „Der Hofmeister“ bietet die Möglichkeit, typische Kenn-
zeichen der Dramatik des Sturm und Drang und die für die damaligen jungen Autoren so wich-
tige Funktion des Hofmeisters kennenzulernen.
Lenz verarbeitete dabei eigene Erfahrungen, die Abkehr vom Vaterhaus, die Abhängigkeit des
Intellektuellen ohne Stellung, die ihn zwang, den Hofmeisterposten anzunehmen. Er beobachte-
te und kritisierte die Gesellschaft mit ungewöhnlicher Schärfe. Seine Komödie „Der Hofmeis-
ter“ ist vielfach auch eine Tragödie, zeigt sie doch auch unverhüllt das Leiden der Menschen.
Lenz selbst nennt es noch in der Manuskriptfassung „Lust- und Trauerspiel“.

Folgende Fragen und Themen lassen sich bearbeiten

Zur Kennzeichnung als typisches Drama des Sturm und Drang: Untersuchen Sie die drei
Einheiten (Einheit des Orts, der Zeit und der Handlung). Was lässt sich feststellen?
Produktionsorientiert formuliert: Welche Szenen, welche Personen könnte man für eine Auf-
führung streichen, ohne dass das Stück zerstört wird?

Zu den sprechenden Namen: Versuchen Sie einige davon zu erklären.

Zu Stellung und Rolle des Hofmeisters: Was erfahren wir über seine Stellung, seine Einschät-
zung durch andere und seine Behandlung?

Zur Rolle der Erziehung: Welche Vorstellungen über Erziehung werden vorgeführt, welche
Erziehungsmaßnahmen?

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn: Im Stück gibt es vielfache Variationen menschlicher
Beziehungen nach diesem Gleichnis. Stellen Sie das Gleichnis dar und erarbeiten Sie die ent-
sprechenden Beziehungen im Stück.

Zur Frage der Kastration: Welche Bedeutung hat die Kastration für den Hofmeister? Wie
wird sie von anderen gesehen (vor allem von Wenzeslaus)?

Über das Stück hinausweisende Themen

Die LehrerInnenrolle: Wie werden „LehrerInnen“ in diesem Stück bezeichnet? Vergleichen
Sie damit Lehrer wie „Gott Kupfer“ aus Friedrich Torbergs „Schüler Gerber“ oder den Lehrer
aus Ödön von Horváths „Jugend ohne Gott“. Setzen Sie dazu in Beziehung den Lehrer aus dem
Film „Der Club der toten Dichter“.

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Die Bearbeitung Bertolt Brechts: Was sind die wesentlichen Veränderungen Brechts? Welche
Bedeutung könnten sie haben? Wie versteht Brecht in seinem Kommentar die Kastration des
Hofmeisters?

Literaturhinweise:
Erläuterungen und Dokumente zu Jakob Michael Reinhold Lenz „Der Hofmeister“. Hg. von
Friedrich Voit. Philipp Reclam jun., Stuttgart (= RUB 8177)
Interpretationen. Dramen des Sturm und Drang. Philipp Reclam jun., Stuttgart (= RUB 8410)
Udo Müller: Der Hofmeister oder die Vorteile der Privaterziehung. Klett, Stuttgart 1981
Klaus Siblewski: Jakob Michael Reinhold Lenz „Der Hofmeister“. Text und Geschichte.
Modellanalysen zur deutschen Literatur. Stuttgart 1984 (= UTB 1030)
Inge Stephan/Hans G Winter: „Ein vorübergehender Meteor“. Jakob MichaelReinhold Lenz
und seine Rezeption in Deutschland. 1984
Hans G. Winter: Jakob Michael Reinhold Lenz. Metzler, Stuttgart 1987

Lesehinweise:
Georg Büchner: Lenz. Tiessen, Neu-Isenburg 1982
Peter Schneider: „Lenz“ – Eine Erzählung von 1968 und danach. 2. Aufl. Rotbuch, Hamburg
1994
Gert Hoffmann: Die Rückkehr des verlorenen Jakob Michael Reinhold Lenz nach Riga. 1982

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Zusammenfassung:
Grundlagen – Einfluss des Auslandes

Grundlagen

Der Lehrplan für die 6. Klasse schreibt eine modellhafte Behandlung der Aufklärung vor und
verlangt dabei, die geistigen, politischen, sozialen und ökonomischen Grundlagen, den Einfluss
des Auslandes, die literarischen Strömungen, die Rolle der Literatur und des Schriftstellers und
das Weiterwirken in der Gegenwart zu behandeln. Daher wird hier Grundwissen zu den oben
genannten Bereichen zusammengefasst, zur Hilfe und Unterstützung, da ja durch die fehlende
Übereinstimmung zwischen den Lehrplänen Deutsch und Geschichte auf dieses Wissen nicht
zurückgegriffen werden kann. Die Arbeit an Texten kann und soll das nicht ersetzen! Daher wird
zunächst die Aufklärung allgemein dargestellt, ehe auf die besondere Situation in Deutschland
und auf die Literatur eingegangen wird.

Politische Grundlagen: Die Aufklärung entstand zu einer Zeit, in der sich in Europa der Ab-
solutismus durchgesetzt hatte. Ausnahme war England, wo der Versuch der englischen Könige,
gegen den Willen des Parlaments den Absolutismus durchzusetzen, scheiterte und am Ende der
Auseinandersetzungen die konstitutionelle Monarchie stand. Der absolute Herrscher versuchte
möglichst viel Macht beim Staat und damit bei sich zu konzentrieren: Ein stehendes Heer,
das immer bereit ist, wurde geschaffen, die Verwaltung des Staates aus den Händen adeliger
Dilettanten genommen und in die Hände von Beamten gelegt, die hierarchisch organisiert und
vom König bezahlt und damit abhängig waren. Die Mittel für das Heer und den Beamtenap-
parat und für Hofhaltung und Repräsentation sollte das Wirtschaftssystem des Merkantilismus
erbringen.

Ökonomische Grundlagen: Ziel des Merkantilismus (ein staatlich gelenktes Wirtschaftssys-
tem) war eine möglichst große binnenwirtschaftliche Selbständigkeit (Autarkie) im Zusammen-
wirken mit einer außenwirtschaftlichen Aktivbilanz. Er förderte das Bevölkerungswachstum,
baute die Verkehrsverbindungen aus, lockerte die Produktionsbeschränkungen (die strengen
Zunftregeln), räumte Konzessionen und Erzeugungsmonopole ein, gewährte Subventionen und
Kredite, steuerte die Einfuhr durch Zölle und die Ausfuhr durch Prämien. Außerdem förderte er
die wissenschaftliche Erforschung all dieser Bereiche.
So entstand ein System, das alle Kräfte und Energien im Interesse des Gesamtstaats (des Fürs-
ten oder Königs) reglementierte und die Staatsbürger disziplinierte. Andererseits aber forder-
te gerade dieses System auch den privaten Unternehmungsgeist und den Individualismus be-
stimmter Bürger heraus.

Soziale Grundlagen: Zwischen dem zahlenmäßig sehr geringen Adel (zwei bis drei Prozent
der Gesamtbevölkerung) mit seiner ständig betonten Vorrangstellung und seinen Privilegien
und der großen Anzahl der in der Landwirtschaft Tätigen (bis zu 90 Prozent) mit ihren ver-
schiedenen Formen der Abhängigkeit und Unfreiheit bildete sich also ein neues dynamisches
Element in einer sonst noch stabilen Ständegesellschaft: Die bürgerliche Oberschicht der Ge-
bildeten (Professoren, Lehrer, Pfarrer, Beamte der landesherrlichen Verwaltung, Ärzte und

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Offiziere), allesamt maßgeblich tätig im absolutistischen Staat, daher auch mit einem gewissen
Sozialprestige, aber selten mit einem entsprechenden materiellen Lebensstandard. Sie fügten
sich nur schwer in die bestehende Ständeordnung ein, genauso wie die außerhalb der Zünfte
auftretenden bürgerlichen Unternehmer, Bankiers, Händler, Fabrikanten und Manufakturbe-
sitzer. Obwohl sie im wirtschaftlichen Bereich alle wichtigen Positionen besetzt hatten, waren
sie politisch ohne jede Mitwirkungsmöglichkeit. Sie begannen daher, den Adel, der weder eine
nützliche Arbeit leistete, noch Steuern zahlte, und den ihn beschützenden absolutistischen Staat
zu kritisieren. Vor allem von Westeuropa ausgehend, breitete sich eine geistige Bewegung aus,
die Aufklärung, in der Gedanken formuliert wurden, die bis zum heutigen Tag Grundlage un-
seres Denken und Handelns geblieben sind.

Die geistigen Grundlagen: Auf der Basis der Vernunft wurden die Ungerechtigkeiten und
Unzulänglichkeiten des Ancien régime kritisiert, wurde die Befreiung des Menschen von den
Ketten der Unwissenheit und des Irrtums angestrebt, Aberglaube und theologische Dogmen
durch Wissen, Erziehung und Naturwissenschaft in Frage gestellt. So entstand eine Atmosphä-
re der Hoffnung auf eine bessere Zukunft (Optimismus der Aufklärung), die mehr Wohlstand,
gerechtere Gesetze, gemäßigte Regierungen, Religions- und Gedankenfreiheit, sachverständige
Verwaltung und eine größere Selbsterkenntnis des Individuums verbunden mit größerer Tole-
ranz zum Ziel hatte.
Dazu gehörte ein rationalistisches Naturrecht mit folgenden wichtigen Grundsätzen: Die poli-
tische Herrschaft geht nicht auf den Willen Gottes zurück, sondern beruht auf der Vereinbarung
von Menschen. Sie ist also nur rechtens, wenn sie als Ergebnis eines Vertrags gedacht werden
kann, also auf der Zustimmung der Betroffenen beruht (Lehre vom Gesellschaftsvertrag). Die
Rechts- und Staatsordnung hat den Zwecken menschlicher Wohlfahrt und den Grundsätzen der
Vernunft zu entsprechen. Der Mensch besitzt angeborene Rechte (Menschenrechte), die von der
Staatsgewalt geachtet werden müssen. Das Volk wird als Souverän erkannt, der Herrscher ist
demnach nur dessen Vollzugsorgan. Damit die Macht nicht missbraucht werden kann, muss sie
geteilt werden (Prinzip der Gewaltenteilung). Die gesetzgebende Macht sollte in der Hand des
Volkes liegen, die ausübende in der des Herrschers (der Regierung).
Diese Kritik und diese neuen Ideen wurden von jenen formuliert, die sich selbst als Philosophen
bezeichneten. Die „Enzyclopédie“ (das große Wörterbuch der französischen Aufklärung) defi-
niert den Begriff so: „Ein Philosoph ist jemand, der Vorurteile, Überlieferung, generellen Kon-
sens, Autorität, kurz alles mit Füßen tritt, was die meisten Geister versklavt, der es wagt, selbst
zu denken“ (vergleiche damit auch die Definition Kants: „Habe Mut, Dich Deines eigenen
Verstandes zu bedienen“, siehe Zugänge, S. 139).
Zu diesen Philosophen gehörten die Franzosen Montesquieu, Voltaire, Diderot, d’Alembert,
Turgot, Condorcet, die Briten Hume und Gibbon, der Genfer Rousseau, die Deutschen Kant,
Herder und Lessing und der Amerikaner Franklin. Diese „Hauptdenker“ wären aber nie so
erfolgreich gewesen, ihre Ideen hätten nie solche Verbreitung gefunden, hätte es nicht ein aus-
gedehntes Netzwerk von Freunden, Sympathisanten und Gefährten gegeben. Die Aufklärung
ging zwar von einer Elite von Gelehrten, Kritikern und Philosophen aus, stellte aber so etwas
wie einen umfassenden geistigen Gärungsprozess dar, der von vielen mehr oder weniger unbe-
kannten Denkern und Schriftstellern am Leben gehalten wurde.

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Der Einfluss des Auslandes

Der Einfluss des Auslandes ergibt sich generell dadurch, dass die wichtigen Ideen der euro-
päischen Aufklärung durch Übersetzungen rasch auch im deutschen Sprachraum zugänglich
gemacht wurden und diskutiert werden konnten. Deren Niederschlag in einem literarischen
Werk lässt sich oft schwer nachweisen. Deutlich wird er aber an der Beispielwirkung mancher
Werke. So hat etwa Daniel Defoes Roman „Robinson Crusoe“ eine Fülle von „Robinsonaden“
ausgelöst.
Die Gattung des Briefromans und des Bürgerlichen Trauerspiels wurden aus England übernom-
men, genauso wie die Moralischen Wochenschriften. Unübersehbar ist etwa auch der Einfluss
einzelner Autoren wie Jean-Jacques Rousseau, der durch sein Werk vor allem die Autoren der
jüngeren Generation des Sturm und Drang beeinflusste.

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Zusammenfassung:
Die deutsche Literatur in der Zeit der Aufklärung

Politik, Gesellschaft und Kultur

Deutschland besaß in dieser Zeit eine ziemlich stabile Ständegesellschaft mit dominierender
Landwirtschaft, die noch überwiegend feudal-grundherrschaftlich bestimmt war. Noch um
1800 waren rund 80 Prozent der Gesamtbevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Das Gewerbe
war noch den vielfachen Beschränkungen der Zünfte unterworfen, die neue Herstellungstech-
niken und Produktionsformen be- oder verhinderten.
Aus dem fürstlichen Absolutismus entwickelte sich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts durch
das Vordringen der Aufklärung der aufgeklärte Absolutismus (Friedrich II., Joseph II.), der Re-
formen von oben zur Modernisierung der Länder anstrebte, dabei aber gleichzeitig die Selbst-
tätigkeit der Untertanen verhinderte. Die territoriale Zersplitterung des Reichs in einige größere
und viele Klein- und Kleinststaaten, das Fehlen einer Hauptstadt als politisch-kulturelles Zen-
trum wurde besonders von den Schriftstellern als einengend, hemmend und behindernd ange-
sehen. Sie bedauerten das Fehlen der großen nationalen Themen und die fehlende Möglichkeit,
Welterfahrung zu sammeln.
Diese Schriftsteller waren zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch „Gelehrte“ oder Beamte, in der
Regel abhängig vom adeligen Mäzen, sie schrieben nebenberuflich und sahen einen Lohn für
ihre schriftstellerische Tätigkeit fast als Schande an. Erst ab der Mitte des Jahrhunderts mehrten
sich die Versuche, als freier Schriftsteller von der literarischen Arbeit zu leben. Damit befreiten
sie sich zwar aus der Abhängigkeit vom Adel, gerieten dafür aber in die Abhängigkeit von Ver-
leger und Markt. Das Honorar war in der Regel so niedrig, dass man nicht davon leben konnte,
was noch dadurch verschärft wurde, dass die Begriffe Urheberrecht und geistiges Eigentum
sich noch nicht durchgesetzt hatten (vergleiche dazu die Bemühungen Lessings).
Raubdrucke (das sind Drucke von einem veröffentlichten Textes, aber ohne dafür etwas zu be-
zahlen) verschärften dieses Problem noch. Das lesende Publikum war zahlenmäßig noch sehr
klein: Zwar ging durch den verpflichtenden Schulbesuch in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts
die Analphabetenrate von 90 Prozent auf 50 Prozent zurück, doch machten die erwachsenen Le-
ser höchstens 10 Prozent der Bevölkerung aus, von denen wiederum nur ein Teil nichtreligiöse
Texte, also so genannte „schöne“ oder „schöngeistige“ Literatur (Belletristik) las.
Die wenigen Leser aber bildeten eigene Institutionen zu Lektüre und Diskussion. Dazu ge-
hörten als nichtöffentliche die Freimaurerlogen, als öffentliche die „Deutschen Gesellschaften“,
die sich der Sprachpflege widmeten, und vor allem die Lesegesellschaften mit eigenen Bibli-
otheksräumen und gemeinschaftlichen Lese- und Diskussionsveranstaltungen. Kommerzielle
Einrichtungen waren die Leihbibliotheken.

Allgemeine Kennzeichen, wichtige Autoren und Werke

Die deutsche Literatur war in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts – verglichen mit der
Frankreichs und Englands – mittelmäßig und zurückgeblieben. Sie erreichte aber bis zum Ende
des Jahrhunderts europäische Bedeutung. Sie löste sich aus höfischer Abhängigkeit und arti-

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kulierte bürgerliche Themen. Kanzel und Katheder wurden abgelöst durch Zeitschriften, Bro-
schüren, Theater und eine neue Briefkultur. Große Bedeutung hatten zunächst die „Moralischen
Wochenschriften“, eine Gattung, die ein englisches Vorbild kopierte. Sie brachten so etwas wie
Gebrauchsliteratur von Bürgern für Bürger, allgemeinverständliche, kurze Abhandlungen über
ein breites Spektrum von Themen, die für Bürger interessant waren.
In Deutschland gab es insgesamt an die 110 solcher Schriften, fast alle wichtigen Autoren dieser
Zeit waren in ihnen mit Beiträgen vertreten. Die zentralen Begriffe dabei waren Vernunft und
Tugend. Allgemeines Ziel der Literatur sollte die Belehrung sein, die Sprache dementsprechend
klar, einfach und leicht (deutlicher Gegensatz zum Barock). Diesem Ziel dienten besonders
manche Gattungen der Lyrik, wie das Lehrgedicht, die Fabel und die Satire, die sehr beliebt
waren.
Der bedeutendste Lyriker vor Goethe war Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803), der die
Ausdrucksfähigkeit der deutschen Sprache außerordentlich gesteigert hat. In seinen Oden (fei-
erliche Gedichte) behandelte er Themen wie Leben, Liebe und Freundschaft. Als sein Haupt-
werk hat er das religiöse Epos „Der Messias“ angesehen.
Auf dem Gebiet des Theaters versuchte Johann Christoph Gottsched eine vernünftige Ordnung
herzustellen, indem er einerseits gegen das oberflächlich unterhaltende Theater der Wanderbüh-
nen auftrat und andererseits ein literarisches Sprechtheater, von Berufsschauspielern getragen,
für ein gebildetes Publikum forderte. Dafür sah er als beispielgebendes Vorbild das klassische
französische Drama an, mit seinem strengen Aufbau und seiner strengen Form und der gebun-
denen Sprache. (Das verurteilte Lessing in seinem 17. Literaturbrief scharf und setzte dagegen
Shakespeare als Vorbild.) Gotthold Ephraim Lessing ist der überragende Vertreter der deut-
schen Aufklärung (siehe Zugänge, S. 140).
Gegen den einseitigen Rationalismus der Frühaufklärung, der Gefühle und Triebe zurückdräng-
te und unterdrückte, bildete sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts eine Bewegung, die eben-
falls stark vom Ausland beeinflusst war, die Empfindsamkeit: Sie wollte den Menschen in sei-
ner Gesamtheit sehen, Vernunft und Gefühl sollten einander nicht ausschließen, sondern einen
Ausgleich finden. Dazu gehörte auch ein Kennenlernen seiner selbst, Selbstbeobachtung und
Selbstreflexion.

Bedeutende Vertreter dieser Richtung sind:
Christian Fürchtegott Gellert (1715–1769): Neben Fabeln und Dramen ist sein Roman „ Das
Leben der Schwedischen Gräfin von G...“ zu nennen.
Christoph Martin Wieland (1733–1813): Mit seiner Zeitschrift „Der Teutsche Merkur“ suchte
er den Geschmack des Publikums im Sinne der Aufklärung zu bilden. Sein Roman „Geschichte
des Agathon“ stellt den Beginn des deutschen Bildungsromans dar. In dem Roman „Die Abde-
riten“ kritisiert er die rückständige Borniertheit des deutschen Klein- und Spießbürgers. Einen
Höhepunkt darin stellt die Geschichte vom Prozess um des Esels Schatten dar.
Sophie von LaRoche erzählt in ihrem Roman „Geschichte des Fräuleins von Sternheim“ in Brie-
fen eine Geschichte, die ganz durchdrungen ist vom Optimismus der Aufklärung und durchsetzt
mit Empfindsamkeit.

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Das Weiterwirken der Aufklärung in die Gegenwart

In der Aufklärung wurden die Grundlagen der modernen Welt geschaffen. Unser politisches
Denken und Handeln ist von Grundsätzen bestimmt, die in der Aufklärung festgelegt wurden:
Demokratie, Gewaltenteilung, Menschenrechte wie Meinungs-, Glaubens- und Pressefreiheit
haben hier ihren Ursprung.
Der unbegrenzte Drang des Menschen nach Fortschritt, naturwissenschaftlicher Neuerung
und nach Wirtschaftswachstum nahm hier seinen Ausgang und wirkt, wenngleich einer zu-
nehmenden Kritik ausgesetzt, bis heute nach. Und wenn im Vorwort der „Enzyclopédie“, des
großen Wörterbuchs der französischen Aufklärung, die Notwendigkeit betont wird, nach neu-
en Formen von Wissen zu suchen, um für die Erfordernisse einer neuen Welt gewappnet zu
sein, ist genausogut eine Herausforderung unserer Zeit gemeint. Das Streben nach Toleranz,
Humanität im Sinne menschlicher Vervollkommnung gilt als immerwährende Aufgabe, wie
überhaupt vieles von der Aufklärung Geforderte als Prozess, als unabgeschlossenes Projekt zu
verstehen ist. Oder wie es Lessing formulierte:
„Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein vermeint, sondern die
aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des
Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erwei-
tern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit besteht. Der Besitz
macht ruhig, träge, stolz ...“
Die Literatur der Aufklärung ist die erste ausgeprägt bürgerliche Literatur, ihre Sprache ist fast
schon die unsere, ihre Denkweise uns eng vertraut. Lessings Theaterstücke zählen zum stän-
digen Repertoire unserer großen Bühnen und regen Zuseher und Leser zu stetiger und immer
neuer Auseinandersetzung an.

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Zusammenfassung:
Die deutsche Literatur des Sturm und Drang

Politik, Gesellschaft und Kultur

Die oben zusammengefassten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen gelten
auch für die Zeit des Sturm und Drang. Allerdings kam es zu einer Verschärfung der sozialen
Verhältnisse. Die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts war gekennzeichnet durch einen anhaltenden
Preisauftrieb für Nahrungsmittel bei gleichzeitig sinkenden Reallöhnen. Die wachsende Kon-
kurrenz durch die Manufakturen führte zu einer Krise des Handwerkertums, was einerseits zur
Abhängigkeit vieler kleinerer Meister führte (Verlust der Selbständigkeit) und andererseits zu
immer häufigeren Auseinandersetzungen zwischen Meistern und Gesellen. Da die Wirtschaft
aber immer noch in großem Maß agrarisch bestimmt war, es aber zusätzlich ein beträchtliches
Bevölkerungswachstum gab, kam es zu schweren Versorgungs- ja Hungerkrisen.

Allgemeine Kennzeichen

Auf diese Veränderungen reagierte eine kleine Gruppe junger Schriftsteller, die in sich nicht
einheitlich war und nach dem Titel eines Dramas von Friedrich Maximilian Klinger „Sturm
und Drang“ genannt wird. Andere Begriffe sind „Genie-Periode“ oder „Genie-Kult“. Es han-
delt sich dabei um die Zeit der späten 60er und die 70er Jahre des 18. Jahrhunderts. Um 1770
bildeten der junge Goethe und Herder in Straßburg ein Zentrum dieser Bewegung, dem auch
Jakob Michael Reinhold Lenz und Heinrich Leopold Wagner angehörten.
Die meisten von ihnen waren damals Studenten oder stellenlose Autoren, überwiegend aus
dem Kleinbürgertum. (Goethe bildete hier eine Ausnahme, er stammte aus wohlhabender Fa-
milie). Sie versuchten durch ein Studium einen sozialen Aufstieg zu erreichen, ein schwieriger,
manchmal entbehrungsreicher Weg, der sie vielfach wieder in die Abhängigkeit führte (etwa
als Hofmeister). Diese drückende persönliche Situation kompensierten sie durch ein starkes
(überbetontes) Selbstwertgefühl, durch die Überhöhung ihrer Persönlichkeit zum Genie. Ihre
Herkunft, ihre Erfahrung mit Armut machten sie aber besonders sensibel gegenüber sozialem
Unrecht, was die scharfe Sozialkritik in vielen Texten erklärt. Sie wollten keine Revolution in
der Politik, aber in der Kunst. Sie lehnten den herrschenden Geschmack ab und setzten an die
Stelle des ständischen Dichters den freien Autor und sein ihm eigenes Genie.
Dieses Genie lässt sich auch nicht in Regeln fassen und sieht seine Freiheit in einer Kunst
verwirklicht, deren Kennzeichen sind: Regelfreiheit, subjektive, originelle Spontaneität, be-
kenntnishafte Intimität, Echtheit des Ausdrucks und des Gefühls, Gefühl und Phantasie. Vieles
davon machte sie manchen Vertretern der Aufklärung verdächtig, führte zu Missverständnissen
und Ablehnung.
Sie wollten eine Literatur für den gesamten Mittelstand, auch für die Bauern, also eigentlich
für das Volk. Diese Orientierung auf das Volk führte etwa dazu, daß Herder eine Sammlung
von Volksliedern herausgab, unter anderem die Lieder des Ossian, eines angeblichen keltischen
Sängers aus dem Mittelalter, die von großem Einfluss waren. (Erst später haben sie sich als Fäl-
schung herausgestellt.) Auch die verdrängte volksnahe Literatur, wie Volksbücher, Schwank-

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erzählungen und Fastnachtspiele kamen wieder zu ihrem Recht, oder man knüpfte an sie an
(„Faust“). Gegen die territoriale Zersplitterung Deutschlands setzte Herder den Begriff der
Nation. Von großer Bedeutung war ein neuer Begriff von der Natur, der von Rousseau seinen
Ausgang nahm. Rousseau: „Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt, alles
entartet unter den Händen des Menschen.“
Damit hing auch eine Aufwertung der körperlichen Betätigung in der Natur zusammen (zum
Beispiel Eislaufen). Großes literarisches Vorbild für viele dieser Generation war Klopstock
(vergleiche dazu die entsprechenden Szenen im „Werther“).

Wichtige Autoren und Werke

Das Drama
Die dramatische Dichtung war bei diesen jungen Autoren besonders beliebt, das große Vorbild
war Shakespeare (siehe Zugänge, S. 100). Am erfolgreichsten war Johann Wolfgang von Goe-
the (1749–1832) mit seinem Stück über Götz von Berlichingen. Nachdem er eine erste Fassung
in sechs Wochen ohne Plan niedergeschrieben hatte, arbeitete er diese nach Kritik Herders um:
„Götz von Berlichingen“ (1773). Es ist die Geschichte eines Angehörigen des untergehenden
freien Ritterstandes, eines „Selbsthelfers“ (wie Prometheus im gleichnamigen Gedicht). Gege-
ben wird ein Querschnitt durch die Gesellschaft des 16. Jahrhunderts. Gegen die klassischen
Regeln (die drei Einheiten) verwendete Goethe eine Vielzahl von Szenen (mehr als 50) und
Personen, sodass es für zeitgenössische Bühnen praktisch nicht aufführbar war (auch moderne
Bühnen hätten große Schwierigkeiten damit!). Es wirkte aber als Lesedrama und wurde zu
einem überwältigenden Erfolg.
Jakob Michael Reinhold Lenz (1751–1792): Er suchte die Nähe Goethes, den er sehr verehrte.
Zu seinem Unterhalt war er gezwungen, als Hofmeister zu wirken. In seinem unsteten Wander-
leben, das ihn bis nach Moskau führte, zeigten sich bereits erste Hinweise auf eine Geisteskrank-
heit. In Moskau verlor sich mehr oder weniger seine Spur, bis er eines Tages tot aufgefunden
wurde. Seine wichtigsten Werke: „Der Hofmeister“ (siehe Arbeitsblatt ) und „Die Soldaten“.
Heinrich Leopold Wagner (1747–1779): „Die Kindsmörderin“ (1776). Wagner gestaltet in die-
sem Stück ein Thema, das in verschiedenen Variationen beherrschend im Sturm und Drang war:
Eine Metzgerstochter wird von einem adeligen Offizier verführt, erwartet ein Kind, flieht vor
der Schande aus dem Elternhaus und tötet schließlich das Kind.
Friedrich Maximilian Klinger (1752–1831): „Sturm und Drang“.
Friedrich Schiller (1759–1805): Aufgrund seiner deutlich späteren Geburt kommt Schiller mit
seinen Werken fast zu „spät“, wenngleich sie typisch für die Dramatik des Sturm und Drang
sind: „Die Räuber“, „Kabale und Liebe“ (siehe Zugänge, S. 34/35, und Arbeitsblatt „Bürger-
liches Trauerspiel“).

Epik
Trotz der großen Vorliebe für das Drama entstanden auch Romane. Wieder ist es Goethe ge-
lungen, das repräsentativste Werk zu verfassen: „Die Leiden des jungen Werthers“ (siehe Zu-
gänge, S. 144, S. 44, S. 46). Goethe hat außerdem die Autobiographie von Johann Heinrich
Jung herausgegeben, „Heinrich Stillings Jugend“, ein typisches Beispiel für bekenntnishafte
Selbstbeschreibung. Schiller ist auch hier bereits nach dem Höhepunkt des Sturm und Drang
mit einer bedeutenden Erzählung hervorgetreten: „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“ (1786).

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An einem tatsächlichen Kriminalfall seiner Zeit zeigte Schiller, durch welche Umstände, unter
welchen sozialen Verhältnissen jemand zum Verbrecher werden kann.

Lyrik
Vorbilder sind Volkslieder, die angeblichen Lieder des Ossian und vor allem die Oden Klop-
stocks. Auch hier hat Goethe wieder Entscheidendes für eine neue Lyrik und für eine neue
Sprache in der Lyrik geleistet. Unsere Vorstellung darüber, was Lyrik ist (oder zu sein hat), wird
immer noch vielfach davon bestimmt. Zu nennen sind vor allem die „Sesenheim-Lieder“ für
Friederike Brion (siehe Zugänge, S. 148).
Die sozialkritische Linie des Sturm und Drang wird von Gottfried August Bürger (1744–1794)
vertreten. Ein berühmtes Beispiel dafür ist sein politisches Gedicht „Der Bauer an seinen durch-
lauchtigen Tyrannen“. Bürger gilt durch seine Balladen, vor allem die „Lenore“, als bedeu-
tendster Balladendichter vor Goethe und Schiller.
Zu den kritischen Dichtern gehörte auch Christian Friedrich Daniel Schubart (1739–1791).
Seine Gedichte, wie „Kaplied“, „Fürstengruft“, und seine Artikel in seiner Zeitschrift „Deut-
sche Chronik“ störten seinen Landesherren, den Herzog von Württemberg, so sehr, dass er ihn
zehn Jahre lang in einer Festung inhaftieren ließ.
Matthias Claudius (1740–1815) berührt mit seinen stark religiös motivierten und im Volkston
gehaltenen Gedichten nur zum Teil vorherrschende Strömungen des Sturm und Drang.

Literaturhinweise:
Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 4: Zwischen Absolutismus und Aufklärung:
Rationalismus, Empfindsamkeit, Sturm und Drang. Hg. von Horst Albert Glaser. Rowohlt,
Reinbek bei Hamburg 1986 (= rororo 6253)
Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Deutsche Aufklärung bis zur Franzö-
sischen Revolution. Hg. von Rolf Grimminger. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1987
(= dtv 4345)
Viktor Zmegac (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegen-
wart. Bd. I/1. Beltz Athenäum, Weinheim 1992

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LÄNGSSCHNITTE UND LEITBEGRIFFE
(6. Klasse)

Längsschnitte stellen ein wichtiges Hilfsmittel dar, den Stoff etwa eines Jahres unter einem
ganz bestimmten Aspekt noch einmal zu durchforsten und zu überdenken. Sie eröffnen da-
mit neue Perspektiven, dienen aber auch zur Wiederholung des Stoffes und zur Festigung des
Unterrichtsertrages. Längsschnitte können thematischer (das Thema der Liebe in ...) oder gat-
tungsmäßiger (Entwicklung des Dramas von ... bis ...) Natur sein. Letzteres stellt größere An-
forderungen, wenn es über eine bloße Aufzählung hinausgehen soll, und sollte daher erst in
höheren Klassen eingesetzt werden.
Längsschnitte können auf verschiedene Art erarbeitet werden. Eine Möglichkeit besteht darin,
in einer Klasse schon zu Jahresbeginn so genannte „Spezialisten“ für bestimmte Themen zu
bestimmen (besser natürlich ist eine freie Wahl durch die SchülerInnen), die dann die Aufgabe
übernehmen, alles zu sammeln und zu bündeln, was in einem Unterrichtsjahr an Inhalten und
Ergebnissen zu diesem Thema „angefallen“ ist. Am Ende des Jahres wäre dann in einem Refe-
rat Bilanz zu ziehen. Natürlich ist hier auch eine Gelegenheit, die Weltliteratur miteinzubezie-
hen (vergleiche dazu auch das Kapitel „Orientierung durch Literatur“, Zugänge, S. 59).

Mögliche Themen für Längsschnitte (ein Vorschlag ohne Vollständigkeit):
Das Thema Liebe: Parzival, Nibelungenlied, Tristan und Isolde, Die Leiden des jungen
Werthers.
Das Thema Gewalt: Nibelungenlied, Parzival, Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch.
Das Thema Krieg: Mahabharata, Nibelungenlied, Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch.
Das Thema Held: Siegfried, Parzival, Gawan, Don Quijote, Hamlet, Werther.
Das Thema Frauen: Nibelungenlied, Parzival, Minnelyrik, Bürgerliches Trauerspiel.
Vom Aufwachsen eines Kindes: Parzival, Simplicissimus, Emile.

Über den rein pädagogischen Zweck (Wiederholung und Festigung) hinaus haben solche
Längsschnitte aber auch große Bedeutung für die Orientierung. Zeigen sie doch dem Leser (in
unserem Falle dem Heranwachsenden) verschiedenste Lebensformen und Lebensweisen noch
einmal thematisch gebündelt und bieten damit vielfältige Möglichkeiten zur Auseinanderset-
zung, zu Identifikation oder Ablehnung. Ähnliches gilt auch für Leitbegriffe. Es wäre also auch
nützlich und sinnvoll, solche Leitbegriffe am Ende des Jahres ebenfalls zu sammeln und noch
einmal ins Gedächtnis zu rufen. Wichtige Leitbegriffe aus dem Stoff der 6. Klasse könnten etwa
sein: Treue, Vergänglichkeit, Toleranz. Humanität.

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KLASSIK UND ROMANTIK

Friedrich Schiller: Maria Stuart

ARBEITSBLATT

(Siehe Zugänge, S. 152)

„Maria Stuart“ gilt als das klassische Drama, daher werden hier Anregungen gegeben, dessen
Kennzeichen genauer zu untersuchen.

Fragen zur Form: Untersuchen Sie die Beachtung der drei Einheiten (Einheit des Ortes, der
Zeit, der Handlung).
Schiller hat sein Stück symmetrisch um eine Achse im 3. Akt aufgebaut: Überprüfen Sie diese
Aussage, indem Sie in eine graphische Darstellung nach Akten geordnet Folgendes eintragen:
Schauplatz, handelnde Figuren, wichtige Ereignisse.

Fragen zum Inhalt: Schillers Konzeption besteht darin, „dass man die Catastrophe gleich
in den ersten Scenen sieht und, indem die Handlung des Stücks sich davon wegzubewegen
scheint, ihr immer näher und näher geführt wird“. Welche Personen und welche Handlungen
dienen dieser Konzeption? Schillers Stück setzt nach der Verurteilung Marias zum Tode ein:
Wie gelingt es Schiller trotzdem, wichtige Teile der Vorgeschichte auf dramatische Weise (ohne
daß sie jemand erzählt oder berichtet) „unterzubringen“?

Fragen zur Sprache: Die Sprache in der Klassik (generell in der klassischen Dichtung) neigt
dazu, Aussagen zu allgemeinen Wahrheiten zuzuspitzen (Sentenzen). Viele davon sind zu
Sprichwörtern geworden oder werden in Reden immer noch als Beweis und Unterstützung für
eigene Behauptungen zitiert.
Suchen Sie solche Sentenzen in „Maria Stuart“ (oder anderen Werken der Klassik). Zur Zuspit-
zung der Dialoge verwendet Schiller häufig Antithesen: Untersuchen Sie dahingehend etwa die
1. Szene (Streitgespräch Kennedy-Paulet).
Besonderes Kennzeichen der Sprache ist der leidenschaftliche, oft übersteigerte Gefühlsaus-
druck (Pathos) und die Bildhaftigkeit: Suchen Sie auch dafür einige kennzeichnende Stellen.

Verzahnung mit dem Lehrbereich „Schreiben“. Aufgabenstellung „Werkbesprechung“
bzw. „Literarische Facharbeit“:
Wir verstehen darunter eine konkrete, genaue Fragestellung
zu einem Werk (Erzählung, Roman, Drama eignen sich am besten). Das setzt die Lektüre als
Ganzschrift und eine genaue Kenntnis voraus. Es verlangt eine Beantwortung der Fragestel-
lung, indem die Argumente aus dem Werk gewonnen werden (also keine Vermutungen, halt-
lose Spekulationen und nebuloses Gerede!). Die Argumente sollen durch Zitate aus dem Werk
belegt werden, und sie müssen wie in einer Problemarbeit klar gegliedert sein (klarer Aufbau,
klare Gliederung!). Nur genaue, konkrete Fragestellungen erlauben eine sinnvolle Bearbeitung
und auch eine sinnvolle Korrektur und Benotung. Je „schwammiger“ das Thema ist, desto
schwieriger wird die Beurteilung und desto willkürlicher die Benotung.

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Mögliche Themen am Beispiel der „Maria Stuart“

Warum lässt Elisabeth Maria hinrichten? Anzuführen wären dabei etwa: Persönliche Gründe,
politische Gründe, religiöse Gründe. Die müssten einzeln ausgeführt und in eine klare Gliede-
rung gebracht werden (geordnet nach Bedeutung und Gewicht). Wer trägt vor allem Schuld an
der Hinrichtung Marias? Anzuführen wären hier etwa: Elisabeth, Burleigh, Leicester, Mortimer,
Davison. Herauszuarbeiten ist dabei, worin die Schuld besteht und wie sie daher zu gewichten
ist. Das wäre auch ein Kriterium für eine Gliederung.

Literaturhinweise:
Deutsche Dichter. Bd. 4. Hg. von Gunter E. Grimm und Rainer Frank Max. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1988
Erläuterungen und Dokumente zu Friedrich Schiller „Maria Stuart“. Hg. Von Christian Grawe.
Philipp Reclam jun., Stuttgart (= RUB 8143)

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Heinrich von Kleist:

ARBEITSBLATT

Michael Kohlhaas (Novelle)

(Siehe Zugänge, S. 164)

Wie schon in den Zugängen herausgearbeitet wurde, enthält schon der erste Absatz der Novelle
im Kern die wesentlichen Elemente. So wie das Interesse des Lesers dadurch geweckt wird,
Spannung in ihm erzeugt wird, könnte man daraus die Fragen ableiten, die sich auch ein Leser
stellen müsste.

Fragen zum Inhalt: Was macht Kohlhaas zum „rechtschaffensten“ Menschen seiner Zeit, was
zum „entsetzlichsten“? Wieso macht ihn sein Rechtsgefühl zum Rächer und Mörder?

Zur Frage der Gewalt: Wie steht Kohlhaas zur Gewaltanwendung? Läßt sich eine klare Posi-
tion erschließen?

Zur Frage des Rechts auf Widerstand: Welche Positionen nehmen Kohlhaas und Luther ein?
Wie begründen sie ihren Standpunkt?

Zur Frage der Gerechtigkeit: Welchen Raum nimmt das Problem der Gerechtigkeit in dieser
Novelle ein?

Zur Form der Novelle

Als Novelle bezeichnet man eine Erzählung, die eine „unerhörte Begebenheit“ (Goethe) zum
Inhalt hat. Sie unterscheidet sich von ähnlichen Formen der Prosa durch ihren straffen Auf-
bau, der vor allem bestimmt ist durch das Auftreten von Dingsymbolen. Diese (Mensch, Tier
oder Gegenstand) treten immer dann in der Geschichte auf, wenn das Geschehen eine Wende
nimmt.
Eine ähnliche Aufgabe erfüllen auch die Leitmotive. Als Muster nimmt man gemeinhin die Fal-
kennovelle des Giovanni Boccaccio: Ein Edelmann, Federigo d’Alberighi, verehrt die verheira-
tete Monna Giovanna derart, dass er sich materiell völlig verausgabt und sich schließlich völlig
verarmt, nur noch seine Falke ist ihm geblieben, aufs Land zurückziehen muss. Nach dem Tode
ihres Gatten zieht sich auch die Edelfrau mit ihrem Sohn aufs Land zurück, durch Zufall in die
Nachbarschaft Federigos. Als der Sohn schwer erkrankt, wünscht er sich den Falken Federigos,
er meint, er könne dadurch genesen. Deshalb begibt sich Monna Giovanna zu Federigo, der
ihr, um sie trotz seiner Armut gebührend zu empfangen, sein Letztes, den Falken, zum Mahl
vorsetzt. Daher kann er ihr auch nicht mehr ihren Wunsch nach dem Falken erfüllen, der Sohn
stirbt. Gerade wegen seines Edelmuts nimmt aber schließlich Monna Giovanna
Federigo zum Mann.
Es ist nur zu offensichtlich, wie hier der Falke an den entscheidenden Stellen auftritt, immer
dann, wenn die Geschichte eine Wende nimmt.

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Untersuchen Sie nun, wann in „Michael Kohlhaas“ die Rappen auftreten. Was bedeutet ihr Auf-
treten für die Geschichte und ihren Verlauf? Wie hängt ihr äußerer Zustand damit zusammen?

Literaturhinweise:
Deutsche Dichter. Bd. 5. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1988
Erläuterungen und Dokumente: Michael Kohlhaas. Hg. von Günter Hagedorn. Philipp Reclam
jun., Stuttgart (= RUB 8106)
Hans Dieter Zimmermann: Heinrich von Kleist. Eine Biographie. Rowohlt, Reinbek bei Ham-
burg 1991 (= rororo 1680)

Lesehinweis:
Christa Wolf: Kein Ort. Nirgends. Luchterhand, München 1994 (In dem Roman wird die fiktive
Begegnung Kleists mit der Dichterin Karoline von Günderode erzählt.)

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Johann Wolfgang von Goethe:

INFORMATIONSBLATT

Iphigenie

Inhalt: Iphigenie, die Priesterin der Diana, hat König Thoas dazu gebracht, den grausamen
Brauch der Menschenopfer aufzugeben. Als er sie bittet, seine Frau zu werden, lehnt sie
ab, weil sie ihn nicht liebt. Diese Enttäuschung wirft Thoas wieder in seinen früheren Zu-
stand der Barbarei und Unmenschlichkeit zurück: Er will zwei Fremde, die man kurz zu-
vor aufgegriffen hat, opfern lassen. Es handelt sich dabei um Pylades und Orest (Bruder
der Iphigenie). Dieser hat seine Mutter und deren Geliebten getötet aus Rache für deren
Mord an seinem Vater Agamemnon. Dafür wird er von den Rachegöttinnen verfolgt, bis
er in Wahnsinn verfällt. Das Orakel von Delphi (Heiligtum Apolls) hat Heilung versprochen,
wenn er die Schwester aus Tauris zurückbringe (doppeldeutiges Orakel: Damit kann das
Standbild der Diana oder auch Iphigenie gemeint sein). Iphigenie, die die Opferung voll-
ziehen soll, erkennt ihren Bruder und kann die Rachgöttinnen besänftigen. Der geheilte
Orest will nun das Standbild der Diana entführen, Pylades rät zu List und Betrug, aber
Iphigenie kann nicht lügen und täuschen. Sie gibt Thoas alles preis und setzt damit sich,
Orest und Pylades der höchsten Gefährdung aus. Aber erst dadurch gewinnt sie Thoas,
der sie nun mit ihrem Bruder und Pylades nach Griechenland ziehen lässt.

Den Stoff zu diesem Drama fand Goethe in den griechischen Mythen, in der Fassung des
Euripides, auch die Fassung des französischen Klassikers Jean Racine aus dem Jahre
1674 war ihm bekannt. Goethe veränderte aber die Handlung in wesentlichen Punkten,
um die Idee der Menschlichkeit (Humanität), verkörpert durch Iphigenie, darstellen zu
können: So kann Iphigenie durch ihre Menschlichkeit Thoas vom Barbaren zum Men-
schen erziehen, der auf Menschenopfer verzichtet, nur sie kann die Rachegöttinnen be-
sänftigen, nicht durch Lüge und Täuschung wird das Problem gelöst, sondern durch das
Risiko, das Iphigenie eingeht, indem sie ihre eigene Existenz aufs Spiel setzt für Wahrheit
und Menschlichkeit. Muss bei Euripides die Göttin Athene am Schluss eingreifen, um die
Probleme der Menschen zu lösen, so sind es bei Goethe die Menschen selbst, vor allem
aber Iphigenie, die ihre Probleme lösen mit der Eigenschaft, die sie eben auszeichnet, der
Menschlichkeit. Es wird somit ein Ideal oder eine Utopie von der Menschlichkeit entwor-
fen: Humanität als immer anzustrebendes, aber nie zu erreichendes Ziel, als die eigent-
liche Aufgabe des Menschen (ganz im Sinne der Aufklärung, vgl. dazu Lessing, Zugänge,
S. 140). Daher wird auch nicht die Wirklichkeit abgebildet, Goethes Stück spielt sozusa-
gen in einem idealen Raum, es gibt keine genauen Hinweise auf Zeit, Ort, Aussehen der
Personen (keine Regieanweisungen), nur die Handlung, das was zwischen den Menschen
vorgeht, ist wichtig!
Goethe war sich dabei bewusst, dass seine eigene Wirklichkeit nicht ideal war: „... es ist
verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein Strumpfwirker in Apolde hunger-
te.“ Aber er stellte seine Kunst dieser Wirklichkeit entgegen, die Kunst wird somit zum
Reich des Idealen, nur sie kann erzieherisch wirken und damit die Wirklichkeit verändern.
Wie schwer Goethe das als bewusste Kunstanstrengung gefallen ist, kann man auch dar-
an erkennen, daß er fast zehn Jahre mit Unterbrechungen daran gearbeitet hat und vier
verschiedene Fassungen (Prosa, freie Jamben, Prosa, Versfassung) erstellt hat. Mit der
„Iphigenie“ wendete sich Goethe klar vom Sturm und Drang ab und der Klassik zu.

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E.T. A. Hoffmann:

INFORMATIONSBLATT

Der Sandmann

Inhalt: Der Student Nathanael wird durch den Besuch eines Wetterglashändlers namens
Coppola, der ihn an ein schreckliches, traumatisches Kindheitserlebnis mit dem Advo-
katen Coppelius, dem sein Vater zum Opfer gefallen ist, erinnert, so beunruhigt, dass er
sich in seiner Existenz bedroht fühlt und an seine Familie schreibt. Seiner Geliebten Clara
gelingt es, ebenfalls in einem Brief, ihn oberflächlich zu beruhigen. Das weitere Gesche-
hen wird von einem Erzähler vermittelt. Nathanael kauft von dem Wetterglashändler ein
Perspektiv, durch das er später die Tochter des Professors Spalanzani, Olimpia, erblickt,
die ihn sogleich in ihren Bann zieht. Höhepunkt ist eine Ballveranstaltung, bei der nur Na-
thanael nicht merkt, daß es sich bei Olimpia um eine Puppe handelt, in die er alle seine
Wünsche und Gefühle projiziert. Als er wenig später Zeuge eines Streits zwischen Spa-
lanzani und Coppola wird, bei dem Olimpia zerstört wird, verfällt er in Wahnsinn. Durch
die hingebungsvolle Pflege seiner Familie bessert sich sein Zustand oberflächlich, aber
die Ersteigung des Stadtturms, ein Blick durch das Perspektiv und das Erkennen des
Coppelius in der Menge unten versetzen Nathanael wieder in Raserei. Er versucht zu-
nächst Clara vom Turm hinunterzustürzen, als sich diese aber retten kann, stürzt er sich
selbst hinunter.

Das Faszinierende an dieser Erzählung besteht darin, dass Hoffmann konsequent das
Leitmotiv „Auge“ und damit zusammenhängend „Perspektiv“ als Gestaltungsmittel ein-
setzt und außerdem die Geschichte aus mehreren Perspektiven darstellt. Zunächst durch
die Personen selbst (Nathanael und Clara) und dann durch den Erzähler. Dem Leser wer-
den damit mehrere Deutungen des Geschehens angeboten, er kann sich klar entscheiden
oder alles in der Schwebe lassen. So sieht sich etwa Nathanael seit seiner Kindheit von
dunklen Mächten verfolgt, die seinen Untergang wollen. Clara hingegen deutet das als
Ausdruck innerer Vorgänge, von denen Nathanael sich bloß befreien müsse. Clara selbst
wird aber ebenfalls mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften gekennzeichnet (durch Na-
thanael und den Erzähler), sodass auch ihr Bild sehr verschiedene Betrachtungen zu-
lässt.
Das reicht sogar bis in die wissenschaftliche Diskussion, wo man Charakteristiken wie
verstandesund vernunftbetonte, klarsichtige Frau, aber auch bornierte, phantasielose
Kleinbürgerin findet.

Literaturhinweise:
Erläuterungen und Dokumente zu E.T. A. Hoffmann „Der Sandmann“. Hg. von Rudolf
Drux. Philipp reclam jun., Stuttgart (= RUB 8199)
Rüdiger Safranski: E. T. A. Hoffmann. Das Leben eines skeptischen Phantasten.
S. Fischer, Frankfurt am Main (= Fischer TB 5662)
Günter Waldmann: Produktives Verstehen mehrperspektivischen Erzählens: E. T. A. Hoff-
mann „Der Sandmann“. In: Diskussion Deutsch, Heft 127. Diesterweg, Frankfurt am Main
1992

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Zusammenfassung:
Die deutsche Klassik (8/9–80)

Politik, Gesellschaft und Kultur

Das Ende des 18. Jahrhunderts war eine Zeit großer Veränderungen. Der amerikanische Bürger-
krieg und die Entstehung der USA mit ihrer demokratischen Verfassung und der Garantie von
Grundrechten für Menschen übten großen Einfluss und große Beispielwirkung in Europa aus.
Die Französische Revolution führte einen grundlegenden Umsturz der politischen und sozialen
Verhältnisse in Frankreich herbei und schließlich verwickelte Napoleon – aus eben dieser Re-
volution hervorgegangen und sie überwindend – Europa für zwei Jahrzehnte in Kriege. Sein
Eingreifen führte auch zum Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Und
schließlich machten sich auch die ersten Anzeichen der von England ausgehenden industriellen
Revolution auf dem Kontinent bemerkbar.
Auf diese politischen und sozialen Herausforderungen antworteten manche Dichter – die deut-
schen Jakobiner (Anhänger der Französischen Revolution in Deutschland) – mit einer Ver-
schärfung der Kritik, wie sie bereits der „Sturm und Drang“ begonnen hatte; deren Erfolg war
aber insgesamt gering. Oder sie gingen den Weg der Klassik und Romantik: Absonderung von
direkter politischer Aktivität hin zur Autonomie der Kunst. Je mehr die äußere Welt chaotisch
und hässlich erschien, desto mehr zog man sich in ein Reich der Ordnung und des Schönen
zurück.
Die eigentliche klassische Kultur bildete sich in einem kleinen Fürstentum des Deutschen
Reiches heraus – im Herzogtum Weimar, das von den großen Ereignissen der Zeit fast unbe-
rührt und verschont blieb. Dieses Herzogtum hatte damals ungefähr 100 000 Einwohner, die
Hauptstadt Weimar selbst 6 000. (nach unseren heutigen Begriffen ein Dorf). Es war wirtschaft-
lich ziemlich unterentwickelt, der Mittelstand fehlte fast vollständig, einer kleinen führenden
Schichte stand die große Masse einer mehr oder weniger armen Bevölkerung gegenüber. Wenn
man bedenkt, dass die Zahl der erwachsenen Leser Ende des Jahrhunderts etwa 10 Prozent
erreichte, von denen wiederum nur ein Teil nichtreligiöse Literatur las und die anderen sich
vielfach mit Unterhaltungsliteratur beschäftigten, die ihnen eine rasch wachsende Zahl von
Leihbüchereien zur Verfügung stellte, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Kunst der Klassik
zwar sehr hoch eingeschätzt wurde, aber ihre Wirkung eher gering war.

Allgemeine Kennzeichen, vorherrschende Themen, wichtige Autoren und Werke

Die deutsche Klassik nimmt nur einen kurzen Zeitraum ein, nämlich die Zeit der Freundschaft
Goethes und Schillers, das ist von 1794 bis 1805 (Tod Schillers). In einem weiteren Rahmen
kann man ihren Beginn mit der italienischen Reise Goethes 1786 ansetzen. Unter Klassik ver-
steht man allgemein den Höhepunkt einer Nationalliteratur (zum Beispiel ist die englische
Klassik die Zeit William Shakespeares in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts). Der Begriff
Klassiker bezieht sich im engeren Sinne darauf, im weiteren Sinn meint er ein Werk oder einen
Autor, die in einem bestimmten Bereich von größerer Bedeutung sind (also etwa Conan Doyles

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„Sherlock Holmes“ als Klassiker der Kriminalliteratur oder Charlie Chaplin als Klassiker der
Stummfilmkomödie).
Da die deutsche Klassik von zwei Personen, nämlich von Goethe und Schiller getragen und be-
stimmt wird, die auch zu den bestimmenden Persönlichkeiten des „Sturm und Drang“ gehören,
ist es notwendig, ihre Entwicklung kurz darzustellen. Als sich Goethe 1775 in den Dienst des
jungen Herzogs von Weimar begab, suchte er damit eine amtliche Tätigkeit, in der er praktisch
tätig etwas verändern konnte. Er stellte dafür sogar seine künstlerische Arbeit ganz zurück. Nur
in einem so kleinen und damit überschaubaren Fürstentum glaubte er etwas erreichen zu kön-
nen, glaubte er, eine Kultur entwickeln zu können, die ähnlich der griechischen sei (vergleiche
damit die überschaubare Welt der Polis, von der die Griechen selbst meinten, sie sei die einzige
politische Organisationsform, die zivilisiertes Zusammenleben der Menschen ermögliche). In
seiner Tätigkeit, in der er vor allem die Lage der Bauern zu verbessern suchte, stieß er bald an
die engen und starren Grenzen der sozialen und politischen Verhältnisse. Weiterhin groß war
der Einfluss, den die Ideen Herders auf Goethe ausübten.
Zu einem Wandel in der Persönlichkeit im Sinn von Maß und Form und Mäßigung trug auch die
tiefe Beziehung zu Charlotte von Stein bei. Das fast völlige Verzichten auf eine künstlerische
Produktion erschien ihm immer fragwürdiger, sodass er schließlich regelrecht nach Italien
„flüchtete“. Hier studierte er unter dem Einfluss des Werks von Johann Joachim Winckelmann
die Kunst der römischen Antike und der italienischen Renaissance. Dieser hatte eine wirkliche
Kenntnis der Antike angebahnt, wenngleich seine Wertungen und manche Theorien heute nicht
mehr als richtig angesehen werden. In den eineinhalb Jahren seines Italienaufenthaltes wendete
sich Goethe völlig von praktisch-sozialen Fragen ab und zu ästhetischen hin. Er nahm bis dahin
unabgeschlossene Werke wieder auf, so den „Egmont“, die „Iphigenie auf Tauris“, den „Tor-
quato Tasso“ und auch die Arbeit am „Faust“.
Auch Schiller erfuhr in dieser Zeit einen grundlegenden Wandel. Seine radikale Kritik am Adel
und an den Mißständen des Feudalismus (zum Beispiel in „Kabale und Liebe“) verlor durch
persönliche Erfahrungen an Schärfe. So kam er durch seine Geschichtsprofessur in Jena in
Kontakt mit dem Weimarer Hof und dem thüringischen Kleinadel, und als er durch eine schwe-
re Krankheit (1791) größte Existenzprobleme bekam, setzte ihm der dänische Erbprinz eine
hohe Rente aus, die es ihm ermöglichte, sich in aller Ruhe mit philosophischen (Studium der
Werke Kants) und ästhetischen Fragen zu beschäftigen. Das Ergebnis waren die „Briefe zur
ästhetischen Erziehung des Menschen“.
Diese stellten auch eine Reaktion auf das wichtigste Ereignis der Zeit dar: Die Französische
Revolution. Anders als Goethe, der die Revolution von Anbeginn an sehr skeptisch betrachtet
hat, war Schiller zunächst ein Anhänger der Revolution, den Sturm auf die Bastille begrüßte
er begeistert. 1792 wurde ihm sogar noch die Ehrenbürgerwürde der Revolution verliehen.
Die Verurteilung und Hinrichtung des Königs und die Entwicklung zur Schreckensherrschaft
machten Schiller aber zu einem Gegner. In seinen „Briefen zur ästhetischen Erziehung des
Menschen“ zog er daraus den Schluss, dass zwar die Forderung nach einer Verbesserung der
Verhältnisse und der Welt weiterhin bestehe, aber dass die Menschen dazu noch nicht reif seien.
Daher müsse zuerst der Mensch verbessert – „veredelt“ – werden.
Wie soll das aber in einer schlechten Welt geschehen? Nur durch etwas, was über und außerhalb
dieser Welt steht, durch ein „Reich der Freiheit“ – und das ist für Schiller die Kunst. Das heißt,
der Mensch muss mit Hilfe der Kunst ästhetisch erzogen werden. Erst dann werde er auch die
Welt richtig verändern. Eine solche Kunst müsse natürlich auch besonderen Anforderungen
entsprechen, eben eine klassische Kunst sein.

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Die Abkehr Goethes und Schillers vom Sturm und Drang und ihre Hinwendung zur Klassik
lässt sich im Vergleich von bestimmten Werken veranschaulichen.

Bei Goethe: Der aufbegehrende, trotzig-rebellische „Selbsthelfer“ in der Hymne „Prometheus“
mit dem sich bescheidenden, demütig die Grenzen und Schranken der Welt hinnehmenden und
anerkennenden Ich der Ode „Grenzen der Menschheit“. Werther, der an den Grenzen seiner
Welt zugrunde geht, und Wilhelm Meister, der zu sinnvoller und nützlicher Tätigkeit und Wirk-
samkeit im kleinen Kreis findet.

Bei Schiller: Die scharfe Kritik am Adel und am Feudalismus im Bürgerlichen Trauerspiel
„Kabale und Liebe“ und dagegen die Darstellung des Adels im Schauspiel „Wilhelm Tell“, der
sich sogar an die Spitze des Aufstandes der Bauern gegen die Willkür der Vögte setzt.

Die wichtigsten Werke

Lyrik
Insgesamt neigt die klassische Lyrik zu Ordnung und Maß, Ausgewogenheit der Teile und ei-
ner Harmonie des Ganzen. Die Formfreiheit des Sturm und Drang gilt nicht mehr. Sehr stark
tritt das Gedankliche in den Vordergrund, besonders Schiller bietet in manchen Gedichten eine
ganze Weltanschauung: „Der Spaziergang“, „Das Ideal und das Leben“, „Das Lied von der
Glocke“.
Die Zusammenarbeit Goethes und Schillers führte sie auch zur theoretischen Beschäftigung mit
der Gattung Ballade. Im Balladenjahr schufen sie Musterbeispiele dieser Gattung.
Schiller: „Der Ring des Polykrates“, „Der Handschuh“, „Der Taucher“, „Die Kraniche des Iby-
kus“, „Die Bürgschaft“.
Goethe: „Der Schatzgräber“, „Die Braut von Korinth“, „Der Zauberlehrling“.

Epik
Das wichtigste Werk ist Goethes Bildungs- und Entwicklungsroman „Wilhelm Meisters Lehr-
jahre“ (siehe Zugänge, S. 52). Schon außerhalb der eigentlichen Epoche liegen sein Roman
„Die Wahlverwandtschaften“ und seine Autobiographie „Aus meinem Leben. Dichtung und
Wahrheit“.

Drama
Auch hier kam es zu einer Abkehr vom Sturm und Drang: Ein strenger Aufbau, die Beachtung
der drei Einheiten, eine gebundene, stilisierte Sprache sind wesentliche Kennzeichen.
Goethes wichtigste Dramen: „Egmont“ (ein Drama aus dem niederländischen Befreiungs-
kampf), „Torquato Tasso“ (ein Drama über das Problem des Künstlers in höfischer Abhängig-
keit), „Faust I“ und „Faust II“ (siehe Zugänge, S. 156).
Schillers wichtigste Dramen: „Don Carlos“ (ein Werk im Übergang von Sturm und Drang zur
Klassik), die „Wallenstein“-Trilogie (im Mittelpunkt steht der Feldherr des Dreißigjährigen
Krieges), „Maria Stuart“ (siehe Zugänge, S. 152), „Die Jungfrau von Orléans“ (eine roman-
tisch-idealisierte Darstellung der Jeanne d’Arc), „Wilhelm Tell“ (Darstellung des Befreiungs-
kampfes der Schweizer gegen die Herrschaft der Habsburger).

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Literaturhinweise:
Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 5: Zwischen Revolution und Restauration: Klas-
sik und Romantik. Hg. von Horst Albert Glaser. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1987 (= rororo
6254)
Gert Ueding: Klassik und Romantik. Deutsche Literatur im Zeitalter der Französischen Revo-
lution. Deutscher Taschenbuch Verlag, München (= dtv 4346)
Viktor Zmegac (Hg. ): Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegen-
wart. Bd. I/2. Beltz Athenäum, Weinheim 1992

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Zusammenfassung:
Die deutsche Romantik (ca. 9 bis ca. 80)

Politik, Gesellschaft und Kultur

Da es sich bei der Romantik um eine Bewegung handelt, die zur gleichen Zeit wie die Klassik
wirkte, gelten auch für sie dieselben politischen, sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen:
Französische Revolution, Aufstieg Napoleons, Koalitionskriege, Ende des Heiligen Römischen
Reiches, Herrschaft Napoleons über weite Teile Europas und schließlich dessen Niederlage
1814 und die Wiederherstellung der alten politischen und sozialen Verhältnisse (Restauration).

Allgemeine Kennzeichen, vorherrschende Themen, wichtige Autoren und Werke

Es handelt sich bei den Vertretern der Romantik um die Generation der um 1770 Geborenen von
sehr verschiedener sozialer Herkunft, für die die relative Ruhe und Ordnung des alten Systems
(des Ancien régime) nicht mehr so prägend war, sondern die Krise der politischen und sozialen
Verhältnisse. Nach ihr mussten sie sich in ihrem Leben und Denken richten. In der Auseinan-
dersetzung mit dieser Krise entstand die Überzeugung, dass deren Überwindung nur durch eine
„romantische“ Erneuerung der Literatur und der Kunst überhaupt möglich sei. Daher griffen sie
auf eine Tradition zurück, die in der europäischen Literatur seit vielen Jahrhunderten vorhanden
war und sich seit dem 17. Jahrhundert verstärkt hatte, aber nicht von der Aufklärung geprägt
war, sondern sich ihr entzogen hatte: Die Welt des Wunderbaren, Schauerlichen, Naturhaften
und Volkstümlichen.
Das Wort „romantisch“ leitet sich dabei von „Roman“ oder „Romanze“ ab und bezieht sich
damit auf die in der Volkssprache (lingua romana) geschriebenen Epen mit ihren Liebesge-
schichten in einer ritterlichen Welt voll Abenteuern und Kämpfen. Es sollte die romantische
Kunst aber keine Flucht in diese Welt des Mittelalters sein, im Gegenteil, durch die Aneignung
dieser Traditionen sollten die Mittel geschaffen werden, die Gegenwart im Sinne der Romantik
zu erneuern.
Die Romantiker wendeten sich auch mehr der Religion und den Mythen zu, im Gegensatz zu
Aufklärung und Klassik, die ein profanes Weltbild haben, in dem der Mensch und seine Hu-
manität im Mittelpunkt stehen. Kennzeichen der Romantik ist auch die enge Beziehung zur
Philosophie, vor allem Fichtes und Schellings. Ihr Weltbild ist bestimmt von der Vorstellung,
dass die Welt so wie ein Organismus sich ständig entwickelt und wandelt und daher auch nicht
vollkommen sein kann. Das bedeutet, die Vollkommenheit ist kein positiver Wert mehr, aber
die Unvollkommenheit.
In einer sich derartig wandelnden Welt wird auch das Erkennen und Ergreifen der Wahrheit
schwierig. Auf keinen Fall, meinen die Romantiker, gelinge es mit Hilfe des Verstandes, son-
dern nur mit Hilfe von Intuition und Vorstellungskraft. Kennzeichnende Werte der Romantik
sind daher: Wandel, Unvollkommenheit, Entwicklung, Mannigfaltigkeit, schöpferische Phanta-
sie, das Unbewusste, das Innere. Grundzüge der Romantik sind somit die Kritik an der Aufklä-
rung, verbunden mit dem Versuch, sie rückgängig zu machen, die Hinwendung vor allem zum
Mittelalter, die Rückkehr zu den Ursprüngen, zu Mythen, Märchen, Sagen und Legenden.

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Viele Romantiker waren auffallend mobil, was sich in ihren Reisen, ihrem häufigen Wechsel
der Beziehungen und den immer neuen Gruppenbildungen zeigt. Viele versuchten eine Exis-
tenz als freie Schriftsteller, was sich meist nur für kurze Zeit verwirklichen ließ; sie waren da-
her auf Mäzene angewiesen. In ihren Gruppenbildungen pflegten sie das Bild des exentrischen
Künstlers, der in einer Gegenwelt – der Bohéme – zur bürgerlichen Normalität lebt. Diese
bezeichneten sie als philisterhaft, der Philister wurde zum Inbegriff all dessen, was die Roman-
tiker ablehnten.
In nahezu allen europäischen Ländern gab es eine Romantik. Die deutsche Romantik setzte
früher ein als die französische, italienische und russische und beeinflußte diese sogar.

Die deutsche Romantik kann man in drei Abschnitte gliedern

Die Frühromantik
Zentren waren Berlin und Jena. 1797 erschienen die Schriften „Herzensergießungen eines
kunstliebenden Klosterbruders“. Sie wurden im wesentlichen von Wilhelm Heinrich Wacken-
roder (1773–1798) verfaßt und von Ludwig Tieck (1773–1853) nach dessen frühem Tod her-
ausgegeben. Sie stellen so etwas wie das künstlerische Manifest der jungen Generation dar: An
die Stelle einer systematischen Beschreibung des Kunstwerks setzt Wackenroder enthusiasti-
sche Betrachtung, Hingabe, Gefühl und Stimmung.
Die griechischen Vorbilder werden durch Vorbilder aus dem Mittelalter und der Renaissance
ersetzt. Tieck hat mit seinem Roman „Franz Sternbalds Wanderungen“ (1798) auch das neue
Lebensgefühl der Romantiker dargestellt. In derselben Zeit gab er mit seinen Märchenkomö-
dien „Ritter Blaubart“ und „Der gestiefelte Kater“ und einer Sammlung von Volksmärchen, in
die er auch eigene Märchen einfügte, wie zum Beispiel „Der blonde Eckbert“, weitere Beispiel
für die neue Kunst.
Tieck und Novalis (eigentlich Friedrich von Hardenberg; 1772–1801) sind die wesentlichen
Dichter der Frühromantik: Novalis durch seinen unvollendeten Roman „Heinrich von Ofterdin-
gen“ und seine Gedichte „Hymnen an die Nacht“, die aus der großen Erschütterung über den
Tod seiner Verlobten entstanden sind. Für die Theorie und Kunstanschauung der Romantik ist
der kulturphilosophische Aufsatz „Die Christenheit oder Europa“ wichtig geworden. Novalis
entwirft darin ohne Rücksicht auf die Geschichte ein idealisiertes Bild vom Mittelalter.
Nach dem Tod von Wackenroder wurde Jena, vor allem durch die Brüder August Wilhelm und
Friedrich Schlegel, zum neuen Zentrum der Romantik. Sie gründeten die Zeitschrift „Athe-
näum“ (1798–1800), die zum wichtigsten Organ für die geistigen Auseinandersetzungen der
Frühromantik wurde. Novalis gehörte zu ihren wichtigsten Mitarbeitern.

Die Hochromantik
Die Hochromantik wird auch Heidelberger Romantik genannt, nach dem Zentrum Heidelberg
(ab 1805). Von beispielgebender Bedeutung ist die Sammlung „Lieder aus des Knaben Wun-
derhorn“ (1806). Clemens Brentano (1778-1842) und Achim von Arnim (1781-1831) haben
darin Volkslieder und volkstümliche Lieder älterer Dichter gesammelt und teilweise auch über-
arbeitet. Hier lassen sich alle Tendenzen der Romantik erkennen: Das Zurückgehen auf Lieder,
Balladen, Kinderreime, zum Ursprünglichen, Echten, heilsam Naiven und der Glaube, durch
eine Beschäftigung damit „den müde gewordenen Geist der Poesie zu verjüngen“.

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Brentano und Arnim haben mit dieser Sammlung das romantische „Lied“ stark beeinflusst, das
vielfach als der Beitrag der Romantik zur Weltliteratur angesehen wird. Dazu haben besonders
die Vertonungen dieser Lieder durch Franz Schubert, Robert Schumann, Johannes Brahms,
Richard Strauss und Gustav Mahler beigetragen.
Brentano selbst ist vor allem als Lyriker hervorgetreten (siehe Zugänge, S. 166). Wichtig ist
noch seine „Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl“. Arnim hat vor allem
Romane und Erzählungen verfasst, darunter die Novelle „Der tolle Invalide auf dem Fort Ra-
tonneau“. Joseph von Eichendorff (1788–1857) ist als Lyriker bekannt geworden und geblieben
(siehe Zugänge, S. 166).
Wenn man von romantischer Lyrik spricht, meint man seine Lyrik. Sie ist volksliedhaft ein-
gängig, hat immer wiederkehrende Motive (wie Nacht, Mond, verlassene Gärten), die weniger
reale Orte oder Ereignisse oder Situationen benennen wollen, als vielmehr bestimmte Gefühls-
regungen im Leser auslösen. In diesem Geist ist auch seine berühmte Erzählung „Aus dem
Leben eines Taugenichts“ (1826) geschrieben.
Der typisch romantische Gedanke, nach dem zu suchen, was das wahre Wesen des Volks aus-
mache, um mit seiner Hilfe die Gegenwart zu erneuern, führte auch dazu, dass verschiedene
solcher Texte gesammelt und herausgegeben wurden: „Die teutschen Volksbücher“ von Joseph
Görres (42 Volksbücher wurden hier gesammelt und nacherzählt) und die „Kinder- und Haus-
märchen“ der Brüder Grimm.
Hinter diesen Unternehmungen stand auch ein Nationalpatriotismus, der in der Auseinander-
setzung mit Napoleon allerdings rasch zu stark verengtem Nationalismus und Chauvinismus
entartete. Das läßt sich bereits in der Hochromantik erkennen, in der Spätromantik wurde es
dann noch verstärkt.

Die Spätromantik
Die Spätromantik wird ab 1810 gerechnet, das Zentrum war Berlin. Treffpunkt war die „Christ-
lich deutsche Tischgesellschaft“, zu der Arnim, Eichendorff, Brentano, Adelbert von Chamisso
(1781–1838) und auch Heinrich von Kleist gehörten. Sie schloss Philister, aber auch Juden aus!
Nicht zu diesem Kreis gehörte E. T. A. Hoffmann (1776–1822), obwohl er der bedeutendste
Vertreter der Spätromantik ist (siehe Zugänge, S. 168). Er wurde durch seine phantastischen
Erzählungen berühmt, die er in großen Zyklen zusammenfasste: „Nachtstücke“, „Fantasiestü-
cke“ und „Die Serapionsbrüder“. Darin sind so berühmte Erzählungen wie „Das Fräulein von
Scudéry“ oder „Der goldene Topf“ enthalten.
Sein bedeutendster Roman sind die „Lebensansichten des Katers Murr“. Darin wird das Schick-
sal des genialen Kapellmeisters Johannes Kreisler mit einem Katerschicksal kontrastiert. Daraus
ergibt sich, dass ein Kater seine Lebensgeschichte auf bereits bedruckte Blätter eines Buches
schreibt, die sich als die fragmentarische Lebensgeschichte des Kapellmeisters herausstellen.

Einen späten Ableger der Romantik stellt die „Schwäbische Schule“ dar. Sie ist in vielem aber
schon dem Biedermeier verpflichtet. Wichtige Vertreter sind Ludwig Uhland, Justinus Kerner,
Nikolaus Lenau und Gustav Schwab.

Literaturhinweise (siehe Kapitel Klassik)

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BIEDERMEIER UND VORMÄRZ

Johann Nestroy: Der Talisman

ARBEITSBLATT

(Siehe Zugänge, S. 178)

Johann Nestroy entwirft in seinem Stück ein perfektes Modell über Vorurteile, dem sich nach-
zugehen lohnt.
Wie äußert sich das Vorurteil bei den verschiedenen Personen des Stücks? Was bewirkt es bei
den Betroffenen? Wie und wo zeigt Nestroy, dass das Vorurteil unbegründet ist?
Nestroy zeigt aber auch, wie man sich als Betroffener zum Vorurteil verhalten kann.
Einerseits: Titus bringt seinen „Makel“ zum Verschwinden, gibt damit aber indirekt dem Vor-
urteil recht. Außerdem verliert er dadurch seine Menschlichkeit, also das, was das Wesen des
Menschen ausmachen sollte. Zeigen Sie das an seinem Aufstieg.
Andererseits: Titus bekennt sich bewusst zu seiner Eigenheit, Eigenart und nimmt gegen das
Vorurteil den Kampf auf. Dadurch gewinnt er wieder an Menschlichkeit. Zeigen Sie das vor
allem am Ende des Stücks.
Welches Verhalten zeigt Salome Pockerl gegenüber den Vorurteilen der anderen? Wie steht es
um ihre Menschlichkeit?
Vergleichen Sie damit die Darstellung der Entstehung und Wirkung von Vorurteilen und deren
Bekämpfung in der Kurzgeschichte „Linkshänder“ von Günter Grass oder im Drama „Andor-
ra“ von Max Frisch.

Der besondere Vorzug von Nestroys Stück ist, dass uns diese Erfahrungen mit dem Vorurteil
und die Belehrungen auf höchst unterhaltsame und komödiantische Weise vermittelt werden.
Hauptmittel dazu sind die Situationskomik und der Sprachwitz.

Situationskomik (die Komik entsteht aus der Situation, durch das Aufeinandertreffen der Per-
sonen): Suchen Sie entsprechende Stellen im Stück.
Sprachwitz: Nestroy verwendet sprechende Namen. Versuchen Sie diese Namen zu erklären.
Nestroy charakterisiert die Menschen durch bestimmte, wiederholte Wendungen, wobei Titus
allen anderen sprachlich überlegen ist. Sein Wortwitz und seine Wortspiele zeichnen ihn das
ganze Stück hindurch aus. Suchen Sie seinen Wortwitz und seine Wortspiele in der ersten Be-
gegnung mit der Gärtnerin heraus.

Jeder Dichter, der in dieser Zeit einen Text veröffentlichte oder ein Stück aufführen wollte, muss-
te diesen oder dieses zuerst der Zensurbehörde vorlegen. Das heißt, er musste von vornherein
schon Abstriche machen, musste solche Äußerungen vermeiden, die sicher zu einem Verbot ge-
führt hätten. Trotzdem griff die Behörde ein und strich noch weitere Stellen. Im Theater saßen
überdies so genannte Aufpasser, die zu überwachen hatten, ob diese Stellen auch wirklich aus-
gelassen wurden. Nestroy hat das häufig durch Couplets und Stegreifspiel unterlaufen, was ihm
des öfteren Geldstrafen und Arrest eingetragen hat. In den „Erläuterungen und Dokumenten“

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zum „Talisman“ sind jene Stellen genannt, die von der Zensur gestrichen wurden. Untersuchen
Sie diese Stellen: Welche Gründe könnten dafür ausschlaggebend gewesen sein?

Literaturhinweise:
Erläuterungen und Dokumente zu Johann Nestroy „Der Talisman“. Hg. Von Jürgen Hein.
Philipp Reclam jun., Stuttgart (= RUB 8128)
Deutsche Dichter. Bd. 5. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1988

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Georg Büchner: Woyzeck

ARBEITSBLATT

(Siehe Zugänge, S. 180)

Georg Büchner konnte sein Stück nicht mehr vollenden, es ist möglich, dass er noch die Ver-
haftung Woyzecks und eine große Gerichtsverhandlung geplant hat. In den Fällen, die ihm Ma-
terial für sein Stück geliefert haben, war das so. Dabei hat ihn – wie vielen seiner Zeitgenossen
– besonders die Frage der Zurechnungsfähigkeit interessiert. Das ermöglicht eine produktions-
orientierte Beschäftigung mit dem Text.
Stellen Sie sich vor, diese Gerichtsverhandlung findet statt:
Schreiben Sie das Gutachten eines Psychiaters, das die Frage der Zurechnungsfähigkeit Woy-
zecks zu klären versucht. Verfassen Sie die Anklage des Staatsanwalts. Schreiben Sie das Plä-
doyer des Verteidigers. Stellen Sie dazu keine Spekulationen an, sondern nehmen Sie nur den
Text als Grundlage. Was davon würden Sie für die jeweilige Argumentation verwenden?

Literaturhinweise:
Georg Büchner I/II. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. Edition Text und Kritik (Sonderband),
München 1979
Georg Büchner III, Hg. von Heinz Ludwig Arnold. Edition Text und Kritik (Sonderband), Mün-
chen 1981
Deutsche Dichter. Bd. 5. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1988
Erläuterungen und Dokumente zu Georg Büchner „Woyzeck“. Hg. von Lothar Bornscheuer.
Philipp Reclam jun., Stuttgart (= RUB. 8117)
Hans Mayer: Georg Büchner und seine Zeit. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1974

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Franz Grillparzer:

INFORMATIONSBLATT

Der Traum ein Leben

Inhalt: Massud, ein reicher Landmann, lebt mit seiner Tochter Mirza ein ruhiges, fried-
liches und tätiges Leben im kleinen Kreis. Seinem Neffen Rustan, noch bestärkt und an-
gestachelt von dem schwarzen Sklaven Zanga, genügt das nicht. Er sucht ein Leben
voll Taten, Kampf und Abenteuern, das er bisher nur notdürftig durch die Jagd ersetzt
hat. Daher bittet er seinen Oheim, ihn ziehen zu lassen, was dieser widerwillig zugesteht,
nicht ohne ihn zu bitten, noch einmal darüber zu schlafen. Der nächste Akt sieht Zanga
und Rustan bereits unterwegs, die neugewonnene Freiheit genießend. Sie kommen eben
zurecht, wie der König von Samarkand auf einer Brücke von einer Schlange verfolgt wird,
ein Unbekannter tötet sie und verschwindet. Auf Drängen von Zanga gibt sich Rustan
dem König gegenüber als Retter aus, worauf der ihm reichen Lohn verspricht. Als der
Unbekannte später noch einmal auftaucht und die Wahrheit preisgeben will, tötet ihn
Rustan im Kampf. Nun beginnt der unaufhaltsame Aufstieg Rustans, und als der König
die Wahrheit erkennt, vergiftet Rustan ihn und nimmt Gülnare, die Tochter des Königs, zur
Frau. Mit skrupelloser Rücksichtslosigkeit verfolgt er alle seine Gegner, sehr rasch aber
erfolgt auch sein Fall. Er wird als Mörder des Königs entlarvt, verfolgt und kommt dabei
zu jener Brücke, bei der alles begonnen hat. Gerade als sich eine Rustan ähnliche Gestalt
ins Wasser stürzt, verwandelt sich die Szene – alles erweist sich als Traum Rustans. Nur
mühsam findet Rustan wieder in die Wirklichkeit zurück und zieht aus seinem Traum den
entscheidenden Schluss:

„Eines nur ist Glück hienieden,
Eins: des Innern stiller Frieden
Und die schuldbefreite Brust!
Und die Größe ist gefährlich.
Und der Ruhm ein leeres Spiel;
Was er gibt, sind nicht’ge Schatten,
Was er nimmt, es ist so viel!“

Rustan gibt den Sklaven Zanga (den Verführer) frei und bittet um Wiederaufnahme und
um die Hand Mirzas.

Diese Schlusswendung kann man als typisch für das Biedermeier ansehen: Jedes poli-
tische Streben, jedes Streben nach Ruhm und Macht wird von Rustan zugunsten einer
ruhigen und zurückgezogenen Lebensweise aufgegeben, einem stillen Wirken im kleinen
Kreis. Oder kritisch formuliert: Statt politischer Existenz Rückzug in die dörfliche Idylle. So
einfach ist das aber nicht, denn Grillparzer zeigt ja, dass das, was im Traum Schreckliches
geschieht, im Menschen, in seinem Inneren angelegt ist und erst durch die furchtbare
Bedrohung dieses Traums gebändigt, gezähmt wird. Das heißt, die „Idylle“ ist ständig
bedroht. Unter der glatten Oberfläche verbergen sich Abgründe.
Mit diesem Stück feierte Grillparzer einen seiner größten Erfolge auf dem Burgtheater
(1834). Das hängt damit zusammen, dass er die Stimmung der Zeit traf und das Un-
terhaltungsbedürfnis der Zuschauer: Traumhandlung, die Schlange, der Sklave als

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Verkörperung der bösen Verführung erinnern an Volks – und Märchenstücke der Vor-
stadtbühnen. Ferdinand Raimund, neben Johann Nestroy deren wichtigster Autor,
hat das erkannt, wenn er zu diesem Stück meint: „… das habe ich immer wollen und
eigentlich ist mein ‚Bauer als Millionär‘ derselbe Gedanke.“

Literaturhinweise:
Franz Grillparzer. Hg. von Helmut Bachmaier. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991 (= stm
2078)
Heinz Politzer: Grillparzer oder Das abgründige Biedermeier. Molden, Wien – München
– Zürich 1972
Zdenko Skreb: Grillparzer. Eine Einführung in das dramatische Werk. Königstein /Taunus
1970

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Politische Lyrik in der Zeit

INFORMATIONSBLATT

des Biedermeier und Vormärz

(Siehe Zugänge, S. 184)

Die politische Lyrik kann sich wie die politische Dichtung insgesamt bestätigend (affirma-
tiv) gegenüber den politischen und sozialen Verhältnissen verhalten oder sie kritisieren.
Politische Lyrik zwischen 1815 und 1848 hatte ein weites Betätigungsfeld, sowohl die
ungerechten politischen wie auch die sozialen Verhältnisse bildeten eine ständige Her-
ausforderung. Der wirkte aber eine scharfe Zensur entgegen, sodass Autoren gezwun-
gen waren, entweder anonym zu publizieren oder ein Pseudonym zu verwenden. Vielfach
wichen sie auch ins Ausland aus und ließen dort drucken, um die Texte dann ins Land
hereinzuschmuggeln. Auch mit nichtunterzeichneten Flugblättern konnte man der Zensur
ausweichen. Die Bandbreite geht dabei vom Gedicht mit hohem dichterischen Wert bis
zum Augenblicksgedicht für eine ganz konkrete politische Situation.
Die sprachlichen Mittel dienen dem angestrebten politischen Zweck: Sie wollen etwa
komplizierte Sachverhalte und Verhältnisse einfach ausdrücken. Dazu dienen die Perso-
nifikation, die Antithese zum Herausarbeiten von einfachen Gegensätzen, Schlagworte
und Formeln. Sie wollen Inhalte durch Wiederholung besonders einprägen. Dazu dienen
etwa Anapher und Refrain. Sie wollen veranschaulichen. Das können etwa Metaphern,
Bilder, Vergleiche und Gleichnisse.
Alle diese dichterischen Mittel dienen einem außerkünstlerischen Zweck. Das wirft aber
das Problem der Wertung und Bewertung auf. Ein Problem, das bei politischer Dichtung
besonders groß ist, da sie doch selbst parteilich ist und zur Parteinahme aufruft. Man
kann daher solche Dichtung nicht allein nach der politischen Aussage beurteilen, aber
auch nicht nur nach den angewendeten sprachlichen Mitteln. So könnte ein sprachlich
durchaus gelungenes Gedicht aus politischen Gründen abgelehnt werden und umge-
kehrt. Es müssen also beide Kriterien zusammenstimmen. Eine übergeordnete Perspekti-
ve, die das Problem der Parteilichkeit bei der Bewertung lösen könnte, wäre die Frage, ob
die Kritik letztlich im Sinn hat, humane, menschlichere Zustände herbeizuführen.
In der Zeit zwischen 1815 und 1848 gab es innere Ereignisse, die Kritik herausfor-
derten: Das waren die politischen Zustände und das soziale Elend (siehe Zugänge,
S. 184). Aber auch äußere politische Ereignisse, wie der Befreiungskrieg der Griechen und
der Aufstand der Polen.

Die wichtigsten Vertreter der politischen Lyrik in Österreich waren:
Anastasius Grün (Pseudonym für Anton Alexander Graf Auersperg; 1806–1876), Nikolaus
Lenau (eigentlich Niembsch Edler von Strehlenau; 1802–1850) in einigen seiner Gedichte
und Karl Isidor Beck (1817–1878).

Auf dem Gebiet des Deutschen Bundes:
Heinrich Heine (siehe Zugänge, S. 184), Georg Herwegh (1817–1875), August Heinrich
Hoffmann von Fallersleben (1798–1874), Ferdinand Freiligrath (1810–1876),
Ludwig Pfau (1821–1894) und Georg Weerth (1822–1856).

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Literaturhinweis:
Walter Grab/Uwe Friesel: Noch ist Deutschland nicht verloren. Eine Sammlung unter-
drückter Lyrik von der Französischen Revolution bis zur Reichsgründung.

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Zusammenfassung:
Biedermeier und Vormärz

Politik, Gesellschaft und Kultur

Der Versuch der Wiederherstellung der sozialen und politischen Verhältnisse, wie sie vor der
Französischen Revolution bestanden hatten, stieß auf den Widerstand des Bürgertums, das
nicht nur Träger der bürgerlichen Revolution, sondern auch der Industrialisierung (also der
industriellen Revolution) wurde. Die entscheidenden Forderungen waren eine Verfassung und
die Idee einer nationalen Einigung des in in viele Staaten zersplitterten Deutschland. Beides
wurde besonders aktiv von den Studenten und deren Vereinigungen, den Burschenschaften,
vertreten. Sie traf daher auch sofort der Zugriff der Reaktion. In den Karlsbader Beschlüssen
wurden die Burschenschaften verboten, eine scharfe Zensur eingeführt und jede Kritik auf das
strengste verfolgt. Besonders die Universitäten – Studenten und Professoren – wurden scharf
kontrolliert, ein Übertreten der Vorschriften durch Ausschluss verfolgt. Wer an einer Universi-
tät ausgeschlossen wurde, konnte auf dem gesamten Gebiet des Deutschen Bundes nicht mehr
studieren oder unterrichten. Ein dichtes Netz von Spitzeln sorgte für weitere Kontrolle und
Überwachung. Die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts waren dementsprechend restaurativ.
Die Julirevolution von 1830 leitete in Frankreich und in Belgien die Epoche der bürgerlichen
Vorherrschaft in der Form der konstitutionell-parlamentarischen Monarchie ein und belebte
durch ihr Beispiel die liberalen und nationalen Gedanken in Mitteleuropa, Deutschland und
Italien. Im Deutschen Bund gab es zunächst schwache Aufstandsversuche, die aber von den
herrschenden Mächten leicht niedergeschlagen werden konnten. Der Druck wurde sogar noch
verschärft, die Verfolgung der so genannten „Demagogen“ (oppositionelle Intellektuelle) wur-
de wieder konsequent aufgenommen, der Druck der Zensur erhöht und das geistige Leben
scharf geknebelt (Verbot des „Jungen Deutschland“).
Hatte die Julirevolution in Frankreich das Großbürgertum, das die wirtschaftliche Macht bereits
besaß, auch politisch an die Macht gebracht, konnte sich das Bürgertum in Deutschland und
in Österreich noch nicht politisch durchsetzen. Immerhin konnte es in Deutschland zumindest
seine wirtschaftlichen Interessen weitgehend wahren, im Gegensatz zu Österreich, das durch
ökonomische, politische und ideologische Isolierung durch Schutzzölle, Reisebeschränkungen
und Zensur ökonomisch stagnierte. So wurde etwa die politische Zersplitterung des Deutschen
Bundes zumindest auf wirtschaftlichem Gebiet durch die Gründung des Deutschen Zollvereins
1834 gemindert und damit die Voraussetzungen für kapitalistische Produktion und gleichzeitig
für den einheitlichen Nationalstaat geschaffen.
Das Kleinbürgertum, die kleinen Kaufleute und Handwerker, gerieten in immer größere Schwie-
rigkeiten, da sie im Konkurrenzkampf mit der Industrie nicht mithalten konnten. Die Zahl der
großen Meisterwerkstätten und Handwerksbetriebe reduzierte sich, viele früher selbständige
Handwerker waren nun gezwungen, in den großen Fabriken zu arbeiten.
Die Bauern kamen durch Zinsenlast und Besteuerung immer mehr unter Druck und überließen
daher immer häufiger ihre Höfe Großgrundbesitzern. Sie und die frei gewordenen Landarbeiter
mussten ebenfalls als Lohnarbeiter in die Fabriken gehen. In den großen Städten begann sich
allmählich ein Proletariat zu bilden. Von 1816 bis 1846 stieg die Zahl der Arbeiter auf ungefähr

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600 000. Steigende Preise bei weitgehend konstanten Löhnen, 12- bis 16-stündiger Arbeitstag,
Frauen- und Kinderarbeit charakterisierten die soziale Lage des Proletariats. Allerdings sah das
Bürgertum bis auf wenige Ausnahmen diese Situation nicht, sondern konzentrierte sich entspre-
chend der bürgerlichen Emanzipationsbewegung gegen die Feudalaristokratie auf politische
Forderungen wie Mitspracherechte usw.

Allgemeine Kennzeichen, wichtige Autoren und Werke

Für die Zeit zwischen 1815 und 1848 verwendet die Literaturgeschichte die Begriffe Bieder-
meier und Vormärz.

Biedermeier: Ursprünglich war dieser Begriff satirisch-kritisch gemeint, als eine Bezeichnung
für spießbürgerliche Gemütlichkeit. Erst die Kunstgeschichte machte daraus einen positiven
Begriff, der dann auch auf die Literatur übertragen wurde. So bezeichnet man heute als Bieder-
meier jene Kultur, deren Vertreter sich angesichts der bedrückenden politischen Verhältnisse
und der sozialen Umbrüche, in denen gesellschaftliche Werte und Normen sich aufzulösen
begannen, aus der Öffentlichkeit in ein privates Leben zurückzogen. Zurückgezogenheit, Re-
signation, Melancholie und Verzicht wurden zu bestimmenden Kennzeichen.

Vormärz: Damit meint man alle jene Strömungen und Autoren, die den März 1848, also die
Revolution von 1848 vorbereiten halfen. Vertraten die Autoren des Biedermeier häufig eine
konservative (die bestehenden Verhältnisse bewahrende) Weltanschauung, so traten die Auto-
ren des Vormärz für liberale und radikaldemokratische Ideen ein. Weder für die einen noch für
die anderen ergeben sich damit auch schon gemeinsame ästhetische Kennzeichen. Über Stil
und Eigenart ist damit noch wenig ausgesagt. Die Abwendung vom Politischen hin zum Äs-
thetischen mit einer Rückbesinnung auf Klassik und Romantik ist besonders ausgeprägt in der
Lyrik von August Graf von Platen (1796–1835) und Eduard Mörike (1804–1875).

Das Biedermeier hat in Österreich große Bedeutung erlangt. Vieles, wenn auch nicht alles in
den Werken der angeführten Dichter weist in diese Richtung.
Das gilt besonders für Ferdinand Raimund (1790–1836) und seine Märchenkomödien „Der
Bauer als Millionär“, „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“, „Der Verschwender“.
Weitaus kritischer und satirischer ist Johann Nestroy (siehe Zugänge, S. 178). Seine wichtigsten
Stücke sind: „Lumpazivagabundus“, „Der Talisman“, „Einen Jux will er sich machen“, „Der
Zerrissene“, „Freiheit in Krähwinkel“.
Franz Grillparzer (siehe Zugänge, S. 173 und S. 176 ff. ).
Adalbert Stifter (siehe Zugänge, S. 174).
Auf dem Gebiet des Deutschen Bundes zählt Annette von Droste-Hülshoff (siehe Zugänge,
S. 172) zu den wichtigsten Dichterinnen.
Zu den Autoren, die dem Vormärz zuzuordnen sind, gehören:
Georg Büchner (siehe Zugänge, S. 180 ff. ).
Heinrich Heine (siehe Zugänge, S. 184).

Nach der Julirevolution von 1830 in Frankreich bildete sich auch in Deutschland eine Be-
wegung junger Schriftsteller, die sich nach ausländischen Vorbildern (Giovine Italia, Junges

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Europa) „Junges Deutschland“ nannte. Sie bildeten keine geschlossene Gruppe, aber sie woll-
ten eine realistische Literatur, die sich gegen Konventionen und Orthodoxie stellte, sich für
Meinungsfreiheit, Emanzipation der Frauen und Juden und für eine Verfassung und Demokratie
einsetzte. Auf Beschluß der Bundesversammlung des Deutschen Bundes wurden sie 1835 we-
gen angeblich staatsgefährdender und antichristlicher Tendenzen verboten.
Hauptvertreter: Heinrich Heine, Karl Gutzkow, Ludwig Börne und Heinrich Laube.

Literaturhinweise:
Deutsche Dichter. Bd. 5. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1988
Viktor Zmegac: Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Bd. II/2. 2. Aufl. Beltz Athenäum, Weinheim 1994

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BÜRGERLICHER REALISMUS
UND GRÜNDERZEIT

Gottfried Keller:

ARBEITSBLATT

Romeo und Julia auf dem Dorfe

(Siehe Zugänge, S. 202)

Gottfried Kellers Novelle gilt als Musterbeispiel für die realistische Erzählweise in der 2. Hälfte
des 19. Jahrhunderts. Der Stoff stammt nach eigener Angabe aus der Wirklichkeit, aber er wird
nach Belieben des Dichters verändert. Gleichzeitig verweist der Titel auf das große Vorbild,
William Shakespeares „Romeo und Julia“, weist diesem Stoff aber auch ein konkretes Milieu
des 19. Jahrhunderts zu – das Dorf.

Zur Frage des Milieus: Welche Rolle spielt die dörfliche Gemeinschaft in der Handlung? Wel-
che kleinbürgerlich-bäuerlichen Vorstellungen sind erkennbar? Wie prägen sie das Verhalten
der Personen? (Beachten Sie dabei besonders die Frage nach dem Zusammenleben von Vren-
chen und Sali.)

Der Streit der Bauern: Auslöser ist der verwilderte Acker. Im Verlauf des Streits kommt es
zum finaziellen Ruin, zur moralischen Verwahrlosung und zum Verlust der familiären und sozi-
alen Bindungen (bis zur Entwurzelung). Stellen Sie diese Punkte in allen Einzelheiten dar.
Von Beginn an zeigt Keller, wie die Beziehung zwischen Vrenchen und Sali belastet ist. Immer
ist auch von Streit und Zerstörung und Tod die Rede. Untersuchen sie das anhand der einzelnen
Zusammentreffen.
Keller setzt darüber hinaus eine Fülle von Motiven ein. Ein Beispiel: Das Motiv des verwil-
derten Ackers: Welcher Zusammenhang besteht zwischen seinem Zustand und dem Zustand,
den er bei den Bauern auslöst? Wo ist von ihm die Rede? Was bedeutet das?

Die Form der Novelle (siehe Arbeitsblatt „Michael Kohlhaas“, S. 44): Der schwarze Geiger
ist das Dingsymbol. An welchen Stellen ist von ihm die Rede? Was bedeutet sein Auftreten für
den Verlauf der Handlung? Welche Wendung nimmt sie?

Literaturhinweise:
Erläuterungen und Dokumente zu Gottfried Keller „Romeo und Julia auf dem Dorfe“. Hg. von
Jürgen Hein. Philipp Reclam jun., Stuttgart (= RUB 8114)
Literaturwissen Gottfried Keller. Hg. von Klaus Dieter Metz. Philipp Reclam jun., Stuttgart
(= RUB 15205)
Adolf Muschg: Gottfried Keller. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1980 (= st 617)

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Theodor Fontane: Effi Briest

ARBEITSBLATT

(Siehe Zugänge, S. 206)

Dieser Roman gilt als Werk von europäischem Rang. Aber nicht durch seine Handlung, die
beansprucht keine besondere Originalität, sondern durch die Art, wie er erzählt wird. Das zu
erkennen, sollen die folgenden Fragen helfen. Fontane erzählt nicht bloß eine private Ehetra-
gödie, sondern er verschränkt sie mit dem, was für die damalige Gesellschaft typisch ist. So
macht er Innstetten um vieles älter als das wirkliche Vorbild. Dieser wird dadurch zum Vertreter
einer veralteten, überholten Gesellschaftsordnung. Die Briefe lässt er ihn sieben Jahre nach
dem Ehebruch finden, seine Reaktion ist daher nicht mehr individuell menschlich, sondern
gesellschaftlich begründet.
Untersuchen Sie das an den Begründungen, die Innstetten seinem Duellwunsch unterlegt.

Die Frage der (fehlenden) Leidenschaften: Welche Rolle spielen Leidenschaften in den Be-
ziehungen der Menschen, vor allem in der Ehe?

Die Darstellung der Ehe: Was bedeutet die Ehe für Menschen dieser gesellschaftlichen
Schichten? Was hat sie für eine Bedeutung nach außen? Wie sind die Beziehungen der Ehepart-
ner (Ehepaar Briest, Ehepaar Innstetten)? Was hat sich Effi von der Ehe erwartet? Wie ist die
Realität?

Die Rolle der Mutter: Welche Rolle spielt die Mutter im Leben Effis?

Die Frage der Schuld: Wer ist in welcher Art und Weise schuld an der Katastrophe Effis? Wie
könnte man die Schuld verteilen?

Fontane verschränkte die Handlung durch eine Fülle verschiedener Motive, sodass der Roman
nach außen hin locker gefügt erscheint (viele Gespräche), bei genauerer Betrachtung sich aber
als verwobenes, dichtes Geflecht erweist. Dazu einige Beispiele:

Das Motiv der Schaukel: An welchen Stellen, in welchem Zusammenhang setzt es Fontane ein?
Zu welchem Zweck?
Das Motiv des spukenden Chinesen (nach Fontane der „Drehpunkt der ganzen Geschichte“):
An welchen Stellen ist davon die Rede? Zu welchem Zweck verwendet Innstetten diesen Spuk?
Was ergibt sich daraus?
Das Motiv des treuen Hundes: An welchen Stellen tritt es auf? Welche Bedeutung könnte das
haben?
Eine Anregung zum Schreiben: Effi Briest versucht in einer Tagebucheintragung sich selbst
Rechenschaft abzulegen: Was hat sie eigentlich zum Ehebruch gebracht?

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Literaturhinweise:
Ute Frevert: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft. Deutscher Taschenbuch
Verlag, München 1995 (= dtv 4646)
Peter von Matt: Verkommene Söhne, missratene Töchter. Hanser, München 1995 (darin ein
Kapitel über die fatale Rolle der Mutter Effis)

Zu Theodor Fontane
Interpretationen: Fontanes Novellen und Romane. Hg. von Christian Grawe. Philipp Reclam
jun., Stuttgart (= RUB 8416)
Helmut Nürnberger: Theodor Fontane in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt,
Reinbek bei Hamburg 1994
Hans Heinrich Reuter: Fontane. Bd. 1 und 2, München 1968

Zu den Romanen
Walter Müller-Seidl: Theodor Fontane. Soziale Romankunst in Deutschland 3. Aufl. Metzler,
Stuttgart 1994

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Ludwig Anzengruber:

INFORMATIONSBLATT

Das vierte Gebot

Inhalt: Hedwig, die Tochter des Privatiers und Hausbesitzers Hutterer, hat sich in ihren
Klavierlehrer Robert Frey verliebt, wird aber von ihrem Vater unter ausdrücklicher Beru-
fung aus das vierte Gebot gezwungen, den reichen August Stolzenthaler zu heiraten. Die-
ser führt ein ziemlich ausschweifendes Leben und hat unter anderem auch eine Liaison
mit Josepha, der Tochter des Drechslermeisters Schalanter. Deren Mutter sieht diese Be-
ziehung gern und fördert sie sogar, weil sie Schulden bei Stolzenthaler haben, Schalanter
arbeitet fast nichts und vertrinkt alles. Seinen Sohn Martin hat er zu einem hochfahrenden
Stolz erzogen, der im krassem Widerspruch zu seiner tatsächlichen Existenz, seinem Sein
steht. Als nach längerer Zeit Hedwig – sie hat Stolzenthaler geheiratet und ein Kind von
ihm – ihren ehemaligen Klavierlehrer wiedersieht (er ist inzwischen Feldwebel geworden),
beschließt sie, ihm die Briefe, die er einst an sie geschrieben hat, etwas später zu über-
reichen. Diese Szene wird aber von Schalanter belauscht, der alles Stolzenthaler verrät,
weil er sich eine „Belohnung“ verspricht. Stolzenthaler bricht mit Hedwig einen Streit vom
Zaun, in dessen Verlauf sie ihm die Wahrheit sagt: Sie ist in diese Ehe gezwungen worden.
Das wird ihm wenig später von ihren Eltern bestätigt, was seinen Stolz zutiefst verletzt, er
will die Scheidung. Schon vorher aber ist Hedwig zu Robert Frey geflüchtet. Dieser wird
aber von Martin Schalanter – er ist als Soldat Untergebener des Feldwebels und fühlt
sich von ihm schlecht behandelt – in einem Streit aus nichtigem Anlass, angestachelt von
seinem Vater, erschossen. Der letzte Akt zeigt die völlige Katastrophe der Kinder: Martin
wird verurteilt und hingerichtet, Josepha ist zur Prostituierten herabgesunken, von der die
Eltern leben, Hedwig hat ihr Kind verloren und lebt bei ihren Eltern in einer Art Dämmer-
zustand in Erwartung eines baldigen Endes.

In diesem Volksstück zeigt Ludwig Anzengruber, wohin unbedingter Gehorsam der Kin-
der gegenüber ihren Eltern führt, was diese bei ihren Kindern anrichten können. Das wird
an zwei sozialen Schichten vorgeführt, im Großbürgertum (Hutterer) und Kleinbürgertum
(Schalanter). Hutterer zwingt seine Tochter in eine von ihr nicht gewollte Ehe, darin noch
unterstützt durch einen Priester (das vierte Gebot!), und stürzt damit seine Tochter in die
Katastrophe. Dahinter stehen Standesrücksichten, der arme Klavierlehrer kommt natür-
lich als Ehemann nicht in Frage, es muss schon der reichste Mann sein, da sieht er auch
davon ab, was der bisher für ein Leben geführt hat.
Die Frau des Drechslermeisters, Barbara, führt ihre Tochter einen Weg, der diese schließ-
lich bis zur Prostituierten absinken lässt; über ihr weiteres Schicksal hat sie keine Illu-
sionen mehr: „‘s hat wohl no a Weil’ hin, bis S’ mi im Spital aufsuchen können, aber es
bleibt nit aus.“ Dahinter stehen die materiellen Interessen der Mutter, die praktisch ihre
Tochter verkauft. Schalanter treibt seinen Sohn Martin in den Untergang durch Anerzie-
hung eines unangebrachten Stolzes, der verhindert, dass sich Martin in seine Umgebung,
die Gesellschaft einfügen kann. Außerdem ist er durch das Aufstacheln seines Sohnes
ohne Zweifel mitschuldig am Mord.
Von den Eltern des August Stolzenthaler erfährt man nichts, offensichtlich ist es ihnen
aber auch nicht gelungen, aus ihm einen wertvollen Menschen zu machen. So führt er ein
ausschweifendes Leben, in dem Geld dominiert – auch die menschlichen Beziehungen.

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Vier Generationen stellt Anzengruber dar: Herwig, die Großmutter von Martin und Jose-
pha, sie verkörpert noch Moral und Aufrichtigkeit. Sie sagt schon sehr früh die Wahrheit
über die falsche Erziehung ihrer Enkel, ihr bleiben auch die letzten Worte im Stück, Worte
des Mitleids und der Verzeihung für Martin.
Die Elterngeneration: Die Eltern Hutterer, wo der Vater seine Tochter in das Unglück zwingt;
erst am Schluss zeigt er Einsicht.
Die Eltern Schalanter: Moralisch verkommen, in einem stetigen – auch materiell – Abstieg.
Während die Mutter bis zum Schluss uneinsichtig ist: „ Mir hab’n a Unglück mit die Kin-
der!“, zeigt Schalanter eine gewisse Erkenntnis: „Oder sö mit uns!“
Die Generation der Kinder: Ihr Leben wird von den Eltern zerstört.
Die jüngste Generation: Das Kind Hedwigs ist lebensunfähig und stirbt bald. Hedwig:
„Man sagte mir, der Vater habe zu viel gelebt, als dass für das Kind etwas überbliebe.“

Mit dem Schicksal des Kindes von Hedwig verweist Anzengruber auch auf ein Thema,
das die Naturalisten etwa zehn Jahre danach ins Zentrum ihrer Werke gestellt haben – die
Vererbung. Diese Vorwegnahme zeigt sich auch in seiner realistischen (naturalistischen)
Darstellung der Menschen und ihrer Milieus. So lässt er sie in einer wirklichkeitsnahen
Sprache sprechen.

Anzengruber war durch das Studium der Werke des Philosophen Ludwig Feuerbach und
des Naturwissenschaftlers Charles Darwin zu einem atheistischen, diesseitsgerichteten
Weltbild gekommen. „Entgöttern und vermenschlichen! Das sind die neuen Ziele!“ In sei-
nem Stück zeigt er das durch die radikale Sozialkritik: Es gibt wenig Menschliches darin,
aber das Unmenschliche wird ständig kritisiert und bloßgestellt.
So könnte man von einem äußerst pessimistischen Stück sprechen, in dem das Gesche-
hen wie auf einer schiefen Ebene dem Untergang zustrebt, wären da nicht die kleinen
Zeichen der Hoffnung, die späte, freilich zu späte Einsicht. Nur der Vertreter der Kirche
bleibt uneinsichtig: Wenige Minuten vor der Hinrichtung Martins mahnt er diesen noch
einmal an das vierte Gebot.

Literaturhinweis:
Deutsche Dichter. Bd. 6. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1988

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Zusammenfassung:
Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit

Politik, Gesellschaft und Kultur

Das Ziel des liberalen Bürgertums in der Revolution von 1848, einen Nationalstaat mit Ver-
fassung zu schaffen, wurde rasch aufgegeben, als erste Anzeichen einer sozialen Revolution
des Proletariats deutlich machten, dass nicht nur Herrschafts-, sondern auch Besitzverhältnisse
in Frage gestellt wurden. Besitzbürgertum (Kaufmann, Bankier, Unternehmer) und Bildungs-
bürgertum arrangierten sich mit den alten Machthabern, der Feudaladel behielt weiterhin die
politische Macht, das Bürgertum die wirtschaftliche und den geistigen Bildungsanspruch. Die
Energie wurde wieder in diesen Bereichen eingesetzt, geschickt darin vom Staat gefördert, wie
etwa die kapitalistische Wirtschaft.
Diejenigen, die an den fortschrittlichen Ideen von 1848 festhielten, wurden in einem solchen
Klima zu Außenseitern oder gar ins Exil gezwungen. Überhaupt gerieten die liberalen Ideen
unter dem Einfluss des überragenden Machtpolitikers Otto von Bismarck mit seinem Werk
der nationalen Einigung von Preußen aus zugunsten der nationalen Idee in den Hintergrund.
Dementsprechend kam es auch nicht zu einem Ausbau der bürgerlichen Grundrechte und dem
Aufbau einer demokratischen Verfassung, auch nicht nach 1871.
In Österreich hatte sich nach 1848 ein neoabsolutistisches Herrschaftssystem etabliert, das erst
nach den Niederlagen von Magenta und Solferino 1859 zusammenbrach, was letztlich zu einer
liberalen Verfassung (1867) führte, in der die bürgerlichen Grundrechte festgeschrieben waren.
Da in Österreich die Kirche Rechte besaß wie in kaum einem europäischen Land (Kontrolle
und Oberaufsicht über Schule und Erziehung, Zensur usw.), richtete sich die Aktivität des libe-
ralen Bürgertums darauf, diesen Einfluss zu reduzieren. Dadurch wurde aber die Lösung eines
anderen Konflikts vernachlässigt, der schließlich die Monarchie sprengen sollte – der Nationa-
litätenkonflikt. Nur die Schweiz stellte damals eine wirkliche Demokratie dar, ihre Verfassung,
nach dem Vorbild der amerikanischen, erfüllte alle wesentlichen bürgerlichen liberalen Forde-
rungen.
Allgemeines Kennzeichen des literarischen Lebens wurde es, dass sich die Schriftsteller im-
mer mehr den Zwängen des literarischen Marktes unterwerfen mussten, für den das Gesetz
von Angebot und Nachfrage gilt. Durch die wachsende Schulbildung (etwa 90 Prozent der
Bevölkerung konnte lesen) und die Lese- und Unterhaltungsbedürfnisse eines breiten Publi-
kums geriet die literarisch hochstehende Literatur an den Rand, wuchs die Entfremdung zwi-
schen Autor und Leser. Die uns heute als die großen Erzähler des Realismus geltenden Autoren
verkauften nur wenig – Gottfried Keller hatte von seinem Roman „ Der grüne Heinrich“ erst
nach dreißig Jahren 1000 Exemplare verkauft –, das heißt, sie konnten nicht davon leben. Das
breite Publikum las Trivialliteratur von Friedrich Gerstäcker (ein Vorfahre von Karl May) oder
die Frauenromane von Eugenie Marlitt oder Nataly von Eschstruth, und die bezogen sie aus
den zahlreichen Leihbibliotheken. Nur von der Mitarbeit an Zeitschriften, die eine große Rolle
spielten, konnten die Autoren bessere Verdienstmöglichkeiten erwarten.
Der Begriff Realismus wurde von den führenden Dichtern und Kritikern selbst verwendet
und bedeutet allgemein eine Abwendung von der Theorie hin zur Praxis, ein Übergewicht der

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Naturwissenschaften gegenüber Philosophie und Dichtung und damit verbunden eine realisti-
sche Weltanschauung, eine Betonung des Diesseits und ein psychologisches Interesse am Men-
schen.
Zwei Philosophen waren besonders prägend: Ludwig Feuerbach, der Gott und die Religion als
eine Projektion der menschlichen Einbildungskraft erkannte, und Arthur Schopenhauer, der
Politik, Geschichte und Zivilisation sehr kritisch sah, ablehnte und verachtete. Ihm und seiner
pessimistischen Resignation wandten sich alle jene zu, die von Staat und Gesellschaft ent-
täuscht waren.
In der Literatur bedeutet Realismus den Versuch, die Wirklichkeit zwar möglichst objektiv
darzustellen, aber unter subjektiver Deutung des Autors. Anders formuliert: Das Werk musste
so gestaltet sein, dass dessen Inhalt wahr oder wahrscheinlich sein konnte, sodass der Leser es
als wahr oder wahrscheinlich ansehen konnte. Trotzdem wurde nicht eine bloße Abbildung der
Wirklichkeit angestrebt, vorrangig war immer eine dichterische Gestaltung.
Kennzeichen des deutschen Realismus (im Unterschied zum französischen und russischen, sie-
he dazu Zugänge, S. 190 und 192) ist die Tendenz, die Wirklichkeit zu verklären. Ein wichtiges
Mittel dazu ist der versöhnende Humor, nicht die bissige, ätzende Ironie.
Diesem Realismus entspricht auch die Vorherrschaft der Prosa: Erzählung, Novelle und Roma-
ne gehören zu den bevorzugten Gattungen. Drama und Lyrik treten etwas zurück.

Die wichtigsten Autoren und Werke

In Deutschland:
Theodor Storm (1817–1888): Er schrieb besonders Novellen, darunter die lyrische Novelle
„Immensee“, seine letzte war „Der Schimmelreiter“.
Wilhelm Raabe (1831–1910): Er ist Schöpfer zahlreicher Romane, darunter „Die Chronik der
Sperlingsgasse“, „Der Hungerpastor“, „Abu Telfan“, „Der Schüdderump“. Von seinem Spät-
werk ist besonders seine Erzählung „Stopfkuchen“ eine „See- und Mordgeschichte“ erwäh-
nenswert.
Theodor Fontane (1819–1898): In seinen Romanen stellt er häufig die Probleme und Konflikte
jener dar, die aus einer überkommenen, überalterten Gesellschaft ausbrechen wollen: „Grete
Minde“, „Frau Jenny Treibel“, „Effi Briest“ (siehe Zugänge, S. 206), „Schach von Wuthenow“,
„Der Stechlin“.

In Österreich:
Marie von Ebner-Eschenbach (siehe Zugänge, S. 204)
Peter Rosegger (1843–1918): „Die Schriften des Waldschulmeisters“, „Jakob der Letzte“, „Der
Waldbauernbub“.
Ludwig Anzengruber (1839–1889): „Der Schandfleck“, „Der Sternsteinhof“.
Ferdinand von Saar (1833–1906): Er schrieb vor allem Novellen, darunter „Die Steinklopfer“.

In der Schweiz:
Gottfried Keller (siehe Zugänge, S. 202).
Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898): Er schrieb die Novellen „Der Heilige“, „Gustav Adolfs
Page“, „Die Hochzeit des Mönchs“ und den historischen Roman „Jürg Jenatsch“.

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Drama
Der bedeutendste Vertreter ist Friedrich Hebbel (1813–1863), allerdings wird sein Werk heute
eher selten aufgeführt. „Maria Magdalena“ (ein spätes Beispiel der Gattung Bürgerliches Trau-
erspiel), „Herodes und Mariamne“, „Gyges und sein Ring“, „Die Nibelungen“.
Als Dramatiker könnte man auch noch Richard Wagner – er schrieb die Texte aller seiner Büh-
nenwerke selbst – erwähnen.
Aus österreichischer Sicht ist vor allem Ludwig Anzengruber wichtig (siehe Informationsblatt
„Das vierte Gebot“, S. 63).

Lyrik
Diese Gattung spielt keine so große Rolle. Nur Conrad Ferdinand Meyer und Theodor Storm
schufen lyrische Gedichte. Sonst überwiegt auch hier das Erzählerische, das erzählende Ge-
dicht, die Ballade.
Conrad Ferdinand Meyer, Theodor Storm und Theodor Fontane sind hier zu nennen.

Literaturhinweise:
Peter U. Hohendahl: Literarische Kultur im Zeitalter des Liberalismus. H. C. Beck, München
1985
W. Kohlschmidt: Geschichte der deutschen Literatur vom jungen Deutschland bis zum Natu-
ralismus. 1982
Fritz Martini: Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus 1848–1898. 4. Aufl. Metzler,
Stuttgart 1981

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NATURALISMUS UND MODERNE DER
JAHRHUNDERTWENDE

Gerhart Hauptmann:

ARBEITSBLATT

Die Weber

(Siehe Zugänge, S. 212)

Gerhart Hauptmanns Stück gilt als Musterbeispiel für ein naturalistisches Drama. Für die na-
turalistischen Dichter gelten die Menschen als Produkt ihres Milieus und ihrer Lebensbedin-
gungen.

Milieu und Vererbung: An welchen Stellen wird das deutlich? Womit könnte man das bele-
gen?
Die wirklichkeitsgetreue Wiedergabe der sozialen Verhältnisse: Wie zeigt Hauptmann die Aus-
beutung der Weber? Wie wird sie von den Fabrikanten und deren Angestellten betrieben?
Woran wird die Armut der Weber deutlich? Sammeln Sie besonders markante Beispiele. Woran
wird der Reichtum der Fabrikanten deutlich? Suchen Sie auch dafür markante Beispiele.
Fassen Sie jetzt zusammen, woran die wirklichkeitsgetreue Darstellung der Verhältnisse er-
kannt werden kann. (Berücksichtigen Sie auch die Merkmale des Dramas selbst: Fehlender
Held, Regieanweisungen, genaue Anweisungen für das Bühnenbild.)

Zur Deutung:
Wie ist das Ende, der Tod des alten Hilse, zu verstehen? Suchen Sie Beweise für die Deutung
als Revolutionsstück, als Antirevolutionsstück, als sozialistisches Tendenzstück, als Mitleids-
drama.

Zum Stoff:
Heinrich Heine hat dasselbe Ereignis, den Weberaufstand von 1844, in einem großen poli-
tischen Gedicht dargestellt (siehe Zugänge, S. 184). Was interessiert Heine an dem Ereignis?
Was arbeitet er heraus? Worauf kommt es ihm an?

Literaturhinweise:
Roy C. Cowen: Hauptmann – Kommentar zum dramatischen Werk. München 1980
Eberhard Hilscher: Gerhart Hauptmann. Aufbau, Berlin 1996
P. Sprengel: Gerhart Hauptmann. Epoche – Werk – Wirkung. München 1984

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Arthur Schnitzler:

ARBEITSBLATT

Leutnant Gustl

(Siehe Zugänge, S. 216)

Zur Frage des Ehrenkodex: Worin besteht er? Was macht ihn aus? Wozu verpflichtet er einen
Offizier? Wie ist dazu das Verhalten Leutnant Gustls? Wodurch ist die tatsächliche Existenz der
Offiziere gekennzeichnet? Welches Leben führen sie? Wie verhält sich dieses Leben zu ihrem
Ehrenkodex?

Zur Persönlichkeit des Leutnant Gustl: Welches Persönlichkeitsbild kann man von Leutnant
Gustl zeichnen? Was sind seine typischen Charaktereigenschaften? Wie ist seine Einstellung
zu Frauen, wie äußert sie sich? Wo zeigt sich seine stets bereite Aggression? Wo zeigt sich sein
Antisemitismus? Wie erscheint er? Sammeln Sie für die Behauptung, dass Leutnant Gustl von
außen geleitet, vom Urteil anderer abhängig ist, die entscheidenden Stellen.

Zur Frage des Duells: Wie sieht Leutnant Gustl selbst das Duell und seine Verpflichtung dazu?
Vergleichen Sie damit die Position Baron Innstettens in „Effi Briest“ (siehe Zugänge, S. 208).

Produktionsorientiertes Vorgehen: Zum Erkennen der Technik „Innerer Monolog“. Schrei-
ben Sie die Stelle aus dem „Leutnant Gustl“ (Zugänge, S. 216) in die Er-Perspektive um.
Welche Erfahrungen machen Sie dabei?

Literaturhinweise:
Michaela L. Perlmann: Arthur Schnitzler. Metzler, Stuttgart 1987
H. Scheible: Arthur Schnitzler in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt, Reinbek bei
Hamburg 1976
Arthur Schnitzler: Sein Leben. Sein Werk. Seine Zeit. Hg. von Heinrich Schnitzler. Frankfurt
am Main 1981
Renate Wagner: Arthur Schnitzler. Eine Biographie. Wien – München 1981

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Gerhart Hauptmann:

INFORMATIONSBLATT

Bahnwärter Thiel

Inhalt: Nachdem der Bahnwärter Thiel seine Frau Minna bei der Geburt eines Sohnes
verloren hat, sieht er sich bald gezwungen, wieder zu heiraten, da ihm seine Arbeit keine
Möglichkeit lässt, sich ausreichend um den kleinen Tobias zu kümmern. Seine zweite Frau
Lene erweist sich bald als herrisch, besonders Tobias hat unter ihr zu leiden, was sich
noch verstärkt, als sie selbst ein Kind bekommt. Thiel ist nicht imstande, Tobias zu schüt-
zen, zu sehr wird er von Lene auch sexuell beherrscht. In seinem Bahnwärterhäuschen
hat er für seine erste Frau eine Art Andachtsstätte errichtet, die ihm selbst zur Zuflucht
dient. Aber auch hier droht Lene einzudringen, als sie einen Acker neben den Gleisen, den
der Bahnmeister Thiel überlassen hat, bearbeiten will. Dabei achtet sie zuwenig auf Tobi-
as, der vom Zug erfasst wird. Die Nachricht von dessen Tod lässt Thiel, der schon vorher
Anzeichen von Verstörung gezeigt hat, dem Wahnsinn verfallen. Er ermordet Lene und ihr
Kind und wird in ein Irrenhaus eingeliefert.

Hauptmann nennt seine Erzählung eine „novellistische Studie“. Der Begriff Studie erinnert
an wissenschaftlich exakte Arbeit, und tatsächlich handelt es sich um eine genaue Dar-
stellung des Milieus – eine Milieustudie: Die einfache, dörfliche Welt, die Arbeitswelt, die
Position Thiels darin, nämlich ganz unten in der Hierarchie, und die Ereignislosigkeit des
ewig gleichen Ablaufs werden scharf gezeichnet.
Wie dieses Milieu die Menschen beeinflusst und prägt (der Naturalismus sagt: bestimmt),
zeigt Hauptmann an Details: Die enge, beschränkte Welt begrenzt auch das Denken
Thiels, seine Zukunftswünsche für seinen Sohn Tobias reichen nur bis zum Bahnmeister,
dem unmittelbaren Vorgesetzten Thiels. Mehr ist offenbar nicht denkbar. Die Bezeichnung
„novellistisch“ erinnert an die Novelle: Tatsächlich weist die Erzählung Leitmotive und
Dingsymbole auf. Nicht nur, dass die Geleise die Arbeitswelt Thiels begrenzen und die
Grenzen seiner Welt andeuten, fast alles Wichtige passiert an ihnen. Mit einer Verbindung
von Metaphern zeigt Hauptmann, welchen Mächten Thiel ausgeliefert ist.
„... gleich einem feinen Spinnengewebe und doch fest wie ein Netz aus Eisen“, legt sich
die Kraft Lenes um ihn, ihre erotische Anziehung, der Thiel nicht widerstehen kann. Die
Telegraphendrähte neben den Geleisen „glichen in ihrer Gesamtheit einer ungeheuren, ei-
sernen Netzmasche“, sie symbolisieren die Macht der Arbeit über Thiel. Als die Katastro-
phe über Thiel hereingebrochen ist, als Tobias vom Zug überfahren worden ist, ist es ihm,
„als hielte ihn eine eiserne Faust im Nacken gepackt“. Dieser bewussten dichterischen
Gestaltung entspricht auch die Schilderung der Natur. Zweimal wird ein Sonnenuntergang
im Forst geschildert, das zweite Mal, nach dem Tod von Tobias, erscheint die Natur ge-
kennzeichnet von Tod, Verwesung und Kälte. Sie spiegelt somit Thiels inneren Zustand
wider und verweist sowohl auf den Tod des Tobias als auch auf den zukünftigen Mord an
Lene und ihrem Kind.
Eine wichtige Rolle spielt auch ein Traum Thiels: Er träumt nämlich, dass seine erste Frau
mit einem blutigen Bündel im Arm von ihm weggeht. Das ist einerseits eine direkte Aus-
wirkung seines schlechten Gewissens – er hat seinen Sohn Tobias nicht vor seiner zwei-
ten Frau geschützt, die ihn schlägt –, und er muss befürchten, dass diese auch in seine

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Gedenkstätte für Minna eindringt. Andererseits ist es aber auch eine Vorausdeutung auf
das schreckliche Ende.
Auch das Handlungsgefälle weist auf die bewusste dichterische Gestaltung: In wenigen
Sätzen stellt Hauptmann zehn Jahre im ereignislosen Leben Thiels dar, das eigentliche
Geschehen konzentriert sich dann auf wenige Tage. Unübersehbar sind die Anzeichen
der psychischen Verstörung Thiels: Der bisher wie ein kleines Rad der großen Maschine
Bahn funktionierende Bahnwärter vergisst etwas, vernachlässigt fast seine Pflicht, kann
nur noch schwer Traum und Wirklichkeit unterscheiden und bricht schließlich völlig zu-
sammen. So beschreibt zwar Hauptmann ganz im Sinne des Naturalismus einen Men-
schen ganz unten, in seinem Milieu gefangen und ihm ausgeliefert, aber die bewusste
dichterische Gestaltung seiner Erzählung macht daraus weit mehr als nur ein Abbild der
Wirklichkeit.

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Arthur Schnitzler:

INFORMATIONSBLATT

Liebelei

Inhalt: Der junge Lebemann Fritz hat eine leidenschaftliche Beziehung zu einer verheira-
teten Frau. Um ihn aus dieser Beziehung herauszulösen, hat ihn sein Freund Theodor mit
Christine, der Tochter des Musikers Weiring, bekannt gemacht. Für Fritz ist sie nicht viel
mehr als eine Abwechslung, für Christine ist es die einzige, alleinige Liebe. Mitten in ein
Souper zu viert – Fritz und Christine, Theodor und Mizi – platzt der betrogene Ehemann:
Er hat alles herausgefunden und fordert Fritz zum Duell. Christine soll davon nichts erfah-
ren und wird mit Mizi nach Hause geschickt, nur ein Rendezvous wird noch vereinbart.
Katharina, die Frau eines Strumpfwirkers versucht Christine für den Cousin ihres Mannes
zu interessieren, diese weist sie ab sowie auch später der Vater. Da sich Christine und
Fritz beim letzten Rendezvous verpasst haben, kommt Fritz überraschend in Christines
Zimmer – eine letzte Begegnung der beiden, bei der Fritz mehr empfindet als nur Ab-
wechslung, aber sich mit „Leb wohl!“ nicht mit „Auf Wiedersehen!“ verabschiedet. Fritz
wird im Duell getötet. Christine erfährt erst nach seiner Beerdigung davon und muss noch
dazu zur Kenntnis nehmen, dass er für eine andere Frau gestorben ist. „Was bin denn ich
ihm gewesen?“ Sie stürzt hinaus, zu seinem Grab, der Vater befürchtet zu Recht, dass sie
sich etwas antun will.

Die jungen Männer in diesem Stück führen ein materiell völlig unbeschwertes Leben, bei
dem nichts wirklich ernst genommen wird, nur der Genuss des Augenblicks ist das Ziel.
Jede tiefere Bindung bedeutet da eine Gefahr – einerseits für diese Lebensweise, ande-
rerseits für das Leben selbst. (Die Beziehung zur verheirateten Frau endet in einem töd-
lichen Duell.) Nach Theodor sind die Frauen nur zum Erholen da, sie haben angenehm zu
sein. Das sind für ihn vor allem die jungen Mädchen aus dem Kleinbürgertum, die an die
jungen Herren keine großen Ansprüche stellen können – die „süßen Mädel“.
Im Stück wird diese Rolle von Mizi eingenommen: Ihre Jugend will sie, so gut es geht,
genießen, dieses Spiel ohne allzu große seelische Verluste mitspielen. Ihr späteres Leben,
verheiratet mit einem Kleinbürger möglicherweise, wird noch hart genug sein. Nicht so
Christine, für sie ist das kein Spiel, Fritz ist ihre einzige, große Liebe, bei ihr wird aus Spiel
tödlicher Ernst. In ihrer Beziehung bestimmt Fritz vollkommen die Spielregeln: Wann man
sich sieht und wann nicht, was er ihr von sich erzählt und was nicht, wie nah er sie an
sich herankommen lässt oder nicht. Dass sich Christine aus ihrer bedingungslosen Liebe
heraus dem widerstandslos fügt, ist ihr Fehler, und dass sie am Ende erkennen muss,
was sie Fritz war oder vielmehr nicht war, stellt sie und ihre Liebe radikal in Frage. Diese
Erkenntnis will sie nicht überleben.
Ihr Vater hat diese Beziehung geduldet, weil auch er will, dass sie ihr junges Leben genie-
ßen soll. „Ist denn so ein blühendes Geschöpf wirklich zu nichts anderem da als für so ei-
nen anständigen Menschen, der zufällig eine fixe Anstellung hat?“ Diese Meinung vertritt
Weiring gegenüber Katharina in einem Dialog, der die ganze Meisterschaft Schnitzlers im
Andeuten und doch Verschweigen deutlich macht: Weiring und Katharina vertreten ge-
gensätzliche Meinungen, beide haben unterschiedliche Gründe dafür.Weiring will seiner
Tochter das bißchen Glück nicht verwehren, weil er bei seiner Schwester Vaterstelle ver-
treten und sie so beschützt hat, dass sie vom jungen Mädel zum alten Fräulein geworden

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ist. Jetzt möchte er sie um Verzeihung bitten, „dass er sie vor allen Gefahren behütet hat
– und vor allem Glück!“ Katharina will Christine für den Cousin ihres Mannes gewinnen.
Sie war selbst einmal ein „süßes Mädel“. Vielleicht spricht aus ihr die Erfahrung, vielleicht
aber auch der Neid.
Obwohl in den Dialogen der leichte Ton überwiegt, durchzieht das ganze Stück ein melan-
cholischer Grundzug, ist die Gefahr eines Duells von Anfang an da, ist das tragische Ende
nicht unerwartet. Aber es ist keine Tragödie, die Personen sind nicht in ein auswegloses
Schicksal verstrickt. Sie hätten auch ganz anders handeln können. Und vor allem: Ist ihre
Liebe überhaupt den Tod wert?

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Zusammenfassung:
Naturalismus

Politik, Gesellschaft und Kultur

Mit dem Naturalismus beginnt jene Phase der literarischen Entwicklung, in der man nicht mehr
von einer die Epoche bestimmenden Stilrichtung sprechen kann, sondern nur noch von einer
mehr oder weniger dominierenden neben anderen. Das ist im deutschen Kaiserreich von der
Mitte der achtziger Jahre bis in die neunziger Jahre der Naturalismus, in Österreich-Ungarn ist
er nicht so ausgeprägt, hier dominieren andere Stilrichtungen.
Das deutsche Kaiserreich versuchte in dieser Zeit wirtschaftlich zu den Konkurrenten England
und Frankreich aufzuschließen, außenpolitisch unter dem „persönlichen Regiment“ Wilhelms
II. sich als Weltmacht zu etablieren. Im Inneren setzte sich die Arbeiterbewegung verstärkt zur
Wehr und konnte gegen Verelendung und schlechte Arbeitsbedingungen erste Sozialgesetze
erzwingen. Die Umwandlung des Agrarstaats in einen Industriestaat zeigte sich besonders krass
in der Entwicklung der Städte: Lebten 1871 erst 36 Prozent der Gesamtbevölkerung in Städten,
waren es 1910 bereits 60 Prozent. Berlin wurde zu einer Millionenstadt, in der wenige Reiche
sehr vielen Armen gegenüberstanden.
Obwohl es eine von der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit gab, wurde das geistige Leben
ganz im Sinne eines Obrigkeitsstaates kontrolliert, auch mit Zensur. Davon betroffen waren
besonders die Theater. Die offiziell geförderte oder geduldete Kunst war daher harmlos und
schönfärberisch.

Allgemeine Kennzeichen, vorherrschende Themen, wichtige Autoren und Werke

Gegen eine Kunst des schönen Scheins setzte der Naturalismus seine „Wahrheitskunst“, die
auf vertiefter Naturbeobachtung und differenzierter Psychologie beruhte und Obrigkeitsstaat,
Militarismus, Klerikalismus und Antisemitismus kritisierte. Der Naturalismus berief sich auf
die moderne Naturwissenschaft. Von Hippolyte Taine und seiner Lehre, dass Rasse, Milieu und
Epoche den Menschen präformieren und determinieren, übernahm er vor allem die Bestim-
mung durch das Milieu. Von Charles Darwin vor allem die Idee der Vererbung und der Selekti-
on. Große künstlerische Vorbilder waren Emile Zola und Henrik Ibsen.
Emile Zola (1840–1902): In einem Zyklus von zwanzig Romanen stellte er die verschiedensten
Miglieder der Familie Rougon-Macquart im zweiten Kaiserreich Frankreichs dar. Er wollte
damit zeigen, wie sich bestimmte Erbanlagen unter verschiedenen Milieubedingungen auswir-
ken. Diese Milieus hat er zunächst mit fast wissenschaftlichem Anspruch studiert. Unter diesen
zwanzig Romanen befindet sich etwa der Roman „Germinal“, der das Milieu der Kohlearbeiter
darstellt.
Henrik Ibsen (1828–1906): Er ist allein schon durch die Tatsache, dass er viele Jahre in Deutsch-
land gelebt hat, mit der deutschen Literatur eng verbunden. Einige seiner Werke wurden sogar
hier uraufgeführt. Von seinen großen Werken wurde für die Naturalisten vor allem bedeut-
sam: „Die Stützen der Gesellschaft“ (eine schonungslose Kritik der bürgerlichen Gesellschaft),

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„Gespenster“ (behandelt das Problem der Lebenslüge und der Vererbung) und „Nora. Ein Pup-
penheim“ (siehe Zugänge, S. 196).
Der Naturalismus in Deutschland setzte zuerst mit Programmen ein, ehe die stilbildenden Dich-
tungen folgten. Diese theoretischen Äußerungen erfolgten in den Zeitschriften „Kritische Waf-
fengänge“ der Brüder Heinrich und Julius Hart und „Die Gesellschaft“ von Georg Conrad.
Dabei postulierten sie die Gleichheit und Gleichbehandlung von Menschen aller Stände in der
Kunst, kein Thema sollte tabu sein, nichts von vornherein ausgeschlossen, besonders nicht der
Arbeiter. Auch das Hässliche musste seinen Platz in der Kunst bekommen. Das Wilhelminische
Kaiserreich mit seiner Klassengesellschaft, Klassenmoral und Klassenjustiz wollte das nicht
dulden, Zensur und Literatenprozesse waren die Folge. Unter diesen Verfolgungen hatten be-
sonders die Theater zu leiden.
Dagegen setzten sich die Naturalisten zur Wehr, indem sie Theatervereine, so genannte Freie
Bühnen gründeten, die private Veranstaltungen für Vereinsmitglieder organisierten und somit
dem Zugriff der staatlichen Behörden entzogen waren. Die dafür engagierten Schauspieler
brachten die neue naturalistische Darstellungspraxis (naturalistisches Spiel in einem naturalis-
tischen Bühnenbild) auch an die anderen Bühnen, wo sie sich in der Folge auch durchsetzten.
Im Drama liegt die entscheidende Leistung des Naturalismus. Der Hauptvertreter ist Gerhart
Hauptmann (siehe Zugänge, S. 212). Sein Werk wird bis zum heutigen Tag auf den Bühnen
gespielt.
Auf dem Gebiet der Epik sei besonders auf zwei Bespiele hingewiesen:
Gerhart Hauptmann: „Bahnwärter Thiel“ (siehe Informationsblatt, S. 70), und Arno Holz/Jo-
hannes Schlaf: „Papa Hamlet“. In dieser Erzählung versuchten die beiden einen konsequenten
Naturalismus zu verwirklichen. Sie prägten die Formel: Kunst = Natur – x. Wobei sie unter x
Faktoren verstanden wie Kunstmittel und ihre subjektive Handhabung. Da es die Tendenz der
Kunst sei, „wieder Natur zu sein“, sollten diese Faktoren soweit reduziert werden, bis es im
Idealfall zur Identität von Kunst und Natur käme. Das musste natürlich Theorie bleiben, aber in
ihrer Erzählung haben sie gezeigt, wie sie sich das vorstellten.
Die Lyrik spielte zwar in der naturalistischen Dichtung eine Rolle und stand in hohem Ansehen,
aber sie ist aus heutiger Sicht unbedeutend.

Stilpluralismus um 900

Neben dem Naturalismus gab es in diesem Zeitraum verschiedenste Kunstauffassungen, die
oft sehr kurzlebig neben- und gegeneinander wirkten, weshalb man auch vom Stilpluralismus
um 1900 spricht. Man meint damit solche Begriffe wie Impressionismus, Décadence, Fin de
siècle (siehe zu diesen den Abschnitt „Wiener Moderne“, S. 76). Besonders konsequent gegen
den Naturalismus richtete sich der Symbolismus. Er verlangte wieder eine reine Kunst (poésie
pure), die gegen jede Nachahmung der Natur ist und die solche Zwecke der Kunst wie Be-
schreibung, Belehrung, Polemik und politisches Engagement als kunstfremd ablehnt.
Die großen Vorbilder dafür stammten aus Frankreich, allen voran Charles Baudelaire (siehe
Zugänge, S. 198). Ihr wichtigster Vertreter in Deutschland war Stefan George (1868–1933), der
diese Strömung in Frankreich kennengelernt hatte und selbst Baudelaire übersetzte. Er fasste
seine Gedichte in Zyklen zusammen, gab sie exklusiv im Privatdruck in ganz kleinen Auflagen
heraus und verwendete dazu auch eine eigene Schrift. Diese Zyklen tragen Namen wie „Hym-
nen“, „Algabal“, „Teppich des Lebens“.

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Einen Sonderfall aus dem Gebiet des Theaters bildet Frank Wedekind (1864–1918). Seine Stü-
cke bedienen sich zwar naturalistischer Beschreibungstechniken, gehen aber weit über eine
bloße Abbildung von Realität hinaus und weisen eher auf den Expressionismus voraus: „Früh-
lings Erwachen“ (ein Drama über die erwachende Sexualität von Jugendlichen in einer prüden
Erwachsenenwelt), „Der Erdgeist“, „Die Büchse der Pandora“ (zusammengefasst als „Lulu“,
die Tragödie einer Frau).
Wedekind spielt auch in der Herausbildung einer neuen Gattung, nämlich des Kabaretts, eine
entscheidende Rolle. Dafür schrieb er seine „Lautenlieder“ (das berühmteste: „Tantenmör-
der“).
Auch der Roman dieser Zeit lässt sich nur schwer in die verschiedenen Strömungen einordnen.
Bedeutende Vertreter sind:
Thomas Mann (siehe Zugänge, S. 222).
Heinrich Mann (1871–1950): In seinen Romanen „Professor Unrat“ und „Der Untertan“ übte
er scharfe Kritik am Wilhelminischen Deutschland.

Auf dem Gebiet der massenhaft gelesenen Literatur ist vor allem die Heimatliteratur zu nennen.
Ein wichtiger Vertreter war Ludwig Ganghofer (1855–1920). Er entwarf in seinen Heimatro-
manen Gegenbilder zu Stadt und Zivilisation in einer idealisierten Natur. Ähnlich erfolgreich
war auch Karl May (1842–1912), der mit seinen Abenteuerromanen seine Leser ebenfalls in
eine idealisierte Wunschwelt entführte.

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Zusammenfassung:
Die Wiener Moderne

Politik, Gesellschaft und Kultur

Das Habsburgerreich sah sich um die Jahrhundertwende wachsenden Spannungen und Krisen
ausgesetzt. Der beherrschende Konflikt des Vielvölkerstaats war der Nationalitätenkonflikt. Die
wachsenden Spannungen legten sogar die Regierung lahm. Kompromisse und Notlösungen
waren die Folge, selbst Regierungsmitglieder sprachen vom „Fortwursteln“.
Die Monarchie selbst war noch in überwiegendem Maße ein Agrarland, die industrielle Ent-
wicklung setzte nur in einigen Gebieten verstärkt ein. Beherrschendes Zentrum war Wien, das
damals zur modernen Großstadt heranwuchs und in sich die verschiedenen Anregungen und
Talente des Vielvölkerstaates aufsaugte. Das geistige Leben erreichte einen großartigen Höhe-
punkt. Geistiges Zentrum war das Café, von größter Bedeutung für das künstlerische und lite-
rarische Leben: zuerst das Café Griensteidl, später das Café Central. Dabei hatte die Literatur
schlechte Produktionsbedingungen: Viele Autoren waren gezwungen, im Ausland, vor allem im
deutschen Kaiserreich, zu veröffentlichen, da die österreichischen Verlage nicht diese Bedeu-
tung und Reichweite und teilweise auch nicht das Interesse hatten.

Allgemeine Kennzeichen, vorherrschende Themen, wichtige Autoren und Werke

„Wiener Moderne“ ist ein Sammelbegriff für verschiedene literarische und künstlerische Strö-
mungen, von denen hier nur kurz einige erklärt werden sollen:

Décadence: Darunter versteht man eine Verfeinerung des Geschmacks, damit einhergehend die
bewusste Entfernung vom Natürlichen, das Künstliche wird zum eigentlich Wesentlichen.

Fin de siécle: Das heißt Ende des Jahrhunderts und meint das Ende einer Zeit. Kennzeichen
einer solchen Stimmung sind Lebensüberdruß und Todessehnsucht. Nicht immer ist das „tod-
ernst“ gemeint, vielfach wird auch mit diesen Gefühlen und Stimmungen nur gespielt.

Jugendstil: Das ist eher eine Bezeichnung für Architektur, Malerei und Kunsthandwerk.

Impressionismus: Das ist der Begriff, der heute am häufigsten verwendet wird. Übersetzt be-
deutet er Eindruckskunst, man spricht davon besonders in der Malerei, in der Musik und in der
Literatur: Dort bezeichnet man damit eine stark verfeinerte Empfindungsfähigkeit (Sensibili-
tät), gesteigerte Wahrnehmungs- und Reizempfindlichkeit. „Stimmung“ wird zum alles beherr-
schenden Kennzeichen. Damit hängt auch die Vorliebe für kurze Texte, Prosaskizzen, Gedichte
und Einakter zusammen.
Der wichtigste Anreger im damaligen Wien war Hermann Bahr (1863–1934). Die meisten li-
terarischen Strömungen und Moden wurden von ihm propagiert, um sie bald wieder für die
nächste einzutauschen.

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Die Dominanz des Theaters in dieser Zeit hängt mit der Theaterleidenschaft Wiens zusammen.
Die wichtigsten Vertreter sind:
Arthur Schnitzler (1862–1931; siehe auch Zugänge, S. 216, und Informationsblatt „Liebelei“,
S. 72)
Hugo von Hofmannsthal (1874–1929): „Der Tor und der Tod“, „Der Tod des Tizian“, „Elektra“,
„Jedermann“. In Zusammenarbeit mit dem Komponisten Richard Strauss entstanden die Libret-
tos für die Opern „Elektra“, „Arabella“, „Der Rosenkavalier“. Sein bekanntestes Spätwerk ist
die Komödie „Der Schwierige“.

Epik
Neben Arthur Schnitzler (siehe Zugänge, S. 216) sind vor allem Peter Altenberg (1859–1919)
mit seinen Prosaskizzen und Alfred Polgar (1873–1955), der Meister der kleinen Prosa, Glos-
sen, Skizzen und Essays zu nennen.
Als bedeutendster Kritiker und besonders Sprachkritiker gilt Karl Kraus (1874–1936). Er grün-
dete 1899 die Zeitschrift „Die Fackel“, die von 1911 bis 1936 fast ausschließlich mit seinen
eigenen Texten erschien (siehe auch Zugänge, S. 234).

Lyrik
Hugo von Hofmannsthal war vor allem in seiner Jugend unter dem Pseudonym Loris der Ver-
fasser von form- und sprachvollendeten Gedichten (siehe Zugänge, S. 220). Rainer Maria Rilke
(1875–1926) gilt als der überragende Lyriker seiner Zeit (siehe Zugänge, S. 219).

Literaturhinweise:
J. M. Fischer: Fin de Siècle. 1978
Dominik Jost: Literarischer Jugendstil. 2. Aufl. Metzler, Stuttgart 1980
Viktor Zmegac: Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Bd. II/1 und II/2. 4. Aufl. Beltz Athenäum Verlag, Weinheim 1995 f.

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LÄNGSSCHNITTE UND LEITBEGRIFFE
(7. Klasse)

Neben den schon für die 6. Klasse genannten Themen, die weitergeführt werden können, bieten
sich noch folgende neue an:

Der einzelne und die Gesellschaft: Werther, Kohlhaas, Woyzeck, Titus Feuerfuchs (Talis-
man), Nora, Madame Bovary.

Solidarität und Mitgefühl: Parzival, Simplicissimus, Woyzeck, Das Gemeindekind, Die
Weber.

Sozial- und Gesellschaftskritik: Lob der Torheit, Woyzeck, Die Weber, Die letzten Tage der
Menschheit.

Widerstand: Kohlhaas, Titus Feuerfuchs, Nora.

Unzeitgemäßes: Don Quijote, Der arme Spielmann.

Mögliche Leitbegriffe für diesen Abschnitt:
Humanität
Emanzipation
Sozialer Fortschritt – soziale Not
Liberalismus
Nationalismus
Sozialismus

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EXPRESSIONISMUS
UND ERSTER WELTKRIEG

Alfred Döblin:

ARBEITSBLATT

Berlin Alexanderplatz

(Siehe Zugänge, S. 236)

Döblins Roman stellt die Geschichte des Franz Biberkopf in der Großstadt dar, die das eigent-
liche Thema ist; daher auch der Titel. Trotzdem spielt das Schicksal Biberkopfs, stellvertretend
für Millionen Namenloser dieser Großstadt, eine große Rolle.

Zum Inhalt: Stellen Sie die wichtigsten Stationen im Leben des Franz Biberkopf dar. Wo zeigt
sich in ihnen Unselbständigkeit im Denken und Handeln? (Ein Hauptkennzeichen Biberkopfs.)
Wie verhält sich Biberkopf am Anfang? Welche Erkenntnis zieht er am Schluss? Döblin setzt
selbst in seinem Roman Biberkopf mit der biblischen Figur des Hiob gleich. Informieren Sie
sich über Hiob. Inwiefern hat dieser Vergleich Berechtigung?

Zum Erzähler: Analysieren Sie an einem oder mehreren Kapiteln die Erzählhaltung, die be-
sonderen Kennzeichen des Erzählers.

Vergleich mit anderen Werken: Wenn man diesen Roman auch als Proletarier- und Verbre-
cherroman bezeichnen kann, dann liegt ein Vergleich mit Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“
nahe, die damals uraufgeführt wurde. Welche Welt stellt Brecht dar? Was daran ließe sich mit
Döblins Werk vergleichen? Das Hiob-Thema wurde auch von Joseph Roth in seinem Roman
„Hiob“ behandelt. Wie stellt Roth dieses Thema dar? Döblin hat seinen Roman auch zu einem
Hörspiel verarbeitet: „Die Geschichte von Franz Biberkopf“. Arbeiten Sie heraus, was er von
seinem umfangreichen Roman für sein Hörspiel verwendet.

Zum Abschluß eine Anregung zum produktionsorientierten Umgang mit Literatur:
Versuchen Sie eine Situation, einen Ort mit den sprachlichen Mitteln darzustellen, wie sie in
den „Zugängen“, S. 239, herausgearbeitet sind.

Literaturhinweise:
H. P. Bayerdörfer: Alfred Döblin „Berlin Alexanderplatz“. In: Deutsche Romane des 20. Jahr-
hunderts. Neue Interpretationen. Hg. von Paul Michael Lützeler. Königstein/Taunus 1983
R. Links: Alfred Döblin. München 1981
Materialien zu Alfred Döblin „Berlin Alexanderplatz“. Hg. von M. Pragel, Frankfurt am Main
1975
M. Pragel: Alfred Döblin. Stuttgart 1973

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Franz Kafka:

INFORMATIONSBLATT

Die Verwandlung

Inhalt: Der Handlungsreisende Gregor Samsa erwacht eines Morgens in einen Käfer ver-
wandelt. Zwischen seinem noch menschlichen Bewusstsein und seinem tierischen Körper
herrscht ein grotesker Gegensatz. Dem entspricht seine Wirkung auf seine Mitmenschen
– auch hier entsteht ein Widerspruch zwischen Absicht und Wirkung. Gregor hat die bes-
ten Absichten, aber sein Körper und sein Handeln lösen Furcht, Ekel und Abscheu aus.
Etwa wenn er den Prokuristen seiner Firma, der sich nach Gregor erkundigt, beruhigen
will und ihn dadurch desto sicherer vertreibt. Während sich seine Schwester zunächst
noch um ihn kümmert, sehen seine Eltern bald nur mehr das Tier in ihm, er wird in sei-
nem Zimmer eingesperrt und sein Verhalten wird auch immer tierischer. Hatte die Familie
bis dahin von Gregors Arbeit gelebt, müssen nun sowohl Vater und Schwester arbeiten
gehen. Untermieter werden aufgenommen, und die Betreuung Gregors wird immer mehr
einer Bedienerin überlassen. Schließlich fällt Gregors Schwester das Urteil: „Weg muss
es.“ Sie spricht ihm damit jedes menschliche Bewusstsein ab. Tatsächlich stirbt Gregor,
der in der letzten Zeit immer weniger Nahrung zu sich genommen hat, bald darauf. Die
Familie scheint aus dem Ganzen wie neu gestärkt hervorzugehen.

Diese Erzählung Kafkas, eine der wenigen, die er zu Lebzeiten veröffentlicht hat, gab und
gibt zu verschiedensten Deutungen Anlass. Einen guten Zugang ermöglicht eine Analyse
der Beziehungen innerhalb der Familie und der Funktion der Verwandlung. Gregor ist zu
Beginn der Erzählung der Familienerhalter, die Familie ist von seiner Arbeit abhängig, der
Vater in einer unbedeutenden Rolle im Haus. Allerdings ist Gregor zu dieser Arbeit auch
gezwungen, da der Vater bei der Firma, bei der Gregor arbeitet, Schulden gemacht hat. Er
empfindet diese Arbeit auch als Joch, seine Stellung schwankt zwischen Familienerhalter
und Sklave der Familie. Seine neue Aufgabe als Familienerhalter benützt Gregor auch
dazu, seine Schwester stärker an sich zu binden: Er will ihr – gegen den Willen des Vaters
– ein Geigenstudium am Konservatorium ermöglichen.
Die Verwandlung beendet einerseits diese Anmaßung Gregors, Familienoberhaupt zu
sein, andererseits löst sie ihn aus dem Joch der „Sklavenarbeit“ für die Familie. Sie stellt
die „richtigen“ Familienverhältnisse wieder her: Der Vater, zu Beginn zurückgezogen und
ohne Macht, wird wieder zum Chef der Familie. Die Verwandlung befreit aber auch die
Schwester aus dem Besitzanspruch Gregors, immer mehr entfernt sie sich von ihm, ihr
Aufblühen nach seinem Tode wird ausdrücklich hervorgehoben.
Zwischen diesen Elementen der Erzählung und der Situation Kafkas zur Zeit von deren
Entstehung lassen sich gewisse Gemeinsamkeiten erkennen: Kafka arbeitete als Jurist
bei einer Unfallversicherung, lebte aber noch zu Hause bei seinen Eltern. Als seine ei-
gentliche Aufgabe sah er immer das Schreiben an, neben dem alles verkümmerte, wie er
selbst sagte. An diesem eigentlichen Lebenszweck hinderte ihn aber eine Forderung sei-
ner Eltern, seine freien Nachmittage der Fabrik seines Vaters zu widmen. Das ging Kafka
derart an den Lebensnerv, dass er sogar Selbstmord in Erwägung zog, denn auch seine
vielgeliebte Schwester Ottla hielt in dem Fall zu den Eltern.
Der Name Samsa erinnert in der Lautbildung an Kafka (Kafka erklärte den Namen „Bende-

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mann“ aus der Erzählung „Das Urteil“ ähnlich), die Wohnsituation Gregors ist mit der Kaf-
kas zu Hause vergleichbar.
Es scheint also, als ob Kafka mit seiner Erzählung persönliche Probleme literarisch zu
bewältigen sucht: sozusagen ein Problemlösungsspiel durch Darstellung seines „ traum-
haften inneren Lebens“.
Hervorgehoben an Kafkas Stil in diesem Zusammenhang wird immer die Genauigkeit
seiner Darstellung von Einzelheiten, das Realistische im Gesamten des Unrealistischen,
Phantastischen. Zur Rätselhaftigkeit seiner Erzählung trägt noch bei, dass Kafka durch-
gehend das personale Erzählen verwendet: Der Erzähler schlüpft sozusagen in die Per-
son, erzählt aus ihr heraus, aus ihrer Sicht, aber nicht in der Er-Erzählhaltung.
Vieles bei Kafka schwankt zwischen Tragik und Komik: Es ist äußerst tragisch, eines
Morgens als Käfer verwandelt zu erwachen, aber es ist komisch, sich als Käfer Sorgen
darüber zu machen, ob man nicht den Zug versäumt und zu spät zur Arbeit kommt. Und
es ist als Zeichen der Entfremdung – selbst als Verwandelter kommt er von den Zwängen
seiner Arbeitswelt nicht los – schrecklich ernst.

Literaturhinweise:
Erläuterungen und Dokumente zu Franz Kafka „Die Verwandlung“. Hg. von Peter Beicken.
Philipp Reclam jun., Stuttgart (= RUB 8155)
Interpretationen: Franz Kafka. Romane und Erzählungen. Hg. von Michael Müller. Philipp
Reclam jun., Stuttgart (= RUB 8811)
Walter H. Sokel: Franz Kafka. S. Fischer, Frankfurt am Main 1976

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Zusammenfassung:
Expressionismus und Erster Weltkrieg
(ca. 90 bis ca. 90/5)

Politik, Gesellschaft und Kultur

Die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg waren durch wachsende politische Spannungen gekenn-
zeichnet. Ursachen dafür waren die aggressive Außenpolitik des Wilhelminischen Deutsch-
land und die komplizierte politische Lage auf dem Balkan. Hier führten die gegensätzlichen
Interessen der jungen Nationalstaaten, wie etwa Serbien, Österreich-Ungarns, das in den vor-
hergehenden Jahrhunderten seine Herrschaft über große Teile des Balkans konsequent ausge-
baut hatte, und dem russischen Zarenreich, das sich im Sinne der panslawistischen Idee zum
Schutzherren aller Slawen erklärt hatte, zu einer äußerst explosiven Lage. Die Jahre vor 1914
waren bestimmt durch Auseinandersetzungen, Krisen und Kriege. Das Attentat auf den österrei-
chischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajewo war dann der Funke in diesem Pulverfass,
der schließlich den Ersten Weltkrieg auslöste. Für dessen Ausbruch aber trugen das deutsche
Kaiserreich und Österreich-Ungarn besondere Verantwortung.
Der Krieg führte dann grundlegende Veränderungen herbei: Die alten Monarchien wurden
durch Demokratien ersetzt, sie lösten sich auf wie Österreich-Ungarn oder wurden gar durch
eine Revolution gestürzt wie in Russland. Mit dem Sieg der demokratischen Idee wurden auch
die letzten Reste von adeliger Vorherrschaft und Vorrechten beseitigt, das Bürgertum erlangte
endgültig auch die politische Macht.
In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hatte der Adel zwar noch immer einen besonderen ge-
sellschaftlichen Rang und gewisse Vorrechte, er versuchte die unübersehbaren Zeichen seines
Niedergangs durch Betonung seiner Exklusivität zu verdecken, was aber letztlich eine Anpas-
sung an geänderte Verhältnisse verhinderte und in Erstarrung mündete. Das Großbürgertum
hatte neben der wirtschaftlichen Macht auch weitgehend die politische erlangt und hob seine
Stellung durch besondere Prachtentfaltung hervor. Das Kleinbürgertum und die Arbeiter be-
gannen sich in verschiedenen politischen Parteien zu organisieren, um ebenfalls ihren Anteil
an politischer Macht zu erkämpfen. In den neuentstandenen Demokratien nach dem Ende des
Ersten Weltkrieges wurden sie mehr und mehr zur dominierenden Kraft.
Neben diesen Entwicklungen wurde das Leben der Menschen vor allem durch die Verände-
rungen auf dem Gebiet von Technik und Industrie beeinflusst. Zu nennen sind hier vor allem
das Auto, das Bewegung und Tempo ermöglicht, und der Film mit seinen Techniken der Rück-
und Vorblende und der Einblendung. Techniken, die vor allem in der Epik des Expressionismus
Verwendung fanden.

Allgemeine Kennzeichen, vorherrschende Themen, wichtige Autoren und Werke

Im Expressionismus wendete sich wieder eine junge Generation gegen die Welt, wie sie sie
vorfand, und setzte ihr etwas Neues entgegen. Der Expressionismus erreichte für die Jahre von
1910 bis 1920/25 die Vorherrschaft in der Literatur, war aber in sich sehr vielfältig; daneben
gab es noch viele andere literarische Strömungen. Er wurde durch die bildende Kunst, vor allem

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die Malerei, vorbereitet und entstand vor allem in den Großstädten Deutschlands, aber auch in
Prag, Wien und Zürich.
Junge Autoren schlossen sich zu Gruppen zusammen, um ihr Lebensgefühl auszudrücken.
Gemeinsame Kennzeichen waren: Die Verachtung der gegenwärtigen bürgerlichen Welt, der
Ausbruch aus dieser Welt, die Aufbruchsstimmung, der Entwurf einer anderen Welt, eines an-
deren, neuen Menschen, der Angriff auf ästhetische Stereotype, die Neigung zur bewusssten
Provokation der Sinne und die entschiedene Abwendung von den dichterischen Grundsätzen
des Naturalismus.
Die Sprache sollte nicht mehr eine Abbildungsfunktion haben, sondern eine expressive Auf-
gabe übernehmen. Sie sollte Träger psychischer Regungen sein, konnte daher aber nicht mehr
allgemeingültig sein und verlor dadurch an Überprüfbarkeit, was ganz allgemein ein Problem
der Bewertung aufwirft. Die Gruppen publizierten häufig in Zeitschriften, etwa in „Der Sturm“
(seit 1910) oder in „Die Aktion“ (seit 1911).

Die Jahre vor dem Krieg waren fast ausschließlich von der Lyrik beherrscht. Die wichtigsten
Vertreter sind:
Jakob van Hoddis (1887–1942; siehe Zugänge, S. 226).
Ernst Stadler (1883–1914): Gedichtband „Der Aufbruch“.
Georg Heym (1887–1912): Er gilt als der größte Dichter des Expressionismus. Besonders
typisch für ihn ist z. B. sein Gedicht „Der Krieg“.
Gottfried Benn (1886–1956): Als besonders provokant wurden seine Gedichte aus dem
Leichenschauhaus „Morgue“ empfunden.
Franz Werfel (1890–1945).
Else Lasker-Schüler (1869–1945): Sie gilt als die bedeutendste Dichterin des Expressionismus
(siehe auch Zugänge, S. 226).
Georg Trakl (1887–1914; siehe auch Zugänge, S. 226).

Epik
Das große Vorbild war hier Heinrich Mann. Der bedeutendste Vertreter ist Alfred Döblin
(1878–1957): „Die Ermordung einer Butterblume“, Erzählungen (1913), „Die drei Sprünge des
Wanglun“, Roman (1915), „Wallenstein“, Roman (1920). Sein bekanntestes Werk ist aber sein
Großstadtroman „Berlin Alexanderplatz“ (siehe Zugänge, S. 236).
Den konsequentesten Versuch, Prosa auf ganz neue Art zu gestalten, schuf Carl Einstein (1885–
1940) mit seinem Roman „Bebuquin“.

Drama
Die ersten Dramen entstanden erst knapp vor dem Krieg, der eigentliche Durchbruch des
Dramas kam während des Krieges und danach. Vorbilder waren Frank Wedekind und August
Strindberg. Die Hauptkennzeichen waren: Verzicht auf Psychologie, die Betonung des Zeitlos-
Mythischen und die sprachliche Stilisierung. Daher wählten die Expressionisten auch eigene
Benennungen für ihre Stücke: Dramatische Symphonie, Ekstatisches Szenarium, Passion, Fest-
spiel, Legendenspiel.
Die für den Expressionismus typischen Stücke, wie „Der Bettler“ von Reinhard Johannes Sorge
(1892–1916), „Von morgens bis mitternachts“ und „Die Bürger von Calais“ von Georg Kaiser
(1878–1945), „Der Sohn“ von Walter Hasenclever (1890-1940), werden heute kaum mehr auf-
geführt.

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Was aus dieser Zeit heute noch gespielt wird, sind die Stücke von Carl Sternheim (1878–1942),
etwa seine satirischen Komödien „Die Hose“, und „Der Snob“. Sternheims Werke sind aller-
dings nicht ganz typisch für den Expressionismus.
Die Revolution von 1918/19 bedeutete für einige Expressionisten noch einmal eine Hoffnung,
die hochfliegenden Pläne von einer anderen Welt und einem anderen Menschen zu verwirk-
lichen. Ihr Scheitern brachte auch das Ende von Aufbruch und Erneuerung. Beispielhaft für
diese Autoren ist Ernst Toller (1893–1939), der aktiv an der Münchner Räterepublik teilnahm
und davon später auch in seiner Autobiographie „Eine Jugend in Deutschland“ berichtete. Sei-
ne politischen Erfahrungen hat er auch noch in seinen Stücken „Die Wandlung“ und „Masse
Mensch“ verarbeitet.
Die Textsammlung „Menschheitsdämmerung“, 1919 von Kurt Pinthus herausgegeben, bedeu-
tete dann eigentlich schon das Ende der expressionistischen Bewegung.
Wichtige Autoren, die zu dieser Zeit gewirkt haben, aber nicht eindeutig dem Expressionismus
zugeordnet werden können sind:
Karl Kraus (siehe Zugänge, S. 234).
Franz Kafka (siehe Zugänge, S. 230).

Der Dadaismus

Er stellt in dieser Zeit eine Sonderentwicklung dar. Die Bedeutung des Namens Dada ist unklar,
er könnte von frz. dada = Holzpferdchen kommen, aber auch einen kindlichen Stammellaut be-
zeichnen. Trotz dieser Unklarheit wird die Richtung deutlich, die der Dadaismus einschlug: Es
handelte sich dabei um eine Bewegung, die den Krieg ablehnte und eine radikale künstlerische
Antwort auf den Schrecken und das Chaos des Krieges suchte und gleichzeitig jene bürgerliche
Kultur kritisierte und lächerlich machen wollte, die den Krieg unterstützte und befürwortete.
Gegen die Parolen und Schlagworte, die Entwertung der Sprache zur bloßen Propaganda und
die ständige Überbetonung gewisser Werte setzten die Dadaisten die Zerstörung der Sprache
und die Leugnung jeden Sinns.
So entstanden „simultane“ Dichtungen, in denen Brocken von Lauten, Worten und Sätzen ohne
Zusammenhang, ohne innere Logik und Sinn, oft begleitet von Lärmmusik, deklamiert oder
Texte zerschnitten und nach einem Zufallsprinzip wieder zusammengesetzt wurden. All das
sollte das chaotische Nebeneinander verschiedener Bewusstseinsinhalte darstellen und dem
furchtbaren Krieg ein absurdes Weltbild entgegenstellen, das jeden Sinn und jede Sinngebung
leugnete. Der Dadaismus entstand 1916 in Zürich. Um das „Cabaret Voltaire“ sammelte sich
eine Gruppe Gleichgesinnter, zu der Hugo Ball, Emmy Hennings, Tristan Tsara, Richard Huel-
senbeck, Walter Serner und Hans Arp gehörten.
Nach dem Krieg etablierte sich in Berlin noch einmal für kurze Zeit eine dadaistische Gruppe,
in der neben Richard Huelsenbeck noch Johannes Baader, Raul Hausmann und Walter Mehring
wirkten.
Die vom Dadaismus entwickelte Technik der Montage und Collage gewann auch in der Malerei
und Graphik bei George Grosz und John Heartfield (Photomontagen) große Bedeutung.

Literaturhinweise:
Richard Brinkmann: Expressionismus. Metzler, Stuttgart 1980
Wolfgang Rothe: Der Expressionismus. Klostermann, Frankfurt am Main 1977

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NEUE SACHLICHKEIT
UND FASCHISMUS

Ödön von Horváth:

ARBEITSBLATT

Geschichten aus dem Wiener Wald

(Siehe Zugänge, S. 256)

Ödön von Horváth zeigt in dem Volksstück, was Männer der weiblichen Hauptfigur Marianne
antun. Untersuchen Sie, wie die einzelnen Stationen in Mariannes Leben durch die
Männer negativ beeinflusst werden.
Horváth betont aber auch, dass diese Männer ihrerseits durch die Verhältnisse in ihrem Verhal-
ten bestimmt sind. Arbeiten Sie an einigen Beispielen heraus, wie das Verhalten der Männer
durch die Verhältnisse begründet ist.
Diese Welt ist auch dadurch gekennzeichnet, dass die Korrupten ungehindert weiterleben und
die Guten notwendig strafbar werden. Zeigen Sie das an einigen Beispielen.
Horváth will in seinem Stück das Bewusstsein der Personen demaskieren. Er tut das auf die Art,
wie er sie sprechen lässt. Zeigen Sie an der ersten Begegnung zwischen Alfred, seiner Mutter
und der Großmutter, wie ihr Egoismus, ihre Gemeinheit sprachlich demaskiert werden.
Eine besondere Rolle spielt dabei die Regieanweisung „Stille“. Analysieren Sie an einigen Stel-
len, welche Bedeutung diese Anweisung hat. Was geht in diesem Augenblick in den Personen
vor? Was könnten sie denken? Was sprechen sie aus? Was nicht?
Horváth wollte dieses Kleinbürgertum nicht nur demaskieren, sondern auf die Gefahr auf-
merksam machen, die für eine demokratische Gesellschaft entsteht, wenn Menschen solcher
Denkungsart und Handlungsweise die Mehrheit einer Bevölkerung ausmachen. Was von ihrer
Denkungsart und Handlungsweise macht sie anfällig für Faschismus, Nationalsozialismus und
autoritäre Staatsformen?

Literaturhinweise:
Ödön von Horváth „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Hg. von Traugott Krischke. Suhr-
kamp, Frankfurt am Main 1983 (= stm 2019)
Traugott Krischke: Horváth-Chronik. Daten zu Leben und Werk. Suhrkamp Verlag, Frankfurt
am Main 1988 (= stm 2089)

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Bertolt Brecht:

ARBEITSBLATT

Das Leben des Galilei

(Siehe Zugänge, S. 258)

Fragen zum Inhalt:
Bertolt Brecht zeigt Galilei, wie er um die Wahrheit kämpft, und er zeigt die Schwierigkeiten,
die dabei zu überwinden sind.
1. Galilei hat den Mut, die wissenschaftliche Wahrheit zu vertreten, obwohl sie verfolgt wird.
2. Er hat die Klugheit, sie zu erkennen, obwohl sie verhüllt wird.
3. Er versteht es, sie handhabbar zu machen.
4. Er hat die Urteilskraft, die richtigen Empfänger auszuwählen, die sie wirksam machen.
5. Er hat die List, sie zu verbreiten.
Sammeln Sie Beispiele und Belege für diese 5 Punkte.

Zur Person Galileis:
Galilei wird als leidenschaftlicher Forscher und großartiger Lehrer gezeigt. Skizzieren Sie jene
Stellen, wo das deutlich wird. Galilei wird als Charakter gezeichnet, der sich aus sehr gegen-
sätzlichen Komponenten zusammensetzt. Sammeln Sie Belege aus dem Stück zu den Gegen-
sätzen:
Mut – Feigheit
Sinnlichkeit – Unsinnlichkeit
Starkes persönliches Engagement – zynisches Verneinen jeglicher persönlicher Verantwortung
Wahrheitsliebe – Wahrheitsverleugnung

Fragen zum Aufbau:
Geben Sie den Entwurf einer dramatischen Kurve des Schauspiels (Zugänge, S. 261) in Spra-
che wieder. Benützen Sie dazu den Handlungsverlauf und Galileis Situation. Stellen Sie in einer
Skizze die Antithesen und Symmetrien im Aufbau (Zugänge, S. 260) graphisch dar.

Fragen zur Entstehungsgeschichte:
Arbeiten Sie an den verschiedenen Fassungen die Änderungen in der Aussage heraus und ver-
suchen Sie den Zusammenhang mit den politischen Ereignissen der Zeit herzustellen.

Literaturhinweise:
Bertolt Brecht „Leben des Galilei“. Hg. von Werner Hecht. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981
(= stm 2001)
Materialien zu Bertolt Brecht „Leben des Galilei“. Zusammengestellt von Werner Hecht. Suhr-
kamp, Frankfurt am Main 1982 (= es 44)

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Joseph Roth:

INFORMATIONSBLATT

Radetzkymarsch

Inhalt: Der Roman stellt die Geschichte der Trottas dar. Ahnherr des Geschlechts ist der
junge Leutnant Trotta, der in der Schlacht von Solferino dem Kaiser Franz Joseph das
Leben rettet und dabei selbst von einer Kugel getroffen wird. Er wird dafür geadelt und
ausgezeichnet. Als er später in einem Lesebuch seines Sohnes eine verfälschende Dar-
stellung seiner Tat lesen muss und keine Änderung erreichen kann, nimmt er Abschied
von der Armee und zieht sich auf sein Landgut zurück. Für seinen Sohn Franz legt er eine
juristische Laufbahn fest, obwohl dieser lieber die militärische ergriffen hätte. Franz bringt
es im Dienst des Kaisers rasch zum Bezirkshauptmann. Sein Sohn, Carl Joseph, soll die
Laufbahn ergreifen, die ihm verwehrt worden ist und zu der dieser wenig begabt ist.
Außerdem lastet der Ruhm des Großvaters als Verpflichtung, es ihm gleichzutun, fast
unerträglich auf ihm. Daher kann er als Offizier auch nicht recht glücklich werden, seine
Einsamkeit wird noch größer, als er seinen einzigen Freund, den Regimentsarzt Demant
bei einem absurden Duell verliert. Er lässt sich in den äußersten Osten der Monarchie, zu
einem Jägerbataillon an die russische Grenze versetzen. Aus der Öde des immer gleichen
Dienstes flüchtet er in den Alkohol und verstrickt sich unter tatkräftiger Mitwirkung des
zwielichtigen Kapturak immer mehr in Schulden. Er wird zwar kurzfristig von Graf Choj-
nicki, der für den jungen Trotta immer wichtiger wird, herausgerissen, aber letzten Endes
werden die Zweifel Carl Josephs an seinem Beruf immer größer. Als er mit seinen Solda-
ten gegen demonstrierende Arbeiter vorgehen und eigentlich gegen seinen Willen auf sie
schießen lassen muss, wird er verletzt, ebenfalls am Schlüsselbein, wie sein Großvater.
Der Tod der Arbeiter bestärkt ihn nur in seinen Zweifeln, er denkt daran, seinen Abschied
zu nehmen.
In diese Krise fällt noch der Selbstmord eines Offiziers, für den er Schuldscheine unter-
zeichnet hat. Aber noch immer kann er den Entschluss, die Armee zu verlassen, nicht
ausführen. Seine hohen Schulden kann der Vater mit Hilfe des Kaisers begleichen. In
ein Regimentsfest platzt die Nachricht von der Ermordung des Thronfolgers, die ver-
schiedenen Reaktionen darauf zeigen bereits den Zerfall der Monarchie. Zum letzten Mal
verteidigt Carl Joseph die Monarchie, aber vergeblich. Jetzt nimmt er seinen Abschied
und ist für kurze Zeit eine Art Verwalter beim Grafen Chojnicki. Aber der bald danach
ausbrechende Krieg bringt ihn an die Front. Er findet den Tod, als er für seine Soldaten
Wasser holt – eigentlich geht er bewusst in den Tod. Mit dem Tod des Kaisers und dem
kurz darauf folgenden Tod des Bezirkshauptmannes endet der Roman.

Joseph Roth hat an diesem Roman viel länger gearbeitet als an seinen anderen Werken,
er gilt als Höhepunkt seines Schaffens. Ende 1930 fasste er den Plan dazu, 1932 erschien
der Roman als Vorabdruck in Fortsetzung in der „Frankfurter Zeitung“. Roth setzt da-
mit seinem Vaterland, einer verlorengegangenen Welt, ein literarisches Denkmal. „Mein
stärkstes Erlebnis war der Krieg und der Untergang meines Vaterlandes, das einzige, das
ich je besessen: der österreichisch-ungarischen Monarchie.“ Allerdings stellt er eine Welt
dar, die nie so war, wie er sie schildert; diese mythologisierte Vergangenheit ist aber ein
bewusster Gegensatz zu der Welt, in der Roth leben muss. Nämlich einer Welt, in der sich

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der Nationalsozialismus immer mehr durchsetzt, der Europa in einen furchtbaren Krieg
stürzen wird. Am Beispiel der Familie Trotta, ihrem Aufstieg und Niedergang wird das
Schicksal der Monarchie in den letzten Jahrzehnten ihres Bestehens dargestellt und eine
Lebensordnung analysiert, die bei allem Festhalten an Traditionen immer brüchiger wird.
Verfall und Zerfall sind die bestimmenden Kennzeichen dieser Welt. Das zeigt sich schon
am titelgebenden „Radetzkymarsch“. Dieser Marsch, komponiert von Johann Strauß Va-
ter aus Anlass der Niederwerfung des italienischen Aufstandes in der Revolution von
1848/49 durch Feldmarschall Radetzky, wird so etwas wie das musikalische Sinnbild der
österreichischungarischen Monarchie. Diese „Marseillaise des Konservativismus“ (Joseph
Roth) durchzieht leitmotivisch den gesamten Roman, an der immer schlampigeren Auf-
führung wird der Niedergang des Reiches erkennbar.
Der Kaiser erscheint als das einigende Band, als der letzte Zusammenhalt für die Völker
und Konfessionen. Wenn er Galizien besucht, nimmt er ganz selbstverständlich an einem
griechisch-orthodoxen Gottesdienst teil und die Segenswünsche der jüdischen Gemeinde
entgegen. Graf Chojnicki sagt von ihm: „Sobald unser Kaiser die Augen schließt, zerfallen
wir in hundert Stücke (...). Alle Völker werden ihre dreckigen kleinen Staaten errichten.“
Dieser Kaiser wird aber auch in seiner Greisenhaftigkeit und körperlichen Hinfälligkeit
gezeigt und wird damit zum Symbol einer sterbenden Welt. Besonders ausgeprägt ist
dieser Verfall bei Carl Joseph dargestellt. Er leidet an der übergroßen Gestalt des Großva-
ters, der schon „alles“ getan hat, er ist diesem nur äußerlich ähnlich, sein Lebenslauf eine
schwache Wiederholung.
Der Großvater rettet dem Kaiser das Leben, der Enkel nur noch das mit Fliegendreck
übersäte Bild des Kaisers aus dem Bordell. Der Großvater wird bei der Rettung des Kai-
sers am Schlüsselbein verwundet, Carl Joseph zieht sich diese Verwundung beim Einsatz
gegen streikende Arbeiter zu. Einer seiner wenigen Freunde, der Regimentsarzt Demant,
drückt es so aus: „Unsere Großväter haben uns nicht viel Kraft hinterlassen, wenig Kraft
zum Leben, es reicht gerade noch, um unsinnig zu sterben. Ach!“ (Eine Vorwegnahme
auch des unsinnigen Todes der beiden.) Dieses Sterben spielt eine große Rolle im Leben
von Carl Joseph, sehr viele Menschen, zu denen er engere Beziehungen hat, sterben,
Friedhöfe üben eine große Anziehungskraft auf ihn aus.
Der Zerfall wird aber auch bei den Eliten deutlich. Graf Chojnicki, eine der weitsichtigsten
Personen des Romans, die Roth auch mit eigenen Zügen ausgestattet hat, will seinem
Vaterland nicht mehr dienen, weil er bereits dessen Ende voraussieht. Der Arzt, Dr. Skow-
ronnek, lehnt die Verantwortung füreinander ab: „Man kann keine Verantwortung tragen:
Kein Mensch darf für den anderen eine Verantwortung tragen.“ Und selbst der Bezirks-
hauptmann, ein Muster an unbeugsamer Pflichterfüllung im Dienste des Kaisers, wird
müde, beginnt zu zweifeln, sogar am Sinn seines bisherigen Lebens. Joseph Roth fasst
zusammen: „Die Welt, in der es sich noch lohnte zu leben, war zum Untergang verurteilt.
Die Welt, die ihr folgen sollte, verdiente keine anständigen Bewohner mehr. Es hatte also
keinen Sinn, dauerhaft zu leben, zu heiraten und etwa Nachkommen zu zeugen.“

Literaturhinweis:
David Bronsen: Joseph Roth. Eine Biographie. Kiepenheuer und Witsch, Köln 1974

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Stefan Andres:

INFORMATIONSBLATT

El Greco malt den Großinquisitor

Inhalt: Der berühmte Maler El Greco bekommt vom mächtigen Großinquisitor den Auf-
trag, ihn zu malen. El Greco weiß um die Gefahr, die allein schon die Nähe des Großinqui-
sitors bedeutet, und überlegt kurz, sich wieder ins freie Venedig zurückzubegeben, nimmt
aber dann den Auftrag an. Aber schon bei der ersten Sitzung kündigt er an, dass er nicht
bloß Wirklichkeit wiedergeben werde, sondern die innere Wahrheit („kraft der Wahrhaftig-
keit“). Als der Großinquisitor erkrankt, bittet er einen Freund des Malers, Dr. Cazalla, an
sein Krankenbett. Dieser sieht jetzt den Großinquisitor in seine Hand gegeben, eine Mög-
lichkeit der Rache, hat doch jener den Bruder Cazallas auf den Scheiterhaufen geschickt.
Aber El Greco kann den Arzt umstimmen, sodass er den Großinquisitor heilt; so kann
auch der Maler sein Bild vollenden. Aber auch die Scheiterhaufen brennen weiter.

Stefan Andres hat diese Erzählung 1935 geschrieben. Er stellt darin in einer erfundenen
Handlung die Entstehung eines berühmten Bildes von El Greco dar. Die historischen Ver-
hältnisse sind glaubwürdig wiedergegeben, dienen aber als Parallele zu seiner Zeit. Es
entsteht nämlich das Bild eines totalitären Staates, und es werden Themen behandelt,
wie Menschen sich unter solchen Verhältnissen verhalten können, welche Rolle die Kunst
dabei spielen kann und welche Möglichkeiten des Widerstands es gibt.
In diesem totalitären Staat können sich die Menschen nicht frei äußern und sind von
Furcht beherrscht. Als der Abgesandte des Großinquisitors zu El Greco kommt, prüft
dieser seine innere Welt, „nicht, ob sie gut, sondern ob sie dicht und abgeschlossen sei“.
Was wird aus den Menschen, wenn ihre Meinung gefährlich ist, ihr Vertreten sie auf den
Scheiterhaufen bringen kann? „Aller Hälse sind von Aufmerksamkeit nach allen Seiten
so wie die Schrauben verdreht, aller Rücken sind krumm, aller Träume sind erfüllt vom
Tanz der Flammen.“ Und El Greco fügt noch hinzu: „ Wenn wir leben wollen, lernen wir
die Lüge!“
Denn allgegenwärtig sind die Scheiterhaufen, sogar noch auf dem Sterbebett unterzeich-
net Philipp ein Todesurteil für einen Ketzer, das Wiedergenesen des Großinquisitors be-
deutet auch ein Wiederbeleben der Scheiterhaufen. Sogar der Königspalast erscheint
El Greco in der Form eines Bratrosts, auf dem die Welt gebraten liegt, „und verbranntes
Fleisch stinkt“. Eine solche Welt wirft einen schweren Schatten auf die Kunst, trotzdem
will El Greco „kraft der Wahrhaftigkeit“ malen. Bei der ersten Sitzung ist der Großinqui-
sitor in adventliches Violett gekleidet, aber El Greco wählt Rot. Er will ihn in den Farben
Rot und Schwarz malen, wie „Feuer in der Nacht“, wie ein „blutiges Feuer“. Er will also
das wahre Innere des Großinquisitors zur Darstellung bringen, so wie er zum Abschluss
des Bildes die „Schlange“ in dessen Auge hervorheben will. Dabei entdeckt er aber auch
Traurigkeit und Schwermut darin. Aber würde deren Darstellung nicht den Sinn des Bildes
zerstören? Aus diesen Überlegungen reißt der Großinquisitor den Maler, indem er das Bild
als fertiggestellt erklärt.
Später wird der Großinquisitor für El Greco sogar zum traurigen Helden, zu einem hei-
ligen Henker. Er erhält damit seinen Platz in der göttlichen Heilsordnung, im göttlichen
Heilsplan, in dem nach christlicher Überzeugung auch das Böse notwendig ist, damit der
Mensch seinen freien Willen beweisen kann. Ob man Widerstand üben soll, bis hin zum

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Tyrannenmord, wird an der Figur des Dr. Cazalla erörtert. Dieser hätte die Möglichkeit
dazu, der Großinquisitor liefert sich selbst in seine Hände. Aber obwohl der Wunsch nach
Rache für seinen auf dem Scheiterhaufen verbrannten Bruder groß ist, siegt die Barmher-
zigkeit mit dem leidenden Menschen. So bleibt letztlich für die Menschen in diesem Staat
nur folgende Einsicht: „Wisst, es ist umsonst, die Inquisition zu töten. Was wir können, ist
– das Antlitz dieser Ächter Christi festzuhalten!“
Damit hat Andres auch eine Definition für die Möglichkeit der Kunst im totalitären Staat
gegeben, für das Schreiben der „Inneren Emigration“.

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Zusammenfassung:
Neue Sachlichkeit und Faschismus

Politik, Gesellschaft und Kultur

Das Ende des Ersten Weltkrieges brachte auch das Ende der großen Monarchien in Europa. Als
Regierungsform setzte sich zunächst die Demokratie durch. Doch wussten viele Völker mit den
neuen Möglichkeiten von Mitbestimmung und Mitgestaltung wenig anzufangen, sodass die al-
ten Eliten rasch wieder wichtige Machtpositionen besetzen konnten. In Deutschland wurden die
demokratischen Politiker, die Waffenstillstand und den Frieden von Versailles unterzeichnen
mussten, als „Novemberverbrecher“ und „Erfüllungspolitiker“ diffamiert.
In Österreich hielt ein großer Teil der Bevölkerung den „Rest“ der Habsburgermonarchie über-
haupt nicht für lebensfähig, man wollte sogar den Anschluss an das größere Deutschland, sodass
das Schlagwort vom „Staat, den keiner wollte“, geprägt wurde. Die wirtschaftlichen Probleme,
die ungeheure Verschuldung des Staates (Kriegsfinanzierung!) führte in beiden Ländern zu ei-
ner galoppierenden Inflation, die nur durch ein hartes Sparprogramm beendet werden konnte.
Für kurze Zeit – Mitte der zwanziger Jahre – kam es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung
und zur Konsolidierung. Die Ende der zwanziger Jahre einsetzende Weltwirtschaftskrise mach-
te dieses Aufbauwerk in kürzester Zeit zunichte. Eine ungeheure Arbeitslosigkeit und die Angst
vieler aus dem Mittelstand, Besitz und Selbständigkeit zu verlieren, also sozial degradiert zu
werden, erhöhten die Chancen radikaler Parteien sprunghaft. In Deutschland, das sich durch
den Frieden von Versailles besonders hart behandelt fühlte, konnte Adolf Hitler jetzt mit sei-
ner rücksichtslos demagogischen Propaganda gegen Versailles und die Demokratie und seinem
pathologischen Judenhass, mit denen er vielen Menschen eine furchtbar einfache Erklärung
für komplizierte Sachverhalte anbot, rasch seine nationalsozialistische Partei zur stärksten po-
litischen Kraft machen.
Hatten schon die letzten Jahre der Weimarer Republik einen Abbau der Demokratie (Stichwort
„Präsidialregime von Reichskanzler Brüning“) gebracht, so bedeutete die Machtergreifung Hit-
lers 1933 deren endgültiges Ende. In Österreich war die Innenpolitik beherrscht vom Gegensatz
zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten, der durch bewaffnete Verbände verschärft
wurde. Den Heimwehren, den Christlichsozialen nahe stehend und von ihnen benützt, stand der
„Republikanische Schutzbund“ gegenüber. Schon 1927 erreichten die Auseinandersetzungen
mit den Ereignissen von Schattendorf und dem Justizpalastbrand einen ersten Höhepunkt, die
Weltwirtschaftskrise verschärfte nur noch die Situation, bis der Kampf zwischen Christlichso-
zialen und Sozialdemokraten in den Jahren 1933 und 1934 zunächst in die
Ausschaltung des Parlamentes durch Bundeskanzler Engelbert Dollfuß mündete und schließ-
lich mit der Ausschaltung der Sozialdemokraten und der Niederwerfung des Februaraufstandes
der Arbeiter die endgültige Beseitigung der Demokratie und die Errichtung eines autoritären
Ständestaates zum Ergebnis hatte. Dieser Staat wurde aber schon wenige Jahre danach die erste
Beute der nationalsozialistischen Expansion.
Sozial ist die Zwischenkriegszeit gekennzeichnet durch die rasch fortschreitende Industrialisie-
rung, einem entsprechend raschen Wachstum des Arbeiterstandes und der Angestelltenschicht.
Eine Massengesellschaft entstand. Ein Ausdruck war der Aufschwung der neuen technischen
Medien wie Film und Rundfunk. Sie boten einerseits die Hoffnung auf fortschreitende Demo-

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kratisierung und auch die Hoffnung von politisch engagierten Künstlern auf eine Popularisie-
rung der Kunst und Literatur. Andererseits weckten sie aber auch Ängste vor einem Kulturver-
fall durch Vermassung.

Allgemeine Kennzeichen, wichtige Autoren und Werke

Die Literatur zwischen den Kriegen bietet ein vielfaches Nebeneinander von verschiedenen
Strömungen, es ist daher schwer oder unmöglich, einen kennzeichnenden Begriff herauszu-
greifen. Der häufig verwendete Begriff „Neue Sachlichkeit“ drückt eher die Zugehörigkeit zu
einer Gruppe aus. Allerdings ist zumindest eine Tendenz erkennbar, nämlich die, Kunst und die
Literatur wieder stärker in den Dienst einer Sache, der Politik zu stellen. Eine Zusammenfas-
sung nach einheitlichen Stil- und Gattungsmerkmalen ist nicht möglich. Der Hinwendung zum
Sachlichen entspricht ein wachsendes Interesse der Schriftsteller an Bericht und Reportage.
Wichtigste Beispiele dafür sind Egon Erwin Kisch („Der rasende Reporter“, Sammlung von
Reportagen) und Joseph Roth, der auch Reiseberichte verfasste, so etwa von einer Reise in die
Sowjetunion.

Lyrik
Kennzeichnend sind die Abwendung von der Subjektivität des Expressionismus, der neue Sinn
für das Sachliche. Das führt zu Gegenwartsbezug und Gesellschaftskritik:
Kurt Tucholsky (1890–1935).
Erich Kästner (1899–1974; siehe Zugänge, S. 262 f.).
Bertolt Brecht (1898–1956, siehe Zugänge, S. 262 f.).
Andererseits führt es zu genauer Beschreibung und Schilderung von Natur und Landschaft
(naturmagische Schule):
Peter Huchel (1903–1981).
Günter Eich (1907–1972).
Georg Britting (1891–1964).
Dagegen stand jene Richtung, die das klassische Erbe in Form und Inhalt bewahren wollte. In
der eindeutigen Ablehnung des zeitgebunden Aktuellen und der Betonung des zeitlos Gültigen
liegt allerdings auch die Gefahr von Weltfremdheit:
Rudolf Alexander Schröder (1878–1962).
Hans Carossa (1878–1956).
Bei Josef Weinheber (1892–1945) zeigte sich besonders deutlich das Problem dieser Rich-
tung.
Obwohl er sich eigentlich nur an Form- und Gestaltungsfragen, an der Ästhetik der Lyrik ori-
entierte, besonders das Sonett pflegte oder sich mit dem Vorbild Hölderlin auseinandersetzte,
diente er schließlich dem nationalsozialistischem Regime, unterstützte es durch den Führer
peinlich verherrlichende Gedichte. Gegen Kriegsende erkannte er seinen Fehler und beging
Selbstmord.

Epik
Der moderne Roman (nicht der Unterhaltungsroman) des 20. Jahrhunderts reagierte vielfach
auf die geänderten Verhältnisse. Einer komplizierten, vielfältigen, nicht mehr überschaubaren,
dem einzelnen chaotisch erscheinenden Wirklichkeit konnte er nicht die Fiktion einer klar

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geordneten, überschaubaren Welt im Roman gegenüberstellen, dargeboten in chronologischer
Erzählweise und schön in Kapitel gegliedert. So wurde häufig das chronologische Erzählen
zerstört, das Erzählen zugunsten von Nachdenken und Reflexion zurückgedrängt, alle Formen
der dichterischen Aussage, also auch lyrisches und dramatischen Sprechen integriert und zu
Erfassung der Wirklichkeit auch nichtdichterische Elemente in den Zusammenhang montiert
(Montagetechnik): Zeitungsnotizen, Statistiken usw. Auf die „Harmonielosigkeit der gesell-
schaftlichen Zustände“ antwortet der Roman damit, die Harmonie der Darstellung, wie sie noch
im 19. Jahrhundert gegolten hatte, zu durchbrechen, ja zu zerstören!
So wird in diesen Romanen der Held immer mehr vom Geschehen bestimmt, er ist nicht mehr
der Urheber des Geschehens, das Interesse des Schriftstellers gilt daher auch häufig nicht mehr
dem einzelnen, sondern der Gesellschaft.
Alfred Döblin (1878–1957): „Berge, Meere und Giganten“, „Babylonische Wanderung“.
Robert Musil (1880–1942): „Der Mann ohne Eigenschaften“ (siehe Zugänge, S. 252 ff.).
Hermann Broch (1880–1951): „Die Schlafwandler“ (Roman-Trilogie, bestehend aus den Teilen
„Pasenow oder die Romantik. 1888“, „Esch oder die Anarchie. 1903“ und „ Huguenau oder
die Sachlichkeit. 1908“). Broch versuchte in diesem großangelegten Roman einen geistesge-
schichtlichen Prozess, den „Zerfall der Werte“ darzustellen.
Hermann Hesse (1877–1962): „Siddharta“ (Erzählung), „Der Steppenwolf“, „Narziss und
Goldmund“.
Joseph Roth (1894–1939): „Hiob“, „Radetzkymarsch“.
Ernst Maria Remarque (1898-1970): Mit seinem Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“
wurde er zu einem außerordentlich erfolgreichen Schriftsteller.
Thomas Mann (1875–1955): „Der Zauberberg“. Das ist ein Bildungs- und Entwicklungsroman,
der am Beispiel eines Sanatoriums in Davos die europäische Gesellschaft vor dem Ersten Welt-
krieg darstellt. „Mario und der Zauberer“. Die Erzählung stellt die verderbliche Verführungs-
kraft des Faschismus am Beispiel eines Zauberers dar.
Anna Seghers (1900–1983): „Der Aufstand der Fischer von St. Barbara“ (Erzählung).

Drama
Entscheidend ist hier die theoretische und praktische Theaterarbeit Bertolt Brechts (siehe Zu-
gänge, S. 258): „Die Dreigroschenoper“. „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“. Eine Dar-
stellung der Weltwirtschaftskrise aus marxistischer Sicht, verbunden mit einer Parodie auf die
Klassik.
Ebenfalls kritisch zu seiner Zeit steht Ödön von Horváth, wenngleich aus einer anderen Tradi-
tion (siehe Zugänge, S. 256).

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Zusammenfassung:
Die deutsche Literatur im Exil (–)

Bis zum Herbst 1933 war der größte Teil der namhaften Schriftsteller emigriert, rechnet man
die im weiteren Sinne literarisch Wirkenden (Lektoren, Kritiker usw. ) hinzu, waren das mehr
als zweitausend. Sie waren überzeugt, das „ andere“, das bessere Deutschland zu vertreten,
sahen es daher als ihre Aufgabe und Verpflichtung an, weiterzuschreiben und weiter in der
Öffentlichkeit zu wirken.
Dem stand aber das Problem der Sprache entgegen: Für einen Schriftsteller ist das Exil ja des-
halb besonders schwierig, weil er sich (neben dem generellen Verlust der Heimat, dem Problem,
sich in einer anderen Welt zurechtfinden zu müssen) ja kaum mehr seines Arbeitsmittels – der
Sprache – bedienen kann, um damit zu wirken und seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Dazu
kam die Isolierung vom Publikum. Die Leser in Deutschland und bald auch in Österreich waren
nicht mehr erreichbar, Bücher von Exilautoren konnten ins nationalsozialistische Deutschland
nur noch hineingeschmuggelt werden. Die wirtschaftlichen Probleme für diese Autoren wurden
daher sehr groß, es gab zwar einige wenige Verlage für Exilliteratur, etwa in Amsterdam vor
dem Beginn des Krieges, aber die Auflagen waren sehr gering.
Erste Zufluchtsorte waren Prag, Zürich und Amsterdam, später Frankreich und Großbritannien.
Mit dem Ausbruch des Krieges reduzierte sich die Zahl der Zufluchtsländer, die USA gewannen
immer mehr Bedeutung. Aber auch hier gab es große Schwierigkeiten, sich einzufügen, einzu-
gliedern. Nur wenige Autoren waren hier erfolgreich: Thomas Mann und Lion Feuchtwanger.
Allerdings bot Hollywood vielen Autoren die Möglichkeit, sich durch Arbeiten an Drehbüchern
zumindest wirtschaftlich halbwegs über Wasser zu halten.
Trotzdem wurde der antifaschistische Kampf weitergeführt. Besonders wichtig darin wurde
Thomas Mann durch seine Reden an die „Deutschen Hörer“, die seit Kriegsbeginn von der
BBC nach Deutschland gesendet wurden.
Viele der im Exil entstandenen Romane beschäftigen sich mit der Darstellung der faschisti-
schen Gegenwart oder des Weges dahin:
Joseph Roth: „Kapuzinergruft“.
Ödön von Horváth: „Jugend ohne Gott“.
Hermann Broch: „Die Verzauberung“.
Anna Seghers: „Das siebte Kreuz“. (Durch die Schilderung einer Flucht aus einem Konzentra-
tionslager und die darauffolgende Verfolgung kann sie ein Panorama der verschiedenen Verhal-
tensmöglichkeiten im nationalsozialistischen Deutschland geben.)
Vielfach wurde versucht, im Gewand des historischen Romans Gegenwart abzubilden. So
schildert etwa Heinrich Mann in seinen Romanen über den französischen König Heinrich IV.,
„Die Jugend des Königs Henri Quatre“ und „Die Vollendung des Königs Henri Quatre“, eine
andere „Machtergreifung“ und zeigt im Sinne des Humanismus ein Gegenbild zum Menschen-
bild des Faschismus.
Alfred Döblin: „Das Land ohne Tod“. Der Roman beschreibt die Zerstörung der indianischen
Kulturen durch die spanischen Konquisatoren.
Thomas Mann: „Lotte in Weimar“. In dem Roman setzt sich der Dichter mit der großen Persön-
lichkeit – Goethe – auseinander.
„Joseph und seine Brüder“. In dem vierteiligen Roman erzählt Thomas Mann die biblische

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Geschichte aus aufgeklärter Sicht, mit psychologischer Darstellung. Er stellt damit einen My-
thos rational dar und wendet sich gegen das Irrationale und Mythische im Nationalsozialis-
mus.

Lyrik
Für die Veröfentlichung von Lyrik war die Situation besonders schwierig. Höhepunkte stellen
Bertolt Brechts politische Gedichte dar (siehe Zugänge, S. 262)

Drama
Die Bühnen der Exilländer standen den deutschsprachigen Autoren nur sehr begrenzt zur Ver-
fügung. Eine Ausnahme bildete da das Zürcher Schauspielhaus. Trotzdem entstanden viele
Dramen und Hörspiele.
Carl Zuckmayer: „Des Teufels General“.
Ödön von Horváth: „Figaro lässt sich scheiden“.
Franz Werfel: „Jacobowsky und der Oberst“.
Den Höhepunkt der Exildramatik stellen Brechts Dramen dar: „Furcht und Elend des Dritten
Reichs“, „Der gute Mensch von Sezuan“, „Leben des Galilei“ (siehe Zugänge, S. 258) und
„Mutter Courage und ihre Kinder“.

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Zusammenfassung:
Literatur der „Inneren Emigration“

Unter den Begriff Literatur der „Inneren Emigration“ sind jene Schriftsteller zusammenge-
fasst, die versuchten, sich gegen die Lenkung und Monopolisierung des literarischen Lebens im
Sinne des Nationalsozialismus zu stellen, trotzdem der allgegenwärtig drohenden Verfolgung
zu entgehen und den geringen noch verbleibenden Spielraum auszunützen. Das verlangte, so zu
schreiben, dass man immer noch für bestimmte Leser abweichende Meinungen und versteckte
Kritik formulieren konnte, ohne dass die Zensur aufmerksam wurde. Eine solche „verdeckte“
Schreibweise musste vieles verklausulieren, führte auch zu Unklarheiten, sodass manche Texte
bis heute unterschiedlich gedeutet und bewertet werden.
Eine solche Literatur konnte natürlich nicht zum Widerstand aufrufen, aber sie wollte Hilfe
leisten beim Überdauern und Überstehen des Regimes, moralische Stärkung bieten und Trost
spenden. Da das Theater besonders überwacht und kontrolliert war, blieben als Gattungen
hauptsächlich die Epik und die Lyrik.

Epik
Hier boten sich besonders historische Stoffe an, das konnte ein reines Ausweichen und Flüchten
sein, aber man konnte im historischen Gewand auch Aussagen verhüllen und andere Perspekti-
ven anbieten. Aus christlicher Sicht entstanden zum Beispiel folgende Werke:
Jochen Klepper: „Der Vater“, Roman über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. von Preu-
ßen.
Werner Bergengruen: „Der Großtyrann“. Roman über einen Gewaltherrscher der Renaissance,
der aber am Schluss die eigene Schuld erkennt und eingesteht.
Gertrud von Le Fort: „Die magdeburgische Hochzeit“. Im Mittelpunkt des Romans steht die
Besetzung Magdeburgs im Dreißigjährigen Krieg.
Reinhold Schneider: „Las Casas vor Karl V.“. Schneider behandelt in seiner Erzählung das mu-
tige Eintreten des Bischofs gegen die blutige Unterdrückung und Ausbeutung der Indios durch
die Spanier, gegen die Eroberungskriege und für die Gleichberechtigung aller Menschen.
Ernst Wiechert: „Das einfache Leben“. In diesem Roman wird das stoische Überdauern und
Überwinden der grausamen Realität, ein einfaches Leben auf dem Lande, dargestellt.
Ernst Jünger: „Marmorklippen“. In dieser Erzählung spielt Jünger die verschiedenen Möglich-
keiten durch, die gewalttätige Herrschaft eines „Oberförsters“ zu überstehen und zu überdau-
ern. Aktiver Widerstand allerdings wird als aussichtslos dargestellt.

Lyrik
Auch in der Lyrik gibt es eine starke religiöse Richtung. Die Gedichte konnten nur teilweise
veröffentlicht werden, manchmal wurden sie in illegalen Abschriften verbreitet. Ein interes-
santer Fall ist Gottfried Benn. Er stellte sich zunächst auf die Seite des Regimes und kritisierte
öffentlich jene Schriftsteller, die ins Exil gegangen waren. Bald aber kam er mit dem Regime in
Konflikt, er wurde aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und erhielt Schreib- und
Publikationsverbot. Er verfasste trotzdem weiterhin Gedichte, die er nach dem Krieg in seine
Sammlung „Statische Gedichte“ aufnahm. Der Kunst wird darin der absolute Vorrang gegenü-
ber Krieg und Zeitgeschehen eingeräumt.

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Drama
Hier spielte Gerhart Hauptmann eine nicht unproblematische Rolle. Er verhielt sich nach 1933
durchaus angepasst, ließ sich auch als Herzeigedichter der Nationalsozialisten feiern und griff
in seiner Stoffwahl weit in die Antike zurück:
„Atriden-Tetralogie“ (vier Dramen über das fluchbeladene Geschlecht der Atriden).

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Zusammenfassung:
Literatur im „Dritten Reich“

Die nationalsozialistische Herrschaft brachte eine ungeheure Verengung für die Literatur (wie
auch für alle anderen Künste). Die Hauptaufgabe sollte die Verbreitung der nationalsozialisti-
schen Ideologie sein, neben diesem Ziel wurde nur noch harmlose Unterhaltung in ihrer Funk-
tion als Ablenkung akzeptiert und vor allem während des Krieges auch bewusst gefördert. Im
Sinne dieser Weltanschauung war es, die wahre Natur und Aufgabe des Menschen darin zu
sehen, sich unterzuordnen und sich in die „Volksgemeinschaft“ einzuordnen. Die Literatur soll-
te „das deutsche Volk über die Zusammenhänge von Rasse, Kunst, Wissenschaft, sittliche und
soldatische Werte aufklären“.
Die entscheidende Rolle dabei spielte das „Reichsministerium für Volksaufklärung und Pro-
paganda“. Es entwickelte sich unter der Führung von Joseph Goebbels zur allmächtigen Über-
wachungs- und Zensurbehörde. So wurde aus der Interessenvertretung der Schriftsteller, dem
„Schutzverband deutscher Schriftsteller“, der „Reichsverband deutscher Schriftsteller“, dessen
Mitglieder ein Gelöbnis „treuester Gefolgschaft“ leisten mussten.
Dieser Reichsverband ging schließlich in die Reichsschrifttumskammer auf, die direkt dem
Ministerium von Goebbels unterstellt war. Nur wer Mitglied in dieser Reichsschrifttumskam-
mer war, konnte überhaupt veröffentlichen, und Mitglied konnte nur werden, wer „Arier“ war;
außerdem musste sich jedes Mitglied schriftlich verpflichten, dem Staat zu dienen. Öffentliches
Symbol der Unterdrückung und Verfolgung der Literatur wurden die „Bücherverbrennungen“.
Bereits 1933, also kurz nach der „Machtergreifung“, wurden in mehreren Universitätsstädten
in durchorganisierten Massenkundgebungen Bücher liberaler, sozialistischer und jüdischer Au-
toren öffentlich verbrannt. Teilweise gutgeheißen durch angesehene Gelehrte, vielfach durch-
geführt auch von Studenten. Dem folgten „Säuberungen“ der Bibliotheken, im Buchhandel und
die Verfolgung dieser Autoren, sodass bald mehr als tausend Schriftsteller ins Exil getrieben
waren.
Dieser Verfolgung und Unterdrückung entsprach andererseits die Förderung der so genannten
„Völkischen Literatur“ durch zahlreiche Preise und Förderung sowie Organisation von Le-
sungen. Dabei konnte man auf eine Dichtung zurückgreifen, die schon in den zwanziger Jahren
stark vertreten war, die völkisch-konservative. Sie gewann jetzt absoluten Vorrang.
Die Nationalsozialisten förderten besonders das Theater als Ausdrucksmittel und Instrument
der Propaganda, dadurch wurde es aber auch genauestens überwacht. Es sollte die nationalso-
zialistische Idee darstellen, rassische und militärische Inhalte vermitteln und wurde besonders
im Krieg Instrument der Durchhaltepropaganda und des harmlosen Amüsements. Im Roman
herrschte der Geschichtsroman vor, in dem Verfälschung der Geschichte im Sinne der national-
sozialistischen Weltanschauung betrieben wurde. Auch Weltkriegsromane in bejahender und
verherrlichender Absicht passten in diese Richtung. Im Bauernroman erfolgte eine Idealisie-
rung im Sinne der Formel „Blut und Boden“, im Frauenroman wurde besonders die Mutterrolle
der Frau in den Vordergrund gestellt.
In der Lyrik wurden durchaus traditionelle Formen verwendet, natürlich dominierte auch hier
die Darstellung des nationalsozialistischen Gedankengutes. Ein eigenes Genre waren die „Füh-
rergedichte“. Hier wurde Hitler in verherrlichender Absicht dargestellt.

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Literaturhinweise:
Viktor Zmegac (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur von 18. Jahrhundert bis zur Gegen-
wart. Bd. III/1. 2. Aufl. Beltz Athenäum, Weinheim 1994
Manfred Durzak (Hg.): Die deutsche Exilliteratur 1933–1945. Philipp Reclam jun., Stuttgart
1973 H. Denkler und K. Prühm (Hg.): Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Philipp Reclam
jun., Stuttgart 1976
Joseph Wulf: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Ullstein, Berlin 1983
Rolf Schnell: Literarische Innere Emigration 1933–1945. Metzler, Stuttgart 1976

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DEUTSCHE LITERATUR
DER NACHKRIEGSZEIT
UND DER GEGENWART

Max Frisch:

ARBEITSBLATT

Biedermann und die Brandstifter

(Siehe Zugänge, S. 268)

Fragen zur Figur des „Biedermann“: Skizzieren Sie jene Szenen, in denen Biedermann als
Bürger versagt. Skizzieren Sie jene Szenen, in denen Biedermann als Mensch versagt.
Biedermanns Verhalten zu den Brandstiftern:
Überprüfen Sie, wodurch Biedermann seinen Handlungsspielraum verliert. Hätte er noch später
die Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, oder hatte er nur am Anfang die Chance? Wodurch
engt sich sein Handlungspielraum ein? Was an seinem Verhalten macht ihn eigentlich zu einer
Gefahr für die Demokratie?

Fragen zur Form: Inwiefern entsprechen Form und Inhalt den Forderungen des „Epischen
Theaters“ (siehe Zugänge, S. 260)? Welche Rolle spielt der Chor? Wo und wann tritt er auf?
Suchen Sie jene klassischen Texte, die Frisch in den Chorversen parodistisch verwendet.
Frisch bezeichnet sein Stück als „Lehrstück ohne Lehre“. Versuchen Sie trotzdem, diese Lehre
knapp zu formulieren.

Fragen zu den verschiedenen Fassungen: Arbeiten Sie die wichtigsten Unterschiede von der
„Burleske“ über das Hörspiel, das Theaterstück zum Fernsehspiel heraus. Wie reagiert dabei
Frisch auf die verschiedenen Anforderungen der verschiedenen Medien (Tagebucheintragung,
Radio, Theater, Fernsehen)?

Historischer Vergleich: Informieren Sie sich über die nationalsozialistische Machtergreifung
in Deutschland und die kommunistische Machtergreifung in der Tschechoslowakei. Welche
Nutzanwendung könnte man dabei aus Frischs Lehrstück ohne Lehre ziehen?

Literaturhinweise:
Deutsche Dichter. Bd. 8: Gegenwart. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp
Reclam jun., Stuttgart 1990
Erläuterungen und Dokumente zu Max Frisch „Biedermann und die Brandstifter“. Hg. von
Ingo Springmann. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1975
Materialien zu Max Frisch „Biedermann und die Brandstifter“. Hg. von Walter Schmitz. Suhr-
kamp, Frankfurt am Main, 1979 (= st 503)
Max Frisch. Hg. von Walter Schmitz. Suhrkamp, Frankfurt am Main (= stm 2059)
Alexander Stephan: Max Frisch, H. C. Beck, München 1983

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Carl Merz/Helmut Qualtinger:

ARBEITSBLATT

Der Herr Karl

(Siehe Zugänge, S. 284)

Zur Figur des Herrn Karl:
Wie verhält sich der Herr Karl zu seinen Mitmenschen? Im besonderen zu den Frauen?
Welche Charakterzüge sind bei ihm feststellbar? Sind bei ihm politische Haltungen und Über-
zeugungen zu erkennen? Wie verhält er sich bei den großen politischen Ereignissen seiner
Zeit?
Sein Leben verläuft in einem ständigen Auf und Ab. Sind Zusammenhänge mit den großen po-
litischen Ereignissen erkennbar? Gewinnt der Herr Karl aus den persönlichen Erfahrungen und
den politischen Veränderungen Erkenntnisse? Zieht er Konsequenzen für sein Leben? Wird er
im Verlauf seines Lebens ein anderer?
Bei aller Kritik und Ablehnung wird man dem Herrn Karl eines nicht absprechen können: Seine
erstaunliche Fähigkeit, sich durchs Leben zu schlagen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Arbei-
ten Sie das an einigen Beispielen heraus.

Zur Zeit:
Von welchen politischen Ereignissen ist im Text die Rede? Informieren Sie sich kurz über deren
Bedeutung für die österreichische Geschichte.

Zur Reaktion des Publikums nach der Erstpräsentation:
Wenn es Ihnen möglich ist, versuchen Sie Kritiken und Leserbriefe aus dieser Zeit zu bekom-
men und auszuwerten. Wie könnte man sich die damalige Empörung erklären?

Vergleich mit „Biedermann“:
Auch der Herr Karl wird mit seinen Charakterzügen, aber vor allem mit seinem Verhalten zu
einer Gefahr für die Demokratie. Inwiefern lässt er sich mit dem „Biedermann“ vergleichen?

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Christa Wolf: Kassandra

ARBEITSBLATT

(Siehe Zugänge, S. 318)

Fragen zur Hauptfigur:
Stellen Sie den schmerzhaften Entwicklungsprozess Kassandras genau dar. Vergleichen Sie
Anfangs- und Endpunkt dieser Entwicklung. Welche Personen stehen Kassandra nahe?

Fragen zum Inhalt:
Der Krieg: Durch welche Entwicklungen wird der Krieg herbeigeführt? Wer ist dafür verant-
wortlich? Welche Veränderungen entstehen dadurch am Hof des Priamos?
Die Gegenwelt am Skamandros: Was geschieht dort? Wodurch ist diese Gegenwelt gekenn-
zeichnet? Wie verhalten sich die Menschen dort zueinander?
Die Darstellung der Frauen: Welche Frauenfiguren werden dargestellt? Wie verhalten sie sich?
Wodurch sind sie gekennzeichnet? Untersuchen Sie dabei besonders das Schicksal von Penthe-
silea und Polyxena.
Die Darstellung der Männer: Welche Männerfiguren werden dargestellt? Wie verhalten sie
sich? Wodurch sind sie gekennzeichnet? Untersuchen Sie dabei besonders die Figuren von
Achilles und Aineias.
Die positiven Gegenfiguren Anchises und Arisbe: Wodurch ist ihr Charakter gekennzeichnet?
Wie ist ihr Verhalten? Was an ihrem Verhalten und an ihren Eigenschaften lässt sie positiv er-
scheinen?

Vergleich mit der „Ilias“ des Homer:
Christa Wolf hat gegenüber der Gestaltung des Stoffes durch Homer große Veränderungen vor-
genommen. Arbeiten Sie die wichtigsten heraus. Stellen Sie einen Vergleich an: Wie ist Achil-
les in der „Ilias“ dargestellt? Wie bei Christa Wolf?

Literaturhinweise:
Sonja Hilzinger: Christa Wolf. Metzler, Stuttgart 1986
Alexander Stephan: Christa Wolf. 4. Aufl. H. C. Beck, München 1991
Christa Wolf. Ein Arbeitsbuch. Studien – Dokumente – Bibliographie. Hg. von Angela Dre-
scher, Luchterhand, München 1990

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Friedrich Dürrenmatt:

INFORMATIONSBLATT

Der Besuch der alten Dame

Inhalt: Die Milliardärin Claire Zachanassian besucht nach mehr als vierzig Jahren die
Stadt ihrer Jugend, Güllen. Diese Stadt ist in den letzten Jahren völlig verarmt, alle Be-
triebe mußten schließen, eine große Arbeitslosigkeit herrscht. Unübersehbar sind die Zei-
chen der Armut und der Herabgekommenheit. Die Güllener erhoffen sich vom Besuch der
alten Dame finanzielle Unterstützung. Alfred Ill, ihre Jugendliebe, soll Claire dazu bewe-
gen, indem er alte Gefühle zynisch benützt. Schon beim Empfang, der nicht ohne Pannen
abläuft, stellt Claire bedrohliche Fragen, doch beim Festbankett lässt sie die Katze aus
dem Sack: Sie bietet der Stadt 500 Millionen und noch einmal 500 Millionen, aufzuteilen
auf die Familien der Stadt, für den Tod Ills. Dieser hatte nämlich, obwohl seine Beziehung
zu Claire nicht ohne Folgen blieb, in einen Kramladen eingeheiratet und Claire, als sie eine
Vaterschaftsklage einreichte, mit Hilfe von bestochenen Zeugen, die behaupteten, mit ihr
geschlafen zu haben, als Hure diffamiert. Jetzt will sie Rache, sie nennt es Gerechtigkeit.
Wie ernst es ihr damit ist, zeigt sich daran, dass sie beide falschen Zeugen aufstöbern,
blenden und kastrieren ließ. Die Güllener weisen dieses Geschäft vorerst entrüstet zurück.
Doch bald wird deutlich, wie leicht sie zu korrumpieren sind. Immer mehr Menschen wen-
den sich von Ill ab, weder beim Bürgermeister noch beim Polizisten, noch beim Lehrer
oder dem Pfarrer findet er Unterstützung; letzterer rät ihm schließlich zur Flucht. Doch die
Bürger hindern ihn daran, sodass sich Ill in sein Schicksal ergibt. Sie fällen im Namen der
Gerechtigkeit das Urteil über ihn und vollziehen es in einem Akt von Lynchjustiz. Der Arzt
stellt „Tod durch Herzschlag“ fest. Claire überreicht den Scheck. Am Schluss erstrahlt die
Stadt im neuen Glanz. Ein Chor rechtfertigt ausdrücklich das Verhalten der Güllener.

Friedrich Dürrenmatt nennt sein Stück eine tragische Komödie. Aber tragisch ist nicht im
klassischen Sinne zu verstehen, denn der tragische Held steht vor einer Entscheidung,
die er nicht beeinflussen kann, wie er sich auch entscheidet, es endet mit seinem Unter-
gang. Deshalb hat er auch unser Mitleid. Ill hingegen ist kein tragischer Held, sondern nur
ganz einfach ein mieser Charakter. Er hätte immer anders, im moralischen Sinne besser
handeln können. Er kann kein Mitleid in uns erwecken. Tragisch ist die Komödie nur we-
gen des tödlichen Ausgangs für Ill. Komödie ist daher die wichtigere Bezeichnung.
Dürrenmatt spricht von einer Groteske, er schreibt dazu: „Die Groteske ist eine äußerste
Stilisierung, ein plötzliches Bildhaftmachen und gerade darum fähig, Zeitfragen, mehr
noch die Gegenwart aufzunehmen, ohne Tendenz oder Reportage zu sein.“ Dürrenmatt
geht dabei von einer Geschichte aus, die zu Ende gedacht werden muss. „Eine Geschich-
te ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.“
Zu Ende gedacht werden hier die Handlungs- und Verhaltensweisen der Wohlstandsge-
sellschaft der fünfziger Jahre. Das führt Dürrenmatt konsequent an der Korrumpierbarkeit
der Güllener vor.
Zunächst wird mit großem Pathos unter Verweis auf die „abendländischen Werte“ das
Angebot Claires abgelehnt. Aber bald machen die Güllener Schulden (auf das zukünftige
Blutgeld), sie kaufen ein, kleiden sich neu ein – alle tragen auf einmal neue gelbe Schuhe
–, überall macht sich ein geborgter Wohlstand breit, niemand wird davon nicht ergriffen,
schließlich erreicht die Korrumpierbarkeit selbst Ills Familie. Seine Frau schafft sich einen

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Pelzmantel an, der Sohn ein Auto, die Tochter nimmt Tennisstunden. Ein letzter Vorschlag
des Lehrers, Claire solle mit viel weniger Geld helfen, die brachliegenden Fabriken zu
sanieren, scheitert daran, dass diese schon längst alle ihr gehören – eigentlich die gan-
ze Stadt. Die Güllener sind völlig in ihrer Hand. Damit ist das Schicksal Ills besiegelt. In
grotesker Umkehr rechtfertigen sie seine Verurteilung mit eben jenen abendländischen
Werten.
So wie Max Frisch in „Biedermann und die Brandstifter“ setzt auch Dürrenmatt parodis-
tisch einen Chor ein. Er bezieht sich dabei auf die „Antigone“ des Sophokles. Sind hier
die Chorsprecher aber die Weisen, Alten, die Hüter des Gesetzes, die die Größe des Men-
schen feiern und klar Recht von Unrecht unterscheiden, sind es bei Dürrenmatt die „her-
untergekommenen“ Güllener, die das Ungeheure der Welt besingen, die den Menschen
den Naturkatastrophen, dem Krieg und der Armut überliefert.
Deutlich unterscheidet sich Dürrenmatt von Bertolt Brecht. Geht dieser davon aus, dass
die Welt erklärbar und veränderbar sei, und fordert damit den Zuschauer zu deren Verän-
derung auf, so sieht Dürrenmatt die Welt als unüberschaubar und daher auch nicht beein-
flussbar. Was bleibt, ist: „Die Dramatik kann den Zuschauer überlisten, sich der Wirklich-
keit auszusetzen, aber nicht zwingen, ihr standzuhalten oder sie gar zu bewältigen.“

Literaturhinweis:
Erläuterungen und Dokumente zu Friedrich Dürrenmatt „Der Besuch der alten Dame“. Hg.
von Karl Schmidt. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1979

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Friedrich Schiller: Wilhelm Tell

INFORMATIONSBLATT

Max Frisch: Wilhelm Tell für die Schule

Inhalt von Schillers „Wilhelm Tell“: Die freien Bewohner der Schweizer Waldstätten
Schwyz, Uri und Unterwalden werden von den habsburgischen Vögten in ihren Rechten
beschnitten und grausamer Willkürherrschaft unterworfen. Sie beschließen daher unter
maßgeblicher Führung des Bauern Stauffacher einen Bund, den sie auf dem Rütli feierlich
beschwören („Rütlischwur“). Sie wollen ihre Rechte notfalls auch mit Gewalt erkämpfen.
Wilhelm Tell nimmt am Schwur nicht teil, will aber zur Verfügung stehen, wenn man ihn
braucht. Tell gerät in Konflikt mit den Landvogt Geßler, als er einem Hut nicht die Reverenz
erweist, den dieser aufgestellt hat, um die Schweizer, indem sie ihn grüßen, sinnbildhaft „
in die Knie zu zwingen“. Geßler zwingt daraufhin Tell, mit einer Armbrust einen Apfel vom
Kopf des eigenen Sohnes zu schießen. Der Schuss des verzweifelten Vaters gelingt, doch
Tell lässt Geßler wissen, dass ein zweiter Pfeil ihn niedergestreckt hätte, hätte er sein Kind
getötet. So wird er gefangen genommen und fortgeführt. Tell kann sich befreien, und weil
er sich und seine Familie aufs äußerste gefährdet sieht, tötet er den Tyrannen; durch die
Gründe scheint ihm die Tat sittlich gerechtfertigt. Mit dem Tyrannenmord gibt er aber auch
das Signal zum Aufstand der Schweizer, der fast ohne Blutvergießen rasch erfolgreich ist.
Tell wird von den Aufständischen als großer Held gefeiert. Noch einmal verteidigt er seine
Tat als gerecht, diesmal vor Johannes Parricida, der seinen eigenen Oheim aus niedrigen
Motiven ermordet hat.

Schiller hat mit diesem Schauspiel der Schweiz einen Nationalhelden geschaffen. Zwei
große Themen stehen im Vordergrund:
Wann und unter welchen Bedingungen ist ein Volksaufstand gerecht? Schiller, der sich
ja enttäuscht von der Französischen Revolution abgewendet hat, nennt folgende Bedin-
gungen: Nicht Neues soll geschaffen werden, sondern die Wiederherstellung der alten
Rechte, des alten Zustandes ist das Ziel. Dazu müssen alle Mittel versucht und ausge-
schöpft werden, nur die Verletzung der unveräußerlichen Naturrechte des Menschen er-
laubt Widerstand, der Aufstand muss möglichst unblutig verlaufen.
Wann ist der Tyrannenmord gerecht? Schiller zieht auch hier enge Grenzen. So hätte Tell
schon früher Gelegenheit gehabt, den grausamen Vogt zu töten, aber keinen wirklichen
Anlaß. Erst wenn er und seine Familie aufs höchste in ihrer Existenz bedroht sind, darf der
einzelne zur Gewalt greifen. Wie wichtig Schiller diese Begründung ist, lässt sich allein
daraus erkennen, dass er Tell in einem großen Monolog vor dem Schuss auf Geßler noch
einmal alle seine Gründe zusammenfassen und am Ende des Stückes noch einmal den
Unterschied zur Tat des Parricida erklären lässt.

Max Frisch verfolgt mit seiner Erzählung ein ganz anderes Ziel. Er möchte die Schwei-
zer Nationallegende in Frage stellen, weil weder der Rütlischwur noch die Tell-Figur
historisch beweisbar sind. Er muss sich daher notgedrungen mit Schillers Schauspiel
auseinandersetzen, den er den „Begründer eines nationalen Selbstmissverständnisses“
nennt. Er schreibt einen Gegentext, in dem er zeigt, „dass es auch anders hätte sein
können“. Wichtigste Kennzeichen seiner Erzählung sind: Er entdramatisiert die Handlung,
es herrscht eher Langeweile als dramatische Zuspitzung, und er ironisiert die Personen

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und das Geschehen, während bei Schiller feierliches Pathos vorherrscht. Dazu musste
Frisch auch gravierende Veränderungen vornehmen: Die ganze Erzählung ist auf Geßler
zugeschnitten, er ist die Hauptperson, manche Szenen fehlen überhaupt, das Ganze wird
von einem allwissenden Erzähler berichtet. Geßler und Tell wechseln auch die Rollen:
Aus dem unmenschlichen Geßler bei Schiller wird ein menschlicher, aus dem mensch-
lichen Tell wird ein unmenschlicher Mörder aus dem Hinterhalt. Aus der gerechten Tat
(Geßlermord) mit Signalwirkung ein sinnloser Mord ohne Konsequenz für die Schweizer.
Die Schweizer selbst – bei Schiller offen und freiheitsliebend – werden zu menschen-
scheuen, fremdenscheuen „Hinterwäldlern“.

Im klassischen Drama handeln die Menschen souverän, selbstbestimmt, bei Frisch wer-
den sie durch ihre Umgebung gedrängt und beeinflusst, der Zufall und Missverständnisse
spielen eine entscheidende Rolle. Der Höhepunkt bei Schiller, der Apfelschuss, findet bei
Frisch gar nicht statt, weil Geßler dem schießwütigen Tell ganz einfach den Pfeil weg-
nimmt. Um seine Erzählung historisch wahrscheinlich erscheinen zu lassen, unterbricht
Frisch den Erzählfluss durch eine Reihe von Fußnoten mit dokumentarischem Material.

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Friedrich de la Motte Fouqué:

INFORMATIONSBLATT

Undine

Ingeborg Bachmann: Undine geht

Inhalt von Fouqués „Undine“: Der Ritter Huldbrand von Ringstetten hat bei einem Tur-
nier Bertalda, die Ziehtochter eines mächtigen Herzogs, kennengelernt, die ihn zu einem
Wagestück auffordert: Er soll einen berüchtigten Wald durchqueren. Dabei wird er aber
durch geheimnisvolle Mächte auf einen bestimmten Weg gedrängt, der ihn auf eine Land-
zunge zur Hütte eines alten Fischerehepaares führt. Dort lernt er deren Pflegetochter
Undine kennen, deren Geliebter er bald wird. Durch die Hochzeit erhält Undine, die ei-
gentlich von Wassergeistern abstammt, eine Seele.Wassergeister vergehen sonst spurlos
mit Geist und Leib, wenn sie sterben, deshalb wollte ihr Vater, ein mächtiger Wasserfürst,
dass sie in den Besitz einer Seele gelange; dies konnte aber nur durch die innigste Liebe
eines Menschen geschehen. Als Undine dem Ritter all das erzählt, fühlt er ein seltsames
Schaudern, bleibt aber in seiner Liebe unbeirrt. Später zieht das junge Paar in die Stadt;
in geheimnisvoller Nähe ist immer der Wasserfürst Kühleborn, ein Oheim Undines. In der
Stadt schließen Undine und Bertalda enge Freundschaft. Undine meint diese noch zu
stärken, als sie bei der Namenstagsfeier Bertaldas deren wahre Abkunft verrät: Sie ist
eigentlich die Tochter der alten Fischersleute. Doch die stolze Ziehtochter des Herzogs
ist empört über diese „Degradierung“ und beschimpft sie wütend. Undine und Huldbrand
wollen am nächsten Tag die Stadt verlassen und treffen dabei auf Bertalda, die wegen
ihres hartherzigen Stolzes sowohl von ihren Zieheltern als auch von ihren wahren Eltern
verstoßen worden ist. Mitleidig nehmen sie sie mit auf Huldbrands Burg. Hier wendet sich
Huldbrand immer mehr von Undine ab und Bertalda zu, immer liebloser behandelt er Un-
dine, was ihren Oheim Kühleborn zur Rache treibt, aber Undine kann beide gerade noch
retten. Dadurch gewinnt sie die Liebe Huldbrands zurück.
Aber bei einer Reise auf der Donau nach Wien kommt es zur Katastrophe.Wassergeister
treiben ihr Spiel um das Boot. Huldbrands Ärger wächst, und als offenbar Kühleborn aus
Bertaldas Hand ein Goldhalsband entreißt und Undine ihre magischen Kräfte zeigt, indem
sie Bertalda mit einem wunderschönen Korallenhalsband tröstet, das sie aus den Fluten
zieht, verstößt er sie, weil sie noch immer Verbindung zu diesen Mächten hat. Darauf
muss Undine gehen, nicht ohne ihn aufzufordern, ihr treu zu bleiben. Immer näher kommt
ihm nun Bertalda, sodass er sie schließlich heiratet, obwohl ein Traum ihn davor warnt.
Doch in der Nacht kommt Undine und tötet ihn mit einem Kusse, „bis ihm der Atem ent-
ging“. Auch bei seinem Begräbnis taucht sie wieder auf, wo sie sich schließlich in eine
Quelle verwandelt, die sein Grab umschlingt.

Faszinierend an dieser Erzählung ist vor allem das Frauenbild: Undine erscheint zunächst
als temperamentvoll, selbstbewusst, spontan und respektlos. Sie ignoriert gesellschaft-
liche Konventionen, widersetzt sich dem herrschenden Rollenbild der Frau, Huldbrand
sieht sie nicht als Ritter und Standesperson, sondern als „du schöner Freund“. Durch die
Heirat wird sie „gar sittig und still“, „schamhaft“, „engelmild und sanft“, ein bescheidenes,
unterwürfiges „Weibchen“, das gesellschaftliche Konventionen und Rollen akzeptiert und
sich dem Manne unterordnet. Jetzt redet sie ihn mit „mein Herr“ an. Zum Schluss wird

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sie zum mörderisch-zärtlichen Todesengel, aber auch zur Quelle, die sich um das Grab
schlingt.
Undines Selbstbewusstsein, ihre Respektlosigkeit ist ihr sozusagen nur als Naturwesen
gestattet, durch die Hochzeit wird sie „domestiziert“, sie wird nicht nur durch die Lie-
be beseelt, sondern muss sich eigentlich auch unterwerfen. Eine freie, gleichberechtigte
Beziehung der Geschlechter findet nur kurz in dem von der übrigen Gesellschaft abge-
trennten Raum auf der Halbinsel bei den Fischersleuten statt.
Undine scheint somit typisch männliche Wünsche widerzuspiegeln. Einerseits demütig-
züchtige Hausfrau, andererseits erotisch anziehende Nixe, Sirene.

Ingeborg Bachmann nimmt in ihrer Erzählung „Undine geht“ darauf Bezug. Schon sehr
früh, 1961, als es noch kein geschärftes Bewusstsein für Frauenfragen gab, der Femi-
nismus in den Anfängen war, von der Frauenbewegung noch keine Rede sein konnte,
stellte sie in äußerster Schärfe und Radikalität die Situation der Frau dar. Sie bedient sich
dabei der mythischen Figur der Undine als Sprecherin. Und es wird nicht erzählt, Undine
klagt die Menschen und die Männer, verkörpert in einem Mann namens Hans, in radikaler
Verallgemeinerung an. Sie klagt die Männer und deren Frauen an, gefangen in ihren ty-
pischen Rollen, sie klagt die Männer an, die doch dem Ruf Undines folgen, und sie klagt
deren immerwährenden Verrat an.
Liebe wird nur möglich, wenn man sich diesen Rollenzwängen widersetzt, nicht vonein-
ander Gebrauch macht. „Weil ich zu keinem Gebrauch bestimmt bin und Ihr Euch nicht
zu einem Gebrauch bestimmt wusstet, war alles gut zwischen uns. Wir liebten einander.“
Aber dieser kurzen Aufhebung der Entfremdung folgt immer der Verrat.
Dieser Text bezieht seine Spannung aus dem Gegensatz von Anklage, aber auch Trau-
er, man hat von einer Schmäh- und Trauerrede gesprochen, und auch aus einem tra-
gischen Gegensatz: Undine ist gleichzeitig zur Liebe verurteilt und zum Männerhass. Sie
ist sich und dem anderen Geschlecht verfallen. Der Text beginnt mit der Schmähung „Ihr
Menschen! Ihr Ungeheuer!“ und endet mit dem sehnsüchtigen Ruf „Komm. Nur einmal.
Komm.“

Ingeborg Bachmann hat mit dieser Erzählung ein Thema dargestellt, das zum Hauptthe-
ma ihres großen Romans „Malina“ (siehe Zugänge, S. 308) geworden ist.

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Zusammenfassung:
Die deutsche Literatur nach 

Die Hoffnung mancher auf einen radikalen Neuanfang nach 1945 blieb unerfüllt. Die Vorstel-
lung von einem „Nullpunkt“ oder „Kahlschlag“ entsprach mehr einem Wunschdenken als der
Realität.
Schon die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland im Zeichen des Kalten Krieges, mit
der Leitfigur Konrad Adenauer, der noch den bürgerlich-konservativen Traditionen der Kai-
serzeit und der Weimarer Republik verhaftet war, machte deutlich, dass nicht ein radikaler
neuer Anfang, sondern Restauration und Restitution die politische Richtung bestimmten. Das
in den fünfziger Jahren einsetzende Wirtschaftswachstum, das so genannte Wirtschaftswun-
der, bestärkte viele Menschen noch in einer politischen Selbstzufriedenheit, die jede ernsthafte
Auseinandersetzung mit Vergangenheit und eigener Schuld verhinderte. Behaglich richtete man
sich in einer „biedermeierlichen“ Welt ein, die sich vor allem auf konservativ-bürgerliche Wert-
vorstellungen der Weimarer Republik berief.
Ähnliches gilt auch für die Literatur. Nach einer kurzen Phase der Auseinandersetzung mit der
Rolle von Schriftstellern im NS-Regime und mit dem Missbrauch der Sprache, des Aufbaus
einer neuen, modernen, nonkonformen Literatur, setzten sich auch im geistigen Leben die res-
taurativen Tendenzen durch. Für den Neuanfang steht die Literatur des „Kahlschlags“: Wolf-
dietrich Schnurre
(1920–1989), Hans Werner Richter (1908-1993) und Wolfgang Borchert (1921–1947). Ausein-
andersetzungen gab es auch um die Aufnahme der Exilautoren, besonders von Thomas Mann.
Sein Roman „Doktor Faustus“ löste heftige Diskussionen aus. Darin verwob Mann vier große
Geschichten: Einen Künstlerroman, einen Faustroman, einen Gesellschaftsroman und einen
Deutschlandroman. Vor allem die Gleichsetzung Deutschlands mit dem Künstler, der einen
Pakt mit dem Teufel geschlossen hat und von diesem geholt wird, so wie Deutschland von
Adolf Hitler, sorgte für Aufregung.
Gegen die restaurativen Tendenzen setzte sich auch die Gruppe 47 zur Wehr. Sie war eine
Gründung von Hans Werner Richter im Jahre 1947, eine Vereinigung von AutorInnen, Kriti-
kerInnen, LektorInnen und VerlegerInnen, die einmal im Jahr zusammentrafen und Texte von
eingeladenen AutorInnen diskutierten und kritisierten. Sie war bis zu ihrer Auflösung 1967 die
meinungsbildende Institution auf literarischem Gebiet.

Lyrik
Beispielhaft für den Rückgriff auf Traditionen der Weimarer Republik ist vor allem Gottfried
Benn. Er hatte sich zunächst auf die Seite des Nationalsozialismus gestellt, sich später aber
distanziert und war mit einem Schreibverbot belegt worden. Seine Konsequenz aus diesem Er-
eignis bestand nach 1945 darin, jedes politische Engagement abzulehnen, alles nur mehr dem
schöpferischen Akt unterzuordnen. Damit wurde er bald zum repräsentativen Autor, vor allem
durch seinen Gedichtband „Statische Gedichte“.
In der Tradition der naturmagischen Lyrik (siehe Zusammenfassung „Literatur der Neuen Sach-
lichkeit“, S. 91) standen und ihre Fortführung betrieben Günter Eich und Peter Huchel.
Vom Dadaismus und verwandten Strömungen beeinflusst war die „Konkrete Poesie“, eine
sprachspielerische Richtung der Dichtung, die mit dem „konkreten Material“ der Sprache, mit

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den Lauten, den Buchstaben und deren auch visueller Anordnung spielte. Die wichtigsten Ver-
treter waren Helmut Heißenbüttel, Eugen Gomringer und Franz Mon.
Gegen eine unpolitische Literatur wandte sich in sechziger Jahren immer deutlicher eine po-
litisch engagierte, kritische Lyrik, deren wichtigster Vertreter Hans Magnus Enzensberger mit
den Gedichtbänden „Verteidigung der Wölfe“ und „Blindenschrift“ war.

Drama
Große Bedeutung für das Theater der fünfziger und sechziger Jahre hatten die Schweizer Auto-
ren Frisch und Dürrenmatt.
Max Frisch (1911–1991): „Biedermann und die Brandstifter“ (siehe Zugänge, S. 268 ff.),
„Andorra“.
Friedrich Dürrenmatt (1921–1990): „Der Besuch der alten Dame“, „Physiker“.
Eine neue Form des Theaters eröffnete Rolf Hochhuth (geb. 1931), nämlich das dokumenta-
rische Theater. Es war dies der Versuch, Geschichte möglichst getreu, nach den Dokumenten,
auf der Bühne aufzuarbeiten. Das Schauspiel „Der Stellvertreter“ behandelt die Frage der Mit-
wisserschaft und damit der Mitschuld von Papst Pius XIII. an der Judenvernichtung.
Heiner Kipphardt (1922–1982): „In der Sache J. Robert Oppenheimer“.
Peter Weiss (1916–1982): „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats“ und „Die Ermitt-
lung“, eine Dramatisierung des Frankfurter Auschwitzprozesses.
In der Tradition des Volksstückes der zwanziger Jahre, etwa der Werke Ödön von Horváths,
entstanden in den sechziger Jahren kritische Volksstücke:
Martin Sperr (geb. 1944): „Jagdszenen aus Niederbayern“.
Franz Xaver Kroetz (geb. 1946): „Stallerhof“, „Geisterbahn“, „Oberösterreich“, „Maria
Magdalena“.

Epik
Viele Romane dieser Zeit setzten sich kritisch mit der Wirklichkeit der Bundesrepublik ausein-
ander.
Gerd Gaiser (1908–1976) kritisierte in seinem Roman „Schlussball“ eine neureiche Wohl-
standsgesellschaft. Auch Wolfgang Koeppen (1906-1996) unterzog die Bundesrepublik einer
scharfen Kritik: „Tauben im Gras“, „Das Treibhaus“, Tod in Rom“.
Heinrich Böll (1917–1985, siehe Zugänge, S. 272) wurde in seinen Romanen und Kurzge-
schichten zunehmend zu einem gesellschaftskritischen Autor: „Haus ohne Hüter“, „Billard um
halbzehn“, Ansichten eines Clowns“, „Gruppenbild mit Dame“.
Neben Böll der wichtigste Autor dieser Zeit war Günter Grass (geb. 1927): „Die Blechtrom-
mel“ (siehe Zugänge, S. 274 ff.).
Martin Walser (geb. 1927) liefert in seinen Romanen eine genaue Beschreibung und Analyse
der Bundesrepublik, die er dadurch gewinnt, dass er als Hauptfigur einen Handlungsreisen-
den durch Deutschland reisen lässt, der dabei die verschiedenen sozialen Milieus kennenlernt.
„Halbzeit“, „Das Einhorn“, „Der Sturz“.
Uwe Johnson (1934–1984): „Mutmaßungen über Jakob, „Jahrestage. Aus dem Leben der Ge-
sine Cresspahl“.
Siegfried Lenz (geb. 1926): Er schreibt Romane und Kurzgeschichten, letztere in der Nachfolge
Hemingways. Besonders erfolgreich war sein Roman „Deutschstunde“.
Der Schweizer Max Frisch behandelte in seinem Roman „Stiller“ das Problem der Identität. Ein
Bildhauer, unzufrieden mit seiner Existenz, versucht sich in einem anderen Land unter einem

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anderen Namen eine neue Identität aufzubauen. Nach einigen Jahren kehrt er in die Schweiz
zurück und wird vom Staat und der Bürokratie in seine alte Identität zurückgezwungen. In dem
Roman „Homo faber“ ist die Konstellation umgekehrt, ein Mensch gibt durch erschütternde
Ereignisse in seinem Leben seine bisherige Identität Zug um Zug auf. Dieses Thema wird in
dem Roman „Mein Name sei Gantenbein“ noch einmal durchgespielt.

In fast allen diesen Romanen wurden Menschen aus bürgerlichem oder kleinbürgerlichem Mi-
lieu beschrieben. Erst spät begann man sich auch mit den Arbeitern und ihrer Arbeitswelt zu
beschäftigen.Eine wichtige Aufgabe übernahm dabei die „Gruppe 61“, die sich mit der Arbeits-
welt literarisch auseinandersetzte.
Zu den wichtigsten Vertretern gehört Max von der Grün (geb. 1926) mit den Romanen „Irrlicht
und Feuer“ und „Stellenweise Glatteis“. Günter Wallraff (geb. 1942) wollte nicht bei der litera-
rischen Auseinandersetzung stehenbleiben, sondern sie mit politischer Arbeit verbinden. Dafür
schien ihm die Reportage und die Dokumentation besser geeignet, deren Stoff er durch eigene,
direkte Erfahrung am Arbeitsplatz gewann, oft auch unter angenommenen Namen und falschen
Angaben zur Person: „Wir brauchen Dich. Als Arbeiter in deutschen Industriebetrieben“,
„13 unerwünschte Reportagen“. Damit erregte er großes Aufsehen und löste heftige Diskussi-
onen aus.

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Zusammenfassung:
Die deutsche Literatur seit Ende der sechziger Jahre

Die studentische Protestbewegung in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre sah die Kunst,
im besonderen die Literatur, auch in ihrer oppositionellen Form als letztlich bürgerlich an, die
nicht imstande sei, die bestehenden Verhältnisse zu ändern. Darauf reagierten Schriftsteller
wie Hans Magnus Enzensberger, Günter Walraff und Alexander Kluge damit, dass sie andere
Ausdrucksformen für ihre Inhalte suchten: Agitproplyrik (Lyrik im Dienste von Agitation und
Propaganda), Straßentheater, Dokumentarliteratur und Protokolle. Manche, wie Enzensberger,
Walter Boehlich und Karl Markus Michel sprachen sogar vom „Tod“ der Literatur, gemeint
war, dass sie keine gesellschaftliche Funktion mehr besitze. Für kurze Zeit kehrten manche
Autoren daher dem Schreiben überhaupt den Rücken, um sich direkter politischer Praxis zuzu-
wenden. Andere Autoren blieben bei ihrem politisch engagierten Schreiben, wie etwa Heinrich
Böll mit dem Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, der die Verfolgungshysterie
der staatlichen Organe einerseits und die Manipulation der Massenpresse andererseits kritisch
aufs Korn nahm.
Den emanzipatorisch-aufklärerischen Anspruch der Studentenbewegung entwickelte eine neue
Frauenliteratur weiter: Subjektivität, Sensibilität und Spontaneität wurden die prägenden Leit-
begriffe. Karin Struck und Verena Stefan (siehe Zugänge, S. 64) schufen erste Werke für diese
Richtung.
Auf die Politisierung der sechziger Jahre begannen in den siebziger Jahren immer mehr jünge-
re Autoren mit einer Hinwendung zu Subjektivität, zu Innerlichkeit, vermehrtem Interesse an
Lebensläufen und Autobiographien, zu Fiktion und zu Mythos und Religion zu antworten.
Für letzteres sind zum Beispiel „Momo“ und „Die unendliche Geschichte“ typisch, die so er-
folgreichen Romane von Michael Ende (geb. 1929). Radikale Subjektivität, verknüpft mit einer
schonungslosen Darstellung der Gesellschaft bietet das Buch „Mars“ von Fritz Zorn (Pseudo-
nym für einen Zürcher Millionärssohn, der 1976 im Alter von 32 Jahren an Krebs starb).
Eine aufklärungskritische, konservative Wende vertritt Botho Strauß (geb. 1944).
Brachte im Bereich der Lyrik die Studentenbewegung eine starke Wendung zur politischen Ly-
rik, so ging man in den siebziger und achtziger Jahren unter den Schlagwörtern „Neue Subjek-
tivität“ und „Neue Innerlichkeit“ verstärkt zu subjektiver Darstellung des Alltags, der persön-
lichen Erfahrung und auf Selbsterlebtes zurück. Dazu gehörte ein Verzicht auf „Künstlichkeit“
und „Artistik“, auf Metaphern. Die Alltagssprache, das Sprechen wie im Alltag, eine „Entschla-
ckung“ der Lyrik wurden wichtig.
Im Theater wurden die Tradition des Volksstückes und auch das Dokumentarische Theater fort-
gesetzt. Für letztere Richtung ist vor allem Tankred Dorst (geb. 1925) zu nennen: „Eiszeit“,
„Goncourt oder die Abschaffung des Todes“.
Mit seinen Stücken, die die private Erfahrung von Nöten und Ängsten und die Abwendung vom
Politischen darstellen, war Botho Strauß in den siebziger und achtziger Jahren erfolgreich.

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SchulbuchPlus: ZUGÄNGE. © öbvhpt, Wien 2007

Zusammenfassung:
Die Literatur der DDR

Die Literatur war geprägt von der Aufgabe, dem Aufbau des Sozialismus zu dienen. Sie sollte
dabei die Wirklichkeit realistisch abbilden und deren Veränderung im oben genannten Sinn
zum Ziel haben (Sozialistischer Realismus). Dazu förderte der Staat die antifaschistische, links-
bürgerliche und kommunistische Literatur der vergangenen Jahrzehnte und verhinderte durch
Publikationsbeschränkungen, durch Lenkung der Verlage und Zensur das Entstehen einer ihm
nicht genehmen Literatur. Erst in den sechziger Jahren begann sich mit Christa Wolfs (geb.
1928) Roman „Nachdenken über Christa T.“ eine Wende abzuzeichnen. Ulrich Plenzdorfs Ro-
man „Die neuen Leiden des jungen W.“ (siehe Zugänge, S. 46) und Christa Wolfs Romane
„Kein Ort. Nirgends“, „Kindheitsmuster“ und vor allem „Kassandra“ (siehe Zugänge, S. 318)
setzten diese Befreiung aus starrer Vorgabe fort.
Andererseits führte die Beibehaltung der Zensur immer mehr zu kritischen Positionen. Wolf
Biermann (geb. 1936) kritisierte mit seinen politischen Liedern immer unverhüllter Staat und
Verhältnisse, was 1976 zu seiner Ausbürgerung führte. In den Jahren danach folgten ihm viele
wichtige Autoren, gezwungen oder freiwillig, nach, sodass man von einer neuerlichen Exillite-
ratur sprechen konnte.
Die Lyrik der DDR hielt sich an traditionelle Formen und Sprache. Vorbilder waren Friedrich
Klopstock, Bertolt Brecht. Die wichtigsten Vertreter sind Johannes Bobrowski (1917-1965),
Sarah Kirsch (geb. 1935) und Günter Kunert (geb. 1929)

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Zusammenfassung:
Österreichische Literatur von 
bis zur Gegenwart

Österreich verdankte seine Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft nicht einer
gemeinsamen Erhebung der Bevölkerung, sondern den alliierten Armeen. Die darauffolgende
Besatzungszeit wurde daher auch nicht zu einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit der Ver-
gangenheit und der Rolle Österreichs und der Österreicher im nationalsozialistischen Herr-
schaftssystem genützt, sondern man richtete es sich bequem mit der Lüge ein, Österreich sei das
erste Opfer gewesen. Dies wurde noch verstärkt durch die offizielle Politik der Regierungen.
Bis weit in die sechziger Jahre bildeten die große Koalition, der Proporz (eine Art Aufteilung
aller einflussreichen Posten und Ämter unter den beiden großen Parteien ÖVP und SPÖ) und
die dementsprechende Parteibuchwirtschaft (Besetzung wichtiger Posten und Ämter vorrangig
nach Parteizugehörigkeit) die Grundlage des politischen Systems. Auf kultureller Ebene ent-
sprach dem die bewusste Betonung eines Österreichbewusstseins, das einerseits seine Begrün-
dung in einem Rückgriff auch auf weit zurückliegende Epochen der österreichischen Geschich-
te suchte und andererseits Institutionen wie die Wiener Philharmoniker, die Sängerknaben, die
Salzburger Festspiele zu diesem Zweck benutzte.
Eng damit verbunden war eine konservative Wende, die es allen modernen Ansätzen in Kunst
und Literatur äußerst erschwerte, sich bemerkbar zu machen. Diese konservative Grundein-
stellung der fünfziger und frühen sechziger Jahre war so etwas wie ein Spiegelbild der konser-
vativen und bewahrenden Politik, deren kennzeichnender Ausdruck auf politischer und wirt-
schaftlicher Ebene die Sozialpartnerschaft war. Sie bestimmte mit ihrer Konsenspolitik auch in
der Phase der Alleinregierungen von 1966 bis 1983 im Hintergrund maßgeblich mit. Die sich
verschärfenden wirtschaftlichen Probleme der späten achtziger und neunziger Jahre führten
wieder zur großen Koalition zwischen SPÖ und ÖVP. Die steigende Arbeitslosigkeit und die
sich verschärfenden Verteilungskämpfe begannen auch das bisher so reibungslos funktionieren-
de System der Sozialpartnerschaft in Frage zu stellen.
Die Voraussetzungen für eine moderne Literatur waren in Österreich nach 1945 äußerst un-
günstig. So verhinderte die konservative Grundströmung fast jeden Ansatz in dieser Richtung,
die offizielle Kulturpolitik stellte und stellt nur relativ geringe Mittel zur Verfügung, mit denen
außerdem lange Zeit nur konservative Autoren gefördert wurden. Avantgardistische Strömungen
und alles, was als politisch links verdächtigt wurde, wurde abgelehnt. So konnten Friedrich
Torberg und Hans Weigel bis 1963 fast lückenlos verhindern, dass Bertolt Brecht in Österreich
aufgeführt wurde. Außerdem war und ist die Zahl der Leser in Österreich relativ gering, daher
auch die Einnahmesituation der österreichischen Schriftsteller bis auf wenige Ausnahmen sehr
schlecht. Da es auch für den kleinen literarischen Markt nur wenige Verlage für Gegenwartsli-
teratur gab und gibt, waren und sind viele Autoren gezwungen, bei bundesdeutschen Verlagen
zu verlegen, die höhere Auflagen bieten können.
Eine gewisse Publikationsmöglichkeit boten Zeitschriften. Gleich nach dem Krieg wurde Otto
Basils „Plan“ wichtigstes Organ einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Eine wesent-
liche Rolle für die avantgardistische Literatur spielte die Zeitschrift des Theaters der Jugend
„Neue Wege“. Ab den sechziger Jahren gewannen die Zeitschriften „manuskripte“, herausge-

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geben von Alfred Kolleritsch, und „Wespennest“, begründet von Peter Henisch und Helmut
Zenker, immer mehr an Bedeutung.
Der Gegensatz zwischen konservativen und avantgardistischen Kräften wurde besonders deut-
lich im österreichischen PEN-Club. Enttäuscht von der konservativen Vorherrschaft darin
– dessen Präsident Alexander Lernet-Holenia war aus Protest zurückgetreten, weil Heinrich
Böll 1972 den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte – gründeten Autoren wie Ernst Jandl die
„Grazer Autorenversammlung“, der die Autoren der avantgardistischen Gegenwartsliteratur
praktisch geschlossen beitraten.

Lyrik
Gegen die Sprachverluderung der NS-Zeit versuchte man sich in der Lyrik zunächst der eige-
nen österreichischen Tradition zu vergewissern: Rainer Maria Rilke und Georg Trakl wurden
die großen Vorbilder. Christine Lavant (1915–1973), Christine Busta (1915–1987), Paul Celan
(siehe Zugänge, S. 266) und Ingeborg Bachmann (siehe Zugänge, S. 48) sind hier zu nennen.
Von den Exilautoren, die nach dem Krieg noch weiterwirkten, ist wohl der bedeutendste The-
odor Kramer (1897–1958). Erich Fried (1921–1988, siehe auch Zugänge, S. 307) versuchte
zunächst mit seiner Technik des „ernsthaften Wortspiels“ in seinen „Warngedichten“ eher all-
gemein vor negativen Entwicklungen zu warnen, begann aber unter dem Eindruck der Protest-
bewegung in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre sich radikal zu engagieren. Seine Gedichte
wendeten sich etwa gegen den Vietnamkrieg.
Eine besondere Entwicklung auf dem Gebiet der Lyrik zeigen viele Texte der „Wiener Gruppe“
(siehe Zugänge, S. 282).
Eine gewisse Berührung mit der Wiener Gruppe hatte auch Ernst Jandl (1925–2000), der er-
folgreichste experimentelle Lyriker. In seinen Gedichten experimentierte er mit Sprache,
sprachlichen Verfahrensweisen und zerstörte die Normen des Sprachgebrauchs. Jandl und seine
langjährige Lebensgefährtin Elfriede Mayröcker (geb. 1924) prägten entscheidend das Bild der
österreichischen experimentellen Literatur der Gegenwart.

Epik
Auf dem Gebiet des Erzählens waren Franz Kafka, Robert Musil und Hermann Broch die groß-
en Vorbilder. Bis in die sechziger Jahre war Heimito von Doderer (1896–1966) die dominieren-
de Figur, vor allem durch seine Romane „Die Strudlhofstiege“ und „Die Dämonen“, die sich
mit Österreich vor und nach dem Ersten Weltkrieg beschäftigten.
Ilse Aichingers (geb. 1921) Roman „Die größere Hoffnung“ setzt sich kritisch mit Faschismus
und Weltkrieg auseinander (vergleiche auch Zugänge, S. 278).
Von den jüngeren Autoren, die vor allem die siebziger, achtziger und neunziger Jahre bestimm-
ten, sind zu nennen:
Peter Handke (geb. 1942): „Wunschloses Unglück“ (siehe Zugänge, S. 316), „Die Angst des
Tormannes beim Elfmeter“, „Der kurze Brief zum langen Abschied“, „Mein Jahr in der Nie-
mandsbucht“.
Gerhard Roth (1942–....): „Der große Horizont“, „Landläufiger Tod“, „Der stille Ozean“.
Thomas Bernhard (1931–1989): (siehe Zugänge, S. 312).
Die bäuerliche Arbeitswelt rückt Roland Innerhofer (1944–2002) ins Zentrum seiner Romantri-
logie „Schöne Tage“, „Schattseite“, „Die großen Wörter“.
Die Arbeitswelt stellt Gernot Wolfgruber (1944–2002) in seinen Romanen dar, in denen
eigeneErfahrungen verarbeitet sind: „Auf freiem Fuß“, „Herrenjahre“, „Niemandsland“.

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Die bedeutendsten Schriftstellerinnen dieser Zeit sind:
Ingeborg Bachmann (siehe Zugänge, S. 308).
Elfriede Jelinek (geb. 1946): „Die Liebhaberinnen“, „Die Klavierspielerin“, „Lust“.
Christoph Ransmayr (geb. 1954; siehe Zugänge, S. 320) feierte Ende der achtziger und Anfang
der neunziger Jahre mit seinen Romanen „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“, „Die
letzte Welt“ und „Morbus Kitahara“ große Erfolge.

Drama
Auf dem Theater war der Rückgriff auf die Tradition, der Versuch, Kontinuität herzustellen,
besonders deutlich. In diesem Sinne gelangen Fritz Hochwälder (1911–1986) erfolgreiche Stü-
cke: „Das Heilige Experiment“, „Der öffentliche Ankläger“. Neben diesen Stücken historischen
Inhalts setzte sich Hochwälder auch kritisch mit der Gegenwart auseinander. So kritisiert „Der
Himbeerpflücker“ satirisch den alten und neuen Rechtsradikalismus.
Neue experimentelle Wege auf dem Theater beschritt Peter Handke mit den Sprechstücken
„Publikumsbeschimpfung“ und „Kaspar“, das eine eine Auseinandersetzung mit der Institution
selbst, das andere eine mit Sprache und ihrer Wirkung.
Drastische Darstellung der Wirklichkeit auf der Bühne gelang Wolfgang Bauer (1941–2005)
vor allem mit seinen frühen Stücken „Magic Afternoon“ und „Change“.
Einen Entrüstungssturm lösten Carl Merz und Helmut Qualtinger mit dem Stück „Der Herr
Karl“ aus, vor allem durch die Fernsehfassung (siehe Zugänge, S. 284).
Für das Fernsehen geschrieben wurde auch die „Alpensaga“ von Peter Turrini (geb. 1944) und
Wilhelm Pevny (geb. 1944). Am Beispiel einer Bauernfamilie wurde in sechs Folgen die Ge-
schichte Österreichs von 1899 bis 1945 aufgearbeitet.

Literaturhinweise:
Neues Handbuch der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945. Deutscher Taschenbuch
Verlag, München 1993
Manfred Durzak (Hg. ): Deutsche Gegenwartsliteratur. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1981
Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Band 10: Literatur in der Bundesrepublik
Deutschland bis 1967, Band 11: Die Literatur der DDR, Band 12: Gegenwartsliteratur seit
1968. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1983 f.
Wendelin Schmidt-Dengler: Bruchlinien. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1945–
1990. Residenz, Salzburg–Wien 1995
Sozialgeschichte der deutschen Literatur von 1918 bis zur Gegenwart. Hg. von Jan Berg u. a.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1981
Viktor Zmegac (Hg. ): Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegen-
wart. Bd. III/2: 1945-1980. 2. Aufl. Beltz Athenäum, Weinheim 1994


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