Romeo und Julia auf dem Dorfe - Interpretation
Romeo und Julia auf dem Dorfe ist eine Novelle des Schweizer Dichters Gottfried Keller. Erstmals 1856 in der Sammlung Die Leute von Seldwyla veröffentlicht, gehört sie bis heute zu den meistgelesenen Erzählungen der deutschsprachigen Literatur und gilt als Beispiel für die Stilrichtung des poetischen Realismus. Keller erzählt die Geschichte von Shakespeares unglücklichem Liebespaar Romeo und Julia neu, indem er ihre Handlung ins 19. Jahrhundert und ihren Schauplatz ins bäuerliche Milieu seiner Heimat verlegt: Zwei junge Leute, Sohn und Tochter wohlhabender Bauern, lieben sich trotz der erbitterten Feindschaft ihrer Väter. Als diese Feindschaft den Ruin beider Familien herbeiführt und die Aussicht der Kinder auf eine gemeinsame Zukunft zerstört, sieht das Paar keinen anderen Ausweg, als gemeinsam in den Tod zu gehen.
Inhalt
An einem Septembermorgen pflügen die Bauern Manz und Marti bedächtig ihre Äcker, die nahe beisammen liegen, nur von einer mit Steinen und hohem Unkraut bedeckten Fläche getrennt. Als die Sonne höher steigt, bringen zwei Kinder, Sali (Salomon), Manz' siebenjähriger Sohn, und Vrenchen, Martis fünfjährige Tochter, den Imbiss für die Feldarbeiter. Die Väter, gute Nachbarn, nehmen ihn gemeinsam ein. Dabei unterhalten sie sich über den brach liegenden Acker zwischen ihren Feldern. Beide möchten ihn gerne besitzen, doch er steht nicht zum Verkauf, da der ehemalige Eigentümer längst verstorben ist und die Behörden erst feststellen müssen, wem er jetzt gehört.
Zwar hat sich ein Heimatloser gemeldet, der mit fahrendem Volk in den Wäldern lebt und bald als Kesselflicker, bald als Musikant auf Kirchweih und Hochzeiten sein Brot erwirbt. Man nennt ihn den schwarzen Geiger. Dieser behauptet, er sei der Enkel des einstigen Eigentümers und der Acker gehöre ihm als dessen rechtmäßigem Erben. Manz und Marti geben wie alle älteren Dorfbewohner zu, dass der Heimatlose dem verstorbenen Eigentümer wie aus dem Gesicht geschnitten gleicht. Doch er besitzt keinen Taufschein, und ohne ein solches Papier ist niemand verpflichtet, ihm Herkunft und Anrecht zu bezeugen. Manz: „Sollen wir unsern Taufstein tragbar machen und in den Wäldern herumtragen? Nein, er steht fest in der Kirche!“[1] Am Ende der Unterredung sind sich die Nachbarn einig, abzuwarten: herrenlose Äcker werden nach Ablauf einer Frist versteigert, - Gelegenheit, sie billig zu erwerben. Während ihre Kinder auf dem steinigen Feld spielen und unter Mohnblüten ein Mittagsschläfchen halten, setzen die Väter ihr Tagewerk fort. Zum Schluss schneidet sich jeder mit seinem Pflug noch eine tüchtige Furche von dem Stück Brachland zwischen ihren Äckern ab.
Es kam eine Ernte um die andere, und jede sah die Kinder größer und schöner und den herrenlosen Acker schmäler zwischen seinen breitgewordenen Nachbaren. Endlich ist die Frist verstrichen, der Acker wird versteigert. Es finden sich nur zwei Bieter, Manz und Marti. Manz erhält den Zuschlag und verlangt von Marti sofort den Flicken Land zurück, den dieser sich zuletzt durch schiefes Pflügen zusätzlich angeeignet hat. Als Marti darauf nicht eingeht, lässt Manz die vielen Steine auf seinem neuen Land einsammeln und zu einem Haufen aufschichten, genau auf dem strittigen Dreieck. Marti zieht vor Gericht und von diesem Tage an lagen die zwei Bauern im Prozess miteinander und ruhten nicht, ehe sie beide zugrunde gerichtet waren.
Zehn Jahre dauert der Niedergang und macht aus angesehenen Männern, die kein Wort zu viel redeten und keinen Pfennig zu viel ausgaben, Prahler und Verschwender, die in Wirtshäusern ihre falschen Ratgeber - Seldwyler Advokaten und Spekulanten - bei Laune halten und in ständiger Geldnot auf jeden Lotterieschwindel hereinfallen. Niemand nimmt sie mehr ernst. Sie lassen ihre blühende Landwirtschaft verkommen und tyrannisieren ihr Gesinde und ihre Familien. Je tiefer beide ihr Unglück empfinden, desto höher lodert ihr Hass: Sie spieen aus, wenn sie sich nur von weitem sahen; kein Glied ihres Hauses durfte mit Frau, Kind oder Gesinde des Andern ein Wort sprechen, bei Vermeidung der gröbsten Misshandlung. Die glückliche Kindheit Salis und Vrenchens ist dahin. Vrenchen, kaum 14 Jahre alt, verliert ihre Mutter, die von Zank und Kummer krank wird und stirbt. Manz' Frau folgt dem schlechten Beispiel ihres Mannes und wirtschaftet den Hof vollends herunter. Für sein letztes Geld kauft sich Manz eine elende Seldwyler Schenke, obwohl er zum Wirt so wenig taugt wie seine Frau zur Wirtin. Anfangs füllt sich die Gaststube noch mit Leuten, die aber nur kommen, um sich über die ungeschickten Wirtsleute zu amüsieren.
Als die Gäste ausbleiben, kehren Müßiggang und Mangel ein. Sali, inzwischen 19, stellt sich mit seinem Vater zu den Seldwyler Arbeitslosen an den Fluss, um mit Angeln die Zeit zu verbringen und nebenbei etwas Essbares aufzutreiben. Eines Tages wandern sie ein Stück flussaufwärts. Am Himmel drohen düstere Wolken. Auf halbem Weg zwischen Stadt und Dorf stoßen sie auf Marti, auch er getrieben von Not und Langeweile. Vrenchen muss ihm das Angelzeug nachtragen. Während das Gewitter ausbricht, beginnen die alten Männer, sich zu beschimpfen. Es folgen Schläge und ein Handgemenge auf schmalem Steg, bei dem einer den anderen ins Wasser zu stoßen versucht. Gemeinsam gelingt es Sali und Vrenchen, die Kämpfenden zu trennen. Dabei berühren sich zum ersten Mal seit der Kindheit ihre Hände. Ein Strahl des Abendlichts erhellt Vrenchens Gesicht. Sie lächelt flüchtig und Sali ist erstaunt über ihre Schönheit.
Auf dem Rückweg spürt Sali weder Sturm noch Regen und tags darauf sieht und hört er nichts vom elenden Streit der Eltern. Er versucht, sich Vrenchens Gesicht vorzustellen, und als das nicht gelingt, wandert er hinaus ins Dorf, um es zu sehen. Unterwegs begegnet ihm Marti und wirft ihm böse Blicke zu, hat es aber eilig, in die Stadt zu kommen. Sali findet Vrenchen im halbverfallenen Elternhaus. Aus Furcht vor der Rückkehr des Alten und vor dem Gerede der Dorfbewohner verabreden die beiden ein heimliches Treffen auf dem Acker, wo sie einst als Kinder spielten, dem einzigen, der Marti noch gehört. Unbemerkt von den Leuten gelangen sie dorthin und schlendern den Hügel hinab zum Fluss, in dem sich die weißen Wolken des Julihimmels spiegeln; dann wieder hügelauf, glückselig Hand in Hand, ohne viel miteinander zu sprechen. Plötzlich geht vor ihnen ein schwarzer Kerl. Sie erkennen ihn an der Geige, die er unter dem Arm trägt, und folgen ihm wie gebannt zu dem Steinhaufen, den Manz errichtet hat und der nun feuerrot vom blühenden Mohn überwachsen ist. Der Kerl schwingt sich hinauf und redet sie an: „Ich kenne euch, ihr seid die Kinder derer, die mir den Boden hier gestohlen haben!“ Sie hören nun zum ersten Mal vom Unrecht, das ihre Väter begingen, als sie noch Kinder waren. Es betrübt sie; aber nicht lange. Denn kaum hat der Geiger sie verlassen - ohne ihnen zu drohen oder Böses zu wünschen - muss Vrenchen über sein komisches Aussehen lachen. Lachend legen sich die beiden ins hohe Korn. Sie küssen sich, hören den Lerchen zu und führen verliebte Gespräche. Vrenchen windet sich einen Kranz aus Mohnblumen und setzt ihn auf.
Mittlerweile hat Marti Verdacht geschöpft und ist ihnen nachgeschlichen. Als sie aus ihrem Versteck treten, stürzt er sich tobend vor Wut auf Vrenchen, schlägt ihr den Kranz herunter und reißt sie an den Haaren mit sich fort. Da ergreift Sali, halb in Angst um Vrenchen und halb im Jähzorn, einen Stein und schlägt ihn damit auf den Kopf. Der Alte fällt, liegt ohnmächtig, atmet aber noch. Verzweifelt versprechen Sali und Vrenchen einander, nichts von dem Vorfall zu verraten, und trennen sich, nachdem Sali ein Kind ins Dorf um Hilfe geschickt hat. Marti erwacht zwar wieder, entsinnt sich aber nur dunkel an das Vorgefallene und so, als sei ihm etwas Lustiges passiert. Vrenchen pflegt ihn wochenlang und bringt ihn wieder auf die Beine. Doch er bleibt geistig verwirrt, ein harmlos-fröhlicher Narr, den die Behörde auf Kosten der Dorfgemeinde in eine Anstalt einweist. Zugleich wird sein letzter Besitz gepfändet und Vrenchen verliert das Dach über dem Kopf.
Sali hat erfahren, was geschehen ist, und sucht Vrenchen auf. Sie sprechen über ihre trostlose Zukunft: es bleibt ihnen nichts übrig, als sich in der Fremde eine Stelle zu suchen, Vrenchen als Dienstmagd, Sali als Soldat oder Bauernknecht; denn auch ihn treibt es von zuhause fort, nachdem seine Eltern sich inzwischen mit Dieben eingelassen haben und zu Hehlern geworden sind. Am traurigsten aber macht sie der Gedanke, dass sie verschiedene Wege gehen werden. So fassen sie den Plan, noch einen einzigen schönen Tag zusammen zu verbringen und, da gerade Kirchweih ist, miteinander zu tanzen. Um dafür etwas Geld zu haben und Vrenchen Tanzschuhe zu besorgen, verkauft Sali seine silberne Taschenuhr, das letzte, was ihm aus bessern Tagen geblieben ist. Als Vrenchen ihr Haus endgültig verlassen muss - an einem schönen Sonntagmorgen im September - wandern sie ins Land hinaus, um in irgendeinem Dorf am Tanz teilzunehmen. Da sie ein hübsches Paar darstellen und sich so gut gekleidet haben als ihre Armut erlaubt, begegnet ihnen jedermann mit Achtung. Beim Mittagsmahl hält eine freundliche Wirtin sie sogar für ein Brautpaar auf dem Weg zur Trauung. Sie widersprechen nicht, ziehen weiter und je näher sie dem Festplatz kommen, desto mehr glauben sie selber daran, Braut und Bräutigam zu sein. Sie kaufen sich vergoldete Ringe und Geschenke aus Lebkuchen, er ihr ein Haus, sie ihm ein Herz: „Ach,“ seufzte Vrenchen, „du schenkst mir ein Haus! Ich habe dir auch eines und erst das wahre geschenkt; denn unser Herz ist jetzt unser Haus“.
Als Besucher aus ihrem Heimatdorf sie erkennen und zu tuscheln beginnen, meiden sie den Tanzboden des reichen Gasthofs und suchen ein abgelegenes Wirtshaus auf, das „Paradiesgärtlein“, wo sich die armen Leute vergnügen. Dort begrüßt sie der schwarze Geiger wie alte Bekannte: „Ich habe doch gewusst, dass ich euch noch einmal aufspielen werde. So macht euch nur recht lustig, ihr Schätzchen!“. Sie mischen sich unter die Tanzenden. Der Mond geht auf und beleuchtet das seltsame Fest der Heimatlosen, das immer mehr einer Hochzeit ähnelt. Der schwarze Geiger rät Sali und Vrenchen, sich ihnen anzuschließen und ihr ungebundenes Leben in den Bergen zu teilen: „da brauchet ihr keinen Pfarrer, kein Geld, keine Schriften, keine Ehre, kein Bett, nichts als euren guten Willen“. Die heimatlosen Hochzeitsgäste, von Sali mit Wein und Speisen frei gehalten, beglückwünschen das Brautpaar und veranstalten mit ihm eine spaßhafte Trauung. Nach Mitternacht führt der schwarze Geiger die trunkene, singende und tanzende Gesellschaft über die nächtlichen Felder in Richtung Berge. Sali und Vrenchen lassen sich mitreißen, und als es durch ihr Heimatdorf, an ihren verlorenen Vaterhäusern vorbei geht, ergriff sie eine schmerzhaft wilde Laune und sie tanzten mit den Andern um die Wette hinter dem Geiger her, küssten sich, lachten und weinten.
Auf dem Hügel aber, bei den drei Äckern, bleiben sie hinter dem tollen Zug zurück und warten, bis Musik und Gelächter in der Ferne verklingen. „Diesen sind wir entflohen,“ sagte Sali, „aber wie entfliehen wir uns selbst?“ Da sie beide nur zu gut wissen, dass es ohne lange Trennung und Gefahr der Untreue keine Zukunft für sie gibt, beschließen sie, einander auf der Stelle anzugehören und dann zu sterben. Sie tauschen ihre Ringe. Unten rauscht der Fluss. Sie wählen ein am Flussufer angebundenes, mit Heu beladenes Schiff zu ihrem Hochzeitsbett, klettern hinauf und machen es los. Der untergehende Mond, rot wie Gold, legte eine glänzende Bahn den Strom hinauf, und auf dieser kam das Schiff langsam überquer gefahren. Als es sich der Stadt näherte, glitten im Frost des Herbstmorgens zwei bleiche Gestalten, die sich fest umwanden, von der dunklen Masse herunter in die kalten Fluten. Am Tag darauf findet man in der Stadt das verlassene Heuschiff und wenig später weiter flussabwärts die beiden Leichen.
Über das Werk
Hintergrund und Entstehung
Im September 1847 las der 28-jährige Gottfried Keller, als radikaler politischer Lyriker in Zürich stadtbekannt, in der konservativen Zürcher Freitags-Zeitung folgende Meldung:
Sachsen. − Im Dorfe Altsellerhausen, bei Leipzig, liebten sich ein Jüngling von 19 Jahren und ein Mädchen von 17 Jahren, beide Kinder armer Leute, die aber in einer tödtlichen Feindschaft lebten, und nicht in eine Vereinigung des Paares willigen wollten. Am 15. August begaben sich die Verliebten in eine Wirthschaft, wo sich arme Leute vergnügten, tanzten daselbst bis Nachts 1 Uhr, und entfernten sich hierauf. Am Morgen fand man die Leichen beider Liebenden auf dem Felde liegen; sie hatten sich durch den Kopf geschossen.
Offenbar reizte die bewegende Nachricht den Dichter, die spärlichen Angaben aus seiner Phantasie zu ergänzen. Wenig später hielt er in seinem Tagebuch den Anfang einer Erzählung fest. In dieser Skizze, noch ohne Titel, ist bereits der Vorgang geschildert, aus dem in der fertigen Novelle die tödliche Feindschaft der Nachbarn und das tragische Schicksal ihrer Kinder entsteht:
Zwei stattliche, sonnengebräunte Bauern pflügen mit starken Ochsen auf zwei Äckern, zwischen welchen ein dritter großer brach und verwildert liegt. Während sie die Pflugschar wenden, sprechen sie über den mittleren schönen Acker, wie er nun schon so manches Jahr brach liege, weil der verwahrloste Erbe desselben sich unstät in der Welt herumtreibe. Frommes und tiefes Bedauern der beiden Männer, welche wieder an die Arbeit gehen und jeder von seiner Seite her der ganzen Länge nach einige Furchen dem verwaisten Acker abpflügt. Indem die Ochsen die Pflüge langsam und still weiterziehen und die beiden Züge hüben und drüben sich begegnen, setzen die beiden Bauern eintönig ihr Gespräch fort über den bösen Weltlauf, führen dabei mit fester Hand den Pflug und tun jeder, als ob er den Frevel des andern nicht bemerkte. Die Sonne steht einsam und heiß am Himmel.
Bis zur Vollendung der Erzählung vergingen sieben Jahre. Ende 1848 versuchte er in Heidelberg den Stoff in Verse zu bringen, der Text blieb Fragment (nebenstehendes Bild). Erst 1855 in Berlin, nach Abschluss seines autobiographischen Romans Der grüne Heinrich, glückte ihm die Ausführung in Prosa. Anfang 1856 erschien die Novelle unter dem Titel „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ im ersten Band der Leute von Seldwyla.
Form und literarisch-politisches Programm
Im Unterschied zu den anderen Novellen des Bandes wird die Geschichte von Sali und Vrenchen von zwei Bemerkungen des Erzählers eingerahmt:
Die Vorbemerkung
Diese Geschichte zu erzählen würde eine müßige Nachahmung sein, wenn sie nicht auf einem wirklichen Vorfall beruhte, zum Beweise, wie tief im Menschenleben jede jener Fabeln wurzelt, auf welche die großen alten Werke gebaut sind. Die Zahl solcher Fabeln ist mäßig; aber stets treten sie in neuem Gewande wieder in die Erscheinung und zwingen alsdann die Hand, sie festzuhalten.
Mit dem Hinweis auf die großen alten Werken knüpft der Erzähler an den Titel und an Shakespeare an. Er erläutert, warum ihm seine Geschichte erzählenswert erscheint: nicht als müßige Nachahmung eines poetischen Meisterwerks, sondern weil sie auf einem wirklichen Vorfall beruht. Gerade diesen, den realen Hintergrund der Erzählung samt Quelle, hält er jedoch im Dunkeln. Das geschieht mit Bedacht; denn mittlerweile hat die Geschichte eine ganz neue Gestalt angenommen: die Ursachen der Familienfeindschaft wurden hinzugefügt, die Umstände des Freitods geändert, die Liebenden erhielten Namen und Gesicht, die Landschaft schweizerisches Lokalkolorit. Aus der knappen Meldung eines Tatbestands wurde eine novellistisch-ausführliche Fiktion. Erhalten blieben der sozialen Schauplatz und die Zeit. Sali und Vrenchen sind arm, ihre Geschichte spielt auf dem Dorf und in der Gegenwart. Was verbindet sie dann noch mit Shakespeares Romeo und Julia, den Kindern reicher städtischer Edelleute des 16. Jahrhunderts? Nichts außer der Hauptsache, für die der Erzähler das Wort „Fabel“ gebraucht.
Unter Fabeln versteht man in der Erzählkunst die Handlungen von Geschichten. Im Alltag gebraucht man den Begriff eher abwertend, spricht von „Fabeleien“ und meint damit Unwahres, freie Erfindungen, Lügengeschichten. Demnach wären die Fabeln poetischer Werke Phantasiegebilde ohne Realitätsgehalt, Niederschlag der dichterischen „Lust am Fabulieren“. Gegen diese Auffassung führt der Erzähler nun die Lebenswahrheit seiner Geschichte ins Feld, zum Beweise, dass die großen alten Werke (nur von solchen, die Jahrhunderte überdauern, ist die Rede) allesamt auf Fabeln gebaut sind, die tief im Menschenleben wurzeln. Ihre Zahl sei mäßig (nicht übermäßig viel Werke werden groß und alt), doch ereigneten sie sich immer wieder und stets in neuem Gewande. Man könnte dagegen einwenden, dass der eine wirkliche Vorfall, der zudem im Dunkeln bleibt, nichts für jede jener Fabeln beweist. Dem Erzähler geht es aber nicht um eine empirische Literaturtheorie, vielmehr formuliert er, als Sprachrohr des Autors, Kellers literarisches Programm, seine Auffassung vom „poetischen Realismus“: Um Dauerhaftes zu schaffen, soll der Poet sich ins Reale, ins Menschenleben vertiefen. Dort, nicht im Luftreich der freien Erfindung, wachsen die poetisch tragfähigen Handlungen. Das macht aber die Phantasie nicht entbehrlich. Welche Rolle sie spielt, geht aus der Entstehungsgeschichte der Novelle hervor: Ohne sie wäre es dem Dichter unmöglich, das Fabelhafte in den stets wechselnden Erscheinungen zu entdecken und es, entsprechend den Bedürfnissen seiner Zeit, neu einzukleiden.
Die Nachbemerkung
1856, beim Erscheinen der ersten Fassung, war die Nachbemerkung zwei Druckseiten lang. Als Paul Heyse die Erzählung 1870 in seinen Deutschen Novellenschatz aufnahm, ließ er sie mit Erlaubnis des Autors ganz weg. Zwei Jahre später fügte Keller sie stark gekürzt wieder ein. In der von nun an endgültigen Fassung beschränkt sich der Erzähler darauf, wiederzugeben, was - im Rahmen der Fiktion - die Seldwyler Zeitungen über den mutmaßlichen Hergang und die Bedeutung des Geschehenen schreiben:
Als man später unterhalb der Stadt die Leichen fand und ihre Herkunft ausgemittelt hatte, war in den Zeitungen zu lesen, zwei junge Leute, die Kinder zweier blutarmen [bitterarmen] zu Grund gegangenen Familien, welche in unversöhnlicher Feindschaft lebten, hätten im Wasser den Tod gesucht, nachdem sie einen ganzen Nachmittag herzlich miteinander getanzt und sich belustigt auf der Kirchweih. Es sei dies Ereignis vermutlich in Verbindung zu bringen mit einem Heuschiff aus jener Gegend, welches ohne Schiffsleute in der Stadt gelandet sei, und man nehme an, die jungen Leute haben das Schiff entwendet, um darauf ihre verzweifelte und gottverlassene Hochzeit zu halten, abermals ein Zeichen von der um sich greifenden Entsittlichung und Verwilderung der Leidenschaften.
Die fiktive Seldwyler Pressestimme fällt nach einigen mitleidigen Worten in den Ton moralischer Entrüstung. Das Beilager des Liebespaares ohne kirchlichen Segen gilt dem Zeitungsschreiber als „gottverlassene Hochzeit“. Indem er die Tat Salis und Vrenchens als Zeichen fortschreitender sittlicher Verwahrlosung deutet, stellt er die Liebenden nachträglich an den Pranger. Wie wenig Keller von dieser Methode hält, zeigt er, indem er den Artikel zitiert und dann schweigt: gemessen an dem, was Sali und Vrenchen erlebt haben, erweist sich der Spruch der Sittenrichter als leeres Gerede.
Durch den Schnitt an der richtigen Stelle erhielt die Erzählung so eine scharfe Pointe. Keller griff mit Romeo und Julia auf dem Dorfe eine Moralauffassung an, die Salis und Vrenchens Verhalten als sündhaft, ihren Freitod als Selbstmord und damit als besonders verwerflich betrachtete. Diese Auffassung kennzeichnete (und kennzeichnet noch) den christlichen Fundamentalismus. Indem er sie zurückwies, bekannte der Autor auch politisch Farbe: die fundamentalistische Strömungen war in den kirchlichen Gruppen und konservativen Parteien seiner Zeit stark und übte politischen Einfluss aus, in der Schweiz kaum weniger als im übrigen deutschen Sprachgebiet. Mit der Pointe verlieh er der Novelle somit eine merkliche politische Tendenz, was die poetischen Realisten sonst eher zu vermeiden suchten. Keller schrieb aber nicht, um ein literarisches Programm zu erfüllen, vielmehr sah er sich als Schriftsteller verpflichtet, für Menschlichkeit einzutreten. Unter diesem Aspekt wird der letzte Satz der Vorbemerkung verständlich. Von den alten Fabeln heißt es dort, dass sie in neuem Gewande auftreten, und weiter: sie zwingen alsdann die Hand, sie festzuhalten. Hier ist von der erwähnten Pflicht die Rede. Keller erfüllt sie, indem er die Geschichte eines unglücklichen Liebespaares, die er einer vergänglichen Zeitung entnimmt, in dauerhafte, „klassische“ Form bringt.
Die Moral der Erzählung
Romeo und Julia auf dem Dorfe wurde im christlich-konservativen Lager ganz richtig als Angriff verstanden. Kellers Biograph berichtet: „Nicht lange nach dem Erscheinen dieser Novelle ging in Zürich ein Liebespaar ins Wasser. Die sogenannten Frommen deuteten mit Fingern auf Kellers ‚Romeo und Julia`.“Als 1875 in Dänemark eine Übersetzung erschien, brach ein Sturm der Entrüstung los. Bigotte Kritiker denunzierten die Erzählung als unsittlich und bezeichneten Keller, Kellers deutschen Herausgeber Heyse und seinen dänischen Übersetzer, den Literaturwissenschaftler Georg Brandes, als „Prediger des Evangeliums des Genusses“.
Es ist deshalb nicht überflüssig, einen Absatz aus der Nachbemerkung zu zitieren, der durch die Kürzung wegfiel:
Was die Sittlichkeit betrifft, so bezweckt diese Erzählung keineswegs, die Tat zu beschönigen und zu verherrlichen; denn höher als diese verzweifelte Hingebung wäre jedenfalls ein entsagendes Zusammenraffen und ein stilles Leben voll treuer Mühe und Arbeit gewesen, und da diese die mächtigsten Zauberer sind in Verbindung mit der Zeit, so hätten sie vielleicht noch alles möglich gemacht; denn sie verändern mit ihrem unmerklichen Einflusse die Dinge, vernichten die Vorurteile, stellen die Ehre her und erneuen das Gewissen, so daß die wahre Treue nie ohne Hoffnung ist. Was aber die Verwilderung der Leidenschaften angeht, so betrachten wir diesen und ähnliche Vorfälle, welche alle Tage im niederen Volke vorkommen, nur als ein weiteres Zeugnis, daß dieses allein es ist, welches die Flamme der kräftigen Empfindung und Leidenschaft nährt und wenigstens die Fähigkeit des Sterbens für eine Herzenssache aufbewahrt, daß sie zum Troste der Romanzendichter nicht aus der Welt verschwindet. […]
Rezeption
Moralische Proteste gegen Romeo und Julia auf dem Dorfe, wie die oben beschriebenen, blieben vereinzelt. Die Novelle gehört seit Heyses Deutschem Novellenschatz zum festen Bestand von Erzählungs-Anthologien und fand bis heute in einer schwer überschaubaren Zahl von Einzelausgaben Verbreitung. Sie nimmt einen festen Platz auf den Lektürelisten des Deutschunterrichts ein und ist in dem seit 2002 von Marcel Reich-Ranicki herausgegebenen Sammelwerk Der Kanon vertreten.
Besprechung in Kindlers Literatur Lexikon
Novelle von Gottfried Keller, erschienen 1856. - Der Text nimmt im Zyklus Die Leute von Seldwyla eine Ausnahmestellung ein. Thematisch Shakespeares Drama von Liebe und Tod zweier Veroneser Adliger verpflichtet (An Excellent Conceited Tragedie of Romeo and Juliet), geht er auf ein tatsächliches Ereignis zurück, von dem Keller aus der „Züricher Freitagszeitung“ vom 3. 9. 1847 erfuhr. Der Versuch, das Ereignis als episches Gedicht darzustellen, scheiterte 1849. Erst 1855 vollendete Keller die Novelle und sah sich verpflichtet, in einem Vorwort eine Begründung für seine Adaption eines berühmten literarischen Stoffes zu geben: „Diese Geschichte zu erzählen würde eine müßige Nachahmung sein, wenn sie nicht auf einem wirklichen Vorfall beruhte, zum Beweise, wie tief im Menschenleben jede jener Fabeln wurzelt, auf welche die großen alten Werke gebaut sind. Die Zahl solcher Fabeln ist mäßig; aber stets treten sie in neuem Gewande wieder in Erscheinung und zwingen alsdann die Hand, sie festzuhalten.“ Das „neue Gewand“ ist die bäuerlich-kleinbürgerliche Lebensform des 19. Jh.s, deren Werte und Normen, nicht der Eingriff eines anonymen Schicksals oder transzendentaler Mächte, Kellers jugendliche Helden in den Tod treiben.
Bereits das berühmte Eingangsbild typisiert die scheinbar unumstößliche, archaisch wirkende Ordnung des bäuerlichen Lebens: Zwei Bauern, Manz und Marti, Nachbarn aus einem Dorf bei Seldwyla, pflügen an einem Sommermorgen „ruhevoll“ ihre Äcker: „es war schön anzusehen in der stillen goldenen Septembergegend, wenn sie so auf der Höhe aneinander vorbeizogen, still und langsam, und sich mälig voneinander entfernten, immer weiter auseinander, bis beide wie zwei untergehende Gestirne hinter die Wölbung des Hügels hinabgingen und verschwanden, um eine gute Weile darauf wieder zu erscheinen.“ Getrennt werden die Äcker durch ein brachliegendes Feld, von dem beide Bauern bei Abschluß ihres Tagwerks noch jeweils eine tüchtige Furche reißen. Eigentümer der Brache ist vermutlich, die beiden zweifeln nicht daran, der „schwarze Geiger“, ein aus der Gemeinde Ausgeschlossener und in den Augen der Bauern ebenso „verwildert“ wie sein Feld, der jedoch die nötigen Papiere nicht beibringen kann, die seinen Anspruch auf das Feld belegen würden. Manz kann schließlich das Feld auf einer öffentlichen Versteigerung erwerben. Aber da sich Marti zuvor noch, gegen jede augenfällige Ordnung der Felder, ein Dreieck aus dem Brachland ausgeschnitten hat, beginnt zwischen beiden Bauern ein ruinöser Rechtsstreit. Manz erfüllt ein „wunderbarer Sinn für Symmetrie und parallele Linien“, jeder der vormals befreundeten Kontrahenten fühlt sich nun „in seiner wunderlichen Ehre gekränkt“, und ihre Händel haben erst ein Ende, als beide sich um Haus und Hof prozessiert haben.
Leidtragende dieser Entwicklung sind vor allem die Kinder der beiden Bauern, Sali und Vrenchen, „welche weder eine gute Hoffnung für ihre Zukunft fassen konnten noch sich auch nur einer lieblich frohen Jugend erfreuten, da überall nichts als Zank und Sorge war“. Das Mädchen leidet unter der „Tyrannei eines verwilderten Vaters“, und es fällt ihr schwer, sich „ordentlich und reinlich“ zu kleiden. Auch Sali, Sohn von Manz, fühlt, „wie er nichts Rechts vor sich hatte und ebensowenig Rechts lernte“, wo es sein Bedürfnis ist, „im ganzen einfach, ruhig und leidlich tüchtig zu sein“. Die Zuordnungen haben sich verkehrt, die Welt der Väter ist nunmehr eine Sphäre des „verwilderten“ Lebens, die Attribute bürgerlicher Ordentlichkeit sind ins Unerreichbare geschwunden. Manz übernimmt einen verkommenen Gasthof in Seldwyla, Marti bleibt mit wenigen vernachlässigten Feldern auf dem Land, beide suchen schließlich durchs Fischen, wie alle „fallierten“ Seldwyler, sich und ihre Familien zu ernähren. Sali und Vrenchen kennen sich von klein auf, mit dem Streit der Väter verlieren sie sich aus den Augen und begegnen sich erst wieder, als ihre Väter auf einer Brücke in wütenden Streit geraten. Sali und Vrenchen treten dazwischen, „und in diesem Augenblick erhellte ein Wolkenriß, der den grellen Abendschein durchließ, das nahe Gesicht des Mädchens, und Sali sah in dies ihm so wohlbekannte und doch so viel anders und schöner gewordene Gesicht. Vrenchen sah in diesem Augenblick auch sein Erstaunen und es lächelte ganz kurz und geschwind mitten in seinem Schrecken und in seinen Tränen ihn an.“
Am andern Tag schleicht Sali sich in das alte Dorf zurück und trifft Vrenchen schließlich an jenen Äckern, die ihre Väter einst pflügten, wo sie „Hand in Hand“ entlanggehen: „sie legten zwei und dreimal den Hin- und Herweg zurück, still, glückselig und ruhig, so daß dieses einige Paar nun auch einem Sternbilde glich, welches über die sonnige Rundung der Anhöhe und hinter derselben niederging, wie einst die sicher gehenden Pflugzüge ihrer Väter“. Zwar stört sie unvermutet der schwarze Geiger, der das Schicksal ihrer Eltern als Ausgleich für den ihm angetanen Schaden betrachtet, aber schließlich können sie einander ihre Liebe gestehen und bauen sich im Kornfeld „einen engen Kerker in den goldenen Ähren, die ihnen hoch über den Kopf ragten, als sie drin saßen, so daß sie nur den tiefblauen Himmel über sich sahen und sonst nichts von der Welt“. Marti aber überrascht das junge Paar, und als er beginnt, Vrenchen zu mißhandeln, schlägt ihn Sali, „halb in Angst um Vrenchen und halb im Jähzorn“, mit einem Stein nieder. Sechs Wochen liegt Marti im Koma; er erwacht als Debiler, und Sali hat damit endgültig das mögliche Glück mit Vrenchen zerstört: „Doch kann ich dich nie bekommen, auch wenn alles andere nicht wäre, bloß weil du meinen Vater geschlagen und um den Verstand gebracht hast! Dies würde immer ein schlechter Grundstein unserer Ehe sein und wir beide nie sorglos werden, nie!“ Martis Anwesen wird nun gänzlich versteigert, er selbst von der Gemeinde in „einer Stiftung für dergleichen arme Tröpfe auf öffentliche Kosten“ untergebracht, und binnen zwei Tagen muß Vrenchen das Haus räumen.
Erneut erscheint Sali, und mit ihm will Vrenchen einen Tag verbringen, bevor sie sich irgendwo als Dienstmagd verdingen muß: „Vorher aber möchte ich einmal, nur einmal recht lustig sein . . .; ich möchte recht herzlich und fleißig mit dir tanzen irgendwo.“ Sali verkauft seine Uhr, ersteht aus dem Erlös für Vrenchen ein Paar Schuhe, und zusammen wandern sie in ein Dorf, wo man sie nicht kennt - nicht ohne daß zuvor Vrenchen jener Bäuerin, der sie ihr Bett verkauft hat, Sali als ihren Bräutigam vorstellt, der in der Lotterie unermeßlich reich geworden sei, was jenen Ausbruch an Herzlichkeit bewirkt, den die beiden sonst von den Leuten von Seldwyla nie erfahren haben. Soziale Sicherheit, Anerkennung und immer wieder die Attribute des Reinlichen und Sauberen - dies sind die Kennzeichen, die beider Utopie ausmachen und die sie nicht verwirklichen können. Sie wandern auf ein Dorf zu, werden von der dortigen Wirtin für „rechtliche junge Leutchen“ gehalten, ein Urteil, das sich wiederholt, als sie sich in einem anderen Wirtshaus zum Mittagstisch niederlassen. Als aber am Abend, auf einem Kirchweihfest, einige Seldwyler sie erkennen und ihr Glück mit „Neid“ mustern, fliehen sie dorthin, „wo das arme Volk sich lustig macht, zu dem wir jetzt auch gehören“. Dort - der Garten trägt den Namen „Paradiesgärtlein“ - spielt auch der schwarze Geiger auf, der ihnen rät, ihr Leben außerhalb der bürgerlichen Konventionen zu führen. Gerade dies aber ersehnen die beiden nicht: „Das Gefühl, in der bürgerlichen Welt nur in einer ganz ehrlichen und gewissenfreien Ehe glücklich sein zu können“, war in Sali „ebenso lebendig wie in Vrenchen“. In der Gesellschaft der „Heimatlosen“ verbringen sie den Rest der Nacht und dulden es, daß der schwarze Geiger in einer „spaßhaften Zeremonie“ ihre Trauung simuliert. Schließlich folgen sie dem wilden tanzenden Zug der ausgelassenen Gesellschaft durch ihr früheres Heimatdorf und über die Felder zu den drei Äckern, „so daß es ein wahrer Blocksberg war auf der stillen Höhe“. Der bürgerlichen Welt können sie nicht, dem Bereich des „Blocksbergs“ wollen sie nicht angehören - um ihre Liebe zu erfüllen, bleibt daher nur ein Weg: „Es gibt nur eines für uns, Vrenchen, wir halten Hochzeit zu dieser Stunde und gehen dann aus der Welt.“ Ein am Flußufer angebundenes Boot wird ihnen zum „Brautbett“ und zum Todeslager: Das Schiff treibt in den Nachtstunden den Fluß hinunter, und als „es sich der Stadt näherte, glitten im Froste des Herbstmorgens zwei bleiche Gestalten, die sich fest umwanden, von der dunklen Masse herunter in die kalten Fluten.“
Kellers „unvergängliche Novelle“ (W. Benjamin) zeigt eine bürgerliche Welt, die, anders als etwa in Goethes Hermann und Dorothea, von einem bornierten Erwerbssinn erfüllt ist, der Eigenschaften wie persönliche Ehre und Anerkennung der gesellschaftlichen Normen als Legitimation für Erfolg wie für die Zugehörigkeit zu dieser Welt voraussetzt, Eigenschaften, die in Hegels Ästhetik - Keller war mit ihr vertraut - der feudalen Welt zugerechnet werden. Die Väter des jungen Paares glauben ihre Ehre zu vergrößern durch „Vermehrung ihres Eigentums“ und führen deshalb einen Rechtsstreit ungeachtet seiner Kosten; den Kindern wird diese Vorstellung von Ehre zum Verhängnis. Der Gedanke an Rebellion oder Flucht ist ihnen ganz fremd, denn jener bürgerlichen Sphäre, von der sie aufgrund ihrer Armut ausgeschlossen sind, wollen sie gerade angehören: „Als letztes Bekenntnis zur bürgerlichen Ordnung, zum bürgerlichen Selbst, gehen sie in den Tod“ (M. Swales). Es macht auch den Rang dieser Novelle aus, daß sie weder ausschließlich als Kritik an einer bürgerlichen Lebensform noch als säkularisierte Parabel auf die Gebrochenheit alles Irdischen sich lesen läßt, wie auch Sali und Vrenchen sich allein weder als Märtyrer einer antibürgerlichen Utopie noch als Vertreter eines idealen Christentums deuten lassen. An Wertungen und Rechtfertigungen war der Autor letztlich wohl nicht interessiert. Keller hatte zwar die Erstausgabe ursprünglich um eine kommentierende Schlußbemerkung ergänzt, in der er einerseits Entsagen predigt, andererseits diesen Ausbruch der Leidenschaft im Vergleich mit der herrschenden Gleichgültigkeit positiv beurteilt; aber bereits 1856 spricht er von der Notwendigkeit, diesen „schnöden Schluß“ zu streichen, was allerdings erst mit der Neuauflage 1874 geschehen konnte.
I. Exposition:
Landidylle! Eine halbe Stunde von Seldwyla entfernt liegt ein Fluss und dabei ein Dorf. Nahebei pflügen zwei rüstige Bauern jeweils ihr Feld, Ruhe und Frieden herrscht im weiten Land ringsum, die Sonne scheint. Zwischen diesen Feldern liegt ein drittes, unbebautes Feld. Am späten Morgen kommen die Kinder der Bauern mit einem Wagen und bringen den von den Bauersfrauen liebevoll zubereiteten Imbiss. Beim gemeinsamen Frühstück dann unterhalten sich die Bauern (Manz und Marti) über den Acker in der Mitte und wem er wohl gehören mag: Vielleicht dem "schwarzen Geiger", den man so gern aus der Dorfgemeinschaft ausstoßen möchte und der nicht weiß, wann und von wem er geboren wurde? Dann pflügen sie weiter, während der Junge (7) und das hübsche braune Mädchen (5) unschuldig ihre Spielpuppe martern, köpfen und dann zusammen mit einer lebendigen Fliege feierlich beerdigen. Und die Alten pflügen zum Abschluss jeder für sich noch eine Furche in den mittleren Acker ...
Die HEILE WELT und ihre KEHRSEITEN / \ S.3-6 / \ S.7-12 wohlgeordnete Anwesen und es gibt Ausgeschlossene und Außenseiter fruchtbare Landschaft ("schwarzer Geiger" S.7)
stattliche Bauernhöfe die Puppe: menschliche Grausamkeit im unschuldigen Kinderspiel (Vreni und Sali S.9/10)
fleißige Männer und Frauen der Acker: ungeklärte Besitzverhältnisse und Symbol der Unordnung
gesunde Kinder die Furchen: gegenseitig tolerierte Habgier (Manz und Marti S. 12) || || \/ \/ Ein Idyll... ... mit Störungen
Friede und Harmonie Rechtschaffenheit Menschen (nun mit Namen!!), die Schuld auf Dorfwelt auf sich laden, welche nicht ungesühnt (noch ohne Namen!) bleiben kann: Frevel, "UNRECHT" (S.13) |
(12) Über die Jahre wachsen die Kinder Sali (=Salomon) und Vrenchen und der Acker in der Mitte wird immer schmäler. Schließlich wird er versteigert und MANZ ersteht ihn. Vorher aber hatte MARTI sich noch eine stattliche Ecke davon umgepflügt. Manz zieht ihn zur Rechenschaft, aber Marti gibt nichts her. Am nächsten Tag lädt Manz alle Steine des Ackers auf diese Ecke und damit beginnt ein Prozess, der beide zugrunde richten wird. - Sali ist jetzt knapp 11 Jahre alt. - Binnen zehn Jahren stehen die beiden Bauern verfeindet und verbittert auf den Trümmern ihres bisher so stattlichen Anwesens.
II. Zuspitzung: Streit, Hass und Liebe
In diesem Unglück wachsen die Kinder heran, jeder auf seine Weise davon geprägt, ohne Kontakt zueinander. Schließlich (23) muss Manz den Hof verkaufen und mit Frau und Kind und der letzten Habe in die Stadt ziehen, Seldwyla, um dort eine armselige Schenke zu übernehmen. Das klappt aber nicht, die Gäste bleiben aus, und Vater und Sohn verlegen sich aufs Fischen, um wenigstens etwas zum Essen zu haben. Auch Marti (29) verlegt sich aufs Fischen, wobei ihn seine Tochter begleiten muss, und eines Tages, ein Sommergewitter zieht herauf, treffen sie sich am Fluss zwischen Dorf und Stadt, auf einem Steg bricht eine Prügelei der alten Männer los, ebenso wie ein Gewitter über ihnen. Die Kinder bringen die Alten auseinander und sehen sich dabei selbst mit neuentflammter Zuneigung in die Augen.
(UN)AUFHALTSAMER ABSTIEG?
MANZ als Opfer MARTI |\ ihrer /| | \ MENSCHLICHEN SCHWÄCHEN: / | | \ / | | Leidenschaft, Rechthaberei, Hass | | Hoffart und Eigendünkel (Frau) | | Stolz und Dummheit | \/ | Bauer Frau gestorben Wirt Hof ruiniert Angler Angler \________________ ___________________/ \/ Begegnung am Fluss (S.30-33): Kampf der alten Männer (Hass) Sich-Erkennen der Kinder (Liebe) SYMBOL: GEWITTER - Es hat eingeschlagen!! |
III. Krise: Liebe und Wahnsinn
(33) Am nächsten Tag (Juli) geht Sali ins Dorf und findet Vrenchen dort auf ihrem heruntergekommenen Hof. Vater Marti ist in die Stadt gegangen. Nach anfänglichem Zögern verstehen sie sich und treffen sich auf Martis Feld beim Steinhaufen. Dort aber begegnet ihnen leibhaftig der "schwarze Geiger", und sie erfahren, wie hartherzig ihre Väter einst diesen Ungetauften um sein Recht an diesem Acker gebracht haben (42). Doch der Schreck dauert nicht lange, wirkt eher befreiend und ein munteres Turteln und Schnäbeln fängt an im Getreidefeld. Auf dem Heimweg aber steht ihnen plötzlich der alte Marti gegenüber (47). Als dieser in blinder Wut erst Sali angreift und dann die Tochter misshandelt, schlägt Sali ihn mit einem Feldstein nieder und rennt davon. Schreibauftrag:
Versetze dich in Salis Lage. Du hast eine unruhige Nacht hinter dir, alles Mögliche ist dir dabei durch den Kopf gegangen, du hast Schuldgefühle und dennoch das Gefühl richtig gehandelt zu haben: Schreibe Vreni einen Brief, in dem du deine Lage darlegst und einen Ausweg vorschlägst.
IV. Verzögerung: Ist Glück doch noch möglich?
(48) Der Alte ist von nun an schwachsinnig und erinnert sich an nichts mehr. Sechs Wochen später wird der Hof versteigert und Marti in eine "Stiftung für dergleichen arme Tröpfe" gebracht, wo er sich sofort zuhause fühlt. Vrenchen ist nun allein und muss in zwei Tagen ausziehen. Da besucht sie Sali (Freitag). Sein Vater ist inzwischen "Diebshehler" geworden und in der Schenke treibt sich undurchschaubares Volk herum. Vrenchen träumt in der Nacht, dass sie mit Sali tanze und beide wollen, dass dieser Traum wahr werde, bevor sie sich für immer trennen müssen. (54) Am nächsten Tag, es ist Samstag, versetzt Sali seine silberne Uhr samt Kette und kauft für Vrenchen Tanzschuhe. Am Sonntag früh richtet er seinen Sonntagsstaat,
(57) verabschiedet sich von den Eltern und findet Vrenchen ebenfalls im Sonntagskleid, geschmückt mit den letzten Blumen des verödeten Anwesens. Das Haus ist leergeräumt bis auf ihr Bett, welches gerade jetzt von einer Bäuerin abgeholt wird.
(60) Dieser erzählt Vrenchen halb scherzend von ihrer bevorstehenden glücklichen Hochzeit.
(63) Dann ziehen sie los in den septemberlichen Sonntagmorgen. Sie frühstücken im nächsten Dorf, essen zu Mittag in einem anderen Ort, im nächsten Dorf ist Kirchweih, wo sie sich Lebkuchenhäuser und -herzen mit sinnreichen Versen und heimlich Ringe kaufen. Und überall werden sie als junge Brautleute angesehen und respektiert, bei der Kirchweih dann leider auch erkannt (72) und bestaunt, so dass sie beschließen,
(74)"Ins Paradies" zu gehen, etwas außerhalb, wo das arme Volk sich ein billigeres Vergnügen macht.
Dort tanzt auch schon ein munteres, illustres Völkchen und die Musik liefert der "schwarze Geiger" (76). Er heißt sie nicht unfreundlich willkommen und so tanzen sie mit dem anderen zigeunerhaften Volk bis in die Vollmondnacht hinein.
Der "schwarze Geiger"!
An welchen Stellen in der Novelle taucht er bzw. sein Name auf? (Textdurchsicht)
Beschreibe ihn und erkläre seine Herkunft und soziale Stellung. (Charakteristik)
Was symbolisiert er? (Deutung)
Welche Funktion für die Entwicklung der Handlung hat er? (Wirkungsabsicht)
V. Katastrophe: Hochzeit und Tod
(79) Wie aber soll es weitergehen? Ihr inneres, "bürgerliches" Ehrgefühl lässt eine andere als "ehrliche und gewissensfreie Ehe" nicht zu, aber dazu ist es zu spät, die Väter haben durch ihre Raffgier ihre Familien ehr- und völlig mittellos gemacht; auch hat Sali den Vater seiner Braut ins Irrenhaus gebracht. Die Schuld für diese Tat lastet schwer auf ihm. Ein ehrbarer Ausweg scheint ihnen und ihrem durch das väterliche Fehlverhalten geschärftem Ehrgefühl nicht möglich.
(81) Der Geiger lädt sie ein, mit ihnen zusammen ein freies Leben und eine freie Liebe in Wald und Flur zu führen ...
1. Biographie des Autors
- geboren 19.7.1819 in Zürich
- Ausbildung zum Maler
- Herbst 1848 geht er mit dem Stipendium der Züricher Kantonsregierung nach Heidelberg
zum Studieren (bis 1850)
- lernt dort den Sozialist und Philosoph Ludwig Feuerbach kennen
- 1861 wurde er Staatsschreiber für Zürich
- am 15.7.1890 stirbt er
- Keller gilt als der bedeutendste deutschsprachige Erzähler des 19. Jahrhunderts
2. Inhalt
- Ort : Seldwyla , Schweiz
- Personen : Manz ~> Geschichte der Äcker : Folie
Marti
Sali (Sohn von Manz)
Vrenchen (Tochter von Marti)
- Gemeinde will den Acker versteigern ~> Manz wird der neue Besitzer
- Manz stellt fest das Marti sich ein Eck seines neuen Ackers angepflügt hat
~> Streit
- vor Gericht kein Erfolg für beide ; die jahrelangen Prozesskosten ruinieren die Bauern
finanziell ~> sie verarmen
- Vrenchen (14) verliert ihre Mutter ; sie muss jetzt den Haushalt allein führen
- Manz übernimmt ein Wirtshaus in der Gemeinde, muss es aber bald darauf wieder schließen
- Manz und Sali (inzwischen 19) fischen eines Tages am See
~> treffen Marti und Vrenchen , die ebenfalls Fischen wollen
~> Streit der Bauern , es kommt zu Handgreiflichkeiten
~> Sali und Vrenchen verlieben sich ineinander
- Sali und Vrenchen treffen sich heimlich
- auf dem Nachhauseweg treffen sie den Vater Vrenchens , Marti
~> Marti dreht durch ; Sali rettet Vrenchen durch einen Stein mit dem er den Bauern
schlägt
- Marti kommt in die Psychatrie
-Sali und Vrenchen gehen auf "ein letztes Fest" im Nachbardorf
- auf dem Heimweg bringen sie sich um nachdem sie Ringe getauscht haben
(Tod durch Ertrinken)
3. Vergleich zwischen Keller und Shakespeare
1. Ursache des Streits bei Keller geklärt ,nicht aber bei Shakespeare .
2. Geschichte spielt bei Keller im Bauernmillieu ,bei Shakespeare sind es wohlhabende Familien
3. Sali und Vrenchen kennen sich seit der Kindheit .Aber bei Shakespeare lernen sie sich erst kennen nachdem sie sich ineinander verliebt haben
4. Bei Keller sterben die Verliebten aus Überzeugung ,daß es keinen anderen Ausweg gibt.
Bei Shakespeare aber bringen sie sich wegen eines Mißverständnisses um.
5.Kellers Stück ist als ganzer Text und Geschichte verfasst ,Shakespeares Werk dagegen in Versen und als Theaterstück .
4.Sonstige Auffälligkeiten
- Manz und Marti werden gleich beschrieben :
PARALLELITÄT IN HANDLUNG UND DARSTELLUNG
~> Beispiel der Kleidung ,der Art des Pflügens ,etc.
Gottfried Keller legt großen Wert auf die Würde ,Ehre und Anständigkeit seiner Hauptpersonen
Textbelege : “Vrenchen verabschiedet sich mit den besten Manieren ”
“Sali sieht Vrenchen voll Zärtlichkeit ,Sorgfalt und Achtung an”
~> Ursache : starke Beeinflussung durch die philosophischen Ideen Ludwig
Feuerbachs (siehe Studium) ~> Würde der ärmeren Bevölkerung
Gesellschaftskritische Züge (im Gegensatz zu Shakespeare) :
- es herrschen zu große Klassenunterschiede
- der Konflikt zwischen Elterngeneration und Jugend
- zwei füreinander bestimmte Leben werden von einer kleinbürgerlichen Gesellschaft aufgrund von Vorurteilen am gemeinsamen Glück gehindert
5. Persönliche Stellungnahme
Obwohl ich Büchern wie diesem eher abgeneigt bin , hat mich die Handlung dieser Novelle sofort gefesselt .Leider schreibt Keller in einem eher altmodischem Sprachstil und Satzbau , der aber zu seiner Zeit üblich war ,dafür ist seine genannte Gesellschaftskritik immer noch aktuell , was das Buch durchaus Lesens-
Symbolik:
Die Steine
Die Steine sind ein Symbol, das im ersten Teil, also bis zum Wendepunkt der Erzählung, als Sali aus Wut einen Stein an den Kopf von Marti wirft, sehr oft vorkommt. Diese Tat ist ein Wendepunkt, da für alle Personen eine Art "neues Leben" beginnt. Marti wird verrückt und landet in der Irrenanstalt. Manz und seine Frau haben jetzt Ruhe vor ihm und führen ein etwas besseres Leben als zuvor, doch nur deshalb, weil Manz sich den Dieben anschließt. Für Sali und Vrenchen beginnt etwas Neues, jedoch nicht auf der Erde, da sie keinen anderen Ausweg mehr finden und sich nach ihrem gemeinsamen Tag umbringen.
Das Motiv der Steine steht für Unfruchtbarkeit, Wildnis, Tod und die Zerstörung der Harmonie zwischen den beiden Familien.Die Steine sind lästige Gegenstände in den Furchen der Bauern, die man in die Mitte auf den wilden Acker, wie zu Beginn beschrieben wird, wirft.
Als Manz den mittleren Acker erwirbt und ihn von all den Steinen "befreit", die auf ihm liegen, schüttet er sie auf das "streitige Dreieck", um es Marti heimzuzahlen. Die Steine versinnbildlichen auch die Trauer: "…und ihre Gemüter wurden so schwer wie Steine(S.42,Z.25)."
Die Puppe
Die Puppe von Vrenchen, die sie zu Beginn der Erzählung dabei hat, als Sali und sie ihren Vätern das Mittagsvesper bringen, tritt im Gegensatz zu den anderen Symbolen nur einmal auf. Sie spielt aber trotzdem eine wichtige Rolle, da sie mehrere Symbolfunktionen hat. Eine wichtige Funktion ist diese, als Sali das Püppchen mit einem Stein von der Distelstaude herunterwirft. Das weist auf die Stelle hin, als Sali Marti mit einem Stein an den Kopf wirft.
Eine andere bedeutsame Symbolfunktion: Anschließend wird die Puppe von den beiden Kindern nach und nach zerstückelt. Hier wird auf den allmählichen Auseinandergang der Familien hingewiesen.
Ein dritter Hinweis auf das, was noch geschehen wird, ist die lebendig begrabene Fliege in dem Puppenkopf, die die Kinder dort einschließen. Als Vrenchen ihren Vater ins Irrenhaus bringt, ist in der Novelle von einem "lebendigem Begräbnis (S.50, Z.11/12)" die Rede.
Der brachliegende Acker
Der brachliegende Acker, der eigentlich dem Geiger gehört und zwischen den Äckern von Manz und Marti liegt, ist eng mit dem Bild der Steine verknüpft, denn auf ihn werden die Steine, die die Furchen der Bauern behindern, geworfen. Dies geschieht ohne groß nachzudenken und schon ganz automatisch. Marti und Manz sehen ihn als etwas Störendes an.
Der "wilde" Acker, wie er auch genannt wird, ist ein Ort der Wildnis und der Grausamkeit, wie die grausamen Spiele der Kinder zeigen. Aber auch weil Marti durch den Steinschlag zuerst bewußtlos, dann verrückt wird. Er ist zugleich wilder Brachacker und Kindheitsparadies und zugleich Treffpunkt der Verliebten und Ort des Unheils.
Der eigentlich Grund des Beginns des Konfliktes der Bauern, ist der, daß es Manz stört, daß Marti eine Ecke seines jetzt ihm gehörenden Ackers weggepflügt hat.
Der schwarze Geiger
Der schwarze Geiger kommt das erste Mal ins Spiel, als Manz und Marti bei ihrer Mittagspause über ihn herziehen. Er ist der eigentliche Besitzer des wilden Ackers und eine Person der gesellschaftlichen Randgruppe, ein Außenseiter. Er steht in enger Verbindung mit den Symbolen des Steins und des Ackers.
Er ist das das Sinnbild für die Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit von den Bauern Marti und Manz, denn er ist derjenige, dem die beiden das Unrecht zufügen.
Außerdem ist er ein Symbol des Todes, der Sali und Vrenchen ihr tragisches Ende voraussagt.
Als er das erste Mal auf Sali und Vrenchen trifft, werden sie "in einem seltsamen Bann" gezogen. Er wird als ein "dunkler Stern" beschrieben. Als er mit den beiden redet, springt er auf die "feuerrote Steinmasse". Man erkennt sehr deutlich, daß er die Züge einer Teufelsfigur hat.
Zum Schluß will er ihnen einen Ausweg anbieten, doch sie lehnen ab, weil die Bürgerlichkeit Teil von ihnen geworden ist.
Der Fluß
Der Fluß, der durch das Dorf Selwyl fließt, ist das erste Symbol, mit dem die Novelle beginnt. Er ist das Symbol des Todes, da die beiden Verliebten ihren Tod in seinen Fluten finden. Bereits auf Seite 17, Zeile 33 findet eine symbolische Vorwegnahme des tragischen Endes statt.
Er ist eine Art von "Spiegelbild", das die augenblickliche Stimmungen der Hauptpersonen zurückspiegelt. Zu Beginn, als die Familien noch nicht im Streit leben, ist er der schöne, ruhig fließende Fluß, der durch das Dörfchen fließt. Doch schon bald wird er zum tosend reißenden Fluß, als der Streit zwischen den Bauern auf der Brücke stattfindet. Die beiden müssen gegen ihn anschreien. Dort erreicht ihre Verfeindung ihren Höhepunkt (S. 30, Z. 15 - 19). Und schon am nächsten Tag, als Sali auf dem Acker auf Vrenchen wartet und er voller Glücksgefühle ist, glänzt er wieder in der Mittagssonne und fließt ruhig vor sich hin.
Er ist außerdem ein Symbol des Elends, da sich dort die verarmende Schicht versammelt, um zu fischen, eine Tätigkeit, die darauf hindeutet, daß diese Menschen an ihrem absoluten Tiefpunkt angekommen sind. Er wird hier als eine "Heiligengalerie" beschrieben.
Der Fluß ist das letzte Symbol mit dem die Erzählung schließt und hat somit das letzte Wort. Das wird auf Seite 87, Zeile 27 bis Seite 88, Zeile 5 schön deutlich.
Das mehrfach vorkommende "bald" und was dem Fluß alles begegnet, weisen ein langsames "Ausschleichen" der Geschehnisse und des Lebens der Verliebten auf.
Farbsymbolik der Natur
Die Natur ist, ähnlich wie der Fluß, ein "Spiegel" der Stimmung der Charaktere. Zu Beginn, als alles noch "in Ordnung" war, wird die Natur folgendermaßen beschrieben, wie in einem Bilderbuch:
"eine fruchtbare, wohl bebaute Ebene"
"ein schöner Fluß"
"ein sonniger Septembermorgen"
"ein Städtchen, das räucherig glänzend in seinem Bergen liegt."
Als Manz und Marti dann in Feindschaft leben bekommt die Natur eine ganz andere Beschreibung. Bevor es zu der Begegnung am Fluß kommt, wrden durch Naturerscheinungen schon "vorausgesagt", daß es gleich zu einer Streiterei kommen wird:
"ein ziemlich tiefer und reißender Bach"
"da der Himmel voll Gewitterwolken hing"
Beim Zusammentreffen, als sie sich anschreien und wütend auf sich losgehen:
"rauschen die Wellen des Baches stärker"
"fangen jetzt auch die Weiden am Bache gewaltig an zu rauschen im aufgehenden Wetterwind"
Doch als Sali mit Vrenchen in Berührung kommt, während sie versuchen ihre Väter auseinander zu bringen, erhellt plötzlich ein Wolkenriß das Gesicht des Mädchens (S. 32, Z. 28/29). Hier und noch an denjenigen Stellen, wo Sali und Vrenchen sich treffen, wird in der Landschaft die glückliche Stimmung der beiden wiedergespiegelt:
"tiefblauer Himmel"
"keine Wolke am reinen Himmel"
"der Wald war grün, der Himmel blau"
"die Wälder waren mit einem zarten Duftgewebe bekleidet" (č dies symbolisiert die saubere Kleidung der beiden an ihrem letzten Tag.)
Allein der Dorfname "Seldwyl ist ein von Keller erdachter Name, der übersetzt "Glücksdörfchen" bedeutet.
saelde = Glück, Wonne
wyl = Weiler (kl. Dorf)
Zur Entstehung und Hintergrund von Romeo und Julia auf dem Dorfe ²
Gottfried Keller wurde 1819 in Zürich geboren. Sein Vater starb bereits als Keller fünf Jahre alt war. Keller ging nach München um Landschaftsmaler zu werden, doch bald schon stellte sich heraus, dass ihm dazu die Begabung fehlte, so beschloss er Schriftsteller zu werden, bekam zunächst ein Stipendium in Heidelberg und ging später nach Berlin. Dort entstand die Erzählung Romeo und Julia auf dem Dorfe. Keller hat zuvor in der Züricher Freitagszeitung vom 3.9.1847 folgenden Artikel gelesen:
“Im Dorfe Altsellerhausen bei Leipzig liebten sich ein Jüngling von neunzehn Jahren und ein Mädchen von siebzehn Jahren, beide Kinder armer Leute, die aber in einer tödlichen Feindschaft lebten und nicht in eine Vereinigung des Paares willigen wollten. Am 15. August begaben sich die Verliebten in eine Wirtschaft, wo sich arme Leute vergnügen, tanzten da selbst bis nachts ein Uhr und entfernten sich hierauf. Am Morgen fand man ihre Leichen beider Liebenden auf dem Felde liegen; sie hatten sich durch den Kopf geschossen.”
Keller kritisiert die gesellschaftlichen Prinzipien der Ordnung. Diese Gesellschaft verhindert das Sali und Vrenchen die Erfüllung ihres Glücks finden. Diese Gesellschaft drückt er auch durch den schwarzen Geiger aus, der ihnen ihren Abstieg vergönnt und sie auch noch weiter mitreißen will.
Stoff
Der Stoff dieser Novelle ist wohlbekannt und mehrmals bearbeitet worden. Die bekannteste literarische Bearbeitung dieses Stoffes ist Shakespeares Drama Romeo and Juliet, das fast 350 Jahre vor Kellers Novelle erschien (1594). Durch jenen Titel erkennt der Leser gleich das Hauptmotiv der Novelle: Die Liebe und der Tod der Kinder zweier verfeindeter Familien. Eine Zeitungsnotiz in Züricher Freitagszeitung vom 3. September 1847 ist aber das entscheidende Motivationsmoment für das Schreiben von Kellers Version.
Thema
Ist die verbotene Liebe:
Zwei ehemals gut befreundete Bauern bestrafen sich selbst mit ihrer Fehde
Autor hat Sympathie für die verliebten Kinder der Bauern
Inhalt
Die beiden Familien:
Bestehend aus Manz, seiner Frau und Sohn Sali sowie Marti, seiner Frau und der Tochter Vrenchen. Die beiden Bauern essen immer zusammen zu Mittag, und die Kinder spielen immer zusammen auf dem Feld.
Die Ursache des Streites:
Jahrelang haben sich die beiden Bauern Stückchen des mittleren Ackers abgezweigt. Eines Tages kommt es dann zur Versteigerung dieses Ackers, nach langem Bieten wird er dann von Manz ersteigert. Ein kleines Eckchen, das sich Marti zuvor aneignete, wollte er nun nicht mehr hergeben. So begann der Streit.
Auswirkungen des Streites:
Marti zieht, nachdem Manz Steine auf das Eckchen gehäuft hat, vor Gericht. Im weiteren Verlauf des Streites verarmen die beiden Familien total, und den Kindern wird der Umgang miteinander verboten.
Manz muss nach einiger Zeit nach Seldwyla ziehen, wo er eine Gaststätte bewirtschaftet, die aber nicht wirklich profitabel läuft. Deswegen kam auch er auf das Fischen, genau wie Marti.
Die Begegnung am Fluss:
So kommt es, dass sich die beiden mit ihren Kindern eines Tages am Fluss begegnen. Dort beschimpfen sie sich und fangen an, aufeinander einzuprügeln. Diese Szene ist der Höhepunkt und auch das letzte Mal, wo die beiden Väter aufeinander treffen. Sie wird mit einem heftigen Gewitter verstärkt.
Die Kinder verhindern Schlimmeres:
Durch diese Begegnung sind sich die Kinder seit langer Zeit wieder nahe gekommen. Als sie sich anblicken, erhellt ein Wolkenriss den Himmel. Er ist ein symbolisches Zeichen für bessere Zeiten, die sich die Kinder so sehnlichst wünschen.
Daraufhin reißen sie die beiden Väter auseinander. Beim Weggehen geben sich die Kinder noch schnell die Hände.
Die Zeit nach dem Streit:
Die beiden Väter werden noch verbitterter und ungepflegter. Die Kinder stattdessen treffen sich heimlich, so oft wie möglich, wie auch eines Tages, als Marti dazu kommt. Er läuft auf Vrenchen zu und will auf sie einschlagen. Spontan wirft Sali ihm einen Stein an den Kopf, so dass Marti das Bewusstsein verliert.
Das Ende der Familien:
Marti muss in ein Sanatorium gebracht werden. Manz betätigt sich an zweifelhaften Geschäften und verdient damit etwas Geld. Die Kinder gehen gemeinsam - auf Grund der Aussichtslosigkeit ihrer Situation - in den Tod.
Charaktere
Die Bauern Manz und Marti werden zu Beginn der Geschichte als „lange knochige Männer von ungefähr vierzig Jahren“ beschrieben, die den sicheren, gutsituierten Bauern verkörpern. Es wird auch erwähnt, dass sie von der Entfernung einander in Aussehen und Bewegung vollkommen gleichen. Beide haben keine besonders gute Meinung von den Seldwylern.
Als Manz den Acker erwirbt ist es vorbei mit der guten Freundschaft und den gemeinsamen Frühstücken. Beide entwickeln ihre Sturheit und Habgier voll aus. Sie streiten, bis sie beide verarmen, dennoch gibt keiner nach, im Gegenteil, sie hassen sich noch mehr, da jeder den anderen an seinem Unglück die Schuld gibt.
Die Frau vom Bauern Manz wird zuerst als zärtliche Bäuerin charakterisiert, passt sich später aber der neuen Lebenssituation an und entfaltet sich und bildet alle weiblichen Laster voll aus. Ihre Naschhaftigkeit wird zur Fresssucht und ihre Zungenfertigkeit zu einen grundfalschen und verlogenen Schmeichel- und Verleumdungswesen.
Die Frau vom Bauern Marti ist von guter Art und kann die Streiterei und den Verfall des Bauernhofes nicht ertragen. Sie stirbt ehe ihre Tochter 14 Jahre alt war.
Dem „schwarzen Geiger“ gehört eigentlich der umstrittene Acker. Vrenchen und Sali begegnen ihm das erste Mal als sie am Acker spazieren gehen. Das zweite Mal treffen sie ihn bei der Tanzveranstaltung. Er rät ihnen zu heiraten um mit den restlichen Heimatlosen mit in die Berge zu kommen. Er freut sich über ihren sozialen Abstieg und sieht ihr Unglück als verspätete Rache seines eigenen Schicksals und erlittenen Unrechts.
Sali und Vrenchen
Sali wird in der Erzählung nur sehr knapp beschrieben. Er ist ein “hübscher und kräftiger Bursche”. (S.21 / Z.13-15) Er ist ehrbar, treuherzig, sanftmütig, ruhig und verhält sich zurückhaltend. Im Streit der Familie stellt er einen “ziemlich zahmen Feind dar”. (S.22 / Z.24) Als Junge beim Spiel auf dem Feld bereut er schnell einen bösen Streiche den er mit Vrenchen gemacht hat. “In Angst und Reue” (S.9 / Z.22) steht er vor der klagenden Spielgefährtin und beide versöhnen sich schnell wieder miteinander. Später zeigt er sich in seinem Verhalten gegenüber Vrenchen zärtlich, liebevoll und selbstlos: “Du mußt mich vergessen!” (S.84 / Z.2) “Es handelt sich jetzt nur um dich; du bist noch so jung, und es kann dir noch auf allen Wegen gut gehen.” (S.84 / Z.6-8)
Vrenchen wird von allen Figuren am ausführlichsten beschrieben. Sie ist schlank, zierlich, hat dunkelbraune Haare, braune Augen, ein bräunliches Gesicht und purpurfarbene frische Lippen. (S.20 / Z.17-22) Sie ist “schön, klug, weise, arbeitsam und geschickt zu allen Dingen” (S.62 /Z.7-8) sagt ihre Nachbarin über sie. Vrenchen ist voller Energie und Tatendrang. Sie versucht das Beste aus ihrer Lage zu machen. So macht sie z. B. das verfallene Haus mit Blumen- und Rankenwerk zu einer “ganzen duftenden Wildnis”.
Die Freundschaft zwischen Sali und Vrenchen in der Kindheit
Schon als kleine Kinder verstehen sich die Beiden gut. (S.11 / Z.1-11) Die spätere Zeit sehen sie sich weniger, da sie größer werden. (S.12 / Z.22-29) Sie wollen schon bei dem Feuer auf dem Unglücksfeld immer wieder zueinander. (S.16 / Z.2-8) Mit Beginn des Streites ihrer Familien sehen sie sich gar nicht mehr. Vrenchen geht Sali bewusst aus dem Weg.
Sali: Koseform von Salomon (der Gerechte).
Vrenchen: Diminutivform von Verena (die Scheue, die Reine; auch: Vreneli, Vreeli)
Vergleiche und Unterschiede zu Shakespeare
Der Titel der Novelle Gottfried Kellers „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ verweist auf William Shakespeares Drama „Romeo und Julia“ und deutet zugleich die Umgestaltung an, die Keller vorgenommen hat. Mit dem Drama Shakespeares hat die Novelle Kellers nur das Motiv nicht aber den Stoff gemeinsam. Beide Werke behandeln ein Urmotiv, das im normalen Leben und Beziehungen immer wieder vorkommen kann.
An die Stelle der beiden Veroneser Adelsgeschlechter in Shakespeares Drama treten in Kellers Novelle zwei Schweizer Bauernfamilien; Keller verlegt die Handlung aus dem Mittelalter in die Gegenwart.
Vergleich der Werke anhand von bestimmten Situationen:
Aus der schicksalhaften und schuldhaften Feindseligkeit der Väter erwächst die Tragik des Geschehens sowohl bei Shakespeare als auch bei Keller. Deshalb widmen beide Dichter etwa ein Drittel ihrer Dichtungen dem Streit der beiden Familien.
Sowohl Romeo als auch Sali werden unter dem Zwang der Verhältnisse schuldig: Romeo tötet Tybalt, Sali bringt Vrenchens Vater durch einen Steinschlag um den Verstand.
Sowohl Romeo und Julia als auch Sali und Vrenchen sind sich der Tragik ihres Liebesbundes bewusst und fürchten sein baldiges Ende.
Romeo und Julia gehen an einem Irrtum zugrunde: Romeo hält die scheintote Julia für tot und nimmt sich na ihrer Seite das Leben; als die Erwachende ihn tot neben sich findet, ersticht sie sich. Sali und Vrenchen hingegen gehen in der Erkenntnis der Ausweglosigkeit ihrer Lage aus eigenem Entschluss freiwillig und gemeinsam in den Tod. Der Höhepunkt ihres Lebens, ihre Hochzeitsnacht, ist auch zugleich das Ende.
Interpretation
Keller, der sein Leben lang keine erfolgreiche Beziehung, und auch sonst keinen leichten Start in sein Leben hatte, nimmt einen Zeitungsartikel, in dem er von dem Schicksal eines armen Liebespaares aus bäuerlichen Verhältnissen, das sich aufgrund des Streits der Familien, erschossen hatte, als Ansporn, nach Shakespeares Vorbild, eine Liebestragödie zu schreiben. In dieser beschreibt er das tragische Schicksal zweier Leben, die füreinander Bestimmt waren und von einer kleinbürgerlichen Gesellschaft daran gehindert werden zum gemeinsamen Glück zu finden.
Das soziale Milieu spielt in Kellers Novelle eine bedeutende Rolle. Ihr Titel deutet schon darauf hin. Einer der wichtigsten Werte in der kleinbürgerlichen Gesellschaft des Dorfes ist der Besitz.
Da für sie aber das Angebot des schwarzen Geigers, ein Leben abseits der gesellschaftlichen Normen keine Alternative darstellt, kritisiert Keller in seinem Buch im Gegensatz zu Shakespeare auch die Gesellschaft seiner Zeit.
Das Liebespaar hat durch die Schuld ihrer Eltern ihren Platz in der Gesellschaft verloren, wollen weder aufeinander verzichten noch die gesellschaftlichen Normen verletzen und wählen deswegen den Freitod.
Zur Symbolik in "Romeo und Julia auf dem Dorfe" ³
Haus = bürgerliches Glück
Tür in Vrenchens Haus: Ende des alten Lebens, Beginn des neuen Lebens
Lebkuchenhaus: Zukunft von Sali + Vrenchen
Acker in der Mitte à Konflikt zwischen Manz und Marti
wild, viele Steine, Unkraut: es kann nichts Gutes daraus kommen, zu böse, Aussichtslosigkeit der Zukunft
Symbol der moralischen Verwahrlosung, die sie in den finanziellen Ruin und zum Verlust der familiären Bindung führt
= Leitmotiv
Natur
Gewitter: Kampf zwischen Manz und Marti, unterstreicht den Konflikt
rote Blumen: Liebe
Geiger
Ankündigung der Zukunft
erscheint unheimlich, böse (nur auf Manz + Marti),
Außenseiter, kein perfekter Bürger (hat keinen Besitz, kein Geld, keine Heimat)
Symbol für den Tod
= Leitmotiv
Kleidung
Vrenchen: arm, aber sauber
Manz + Marti: schmutzig -> Symbol für ihre Moral
Erzählperspektive
allwissender auktorialer Erzähler
Autor gibt Kommentare, kritisiert, wertet
Gattung
Novelle (1856)
Zeitraum der Erzählung
Das Stück spielt im Zeitraum von 12 Jahren.
Aufbau
Es ist in zwei Handlungsabschnitte geteilt:
Die Geschichte von Manz und Marti und in
die Geschichte von Vrenchen und Sali.
Die zweite Geschichte beginnt, wenn sich die erste dem Ende nähert.
Historischer Hintergrund:
‚Romeo und Julia auf dem Dorfe' wurde in der Zeit des poetischen Realismus (1848-1890) geschrieben:
“Realismus” ist keine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Schon im 15. und 16. Jahrhundert lassen sich realistische Züge in der Dichtung erkennen. Bei Shakespeare und sogar in der Barockzeit bei Grimmelshausen werden Erzählungen äußerst realistisch geschildert. Aber erst im 19. Jahrhundert wird der Realismus zum Stilprogramm einer Generation.
Die Hauptvertreter des poetischen Realismus sind:
Theodor Storm
Gottfried Keller
Theodor Fontane
Wilhelm Busch
Wilhelm Raabe
österreichischer Spätrealismus:
Ludwig Anzengruber
Marie von Ebner-Eschenbach
Ferdinand von Saar
Peter Rosegger
Die “Realisten” wandten sich vor allem gegen die Klassik und Romantik. Man wollte das Erfahrbare und überprüfbare darstellen und ächtete die Phantasie. In der realistischen Dichtung sollen selbst die Gefühle und Meinungen des Dichters außerhalb der Darstellung bleiben.
Die Handlung der Werke fand meistens in kleinen Orten oder Dörfern auf dem Lande statt. Die Figuren waren häufig Handwerker, Kaufleute und Bauern. Nicht die große Politik, sondern die kleine Welt des Privaten bildete den Hintergrund.
Die Erzählung bekommt durch den Rahmen den Anstrich eines Berichtes über reales vergangenes Geschehen. Die bevorzugte Gattungsform ist die Novelle, die im Realismus ihren Höhepunkt erreicht, wie es auch hier bei ‚Romeo und Julia auf dem Dorfe' der Fall ist.
Sprache/Stil:
Das Stück ist in langen Sätzen geschrieben, die aber nicht ineinander geschachtelt sind - also leicht verständlich.
Die Ereignisse werden gerafft wiedergegeben, wie zum Beispiel bei der Schilderung des letzten Tages von Sali und Vrenchen.
Die Darstellungstechnik ist oft sehr plastisch und anschaulich. Viele Bilder haben auch symbolhafte Bedeutung oder verknüpfen Erzählteile. zB: der verwilderte Acker tritt immer dann auf, wenn die Handlung eine entscheidende Wendung nimmt (Dingsymbol).
Meine Meinung:
Ich finde das Buch sehr gut, da es nicht mit einem ‚happy End' abschließt. So bleibt die Spannung das ganze Stück über erhalten.
Es war auch einfach zu lesen und hat so auch Spaß gemacht. Ich konnte mich bald in die Person des Vrenchens hineinversetzen und ihre Reaktionen miterleben.