Terra Fantasy 004 John Jakes Tochter Der Hölle Brak 2

John Jakes


Tochter der Hölle


Titel des Originals:

BRAK THE BARBARIAN VERSUS THE SORCERESS


Aus dem Amerikanischen von Lore Straßl

TERRA-FANTASY-Taschenbuch

2 Auflage

Copyright © 1969 by John Jakes

Redaktion Hugh Walker

Printed in Germany

September 1977


Abenteuer aus dem Zeitalter des Blutes und der Magie


Brak lebte in den nördlichen Steppen seiner Welt bis seine Stammesgenossen ihn ächteten und aus der Gemeinschaft der Krieger ausstießen, weil er den Göttern seines Volkes die notwendige Achtung und Ehrerbietung versagte.

Jetzt ist Brak, der flachshaarige, große und muskulöse Barbar, der das Breitschwert wie kein anderer zu handhaben weiß, auf dem Weg in die südlichen Länder. Er will die Wunder und den Zauber des Goldenen Khurdisan schauen, von denen ihm ein alter Schamane seines Stammes berichtet hat

Mit seiner Tapferkeit und seinem unbändigen Lebenswillen hat Brak auf seinem langen Weg schon viele tödliche Gefahren gemeistert. Selbst finstere Mächte konnten ihn nicht bezwin­gen.

Aber die Bedrohung aus dem Dunkel ist stärker als Brak ahnt, denn die Sendboten des Schwarzen Gottes haben ihm Rache geschworen. Dies zeigt sich, als der Barbar Nordica Feuerhaar begegnet - einer Tochter der Hölle.

Nach SCHIFF DER SEELEN (TERRA FANTASY Band 1) wird hier der zweite Roman mit Brak, dem Barbaren vorgelegt.

Weitere Abenteuer mit dem gleichen Helden sind bereits in Vorbereitung.


Einleitung


Dies ist nun der zweite Band, in dem die Abenteuer Braks, des Barbaren, erzählt werden. Ebenso wie die Stories um Conan, oder Fafhrd und den Grauen Mausling, oder Dragon und seine Gefährten gehören sie der Literaturgattung der Schwert-&-Magie-Erzählung an.

Darunter versteht man historische oder pseudohistorische Abenteuergeschichten mit übernatürlichen Elementen. Es gibt hier natürlich mannigfaltige Abweichungsmöglichkeiten von dieser Formel, die den Gesamteindruck der Schwert-&-Magie-Erzählung nicht beeinträchtigen.

In Dragon beispielsweise wird das Übernatürliche mitunter durch Elemente aus der Science Fiction ersetzt. Dennoch ergibt sich durch das mystische Verständnis der handelnden Personen der Fantasy-Effekt.

Mit BRAK jedoch haben wir einen astreinen Vertreter des Genres, das Robert E. Howard in den dreißiger Jahren mit den Abenteuern Kulls von Atlantis, Conans von Cimmerien, Solomon Kanes und anderer Heldenfiguren begründete.

Der frühzeitig verstorbene Howard hinterließ eine breite Lücke, die zwar für die fantasyhungrigen Leser immer wieder notdürftig gefüllt wurde, doch weit verstreut in den verschie­densten Fantasy-, Horror- und SF-Magazinen, wie Weird Tales, Unknown Worlds, Fantastic Stories, usw.

Erst Mitte der sechziger Jahre, als Tolkiens Ring-Trilogie in Taschenbuchausgaben erschien und mit der Publikation einer zwölfbändig geplanten Ausgabe Conans begonnen wurde, erreichte die Fantasy das breite Publikum. Alte Werke von Auto­ren wie Henry Kuttner, C. L. Moore, Fritz Leiber, L. Sprague deCamp, Fletcher Pratt, Norwell W. Page, um nur einige zu nennen, wurden neu aufgelegt.

Und viele neue Autoren versuchten sich in dem Genre.

Die meisten von ihnen hatten sich bereits Lorbeeren im Bereich der Science Fiction verdient.

Einer dieser neueren Autoren ist John Jakes.

Seine erste Brak-Story Devils in the Walls erschien 1963 in dem amerikanischen Fantasy- und SF-Magazin Fantastic Stories. Die Story erscheint bei uns in einem späteren Band.

Bereits in den fünfziger Jahren schrieb Jakes Horror und Science Fiction.

1970 erschien die erste Taschenbuchausgabe Braks unter dem Titel BRAK THE BARBARIAN im Verlag Avon Books. (Bei uns DAS SCHIFF DER SEELEN, Terra-Fantasy-Band 1.)

John Jakes ist Jahrgang 1932 und hauptberuflich Werbeagent. Er lebt in Columbus, Ohio. Für seinen Beitrag zum Genre der Schwert-&-Magie-Erzählung wurde er Mitglied von SAGA, einer Gemeinschaft von Autoren dieses Genres.

Eine kürzere Fassung des vorliegenden Bandes erschien ursprünglich unter dem Titel Witch of the Four Winds in den Aus­gaben November und Dezember 1963 des Magazins Fantas­tic Stories und ist somit, nicht chronologisch, doch in der Reihenfolge des Entstehens die zweite Brak-Story.

In den letzten Jahren hat sich auch das Comics-Medium weitgehend dieser Art von Fantasy angenommen. Conan ist längst ein würdiges Mitglied in Marvel-Comics illustrer Super­heldengesellschaft und hat mit Barry Smiths phantastischem Zeichenstil mehrere Preise gewonnen und Comics-Geschichte gemacht. Nach einer von John Jakes getexteten und Val Mayerik gezeichneten Test-Story werden nun auch Braks Abenteuer, zum Teil nach John Jakes Erzählungen, unter den Zeichenstift geraten.

Aber nun genug der Information.

Folgen Sie Braks Spuren. Sie führen nach Süden. Sie können ihn nicht verfehlen, wenn Sie nach Khurdisan reiten.



1.


Als Brak kurz nach Sonnenaufgang erwachte, stellte er fest, daß des Nachts etwas Seltsames geschehen war.

In den vergangenen drei Tagen hatte sich das Land, durch das er gekommen war, von einem freundlichen fruchtbaren Fluß­del­ta langsam in diese öde Hügel- und Gebirgslandschaft aus grauem Schiefer, verdorrten Büschen und rauhen Bergen ver­wan­delt, die ihre Gipfel hinter düsteren Wolken verbargen.

Es war eine einsame Gegend, und bisher war ihm noch kein menschliches Wesen begegnet.

Kaum einen Monat war es her, daß er in jenem Feigenhain, am Rand des Stadtreichs, schmerzlichen Abschied von der liebreizenden, dunkelhaarigen jungen Frau genommen hatte.

Von Rhea - Königin Rhea von Phrixos.

Es fiel dem Barbaren aus dem wilden Norden schwer, sie in ihrer hohen Position als Regentin über ein ganzes Reich zu sehen. Er hatte ihr auf dem höllischen Fluß Phrixos das Leben gerettet und sie vor jenen bewahrt, die sich die Macht mit Gewalt aneignen wollten. Und in der großen Stadt, zu der er sie gebracht hatte, schuftete er bis zur Erschöpfung unter der Peitsche der Aufseher in einem Granitsteinbruch, um genügend Dinschas für die Kunstfertigkeit der Schmiede zusammen­zu­spa­ren. Sie hatten dafür die Züge der Gehörnten auf dem güldenen Kriegsschild geändert. Damit konnte Rhea beweisen, daß die Göttin ihr wohlgesinnt war, und so die Priester beschwichtigen, was wiederum ihr den Thron sicherte.

An jenem Abend im Feigenhain war ihm bewußt geworden, daß er sie liebte. Es fehlte nicht viel, und er wäre mit ihr in ihr Reich zurückgeritten. Nur der Drang, das goldene Khurdisan im Süden zu erreichen, hielt ihn davon ab. Dies und die Aus­sicht, daß eine Königin ihren Thron nicht mit einem Barbaren teilen konnte, der von seinem eigenen Volk in den hohen Steppen des Nordens ausgestoßen worden war. Und so hatten sie sich getrennt, Rhea mit Tränen in den Augen.

Er war weitergeritten, bis er zu diesem rauhen Hügel­land kam. Jetzt starrte er auf das, was sich vor seinem Einschlafen noch nicht hier befunden hatte.

Bei Sonnenuntergang war er zu einer Weggabelung gekom­men. Die eine Straße führte westwärts durch das niedrige Gebirge. In dieser Richtung lagen am westlichen Ende der Welt die Säulen von Ebon. Die andere schlängelte sich südost­wärts zu den wolkenbedeckten Gipfeln, wo die Rauchberge das östliche Ende der Welt einleiteten. Die Rauchberge, die als Wiege und Sitz aller Götter galten.

Irgendwie war während der Nacht der Zugang zu dieser Straße durch eine gewaltige Steinlawine verschüttet worden.

Brak zitterte ein wenig, als er den Wolfspelz von sich schob, mit dem er sich vor der nächtlichen Kälte geschützt hatte. In der Nähe eines Felsblocks stand sein Pferd. Brak strich ihm sanft über die Nüstern und flüsterte ein paar beruhigende Worte. Dann griff er in seinen Beutel und holte eine Handvoll Hafer heraus, mit dem er das hungrige Tier fütterte.

Seine Augen wollten sich jedoch nicht von den gewaltigen Steintrümmern trennen, die den Weg nach Südosten versperr­ten. Er würde nun wohl oder übel der Straße nach Westen folgen müssen.

Nachdenklich kniff er die Lider zusammen. Die Lawine war des Nachts herabgestürzt.

Warum aber hatte er sie nicht gehört?

Unwillkürlich drängte sich ein Gesicht vor sein inneres Auge. Er sah einen Mann mit geschorenem Schädel, krummer Nase, spitzem Kinn und spitzen Ohren. Seine großen Augen schienen fast nur aus Pupille zu bestehen. Er hatte keine Lider. Offenbar waren sie durch eine Operation entfernt worden.

Weiße Narben, zum Teil mit wildem Fleisch überwuchert, zeugten davon, daß die Augen ewig wachten.

Und die Haut dieses Gesichts lebte. Es krabbelte. Winzige nackte menschliche Gestalten schlangen sich ineinander und schie­­nen sich in ewigen Höllenqualen zu winden.

Irgendwie waren diese Miniaturmenschen zwischen dünnen Fleisch­schich­ten gefangen. Und sie bewegten sich in einem unaufhörlichen Wirrwarr.

Wild öffnete Brak die Augen, aber das Bild wollte nicht weichen. Es hatte sich zu tief in sein Gehirn eingeprägt. Und nun erklang auch noch die höhnische Stimme des Mannes in seinem Schädel.

Irgendwo warte ich auf dich, Barbar!

Damit hatte Septegundus, der Amyr des Bösen auf Erden, ihm gedroht. Allzuoft plagte Brak in letzter Zeit die Erinnerung an Septegundus’ krabbelndes Fleisch. Nie würde er sein erstes Abenteuer in der sogenannten zivilisierten Welt vergessen, im Königreich der Eismarschen.

Sein eigenes Volk in den hohen Steppen hatte ihn ausge­stoßen, weil er seiner Mißachtung für die kriegerischen Götter dieses Landstrichs einmal zu oft Ausdruck gegeben hatte. Also war er südwärts gezogen, wohin es ihn ohnehin drängte, seit ein Schamane ihm vom goldenen Khurdisan erzählt hatte - dem Land seiner Träume.

In den Eismarschen hatte er zum erstenmal von dem titani­schen, immerwährenden Kampf zwischen den zwei göttlichen Mächten gehört, die über all die kleinen Götter erhaben waren.

Yob-Haggoth, der Finstere, kauerte allgewaltig über der Welt, eine Bedrohung all dessen, was gut und edel im Menschen war. So zumindest behaupteten die Gegner des dunklen Gottes, jene krypto-religiösen Heiligen, die sich Nestorianer nannten. Von Pater Jerome, einer von ihnen und sein Mitgefangener in der Statue des finsteren Gottes, erfuhr er vom nie endenden Kampf um die Herrschaft auf Erden zwischen Yob-Haggoth und dem Namenlosen Gott, dessen erster Apostel Nestoriamus, der Ziegenhirt, gewesen war. Und Septegundus, der Zauberer, war der Vertreter Yob-Haggoths unter den Menschen, genau wie seine Tochter Ariane.

Ariane! Von bezaubernder Schönheit war sie - und ewig jung. Und sie hätte sich Brak geschenkt, mit all ihrer Macht und ihrem Einfluß, und ihn vor dem Opfertod bewahrt. Aber er wies sie ab. Doch im Augenblick, als die Gefahr für ihn am größ­ten gewesen war, rief er sie instinktiv herbei, und Septe­gundus’ Dolch, der ihm gegolten hatte, bohrte sich in ihren Rücken, während gleichzeitig das Heiligtum Yob-Haggoths ein­zu­­stürzen begann.

Brak, Jerome und ihr Mitgefangener, der blinde Sänger Tyre­sias, überlebten. Als Brak sich von ihnen trennte, versuchte Jerome ihm zum Schutz das nestorianische Kreuz mitzugeben, doch der Barbar nahm es nicht.

Damals also war er zum erstenmal mit den Mächten des fins­teren Gottes zusammengestoßen.

Und als er von den Eismarschen südwärts ritt, verfolgte ihn noch lange die Drohung des Amyrs:

Der Weg ist lang nach Khurdisan, Barbar. Irgendwo warte ich auf dich!


*


Er starrte auf die Steinbrocken und das Geröll, die ihm den Weg verwehrten. Hatte Septegundus seine Hand im Spiel gehabt?

Eine Steinlawine, die kein Geräusch verursachte, konnte es nicht geben!

Aber vielleicht war es nur die Erinnerung an Ariane und den Amyr des Bösen, die seine Phantasie so anstachelte.

Wahrscheinlich hatte er doch nur tiefer geschlafen, als es ihm möglich schien.

Notgedrungen folgte er nun der anderen Straße, die sich in Serpentinen den Berg hinaufschlängelte. Staub wirbelte unter den Hufen seines Pferdes auf. Der Tag wurde stetig heißer.

Immer noch war Brak keiner lebenden Seele begegnet, seit drei Tagen schon nicht mehr.

Um so erschrockener fuhr er zusammen, als der schrille Schrei das leise Seufzen des Windes durchschnitt.

Er umklammerte den Griff seines gewaltigen Breitschwerts, das von seiner Mitte hing. »Das war eine Menschenstimme«, erklärte er seinem Pferd, »oder hält der Wind mich zum Narren?«

Staubwolken verbargen die zerklüftete Landschaft mit ihren überall verstreuten Felsbrocken. Brak hielt das Pferd an und lauschte. Aber der Schrei wiederholte sich nicht, und schließ­lich war er überzeugt, daß tatsächlich der Wind seinen Ohren einen Streich gespielt hatte.

Er trieb sein Roß zu schnellerer Gangart an. Er kannte den Namen dieses Königreichs nicht. Er wußte nur, daß es ihm nicht gefiel, und er ihm so schnell wie möglich den Rücken kehren wollte.

Wieder gellte ein Schrei.

Brak sprang vom Pferd und ließ es an einer Wegbiegung zurück. Das Breitschwert blitzte in der Sonne, als er quer zwischen den Felsbrocken hindurch hügelaufwärts hastete und sein gelber Zopf hinter ihm herflatterte.

Nun war er überzeugt.

Ein Mensch hatte den Schrei ausge­stoßen, eine Frau in Todes­angst, und er war von einem Schieferfelsen zu seiner Rechten gekommen, dessen untere Hälfte von Felsblöcken verborgen war.

Ein weiterer schriller Schrei, der in verzweifeltem Schluchzen endete.

Brak fand keinen Durchlaß zwischen den rauhen Steinen. Er schob das Schwert in die Hülle zurück und kletterte gewandt auf den nächsten Felsblock. Oben angekommen, legte er die Hand schützend über die Augen und sah sich um. Er bot einen imposanten Anblick mit seiner hochgewachsenen muskulösen Gestalt, den breiten Schultern und dem Löwenfell, das seine Blöße bedeckte.

Verwirrt schüttelte er den mächtigen Schädel mit dem gelben Zopf. Nirgends war eine Frau zu sehen, nur ein natürlicher Felspfeiler aus bläulichem Stein mit vielfarbiger Maserung. Dieser Pfeiler war gut doppelt so hoch wie er. Wind und Wetter hatten ihm eine eigenartige Form verliehen. Ein breites Fundament lief bis zur Mitte immer schmäler zusammen und wurde bis zum oberen Ende wieder so breit wie unten.

Auf diesem Pfeiler saß, die Füße auf den Schenkeln und die Arme vor dem hageren Brustkorb überkreuzt, ein Greis. Die Fetzen einer groben grauen Kutte bedeckten ihn nur spärlich und boten ihm gewiß weniger Schutz vor der Witterung als sein dichter verfilzter Haar- und Bartwuchs.

Das Aussehen des Alten reizte Brak zum Lachen. Aber zweierlei hielt ihn davon ab.

Das erste war der Gegenstand, den er an einem Band um seinen Hals hängen hatte. Es war eines jener eigenartigen Steinkreuze des Namenlosen Gottes mit gleichlangen Quer- und Längsbalken.

Das zweite war das Gesicht des Greises.

Der alte Mann saß mit zurückgeworfenem Kopf und fest zusammengepreßten Augen. Seine Lippen bildeten nur einen schmalen Strich. Sein Oberkörper wiegte sich wie ein Rohr im Wind.

Brak rutschte den Felsblock auf der anderen Seite herab und murmelte verärgert vor sich hin: »Eine Frauenstimme nach­ah­men, um Fremde zu erschrecken! Oder vielleicht sie anzu­locken? Das ist es! Sicher sind Räuber in der Nähe, um ...«

Wieder ein Schrei in höchster Todesnot.

Brak blickte an dem Pfeiler mit dem Greis vorbei.

Da entdeckte er eine Öffnung am Fuß des Felsens dahinter. Nun war er sicher, daß der Schrei von dort gekommen war. Er sprintete am Pfeiler vorbei und wäre fast auf einen, verlassen vor dem Höhleneingang liegenden, hölzernen Hirtenstab gestie­gen. Mit der Hand am Schwert trat Brak in die Dunkel­heit der Höhle. Ein scheußlicher Gestank schlug ihm entgegen, der ihm fast den Atem raubte. Es roch nach Verwesung und jahrhundertealter Fäulnis.

Das hoffnungslose Wimmern einer Frau drang an seine Ohren, und plötzlich das gewaltige Brüllen eines Tieres. Noch nie in seinem Leben hatte Brak ein Tier so laut brüllen gehört. Es schmerzte seine Ohren, und sein Herz begann heftig zu pochen.

Die Instinkte des Barbaren rebellierten, forderten ihn auf, so schnell wie möglich aus der engen Höhle zu fliehen. Ein donnerndes Krachen erschütterte die Dunkelheit vor ihm. Der Boden unter seinen Füßen erzitterte.

Welches schreckliche Ungeheuer hauste in der Tiefe dieser Höhle?

Langsam gewöhnten sich Braks Augen an die Düsternis. Er sah, daß die Höhle schräg abfiel und nicht weit entfernt zu enden schien. Vorsichtig tastete er sich mit der Linken an der feuchten Wand entlang, während seine Rechte den Griff des Breitschwerts umklammert hielt. Wieder erscholl das heulende Gebrüll. Es kam aus der Schwärze, wo der Boden des Ganges abrupt endete. War es eine Grube?

Seit seinem Betreten der Höhle hatte Brak keinen Laut mehr von der Frau gehört. Erst als er am Rand der Grube ange­kommen war, vernahm er wieder ein Wimmern. Eilig ließ er sich auf den Bauch fallen und beugte den Oberkörper über den Rand. Tief unten funkelten zwei große rote Scheiben. Augen? Augen von solch gewaltiger Größe? Wie riesig mußte dann erst das Tier sein, zu dem sie gehörten!

Nun entdeckte Brak auch die Frau, oder vielmehr das Mäd­chen, das noch jünger schien als er selbst. Direkt neben seinem Bauch lag eine Sandale, deren Riemen gerissen war. Das Mädchen war offenbar gestolpert und über den Rand gerutscht. Ein Stück tiefer hatte sie sich auf einem schmalen Sims gefangen, wo sie sich fest gegen den Fels drückte.

Sie hatte Brak noch nicht bemerkt. Sie starrte hinab zu den funkelnden roten Lichtern.

»Mädchen?« rief Brak leise, um sie nicht zu erschrecken. »Wenn du den Arm hochstreckst, kann ich dich vielleicht herauf­ziehen.«

Sie legte den Kopf zurück und blickte zu ihm hinauf. Brak vernahm einen Aufschrei und das Knirschen von Geröll, als ihr Fuß ausglitt. Steine lösten sich von dem schmalen Sims und polterten in die Tiefe. Erst viele Augenblicke später hörte man ihr dumpfes Aufschlagen.

Das Mädchen stand wie gelähmt, während das Ungeheuer in der Grube die Telleraugen öffnete und schloß, öffnete und schloß. Wieder brüllte es. Die Erde vibrierte, als es sich bewegte. Braks Magen rebellierte. Der Gestank äonenalter Verwesung schien in dicken Schwaden aufzusteigen.

»Streck deinen Arm aus!« rief Brak.

»Es ist zu weit!« wimmerte das Mädchen. »Ich habe Angst, loszulassen.«

»Anders kann ich dir nicht helfen. Halte dich mit einer Hand fest und streck die andere aus.«

Einen kurzen Augenblick zögerte das Mädchen noch, dann hielt sie ihren rechten Arm hoch. Brak spreizte seine mächtigen Beine, preßte den Bauch gegen den Rand und streckte seine Rechte hinunter, so weit es ging.

Das Mädchen schluchzte. Eine Schwertbreite trennte ihre Hände.

»Stell dich auf die Zehen!« befahl Brak. »So, noch ein bißchen höher ...«

Das Mädchen krallte ihre Linke noch fester in die unebene Wand. Brak spannte die Muskeln seiner Beine, bis sie schmerzten und schob sich weiter über die Grube, bis fast sein gesamter Rumpf über den Rand hing. Nur die Kraft seiner Beine und seiner Linken, mit der er sich an einem tief einge­gra­benen Stein festklammerte, bewahrten ihn vor dem Fallen. Sein langer gelber Zopf baumelte über die Schulter nach vorn und kitzelte seine schweißüberströmte Wange.

Die gräßlichen roten Augen hatten sich wieder geöffnet und schienen sie zu beobachten. Der Gestank war fast greifbar. Aber nicht er allein drang aus der Grube, auch die Aura etwas unsagbar Böses, etwas, das alt war, unendlich alt.

Braks Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, als die Hände sich trafen. Spitze Steine bohrten sich in seinen Bauch, in seine Hüften. Als das Mädchen sich höher nach seiner Hand tastete, verlor sie das Gleichgewicht.

Sie schrie, begann zu fallen. Brak stieß seinen ganzen Körper noch weiter nach unten, und es glückte ihm, ihre Finger zu fassen. Ihr Gewicht zerrte an seinem Arm. »Halte dich ruhig«, keuchte er. »Nur noch einen Augenblick ...« Es gelang ihm, ihr Handgelenk zu umklammern. Nun mußte er sie nur noch hochziehen. Er betete zu den Göttern, die er nicht kannte, ihm die Kraft zu geben.

Das Mädchen hing lediglich an seiner Hand über dem Sims. Er wußte, daß er ihr weh tat. Langsam begann er die Armmuskeln zu spannen und sie hochzuziehen. Höher. Noch ein Stückchen höher.

Plötzlich begann der Stein zu wackeln, an dem Brak sich mit der Linken festhielt. Seine Füße krallten sich in den felsigen Höhlenboden, aber sein Körper hing zu weit über den Rand.

Das Handgelenk des Mädchens begann seinen Fingern zu entgleiten.

Einen schier endlosen Augenblick spürte der Barbar den Hauch des Todes. Tief unten im Schoß der Erde, wo die roten Augen sie beobachteten, erscholl erneut das donnernde Gebrüll.

Mit einem Mal floß wie ein Wildbach eine unirdische Macht durch Braks Körper. Sein Arm begann zu zittern, zu brennen. Der Barbar schrie auf vor Schmerz und umklammerte wieder mit aller Gewalt das Handgelenk des Mädchens. Eine unerklär­liche Kraft erfüllte seinen Arm. Immer höher zog er das Mädchen und schob sich selbst zurück auf die Knie.

Das Blut hämmerte in seinen Schläfen. Alles verschwamm vor seinen Augen. Aber der Arm kannte keine Schwäche. Er war besessen von einer Kraft, die nicht aus ihm selbst kam.

Der Kopf des Mädchens erschien über dem Grubenrand. Brak löste die Linke von dem wackelnden Stein. Er packte das Mädchen an der Schulter und zog.

Nach Atem ringend, stürzten sie beide auf den Höhlenboden.

Keuchend erhob sich Brak. Der eigenartige brennende Schmerz in seinem rechten Arm wurde zum Prickeln wie von Tausenden von Nadelstichen und verschwand schließlich ganz.

Auch das Mädchen war inzwischen aufgestanden. Sie starrte auf den gähnenden Schlund nur einen Schritt von ihnen entfernt. Dann drehte sie sich um.

Selbst in dem düsteren Grau der Höhle erkannte Brak, daß sie einem Mann sehr wohl gefallen konnte. Sie hatte ein ovales Gesicht mit weichen Lippen und großen dunklen Augen. Ihr jetzt zerzaustes braunes Haar reichte bis zu den Schultern. Sie trug ein weißes ärmelloses Webgewand, unter dem sich ihre weiblichen Formen sanft abzeichneten.

Ein schmaler Ledergürtel hielt es um die Mitte zusammen.

»Ich fiel! Ich fiel - hinunter zu diesem - diesem Ding«, sagte sie mit großen staunenden Augen. »Beide fielen wir. Ich weiß es genau. Und doch - stehen wir jetzt hier.

Ich verstehe es nicht.«

»Mädchen«, erwiderte Brak mit einem rätselhaften Lächeln. »Ich bin nicht weniger überrascht. Zwar ist mein Arm stark, doch verfügt er nicht über diese Kraft!«

»Aber - wie ...«

»Ich weiß es nicht. Doch wir wollen uns jetzt nicht darüber den Kopf zerbrechen, sondern sehen, daß wir hier heraus­kom­men.« Der Gestank aus der Grube drehte Brak den Magen um. Er nahm das Mädchen an der Hand und eilte mit ihr durch den düsteren Höhlengang. Ihre Augen wurden noch größer, als sie die mächtige Statur des Barbaren im Schein der untergehenden Sonne sah, den gelben Zopf, der den Rücken herabhing, und den Löwenschwanz, der vom Fell um seine Lenden baumelte.

Langsam beruhigte sie sich. Sie löste verlegen ihre Hand aus seiner und machte ein paar Schritte von ihm weg.

»Ich heiße Brak. Ich ritt gerade auf der Straße da unten, als ich Eure Schreie hörte«, erklärte er. Er nannte sie nun nicht mehr »du« wie in den Augenblicken der Gefahr.

»Von Eurem Aussehen zu schließen, kommt Ihr von weit her«, murmelte sie, ohne ihn anzublicken.

»Von den hohen Steppen im Norden. Und ich bin auf dem Weg nach dem Süden. Doch wer seid Ihr? Wie geschah es, daß Ihr in dieses gewaltige Loch fielt, das gewiß bis in die Tiefe der Hölle selbst hinabführt.«

»Nein. Nur bis zum Nest des Teufelswurms.«

Braks Rücken kribbelte. »Teufelswurm?«

»So nennt man ihn hier. Doch noch nie kehrte einer zurück, um ihn zu beschreiben.« Sie warf einen scheuen Blick auf den Barbaren. Seine Nähe und die Tatsache, daß er ein Mann war, schien sie zu beunruhigen. »Es war nicht Neugier, die mich in die Höhle lockte«, murmelte sie und hob den Hirtenstab auf. »Mein Name ist Elinor. Mein Heim ist dort oben, an jenem Hang.« Sie deutete auf einen nahen Berg. »Ich wuchs bei meinem Vater auf, der Schafhirt war. Seit er tot ist, hüte ich die Tiere. Einmal, jeden sechsten vollen Mond, treibe ich sie zum Markt.«

»Ein einsamen Leben für ein Mädchen so jung wie Ihr.«

»Ich kenne es nicht anders. Und sicher ist es besser, als unter den Menschen zu wohnen, wenn die Geschichten wahr sind, die man sich auf dem Markt erzählt. Doch wie dem auch sei, eines der Mutterschafe entfernte sich von der Herde. Ich folgte ihm den Berg hinab. Es verlief sich in der Höhle. Ich war dicht hinter ihm, als es in die Grube stürzte. Da riß der Riemen meiner Sandale, ich stolperte und fiel ebenfalls.

Glücklicherweise landete ich auf dem schmalen Sims. Ich hatte solche Angst und schrie - und nun danke ich den Göttern, daß ich es tat.«

Ihre Wangen röteten sich, als hielte sie es für ungehörig, so mit einem Mann zu sprechen.

Brak nickte. »Erzählt Ihr mir für meine Hilfe mehr vom Teufelswurm? Und etwas über jenen Greis auf der Felssäule dort?« Brak legte die Hand über die Augen.

»Er schläft offenbar immer noch.«

»Mag sein. Vielleicht aber befindet sich seine Seele wieder auf Wanderschaft.«

»Was meint Ihr, Mädchen?«

»Sein Name ist Ambrose, man nennt ihn den Felseremiten. Er betet zu einem recht eigentümlichen Gott, der über alle Königreiche der Welt herrschen soll, wie Ambrose glaubt. Aber wer hörte schon je von einem Gott, der die Grenzen zu anderen Ländern überschreiten kann?« Sie blickte Brak fragend an, aber er schwieg.

»Tag um Tag sitzt er dort oben«, fuhr sie fort, »und träumt. Auf dem Markt spricht man davon, daß er übernatürliche Kräfte hat. Daß er seine Seele fortschicken und durch sie sehen kann.«

»Viel Seltsames gibt es auf dieser Welt.« Brak nahm den Schwanz seines Löwenbeinkleids und wischte sich damit das Blut von den Wunden am Bauch. Freundschaftlich wollte er dem Mädchen den getrockneten Höhlenschmutz vom Gewand streifen, aber sie mißverstand seine Geste.

Sie streckte den Hirtenstab von sich und sprang zurück. »Ich danke Euch, daß Ihr mir das Leben gerettet habt. Doch nun muß ich zurück zu meinen Schafen. Ich werde zu den Göttern beten, damit sie Euch auf Eurer weiten Reise beschützen.«

Sie wandte sich um und eilte behende den Berg aufwärts.

»Wartet doch, Mädchen. Sagt mir zumindest, wo ich eine Herberge finden kann ...«

Aber sie war schon hinter einem Felsblock verschwunden.

Verärgert rannte Brak ihr nach. Doch ihr Vorsprung war bereits zu groß, und sie war auch flinker als er.

Fluchend machte er kehrt.

Plötzlich richteten sich die Här­chen auf seinem Nacken auf. Er spürte, daß jemand ihn beobachtete.

Ambrose wiegte sich immer noch auf seinem gebrechlichen Pfeiler, aber dahinter vermeinte der Barbar ein flüchtiges Funkeln gesehen zu haben, wie von Sonnenstrahlen, die sich auf einem metallenen Helm brachen.

Versteckte Beobachter? Ein weiteres Rätsel. Brak hatte genug davon für einen Tag. Er zog sein Breitschwert aus der Scheide und sprintete zu dem Felsen, hinter dem er den Helm verschwinden zu sehen geglaubt hatte.

Doch der Hang dahinter war leer.

Der Wind pfiff über den Berg, und Ambrose, der Felseremit, stöhnte und stieß einen schrillen Schmerzensschrei aus.

Brak beschloß, sich die verweigerte Auskunft von dem Alten zu holen. Er kehrte um und stellte sich neben den natürlichen Pfei­ler. Ambrose war wach. Seine bernsteinfarbigen Augen blick­ten verwirrt zu dem Barbaren herab. Sie wirkten eigen­artig jung in dem verrunzelten Greisengesicht.

»So seid Ihr also endlich aufgewacht«, stellte Brak laut fest.

»Schlafen ist so manches Mal Wachsein. Doch manches Mal auch nicht«, orakelte der Greis und legte die Hand um das Steinkreuz auf seiner Brust.

»Was immer das auch bedeutet. Alter, mein Name ist Brak. Ich bin ein Fremder in Eurem Land. Während Ihr schlieft, wäre mir Eure Hilfe sehr von Nutzen gewesen. Ein Mädchen fiel in eine Grube in jener Höhle dort.«

Die Augen des Felseremiten wurden klarer. Sie musterten den breitschultrigen sonnengebräunten Barbaren. »Die Schafhirtin Elinor. Sie suchte ein verlaufenes Mutterschaf.«

»Für einen, der mit geschlossenen Augen den Tag verträumt, seid Ihr gut unterrichtet.«

Die bernsteinfarbigen Augen zogen sich zusammen.

»Statt mir Vorwürfe zu machen, solltet Ihr dem Namenlosen Gott danken, daß Ihr und das Mädchen nicht dem Teufelswurm als Abendmahl dientet.«

»Dieser Teufelswurm«, erkundigte Brak sich. »Was ist das für ein Ungeheuer? Eine Schlange?«

Ambrose, der Felseremit, nickte. »Zum Teil, doch ist sein Gehirn viel besser entwickelt. Es ist ein ungeheuerliches schleimbedecktes Wesen; das letzte seiner Rasse. Es hauste schon in dieser Höhle, ehe es die ersten Menschen gab.

Manche sagen, der Finstere habe es erschaffen.«

»Yob-Haggoth.« Brak nickte.

Die bernsteinfarbigen Augen glühten. »Ihr kennt ihn?«

»Nur seinen Namen«, wich Brak aus. »Götter interessieren mich nicht.«

Der Felseremit schien nachzudenken, schließlich sagte er: »Der Teufelswurm ist einer der Gründe, warum das Land hier zweifach verdammt ist.«

Ehe Brak etwas zu sagen vermochte, weiteten sich Ambroses Augen. Er drückte das Steinkreuz an seine Brust. »Steigt auf Euer Pferd, Barbar, und blickt nicht zurück. Reitet südwärts, wie Ihr es vorhabt. Dies ist ein verfluchtes Land und eine verfluchte Zeit. Nur hier brüllt der Teufelswurm noch nach seinen Opfern. Seit dem Verbrechen an Celsus, dem Alchi­misten, ist hier die Hölle los - und Blutlefzer ebenfalls. Ich fürchte, die Macht Yob-Haggoths wächst. Reitet fort, Barbar. Entzieht Euch diesem Fluch!«

Tief prägte dieser Augenblick sich in Braks Gehirn: Der Greis auf dem Säulenthron schien harmlos und gebrechlich, doch seine funkelnden Augen straften diesen Eindruck Lügen. Sie schienen durch Brak zu dringen und durch Zeit und Raum.

Ein unerklärliches Gefühl bemächtigte sich Braks. Woher wußte der Einsiedler, daß er ein Pferd ritt? Daß er in den Süden wollte? Welcher Art waren seine übernatürlichen Kräfte?

Plötzlich fragte er sich, ob der merkwürdige Greis wohl etwas mit der gewaltigen Kraft zu tun gehabt hatte, die so unerwartet in seinen Arm geströmt war. War es vielleicht eine Manifes­tation des Namenlosen Gottes gewesen?

Es war alles so verwirrend. Er schüttelte heftig den Kopf, um diese unerwünschten Gedanken zu vertreiben.

»Ich verstehe nicht, was Ihr da daherbrabbelt, Alter«, brummte er.

»So mag es auch besser sein«, erwiderte der Felseremit.

»Doch hoffe ich, Ihr habt zumindest meine Warnung ver­stan­den.«

»Alter, ich bin kein verängstigtes Kind. Ich bin es gewohnt, um mein Leben zu kämpfen, nur wissen möchte ich, aus welcher Richtung die Winde wehen.«

Ambrosius lächelte schwach. »Wie seltsam, daß Ihr von den Winden sprecht. In wenigen Tagen werden sie sich in diesem Land treffen. Sie werden tosen und pfeifen und heulen wie nie zuvor. Man sagt, sie wird die Winde herbeirufen, sie sind Teil ihres Zaubers.«

Verärgert stampfte Brak mit dem Fuß auf. »Ihr und Eure Rätsel! Wer wird die Winde herbeirufen? Die Schafhirtin? Und wer ist dieser Blutlefzer, den Ihr erwähntet? Und Celsus? Laßt Euch nicht bitten, Alter, und erklärt mir, was Ihr damit sagen wolltet, oder ich ...«

Ein schrilles Wiehern aus Todesangst gellte über den Hang.

Braks Grimm erlosch. Sein Gesicht wurde bleich. Er rannte zwischen den Felsen und Steinen abwärts und zog im Laufen das Breitschwert. Als er um den letzten Felsblock vor der Straße bog, glaubte er seinen Augen nicht trauen zu können. Mitten auf dem Weg lagen die Überreste seines Pferdes - Knochen und Eingeweide und eine gewaltige Lache Blut, die langsam im Boden versickerte. In der Ferne verlor sich ein Bimmeln von silbernen Glöckchen und das Getrappel von Bronzehufen. Er rannte um die nächste Biegung. Ein Streitwa­gen, gezogen von schwarzen Pferden, verschwand soeben hinter einem hohen Felsblock. Er hinterließ einen Gestank, der noch entsetzlicher war als jener in der Grube des Teufels­wurms. Er erinnerte ein wenig an den der Karawanenhunde, nur war er viel, viel stärker und vermischt mit dem süßlichen Geruch von Blut. Nun wußte Brak, daß ein Hund sein Pferd gerissen hatte.

Doch welche Art von Hund konnte ein Tier, das dreimal größer war als er selbst, in dieser kurzen Zeit zerfleischen? Nein, ein Hund vermochte das nicht. Außer - Brak schauderte - dieser Hund war von überdimensionalen Proportionen.

Der Hundegestank drang wie Gift in Braks Nase.

Wild wirbelte der Barbar herum und eilte zurück zum Fels­pfei­ler. »Alter!« rief er. »Ein Tier riß mein ...«

Aber der Felseremit hatte die Augen fest geschlossen und wiegte sich wieder auf seiner luftigen Höhe.

Brak brüllte auf ihn ein, doch der Greis hörte ihn nicht. Nur in den Schieferfelsen hallten seine Rufe wider. Die Sonne verbarg ihr Gesicht hinter den Abendwolken. Eine Vorahnung kom­men­den Unheils drückte schwer auf Brak.



2.


Brak setzte seinen Weg zu Fuß fort und erreichte eine Kreu­zung. Ein Bauer auf einem Ochsenfuhrwerk, der ihn mißtrau­isch musterte, wies ihm den Weg zu einer Karawanserei.

»Es verkehren kaum noch Fremde dort«, erklärte er dem Barbaren, »seit die Händler von den Inseln im Meer von Cham keine Karawanen mehr schicken. Die Kunde von unheilvollen Zeiten verbreitet sich rasch.«

»Von welchem Unheil sprecht Ihr, Bauer?«

»Es ist besser, darüber zu schweigen. Eine allzu lockere Zunge mag die bösen Geister herbeiholen. Lebt wohl, Frem­der.« Der Bauer schnalzte mit der Peitsche, und die Ochsen zogen an.

Verwirrt schüttelte Brak den Kopf und folgte der angege­benen Richtung. Die Straße war breiter und offenbar mehr benutzt als jene, auf der er durch die Hügel gekommen war. Sie zog durch ein weites Tal mit vereinzelten Katen und armseligen Feldern. Eine Frau in einem mageren Obstgarten machte das Zeichen gegen den bösen Blick, als sie Brak sah.

Die Karawanserei bestand aus mehreren windschiefen niedri­gen Lehmbauten. Ein paar kränkliche Esel standen apathisch in einem nach Jauche stinkenden Hof, während ihre Treiber im Innern des mittleren Gebäudes den sauren einheimischen Wein schlürften.

Brak holte ein paar seiner letzten Dinschas aus dem Beutel und hielt sie dem dürren Wirt unter die Nase. »Genügt das für ein kräftiges Mahl und ein Nachtlager?« erkundigte er sich.

»Ihr könnt dafür die halbe Karawanserei heute nacht für Euch allein haben«, versicherte ihm der Wirt. »Soll ich Euer Pferd versorgen?«

»Das tat ich bereits«, brummte Brak. »Ich begrub, was davon übrig war, in den Hügeln.«

Der Wirt betrachtete den Barbaren neugierig. »Bestimmt führte Euch nur der Zufall in unser von den Göttern verlassenes Land.« Er reichte Brak einen Bocksbeutel mit Wein.

Der Barbar setzte ihn an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck, ehe er brummte: »Eures ist kein sehr wohlhabendes Königreich, dünkt mir.«

»Ihr sagt es.« Der Wirt nickte bedrückt. »Noch vor zwölf Monden war es ein schönes, blühendes Land. Nichts fehlte uns zu einem angenehmen Leben. Doch das ist alles vorbei.«

Braks dichte Brauen zogen sich zusammen. »Was ist geschehen? Hat ein neuer Herrscher die Macht ergriffen?«

»Nein, Strann von den silbernen Waagschalen regiert uns nach wie vor.«

»Ein eigenartiger Name!«

»Man nennt ihn so, weil er alle Streitigkeiten schnell und gerecht behebt und durch seine Güte und Weisheit für Frieden sorgt. Aber er ist nicht mehr der Jüngste, und seine Armee ist klein. Die paar Soldaten sind machtlos.«

»Weshalb machtlos, Wirt? Was ist über dieses Land gekommen wie eine Seuche?«

»Die Furcht, Fremder«, murmelte der Gefragte kaum hörbar. »Die Furcht vor schrecklichen und geheimnisvollen Dingen.«

Brak tätschelte sein Breitschwert. »Ich bin noch wenigen Schrecken begegnet, gegen die meine Klinge nichts auszu­rich­ten vermochte.«

Diese Ausnahmen waren die Macht Septegundus’ und seiner Tochter, doch das verschwieg er.

Der Wirt seufzte hoffnungslos.

»Versucht, sie durch einen Geist zu stoßen. Oder eine Hexe. Oder ein Untier mit einer Haut so undurchdringlich wie ...« Hastig biß er sich auf die Lippe und schüttelte den Kopf. »Es hat keinen Sinn, das Unerklärliche erklären zu wollen. Ich bin kein Zauberer und verstehe nichts von Magie. Ich zöge es auch vor, nichts davon zu hören.«

»Magie? Zauber? Welcher Art?«

»Eine Hexerei, die unser einst so reiches Land zur Öde und unsere Zukunft trostlos macht«, erwiderte der andere bitter.

»Diese Armee, von der Ihr spracht, ist Zauberwerk für ihre Machtlosigkeit verantwortlich?« fragte Brak ungläubig.

Der Wirt antwortete nicht, sondern schritt zur Tür.

Hufklirren erschallte auf dem Hof. »Willkommen, Lord Iskander«, vernahm der Barbar. Er blickte durch das Fenster hinaus.

Ein Trupp Soldaten, gut zwei Dutzend Mann, stiegen müde von ihren Pferden. Sie schienen mürrisch und unzufrieden.

»Wir übernachten bei Euch«, erklärte ihr Offizier. »Gebt meinen Männern je einen Becher Wein.«

»Sofort. Gelang es Euch, die Vermißten zu finden?«

Iskander nahm seinen Helm mit der Federzier ab. »Nein. Ich nehme an, sie sind desertiert und zur Burg geritten, um ihr ihre Dienste anzubieten.« Angeekelt spuckte der Lord auf den Boden. »Selbst meine Elite«, er deutete abfällig auf die lustlo­sen Soldaten, »drohte zu meutern, falls wir ihre ehemaligen Kameraden weiterverfolgten. Darum schlossen wir den Kom­pro­miß, hier zu übernachten. Weitere Überläufer, und König Strann wird bald keine Armee mehr haben.«

Lord Iskander zog sich mit seinen Soldaten in eine Ecke des Hofs zurück und widmete sich schweigend dem Wein. Gerade als Brak sich erhob, um sich mit den Soldaten zu unterhalten, begannen deren Pferde ängstlich zu wiehern und zu stampfen.

Sofort sprang der Offizier auf und zog sein Schwert.

Räder knarrten in der einbrechenden Dunkelheit. Licht, das von zwei Fackeln an einem Streitwagen stammte, flackerte über den Schmutz des Hofes. Der Wagen hielt unter dem Tor. Die davorgespannten vollblütigen Rappen schnaubten und tänzelten. Einige der Soldaten rannten in das Stallgebäude, um die Pferde zu beruhigen. Der Rest gruppierte sich an der Stallmau­er und wartete ab. Iskanders dunkles Haar glänzte im Fackelschein. Auch er wartete ab.

Eine schlanke junge Frau in seegrünem Gewand stieg graziös aus dem Streitwagen, gefolgt von einem ausgemergelten hoch­gewachsenen Mann mit silbernem Turban und einem dunklen Kapuzenumhang, dessen Saum in Silber mit den Symbolen der vier Elemente - Erde, Luft, Feuer und Wasser - bestickt war.

Brak entsann sich, schon einmal einen solchen Umhang auf einem Marktplatz gesehen zu haben. Die Träger dieses Gewandes gehörten der Gilde der Magier an.

Doch viel mehr interessierte den Barbaren das Mädchen.

Ihr Haar leuchtete wie frischpoliertes Kupfer. Ihre Wangen­knochen waren hoch und aristokratisch, ihre Lippen voll und rot, und ihre Haltung majestätisch, trotz der mädchenhaften Grazie ihrer Bewegungen. Nichts schien ihren mandelförmigen tiefgrünen Augen zu entgehen. Sie maßen sich flüchtig mit Braks und wandten sich dem nächsten zu, doch genauso plötzlich kehrten sie zurück.

Einen langen Augenblick glitzerten sie wie Jade, auf dem sich der Schein höllischen Feuers bricht. Schwindel übermannte Brak, wollte ihm schier die Besinnung rauben. Die Augen wurden immer größer, bohrten sich in seine, verzehrten ihn.

Doch mit der gleichen Plötzlichkeit, mit der dieses Gefühl ihn überfallen hatte, verschwand es auch wieder. Brak wußte, daß diese Augen ihn an etwas erinnerten, aber so sehr er sich auch bemühte, es fiel ihm nicht ein, woran.

Mit wallendem Gewand in einer Wolke von aufdringlichem Parfüm, das irgendwie einen Hauch von Verwesung mit sich trug, schritt sie an ihm vorbei in die Gaststube, mit dem Magier dicht hinter ihr.

»Wirt!« rief sie. »Bewegt Euren faulen Leib. Bringt uns zwei Becher Eures besten Weins. Auch Hühnerbrust und Lamm­bra­ten.«

»Lady«, stammelte der Wirt, »wir haben keinen Lammbra­ten.« Er schluckte schwer, als er ihrem Blick begegnete und wischte sich die schweißnassen Hände an seinen Beinkleidern ab. »Er wird sofort für Euch zubereitet, Lady, wie Ihr befehlt.«

Das Mädchen lachte glockenhell. »Ich danke Euch, Wirt. Ich weiß Euren Respekt zu schätzen. Darum sehen wir uns auch im Land um. Um zu erfahren, wer uns den schuldigen Respekt zollt und wer nicht.«

Iskander starrte auf das Fenster der Gaststube. Seine Lippen waren dünne Striche.

Brak schritt über den Hof. »Lord Iskander?«

Unwillig wandte der Angesprochene sich ihm zu, doch sein Gesichtsausdruck änderte sich, als er die mächtige Statur des Barbaren sah.

»Könnt Ihr mir sagen, wer diese Frau und dieser Mann sind, vor denen alle sich zu fürchten scheinen?«

»Hätte ich eine Hundertschaft von Männern Eures Formats«, murmelte Lord Iskaner, »würde ich nicht tatenlos hier herumstehen. Sie hat mir schon über die Hälfte meiner Männer fortgelockt, ihnen unvorstellbaren Reichtum versprochen. Ihr wollt wissen, wer sie ist? Nordica Feuerhaar! Und man sagt, sie sei eine Hexe. Ich fange an, es zu glauben.«

»Eine Hexe?«

»Die einzige Tochter von Celsus Hyrcanus, dem Alchi­mis­ten«, fuhr Lord Iskander fort. »Und der Mann ist Tamar Zed, ein Magier. Vor acht Monden erschien er plötzlich.

Niemand sah ihn kommen. Und seither ist Celsus’ Tochter wie verwandelt. Sie liebte ihren Vater, war hilfsbereit und freundlich zu jedermann. Doch als Tamar Zed auftauchte, schlossen sie ein unnatürliches Bündnis. Sie besiegelten es mit Lust und ermordeten den alten Alchimisten.«

Iskander zuckte die Schultern. »Celsus war ein gütiger, harmloser Mann, der sein Leben der Suche nach dem Stein der Weisen widmete. Man sagt, kurz ehe er verschwand, habe er das Geheimnis gefunden, Blei in Gold zu verwandeln. Nordica schwört, daß nun sie das Geheimnis kenne. Darum laufen auch so viele meiner Männer zu ihr über, weil sie sich Reichtum von ihr versprechen. Ich weiß nicht, ob es stimmt. Doch sicherlich ist sie nicht mehr die alte Nordica, wie wir sie kannten. Vielleicht ist sie wirklich eine Hexe, wie sie sich brüstet. Sie ist zum Fluch unseres Landes geworden.

Ehe Brak etwas zu sagen vermochte, trieb ihm der feuchte Nachtwind den nur allzu bekannten Hundegestank in die Nase. Er starrte zum Tor. »Lord Iskander«, murmelte er, »riecht Ihr es nicht?«

»Die Rosse spürten es längst, noch ehe Nordicas Streitwagen hier einrollte«, erwiderte der Offizier. »Der Gestank kommt von jenem Untier, das die Menschen in diesem Land mehr als alles andere fürchten. Es ist auch der Grund, warum meine Soldaten sich ängstlich zusammendrängen. Und weshalb sogar ich - die Götter mögen mich einen Feigling schimpfen - zögere zu tun, was ich tun sollte: ihr mein Schwert durch die Brust stoßen!«

Der Gestank hüllte Brak schier ein. Er sah sein zerfleischtes Pferd vor sich. Ohne lange zu überlegen, schritt er auf das Tor zu. Hinter dem Streitwagen lag eine riesige Kreatur langausgestreckt auf dem Boden. Brak weigerte sich, seinen Augen zu trauen. Es durfte keinen Hund dieser Größe geben!

Er zog sein Schwert halb aus der Hülle.

»Welch eine Ausgeburt der Hölle ist das?« keuchte er.

Iskander war ihm gefolgt. »Ein Untier, das genau wie der Magier plötzlich aus dem Nichts auftauchte, als Nordica sich so veränderte.«

Brak starrte es düster an. Er entsann sich der Worte des Felseremiten, der von einem zweifachen Fluch gesprochen hatte. »Hat das Ungeheuer einen Namen?« erkundigte er sich.

»Es heißt Blutlefzer«, flüsterte Iskander.

Der gewaltige Schädel des schlafenden Hundes ruhte auf seinen Riesenpranken. Zwei messerscharfe Reißzähne ragten spitz aus dem schief geschlossenen Rachen.

»Sie muß eine Hexe sein, wenn sie ein solches Ungeheuer zu erschaffen vermag«, brummte Brak.

»Ja«, pflichtete Iskander ihm bei. »Gewöhnlich hängt das Tier an der Kette. Doch hin und wieder läßt sie es zu ihrem Vergnügen los. Dieser Spaß hat schon einem paar Dutzend Menschen das Leben gekostet. Versteht Ihr nun, weshalb meine Soldaten den Mut verlieren?«

Brak zog sein Schwert ganz aus der Scheide. Wilder Grimm kochte in ihm. »Es ist ein Hund«, knurrte er, »nichts weiter. Und er zerfleischte mein Pferd.«

»Haltet an, Fremdling!« keuchte Iskander. »Sein Fell ist wie ein Panzer ...«

Aber Brak hörte es schon nicht mehr. Mit hocherhobenem Schwert sprang er auf das Tier zu. Dann stieß er es mit aller Kraft herab.

Blutlefzer öffnete den Rachen und fletschte die scharfen Zähne. Braks Schwert schmetterte auf das Tier mit einer Gewalt, die einen ausgewachsenen Löwen in zwei Hälften gespaltet hätte.

Der Barbar fluchte. Schmerz brannte in seinem Arm. Das Schwert war wie eine harmlose Rute von Blutlefzers Flanken abgeprallt.

Brak stolperte rückwärts. Der erfolglose Hieb hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Rachen des Untiers öffnete sich weit, Geifer troff aus den Lefzen. Mit seiner rechten Vorderpranke tappte das Tier nach Braks Hüfte. Es sah aus, als wollte der Hund nur eine lästige Fliege verscheuchen. Und doch warf der Hieb Brak in den Staub der Straße.

Blutlefzer setzte zum Sprung an. Seine Kette klirrte. Die Augen funkelten gelb.

Iskanders Soldaten kamen auf das Tor zugerannt. Der Offizier rief laut: »Ich versuchte Euch zu warnen, Fremdling. Keine Klinge vermag diese Haut zu durchdringen ...«

Blutlefzer sprang. Brak rollte sich zur Seite, versuchte außer Reichweite zu kommen.

Der Riesenhund war schneller. Er stellte sich breitbeinig über Brak, das Maul weit aufgerissen.

Der Barbar rollte sich auf die linke Seite und stieß mit dem Schwert nach oben. Als die Klinge Blutlefzers Panzerhals traf, schrie Brak vor Schmerz auf.

Blutlefzers gewaltiger Rachen gähnte immer weiter, während er ein paar Schritte zurücktänzelte, ehe er vorwärtsschnellte, um den Kopf des Barbaren zu zermalmen. Verzweifelt rollte Brak sich weiter. Er mußte außer Reichweite der Kette kommen, sonst konnte ihn nichts mehr retten.

»Fuß! Fuß, Hund! Laß von ihm ab!« hörte er den scharfen Befehl einer Frau.

Einen Augenblick später taumelte Brak auf die Beine. Sein gelbes Haar hing ihm in die Augen. Sein Körper war schmutz- und schweißgebadet und blutete aus mehreren kleinen Wunden. Durch einen roten Schleier sah der Barbar ein verführerisch schönes Frauengesicht und ein bärtiges hinter ihr.

Brak stolperte auf Nordica Feuerhaar zu. Sie beobachtete ihn verärgert und belustigt zugleich. Und noch ein Ausdruck lag in ihren Augen, den Brak nicht zu deuten wußte. Zu ihren Füßen winselte Blutlefzer und zerrte an seiner Kette.

»Ihr seid sicher nicht aus dieser Gegend, Fremdling«, stellte Nordica fest. »Sonst wäret Ihr nie auf den Gedanken gekommen, meinen Hund zu reizen - und mich.«

Noch vor Wut zitternd, spuckte Brak ihr vor die Füße. »Ich komme von einer Straße, Lady. Einer Straße unweit von hier. Dort schlug dieses vierbeinige Ungeheuer mein Pferd.«

»So war es Euer Reittier! Wir kamen daran vorbei. Der arme Blutlefzer war hungrig, und ich sah niemanden, dem das Pferd gehörte.« Sie zuckte die Schultern und tat damit den blutigen Vorfall als unbedeutend ab.

»Dann könnt Ihr auch nichts dagegen haben, wenn ich dafür Euren Schoßhund angreife«, konterte Brak. Er deutete mit dem Schwert auf die Soldaten. »Diese Memmen fürchten sich zu Tode davor. Ich fürchte mich auch. Aber ich bin ein Mann, und ich verkaufe mein Leben wie ein Mann.«

Nordica lächelte und nickte. Und plötzlich glitzerten ihre Augen wieder wie von einem Höllenfeuer beleuchtet und bohrten sich in seine, so daß er ihnen nicht mehr auszuweichen vermochte.

Wieder quälte Brak die Gewißheit, daß diese Augen ihn an etwas erinnerten, etwas, das mit dieser Frau zusammenhing. Aber es gelang ihm nicht, es an die Oberfläche zu bringen. Statt dessen spürte er die verzehrende Glut dieser Augen, die ihm alle Kraft zu rauben suchten. Mit größter Anstrengung vermochte er schließlich den Kopf zur Seite zu drehen.

Nordica lachte. »Ja, trotz Eures rauhen Äußeren und Eurer nicht weniger rauhen Manieren besteht kein Zweifel daran, daß Ihr ein Mann seid. Es gibt nur wenige hier.«

»Läßt du zu, daß dieser Tölpel dich beleidigt, Nordica?« Der Magier, der bisher schweigend hinter ihr gestanden hatte, trat an ihre Seite. »Löse den Hund von der Kette und laß dem Barbaren noch einmal sein Schwert ausprobieren, wenn er so erpicht darauf ist. Blutlefzer hat sich noch eine Mahlzeit verdient.«

»Vielleicht sollte ich meine Klinge lieber an Euch auspro­bie­ren«, knurrte Brak.

Tamar Zed griff nach seinem Dolch am Gürtel. Nordicas Hand umklammerte sein Gelenk. Brak bemerkte, wie ihre Nägel sich tief hineinbohrten.

»Laß ihn zufrieden!« sagte sie drohend.

Eine tiefe Röte überzog Tamars Gesicht. Er nickte nachgebend mit dem Kopf. Nordica gab sein Handgelenk frei.

»Vergiß nie, wer ich bin, Magier«, warnte sie. »Vergiß nie, wer hier zu befehlen und wer zu gehorchen hat!«

Gedemütigt steckte Tamar Zed den Dolch in die Scheide am Gürtel zurück. Seine Augen hingen mit hündischer Liebe an der unirdisch schönen Frau. Doch dann funkelte er den Barbaren haßerfüllt an.

Nordica schritt langsam um Brak herum und musterte ihn von allen Seiten. Plötzlich blieb sie stehen und tätschelte seine Wange. Ihre Hand roch nach exotischen Düften, und auch hier überlagerte sie ein Hauch von Verwesung. Die Jadeaugen glühten.

»Versucht kein zweites Mal, Euch mir in den Weg zu stellen, Barbar«, sagte sie ruhig. »Mit Eurer erdverbundenen Kraft könntet Ihr leicht das Element Erde darstellen. Das letzte, das ich benötige, um den Kreis der vier Winde zu schließen.«

Ihre Worte waren für Brak unverständlich. Elemente? Vier Winde? Nichts als Rätsel!

»Doch fürchte ich«, fuhr sie fort, »Ihr werdet meine Warnung nicht beherzigen. Einerseits wäre mir das eine Genugtuung, andrerseits ...« Nun glitzerten ihre Augen wie Smaragde.

»Tamar!« befahl sie und sprang graziös auf den Streitwagen. Der Magier hatte sich kaum daraufgeschwungen, als sie die Zügel ergriff, das bronzene Gefährt wendete und davonbrauste, mit Blutlefzer an der Kette hinterher.

Brak starrte dem Fahrzeug nach, bis die Fackeln des Streitwagens nicht mehr als Glühwürmchen auf der fernen Ebene schienen.

Heftig rieb er seine Stirn. Sie schmerzte. Plötzlich drängte sich der Gedanke in den Vordergrund:

Ich kenne sie. Sie ist mir nicht fremd!

Nein, das war unmöglich. Er hatte sie ganz gewiß noch nie zuvor gesehen. Und doch spürte er tief in seinem Inneren, daß sie ihm bekannt war und daß sie das Böse in Person verkörperte.



3.


Alpträume quälten Brak die ganze Nacht hindurch.

Phantomhunde drohten ihn zu verschlingen, jadegrüne Augen ihn auszusaugen und ein eifersüchtiger Magier ihn zu vernichten.

Auch der Morgen brachte keine große Erleichterung. Die grauen Wolken hingen tief und hatten ihre Schleusen geöffnet. Unlustig kaute Brak an einer Kante trockenen Brotes und überlegte, wie er zu einem neuen Reittier kommen könnte, als ein kräftig gebauter junger Mann, mit sonnengebräuntem Gesicht, auf ihn zuschritt.

Er blieb vor Brak stehen und steckte die Daumen in seinen Gürtel. »Ihr seid der einzige hier, der mir unbekannt ist, also müßt Ihr der Fremdling sein. Jener, der Nordicas Höllenhund angriff.«

Brak nickte. Er hatte keine Ahnung, worauf der Fremde hinauswollte. »Die Bestie riß mein Pferd.«

»Ich komme aus dem Palast Stranns von den silbernen Waagschalen, um das erlittene Unrecht wiedergutzumachen, wenn das überhaupt möglich ist.«

Unwillig verzog Brak das Gesicht. »Weshalb? Ich bin der Bestie nicht Herr geworden.«

»Doch hattet Ihr zumindest den Mut, Euch Nordica entgegenzustellen. Das wagt heutzutage kaum noch einer. Es ist mir eine Ehre, einen Mann kennenzulernen, der sie mit den gleichen Augen sieht wie ich - als Fluch und Ausgeburt der Hölle.«

Brak lachte. »Zu schade, daß man am Hof Euren Wert nicht zu schätzen weiß«, erwiderte er amüsiert.

»Für einen Bediensteten seid Ihr sehr offen.«

Der Stämmige lächelte verschmitzt. »Ich diene nur einem, Brak. So heißt Ihr doch? Ich gehorche nur meinem Vater Strann.«

Der Becher, den er gerade an die Lippen setzen wollte, entfiel Braks Hand. Mit offenem Mund starrte er die bäuerliche Kleidung des anderen an.

»Ihr - Ihr seid König Stranns Sohn?«

»Ja. Pemma ist mein Name. Prinz Pemma, wenn Ihr wollt. Doch ich halte nicht viel von Titeln, und schon gar nicht zu Zeiten wie diesen.« Er ließ sich auf die rohe Bank neben Brak nieder und lächelte über die Verlegenheit des Barbaren.

»Lord Iskander erzählte meinem Vater von dem Vorfall vergangene Nacht, der mir daraufhin befahl, Euch das beste Pferd aus unserem Gestüt mit dem feinsten Geschirr zu bringen. Er bittet Euch, ihn im Palast zu besuchen, damit er Euch selbst seinen Dank abstatten kann. Pferd, Verpflegung, Unterkunft, es ist alles Euer, wenn Ihr es wollt. Vielleicht können wir Euch sogar überreden, eine Weile bei uns zu bleiben.« Nun blickten Pemmas Augen grimmig drein. »Wir brauchen tapfere Männer.«

Der Barbar nickte. »Aber das Ganze ist nicht allein eine Sache des Mutes. Auch tapfere Männer haben keinen leichten Stand gegen Zauberkunst.«

»Da habt Ihr recht. Allein, der Wille ist schon der halbe Erfolg. Unseren Männern fehlt jedoch sogar der Wille.« Er blickte Brak an. »Habt Ihr ihn?«

»Sicher«, erwiderte der Barbar, ohne zu zögern. »Der Hexe muß eine Lektion erteilt werden. Ich bin kein gelehrter Mann, Prinz. Noch verstehe ich viel von Magie, auch wenn ich ihr schon begegnet bin. Aber auf den hohen Steppen, wo ich geboren bin, ist es üblich, den Mörder eines Pferdes zu vierteilen. Einem Mann das Pferd zu töten, ist gleichbedeutend, als würde man ihm die Beine abhacken.«

»Wohl gesprochen. Nehmt Ihr die Gastfreundschaft meines Vaters an? Und das Pferd?«

Brak stand auf. »Ja.«


*


Zusammen verließen die beiden Männer die Karawanserei und ritten die hügelaufwärts führende Straße entlang. Pemma deutete auf die Bauern, die die Felder mit einfachen Geräten bearbeiteten.

»Diese Ländereien gehören meinem Vater«, erklärte er. »Ich bin sein Oberaufseher. Vielleicht ein niedriges Amt für einen Königssohn. Aber als ich noch ein Kind und unser Reich ein blühendes, wohlhabendes Land war, lehrte mein Vater mich, die fruchtbare Erde und das Wunder des Wachsens der Pflan­zen zu lieben. Noch heute ziehen meine Hände es vor, sich mit der schwarzen lebensspendenden Erde zu beschäftigen, statt mit dem todumgebenden Schwert.«

Brak musterte die Arbeitenden und die Felder. »Eure Ernte verspricht nicht sehr ertragreich zu werden. Ist die Hexe daran schuld?«

»Zum Teil. Unsere Pflanzen siechen, weil wir es tun.«

Pemma seufzte. »Nordica war nicht immer so. Etwas ist faul an der ganzen Sache. Sie veränderte sich von einem Tag auf den anderen. Und da sind noch dieser Höllenhund und der Magier. Beide tauchten urplötzlich auf. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, daß sie einen finsteren Gott anbetet.«

Ein kalter Schauder lief Braks Rücken hinab. »Was ist das für ein Gott?«

»Gewiß keiner unserer hiesigen Götter.«

Prinz Pemma runzelte die Stirn. »Denn die sind alle dickbäuchige, gemütliche Weintrinker. Das einzige, was unsere Götter zerstören würden, ist die Haut der Trauben, um an ihren Saft heranzukommen. Nein, es muß ein fremder, böser Gott sein. Ich kenne seinen Namen nicht, ja weiß nicht einmal, ob es wahr ist, daß Nordica ihm dient.«

Braks Gedanken waren weit weg. Er sah die blinden Steinaugen Yob-Haggoths und hörte die warnende Stimme des Nestorianers Jerome, als läge das schreckliche Erlebnis in den Eismarschen nicht Monde, sondern nur Stunden zurück.

Jedes Königreich, ja jede souveräne Stadt auf dieser Welt hat ihren eigenen Gott. Manche sind mächtig und wissen sich vieler Zaubersprüche und wirkungsvoller Magie zu bedienen. Doch die mächtigsten von allen sind jene beiden, die einander stetig und unerbittlich um die Alleinherrschaft über die Welt bekriegen. Die wenigsten der Könige und Prinzen und einfachen Bürger und Magier ahnen auch nur etwas von ihnen, denn sie sind zu sehr mit ihren kleineren, unbedeutenden Göttern beschäftigt.

Vor vielen Jahrhunderten, ehe das Blatt der Geschichte sich mit den ersten Zeilen füllte, herrschte einer von ihnen - Yob-Haggoth - bereits über die ganze Welt, und seine unheilvollen Abbilder wurden in blutigen Riten verehrt. Dieser Kult ist seit unzähligen Jahren verbannt. Aber Yob-Haggoth ist nicht tot. Er schlummert nur.

Und seit einiger Zeit gibt es Anzeichen, hatte der Mönch mit düsterer Miene erklärt, daß Yob-Haggoth beginnt, seine Macht zurückzugewinnen.

War Nordica eine seiner Anhängerinnen? War sie von ihm besessen? Irgendeinen Grund gab es jedenfalls für die übernatürliche Kraft in ihren Jadeaugen und sicher auch darin, daß er vermeinte, sie zu kennen. Vielleicht sah er in ihr das wiederauferstandene abgrundtiefe Böse Yob-Haggoths.

Eine entsetzliche Vorstellung, die er jedoch dem Prinzen verschwieg. Statt dessen fragte er:

»Wäre es Eurem Vater denn nicht möglich, sich mit Nordica zu einigen?«

Überrascht starrte Pemma den Barbaren an. »Würdet Ihr Euch mit ihr einigen wollen, nach dem, was ihr Hund Eurem Pferd angetan hat?«

»Niemals, Pemma. Aber ein König muß seine Untertanen schützen und auch Kompromisse schließen können.«

»Wenn es nach Nordica geht, wird statt meines Vaters bald sie über das Reich herrschen. Solange Celsus noch lebte, fürchtete niemand die okkulten Geheimnisse, die schon seit unzähligen Generationen in seiner Familie weitergegeben wurden. Celsus war mit Leib und Seele Forscher, der die Wahrheit suchte. Aber er war kein Fanatiker, sondern ein gütiger Mann. Es wäre ihm auch nie eingefallen, den Thron an sich reißen zu wollen. Er interessierte sich für die Formel, Blei in Gold zu verwandeln, allein aus der Befriedigung heraus, sie als einziger entdeckt zu haben, aber nicht aus Habsucht. Er versprach sogar, meinem Vater das Geheimnis zur Auswertung zu überlassen, wenn er es je fände. Denn Celsus wollte, daß das ganze Königreich davon profitiere. Dann kam der Magier. Nordica veränderte sich, und der alte Celsus wurde nie wieder gesehen. Ich bin sicher, sie ermordeten ihn - oder fügten ihm gar Schlimmeres zu. Doch niemand weiß etwas Genaueres.«

»Und Ihr seid sicher, daß Nordica nun das Geheimnis der Transmutation besitzt?«

»Nein, nicht sicher. Doch warum sollte sie ihn sonst verschwin­den haben lassen? Und sie schwört, sie besitze die Formel. Aber sie hat sie noch nicht angewandt. Es erschienen keine neugemünzten Goldstücke auf dem Markt. Die Soldaten, die zu ihr überliefen, werden allein mit Versprechungen bezahlt.«

Sie waren an einer Kreuzung angekommen. Pemma hielt an.

»Ich muß Euch hier alleinlassen, Brak, und mich um die Wein­gärten kümmern. Ihr braucht nur geradeaus weiter­zu­reiten, dann werdet Ihr bald den Palast erreichen. Wir sehen uns zum Abendmahl wieder. Bis dahin, Brak!«

»Bis zum Abend, Pemma!« Brak war sehr zufrieden mit dem Pferd, das der Prinz für ihn ausgesucht hatte. Es war ein flinkes Tier, das Ausdauer verriet. Er trieb es die immer weiter ansteigende Straße in schnellerer Gangart hinauf.

Bald hob sich der Palast mit seinen Zinnen und einem mächtigen Turm vom grauen Himmel ab. Er wirkte verlassen. Nur zwei Wachen standen am Tor, von denen einer Brak den Weg zu König Strann wies, ohne jedoch seinen Posten zu verlassen und ihn zu begleiten.

Der Barbar schritt durch eine Unzahl von kärglich ausge­statteten Räumen, in denen sich keine Menschenseele befand, durch einen riesigen Saal und schließlich zu einer schweren Eichentür, über der eine silberne Waage in das Mauerwerk eingearbeitet war. Er öffnete diese Tür zu den inneren Gemächern des Königs.

Ein Greis in verblichenem Purpurmantel blickte ihm entgegen. Sein Haupthaar und Bart glänzten silbern wie die Waagschalen über der Tür. Sein gutgeschnittenes Gesicht war hager und bleich. Er lag auf einer Couch. Als er sich aufzusetzen versuchte, entfloh seinen Lippen ein leiser Schmerzenslaut. Er legte sich wieder auf die Seite zurück und stützte sich auf den linken Ellenbogen. Zu seinen Füßen kauerte ein mißgestalter Zwerg, der vor sich hinschnarchte. Kein Diener bemühte sich um den kranken Herrscher.

»Mein Name ist Brak, o König. Euer Sohn, Prinz Pemma, sandte mich zu Euch.«

Strann nickte. Die entschlossenen Augen schienen nicht in den ausgezehrten Körper zu passen. »Willkommen, Brak. Ich nehme nicht an, daß Ihr Schwierigkeiten hattet, zu mir vorzu­dringen. Es haben sich nur wenige Bedienstete gehalten, kaum genug, das Feuer vom Erlöschen zu bewahren.« Er deutete auf einen offenen Kamin, in dem niedrige Flammen züngelten. Es lag kein Selbstmitleid in Stranns Worten. Er stellte lediglich Tatsachen fest. »Setzt Euch zu mir, Brak, und leistet mir Gesellschaft bei einem Becher Wein.«

Strann tupfte dem Zwerg auf die Schulter. Der Mißgestalte rieb sich schläfrig die Augen und eilte schließlich, um den Wein zu holen.

»Ich weiß bereits von Eurem Kampf mit Blutlefzer«, erklärte der König, »und bewundere Eure Tapferkeit. Ich wollte, mein Körper würde nicht hier dahinsiechen, und ich könnte selbst etwas gegen diese Höllenbrut und ihre Herrin unternehmen. Auch mein Sohn Pemma ist mutig, doch ihm fehlt die Statur zum Kämpfer.«

»Es muß doch einen Weg geben, Nordicas Macht zu brechen«, brummte Brak.

»Habt Ihr deshalb meine Einladung angenommen, Fremder? Weil Ihr bereit seid, zu kämpfen?«

»So ist es. Der Höllenhund schlug mein Pferd.«

»Erzählt mir von Euch«, bat Strann. »Heute abend, wenn Pemma und Iskander zurück sind, überlegen wir gemeinsam, was wir gegen Nordica unternehmenkönnen.«

Brak erwähnte nichts von seinen Bedenken, die Nordicas Verbindung mit Yob-Haggoth betrafen. Aber er berichtete, wie er hierhergekommen war, und daß die Steinlawine ihm den anderen Weg versperrt hatte.

»Könnte nicht eine höhere Macht es so gewollt haben?« vermutete der König. Brak brummte ohne innere Überzeugung: »Ich ziehe es vor, an einen Zufall zu glauben.«

Inzwischen kam der Zwerg mit einem Tablett zurück, das mit kaltem Braten, Wein, Obst und Gebäck beladen war.

»Stärkt Euch erst einmal«, bat der König, »dann erzählt weiter.« Doch dazu kam es nicht. Gerade als der Barbar den letzten Bissen Fleisch mit einem herzhaften Schluck Wein hinunter­spülte, begannen laut Glocken zu dröhnen - mit einem düsteren, unheilverkündenden Klang. Der Becher entfiel Stranns Hand. Er starrte mit entsetzten Augen vor sich hin.

»Die Warnglocken über dem Tor«, stöhnte er.

»Was künden sie?« Brak sprang auf die Beine. »Einen Angriff?«

»Nein. Unglück auf den Feldern.«

»Euer Sohn!« rief Brak. »König, ich werde nach ihm schauen.«

»Wollt Ihr das tun, so eilt. Die Soldaten sind ängstlich und langsam.«

Ohne ein weiteres Wort jagte Brak durch die Zimmerflucht auf den Hof, wo sein Pferd noch unversorgt stand. Ein Teil der Soldaten hatte sich bereits zusammengefunden, aber sie schienen sich mit dem Satteln ihrer Gäule Zeit zu lassen.

Wind und Regen peitschten gegen Braks ungeschützte Haut, während er den Weg zur Kreuzung zurückgaloppierte und der Seitenstraße folgte, die Pemma eingeschlagen hatte.

Er spähte durch die Düsternis der Regenschleier und sah einen Mann mit heftig blutender Kopfwunde in einem Graben. Abrupt hielt Brak vor ihm an.

»Was ist geschehen?« rief er.

»Pemma braucht Hilfe«, keuchte der Mann und versuchte sich aufzustützen. »Seid Ihr der einzige, der die Glocke hörte? Wo sind die anderen?«

Brak ging nicht darauf ein. »Was ist passiert?« wiederholte er drohend. »Sprecht oder ...«

»Soldaten!« rief der verwundete Bauer. »Einst Stranns, doch jetzt Nordicas.« Mit schwieliger Hand deutete er auf die hinter Regenschleier verschwommenen Felder. Schwach klangen Waffengeklirr und Schreie bis hierher. »Dort - am Fuß der Weinberge. Nordicas Soldaten jagen den Prinzen.« Erschöpft ließ der Bauer sich auf den Rücken fallen.

Brak hetzte in die angegebene Richtung. Das Waffengeklirr wurde immer lauter. Schrille Schreie von Frauen und das Getrappel von Hufen drang in seine Ohren. Gespenstische Schatten hoben sich aus der Regenwand - Reiter mit Schwertern und Lanzen. Manche schwenkten Fackeln, mit denen sie Feuer an den Weinberg legten.

Der Barbar galoppierte an einem arm- und kopflosen Frauenrumpf vorbei, dann an der verstümmelten Leiche eines Halbwüchsigen. Mit vor Grimm verzerrtem Gesicht ritt er dahin. Am Fuß des Weinbergs kämpften ein paar Dutzend unberittene Bauern eine verlorene Schlacht gegen eine Übermacht wohlbewaffneter und gerüsteter Reiter.

Wie ein Berserker stürzte Brak sich zwischen die Soldaten. »Nieder mit euch kindermordenden Schlächtern!« brüllte er und ließ sein mächtiges Breitschwert wie eine Sense sausen.

Eine Lanze streifte Braks Seite. Er riß sein Pferd herum und wich einer zweiten aus, während er eine dritte mit der Linken am Schaft zu fassen bekam. Er zog. Der Soldat, der sie noch in der Hand hielt, landete geradewegs in Braks Schwertspitze und hauchte sein Leben aus.

»Pemma!« brüllte Brak und mähte links und rechts die Angreifer nieder. »Pemma?«

»Barbar?« Die schwache Antwort kam von einem brennenden Weinberg. »Hierher, Brak ...«

»Kümmert euch nicht um den Gelbköpfigen!« brüllte ein Offizier. »Der Prinz ist jener, den wir ...« Braks Schwert schnitt ihm die Rede ab. Ungeachtet der Reiter, die sich ihm in den Weg zu stellen versuchten, galoppierte Brak auf den Weinberg zu. Er entdeckte den Prinzen, der zwischen niedergetrampelten Reben kniete und sich gegen drei Reiter wehrte, die mit Lanzengriffen auf ihn einschlugen. Das Schwert schwingend, drang der Barbar auf die Angreifer ein und fällte sie. Pemma sah seine Chance. Er griff nach Braks Linker, um sich von ihm auf das Pferd ziehen zu lassen.

In diesem Augenblick bemerkte Brak links und hinter sich zwei weitere Angreifer. Sein Pferd bäumte sich auf. Ein Lanzenschaft traf den Barbaren mit voller Wucht auf die Schläfe. Sterne funkelten vor seinen Augen.

»Faßt den Prinzen!« hörte er jemanden brüllen. »Ihn will die Lady Nordica ...«

Verzweifelt versuchte er, den Angreifer aus dem Sattel zu stechen, aber sein Schwert verfehlte ihn. Ein zweiter Speergriff schmetterte gegen Braks Schädel. Fluchend taumelte Brak aus dem Sattel. Direkt neben Pemma landete er auf der Erde. Überall um ihn herum stampften Hufe. Pemma schrie. Ein Pferd schlug aus. Ein Huf traf Braks Stirn. Tiefe Dunkelheit hüllte den Barbaren ein.



4.


Das Dröhnen in Braks Schädel schien lauter als jenes der Glocke. Sein Mund war voll Erde. Seine Knochen schmerzten. Mühsam stolperte er auf die Füße und blickte sich um. Nur Leichen lagen herum - Hunderte. Er nahm an, er selbst lebte nur deshalb noch, weil die Angreifer ihn für tot gehalten hatten. Die Soldaten waren verschwunden, mit ihnen Prinz Pemma und sein, Braks Pferd. Der Barbar bückte sich nach seinem Breitschwert und stapfte müde zum Palast zurück.

Hufspuren auf dem Hof kündeten davon, daß die Soldaten aufgebrochen waren. Weshalb aber waren sie nicht angekom­men? Er nahm an, daß sie ohne des abwesenden Iskanders mächtige Hand einfach in eine andere Richtung geritten waren - aus Furcht vor Nordicas Macht.

Er eilte durch die leeren Räume zum König, der auf das Fenster deutete. Der Zwerg kauerte dort. »Mein Hofnarr berichtet, die Weinberge, wo mein Sohn arbeitete, stehen in Flammen.«

Brak nickte mit finsterem Gesicht. »Die Reiter der Hexe entführten ihn!«

Einen Augenblick fürchtete Brak, Strann würde zusammen­brechen. Aber wenn auch sein Körper kraftlos war, sein Wille war es nicht. Er fuhr sich über die Augen, doch er beherrschte sich mannhaft.

»Wenn mein Sohn noch lebt, wurde er zu einem bestimmten Zweck gefangengenommen«, murmelte er. »Das scheint mir noch schlimmer.«

Brak ließ sich in einen Sessel neben der Couch fallen und runzelte die Stirn. »Zu welchem Zweck? Damit Ihr zu Nordicas Gunsten abdankt, um sein Leben zu retten?«

»Möglich. Doch wahrscheinlicher, weil sie ihn für ihre okkulten Experimente benötigt. Man munkelt, daß die Formel für die Transmutation allein nicht genügt. Riten gehören dazu, die - die Menschenopfer verlangen ...«

Brak schwieg entsetzt. Einen Augenblick später strafften sich Stranns Schultern. »Ich lasse mich von dieser Frau nicht unterkriegen. Pemma würde mich verachten, täte ich es. Es muß einen Weg geben, herauszufinden, ob er noch lebt, und wenn ja, weshalb sie ihn gefangenhält.« Der König klatschte in die Hände. Der Zwerg sprang vom Fenstersims und rannte zur Couch. In diesem Augenblick erschollen Hufschläge vom Hof her.

»Eure Truppen kehren zurück, König«, schnaubte Brak. »Seltsamerweise erreichten sie die Weinberge nicht.«

Doch kein Ärger verzerrte Stranns Gesicht. Er schüttelte nur traurig den Kopf und wandte sich wieder dem Zwerg zu.

»Nimm dir einen Esel«, befahl er. »Und reite so schnell du kannst zu dem Pfeiler, auf dem Ambrose, der Felseremit, sitzt. Sag ihm, ich bitte ihn herauszufinden, wenn er es vermag, wo sich mein Sohn befindet. Und auch, was Nordica mit ihm beabsichtigt. Beeile dich.«

Der Zwerg nickte und verschwand durch die Tür. Neugierig erkundigte sich Brak: »Wie kann Euch ein alter Mann, der auf einem Felsen schläft, Auskunft erteilen?«

»Ambrose, der Felseremit, hauste auf diesem Pfeiler, schon ehe ich geboren war, Brak«, erwiderte der König. »Niemand weiß, wie alt er ist. Aber etwas steht fest, er kann weit, weit sehen, ohne sich auch nur einen Fußbreit von seinem Pfeiler zu bewegen.«

»Er sieht im Schlaf?« Brak überlief es kalt.

»Ich vermag es nicht zu erklären. Ambrose ist ein Mystiker. Er dient einem Gott ohne Gesicht, dessen Symbol ein merkwürdiges Kreuz ist, und dessen Namen niemand kennt. Vielleicht verleiht dieser Gott dem Felseremiten die Kraft und die Gabe. Doch wie dem auch sei, er wird Nordica sehen, wo immer sie sich befindet, und er wird uns Bescheid über Pemma geben.«

Der Barbar widmete sich dem Wein, den der König selbst ihm kredenzte, und wartete auf die Rückkehr des Hofnarren. Je länger er in diesem verfluchten Land blieb, desto verwirrter wurde er. Er erinnerte sich der unerklärlichen brennenden Stärke in seinem Arm, als er Elinor aus der Grube zog. Hatte Ambrose diese Kraft auf ihn übertragen?


*


Die Abenddämmerung hatte sich bereits über das Land gesenkt und Brak war in seinem Sessel eingenickt, als der Zwerg zurückkam und seinem Herrn flüsternd berichtete.

»Was sagte der Felseremit?« erkundigte sich Brak.

»Er schläft so tief, daß der Narr ihn nicht zu wecken vermochte«, seufzte der König.

»Dann müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen«, brummte Brak. »König, Euer Sohn war großzügig zu mir und freundlich. Als ich zu den Weinbergen ritt, war ich zu langsam, um ihn zu retten. Darum empfinde ich es zum Teil als meine Schuld, daß er gefangengenommen werden konnte. Und deshalb muß ich versuchen, ihn zurückzubringen.«

»Ihr würdet Euer Leben dafür aufs Spiel setzen?«

»Ja, ohne Bedenken.«

Strann nickte ernst. »Ich danke Euch und nehme Euer Angebot an.« Er lauschte. »Ich höre Iskander zurückkehren. Wir werden uns mit ihm besprechen.«

Schwere Stiefel knarrten auf dem Marmor. Der Befehlshaber des Königs Armee betrat den Raum. Er verbeugte sich tief.

»Mein König, wir fanden keinen der Deserteure. Die Soldaten, die uns verließen, sind alle zu ihr übergelaufen.«

»Ohne es zu ahnen, stelltet Ihr Eure Suche zur denkbar ungünstigsten Zeit an, Lord Iskander«, seufzte der König.

»Während Ihr fern dem Palast wart, ließ sie Pemma entführen.«

Iskander erbleichte. Der Greis erklärte ihm den genaue Vorfall und schloß: »Brak will ihn befreien.«

»Irrsinn«, brummte der Befehlshaber. Hastig hob er eine Hand. »Das heißt nicht, daß ich dagegen bin. Um ehrlich zu sein, ich habe genug davon, Feiglinge zu befehligen, deren Blut gerinnt, wenn sie nur den Namen der rothaarigen Schlampe vernehmen. Aber ich fürchte, der Barbar kennt die Lage nicht.«

Gereizt knurrte Brak: »Dann erklärt sie mir, Hauptmann.«

Iskander unterdrückte ein Grinsen. »Gut. Nordicas Burg steht auf einem Berg. Sie ist ungewöhnlich stabil gebaut und hat Mauern, die mehrere Armlängen dick sind. Wenn sie die Soldaten einsetzt, die sie auf ihre Seite gelockt hat, kann sie eine Belagerung unbeschränkt lange durchhalten. Des Nachts hängt dicker Nebel über dem Weg zur Burg und macht ihn trügerisch. Doch nur in der Dunkelheit könnte ein Angriff durchgeführt werden.«

Brak prüfte mit dem Daumen die Schneide seines Breitschwerts. »Was wäre, wenn wir nicht mit hundert Mann angriffen, sondern nur mit einem? Wenn ich es allein auf mich nähme?«

Nun lachte Iskander laut. Er wandte sich an Strann. »Mein König, wir haben wahrlich einen tapferen Mann gefunden.«

Der Herrscher nickte zustimmend.

»Gibt es außer der Straße keinen anderen Zugang zur Burg?« fragte Brak ungeduldig.

Iskander schüttelte den Kopf.

»Nein. Oder doch ...«

Er schien zu überlegen.

»Nein, das ist unmöglich.«

»Was meint Ihr? Rückt heraus mit der Sprache.«

»Ich dachte an die Steilwand an der Westseite.

Die eigentlichen Burgmau­ern sind dort eine Verlängerung des Felsens. Und es gibt Fenster an dieser Seite, die nicht vergittert sind. Aber es ist absolut unmöglich, sie im Dunkeln, im trügerischen Nebel, zu erklimmen.«

»Ich könnte es versuchen«, murmelte Brak. »Doch erst müssen wir erfahren, wo Pemma gefangengehalten wird.«

Die ganze Nacht hindurch grübelten und diskutierten die drei Männer. Und als der erste rosige Schein des Morgens durch das Fenster fiel, hatten sie einen groben Plan ausgearbeitet.


*


Am Vormittag brachten Fuhrwerke Brot und andere Nahrungsmittel für den königlichen Haushalt. Brak stand mit dem Rücken gegen die Wand der Stallungen gelehnt und beobachtete sie. Gegen Mittag kam ein Karren, der sein Interesse erregte. Sein Fuhrmann, ein wohlbeleibter Töpfer, bot seine Ware feil, doch der Haushofmeister erklärte ihm wortreich, daß der königliche Hof nichts benötigte.

Als der Töpfer sich auf den Rückweg machen wollte, hielt Brak ihn auf. »Bei Nordica Feuerhaar würdet Ihr sicherlich ein besseres Geschäft machen. Der König wünscht, daß Ihr einen Auftrag für ihn übernehmt.«

Der Händler starrte ihn entsetzt an. »Nicht um alles in der Welt würde ich mich zu dieser verfluchten Burg begeben. Zuviel schon habe ich von dieser Hexe und ihren Untaten gehört. Nein, nie ...«

Der Barbar tupfte ihm mit der Spitze seines in der Sonne glitzernden Schwertes leicht an die Brust.

»Händler«, warnte Brak finster, »Ihr werdet die Burg besuchen, wenn Euch Euer Leben lieb ist.«

Der feiste Bauch des Töpfers zitterte, und Schweiß rann ihm über das Gesicht, als Brack ihm genau erklärte, was er zu tun habe. Die drohende Haltung des Barbaren überzeugte den Händler. Er erklärte sich stöhnend bereit.

Als Vorsichtsmaßnahme behielt Brak den Karren mit drei der vier Maultieren und dem größten Teil der Ware auf dem Hof zurück, während der Händler mit ein paar Töpfen, Bechern und Schüsseln in zwei um die Schultern geschlungenen Beuteln auf dem Rücken des vierten Maultiers davonritt. Er sah nicht sehr glücklich aus.

Zwei lange Tage vergingen, ehe der Töpfer zurückkehrte. Er erstattete dem König, Brak und Iskander im Thronsaal Bericht.

»Sie haben mir nichts abgekauft«, sagte er mit quengelnder Stimme.

»Aber sie ließen Euch in die Burg?«

»Das schon.« Der Händler schüttelte sich. »Auf eine Stunde. Und das war eine Stunde zu lang.«

»Um Eures Leben willen, hoffe ich, daß Ihr sie gut genutzt habt.«

Der Töpfer schluckte schwer und nickte. »Das habe ich. Der Prinz lebt.«

Strann wankte auf der Couch. »Wo - wo ist er?«

»In einer Zelle im Westflügel, im untersten Geschoß, unmittelbar über der Felswand. Ich glaube, die Diener sagten, es sei das zweite Fenster links, wenn man von der Straße unten hochblickt. Ich machte ihnen weis, der Prinz habe mich ungerecht behandelt, und ich wollte meine Flüche zu ihm emporschicken, ehe ich fortritt. Recht klug von mir, findet Ihr nicht?«

Keiner der drei antwortete darauf. Der Töpfer machte ein langes Gesicht.

»Habe ich meine Sache denn nicht gut gemacht? Ich habe mein Leben für Euch riskiert. Nun ist es nur gerecht, daß Ihr mir mein Eigentum wiedergebt.«

»Das sollst du haben und noch einen dicken Beutel Dinschas obendrein«, versicherte ihm der König.

Vorsichtshalber begleiteten drei von Iskanders zuverlässigs­en Männern ihn bis über die Grenze, um sicherzugehen, daß er sie nicht um ein paar Dinschas mehr an Nordica verriet.


*


Bei Anbruch der Dunkelheit und im strömenden Regen machten Brak, Iskander und ein halbes Dutzend mürrischer Soldaten sich auf den Weg. Nach einem endlosen Ritt, als sie völlig durchgeweicht waren, machte der Regen Nebelschleiern Platz, die sich kalt um sie zu winden schienen.

Iskander hielt sein Pferd an. »Dort, Brak!« flüsterte er.

Hoch oben in der nebeldurchdrungenen Dunkelheit sah Brak vereinzelte orangefarbige Punkte.

»Fackeln auf den Zinnen?« erkundigte er sich.

»Nichts anderes.«

Der Barbar stieg vom Pferd. Obgleich die Nacht kalt war und der Nebel sie noch kälter machte, legte er seinen Wolfspelzum­ang ab. Er schritt auf die Felswand zu.

Sie wirkte unwahrscheinlich steil und glatt. Er fuhr mit dem Handballen darüber.

»Naß«, brummte er. »Es wird schwierig werden, Halt zu finden.«

»Es ist des Nachts nie anders hier«, erklärte ihm Iskander. »Es herrscht von der Abenddämmerung an immer Nebel.«

»Gebt mir das Seil.«

Einer der Soldaten brachte ihm eine große Rolle. Brak wand sich das Seil um die Schulter, bis er die ganze Länge auf dem Rücken trug. Mit dem Breitschwert gegen seine linke Hüfte zog er sich an den Unebenheiten der Felswand empor. Als er einen etwas stabileren Halt gefunden hatte, blickte er zurück. Iskander und seine berittenen Soldaten waren nur noch Schemen in der Dunkelheit.

»Wenn ich ihn finde, lasse ich Pemma als ersten herunter«, rief Brak.

»Verstanden«, erwiderte Iskander. »Mögen die Götter Euch beschützen.«

Brak brummte etwas Unverständliches als Antwort und zog sich weiter hoch. Die Felswand war nicht so glatt, wie sie von unten ausgesehen hatte. Es war durchaus nicht so schwierig, Halt zu finden. Aber der Nebel, den ein hier oben viel heftigerer Wind gegen den Fels preßte, machte den Stein feucht und glitschig. Er war bereits fünfmal seine eigene Höhe gekommen, als beide Füße ausrutschten.

Verzweifelt umklammerten seine Finger einen spitzen Fels­vor­sprung. Mit dem rechten Knie stieß er gegen die Wand und spürte, wie es auf einem schmalen Sims landete. Aber es schlug so unglücklich auf, daß ihn brennender Schmerz durchzuckte. Vor sich hinfluchend, gelang es ihm schließlich, auch das linke Bein hochzuziehen und sich aufrecht auf das Sims zu stellen.

Über ihm brannten die Fackeln nun heller. Unter ihm wirbelten nur Nebelschleier. Iskander und seine Männer waren genauso verschwunden wie das ganze Land in der Tiefe. Brak lehnte die Wange gegen die Wand und keuchte heftig.

Das Breitschwert an seiner Hüfte behinderte ihn beim Klettern. Seine Finger wiesen bereits unzählige Schnitt- und Schürfwunden von dem scharfen und spitzen Stein auf. Die Seilrolle war eine schier unerträgliche Last. Einen Augenblick übermannte ihn das schreckliche Gefühl, in einem Nichts zwischen Himmel und Erde verloren zu sein. Doch es verging, und nach einer kurzen Rast klomm Brak weiter.

Der Wind zerrte an ihm und heulte wie eine verlorene Seele. Über sich begann Brak nun bereits die Umrisse der Zinnen zu erkennen. Ein Nachtvogel streifte gegen sein Haar. Kurz bevor Brak die Stelle erreichte, wo die Steilwand zum Fundament der Burgmauer wurde, stützte er sich auf einen Felsvorsprung. Doch kaum lastete sein ganzes Gewicht darauf, begann der Stein unter seinen Füßen zu zersplittern und hinunterzupoltern.

Schnell suchte er einen neuen Halt und drückte sich fest gegen die Wand. Stimmen über ihm riefen sich gegenseitig etwas zu. Er wagte einen Blick hinauf zu den Zinnen und sah Helme im Fackelschein glänzen. Brak zog den Atem ein und hielt sich ganz ruhig. Endlich verschwanden die Wachen wieder.

Der Barbar kletterte weiter. Er tastete nach dem Sims der zweiten gähnenden Öffnung in der untersten Fensterreihe.

Seine Beine hingen frei über dem Abgrund, als er sich mit den Armen allein auf das Sims schwang. Das war der kritische Augenblick.

Kein Laut drang aus der Zelle. Es war Brak klar, daß er weder Pemma noch die Wächter erschrecken dürfte. Und doch würde es unmöglich ohne Geräusch abgehen. Er spannte sich.

Mit dem linken Bein zuerst schwang er sich über das Fenster­sims. Das Breitschwert schlug mit einem dumpfen Laut gegen die Wand, ehe er taumelnd auf dem tiefgelegenen Fußboden aufprallte.

Jemand schrie auf. Mit katzenhafter Behendigkeit schnellte Brak sich auf die Stelle, von woher der Schrei gekommen war. Er preßte seine mächtige Pranke auf den Mund des Prinzen, der sich gerade auf seinem harten, steinernen Lager aufstützte.

»Keinen Laut!« warnte Brak. »Oder wir kommen nie mehr hier heraus. Ich bin es, Brak. Ich habe ein Seil.«

Durch ein kleines Gitter in der Tür drang düsteres Licht. Schweiß glitzerte auf Pemmas Stirn.

Brak entdeckte einen stabilen, etwas gekrümmten Stein, der aus der unebenen Zellenmauer herausragte. Er begann ein Seilende daran zu befestigen, während er das andere um den Leib des Prinzen wand und ihn auf das Fenster zuschob.

»Steigt hinauf«, drängte er, »und laßt Euch am Seil vorsichtig hinunter. Beeilt Euch!«

Pemma gehorchte, ohne unnötige Fragen zu stellen.

Schwer keuchend ließ Brak das Seil langsam über das Fenstersims gleiten. Schritte auf dem Gang erschreckten ihn. Er wirbelte herum, dabei schlug die Scheide des Breitschwerts dumpf gegen das Steinlager.

Der Kopf des Wächters wurde hinter dem Gitter sichtbar.

»Gefangener? Was machst du da für einen Krach! Antworte!«

In diesem Augenblick spürte Brak die Spannung des Seils nachlassen. Pemma hatte den Boden rasch erreicht.

Brak wußte, daß er keine Wahl hatte. Wenn er jetzt Pemma folgte, würde er den Verdacht des Wärters nur noch verstärken und höchstwahrscheinlich die Aufmerksamkeit auch auf den Prinzen und das Häufchen der Befreier unterhalb der Burg lenken. Wenn er jedoch blieb ...

Der Wächter steckte bereits den Schlüssel in das rostige Schloß.

»Gefangener! Antworte endlich!«

»Alles in Ordnung!«

Brak bemühte sich, seine Stimme in einem schläfrigen, kaum verständlichen Brummen zu halten.

»Ich hatte nur einen Alptraum.«

»Es ist vielleicht doch besser, ich sehe nach.«

Der Schlüssel drehte sich knirschend.

Brak fluchte lautlos. Er riß das Seil aus seiner Verankerung und warf das loser Ende aus dem Fenster, gerade als der Wächter knarrend die Tür öffnete.

Hastig warf Brak sich in ganzer Länge auf das steinerne Lager und zog die fadenscheinige Decke, die gegen die Wand geschoben war, über sich. Er hoffte, sein Körper und die Decke würden das Breitschwert verbergen.

»Laß mich schlafen!« gähnte er. »Verschwinde und laß mich schlafen!«

Der Wächter blieb unter der Tür stehen und betrachtete die im düsteren Licht kaum erkennbare Gestalt auf dem Lager.

»Scheint alles in Ordnung zu sein«, brummte er.

»Aber brüll nicht mehr. Ich will auch meine Ruhe haben.« Heftig schmetterte er die Tür hinter sich zu.

Lange lag Brak auf einer Seite und starrte auf die dunkelgraue Wand. Er hatte Pemma befreit. Aber der Preis war hoch.

Beim Morgengrauen entdeckten ihn die Wachen und schleppten ihn fluchend durch die modrigen Gänge zu Nordica Feuerhaar.



5.


Sie stießen ihn in einen Raum, in dem allerlei geheimnisvolle Geräte und Instrumente herumlagen. In einer Ecke waren Hunderte von Schriftrollen übereinandergestapelt. Brak staunte mit großen Augen. Er hätte nie gedacht, daß es auf der ganzen Welt überhaupt so viele geben könnte.

Der größte und am grimmigsten aussehende der Wächter knurrte: »Paßt gut auf ihn auf, während ich die Lady wecke.«

Er schritt zu einem dicken Samtvorhang und zog an einer seidenen Kordel. Ein Glöckchen bimmelte. Dann verschwand er hinter dem Vorhang.

Brak blickte ihm nach. Er grinste. Er befand sich zwar in keiner beneidenswerten Lage, aber er stellte sich das Gesicht der Hexe vor, wenn sie von dem Austausch der Gefangenen erfuhr.

Ein Schmerzensschrei klang zu ihnen heraus. Danach eine schrille Frauenstimme: »... ein Seil hinab? Ein Seil!

Ihr schwachköpfigen Schlafmützen!«

Taumelnd kam der Soldat durch den Vorhang zurück. Blut drang aus einer tiefen Schnittwunde, die über seine ganze rechte Wange verlief. Nordica folgte ihm auf dem Fuß, einen Dolch mit sichelförmiger Klinge in der Hand. Sie zitterte vor Wut.

»Geh mir aus den Augen«, fauchte sie den blutenden Wächter an, »ehe ich mich auch noch an deinem stinkenden Kadaver vergreife.«

Der Soldat sprang hastig einen Schritt zurück, als Nordica mit wallendem Gewand auf nackten Sohlen an ihm vorbeirauschte.

»Und ihr«, wandte sie sich an die restlichen Wächter. »Ihr verschwindet ebenfalls. Du und du«, sie deutete mit dem blutigen Dolch auf zwei, »ihr haltet vor der Tür Wache, bis ich mit dem Barbaren gesprochen habe. Und du, du richtest dem Hauptmann aus, daß bis heute abend alle Fenster der Westseite vermauert sein müssen, sonst ...«

Als die Soldaten bebend aus dem Raum eilten, mußte Brak den Impuls unterdrücken. Nordica am weißen Hals zu packen und ihr die Kehle zuzudrücken. Vielleicht konnte er sie töten, ehe die Wachen zurück waren.

Aber dann würde er nie erfahren, welches Teufelswerk sie hier in diesem grünschillernden Raum plante, in den das Son­nen­licht durch dünne Jadescheiben drang. Und ihren Plan zu erfahren, mochte König Strann und Prinz Pemma sie besiegen helfen. Vorausgesetzt natürlich, daß er ihnen davon berichten konnte.

Nordicas grüne Augen fixierten Brak. »Ich riet Euch weiterzureiten, Barbar. Nun werdet Ihr bereuen, daß Ihr es nicht getan habt.« Mit gekreuzten Armen schritt sie vor Brak im Zimmer auf und ab. »Ihr kamt über die Steilwand?«

»Ja.«

»Nie ist es jemandem zuvor gelungen, sie zu erklimmen. Niemandem!«

»Und nun schafften es gleich zwei!« höhnte er. »Ich kletterte sie hinauf und Pemma sie hinunter.«

»Ihr habt den falschen Weg gewählt. Und dafür werdet Ihr sterben!«

»Möglich«, brummte Brak. »Doch Ihr wolltet den Prinzen, nicht mich. Ein schlechter Tausch für Euch, meint Ihr nicht?«

Ein fast greifbares Schweigen füllte das grüne Gemach. Nordica legte den Kopf zurück und musterte Braks mächtigen Brustkorb, seine muskulösen Beine unter dem kurzen Bein­kleid aus Löwenfell, dessen Schwanz bis fast zum Boden hing.

Ihre Lippen verzogen sich zu einem geheimnisvollen Lächeln. Ihre Augen bohrten sich in seine, schienen ihn auszu­saugen.

Wie in der Karawanserei hatte Brak das Gefühl, daß diese Frau durch und durch schlecht war. Eine überwältigende Aura des Bösen strömte von ihr aus. Und noch stärker quälte ihn die Gewißheit, daß er sie kannte - und doch nie zuvor gesehen hatte!

»Vielleicht«, murmelte Nordica schließlich, »finde ich nützlichere Verwendung für Euch als den einfachen Tod. Prinz Pemmas Flucht kommt mir recht gelegen, Barbar.«

»Was wollt Ihr damit sagen, Weib?«

»Daß Ihr - oder vielmehr Euer Körper - besser geeignet ist als jener des Prinzen.« Ihr Lachen klang wie Silberglöckchen.

»Wozu braucht Ihr Körper? Für Euren Höllenzauber?«

»Wie klug Ihr doch seid!« höhnte sie. »Etwas sehr Bedeutendes wird in diesem hinterwäldlerischen Bauernland geschehen. Etwas, das jedes Königreich von den hohen Steppen bis zum goldenen Khurdisan verändern wird«, erklärte sie und blickte ihn erwartungsvoll an, als sie die beiden Namen nannte.

Brak tat der Frau den Gefallen nicht und zuckte mit keinem Muskel. Sie wußte offenbar mehr über ihn, als er auch nur geahnt hatte.

»Und was wird so Weltumwälzendes geschehen, Weib?«

»Etwas, wozu mein verstorbener Vater zuviel Skrupel hatte.«

»Das alchimistische Geheimnis?«

»Ihr habt wohl gehört, was diese Bauerntölpel sich erzählen«, stellte sie mit ätzendem Hohn fest.

»Sie wissen recht interessante Dinge zu berichten«, versicher­te er nicht weniger höhnisch. »Von einer liebevollen Tochter, die plötzlich zum Wechselbalg ward.«

»Ich bin nicht anders, als ich früher auch war«, sagte Nordica eisig. »Ich bin Celsus Hyrcandus’ Tochter.«

»Gerade das glauben manche nicht.«

Sie hatte ihm gerade den Rücken zugedreht. Nun wirbelte sie herum. »Was behauptet Ihr da?«

»Manche sind der Überzeugung, daß die Veränderung so grundlegend war, daß Ihr nun durchaus eine ganz andere Frau sein mögt.«

»Diese Bauerntölpel!« brummte sie abfällig. Aber ehe sie sich wieder umdrehte, bemerkte er noch den merkwürdigen Ausdruck in ihren Augen, als wollten sie ihm die Wahrheit verraten, ehe sie sich wieder hinter einer Maske verbargen.

»Jahre mußte ich mir meines Vaters skrupelbelastetes Gerede anhören. Daß er sein Wissen - wenn er das Geheimnis je fände - nur edlen Zwecken zukommen lassen würde. Edle Zwecke? Daß ich nicht lache! So etwas wie Edelmut gibt es auf dieser Welt nicht. Der Mensch ist von Natur aus böse.«

»Da kann ich Euch nicht recht geben.«

»Dann seid Ihr der gleiche Tor, wie mein Vater Celsus es war. Er entdeckte das Geheimnis, die Formel, aber weigerte sich, sie anzuwenden.«

»Ich habe gehört, er versprach sie König Strann.«

»Schlimmer als Perlen vor die Säue werfen.«

»Wie würdet Ihr sie denn verwenden?«

»Ich werde mir damit die Welt Untertan machen, Barbar. Mir und ...«

»Ich verstehe«, schnaubte Brak.

»Nichts versteht Ihr. Nicht einmal, daß ich Celsus’ Tochter bin und immer war.«

»Ist das denn so wichtig?«

»Ihr wart es, der die Frage aufwarf. Offenbar glaubt Ihr nicht, daß ich die bin, die ich verkörpere.«

»Es interessiert mich absolut nicht, wer Ihr seid«, log er.

Das seltsame Funkeln ließ erneut ihre Augen aufleuchten. »Ich dachte, Ihr spürt vielleicht etwas - Vertrautes in mir.«

»So ist es auch«, knurrte er. »Mir ist das Schlechte in Euch schon früher begegnet.«

Es schien sie nicht zu verärgern, im Gegenteil, sie wirkte irgendwie ungewöhnlich zufrieden.

»Was meine angebliche Veränderung betrifft. Nun, ich spielte nur deshalb die treusorgende Tochter, um meines - ah - verstorbenen Vaters Geheimnis zu erfahren, sobald er es selbst entdeckt hatte.

Ich wußte, daß er die Suche aufgegeben hätte, wären ihm meine wahren Gedanken und Pläne bekannt gewesen.«

Brak glaubte ihr nicht. Irgendwie klangen ihre Worte zu einstudiert, als spielte sie nur eine wohlgeprobte Rolle.

Ihre Augen glitzerten ihn an und verrieten ihm, was ihr Mund nicht aussprach.

Nimm dich in acht, Barbar, schienen sie zu sagen. Und hüte mein Geheimnis, das du als einziger kennst.

Aber warum spielte sie dann äußerlich diese Rolle, die - das wußte er nun - nicht für ihn gedacht war? Für jemanden, der sie beobachtete? Doch es war niemand in der Nähe. Oder tat sie es auch jetzt nur, weil sie darauf eingespielt war?

Das quälende Rätsel machte Braks Kopf schmerzen und ließ ihn zweifeln. Vielleicht bildete er sich in seiner Erschöpfung und seelischen Angespanntheit nur alles ein. Wie dem auch war, wenn Nordica tatsächlich das Geheimnis kannte, das die Alchimisten und Zauberer aller Zeiten gesucht hatten, mochte es ihr sehr wohl gelingen, sich die Welt Untertan zu machen. So wie hier Stranns Soldaten, allein Versprechungen wegen, zu ihr überliefen, würden die Menschen überall sich um sie scharen, wenn sie erst einmal den Beweis des Besitzes uner­schöpf­lichen Goldes angetreten hatte.

Der Barbar sah ein grauenerregendes Bild vor seinen Augen: Gewaltige Kriegsscharen brandschatzten alle Länder, durch die Nordica sie sandte. Schwarzer Rauch bedeckte den Himmel. Die Sterbenden schrien in Todesqualen, und die noch Leben­den wehklagten. Und Nordica Feuerhaar thronte triumphierend in ihrem Streitwagen, eine riesige Goldkugel in ihrer erhobenen Hand, während Blutlefzer brüllend neben ihr herlief.

Er schüttelte den Kopf, um die schreckliche Vision zu verscheuchen.

»Ihr kennt das Geheimnis der Transmutation wirklich?«

»Das sagte ich Euch doch bereits. Und ich verrate Euch sogar noch mehr. Es ist ein Ritual damit verbunden, zu dem vier Menschenopfer notwendig sind. Jedes davon personifiziert eines der Elemente: Erde, Luft, Feuer und Wasser. Pemma mit seiner Erdverbundenheit sollte das Element Erde verkörpern. Aber Ihr seid dafür noch besser geeignet.«

»Und Ihr habt Eure vier Gefangenen schon beisammen?«

»So ist es. Die anderen drei liegen an der Kette. Das hätte ich auch sofort mit Pemma tun sollen, als meine Soldaten ihn brachten. Doch wollte ich zuvor mit ihm sprechen. Ihr befreitet ihn, ehe ich mir dazu Zeit von meinem Studium nehmen konnte.«

»Hexe!« grollte Brak. »Ihr gebrauchtet ein Wort, das mir nicht gefällt: Menschenopfer!« Doch immer noch beherrschte er sich. Er mußte weit mehr erfahren.

Nordica lächelte nur. »Sie dienen einem großen Zweck. Schaut hinaus, Barbar.« Sie öffnete eines der aus kleinen Jadescheiben zusammengesetzten Fenster. »Die Zeit der Winde ist nah. In nur wenigen Tagen werden sie über das Land brausen. Für das Ritual der Transmutation müssen alle vier herbeigerufen werden. Und ich weiß es zu tun! Die Winde aus den vier Ecken der Welt! Vereint mit den vier Elementen führen sie die Verwandlung herbei - machen Gold aus Blei!«

»Ich werde euch nicht für Euer Experiment dienen. Ich werde mit bloßen Händen jeden töten, der mich dazu zwingen will, und mich selbst ebenfalls. Nun weiß ich, ich hätte besser daran getan, mit dem Schwert in der Hand mein Leben teuer zu verkaufen, als Euren Häschern willig aus Pemmas Zelle zu Euch zu folgen.«

Wut verzerrte die Züge des Hexenmädchens, und ein unirdi­sches Licht funkelte in ihren Augen. Doch sie unterdrückte es und stellte sich furchtlos vor Brak, dessen Schultern vor Grimm zitterten.

»Brak, Brak«, schmeichelte sie mit süßer Stimme. »Warum stellt Ihr Euch gegen mich? Ich könnte euren Aufenthalt hier mit unvorstellbaren Wonnen füllen, auch wenn das Ende unabwendbar ist. Verriet ich Euch nicht in der Karawanserei, wie sehr mir ein tapferer Mann gefällt? Selbst wenn Euer Mut hier von keiner Bedeutung mehr ist, so ist er doch bewun­derns­wert. Ich brauche Eure Stärke, wenn die Winde sich erheben. Ihr werdet sterben. Doch bis es soweit ist, biete ich Euch Freuden, wie Ihr sie Euch nicht in Euren Träumen auszumalen versteht.«

In Braks Kopf schien sich alles zu drehen. Einen flüchtigen, unwirklichen Augenblick sah er nicht das Gesicht und die jadegrünen Augen Nordicas vor sich, sondern das mitternacht­schwarze Haar, die weiße Haut und die wie Kohlen brennenden Augen Arianes.

Ariane! Septegundus’ Brut! Tochter der Hölle, nannten die Nestorianer sie.

In einem unirdischen Streitwagen war sie mit ihm durch die Lüfte gebraust. Sie hatte ihm die Königreiche der Welt tief unter ihnen gezeigt und weit im Süden auch das goldene Khurdisan.

Arianes Lippen waren sanft und voll verführerischer Worte gewesen. Sie hatte ihm die Welt selbst versprochen, so wie sie ihm diese auf dem wundersamen Flug zeigte, wenn er sie nur liebte. Doch nicht nur das, sondern alle Wonnen und Lüste, wie nicht einmal die Huris des Paradieses sie einem Mann zu bieten vermochten. Ihre Schönheit war von einem Zauber, dem er fast erlegen wäre. Doch der Preis dafür wäre gewesen, Yob-Haggoth anzuerkennen und ihm seine Seele zu geben. Und dieser Preis war ihm zu hoch, auch wenn er zu jener Zeit nicht an die Existenz seiner Seele geglaubt hatte.

Zweifellos starb sie damals auf dem Heiligtum in den Eismarschen mit nichts als Haß für ihn im Herzen.

Ariane, deren Züge sich nun wieder mit Nordicas mischten.

Brak zerrte seinen Arm aus der Umklammerung von Nordicas Hand, deren Fingernägel sich tief hineingekrallt hatten.

Sie stieß ihn ab, mit ihrer Drohung des Todes und den Versprechungen heißer Liebe im gleichen Atemzug. Dicker Schweiß perlte auf seiner Stirn. Er ahnte, daß er der Wahrheit, die sich immer noch in den Tiefen seines Bewußtseins versteckt halten wollte, sehr nahe gekommen war.

Nordica schien sich einen Augenblick ihres nächsten Schrittes nicht klar zu sein. Während sie noch zögerte, wurde Brak bewußt, daß er bereits zu lange gewartet hatte, hier etwas gegen sie zu unternehmen. Er ließ seinen Blick durch das gründurchflutete Gemach schweifen, suchte nach einem Gegenstand, den er als Waffe benutzen konnte. Er vermochte diese rothaarige Hexe nicht länger zu ertragen und von ihr wie ein Tier an der Kette behandelt zu werden - ein menschlicher Blutlefzer, der zu ihrem abartigen Vergnügen Kunststücke vorführte, deren Sinn ihm entging.

Sie gab ihm keine Gelegenheit, seine Suche fortzusetzen. Sie drückte sich fest gegen ihn, ihr Haar warm an seiner Wange. Es strömte ebenfalls diesen süßlichen, von Verwesung überlager­ten Geruch aus.

»Ist Euch mein Angebot denn so zuwider, Brak? Findet Ihr mich häßlich?«

»Äußerlich, nein. Doch innerlich - innerlich seid Ihr ...« Er kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu führen.

Dunkle Röte überzog die Wangen des Mädchens. Wut ließ ihre Augen glühen. Sie tat ein paar heftige Schritte rückwärts.

»Ich bin die Herrin hier!« fauchte sie. »Ich dulde es nicht!«

Von ihrem Benehmen verwirrt, bereitete Brak sich darauf vor, zurückzuschlagen, falls sie ihn mit einer versteckten Klinge anspränge. Seine Verblüffung wuchs, als sie an ihm vorbeischnellte, auf eine Arabeskenverzierung an der Wand zu.

Sie musterte sie eingehend, dann eilte sie die Treppe zur Tür empor und riß sie auf. »Wachen! Hierher! Die Waffen bereit!« Irgendwo außerhalb des Gemachs brüllten Nordicas Soldaten - und noch jemand.

Seine Stimme klang furchtsam und aufgebracht zugleich.

Brak stürmte ebenfalls die Stufen empor. Vielleicht war das seine Chance, zu fliehen ...

Doch er war die Treppe erst halbwegs oben, als die Wachen sich durch die Tür drängten, einen heftig keuchenden, sich mit Händen und Füßen wehrenden Mann in ihrer Mitte.

Sein Umhang gab nach. Er riß sich los und rannte an Brak vorbei. Einer der Soldaten hielt einen schwarzen, mit Silberfä­den verzierten Stoffetzen in der Hand.

Der Gefangene war Tamar Zed.

Nordica schritt durch die Wachen hindurch und umkreiste den Magier wie eine Katze. Tamar deutete auf die Soldaten.

»Diese Hunde wagten es, Hand an mich zu legen!«

»Auf meinen Befehl!« fauchte Nordica. »Als ich dir die Öffnung zwischen den Arabesken zeigte, tat ich es, damit du meinen Vater in seinem Arbeitsraum beobachten kannst, nicht, um mir nachzuspionieren.«

Der Magier drapierte seinen zerrissenen Umhang um sich und warf arrogant die Schultern zurück.

»Er beobachtete uns?« erkundigte sich Brak.

Nordica nickte.

»Seine Eifersucht erzürnt mich.«

»Ich war ein Narr, dir alles zu glauben, was du mir erzähl­test«, rief Tamar erbittert.

»Oh, du meinst, als ich dir sagte, deine Zärtlichkeiten erfreu­ten mich?« Nordica lachte. Sie legte leicht ihre Hand auf des Magiers Wange. »Vielleicht war es einst so, doch das ist nicht länger der Fall.« Tief grub sie ihm die Nägel ins Fleisch. Als er aufschrie, lachte sie erneut und sprang zur Seite. Blut rann Tamars Gesicht herab.

»Warum spioniertest du mir nach?« fragte Nordica drohend.

Tamar zog die dunklen Brauen zusammen und betastete seine schmerzende Wange.

»Willst du mich vor ihm demütigen?« murrte er. »Tu es nicht. Ich warne dich!«

»Ich habe es nicht nötig, dich zu demütigen, du eifersüchtiger Narr. Du tatest es selbst.«

Tamar zitterte am ganzen Körper.

»Du - du wirfst dich diesem Tölpel, diesem Bauern, an den Hals! Ich kann es nicht glauben!«

»Er ist mehr Mann, als du in zehn Leben sein kannst!«

Das Hexenmädchen war zu weit gegangen. Tamar machte zwei lange Schritte auf sie zu.

Nordica winkte den Wachen.

Der Magier blieb stehen. »Mich so zu behandeln«, keuchte er. »Wenn du weißt, was ich für dich empfinde!«

»Nun, was würdest du vorschlagen? Was soll ich mit dem Barbaren tun?« Nordica wußte, wie sehr seine Leidenschaft für sie ihn zu ihrem Sklaven machte.

»Verfüttere ihn an Blutlefzer!«

»Und wenn ich es nicht tue? Wirst du mich dann verlassen? Das bezweifle ich, Magier. Aus vielen Gründen wirst du es nicht. Nur ich kenne das Geheimnis, die vier Winde herbei­zu­rufen, ihnen die Lebenskraft der Gefangenen zu geben. Und vergiß nicht die Freuden, die ich dir gewähren kann, wenn ich nicht zu wütend bin, sie dir vorzuenthalten.«

Einen langen Moment funkelte Tamar Nordica voll Haß an. Doch er war ihr verfallen. »Du kennst mich zu gut«, murmelte er. »Ich kann dich nicht verlassen.«

Sie lachte glockenhell. »Geh jetzt, doch laß mich dich nie mehr beim Spionieren ertappen, oder du wirst Celsus Hyrcanus folgen!«

Wortlos verließ der Magier den Raum, nicht ohne Brak noch einen Blick zuzuwerfen, der nichts Gutes verhieß.

Nordica schickte die Soldaten wieder fort. Sie deutete auf ein weiches Kissen. »Setzt Euch zu mir, Brak, und leistet mir bei einem Becher Wein Gesellschaft.«

»Ich sehe keine Anlaß dazu«, brummte er.

Sie tastete nach seiner Wange. Seine Muskeln spannten sich, denn er erwartete, sie würde ihm wie Tamar Zed die Nägel ins Fleisch bohren. Statt dessen streichelte sie ihn sanft. Ihre Augen wurden zu grünen Teichen, lockten ihn mit dem immer wieder schwindenden Geheimnis.

Über unergründliche Tiefen hinweg gurrte ihre Stimme: »Sei lieb zu mir, Barbar.«

Lieb zu ihr sein? Zu ihr, die sich ihn zum Blutopfer auserko­ren hatte! Er wollte höhnisch lachen. Aber er vermochte es nicht. Die grünen Lichter ihrer Augen lähmten ihn.

»Du bist ein echter Mann, Brak. Mein Verlangen nach dir ist groß - und deines nach mir. Ich weiß es! Wir sind uns nicht fremd. Erkennst du es denn nicht? Wir sind uns nicht fremd ...«

Ekel half ihm, die Lähmung abzuschütteln. Ihre Lippen waren ganz nahe. Er fuhr zurück.

»Mag der Magier nach Euch winseln«, keuchte er mühsam. »Ich nicht! Ihr seid nicht mehr als eine Hure.«

Sie schlug ihm rechts und links ins Gesicht.

»Nehmt Euch in acht, wenn Ihr nicht den Tag Eurer Geburt verfluchen wollt«, warnte sie. »Ich habe Euch Liebe geboten, Freuden, derengleichen ...«

»Lady«, unterbrach Brak sie ruhig. »Ich würde lieber eine verweste Leiche umarmen als Euch.«

Nordicas Gesicht wurde bleich. »Wie Ihr wollt. So erfahrt, welche Wonnen mein Verlies Euch zu bieten hat.«

Mit wallendem Gewand rauschte sie durch die Tür.

»Soldaten!« rief sie. »Bringt ihn zu den drei anderen. Sein Gestank beleidigt meine Nase.«

Trotz der bis an die Zähne bewaffneten Wachen, die ihn unsanft vorwärtsstießen, fühlte Brak sich erleichtert, von der Gegenwart der Hexe befreit zu sein. Konnte es wirklich sein, daß das Mädchen Nordica von Ariane besessen war? Ariane, die gestorben und doch nicht tot war?

Septegundus hatte ihm gedroht: Irgendwo warte ich auf dich!

Aber nein, Nordica war Nordica und niemand anderer. Es war nur ihre Lüsternheit, die ihn an des Amyrs Tochter erinnert hatte. Waffengeklirr, ein tierisches Brüllen und Schreien von außerhalb der Burg rissen ihn aus seinen quälenden Gedanken.

Die Wachen hielten an. Einer rannte zur Brustwehr, blickte hinunter. »Der Prinz«, rief er hämisch grinsend, »mit einem Häufchen seiner Krieger. Ich wette, er kam, um diesen Dummkopf zu befreien. Die Lady hatte Blutlefzer auf sie gehetzt.«

Brak machte einen Satz zur Brustwehr.

Lanzengriffe hämmerten auf seinen Schädel, aber er ver­moch­te einen flüchtigen Blick nach unten zu werden.

Der riesige Höllenhund stürzte auf Pemmas kleine Gruppe, zerfleischte Rösser und Reiter, während die Schwerter und Lanzen wirkungslos von ihm abprallten.

Ein Lanzenschaft schmetterte gegen Braks Schläfe, ein wei­terer auf seinen Hinterkopf. Er sah noch Pemma als einzigen davonreiten, verfolgt von Blutlefzer, der jedoch bald zu seinem Fraß zurückkehrte, dann wirbelte er mit brummendem Schädel und einem wilden Schrei herum. Nun gab es keine Hoffnung mehr für ihn. Aber er würde sein Leben teuer verkaufen.

Sechs Lanzengriffe trafen ihn gleichzeitig. Er ging in die Knie und sank langsam zu Boden.



6.


Als Brak die Augen öffnete, glaubte er, die Zeit sei rück­wärts­gelaufen und er wieder in der Höhle des Teufelswurms. Über ihn gebeugt, sah er ein feingeschnittenes ovales Gesicht. Er versuchte sich aufzusetzen und spürte das Gewicht an sei­nen Handgelenken. Ketten klirrten. Sein Hinterkopf schmerzte.

Er vernahm Flüstern. Das Mädchengesicht schwebte ver­schwommen in der Düsternis. Langsam nahm es festere Form an, doch da drehte es sich um und sprach in die Dunkelheit.

»Er ist aufgewacht. Es ist der Fremde, von dem ich euch erzählte. Jener, der mir half. Brak.«

»Frag ihn, ob er auch ein paar gute Ideen hat, uns zu helfen«, erklang eine piepsige Männerstimme.

Brak stolperte mühsam auf die Beine und blinzelte, »Wo bin ich? Wieder in einer Zelle?«

»Wo denn sonst«, erwiderte eine dritte Stimme, rauher als die zweite, ein tiefer, brummender Baß. »Im Verlies der Hexe. Hätte ich mich versteckt, anstatt zu kämpfen, als ihre Häscher mich aus der Schmiede holten, so wäre ich jetzt nicht mit euch zusammengepfercht.«

»Wir stecken alle im gleichen Loch, Runga. Warum also streiten?« erklang erneut die piepsige Stimme.

»Ich werde schon für mich sorgen«, knurrte Runga.

»Kümmere dich um dich selbst, Einbein.«

Langsam vermochte Brak Einzelheiten des gewölbeförmigen Verlieses zu erkennen. Der Boden war mit schmutzigem Stroh bedeckt. Düsteres Licht drang durch das Gitterfenster der Tür.

Er studierte das Gesicht des Mädchens vor ihm. »Elinor«, fragte er. »Wie seid Ihr hierhergekommen?«

»Dasselbe könnte ich Euch fragen. Zwei von Nordicas Solda­ten fingen mich ein, gleich nachdem ich von Euch weggelaufen bin. Seither bin ich hier, und diese Männer ebenfalls. Und wir wissen nicht, was die Hexe mit uns vorhat.«

Wie er, trug auch Elinor ein eisernes Armband, von dem eine Kette am gleichen Ring in der Wand verlief wie seine.

Die anderen beiden näherten sich ihnen, soweit es ihre Ketten zulie­ßen, die ebenfalls in einem gemeinsamen Ring zusammen­liefen.

Runga war breitschultrig, kräftig, untersetzt. Der andere war alt, hager und hatte ein Holzbein.

»Ich weiß sehr wohl, was sie mit uns vorhat«, knurrte er. »Elinor, als Ihr weglieft ...«

»Wir nennen uns hier du«, unterbrach sie ihn, »so magst auch du es tun.«

»Gut. Also, als du wegliefst, glaubte ich hinter einem Fels einen Helm in der Sonne glitzern zu sehen. Das war gewiß einer von Nordicas Mannen.« Er streichelte beruhigend Elinors Hand. »Du bist hier, weil du hoch auf dem Berg lebst und für Nordica das Element Luft verkörperst. Ich bin hier an Prinz Pemmas Statt, als Personifikation der Erde. Du dort ...«

Er deutete auf Runga, dessen grobes Gesicht ihn unfreundlich anstarrte. »Hörte ich dich nicht sagen, du bist Schmied?«

Runga nickte. »Der beste weit und breit, ehe mich die Hexe fortschleppen ließ.«

»Sie hat dich ausgewählt, weil du mit dem Feuer zu tun hast. Und du ...«

»Darios ist mein Name«, piepste der Einbeinige, der einen goldenen Ring im rechten Ohr trug. »Ich weiß nicht recht, wovon du redest, aber ich glaube, ich sehe meine Rolle. Ich war Maat auf einer Handelsgaleere und verließ das Schiff, um meinen Bruder zu beerdigen. Als ich durch dieses verfluchte Land kam, überfiel mich eine Meute Soldaten. Doch nun laß mich dich etwas fragen. Ohne Zweifel sind wir hier einer Wahnsinnigen in die Hände gefallen. Jeder von uns verkörpert - wie du andeutetest - ein Element. Ich das Wasser, nehme ich an. Aber, und das möchte ich von dir wissen, was ist der Zweck des Ganzen?«

In kurzen Worten erklärte Brak, was er von Nordica wußte. »Offenbar«, schloß er, »muß die Hexe warten, bis die Zeit der Herbststürme gekommen ist. Sie behauptet, sie könne dann die vier großen Winde von den Ecken der Welt herbeibe­schwö­ren.«

»Mögen die Götter sich unser erbarmen!« schrillte der Seemann. »Wer hätte gedacht, daß ich ein solches Geschick erleiden muß.«

Grob stieß der Schmied dem anderen die Faust in die Seite. »Hör auf mit deinem Gewimmere. Mir gefällt unsere Lage genausowenig wie dir. Aber Winseln verbessert sie nicht.«

»Auch nicht, wenn du einen Kleineren schlägst«, sagte Brak ruhig. »Wie der Maat schon sagte, wir stecken alle im gleichen Loch.«

Runga verzerrte sein Gesicht zu einer häßlichen Fratze. »Tun wir das? Wer hat dich zum Sprecher gewählt?«

Grimm stieg in Brak auf, doch er kämpfte dagegen an und unterdrückte eine heftige Antwort. Elinor hatte lautlos zu wei­nen begonnen. Tränen rollten ihre Wangen herab. Sanft legte Brak seine Hand auf ihre Schulter. Die Berührung schien sie ein wenig zu beruhigen.

»Es muß einen Weg für unsere Befreiung geben«, erklärte Brak, obwohl er es selbst nicht recht glaubte. »Wir haben noch Zeit, ehe sie uns als Opfer braucht.«

»Es würde mir nichts ausmachen, der rothaarigen Hexe mein Leben für ein oder zwei Schäferstündchen zu geben«, brummte der Schmied. »Um offen zu sein, ich würde alles tun, um eine Frau wie sie, wenn auch nur für eine Stunde, im Bett zu haben. Und falls ihr mich für unkameradschaftlich haltet, so habt ihr vollkommen recht.«

Darios zupfte an seinem Ohrring. »Das Weib hat unseren Freund hier nicht wenig in Versuchung geführt. Er spricht von nichts anderem, seit sie ihn hierherbrachten.«

Abfällig knurrte Brak: »Du scheinst dir ihre innere Schlech­tigkeit nicht einmal vorstellen zu können, Schmied.«

Runga spuckte auf den strohbedeckten Boden. »Mir genügt ihr Äußeres. Was ich tue, geht nur mich etwas an.«

»Wir sind vier, die das gleiche Geschick erwartet, zusammen­gekettet in diesem Verlies«, erinnerte ihn Brak, seinen Ärger mühsam beherrschend. »Ich habe nicht vor, untätig zu warten, bis Nordica uns für ihr Opfer holen läßt. Ich glaube, Elinor und unser Seemannsfreund teilen meine Ansicht. Wie steht es mit dir? Können wir mit dir rechnen?«

Runga grinste höhnisch.

»Ich stehe auf meinen und nur meinen Füßen, Fremder. Ich tu, was ich will und wann ich es will. Und wenn die rothaarige Hexe mit ihrem kleinen Finger schnippt, folge ich ihr. Wenn euch das nicht gefällt, zum Teufel mit euch. Habe ich mich klar genug ausgedrückt? Selbst ein halbnackter Wilder sollte das verstehen ...«

Mit einem animalischen Schrei sprang Brak auf den Schmied zu. Die Kette war etwas zu kurz, trotzdem vermochte er seine Pranken um Rungas Kehle zu legen.

»Du würdest dich also diesem Weib verkaufen und uns sterben lassen?«

Keuchend versuchte der Schmied sich aus Braks Umklam­merung zu befreien. Mit einem Mal erkannte Brak, daß sein Grimm ihn zu einer sinnlosen Tat hingerissen hatte. Er ließ den Schmied los.

Aber nun sprang der auf ihn zu. Sein Knie traf den Barbaren mit voller Wucht in den Leib. Brak rang nach Luft. Schnell warf Runga seine Kette wie eine Schlinge um Braks Hals, doch der Barbar vermochte darunter hinwegzutauchen. Er kauerte sich zusammen, bereit, den Kampf fortzuführen, den er selbst provoziert hatte.

»Dann wollen wir ein für allemal feststellen, wer der Herr­scher in unserem dunklen Zellenreich ist«, knurrte Runga.

Darios humpelte zwischen sie. »Gebt Frieden, ihr beiden. Ihr macht nichts besser, wenn ihr euch gegenseitig umbringt.«

Elinor zog an Braks Arm. Er schob sie zur Seite. »Ich gebe diesem Kerl, was ihm gebührt!«

»Sagtest du nicht gerade noch selbst, wir könnten nur gemeinsam einen Weg aus dieser Hölle finden? Und nun willst du uns jede Chance nehmen, indem ihr gegenseitig euer Blut vergießt?«

Runga lachte. »Ich sähe gern sein Blut fließen, aber er wagt es ja nicht, mir noch einmal nahezukommen.«

Brak machte einen Schritt auf ihn zu, bereit, nun keine Gnade mehr walten zu lassen. Aber Elinor und Darios’ Bitten brachten ihn plötzlich wieder zur Vernunft.

»Ihr habt recht«, murmelte er, »wir würden uns nur selbst schaden.« Er zog sich in seine Ecke zurück.

Runga brummte etwas vor sich hin, überzeugt davon, daß er gewonnen hätte.

Brak war sich nicht mehr so sicher, ob es nicht doch besser gewesen wäre, den Schmied zu töten. Seine Verbohrtheit und sein Verlangen nach Nordica konnten ihnen noch gefährlich werden. Er grübelte noch darüber, als die Tür knarrend aufging.

Zwei Soldaten betraten mit einer Laterne das Verlies. Einer stupste Brak mit der Lanzenspitze.

»Steh auf, Gelbzopf«, befahl er. »Wir haben Anweisung, dich wieder zur Lady zu bringen.« Er wandte sich an seinen Kameraden. »Das Mädchen ist an den gleichen Ring gekettet. Wir müssen sie ebenfalls mitnehmen.«

Der zweite holte einen Schlüssel aus dem Wams und löste den Ring aus der Wandbefestigung.

Warum mußte Elinor ihn begleiten? Brak verstand es nicht. Statt den Ring zu lösen, hätten sie doch genauso gut die Armbänder aufsperren können. Aber er hatte keine Zeit, jetzt darüber nachzudenken. Ein Soldat trug den Ring mit den beiden Kettenenden, der andere die Laterne. Runga und Darios starrten ihnen nach. Der Schmied mit wutglänzenden Augen, der Seemann verängstigt.

Brak legte einen Arm um die zitternde Elinor, während die beiden Wachen sie mit den Schwertspitzen von hinten antrieben.

»Den Tunnel links«, befahl einer der Soldaten. »Jenen, der nach unten führt.«

»Nach unten? Ich dachte, wir befänden uns bereits im tiefsten Keller«, brummte Brak. Was wollte Nordica hier von ihnen? Ihre Gemächer und Arbeitsräume befanden sich in den Obergeschossen. Elinor warf Brak einen fragenden Blick zu. Auch sie empfand, daß die Sache eigenartig war. Der Gang führte in vielen Windungen immer tiefer. An seinem Ende stand eine dicke Eichentür halboffen. Die Soldaten stießen Brak grob hindurch. Er stolperte über ein Stück Kette und landete auf allen vieren. Elinor schrie auf, als die Kette heftig an ihrem Arm zerrte.

Brak hob den Kopf. Das erste, das er sah, war ein gähnendes, mannshohes Loch in der Wand. Ein fauliger Geruch drang heraus.

Ein riesiger Steinbrocken, der offenbar normalerweise die Öffnung verschloß, war ein wenig zur Seite gerollt. Während Brak noch darauf starrte, vernahm er hinter sich das Schlurfen von Schritten. Er wandte hastig den Kopf und begegnete dem haßerfüllten Blick Tamar Zeds.

»Eine kleine List meinerseits, Barbar«, erklärte er höhnisch. »Nordica Feuerhaar schläft. Bis sie erwacht, wird es zu spät sein, etwas für Euch zu tun.« Er lächelte boshaft.

»Dann bringt es hinter Euch, Magier«, knurrte Brak. »Tötet mich.«

Tamar Zed schritt auf das Loch in der Wand zu. »Warum sollte ich meine Hände mit Euch beschmutzen? Seht Ihr diese zwei hilfreichen Soldaten? Ein wohlgefüllter Beutel schließt ihnen den Mund. Ihr werdet Euch nun in diesen Gang hier begeben, und die beiden Getreuen sorgen dafür, daß der Stein wieder seinen Platz davor findet. Der Gang führt geradewegs in die Hölle. Wenn Ihr ihm folgt, findet Ihr vielleicht die Gebeine des Alchimisten, den wir Euch vorausschickten. Mit ihnen könnt Ihr Euch vergnügen, bis Ihr verhungert oder dem Irrsinn verfallt. Ein geziemend Ende, meint Ihr nicht?«

Brak schüttelte verwirrt den Kopf. »Ihr wagt es, Nordicas Zorn auf Euch zu laden, nur um mich loszuwerden?«

»Ich würde noch viel mehr wagen, um sie für mich allein zu haben. Doch genug geredet.« Er deutete auf Braks Armband. »Nehmt ihm die Kette ab und bringt ihn in den Gang.«

Die Soldaten näherten sich vorsichtig. Einer zog einen Dolch und drückte ihn an Elinors Kehle. Es war offensichtlich: Sollte Brak sich wehren, würde das Mädchen den Tod erleiden.

Hilflos stand der Barbar, während der Schlüssel sich drehte und die Kette mit dem Armband zu Boden polterte. Aus einer dunklen Ecke kehrte Tamar Zed mit etwas Glänzendem in den Händen zurück. Zu seiner Überraschung erkannte Brak sein eigenes Breitschwert.

»Nehmt es, Barbar. Nehmt es, dann könnt Ihr den Rest Eures Lebens Euren Mut beweisen, indem Ihr gegen die Dunkelheit kämpft.«

Tamar sprang zurück. »Und nun stoßt ihn hinein!« befahl er. Die Soldaten gehorchten eilig. Der eine hielt immer noch die Klinge gegen Elinors Kehle. Brak stolperte durch die Öffnung. Der Magier warf ihm das Breitschwert vor die Füße.

»Ich nehme den Dolch«, erklärte Tamar und stellte sich hinter das Mädchen. Während er auf sie aufpaßte, sprangen die bei­den Soldaten zum Hebel, der den Stein bewegte. Sie drückten dagegen, und der große Stein begann zu rollen.

Tamar flüsterte Elinor etwas ins Ohr. Dunkle Röte überzog ihre Wangen. Lachend rief der Magier nach den Schlüsseln und öffnete ihr Armband. Rasselnd fiel es mit der Kette vor ihre Füße.

Nun hielt Brak sein Breitschwert in der Hand. Er stand im dunklen Gang und beobachtete, wie der Stein die Öffnung immer weiter bedeckte. Nur noch eine Hälfte war frei. Seine Finger zitterten um den Griff. Es drängte ihn, in die Kammer zurückzuspringen und den Soldaten und dem Magier sein Schwert spüren zu lassen. Aber Tamars Dolch drückte gegen Elinors Hals. Seine zischende Stimme drang bis zu Brak.

»... wirst du mir die Freuden gewähren, mit denen Nordica in letzter Zeit nicht sehr großzügig war ...« Seine freie Hand glitt ihren bloßen Arm aufwärts und legte sich schließlich auf die volle Rundung ihres Busens unter dem wollenen Gewand.

Unaufhaltsam rollte der Stein weiter.

Keuchend versuchte Elinor, sich aus dem Griff des Magiers zu befreien. Er lachte und flüsterte ihr wieder etwas ins Ohr. Sie schrie auf, und es gelang ihr, sich loszureißen.

»Haltet sie!« brüllte Tamar.

Doch die beiden Soldaten waren zu langsam und stießen obendrein mit den Köpfen zusammen. Tamar hob den Dolch zum Wurf und ließ ihn durch die Luft zischen.

Aber Elinor war flink. Die Klinge pfiff über ihrem geduckten Kopf vorbei und prallte von der Mauer ab, gerade als sie durch die sich immer weiter schließende Öffnung zu Brak sprang.

»Rollt den Stein zurück!« tobte der Magier.

»Es ist zu spät, Lord«, erwiderte einer der Soldaten. »Sein Gewicht bewegt ihn weiter.«

Elinor taumelte gegen Brak und hielt sich an ihm fest. Der Lichtspalt verringerte sich und verschwand.

Tamars wütendes Gebrüll verlor sich. Brak blinzelte in die Finsternis. Er schüttelte das Mädchen, bis es zu schluchzen aufhörte.

»Elinor, wir müssen dem Gang folgen, wohin immer er auch führt, und eine ausreichende Entfernung hinter uns bringen, ehe sie den Stein weggerollt haben. Mut, Mädchen! Ich habe mein Schwert, und unsere Chancen sind viel größer als in dem Verlies. Verstehst du mich? Nimm meine Hand.«

Ihre Finger waren kalt und zitterten. Vorsichtig schritt er voraus, wobei er den schlüpfrigen Boden mit den Zehen abtas­tete, für den Fall, daß der Gang plötzlich abfallen sollte.

»Der Magier sagte, der Gang führt direkt in die Hölle«, murmelte das Mädchen.

Brak zog die Luft ein.

»Oder zu einem noch viel schlimmeren Ort.«

»Was meinst du damit?«

»Denk jetzt nicht daran.« Sie hasteten weiter, ohne daß Brak die nötige Vorsicht außer acht ließ. Einmal glaubte er, Rufen, Fluchen, ja sogar Schritte weit hinter ihnen zu vernehmen. Sicher hatten die Soldaten den Stein erneut zurückgerollt und verfolgten sie. Brak und Elinor blieben stehen und drückten sich lauschend gegen die klamme Wand. Doch kurz darauf erstarben die Geräusche. Offenbar waren Tamar Zed und die bestochenen Soldaten wieder umgekehrt.

Plötzlich war Brak nicht mehr so sicher und fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, sich ihnen zu stellen und sich den Weg freizukämpfen.

Der süßlich-faulige Geruch wurde mit jedem Schritt stärker, und immer schräger fiel der Gang ab. Mit einem Mal tasteten Braks Zehen ins Leere und sein anderer Fuß begann zu rutschen.

»Zurück!« brüllte er, aber der Ruf ging im Donnern des in die Tiefe polternden Gerölls unter.

Elinor prallte gegen ihn, und beide stürzten zu Boden. Sie glitten um Haaresbreite am Abgrund vorbei auf ein Sims, seitlich an der Wand. Bebend kletterte Brak wieder auf die Beine und drückte Elinor gegen die Wand.

»So also haben sie sich des Alchimisten entledigt«, brummte er. »Sie haben ihn nicht getötet, sondern in den gleichen Gang wie uns gestoßen, damit er einen langsamen Hungertod in einer Höhle erleide, die nirgendwohin führt. Oder vielleicht stürzte er auch hinab zu ...«

Die Worte erstickten in seiner Kehle. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß die Dunkelheit einem schwachen Licht Platz gemacht hatte. Er drang durch eine runde Öffnung, offenbar an der Oberfläche der Erde, hoch über dem Abgrund, an dessen Rand sie kauerten. Kalte Furcht erfüllte den Barbaren.

»Kein Wunder, daß Celsus Hyrcanus nie zurückkehrte, Mädchen. Der Magier hatte keine Ahnung, wohin der Gang führt. Doch ich weiß es jetzt.«

»Brak, horch! Dort unten! Ich höre ...«

»Das Geröll, das ich unbeabsichtigt lockerte, weckte ihn«, flüsterte Brak. Das Breitschwert in seiner Hand schien nicht mehr als das harmlose Spielzeug eines Kindes. »Ich hätte den Gestank sofort erkennen müssen. Wir sind hier ...«

Elinor hatte es inzwischen selbst erkannt. Die Hand vor den Mund gepreßt, starrte sie hinunter auf die riesigen roten Augen. Immer stärker schienen sie zu leuchten.

Das Ungeheuer hob seinen Kopf auf dem langen Schuppen­hals. Ein riesiger zahnbewehrter Rachen gähnte.

Einen Augenblick lähmte Brak eine unvorstellbare Angst.

Wie erstarrt beobachtete er, wie der scheußliche Schädel sich immer höher reckte.

Höher und höher!

Der Teufelswurm schien kurzen Prozeß mit den winzigen Wesen machen zu wollen, die es gewagt hatten, seinen Schlum­mer zu stören.



7.


Elinor drückte ihren Kopf an Braks Brust und begann zu wimmern.

»Ruhig, Mädchen«, mahnte er sie. »Vielleicht sieht uns die Bestie nicht, wenn wir uns nicht rühren.«

Aber Elinors Angst machte sich plötzlich in einem gellenden Schrei Luft, noch ehe Brak ihr die Hand vor den Mund pressen konnte. Sie wehrte sich gegen seinen Griff und biß ihn in den Finger.

Wütend schüttelte er sie, doch er hielt seine Stimme leise. »Ich sagte ruhig, Mädchen! Du hast das Untier nun erst recht auf uns aufmerksam gemacht.«

Endlich schien sie sich zu fangen und zu verstehen, was er sagte. Sie schluchzte noch einmal und nickte schwach. Brak lockerte seine Umklammerung.

Plötzlich erzitterte das Sims unter ihren Füßen. Das Ungeheu­er peitschte mit seinem gewaltigen Schwanz um sich. Der betäubende Gestank hüllte sie nun ein. Brak ließ Elinor los und drückte sie wieder gegen die Wand. Er stützte beide Hände auf das Breitschwert und spähte in die Tiefe.

Der Schädel des Teufelswurms auf dem langen Schuppenhals schob sich suchend immer höher. Er schien gut dreimal so lang zu sein, wie Brak groß war. Die gewaltigen Augen mit den schwarzen Pupillen leuchteten in einem tiefen Rot.

Der Barbar konnte den eigentlichen Körper des Ungeheuers nicht erkennen, da der größte Teil des Teufelswurms von der in der Tiefe herrschenden Dunkelheit verborgen war. Vermutlich war er lang und schlangenartig. Er entdeckte jedoch zwei Vorderpfoten, jede mit einem Dutzend Krallen, so groß und scharf wie Sicheln. Die Kreatur benutzte sie, sich an den Wänden festzuhalten und sich daran hochzuziehen.

Der Teufelswurm schob sich empor.

Der Schuppenkopf drehte sich bedächtig, und die roten Augen durchforschten die Düsternis.

Nun befand der Schädel sich fast in gleicher Höhe mit dem Sims. Das grauenhafte Wesen stieß ein donnerndes Brüllen aus, das Braks Trommelfell fast zerriß.

Der gewaltige Schwanz peitschte durch die Dunkelheit gegen die Wände und erschütterte die ganze Höhle. Brak spürte, wie sich unter seinen Füßen das Sims spaltete. Hastig sprang er zur Seite.

Der Kopf des Teufelswurms war nun genau gegenüber dem Sims. Brak stellte sich schützend vor Elinor. Kalter Schweiß floß ihm den Rücken hinab. Er stand starr wie eine Statue, das Breitschwert hiebbereit.

Der Schädel des Untiers schoß vorwärts. Es öffnete seinen gewaltigen Rachen und entblößte die speerlangen Zähne. Eine wahre Fäulniswolke entströmte dem gähnenden Schlund und ließ Übelkeit in Brak aufsteigen.

Der Teufelswurm senkte seinen Schädel ein wenig, und es sah aus, als schnuppere er an dem Sims. Elinor begann leise zu schluchzen. Brak wagte nicht, sich umzudrehen und sie zu beruhigen, denn die geringste Bewegung mochte die Bestie auf sie aufmerksam zu machen.

Ihr Schluchzen, schien Brak, wurde unerträglich laut.

Der Teufelswurm brüllte. Die roten Augen glühten groß wie Leuchttürme, so nahe am Sims, daß Brak nur seinen Arm auszustrecken brauchte, um die schuppige Schnauze zu berühren. Hinter dem Schädel des Ungeheuers peitschte der Schwanz gegen die entgegengesetzte Höhlenwand und löste einen Steinregen aus. Die ganze Höhle bebte.

Einige der Felsbrocken, die sich über ihm durch den Aufprall gelöst hatten, schlugen auf dem Schädel des Teufelswurm auf. Wütend reckte er sich noch höher auf seinem Schlangenhals, brüllte und peitschte weiter mit dem Schwanz um sich.

Die neue Steinlawine lenkte die Bestie lange genug ab, daß Brak sich umdrehen und Elinor die Hand vor den Mund pressen konnte.

Einen Augenblick später begann der Teufelswurm den Kopf zurückzuziehen, und bald darauf erscholl sein wildes Gebrüll bereits viel tiefer unten.

Der Barbar stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Er war in kaltem Schweiß gebadet.

»Mädchen«, flüsterte er. »Du darfst dich wieder ein wenig bewegen. Die Höllenbrut ist eingeschlafen. Ich hoffe, lange genug, daß wir aus diesem Loch verschwinden können.«

Elinor schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Ich habe kein bißchen Kraft mehr.«

Grimmig packte er sie an der Schulter.

»Willst du lieber untätig darauf warten, daß der Teufelswurm uns findet und verschlingt?«

»Nein, Brak. Aber es gibt keinen Rückweg für uns. Tamar Zeds Männer versperrten den Eingang. Es würde uns nie gelingen, den Stein wegzurollen.«

Brak deutete mit dem Breitschwert nach oben, wo das Tageslicht durch eine ausgezackte Öffnung drang.

»Dort liegt die Freiheit für uns«, erklärte er ihr.

»Und wie kommen wir dort hinauf?«

»Wir müssen die Höhlenwand hochklettern.«

Elinor brach erneut in Tränen aus. Allein der Gedanke daran war zuviel für sie. Auch Braks Nerven hatten unter der Belastung der letzten Stunden gelitten. Unsanft drückte er sie gegen die Wand.

»Hör auf zu heulen«, knurrte er. »Das macht nichts besser. Entweder wir versuchen zu fliehen, solange die Bestie schläft, oder wir bleiben hier, bis sie uns verschlingt. Oder, falls sie uns nicht entdeckt, bis wir des Hungers gestorben sind. Nun, was ziehst du vor? Ich bin dafür, daß wir zu klettern beginnen.«

Mühsam unterdrückte Elinor ihr Schluchzen und nickte. »Gut, ich - ich werde es versuchen.«

»Raste dich erst noch eine kurze Weile aus.« Brak lehnte sein Breitschwert gegen die Wand. »In einer Felsspalte sah ich Pflanzen. Warte hier.« Vorsichtig tastete er sich das nun von Rissen durchzogene Sims entlang, bis er den gesuchten Spalt erreichte. Fleischig grüne Blätter wuchsen dort auf samtigen Stengeln. Brak brach ein paar der Pflanzen ab und roch daran. Dann zerrieb er ein Blatt zwischen den Handflächen und kostete es. Es schmeckte angenehm süßlich. Er wartete eine Weile, ehe er ein größeres Stück in den Mund schob.

Zufrieden brach er schließlich weitere ab und brachte Elinor die Ausbeute. »Genießbar«, brummte er. »Iß, es wird dir ein wenig Kraft zurückgeben.«

Gehorsam folgte Elinor Braks Beispiel und kaute an den Pflanzen. Wenigstens hörte Braks Magen endlich zu knurren auf. Auch Elinor fühlte sich etwas wohler. »Wie weit ist es bis zu dem Loch dort oben, Brak?«

»Das wird sich herausstellen, Mädchen. Du mußt dir selbst einreden, daß es nicht weit ist und wir es schon schaffen werden. Reiß ein Stück deines Kleidersaums ab, ich möchte das Schwert festbinden.

Das Mädchen drehte ihm den Rücken zu und reichte ihm schließlich errötend einen Streifen des wollenen Gewebes. Er wand ihn um den Knauf des Schwertes und seine linke Schulter.

»Siehst du den kleinen Mauervorsprung?« Er deutete seitwärts. »Die Höhlenwand scheint von dort ab weniger glatt. Ich steige voraus. Halte dich an meiner Mitte am Löwenfell fest, ich werde dich damit hochziehen.«

Sie versuchte zu lächeln, aber es wurde nur eine klägliche Grimasse.

Brak hielt sich am Vorsprung fest, ehe er das Sims verließ und sich einen Halt für die Füße an der Mauer suchte. Während er sich mit der Linken am Mauervorsprung festklammerte, streckte er die Rechte nach Elinor aus.

Sie faßte ihn am Arm und sprang. Doch ehe ihre Füße Halt gefunden hatten, stieß sie mit der Schulter heftig gegen ihn. Einen atemberaubenden Augenblick lang befanden sich beide in höchster Gefahr, abzustürzen.

Aber Brak krallte sich in den Vorsprung und drückte seine mächtigen Schultern gegen die Mauer. Elinor hielt sich an Braks Löwenfellbeinkleid fest. Als sie beide einen festen Halt fanden, wagte Elinor ein scheues Lächeln. Sie hatte ihren Mut wiedergefunden und die Hoffnung, es doch zu schaffen.

Brak lächelte zurück, obwohl seine Besorgnis nicht geringer geworden war. Die Höhlenwand erstreckte sich scheinbar endlos nach oben. Die Öffnung an der Oberfläche war von hier aus nichts weiter als ein verschwommener hellerer Fleck gegen die Höhlendecke. Aber er ließ sich nichts anmerken. Er tastete nach Halt über sich und zog sich hoch und danach Elinor.

Wieviel Zeit während des gefährlichen Aufstiegs verging, wußte Brak nicht. Mühsam und unendlich langsam klommen sie höher. Oft waren sie gezwungen, den geraden Weg zu verlassen, wenn die steile Wand keinen Halt bot.

Nach einer Weile begannen Braks Arme zu schmerzen, aber er verheimlichte es Elinor. Das schwache Licht dort oben schien ihm unerreichbar.

Auf einem noch schmaleren Sims als dem ersten legten sie eine Rast ein. »Wie geht es dir, Mädchen?« keuchte Brak.

»Mein ganzer Körper schmerzt.« Sie seufzte.

»Wirst du es schaffen?« erkundigte er sich besorgt.

»Wir sind so weit gekommen, da werde ich doch jetzt nicht aufgeben«, erwiderte sie tapfer.

Brak legte ihr kameradschaftlich den Arm um die Schultern, und sie errötete tief. »Siehst du die Felsleiste schräg über uns? Sie ragt ein wenig heraus. Es wird nicht leicht sein, sie zu erreichen. Aber wenn wir es schaffen, sparen wir uns einen großen Umweg. Ich werde versuchen, sie mit einem Sprung zu erlangen. Wenn ich oben einen festen Halt für meine Hände gefunden habe, hängst du dich an meine Beine, und ich ziehe dich hoch.«

Er schob das Breitschwert in Elinors Gewandschlinge auf den Rücken und strich das gelbe Haar aus der Stirn. Dann sprang er mit einem gewaltigen Satz in die Höhe. Einen Augenblick hatte er das schreckliche Gefühl, hoch über dem schlafenden Teufelswurm im Nichts zu segeln. Mit einem unwillkürlichen Schrei streckte er die Arme aus und erreichte die Felsleiste.

Seine Linke glitt aus.

Doch die Rechte hielt. Seine Muskeln drohten zu bersten. Er baumelte, nur von fünf Fingern gehalten, über dem Abgrund.

Er biß die Zähne zusammen und strengte sich an, bis er schließlich die Linke wieder auf die Leiste bekam und sich auch damit festzukrallen vermochte.

»Spring jetzt, Mädchen«, rief er, »und klammere dich an meinen Beinen fest.« Er spannte die Muskeln und wartete auf das zusätzliche Gewicht. Als es kam, drohte es ihn fast in die Tiefe zu ziehen.

»Brak, ich kann mich nicht halten - meine Finger gleiten ab.«

Er spürte es. Er mußte sich beeilen.

Mit schier übermenschlicher Anstrengung gelang es ihm, sich hochzustemmen.

Seine Augen ragten bereits über die Leiste. Dann sein Kinn.

Aber Elinors Gewicht schien immer schwerer zu werden. Seine Kraft ließ nach. Ihre Finger an seinen Beinen rutschten immer tiefer.

Doch noch glückte es ihm, sich höher zu stemmen. Seine Brust preßte bereits gegen die vorhängende Leiste, dann sein Bauch. Elinor schrie leise auf. Ihre Finger hielten kaum noch das Fußgelenk.

Brak drückte Kopf und Brust auf den Felsboden der Leiste, die breiter als die bisherigen Simse war. Er schnappte kurz nach Luft und zog seinen Oberkörper hoch.

»Klammere dich mit einer Hand an den Rand«, keuchte er. »Dann kann ich dich hochziehen.«

Elinor schluchzte auf, aber sie gehorchte. Er spürte, wie sie ihr Gewicht verlagerte. So gut es ging, drehte er den Kopf. Er sah weiße Finger nach einem Halt auf der Leiste tasten.

Im gleichen Augenblick, als ihre Rechte sich festklammerte, zerrte er seine Beine hoch, so daß er nun mit ganzer Länge auf dem Sims lag. Gleichzeitig griff er nach Elinors Arm, gerade, als ihre Linke von seinem Fußgelenk rutschte und sie zu fallen begann.

Aber er hatte sie. Zuerst an einem Arm. Dann an beiden.

Einen Augenblick später zog er die Schafhirtin mit letzter Kraft auf die breite Leiste.

Eine lange Weile lagen sie völlig erschöpft und keuchend, ohne auch nur einen Muskel zu bewegen, nebeneinander.

Schließlich erhob sich Brak, um sich umzusehen. Das Sims stellte in etwa ein Dreieck dar. Links und rechts von ihnen verlor es sich allmählich in der Finsternis der Felswand, die noch dunkler schien als der Abgrund selbst. Brak fragte sich, ob diese Schwärze nicht vielleicht eine Höhle in der Wand sei. Er wollte sich gerade aufmachen, um nachzusehen, als er zurückzuckte.

»Elinor?« flüsterte er, ohne sich umzudrehen. »Verhalte dich ganz ruhig. Irgend etwas atmet dort hinten!«

Er löste das Schwert aus der Halteschlinge, faßte es mit beiden Händen und spreizte die Beine.

Es bestand kein Zweifel. In der Finsternis befand sich eine Höhle, und irgend etwas darin war durch sie aufgescheucht worden. Brak hörte pfeifenden Atem und ein Kriechen oder Schlurfen. Der Barbar machte einen Schritt vorwärts und kauerte sich kampfbereit zusammen. Flatternd und kreischend, eine Wolke modriger Luft verbreitend, torkelte die Kreatur aus der Höhle. Krallen ritzten Braks Wange. Klamme muffige Fetzen streiften ihn und nahmen ihm die Sicht.

Der Barbar hob das Schwert über den Kopf, um es auf das Ding herabsausen zu lassen.

»Nicht!« gellte Elinor. »Es ist nur ein alter Mann!«

Hastig riß Brak das Schwert zur Seite und sprang rückwärts. Sein Rücken wetzte gegen die Felswand.

Licht aus der Deckenöffnung fiel auf das Wesen, das aus der Höhle getaumelt war. Brak starrte es ungläubig an.

Das schwankende menschliche Gerippe starrte vor Schmutz. Seine weißen Augenbrauen und der weiße Bart waren völlig verfilzt. Sein flatterndes Gewand bestand nur noch aus langen Fetzen. Auf einem davon erkannte Brak eine Mondsichel, die mit verblichenem goldenem Faden aufgestickt war.

Winzige Augen, fast gänzlich von Hautfalten verhängt, irrten von Braks Breitschwert zu seinem Gesicht und wieder zurück. Die Karikatur eines Menschen war offensichtlich zu Tode erschreckt.

»Uhhh, uhhh, uhhh«, heulte sie.

Ein kalter Schauder lief über Braks Rücken hinab. »Alchimist?« flüsterte er.

»Uhhh!«

»Celsus Hyrcanus?«

Der Greis wedelte mit den Armen, als müsse er Schläge abwehren.

»Uhhh! Uhhh!«

»Alchimist! So hört doch. Das Mädchen und ich tun Euch nichts!«

Die zitternde Gestalt stieß ein paar Worte aus. »Hebt Euch hinweg! Ich kenne Euch nicht!« mochte es vielleicht heißen.

»Unsere Feinde, die gleichen wie Eure, stießen uns hier herab wie Euch. Der Magier ...«

Speichel troff aus den Mundwinkeln. Abwehrend hob der Greis wieder die Hände. »Tamar ist es. Ein Teufel ist er - wie Ihr!«

»Ja. Es war Tamar. Er steckt mit Eurer Tochter unter einer Decke.«

»Nicht mehr meine Tochter!« kreischte der Greis, und sein Geist schien für kurze Zeit wieder klar zu sein. »Jetzt nicht mehr. Sie ist besessen! Etwas ergriff Besitz von ihr. Das Böse schlechthin. Nun ist sie ... Uhhh, uhhh!«

Der Alte verbarg sein bärtiges Gesicht in den Händen, .als ertrüge er die Erinnerung an Nordica Feuerhaar nicht mehr.

Etwas ergriff Besitz von ihr, hatte der Alchimist gesagt. Was hatte er damit gemeint? Unwillkürlich tauchte Arianes wunderschönes Gesicht vor Braks innerem Auge auf. Sie war also doch nicht tot. Demnach hatte Jerome, der Nestorianer, recht gehabt, als er ihm erklärte, daß Yob-Haggoths Amyr und dessen Tochter nur schlummern, jedoch nie sterben konnten. Nun verstand er die lautlose Steinlawine; den Spott in Nordica Feuerhaars jadegrünen Augen; und er wußte, weshalb er in ihrer Nähe das nie ganz greifbare Gefühl, sie zu kennen, gehabt hatte.

Wieder begann der Alte zu wimmern. »Uhhh. Auch Ihr seid Feinde - uhhh - hebt Euch hinweg!«

»Wir sind nicht Eure Feinde«, versicherte ihm Brak.

Aber der Greis wimmerte und kreischte nur noch mehr und stolperte rückwärts, immer näher auf seine Höhle zu.

»Wie konnte er so lange hier überleben?« staunte Elinor.

»Ich nehme an, er ernährt sich von den saftigen Pflanzen, die wir ebenfalls gekostet haben«, vermutete Brak. »Sein Körper lebt zwar noch, aber sein Verstand ...« Er musterte den Alten, auf dessen Gesicht der Schein von oben einen Augenblick direkt fiel. Der Barbar erschrak. Die paar Hautstellen, die nicht von Gesichtshaaren bedeckt waren, wiesen grüngraue Verunstaltungen auf. Seine winzigen Augen starrten ihn immer noch furchtsam an, und sein Wimmern ließ nicht nach.

»Hebt Euch hinfort! Hebt Euch hinfort!« kreischte er wieder.

»Celsus Hyrcanus!« brüllte Brak, um den Greis vielleicht doch noch wachzurütteln. »Wir sind Eure Freunde! Wir bringen Euch hier heraus!«

»Es hat keinen Sinn!« murmelte Elinor. »Sein Geist ist umnachtet. Nur noch die Angst beherrscht ihn.«

Der Barbar mußte ihr recht geben. Die leere Hülle des ehemals so klugen Alchimisten stolperte Schritt um Schritt rückwärts. Seine Finger mit den langen Nägeln schlugen wild durch die Luft, und unentwegt heulte er sein schreckliches Uhhh! Uhhh! Hinaus. Offenbar war ihm als einziges der Instinkt geblieben, seinen Unterschlupf zu verteidigen.

Mit einem Mal wurde Brak bewußt, wie laut Celsus heulte. Sein Magen verkrampfte sich.

Ein Rumpeln von tief unten drang in sein Ohr, danach ein grollendes Brüllen. Es war keine Zeit für Skrupel. Brak sprang auf den Wahnsinnigen zu und preßte ihm die Hand vor den Mund.

»Seid still!« knurrte er und versuchte, den Greis ganz in die Höhle zu schieben. Aber obwohl er ohnehin dort hinein wollte, wehrte er sich nun mit Händen und Füßen. Er stieß und kratzte und bewies eine unwahrscheinliche Kraft.

»Seid still, sagte ich! Ihr weckt das Ungeheuer. Es wird uns alle ...«

Der Boden unter ihnen erbebte. Das wütende Peitschen des Schwanzes erschütterte erneut die ganze Höhle.

Celsus erstarrte plötzlich. Speichel troff aus seinem Mund. »Teufelswurm!« winselte er.

Das Gebrüll erstarb nun nicht mehr. Verzweifelt gab Brak dem Alchimisten einen solchen Stoß, daß er in die Höhle taumelte. Aber sein Kreischen wurde nun noch lauter, und nur vom Brüllen des Ungeheuers übertönt.

Brak spreizte die Beine und hielt das Breitschwert bereit.

»Drück dich an die Wand, versuch dich zu verbergen!« rief er Elinor zu.

Die roten Augen in dem riesigen Schädel kamen schnell näher. Der Schwanz peitschte wild gegen die Wände.

Diesmal war der Kampf unvermeidlich.



8.


Breitbeinig erwartete Brak das Ungeheuer.

Der pestilenzialische Hauch ging der Bestie voraus. An Erde, an seit Jahrtausenden verrottende Erde erinnerte er den Barbar. Es war ein scheußlicher, Übelkeit verursachender Gestank.

Verglichen mit dem gewaltigen Monstrum aus der Höhlen­tiefe, wirkte Brak trotz seiner Größe winzig und zerbrechlich. Aber er hatte seine Angst überwunden. Wachsam blickte er hinunter auf das krallenbewaffnete Untier, dessen Schädel immer höher kam.

Er warf seinen Kopf zurück und stieß ein lautes Lachen aus. Sein Leben war ohnehin keinen Pfifferling mehr wert, seit Tamar Zed ihn in den Gang gestoßen hatte. Warum sollte er sich da noch Gedanken darüber machen?

Aber er würde kämpfend sterben!

Hinter ihm drückte Elinor sich gegen die Wand.

Mit unverminderter Heftigkeit drang Celsus’ irres Kreischen aus der Höhle. Der Teufelswurm war nun schon fast in gleicher Höhe mit Brak.

Das mächtige Schlangenwesen vermochte sein Opfer nicht sofort zu entdecken. Der Schwanz schlug durch die Luft und sandte Felsbrocken und Geröll polternd in die Tiefe.

Als die riesigen roten Augen über dem Sims waren, stieß der Teufelswurm ein neuerliches Brüllen aus. Aus dem gewaltigen Rachen rollte sich zwischen den mannshohen Zähnen eine dreifach gespaltene Zunge aus.

Sie schoß heraus, als suche sie nach einem Leckerbissen. Brak hob das Breitschwert über den Kopf. Erregung erfaßte ihn. Die Zunge suchte blindlings. Die Bestie wußte demnach nicht, daß er sich ganz nahe auf dem Sims befand.

Näher züngelte das dreigespaltene Ding.

Noch näher.

In dem kurzen Augenblick, während der Teufelswurm sein Gebrüll beendete, und ehe die nun voll ausgestreckte Zunge sich zurückzuziehen begann, schmetterte Brak das Schwert herab. Seine ganze Kraft steckte in diesem Schlag.

Das Ungeheuer spürte die Luftbewegung. Seine Augen funkelten in einem noch brennenderem Rot. Der lange Hals wandte sich. Der Schädel schwang herum, zuckte sofort vor Schmerz zurück, als das scharfe Metall in die Zunge biß.

Braks Klinge durchtrennte zwei der drei Zungenspitzen. Schwarze, stinkende Lebensflüssigkeit spritzte über Brak.

In diesem Augenblick sah der Teufelswurm ihn und erkannte, daß es dieses winzige Menschlein war, das ihm solchen Schmerz zufügte.

Das Ungeheuer warf sich an die gegenüberliegende Felswand zurück und stieß ein grauenerregendes Brüllen aus, daß Brak glaubte, seine Ohren müßten zerspringen. Die Tropfen des Lebens­safts brannten auf seiner Haut. Er sprang vom Simsrand zurück, als der Teufelswurm den Kopf auf ihn zuschnellte.

Mehr des giftigen Blutes spritzte auf ihn, fraß sich in sein Fleisch. Immer noch sprudelte es heftig aus den abgehackten Zungenspitzen. Die Bestie peitschte den Schwanz von Seite zu Seite, immer wilder - ein Zeichen ihres wachsenden Zorns.

An die Wand gelehnt, beobachtete Brak, wie die Zunge über das Sims fegte. Er hob sein Schwert zu einem neuen Schlag, aber seine nackte Sohle glitt in einer Lache des schwarzen Lebenssafts aus. Laut schrie er auf.

Durch die Düsternis sah Elinor den Barbaren auf den Rücken fallen.

Die Zunge des Teufelswurms schabte über Braks Bauch und rollte sich um seine Mitte. Ein Schwall fauligen Gestanks aus des Untiers Schlund erstickte Brak schier. Hilflos schlug er mit dem Schwert um sich, aber die Zunge zerrte ihn vom Sims.

Sie trug den Barbaren durch die Luft, geradewegs auf den Rachen der Bestie zu. Der Druck der Zunge drohte ihn zu zerquetschen. Im nächsten Augenblick mußte entweder sein Rückgrat brechen oder der gewaltige Rachen ihn zermalmen.

Brak hing nun, von der Zunge gehalten, über der Grube. Sein ganzer Körper brannte von des Untiers Blut, das immer noch aus der verstümmelten Zunge drang. Die spitzen Speerzähne waren schon ganz nah.

Brak wand sich. Sein Oberkörper schmerzte furchtbar, aber es gelang ihm, das Breitschwert mit beiden Händen hochzu­zie­hen. Er zielte damit auf eine rosige Wulst über den oberen Stoßzähnen.

Brak bereitete sich mit gespannten Muskeln auf den Stoß vor. Genau in dem Moment, als die Zunge ihn zwischen die beiden weißen Zähne zog, drang sein Schwert in die knorpelige Wulst ein.

Die Zunge zog sich zusammen, schnitt ihm fast die Luft ab. Er stieß wild um sich. Seine nackten Sohlen rutschten auf der nassen Oberfläche von zwei unteren Riesenzähnen.

Braks Augen begannen von dem entsetzlichen Gestank zu brennen. Er nahm alle Kraft zu Hilfe, die noch in ihm steckte. Seine Schläfen drohten zu bersten. Er spannte den ganzen Körper und fand festen Halt auf den unteren Zähnen, wähend sein Breitschwert tief in der oberen Wulst steckte. So bildete er einen Keil, der das Schließen des Rachens verhinderte.

Das Ungeheuer spürte den Widerstand. Erneut zogen sich die Muskeln seiner Zunge heftig zusammen.

Braks eingequetschter Leib war ein einziger Klumpen von Schmerz. Die Zunge kontrahierte und lockerte sich rhythmisch. Jedes neue Zusammenziehen vergrößerte Braks Pein.

Lange durfte er in dieser Stellung nicht mehr verharren, sonst würde sein Rückgrat brechen.

Als die Zunge sich wieder kurz entspannte, zerrte Brak das Schwert aus der Knorpelwulst. Er stieß es nach unten, direkt in die Mitte der Zunge.

Der Riesenwurm bäumte sich auf vor Schmerz. Die Zunge lockerte sich um Braks Mitte. In dem entsetzlichen Lebenssaft gebadet, entzog Brak sich ihrer Umklammerung, indem er nach obenaus herausschlüpfte.

Der Barbar sprang von den unteren Zähnen aus, so hoch er konnte. Seine Finger bekamen ein stumpfes Horn zu fassen, das aus der Schnauze herausragte. Er zog sich daran hoch und kletterte hastig in der Mitte der Schnauze hoch.

Der Teufelswurm warf den Schädel zurück. Brak wurde in eine Mulde zwischen den scharlachroten Augen geschleudert. Die riesigen Schuppen des Untiers boten ihm guten Halt. Er klammerte sich mit beiden Händen an einer fest, während die Bestie, sich vor Schmerzen windend, den Schädel hin und her warf.

Links und rechts von ihm brannten die Augen glühendrot, jedes doppelt so groß wie Brak. Der Teufelswurm spürte den Feind auf seiner Schnauze. Mit allen Mitteln versuchte er ihn abzuschütteln, vor Qual und Wut brüllend.

Brak atmete keuchend. Es gab keine Stelle an seinem Körper, die nicht schmerzte. Aber er durfte jetzt nicht aufgeben. Berserkerwut erfüllte ihn.

Der peitschende Schwanz und der um sich schlagende Kopf der Bestie lösten einen weiteren Steinregen aus. Gewaltige Felsbrocken polterten in die Tiefe. Die ganze Höhle bebte. Das Licht war nun noch düsterer geworden. Plötzlich sah Brak eine Chance. Falls es ihm gelang, zu einem der titanischen Augen hochzuklettern und sein Schwert hineinzurammen, traf er vielleicht direkt ins Gehirn.

Der Barbar zog sich an den Schuppen hoch, näher an das rechte Auge heran.

Trotz der dicken Haut schien der Teufelswurm die Bewegung zu spüren.

Eine der krallenbewaffneten Vorderpranken hob sich aus der Tiefe. Die andere hatte sich an den Simsrand geklammert.

Brak drückte sich fest gegen die Schuppenhaut, als zwölf Sichelkrallen näherkamen, um den Quälgeist zu schnappen.

Die scharfen Krallen verfehlten ihn, glitten, eine tiefe Spur hinterlassend, an des Teufelswurms Schnauze hinab.

Noch einmal hackte das Monstrum nach seiner eigenen Haut. Blind schlug es zu, in der Hoffnung, den Feind, den es nur spüren, jedoch nicht sehen konnte, zu fassen. Eine der Krallen streifte Braks rechte Hüfte und schlitzte sie auf.

Ein drittes Mal stießen die Krallen herab, verfehlten den Barbaren nur um Haaresbreite. Brak erkannte, daß seine Chance, dem Tier den Todesstoß ins Auge zu versetzen, immer geringer wurde, je länger er zögerte.

Der Teufelswurm zog seine Pranke zurück, um zu einem neuen Schlag auszuholen. Doch ehe die Krallen erneut nach ihm suchten, sprang Brak zum rechten Auge hoch.

Eine Zehe verfing sich in einem Spalt zwischen den Schuppen. Er schlug seitlich auf.

Einer der schweren Felsbrocken prallte wie ein Geschoß aus einer Wurfmaschine direkt auf die Pranke des Teufelswurms. Das Ungeheuer brüllte. Die Pranke öffnete sich und hackte nach der leeren Luft. Der Felsbrocken, den das Untier für Brak gehalten hatte, polterte in die Tiefe.

Brak nutzte die Chance. Er spreizte die Beine und stemmte sie in die Spalten zwischen den Schuppen, so daß er nun beide Hände frei hatte. Er legte sie um das Breitschwert, stieß es bis zum Heft in das Auge und drehte es.

Das glühendrote Auge verschleierte sich schwarz unter der Netzhaut. Der tödliche Stoß ließ den Teufelswurm sich vor Schmerz krümmen. Immer höher ruckte der Schädel. Das Untier wand sich in unerträglichen Qualen. Brak klammerte sich fest an die Schuppen zwischen den Augen. Nun begann auch das linke sich zu verschleiern.

Der Teufelswurm brüllte heftiger denn je zuvor. Die Höhle schien auf allen Seiten zu zerbröckeln.

Der Lebenssaft, der um den Schwertgriff herausströmte, überflutete Brak. Er begann abzugleiten, gerade als das sterbende Ungeheuer den Kopf nach unten stieß.

Brak wurde durch die Dunkelheit geschleudert.

Er hatte den Kampf gewonnen und würde doch nichts mehr davon haben. Irgendwo würde er in der Tiefe aufschlagen und obendrein noch von dem zusammensinkenden Giganten erdrückt werden.

Plötzlich stießen seine Beine gegen etwas Festes. Er warf die Arme danach und klammerte sich daran. Es war der Schwanz des Ungeheuers, der in den letzten Todeszuckungen hin und her peitschte. Wenn er gegen die Höhlenwand schlug, mußte Brak zu Brei zerschlagen werden. Einen Herzschlag, ehe der Schwanz aufprallte, ließ der Barbar ihn los.

Die Wucht des Schlages schleuderte ihn durch die Luft. Heftig wurde er gegen einen Felsbrocken geworfen. Reiner Instinkt ließ Brak sich mit beiden Händen daran festklammern, während seine Füße nach unten sackten.

Er glaubte, auseinandergerissen zu werden.

Mit unvorstellbarer Kraftanstrengung gelang es ihm, seine Knie zu dem vorstehenden Felsbrocken hochzuziehen. Er stützte sich darauf und krallte die Finger in die Unebenheiten der Wand.

Links und rechts polterten Steine aller Größen in die Tiefe, landeten auf dem Teufelswurm, der noch ein letztes Gebrüll ausstieß, ehe er sein Leben aushauchte.

Allmählich wurde es ruhig in der Höhle. Keine Steine lösten sich mehr. Brak preßte die Wange gegen den kalten Fels und schloß die Augen. Tränen der Erschöpfung und des Triumphes wuschen den brennenden Lebenssaft des toten Ungeheuers von seinem Gesicht.


*


Als er sich wieder gefaßt hatte, begann er, den schrecklichen Schmerz in seinem ganzen Körper unterdrückend, in unge­fäh­rer Richtung zu dem Sims hochzuklettern, auf dem er Elinor zurückgelassen hatte.

Er fühlte sich allein und hilflos in der Dunkelheit.

Sein Breitschwert war fort. Vielleicht hatte er selbst tödliche Wunden davongetragen? Obwohl er zuvor Einzelheiten in der Höhle einigermaßen zu erkennen vermocht hatte, sah er nun kaum noch Schatten. Er kletterte nur nach seinem Tastsinn und Instinkt.

»Elinor?« rief er. Und ein zweites Mal, als sich nichts rührte.

Er hatte schon fast alle Hoffnung aufgegeben, ihre Stimme je wieder zu hören. Er sah sie bereits von Celsus Hyrcanus in seinem Wahn getötet, als er sie rufen hörte.

»Brak?«

Neue Kraft durchströmte ihn. Er kletterte schneller.

»Hör nicht zu rufen auf, Mädchen. Ruf, so laut du kannst, damit ich zu dir finden kann.«

Irgendwo über ihm hörte er den Freudenschrei der Schafhir­tin. Wie befohlen, rief Elinor seinen Namen wieder und immer wieder, bis er sich mit letzter Kraft auf das Sims zog.

Das Mädchen wich vor ihm zurück. Er war über und über mit Schweiß und dem stinkenden Blut des Teufelswurms bedeckt.

»Er ist tot!« keuchte er. »Nun können wir ungehindert ...«

Tanzende Lichter schwirrten in seinem Schädel. Ein Meer von Schmerzen überflutete ihn. Gnädige Dunkelheit umfing ihn.

Als er wieder erwachte, wurde ihm bewußt, daß seine Haut sich anders anfühlte. Ein dumpfes Gebrabbel drang zu ihm.

Ächzend drehte er sich auf die Seite. Er schüttelte seinen Kopf, um ihn klar zu bekommen. Bleich und abgehärmt kniete Elinor neben ihm. Mit ihrer Hilfe gelang es ihm schließlich, sich aufzusetzen.

Die Anstrengung schmerzte, aber seine Knochen schienen alle heil zu sein. Er wußte nun auch, woher das Gebrabbel kam.

»Hält der Alchimist sich immer noch in seiner Höhle versteckt?«

»Ja, Brak. Ich rief ihn mehrmals um Hilfe. Er antwortete jedoch nicht.«

»Wie lange habe ich geschlafen?«

»Viele Stunden, glaube ich.« Sie deutete auf einen Haufen moosähnlicher Pflanzen neben sich. »Ich habe dir damit das scheußliche Zeug abgerieben. Was war es eigentlich? Du warst von Kopf bis Fuß damit bedeckt.«

»Das Blut des Teufelswurms. Es fließt nicht mehr!«

Er nahm ihre Hand und erhob sich. Er starrte hinauf zur Höhlendecke, durch die jedoch kaum noch Helligkeit drang.

»Wir müssen zusehen, daß wir herauskommen«, brummte er. »Warte hier, ich sehe mich erst um.«

»Nein!« wehrte sie ab. »Nicht mit dem Wahnsinnigen in der Höhle.« Ihre Augen wurden weit vor Schreck. Brak hielt es für besser, nachzugeben. Sie hatte schon genug durchgemacht.

»Gut, dann klettern wir beide zum nächsten Sims.«

Gehorsam wartete sie dort auf ihn, während er sich langsam hocharbeitete. Noch weit unterhalb der Decke erkannte er den Grund für die Dunkelheit in der Höhle. Ein Felsbrocken hatte sich vor die Öffnung geschoben. Mit schmerzenden Gliedern klomm er den ganzen Weg hinauf. Aber so sehr er sich auch anstrengte, er vermochte den riesigen Stein, der durch die Erschütterungen vom Höhlengang über das Loch gerollt war, nicht um eine Handbreit zu bewegen.

Mit hilfloser Wut hämmerte er dagegen und verfluchte alle finsteren Götter. Dann kletterte er langsam zu Elinor zurück und er stattete ihr behutsam Bericht.

Sie begann zu schluchzen. »Das bedeutet, daß wir nie wieder hier herauskommen«, wimmerte sie. »Ich habe solche Angst, Brak.«

»Wovor?« fragte er streng. »Der Teufelswurm ist nicht mehr!«

Sie zitterte am ganzen Körper.

»Vor - vor allem. Vor dem Irrsinnigen in der Höhle. Vor der Hexe. Vor dem Magier. Es ist fast, als hätten sich die dunklen Götter gegen uns verschworen.«

»Unsinn«, wies Brak sie zurecht. Aber es war ihm nicht wohl dabei, und er blickte sie nicht an. Unwillkürlich schob sich das Bild der steinernen Statue Yob-Haggoths mit den boshaft verzerrten Lippen vor seinen Augen.

Warum mußte er ausgerechnet jetzt daran denken?

Elinor zupfte ihn am Arm. Tränen flossen über ihr schmutzverzerrtes Gesicht. »Ich - ich habe zu unseren Göttern gebetet, Brak, aber es half nichts.«

»Vielleicht hat es geholfen, den Teufelswurm zu besiegen«, erwiderte er.

»Und doch sind wir nicht besser dran als zuvor.«

»Wir leben und haben das Schlimmste überstanden.« Aber Brak wußte, daß er log. Finstere Mächte waren am Werk. Nicht nur hier in der Höhle, sondern vor allem in Nordicas Welten. Viele Rätsel waren ungelöst, und viele Masken mußten erst noch gelüftet werden. Doch er war nicht sicher, ob er das überhaupt wollte.

»O Brak«, schluchzte sie. »Was können wir jetzt noch tun?«

»Ich könnte besser nachdenken, wenn du dein Heulen einstel­len würdest«, sagte er grob. Es half. Sie schluckte noch ein paarmal, dann verhielt sie sich still.

»Wir könnten durch den Gang zurückkehren, in dem Tamar Zed uns aussetzte. Vielleicht finden wir irgendwie Hilfe in der Burg. Sicher, unsere Chancen sind gering, wenn wir erst wie­der in Nordicas Händen sind. Aber hier haben wir überhaupt keine.«

»Dann laßt es uns versuchen«, sagte Elinor fest.

»Hast du keine Angst mehr?«

»Doch. Aber ein schneller Tod in der Burg ist besser, als hier zu verrotten.«

Noch einmal versuchten sie, Celsus Hyrcanus zum Mitkom­men zu überreden. Aber er wimmerte nur und wiederholte immer wieder sein »Hebt Euch hinweg!« Offenbar hatte er keinen anderen Wunsch, als in Ruhe hierzubleiben.

Mühsam arbeiteten sie sich zurück in den Gang. Auch sein Eingang war zum Teil von Felsbrocken bedeckt, aber die Öffnung war noch groß genug zum Hindurchschlüpfen. Überall lagen Steine und Geröll auf dem Boden, und Risse zogen sich durch die Mauern.

Ein Gutes hatten die durch den Teufelswurm verursachten Erschütterungen jedoch gehabt: der Riesenstein, den die Solda­ten vor den Kammereingang gerollt hatten, war gespalten und bot einen genügend großen Durchlaß. Der Weg in Nordicas Burg stand offen.

Doch nun zögerte Brak. Was würde vor ihnen liegen? Er war völlig erschöpft. Er hatte kein Schwert mehr. Die Aura des Bösen, welche die ganze Burg erfüllte, drückte ihn nieder.

Trotzdem lag ihre einzige Chance noch in den Mauern der Burg. Elinor vor sich herschiebend, zwängte er sich durch den Spalt zwischen den beiden Steinhälften.



9.


Braks Augen überflogen die unterirdische Kammer. Sie war völlig leer. Lediglich eine Öllampe, die bereits am Ausbrennen war, stand in einer Ecke.

Der Barbar deutete auf eine der zwei Türen.

»Diese müßte hinauf zur Burg führen«, vermutete er. »Durch die andere brachten sie uns herein.«

»Ich hatte viel zu große Angst, um darauf zu achten«, gestand das Mädchen.

»Wir müssen versuchen, die zwei anderen Gefangenen zu befreien. Sie haben beide starke Arme - wenn ich auch zugeben muß, daß ich von diesem Runga nicht viel halte -, und die brauchen wir, wenn wir mit einem Ausbruch Erfolg haben wollen.«

Brak schritt auf die zweite Tür zu. Elinor folgte ihm dicht auf den Fersen. Ihre Augen starrten ängstlich an Brak vorbei. Der Gang dahinter führte schräg aufwärts. Ein Labyrinth von Seitengängen mündeten in ihn.

Als sie um eine Biegung kamen, empfing sie eine gelbe Helligkeit. Brak blickte sich um. Ein Stück vor ihnen kreuzte ein weiterer Gang den ihren, der nur wenige Schritte dahinter an einem Torbogen endete. Jenseits davon schien sich ein großer Raum zu befinden, der von mehreren Lampen beleuchtet wurde.

»Bleib hier stehen«, bat er Elinor. »Ich sehe nach, was sich in jenem Raum befindet.«

»Ich komme mit«, erklärte das Mädchen.

»Nein!« Die Barschheit in seiner Stimme überraschte ihn selbst. Wie eine immer dichter werdende Wolke hüllte ihn das aus dem Gemach dringende Böse ein. Kalter Schweiß trat ihm aus allen Poren. Er drückte Elinor gegen die Wand und schlich sprungbereit auf leisen Sohlen zum Torbogen. Kein Laut drang aus dem Raum, aber ein bekannter süßlicher Geruch stieg Brak in die Nase.

Als er geduckt den Fuß in den Raum setzte, zuckte er wie von einem unerwarteten Hieb zurück. In der Spanne eines Herzschlags hatte er das ganze Bild aufgenommen. Die Wände waren alt und grau. Die Steine des Altars in der Mitte des Gemachs dagegen schienen neu. Dunkle Flecken, von den Dutzenden von Lampen in den Nischen beleuchtet, hoben sich davon ab. Etwas war auf dem Altar vergossen worden und an seinen Seiten heruntergeflossen.

Blut! Menschenblut!

Hinter dem Altar, ebenfalls aus neuerem Stein gehauen, ragte eine Statue bis zur Decke empor.

Ihre steinernen Augen schienen sich in ihn zu bohren. Der grausame Mund verriet unsagbare Bosheit. Die Fäuste ruhten auf den Schenkeln der überkreuzten Beine. Es war Yob-Haggoth, der finstere Gott.

Wie von Furien gejagt, hetzte Brak den Gang zurück. In einer der düsteren Nischen, kaum sichtbar, befand sich ein kleineres Ebenbild der großen Statue. Und hatte er nicht auf dem Weg hinab als Gefangener ähnliche in anderen Nischen gesehen, ohne daß sein Gehirn sie jedoch bewußt wahrgenommen hatten? Und weitere hatten in der Wand um den Altar herum gestanden.

Gab es noch mehr dieser Götzenbilder in der Burg? Hingen sie mit der Besessenheit Nordicas zusammen?

Angst schnürte ihm die Kehle zu. Wie durch einen Schleier hindurch sah er Elinor vor sich. Wie konnte er es ihr beibringen, daß das absolute Böse hier herrschte? Daß sie sich in der Brutstätte Yob-Haggoths selbst befanden?

Nein, sie durfte es nicht erfahren!

»Was befindet sich in jenem Raum, Brak?«

»Nichts Besonderes. Es ist nur eine Abstellkammer. Komm, laß uns weitereilen.«

Mechanisch setzte er Fuß vor Fuß. Wenn er bisher noch daran gezweifelt hatte, jetzt wußte er, daß Nordica nur eine von Aria­ne übernommene Hülle war. Ariane, die Gold brauchte, um Yob-Haggoths Macht zu vergrößern, damit seine Anhänger­schar wuchs, bis sie über die ganze Welt verbreitet war.

Einmal kamen sie ganz nahe an einem Posten vorbei, aber sie lockten ihm mit ein paar losen Steinchen, die Brak warf, in einen Seitengang. Während er noch nach der Ursache des Geräusches suchte, hasteten die beiden weiter den Hauptgang aufwärts.

Plötzlich zog Brak Elinor am Arm.

»Ruhig, Mädchen«, zischte er. Er blieb stehen und lauschte. Aus der Ferne drangen Schreie und Waffengeklirr durch ein Fenster in ihrer Nähe.

Er stürzte darauf zu und lehnte sich hinaus. Nebel setzte sich in dicken Tropfen auf seinem Gesicht ab. Es war noch dunkel, aber die Morgendämmerung schien nah. Der Barbar hatte das Gefühl, sich hoch über dem Schauplatz einer Schlacht zu befinden. Das Waffenklirren und die Schreie waren hier etwas lauter, doch außer dem verschwommenen gelblichen Glühen von Fackeln vermochte Brak nichts zu sehen. Allerdings hörte er nun auch schwach das Wiehern von Pferden und Knarren von hölzernen Wagen.

Er drehte sich um und wirbelte zu Elinor herum. »Mädchen!« jubelte er. »Das kann nur Prinz Pemma mit seinen Soldaten sein. Hörst du das Poltern? Das sind Belagerungsmaschinen. Sie haben vor, die Mauern zu stürmen. Wir müssen uns beeilen und die anderen Gefangenen befreien. Es dürfte leicht sein, denn sicher sind Nordicas Soldaten alle an den Mauern. Wir können uns keine bessere Zeit ausgesucht haben!«

Um die nächste Biegung war der Gang beleuchtet. »Die Verliese müssen ganz in der Nähe sein«, rief Brak und rannte noch schneller. In seiner Eile übersah er den Schatten des sich nähernden Soldaten, der wie Brak, doch von der entgegen­ge­setz­ten Richtung, auf die Gangbiegung zulief.

Die beiden Männer prallten aufeinander. Elinor schrie laut auf.

Der Soldat ließ sein Signalhorn fallen und griff nach seinem Breitschwert. Gleichzeitig sperrte er den Mund auf, um Alarm zu schlagen.

Aber der Barbar war schneller. Er drückte ihm die Kehle zu, doch der Soldat vermochte noch das Breitschwert hochzu­reißen. Es zischte knapp an Braks linker Hüfte vorbei. Brak drückte fester zu. Der andere sank langsam in sich zusammen.

Brak nahm das Schwert an sich. Nun glänzten seine Augen wieder. Die Waffe verlieh ihm neue Kraft. Er lief weiter und winkte Elinor zu, die mit weitaufgerissenen Augen auf den Toten starrte, ihm zu folgen.

Sie kamen auf dem Korridor vor den Verliesreihen heraus. Er war verlassen. In der Ferne verloren sich rennende Schritte. Das dumpfe Dröhnen der Belagerungsmaschinen war hier noch stärker zu hören.

»Diese Zelle hier war es!« murmelte Elinor. Brak blickte sich um. An der Ecke, wo die Wachen Posten gestanden hatten, hing ein Ring mit Bronzeschlüsseln an einem Haken. Er nahm ihn an sich und versuchte ein paar der Schlüssel an der Tür, ehe einer paßte.

Er stürzte in das Verlies und rief: »Wir haben eine Chance zu fliehen. Prinz Pemma greift die Burg an. Wir müssen uns - heh, was ist mit dem Seemann los?«

Darios lag mit fieberglühenden Wangen auf dem Stroh. Brak beugte sich über ihn und fühlte seine Stirn. Sie brannte. Der Maat blickte ihn mit verschleierten Augen an. Endlich schien er ihn zu erkennen. Er versuchte sich aufzurichten.

»Der Schmied ...«, stammelte er.

»Sie holten ihn in der Nacht ...«

Runga stieß dem Kranken den Fuß in die Seite. »Du phantasierst, Einbein«, knurrte er. Hastig wandte er sich zu Brak um. »Verzeih, ich wollte ihn nicht so stoßen. Nun lassen mich meine Nerven auch schon im Stich. Aber die ganze Nacht hat der Bedauernswerte gejammert und gestöhnt und in seinen Fieberträumen aufgeschrien. Ich vermochte kein Auge zu schließen. Wir werden ihn hierlassen müssen.«

Kraftlos hob Darios die Hand. »Traut - ihm - nicht«, keuchte er. »Sie hat ihn ...« Das Fieber schüttelte ihn. Er rollte zur Seite.

Brak probierte die Schlüssel an Darios Armband aus. Als er den richtigen gefunden hatte, drehte er sich zum Schmied um. »Wir werden ihn nicht hierlassen. Er soll befreit werden wie du auch.« Er warf sich den Kranken über die Schulter.

Runga griff hastig nach dem Schlüsselring und sperrte selbst ein Eisenband auf, dann eilte er aus der Zelle, aber er stierte Brak und seine Last an. Seine Augen hatten einen merkwür­di­gen Glanz. Der Barbar fragte sich, ob vielleicht auch der Schmied von Fieber befallen war.

Darios brabbelte ununterbrochen vor sich hin, aber Brak verstand kein Wort. Er folgte Runga, die freie Rechte am Griff des Breitschwerts. Sie kamen an einer dicken Eichentür vorbei, die einen Spalt offenstand. Sie führte zu einer Brustwehr, an der Armbrustschützen und Speerwerfer ihre Geschosse zu den Angreifern hinuntersandten. Eilig schlugen sie einen anderen Gang ein, der von vereinzelten Fackeln erhellt wurde. Brak rief Elinor zu: »Nimm eine davon, Mädchen. Wir brauchen sie vielleicht noch.«

Brak hatte keine Ahnung, in welchen Teil der Burg sie nun flohen. Sie konnten nur hoffen, nicht auf eine Gruppe von Nordicas Leuten zu stoßen, ehe sie einen Weg nach draußen gefunden hatten.

Darios Stimme wurde flüchtig etwas klarer. »Traut Runga nicht, sie holte ihn ...«

Ein gespenstisches Echo warf des Seemanns piepsige Stimme zurück: Holte ihn - holte ihn - holte ihn ... Das Echo kam von allen Seiten. Feuchtkalte Luft hüllte sie ein. Erst jetzt bemerkte Brak, daß sie den Korridor hinter sich gelassen hatten.

Sie befanden sich in einem riesigen Gewölbe. Brak wollte gerade umkehren, als er hoch über ihnen ein Rauschen und Flügelschlagen vernahm.

Er bat Elinor, nach oben zu leuchten. Winzige funkelnde Augen starrten tückisch auf sie herab. Das Flattern und Flügelschlagen wurde immer heftiger.

»Wir haben ganze Schwärme von Fledermäusen geweckt«, schrie Brak. »Schnell, zurück!«

Runga floh. Starke Flügel schlugen gegen Braks Gesicht. Als sich eines der Nachtgeschöpfe in seinen Arm verbiß, ließ er Darios vorsichtig zu Boden sinken. Die Flügelspanne der ihn angreifenden Fledermaus war gut so lang wie seine ausge­streck­ten Arme. Plötzlich warf er schmerzerfüllt den Kopf zurück. Ein unerträgliches Brennen, ein Schmerz, schlimmer als jeglicher, den er je erlitten hatte, raste durch seinen Körper.

Er versuchte, das Tier abzuschütteln. Mit qualvoll verzerrtem Gesicht bemerkte er, daß die Kreatur anstelle von Kiefern durchsichtige Hautbeutel besaß. Sie füllten sich langsam, aber stetig mit dunkler Flüssigkeit.

Mit seinem Blut!

Überall um ihn herum flatterten Fledermäuse. Eine versuchte sich an Elinors Wange festzusaugen. Sie packte das Geschöpf am Hals und riß die Saugsäcke los.

Wild um sich schlagen und daran zerrend, versuchte Brak auch seinen Blutsauger loszuwerden. Aber der hing wie festgewachsen, die beiden Beutel bereits zu einem Viertel mit seinem kostbaren Lebenssaft gefüllt. Das Breitschwert entglitt den kraftlosen Fingern.

Dutzende der gräßlichen Wesen wirbelten und flatterten um die sich nun zusammenkauernden Menschen und suchten den günstigsten Angriffspunkt.

Eines ließ sich auf Darios Stirn nieder. Brak riß Elinor die Fackel aus der Hand und richtete die flackernde Flamme auf den winzigen Kopf der bereits aufgeblähten Fledermaus. Sie stieß einen schrillen Schrei aus, als die Feuerzungen ihren Schädel verzehrten. Ihre Saugnäpfe lösten sich, und sie fiel zu Boden.

Brak trampelte von Abscheu erfüllt auf dem Vampir herum. Blut spritzte aus den zertretenen Beuteln. Die Fledermaus auf seinem Arm war davongeflattert, als er die Fackel in die Hand genommen hatte. Sie hinterließ eine Reihe von blutunter­lau­fenen schmerzenden Flecken.

Eine andere Vampirfledermaus wollte sich in Elinors Gesicht verbeißen. Das Mädchen schlug wild dagegen, aber erst Braks Fackel vermochte sie zu vertreiben.

Der Barbar und die Schafhirtin standen nun Rücken an Rücken. Zwar flatterten die grauenhaften Kreaturen immer noch aufgeregt um sie, aber sie hielten sicheren Abstand von der brennenden Fackel.

»Hilf ihm auf«, keuchte Brak und deutete auf Darios.

Elinor mühte sich ab, Darios an den Schultern hochzuziehen. Sein Körper war völlig schlaff. Er verstand, daß das Mädchen ihm helfen wollte. Er half mit und stand schließlich von Elinor gestützt taumelnd auf den Beinen.

Brak schwang die Fackel kreisend um ihre Köpfe. »Heb auch noch mein Schwert auf«, bat er. »Mit dem Feuer haben wir vielleicht eine Chance, hier herauszukommen. Runga kann Darios tra ...« Er blickte sich erstaunt um. »Wo, bei allen Höllengöttern, ist er?«

»Er rannte fort.«

Elinor atmete heftig.

»Gleich als die Blutsauger angriffen.«

Noch ehe Brak einen Fluch ausstoßen konnte, vernahm er die eiligen Schritte vieler Männer und eine bekannte Stimme: »Hierher, Soldaten! Im Gewölbe! Ich versprach Nordica, ihr treu zu dienen. Und tat ich es nicht bereits? Ich habe euch zu den entflohenen Gefangenen geführt. Gebt mir eine Fackel!«

Plötzlich schien die ganze Wand des Gewölbes ein einziges Feuer. Gelähmt vor Wut starrte Brak auf die mit Fackeln hereinströmenden Soldaten.

Und unter ihnen befand sich Runga.

Die Vampirfledermäuse zogen sich verängstigt vor den vielen Flammen zurück.

Groteske Schatten huschten über den Steinboden, als Brak seine Fackel fallen ließ und Elinor das Breitschwert aus der Hand riß.

»Überwältigt sie!« befahl Runga den Soldaten. »Dann begebt euch zu Nordica und erzählt ihr, wer euch geholt hat.«

Rungas Stimme ging im Stampfen der vielen Füße und den Flüchen der Angreifer unter, die sich um den Barbaren scharten. Brak stach nach dem Hals eines Soldaten, aber er verfehlte ihn. Viele Hände umklammerten seinen Schwertarm und das Handgelenk. Dann zerrten sie ihm die Waffe aus der Hand.

Schwert- und Lanzenknäufe schmetterten auf seinen Schädel. Wie ein Berserker hieb Brak mit den bloßen Fäusten um sich.

Aber es waren ihrer zu viele Gegner, und er war der Bewußtlosigkeit nahe. Vier Soldaten schleppten ihn davon, gefolgt von weiteren, die Elinor und Darios mit sich zerrten. Wie durch einen Schleier hindurch sah Brak Runga sie höhnisch lachend beobachten. Keiner der Soldaten bewachte den Schmied oder hielt ihn gar fest.



10.


In der Mitte des von hohen Mauern umgebenen Burghofs hielten die Soldaten an. Zwei hatten Brak grob an den Armen gepackt, während die anderen einen Kreis um ihn bildeten. Der Barbar starrte zu den Bergspitzen hoch, die über der Brustwehr sichtbar waren. Morgenschleier trieben über sie hinweg, brachen sich an den Gipfeln. Heftiger Wind heulte um die Mauern und trieb die Wolken mit beträchtlicher Geschwin­dig­keit über den grauen Himmel.

»Die Winde erheben sich«, brummte Brak vor sich hin, »wie sie es vorausgesagt hat.«

Elinor, die ebenfalls von zwei Soldaten gehalten wurde, verstand seine Worte. Sie warf ihm einen ängstlichen Blick zu. »Ja«, murmelte sie. »Die Zeit der Herbststürme bricht an. Sie brausen mit Allgewalt über das Land, und die Menschen bleiben in ihren Häusern.«

Brak schien sie kaum zu hören. »Sie sagte, die Zeit für das Ritual wäre gekommen, wenn die Winde zu tosen beginnen.« Er blickte sich um.

»Wo ist sie, die Hexe?« keuchte er. »Holt sie doch, Soldaten, daß wir es hinter uns bringen!«

Der Offizier der Wache versetzte Brak einen groben Schlag auf den Mund. Der Barbar taumelte zurück, doch seine beiden Wächter hielten ihn aufrecht. Brak stieß einen Wutschrei aus und versuchte trotz des Griffs der Soldaten den Offizier anzuspringen, aber eine Lanzenspitze drückte gegen seinen nackten Rücken.

Brak biß sich auf die blutende Lippe. Sein ganzer Körper schmerzte, viele der älteren Wunden waren aufgebrochen. Seine Blicke folgten dem Offizier, der auf eine kaum erkennbare Gestalt in den Schatten des hohen verriegelten Tors zuging.

Hoch auf dem Berg löste sich ein Vogel aus einer Wolke. Seine Flügel schlugen heftig, als flüchte er vor etwas Übernatürlichem. Eisige Schauder rannen Braks Rücken hinab. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er den Wind deshalb so deutlich vernehmen konnte, weil das Waffengeklirr und das Rumpeln der Belagerungsmaschinen außerhalb der Burg­mau­ern aufgehört hatten.

Nirgends konnte Brak Nordica sehen, obgleich ihre Truppen sich zum größten Teil auf der Brustwehr zu befinden schienen, von der man die Straße zur Burg überblicken konnte.

Der Offizier hatte jetzt die Gestalt erreicht, die sich nun aus einer gebückten Stellung aufrichtete.

Es war Tamar Zed.

Der Umhang des Magiers wehte im Wind. Er hatte durch ein Guckloch in den dicken Holzbalken des Tores nach draußen gespäht. Was beobachtete er dort? Die Vorbereitungen zu einem neuen Angriff von Pemmas Armee?

Der Offizier deutete auf Brak, Elinor und Darios.

Der Seemann lag vom Fieber geschüttelt auf dem Boden ausgestreckt. Tamar warf einen langen haßerfüllten Blick zu Brak herüber, dann wandte er sich wieder dem Guckloch zu. Die Vorgänge außerhalb der Burg interessierten ihn im Augenblick offenbar mehr.

»Was ist mit Prinz Pemmas Truppen? Haben sie sich zurück­gezogen?« fragte Brak seine Bewacher.

Einer der Soldaten lachte hämisch. »Sie sind gelähmt vor Angst. Doch was geht es dich an. Halt deinen Mund, Barbar.«

Brak funkelte ihn wütend an und wandte den Kopf.

Der Schmied näherte sich den Gefangenen. Was hätte Brak jetzt nicht für ein Schwert gegeben! Er stellte sich vor, welch Vergnügen es wäre, den Verräter um einen Kopf kürzer zu machen.

Kunga stellte sich breitbeinig vor Brak.

»Na, Barbar. Wer hat jetzt etwas zu sagen, eh?«

Es gefiel ihm nicht, daß Brak ihn ignorierte. Aufgebracht holte er mit dem Unterarm aus und schlug ihm ihn gegen das Kinn, das Braks Kopf zurückschnappte.

Der Barbar taumelte zwar, aber er fiel nicht.

»Nicht vorzustellen, daß sie an dir interessiert war!« höhnte Runga. »Ein Tölpel, ein unzivilisierter dummer Hinterwäldler! In mir hat sie einen besseren Bettgefährten gefunden. Ich versprach ihr, mich für ihre Gunst erkenntlich zu zeigen. Ich habe mein Wort gehalten!«

»Du Narr! Du hast dich dieser ...«

»Ja. Sie befahl mich zu sich. Und sie schenkte mir Freuden, wie du sie dir nicht einmal im Traum vorzustellen vermagst. Sie fand heraus, daß der Magier sich deiner und dieser win­selnden Schäferin entledigt hatte. Deshalb war sie wütend auf ihn und suchte Ablenkung. Es waren Wonnen, unbeschreiblich, mehr kann ein Mann sich ...«

Runga hielt plötzlich inne. Dicke Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Seine Augen glühten von innen heraus. Es verriet Brak, daß der Schmied besessen war. Doch nicht von einer Frau.

Sondern von dem finsteren Gott. Von Yob-Hag-goth!

Heiser fuhr Runga fort. »Du vermagst dir nicht vorzustellen, welche Frau sie ist, Barbar. Sie ist nicht, was sie scheint.«

»Ich weiß«, brummte Brak.

Der Schmied fuhr zurück.

»Du weißt es? Wie ist das möglich?«

»Es spielt keine Rolle.« Er blickte Runga fest an. Tief in dessen Augen las er nackte Angst. »Ich hoffe, du brennst in der Hölle dafür, Schmied. Ja, ich glaube, das wirst du. Ich weiß, was du geben mußtest, um zu bekommen, wonach dich ver­lang­te. Auch ich habe Yob-Haggoth kennengelernt.«

Rungas Gesichtsmuskeln begannen konvulsivisch zu zucken. Er machte das Zeichen gegen den bösen Blick. Plötzlich verließ ihn seine Überheblichkeit. Er benetzte seine Lippen.

»Ich mußte euch verraten«, wimmerte er. »Wie sonst dürfte ich sie je wieder berühren? Ihre Wonnen kosten, die eines Mannes Blut zum Sieden bringen. Ich - ich mußte es tun!«

»Ja«, erwiderte Brak finster. »Sie hat auch versucht, sich mich hörig zu machen.«

Runga hob erstaunt die Brauen. »Nordica?«

»Nicht Nordica. Die - andere.«

Da erkannte Runga, daß Brak wahrhaftig alles wußte.

Die Worte der beiden Männer verwirrten Elinor. Doch einen Teil davon hatte sie verstanden.

»Mögen die Götter dich verfluchen, Schmied!« rief sie.

Rungas Lachen war nicht das des Triumphes, sondern eines der Verzweiflung.

»Das haben sie bereits«, murmelte er.

Er wandte ihnen den Rücken zu und versuchte, sich selbstsicher zu geben. Aber es gelang ihm nicht.

Brak blickte hinunter auf den halbbewußten Seemann. »Er hat versucht, uns zu warnen«, murmelte er. »Ich wollte, wir hätten ihn gleich verstanden.«

Er schaute auf die Wachen. Sie umringten ihn zwar noch, starrten jedoch alle auf das Tor, wo Tamar Zed immer noch vor dem Guckloch kauerte. Sie schienen auf etwas zu warten. Die Stille war geradezu unnatürlich.

Brak betrachtete das Tor. Ein gewaltiger Balken diente als Riegel. Er runzelte die Stirn. Ein vager Plan formte sich in seinem Gehirn. Nordica war immer noch nicht zu sehen. Mit welchem Höllenwerk sie sich auch im Moment beschäftigte, er hoffte nur, daß es sie noch eine Weile länger von hier fernhalten würde.

Er lauschte. Immer noch drang kein Laut von draußen herein. Brauchte Pemma so lange, seine Truppen neu zu sammeln?

Brak wischte sich das Blut von den Lippen und holte tief Luft.

»Magier?« rief er laut. »Magier, hört Ihr mich? Ich weiß Euch etwas Witziges zu berichten.«

Tamar Zed wandte ihm den Kopf zu und funkelte ihn haßerfüllt an. Der Offizier rannte bereits von ihm weg auf den Barbaren zu.

Die Soldaten umklammerten drohend ihre Schwerter.

»Seht zu, daß er sich still verhält«, rief Tamar dem Offizier nach. »Wir können hier keine Späße brauchen, die sich störend auf das Geschehen draußen auswirken.«

»Der Spaß ist bereits vorbei«, brüllte Brak zurück. »Ein recht feuriger noch dazu. Wißt Ihr, was das bedeutet?«

Lachend preßte er beide Fäuste gegen die Stirn und streckte die Zeigefinger nach oben aus, um Hörner anzudeuten.

Tamar wurde weiß.

»Nun?« spottete Brak. »Gefällt es Euch, sie zu tragen?«

Der Offizier entriß einem der Wachen die Lanze und wollte damit auf Brak einstoßen.

»Halt!«

Der Offizier ließ die Lanze sinken und blickte Tamar Zed entgegen, der mit wallendem Umhang auf sie zugelaufen kam. Er rannte an Runga vorbei, dessen Verblüffung einem vagen Verstehen wich. Der Schmied machte einen Schritt vorwärts. Doch sofort richtete einer der Soldaten, auf einen Befehl des Offiziers hin, seine Lanze auf Rungas Mitte. Der Schmied blieb wie erstarrt stehen.

Der Magier stürzte auf Brak zu und stieß ihm mit der rechten Hand heftig die immer noch erhobenen Zeigefinger von der Stirn.

Brak ließ seine Arme ohne Protest sinken. Aber er lachte.

»Nehmt Euch in acht, Barbar!« warnte Tamar. »Zwar will Nordica Euch lebend, aber ich habe auch noch ein Wörtchen mitzureden!«

»Ihr?« höhnte Brak. »Ihr habt ja keinen eigenen Willen vor dieser ...«

»Seid vorsichtig, was Ihr vor diesen Männern sagt!« drohte der Magier.

»Sie werden die Wahrheit früh genug erfahren. Werden bald wissen, wer sie wirklich ist.«

Tamar Zed erstarrte. »Ihr - Ihr wißt es?«

»Was dachtet Ihr?«

Neugierig spitzten die Soldaten die Ohren.

»Treibt es nicht zu weit!« keuchte der Magier. »Wie leicht könntet Ihr das bedauernswerte Opfer eines Unfalls werden. Die Lady Nordica würde mir ohne weiteres glauben, wenn ich ihr erzählte, daß Ihr zu fliehen versuchtet, und diese getreuen Soldaten keine andere Wahl hatten, als Euch zu töten. Wie seid Ihr und das Mädchen überhaupt aus der Höhle zurückgekehrt, in die ich Euch ...«

»Wie ich hörte, hätte sie Euch dafür fast umgebracht«, lachte Brak.

Tamar wurde noch weißer. »Trotzdem werdet Ihr sofort den Tod erleiden, wenn Ihr den schmutzigen Späßen kein Ende macht.« Brak hatte inzwischen wieder die Finger zu Hörnern auf die Stirn gelegt.

»Nennt es einen Spaß, wenn Ihr wollt. Aber sie stehen Euch zu. Sie hat sie Euch aufgesetzt.«

»Ihr lügt«, flüsterte Tamar wutbebend. Er riß einen Dolch aus seiner Scheide. »Wenn es stimmte, daß Ihr und sie ... Ich würde Euch ...«

»Was könntet Ihr denn schon tun?« höhnte Brak. »Sie beherrscht Euch. Sie und ihr Vater ...«

Das hatte gesessen. Tamar Ted wich verstört zurück.

»... und jener, dem sie dienen.« Brak blickte an dem Magier vorbei auf die lauschenden Soldaten. Er senkte die Stimme ein wenig. »Muß ich den Namen laut nennen, um Euch zu beweisen, daß er mir bekannt ist?«

Tamar Zeds Gesichtsmuskeln zuckten.

»Jener - von dem Ihr sprecht - seine Diener - sie beherrschen mich nicht - in allem ...«

»Ihr lügt!«

»Sie tun es nicht!« heulte der Magier und stieß mit dem Dolch zu. Aber im letzten Augenblick, als die Klinge bereits Braks Haut an der Kehle ritzte, hielt er an.

Elinor schluchzte leise.

»Ihr habt Angst, Barbar«, keuchte Tamar, als könnten allein die ausgesprochenen Worte es wahrmachen. »Ihr habt Angst und wollt Euch nur an mir rächen. Ihr könnt ja gar nicht bei Nordica gewesen sein. Ihr wart ja die ganze Zeit in der Höhle. Ihr wollt mich nur wütend machen, gebt es zu.«

Alles, einschließlich Braks Leben, hing nun an einem seidenen Faden. Die Dolchspitze drückte noch gegen seine Kehle. Mit unvorstellbarer Geschwindigkeit warf Brak den Kopf nach hinten und schlug mit dem Unterarm gegen den Dolch, ehe er einen Schritt zurücksprang. Es ging alles so schnell, daß die Soldaten nicht zum Eingreifen kamen. Brak packte Tamar am Handgelenk und drehte es so, daß der Dolch direkt auf Runga deutete.

»Ihr Narr!« brüllte er. »Ihr blinder Narr! Dort ist jener, dem Ihr die Hörner verdankt. Fragt ihn, welche Wonnen Nordica ihm bot. Fragt ihn, wer ihn zu sich befahl, als die Hexe Euch nicht sehen wollte.«

Tamar Zeds Lippen zitterten. »Das würde sie nie ...«

»Fragt ihn doch!«

Der Schmied versuchte, mit einem höhnischen Grinsen den bohrenden Augen des Magiers standzuhalten. Aber es gelang ihm nicht lange.

Tamar wandte sich wieder Brak zu. »Nun weiß ich, wem die Strafe gebührt«, knurrte er.

Er wirbelte zu Runga herum, der zu fliehen versuchte. Aber zu spät. Tamar Zeds Dolch zuckte hoch und stieß herab. Der Schmied brüllte angsterfüllt und warf die Arme empor, um ihn abzuwehren. In diesem Augenblick kam er zu Fall. Das rettete ihm jedoch das Leben, denn der Dolch traf nur seinen Arm.

Wütend riß Tamar Zed die Klinge zurück, um noch einmal zuzustechen. Die Augen der Wachen hingen alle an ihm und dem Schmied.

Das nutzte Brak. Er sprang und entriß einem der Soldaten das Schwert.

»Auf den Boden, Mädchen!« brüllte er und versetzte ihr einen Stoß, daß sie langgestreckt neben Darios fiel.

Brak lachte und schlug sich mit dem Schwert einen Weg durch die verwirrten Soldaten. Eine Lanze stach nach seiner Kehle, aber Braks Klinge hieb sie entzwei und tötete den Angreifer. Der Mann taumelte zurück und brachte zwei weitere Soldaten zu Fall.

Nun war eine Bresche im Ring offen. Der Barbar wirbelte ein letztes Mal herum und schwang das Breitschwert.

Die Soldaten sprangen zurück, um außer Reichweite dieser Sense des Todes zu gelangen. Zwei waren zu langsam. Noch während sie fielen, raste Brak auf das Tor zu.

Die Soldaten auf der Brustwehr legten ihre Armbrüste auf ihn an. Brak wich im Zickzack den metallenen Pfeilen aus.

Auch Runga versuchte zu fliehen, aber sein verletzter Arm machte ihm zu schaffen. Plötzlich stand Tamar Zed mit erhobenem Dolch in Braks Weg.

Der Magier stürzte sich auf den Barbaren.

Sein silberbestickter Umhang flatterte im aufkommenden Wind. Brak hieb mit dem Breitschwert auf ihn ein, aber Tamar wich geschickt aus und stieß mit dem Dolch nach ihm.

Seine Spitze schlitzte Braks Wange bis zum rechten Ohr. Die Wucht des Stoßes warf Tamar geradewegs auf den Barbaren.

»Möge Yob-Haggoth sich Euer annehmen!« heulte Brak und rammte das Schwert von unten in den Leib des Magiers.

Tamar stieß einen röchelnden Schrei aus und stürzte sterbend zu Boden.

Brak hielt sich nicht auf. Er blutete heftig von der Wange und einer Wunde an den Schultern, wo ein Armbrustpfeil ihn gestreift hatte. Aber er war bereits am Tor, wo sich nichts als der schwere Holzriegel zwischen ihm und Prinz Pemmas Armee befand. Er duckte sich und stemmte seine linke Schulter unter den Eichenbalken. Er war unvorstellbar schwer. Brak hatte ihn erst ein winziges Stück hochgedrückt, als der Rest seiner Bewacher auf ihn zugestürzt kam. Eine Lanze bohrte sich nur eine Handbreit neben seinem Kopf in das Tor.

Braks Schläfenadern schwollen an. Er stemmte mit aller Kraft. Endlich hob der Balken sich aus der Halterung und polterte zu Boden, als Brak hastig zurücksprang, um nicht erschlagen zu werden.

Der Barbar zerrte die linke Torhälfte mühsam am Eisenring auf und zwängte sich durch den Spalt.

»Pemma! Prinz Pemma!« brüllte er. »Schnell, schickt Eure Truppen durch das Tor, ehe ...«

Da sah er Nordica Feuerhaar nur ein paar Schritte vor ihm. Sie drehte sich überrascht zu ihm um, dann lächelte sie amüsiert. Ihr Haar tanzte im Wind wie der Saum ihres Gewandes. Um ihr linkes Handgelenk hatte sie eine silberne Kette gewunden, deren anderes Ende am Halsband Blutlefzers hing.

Der Hund drehte ebenfalls den Schädel und starrte ihn tückisch an.

Doch Braks entsetzter Blick galt nicht ihm und auch nicht Nordica. Etwas tiefer am Hügel saß Prinz Pemma auf seinem Pferd. König Strann, sein Vater, lag neben ihm auf einer Bahre. Hinter ihnen standen mehrere hundert schwerbewaffnete Soldaten, Belagerungsmaschinen und Wagen.

Keiner hob eine Waffe, um ihm zu helfen. Nun wußte Brak, daß alles verloren war.

Das Schweigen, das er so mißverstanden hatte, war das einer mutlosen Armee. Einer Armee, die Angst vor einem Mädchen hatte und vor einem riesigen Hund.



11.


Nie würde Brak dieses Bild vergessen können. Der düstere Tag. Die zerklüfteten Berge, die sich zum größten Teil hinter wirbelnden grauen Schleiern verbargen. Und die Winde!

Sie stürmten von zwei Richtungen gleichzeitig zusammen heran, trieben gewaltige Staubwolken vor sich her und peitsch­ten Sand in sein Gesicht.

Immer noch hatte Nordica sich ihm zugedreht, immer noch lächelte sie amüsiert. Plötzlich schien ihr Körper zu flimmern und zu verblassen. An ihrer Statt funkelte Ariane ihn mit ihren mitternachtsschwarzen Augen an. Vermochten die Soldaten es denn nicht zu sehen?

Die Stimme wollte ihm den Dienst versagen. »Prinz Pemma!« keuchte er. »Prinz Pemma, laßt Eure Truppen angreifen.«

Das Pferd des Prinzen tänzelte und schnaubte. Es rollte wild die Augen und scheute vor Blutlefzer.

Es war bereits zu spät. Brak hörte hinter sich die Soldaten durch das jetzt ganz geöffnete Tor stürmen.

Nordica wirbelte herum. »Zurück!« befahl sie. »Und laßt das Tor offen. Ich möchte sehen, ob der Barbar es fertigbringt, Pemmas Schar zum Angriff auf mich zu bewegen.«

Die Soldaten gehorchten. Nordica beobachtete Brak auch weiter amüsiert. Er umklammerte sein Schwert und machte einen weiten Bogen um Blutlefzer, der hechelnd an der Kette zerrte. Er schritt an Nordica vorbei auf Pemma und Strann zu.

Des Königs Gesicht war von krankhafter Blässe. Er stützte sich mit den Ellenbogen auf die Kissen seiner Tragbahre.

Brak deutete mit dem Schwert auf die Truppen.

»Was ist los mit ihnen?« fragte er laut, daß alle es hören konnten. »Das Tor steht offen. Ein einziges Weib kann doch gewiß nicht eine Armee aufhalten. Und auch dieses vierbeinige Ungeheuer nicht, sollte man meinen.«

Stranns Soldaten rührten sich nicht. Sie starrten ihn mit offener Feindseligkeit an.

Natürlich wußte Brak genau, was sie zurückhielt. Sie hatten Angst vor der Zauberkraft der Hexe. Vielleicht, wenn sie die Wahrheit über Nordica wüßten ...

Noch ehe Pemma antworten konnte, lehnte Strann sich ein wenig vor. »Ihr wißt ja nicht, welche Versprechungen sie ihnen gemacht hat, Brak.«

Der Barbar lachte verächtlich. »Beute? Reichtum? Macht? Sie wird alles für sich behalten, denn ich weiß, wer sie wirklich ist!«

Er schritt an Pemmas Pferd vorbei zur vordersten Reihe der Soldaten. Sein Herz pochte zum Zerspringen. Er stellte sich vor einen Offizier, der sich auf sein Schwert lehnte.

»Bedeutet Euch Eure Ehre, der Treueeid, den Ihr Eurem König geschworen habt, so wenig?«

Der Offizier zog die Brauen zusammen. »Geht mir aus den Augen, Fremdling«, knurrte er. »Sie befiehlt hier!«

Brak hätte ihm das Breitschwert in den Leib gerannt, wenn er nicht überzeugt gewesen wäre, daß alle anderen genauso dachten.

Fluchend drehte Brak sich um und stapfte zu Pemma zurück. Wenn er noch etwas erreichen wollte, mußte er ihnen sofort die Augen öffnen. Doch ehe er noch den Mund auftun konnte, hob Nordica Aufmerksamkeit gebietend die rechte Hand.

»Was, bei allen Göttern«, fragte Brak den Prinzen flüsternd, »ist in Eure Soldaten gefahren?«

Der Wind rüttelte den Federbuschen auf Pemmas Helm. »Sie stellten gegen meinen Befehl den Angriff ein, als die Hexe mit ihrer vierbeinigen Bestie allein durch das Tor trat. Als sie sich dann wieder daran erinnerten, daß sie mehr als eine schöne Frau, daß sie der Feind ist, war es zu spät. Und was in sie gefahren ist?«

Pemma blickte Brak bedrückt an.

»Die Habgier.«

Nordicas betörende glockenhelle Stimme erklang.

»Soldaten. Es sind keine leeren Versprechungen, die ich Euch machte. Keine Träume. Der alte Mann dort auf der Bahre ist dem Tode nahe. Seine Macht in dem Land ist zu Ende. Und es ist gut so. Eine neue erhebt sich. Die des größten Gottes aller Zeiten. Ich diene diesem Gott, weil er die Herzen der Menschen anspricht. Er kennt ihre innersten Begierden und Wünsche - und er erfüllt sie! Voll Stolz diene ich ihm, ihm, dem dunklen Gott, dem ewigen Yob-Hag-goth!«

Verzückt hob sie die Arme.

Die Soldaten hingen an den Lippen der wunderschönen Frau. Der Name Yob-Haggoth bedeutete ihnen nichts, noch nicht, aber ihre Begeisterung steckte sie an.

»Es tut nichts zur Sache, ob ihr den Gott kennt, dem ich diene. Es genügt, wenn ihr mir dient. Kümmert euch nicht um König Strann. Er ist schwach. Nur ich kenne Celsus Hyrcanus’ Geheimnis, und ich werde es nutzen. Ich werde unvorstellbaren Reichtum damit schaffen und Armeen von unschlagbarer Macht aufstellen. Und diese Armeen werden die ganze Welt für den dunklen Gott erobern.«

Ein kalter Schauder rann Braks Rücken hinab. Wenn die Hexe Erfolg hatte, würde sich Finsternis über die Welt breiten; würden die Menschen keinen Frieden, kein wahres Glück mehr kennen.

Nordicas Stimme erhob sich über den Wind, und ihre Worte bohrten sich wie Dolche in Braks Herz.

»Ihr habt die Wahl: Greift meine Burg an für den kranken König - und sterbt! Kommt zu mir - und Reichtum und Macht wird euer sein! Die ganze Welt wird uns gehören!«

Nordicas Jadeaugen lockten. Schmerz wühlte in Braks Gehirn, er erinnerte sich der Versuchung Arianes, und wie schwer es ihm gefallen war, ihr zu widerstehen.

»Wer folgt mir?« rief sie. »Wer folgt mir und regiert mit mir die Welt?«

Die Soldaten redeten aufeinander ein. Nur vereinzelte schüttelten den Kopf oder bissen sich auf die Lippe, schienen das Böse in Nordica zu ahnen. Aber die Hysterie der anderen übertönten sie.

Mit einer Anstrengung, die schier über seine Kräfte ging, setzte König Strann sich auf und richtete seine Worte laut und klar an seine Armee:

»Wenn ihr zu diesem Weib überlauft, führt ihr euer eigenes Volk ins Verderben, ja vielleicht sogar alle Völker dieser Welt. Ich habe von diesem ihren Gott gehört. Er kennt nur Grausamkeit. Hört nicht auf sie! Ich flehe euch an! Hebt eure Schwerter und Speere, und wir jagen sie in ihre Burg zurück und in die Hölle, woher sie kommt und wohin sie gehört!«

Erschöpft fiel Strann auf die Bahre zurück. Prinz Pemma sprang vom Pferd und beugte sich besorgt über ihn.

Brak beobachtete die Soldaten. Des Königs Worte hatten keinen Eindruck auf sie gemacht. Sie lachten abfällig und stießen Schmährufe aus. Nordica nutzte ihren Vorteil. Sie zog an der Silberkette. Blutlefzer sprang auf die Füße. Die Soldaten in den vordersten Reihen wichen zurück.

»Nun?« rief sie. »Wem folgt ihr? Mir oder diesem kraftlosen hohlköpfigen Greis? Laßt die Feiglinge sich kauernd um ihn scharen. Wer schon morgen die Welt mit mir erobern will, werfe seine Waffen zu Boden und kehre dem König den Rücken.«

Ein rotbärtiger Söldner brüllte: »Ich bin es müde, meine Haut für einen Schwächling zu Markte zu tragen, der sich nicht einmal von seiner Bahre zu erheben vermag. Ich kenne Euren Gott nicht, doch Euch folge ich mit Vergnügen!« Er schleuderte seinen Speer zu Boden, drehte sich um und bahnte sich einen Weg durch die hinteren Reihen.

Viele Augen blickten ihm nach. Ein zweiter Soldat folgte seinem Beispiel und warf Helm und Schwert auf den Speer des Rotbärtigen.

»Wartet!« Braks Stimme donnerte durch den Wind. Rotbart und der andere drehten sich wieder um.

»Ich kenne Yob-Haggoth!« brüllte Brak. »Fast hätte ich als Blutopfer mein Leben auf seinem Altar ausgehaucht. Was euch dieses Weib verspricht, vergiftet nur eure Seele. Entsinnt ihr euch der plötzlichen Veränderung der Alchimistentochter?«

Köpfe nickten. Einige Soldaten brummten bejahend.

»Manche halten Nordica Feuerhaar für besessen. Nun, damit haben sie nicht unrecht. Dieses Weib ist nicht Celsus Hyrcanus’ Tochter. Es ist nur Nordicas Körper, den sie benutzt. Was in ihm steckt, ist der Geist einer Hexe. Der verderbtesten, die der Finstere Gott je schuf. Sie ist die Brut des Zauberers, den die Menschen den Amyr des Bösen auf Erden nennen. Als sie Nordicas Hülle übernommen hatte, rief sie jene herbei, die ihr willfährig sind - den Magier und den Höllenhund. Yob-Haggoth braucht die korrupten Seelen, die man mit Reichtum kaufen kann. Ich weiß nicht, wie diese Hexe von Celsus und seinem Geheimnis erfuhr ...«

»Nehmt Euch in acht, Barbar!« zischte Nordica.

Brak wirbelte zu ihr herum. Die Glut ihrer Augen blendete ihn schier. Er kämpfte gegen ein Schwindelgefühl an und knurrte zurück:

»Mein Todesurteil war ausgesprochen, als Ihr mich auf dem Weg hierher entdecktet. Ist es nicht so, Ariane?«

»Schon lange zuvor. Mein Vater warnte Euch!«

»Und Ihr saht die Möglichkeit, Euch zu rächen, während Ihr gleichzeitig Euren Plan ausführtet, das alchimistische Geheim­nis für Yob-Haggoth ...«

Abrupt hielt er inne, sein Gesicht mit kaltem Schweiß über­zogen. Drohendes Gemurmel hatte sich hinter ihm erhoben. Hastig drehte er sich zu den Soldaten um. Vom Rotbärtigen aufgestachelt, erhoben viele die Fäuste drohend gegen ihn. Er vernahm verächtliche Rufe, die seinem barbarischen Aussehen und Benehmen galten. Am schlimmsten war jedoch, daß viele der Soldaten lachten. Sie glaubten ihm kein Wort.

»So hört doch!« brüllte er. »Sie wird euch nur in euer Verderben führen!«

Es war zwecklos. Einzeln, dann in immer größeren Gruppen warfen die Soldaten ihre Helme und Waffen zu Boden und zogen hügelabwärts davon.

Brak ertrug es nicht länger. Rote Wut überflutete ihn.

Blutlefzer sprang ihm mit geiferndem Rachen entgegen, als der Barbar das Schwert gegen Nordica erhob.

Das Mädchen zerrte heftig an der Silberkette und stieß ein Wort aus, das Brak nicht verstand. Sofort änderte Blutlefzer die Richtung. Er sprang auf Stranns Bahre zu. Brak stoppte den Schwerthieb. Er erkannte die Falle einen Herzschlag, ehe Nordica den Hund wieder zurückzerrte.

»Hebt Eure Waffe gegen mich«, drohte Nordica, »und meine Hand wird die Kette loslassen. Strann wird als erster sterben. Und nach ihm sein Sohn.«

Das Schwert in Braks Hand schien immer schwerer zu werden. Wie durch einen Schleier hindurch sah er Nordicas Gesicht verschwimmen. Das Fleisch löste sich von den Knochen. Ein Totenschädel grinste ihn an. Er schmolz. Arianes betörende Züge schoben sich darüber. Augen wie schwarze Sonnen brannten in seinem Gehirn.

In unerträglichem Schmerz drückte er die linke Hand gegen die Augen. Er knurrte wie ein gequältes Tier.

Das Irrbild verschwand. Er hob keuchend den Kopf.

Nordicas Jadeaugen musterten ihn selbstbewußt. »Laßt Euch von Eurer Vernunft, nicht von Euren Gefühlen leiten, Barbar. Denn so sehr ich Euch auch hasse - ich brauche Euch noch!«

Nordica deutete auf den tiefhängenden Himmel und die grauen Wolken, die in ständig neuen Formen darüber rasten.

»Die Stürme toben immer heftiger. Bei Einbruch der Nacht ist die rechte Zeit, die vier Winde für das Ritual herbeizurufen. Noch heute wird mir die erste Transmutation von vielen gelingen, und Yob-Haggoths Macht wird immer weiter wach­sen. Nun gebt mir Eure Antwort: Euer Leben - oder ihres?«

Strann rief mit schwacher Stimme. »Hört nicht auf sie, Brak. Erschlagt sie!«

Blutlefzer zerrte an der Kette, nur noch eine Manneslänge von Strann und Pemma entfernt. Geifer träufelte aus seinen Lefzen.

Schwarze Ängste und rote Wut schüttelten Brak. Schließlich murmelte er: »Laßt sie gehen. Ich ergebe mich.«

Nordica lächelte triumphierend. »Ich werde sie nicht halten.«

»Nein!« schrie Pemma. »Auch wenn es meines Vaters Leben bedeutet. Ich kann es nicht wie ein Feigling zulassen, daß Ihr Brak ...«

Aber Brak hatte das Schwert weggeworfen und stapfte zum Tor zurück. Noch einmal hörte er Pemma seinen Namen rufen und danach Nordicas helles Lachen und das Klirren der Silberkette, als sie ihm langsam mit Blutlefzer folgte.

Wie durch einen dichten Nebel hindurch sah er Soldaten den Eichenbalken wieder vor das Tor schieben. Ohne Hoffnung schleppte er sich weiter. Erst Nordicas Stimme rüttelte ihn auf.

Laut und klar rief sie zur Brustwehr hinauf. »Laßt Eure Pfeile singen, Schützen! Einen Beutel voll Silber für jene zwei, die Pemma und Strann das Lebenslicht ausblasen!«

Armbrüste klickten, Geschosse schwirrten. Brak schwang sich wild herum. Er sah Nordica dicht am Tor stehen.

»Wortbrüchige Hexe!« keuchte er. »Ihr verspracht ...«

»Lady!«

Nordica warf den Kopf zurück. »Habt ihr getroffen?« rief sie zur Brustwehr hinauf.

»Sowohl Strann als auch sein Sohn sind unter dem Pfeilregen gefallen, meine Lady«, schrie einer der Schützen.

»Stinkende Höllenbrut!« keuchte Brak und stürzte auf Nordica zu.

Von allen Seiten fielen die Soldaten über ihn her.

Sie schlugen mit den Lanzen auf ihn ein, traten ihn mit den Stiefeln, hielten ihn an Armen, Schultern und Beinen fest. Brak bäumte sich auf, wehrte sich, so gut er konnte, aber schon bald schwanden ihm unter den Schlägen die Sinne.



12.


... wacht auf, wacht auf, wacht auf, wacht auf, wacht auf!

Die Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen.

Brak öffnete mühsam die Augen. Sein Schädel schmerzte unerträglich.

»Lady? Der Gelbhaarige ist zu sich gekommen.«

Zwei Soldaten zerrten Brak hoch, hielten ihn an beiden Armen fest. Die Winde rüttelten an ihm. Langsam kehrte die Erinnerung wieder. Er blickte sich um. Er befand sich in einem kreisrunden Raum mit vier auf mächtigen Säulen gestützten Torbögen. Durch diese hindurch sah er die Brüstung eines Balkons, der rundherum führte, und über sie hinweg graue wolkenverhangene Berggipfel, auf die sich bereits die Dämmerung herabsenkte.

Die Haare auf seinem Nacken stellten sich auf, als er sah, daß sich in jeder der Säulen eine kleine Nische befand, in der ein Abbild Yob-Haggoths mit glühenden Augen bösartig auf ihm zu ruhen schien.

Ein Kreidekreis war auf den Steinboden gezeichnet, und genau auf dem Strich, an vier gleich weit entfernten Punkten, je ein Kreuz. Brak stand direkt auf einem davon.

Ihm unmittelbar gegenüber befand sich Runga. Er war nicht an Händen und Füßen gebunden wie Brak, aber drei Wachen mit stoßbereiten Lanzen standen hinter ihm. Die Fleischwunde des Schmieds war mit Leinen verbunden. Seine Augen wirkten stumpf vor Angst. Auf dem Kreuz links von ihm schwankte Darios auf kraftlosen Beinen. Sein Bart flatterte im Wind. Auch er war von drei Soldaten bewacht. Elinor rechts von Brak erging es nicht besser.

Mit einem Mal verstand Brak die schreckliche Bedeutung des Kreises und der Kreuze und der Gefangenen darauf. Es sollte den Schöpfungskreis darstellen, mit den vier Punkten als Himmelsrichtungen, aus denen die Winde wehten.

In der Kreismitte befand sich ein Steinblock. Von ihm aus führte ein Wirrwarr von mystischen Zeichen nach außen. Als Brak noch darauf starrte, vernahm er ein Rascheln über das Pfeifen der Winde hinweg. Nordica trat durch einen der Torbögen, ihr seltsam ausdrucksloses Gesicht so weiß wie ihr seidenes Gewand. Das blutrote Haar umflatterte sie. Sie war barfuß. In ihren Händen trug sie einen kleinen Barren aus grauem Metall.

Langsam schritt sie zur Kreismitte. Sie legte den Barren auf den Steinblock und betrachtete ihn nachdenklich. Dann hob sie den Kopf und blickte Brak an. Ihre Lippen formten sich zu einem Lächeln, das mehr kund tat, als Worte sagen hätten können. Auf diesen Lippen sah Brak Arianes Lächeln des Triumphes und der Rache.

Runga begann zu wimmern. Einer seiner Wachen rammte ihm die Faust in die Seite. Ein anderer packte ihn von hinten, damit er nicht in den Kreis taumelte.

Brak warf einen Blick auf Elinor. Sie zitterte wie der Schmied, aber sie bemühte sich, stolz und aufrecht zu stehen.

Der Bleibarren auf dem Stein glänzte stumpf.

Nur Darios sah ihn nicht. Seine Wangen glühten vom Fieber. Zwei seiner drei Wachen mußten ihn unter der Schulter stüt­zen, damit er nicht zusammensackte.

Nordica hob ihren rechten Arm. Sie deutete durch einen Torbogen auf die Berggipfel und den Himmel. Als sie sprach, bewegte sie kaum die Lippen. Und doch verstand Brak sie ganz deutlich über das Kreischen des Windes hinweg, der so heftig wehte, daß die Soldaten sich ein wenig schräg neigen mußten, um ihr Gleichgewicht zu halten. Nur Nordica blieb von dem tobenden Sturm unberührt.

»Im erhabenen Namen Yob-Haggoths, des Finsteren, beschwöre ich die vier Winde. Vereint bringen sie die Kraft. Die vier Winde vom Ende der Zeiten, vom Ende des Seins, vom schwarzen Abgrund am Rande des Lebens, wo mein dunkler Gott thront. Winde - KOMMT!«

Ein gewaltiger Windstoß peitschte in den Säulenraum.

Brak vermeinte, den Boden unter seinen Füßen schwanken zu fühlen.

»Yob-Haggoth sende den Nordwind!« sang Nordica. »Sende den Frost des blauen Nordwinds!«

Durch den Torbogen hinter Runga heulte und kreischte der Wind. Ein Hauch eisiger Kälte schlug gegen Braks Brust. Der Raum schien in blauem Nebel zu verschwimmen.

Nordica rief: »Yob-Haggoth sende den Südwind! Sende den heißen grünen Wind der Verwesung!«

Ein Schwall sengender Hitze strömte in den Raum und trug den Gestank jahrtausendealter Fäulnis mit sich. Einer der Soldaten hinter Brak begann sich zu übergeben.

»Yob-Haggoth sende den Ostwind! Sende das Mohngift des Ostwinds!«

Elinor und ihre Wachen schwankten, als ein Windstoß von betäubender, abstoßender Süße über sie hinwegfegte.

»Yob-Haggoth sende den Westwind. Sende den schwarzen Wind vom Ende der Welt!«

Darios und seine Wachen verschwanden in einer Wolke wir­beln­der tintiger Luft. Sie kroch und sprang auf den Steinblock zu. Plötzlich schien der ganze Raum von einem Orkan erfaßt.

Seltsame Flecken in allen Farben tanzten vor Braks Augen. Über ihm begannen sich in der Mitte des vielfarbigen Schleiers ein Gesicht zu formen.

Ein kahlgeschorener Schädel.

Eine Hakennase.

Dünne mitleidlose Lippen ...

Eine eiskalte Faust umkrampfte Braks Herz. Panische Furcht erfüllte ihn.

Augen formten sich in dem Wirbelwind. Augen mit riesigen schwarzen Pupillen. Von wildem Fleisch überwucherte Narben bildeten Wülste über ihnen. Die lidlosen Augen fixierten Brak trium­phierend. Haut bildete sich. Haut, unter der Miniatur­mensch­lein krabbelten und sich in ewiger Pein wanden.

Septegundus, der Amyr des Bösen auf Erden, sah Braks Qualen und war zufrieden damit.

Dann blickten die lidlosen Augen sich um und sahen Arianes Werk. Auch damit war er zufrieden.

Die Winde rasten, und Septegundus’ hämisches Gelächter hieß Brak in Yob-Haggoths Höllenfeuer willkommen.

»Sagte ich nicht«, höhnte es, »daß ich irgendwo auf dich warten werde?«


*


Mit aller Gewalt preßte Brak die Augen zusammen. Als er sie wieder öffnete, stand nur Nordica in der Mitte des Mahlstroms. Kein Lüftchen spielte mit ihrem Haar, ihrem Gewand. Sie hob ihre beiden Hände und drehte sich zu ihm herum.

»Zum Ruhme Yob-Haggoths - Südwind verbinde dich mit der Erde! Hauche Leben in das Blei! Wandle es zu Gold!«

Brak spürte ein Kribbeln in seinen Beinen. Es wurde zum verzehrenden Schmerz, der seinen ganzen Körper durchzog, jede Faser erfüllte.

Nordica machte eine Vierteldrehung zu Darios.

»Zum Ruhme Yob-Haggoths - Westwind verbinde dich mit dem Wasser! Hauche Leben in das Blei! Wandle es zu Gold!«

Darios kreischte auf und preßte die Hände gegen die Brust. Sein gebrechlicher Körper schien auszutrocknen und zu schrumpfen.

»Zum Ruhme Yob-Haggoths - Nordwind verbinde dich mit dem Feuer! Hauche Leben in das Blei! Wandle es zu Gold!«

Runga schluchzte haltlos. Tränen flossen seine Wangen herab. Er bebte am ganzen Körper.

»Zum Ruhme Yob-Haggoths - Ostwind verbinde dich mit der Luft!

HAUCHE LEBEN IN DAS BLEI! WANDLE ES IN GOLD!«

Elinor stöhnte und wäre nach vorn gekippt, wenn die verängstigten Wachen sie nicht gehalten hätten.

»Erde! Luft! Feuer! Wasser! Verbindet euch! Verbindet euch, Winde! BLAST UND BRENNT UND HAUCHT LEBEN IN DAS BLEI! WANDELT ES ZU GOLD!«

Mit jedem Augenblick fühlte Brak sich schwächer. Sein Kopf hämmerte. Seine Augen verschleierten sich. Seine Beine waren weich, und er fragte sich, wie lange sie ihn noch tragen würden. Der stumpfgraue Barren auf dem Steinblock begann ein schwaches gelbliches Glühen auszustrahlen - als ob eine Art von Leben in ihn flösse. Da verstand er, daß es ihr Leben war, seines und das der anderen Gefangenen, das die tobenden, heulenden Winde aus ihnen sogen und in den Barren leiteten.

Er betrachtete seine Leidensgenossen. Sie schienen zu schrumpfen und immer bleicher zu werden. Dafür hatten die Winde sich verdunkelt, waren nebelähnlich geworden. Der Boden des Raums, die Säulen und Torbögen schwankten. Brak vermeinte ein entferntes Rumpeln zu vernehmen, als bebte selbst das Fundament der Burg.

Er strengte sich an, seinen Kopf hochzuhalten. Im Torbogen hinter Runga erschien ein Riß. Ein Soldat fluchte. Offenbar hatte auch er ihn gesehen und ahnte die Gefahr, die die Winde darstellten. Aber Nordicas Wangen leuchteten gelb im wachsenden Glühen des Barrens. Sie sahen nichts anderes.

»Winde, holt euch das Leben von den Lebenden! Winde, haucht Leben in das tote Metall!

Winde, nehmt Leben vom Feuer, von der Luft, von der Erde und vom Wasser und wandelt das wertlose Metall zu Gold, auf daß die Herrlichkeit Yob-Haggoths an Macht wachse und nie ende!«

Noch glühender pulsierte der Bleibarren. Immer glühender.

Grellgelbe Streifen und Flecken überzogen ihn, als er sich nach und nach zu verwandeln begann. Nordica beugte sich darüber, ihre Hände wie Klauen danach ausgestreckt. Ihre Stimme verlor sich in der heulenden Wildheit der Winde, die zum Tornado angeschwollen waren.

Brak hatte das Gefühl, zu fallen. Er wußte, es kam nur daher, weil sein Leben in den glühenden Barren floß. Es gab keine Hoffnung mehr für ihn und die anderen, und doch brannte noch ein heißer Lebenswille in ihm, der es nicht zulassen wollte, daß er sich aufgab. Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg. Aber er war zu schwach, noch zu kämpfen. Die Höllenwinde hielten ihn wie gewaltige Pranken. Es blieb ihm nur noch wenig Zeit. Zusehen zu müssen, wie seine Lebenskraft in einen Metallbarren floß, der weiteres Leben kaufen sollte, weitere Seelen für Yob-Haggoths wachsende Macht-NEIN!

In diesem Augenblick erinnerte sich Brak. Er erinnerte sich, wie an seinem ersten Tag in diesem verfluchten Land unvorstellbare Kraft in seinen Arm geströmt war, als er Elinor in der Teufelswurmhöhle das Leben gerettet hatte. Und er glaubte nun zu wissen, woher diese Kraft gekommen war.

Braks lippen verzerrten sich. Celsus Hyrcanus lebte noch. Er war wahnsinnig, ja, aber er lebte!

Und Nordica - falls überhaupt noch etwas von ihr in dem Gehirn und Körper, die Ariane an sich gerissen hatte, existierte - wußte es nicht!


*


»Ambrose?«

Brak versuchte seinen Geist auszuschicken. Er stellte sich den Greis mit dem Steinkreuz um den Hals vor.

»Ambrose? Ambrose? Hört Ihr mich? Hört Ihr mich?«

Ganz schwach, von ganz fern, vernahm er in einer Sprache ohne Worte:

»Ich höre!«

Neue Hoffnung erfüllte Brak. Die Schwäche schien weniger schlimm. Sein Geist durchdrang die Schwärze des Nichts, fand Ambrose, den Felseremiten.

»Helft uns!« rief er. »Wenn wahrhaftig die Kraft des Namenlosen Gottes Euer ist, so helft uns, ehe wir sterben und sie und ihr Vater Yob-Haggoths Macht wie eine Seuche über die Welt verbreiten.«

Die Stimme ohne Worte antwortete von weit entfernt.

»Die Kraft des Namenlosen Gottes ist mein. Wie kann ich euch helfen?«

»In der Höhle des Teufelswurms haust ein alter Mann. Sein Geist ist erloschen. Er ist halbtot. Bringt ihn hierher mit der Kraft Eures Geistes.«

»Das kann ich nicht. Ich benötige zur Kraft meines Geistes auch die meines Körpers, und ich bin alt und schwach. Ich vermag es nicht, ihn eine so große Strecke zu bewegen.«

Nordicas Singsang war nun zu einem steten schrillen Schrei­en angeschwollen, das trotzdem nur schwach durch das Toben der Winde klang. Runga kauerte auf den Knien, die Hände zum Gebet gefaltet, während das Leben aus ihm floß. Darios lag bereits kaum noch atmend mit offenem Mund auf dem Rücken. Elinor hing kraftlos in den Armen von zwei verstörten Wachen.

Der Raum begann sich mit einem blendenden gelben Licht zu füllen. Es schmerzte die Augen. Die Lebenskraft der Opfer floß immer schneller in den Barren, immer schneller ...

»Bringt den Alchimisten!« brüllte Braks Geist. »Versucht es, Mystiker! Umklammert Euer Kreuz! Fleht Euren Gott um Hilfe an! Versucht es, sonst wird das absolute Böse von hier aus über die ganze Welt fegen, und das Gute im Menschen muß sterben!«

»Ich kann es nicht! Ich kann es nicht!« kam die verzweifelte Antwort.

»Versucht es! Versucht es, ehe die Dunkelheit sich herab senkt!«

Plötzlich spürte Brak, daß ihre Verbindung gerissen war. Er fühlte sich noch schwächer als zuvor. Mutlos, floffnungslos.

»Ambrose!« rief er. »AMBROSE?«

Es war ihm, als stieße er auf einen Wall von Schmerzen, den er nicht zu durchdringen vermochte. Ein verzweifeltes Stöhnen entrang sich seinen Lippen. Er ergab sich den saugenden, tosenden Winden.

Ein weiterer Riß durchzog den Torbogen hinter Elinor. Er war schon fast ein Spalt. Kleine Steine regneten davon herab.

Einer der Soldaten versuchte, Nordica durch einen lauten Schrei zu warnen. Sie hörte ihn nicht. Das schreckliche Ritual nahm sie völlig gefangen. Sie drehte sich und wirbelte um den transmutierenden Barren.

Unter Braks Füßen erbebte der Stein. Noch während er sich fragte, wie bald der Raum zusammenbrechen würde, zuckte ein gräßlicher Schmerz durch seinen Leib. Er warf den Kopf zurück und schrie wild.

Die Wachen sprangen zur Seite und drängten sich angstvoll eng zusammen. Brak fiel auf die Knie. Er schlug sich gegen die Schläfen, als der Schmerz nun auch seinen Kopf zerreißen wollte.

Plötzlich durchbrach sein Geist die Mauer, und er vernahm Ambroses stimmenlosen Schrei:

»Er wird kommen. Ich sterbe, doch er wird kommen. So will es der Namenlose Gott. Der Schmerz verbrennt mich. Ich kann nicht mehr! Ihr müßt bereit sein!

DER ALCHIMIST KOMMT ...«

»Weib!« brüllte Brak. Er schleppte sich auf sie zu. »Nordica - Ariane - Hexe - hört mich an!«

Erschrocken kreischte sie Befehle zu den Soldaten, doch Brak kümmerte sich nicht darum. Durch seine Schläfen pochte eine Kraft, die dem Saugen der Winde widerstand.

Brak vergaß die Soldaten, die versuchten, ihre wie gelähmten Glieder zum Gehorsam zu zwingen, um den Befehl der Hexe zu befolgen. Doch nun spaltete sich der Boden unter ihren Füßen. Ein riesiger Stein von einem der Torbögen polterte mit furchtbarem Gedröhn herab.

»Weib!« schrillte Brak. »Hexe! Euer Zauber taugt nichts. Meiner ist stärker. Ich kann die Toten zum Leben zurückrufen. Ich bringe Euch einen, den Ihr aus Habgier mordetet ...«

Weißes Feuer explodierte hinter Braks Augen. Einen Moment war er blind.

In diesem Augenblick erstarben die Winde.

Nordica stieß einen gellenden Entsetzensschrei aus. Brak riß die Augen auf.

Neben dem Felsblock, auf dem der Barren plötzlich wieder stumpfer wurde und graue Streifen und Flecken das Gelb durchzogen, bis es schließlich ganz im Grau verschwand, dort flimmerte ein farbloser Schleier.

Er formte sich zu einem Rumpf - zu Beinen - zu Armen ...

Weit, weit entfernt hörte Brak den Felseremiten wimmern vor Schmerz.

... zum Kopf.

Bis Celsus Hyrcanus feste Formen angenommen hatte.

»Vater!« kreischte Nordica. »Septegundus, mein Vater, so hilf mir!«

Der wahnsinnige alte Alchimist murmelte: »Wo -wo bin ...« Er drehte den Kopf und sah Nordica.

Mit einem Mal war der Wahnsinn völlig weggewischt. Celsus Hyrcanus’ Zunge benetzte die ausgedörrten, gesprungenen Lippen.

»Nordica! Mein eigen Fleisch und Blut, das mich zu töten suchte bist du es?«

Er blinzelte mehrmals. »Nordica - das ist etwas - ah! Deine Augen. Sie sind nicht - du bist nicht meine Tochter. Ja! Ich erkenne den Blick ...«

Er machte einen Schritt auf sie zu. »Es ist nur noch Nordicas Körper. Doch wer ist es, der in ihm steckt?«

Er streckte seine Hände wie Krallen nach ihrem Hals aus.

Nordica-Ariane schrie erneut nach Septegundus, doch ihr Schrei wurde von einem betäubenden Donnerschlag übertönt.

Der Bleibarren auf dem Steinblock spaltete sich in der Mitte.

In den Augenblicken, die dem rollenden Donner folgten, zerfiel der Barren zu Staub, und die vier Winde prallten mit ihrer ganzen Gewalt in der Mitte des Raumes zusammen, wo der Körper Celsus Hyrcanus’ sie für einen kurzen Moment ihrer Macht beraubt hatte. Irgendwo stöhnte eine schmerz­­ver­zerrte Stimme plötzlich erleichtert auf. Ambrose? Und Brak rannte zu seinen Bewachern zurück. Mit einer neuen Kraft, die ihm half, seine Fesseln zu sprengen, entriß er einem von ihnen die Lanze.

Er wirbelte herum und fletschte die Zähne wie ein Tier. Steine begannen von dem geborstenen Torbogen zu fallen. Der Boden senkte sich schräg. Ein weiterer Torbogen fing an sich zu spalten. Steine lösten sich von ihm. Während Brak auf Elinor zusprang, sah er einen riesigen Stein fallen, der einen Soldaten und den bewußtlosen Darios unter sich begrub.

Ein anderer Soldat versuchte, Brak den Weg zu versperren, und hieb wild mit dem Schwert nach ihm. Der Barbar rammte ihm die Lanze durch den Leib, zerrte sie zurück und hob die ebenfalls bewußtlose Elinor auf seine Schulter. Mit seiner Last rannte er durch den Torbogen, durch den Ariane hereinge­kom­men war. Er entdeckte eine Falltreppe.

Die Winde rüttelten nun noch heftiger gegen die Säulen. Stein um Stein löste sich und polterte auf den bebenden Boden. Nur noch ein paar Augenblicke, und der ganze Raum würde einbrechen.

Brak hörte nichts als das Krachen der fallenden Steine, das sich mit dem betäubenden Heulen der orkanartigen Winde vermischte. Ohne Vorwarnung stieß er mit dem ebenfalls flüch­tenden Runga zusammen.

Der Schmied hämmerte mit den Fäusten auf Brak ein, um vor ihm die Treppe hinunterzukommen. Trotz der Behinderung durch die Last über seiner Schulter gelang es dem Barbaren doch, mit der Lanze auszuholen und sie tief in Rungas Leib zu rammen.

Ein Soldat rannte herbei. Er stolperte über den toten Schmied und purzelte durch die offene Luke der Falltreppe. Vorsichtig kletterte Brak in die Tiefe. Die Treppe wollte nicht enden. Von Herzschlag zu Herzschlag fühlte er sich schwächer. Doch endlich, gerade als Elinor das erste Lebenszeichen von sich gab, endete sie vor einer Tür. Erleichtert atmete Brak auf.

Er erschrak jedoch, als er auf etwas Weiches stieg. Es war die unnatürlich verrenkte Leiche des herabgestürzten Soldaten. Er bückte sich und nahm dem Toten das Breitschwert ab.

Die Tür öffnete sich zu einer Brustwehr auf der Burgmauer. An ihrem Ende führte eine Leiter in den Innenhof. Von dort aus war es nicht weit zu den großen Toren, durch die Nordicas Soldaten sich in panischer Flucht in Sicherheit brachten.

Brak blieb lange genug stehen, um Elinor auf den Boden zu stellen. Er hielt sie, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte. »Bist du imstande zu laufen, Mädchen? Es ist nicht mehr weit zum Tor.«

Sie nickte. »Führ mich an der Hand, mehr Hilfe brauche ich nicht.«

»Wir müssen uns beeilen. Die Winde, die um den Turm brausen, fegen vielleicht noch die ganze Burg zur Hölle.«

Braks letzte Worte wurden von einem lauten Krachen verschlungen. Der Säulenraum und mit ihm der ganze Turm polterte in die Schlucht jenseits der Burg.

»Das ist ihr Ende!« keuchte Brak. »Nun ist sie unter den Steinen begraben, und mit ihr ihr Blendwerk.«

In diesem Augenblick des Chaos wußte Brak nicht, ob er Nordica meinte oder Ariane oder beide.

»Mädchen«, sagte er erleichtert. »Wir haben es lebend über­stan­den.« Er umklammerte Elinors Hand und begann zu laufen.

Sie hatten die Hälfte der Brustwehr hinter sich, als der entsetzliche Gestank ihnen in die Nase schlug. Brak hielt mitten im Lauf an, wirbelte herum. Sein Herz übersprang einen Schlag.

Durch die gleiche Tür, durch die sie gekommen waren, sauste Blutlefzer.

Braks einzige Waffe war das Breitschwert in seiner Faust, mit dem er jedoch nichts gegen die Panzerhaut der Bestie ausrichten konnte.

»Hund!«

Erneut wirbelte Brak herum.

»Faß sie!«

Im Hof stand Nordica. Doch war sie es wirklich? Er erkannte das einst weiße Gewand, das überströmt war von dem Blut, das aus ihren zerschmetterten Rippen, ihrer aufgerissenen Kehle und ihren zermalmten Schenkeln floß. Er erkannte auch das Kupferhaar, das dick mit Mauerstaub und kleinen Steinsplittern durchzogen war. Wie hatte sich diese - Frau? - Kreatur? dieses Ding? aus dem Turm befreit? Er wußte, sie war von dort gekommen, wo ihr Körper zerbrochen und erschlagen worden war - und sie war wieder auferstanden. Und sicher war ein Teil des Blutes auf ihrem Gewand von Celsus Hyrcanus.

Ungläubig und wie gelähmt starrte er hinunter zu ihr.

Die aufgerissenen, dick mit Schmutz bedeckten Wangen schienen sich plötzlich aufzulösen. Wieder sah er das Bild eines Totenschädels vor sich. Wieder bildeten sich darüber die wunderschönen - völlig unversehrten - Züge Arlanes. Und dahinter erhob sich eine rote Wolke, aus der das krabbelnde Gesicht Septegundus’ ihn anstarrte.

Arianes Lippen verzerrten sich zu einem häßlichen Lächeln, als der Höllenhund auf Brak zusprang. Elinor schluchzte haltlos. Brak warf das nutzloser Breitschwert von sich. Als er nahe genug war, machte Blutlefzer einen gewaltigen Satz durch die Luft. Die Riesenfänge ragten aus dem geifernden Maul, und die Krallen schoben sich aus den mächtigen Klauen.

Brak wußte, daß seine Stunde geschlagen hatte.

Aber er rannte nicht davon. Er wurde zum Berserker.

Er würde kämpfend sterben.

Er rannte unter den Bauch der Bestie, als sie gerade ihren Riesensatz beendete. Mit beiden Händen stemmte er sich gegen das Gewicht. Die Adern an seinen Schläfen quollen an, die Muskeln schienen zu reißen. Aber mit allerletzter Kraft hob er das Untier noch höher.

Krallen schnitten in seinen Rücken, zerfetzten ihm die Haut an den Schultern. Höher stemmte er den Höllenhund. Höher! Und über die Brustwehr!

Das Ungeheuer prallte auf den Steinen des Hofes auf. Es zuckte. Dann erhob es sich torkelnd.

»Hund?« rief die Hexe erstaunt. »Mein wunderschöner Hund. Du hattest all die Kraft Yob-Haggoths in dir, und doch tötete er - nein!«

Die Höllenkreatur roch das Blut an Nordicas Gewand.

Langsam, den linken Hinterfuß nachschleifend, humpelte der Hund auf sie zu.

Nordica warf sich herum, um davonzulaufen. Sie stolperte über den in Fetzen hängenden Saum ihres Gewandes.

Blutlefzer sprang.

Nordica mit dem Gesicht Arianes stieß einen gellenden Schrei aus. Vielleicht rief sie ihres Vaters Namen oder den des Finsteren Gottes. Die rote Wolke schwebte tiefer, um sich schützend über sie zu senken.

Aber es war zu spät.

Blutlefzer stürzte sich auf sie.

Brak drückte Elinor gegen seine Brust. Sie sollte es nicht mitansehen müssen.

Noch ein gellender Schrei schrillte zu ihnen empor. Dann hörte man das Knirschen von Knochen.

Voll Grauen starrte Brak hinunter.

Das Blut des Körpers, der einst Nordica Feuerhaar gehört hatte, floß wie ein Bach über den Burghof. Knurrend zerriß der Höllenhund das Fleisch.

Die rote Wolke, in der Brak Septegundus’ Gesicht zu sehen glaubte, rollte über den zerstückelten Körper.

Etwas wie ein dünner Nebelstreifen stieg von ihr empor, vereinte sich mit der Wolke.

Das höhnische, grausame Lachen einer Frau erschallte.

Nordica war tot. Aber mit ihres Vaters Hilfe war es Ariane gelungen, sich im letzten Augenblick aus der Leiche zu lösen.

Die Höllentochter lebte noch. Im Augenblick war sie geschlagen. Doch sie würde erneut auferstehen.

Irgendwo, Irgendwann!

Die rote Wolke verschwand im Nichts.


*


Brak vermochte sich nicht zu erinnern, wie er und Elinor die Leiter hinuntergeklettert waren und wie sie das Tor erreicht hatten. Als sie auf der Straße waren, rannten sie Hand in Hand den Hügel hinunter.

Sie waren noch nicht weit gekommen, als die Erde unter ihnen erbebte. Sie blieben stehen und blickten zurück. Die hohen Türme von Nordicas Burg stürzten unter der Gewalt der immer noch tobenden Winde zusammen. Sie begruben Nordicas fleischige Hülle unter sich, und Blutlefzer und die Abbilder Yob-Haggoths und all das Böse, das in den Mauern der Burg gewesen war.

Alles begruben sie unter sich.

Alles, außer Ariane.

Und Septegundus.

Und wieder hörte Brak die lautlose Stimme des Amyrs. Lautlos und doch betäubend.

IRGENDWO WARTE ICH AUF DICH! IRGENDWO ...

Müde schleppten Brak und die Schafhirtin sich weiter die Straße hinunter auf eine Gruppe von Nordicas Soldaten zu. Die Männer machten keine Anstalten, die beiden aufzuhalten. Sie starrten nur schweigend zur Burg empor. Auch Brak gönnte ihr einen letzten Blick. Unter dem unermüdlichen Ansturm der vier Winde von den Ecken der Welt wurde sie zu einem einzigen gewaltigen Trümmerhaufen.

Nordica Feuerhaars Grabhügel.

Doch nicht Arianes.


*


Die Sonne schien strahlend vom Himmel, als Brak ein paar Tage später vor König Stranns Palast auf ein Pferd stieg.

Von der Mitte des Barbaren hing ein funkelndes neues Breitschwert. Prinz Pemma, jetzt König Pemma, sah ihm zu.

Eine Elfenbeinkrone symbolisierte des jungen Herrschers neues Amt. Irgendwie verlieh sie dem grobgeschnittenen sympathischen Gesicht, das nun so ernst dreinblickte, Würde.

Elinor im neuen Gewand stand neben Pemma.

Eine erfreuliche Frische ging von ihr aus. Sie hatte sich schon fast von den Schrecken erholt. Prinz Pemma hatte darauf bestanden, daß sie und Ambrose, der Felseremit, im Palast blieben, bis sie beide wieder ganz zu Kräften gekommen waren. Ambrose befand sich immer noch in einem teilweisen Koma. In seinen wachen Momenten murmelte er Dankgebete zu seinem Namenlosen Gott.

Pemma trat zu Brak. Sein Wams bauschte sich unter seinem linken Arm auf, wo der Heiler dicken Leinenverband auf die tiefe Wunde gegeben hatte. Nordicas Armbrustschützen hatten Strann getötet. Sein Leichnam lag in der Kapelle des Palasts auf gebahrt. Aber der Pfeil, der Pemma getroffen hatte, war nicht tödlich gewesen.

Brak strich über die Silberverzierung des Geschirrs, das Pemma ihm mit dem Pferd verehrt hatte.

»Ich werde natürlich bleiben«, versicherte er dem jungen König, »wenn die Heiler immer noch nicht sicher sind, daß sie den Felseremiten auch wirklich retten können. Ich verdanke ihm mein Leben und mehr.«

Und seinem Gott? Brak wußte es nicht.

»Zieht unbesorgt Eures Weges. Er ist bei uns in guten Händen. Wir werden ihm nie vergessen, daß er uns und vielleicht auch die ganze Welt vor Nordica gerettet hat. Die Heiler sind ziemlich zuversichtlich, daß er überleben wird. Er wird bis zu seinem Lebensende ein Heim im Palast haben, wenn er es so will.«

Lord Iskander löste sich aus den Reihen der königlichen Soldaten, die er Brak zu Ehren in voller Rüstung antreten hatte lassen.

»Ich jedenfalls würde es begrüßen, wenn Ihr bliebt, Barbar. Ich hätte Verwendung für einen Adjutanten mit Eurem Mut und Eurer Kraft. Der Sold wäre hoch und das Leben angenehm - nun, da es sie nicht mehr gibt.«

Brak schüttelte den Kopf. »Ich danke Euch. Doch es drängt mich nach Süden, nach Khurdisan.« Er warf einen unsicheren Blick auf den Horizont. Wo würden Septegundus und Ariane als nächstes auf ihn warten?

Plötzlich rannte Elinor von der Seite des jungen Königs. Sie faßte nach Braks Hand. Sie blickte ihn nicht an, aber ihre Wangen waren tief gerötet.

»Viele Male habe ich dir schon gedankt, Brak. Aber selbst zehntausendmal wäre nicht genug.« Scheu hob sie den Kopf. »Vielleicht könntest du auch hier dein Glück finden, wenn du bliebest.«

Was er durch ihre natürliche Scheu hindurch erkannte, war der Anfang eines Gefühls, das an sein Herz rührte. Sie bot einen herzerfreuenden Anblick. Doch dann dachte er an Königin Rhea, die er in Phrixos zurückgelassen hatte.

Er seufzte und legte seine andere Hand über ihre.

»Mädchen, ich bin kein Mann für den Hof oder eines Königs Palast. Ich werde vermutlich rastlos dahinziehen, bis ich das Ende der Welt erreicht habe. Es liegt in meinem Blut. Ich ...«

Er bemerkte, daß Pemma keinen Blick von ihnen ließ. Ein merkwürdiger Ausdruck lag auf des jungen Herrschers Gesicht.

Pemma war eifersüchtig!

Da lächelte Brak zum erstenmal seit vielen Tagen. Also gefiel Elinor dem jungen König. Aber sie war auch wirklich ein bezauberndes Geschöpf.

Behutsam löste Brak seine Hand aus der Elinors. »Nun, da Nordicas dunkle Macht das Land nicht mehr in Schrecken hält, wird Pemma einen guten Herrscher abgeben, Mädchen. Wenn ich erst fort bin, wirst du ihn mit anderen Augen betrachten. Vielleicht wirst du sogar einmal das Leben im Palast der Einsamkeit auf deinem Berg vorziehen. Zumindest«, fügte er eindringlich hinzu, »solltest du darüber nachdenken.«

Verwirrt blickte Elinor zu König Pemma hinüber. Sie errötete noch tiefer, ehe sie den Kopf abwandte.

Pemma lächelte erfreut, doch dann wurde sein Gesicht wieder ernst.

»Wollt Ihr mir nicht doch noch meine Frage beantworten, ehe Ihr uns verlaßt?«

»Die Frage, die Ihr mir fast jede Stunde gestellt habt, seit wir dieser Hölle entkommen sind?« brummte Brak und rutschte unruhig auf dem Rücken des Pferdes ein wenig nach hinten. Das Pferd tänzelte und schien endlich aufbrechen zu wollen.

»Am Tor nanntet Ihr Nordica bei einem anderen Namen.« Der König ließ nicht locker.

»Ich war nicht bei Sinnen«, erwiderte Brak zu hastig. »Ihr müßt es doch verstehen. Meine Erschöpfung. Die Aufregung des Augenblicks.«

Pemma gab nicht nach. »Ihr sagtet, sie diente einem Gott, den Ihr den Dunklen nanntet. Ihr schient mir völlig bei Sinnen, Brak.«

»Aber ich war es nicht! Glaubt mir doch endlich!«

»Wissen kann Schutz sein, Brak. Ich muß die Wahrheit über sie erfahren. Ich muß vorbereitet sein, sollte sie je zurück­kom­men und uns wieder heimsuchen wollen.«

»Nicht Ihr seid es, den sie heimsuchen wird«, murmelte Brak und blickte grimmig südwärts.

»Als König dieses Landes verlange ich aber, daß Ihr mir erklärt ...«

Brak preßte die Schenkel gegen den Leib seines Pferdes und ritt durch das Tor, ohne auf Pemmas Rufe zu achten oder sich noch einmal umzusehen.

Er galoppierte über die Straße, die durch die Weinberge führte. Die Bauern gruben die Erde um und pflanzen neue Reben, wo die alten den Flammen zum Opfer gefallen waren.

Er hörte sie ein fröhliches Lied singen, das ihn ein wenig aufheiterte. Er folgte der Straße bis zur nächsten Abzweigung.

Mit einem letzten Blick auf den Horizont lenkte er sein Pferd südwärts.

Seinen Träumen entgegen.


ENDE


Der dritte Band mit Abenteuern von Brak, dem Barbaren, befindet sich in Vorbereitung.



Als TERRA FANTASY Band 5 erscheint:


Im Netz der Magie


von Andre Norton


Ein Roman aus der Hexenwelt


Irgendwo in den Weiten des flachen Landes, der Gebirge oder der Ozeane der Hexenwelt halten die Kolder sich verborgen und warten auf die Gelegenheit, ihren Eroberungsfeldzug erneut aufzunehmen. Irgendwo an einem unbekannten Ort haben sich die nichtmenschlichen Eindringlinge von einer fremden Welt gesammelt und bereiten den entscheidenden Angriff vor.

Colonel Simon Tregarth, der von der Erde stammt und selbst ein Fremder auf der Hexenwelt ist, weiß, daß seine neue Heimat keinen Frieden finden kann, solange die Invasoren nicht vertrieben sind.

Es gilt also, den Schlupfwinkel des Gegners ausfindig zu machen und das Dimensionstor zu zerschmettern, durch das die Kolder eingedrungen sind. Simon Tregarth geht auf die Suche und folgt der Spur der Unheimlichen. Um der Freiheit seiner neuen Heimat willen ist er bereit, sein Leben zu opfern. IM NETZ DER MAGIE ist der zweite Roman aus der Hexenwelt. Der erste Roman erschien unter dem Titel GEFANGENE DER DÄMONEN als Band 2 der TERRA-FANTASY-Reihe.

Weitere Romane des Zyklus sind in Vorbereitung.


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