Bonanza 2 Whittington, Harry Ponderosa in Gefahr

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Harry Whittington


Ponderosa in Gefahr


Bonanza

Band 2












Engelbert-Verlag • Balve/Westf.

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Verlags-Nr. 745
4. Auflage 1968

Illustrationen: Walter Rieck

Titel der Originalausgabe:

BONANZA – Treachery Trail

(c) 1967 by National Broadcasting

Company, Inc.

Alle Rechte vorbehalten


Veröffentlicht mit Genehmigung von Western Publishing

Company, Inc. Racine USA

Alle Rechte der deutschen Buchausgabe

1968 by Engelbert-Verlag, Balve

Aus dem Amerikanischen übertragen

von Heinrich Gottwald

Nachdruck verboten

Printed in Germany

Satz, Druck und Einband:

Gebr. Zimmermann, Buchdruckerei und Verlag GmbH,

Balve/Westf.

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Es gibt wohl kaum eine Familie auf der Erde, die
so bekannt und beliebt ist wie die Cartwrights.
Wenn Vater Ben und seine Söhne Hoss und Little
Joe die Pferde satteln und den Desperados oder
anderen dunklen Gestalten nachjagen, drücken
ihnen 300 bis 400 Millionen Menschen die
Daumen; denn in rund 50 Ländern läuft die
„Bonanza“-Serie auf dem Bildschirm.

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Schwarze Katzen



Jäh wurde die Stille des Hochlandes von einem Schuß zerfetzt
und das Echo des Knalls hallte gleich einem Angstschrei von
den Bergen wider.

„Dort oben!“
Joe Cartwright deutete mit dem Kopf nach Norden. Es war

nicht seine Art, einer Gefahr auszuweichen oder vor einem
Knall davonzulaufen.

So drückte er auch jetzt seinem Pferd die Hacken in die

Seiten und warf einen kurzen Blick zurück, um sich davon zu
überzeugen, daß sein Bruder Hoss ihm folgte.

Dann schaute er wieder nach vorn und galoppierte durch eine

Gruppe niedriger Kiefern auf die felsige Ebene, die im hellen
Sonnenschein lag. Im Hintergrund erhob sich ein dunkler
Bergrücken.

Plötzlich zügelten Joe und Hoss ihre Pferde. Nicht weit vor

ihnen, mitten auf dem Weg, hielt ein Reiter.

„Candy!“ rief Hoss. „Worauf hast du denn geschossen?“
Candy wandte sich im Sattel um und schaute den beiden

entgegen, die nun gemächlich heranritten. Sie zu sehen, schien
ihn zu freuen; der Blick der schwarzen Augen wurde etwas
milder.

Candy war ein heimatloser Reiter, den die Leute von

Ponderosa bei sich aufgenommen hatten, ein junger Mann, den
jeder gern hatte und bei dessen Anblick einem das Herz warm
wurde. Er war etwa achtzehn Jahre alt, aber die harte Jugend,
die ihm beschieden gewesen war, ließ ihn älter aussehen. Mit
seinem hohen Wuchs überragte er die meisten Leute, mit

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denen er zusammentraf, und man sah ihm an, daß er sehr
kräftig war. Er trug einen schwarzen Cowboyanzug.

Jetzt lächelte er ein wenig verlegen.
„Vorbeigeschossen…“
„Wir alle schießen gelegentlich vorbei!“ tröstete ihn Hoss,

der gutmütige Riese mit dem gewaltigen grauen Hut.

Aber Candy schüttelte den Kopf.
„Wo ich herkomme, da schießt niemand vorbei!“ sagte er.

„Wo ich herkomme, da mußte man schon als Junge mit sechs
Kugeln sechs Kaninchen schießen! Gelang dies nicht, so war
es ratsam, eine Ausrede zu erfinden, mit der man den Alten
beruhigen konnte!“

Joe schaute Candy forschend an.
„Du siehst ja aus, als hättest du ein Gespenst gesehen!“
Candy zuckte heftig zusammen, und erst nach kurzem Zögern

brachte er hervor:

„Es war eine schwarze Katze.“
Joe lachte spöttisch auf. „Was war es?“
Aber Candy stimmte in sein Lachen nicht ein. Mit

unbewegtem Gesicht schob er sein Gewehr wieder in die
Halterung am Sattel.

„Was suchst du eigentlich hier oben, Candy?“ fragte Hoss.
„Ich kam nur vorbei“, war die Antwort. „Ich war heilfroh, als

ich die Woche oben in der Nord-Hütte hinter mir hatte: Jeder
Tag wurde mir da so lang wie sonst zwei Jahre. Offenbar
bekommt mir die Einsamkeit nicht – so lange allein zu sein
und immerzu über menschenleeres Land zu reiten. Bei mir zu
Haus kam immer mal jemand vorbei – wenn auch zuweilen
einer, der nichts Gutes im Schilde führte.“

„Woher kommst du eigentlich wirklich, Candy?“ fragte Hoss

lächelnd. „Jedes Mal, wenn du danach gefragt wirst, tischst du
einem eine neue Geschichte auf.“

Candy lachte trocken und freudlos auf.

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„Ich komme aus der Gegend, wo es hart hergeht – überall her

komme ich, wo etwas los ist. Daher komme ich!“

„Und diese schwarze…“ spottete Joe.
Candy zuckte zusammen.
„Jedenfalls war ich froh, als Flipp mich endlich ablösen kam!

Jetzt bin ich auf dem Heimritt nach Ponderosa.“

„Und hier hast du angehalten, um auf eine schwarze Katze zu

schießen?“ bohrte Joe.

„Es war ein schwarzer Panther“, beharrte Candy. „Er kam aus

den Kiefern da hinten herangehuscht, lief mir gerade über den
Weg und verschwand dann hinten im Wald. So schnell wie
möglich riß ich das Gewehr hoch. Ich wollte ihn treffen oder
ihn wenigstens von meinem Weg verscheuchen… Schließlich
hatte ich keine Lust, einen riesigen Umweg zu machen!“

„Umweg? Was soll das heißen?“
„Wenn eine schwarze Katze über den Weg läuft…“
„Dann würdest du wirklich einen kilometerweiten Umweg

machen?“

„Aber klar?“ Candy schüttelte sich unwillkürlich. „Nichts

und niemand macht mir leicht Angst – außer einer schwarzen
Katze! Die bedeutet nämlich Schreckliches, Schlimmes –
vielleicht gar den Tod. Dort, woher ich komme, habe ich das
zu oft gesehen.“

„Laß doch die faulen Witze!“ rief Hoss aus. „Ich kann mir

einfach nicht vorstellen, daß du Angst vor einer schwarzen
Katze hast – nicht einmal vor einem Panther!“

„Vor irgend etwas hat doch jeder Angst!“ meinte Candy

düster. „Jedenfalls darfst du es mir ruhig glauben!“

„Blöder Aberglaube!“ fuhr Hoss auf. „Hast du etwa auch

Angst, unter einer Leiter hindurchzugehen, einen Spiegel zu
zerbrechen oder mit dem falschen Fuß aufzustehen?“

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„Natürlich nicht!“ Candy schüttelte den Kopf. „Mit solchem

Altweiberkram lasse ich mich nicht ein! Aber du kannst mir
ruhig glauben: Mit einer schwarzen Katze…“

„Nichts als Aberglaube! Du weißt doch, was Aberglaube ist?

Damit haben früher die Leute alles zu erklären versucht, was
sie nicht verstanden!“ Hoss machte ein kluges Gesicht.
„Heutzutage aber haben wir so etwas nicht nötig. Immerhin
stehen wir an der Schwelle eines ganz neuen Zeitalters, des
Jahrtausends der Naturwissenschaft! Mensch, was habe ich da
alles gelesen: Wir werden Sachen haben, wovon wir nie
geträumt hätten – Wagen ohne Pferde, die von Gas angetrieben
werden, das man aus schmutzigem Erdöl gewinnt; und
fliegende Apparate, die bis zu zweihundert Kilometer in der
Stunde schaffen…“

„Wer von uns beiden ist nun abergläubisch?“ lachte Candy.

„Ich glaube, daß schwarze Katzen Unglück bringen – weil ich
es erfahren und beobachtet habe. Aber hast du etwa schon
einen Menschen fliegen sehen, Hoss?“

Joe grinste breit.
„Das hat er alles in seinen neuen Büchern gelesen“, rief er

aus, „die er sich von einem Vertreter hat aufschwatzen lassen!“

Hoss fuhr zu ihm herum.
„Ich lasse mir nichts aufschwatzen, Brüderchen!“ sagte er.

„Ich kaufe nur, was ich will: Und die sechsbändige ,Moderne
Bibliothek des nützlichen Wissens’

habe ich gewollt!“

„Und warum hast du es gewollt, Hoss?“
„Um sie zu lesen!“ Mit unendlicher Geduld ließ sich Hoss

den Spott des Bruders gefallen. Immer war es so: Der Junge
konnte sich bei ihm Dinge erlauben, die er sich von jedem
andern ärgerlich verbeten hätte. Und mochten die beiden
Brüder auch zuweilen aneinandergeraten, so empfanden sie
füreinander doch herzliche Zuneigung. „Meinst du, ich hätte
Lust, so dumm zu bleiben, wie andere Leute es offenbar ihr

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Leben lang sein möchten? Der Verkäufer hat mich davon
überzeugt: Wenn man nur fünfzehn Minuten täglich liest, dann
dauert es nicht lange, bis man das ganze Wissen unserer Zeit
von ,Aal’ bis ,Zulukaffer’ beherrscht!“

Joe lachte noch immer.
„Der Kerl hat dich eingewickelt!“
„Mr. Penrose ist ein anständiger, ehrlicher Kerl! Ich finde,

daß jeder, der sich in die Wildnis hinauswagt, um dort Bücher
zu verkaufen – ja, der ist so etwas wie ein Missionar! Und das
war Penrose wirklich!“

„Ein Missionar!“ spottete Joe. „Hast du nicht gesehen, was

für einen lauernden Blick er hatte, Hoss?“

„Den hatte er nicht! Du hast Mr. Penrose ja überhaupt nicht

gesehen! Woher willst du dann wissen, was in seinen Augen
geschrieben stand?“

Aber Joe ließ sich nicht einschüchtern.
„Ich brauche ihn erst gar nicht zu sehen, Hoss!“ versicherte er

dem Bruder. „Um dir vierzig Dollar aus der Nase zu ziehen,
muß er jedenfalls ein ganz listiger, raffinierter Bursche sein!
Und deshalb hatte er einen gierigen Blick, basta! Aber du treue
Seele hast das überhaupt nicht bemerkt!“

Hoss ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
„Wozu verschwende ich eigentlich meine Zeit mit dir?“

fragte er gutmütig. „Candy hat Angst vor schwarzen Katzen,
und du hast noch nie einen Buchstaben gelesen! Jedenfalls sind
die Bücher prima. Mensch, ich habe da schon allerlei
Erstaunliches gelernt – z. B. aus dem alten China. Aber du
Schlaumeier hast natürlich keine Ahnung davon, daß die
Chinesen schon vor zweitausend Jahren bei ihren Schlachten
Feuerdrachen eingesetzt haben!“

„Was sind denn Feuerdrachen?“ fragte Joe, indem er Candy

zublinzelte.

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„Lies nur mein Buch, kleiner Joe, dann wirst du schon

dahinterkommen!“ empfahl Hoss ihm in überlegenem Ton.

„Reitet ihr nun mit mir?“ fragte Candy, während er besorgt

zu dem Waldrand hinüberschaute, wo der schwarze Panther
verschwunden war.

„Nein“, erwiderte Joe kopfschüttelnd. „Wir müssen beinahe

noch eine ganze Woche lang unterwegs sein, um die
Südgrenze abzureiten. Wenn es dir zu Hause langweilig wird,
kannst du dich ja ein bißchen mit Hoss’ neuen Büchern
beschäftigen!“

Candy grinste breit.
„Laß nur, Hoss, ich bin ganz deiner Meinung!“ meinte er.

„Bücher sind etwas Feines. Und Wissen ist eben besser als
Aberglaube! Trotzdem mußt du mir glauben, daß schwarze
Katzen auf einem andern Blatt stehen! Wenn ich eine schwarze
Katze sehe, dann weiß ich genau, daß Unheil im Anzug ist!“


Genau in demselben Augenblick mischte sich ein anderes
Mitglied jener so übel beleumundeten Familie der schwarzen
Katzen in die Angelegenheit der Menschen. Es war in Virginia
City, wo ein neues düsteres Blatt im Register der
Katzensünden aufgeschlagen wurde.

Der Kater Tom, ein verwilderter, verlauster Herumtreiber,

streunte durch die Straßen von Virginia City, fing Ratten und
Mäuse, wühlte im Müll, fauchte die Hunde an und entzog sich
allen Verfolgungen der Bewohner höchst geschickt und flink.

Tom lebte gefährlich, aber keineswegs schlecht. Manche

Narbe und Schramme durchzog sein struppiges Fell, aber er
war sein eigener Herr, und seine grünen Augen funkelten vor
Mißtrauen und Verachtung gegenüber allem Menschlichen.

An diesem Morgen fuhr er heftig aus dem Sonnenbad, dem er

sich auf dem schrägen Dach der Nationalbank von Virginia

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City dösend hingegeben hatte. Was ihn auffahren ließ, war
Hundegebell, Menschengebrüll, wildes Geschieße und
schrilles Pferdewiehern.

Tom fauchte zunächst einmal, wie er es in solchen

Situationen zu tun pflegte, und duckte sich dann zum Sprung.
Da er aber noch nicht genau wußte, welche Richtung er
einzuschlagen hatte, kroch er erst einmal an den Rand des
Daches.

Unter ihm rannten drei Männer vorbei. Sie fuchtelten mit

Gewehren und Pistolen, und es klapperte und polterte ganz
gefährlich.

Der Instinkt sagte Tom, daß so plötzliches Knallen von

Feuerwaffen stets höchste Gefahr bedeutete. So kreischte er
erschrocken und mischte seine verzweifelte Stimme in das
allgemeine Gelärme. Mit gesträubten Haaren und weit
ausgestreckten Krallen sprang er los.

Er landete mitten unter drei Männern, die sich gerade in die

Sättel schwangen und, so jäh erschreckt, befürchten mußten,
daß alle ihre Bemühungen vergeblich bleiben würden.

Schnell aber wurden sie sich klar darüber, daß nur eine

struppige Katze und kein unbekanntes Geschoß zwischen sie
gefallen war. Sofort faßten sie sich wieder und rissen ihre
Pferde herum.

Tom war einem der Pferde auf den Kopf gefallen. Der Gaul

wieherte kreischend und stieg auf den Hinterbeinen empor,
doch es gelang dem Reiter, dem Pferd den Kopf
niederzudrücken. Gleichzeitig versetzte er ihm einen Hieb mit
der Reitpeitsche.

Der dritte Reiter hielt das Gewehr angelegt und schoß auf

alles, was sich hinter ihnen bewegte. Darum wagte sich
niemand näher heran, und auch das Personal der Bank blieb in
seinen Geschäftsräumen.

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Kater Tom hatte mit seiner Heldentat einige Verwirrung

gestiftet; die Banditen verloren ein paar Sekunden. Sie
genügten den eben noch völlig verdutzten Stadtleuten, um ihre
Fassung wiederzugewinnen.

Aber es war zu spät!
Die Banditen spornten ihre Pferde zum Galopp an. Zwar

schoß ein Mann mit dem Gewehr hinter ihnen her, aber
unangefochten kamen sie an der weißen Kirche vorbei und aus
der Stadt hinaus.

Old Tom floh, kreischend und fauchend, mit gesträubtem Fell

in entgegengesetzter Richtung. Erst in der Nähe des Hotels,
weiter als hundert Meter von der Bank entfernt, beruhigte er
sich ein wenig.

Gerade da kam Ben Cartwright über die Veranda des Hotels

und die Stufen herunter. Ben war nicht mehr der Allerjüngste,
aber man sah ihm seine fünfundvierzig Jahre nicht an, und alle
seine Bewegungen erinnerten eher an einen stürmischen
Jungen. Er genoß überall großes Vertrauen.

Nur einen kurzen Blick warf Ben auf den struppigen Kater,

der an seinen Stiefeln vorbeistrich und dann in der Dunkelheit
unter der Veranda Sicherheit suchte.

Erst als Ben schon auf der Straße war, fiel ihm ein, daß er

überhaupt keine Waffe bei sich hatte. ‘Fassungslos schaute er
zur Bank hinüber, von wo Schüsse, Entsetzensschreie und
Hilferufe herübertönten.

Wieder kam jemand die Hotelstufen herunter. Es war Elliot

Clymer, ein Mann in Bens Alter, aber beleibter, weichlicher
und stets elegant gekleidet. Er packte Ben beim Arm.

„Du hast doch keine Waffe, Ben!“ warnte er. „Halte dich

zurück. Du kannst doch nichts mehr tun!“

Ben schaute ihn ungehalten an.
„Ich denke, auch du hast Geld in der Bank, Elliot…
„Dafür lasse ich mich noch lange nicht totschießen!“

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Ben würdigte den andern keines weiteren Wortes und ging in

langen Schritten auf die Bank zu. Ringsum sah er aufgeregte
Weiber und wütende Männer.

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Vor dem Zusammenbruch



Sheriff Roy Coffee kam herbeigelaufen. Der nicht mehr junge,
grauhaarige Hüter des Gesetzes, hager von dem schweren
Dienst, den er für geringen Lohn hatte leisten müssen, von
Leid und Sorge abgehärmt, verlor nicht die Ruhe.

Ungeduldig drangen die Leute in ihn, stellten Fragen,

verlangten Antwort. Obwohl er selbst erheblich weniger
gesehen hatte als alle die Leute auf der Straße, glaubte man
offenbar, der Sheriff-Stern mache ihn allwissend.

Der Sheriff ließ sich nicht stören. Er wußte, was er zu tun

hatte, und verlor keine Zeit. Wenig später war ein Aufgebot
von Männern zusammengestellt, das die Banditen verfolgen
sollte. Auch ein Anführer war sehr schnell bestimmt. Aber die
Männer brauchten Proviant und Ausrüstung! Durch kurze
Anweisungen organisierte der Sheriff auch ihre Versorgung.

Dann teilte er das gesamte Aufgebot in vier Gruppen ein.
„Zwar sind die Kerls nach Norden geritten, jedoch liegt das

Gebirge mit den Canons, in dienen sie Verstecke finden
könnten, im Westen!“ überlegte er laut. „Vielleicht also biegen
sie ab. Vielleicht aber reiten sie geradeaus und suchen
möglichst schnell das Wüstengelände hinter sich zu bringen.
Wir dürfen, keine Möglichkeit außer acht lassen und müssen
ihnen sämtliche Fluchtwege abschneiden!“

Ben hielt sich abseits von der aufgeregten Menge, während

der Sheriff die Verfolgung einleitete. Als Ben sich umschaute,
sah er den Bankvorsteher allein unter dem Vordach des
Gebäudes stehen. Der schlanke, eisgraue Mann mit der
randlosen Brille, in Gehrock und dunkle Hosen gekleidet,

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schaute mit leerem Blick über die Menschenansammlung
hinweg.

Ben ging auf ihn zu, und Elliot Clymer folgte ihm.
„Guten Tag, Mel!“ begrüßte ihn Ben teilnahmsvoll. „Kann

ich dir irgendwie helfen?“

„Mir kann niemand helfen!“ fuhr Mel Poynter auf. Dann

schüttelte er sich, als erwache er aus einem Alptraum.

Düster ließ er den Blick von Ben zu Elliot wandern. Dann

schüttelte er noch einmal den Kopf und winkte den beiden, sie
möchten ihm folgen.

Während er durch den Schalterraum ging, in dem es jetzt leer

und still war, zitterte er erneut am ganzen Leibe, und seine
Schultern zuckten. Mühsam schleppte er sich zu seinem mit
einem Rolladen verschlossenen Schreibtisch und ließ sich in
den Sessel sinken. Dann winkte er Ben und Clymer, ebenfalls
Platz zu nehmen.

„Ich will weder mir noch euch etwas vormachen!“ stöhnte er.

„Unsere Bank ist bankrott – ich wüßte nicht, wie wir sie noch
weiter geöffnet halten könnten. Es gibt keine Möglichkeit,
unsere Teilhaber und Kontoinhaber auszuzahlen.“

„Warum denn nicht?“ fragte Ben gespannt, während er sich

leicht vorneigte.

Elliot Clymer aber blieb ganz ruhig. Offenbar ungerührt,

kaum betroffen, saß er in seinem Sessel und betrachtete die
beiden anderen Männer. Seine Gelassenheit war
bewundernswert, denn er besaß viel Land und zwei der
ergiebigsten Minen der Gegend, und deshalb mußten seine
Interessen mit denen der Bank eng verflochten sein.

Mel Poynter schaute über Ben und Clymer hinweg, um sich

zu vergewissern, daß niemand ihnen zuhörte.

Von draußen her tönte Stimmengewirr, hier drinnen in der

Schalterhalle aber war Stille.

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„Unser Gold!“ flüsterte Mel gepreßt. „Sie haben all unsere

Goldreserven mitgenommen.“

„Kannst du denn keinen Kredit aufnehmen, um

Schwierigkeiten zu überbrücken?“ fragte Ben.

„Wer wird mir einen Kredit geben?“ fragte der Bankier bitter,

indem er hilflos die Arme ausbreitete. „Du etwa. Ben? All dein
Vermögen liegt doch in dieser Bank fest!“

„Wie wäre es mit Clymer?“ schlug Ben vor.
„Ich kann auch nicht helfen!“ wehrte Elliot Clymer

achselzuckend ab. „Leider wird mir diesmal nichts anderes
übrigbleiben, als der Schließung der Bank tatenlos
zuzuschauen.“

„Was soll das heißen?“ fuhr Ben auf. „Dadurch würden alle

Leute unserer, Stadt ruiniert!“

Ruhig betrachtete Clymer seine Zigarre.
„Du bist offenbar zu aufgeregt, Ben, als daß du noch daran

dächtest, welche schlimmen Zeiten diese Bank schon hinter
sich hat!“ sagte er. „Nun sind die Reserven endgültig
verbraucht, und weder der Staat noch der Bund kommen uns
zur Hilfe!“

„Wir haben die Bank noch immer gestützt“, beharrte Ben.

„Mit all unserem Vermögen sind wir für sie eingetreten. Auch
diesmal – werden wir es tun müssen.“

Clymer schüttelte den Kopf.
„Du siehst die Dinge nicht ganz richtig, Ben!“ meinte er kalt.

„Erinnerst du dich, daß ich im vergangenen Jahr der Bank mit
einem großen Darlehen unter die Arme gegriffen habe?“

„Das weiß ich“, bestätigte Ben. „Ich habe den Vertrag mit

Mel zusammen unterschrieben.“

„Dabei handelte es sich um einen Sichtwechsel!“ erinnerte

Clymer. „Der Betrag war in mehreren gleichbleibenden Raten
zurückzuzahlen – und zwar in Gold!“

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„Das ist doch nichts Besonderes!“ erwiderte Ben. „Alle

unsere Banken pflegen ihre Goldreserven für solche und
ähnliche Zwecke zu verwenden, für Sicherheitsleistungen,
Garantien und so weiter.“

„Sehr richtig“, nickte Clymer. „Und heute bin ich in die Stadt

gekommen, um über die Auszahlung zu sprechen. Auf einer
Sitzung heute früh ist über die Einlösung meines Wechsels
beraten worden.“

Ben starrte Clymer fassungslos an.
„Aber nach dem, was inzwischen vorgefallen ist, wirst du

doch nicht auf der Auszahlung bestehen!“

„Leider habe ich eigene Verpflichtungen, Ben, und brauche

Bargeld – oder Gold!“ erklärte Clymer. „Du wirst nicht
verlangen, daß ich mich selbst und meine eigenen Geschäfte
gefährde…“

„Aber dieser Bankraub ist doch höhere Gewalt, er bringt die

Bank unvorhergesehen in Schwierigkeiten!“ beharrte Ben. „So
etwas wirst du doch nicht ausnützen wollen!“

„Es handelt sich um einen Wechsel, Ben!“ erklärte Clymer

seelenruhig. „Entweder erhalte ich heute den fälligen Betrag,
oder ich darf auf der Stelle den gesamten Wechselbetrag
einklagen. Und das werde ich tun! Denn ich befinde mich
leider in einer Lage, in der mir nichts anderes übrig bleibt!“

„Aber damit würdest du die Bank ruinieren, die Stadt – ja,

den ganzen Kreis, Elliot!“ drang Ben ruhig, aber mahnend in
ihn.

Clymer schüttelte den Kopf.
„Ich kann nicht anders!“ versicherte er. „Geschäft ist

Geschäft, dabei darf man nicht sentimental werden. Sogar
Freundschaft und Staatstreue haben sich unterzuordnen.
Entweder zahlt die Bank den fälligen Betrag in Gold aus, oder
ich erhebe Wechselklage!“

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„Aber damit würdest du doch auch uns ruinieren!“ rief Ben

aus. „Wir haften schließlich mit unserem Besitz!“

„Sehr richtig!“ Clymer zuckte die Achseln. „Schließlich seid

ihr durch eure Einlagen Teilhaber der Bank geworden und
haftet mit all euerm Eigentum! Und ich verlange Auszahlung!“

Fassungslos und ungläubig starrte Ben ihn an.
„Wie lange Zeit haben wir?“ fragte er Poynter.
„Der Wechsel ist am Freitag fällig“, erwiderte der

Bankvorsteher. „In drei Tagen also, Ben!“

„Du mußt uns etwas mehr Zeit geben, Elliot!“ beharrte Ben.

„Wenn ich zum Beispiel ein Viehtreiben auf meinen Weiden
veranstalten kann, bringe ich womöglich einige Jungtiere
zusammen, die ich zum Mästen verkaufen kann.“

„Nur ruhig, Ben!“ Elliot lächelte eisig. „Ist dir denn nicht

klar, daß du über dein Vieh gar nicht selbst verfügen kannst?
All dein Eigentum ist der Bank als Sicherheit verpfändet. Kein
einziger Kuhschwanz gehört dir mehr!“

„Schrecklich, Ben!“ flüsterte Poynter. „Es tut mir ganz

fürchterlich leid.“

Ben sackte in seinem Stuhl zusammen. Wortlos starrte er

Elliot Clymer an. Die Stille in der dämmerigen Schalterhalle
der Bank wirkte bedrückender als der Lärm draußen.

„Geschäft ist Geschäft, Ben!“ sagte Clymer nach einiger Zeit

von neuem. „Die Lage ist in der Tat scheußlich, das gebe ich
zu. Aber wenn ich die Möglichkeit habe, eine Ranch wie deine
Ponderosa an mich zu ziehen – warum sollte ich die
Gelegenheit nicht beim Schopfe packen? Wenn du dich einmal
in meine Lage versetzt, kannst du mir keinen Vorwurf daraus
machen.“

Ben schüttelte wortlos den Kopf. Nur ein Muskel zuckte an

seiner rechten Wange.

Clymer lächelte kalt.

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„Nur zu, mein Junge!“ forderte er heraus. „Sage ruhig, was

du auf der Leber hast!“

„Im Augenblick sage ich lieber überhaupt nichts“, erwiderte

Ben leise. „Womöglich würdest du sonst den Revolver
ziehen!“

Das Lächeln blieb in Clymers Gesicht.
„Dann will ich dir sagen, was du denkst!“ sagte er. „Du

meinst, womöglich hätte ich selbst den Bankraub gerade in
dem Augenblick eingefädelt, wo eine so große Zahlung fällig
war!“ Er schüttelte den Kopf. „Aber nein, Ben: Denke von mir
so schlecht, wie du willst: Diesen Raub habe ich jedenfalls
nicht angestiftet. Dazu wäre ich nicht fähig. Aber die mir
dadurch gebotene günstige Gelegenheit kann ich nicht
ungenutzt verstreichen lassen!“

„Schon gut!“ Ben erhob sich müde und nickte den beiden

Männern kurz zu. In seinem Kopf wirbelte es, und er wußte
vor Sorgen und Not nicht mehr ein und aus. Es Wollte ihm
einfach nicht in den Köpf, daß seine ganze Lebensarbeit
vergeblich gewesen war und ihm all ihre Früchte geraubt
werden sollten.

Bedrückt durchschritt er den Vorraum der Bank. Draußen auf

der Veranda trat ihm der Sheriff in den Weg und legte ihm eine
Hand auf die Schulter.

Ben starrte ihn an, ohne ihn richtig zu sehen. Nur ein

Gedanke füllte ihn aus: Wie würde er diese sehr schlimme
Lage meistern können? Noch gab er sich nicht geschlagen. Er
war im Laufe seines Lebens schon mit manchem Gegner fertig
geworden – allerdings hatte es noch niemals so übel für ihn
ausgesehen. Dies war ein Verhängnis, das unabwendbar zu
sein schien.

Er brauchte Zeit, um den Fall zu überlegen. Aber diese Zeit

hatte er nicht!

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„Ich habe etwas gefunden, Ben!“ berichtete Sheriff Coffee.

„Es muß herausgefallen sein, als das Pferd hochging, weil der
schwarze Kater ihm auf den Kopf gesprungen war. Sieh mal:
eine genaue Skizze der Bank – und hier ist deutlich der
Panzerschrank eingetragen, in dem sich die Goldreserven
befanden.“

Ben nahm den Zettel in die Hand. Wie durch wallende Nebel

betrachtete er das Papier, das vor seinen Augen schwankte.
Tatsächlich, es war eine Zeichnung der Bank – eine so
vorzügliche Zeichnung, wie man sie nur von Architekten zu
sehen bekommt.

„Und das hier habe ich auch gefunden!“ Sheriff Coffee

reichte dem Rancher ein kleines Stückchen Pappe. „Eine
Fahrkarte nach Denver. Was hältst du davon, Ben?“

Einen Augenblick lang starrte Ben den Sheriff an.
„Was ich davon halte?“ antwortete er dann tonlos. „Wir sind

ruiniert!“

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Der Weg zum Abgrund



An den folgenden beiden Tagen war Ben nicht müßig. Rastlos
bewegte er sich auf seiner Ranch Ponderosa, gereizt wie ein
Löwe, der sich von Jägern umstellt sieht.

Angestrengt überlegte er, ob es nicht doch einen Weg gab,

seine Ranch zu retten. Noch gab er sich nicht geschlagen.

Zunächst einmal stellte er dem Sheriff für die

Verfolgungsaufgebote einige seiner Männer zur Verfügung,
mehr, als vielleicht klug war. Das Land wurde weithin
durchgekämmt.

Candy mußte immer wieder zur Telegraphenstation reiten.

Aber alle Bitten wurden abschlägig beschieden. Niemand hatte
Lust zu helfen.

Noch am Abend, bis spät in die Nacht hinein, stapfte Ben in

seinem Haus auf und ab. Oft genug überraschte ihn die
Morgendämmerung. Und wenn er sich endlich ins Bett sinken
ließ, fuhr er bald unter eiskaltem Schweißausbruch wieder auf.

In der ersten Nacht war Candy gegen drei Uhr hereingestürmt

und hatte aufgeregt an die Schlafzimmertür geklopft.

„Zwei Pferde sind gestohlen worden, Mr. Cartwright!“
Ben öffnete die Tür und starrte den Jungen stirnrunzelnd an.
„Es war mir klar, daß zu wenig Wächter bei mir

zurückbleiben würden, wenn ich so viele Reiter dem Sheriff
helfen ließ!“ murmelte er. „Aber das soll mich jetzt nicht
kümmern. Sattle uns sofort zwei Pferde!“

„Sie sind gesattelt und warten draußen!“ rief der Junge

lebhaft.

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Bei der Nachtfinsternis waren kaum Spuren zu verfolgen, und

zu jeder andern Zeit hätte Ben überhaupt nicht daran gedacht,
auf der Stelle loszureiten. Aber jetzt mußte er irgend etwas tun.

Immerhin war es besser, wenn man ritt – als wenn man

nachdachte und immer nur die gleichen verzweifelten
Gedanken in seinem Hirn wälzte.

Eine Stunde lang mochten sie geritten sein, als sie zu der

rauchenden Asche eines Lagerfeuers kamen.

„Meinen Sie, es wären die Bankräuber gewesen?“ fragte

Candy.

Ben ballte die Fäuste. Wie wohl wäre ihm gewesen, wenn er

diese Kerls jetzt hätte packen können! Aber die Vernunft
gewann doch die Oberhand, und er schüttelte den Kopf.

„Räuber bleiben niemals in der Gegend, die die Leute des

Sheriffs durchstöbern!“ meinte er. „Sicherlich waren es
Landstreicher.“

„Kehren wir um?“
Es schien, als habe Ben ihn überhaupt nicht gehört.

Schweigend kletterte er wieder in den Sattel und ritt auf dem
Pfad weiter. Sorgenvoll lenkte Candy sein Pferd hinter ihm
her.

Noch vor der Morgendämmerung brach peitschend ein kalter

Regen über sie herein. Die Pferde begannen zu taumeln und
waren offenbar am Rande ihrer Kraft. Ben winkte zur Umkehr.

Durchnäßt und frierend hockte er zusammengesunken im

Sattel. Wind und Regen preßten ihm die Hutkrempe ins
Gesicht, und eisige Wassertropfen rannen ihm in den Kragen.
Er fühlte sich dem Zusammenbruch und dem Ende nahe.
Dennoch blieb er zum Kampf entschlossen. Er durfte seine
Sache nicht aufgeben.

„Es tut mir schrecklich leid, Mr. Cartwright, daß Sie

Schwierigkeiten haben!“ brachte Candy schließlich hervor.

„Was für Schwierigkeiten?“

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„Nun, Sie verlieren doch vielleicht Ponderosa, wenn die

Bank zusammenkracht!“

„Woher weißt du denn das?“
„Das reden die Leute, Mr. Cartwright!“
Ben nickte. Nach kurzem Überlegen ballte er die Fäuste um

die Zügelleine.

„Wir wollen Hoss und Joe nichts davon sagen, Candy!“ sagte

er mit gepreßter Stimme. „Wenigstens jetzt noch nicht!“

„Abgemacht, Mr. Cartwright!“
Ben versuchte zu lächeln.
„Auf dem Weg zum Abgrund soll man sich nicht beeilen,

Candy.“


Joe beugte sich im Sattel nach vorn und starrte auf den
schroffen, zerrissenen, von der Sommersonne ausgedörrten
Boden.

„Hier sehe ich keine Spuren mehr, Hoss!“ rief er dem Bruder

zu, während er sich wieder aufrichtete.

Das ewige Ausharren in der Südhütte und ewige Herumreiten

auf der Suche nach versprengten Tieren hing ihm zum Halse
heraus. Hin und wieder hörte er etwas von den Männern, die
das Land nach den Verbrechern absuchten. Eines Tages war
Candy zu ihnen gekommen und hatte ausführlich von dem
Bankraub erzählt. Er hatte geschlossen:

„Euer Vater läßt euch sagen, ihr solltet bei eurer Arbeit

bleiben und die Suche nach den Banditen den Leuten des
Sheriffs überlassen! Übrigens ist euer Vater nicht
ausgesprochen bester Laune; deshalb würde ich euch
empfehlen, zu gehorchen, ohne lange zu fragen!“

Also waren Hoss und Joe weiterhin die Grenzen ihres

Gebietes abgeritten und hatten versprengte Tiere gesucht.

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„Eigentlich müßten wir doch Spuren finden“, meinte Hoss

stirnrunzelnd. „Schließlich verschwinden Rinder nicht spurlos
– schon gar nicht am hellichten Tage!“

Fragend und verdutzt schaute er über die mit struppigem

Gehölz und hartem Gras bewachsene Ebene. Die heiße Luft
flimmerte, und in der Ferne kreiste ein Vogel am wolkenlosen
Himmel.

„Irgendwo müssen die Viecher doch sein!“ stöhnte Hoss.
„Irgendwo!“ nickte Joe, während er mit ausgestrecktem Arm

in die weite Runde deutete. „Es ist nur noch eine Frage der
Zeit, bis auch du wirst zugeben müssen, daß dir jemand Vaters
beste Rinder unter der Nase weggestohlen hat. Immerhin ist
deine Nase ja nicht die kleinste!“

„Unsinn!“ fuhr Hoss auf. „Die Kühe sind nicht gestohlen

worden! Ich wette meinen Hut…“

„Das ist ein ungesetzlich hoher Einsatz!“ lachte Joe. „Aber

meinetwegen!“

„Nicht einmal ein Indianer würde mir so etwas antun, ohne

irgendwelche Spuren zu hinterlassen! Ich würde etwas
finden… Und wenn es ein Vogel wäre!“

Joe lachte. „Was haben denn die Vögel damit zu tun?“
„Das weißt du doch ganz genau!“ antwortete der Bruder.

„Dem Verhalten der Vögel siehst du an, wenn etwas nicht in
Ordnung ist. Soll ich dir sagen, was dafür spricht, daß die
Rinder davongelaufen sind und daß niemand sie weggetrieben
hat? Zweifellos hast doch auch du heute am ganzen Tag keine
Abdrücke von Pferdehufen gesehen – außer unseren eigenen!“

Er glitt vom Pferderücken. Nach dem langen Sitzen im Sattel

war er nicht mehr sehr sicher auf den Beinen. Angestrengt
starrte er auf den Boden.

„Hier!“ Triumphierend schaute er den Bruder an. „Zeichen!

Und Spuren. Sie führen…“ Er hielt sich die Hand über die
Augen und schaute zu einem Kieferngehölz hinüber, das sich

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zu Füßen eines Berges hinzog. „Ich wette, daß wir die Tiere
dort finden!“

Damit ging er los.
„Wenn Rinder davonlaufen“, meinte Joe, „dann suchen sie

Wasser! Steht das nicht in deinen neuen Büchern, Hoss?“

Dennoch folgte er Hoss den Hang hinauf. Zunächst gab es

nur wenig Unterholz, weiter oben aber wuchsen zwischen den
Kiefern immer mehr dichte Büsche.

„Einmal durchqueren wir das Wäldchen“, meinte Joe, „dann

aber kehren wir um! Mein Magen muß ja schon denken,
jemand hätte mir die Kehle durchschnitten. Ich habe solchen
Hunger, daß mir sogar deine Küche schmecken könnte!“

Wortlos führte Hoss sein Pferd auf eine kleine Lichtung

zwischen verkrüppelten Fichten. Nachdem er eine Weile
erfolglos herumgesucht hatte, schwang er sich wieder in den
Sattel. Dabei geriet sein Stiefel in einen dürren Busch, und es
knackte laut. Ganz plötzlich knallte es. Aus einem Felsennest
über ihnen wurde geschossen. Flink suchten Hoss und Joe
Deckung. Sicher galten diese Schüsse ihnen.

Joe zog seinen Colt und suchte im Dickicht ein Ziel zu

erkennen.

„Gibst du jetzt zu, daß es doch Viehdiebe sein können?“

flüsterte er.

Als sie sich gedeckt fühlten, banden sie ihre Pferde an

Baumwurzeln fest.

„Ich dachte, du spürtest eine Gefahr stets rechtzeitig an

verdächtigen Zeichen“, flüsterte Joe, indem er angestrengt
zwischen den Felsbrocken und Krüppelkiefern nach dem Feind
spähte. „Ich allerdings habe keinen Vogel gesehen, der uns
durch sein Aufsteigen gewarnt hätte.“

„Du hast eben nicht aufgepaßt.“

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Joe verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen.

„Allerdings muß ich zugeben, daß ich nicht nach Vögeln
ausgeschaut habe!“

Bedächtig zog Hoss das Gewehr aus der Halterung im Sattel.

Mitten in einem Busch nahm er Deckung und wartete
gespannt.

Nichts rührte sich. Stirnrunzelnd spähte Hoss nach den

Felsen, während der Finger am Abzug des Gewehres lag.

Den Revolver in der Hand, schob sich Joe vorsichtig bis

hinter eine zerzauste Kiefer, die ihm Schutz gewährte. Hoss
kam vorsichtig hinterhergekrochen. Er ließ dabei die Felsen
keine Sekunde aus den Augen.

Plötzlich schoß Joe. Die Kugel streifte einen Felsgrat.
Ihm wurde sofort geantwortet. Zwischen den Felsen krachte

ein Schuß, und die Kugel fuhr dicht an Hoss’

hohem Hut

vorbei. Unwillkürlich preßte er das Gesicht auf den Boden.

Noch einmal feuerte Joe zu den Felsen hinüber. Plötzlich

sprang er auf und rannte auf einen Felsblock zu. Kaum hatte er
sich dahinter geduckt, da feuerte der Schütze von oben wieder.
Joe und Hoss tauschten erstaunte Blicke. Warum waren die
letzten Schüsse so seltsam ungezielt? Noch einmal krachte es
zwischen den Felsen, und das Geschoß flog so hoch, als wäre
es in den Himmel gezielt.

Und dann wurde es ganz still.
Stirnrunzelnd schaute Joe seinen Bruder an.
Hoss richtete sich auf. Kein Schuß fiel mehr. Hoss fuhr sich

mit der Hand über das verschwitzte Gesicht.

Nach einer Weile gespannter Wachsamkeit rannte Joe um

den Felsblock herum und stürmte den Hang hinauf. Mit vier
gewaltigen Schritten war er oben und warf sich dann in das
Geröll aus Lava und Schiefer, das so spitzig und hart war wie
ein Nagelbrett.

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Polternd rutschten Steine unter seinen Füßen weg und rollten

bergab. Mit angehaltenem Atem spähte Hoss hinauf, um dem
Bruder Feuerschutz zu geben, sobald sich der Gegner erneut
bemerkbar machte. Nach einer Weile sprang auch er auf und
rannte vorwärts. Dabei bot er ein gutes Ziel, zumal er längst
nicht so schnell war wie sein Bruder Joe. Aber auch er
erreichte den Felsblock unbehelligt und preßte sich dagegen.
Noch immer blieb es über ihnen still.

„Ob das etwa eine Falle ist?“ flüsterte Hoss ihm zu. „Oder ist

der Kerl davongelaufen?“

Joe schüttelte den Kopf.
„Nein, dann hätten wir ihn sehen müssen!“ versicherte er.

„Auf keinen Fall hat er das Felsennest verlassen.“

„Was sollen wir nun tun?“
„Eigentlich sollten wir zum Essen heimkehren!“ sagte Joe.

„Aber vorher verscheuche ich den Burschen! Darauf kannst du
dich verlassen!“

„Halt mal, kleiner Bruder!“ Hoss packte Joe fest beim Arm.

„Das ist meine Sache! Falls wirklich jemand die Rinder
gestohlen hat, so war es meine Schuld…“

„Und wenn der Kerl nur so gut schießen kann, daß er eine

Bergwand aus hundert Meter Entfernung trifft, großer Bruder
Hoss“, grinste Joe, „dann wird er die Möglichkeit haben, dich
in aller Ruhe abzuknallen! Du bist viel zu langsam; ich werde
erheblich flinker oben sein als du!“

Hoss nickte.
„Meinetwegen!“ gab er zu. „Ich passe auf. Sobald der

Bursche sich rührt, schieße ich.“

Joe lachte. „Nur bitte nicht auf mich!“ Wieder verzog er

spöttisch das Gesicht. „Allerdings wäre ich, wenn du auf mich
zielst, vielleicht am allersichersten!“

Entschlossen glitt er hinter dem Felsblock hervor und huschte

zur nächsten Deckung.

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Hoss starrte hinter ihm her. Er hörte das Geröll prasseln, sah

Joe aber nur hin und wieder für einen Augenblick.

Eine wahre Ewigkeit lang blieb es dann völlig still. Endlich

aber tönte von oben Joes Stimme. Sie klang aufgeregt.

„Komm sofort herauf, Hoss!“
Mit schußbereitem Gewehr rannte Hoss den Hang hinauf und

zwängte sich schließlich zwischen zwei eng stehenden Klippen
hindurch. Hinter dem Spalt sah er seinen Bruder. Breitbeinig
stand Joe da, den Hut weit in den Nacken geschoben, den
Revolver gesenkt.

Betroffen blieb Hoss neben ihm stehen. Lange sagte keiner

der beiden Brüder ein Wort. Sie starrten auf den Mann, der
rücklings auf dem Geröll lag.

„Er ist erschossen worden!“ flüsterte Joe. „Der Schuß hat ihn

in die Brust getroffen.“ Er schüttelte den Kopf. „Es war nicht
einer unserer Schüsse… Sieh nur, das Blut auf dem Hemd ist
schon trocken.“

Hoss brachte kein Wort hervor, und Joe kniete nach kurzem

Zögern neben dem Mann nieder.

Es war ein schlanker, hagerer Mann in derber Kleidung, um

den Kragen des weißen Hemdes hatte er eine schmale Schleife
geschlungen. Der rechte Arm war über den Kopf geworfen,
und die Hand im Geröll rührte sich nicht. Daneben lag ein
Revolver.

„Das ist keiner von hier!“ murmelte Joe. „Es ist ein

Greenhorn, einer aus der Stadt!“ Er nahm die Waffe in die
Hand und stellte fest, daß alle Kugeln verschossen waren.
„Kein Wunder, daß seine letzten Schüsse senkrecht in die Luft
gingen. Er hat weitergeschossen, während er rückwärts
zusammenbrach.“

Hoss schwieg so beharrlich, daß Joe verdutzt den Kopf hob

und ihn anstarrte.

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„Was ist denn los, Hoss?“ rief er und riß die Augen weit auf.

„Ist dir schlecht? Willst du umfallen?“

Hoss schüttelte den Kopf.
„Nein!“ flüsterte er. „Aber das ist Mr. Penrose, mein Freund

– der Buchverkäufer! Und er lebt noch!“

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Die Wurzel des Übels



„Der Buchverkäufer?“ verblüfft starrte Joe seinen Bruder an.
„Aber warum hätte er denn auf uns schießen sollen? Immerhin
hat er doch an dir viel Geld verdient, nicht wahr?“

Hoss schaute düster vor sich hin.
„Armer Kerl!“ murmelte er dann. „Ich möchte nur wissen,

was er hier in dieser trostlosen Einöde zu suchen hatte.“

„Das kann ich mir auch nicht denken“, meinte Joe. „Auf

jeden Fall hat er etwas gefunden: den Tod. Denn ganz
bestimmt kommt er nicht lebend davon!“ Er legte dem Mann
die Hand auf die schmale Brust. „Das Herz schlägt kaum noch.
Und er ist schon ganz kalt.“

„Hier in der Einöde!“ wiederholte Hoss. „Meilenweit von der

nächsten Straße entfernt. Ich begreife das nicht!“ Er ließ den
Blick über die unwirtliche Landschaft schweifen.

„Wir müssen ihn von hier fortbringen!“ schlug Joe vor.

„Wenn wir nicht sein Leben retten, hast du überhaupt keine
Chance mehr, das viele Geld für die Bücher über unnützes
Wissen wiederzubekommen!“

„Nützliches Wissen!“ berichtigte Hoss. „Ich schneide ein

paar dünne Stämme ab, damit wir eine Bahre flechten
können.“

Mit diesen Worten drängte er sich wieder durch den Felsspalt

und machte sich daran, mit dem Jagdmesser ein paar kräftige
Gerten zu schneiden. Plötzlich horchte er auf: Gar nicht weit,
ein Stück oberhalb zwischen dem Geröll, erklang das
jammernde Muhen von Rindern.

Hoss’ Gesicht leuchtete auf. Nun hatten sie also ihr Vieh

noch obendrein gefunden!

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Die blöden Tiere hatten sich hier im Felsland verirrt und

hockten nun sehr ängstlich und hilflos irgendwo in der Einöde.

„Ich komme zu euch, ihr Viehzeug!“ rief er böse. „Aber ihr

müßt noch ein bißchen warten!“

Zunächst ging Hoss mit den beiden fast drei Meter langen

Stangen zu der Stelle zurück, wo Joe neben dem verwundeten
Buchhändler kniete.

„Kommt er zu sich?“ fragte er.
Joe schüttelte den Kopf.
„Er hat eine sehr tiefe, häßlich gerissene Wunde an der Seite.

Und die Kugel steckt noch in ihm. Ein Wunder, daß er
überhaupt noch lebt: Er hat schrecklich viel Blut verloren.“

„Wir müssen den armen Kerl schnell zu einem Arzt bringen!“
„So weit kommen wir nicht mehr mit ihm!“ Joe stand auf,

schüttelte den Kopf und schaute den Bruder nachdenklich an.
Warum war der Buchhändler bloß erschossen worden?
überlegte er. Und warum hatte er versucht, Hoss und ihn selbst
aus dem Hinterhalt zu erschießen? „Penrose muß doch hierher
geritten sein. Und du sagtest doch, er habe Angst vor Pferden
gehabt!“

„Das stimmt auch!“ Hoss nickte, nun ebenfalls nachdenklich

geworden. „Als er uns auf der Ranch besuchte, saß er
jedenfalls auf einem uralten geliehenen Klepper, der zu alt
war, um auch nur zu niesen!“

Er wendete sich ab und kletterte den steilen Hang noch ein

Stück aufwärts. Bald fand er ein altes Pferd, das an einen
Busch gebunden war. Als Joe näher kam, hob der Gaul den
Kopf und verdrehte die Augen, so daß man nur noch das
Weiße sah.

Joe redete dem verängstigten Tier beruhigend zu. Es

schwitzte, und auf seinem struppigen Fell zeichneten sich
dunkel nasse Stellen ab. Es zitterte am ganzen Leibe.

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Anscheinend war er rücksichtslos geritten worden und war der
völligen Erschöpfung nahe.

Joe runzelte die Stirn. Nach kurzem überlegen band er das

Tier los und führte es bergab.

Ganz langsam ging er, als habe er Angst, das Tier müsse

jeden Augenblick unter dem Gewicht des Sattels mit den prall
gefüllten Satteltaschen zusammenbrechen. Offenbar hatte der
Reiter eine Menge Bücher darin verstaut.

„Warum hat wohl dein Freund das arme Tier so lange

geritten, bis es fast zusammengebrochen ist?“ fragte Joe seinen
Bruder.

Hoss schüttelte nur den Kopf. Er schnallte Penroses Decke

vom Sattel und befestigte sie so an den beiden dünnen
Baumstämmen, daß eine Tragbahre entstand. Dann ‘banden sie
die beiden vorderen Enden der Stämme an den Sattel des
grauen Pferdes und ließen die hinteren Enden über den Boden
schleifen, so wie es die Indianer tun. Vorsichtig hoben sie
Penrose auf und legten ihn auf die Decke. Mit Tauen
befestigten sie ihn unter Armen und Füßen vorsichtig daran,
daß er nicht abrutschen konnte.

Dann machten sie sich langsam an den Abstieg. Hoss kam

hinterher, und paßte auf, daß dem Verwundeten nichts zustieß.

Joe überlegte. Die Gedanken wirbelten ihm im Kopf. Was

hatte dieser Fremde, dieser unerfahrene Städter, hier in der
Wildnis gesucht? Wer hatte auf ihn geschossen? Und warum?
Wenn man Hoss glauben wollte, so war Penrose ein harmloser,
kleiner Reisender, der lächelnd und stets dienstbereit durch die
Lande zog.

Bald hatten sie die Stelle erreicht, wo sie ihre eigenen Pferde

angebunden hatten. Joe machte das seine los und schwang sich
in den Sattel. Hoss jedoch blieb zu Fuß und führte den alten
Grauen am Zügel.

„Willst du etwa laufen – mit diesen Stiefeln?“ fragte Joe.

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„Ich meine, wir sollten Penrose in unsere Hütte an der

Südgrenze bringen!“ erwiderte Hoss ruhig. „Von dort aus kann
einer von uns nach Virginia City reiten und Dr. Stark holen.“

„Der Gedanke ist ausgezeichnet!“ lobte Joe spöttisch.

„Allerdings hast du dreierlei übersehen: Erstens sind deine
Stiefel zum Reiten und nicht zum Laufen gemacht; zweitens ist
es bis nach Virginia City viel zu weit; und drittens würde es
deshalb zu lange dauern, bis der Arzt da sein könnte. Leider
besteht nämlich kein Zweifel daran, daß deinem
Buchhändlerfreund überhaupt nur zu helfen ist, wenn die Hilfe
ganz schnell kommen könnte!“

„Wie schrecklich!“ Hoss’ Gesicht wurde schlaff vor

Betrübnis, und er schüttelte den Kopf. „Aber wir müssen doch
etwas tun, Joe!“

„Steige auf!“ schlug Joe ihm vor. „Penroses Pferd werden wir

führen, auch wenn der Weg ziemlich weit ist.“

Nach kurzem Überlegen schwang sich Hoss in den Sattel.

Dann ergriff er die Zügel des grauen Kleppers und führte ihn
langsam bergab durch Nesseln, Disteln und hartes hohes Gras.

„Du wirst ihm die Kugel entfernen müssen, Joe!“ meinte er

nach langem Schweigen.

Joe fuhr herum und starrte ihn an.
„Bist du verrückt geworden?“ wehrte er ab. „Ich bringe es

nicht fertig, ins Innere eines Menschen hineinzusehen!“

„Heute wirst du es aber tun müssen, Joe!“ beharrte Hoss, als

sei damit der Fall endgültig geklärt.

Schweigend ritten sie weiter und erreichten die Ebene, die im

grellen Sonnenschein zu zittern schien. Ganz still war es hier,
nur hin und wieder huschte irgendwo ein Kaninchen dahin,
oder ein erschrockenes Feldhuhn flatterte platschend auf. Bald
war es nicht mehr weit bis zu ihrer Hütte.

Als die Pferde dem Rastplatz mit Wasser, Körnerfutter und

gemütlicher Koppel nahe kamen, beschleunigten sie den

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Schritt. Joe allerdings konnte beim Anblick der Hütte nicht viel
froher werden.

Dort lag sie im grellen Schein der untergehenden Sonne, aus

Fichtenstämmen errichtet, mit einem Dach aus Teerpappe,
ungeschützt mitten auf offenem Feld. Nicht einmal Sträucher
oder Pappeln hatte man als Windschutz an der Nordseite
gepflanzt. Erst in einiger Entfernung wuchsen ein paar Kiefern.
Im Sommer war die kümmerliche Hütte der Sonnenhitze
schutzlos ausgesetzt, und im Winter wehte der eisige Sturm
über sie hinweg.

Hoss und Joe trugen die Bahre ins Innere, räumten den grob

gezimmerten Küchentisch leer und legten den Bewußtlosen
darauf.

Einen Augenblick lang standen sie dann herum. Joe warf dem

Bruder einen Blick zu, als flehe er um Gnade; aber Hoss
erwiderte den Blick ganz ruhig und wartete vertrauensvoll.

„Ich bin viel zu tolpatschig, Joe“, murmelte er. „Du kannst es

tun, ich vertraue dir, und deshalb mußt du es wagen!“

„Du brauchst mir gar keinen Honig um den Mund zu

schmieren!“ stöhnte Joe. „Es ist pure Verrücktheit, daß ich es
überhaupt wage – aber ohne Zweifel wird der arme Kerl
sterben müssen, wenn ich nicht wenigstens versuche, ihm die
Kugel herauszuholen.“

Entschlossen krempelte er sich die Ärmel hoch und wusch

sich in der Blechschüssel die Hände. Dann zog er dem
Verkäufer das blutdurchtränkte Hemd vom Leibe. Dabei
knisterte etwas in der Tasche. Er zog es heraus: Es war ein
Rezept von Dr. Stark für Hustenmedizin.

Beklommen betrachtete Joe dann das unregelmäßige Loch,

das die Kugel dem Mann in die Seite gerissen hatte. Zum
Glück stand neben der Schlafpritsche eine Flasche mit Whisky,
die einer der Cowboys hatte stehen lassen. Joe goß sich einigen

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Alkohol über die Hände und wusch dann damit auch das Blut
aus der Wunde.

Inzwischen hatte Hoss im Herd ein flackerndes Feuer in

Gang gebracht. Joe holte das schärfste Messer und hielt es in
die offene Flamme. Er mußte gegen ein Gefühl der Übelkeit
ankämpfen.

Von einer Borte holte Hoss zwei Laternen heran, zündete sie

an und stellte sie zu beiden Seiten des Verwundeten auf.
Inzwischen war das Messer glühend geworden. Joe nahm es
heraus und ging zum Tisch zurück. Wortlos starrte er den
Bruder an. Hoss blätterte in einem der Bücher, die Penrose ihm
verkauft hatte.

„Was machst du denn da?“ fragte Joe verdutzt.
„Ich schaue nach, was über Schuß Verletzungen hier steht“,

meinte Hoss.

Joe biß sich heftig auf die Unterlippe, sagte aber kein Wort.

Verbissen machte er sich ans Werk. Bei näherer Betrachtung
erwies sich das Loch als bloße Fleischwunde, die längst nicht
so schlimm war, wie Joe anfangs befürchtet hatte. Nur wegen
des großen Blutverlusts bestand Lebensgefahr.

Joe begann, nach der Kugel zu suchen. Er hörte Hoss im

Zimmer auf und ab gehen und die Pferde, die draußen
angebunden und vergessen worden waren, unruhig auf dem
Hof stampfen. Auch hörte er den unregelmäßigen Atem seines
Patienten. Und noch etwas hörte er: sein eigenes Reden! Aber
er hatte keine Ahnung, was er wirklich sagte. Er redete
einfach, um sich selbst Mut zu machen.

Endlich richtete er sich schweißüberströmt auf und ließ die

Kugel in die Waschschüssel fallen. Seine Hände zitterten.

Mit heißem Wasser wusch er die Wunde und holte dann ein

frisch gewaschenes Bettlaken vom Wandbord und legte dem
Verwundeten einen Verband an.

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„Prima, Joe!“ rief Hoss erleichtert aus. „Ich hatte keine

Ahnung, wie tüchtig du bist!“

Joe atmete schwer aus.
„Erst einmal muß ich hinaus und frische Luft schnappen!“

stöhnte er.

„Großartig hast du das gemacht, einfach großartig!“
Joe schaute zu, wie Hoss den bewußtlosen Verkäufer vom

Tisch hob und ihn behutsam auf die untere Schlafstelle bettete.
Dann riß er sich zusammen und schleppte sich auf den Hof
hinaus. Verblüfft stellte er fest, daß es schon ganz dunkel war.
Nur aus den Fenstern der Hütte drang gelblicher Schein.

Die Pferde wieherten.
Joe war froh, etwas zu tun zu haben. Er sattelte sie ab und

rieb sie tüchtig. Dann ließ er sie in den Pferch traben. Als er
dem alten Grauen den Sattel fortnahm, fiel ihm erneut auf, wie
schwer und prall die Satteltaschen gefüllt waren. Er schnallte
sie los. Irgend etwas daran kam ihm ungewöhnlich vor. Er
hatte nicht den Eindruck, daß sich Bücher darin befanden!

Während er zur Hütte zurückging, versuchte er, seiner

wachsenden Neugier Herr zu werden. Aber es war ein
aussichtsloser Kampf.

Schon viel zu viele unbeantwortete Fragen hatten sich ihm in

dieser stillen, beunruhigenden Nacht gestellt.

Mitten im Lichtschein, der aus der offenen Tür fiel, setzte er

die Taschen ab. Er löste die Schnalle der einen Tasche und hob
die Klappe hoch.

Was war denn das?
Er rieb sich die Augen und schaute erneut hin. Schließlich

schüttelte er den Kopf und öffnete die zweite Tasche. Auch sie
war gefüllt – ganz gefüllt mit dicken Paketen funkelnagelneuer
grüner Banknoten der Vereinigten Staaten!

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Ehrlicher Hoss!



Erschrocken wich Joe vor dem vielen Geld zurück. Er mochte
das Geld überhaupt nicht berühren. Am liebsten wäre es ihm
gewesen, wenn er die Taschen verloren hätte, ohne von ihrem
Inhalt etwas zu ahnen.

Aber dazu war es nun zu spät. Er wußte, was sie enthielten!
Er schluckte schwer. Ihm war zumute, als hätte er ein Nest

von Klapperschlangen gefunden, die ihn und Hoss bedrohten.

Er mochte überhaupt nicht daran denken, was sein Vater

sagen würde, wenn er davon erfuhr.

Könnt ihr beiden denn wirklich nicht einmal eine Woche lang

allein über Land reiten, ohne in Mord, Raub und Totschlag
verwickelt zu werden? Und müßt ihr, schlimmer noch,
obendrein einen Verbrecher in die Hütte holen?

Joe zuckte zusammen; ihm war, als höre er die strenge

Stimme des Vaters wirklich.

„Hoss!“ Joes Stimme klang seltsam verzerrt, wie das

Krächzen eines Raubvogels, selbst in seinen eigenen Ohren.
„Hoss! Komm doch mal her!“

„Ich darf Penrose nicht allein lassen!“ rief Hoss zurück. „Er

kann jeden Augenblick zu sich kommen. Und vielleicht
braucht er etwas.“

Joe trat in die offene Tür. In der Hütte sah es aus, als sei

überhaupt nichts geschehen: Hoss hatte schon alle Spuren der
Operation beseitigt.

„Es ist mir gleich, ob er etwas braucht!“ murmelte Joe. „Ich

habe hier draußen etwas gefunden, was ich dir unbedingt
zeigen möchte.“

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Noch einen letzten fürsorgenden Blick warf Hoss auf seinen

Patienten, dann folgte er Joe nach draußen.

Als der Bruder ihm die mit Banknoten vollgestopften

Taschen zeigte, sank ihm das Kinn ganz tief auf die Brust.
Verblüfft starrte er auf die nagelneuen Scheine.

„Ich kann mir nicht vorstellen“, brachte er endlich mit

schwankender Stimme hervor, „daß Penrose hier in unserer
Gegend durch den Verkauf von Büchern so viel verdient hat!“

Joe warf Hoss einen verkniffenen Blick zu und kniete neben

den prallen Satteltaschen nieder. Er holte ein Paket Scheine
heraus, und es war, als verbrennten sie ihm die Finger. Dann
hielt er das Bündel so, daß Hoss deutlich lesen konnte, was auf
der Binde geschrieben stand.

„Nationalbank von Virginia City!“ flüsterte Hoss mit einem

Gesicht, als habe er Arsen gelutscht.

Aber er rührte das Geld nicht an, und nach einem Augenblick

legte Joe das Bündel wieder in die Satteltasche zurück.

„Das ist die Beute des Bankraubes!“ flüsterte Hoss, als könne

er es einfach nicht glauben.

Joe winkte mit dem Kopf zu dem Mann, der drinnen auf der

Pritsche lag und wirre Worte vor sich hinstammelte.

„Dein sauberer Buchverkäufer muß zu den Kerls gehört

haben!“ meinte er.

„Der armselige Bursche?“ fuhr Hoss auf. „Ich kann mir das

beim besten Willen nicht vorstellen, Joe…“

„Aber du mußt doch schließlich deinen Augen trauen!“ rief

Joe mit einem Wink auf die Banknoten in den Satteltaschen.

Hoss konnte keinen Blick von den Scheinen wenden. Erst

nach einer langen Weile wandte er den Kopf und schaute in die
Hütte hinein, wo er den Mann auf der Pritsche liegen sehen
konnte.

„Du mußt dir klar darüber sein, Hoss“, drang Joe in ihn, „daß

wir womöglich in der Patsche sitzen!“

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„Wir?“ fuhr Hoss auf. „Was haben wir denn getan?“
„Wir haben in ein Wespennest gestoßen!“ gab Joe zur

Antwort. „Genau das!“

„Ach was!“ widersprach Hoss. „Schließlich haben wir nur

einem armen Kerl, den jemand angeschossen hatte, das Leben
gerettet!“

„Leider erweist sich der arme Kerl als Bankräuber!“ knurrte

Joe. „Er ist angeschossen und hat die Beute bei sich. Weißt du,
was das heißt? Nicht nur die Beauftragten des Sheriffs suchen
überall nach ihm, sondern auch seine Komplicen! Was meinst
du wohl, was die tun würden, wenn sie Penrose bei uns fänden
– mit all dem Geld!“

Hoss schaute sich um, als fühle er sich plötzlich von einem

Gewitter umgeben, als säße er wie ein Tier im Käfig. Mit
großen Schritten wanderte er in den durch die Tür
herausfallenden Lichtschein, stapfte wieder hinaus und kehrte
um.

Joe ließ nicht locker.
„Als wir ihn auf der Bahre herschleppten, haben wir eine

Spur hinterlassen, die seine Spießgesellen überhaupt nicht
übersehen können, falls sie ihn suchen“, meinte er. „Es ist, als
hätten wir ihnen Wegweiser aufgestellt.“

Hoss blieb mitten im Lichtschein stehen.
„Wie wäre es, wenn ich zurückritte und die Schleifspuren

verwischte?“ überlegte er.

„Ich glaube nicht, daß uns dies helfen könnte, Hoss.“
„Trotzdem muß ich zurückreiten!“ beharrte Hoss.

„Schließlich muß ich die versprengten Rinder heimholen. Und
bei dieser Gelegenheit könnte ich doch…“

„Das könnte uns auch nichts mehr nützen, Hoss!“
Wieder wanderte Hoss aus dem Licht in den Schatten, aus

dem Schatten ins Licht. Schließlich schüttelte er den Kopf,
blieb stehen und starrte den Bruder an.

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„Was sollen wir nun tun, Joe?“
„Einer von uns könnte nach Virginia City reiten. Heute nacht

noch. Er könnte dem Sheriff das Geld hinbringen und ihm
sagen, daß dein Freund Penrose hier liegt.“

„Das wäre ja, als wollten wir Penrose auf der Stelle in Eisen

schließen!“

Joe hielt dem Blick des Bruders stand.
„Hast du vielleicht eine bessere Idee?“ stieß er hervor.

„Meinst du, er hätte einen Orden verdient? Solange wir nicht
beim Sheriff Anzeige erstatten, sind wir Mitschuldige. Und ich
meine, wir sollten unseren Kopf so schnell wie möglich aus
der Schlinge ziehen!“

„Aber wenn Penrose nun überhaupt nicht zu den Räubern

gehört?“

„Hoss! Was bist du doch schwer von Begriff!“ Joe schüttelte

den Kopf. „Hör doch mal! Es gibt ein Gesetz, nach dem es
verboten ist, einen gesuchten Verbrecher zu verbergen.“

„Natürlich bin ich im Prinzip ganz deiner Meinung!“ stöhnte

Hoss. „Wirklich, ganz und gar! Nur…“

„Was: nur?“ Verblüfft starrte Joe den Bruder an.
„Wir wissen doch wirklich nicht, ob Penrose tatsächlich ein

gesuchter Verbrecher ist!“

„Jedenfalls führte er die Beute mit sich!“
„Das ist kein schlüssiger Beweis. Und es ist doch der

Grundsatz der Rechtsprechung“, beharrte Hoss, „daß jeder
Mensch als unschuldig gilt, solange man ihm seine Schuld
nicht beweisen kann.“

Joe starrte in die Finsternis. Fast meinte er, die anderen

Banditen in den Schatten kauern zu sehen.

„Laß ihn doch Sheriff Coffee erklären, wie er zu dem Geld

gekommen ist.“

„Aber wenn der ihm nun nicht glaubt…“

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„Warum soll er ihm nicht glauben – solange er die Wahrheit

sagt!“

Hoss schüttelte entschieden den Kopf.
„Du hältst ihn für schuldig, nur weil du das Geld gesehen

hast!“ rief er aus. „Aber du wartest erst gar nicht seine
Erklärung ab, wie er daran gekommen ist. Was, meinst du, soll
da der Sheriff annehmen?“

Joe zuckte die Achseln.
„Ich finde, das ist nicht unsere Sache, Hoss“, antwortete er.

„Schließlich sitzen wir in der Zwickmühle und können von
beiden Seiten angeschossen werden. Außerdem werden wir
uns Vaters Zorn zuziehen. Es gibt nur eine einzige redliche
Art, mit dem Fall fertig zu werden. Siehst du das nicht ein?“

Hoss wollte es nicht einsehen.
„Wenn ich mich in die Lage dieses armen Kerls versetze,

kann ich dir nicht zustimmen. Ich würde mir doch auch
wünschen, daß jemand mir zur Seite stünde und mir
wenigstens die Möglichkeit böte, alles zu erklären.“

Joe sprang die wenigen Stufen vor der Tür der Hütte

hinunter, wandte sich dann um und kam wieder herauf.
Schweiß stand ihm auf der Stirn.

„Meinetwegen!“ erklärte er. „Ich bringe das Geld nach

Virginia City, und du bleibst hier. Falls Penroses Komplicen
dich nicht schon vorher erschießen, wird er dir vielleicht nach
seinem Erwachen die ganze Geschichte erzählen… Sag mal,
Hoss, bildest du dir wirklich ein, jemand würde zugeben, eine
Bank beraubt zu haben – vor allem, solange er hilflos auf der
Pritsche liegt, mit einer schlimmen Wunde?“

Hoss senkte einen Augenblick den Kopf.
„Das weiß ich nicht. Immerhin möchte ich es darauf

ankommen lassen… Jedenfalls würde ich an seiner Stelle mir
wünschen, daß jemand sich in dieser Weise für mich
einsetzte.“

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„Nun, so leicht würde das keiner tun!“
„Aber ich wünsche es mir!“ beharrte Hoss verstockt. „Und so

muß man ja schließlich die Leute behandeln: Man muß so zu
ihnen sein, wie man selbst behandelt werden möchte. Das hat
uns der Vater schon oft eingeschärft!“

„Er sagt aber auch, man müsse dem Gesetz gehorchen!“
„Wollen wir Penrose nicht wenigstens bis morgen früh Zeit

lassen?“ flehte Hoss. „Laß ihn doch erst einmal aufwachen, so
daß er die Möglichkeit hat, uns seine Geschichte zu erzählen!
Das kann doch nicht schaden. Immerhin ist er so schwer
verwundet, daß er uns auf keinen Fall entkommen kann!“

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Hohes Fieber



Joe wandte dem Bruder den Rücken zu und entfernte sich ein
paar Schritte weit ins Dunkel. Manchmal war es verlorene
Liebesmüh, sich mit ihm auseinanderzusetzen; und ein solcher
Augenblick schien jetzt gekommen zu sein.

Er ging zum Brunnen und schöpfte Wasser für die Pferde.

Länger als unbedingt notwendig beschäftigte er sich damit, den
alten Holztrog zu füllen.

Als er endlich wieder aufschaute, stand Hoss noch immer wie

eine unverrückbare Eiche in der Türöffnung. Mit schweren
Schritten ging er auf ihn zu.

„Nun, Joe?“ begrüßte ihn der Bruder mit halblauter Stimme.

„Warten wir nun bis morgen?“ Ruhig nahm er die Diskussion
wieder auf, als sei sie nie unterbrochen worden.

Joe gab keine Antwort und zwängte sich an ihm vorbei.
„Soll ich das Abendbrot machen, Joe?“ fragte Hoss, während

er hinaustrat, die beiden Satteltaschen hereinschleppte und sie
unter die Pritsche schob, auf der Penrose lag und im Fieber vor
sich hin murmelte.

Joe schloß die Tür und verriegelte sie.
„Ich habe keinen Hunger!“ sagte er.
„Den ganzen Tag über hattest du doch Hunger!“
„Ich verliere immer den Appetit, wenn jemand anfängt, auf

mich zu schießen!“

„Darüber habe ich auch nachgedacht“, meinte Hoss

begütigend. „Wir sind doch vorhin so langsam geritten, daß
jemand, der Penrose verfolgte, uns überholt haben müßte!“

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„Wenn aber Penrose ihnen nun wirklich ein Schnippchen

geschlagen hatte?“ erwiderte Joe. „Wenn er ihnen entwischt
wäre? Sicherlich werden sie schon wegen der Beute hartnäckig
nach ihm suchen und bald seine Fährte wiederfinden.“

Er drehte den Docht in einer der Laternen ganz tief herunter,

bückte sich dann und blies sie aus.

„Was tust du denn, Joe?“
„Meinst du, ich hätte Lust, im hellen Licht herumzusitzen?“

fragte der Bruder. „Wenn wir schon auf Penroses
Spießgesellen warten müssen, dann will ich es wenigstens im
Finstern tun!“

„Aber wir brauchen doch Licht“, wandte Hoss ein.

„Womöglich wird es schlimmer mit Penrose, und vielleicht
braucht er etwas.“

Ungerührt griff Joe nach der zweiten Laterne.
„Wenn sich Penroses Zustand wirklich verschlimmert,

braucht er höchstens einen Kranz“, meinte er. „Wir dürfen
nicht nur daran denken, ihn jetzt am Leben zu erhalten, Hoss,
vielmehr müssen wir an uns selbst denken! Das ist keine
sündhafte Eigensucht.“

Eine Weile schwieg Hoss. Dann lächelte er plötzlich.
„Ich habe eine Idee“, verkündete er.
„Hoffentlich ist sie weniger gefährlich als die anderen Ideen,

die du heute hattest!“ knurrte Joe.

Er ließ sich auf den grob gezimmerten Stuhl neben dem

ungefügen Tisch sinken, der vor kurzem noch als
Operationstisch gedient hatte. Schweigend schaute er zu, wie
Hoss alle Fenster mit Getreidesäcken verhängte.

„Jetzt kann uns keiner sehen!“ meinte der Bruder schließlich,

während er befriedigt sein Werk betrachtete. „Was sagst du
dazu?“

„Großartig!“ knurrte Joe ironisch. „Von draußen kann

niemand hereinsehen – aber wir können auch nicht

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hinaussehen. Damit stehen die Chancen wieder einmal fünfzig
zu fünfzig.“

„Prima“, strahlte Hoss. „Ich wußte ja, daß du zufrieden sein

würdest.“

Hoss drehte den Docht in der einen noch brennenden Laterne

herunter, und es wurde gespenstisch halbdunkel im Zimmer.
Schwere, tiefe, ungefüge Schatten huschten durch die Ecken.
Von draußen drang das Wiehern der Pferde auf der Koppel
herein. Die Teerpappe auf dem Dach raschelte und knackte im
Nachtwind.

Penrose stammelte zusammenhangloses Zeug. Hoss legte ihm

die Hand auf die Stirn.

„Er glüht im Fieber, Joe“, murmelte er.
„Wir können ihm nicht helfen und müssen abwarten“, meinte

Joe. „Schlaf doch ein bißchen, Hoss. Ich übernehme die erste
Wache.“ Und er ließ sich von Hoss’ Widerspruch nicht
beirren. „Ich könnte jetzt doch nicht schlafen, Hoss.“

Ruhig schaute er zu, wie Hoss seine Füße von den Stiefeln

befreite, sich das Hemd auszog und wie er in das obere Bett
kletterte. Als er auf die Matratze sank, zitterte der Rahmen,
und das Drahtgeflecht knarrte beängstigend.

Weniger als fünf Minuten später schnarchte er laut.
Joe schüttelte den Kopf. Wie brachte der große Kerl das nur

fertig? Er selbst, Joe, meinte, er würde nie im Leben wieder
einschlafen können. Er legte sich im Sessel zurück, aber seine
innere Anspannung blieb. Er horchte angestrengt. Das
geringste Geräusch konnte Unheil bedeuten.

Jedes Rattern, Rascheln und Rauschen ließ ihn auffahren.

Irgendwo heulte eine Kojote. Eine Kuh muhte, der Nachtwind
rauschte, und die Eulen begannen zu schreien. Durch die
Getreidekammer huschten Ratten und Mäuse. Alle diese
Geräusche waren Joe vertraut; aber heute schienen sie eine
ganz eigene Bedeutung zu haben.

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Er zwang sich, wieder an den Bankraub in Virginia City zu

denken. Durch das Verbrechen waren die Menschen in der
Stadt nachhaltig in Aufregung versetzt worden. Als Folge des
Raubes war das Fortbestehen der Stadt bedroht. Wer hätte also
von etwas anderem reden können?

Joe beugte sich vor und stützte den Kopf mit den Händen.

Vor allem eines an dem Bankraub beunruhigte ihn: Irgend
etwas überaus Wichtiges mußte ihm entgangen sein – er ahnte
es, aber es blieb außerhalb seiner Erkenntnis. Er mochte noch
so angestrengt nachdenken, es wollte ihm nicht ins Bewußtsein
steigen.

Fortwährend drangen Laute und Wortfetzen an Joes Ohr –

Penrose sprach im Fieberschlaf. Hin und wieder verstand Joe
ein Wort, und plötzlich ergab das Gemurmel sogar einen Sinn.

„Blackjack“, flüsterte Penrose. „Zwilling… richtig…

Zweimal Zwilling… richtig… Nordstern… Zwanzig…
Einundzwanzig!“

Dann wiederholte er dieselben Worte noch einmal.
Joe drehte sich um und betrachtete das Wieselgesicht des

bleichen Mannes auf dem Bett. Es waren nicht die einzigen
Worte, die der Verwundete in seinem Fieberrausch ausstieß,
aber nur diese eine Folge wurde oft unverändert wiederholt:
Blackjack… Zwilling… richtig… Zweimal Zwilling…
richtig… Nordstern… Zwanzig… Einundzwanzig… Die
einfachste Antwort schien die zu sein, daß zwanzig und
einundzwanzig irgend etwas mit Blackjack (Siebzehn und vier)
zu tun hatte. Das war doch ein Kartenspiel! Vom Spiel also
phantasierte der Mann. Das konnte nichts zu bedeuten haben.
Oder etwa doch? Joe schüttelte den Kopf.

Aber der fiebernde Verwundete rief immerzu dasselbe. Ob

etwa doch ein Sinn dahintersteckte? Hatten die Worte
vielleicht wenigstens für ihn einen Sinn? Dann mußte doch
auch Joe dahinterkommen können, wenn er richtig überlegte.

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Mit gerunzelter Stirn lauschte er weiter.
Aber es war, als fehle ihm ein einziges Bindeglied, das

Kernstück eines Puzzlespiels.

Immer angestrengter überlegte er, marterte er sein Hirn. In

seinem Kopf wirbelte es. Am liebsten hätte er dem Gestammel
des Verwundeten gar nicht mehr zugehört. Aber er mußte es
einfach tun.

Gespannt saß er da und wartete. Aber mehr als das sagte der

Verwundete nicht, er wiederholte immer dasselbe.

Zwischendurch schrie er auf und stieß Namen hervor, die Joe

nicht kannte – dann aber kehrten unweigerlich die Worte
wieder…

Offenbar war Joe doch ein bißchen eingedöst.
Jedenfalls fuhr er plötzlich auf. Eines der Pferde auf der

Koppel draußen wieherte laut. Er sprang vom Stuhl.

Mitten im Zimmer blieb er stehen. Breitbeinig, gespannt, mit

halb zugekniffenen Augen, horchte er. Vielleicht hatte das
Pferd nur ein Wiesel gewittert, oder ein Stinktier, oder ein Reh,
oder vielleicht auch einen Puma.

Es konnten aber auch Penroses Spießgesellen sein.
Von neuem wieherte das Pferd.
Joe deckte mit der Hand die Lampe ab und blies dann die

Flamme aus.

Im ersten Augenblick war ihm, als mache er einen

Kopfsprung in einen tiefen Schacht. Die vor den Fenstern
hängenden Säcke ließen nicht das leiseste Blinzeln eines Sterns
herein, geschweige denn den Silberschein des Mondes.

Schweiß trat Joe auf die Stirn, während er wartete, daß seine

Augen sich an die Finsternis gewöhnten. Gespannt lauschte er,
ob sich draußen oder drinnen irgend etwas rühre.

Auf einmal schrie der Verwundete auf. Hoss’ Schnarchen

brach ab. Kurze Zeit darauf aber setzte es lauter als zuvor

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wieder ein. Der Wind schien ein wenig nachzulassen.
Jedenfalls klatschte die Dachpappe nicht mehr so laut.

Joe holte tief Luft – und hielt erneut den Atem an.
Ein Reiter näherte sich. Hufe klapperten, Metall klirrte, und

Leder knallte.

Joe griff nach dem Revolver. Mit dem Daumen ließ er den

Hammer zurückschnappen und hielt die Waffe schußbereit in
der Hand.

Vorsichtig, aber entschlossen schlich er auf Zehenspitzen

durch die Stube. Lautlos hob er die Riegel hoch und öffnete die
Tür so weit, daß er hindurchschlüpfen konnte. Nachdem er die
Tür hinter sich geschlossen hatte, drängte er sich in den
tiefsten Schatten.

Er suchte den nächtlichen Besucher zu erspähen, der immer

näher kam.

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Nächtliche Jagd



Candy stand im dämmerig erleuchteten Flur vor der
verschlossenen Tür des Arbeitszimmers von Ben Cartwright.
Mit düsterem, sorgenvollem Gesicht starrte er auf den
schmalen Streifen Lichtes, der unter der Tür hervordrang. Der
Schein flackerte und zitterte unter den schweren Schritten
Cartwrights, der rastlos im Zimmer auf und ab ging.

Hop Sing, der chinesische Koch, kam leise aus der Küche

und blieb neben dem Jungen stehen.

„Mr. Cartwright wird sich noch zu Tode sorgen!“ flüsterte er.

So leise er zu huschen pflegte, hatte er Candy durch sein
plötzliches Auftauchen doch nicht überraschen können. Der
kleine Chinese mit dem kurzen, schwarzen Haarzopf gehörte
seit vielen Jahren Cartwrights Haushalt an. „Er hat heute abend
nichts gegessen!“

„Ja, er hat große Sorgen“, nickte Candy. „Er braucht

dringend Hilfe.“

Hop Sing schüttelte betrübt den Kopf.
„Wir beide, Candy, können ihm kaum helfen.“
„Und doch… Außer uns hat er niemanden!“ Entschlossen tat

Candy ein paar Schritte auf die Tür zu.

Als er sich noch einmal umschaute, war Hop Sing in der

Finsternis verschwunden. Candy verzog das Gesicht zu einem
schwachen Lächeln und klopfte dann an die Tür.

Lange geschah überhaupt nichts, und Candy wurde schon

nervös. Endlich aber öffnete sich die Tür doch, und mit grauem
Gesicht schaute Cartwright den Jungen an. In der Hand hielt er
ein Blatt Papier.

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„Was möchtest du, Candy?“ fragte Ben Cartwright, indem er

sich zu einem schwachen Lächeln zwang. „Es ist schon spät.
Ich dachte, du lägest im Bett.“

Hilflos hob Candy ein wenig die Hände.
„Ich weiß, daß Sie Sorgen haben, Mr. Cartwright“, murmelte

der Junge. „Und ich dachte, wenn ich vielleicht…“

Ben Cartwright atmete schwer, er wendet das Gesicht ab, und

Candy wollte schon wieder gehen. Da aber legte Ben
Cartwright ihm die Hand auf die Schulter.

„Komm mir herein!“ sagte er freundlich. „Ich möchte deine

Meinung hören.“

Drinnen legte Cartwright die ausführliche Lageskizze der

Räuber der Bank von Virginia City auf den Tisch. Er
berichtete dem Jungen, der Sheriff habe ihm den Plan
überlassen, damit er sich Gedanken darüber machte, während
Coffee selbst die Suche draußen überwache.

Candy betrachtete eingehend die Zeichnung.
„Wie viele Leute mag es wohl in Virginia City und

Umgebung geben, die eine so vorzügliche, einwandfreie
Zeichnung zustande brächten?“ fragte Cartwright.

Candy überlegte.
„Nicht viele“, bestätigte er. „Vielleicht die Ingenieure oder

Zeichner in den Gruben von Mr. Clymer. Sonst wüßte ich
kaum jemanden!“

Ben atmete so heftig, daß Candy erschrocken aufschaute.
„Auch mir fällt keine andere Antwort auf die Frage ein!“

knirschte Ben.

„Warum sprechen Sie dann nicht mit Mr. Clymer?“
„Das kann ich nicht“, knurrte Ben. „Er würde sich

beschuldigt fühlen und es mir übelnehmen. Zwischen uns
beiden steht es nämlich nicht zum besten! Und die Bank-
Treuhänder untereinander sind sich im Augenblick alle nicht
richtig grün…“

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„Aber Ihr ganzes Lebenswerk ist doch in Gefahr!“
„Jawohl“, gab Ben zu. „Deshalb muß ich herausfinden, wer

das hier gezeichnet hat. Aber es muß so geschehen, daß ich
Elliot nicht damit in die Quere komme!“ Er klopfte Candy auf
die Schulter und versprach ihm, sich jetzt hinzulegen und zu
schlafen. „Mir ist nun schon viel besser, Candy“, sagte er. „Ich
befürchtete nämlich, ich sei voreingenommen, weil sich mein
Verdacht immer wieder auf Clymers Leute richtete – aber nun
hast du mir bestätigt, daß nur ein Berufszeichner eine solche
Skizze fertigbringt…“

Damit verließ er das Zimmer und stieg die Treppe hinauf.
Nachdenklich kehrte Candy in sein eigenes Zimmer zurück.

Noch lange saß er in der Finsternis und schaute hinaus, wo er
den Schein aus Mr. Cartwrights Schlafzimmerfenster erkennen
konnte. Nach kurzer Zeit erlosch er.

Candy erhob sich, nahm die Schuhe in die Hand und schlich

ins Arbeitszimmer hinunter. Er fand die Zeichnung, faltete sie
zusammen, barg sie in seiner Hemdtasche und huschte aus dem
Haus.


So klein wie möglich machte sich Joe im tiefen Schatten.
Scharf versuchte sein Blick durch die Finsternis zu dringen.
Aber er konnte nichts von einem Eindringling entdecken.

Plötzlich aber brach der Mond durch die Wolken und warf

einen Silberschein aufs Gebüsch. Joe war es, als sähe er
jenseits der Pferdekoppel etwas aus dem Schatten auftauchen.
Gleichzeitig hörte er einen Zweig knicken und Sattelleder
knirschen. Den Colt noch immer in der Hand, schlich sich Joe
an der Hauswand bis zum Ende des Vorbaus.

Deutlich sah er nun den nächtlichen Reiter, der die Pferde auf

der Koppel neugierig betrachtete und dann sein Pferd zur Hütte
herüberlenkte, ein Gewehr schußbereit in der Armbeuge.

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Nach einem Augenblick hob er die Hände vor den Mund und

rief:

„Ist da jemand?“
Mit entschlossenem Schritt trat Joe aus dem Schatten.

Erschrocken fuhr das Pferd ein wenig hoch.

Joe hob den Revolver, so daß der Fremde ihn sehen konnte.
„Ach, du bist es, Joe?“ Die Stimme klang erleichtert. „Ich bin

Cal Lassiter. Tu nur deine Waffe weg! Ich bin schon nervös
genug, ohne daß du auch noch auf mich zielst!“

„Was suchst du denn hier, Cal?“
„Ich bin mit einem Aufgebot des Sheriffs unterwegs“, war

die Antwort. „Hast du nicht eine Tasse Kaffee für mich?“

Joe erschrak ein wenig; unwillkürlich schaute er zur Hütte

zurück.

„Es tut mir leid, Cal, aber heute kann ich dich nicht

hereinbitten.“

„Ach! Was ist denn?“
Joe biß sich auf die Unterlippe. Cal war also einer der

Männer, die im Auftrag des Sheriffs die Gegend absuchten.
Wenn Joe wirklich seine weiße Weste bewahren wollte, so war
jetzt der Augenblick gekommen, wo er von den Satteltaschen
und dem verwundetem Penrose reden mußte. Wenn er aber
Penrose in diesem Augenblick auslieferte, brach er sein Wort,
das er Hoss gegeben hatte, Schweiß trat Joe auf die Stirn.
Lügen war ihm widerwärtig, und er hatte gelernt, daß man sich
immer nur tiefer verstrickt, wenn man glaubt, sein Heil in der
Unwahrheit finden zu können. Hoss aber glaubte nun einmal
an die Unschuld des Buchverkäufers; und Hoss vertraute ihm.

„Einer unserer Leute ist heute vom Pferd abgeworfen

worden“, antwortete Joe. „Curly Stobbs. Es geht ihm gar nicht
gut.“

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„Kann ich denn nicht helfen?“ erbot sich Cal. „Ich könnte

doch in Ponderosa hineinschauen und deinem Vater Bescheid
sagen!“

„O nein, nein, nein!“ rief Joe erschrocken aus. „Kein Wort

davon zu Vater, Cal! Curly geht nämlich oft grob mit den
Pferden um… Und Vater kann ihn deshalb nicht leiden. Auf
keinen Fall darf er erfahren, daß Curly abgeworfen worden
ist.“

„Nun ja, hm… Du hast wohl niemanden gesehen, der allein

hier durch die Gegend geritten wäre, nicht wahr?“

„Niemanden außer Hoss.“ Joe senkte den Kopf. Er mochte

sich selbst nicht mehr leiden.

Cal nahm mit einer müden Handbewegung Abschied von Joe.
„Solltest du etwas Verdächtiges sehen, Joe, so gib uns gleich

Bescheid, und… Sheriff Coffee rät allen Männern seines
Aufgebots immer wieder, ja nicht zu versuchen, ein Held zu
sein! Nimm auch du dir diesen Rat zu Herzen: Diese Halunken
schrecken vor nichts zurück!“

Mit hängenden Schultern blieb Joe stehen und schaute dem

Reiter nach, der müde davontrottete.

In diesem Augenblick wurde hinter ihm die Tür aufgerissen.

Joe fuhr herum und hob den Revolver.

Aber es war nur Hoss, der barfüßig die Stufen heruntertapste.

Neben Joe blieb er stehen und faßte ihn beim Arm.

„Großartig hast du das gemacht, Joe!“ sagte er. „Ich bin noch

nie stolzer auf dich gewesen als eben – höchstens vorhin, als
du die Kugel aus dem armen Kerl da drinnen herausgegraben
hast!“

„Der arme Kerl wird uns noch mit sich ins Verderben reißen

– mindestens ins Gefängnis!“ maulte Joe. „Ich würde dir
empfehlen, dich auf etwas Bitteres vorzubereiten.“

„Worauf denn?“ fragte Hoss, noch immer strahlend vor

brüderlicher Zuneigung.

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„Darauf, daß Penrose doch schuldig ist. Ich habe allerlei

gehört, was er vorhin in seinem Fiebertraum gesagt hat.“

„Meinst du denn, man sagt im Fieber die Wahrheit?“ wandte

Hoss ein. „Du hättest dich einmal hören sollen, als du
Scharlach hattest!“

„Und doch, Hoss, hat sein Gestammel irgend etwas zu

bedeuten!“

Hoss versetzte ihm einen Schlag auf die Schulter. „Bestimmt

bedeutet es nicht mehr als das, was andere Leute im Delirium
reden.“ Joe ließ sich gegen den Koppelzaun sinken. „Woher
nimmst du eigentlich ein so großes Vertrauen zu einem
vollkommen Fremden, Hoss?“ murmelte er.

Der Bruder lächelte.
„Als er das erste Mal zu mir kam, habe ich sofort gemerkt,

daß er ein netter Kerl war, Joe!“ erwiderte er. „Du weißt ja,
daß er mehrere Tage auf der Ranch gewohnt hat. Penrose
fühlte sich sehr wohl auf der Ranch. Glaub mir, er ist ein netter
Kerl, der keiner Fliege etwas zuleide tut. Auch du hättest ihn
gern, Joe, wenn du damals dabeigewesen wärst… Aber jetzt
leg dich nur ein bißchen hin. Ich halte Wache!“

„Ausgezeichnet“, knurrte Joe mit müder Stimme, aber voller

Hohn. „Schlafen… Was könnte man jetzt Besseres tun?“

Joe wälzte sich auf seiner Matratze herum – und spürte, wie

ihm Tageslicht in die brennenden Augen drang.

Noch immer nicht ganz munter, setzte er sich auf und schaute

sich um. Verdutzt betrachtete er Hoss: Der Bruder saß auf dem
Stuhl und schlief ganz fest.

Kopfschüttelnd wandte Joe sein Interesse dem Patienten auf

der unteren Pritsche zu. Das Gesicht hatte inzwischen ein
wenig Farbe zurückbekommen; das Haar war naß von
Schweiß. Offenbar hatte das Fieber den Verwundeten
verlassen. Joe wälzte sich herum. Die Matratze knarrte und

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quietschte – so laut, daß Hoss aufwachte, erschrocken
aufsprang und die Augen weit aufriß.

„Du hast geschlafen wie ein Murmeltier!“ warf Joe ihm vor.

„Jeder hätte hereinkommen und uns skalpieren können!“

Hoss lächelte schuldbewußt.
„Jedenfalls mache ich jetzt sofort Feuer fürs Frühstück!“
Joe sprang aus dem Bett und zog sich die Stiefel an. Wieder

fiel sein Blick auf die Satteltaschen; schnell schaute er fort und
versuchte, nicht daran zu denken.

Nachdem er sich draußen in der Waschschüssel gewaschen

hatte, setzte er sich auf die Stufen und bedachte die Lage,
während Hoss drinnen eifrig mit Gerät und Geschirr klapperte.

Nach einer Weile kam der Bruder heraus, kniete neben Joe

nieder und packte ihn fest bei der Schulter.

„Er ist aufgewacht, Joe!“ flüsterte er erfreut. „Er hat es

überstanden. Du hast es geschafft, Joe: Penrose muß nicht
sterben!“

Joe war froh, daß der Mann am Leben war; dennoch mußte er

immerzu wieder an die Männer des Sheriffs denken, die durch
die Gegend streiften. Cal Lassiter hatte er noch abschütteln
können. Was aber sollte werden, wenn andere kamen – oder
wenn gar Penroses Freunde sich blicken ließen?

Schwerfällig erhob sich Joe und folgte Hoss ins Innere der

Hütte. Neben dem Bett, auf dem der Verwundete lag, blieben
beide stehen. Hoss beugte sich lächelnd über ihn.

Penrose starrte ihn aus leeren Augen an.
„Armer Kerl!“ meinte Hoss über die Schulter zu Joe. „Er

weiß überhaupt nicht, wo er sich befindet.“

„So etwas scheint derzeit an der Tagesordnung zu sein“,

brummte Joe. „Ich muß gestehen, daß auch mir manchmal
ähnlich zumute ist.“

„Hoss?“ stieß der Verwundete hervor. „Wie komme ich denn

hierher?“ Und nachdem Hoss es ihm mit kurzen Worten erklärt

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hatte, ließ Penrose den Blick durchs Zimmer wandern. „Ist
sonst noch jemand da?“

„Nur wir beide“, versicherte ihm Hoss. „Sie müssen sich nun

gut ausruhen.“

„Jawohl!“ bestätigte Joe ironisch. „Hier ist eine

ausgesprochene Erholungsstätte!“

Hoss erhob sich, ging zum Herd hinüber und bereitete einen

Brei aus Haferflocken, Milch und Zucker. Dann schob er sich
einen Stuhl ans Bett und fütterte Penrose, bis er auch den
letzten Löffel voll Brei aufgenommen hatte.

„Sie müssen zu Kräften kommen, Penrose!“ mahnte er.
Joe starrte unverwandt Penrose an. Abwartend beobachtete

er, wie der Kranke zu ihnen beiden aufblickte. Joes Gesicht
war gespannt, und Hoss lächelte.

Penrose räkelte sich unbehaglich auf der Matratze. Seine

Zunge befeuchtete die vertrockneten Lippen.

Schließlich verlor sich sogar das Lächeln in Hoss’ Gesicht.

Er holte tief Luft.

„Haben Sie uns etwas zu sagen, Penrose?“
Der Buchverkäufer zuckte zusammen, schüttelte dann aber

den Kopf. Stumm starrte er auf die Unterseite des Bettes über
sich.

„Wir wollen Ihnen die Wahrheit sagen, Penrose!“ mischte

Joe sich ein. „Wir wissen, was in Ihren Satteltaschen ist!“

Penrose keuchte auf.
„Jawohl, Penrose!“ drang nun Hoss in ihn. „Als wir Ihr Pferd

in unsere Koppel brachten, haben wir es natürlich abgesattelt –
und dabei fiel uns auf, daß die Taschen sehr schwer waren. Da
haben wir nachgeschaut!“

Penrose rührte sich nicht. Ganz fest schloß er die Augen. Der

Mund war nur noch ein schmaler weißer Strich. Und sein
Gesicht sah jetzt noch fahler aus als in der Nacht.

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Gefährlicher Besuch



Der erste Besucher an diesem Morgen um 8 Uhr in Elliot
Clymers Bergwerk war Candy. Kalt schaute Elliot den jungen
Mann an, der ihm gegenüber hinter dem Schreibtisch saß und
ihm die Zeichnung der Bankräume hinhielt.

„Das hat man gefunden…“
„Ich weiß schon, was das ist“, fiel Clymer ihm ins Wort. „Ich

weiß auch, wo es gefunden wurde. Weshalb aber bist du damit
zu mir gekommen?“

„Ich dachte, Sie könnten uns vielleicht helfen.“
„Wie könnte ich helfen?“
„Man müßte herausfinden, wer das gezeichnet hat“, erwiderte

Candy. „Ich dachte, Sie würden bei der Aufklärung helfen…“

„Hat Ben Cartwright dich geschickt?“
„Nein“, wehrte der Junge ab. „Ich selbst bin darauf

gekommen. Mr. Cartwright meinte, er könne nicht damit zu
Ihnen kommen… Er hatte Angst, Sie damit zu beleidigen!“

„Du hingegen scheinst dir nichts daraus zu machen,

grundlose Anschuldigungen zu erheben!“

„Aber darum geht es ja gerade, Mr. Clymer!“ beharrte

Candy. „Ich klage doch niemanden an, schon gar nicht Sie!
Nur eines begreife ich nicht… Eigentlich müßten Sie doch
ebenso wie Mr. Cartwright daran interessiert sein, den
Zeichner dieser Skizze zu finden!“

„Das ist eine Sache, um die sich der Sheriff kümmern muß,

mein junger Freund…“

„Aber es ist doch möglich, daß der Mann, der das gezeichnet

hat, in Ihren Diensten steht!“

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„Ich warne dich!“ knirschte Clymer. „Ich dulde nicht…“
„Glauben Sie mir, Mr. Clymer, ich klage niemanden an!“

beteuerte der Junge. „Aber wenn doch jemand aus Ihrem Büro
diese Skizze gefertigt hat, dann sind Sie doch sicherlich ebenso
interessiert…“

„In der Tat wäre ich lebhaft daran interessiert, mein Junge“,

bestätigte Clymer. „Aber ich denke nicht daran, einen meiner
Leute zu beschuldigen, solange ich keinen anderen Beweis
habe als das da. Das weiß Ben ganz genau; und deshalb
mochte er nicht herkommen. Allerdings ärgert es mich, daß er
sich nicht scheut, als Stellvertreter einen Jungen zu
schicken…“

„Mich hat niemand geschickt!“
„Was du nicht sagst“, murrte Clymer. „Auf jeden Fall rate ich

dir, ja nicht das Gesetz selbst in die Hände zu nehmen…“

„Ich habe doch nur gedacht, Sie würden helfen!“
„Schrei nicht so!“
„Ich habe gedacht, Sie hätten mindestens so viel wie andere

Leute bei diesem Bankraub verloren! Aber es scheint, als
hofften Sie, jetzt noch einen Gewinn davonzutragen, wenn…“

„Scher dich hinaus!“ fuhr Clymer auf. „Ich lasse mich von

einem Herumtreiber nicht beleidigen! Meinst du etwa, ich
schulde dir eine Erklärung für mein Tun und Lassen? Ich
warne dich: Solltest du es wagen, noch einmal
herzukommen…“

Candy aber ließ sich nicht einschüchtern.
„Ich würde nur zurückkommen, Mr. Clymer, falls es

notwendig wäre!“ erklärte er mit fester Stimme. „Und vor
Drohungen habe ich keine Angst! Ich werde nur
zurückkommen, falls diese Skizze mich wieder hierher führt.
Mr. Cartwright ist der prächtigste Mensch, den ich kenne.
Sollten Sie etwas Hinterhältiges tun, um ihm zu schaden, dann

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können Sie etwas erleben! Glauben Sie nur nicht, so leicht mit
mir fertigzuwerden!“

„Hinaus!“
Trotzig schaute Candy den Bergwerksdirektor an. Erst nach

einer Weile faltete er den Zettel zusammen und verließ das
Büro.

Während er die hölzernen Stufen hinunterschritt und zu der

Stange ging, an die er sein Pferd gebunden hatte, spürte er eine
Leere im Magen. Natürlich würde Ben Cartwright erfahren,
was geschehen war. Und er, Candy, hatte nichts erreicht – er
hatte seinem verehrten Herrn nur neue Ungelegenheiten
bereitet.

„Hallo, Junge!“
Hinter ihm ertönte eine Männerstimme, und Candy drehte

sich um. Ein stämmiger, hochgewachsener Arbeiter kam auf
ihn zu. Seine Nagelschuhe polterten, und der Schutzanzug war
dreckig. In der Hand hielt er eine Picke. Seine Augen
flammten.

„Der Boß sagt“, grölte er, „ich sollte dir mal einen

Vorgeschmack von dem geben, was dir blüht, wenn du dich
noch ein einziges Mal hier blicken läßt!“

Keinen Fußbreit wich Candy zurück; reglos blieb er neben

seinem Pferd stehen, und seine Stimme klang ungerührt.

„Ich habe dich erwartet!“
Vorsichtig kam der Hauer auf ihn zu. Er hob den Hackenstiel

– und im gleichen Augenblick erkannte Candy, daß er in der
anderen Hand ein blitzendes langes Messer hielt.

Im ersten Augenblick wollte Candy nach dem Revolver

greifen. Gleichzeitig aber fiel ihm ein, daß er niemals würde
beweisen können, in Notwehr gehandelt zu haben. Mit
Leichtigkeit würde Clymer mindestens fünfzig Zeugen
aufbringen, die gegen den jungen Revolverschützen aussagten.

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Nein, wenn er den Kerl da erschoß, selbst in Notwehr, so

würde auch das nur zu weiterem Unheil für Mr. Cartwright
ausschlagen!

Hilflos schaute er sich um. Dabei stieß er mit der Schulter

gegen das am Sattel befestigte zusammengerollte Lasso. Dabei
kam ihm ein Gedanke.

Während Candy kein Auge von dem Bergmann ließ, löste er

das Seil und trat dann flink vom Pferd zurück.

Der drohende Angreifer lachte verächtlich auf. Wollte dieser

Knirps sich gegen einen Hackenstiel und ein Messer wirklich
mit einem Lasso verteidigen?

Einen Augenblick lang beschnupperten sich die beiden

Kämpfer: Der Bergmann stapfte schwerfällig, während Candy
in engem Kreise tänzelte, wobei er nicht zurückwich, aber sich
in achtungsvoller Entfernung von dem Knüppel hielt.

Clymer war mit einigen seiner Büroangestellten auf die

Veranda getreten, und sie alle beobachteten nun in eisigem
Schweigen, was sich dort unten tat.

Plötzlich machte Candy einen Satz auf den Mann zu.
Ein Angriff aber war das lehrte, was der große Bursche

erwartet hatte. Verdutzt holte er tief Luft, stellte sich fest hin
und hob den Knüppel. Dann sauste das Ding herunter – und die
Wucht riß den Mann selbst mit nach vorn. Dicht an Candys
Kopf vorbei sauste der Schlag. Gleichzeitig kam das Messer
empor und durchschnitt Candys breiten Gürtel, als sei er weich
wie Butter.

Gewandt aber glitt Candy an dem noch taumelnden Mann

vorbei und holte dann zum Rückhandschlag mit dem
aufgerollten Lasso aus.

Mit Erfolg! Hart traf der unvermutete Hieb gleich einem

Peitschenschlag Nacken, Schultern und Rücken, und einen
Augenblick lang verlor der Bergmann das Gleichgewicht und
taumelte vorwärts.

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Nur einen kurzen Augenblick lang – aber Candy nützte ihn

aus, warf die Seilwindungen dem Mann über den Kopf und riß
hart daran.

Wütend schrie der Kerl auf. Noch einmal riß Candy mit aller

Kraft, daß der Riese rückwärts auf ihn zuwankte. Außer sich
vor Wut und Schrecken fuchtelte der Angegriffene wild mit
Messer und Hackenstiel um sich, während er versuchte, sich
umzudrehen.

Tatsächlich traf ein Schlag mit dem Knüppel Candy auf die

Schulter, aber er streifte ihn doch nur, und der Junge konnte
halbwegs ausweichen. Er tänzelte an dem Gegner vorbei, ließ
die Seilwindungen hinunterrutschen und packte so zu, daß die
Schlinge sich um den Hals des Mannes schloß.

Dick traten dem Kerl die Augen aus den Höhlen. So

erschrocken war er, daß er das Messer fallen ließ, um nach
dem Seil zu greifen, das ihm die Kehle zuschnüren wollte. Mit
einem Sprung war Candy heran und versetzte dem Messer
einen Fußtritt, daß es meterweit davonsurrte.

In diesem Augenblick riß der Bergmann seinen Knüppel

hoch, um wieder zuzuschlagen, aber Candy schlang geschickt
das Seil um seinen Arm, so daß es einen Augenblick lang an
seinen Kopf gebunden war.

Noch ehe der Mann wieder zu sich kam, lief Candy mehrmals

um ihn herum, drehte immer neue Windungen und spulte
Kopf, Schultern und Brust des Mannes immer fester ein. Dann
packte er von hinten den Arm des Bergmanns und riß ihn so
heftig zurück, daß er aufschreiend auch den Knüppel fallen
ließ.

Mit einem Ruck zog Candy den Kerl an sich heran und

versetzte ihm mit der rechten Faust einen kurzen, harten Haken
gegen die Kinnspitze.

Der Mann verdrehte die Augen, die Beine gaben nach, und

schwerfällig brach er in die Knie.

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Ohne Mitleid riß Candy ihn am Seil hintenüber. Dann ließ er

ihn los, drehte sich um und schaute zu Clymer, der noch immer
auf der Veranda stand.

Spöttisch verbeugte sich der junge Mann.
Clymer verzog keine Miene.
Candy hob seinen Hut auf, der zu Boden gefallen war, und

klopfte ihn heftig gegen das Bein, um ihn vom Staub zu
befreien. Plötzlich sah er drei Männer, die aus dem Schacht
heraus auf ihn zukamen.

Auch sie trugen Nagelschuhe und waren ebenso riesenhaft

groß wie der am Boden liegende Mann. Jeder von ihnen hatte
einen Hackenstiel in der Hand, und mit langsamen,
schwerfälligen Schritten gingen sie auseinander und kamen
von drei Seiten auf Candy zu.

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Unrecht Gut



Noch ein paarmal räkelte sich Penrose auf seiner Pritsche;
dann blieb er still liegen.

Hoss beugte sich vor und lächelte ermutigend.
„Nur heraus mit der Sprache, Penrose!“ mahnte er.
„Wir möchten alles wissen!“ bestätigte Joe, während er es

sich im hölzernen Sessel bequem machte.

Noch immer rührte sich Penrose nicht; die Falten in seinem

Gesicht schienen tiefer zu werden. Erst nach einer langen
Weile wandte er den Kopf und schaute die beiden Brüder an.

„Nun los doch!“ murmelte er. „Bringt mich schon zum

Sheriff!“

„Das habe ich von Anfang an tun wollen“, bestätigte Joe.
Hoss aber schüttelte lächelnd den Kopf.
„Erst einmal wollen wir hören, was Sie zu sagen haben!“
„Wir sind gespannt auf Ihren Bericht!“ nickte Joe. „Immerhin

hängt es davon vielleicht ab, ob wir alle miteinander ins
Gefängnis kommen oder freigesprochen werden!“

Penroses Blick wanderte von Hoss zu Joe und wieder zurück.
„Wenn Sie den Sheriff gerufen haben, war es nur gut!“

murmelte er. Und als die beiden ihn fassungslos anstarrten,
fuhr er fort: „Ob Sie mir nun glauben oder nicht – tatsächlich
wollte ich mit all dem Geld zum Sheriff reiten, ehe Sie mich
fanden.“

„Habe ich es dir nicht gesagt!“ frohlockte Hoss. „Penrose

wollte das Geld wirklich zurückbringen.“

Joe fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen.
„Berichten Sie ausführlich, Penrose!“ forderte er.

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Der Buchverkäufer lag bleich und kaum einer Bewegung

fähig auf seiner Pritsche. Als er dann zu sprechen anfing,
erzählte er nichts von dem Raub. Vielmehr berichtete er von
seiner Kindheit, die er in Indiana verlebt hatte.

„Wir hatten niemals Geld“, sagte er. „Bitterarm waren wir,

und ich war auch nicht bei bester Gesundheit. Vor allem die
Lunge machte mir zu schaffen. Deshalb empfahl mir der Arzt,
ich solle in den Westen gehen, aus Gesundheitsgründen.“

„Aber wie gerieten Sie denn nun in diese Bankraubgeschichte

hinein?“ fragte Joe.

Penrose schloß die Augen, und sein Gesicht zuckte, als hätte

er plötzlich große Schmerzen.

„Sie haben die Bankräuber im Gebirge getroffen und ihnen

die beiden Satteltaschen mit dem Geld abgejagt, stimmt’s?“
meinte Hoss. „Dann aber haben die Kerls Sie doch noch
niedergeschossen, ehe Sie ihnen entkommen konnten.“

Penrose schüttelte mühsam den Kopf.
„Sie müssen mir auch weiter vertrauen, Hoss“, murmelte er.

„Obwohl ich – wirklich zu den Bankräubern gehört habe.“

Joe beugte sich vor.
„Jetzt holen wir den Sheriff!“ rief er aus.
Penrose nickte.
„Daraus kann ich Ihnen keinen Vorwurf machen – auch ich

wünschte, der Sheriff käme!“ brachte er hervor. „Jawohl, ich
wünschte, daß Sie mich der Justiz ausliefern. Allerdings haben
Sie nun so viel gehört, daß ich froh wäre, wenn ich Ihnen auch
wirklich alles erzählen dürfte.“

Die beiden nickten stumm und warteten geduldig.
„Ich war an jenem Morgen in der Bank“, fuhr Penrose mit

leiser Stimme fort. „Als die beiden Maskierten dann
hereinkamen, zwangen sie mich, sie zu begleiten.“

„Das habe ich mir doch gedacht!“ nickte Hoss freundlich.

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„Ich hatte ein wenig Geld“, berichtete Penrose weiter.

„Immerhin hatte ich einige Bücher verkauft, und da ich oft
über einsame Straßen reiten mußte, hatte ich Angst vor
Räubern und wollte ein Konto eröffnen. Da kamen die Kerls
herein!“ Penrose biß sich auf die Lippen. „Ich nahm mir vor,
draußen auf der Straße davonzulaufen… Weiter vermochte ich
in diesem Augenblick nicht zu denken. Dann aber bekam ich
es mit der Angst. Ich fürchtete, sie würden mich bei der ersten
verdächtigen Bewegung umbringen!“

„Und was geschah dann?“ fragte Hoss gespannt.
„Auf meinem müden Gaul konnte ich natürlich mit den

beiden kaum Schritt halten“, erzählte Penrose. „Gleich am
ersten Tag ritt ich das arme Tier fast zu Tode. Sie aber
bedrohten mich sofort, wenn ich auch nur ein wenig langsamer
wurde. Und vor lauter Angst tat ich alles, was sie mir
befahlen.“ Noch in der Erinnerung erschauerte Penrose. Er
mußte einen Augenblick ausruhen, ehe er fortfuhr: „Bald
wußte ich, daß ich mich niemals würde aus ihren Klauen
befreien können… Tagelang blieb ich bei ihnen. Den Männern
des Sheriffs entzogen wir uns, indem wir durch unwegsame
Schluchten und unwirtliches Land ritten. Eine so fürchterliche
Gegend hatte ich bis dahin nicht gesehen.

Und sie wurde immer nur noch schlimmer und karger…
Bald konnte ich mich kaum noch im Sattel halten. Immer

wieder schlief ich beim Reiten ein und wäre mehrmals um ein
Haar aus dem Sattel gesunken. Aber im letzten Augenblick
wachte ich stets auf und hielt mich hoch. Denn ich hatte Angst,
die Burschen würden mich erschießen, wenn ich ihnen
Schwierigkeiten bereitete… Und das war mein einziger
Gedanke: Ich wollte am Leben bleiben! Ich wollte nach
Virginia City zurückkehren und meinen ehrlichen Namen
verteidigen. Ich weiß, daß das verrückt klingt, aber es war
wirklich so!“

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Joe und Hoss nickten verständnisvoll. Erst nach einer Weile

brach Joe das Schweigen.

„Wissen Sie denn, wer die Kerls waren?“ fragte er gespannt.

„Während des Rittes müssen Sie doch hin und wieder die
Gesichter gesehen haben!“

Penrose zuckte unter dieser bohrenden Frage sichtlich

zusammen. Nach kurzem Zögern gab er mit schwacher,
stotternder Stimme Auskunft.

„J – ja… Ich habe ihre Gesichter gesehen… Ich habe sie

wiedererkannt… Denn ich kannte sie… Es waren Red Mixon
und – und Dallas Webber.“

„Was?“ brauste Hoss empört auf. „Diese gemeinen, elenden

Pferdediebe kenne ich! Das sind die schlimmsten Verbrecher,
die je in Virginia City ihr Unwesen getrieben haben. Aber
weiter, Penrose! Erzählen Sie weiter!“

Erst nach einer Weile fuhr Penrose fort:
„Eines Abends mußten wir lagern, ohne Wasser gefunden zu

haben… Wir durften es nämlich nicht wagen, aufs Hochland
hinauszureiten, weil es dort von den Männern des Aufgebots
wimmelte… Nun, während wir also lagerten, glaubten die
beiden, ich schliefe fest. Und ich hörte ihre Unterhaltung: Sie
fanden, daß sie meinetwegen nicht schnell genug weiterkämen,
und wollten mich deshalb umbringen… Was sollte ich tun?
Jeden Augenblick würde einer der beiden aufstehen und mich
abschießen. Als nichts geschah, überlegte ich, warum sie mich
schonten: Sie wagten es nicht, weil der Knall des Schusses bei
Nacht weit durchs Gebirge hallen würde.“

Hoss nickte verständnisvoll.
„Allmählich wurde mir klar, daß sie mich auf irgendeine

andere Weise umbringen würden, in aller Stille
gewissermaßen. Vielleicht stießen sie mich von einem Felsen
in eine Schlucht, wo ich niemals gefunden werden würde. Ich
zitterte am ganzen Leibe… Auf einmal wurde es still.

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Schliefen die Männer? Zunächst traute ich dem Frieden nicht,
aber dann begriff ich, daß sie von der Flucht kaum weniger
erschöpft waren als ich. Also erhob ich mich so geräuschlos,
wie ich mich noch nie bewegt hatte, nahm einen der Revolver
an mich, ebenfalls die Satteltaschen mit dem Geld und einen
Gürtel. Ich schwang mich auf mein Pferd und ritt davon. Aber
höchstens zwei Minuten war ich unterwegs, da kamen sie
brüllend hinter mir her. Ich verlor den Kopf und suchte Schutz
zwischen den Felsen. Ich hörte ihre Schritte im Geröll hinter
mir. Nur zweierlei war günstig für mich: Ich befand mich im
Schutze der Felsen, während sie keine Deckung hatten.
Außerdem wußte ich, daß sie nach Möglichkeit alle Schüsse
vermeiden würden, während es mir ganz gleichgültig war, wer
meine Schüsse hörte! Immer näher kamen sie. Ich hielt den
Revolver mit beiden Händen, und er zitterte und schwankte.
Dann gab ich Feuer und sah, wie einer zusammenbrach. Der
andere aber kam weiter auf mich zugerannt. Wieder schoß ich,
und offenbar wurde er getroffen. Jedenfalls taumelte er hinter
ein paar Felsklötze. Ich hatte viel zuviel Angst, als daß ich
mich vom Erfolg meiner Schüsse an Ort und Stelle überzeugt
hätte. Vielmehr führte ich meinen Gaul auf den Pfad zurück
und ritt davon. Nur ein einziger Gedanke füllte mich ganz aus:
Ich war frei.“

Penrose schwieg und blieb erschöpft und bewegungslos

liegen. Hoss starrte seinen Bruder stirnrunzelnd an.

„Nun?“ fragte er. „Glaubst du ihm nun?“
Aber Joe wandte sich erneut an den Verwundeten.
„Als wir Sie fanden, waren Sie doch aber angeschossen!“

sagte er. „Wie war es dazu gekommen?“

„Noch zwischen den Felsen hat einer auf mich geschossen,

während ich floh“, war die Antwort.

„Und wissen Sie auch, wer es war?“ drang Joe weiter in ihn.
Penrose nickte mühsam.

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„Jawohl“, murmelte er. „Ich habe sein Gesicht gesehen: Es

war Red Mixon.“

„Wenn aber Red Mixon Sie so schwer angeschossen hat“,

fragte Joe zweifelnd, „wie konnten Sie ihm dann entkommen?“

„Ich konnte mit aller Mühe in den Sattel steigen und mich so

lange halten, bis ich die beiden Pferde der Banditen
losgebunden und davongejagt hatte.“

„Großartig!“ lobte Hoss.
„Vermutlich habe ich überhaupt nicht nachgedacht“,

gab

Penrose zu. „Meine Wunde verursachte mir so fürchterliche
Schmerzen, daß ich nur ein Bestreben hatte, Red und Webber
Schaden zuzufügen. Deshalb habe ich ihre Pferde
verscheucht.“

„Nicht unverständlich“, meinte Hoss.
„Ich hing also ziemlich kläglich auf meinem Pferd“, fuhr

Penrose fort. „Endlich erreichte ich das Vorgebirge, und
während ich durch den Kiefernhain ritt, stürzte ich zum
zehnten Male aus dem Sattel. Diesmal aber konnte ich nicht
mehr aufs Pferd kommen. Ich war völlig erledigt. Also band
ich das Pferd an einen Strauch und verkroch mich irgendwo
zwischen den Felsen.“

„Und dort haben Joe und ich Sie gefunden“, lächelte Hoss.
Aber Joe lächelte nicht.
„Jawohl – und Sie haben auf uns geschossen!“
Hoss runzelte die Stirn und schaute Joe empört an. Penrose

wurde bleich. Erst nach einer Weile nickte er.

„Ich hatte ja keine Ahnung, daß Sie es waren!“ verteidigte er

sich. „Ich war völlig von Sinnen vor Fieber und Schmerzen.
Das müssen Sie doch verstehen!“

„Natürlich verstehen wir es“, versicherte ihm Hoss tröstend.
„Ich hatte nur einen Gedanken“, fuhr Penrose fort. „Ich war

überzeugt davon, daß Red und Webber mich aufgespürt
hatten.“

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Sein Kopf sank ins Kissen zurück, und er schloß die Augen.

Es war, als atme er überhaupt nicht mehr.

„Von dem vielen Reden ist der arme Kerl total er schöpft!“

Hoss beugte sich mitleidig über den Verwundeten. „Nun ruhen
Sie sich nur aus, damit Sie wieder zu Kräften kommen,
Penrose! Joe und ich, wir stehen jetzt auf Ihrer Seite darauf
dürfen Sie sich verlassen!“

Joe stand auf. Ihm war, als wollten die Wände der Hütte über

ihm einstürzen. Die Luft war unerträglich dick. Mit schweren
Schritten ging er auf den Hof hinaus.

Als er hörte, daß Hoss ihm folgte, blieb er stehen.
„Was ist denn, Joe?“ fragte Hoss mit ernstem Gesicht. „Du

benimmst dich, als glaubtest du dem armen Teufel noch immer
nicht – nach allem was er hat durchmachen müssen!“

Joe wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der

Stirn.

„Wir müssen ganz sicher sein, und seine Geschichte hat doch,

wie mir scheint, manches Loch!“

„Ich wüßte nicht, welches“, erwiderte Hoss stirnrunzelnd.
Joe hob die Schultern.
„Überleg doch mal, Hoss!“ mahnte er. „Warum sollten

Revolverhelden wie Red Mixon und Dallas Webber ein
windiges, unerfahrenes Bürschlein wie diesen Penrose aus der
Bank mitnehmen, obwohl sie sich doch bestimmt klar darüber
waren, daß sie so schnell wie möglich sehr weit reiten mußten
– und zwar, durch unwirtliches Land! Schließlich waren sie ja
auf der Flucht vor dem Galgen!“

„Jedenfalls haben sie ihn mitgenommen – weil er nun einmal

da war, und sie haben ihn das Geld schleppen lassen.“

„Hoss! Red Mixon konnte mit dem Finger einer Hand mehr

Geldsäcke tragen als Penrose mit beiden Armen!“

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„Und wenn schon – jedenfalls haben sie ihn gezwungen,

mitzureiten und das gestohlene Geld zu tragen!“ sagte Hoss
verstockt.

Joe wanderte auf dem Hof auf und ab. Einen Augenblick lang

wußte er nicht weiter. Dann fuhr er mit einem Ruck herum.

„Sie haben also Penrose gezwungen, sie zu begleiten. Und er

hat beide verletzt oder sogar getötet. Kannst du das glauben?
Immerhin waren die beiden ganz vorzügliche Schützen –
während er zugibt, daß er den Revolver mit beiden Händen
halten mußte!“

„Aber er saß doch in guter Deckung zwischen den Felsen!“

erklärte Hoss.

„Die beiden hätten ihn mit Leichtigkeit aus der Deckung

gescheucht, Hoss!“ Joe schüttelte den Kopf. „Diese beiden
Banditen verfügen über reiche Erfahrung, wie man so etwas
macht. Mixon und Webber sind alles andere als Tölpel.
Glaubst du wirklich, Penrose habe ihnen mit seiner klapprigen
alten Mähre davonreiten können?“ Anklagend deutete Joe in
den Pferch, wo das magere Pferd sich müde gegen den Zaun
lehnte. „Die Geschichte hat zahlreiche Löcher, Hoss! Und wir
beide sind dabei, den Kopf in des Henkers Schlinge zu
stecken.“

„Ich sehe keinen Anlaß, meine Meinung zu ändern“,

versicherte Hoss. „Ganz bestimmt war alles so, wie Penrose
berichtet hat!“

„Woher willst du das wissen?“
Hoss überlegte mit gerunzelter Stirn und suchte nach

überzeugenden Worten.

„Jedenfalls glaube ich dem armen Kerl“, erklärte er endlich.

„Ganz bestimmt hatte er die Absicht, dem Sheriff das Geld
zurückzubringen.“

„Großartig!“ nickte Joe. „Aber nun wollen wir ebenso

vernünftig sein wie er – und den Sheriff herbeirufen.“

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In diesem Augenblick hörten sie Penrose heftig stöhnen.

Hoss fuhr herum und stürmte in die Hütte. Joe folgte ihm
gemächlich.

Penrose saß auf dem Bettrand und ließ die Beine baumeln. Er

sah aus, als wolle er jeden Augenblick ohnmächtig werden.
Besorgt stützte ihn Hoss und wollte ihm helfen, sich wieder
hinzulegen. Aber der Verwundete winkte ab.

„Warten Sie, Hoss!“ stieß er mit schwankender Stimme

hervor. „Ich muß noch eines hinzufügen: Joe hat nämlich ganz
recht – ich habe kein Recht, von euch zu verlangen, daß ihr
euer Leben und euren guten Ruf aufs Spiel setzt – für einen
Kerl wie mich. Nein, es ist euer gutes Recht, den Sheriff
herbeizuholen!“

„Wir sind aber groß genug, um auf uns selber aufzupassen!“

versicherte ihm Hoss.

Penrose seufzte auf.
„Aber überlegen Sie, Joe, was es bedeuten würde, wenn Sie

den Sheriff herholten, anstatt mich zu ihm reiten zu lassen.
Müßte das nicht schlimm für mich aussehen? Wenn Sie mir
schon nicht glauben, so werden es doch die andern um so
weniger tun. Und ich kann nicht beweisen, daß ich das Geld
wirklich zurückbringen wollte – solange ich nicht selbst nach
Virginia City reite!“

„Ich glaube Ihnen!“ nickte Hoss.
„Dennoch haben Sie recht!“ gab Joe zu. „Niemand würde

Ihnen glauben!“

Penrose ließ sich zurücksinken. Er seufzte und konnte sich

kaum noch rühren vor Erschöpfung.

„Ich bitte nur ungern um etwas!“ murmelte er dann

schließlich. „Aber es geht um mein Leben, Joe. Warten Sie
doch, bis ich wieder reiten kann. Sie können mich bewachen,
so streng Sie wollen; daraus werde ich Ihnen bestimmt keinen
Vorwurf machen. Und wenn ich dann wieder in der Lage bin,

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mich im Sattel zu halten, reiten wir alle drei nach Virginia
City. Dort liefere ich das Geld ab und rette meinen ehrlichen
Namen… Ich weiß, daß ich kein Recht habe, so etwas zu
verlangen… Aber Sie werden einsehen, daß dies die einzige
Möglichkeit wäre, daß ich weiterhin als ehrlicher Mann gelte.“

Hoss erhob sich und schlug sich mit der riesigen Faust in die

linke Handfläche.

„Ich bin dafür, Penrose!“ erklärte er. „Menschenskind, ich

bekomme fast eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie wir
drei mit einem solchen Haufen Geld nach Virginia City
einreiten!“

Candy schaute den drei Bergleuten entgegen, die mit

erhobenen Hacken auf ihn zukamen. Gleichzeitig entging ihm
nicht das niederträchtige Grinsen in Clymers Gesicht. Mit
grimmiger Vorfreude erwartete der Grubenbesitzer das
grausame Spiel.

„Halt!“ Candy zuckte zusammen. Das war die Stimme von

Ben Cartwright! Im ersten Augenblick konnte Candy gar nicht
begreifen, was geschah, dann aber fühlte er große
Erleichterung.

Ben Cartwrights dunkle Augen schleuderten Blitze. Er saß im

Sattel eines großen Pferdes und wirkte wie das Standbild eines
Herrschers.

„Laßt sofort eure Hacken fallen!“ befahl Ben. „Wenn einer

Schwierigkeiten macht, schieße ich – zuerst auf dich, Elliot!“

Clymer zauderte einen Augenblick, und sein Gesicht färbte

sich blutrot. Widerstrebend ließ er sein Gewehr fallen, als sei
es plötzlich glühend heiß geworden. Dann winkte er mit dem
Kopf, und sofort zogen sich die drei Bergleute zurück.

„Der Junge ist gekommen, um mich eines schweren

Verbrechens anzuklagen!“ rief Clymer aufgebracht.

Ben schüttelte den Kopf.

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„Nein!“ widersprach er entschieden. „Der Junge macht sich

nur Sorgen um mich, Elliot. Er hat dich wegen des Zettels
fragen wollen. Das habe ich mir gleich gedacht, als ich merkte,
daß die Skizze verschwunden war.“

„Niemand darf es wagen, mich des Raubes und der Hehlerei

zu beschuldigen, Cartwright!“

„Zugegeben!“ nickte der Rancher. „Es war nicht richtig von

dem Jungen. Aber dennoch hat er ehrenhaft gehandelt: Er
wollte etwas Gutes tun, außerdem hat er Mut bewiesen. Es
gehört allerlei dazu, sich den Schlägen von Knüppeln
auszusetzen; dabei geht leicht der Schädel zu Bruch!“

„Jedenfalls wünsche ich, daß er verschwindet!“
Ben winkte Candy zu, er solle aufsitzen. Während der Junge

gehorchte, ließ Cartwright keinen Blick von Clymer.

„Diese Bosheit werde ich dir nicht vergessen, Elliot!“ rief er

dem Grubenbesitzer zu. „Bisher habe ich dich stets für einen
Ehrenmann gehalten! Aber das ist nun vorbei…“

„Ich lasse mich nicht beleidigen!“
Ben schürzte die Lippen und nickte dann.
„Jedenfalls sieht es so aus, als seist du nach wie vor nicht

bereit, bei der Aufklärung des Bankraubes zu helfen. Ich
beschuldige dich nicht, Elliot; aber ich warne dich! Deine
Forderungen gegen mich oder gegen die Bank werden nicht
beglichen, solange die Herkunft der Zeichnung und der
Bankraub nicht eindeutig geklärt sind!“

„Du wagst es, mir zu drohen, Cartwright?“
„Genau das hatte ich vor!“ erwiderte Ben in aller Ruhe.
Clymer beugte sich über das Geländer des Vorbaus.
„Ich schleppe dich vor Gericht!“ schimpfte er mit

krächzender Stimme. „Ich werde dich ruinieren!“

Ben zuckte nur die Achseln. Er winkte Candy, er möge vor

ihm herreiten. Dann trabten die beiden gemächlich davon.

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Einen Augenblick lang blieb Joe in der Tür der Hütte stehen;

sein Gesicht war düsterer denn je. Hoss wollte mit ihm
sprechen, aber der Bruder schüttelte ihn einfach ab und trat auf
den Hof.

Schweigend fütterte er die Pferde auf der Koppel. Dann

schaute er weit über die Ebene und in die Berge hinein.

Still war es nun in der Hütte. Hoss bewegte sich überhaupt

nur noch auf Zehenspitzen, während er aufräumte und das
Frühstücksgeschirr spülte. Als er bemerkte, daß Penrose
eingeschlafen war, lächelte er zufrieden. Fröhlich trat er auf
den Hof hinaus; aber Joe kümmerte sich nur um seine Arbeit
und blickte nicht auf.

Hoss warf einem der Pferde die Schlinge um den Hals, holte

es zum Koppeltor heran und sattelte es. Dann wartete er noch
einen Augenblick, aber Joe fragte nicht, wohin er wolle.

„Ich bleibe nicht lange fort“, rief Hoss ihm zu. „Penrose

schläft; und er hat dringend Ruhe nötig.“

Dann schwang er sich in den Sattel, ritt über die offene

Weide und in den Wald hinein. Hier stieg er ab, schnitt dicke
Espenzweige und band sie wie einen großen Besen hinten an
den Sattel, so daß sie hinter dem Pferde hergeschleift wurden.

Langsam ritt er dann bergauf weiter. Er folgte dem Pfad, den

sie mit Penroses Bahre neulich heruntergekommen waren, und
verwischte die Spuren bis zu der Stelle, wo sie neulich den
Verwundeten entdeckt hatten. Hier schnitt er den großen Besen
ab und schaute befriedigt zurück: Nun würde niemand mehr
der Spur folgen können, die die Bahre neulich gezogen hatte.

Weiter ritt er bergan, bis sein Pferd nicht mehr konnte. Dann

stieg er ab und kletterte zu Fuß weiter, das Lasso aufgerollt in
der Hand. Bald hatte er gefunden, was er suchte: Die
versprengten Rinder, die vor Angst in der ausweglosen
Wildnis fast wahnsinnig geworden waren.

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Hoss ließ die Schlinge des Lassos gegen sein Bein klatschen

und trieb die verschreckten Rinder ins offene Land hinaus. Er
schwenkte den Hut, und die Tiere trotteten immer schneller
zwischen den Bäumen dahin.

Endlich ließ er sie allein; sie würden nun wissen, wo sie das

Gras und das Wasser von Ponderosa wiederfinden konnten.

Er war mit seinem Tagewerk zufrieden. Während er den

Felsenhang abwärts stieg, überlegte er, wie man Penrose nun
endgültig helfen konnte. Er stellte es sich plötzlich fast so
einfach vor wie die Rettung der Rinder.

Ein triumphierendes Lachen erhellte sein Gesicht, während er

sich ausmalte, wie sie zu dritt – Joe, Penrose und er – in
Virginia City einreiten würden,: Zu beiden Seiten der Straße
standen die Menschen und beobachteten die
einmarschierenden Sieger. Dabei würden sie in diesem
Augenblick noch nicht einmal das Wichtigste wissen: daß
nämlich Penrose das Geld zurückbrachte, um seinen ehrlichen
Namen wiederherzustellen.

Als Hoss zu seinem Pferd zurückkehrte, bemerkte er die

Reiter erst gar nicht, die plötzlich von allen Seiten zwischen
dem Unterholz und aus dem Wald heranritten. Plötzlich aber
sah er sie, und er blieb wie angewurzelt stehen. Diese Männer
kannte er alle: Sie waren seine Freunde und ritten im Aufgebot
des Sheriffs Coffee.

Offenbar waren sie erschöpft, und der Schweiß hatte ihre

Hemden durchnäßt; aber am auffälligsten war, daß sie ihn mit
grimmigen, zornigen Gesichtern anstarrten. Hoss verschlug es
den Atem, als er sah, daß der Anführer der Gruppe den
Revolver anlegte und ohne zu zittern auf ihn zielte.

„Hände hoch, Hoss!“ befahl der Stellvertreter des Sheriffs.

„Wir sind dir nachgeritten, seit du angefangen hast, die Spur zu
verwischen. Und nun möchten wir wissen, was hinter alledem

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steckt. Beeile dich, wir werden nicht viel Geduld mit dir
haben!“

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Ponderosa in Gefahr



Unbehaglich ließ Hoss den Blick von einem Gesicht zum
andern wandern. Viel Freundlichkeit konnte er in den Augen
der Männer nicht entdecken. Und immer wieder mußte er in
die Mündung des Revolvers sehen, den der Anführer fest auf
ihn richtete.

„Hört mich doch wenigstens an!“ begann er endlich. „Was ist

denn eigentlich geschehen, daß ihr mich plötzlich wie einen
Fremden anstarrt – obendrein wie einen Verbrecher?“

„Was geschehen ist?“ krächzte einer der Männer. „Ein

Banküberfall und ein Raub sind geschehen! Das Verbrechen
kann uns alle ruinieren und unsere ganze Stadt vernichten!“

„Und damit hätte ich etwas zu tun?“ brauste Hoss auf.
„Wir wissen selbst nicht, was wir denken sollen, Hoss!“ rief

der Mann zurück. „Aber wir haben dich beobachtet!“

„Und wir möchten wissen, warum du es getan hast!“ fügte

der Anführer hinzu.

„Du hast eine Spur verwischt, Hoss!“ meinte wieder der erste

Reiter. „Warum denn?“

Wieder blickte Hoss in die Runde. Er suchte ein einziges

freundliches Gesicht. Plötzlich war ihm, als stocke ihm der
Herzschlag.

Einer der Männer war Cal Lassiter!
Cal hatte sich schon allerlei Lügen von Joe auftischen lassen.

Und nun war Hoss an der Reihe! Heiß und kalt rann es ihm
den Rücken hinunter, und der Kragen wurde ihm zu eng.

„Nun, Hoss!“ rief Cal. „Wie geht es Curly?“
„Hm – Curly?“ Schnell hatte Hoss sich gefaßt. „Ach, es geht

schon besser, Cal! Vielen Dank!“

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Furcht füllte Hoss aus. Um jeden Preis mußte er die Männer

von der Hütte fernhalten. Es kam ja unbedingt darauf an, daß
Penrose aus freien Stücken nach Virginia City ritt und das
Geld zurückgab.

„Wir warten, Hoss!“ Noch unfreundlicher erklang die

Stimme des Anführers.

Hoss schaute in das erschöpfte Gesicht des Mannes hinter

dem erhobenen Revolver.

„Was wolltest du denn verbergen, Cartwright?“
Hoss schüttelte nur den Kopf. Einen Augenblick lang konnte

er vor lauter Angst und Sorge nicht klar denken. Das Lügen
war ihm noch nie im Leben leichtgefallen; und im Augenblick
konnte er an nichts anderes denken als an die Gefahr, in der
Penrose schwebte. Joe und er hatten dem Buchverkäufer das
Leben gerettet. Sollte ihr Plan nun doch noch scheitern?

„Wie wäre es denn, wenn wir dich zu Sheriff Coffee

brächten?“ rief einer der Männer.

Hoss richtete sich ein wenig auf.
„Weshalb wolltet ihr das tun?“ fragte er. „Ihr kennt mich

doch; und ihr wißt ganz genau, daß ich kein Verbrechen
begehen würde.“

Einen Augenblick lang bedachten die Männer seinen

Einwand.

„Du hast eine Spur verwischt!“ wiederholte der Anführer der

Männer. „Und du weichst uns aus und redest nicht offen.
Jedenfalls ist dies unser aller Meinung!“

„Du hast doch etwas auf dem Herzen, Hoss!“ drängte ein

anderer Mann. „Heraus damit!“

„Jawohl, ich habe die Spur verwischt!“ gab Hoss zu. „Aber

wenn ihr mir wirklich nachgeritten seid, dann müßt ihr doch
gesehen haben, daß ich dort oben in den Felsen ein paar
versprengte Kühe aufgetrieben und zur Ranch
zurückgescheucht habe.“

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„Das stimmt!“ bestätigte Cal Lassiter.
Hoss war geradezu erschüttert darüber, daß Cal ihm

beisprang.

Sogleich aber machte er sich klar, daß ja nur sein eigenes

schlechtes Gewissen zwischen ihm und Lassiter stand.

„Weiter!“ befahl der Anführer.
„Ich habe die Kühe vor ein paar Tagen verloren“, brachte

Hoss mühsam hervor, während er nach Worten suchte. „Und
ich wollte eben nicht, daß jemand – zum Beispiel mein Vater –
etwas erführe…“

„Jawohl“, rief Cal wieder. „Joe hat mir gesagt, Curly Stobbs

sei vom Pferd gestürzt und habe sich verletzt. Die beiden
wollten nicht, daß ihr Vater etwas davon erführe, weil sonst
Curly vielleicht fliegen würde.“

„Richtig!“ strahlend nickte Hoss dem Helfer zu. „Genauso ist

es, wie Cal sagt!“

„Jedenfalls sah es recht verdächtig aus, was du da getan

hast!“ beharrte der Anführer der Gruppe.

Die Spannung aber war gewichen, und die Männer rundum

blickten wieder freundlicher. Sie kannten Hoss zu gut, als daß
sie ihm ernsthaft ein Verbrechen zugetraut hätten.

„Wir haben uns geirrt“, meinte einer der älteren Männer,

während er dem Anführer zunickte. „Wir haben nicht daran
gedacht, daß Cartwrights Familie so viel zu verlieren hat wie
wir alle – eher noch mehr. Wenn ich nicht irre, ist sie am
härtesten getroffen.“

„Das stimmt“, nickte ein anderer.
Der Anführer steckte den Revolver ein.
„Jedenfalls ist die Zeit jetzt nicht gerade günstig, Dinge zu

tun, die man nicht begründen kann, Hoss!“ knurrte er böse.

Hoss nickte. Still saß er im Sattel und schaute den Männern

nach, die zwischen den Bäumen verschwanden. Eines der
letzten Worte hatte ihn schwer getroffen.

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Was hatte es zu bedeuten, daß Cartwrights Familie am

schwersten von allen betroffen sei?

Endlich schüttelte er den Kopf. Vater und Söhne hatten schon

oft schwere Zeiten durchgemacht. Dann brauchte man nur den
Riemen etwas enger zu schnallen, in die Hände zu spucken
und täglich ein paar Stunden mehr zu arbeiten! Was konnte
ihnen der Bankraub viel ausmachen? Nie im Leben wäre Hoss
der Gedanke gekommen, sein Vater könne die gewaltige
Ranch, die größer war als mancher Staat im Osten, von heute
auf morgen verlieren!

Während er den Berg hinunterritt, fühlte er sich schon etwas

wohler, er blieb aber doch nervös. Zu haarscharf war er am
Verderben vorbeigegangen. Fast wäre alles hingewesen!

Joe war noch vor der Hütte, und Hoss lächelte ihm

zuversichtlich zu. Von seinem Abenteuer erwähnte er kein
Wort.

„Ich habe die versprengten Tiere aus den Bergen getrieben,

Joe“, berichtete er nur.

Joe nickte ohne alle Begeisterung.
Hoss schwang sich aus dem Sattel und warf die Zügel über

einen Pfosten des Koppelzaunes.

„Wie geht es Penrose?“
„Gar nicht gut“, war die Antwort. „Schlimmer, als man

meinen sollte, wo es sich doch nur um eine Fleischwunde
handelt. Er hat wieder Fieber.“ Joe schüttelte den Kopf. „Er
schwätzt und ist von Sinnen. Anscheinend braucht er einen
Arzt – und Medizin.“

„Was sollen wir tun?“
„Am besten brächten wir ihn zum Arzt“, erklärte Joe

entschieden. „Aber womöglich würde er den Transport nicht
überleben. Ich meine, wir sollten Dr. Stark herholen!“

„Und wie soll Penrose dann seine Ehre wiederherstellen?“

fuhr Hoss auf.

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„Was nützt ihm die wiederhergestellte Ehre, wenn er tot ist?“

wandte Joe ein. „Falls er wirklich unschuldig ist, weiß es der
Herrgott ganz bestimmt. Penrose braucht Medizin, Hoss.“

Unruhig wanderte Hoss auf und ab. Endlich nickte er.
„Ich reite nach Ponderosa, Joe.“
„Da mußt du aber Vater alles sagen.“
Hoss zuckte zusammen, nickte dann aber tapfer.
„Vielleicht ist der Gedanke gar nicht schlecht, Joe.“ Und als

Joe die Stirn krauste, nickte er noch einmal: „Ich werde Vater
alles erzählen. Er wird einen Rat wissen, und dann haben wir
auch ihn auf Penroses Seite. Wenn Vater erklärt, daß Penrose
das gestohlene Geld zurückgebracht hat, dann möchte ich den
Einwohner von Virginia City sehen, der daran zweifelt!“ Aber
Joe war noch skeptisch.

„Eine großartige Idee von dir, Hoss – falls Vater es glaubt.“
„Bestimmt wird Vater es glauben“, versicherte Hoss. „Dafür

werde ich sorgen.“

Joe schaute Hoss an und schüttelte den Kopf. Aber er sagte

kein Wort, vielleicht konnte der Glaube wirklich Berge
versetzen!


Mit unbedecktem Kopf stand Joe am Koppelzaun und schaute
Hoss nach, der nach Ponderosa davonritt. Erst als er den
Bruder nicht mehr sehen konnte, wandte er sich ab und
schlenderte zaudernd zur Hütte zurück.

Drinnen ließ er sich auf einen Stuhl sinken und versuchte, das

Fiebergeschwätz nicht zu hören. Dabei ließ er keinen Blick
von dem Kranken, als wollte er von dem aschfahlen Gesicht
ablesen, was das Gestammel bedeute.

Joe mußte zugeben, daß das Denken ihm leichter fiel, seit

Hoss nicht mehr da war. Immer wieder überlegte er, was der
Verwundete ihnen von dem Bankraub erzählt hatte. Er kam

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nicht klar. Wie ein Rätsel gingen ihm die immer wiederholten
Worte durch den Kopf. Er wurde das Gefühl nicht los, daß die
Lösung zum Greifen nahe sei und daß er sie nur vor lauter
Verbohrtheit nicht fände.


Je mehr sich Hoss der heimatlichen Ranch von Ponderosa
näherte, desto leichter wurde ihm zumute, als sinke ein
schweres Gewicht von seinen Schultern. Beim Anblick des
Ranchhauses überflutete ihn ein Gefühl der Sicherheit und
Wärme.

Fröhlich lächelnd ritt er auf den Hof. Alles war hier so

anheimelnd; die festgefügten Scheunen und Stallungen, Häuser
und Pferche schienen ihm grüßend entgegenzulachen.

In diesem Augenblick trat der Vater aus dem Haus und

winkte Hoss von der Veranda aus zu.

Hoss schwang sich aus dem Sattel. Er hörte Hop Sing in der

Küche hantieren, vernahm die Geräusche in den Ställen und in
der Schmiede. Er war wieder daheim – und nun war alles
wieder gut.

„Wie schön, wieder zu Hause zu sein, Pa.“ Hoss lachte dem

Vater zu, dehnte die Brust und sog begierig die Heimatluft ein.

„Gewiß“, nickte der Vater. „Aber wir dürfen unser Herz nicht

zu sehr an ein einziges Gut hängen, nicht einmal an den
heimatlichen Hof.“

Hoss starrte ihn verblüfft an. Noch niemals hatte er solche

Worte aus dem Munde des Vaters vernommen.

„Aber hier ist doch unser Zuhause, Vater!“ rief er aus. „Wo

anders könnte es auch nur halb so schön sein?“

Es schien ihm, als hole der Vater tief Luft, als wolle er etwas

sagen… Dann aber schaute er den Sohn nur schweigend an.

Hoss runzelte die Stirn. Sah der Vater nicht auf einmal älter

aus? Das konnte doch nicht sein. Immer war er seinen Söhnen

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jünger vorgekommen als sie selbst. Er hatte stets viel zu fleißig
gearbeitet, als daß er Zeit zum Altern gehabt hätte.

„Was ist denn, Vater?“ drang er in ihn. „Ist etwas

geschehen?“

Cartwright zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte den

Kopf.

„Dieselbe Frage könnte ich dir stellen, Hoss“, meinte er.

„Was hast du denn auf dem Herzen?“

„Erst einmal bist du dran, Pa!“ beharrte der Sohn.
„Ich sehe dir an, daß du mir etwas sagen möchtest. Also los!“
Einen Augenblick lang schien Cartwright zu zaudern; dann

aber schüttelte er den Kopf.

„Nein“, meinte er ausweichend. „Was ich zu sagen hätte, hat

auch Zeit… Zum Galgen soll man nicht rennen, pflegte meine
Großmutter zu sagen… Schütte erst einmal du mir das Herz
aus!“

„Wie kommst du denn darauf, Vater, daß ich etwas auf dem

Herzen hätte?“

Cartwright schüttelte den Kopf und lächelte verkniffen. Er

legte dem Jungen, der inzwischen die Stufen ganz
heraufgekommen war, den Arm um die Schulter und führte ihn
in die gemütliche Wohnstube, in der man noch hier und da die
Schrammen erkannte, die die Kinder bei ihren manchmal
wilden Spielen hinterlassen hatten.

„Dich bedrückt etwas, Hoss!“ Fest schaute der Vater ihn an.

„Mir kannst du nichts vormachen. Du weißt, daß ich dich noch
immer durchschaut habe. Du hast ein ehrliches Gesicht. Also
brauchst du jetzt nicht damit anzufangen, mir Theater
vorzuspielen.“

Hoss räkelte sich unbehaglich in dem Sessel, in dem er Platz

genommen hatte.

„Joe geht es gut, Pa.“

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„Davon bin ich überzeugt“, lachte der Vater. „Wenn es nicht

so wäre, hättest du es mir bestimmt schon gesagt.“ Er ließ sich
in den Sessel fallen, streckte die Beine von sich und wartete.

Hoss zitterte leicht; ihm fiel Joes Warnung ein: Sein Vater

ließ sich nicht so leicht täuschen.

Er holte tief Luft. Er wollte ja den Vater auch gar nicht

täuschen; er selbst glaubte doch an Penroses Unschuld.
Dennoch machte Hoss sich klar, daß es nicht ganz einfach sein
würde, den Vater davon zu überzeugen.

Ben Cartwright schaute noch immer den Sohn unverwandt

an. Bedächtig stopfte er sich die Pfeife, zündete sie an und
hüllte sich in eine dicke graue Wolke.

„Was habt ihr denn oben in der Hütte erlebt, Hoss?“ lockte

er.

Noch einmal holte Hoss tief Luft – und dann begann er zu

erzählen. Als er endlich fertig war, schwitzte er am ganzen
Leibe.

Cartwright hatte sich nicht gerührt und ihn mit keinem Wort

unterbrochen.

Erst als Hoss sich schweigend zurücklehnte, beugte er sich

ein Stück vor.

„Und dieser Mann oben in der Hütte hat all das viele Geld?“

fragte er.

„Jawohl, Pa!“
„Das Gold also?“
„Gold?“ Hoss runzelte kopfschüttelnd die Stirn. „Was für

Gold denn, Vater?“

Cartwrights Gesicht wurde hart. Er schüttelte schwer den

Kopf. Hoss hatte das Gefühl, als schaue der Vater durch ihn
hindurch.

„Ich bin hier, um Medizin für den Verwundeten zu holen,

Vater“, stieß Hoss hervor.

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„Das hat Zeit.“ Cartwright stand auf und wanderte im

Zimmer auf und ab; Hoss bemerkte an ihm eine innere
Spannung, wie er sie noch nie gekannt hatte. „Was dieser
Penrose für Geld bei sich hat, das weiß ich nicht; auch ahne ich
nicht, inwieweit er in den Bankraub verstrickt ist…“

„Das habe ich dir doch gesagt, Pa.“
„… aber ich wünsche, daß du sofort nach Virginia City reitest

und Roy Coffee alles haarklein berichtest. Und dann überläßt
du Roy den Fall!“

„Aber wenn Penrose nun wirklich unschuldig ist?“ rief er

aus.

Der Vater fuhr herum. Er hatte die Fäuste geballt. Die Augen

schossen Blitze.

„Hinter der ganzen Sache steckt mehr, als du begreifst,

Hoss!“ knurrte er. „Ich weiß nicht, ob Penrose unschuldig oder
schuldig ist. Aber vielleicht weiß er etwas, was ungeheuer
wichtig ist. Und über Schuld oder Unschuld hat der Richter zu
entscheiden, Hoss!“

„Aber diese Entscheidung würde doch viel leichterfallen“,

beharrte Hoss, „wenn Penrose tatsächlich in der Lage wäre, in
die Stadt zu kommen und das Geld selbst abzuliefern!“

„Leider kann Penrose das aber nicht tun“, erinnerte ihn der

Vater. „Und bis er wieder dazu in der Lage ist, könnte ihm
etwas zustoßen. Wir aber brauchen das, was er weiß, sofort,
Hoss! Der Sheriff muß es wissen. Wenn du nicht dafür sorgst,
daß er es erfährt, kannst du wegen Hehlerei eingesperrt
werden!“

„Das habe ich schon bedacht.“
„Aber du hast offenbar nicht bedacht, wie teuer dein

gewissenloses Zaudern uns zu stehen kommen könnte – uns
allen.“

Hoss nickte.

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„Auch daran habe ich gedacht“, murmelte er. „Aber ich

möchte Penrose eine einzige Chance geben. Ich finde, das ist
nicht zuviel verlangt. Laß uns noch kurze Zeit warten.“

„Was sagt denn Joe dazu?“
Hoss versuchte zu lächeln, aber vergeblich.
„Ich glaube, Joe ist noch nicht endgültig entschlossen.“
„Das heißt also, Joe wollte ebenfalls die Sache dem Sheriff

übergeben, und du hast es ihm ausgeredet!“

„Wir beide wünschen, daß Penrose die Möglichkeit erhält,

sich zu entschuldigen“, erklärte Hoss verstockt. „Mehr nicht.“

„Das mache ich aber nicht mit, Hoss!“
„Vater!“ flehte der Sohn. „Willst du dich wirklich gegen

mich stellen, wenn ich doch nur einen kleinen Aufschub
wünsche? Du weißt genau, daß ich so etwas für mich selbst
nicht verlangen würde. Aber der arme verwundete Kerl da
oben hat nie im Leben einen Freund gehabt und niemanden,
der ihm geholfen hätte. Nur deshalb will ich ihm seine Chance
verschaffen.“

Cartwright setzte seine Wanderung durchs Zimmer wieder

fort, während er dicke Wolken aus der Pfeife paffte. Laut tickte
die alte Uhr an der Wand, Sekunde um Sekunde…

Hoss erschauerte. Kein Auge ließ er von dem Vater. Aber er

ballte die Fäuste und war entschlossen durchzuhalten.

„Immer wieder habe ich Verständnis für dich gehabt, Hoss“,

begann der Vater nach einer Weile wieder. „Aber diesmal geht
es zu weit. Ich befehle dir, Hoss, zu tun, was ich gesagt habe.
Ich könnte die Folgen sonst nicht verantworten!“

„Die Folgen nehme ich auf mich, Vater“, erklärte Hoss stolz.
„Wirklich, Hoss? Selbst die Folge, daß wir Haus und Hof

verlieren?“

Hoss runzelte die Stirn.
„Nichts werden wir verlieren, Vater!“ behauptete er.

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„Wenn du mir vertraust, bringen wir alles in Ordnung. Und

bisher hast du mir noch immer vertraut.“

Der Vater schaute ihn hart an.
„Du wirst tun, was ich dir gesagt habe, Hoss!“
Hoss zuckte zusammen. Ihm war, als drehe sich ihm der

Magen um.

„Ich kann nicht, Vater“, murmelte er tonlos. „Diesmal kann

ich dir nicht gehorchen. Ich muß tun, was mir mein Gewissen
vorschreibt. Bitte, Vater, versteh mich doch.“

Er schaute den Vater hoffnungsvoll an, dessen Augen aber

blieben kalt.

Traurig senkte Hoss den Kopf, wandte sich ab und verließ

das Haus.

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Verhaftet!



Geradezu spürbar, wie drückender Nebel, hing die Spannung
über Virginia City, als Hoss durch die Stadt ritt.

Er spürte, daß alle Leute Angst hatten, daß sie jedem

mißtrauten und daß sie unter der drohenden Not und dem
Zusammenbruch all ihrer Hoffnungen jetzt schon litten. Die
Ladentüren standen offen, aber niemand schien zu arbeiten
oder etwas Nützliches zu tun. Ein paar Leute standen herum,
aber offenbar sprachen sie nicht miteinander. Kein Gelächter
und kein fröhliches Rufen der Kinder war zu hören. Sogar in
den Gaststuben war es still.

„Hallo, Hoss! Hoss Cartwright!“
Der Reiter zügelte sein Pferd und hielt mitten auf der

besonnten Straße an. Aus dem Kaufhaus kam Sheriff Coffee
auf ihn zu.

„Ich freue mich, dich zu sehen, Hoss.“ Der Sheriff blinzelte

zu ihm auf. „Ich hatte ohnehin vor, zu euch hinauszukommen
und mit dir und Joe zu reden.“

Hoss fühlte ein dumpfes Schuldgefühl in der Magengrube.

Hatte Roy Coffee bereits etwas gehört? Er mußte wieder an die
Worte des Vaters denken: daß man ihm jeden Gedanken stets
von der Stirne ablesen könne.

Er zwang sich zu einem Lächeln.
„Was wollten Sie denn mit uns besprechen, Sheriff?“ Hoss

bemühte sich, seine Stimme wie immer klingen zu lassen.

Müde von den Anstrengungen der Verbrechersuche wischte

sich Sheriff Coffee den Schweiß von der Stirn.

„Ich wollte fragen, ob ihr nicht etwas von diesen Mördern

gehört habt… Auch dachte ich, ihr würdet euch freuen zu

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hören, daß wir einen von ihnen eingesperrt haben!“ Der Sheriff
nickte stolz. „Fred Norton, der Bankbeamte, hat drüben im
Saloon in dem Schauspieler Du Val den Mann erkannt, der in
der Schalterhalle stand, als die beiden Maskierten
hereinstürmten, und der dann mit den beiden andern
zusammen das Geld genommen hat.“

Hoss fühlte, wie sich ihm das Herz zusammenzog. Also saß

jetzt ein Unschuldiger wegen des Bankraubes im Gefängnis?

„Wie kommen Sie darauf, Sheriff“, fragte er mit zitternder

Stimme, „daß Du Val etwas mit der Sache zu tun hat?“

„Wir haben genügend Beweise“, versicherte ihm Coffee mit

fester Stimme. „Der Bankbeamte hat ihn genau erkannt, und
deshalb halte ich ihn fest. Vielleicht bringe ich ihn noch so
weit, daß er uns sagt, wohin die andern geflohen sind. Sonst
werde ich weiterhin das ganze Gelände durchkämmen. Die
Suche wird nicht abgebrochen, ehe die Mörder nicht hinter
Schloß und Riegel sitzen und wir der Bank den letzten Dollar
zurückgegeben haben. Schließlich geht es um unser aller
Zukunft.“


Durch die Gitterstäbe der Zellentür betrachtete Hoss den
kleinen Gefangenen.

„Mr. Du Val…“ begann er mit unsicherer Stimme.
Gregory Du Val starrte von der kargen Pritsche auf. Das

eingefallene Gesicht schien fast leblos, und der Blick erfaßte
den Besucher offenbar nicht.

Hoss wurde immer elender zumute. Der Mann, der da lag,

sah dem Buchverkäufer erschreckend ähnlich. Zum ersten
Male wurde Hoss klar, wie auch ein Unschuldiger durch
Zeugenaussagen scheinbar überführt werden kann.

„Was wollen Sie?“ stieß Du Val unwillig hervor.
Hoss schüttelte den Kopf.

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„Offenbar erkennen Sie mich nicht mehr, Mr. Du Val. Ich

habe Ihren Auftritt im Saloon gesehen – mit den Tänzerinnen.
Das war prima.“

„Ich brauche jetzt keinen Applaus“, murmelte Du Val mit

zittriger Stimme. „Hilfe brauche ich – von einem Rechtsanwalt
oder sonst jemandem, der mir heraushelfen könnte.“

„Rechtsanwalt bin ich leider nicht“, mußte Hoss zugeben.
Du Val lachte rauh auf, aber er hatte Tränen in der Stimme.
„Wenn Sie ein Rechtsanwalt wären, würde man Sie erst gar

nicht herlassen.“

„Das wäre aber Unrecht.“
„Unterhalten Sie sich nur mit Roy Coffee über Recht und

Unrecht.“ Du Val erhob sich mühsam und blieb auf dünnen
Beinen stehen. „Er läßt nicht einmal einen Rechtsanwalt zu
mir.“

Hoss stürmte in den Dienstraum des Sheriffs.
„Der kleine Gefangene behauptet, Sie ließen keinen

Rechtsanwalt zu ihm!“ fauchte er empört.

Coffee beugte sich vor und starrte den Eindringling über den

Schreibtisch hinweg an.

„Hör mal gut zu, Hoss Cartwright!“ knirschte er. „Ich habe

nie behauptet, etwas von der Rinderzucht zu verstehen.
Umgekehrt verbitte ich es mir, daß du so tust, als verständest
du etwas von Recht und Gesetz!“

„Jeder Angeklagte hat das Recht auf einen Anwalt!“
Coffee schüttelte den Kopf.
„Eigentlich meine ich, du müßtest froh sein, daß ich einen

Verdächtigen eingelocht habe“, meinte er. „Und Du Val ist
schwer verdächtig, ich habe Beweismaterial gegen ihn.“

„Vielleicht… Vielleicht ist er aber doch unschuldig!“
„Jedenfalls ist er schuldig“, beharrte der Sheriff. „Man hat

ihn wiedererkannt, und er zeichnet fast so gut wie ein
Architekt. Außerdem hat der Bahnschaffner ausgesagt, er habe

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sich eine Fahrkarte nach Denver gekauft. Was also könnte ein
Rechtsanwalt noch tun?

Höchstens würde er dafür sorgen, daß Du Val aus dem

Gefängnis kommt.“

„Und was wäre daran so Schlimmes?“
„Das will ich dir sagen!“ brauste der Sheriff auf.

„Anschließend fliegst du hier hinaus! Also erstens: Wenn Du
Val entlassen würde, hätten wir ihn bestimmt zum letzten Male
gesehen, denn er würde spurlos verschwinden. Und noch
schlimmer wäre es, wenn er nicht verschwände. Weißt du, was
nämlich dann geschähe?“

Hoss schüttelte den Kopf.
„Du Val würde von den wütenden Leuten erschossen. So

mancher tüchtige Schütze hat Rache für den Raub geschworen.
Dieser Du Val aber ist eine kümmerliche Maus. Und was die
Kerls hier noch zorniger macht, ist die Tatsache, daß er ein
Fremder ist. Deshalb traut man ihm die Beteiligung am
Bankraub zu. Nein, die ganze Stadt ist gegen Du Val
aufgebracht.“

„Dennoch hat er ein Recht, seine Unschuld zu beweisen“,

murrte Hoss, allerdings ohne viel Hoffnung.

„Er wird schon seine Chance bekommen“, knurrte der

Sheriff. „Immerhin ist bei dem Banküberfall viel Gold geraubt
worden, das als Sicherheit für einen Wechsel hinterlegt war…
Wenn jetzt die Bank zusammenbricht, dann werden alle Leute
im weiten Umkreis völlig ruiniert. Ich finde, du machst dir die
Sache ein wenig leicht. Denkst du denn nicht daran, daß auch
dein Vater seinen Besitz einbüßt?“

„Ponderosa?“ fuhr Hoss betroffen auf.
Coffee nickte. „Eure Ranch ist an die Bank verpfändet und

wird wahrscheinlich unter den Hammer kommen. Hat dein
Vater dir das nicht gesagt?“

Hoss schluckte schwer.

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„Ich – bin ja – lange nicht zu Hause gewesen.“
„Nun, dann habe ich dir es jetzt gesagt“, sagte der Sheriff.

„Vielleicht bist du mir jetzt noch dankbar dafür, daß ich den
Kerl verhaftet habe.“ Hoss nickte, und der Sheriff fuhr fort:
„Du Val ist in meinem Gefängnis sicherer, als er irgendwo
sonst sein könnte. Erweist er sich wirklich als unschuldig, dann
wird er wieder freikommen – wenn auch erst später. Aber ich
glaube nicht an seine Unschuld. Ich habe Zeugen und Indizien
dafür, daß Du Val an dem Bankraub beteiligt war.“

Langsam zog Hoss sich weiter zurück und war schon fast aus

der Tür, als der Sheriff seine zornige Rede beendet hatte.

Draußen drehte Hoss sich um und schleppte sich mit

gesenktem Kopf die Straße entlang. Das Herz war ihm schwer.

Leute kamen an ihm vorbei, aber er sah sie nicht. Wieder

lastete etwas zentnerschwer auf seinen Schultern – dasselbe,
was er bei dem Ritt nach Virginia City gespürt hatte.

Hier und da wurde er angesprochen, aber er gab keine

Antwort.

Eines aber fiel ihm doch auf: eine Gruppe von Reitern. Es

war Elliot Clymer mit einem halben Dutzend Bergleuten. Mit
grimmigen, entschlossenen Gesichtern ritten sie daher,
schauten weder links noch rechts und schienen die Stadt in
südlicher Richtung verlassen zu wollen.

An den Verandastufen vor dem Holzhaus, in dem Dr. Robert

Stark seine Praxis und seine Wohnung hatte, blieb Hoss
stehen. Stirnrunzelnd schaute er Clymer und seinen Männern
nach. Endlich raffte er sich auf, aber während er an die Tür des
Arztes klopfte, überlegte er, daß es Clymer gar nicht ähnlich
sah, selbst in den Sattel zu steigen. Auch dies konnte nur eine
böse Bedeutung haben.

Dr. Stark war ein schlanker Mann, der eine Wolke

antiseptischen Duftes um sich verbreitete. Er begrüßte Hoss
freundlich.

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„Du kommst doch nur zu mir“, lachte der Arzt, „wenn du dir

ein Bein gebrochen hast. Was gibt es denn heute?“

„Ach!“ Hoss schüttelte den Kopf. „Ich möchte Sie nur etwas

fragen.“ Er verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen und
fügte dann schnell hinzu: „Natürlich bezahle ich den Dollar für
die Konsultation; ich brauche Ihren Rat.“

Der Doktor nahm in seinem Sessel Platz und legte die

Spitzen der Finger zusammen. „Also, was für einen Rat soll
ich geben? Brauchst du ihn für dich selbst?“

„Nur einen so ganz allgemeinen Rat, Doktor.“ Hoss

versuchte zu lächeln. „Ich meine… Wenn jemand durch einen
Schuß verwundet wird und Fieber bekommt – was muß man
dann tun?“

„Man muß das Fieber so schnell wie möglich vertreiben“,

erwiderte Stark. „Wer ist denn verwundet?“

„Ach, ein Bekannter“, wich Hoss aus. „Er hat sich – in die

große Zehe geschossen…“

„Ach, in die Zehe? Was du nicht sagst!“
Hoss wurde rot.
„Jawohl, so ist es, Doktor!“ behauptete er. „Dann hat er

nichts dagegen getan – und nun hat er Fieber. Was würden Sie
dagegen verschreiben, Doktor?“

„Um das zu sagen, müßte ich ihn mir ansehen.“
„Er will aber nicht zu Ihnen kommen“, wehrte Hoss ab. „Er

meint, wegen einer solchen Schramme…“

„Dann sag deinem Freund, auch eine Schramme könne

tödlich sein!“ rief der Arzt aus. „Blutvergiftung kann es geben,
Brand, Wundstarrkrampf… Wer eine Schußverletzung hat,
braucht etwas Antiseptisches…“

„Können Sie mir ein gutes antiseptisches Mittel empfehlen?“

fiel Hoss ihm ins Wort.

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„Jod zum Beispiel.“ Der Arzt schaute den jungen Besucher

fest an. „Aber hinter deiner Frage steckt mehr, als du zugeben
willst, Hoss!“

Hoss wurde es heiß unter der scharfen Musterung. Nein, er

konnte wirklich niemanden hinters Licht führen.

Dr. Stark war im höchsten Grade mißtrauisch geworden.

Hoss versuchte zu lächeln, aber es blieb bei einem
kümmerlichen Versuch.

„Ich will dir etwas sagen, Hoss“, schlug der Arzt schließlich

vor. „Ich gebe dir ein antiseptisches Mittel mit und ein paar
Pillen, die gegen Infektionen helfen. Eigentlich dürfte ich es ja
nicht – und dein Freund wäre sicherlich viel besser dran, wenn
er sich einmal zu mir bemühte, und zwar bald. Verstanden?“

„Ich will es ihm bestimmt sagen, Doktor!“ versprach Hoss,

während er aufsprang und dankbar die Heilmittel
entgegennahm, die Dr. Stark ihm hinhielt.

Dann verließ er eilig das Haus. Fünf Minuten später

galoppierte er aus der Stadt, zur Hütte zurück.

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Das Versteck



Nachdem Hoss davongeritten war, hockte Joe in der Hütte und
überlegte. Ihm war, als säße er in der Falle.

Verzweifelt dachte er nach, womit er sich ablenken könne.

Aber es gab keine Arbeit, denn die Pferde waren zufrieden,
grasten geruhsam und wollten am liebsten nicht gestört
werden.

Immer wieder überdachte Joe die Worte, die Penrose

unverändert in seinem Fiebertraum vor sich hin murmelte.
Allmählich nahm in Joes Kopf ein Gedanke Gestalt an…

Nach einer Weile stand er auf und begann, Konservendosen

aufzumachen und das Mittagessen zu bereiten. Penrose
erwachte und räkelte sich unbehaglich auf seiner Pritsche.

„Ist Ihnen nun besser?“ fragte Joe.
„Wo ist Hoss?“ murmelte Penrose mit flackerndem Blick.
Joe berichtete, und der Kranke versuchte zu lächeln, aber sein

Gesicht blieb grau. Auch essen mochte er nichts.

Joe setzte sich an den Tisch und ließ es sich schmecken.

Während des Mahls mußte ihm der Kranke erneut berichten,
was geschehen war, und Joe hörte aufmerksam zu. Irgendwo
mußte doch des Rätsels Lösung, die er so nahe spürte, zu
finden sein.

Aber Penrose machte nicht lange mit. Er setzte den Teller mit

dem Essen, das er nicht angerührt hatte, auf den Fußboden und
legte sich zurück.

„Ich bin völlig kaputt“, stöhnte er. „Vielleicht kann ich etwas

schlafen.“ Damit drehte er sich zur Wand.

Joe schob sich das letzte Stück Wurst in den Mund und

wusch dann das Geschirr ab. Penroses Atem verriet, daß er in

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einen unruhigen Schlaf gefallen war. Nachdem Joe mit seiner
Arbeit fertig war, überzeugte er sich noch einmal, daß der
Kranke schlief, und huschte dann auf Zehenspitzen aus der
Hütte.

Auf der Koppel sattelte er sein Pony und ritt eilig in das

Gebirge hinein.


Ben Cartwright klopfte seine Pfeife aus und legte sie auf den
Tisch. Am liebsten wäre er auf der Stelle zur Süd-Hütte
geritten, um Penrose auszufragen.

Wieder nahm er seine Wanderung durchs Zimmer auf, und

dabei wuchs seine Wut auf die Banditen und auf Clymer.

Schließlich trat er vor die Tür und rief Candy. Während der

schlanke Junge über den Hof gerannt kam, überlegte Ben
Cartwright es sich schon wieder anders. Nein, er mußte selbst
hinausreiten! Zu viel hing davon ab.

Der Bankraub hatte mit dem Verfall des Wechsels und der

Sicherungssumme nichts zu tun. Deshalb war Clymer ohne
weiteres berechtigt, volle Auszahlung zu verlangen.

Cartwright schaute über den Hof. Seine Existenz hing davon

ab, daß das gestohlene Geld so schnell wie möglich wieder
herbeikam. Und vielleicht konnte Penrose ihm helfen!

„Was soll ich, Mr. Cartwright?“ Candy schaute zutraulich zu

ihm auf, und die Sonne beschien sein hageres Gesicht.

Gedankenvoll schaute Ben zu dem Jungen hinunter.
Gewiß konnte er mit Candy nun davonreiten, vielleicht

konnte er Ponderosa retten. Was aber würde ihm dies alles
nützen, wenn er das Vertrauen seines Sohnes Hoss verlor. Er
kniff die Augen zusammen, weil die Sonne ihn blendete. Ein
paar Stunden wollte er Hoss noch geben. Noch würde Ben
Cartwright nicht zur Hütte reiten.

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Lange hatte der Rancher in seinem Haus gesessen, das voller

Erinnerungen war. Endlich raffte er sich auf.

„Hop Sing!“ rief er.
Lautlos kam der Koch hereingehuscht. „Was ist Boß? Hop

Sing viel zu tun. Sehr viel.“

Ben hob die Hand. „Ich möchte dich etwas fragen, Hop

Sing“, begann er. „Vorhin, als Hoss hier war, war ich da grob
zu ihm?“

„Hop Sing weiß nicht. Hop Sing in Küche…“
„Ich wette, daß du jedes Wort gehört hast!“
„Für Hop Sing leden alle Amelikaner gleich!“
„Hoss ist ein ehrlicher Kerl.“ Ben Cartwright schien nur zu

sich selbst zu sprechen.

„Ganz bestimmt, Hop Sing glaubt ihm.“
Cartwright nickte.
„Aber manchmal wird Hoss von Leuten irregeleitet, die

weniger ehrlich sind als er.“

„Hoss guter Mann. Für Hoss alle Menschen gut.“
„Und doch würde Hoss mich niemals hintergehen, und

deshalb verlangt er, daß ich ihm vertraue. Vertrauen ist
manchmal wichtiger als alles andere.“

„Was hat Boß vor?“
Ben schüttelte den Kopf.
„Ich muß zu meinen Söhnen stehen“, sagte er. „Solange ich

kann, muß ich ihnen klarmachen, daß sie mir unbedingt
vertrauen können, auch wenn es manchmal schwer ist. Hop
Sing, du mußt mit deinem Verpflegungswagen zur Süd-Hütte
fahren und heiße Suppe für einen Verwundeten und sonstige
Verpflegung für die Jungs mitnehmen.“ Gedankenverloren
starrte er vor sich hin. „Hoss soll spüren, daß ich ihm vertraue
– selbst wenn ich Angst vor dem habe, was er zu tun gedenkt.“

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Joe ritt immer höher ins Gebirge hinein. Tapfer überwand

sein Pony so manche Schlucht und so manches Dickicht. Auf
der Hochebene bemerkte er etwas wie einen huschenden
Schatten. War es ein Reh oder eine Wildkatze?

Als Joe schärfer hinsah, erkannte er einen Reiter, der bergab

trabte. Im ersten Augenblick wollte Joe ihn anrufen. Dann aber
zögerte er. Und fast im selben Augenblick war der Reiter im
Unterholz verschwunden.

Nichts rührte sich nun wieder auf der Hochebene. Hier

zwischen den Felsen war Joe ganz allein. In dieser Einöde
konnte sich sogar ein tobender Sturmwind verlaufen.

Nach einiger Zeit erreichte Joe die Stelle, wo Hoss und er den

verwundeten Buchverkäufer gefunden hatten. Joe schwang
sich aus dem Sattel und durchsuchte aufmerksam die
Felsmulde, in der Penrose besinnungslos gelegen hatte. Dann
stieg er wieder auf und ritt weiter bergan, den Weg entlang,
den der Verkäufer gekommen war.

Deutlich erkannte er Spuren des grauen Pferdes und auch

Blutflecken, die von Penrose stammten. Immer schwieriger
wurde das Gelände.

Nach einiger Zeit stieg Joe wieder ab und führte sein Pferd

zwischen schroffen Felsbrocken hindurch in einen Wald aus
riesenhaften Kiefern.

Bald erreichte er eine Ebene aus schroff zerklüfteter Lava.

Hier band er das Pferd an einen niedrigen Strauch und suchte
dann herum. Es dauerte nicht lange, bis er die Spuren eines
Lagers gefunden hatte.

Mit aufmerksamen Blicken fand er an mehreren Steinen

Blutspuren und eine breite blutige Spur, die an den Rand eines
Abhanges führte. Dort blieb er stehen und schaute hinunter:
Die Wand fiel mehr als fünfundzwanzig Meter tief ab. Nicht
weit vom Rand des Steilhanges fand er Patronenhülsen, die auf
eine Schießerei hindeuteten.

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Endlich war er zufrieden. Er führte sein Pferd bergab und

erreichte die zerklüftete Stelle, auf die er eben vom Rande des
Hanges hinuntergeschaut hatte. Ohne Mühe entdeckte er hier
Blutspuren, die bewiesen, daß Penrose aus dem Sattel
gerutscht und sich wieder hochgestemmt hatte.

Schließlich fand er die Stelle, wo Penrose lange

bewegungslos gelegen hatte.

Joe blieb stehen, hob den Kopf und schaute die steilen

Abhänge hinauf. Er kannte diese Felsenwildnis. Auch der
Name fiel ihm plötzlich ein: die Blackjacks!

Das Herz schlug ihm schneller. Er ahnte, daß er eine wichtige

Entdeckung gemacht hatte. Wieder schaute er zu den beiden
Felsen hinauf, die rechts von ihm emporwuchsen.

Dies war die Stelle, von der Penrose in seinen Fieberträumen

phantasiert hatte. Hier lag die Lösung des Rätsels.

Joe erkannte einen schmalen Felsvorsprung, der sich an dem

Steilhang entlangzog. Er trat einen Schritt zurück und erschrak
– er war mit dem Rücken gegen etwas gestoßen.

Noch ehe er herumfahren konnte, ertönte eine Stimme:
„Bleib schön stehen, mein Junge!“
Joe begann zu zittern. In dieser Einöde hatte er nicht erwartet,

einen Menschen zu treffen. Aber da war jemand – jemand, der
ihm nun den Revolver aus dem Gurt zog.

„Heb die Hände schön hoch, mein Sohn!“ befahl die Stimme.

„Und dreh dich um. Laß dich anschauen!“

Joe gehorchte langsam. Und dann wurden seine Augen ganz

groß. Der Mann, der ihm den Revolver in den Rücken
gestoßen hatte und jetzt ruhig auf ihn zielte, war Red Mixon.

Dem Bankräuber war in den letzten vier Tagen ein roter,

struppiger Bart gewachsen. Seine Kleider waren beschmutzt
und zerfetzt. Offenbar hatte ihn ein Schuß in den Arm
getroffen, denn er hatte sich einen schlampigen Verband
umgelegt und den Jackenärmel mit dem Messer aufgeschlitzt.

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Mixon wirkte wild, wüst und dem Wahnsinn nahe. Aber so

erschöpft und erregt er zu sein schien: die Revolvermündung,
die auf Joe deutete, schwankte nicht im geringsten.

„Wo hast du ihn?“ fragte Mixon gepreßt. „Wo hast du den

elenden Hund versteckt?“

„Wovon reden Sie?“
„Von Penrose, mein Junge!“ knirschte der Mann. „Ich weiß,

daß du ihn versteckst, und ich will wissen, wo! Du wirst es mir
sagen, so oder so. Heraus mit der Sprache!“

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Zwischen den Felsen



Candy kam ins Wohnzimmer des Ranchhauses Ponderosa
gestürmt. Ben fuhr aus seinen Berechnungen: Er hatte überlegt,
ob sich der Hof nicht doch noch retten ließe.

Aschgrau war Candys Gesicht.
„Elliot Clymer, Mr. Cartwright!“ kreischte der Junge,

während er zum Gewehrschrank rannte und ein Gewehr
herausholte. „Und ein halbes Dutzend Gorillas hat er bei sich!“

Ben erhob sich. „Leg das Gewehr weg, Candy!“
„Aber sie kommen, Mr. Cartwright. Sie sind schon auf dem

Hof – und sie haben nichts Gutes vor.“

Ben seufzte.
„Das mag schon sein“, nickte er. „Bleib du nur hier drinnen.

Ich werde wohl damit fertig.“

Candy schaute seinem Herrn nach, der auf die Veranda

hinaustrat. Er wollte rufen und ihn warnen, weil er
unbewaffnet war. Im letzten Augenblick aber machte er sich
klar, daß Ben Cartwright absichtlich mit bloßen Händen
hinausging.

Candy lief ans Fenster und schaute hinaus. Die Begleiter von

Elliot Clymer waren schwer bewaffnet. Er selbst trug ein
Gewehr in der Armbeuge.

Ruhig trat Cartwright ins Freie.
Wenige Meter vor ihm zügelten die Reiter ihre Pferde.

Clymer und Cartwright musterten sich.

„Du weißt wohl, weshalb ich gekommen bin“, begann

Clymer schließlich. „Ich habe eine einstweilige Verfügung,
nach der mir die Ranch nun gehört, weil du nicht zahlen
kannst!“

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„Neulich, vor deinem Büro, Elliot“, erwiderte Cartwright

ruhig, „habe ich dir erklärt, daß ich nur unter einer einzigen
Bedingung mein Eigentum aufgeben würde. Und du kennst
mich gut genug, um zu wissen, daß ich mein Wort halten
werde.“

„Mit deiner Unterschrift unter die Bankbürgschaft hast du

aber auch dein Wort gegeben!“

„Sobald der Bankraub geklärt ist, werde ich alle meine

Verpflichtungen erfüllen!“ versicherte ihm Cartwright. „Der
Überfall auf die Bank aber war höhere Gewalt, Elliot; daraus
darfst du keinen Vorteil zu ziehen suchen!“

„Der Bankraub entbindet niemand von seinen

Verpflichtungen.“ Clymer zuckte die Achsel. „Aber ich will
keinen Streit, ich verlange nur eines, Cartwright: Übergabe
deiner Ranch!“

„Darauf habe ich dir schon eine Antwort gegeben!“ rief

Cartwright. „Sobald der Bankraub geklärt ist…“

„Er wird womöglich niemals geklärt!“ fauchte Clymer.

„Deshalb kann ich doch nicht auf meine Rechte verzichten. Ich
brauche Geld – und obwohl es mir leid tut, muß ich darauf
bestehen, daß meine Gläubiger auf der Stelle bezahlen. Kannst
du das nicht verstehen, Ben?“

„Seit du eine Möglichkeit schnuppertest, meine Ranch

Poraderosa in deinen Besitz zu bringen, Elliot“, sagte
Cartwright, „bist du gierig und rücksichtslos darauf aus, sie
mir abzujagen. Aber ich kann dich beruhigen: Der Bankraub
wird geklärt, und zwar bald!“

Clymer zuckte zusammen und wurde ein wenig blaß.
„Wie kannst du das sagen, Ben?“
„Ich weiß einiges, Elliot“, versicherte der Rancher. „Der

Raub wird geklärt werden, noch im Laufe dieses Tages, also
noch vor der Fälligkeit des Wechsels.“ Er lächelte verkniffen.

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„Darf ich dir und deinen Begleitern etwas zu trinken anbieten?
Oder möchtet ihr lieber weiterreiten?“

„Du magst angeben, wie du willst!“ knirschte Clymer.

„Jedenfalls gehört die Ranch jetzt mir!“

„Noch nicht, Elliot!“ erwiderte Cartwright ungerührt. „Wenn

du sie dir im Augenblick nehmen wolltest, müßtest du Gewalt
anwenden. Aber ich glaube, nicht einmal die Habgier könnte
dich veranlassen, so schwer gegen das Gesetz zu verstoßen.“

„Du bist sehr mutig – wenn man bedenkt, daß du keine Waffe

hast!“ Clymers Stimme knallte wie eine Peitsche.

„Mr. Cartwright ist zwar unbewaffnet“, ertönte Candys

Stimme aus der offenen Tür. „Ich aber habe ein Gewehr, und
damit ziele ich auf Sie, Mr. Clymer! Wenn Sie jetzt den Hof
verlassen, werden Sie leben – wenn Sie aber unklug sind, ist es
aus mit Ihnen!“


Red Mixon schüttelte mit der linken Hand das Lasso aus, aber
der Revolver in der Rechten zielte auf Joe.

„Nun, mein Junge?“ knirschte er mit blitzenden Augen. „Wo

habt ihr Penrose versteckt?“

Joe rann es kalt den Rücken hinunter. Mixon sah aus, als sei

er kaum noch ‘bei Verstand. Die letzten Tage schienen seinem
primitiven Gemüt arg zugesetzt zu haben.

„Ich will das Geld!“ krächzte Mixon.
„Das habe ich nicht.“
„Du hast es nicht bei dir“, nickte der Verbrecher. „Aber du

hast diesen elenden Penrose versteckt…“

„Warum sollte ich das tun?“
„Los, ich habe keine Zeit!“ brüllte Mixon. „Penrose hat bei

uns damit angegeben, daß er seine Freunde, euch Cartwrights,
hinters Licht geführt hätte! Und nun hat er euch angeboten,
den Raub zu teilen, wie? Aber laßt euch Zeit, erst sind ich und

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Webber an der Reihe. Bisher haben wir nur Kugeln
abbekommen!“

„Ich weiß nicht, wo Penrose ist!“
„Ich warne dich! Muß ich dich erst zum Sprechen bringen?“
„Ich wüßte nicht, wie!“ erklärte Joe tapfer. „Ich weiß

überhaupt nichts.“

„Gut!“ brüllte Mixon außer sich. „Dann wollen wir mal

sehen!“

Blitzschnell warf er Joe die Lassoschlinge über und riß daran,

so daß die Leine sich fest um Joes Brust schlang.

„So, nun kannst du die Arme herunternehmen!“
Während Joe gehorchte, riß Mixon so heftig am Lasso, daß

Joe bäuchlings zu Boden stürzte. Dann schwang Mixon sich
auf sein ermattetes Pferd und band die Leine an den
Sattelknopf. Joe begriff, was das bedeutete. Eilig sprang er auf.

Ohne Mitleid drückte Mixon seinem müden Pferd die Sporen

in die Seiten und trieb es bergauf, offenbar in Richtung auf den
oberen Lagerplatz, den Joe vorhin untersucht hatte.
Verzweifelt stolperte Joe an der Leine hinterher.

„Komm nur, mein Junge!“ lachte Mixon grausam. „Lauf

ruhig ein bißchen schneller!“

Obwohl es ziemlich steil bergan ging, spornte Mixon das

Pferd rücksichtslos an.

Als sie die Höhe erreicht hatten, taumelte sein Pferd völlig

erschöpft, und auch Joe konnte sich kaum noch auf den Beinen
halten.

Mixon glitt aus dem Sattel und band die Leine an einen

Baumstumpf wenige Meter neben dem Steilhang. Schweigend
beobachtete ihn der Junge. Er wußte, daß er keine Gnade zu
erwarten hatte. In der Ferne hörte er ein Rauschen, als käme
ein Sturmwind auf. Er fröstelte.

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Mixon hob den Revolver und kam langsam näher. „Soll ich

dir mal was sagen, Kerl?“ knirschte er. „Du hast Penrose in
irgendeiner von euern Hütten verborgen! Stimmt es?“

Joe gab keine Antwort, obwohl Mixon ihm die

Revolvermündung in den Bauch stieß und ihn rückwärts ein
paar Schritte an den Hang drängte.

„Bald werde ich haben, was ich brauche!“ lachte der

Verbrecher. „In einer der Hütten hast du ein frisches Pferd für
mich, und dort warten auch Penrose und das Geld! Habe ich
recht?“

Joe schüttelte den Kopf, aber Mixon bemerkte es überhaupt

nicht. Offenbar sah er nur noch wie im Fiebertraum das Ziel
seiner Wünsche vor sich. Wieder viersetzte er dem Jungen
einen Stoß.

Joe taumelte zurück und wäre beinahe den Steilhang

hinuntergestürzt. Erst im letzten Augenblick hielt er sich
aufrecht.

Mixon schüttelte sich vor Lachen. Ein Windstoß drückte ihm

die Hutkrempe zurück und zauste ihm den Bart. Er kniff die
Augen zusammen. „Siehst du da die scharfe Kante, mein
Junge?“ fragte er. „Wie lange wird es wohl dauern, bis sie ein
darüber gespanntes Seil durchschneidet? Ich will es dir sagen:
genau so lange, wie du noch zu leben hast!“

Erschrocken machte Joe unwillkürlich einen Schritt vorwärts.

Aber sofort drückte Mixon ihm den Revolver wieder tief in die
Magengrube. Noch ein wütender Stoß – und Joe taumelte,
stürzte, schien sich noch einmal zu halten – und fiel dann ins
Bodenlose…

Plötzlich gab es einen Ruck, Joe meinte, der Brustkorb werde

ihm eingedrückt, ihm schwand der Atem – und dann baumelte
er an dem fast fünfzehn Meter langen Seil.

Verzweifelt starrte er zum Grat empor. Er wußte, daß dort

oben das Seil beim Schaukeln hin und her rutschte und daß die

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scharfe Felskante es langsam, aber sicher durchscheuern
würde. Aber er konnte nicht aufhören zu schaukeln, denn der
Wind wurde immer stärker.

Ein verzerrtes Gesicht schob sich oben hervor, Mixon lachte

hämisch.

„Leb wohl, mein Junge!“ schrie er. „Bete dein letztes

Vaterunser und bereue deine Sünden! Aber beeile dich: Das
Seil ist schon dünn geworden!“

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Bewaffneter Ritt



Hop Sing hockte auf dem Bock des Pferdewagens. Immer
wieder schaute er sich ängstlich um. Hier in der freien Wildnis
fühlte er sich von tausend Gefahren bedroht, und es war ihm
gar nicht recht, daß er allein war!

Auf und ab, über Hügel und durch Täler führte der Weg.

Immer elender wurde Hop Sing zumute. Nicht einmal in einem
Kahn mitten auf dem Ozean hätte er sich so einsam gefühlt wie
hier in der Ebene.

Aber endlich war es geschafft, er sah die Hütte vor sich.
Die Tür war zu, auf der Koppel grasten die Pferde, aber der

Koch mißtraute dem friedlichen Bild. Am liebsten wäre er
umgekehrt, doch dann hätte er Mr. Cartwright nicht mehr unter
die Augen treten mögen. Erst mußte er die Verpflegung
abliefern, ehe er nach Ponderosa zurückfuhr.

So nah wie möglich fuhr er an die Hütte heran und sprang

dann vom Bock.

„Hoss!“ rief er. „Joe!“
Niemand antwortete.
Entschlossen stieß Hop Sing die Tür auf, sah aber in der

Dämmerung nichts als den Tisch und die Stühle. War niemand
da? Zaudernd trat Hop Sing näher. Plötzlich krachte etwas auf
seinen Kopf. Die Knie wurden ihm weich, und er stürzte auf
den Boden. Noch ein Schlag traf ihn. Hop Sing spürte, daß
seinem Leben ein Ende bereitet werden sollte. Ob der Kolben
noch ein drittes Mal traf, vermochte Hop Sing nicht mehr zu
sagen…

Elliot Clymer starrte auf den Revolver, mit dem Candy auf

ihn zielte. Der Lauf zitterte nicht, aber auch der

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Bergwerksbesitzer zeigte keine Furcht. Haßerfüllt erwiderte er
den entschlossenen Blick des Jungen. Äußerlich gab er sich
keine Blöße, aber das Herz klopfte ihm bis zum Halse. Er sah
den Tod vor Augen und spürte, daß sein Spiel verloren war.
Mochte er auch seinen Leuten befehlen, was er wollte: er
selbst würde die Ausführung nicht mehr erleben. Candy würde
schießen.

In diesem Augenblick wurde Clymer klar, daß neulich, als er

nach dem Bankraub mit dem Vorsteher und Cartwright
zusammensaß, etwas mit ihm geschehen war: Die Habgier
hatte ihn gepackt, hatte ihn gestoßen und gedrängt – bis an
diese Stelle, an der er jetzt stand. Bis zu diesem Augenblick!
Er kam zu «sich!

Das ausladende Ranchhaus, nach dem er verlangte; die

Begleiter in seinem Rücken; sogar der Junge mit dem Gewehr
– alles schwankte ihm vor den Augen. Und doch sah er auf
einmal ganz klar. Er sah ein, er bereute, alles war merkwürdig,
wunderbar – und unglaubhaft…

Ben Cartwright trat ruhig vor ihn, so daß er in Candys

Schußlinie stand.

„Nicht, Mr. Cartwright!“ schrie Candy.
Elliot brachte kein Wort hervor. Seine Begleiter warteten

gespannt auf seinen Befehl zum Angriff. Aber wortlos starrte
er Ben an.

„Ich weiß, daß der Bankraub bald geklärt sein wird, Elliot!“

sagte Ben ruhig. „Willst du den Grund wissen?“

„Du hast keine Beweise!“ knirschte Elliot.
„Darauf brauchst du dich nicht zu verlassen, Elliot. Ich kann

dich überführen!“

„Dann versuche es nur!“
Ben wandte den Kopf.

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„Candy!“ rief er. „Reite sofort nach Virginia City! Und sage

dem Sheriff, er solle sofort mit ein paar Männern herkommen!
Los, beeile dich!“

„Ben…!“ begann Elliot. Aber irgend etwas in Cartwrigths

Blick ließ ihn verstummen.

Steif im Sattel sitzend sah er zu, wie Candy aufs Pferd sprang

und vom Hof galoppierte.


Der Wind wehte um Joes Kopf, stieß ihn immer wieder gegen
die Felswand und ließ ihn wie ein Pendel schwingen. Joe
versuchte sich festzuhalten, aber die glatte Wand bot keinen
Schutz.

Plötzlich schrie der Junge auf vor Schrecken: Das Seil hatte

ein Stück nachgegeben. Dann aber hielt es wieder. Joe schaute
zu der Stelle hinauf, wo es hin und her über die Felskante glitt.
Fünfzehn Meter über ihm: So hoch konnte er nicht klettern.

Mannhaft zwang sich Joe, den Blick nach unten zu werfen.

Fünf bis sechs Meter unter sich erkannte er einen schmalen
Vorsprung, der ihn vielleicht tragen würde, falls es ihm gelang,
vorsichtig darauf Fuß zu fassen. Wenn er allerdings heftig
darauf stürzte, würde die Kante womöglich abbrechen. Und
darunter war nichts mehr. Jedenfalls konnte Joe keinerlei
weiteren Vorsprung erspähen.

Eiskalte Regentropfen trafen sein Gesicht. Er zitterte, und die

Hände begannen ihm einzuschlafen.

Und hin und her rutschte oben das Seil über die Felskante.
In diesem Augenblick gelang es Joe, sich mit den Fingern in

einen winzigen Spalt zu klammern. Nur noch Minuten konnte
es dauern, bis das Seil durchgescheuert war. Keuchend schaute
er hinauf.

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Auch die Fußspitzen fanden Halt an einem Felsvorsprung.

Aber würde er sich tatsächlich hier festklammern können,
wenn das Seil riß?

So tief wie möglich drückte er die Finger in den Spalt. Nein,

ohne Seil würde er sich nicht halten können.

Ganz vorsichtig zog er ein Bein an, und es gelang ihm, den

Sporn abzuschnallen. Aber nur einen Augenblick lang hielt er
ihn fest; dann entglitt er den klammen Fingern.

Er hörte das Metall unten auf die Felsen klirren. Dann wurde

es wieder still. Nur der Wind heulte, und das Seil schürfte über
den Felsen.

Behutsam winkelte er das andere Bein an. Vorsichtig und

ganz langsam – obwohl er wußte, wie wenig Zeit ihm blieb –
schnallte er den zweiten Sporn los. Diesmal konnte er ihn
festhalten.

Wieder gab das Seil ein Stück nach, und Joe zuckte

zusammen. Aber noch hielt es, und Joe holte aus und trieb den
Sporn mit aller Kraft in einen Felsspalt hinein. So fest wie
möglich verkeilte er ihn, suchte dann wieder Halt mit den
Fußspitzen…

Und in diesem Augeblick riß das Seil!
Die Leine fiel auf Joe herunter, und dem Jungen war, als

werde er mit unwiderstehlicher Gewalt nach unten gezogen. Er
preßte das Gesicht gegen die Felswand und klammerte sich
verzweifelt an den Sporn im Felsspalt. Mit geschlossenen
Augen wartete er. Er fühlte das rauhe Gestein an seiner Backe,
das Wehen des Windes und die Eiseskälte der Regentropfen.

Erst nach langer Zeit griff er mit der linken Hand nach dem

Seil, zog es empor, legte es um den Sporn und schlang einen
Knoten. Dann betrachtete er sein Werk: seine einzige Rettung
vor dem Tode.

Während er sich mit den Händen am Seil festhielt, suchten

seine Füße Halt in den winzigen Felsspalten. Wie lange er

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brauchte, wußte er selbst nicht. Ihm kam es vor wie eine
Ewigkeit in einem grausamen Alptraum.

Endlich, endlich fanden seine Füße Halt auf dem schmalen

Vorsprung. Joe preßte sich gegen die Wand, schlang sich das
Seil um Schultern und Arme und kniete nieder. Der Vorsprung
war kaum breiter als er selbst, aber er setzte sich fort und
führte als schmaler Gemsenpfad bergab.

Langsam und vorsichtig setzte sich Joe in Bewegung. Nach

einer Weile hörte der Pfad auf; aber drei Meter darunter dehnte
sich ein großer Vorsprung. Entschlossen sprang Joe hinunter.

Er war gerettet; von hier aus konnte er leicht weiterkommen;

das Gelände wurde nun einfacher. Er war gerettet, er lebte!
Freude durchflutete ihn.

Nachdem er einen Augenblick lang ausgeruht hatte, schaute

er hinunter: Er befand sich sechs bis sieben Meter über der
Stelle, wo Mixon ihn vorhin erwischt hatte. Dann ließ er den
Blick wieder hinauswandern, zur Höhe der Blackjacks. Er
überlegte: Zwanzig Fuß hinunter, einundzwanzig Fuß
vielleicht – sechs bis sieben Meter.

Langsam wendete er den Kopf und betrachtete die

Felswand…

Plötzlich zuckte er zusammen. Dort war ein Loch in der

Wand, und davor lag ein dicker Stein. In atemloser Spannung
schob Joe ihn beiseite.

Er war kaum erstaunt, als er die Goldsäcke erblickte.

„National-Bank Virginia City“ stand darauf.

Gold! Das war es, worauf er bei all seinem Überlegen nicht

gekommen war: daß die Bankräuber auch eine große Menge
Gold erbeutet hatten. Dieser Tatsache hatte er nachgegrübelt,
während er immer wieder Penroses Bericht überlegte.

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Schießerei!



Als Hoss auf schweißnassem Pferd bei der Weidehütte
anlangte, sah er sofort, daß Joes Pferd nicht da war. Verdutzt
betrachtete er Hop Sings Wagen.

Die Tür zur Hütte stand offen.
Hoss sprang aus dem Sattel und rannte die Stufen hinauf. Auf

der Schwelle stolperte er über etwas und wäre beinahe
gestürzt.

Er sah den chinesischen Koch bewußtlos am Boden liegen.
Erschrocken beugte er sich über den Ohnmächtigen. Kaum

hörte er Penrose auf seiner Pritsche wimmern.

„Es tut mir furchtbar leid, Hoss. Aber ich ahnte nicht, daß es

Hop Sing sei!“

Hoss starrte ihn an. Der Buchverkäufer hielt einen Revolver

in der Hand. Er zitterte und war totenbleich.

„Was ist denn geschehen, Penrose?“
Penrose fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen.
„Ich hörte jemanden, Hoss“, berichtete er, „und ich dachte, es

sei vielleicht Red oder Webber… Da habe ich mich hinter die
Tür gestellt und mit dem Kolben zugeschlagen, ehe ich ihn
erkannte.“

Hoss legte dem Chinesen die Hand auf die Brust. Schlug das

Herz nicht mehr?

„Verstehen Sie doch, Hoss!“ stöhnte Penrose. „Ich war von

dem Geräusch aufgewacht… Noch halb verschlafen, wußte ich
kaum noch, wo ich mich befand.“

Aufatmend richtete Hoss sich auf.
„Wir müssen ihn gleich zum Arzt bringen“, murmelte er.

„Wo ist Joe?“

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Penrose schüttelte den Kopf. Er wußte es nicht.
Hoss holte einen Eimer Wasser und ein Tuch herbei und

kühlte Hop Sing die Stirn. Aber der Koch rührte sich noch
immer nicht.

„Ich muß Hilfe holen“, sagte Hoss entschlossen.
In diesem Augenblick hörte er Schritte; die Tür wurde

geöffnet. Hoss schaute nicht auf.

„Wo warst du, Joe?“ fragte er.
Da hörte er Penrose unterdrückt aufschreien. Er fuhr herum –

und schaute in die Mündung »eines schweren Colts, den Red
Mixon auf ihn richtete. Er stand kaum einen Meter vor ihm.
Der Schuß konnte nicht fehlgehen.


Dr. Stark ging die Straße entlang. Im Dienstzimmer des
Sheriffs fand er Coffee zusammen mit vier Männern, die sich
bei Kaffee und Butterbrot stärkten. Offenbar wollten sie gleich
wieder hinausreiten und ihre Suche fortsetzen.

„Kann ich Sie sprechen, Sheriff?“ fragte der Arzt.
Coffee schaute über die dampfende Tasse hinweg.
„Was gibt es denn, Doktor?“
Stark runzelte die Stirn.
„Nun, vielleicht ist gar nichts dran“, begann er. „Aber Hoss

Cartwright war bei mir und erkundigte sich, wie man
Schußwunden behandelt. Und da dachte ich, daß auch der
Sheriff sich um Schußwunden zu kümmern hat…“

„Sogar um Unfälle mit Schußwaffen“, nickte der Sheriff.
„Tatsächlich hat Hoss behauptet, es sei ein Unfall“, sagte der

Arzt. „Einer seiner Reiter habe sich in den Fuß geschossen.
Und dabei stellte er sich ziemlich geheimnisvoll an.“

Cal Lassiter, einer der vier Männer, hob den Kopf.
„Komisch, ich bin zufällig an der Süd-Hütte

vorbeigekommen, und da wollte Joe mich nicht hineinlassen.

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Er sagte, Curly Stobbs sei vom Pferd gestürzt und habe sich
verletzt…“

„Curly Stobbs!“ fuhr der Sheriff auf. „Curly sitzt in Carson

City wegen Pferdediebstahls im Gefängnis!“

„Komisch“, knurrte Cal.
„Seit Jahren ist Curly flicht mehr für Ponderosa geritten“,

fuhr Coffee nachdenklich fort. „Ben Cartwright hat ihn
hinausgeworfen, weil er immer grausam zu den Pferden war.“

Die Tür flog auf, und ein Mann mit verschwitztem Gesicht,

das offenbar von anstrengendem Ritt kam, stürmte herein.

„Wir haben etwas gefunden, Coffee“, keuchte er. „Oben im

Poker Canon: Dallas Webber – tot, mit drei Kugeln im Leib!“

Der Sheriff sprang auf.
„Norton, der Bankkassierer, hat immer behauptet, einer der

Räuber habe Dallas Webber ähnlich gesehen.“

Ehe er weitersprechen konnte, wurde die Tür wieder

aufgestoßen. Candy kam herein.

„Mr. Cartwright läßt bitten, Sheriff, Sie möchten sofort mit

ein paar Männern zur Ponderosa kommen!“ rief er. „Es ist sehr
eilig!“

Joe kniete auf dem Felsvorsprung und starrte auf die

Goldsäcke. Nun war fast das ganze Rätsel gelöst, und auf
Penroses Bericht fiel ein ganz neues Licht.

Endlich riß sich Joe zusammen und zerrte die schweren

Säcke aus der Höhle. Einen nach dem andern ließ er den Hang
hinunterrollen, und er staunte, wie viele es waren.

Dann kletterte er selbst hinterher. Unten entdeckte er Mixons

Pferd, lud ihm die Säcke auf und schwang sich dann selbst in
den Sattel. Langsam und vorsichtig ritt er davon. Wenn das
Gelände zu schwierig wurde, stieg er ab und führte das müde
Tier am Zügel.

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Erst nach einigen Minuten wurde ihm klar, wie verrückt es

war, all das Gold mitzunehmen. Wenn er nun Mixon oder
Webber traf… Oder Penrose…

Langsam und vorsichtig ritt er weiter. Seltsam: Da hatte er

ein ganzes Vermögen in blankem Gold bei sich – und nicht
einmal einen Revolver!

Wenige Kilometer oberhalb der Süd-Hütte ließ Joe das Pferd

anhalten und stieg ab. Er verbarg das Gold unter schweren
Steinen und markierte die Stelle ganz genau.

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Alte Bekannte



Vor Schreck keiner Bewegung fähig, starrte Hoss in Red
Mixons Revolvermündung.

„Erst bist du an der Reihe, Cartwright!“ grölte der

Verbrecher, und seine Augen flackerten fiebrig. „Mit dem
kleinen Penrose rechne ich nachher ab. Ich lasse mir Zeit…
Immer mit der Ruhe!“

Er ließ den Blick nicht von Hoss’ Stirn, während er den Hahn

des schweren Colts mit dem Daumen zurückzog.

Es klickte. Hoss spannte alle Muskeln, um dem Banditen mit

dem Mute der Verzweiflung an den Kragen zu springen.
Plötzlich aber ließ ein ohrenbetäubender Knall die Hütte
erzittern.

Hoss sah, daß Red Mixon taumelte. Eine Kugel hatte ihn

mitten in die Brust getroffen. Der Revolver entfiel den leblosen
Fingern, und der Verbrecher stürzte rücklings auf den Hof, fast
unter die Hufe von Hop Sings Pferd.

Jetzt erst begriff Hoss, wer geschossen hatte. Penrose!
Es war ganz still. Man mochte meinen, die Hütte sei ein

Wachsfigurenkabinett: Hop Sing lag zusammengekrümmt auf
dem Boden, Hoss kniete reglos neben ihm, und Penrose saß
auf der Bettkante. Pulverqualm wallte durchs Zimmer.

„Sie haben mir das Leben gerettet, Penrose!“ stieß Hoss

hervor. „Was auch immer mit Ihnen sein mag – ich verdanke
Ihnen mein Leben!“

Einen Augenblick lang hielt Penrose seinem Blick stand,

dann senkte er das grimmige Gesicht.

Hoss war elender denn je zumute. Sein Blick wanderte durch

die Stube und blieb auf Hop Sing haften.

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„Ich muß unbedingt einen Arzt holen“, sagte er, und als

Penrose nur kaum merklich nickte, fuhr er fort: „Jetzt ist alles
anders, Penrose. Hop Sing schwebt in Lebensgefahr, und Red
Mixon liegt tot auf dem Hof. Wir müssen ihn dem Sheriff
übergeben.“

„Ja.“ Noch immer schaute Penrose nicht auf.
„Ich kann den Sheriff jetzt nicht mehr fernhalten, Penrose –

ganz gleich, was ich Ihnen versprochen habe.“

„Das ist mein Ende“, nickte Penrose. „Aber ich verstehe Sie.“
Hoss zuckte zusammen wie unter einem Hieb.
„Ich werde alles menschenmögliche für Sie tun“, gelobte er.

„Sie sollen nicht hängen für eine Tat, zu der Sie nur
gezwungen worden sind. Und Sie haben Red erschossen und
mein Leben gerettet. Das kann niemand bestreiten.“ Er
knirschte mit den Zähnen. „Aber jetzt muß ich reiten. Machen
Sie sich keine Sorgen. Es wird alles gut.“ Er kniete nieder und
hob den schmächtigen Chinesen auf wie ein kleines Kind.

„Nehmen Sie nur das Geld mit“, bat Penrose leise.
Hoss erstarrte. Dann schüttelte er den Kopf.
„Das Geld bleibt, wo es ist“, entschied er. „Sie sollen es

selbst dem Sheriff übergeben.“

„Ich will es nicht. Nehmen Sie es mit.“
„Es bleibt hier“, beharrte Hoss lächelnd. „Ich verdanke Ihnen

mein Leben, und deshalb will ich dem Sheriff zeigen, daß ich
Ihnen vertraue, und dadurch Ihre Unschuld beweisen.“

Er legte den Koch aufs Bett, hob ihn dann mitsamt der

Matratze wieder hoch und trug ihn hinaus zum Wagen.
Schließlich verlud er auch den toten Mixon. Er sattelte ein
frisches Pferd und band es hinten an den Wagen.

Penrose lehnte in der Tür und beobachtete ihn. Hoss winkte

ihm zu und schwang sich dann auf den Bock. Bald rumpelte
der Wagen in Richtung Ponderosa davon.

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Penrose schaute ihm nach. Kaum war Hoss verschwunden, da

fuhr er herum und lief durchs Zimmer. Eilig zerrte er sich die
Stiefel an die Füße.


Ohne das Gold kam Joe nun wesentlich schneller voran. Dabei
schonte er das erschöpfte Tier nach Möglichkeit und lief auch
jetzt streckenweise zu Fuß neben ihm her.

Er war gerade im Kiefernwald oberhalb der Hütte, als er den

Schuß vernahm. Sofort trieb er das Pferd voran.

Vor der Hütte sprang er aus dem Sattel. Während er die

Zügelleine über den Pfosten warf, bemerkte er zu seiner
Verblüffung das Pferd, das Red Mixon ihm oben im Gebirge
gestohlen hatte.

„Stehenbleiben!“ ertönte eine Stimme. „Hände hoch!“ In der

Tür stand Penrose – so aufrecht, als sei er nie verwundet
worden oder als habe er seine Verletzung vergessen.

Joe wollte den Revolver ziehen, aber den hatte ihm ja Mixon

weggenommen. Kopfschüttelnd starrte er Penrose an.

Der Revolver in der Hand des Buchhändlers zitterte nicht. Es

sah so aus, als wisse Penrose gut damit umzugehen.

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Das Gesetz der Ponderosa



Hoss fuhr mit dem Wagen über das Land und überließ Hop
Sings altem Gaul, sich von seinem Instinkt heimführen zu
lassen. Er schwitzte. Am liebsten hätte er das Pferd die
Peitsche fühlen lassen. Aber er bezähmte sich. Der Wagen
durfte nicht zu sehr rumpeln, Hop Sing mußte geschont
werden.

Hoss versuchte, nicht auf Red Mixon zu schauen, den er

unter seinem Sitz verstaut hatte. Die Gedanken wirbelten ihm
im Kopf.


Ben Cartwright schnallte gerade den Sattelgurt fester, als er
den Wagen auf den Hof rollen sah. Erstaunt richtete er sich auf
und starrte Hoss entgegen. Seih Sohn hielt ganz in der Nähe
von Elliot Clymer und den Bergleuten.

„Vater…“ begann Hoss.
Ben Cartwrights Blick wanderte von Hop Sing über Hoss zu

dem toten Red Mixon unter dem Sitz. Er zog die Brauen
zusammen, sagte aber nichts.

Kaum erkannte Elliot Clymer, wie es um Hop Sing stand, als

er einem seiner Männer auftrug, sofort den Arzt aus Virginia
City herbeizurufen. Während Cartwright ein paar Dankesworte
murmelte, starrte Elliot wie gebannt auf den Toten.

„Verzeihung, Ben“, brachte er endlich hervor. „Ich bitte dich

um Entschuldigung – für alles. Es tut mir wirklich leid.“

Ben nickte. Hop Sing versuchte vom Wagen zu steigen, aber

er taumelte und wäre gefallen, hätte Ben ihn nicht
aufgefangen. Der Rancher nahm ihn in die Arme und trug ihn

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ins Haus hinein. Hoss lief voraus und öffnete dem Vater die
Tür.

Drinnen in der Kammer legte Cartwright den Koch aufs Bett.
„Muß aufstehen“, flüsterte Hop Sing benommen. „Viel

Arbeit.“

„Schön liegenbleiben“, mahnte Cartwright mit sanfter

Stimme. „Gearbeitet wird erst wieder, wenn der Doktor es
erlaubt.“

Der kleine Koch nickte beruhigt und schloß die Augen.
Als Hoss den Blick hob, bemerkte er, daß der Vater ihn fest

anschaute.

„Es war nur ein Irrtum, Vater“, murmelte er unbehaglich.

„Penrose wollte ihn nicht…“

„Penrose!“ Die Stimme des Vaters knallte wie ein

Gewehrschuß.

„Er lag im Fiebertraum“, erklärte Hoss. „Irgendwo hörte er

etwas, wußte aber nicht, was es war… Du weißt doch, wie Hop
Sing immer huscht.“

„Nicht gehuscht“, widersprach Hop Sing mit matter Stimme.

„Hop Sing laut gewesen… Hop Sing lufen Mr. Hoss und Joe!
Hop Sing hatte Angst… Laut gelufen…“

Hoss drückte den Kloß hinunter, der ihm im Halse steckte.
„Niemand geschlafen“, beharrte Hop Sing. „Niemand in Bett,

wenn Hop Sing hineinkam… Jemand an der Tül… Jemand
wollte Hop Sing totmachen.“

„Penrose wollte ihn nicht töten“, flüsterte Hoss verzweifelt,

und er konnte weder den Vater noch den Chinesen anschauen.
„Penrose war ganz durcheinander, er hatte Angst, und er hat
Hop Sings Gesicht überhaupt nicht gesehen.“

„Stimmt nicht!“ Wieder erhob Hop Sing Widerspruch, und

Hoss wurde das Herz immer schwerer. „Hop Sing und Penlose
haben sich lange angeschaut… Beide… Penlose wußte, daß
Hop Sing kam!“

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„Aber warum hätte Penrose ihm denn etwas antun sollen?“

stieß Hoss verzweifelt hervor.

„Offenbar wollte er ihn umbringen“, meinte der Vater kalt.
Der Chinese räkelte sich auf dem Bett.
„Als Hop Sing Penlose sehen, fiel ihm etwas ein. Und Hop

Sing sah, daß Penlose auch etwas einfiel.“ Er atmete ein
paarmal schwer und fuhr dann fort: „Nicht lange, nachdem
Penlose von Pondelosa weg, kam Hop Sing mit Wagen aus
Stadt… Hinter einem Felsen sah Hop Sing dlei Männer…
Einer war Penlose… Er ledete mit Mann, der jetzt tot auf
Wagen liegt.“

Hoss sank in sich zusammen.
„Und noch ein Mann“, fuhr der Koch fort. „Sahen wüst aus.

Hop Sing fuhr schnell weg… Aber sie hatten Hop Sing
gesehen.“

„Nun gibt es keine Zweifel mehr“, meinte der Vater.

„Penrose wollte Hop Sing töten. Aber es sollte so aussehen, als
sei es nur ein Unfall.“

Hoss schüttelte den Kopf.
„Ich kann es mir nicht vorstellen, Vater.“
„Aber alles deutet doch darauf hin, Hoss“, sagte Cartwright.

„Willst du es nur nicht glauben – oder hast du Gegenbeweise?“

Hoss schüttelte den Kopf. Noch als der Sheriff mit seinen

Männern auf den Hof geritten kam, wehrte Hoss sich dagegen,
das Augenscheinliche zu glauben.

Roy Coffee schwang sich von seinem verschwitzten Pferd

und hielt es am Zügel fest. Die Männer hinter ihm saßen bereit.

„Wir haben einen der Räuber, die du suchst, gefunden, Roy!“

sagte Ben zum Sheriff und deutete auf den Wagen.

Verblüfft schauten die Männer hinüber, und sogleich befahl

der Sheriff, den Toten nach Virginia City zu bringen.

„Außerdem möchten Hoss und ich dir etwas in unserer Süd-

Hütte zeigen.“

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Der Sheriff nickte.
„Also wollen wir gleich reiten!“
Zaudernd kletterte Hoss in den Sattel, ihm war hundeelend

zumute. Clymers Reiter schlossen sich den Männern des
Sheriffs an.

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Der Mörder



Wie erstarrt stand Joe im Schein der Abendsonne. Der
Revolver in Penroses Hand schwankte nicht.

„Nun schießen Sie doch schon!“ knirschte der Junge. „Dann

ist wenigstens alles vorbei!“

Penrose grinste verkniffen.
„Du hast ein wenig draußen herumgesucht, nicht wahr?“

fragte er. „Tüchtiger Junge… Webber und Mixon haben auch
gedacht, sie seien tüchtig… Sie haben mich ausgelacht. Sie
ließen mich den Plan machen und meinten, dann könnten sie
mich loswerden. Aber hier stehe ich – mit dem Geld!“

„Aber die ganze Beute haben Sie nicht.“
Penrose fuhr zusammen, als durchzucke ihn ein heftiger

Schmerz. Aber es hatte nichts mit seiner Wunde zu tun. Er trat
einen Schritt vor.

„Das Gold fehlt!“ sagte Joe beißend.
Penrose wurde puterrot, färbte sich aber sogleich wieder

aschgrau. Noch immer hielt er den Revolver ruhig, aber
innerlich war er aufgewühlt.

Wie gebannt starrte Joe auf Penroses Daumen, der den

Hammer der Waffe zurückzog.

„Sind Sie zufrieden mit dem Geld in den Satteltaschen?“

fragte er ungerührt. „Wollen Sie wirklich nicht mehr haben?“

Langsam ließ Penrose die Hand mit dem Revolver sinken.

Joe atmete auf.

„Was weißt du von meinem Gold?“
„Von Ihrem Gold?“ Joes Augen wurden groß. „Sie wollten

die Satteltaschen doch zurückgeben, nicht wahr? Sie wollten
den Sheriff genauso hinters Licht führen wie Hoss und mich:

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indem Sie das Papiergeld zurückgaben und aussagten, Webber
sei mit dem Golde auf und davon!“

„Was weißt du von meinem Gold?“ ächzte Penrose.
„Es befindet sich an einem sicheren Ort!“ erklärte Joe.

„Allerdings nicht mehr da, wo Sie es hinterlegten. Ich habe es
ein bißchen verlagert!“

„Du lügst!“
„Nein, Penrose, ich lüge nicht!“ rief Joe. „Gelogen haben Sie

– aber es hat Ihnen nichts genützt. Sie werden am Galgen
enden!“

Penrose hob erneut den Revolver. Seine Hand zitterte.
„Wenn Sie abdrücken, finden Sie Ihr Gold niemals wieder!“

sagte Joe ruhig, obwohl er vor Angst schwitzte. „Mein Leben
muß Ihnen im Augenblick überaus kostbar sein!“

Penrose wurde abwechselnd rot und blaß, und seine Augen

schossen Blitze. Offenbar gelang es ihm nicht leicht, seine
Mordlust niederzukämpfen. Sein Blick flackerte, er schaute
über den Hof, die Koppel, die Weide und über Joe.

Ein merkwürdiges Lächeln zuckte um seine Lippen. Es war,

als schmecke er etwas, was zugleich bitter und süß sei.

„Dreh dich um!“ Penrose unterstrich den Befehl durch eine

herrische Gebärde mit dem Revolver.

Langsam gehorchte Joe. Aber er wollte sofort herumfahren,

wenn Penrose sich ihm näherte. Er würde ihn mit einem
einzigen Schlag außer Gefecht setzen können. Vielleicht fand
er Gelegenheit dazu. Gespannt lauerte Joe auf seine Chance.
Dann glaubte er, der Augenblick sei gekommen.

Aber ehe er halb herum war, traf Penrose ihn mit dem

Revolverkolben hinter dem Ohr. Joe taumelte und brach, von
einem zweiten Schlag getroffen, zusammen. Er verlor die
Besinnung und spürte keinen Schmerz mehr.

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Wieviel Zeit inzwischen vergangen war, wußte Joe nicht zu

sagen, als er wieder zu Bewußtsein kam. Ihm war, als müsse
seine Lunge bersten, und er rang nach Atem.

Er konnte sich nicht bewegen, und bald merkte er, warum: Er

saß auf einem Küchenstuhl und war ganz fest angebunden. Die
Hände waren hinter der Lehne gefesselt und die Fußgelenke so
fest zusammengeschnürt, daß überhaupt kein Blut mehr in die
Zehen gelangte.

Neben der Tür saß Penrose.
Joe räkelte sich. Aber bei jeder Bewegung schnitten ihm die

Fesseln schmerzhaft ins Fleisch.

Plötzlich pochte sein Herz schneller. Er hörte mehrere Reiter

herangaloppieren. Auch Penrose hatte es gehört. Vorsichtig
schaute er aus der Tür, riß das Gewehr hoch und schoß ins
Finstere.

Sofort zügelten die Männer ihre Pferde.
„Ich warne Sie, Sheriff!“ schrie Penrose. „Kommen Sie

keinen Schritt näher!“

„In Ihrem eigenen Interesse empfehle ich Ihnen, sich zu

ergeben, Penrose!“ rief Coffee zurück.

„Ich denke nicht daran!“ war die Antwort. „Aber hören Sie:

In der Hütte ist Joe Cartwright, ich habe ihn gefesselt, und
wenn Sie mir etwas antun, wird niemand ihn lebend
wiedersehen!“

Nach einer Weile ertönte Ben Cartwrights Stimme.
„Penrose, ich warne Sie!“
„Nein, Cartwright, ich warne Sie!“ schrie Penrose zurück.

„Wenn Sie den Sheriff nicht daran hindern Dummheiten zu
machen, kostet es Ihrem Sohn das Leben!“

Wieder trat Stille ein.
„Was wollen Sie damit eigentlich erreichen, Penrose?“ rief

der Sheriff schließlich.

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„Sie brauchen mich gar nicht durch Ihre Fragen abzulenken,

während Ihre Männer die Hütte umzingeln!“ erwiderte Penrose
verächtlich. „Von hier aus kann ich in alle Richtungen
schauen… Und wenn die Lage für mich brenzlig wird, stirbt
Joe Cartwright!“

„Was verlangen Sie, Penrose?“ fragte der Sheriff nach kurzer

Pause.

„Sie kommen zur Vernunft!“ rief Penrose. „Ich verlange, daß

Sie mit Ihren Männern dorthin zurückreiten, woher Sie
gekommen sind. Am Waldrand können Sie meinetwegen
warten. Inzwischen reite ich fort und nehme Cartwright mit.
Sobald Sie mich daran zu hindern suchen, stirbt der Junge!
Auch wenn Sie mir nachkommen, muß er sterben! Wenn Sie
mir Zeit lassen, in Sicherheit zu kommen, mag er am Leben
bleiben. Ich schicke ihn zurück, sobald ich habe, was ich will,
und in Sicherheit bin.“

„Sie wissen, daß ich mich auf solche Geschäfte nicht

einlassen darf, Penrose!“ rief Coffee zurück.

Ein Schuß knallte, Männer schrien auf, Pferde wieherten.
„Ich habe diesmal nur auf den Boden gezielt!“ grölte Penrose

und lachte wild. „Aber mehr Kugeln habe ich nicht zu
verschwenden… Sie sind dran, Sheriff. Wenn Sie wollen, daß
Joe Cartwright und auch noch der eine oder andere von Ihren
Männern fällt, kommen Sie nur heran!“

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Wildes Feuer



Totenstill wurde es draußen vor der Hütte. Nur der Wind hob
zu neuem Brausen an, und über dem Gebirge grollte der
Donner.

Hoss fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
„Joe wollte mich warnen!“ knirschte er, zornig auf sich

selbst. „Aber ich habe ihm nicht geglaubt!“

„Das konntest du nicht ahnen, Hoss“, tröstete Candy. „Er

machte einen so netten Eindruck.“

„Das muß ich auch zugeben, Hoss“, sagte der Vater, aber

seine Stimme klang schwer.

Murrend verlangten einige der Männer, die Hütte zu stürmen.
„Immer mit der Ruhe“, warnte der Sheriff. „Solange wir es

verhindern können, soll niemand zu Schaden kommen.“

„Wollen Sie Penrose etwa laufenlassen?“ fuhr einer seiner

Begleiter auf.

„Wir ziehen uns zurück!“ befahl Coffee entschieden. „Wie

Penrose verlangt hat: bis zum Waldrand. Und dann sehen wir
weiter.“

Die Männer wendeten die Pferde, nur Hoss rührte sich nicht.

Er schaute ihnen nach, wie sie davonritten und zwischen den
Bäumen verschwanden.

„Komm mit, Hoss!“ rief der Vater.
„Ich bin schuld daran, daß Joes Leben am seidenen Faden

hängt“, erwiderte Hoss verstockt.

„Niemand ist schuld daran“, widersprach ihm der Vater.
„Man hat einen der Spießgesellen von Penrose gefunden,

Hoss“, berichtete Candy. „Er hatte drei Schüsse im Rücken.
Du bist also nicht der einzige, der ihm vertraut hat.“

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„Du hast getan, was du für richtig hieltest, Hoss“, meinte der

Vater ruhig. „Und darauf kommt es an. Jetzt müssen wir sehen,
daß Joe nichts zustößt, ehe wir ihm wirklich helfen können.“

„Ich muß Joe aus der Patsche helfen“, murmelte Hoss, als

spräche er mit sich selbst.

„Komm doch, Hoss“, drängte auch Candy. „Laß uns reiten.

Deinem Vater wird schon etwas einfallen.“

Nun waren alle Männer des Sheriffs im Walde. In den

Schatten der Bäume verhielten sie abwartend.

„Wir dürfen ihn nicht entkommen lassen, Sheriff“, meinte

Cartwright. „Zieh doch mit deinen Männern einen weiten Ring
um die Hütte – vielleicht können wir dann Penrose abfangen,
ehe er Joe etwas antut.“

„Vorläufig wird er gar nichts unternehmen“, erklärte Coffee.
„Bist du dessen so sicher?“
„Jawohl“, war die entschiedene Antwort. „Bestimmt hofft er,

straffrei auszugehen, und er wird uns irgendeinen Handel
vorschlagen. Ich kenne diese Typen. Wenn wir aber jetzt über
ihn herfallen, wird er Joe umbringen. Und diesen Preis möchte
ich nicht zahlen. Also laß uns noch warten.“

„Deshalb aber kannst du doch die Hütte umzingeln lassen“,

beharrte Ben. „Dann haben wir Penrose wenigstens in der
Falle.“

Der Sheriff nickte und sprach mit seinen Männern. Alle

dreißig Meter sollte einer von ihnen Posten beziehen. Aber er
schärfte ihnen ein, ja zwischen den Bäumen zu bleiben und
sich nicht sehen zu lassen.

„Und haltet euch außer Schußweite“, sagte er abschließend.

„Wir haben mehr Zeit als er und können warten. Deshalb
dürfen wir nicht die Nerven verlieren!“

Die Männer nickten und ritten davon. Candy und Hoss hatten

sich mit einteilen lassen. Nicht weit vom Sheriff und Ben

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Cartwright, die neben ihren müden Pferden am Boden saßen,
hockten sie hinter einem Baum.

„Wenn wir beide nun zur Hütte schlichen, einer von links,

der andere von rechts?“ meinte Candy. „Einer von uns würde
es vielleicht schaffen.“

Hoss spähte zur Hütte hinüber und schüttelte den Kopf.
„Vorher würde Joe erschossen werden“, wandte er ein. „Ich

habe inzwischen schon genug falsch gemacht. Wenn ich jetzt
noch überhaupt etwas tue, muß es unbedingt richtig sein.“

Schweigend saßen sie eine Weile nebeneinander. Plötzlich

hob Hoss den Kopf.

„Vielleicht war dein Gedanke doch gar nicht so schlecht,

Candy“, meinte er. „Vielleicht können wir beide etwas tun.“

Der Junge nickte begeistert, und eifrig steckten die beiden die

Köpfe zusammen.


Candy trat zwischen den Bäumen hervor. Sofort tönte ihm
Penroses Stimme entgegen.

„Bleib stehen, Kerl!“ brüllte er. „Zurück!“
„Geben Sie meinen Freund Joe heraus!“ schrie Candy böse.

„Sonst passiert etwas!“

Penrose lachte hart auf.
„Jawohl, es wird etwas passieren, Bursche – wenn du

nämlich nicht auf der Stelle im Walde verschwindest.“

„Sie haben kein Recht, Joe einzusperren!“ schalt Candy. „Er

hat Ihnen doch nichts getan.“

„Er hat mir nichts getan?“ krächzte Penrose. „Wenn du

wüßtest, was er mir wirklich getan hat, Kerl! Und außerdem ist
er jetzt meine einzige Garantie dafür, daß ihr mir nichts tut!“
Er lachte grob. „Oh, dein Freund ist mir sehr viel wert! Haha!“

Candy überlegte. Was sollte er noch sagen? Wie konnte er

den Mann dort von der Hütte ablenken, daß er nicht merkte…

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Plötzlich zuckte er zusammen. Dort, züngelte da nicht eine

Flamme empor? Stieg nicht schwarzer Qualm vom Teerdach
auf? War es Hoss gelungen, von hinten die Hütte
anzuschleichen, während Candy Penrose durch seine
herausfordernden Reden ablenkte?

„Wir wollen doch mal sehen, wer morgen am lautesten lacht,

Mr. Penrose!“ schrie der Junge, und seine Stimme klang
triumphierend. „Es hat schon mancher gemeint, er sei schlau –
und auf einmal kam alles anders!“

Penrose lachte überheblich.
„Bei mir nicht, Kerl! Ich…“ Er verstummte, stutzte – und

fuhr herum.

Der Brand hatte sich schnell ausgebreitet, das ganze Dach

stand in Flammen. Penrose verlor die Nerven und lief hinaus –
und landete in den Armen von zwei Männern des Sheriffs, die
hinter ein paar Büschen auf diesen Augenblick gewartet hatten.
Es war geschafft!

„Joe!“ schrie Hoss. „Komm doch heraus!“
Wo blieb Joe? Er hätte doch längst herauskommen müssen.

Warum blieb er in der brennenden Hütte?

Außer sich vor Angst stürmte Hoss nach der Hütte. Aber Ben

Cartwright und Candy kamen ihm zuvor. Sie traten in die Tür
– und erstarrten.

Joe war gefesselt, aber mit dem Mute der Verzweiflung kroch

er wie ein Wurm über den Boden. Soeben erst war es ihm
gelungen, den Stuhl umzuwerfen, an den er gebunden war.
Cartwright holte tief Luft, sprang in die brennende Hütte,
bückte sich, hob den Sohn in die Arme und trug ihn auf den
Hof hinaus. Dort wurde Joe von seinen Fesseln befreit, und
unter dem Jubel der Männer fiel er dem Vater, dann Hoss und
dann Candy in die Arme.

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Alle rüsteten zum Aufbruch. Joe berichtete, wie er das Gold

gefunden und wo er es versteckt hatte. Virginia City war
gerettet, und Ponderosa würde nicht unter den Hammer
kommen!

„Fein gemacht, Hoss“, lachte Candy, der neben Hoss ritt.

„Aber mit Buchhändlern würde ich mich doch nicht mehr
einlassen.“

Hoss wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Jedenfalls ist meine Moderne Bibliothek des nützlichen

Wissens ganz prima“, beharrte er. „Ich kann dir ja mal einen
Band leihen.“

Candy nickte.
„Am besten den, in dem alles über schwarze Katzen

nachzulesen ist“, meinte er.


Ende



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