Bonanza 7 Parker, Teddy Gefahr für Little Joe

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Teddy Parker


Gefahr für

Little Joe


Bonanza

Band 7












Engelbert-Verlag • Balve/Westf.

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Bearbeitung und deutsche Fassung: Peter Wolick

Verlags-Nr. ISBN 3 536 00 871 2

1. Auflage 1970

(c) 1970 by National Broadcasting Company, Inc.

Alle Rechte vorbehalten



Veröffentlicht mit Genehmigung von

Western Publishing Company, Inc. Racine/Wisconsin, USA

Alle Rechte der deutschen Buchausgabe

1970 beim Engelbert-Verlag,

Gebr. Zimmermann, Buchdruckerei und Verlag GmbH,

5983 Balve/Westf. Widukindplatz 2

Nachdruck verboten – Printed in Germany

Satz, Druck und Einband: Gebr. Zimmermann, Balve

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Begegnung in den Bergen



Mit dem Wind aus dem Süden war der Frühling ins Land
gezogen. E

R

hatte die Schneespitzen der Berge abgeschmolzen,

und sie donnerten als reißende Gebirgsbäche durch die
Schluchten zu Tal. In Virginia City blühten die Bäume, überall
roch es nach frischer Erde, und auf den Feldern kam das erste
Grün des neuen Weizens ans Tageslicht.

Auf der Ponderosa hatte man sich in den letzten Monaten

darauf vorbereitet. Die Ställe waren gekalkt worden, man hatte
schadhafte Koppelzäune repariert und das Hauptgebäude mit
einem neuen Anstrich versehen.

Ben Cartwright konnte mit der Arbeit seiner Leute zufrieden

sein. Hoss und Little Joe hatten mit dem Vormann Ben
Hawkins und seinen Leuten alles zur besten Zufriedenheit des
Vaters erledigt. Jetzt galt es, auf den weitabgelegenen
Bergweiden Nachschau zu halten. Sie waren stets schneefrei,
aber der Sturm konnte die Schutzdächer, unter denen das im
Freien lebende Vieh Unterschlupf fand, umgerissen haben. Die
Hereford-Rinder, die die Cartwrights dort züchteten, waren
eine Rasse, der das Bergklima auch im Winter nichts
ausmachte. Man brauchte sich kaum um sie zu kümmern, und
das ersparte eine Menge Arbeit. Die Regierung hatte Ben
Cartwright auf seinen Antrag hin die ganze Hochebene als
pachtfreies Weidegelände zur Verfügung gestellt. Die anderen
Rancher hatten ihn zuerst für verrückt erklärt, als er damals
eine kleine Herde Hereford-Rinder in die Berge trieb.
Cartwright kannte die zähe Rasse und war sicher, sie würden
auch den Winter überstehen. Und so war es auch. Inzwischen
hatte sich die Rinderherde in den Bergen vermehrt und war zu

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einer stattlichen Anzahl gewachsen. Der Erfolg hatte Ben
Cartwright recht gegeben, und die anderen Viehzüchter
machten heute dumme Gesichter, wenn die Ponderosa-
Cowboys Jungtiere und Kälber zu Tal brachten, um sie auf den
Märkten zu einem guten Preis zu verkaufen. Die Zucht der
Hereford-Rinder war ein gutes Geschäft geworden, und für
Bullen mußte ein besonders guter Preis gezahlt werden. Der
einzige Rancher, der in Virginia City Hereford-Rinder
züchtete, war Mr. Orton, und er war auf eine ganz besondere
Weise an diese Tiere gekommen. Die ganze Angelegenheit
endete damals mit der Festnahme eines Banditen, der sich
Lafitte nannte, und es war wohl das erregendste Erlebnis Ben
Cartwrights und seiner Söhne gewesen.

Heute sollten Hoss und Little Joe zu den Gebirgsweiden

reiten, um die Herde zu kontrollieren und die neugeborenen
Kälber mit dem Brandzeichen der Ponderosa zu versehen. Das
war wichtig, denn Viehdiebstähle waren in der Gegend um
Virginia City an der Tagesordnung. Die Gauner hatten es
besonders auf Kälber abgesehen, die noch nicht mit einem
Brandzeichen versehen waren. Sie zeichneten sie an Ort und
Stelle mit dem Zeichen ihrer Ranch, und so konnte man ihnen
nichts anhaben, auch wenn man den Sheriff alarmierte. Die
Zeichnung der neugeborenen Kälber war also von größter
Wichtigkeit, zumal die Hereford-Rinder in einem Gebiet
lebten, das jedem Fremden ohne weiteres zugänglich war.

An diesem Morgen war Hop Sing, der chinesische Koch der

Ponderosa, schon früh auf den Beinen. Er mußte Hoss und
Little Joe für drei Tage Verpflegung mitgeben und hatte da
besondere Wünsche zu berücksichtigen. Little Joe war ein
Freund von guten Steaks, dagegen wollte Hoss nicht auf seinen
geliebten Morgenpudding verzichten. So bemühte sich Hop
Sing, beiden gerecht zu werden. In der Pfanne brutzelten
einige saftige Steaks, und auf dem Tisch standen bereits zwei

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große Gläser mit goldgelbem Vanillepudding, den Hop Sing
schon am Abend vorher bereitet hatte.

Der erste, der am Frühstückstisch erschien, war Ben

Cartwright.

„Und wo sind meine Herren Söhne?“ fragte er den Chinesen,

der ihn eilfertig bedienen wollte.

Wie alle Chinesen sprach Hop Sing kein „R“. Er gebrauchte

dafür das „L“, und das gab oft Anlaß zur Heiterkeit.

„Junge Hellen noch nicht aufstehen“, meinte er, während er

Ben Cartwright die Tasse füllte. „Ich sofolt wecken. Alles
schon feltig, Mistel Caltwlight. Sie können nach Flühstück
sofolt leiten.“

„Dann mache aber ein wenig Druck dahinter“, erwiderte der

Rancher. „Es ist bereits sieben Uhr. Sie sollen gefälligst
aufstehen.“

„Ich sofolt machen Dluck“, nickte Hop Sing. „Abel ich Ihnen

zueist einmal geben Eiel mit Speck. Sie sichel schon wollen
essen.“

Er lief eilig in die Küche und kam mit der Pfanne zurück.

Nachdem er Ben Cartwright bedient hatte, machte er sich auf,
Hoss und Little Joe zu wecken. Bei Hoss war das nicht weiter
gefährlich. Bei Little Joe mußte er sich jedoch vorsehen, denn
mehr als einmal war die freundliche Aufforderung zum
Aufstehen mit dem Wurf eines Stiefels beantwortet worden.
Da konnte Hop Sing noch so leise und freundlich sprechen.

So traf es auch heute ein. Als er Little Joe ganz freundlich

zum Aufstehen ermahnte, konnte er sich nur durch einen
raschen Sprung vor dem fliegenden Stiefel retten. Er donnerte
gegen die Türfüllung.

„Abel, Mistel Joe“, rief Hop Sing von draußen. „Mistel

Caltwlight schon Flühstück essen, und er sagen, ich muß
machen Dluck. Sie kommen sofolt, velstehen?“

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„Ja, ist gut“, knurrte Little Joe und wälzte sich wieder auf die

andere Seite.

Hop Sing, der es durch die halbgeöffnete Tür sah, weckte nun

Hoss in seinem Zimmer.

„Mistel Hoss, Sie bitte aufstehen“, sagte er freundlich.
Der Dicke war sofort wach. Er reckte sich in seinem Bett und

blinzelte durch die Lider.

„Ja, bitte sofolt“, sagte Hop Sing. „Sie leiten heute in die

Beige, und ich machen plima, plima Pudding fül Velpflegung.
– He, Sie gehölt?“

„Ja“, knurrte Hoss.
„Mistel Joe mil welfen Stiefel gegen Tül“, zeterte der

Chinese. „Nicht gut Mensch, wo ich ihm blate plima, plima
Steaks. Hop Sings Kopf nicht dafül da, um nach ihm zu welfen
mit Stiefel. – Velstehen?“

„Klarer Fall“, erwiderte Hoss. „Wer läßt sich gern einen

Stiefel an den Kopf werfen? Das werden wir gleich haben.“ Er
sprang in seinem langen Nachthemd aus dem Bett und griff
nach, der gefüllten Wasserkaraffe. „Nun paß auf, wie man das
macht“, wandte er sich an den verblüfften Chinesen.

„Abel ganzes Bett wild naß“, zeterte Hop Sing, der sofort

begriffen hatte.

„So, jetzt rufe noch mal“, forderte Hoss den Chinesen auf, als

sie vor dem Zimmer Little Joes standen.

Hop Sing tat es, und sofort donnerte der zweite Stiefel gegen

die Türfüllung.

Im gleichen Moment riß Hoss die Tür auf, eilte zum Bett

seines Bruders und goß ihm die ganze Karaffe Wasser über das
Gesicht.

Schnaufend und brüllend sprang Little Joe aus dem Bett.
„Recht schönen guten Morgen“, sagte Hoss und grinste breit.

„Wünsche wohl geruht zu haben! – Pa sitzt schon unten und

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wartet auf uns. Ich finde es nicht sehr nett von dir, wenn du
Hop Sing deine dreckigen Stiefel an den Kopf wirfst.“

„Und ich finde es gemein, mir Wasser über den Kopf zu

schütten“, erwiderte Little Joe aufgebracht. Er langte nach
einem Handtuch. „Ich wäre sowieso sofort aufgestanden.“

„Es ist nicht wegen des langen Schlafens“, grinste Hoss.
„Du sollst dich anständig benehmen. Was kann Hop Sing

dazu, wenn ihn Pa auffordert, uns zu wecken? Das
Stiefelwerfen gewöhne ich dir ab, und wenn ich den ganzen
Takoe-See in dein Bett lenken müßte. Los, stehe nicht so
herum! Ziehe dich an!“

„Das ist nun ein Bruder“, sagte Little Joe in einem

jammervollen Tonfall, während er sich, den Kopf abtrocknete.
„Ich bin noch so müde…“

„Ja, das kommt davon, wenn du bis Mitternacht im Saloon

hockst“, erwiderte Hoss. „Sicher hast du wieder ein Spielchen
mit Steve Collins gemacht. Glaubst du, ich hätte nicht gemerkt,
daß du, nachdem wir gestern abend ins Bett gingen, ausgerückt
bist? Pa hat das natürlich nicht gemerkt. Er schläft wie ein
Murmeltier, und ich sage ihm auch nichts.“

Little Joe starrte ihn mit offenem Munde an. „Das weißt du?“
„Ich weiß noch viel mehr“, grinste Hoss. „Von einer

gewissen Virginia Bell. – Hahahahahaha! Hinter der bist du
doch auch her, und wenn das Cora Orton erfährt… Leider mag
sie mich nicht…“

„Nein, nein“, wandte Little Joe ein. „Sie mag dich, schon,

aber wenn sie mich dann wieder sieht… Du mußt doch
zugeben, ich bin ja auch viel jünger und habe nicht so einen
dicken Bauch.“

„Zugegeben, das stimmt“, nickte Hoss. „Mit anderen Worten

heißt das: Du bist ein magerer Windbeutel und ich ein Mann,
der vor allem weiß, was er will. Ich laufe nicht jeder Schürze
nach. Ich wäre mit Cora Orton zufrieden.“

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„Vielleicht jetzt kommen schnell zum Flühstück“, unterbrach

Hop Sing das Gespräch. „Mistel Caltwlight sonst ungeduldig.“

Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, da tönte Ben

Cartwrights Stimme von unten: „He, was ist mit euch? Soll ich
euch noch eine Einladung schicken?“

„Ja, Pa, wir kommen schon“, rief Hoss hinab, während er in

sein Zimmer ging. „Unser Liebling hatte noch nicht
ausgeschlafen.“

Kurze Zeit später waren die Cartwrights am Frühstückstisch

versammelt. Während Hop Sing bediente, wurde die
Arbeitseinteilung auf den Bergweiden besprochen.

„Ihr zeichnet alle Jungtiere und Kälber“, trug Ben Cartwright

seinen Söhnen auf. „Fünfundzwanzig Jungtiere und zwei
Stierkälber gehen an die Spillings-Ranch. Ich habe sie Mr.
Spillings versprochen, als ich letzthin in Carson City auf dem
Markt war. Er wartet schon darauf. Ihr bekommt
eintausendfünfhundert Golddollar für die Tiere. Der Preis
wurde zwischen Mr. Spillings und mir ausgemacht.“

„‘ne hübsche Summe“, lächelte Little Joe, während ihm der

Vater den Kaufvertrag übergab. „Geht in Ordnung, Pa!“

„Wieso bekommt er den Kaufvertrag, Pa?“ fragte Hoss. „Ich

bin immer noch der Ältere.“

„Aber ich der Intelligentere“, erwiderte Little Joe. „Laß gut

sein, Brüderchen! Dafür darfst du das Geld kassieren und
aufbewahren.“

„Ich weiß nicht, was habt ihr nur immer für Probleme“,

seufzte Ben Cartwright. „Wie Kinder stellt ihr euch an. Es ist
doch völlig egal, wer von euch den Kaufvertrag bekommt.“

„Irrtum, Pa! – Er wird dadurch nur immer großspuriger. Er

glaubt, er wäre etwas Besseres, weil ihm alle Schürzen
nachlaufen“, sagte Hoss. „Deshalb pflegt er auch seinen
Witwentröster-Blick, der magere Windbeutel.“

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„He, noch ein Wort, und ich klebe dir eine“, fuhr Little Joe

auf. „Pa, du siehst jetzt, daß dieses Nilpferd immer anfängt.
Habe ich etwas gegen ihn gesagt?“

„Jetzt ist aber Schluß, Kinder“, fuhr Ben Cartwright

dazwischen. „Los, macht euch auf die Beine. Es ist sowieso
schon spät genug.“

Inzwischen hatte Hop Sing die mit Proviant gefüllten

Satteltaschen vor das Haus gebracht. Am Haltebalken vor dem
Stall standen bereits die Pferde, Hoss’ Paiute, ein hochbeiniger
brauner Hengst, und Taifun, den Little Joe reiten wollte.
Taifun hatte vor einem Jahr das Derby beim großen Rodeo von
Virginia City gewonnen. Durch sein Verschwinden kurz vor
dem Rennen war man damals einer gerissenen Gaunerbande
auf die Spur gekommen. Taifun war ein bildschöner Rappe,
den Little Joe vor Jahren aus einer Herde von Wildpferden
eingefangen hatte.

Ben Cartwright stand in der Tür und beobachtete das Satteln

der Pferde.

„Macht mir in Carson City keinen Ärger“, rief er seinen

Söhnen zu. „Und reitet am Saloon vorbei, verstanden?“

Little Joe schwang sich in den Sattel. „Okay, Pa! – Kannst

dich auf uns verlassen.“

„Du kannst dich auf mich verlassen“, rief Hoss und saß auf.

„Ich werde schon auf unseren Liebling aufpassen.“

Hop Sing kam mit den Gewehren aus dem Haus und steckte

sie in die Sattelfutterale. Er sah dabei fröhlich zu den Reitern
auf.

„Sie vielleicht glüßen in Calson City meine splechenden

Eichhölnchen?“ kicherte der Chinese. „Dolt wohnen Tan Lau,
del sie von mil gekauft hat. Vielleicht jetzt wiedel splechen
und nicht mehl böse.“

Hoss und Little Joe lachten, denn die Geschichte mit den

sprechenden Eichhörnchen war zu komisch gewesen.

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„Nein, lieber nicht“, meinte Little Joe. „Ich bin ganz sicher,

daß sie auch jetzt noch nicht sprechen werden.“ Er winkte dem
Vater zu. „Also – bis dahin, Pa!“

„Und alle mögen kommen gut zulück“, dienerte Hop Sing.
Hoss tippte grinsend an seinen Hut und schloß sich seinem

davonreitenden Bruder an.

Nachdem die Reiter die Landstraße nach Virginia City

passiert hatten, schlugen sie bis zu den Eagle Rocks einen
leichten Trab an. Die Adler-Felsen waren ein niedriger
Gebirgsausläufer, von dem aus man einen weiten Blick ins Tal
hatte. Zwischen ihnen und den Mountains lagen die Reservate
der Paiute-Indianer. Erst im vergangenen Jahr waren zwischen
dem Hauptstamm der Paiutes und Regierungsvertretern neue
Verhandlungen geführt worden, nachdem der Graue Wolf und
sein Sohn Tenaque einen rebellierenden Zweigstamm
unterworfen hatten. An der friedlichen Lösung dieser
Angelegenheit hatte vor allem auch Ben Cartwright
mitgewirkt. Die neuen Abmachungen zwischen den Indianern
und Weißen besagten, daß Zwischenfälle nur durch
Verhandlungen beigelegt werden sollten. Kriegerische
Handlungen sollten unterbleiben. Dafür war den Indianern das
Tragen von Gewehren und der Kauf von Munition erlaubt
worden. Das Betreten von Siedlungen, Dörfern und
Marktflecken der Weißen war ihnen ohne Waffen ebenfalls
erlaubt. Offenbar hielten sich die Indianer an die Richtlinien,
denn es war nicht zu Zwischenfällen gekommen. Meistenteils
verließen sie ihre Reservate jedoch nicht.

Hoss und Little Joe hatten nach einem Ritt von etwa vier

Stunden den Scheitelpunkt des Gebirges erreicht. Jetzt ging es
wieder bergab, und bald lag eine mit Wiesen bedeckte
Hochebene unter ihnen.

Little Joe hielt sein Pferd an, und Hoss ritt neben ihn.

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„Da sind sie“, sagte Little Joe mit einem stolzen Lächeln.

„Ich glaube, wir werden viel zu tun bekommen. Die Herde ist
um eine stattliche Anzahl gewachsen.“

Hoss nickte. „Ja, Pa hatte eine gute Nase, als er damals die

ersten Tiere kaufte. Es scheint auch alles in Ordnung zu sein.“

„Jedenfalls stehen die Schutzdächer noch“, fügte Little Joe

hinzu. „Komm, sehen wir uns die Hütte an!“

Im leichten Trab preschten sie über den Hang zu Tal. Die

Blockhütte lag am Fuße eines bewaldeten Hügelrückens. Das
Schloß war intakt, also hatte die Hütte niemand betreten.

Hoss öffnete die Tür und stieß die Fensterläden auf. Hell

flutete das Sonnenlicht herein.

„He, was ist denn das?“ Little Joe, der mitten im Raum stand,

deutete auf den Schrank. „Die Hälfte des Geschirrs fehlt. –
Weißt du, ob Pa etwas mit zu der unteren Hütte nahm?“

„Keine Ahnung! – Muß er doch schon. Aus einer

verschlossenen Hütte kann niemand etwas stehlen.“

Es fehlten aber noch andere Dinge, wie Little Joe bald darauf

feststellte. Zwei Decken waren nicht mehr vorhanden, der
zweite eiserne Kessel war verschwunden, und der Wassereimer
fehlte.

„Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu“, sagte Little Joe

und schob sich seinen Hut ins Genick. „Den Eimer hat Pa
bestimmt nicht mitgenommen. – Nein, es muß jemand in der
Hütte gewesen sein.“

„Das kann ich mir nicht denken.“ Hoss schüttelte den Kopf.

Er ging hinaus, um den Pferden die Satteltaschen
abzuschnallen. Mit den Proviantbeuteln brachte er sie in die
Hütte und begann, die Vorräte in den Schrank zu räumen.

Sein Bruder hatte sich inzwischen mit dem Türschloß

beschäftigt. Es handelte sich um ein großes Vorhängeschloß,
dessen Bügel durch zwei eiserne Krampen geführt wurde. Als
er es vorlegen wollte, glitt plötzlich eine der Krampen aus dem

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Holz. Sie war vermutlich mit Gewalt herausgerissen worden.
Nach dem Öffnen der Tür hatte sie der Dieb beim Schließen
nur wieder lose ins Holz gedrückt. Auf diese Weise konnte er
die Hütte zu jeder Zeit betreten, ohne das Schloß öffnen zu
müssen.

„Verstehe ich nicht“, sagte Hoss. „Ein komischer Dieb.

Meistenteils wühlen sie doch alles durcheinander und schlagen
sogar die Tür ein.“

„Ich könnte mir vorstellen, daß er wiederkommt“, überlegte

Little Joe und sah seinen Bruder nachdenklich an. „Und nur
aus diesem Grunde ist er so behutsam vorgegangen.“

„Glaubst du, der Kerl schläft hier?“
„Wohl kaum, sonst hätte er die Decken nicht mitgenommen.“

Little Joe zuckte die Achseln. „Nein, der Bursche hält sich
woanders auf, schätze ich. Vielleicht in einer Höhle oder
sonstwo. Es kann nur jemand sein, der allen Grund hat, sich zu
verstecken, und der dieses Versteck auf jeden Fall
geheimhalten will. Deshalb auch die saubere Arbeit an dem
Schloß.“

Hoss nahm einige Holzscheite und legte sie auf die offene

Feuerstelle. „Während ich das Essen mache, könntest du schon
mal nach der Herde sehen und feststellen, was wir noch bis
zum Abend schaffen können.“

Little Joe war damit einverstanden. Auch ihm war es darum

zu tun, das Zeichnen der Tiere möglichst schnell hinter sich zu
bringen und die kleine Herde in Carson City abzuliefern. So
schwang er sich draußen auf seinen Rappen, um die Herde in
Augenschein zu nehmen.

Die Hochebene war von Bergrücken eingeschlossen und zog

sich weit zwischen den Bergen hindurch. Sie war ein geradezu
ideales Weidegebiet, denn der kalte Nordwind wurde im
Winter von den Bergen abgehalten. Im Sommer war es
dagegen hier oben angenehm kühl.

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In leichtem Trab ritt Little Joe an der weit im Gelände

verstreuten Herde entlang. Die Tiere hatten den Winter gut
überstanden. Die Quelle, die der Vater aus den Bergen in
dieses Gebiet geleitet hatte, rauschte als kleiner Bach in einen
breiten Graben, der den Tieren als Tränke diente. Auch hier
war alles in Ordnung. Little Joe zählte ungefähr achtzig Tiere,
die mit dem Brandzeichen versehen werden mußten. Bis zum
Abend konnte man sie in den Freikorral treiben und morgen
früh gleich mit der Zeichnung beginnen.

Zufrieden wollte er sich auf den Rückweg machen, da sah er

etwas Weißes zwischen den Büschen hindurchschimmern.
Beim Näherreiten erkannte er ein Kalb. In der Annahme, das
Tier habe sich ein Bein gebrochen oder sich sonstwie verletzt,
stieg er ab. Sofort sah er aber, daß es sich um ein totes Tier
handelte, das mit Büschen getarnt worden war. Man hatte es
durch einen Schuß in die Stirn getötet, zum Teil abgehäutet
und die besten Fleischstücke aus dem Körper geschnitten. Das
alles war vor noch gar nicht langer Zeit geschehen, wie Little
Joe erkennen konnte. Jemand hatte sich hier mit Fleisch
versorgt. Vermutlich war es der Unbekannte, der auch der
Hütte einen Besuch abgestattet hatte. Also traf seine Annahme
zu: Der Kerl hatte sich hier im Gebiet versteckt. Er wollte vor
allem nicht, daß man auf ihn aufmerksam wurde. Deshalb hatte
er auch das tote Kalb mit Zweigen getarnt.

Little Joe sah sich um. Das Blut des Tieres war im Boden

versickert und hatte ihn aufgeweicht. Deutlich waren die
Abdrücke von Stiefeln zu erkennen. Nach der Fußstellung
führten sie in eine bestimmte Richtung. Hufspuren waren
jedoch nicht zu sehen. Folglich mußte sich das Versteck des
Fremden hier ganz in der Nähe befinden.

Joe Cartwright band Taifun an einen Baum, nahm das

Gewehr aus dem Sattelfutteral und ging auf die nächstliegende
Felsgruppe zu. Er war sicher, das Versteck des Fremden in

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diesem Gebiet zu finden. Deutlich waren die Fußspuren zu
erkennen. Sie führten geradewegs zu den Felsen. Little Joe
folgte ihnen, mußte aber feststellen, daß sie auf dem steinigen
Boden bald nicht mehr auszumachen waren. Er kletterte noch
eine Zeitlang in den Felsen umher, dann gab er die Suche auf.
Mißmutig schwang er sich auf sein Pferd und ritt zur Hütte
zurück. Er wollte mit seinem Bruder beraten, was in diesem
Falle zu tun sei.

In der Hütte war der Tisch bereits gedeckt. Hoss hatte die

angebratenen Steaks auf einem Rost über dem Feuer erhitzt
und brachte sie auf den Tisch. Dazu gab es Brot und Kaffee.

Als Little Joe zwei Steaks gegessen hatte und zufrieden

seinen Kaffee schlürfte, sah ihn Hoss aufmerksam an.

„Hör zu, du Windhund“, sagte er plötzlich mit verhaltener

Wut. „Ich weiß, du wolltest mir einen Streich spielen. Es langt
aber jetzt! – Los, gib den Pudding heraus!“

„Pudding?“ fragte Little Joe verständnislos. „Ich soll deinen

Pudding haben?“

„Ja“, nickte Hoss. „Er ist nämlich verschwunden. Außer uns

ist niemand in der Hütte. – Du hast ihn versteckt.“

„Das soll doch sicher nur ein Scherz sein“, erwiderte der

Bruder lachend. „Was geht mich dein Pudding an? – Wenn er
nicht da ist, wirst du vergessen haben, ihn einzupacken.“

„Irrtum!“ Hoss kaute auf seinen Lippen herum. „Ich stellte

die beiden Gläser dort auf das Fensterbrett. – Los, mach kein
Theater und gib sie heraus!“

Jetzt wurde Little Joe böse. „Bei dir kann doch nur eine Saite

gerissen sein“, fuhr er den Dicken an. „Warum sollte ich dir
den Pudding verstecken? – Hältst du mich für kindisch?“

Hoss sah ihn nur an.
„Du brauchst mich gar nicht so komisch anzusehen“, fügte

der Bruder hinzu. „Glaube mir, ich habe deinen Pudding nicht.
Ich schwöre es dir!“

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„Dann geht es hier nicht mit rechten Dingen zu.“ Hoss kratzte

sich den Kopf. „Bei allem, was mir heilig ist: Ich stellte die
beiden Gläser dort auf das Fensterbrett.“

„Und du bist ganz sicher?“
„Völlig! – Ich weiß doch, was ich tue.“
„Und ich habe die Gläser weder gesehen noch versteckt“,

erklärte Little Joe noch einmal mit Nachdruck. „Das kannst du
mir glauben.“

„Und wo könnten sie sein?“
Little Joe erhob sich und ging zum Fenster. Es war das

Fenster, über dem sich das Schutzdach hinter der Hütte erhob.

Dort befand sich der Futterplatz für die Pferde.
„Du stelltest die beiden Glaser also auf dieses Fensterbrett“,

vergewisserte sich Little Joe.

Hoss nickte. „Und als ich vom Wasserholen zurückkam,

waren sie verschwunden.“

„Dann könnte ich sie doch gar nicht versteckt haben. Ich war

um diese Zeit auf den Weiden. Das leuchtet dir doch sicher ein
– oder?“

„Ich kenne dich“, erwiderte Hoss. „Um mir einen Streich zu

spielen, würdest du meilenweit reiten.“

Wortlos ging Little Joe hinaus und kam bald darauf mit den

leeren Puddinggläsern zurück. „Und was ist das? – Offenbar
wolltest du mich auf den Arm nehmen. Sie standen neben der
Futterkrippe.“

„Das verstehe ich nicht. – Sie sind ja leer“, stellte der Dicke

fest.

„Das ist bei deinem Appetit kein Wunder, du Nimmersatt“,

lachte Little Joe. „Aber ich möchte nur wissen, was das alles
soll.“

Da Hoss aber nun wütend erklärte, er habe den Pudding nicht

gegessen, kam Little Joe zu dem Schluß, dann könne es nur der
Kerl gewesen sein, der auch die Sachen aus der Hütte

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gestohlen habe. „Als du zur Quelle gingst, ist er
zurückgekommen. Er muß sich hier ganz in der Nähe aufhalten
und hat auch das Kalb getötet.“

„Kalb getötet?“ fragte Hoss und bekam große Augen.
Little Joe erklärte es ihm.
„Dann müssen wir den Kerl aufspüren“, forderte der Dicke

wütend. „Was meinst du, was Pa sagt! Wir werden den Kerl
festnehmen und dem Sheriff übergeben.“

„Aber ich kann die Spuren nicht wiederfinden“, erklärte

Little Joe. „Glaubst du, ich hätte nicht sofort danach gesucht?“

„Ich werde ihn schon aufspüren!“ Hoss erhob sich und legte

den Revolvergürtel um. „Komm, sehen wir uns die Gegend
einmal genau an!“

Aber auch Hoss konnte die Spuren nur bis zu einer gewissen

Stelle verfolgen, doch dann verliefen sie zwischen den Felsen.

„Ja, bis hierher bin ich auch gekommen“, stellte Little Joe

fest, der dem Bruder gefolgt war.

Hoss schirmte mit der Hand die Sonne ab und ließ seinen

Blick über die Gegend wandern. „Ich möchte wetten, er sitzt
drüben zwischen den Felsen. Er wird sich in einer der Höhlen
eingenistet haben, und ich bin sicher, daß sich der Sheriff für
ihn interessiert.“

„Glaubst du, er wird gesucht?“
„Sonst würde er sich hier oben nicht verstecken.“
Little Joe ging zu seinem Pferd zurück. Er steckte das

Gewehr in das Sattelfutteral. „Ich bin dafür, daß wir uns jetzt
an die Arbeit machen. Bis zur Dunkelheit haben wir die Tiere
im Freikorral und können gleich morgen früh mit dem
Zeichnen beginnen. In Carson City werden wir dem Sheriff
unsere Beobachtungen mitteilen. Das erspart uns bestimmt
eine Menge Ärger.“

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„Na, gut!“ Hoss warf noch einen Blick über das Gelände.

„Vielleicht hast du recht. Sehen wir lieber, daß wir mit unserer
Arbeit fertig werden.“

Das Einfangen der Jungtiere nahm mehrere Stunden in

Anspruch. Während dieser Zeit ließ Hoss die Umgebung nicht
aus den Augen. Er hatte immer das Gefühl, beobachtet zu
werden.

Kurz vor Sonnenuntergang war die Arbeit beendet. Im

Freikorral standen alle Jungtiere und Kälber, die am nächsten
Morgen mit dem Brandzeichen der Ponderosa versehen
werden sollten. Die fünfundzwanzig Jungtiere und die beiden
Stierkälber trennte ein Zaun von den übrigen Tieren. Sie waren
für die Spillings-Ranch bestimmt und wurden nicht gezeichnet.

Am nächsten Morgen wurde schon früh mit dem Brennen

begonnen. Hoss hatte im Freikorral ein Feuer gemacht und die
Brandeisen hineingelegt. Die Brüder hatten Übung in dieser
Sache. Mit zwei Lassos wurden die Jungtiere eingefangen und
zu Boden gezwungen. Hoss handhabte das Brandeisen mit
einer wahren Meisterschaft. Er hatte Übung im Druck, wenn er
das glühende Eisen ansetzte. Es tat den Tieren kaum weh, denn
unter dem Fell wurde die eigentliche Haut nur im Bruchteil
einer Sekunde getroffen.

Sie waren gerade mit der Arbeit fertig, als plötzlich drei

Reiter auftauchten.

Hoss hatte sie zuerst gesehen. Er stieß seinen Bruder in die

Seite. „Du, sollten das die Kerle sein, die unserer Hütte einen
Besuch abstatteten?“

„Das glaube ich kaum!“ Little Joe, der dabei war, auf dem

offenen Feuer einen Kaffee zu bereiten, setzte die Kanne ab
und sah den Männern entgegen. „Ich nehme an, sie kommen
aus Carson City vom Pferdemarkt.“

Es sah zuerst aus, als wollten die Reiter abbiegen, aber dann

kamen sie langsam näher und sprangen aus dem Sattel. Es

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waren Typen, denen man alles zutrauen konnte. Solchen
Leuten ging man am besten aus dem Wege. Ihre Kleidung war
ungepflegt. Sie trugen speckige Cowboyhüte, und in ihren
unrasierten Gesichtern stand ein breites Grinsen, das Little Joe
gar nicht gefallen wollte. Die Kerle hatten etwas vor, das stand
für ihn fest.

Hoss hatte das gleiche Gefühl. „Laß dich nur nicht mit ihnen

ein“, flüsterte er, denn er kannte das aufbrausende
Temperament seines kleinen Bruders.

„Hallo, Freunde!“ Einer der Galgenvögel tippte mit dem

Zeigefinger an seinen Hut und meinte zu seinen Begleitern:
„Ich glaube, es gibt hier Kaffee, Jungs!“

„Den gibt es“, nickte Little Joe. „Bitte, wenn ihr wollt, könnt

ihr einen Becher haben.“

Die Kerle sprangen über den Koppelzaun und ließen sich

neben dem Feuer nieder. Little Joe füllte ihnen die Becher.

„Sucht ihr Arbeit?“ fragte Hoss freundlich.
Die Frage löste bei den Kerlen schallendes Gelächter aus.
„Ich meinte ja nur“, fügte Hoss unsicher hinzu. „Das

Sägewerk in Virginia City braucht immer Leute.“

„Und ihr seid aus Virginia City?“
Hoss nickte und sah seinen Bruder an. Er wußte nicht, was er

von den Kerlen halten sollte.

„Ihr habt hier eine stattliche Herde stehen“, stellte der

Sprecher der Kerle fest. „Ziemlich weit vom Schuß, nicht
wahr? Habt ihr keine Angst vor Viehdieben?“

Little Joe meinte, damit müsse man immer rechnen, aber

bisher sei noch nicht viel passiert.

„Ja, so war das in Rebel Corners auch“, nickte der Sprecher

und warf seinen Begleitern einen Blick zu. „Aber ganz
plötzlich wurde das anders. Kleine Herden verschwanden über
Nacht, wertvolle Zuchtpferde wurden von Unbekannten auf
der Koppel erschossen… Die Leute konnten sich einfach nicht

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dagegen wehren, bis sie dem Schutz-Ring beitraten. Da hörte
das alles schlagartig auf.“

„Dem Schutz-Ring?“ fragte Little Joe.
„Ja, das ist eine Organisation, die die Rancher vor

Viehdieben und sonstigem Gesindel schützt“, erklärte der
Sprecher weiter.

Little Joe erinnerte sich, daß sich einige Rancher im Saloon-

Hotel darüber unterhalten hatten. Sie stammten aus der Gegend
um Rebel Corners und waren dem Schutz-Ring beigetreten,
weil sie sich nicht anders zu helfen wußten. Sie schimpften auf
die Organisation. Er hatte der Sache damals keinen großen
Wert beigemessen. Die Angelegenheit war also doch ernst zu
nehmen.

„Ich würde euch einen Beitritt zum Schutz-Ring auch

empfehlen“, fuhr der Mann fort. „Besonders für diese Herde
hier. Für zweihundert Dollar in der Woche könnt ihr dann
ruhig schlafen.“

„Zweihundert Dollar“, lachte Little Joe. „Das dürfte doch

wohl ein Witz sein. – Nein, nein! Wir schlafen auch so ganz
ruhig. Wenn die Dummköpfe in Rebel Corners sich
ausnehmen lassen – wir bestimmt nicht.“

„Ich weiß nicht, ich würde da nicht so große Töne spucken,

Kleiner“, meinte ein anderer der Männer. „Noch ist es hier ja
ruhig, aber das kann sich bald ändern. Wenn etwas passiert, ist
eure Herde am nächsten dran.“

Jetzt wußte Little Joe Bescheid. Die Kerle stammten offenbar

von diesem Schutz-Ring und hatten vermutlich die Aufgabe,
den Leuten Angst zu machen. Er musterte die Männer mit
harten Augen. „Soll das eine Drohung sein?“

„Wie kommst du darauf?“ lachte der Sprecher. „Wir wollen

euch doch nur darauf aufmerksam machen, daß es eine Gruppe
ehrenwerter Männer gibt, die den Schutz der Rancher
übernehmen. Das ist auch gleichzeitig eine

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Lebensversicherung. Einem Mann, der dem Schutz-Ring
angehört, passiert nichts. Vielleicht werdet ihr demnächst auch
in Virginia City zu einem Beitritt aufgefordert. Ihr seid dann
schon im Bilde.“ Er trank seinen Kaffee aus und winkte seinen
Begleitern. „Kommt, Jungs, wir müssen weiter!“

Die Männer erhoben sich und gingen zu ihren Pferden.
„Moment mal!“ rief Little Joe.
Der Sprecher wandte sich um und blieb stehen. „Und?“
„Wir danken für die Aufklärung“, sagte Little Joe. „Merkt

euch aber: In Virginia City wird sich der Schutz-Ring die
Zähne ausbeißen.“

Der Mann bekam Schlitzaugen. „Danke für die Aufklärung“,

lächelte er böse. „Ich denke, wir sehen uns bestimmt wieder.“

Dann ritten die Kerle davon.
Little Joe sah ihnen mit zusammengekniffenen Augen nach.

„Das müssen wir sofort Pa berichten. Die Kerle reiten nicht
umsonst in der Gegend umher.“

„Und was denkst du?“ fragte Hoss, während er sich einen

Becher mit Kaffee füllte.

„Herrgott! – Bist du begriffsstutzig!“ Little Joe sah seinen

Bruder kopfschüttelnd an. „Dieser Schutz-Ring besteht aus
gewalttätigen Gaunern, die auf leichte Weise an Geld kommen
wollen. Sie zwingen den Ranchern ihren Schutz auf, und nicht
nur den Ranchern, sondern auch den Kaufleuten und Saloon-
Besitzern. Sie kassieren überall. Wer sich dagegen wehrt oder
nicht zahlt, den schlagen sie zusammen, oder es passiert sonst
irgend etwas.“

„Das habe ich schon begriffen“, nickte Hoss. „Man muß

sofort den Sheriff einschalten.“

„Und kann der dich vor der Hinterhältigkeit der Bande

beschützen? Du machst eine Anzeige, und in der Nacht darauf
steckt man dir eine Scheune in Brand. Die Täter werden nicht
gefaßt, denn dafür hat man vorgesorgt. Was bleibt den Leuten

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übrig, um ihre Ruhe zu haben? – Sie zahlen! So weit darf es
aber in Virginia City nicht kommen.“

„Glaubst du, daß Pa auch zahlen würde?“
Little Joe hob die Schultern. „Ich bin da nicht ganz sicher.

Würde er aber zahlen, so wäre ich nicht damit einverstanden.
Ich bin der Ansicht, man muß gegen diese Burschen etwas
unternehmen, bevor sie richtig Fuß fassen können. Man darf
sich von ihrer Gewalttätigkeit nicht abschrecken lassen, auch
wenn es dem einen oder anderen zuerst einmal Opfer
abfordert.“ Er sah nachdenklich vor sich hin. „Weißt du, Hoss,
es gibt Dinge, für die sich ein Einsatz lohnt, für die ein
anständiger Kerl einfach kämpfen muß. Ich denke da vor allem
an die Freiheit des Menschen. Wenn diese Kerle Macht über
uns gewinnen, ist es mit unserer Freiheit vorbei. Sie können
tun und lassen, was sie wollen, wir müssen uns fügen und
leben dazu noch in ständiger Furcht. Da bin ich lieber für ein
Ende mit Schrecken, wenn es nicht anders gehen sollte.“

Hoss nickte bedächtig. „Aber Pa sagt immer: ,Ein kluger

Feigling ist mir lieber als ein toter Held.’“

„Das hat doch damit nichts zu tun“, seufzte Little Joe. „Er

meint damit doch nur die sinnlosen Streitereien in den Saloons.
Da lohnt es sich nicht, zur Waffe zu greifen und den Helden zu
spielen.“

„Glaubst du wirklich, die drei Burschen gehören zu diesen

Gaunern?“

„Ohne Zweifel! Sie kundschaften zuerst einmal alles aus,

bevor sie an zahlungskräftige Leute herantreten. Ich bin sicher,
sie werden auch in Virginia City erscheinen.“

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Zwischenfall auf der Spillings-Ranch



Die Spillings-Ranch lag etwa zwei Meilen hinter Carson City
in einem breiten Talkessel. Saftige Wiesen zogen sich bis zu
den bewaldeten Bergrücken hin, die das Tal umsäumten. Es
war ein wunderschönes Fleckchen Erde, das sich der alte
Spillings und seine beiden Söhne ausgesucht hatten. Vor
dreißig Jahren war dieses Gebiet noch in den Händen der
Paiutes gewesen und gehörte zu ihren Jagdgründen. Als er mit
seinen vier Planwagen damals in diesem Tal Rast machte,
erkannte er mit sicherem Blick, daß sich hier alles bot, was
man zur Errichtung einer Ranch benötigte. Gutes
Weidegelände, Holz zum Bau der Häuser und Ställe, und er
brauchte nicht einmal nach Wasser zu suchen, denn unweit der
Stelle, an der jetzt das Hauptgebäude errichtet war, schoß ein
klarer Gebirgsbach rauschend über die Felsen. Spillings war
einer der ersten Siedler, die sich in diesem Gebiet niederließen.
Das Gelände hatte die Regierung nur bedingt zur Besiedlung
freigegeben. Das bedeutete: Jeder, der sich in diesem Gebiet
niederließ, war auf sich selbst angewiesen. Er konnte nicht mit
dem Schutz der Regierung rechnen, denn zwischen der
Regierung und den Paiute-Indianern bestanden keinerlei
Abkommen. Die Indianer, die damals noch nicht mit Weißen
in Berührung gekommen waren, verhielten sich ruhig. Sie
beobachteten den Bau der Häuser und ritten auf ihren
struppigen Pferden manchmal bis auf wenige hundert Meter an
den Lagerplatz der Weißen heran, um dann wieder blitzschnell
zu verschwinden. Den ersten Kontakt bekam Spillings mit
ihnen, als er auf einem Bettlaken, weit vor dem Lager,
Geschenke auslegte. Messer, Äxte und andere

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Gebrauchsgegenstände, von denen er annahm, daß sie die
Indianer gebrauchen konnten. Mehrere Tage blieben die
Sachen unberührt, aber dann waren sie eines Morgens
verschwunden. Am darauffolgenden Morgen lagen auf dem
Bettlaken kostbare Tierfelle und Büffelhäute, reichbestickte
indianische Lederhemden und silberne Ketten, wie sie die
Indianerfrauen tragen. Vor den Geschenken hatten die Indianer
einen mit Adlerfedern verzierten Speer in den Boden gestoßen.
Seine Spitze zeigte nach oben, ein Zeichen, daß man den
Weißen wohlgesinnt war. Auf diese Weise war es Spillings
gelungen, den ersten Kontakt herzustellen und sich das
Vertrauen der Indianer zu erwerben. Die Freundschaft wurde
durch einen Vertrag besiegelt, in dem der Häuptling der
Paiutes, der Graue Wolf, Spillings das Recht einräumte, den
ganzen Talkessel als sein Eigentum zu betrachten. Den Vertrag
unterzeichnete der Graue Wolf mit drei Kreuzen und dem
Daumenabdruck seiner rechten Hand. Diese Geschichte war
allgemein bekannt und hatte damals großes Aufsehen erregt,
denn Spillings war der einzige Siedler, der ohne
Regierungshilfe und Drohungen einen Vertrag mit einem
Indianerstamm abschloß.

Daran mußte Little Joe denken, als er die kleine Herde Rinder

zu Tal trieb. Die Spillings-Ranch konnte sich in jeder Weise
mit der Ponderosa messen, und wenn Little Joe seinen Blick
über das fruchtbare Tal schickte, so hatte er fast das Gefühl, in
ein Paradies zu kommen.

Hoss ritt neben seinen Bruder, als dieser sein Pferd anhielt.
„He, was ist los? – Träumst du?“
„Ich denke nur daran, wieviel Arbeit das alles gekostet hat.

Unter welchen Umständen hat Spillings das damals aufgebaut.
Da gab es noch kein Carson City. Er mußte alles von weit
heranschaffen.

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„Glaubst du, unser Pa hat die Ponderosa aus dem Boden

gezaubert?“ fragte Hoss. „Du machtest damals noch in die
Windeln. Ich erinnere mich noch gut, daß Pa die Steine zum
Unterbau des Hauses aus den Eagle Rocks holte. Ja, mit einem
Handwagen, und er hat alles selbst gemauert. – Komm jetzt,
wir müssen weiter!“

Die kleine Herde war schon allein zu Tal gezogen. Die Tiere

hielten die Richtung, in die man sie schickte. Der Herdentrieb
war bei den jungen Tieren besonders ausgeprägt. Sie blieben
immer beieinander, und man hatte wenig Arbeit mit ihnen.

Hoss wollte sich wieder an die Spitze der kleinen Herde

setzen, da wurde hinter ihnen Huf schlag hörbar. Es war Ben
Hawkins, der Vormann der Ponderosa, der bald darauf zu
ihnen stieß.

Ben Hawkins ritt den Schimmel, den Little Joe von dem

Paiute-Häuptling Grauer Wolf geschenkt bekommen hatte,
weil er den Häuptlingssohn Tenaque vor dem Zugriff weißer
Banditen beschützte. Hawkins hatte das Pferd, das stets ohne
Sattel geritten worden war, an den Sattel gewöhnt und
zugeritten. Der feurige Hengst stieg sofort auf die Hinterhand,
als ihn der Vormann zügelte.

„Nanu, ist etwas los?“ fragte Little Joe.
Ben Hawkins klopfte dem Pferd den Hals, um es zu

beruhigen.

„Ich weiß nicht recht. Ich glaube, euer Vater macht sich

Sorgen“, erwiderte der Vormann.

„Um uns?“ fragte Hoss und sah seinen Bruder an.
Hawkins zuckte die Achseln. „Jedenfalls sollt ihr so schnell

wie nur eben möglich zurückkommen, und ich soll euch zur
Hand gehen.“

„Wir brauchen nur noch, die Herde abzuliefern“, lächelte

Little Joe. „Du hättest also ruhig zu Hause bleiben können.“

„Nun bin ich mal da!“

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Hawkins setzte sich mit Hoss an die Spitze der Herde,

während Little Joe den Schluß bildete.

Die Mitteilung des Vormanns, sein Vater mache sich Sorgen,

beunruhigte ihn etwas. Was konnte den Vater veranlaßt haben,
ihnen Ben Hawkins nachzuschicken? Dieser Gedanke wollte
ihm nicht aus dem Kopf. Es mußte schon etwas Besonderes
vorgefallen sein. Aber was? Der Vater war sonst nie ängstlich.
Warum schickte er ihnen Ben Hawkins nach? Sosehr er auch
überlegte, er konnte keinen Grund dafür finden.

Nach etwa einer Stunde hatten sie den Zufahrtsweg zur

Spillings-Ranch erreicht.

„Treibt die Tiere auf eine Koppel“, sagte Little Joe zu Hoss.

„Ich übergebe Spillings den Kaufvertrag und komme sofort
wieder zurück. Dann reiten wir sofort nach Hause. Ich bin über
Pa etwas beunruhigt.“

Hoss war damit einverstanden. Auch er hatte auf dem Weg

darüber nachdenken müssen. Ja, es war wohl besser, wenn man
auf dem schnellsten Weg nach Hause ritt.

Im Haupthaus der Ranch wurde Little Joe von Henry

Spillings in dem großen Wohnraum empfangen. Der Rancher
war etwa sechzig Jahre alt, machte aber den Eindruck eines
Fünfzigjährigen. Sein von Wind und Sonne gebräuntes Gesicht
mit dem kurzen grauen Schnurrbart und den hellen Augen
wandte sich Little Joe freundlich zu.

„Ich bringe die versprochenen Jungtiere, Mr. Spillings.“

Little Joe zog den Kaufvertrag aus der Tasche und legte ihn
dem Rancher vor. „Pa hat den Kaufpreis von
eintausendfünfhundert Golddollar bereits eingesetzt. Dafür
bekommen Sie erstklassige Tiere. Ich habe sie selbst
ausgesucht.“

Spillings studierte wortlos den Vertrag, unterschrieb das

Duplikat und händigte Joe das Geld aus. „Ja, das war alles so
ausgemacht“, sagte er. „Wie geht es denn dem Vater?“

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„Danke, Mr. Spillings! – Ich soll Sie auch grüßen! – Wollen

Sie sich die Herde ansehen? – Sie steht auf der ersten Koppel.“

„Nein, das ist nicht nötig“, antwortete der Rancher. Er ging

zu einem Schrank und kam mit einer Whiskyflasche und zwei
Gläsern zurück. Ohne zu fragen, goß er ein und hob das Glas.
„Auf den Vertrag!“

„So früh trinke ich eigentlich noch keinen Alkohol“, lächelte

Little Joe unsicher. Er hob sein Glas. „Cheerio!“

Spillings ließ sich in einen Sessel fallen, nachdem er das Glas

ausgetrunken hatte. „Bitte, nehmen Sie doch Platz, Joe!“

Little Joe drehte seinen Hut in der Hand. „Ich möchte mich

nicht lange aufhalten. Vielleicht haben Sie zu tun…“

Spillings hob abwehrend die Hand. „Nein, nein! – Ich muß

mal mit Ihnen sprechen, Joe, aber Sie müssen ganz aufrichtig
sein. Noch lieber würde ich mit Ihrem Vater reden, aber das ist
in diesem Moment nicht möglich.“

„Bitte, Mr. Spillings!“
Der alte Rancher sah ihn eine Weile nachdenklich an. „Ist Ihr

Vater einem sogenannten Schutz-Ring beigetreten? – Ich weiß,
wenn er es ist, darf er nicht darüber sprechen. In diesem Falle
muß ich jedoch um eine Antwort bitten. Hier, in der
Umgebung von Carson City, sind viele Rancher diesem
Schutz-Ring beigetreten, aber niemand gibt es zu. Aus Angst
vor Repressalien zahlen sie einer organisierten
Verbrecherbande Hunderte von Dollar. – Ich werde Ihnen das
erklären.“

„Das ist nicht notwendig, Mr. Spillings“, antwortete Little

Joe. „Ich weiß genau, um was es geht.“

„Dann hat Ihr Vater auch…?“
„Nein, soweit ist es bei uns in Virginia City noch nicht, aber

die Burschen sind im Begriff, auch in Virginia City-Fuß zu
fassen.“ Little Joe berichtete von dem Zusammentreffen mit
den drei Männern auf der Bergweide. „Sie können aber sicher

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sein, Mr. Spillings, mein Vater wird diesem Ring nicht
beitreten, dafür kenne ich ihn zu gut.“

Spillings nickte. „Das würde ich auch nie glauben. Was aber

dein Vater und ich geschaffen haben, kann dadurch über Nacht
zerstört werden. Die Kerle schrecken vor keiner Untat zurück.“
Er seufzte und fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Vor
drei Tagen ging die Carvers-Ranch in Flammen auf.“

„Ja, das hörte ich“, nickte Little Joe. „Man sagt, der Blitz

habe eingeschlagen.“

„Das sagt man“, fuhr Spillings bedrückt fort. „Aber jeder

weiß, daß es Brandstiftung war. Carvers hatte sich dem
Schutz-Ring nicht angeschlossen, und als die Kerle kassieren
wollten, verweigerte er ihnen das Geld. In der gleichen Nacht
brannte sein Ranchhaus bis auf die Grundmauern nieder.
Carvers und seine Angehörigen haben sich nur mit knapper
Not aus den Flammen retten können. – Sie brannte gleichzeitig
an allen vier Ecken, verstehen Sie, Joe?“

Little Joe sah ihn nur an.
„Ich hatte mit Carvers darüber gesprochen, daher weiß ich

das alles. Wir waren uns einig, diesem Schutz-Ring nicht
beizutreten. Carvers hat die Quittung für seine Absage bereits
erhalten. Jetzt bin ich an der Reihe.“

„Soll das heißen, die Kerle waren schon bei Ihnen?“
„Vor ungefähr drei Stunden habe ich ihnen die Tür gewiesen.

Ob es richtig war, bezweifle ich fast. Ich hätte ihnen die
zweihundert Dollar zahlen sollen.“

„Und damit hätten Sie sich unter die Feiglinge von Carson

City eingereiht“, erwiderte Little Joe aufgebracht. „Nein, Mr.
Spillings, Sie handelten richtig.“

„Ich konnte nicht anders, weil ich Carvers mein Wort gab,

mit ihm zusammen Widerstand zu leisten. Hätte ich ihm mein
Wort nicht gegeben, ich weiß nicht, ob ich nicht doch gezahlt
hätte.“

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„Wie alle anderen“, nickte Little Joe. „Aber finden Sie das

nicht erbärmlich? Wären sich alle einig, müßten diese
Burschen kapitulieren. Sie können nicht ganz Carson City in
Brand stecken. – Haben Sie mal mit dem Sheriff darüber
gesprochen?“

„Sofort nachdem die Kerle bei mir und Carvers erschienen“,

erklärte Spillings. „Er tat das alles mit einer Handbewegung
ab. Er glaubte uns nicht. Jetzt, nachdem die

Carvers-Ranch

abbrannte, ist er bereit, gegen die Bande vorzugehen. Aber wer
ist die Bande? – Wenn alle den Mund halten und zahlen, wie
es ihnen aufgetragen wurde, werden wir das nie
herausbekommen.“ Er ging mit großen Schritten im Zimmer
auf und ab. „Kommen sie heute nacht, bin ich ihnen
ausgeliefert. Meine Söhne sind mit der Hälfte unserer Leute
auf dem Pferdemarkt in Salt Lake. Sie haben von alledem auch
keine Ahnung, weil ich nicht mit ihnen darüber sprach.“

„Und über wieviel Leute verfügen Sie?“
„Über fünf Mann, davon sind zwei alte Männer“, antwortete

der Rancher.

„Mein Bruder Hoss, unser Vormann und ich, wir sind mit

Ihren Leuten zusammen sechs einsatzfähige Männer“,
überlegte Little Joe. „Geben Sie Gewehre und Munition
heraus, dann werden wir den Kerlen einen hübschen Empfang
bereiten. Ich reite auf jeden Fall nach Carson City, um dem
Sheriff Bescheid zu sagen. Er kann die Bürgerwehr
zusammentrommeln.“

„Joe, wissen Sie, was Sie da tun?“ fragte Spillings.
„Natürlich, ich will Ihnen helfen“, erwiderte Little Joe.

„Vater würde das auch tun. Wir sind doch bald in der gleichen
Lage wie Sie. Wenn wir jetzt gegen die Burschen vorgehen,
kommt es in Virginia City nicht erst soweit.“

Hoss hörte sich den Bericht seines Bruders mit offenem

Mund an. Ben Hawkins war jedoch nicht sehr begeistert.

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„Natürlich können wir in dieser Nacht Wache halten“, meinte

der Vormann. „Wenn die Burschen aber spitzkriegen, daß wir
von der Ponderosa sind, könnten sie eurem Vater
Schwierigkeiten machen. Ich weiß nicht, ob das in seinem
Sinne ist.“

Hoss legte die Stirn in Falten. „Natürlich können wir Mr.

Spillings nicht im Stich lassen, zumal seine Söhne nicht da
sind. Ich möchte aber nicht, daß du den Helden spielst.“

„Das ist doch Blödsinn“, entgegnete Little Joe. „Mir, geht es

nicht darum, den Helden zu spielen, sondern nur darum,
Spillings beizustehen. Er braucht unsere Hilfe. Ich habe sie
ihm angeboten. Vielleicht passiert überhaupt nichts, dann
reiten wir morgen früh gleich zurück.“

„Schön“, nickte Hoss. „Was sollen wir also tun?“
„Sobald die Dunkelheit kommt, bezieht ihr

Beobachtungsposten. Mr. Spillings wird euch einweisen. Ich
reite nach Carson City, um den Sheriff zu alarmieren. Ihr habt
euch nur ruhig zu verhalten. Die Kerle dürfen auf keinen Fall
merken, daß wir sie erwarten.“

Eine halbe Stunde später sprang Little Joe vor der

Sheriffstation in Carson City aus dem Sattel.

Sheriff Blackburn, ein drahtiger kleiner Mann, hörte sich den

Bericht mit bewegungsloser Miene an.

„Was wollen Sie also tun?“ schloß Little Joe seine

Erklärungen.

Blackburn biß ein dickes Stück von einer Platte Preßtabak ab

und begann zu kauen. Dabei musterte er seinen Besucher mit
einem eigenartigen Blick. „Was ich tun will? – Gar nichts.
Was Sie da erzählen, sind doch nur Vermutungen. Daß es
einen solchen Schutz-Ring geben soll, ist nur ein Gerücht. Wir
haben hier noch nichts davon gemerkt.“

„Und der Brand auf der Carvers-Ranch?“ fragte Little Joe.
„Blitzschlag“, erwiderte der Sheriff lakonisch.

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„Und Sie sind wirklich davon überzeugt?“
„Bin ich“, nickte Blackburn. „In dieser Nacht zog eine

Gewitterfront über Carson City hinweg.“ Er wandte sich an
seinen Hilfssheriff, der neben der Tür saß. „Stimmt’s, Gary?“

„Genau, Chef!“
„Und das können Ihnen auch noch andere Leute bestätigen“,

fuhr Blackburn fort. „Schau mal nach, ob du den
Bürgermeister irgendwo findest, Gary“, trug er dem
Hilfssheriff auf. „Sag ihm, ich würde heute abend zu der
Bürgerversammlung erscheinen.“

Als der Mann den Raum verlassen hatte, fuhr Blackburn in

seinem Sessel hoch. „Cartwright, wenn ich Ihnen einen Rat
geben darf, verschwinden Sie! Kümmern Sie sich um Ihre
eigenen Angelegenheiten. Kümmern Sie sich nicht um den
Schutz-Ring. Hier in Carson City gibt es keinen Schutz-Ring,
verstanden!“

„Nein, ich verstehe eben nicht“, erwiderte Little Joe

fassungslos.

„Hören Sie zu, Cartwright, ich kenne Ihren Vater“, sagte

Blackburn eindringlich. „Ich kenne und schätze ihn. Deshalb
möchte ich es nicht sein, der ihm einen toten Sohn ins Haus
bringt. – Ist das deutlich genug?“ Als Little Joe betroffen
schwieg, fuhr er fort: „Spillings ist ein störrischer Esel. Er
hätte zahlen sollen wie alle anderen. Ganz Carson City zahlt
der Bande, aber sie glauben, ich wüßte es nicht. Ich heule
zuerst einmal mit den Wölfen, Cartwright, aber ich halte die
Augen offen. Nur so kann ich ihnen auf die Spur kommen. Der
Bezirksmarshai ist bereits von mir unterrichtet, wenn Sie das
beruhigt.“

Little Joe atmete erleichtert auf. „Und ich dachte schon…“
„Das denken sie alle“, lächelte Blackburn. „Und ich bin von

Spitzeln umgeben. Ich weiß nicht einmal, ob mein Hilfssheriff
zu ihnen gehört. Durch Drohungen und die Verpflichtung zum

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Schweigen sind den Leuten die Hände gebunden. Der Brand
der Carvers-Ranch war ein wirkungsvolles Mittel, um allen
ihre Macht zu beweisen. Der Bande ist vorerst nicht
beizukommen, verstehen Sie? Ich weiß bis heute nicht einmal,
wer zu ihr gehört.“

Little Joe sah nachdenklich vor sich hin.
„Also verschwinden Sie, Cartwright, bevor ich durch Sie

Ärger bekomme“, fuhr der Sheriff fort. „Sie können Spillings
nicht helfen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Was nützt
Ihnen das? Überlassen Sie die weiteren Schritte dem
Bezirksmarshai und mir.“

Die Worte des Sheriffs waren nicht ohne Eindruck auf Little

Joe geblieben. Sekundenlang kam eine gewisse Furcht in ihm
auf. Gegen einen unbekannten Gegner zu kämpfen, war
gefährlich, und vielleicht hatte er sich wirklich zuviel
zugetraut. Ja, Hoss hatte recht: Was nützte es, den Helden zu
spielen? Dazu brachte er noch die Ponderosa in Gefahr. Nein,
das alles lohnte sich nicht. Der Einsatz war in diesem Falle zu
hoch. Aber dann war plötzlich wieder dieses Gefühl da,
Spillings unbedingt helfen zu müssen. Das war für Little Joes
weitere Einstellung ausschlaggebend. Wenigstens in dieser
Nacht wollte er Spillings beistehen. Vielleicht passierte nichts,
und die ganze Aufregung war umsonst gewesen.

„Nun, was ist, Cartwright?“ fragte Blackburn.
„Bis morgen früh bleiben wir auf der Spillings-Ranch“,

antwortete Little Joe. „Dann gebe ich Ihnen mein Wort, daß
ich Ihren Ratschlag befolge.“

Der Sheriff kniff die Augen zusammen. „Die Antwort könnte

von Ihrem Vater sein“, sagte er. „Hoffen wir nur, daß nichts
passiert. Ich kann Sie nicht davon abhalten, Junge, aber die
Verantwortung tragen Sie selbst.“ Er reichte Little Joe die
Hand. „Wenn ich aber ehrlich sein will: Ich habe es nicht
anders erwartet.“

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Damit war Little Joe entlassen. Er verließ die Sheriffstation

und wollte sich schon in den Sattel schwingen, als ihn eine
helle Mädchenstimme anrief.

Er wandte sich um und stand einer blonden Schönheit

gegenüber. Mit gerunzelter Stirn musterte er das Mädchen eine
Weile.

„Ja, kennst du mich denn nicht mehr?“
„Doch, natürlich“, nickte Little Joe und ließ alle Gesichter

seiner ehemaligen Freundinnen vor seinem geistigen Auge
vorbeiziehen. Doch sosehr er sich auch anstrengte, er konnte
das hübsche blonde Mädchen nirgendwo einreihen. „Warten
Sie mal… Wir tanzten auf dem letzten Jahrmarkt in Virginia
City zusammen, stimmt’s?“ Das stimmte natürlich nicht, aber
er wußte einfach keine andere Antwort.

„Ich bin doch Paula Newton“, sagte das Mädchen strahlend.

„Mein Gott, erinnerst du dich wirklich nicht? – Dabei saßen
wir vier Jahre in derselben Schulklasse – bei Miß Rutherford. –
Na, was ist?“

Jetzt ging Little Joe ein Licht auf. „Richtig, Paula! – Dein

Vater hatte einen Laden in Virginia City…“

„Und wir gingen dann nach San Franzisko“, ergänzte das

Mädchen.

Little Joe trat einige Schritte zurück und musterte das

Mädchen von Kopf bis Fuß. „Donnerwetter, da staune ich
aber.“

„Und warum?“ lachte Paula.
„Weil aus einem sommersprossigen und Zöpfe tragenden

Etwas eine so hübsche junge Dame geworden ist.“

„Und aus einem krausköpfigen Frechling, der immer durch

eine Zahnlücke spuckte, ein so netter junger Mann“, fuhr das
Mädchen lachend fort. „Und was macht unser Dicker?“

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„Hoss?“ grinste Little Joe. „Der wiegt über zwei Zentner und

ernährt sich hauptsächlich von Pudding, Heuschrecken und
wildem Honig.“

Das Mädchen lachte glockenhell. „Streitet ihr euch noch

immer?“

„Lassen wir das“, wehrte Little Joe ab. „Sag mir lieber, was

du in Carson City machst.“

„Mein Vater hat den Saloon neben der Poststelle gekauft. Seit

einem halben Jahr wohnen wir schon hier, das heißt, mein
Vater und Tante Betty. Ich bin erst in der vorigen Woche aus
San Franzisko gekommen, sonst hätte ich euch schon längst
besucht.“

Little Joe freute sich ehrlich, denn Paula war ein wirklich

hübsches Mädchen, und für einen Flirt war er immer zu haben.
So nahm er auch die Einladung Paulas zu einem Whisky an.
Sie meinte, das überraschende Wiedersehen müsse man
unbedingt feiern. Er nahm sich aber vor, noch vor Dunkelheit
auf der Spillings-Ranch zu sein.

Im Saloon war um diese Zeit wenig Betrieb. Little Joe und

Paula nahmen im Hintergrund des Lokals in einer Nische
Platz.

Henry Newton, der bald an ihren Tisch kam, war alt

geworden. Er konnte sich nur schwach an Little Joe erinnern.
Lachend meinte er, Hoss sei ihm in besserer Erinnerung, weil
der Dicke ihm oft geholfen habe, die Waren in seinem Laden
zu ordnen.

„Na, was hältst du von Vater?“ fragte Paula, als Henry

Newton wieder hinter seinen Schanktisch zurückgekehrt war.
„San Franzisko war ihm zu unruhig, aber ich glaube, er fühlt
sich hier auch nicht recht wohl. Ich glaube, er hat Sorgen. Das
Lokal geht zwar gut, da können wir bestimmt nicht klagen. Es
muß etwas anderes sein.“

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Little Joe konnte sich schon denken, was es war. Newton

hatte ohne Zweifel auch einen Vertrag mit dem Schutz-Ring
abgeschlossen und mußte zahlen. Zwar vermutete er es nur,
aber was konnte ihn sonst schon bedrücken? Der Saloon wurde
gut besucht, wie Paula erklärte. Geld kam also genug ein.

Wie recht Little Joe mit seiner Annahme hatte, sollte er bald

erfahren.

Während er mit dem Mädchen noch Erinnerungen an die

gemeinsame Zeit in Virginia City austauschte, füllte sich das
Lokal, und zwischen den Gästen tauchten plötzlich die drei
Kerle auf, die sich auf so unmißverständliche Weise über den
Schutz-Ring geäußert hatten. Es bestand kein Zweifel; es
waren die Männer, mit denen sie heute morgen auf den
Bergweiden zusammengetroffen waren. Die Kerle wurden
sofort von Mr. Newton bedient und benahmen sich sehr
selbstsicher.

„Sag mal, Paula, wer sind diese drei Männer?“ fragte Little

Joe das Mädchen.

„Keine Ahnung! – Sie kommen sehr oft. Seitdem ich hier bin,

sind sie mir jedesmal durch ihr freches Benehmen aufgefallen.
Vater macht offenbar Geschäfte mit ihnen, aber er mag sie
nicht. Er ist hinterher immer sehr aufgeregt.“

Little Joe bemerkte, daß sich die anderen Gäste von den drei

Kerlen zurückzogen. Die an der Theke standen, nahmen an den
Tischen Platz und musterten sie mit finsteren Blicken. Er sah
auch, daß Mr. Newton einem der Kerle einen Briefumschlag
aushändigte. Jetzt war für Little Joe alles klar.

Die Burschen hatten Mr. Newton um seinen Beitrag

erleichtert.

„Kennst du die Männer?“ fragte Paula.
„Nein, aber sie interessieren mich“, antwortete Little Joe.

„Ich bin einmal kurz mit ihnen zusammengetroffen, aber ich
glaube, es wird nicht bei diesem einen Mal bleiben.“

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In der Schwingtür des Saloons tauchte ein Mann auf, dem

man ansah, daß er schon etwas getrunken hatte. Breitbeinig
blieb er in der Tür stehen und sah die drei Männer haßerfüllt
an. „Habt ihr hier auch kassiert?“ brüllte er. „Gute Geschäfte,
wie? – Ganz Carson City zahlt und hält den Mund.“ Er wandte
sich an die Männer im Lokal. „Und warum tut ihr das? Weil
ihr Feiglinge seid! Schlagt ihnen doch den Schädel ein! Ich,
der alte Sam Blaker, zahle nicht mehr, und das habe ich ihnen
heute gesagt. Und wenn sie mir meine Farm anzünden wollen,
so sollen sie kommen. Ich liege nicht im Bett wie Mr. Carvers.
Ich bin darauf vorbereitet…“

Weiter kam er nicht, denn einer der drei Gauner an der Theke

hatte seinen Colt aus dem Halfter gerissen und gefeuert.

Der Mann an der Tür brach in die Knie und fiel dann schwer

auf das Gesicht.

Little Joe wollte nicht glauben, was er da sah. Vor den Augen

aller Gäste war hier ein Mann erschossen worden.

Paula war starr vor Schrecken. Mit großen Augen betrachtete

sie den am Boden liegenden Mann und brach in Schluchzen
aus.

Die Männer im Lokal rührten sich nicht.
Mr. Newton kam um die Theke herum, während einer der

drei Kerle auf den Erschossenen zutrat und ihm den Revolver
aus dem Halfter zog. Er warf die Waffe neben den Toten auf
den Boden. „So, jetzt können Sie den Sheriff holen“, sagte er
zu Newton.

„Bring mich fort, Joe“, schluchzte Paula. „Ich

kann das nicht

sehen. Wie ist das nur möglich? – Er hat ihnen doch nichts
getan.“

„Beruhige dich nur“, erwiderte Little Joe. „Der Sheriff wird

den Kerl schon zur Verantwortung ziehen.“

Als Little Joe das Mädchen hinausgebracht hatte und nach

einigen Minuten wieder in den Schankraum kam, war Sheriff

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Blackburn bereits eingetroffen. Er starrte eine Weile auf den
Toten und wandte sich dann an die drei Männer an der Theke.
„Wie ist das passiert?“

Der Schütze erklärte, der Mann habe sie mit der Waffe

bedroht. So sei ihm nichts anderes übriggeblieben, als sich zu
verteidigen. Er habe in Notwehr gehandelt. Das könnten alle
Anwesenden im Lokal bezeugen.

Der Sheriff ließ seinen Blick über die Männer gehen, die

noch immer schreckgelähmt auf ihren Plätzen saßen. „Ist hier
jemand der Meinung, die Sache habe sich nicht so abgespielt,
wie mir erklärt wurde? Der soll sich jetzt sofort melden!“

„Ich, Sheriff!“
Alle Augen richteten sich auf Little Joe, der langsam in den

Kreis der Männer trat.

Blackburns Miene verfinsterte sich. „Sie, Cartwright?“
„Er kann doch nur sagen, was alle anderen auch gesehen

haben“, lachte der Schütze. „Der Mann zog den Colt, aber ich
war schneller.“

„Der Mann hat weder den Colt gezogen, noch Sie in

irgendeiner Weise bedroht. Sie schossen ihn ohne Grund
nieder“, erklärte Little Joe in die Stille.

„Und sein Revolver, der neben ihm am Boden liegt?“ fragte

der Schütze höhnisch. „Der beweist doch das Gegenteil.“

„Den zogen Sie ihm, nachdem Sie ihn erschossen hatten, aus

dem Halfter“, erwiderte Little Joe ruhig. „Das kann jeder der
Männer im Saal bezeugen.“

„Sheriff, ich weiß nicht, was das bedeuten soll“, fiel der

Schütze aufgebracht ein. „Der Bursche will mir etwas
anhängen. Alles spielte sich so ab, wie ich es erklärte. Er muß
sich irren.“

„Nein, ich irre mich nicht, denn ich habe alles gesehen“,

sagte Little Joe. „Was hier geschah, war glatter Mord.“ Er

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wandte sich an den Sheriff. „Ich beantrage die Festnahme
dieses Mannes und eine Anklage wegen Mordes.“

„Cartwright, irren Sie sich nicht?“ fragte Blackburn.
„Kaum! – Ich bleibe bei meiner Aussage.“
Jetzt kam Leben in die drei Burschen. Sie wandten sich an

die Männer im Saal, von denen sie viele mit Namen kannten.
So traten bald darauf drei Männer vor, die beschwören wollten,
es sei alles so gewesen, wie es der Schütze geschildert habe.

Little Joe wollte einfach nicht glauben, was er da hörte. Die

Leute standen bereits so unter dem Einfluß dieser Gauner, daß
sie sogar beschwören würden, er habe den Mann erschossen,
falls man es von ihnen verlangte. Es war glatte Furcht, die sie
dazu veranlaßte.

Die drei Kerle grinsten.
„So, und was ist nun mit Ihnen?“ fragte der Schütze. „Geben

Sie nun zu, sich geirrt zu haben?“

„Ich denke nicht daran!“
„Cartwright, seien Sie nicht so störrisch“, sagte Blackburn.

„Ich muß Sie sonst wegen falscher Anschuldigung in Haft
nehmen, wenn es die Gentlemen beantragen.“ Er blinzelte
Little Joe zu. „Sie haben sich also geirrt, nicht wahr?“

Little Joe hob hilflos die Schultern. Was konnte er noch

ausrichten? Er war überzeugt, daß Blackburn ihm glaubte, aber
auch er konnte gegen die Zeugenaussagen nicht ankommen.

„Dann verurteile ich Sie wegen falscher Anschuldigung zu

hundert Dollar Geldstrafe“, sagte Blackburn. „Kommen Sie
mit!“

„So, was haben Sie nun davon?“ fragte Blackburn, als sie

allein in der Sheriffstation waren. „Die Burschen wissen jetzt
genau, was mit Ihnen los ist. Ich weiß, daß sie Sam Blaker
vorsätzlich erschossen haben, und der Bursche wird dafür auch
zur Rechenschaft gezogen, aber später. Verstehen Sie noch
immer nicht, Cartwright? Wir können im Augenblick nichts

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gegen die Kerle unternehmen. Sperren wir drei von ihnen ein,
kommen fünf neue. Wir müssen erst wissen, wer hinter der
ganzen Sache steht, und wenn wir den Urheber gefaßt haben,
hört alles von selbst auf.“

„Ich habe begriffen, Sheriff“, nickte Little Joe. „Kann ich

Ihnen dabei irgendwie behilflich sein?“

„Können Sie“, sagte Blackburn wütend. „Und zwar dadurch,

daß Sie sofort aus Carson City verschwinden. Ich möchte Sie
in den nächsten Wochen hier nicht wiedersehen.“

„Auf jeden Fall reite ich jetzt zur Spillings-Ranch“, erwiderte

Little Joe ungerührt. „Was ich hier erlebt habe, zeigt mir, daß
die Kerle vor nichts zurückschrecken. Sie handeln auf der
Stelle, wenn ihnen etwas nicht paßt. So könnte ich mir auch
denken, daß sie mit einer Vergeltung gegen Spillings nicht
lange warten werden.“

„Tun Sie, was Sie nicht lassen können“, schnaufte Blackburn.

„Aber das sage ich Ihnen, Joe, mir wäre lieber, wenn Sie sofort
nach Hause ritten. Ich kann Ihnen hier nicht helfen, was auch
passieren mag.“

„Und die hundert Dollar Strafe?“
„Verschwinden Sie!“
Little Joe stand schon an der Tür. „Denken Sie nur nicht, ich

wüßte nicht, welches gefährliche Spiel Sie spielen, Sheriff. Ich
weiß nur nicht, ob Sie damit Ihr Ziel erreichen.“

„Wie meinen Sie das?“
„Man könnte Ihre Rolle längst durchschaut haben.“
„Ich kann nicht anders handeln. Sie waren Zeuge, was im

Saloon passierte. Hier würden alle einen Meineid schwören,
nur um die eigene Haut zu retten.“

Es dunkelte schon, als Little Joe auf die Straße trat. Er ging

auf die gegenüberliegende Straßenseite und band Taifun vom
Haltebalken des Saloons los. Durch einen Blick in das Lokal
überzeugte er sich davon, daß die Kerle noch an der Bartheke

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standen. Solange sie im Saloon waren, konnte auf der
Spillings-Ranch nichts passieren. Er kam zu dem Entschluß,
die Kerle nicht aus den Augen zu lassen. So wartete er im
Schatten einer Hauswand ab. Es dauerte auch nicht lange, da
verließen die Burschen das Lokal und schwangen sich auf ihre
Pferde.

Little Joe folgte ihnen in angemessenem Abstand. Als er

erkannte, daß sie den Weg ins Tal nahmen, bog er ab. Wenn er
den Weg durch den Fluß nahm, war er wenigstens zehn
Minuten früher auf der Spillings-Ranch. Offenbar kannten die
Kerle die Furt nicht.

Little Joe preßte seinem Pferd die Schenkel in die Seiten, und

Taifun jagte davon, als sei der Teufel hinter ihm her. Hinter
den Bergen stieg die Mondscheibe hoch. Es würde eine
mondhelle Nacht werden. Bald lag das glitzernde Band des
Flusses vor ihm. In wilder Karriere jagte Little Joe am Ufer
entlang und hatte die Furt bald gefunden. Hier war das Wasser
nur einen halben Meter hoch. Er trieb das Pferd hinein, und
Sekunden später nahm ihn am gegenüberliegenden Ufer ein
Waldpfad auf, der direkt zur Spillings-Ranch führte.

Auf der Ranch war alles ruhig. Es rührte sich auch nichts, als

er in den Hof galoppierte. Erst als er vor dem Hauptgebäude
aus dem Sattel sprang, tauchte Hoss aus dem Schatten der
Hauswand auf.

„Sie müssen in einigen Minuten hier sein“, sagte Little Joe.

„Ist alles klar?“

Hoss hielt sein Gewehr in der Hand. „Wir sind auf dem

Posten.“ Er erklärte, er habe die Männer so gruppiert, daß sie
die Kerle in der Zange hätten. Zwei lägen auf dem Dach des
Stallgebäudes, um ihnen den Rückweg abzuschneiden. Ben
Hawkins stehe hinter einem Fenster des Herrenhauses und
beobachte das rückwärtige Gelände, die anderen habe er im
Hof postiert. Zwei auf dem Heuwagen, und die beiden alten

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Männer bewachten die Scheune. „Aber bis dorthin kommen sie
erst gar nicht“, lächelte Hoss. „Wir haben nach allen Seiten ein
gutes Schußfeld. – Und was ist mit dem Sheriff?“

Mit kurzen Worten klärte Little Joe seinen Bruder auf und

schloß mit der Bemerkung: „Wir sind also ganz allein auf uns
angewiesen. Sollten sie kommen, gibt es keinen Pardon.“

Hoss nickte. „Ich glaube, wir haben uns da ganz schön in die

Nesseln gesetzt. Bin nur gespannt, was Pa dazu sagen wird. Er
hat sowieso schon Sorgen genug.“

„Ist Spillings im Haus?“
„Ich sagte ihm, er möge im Haus bleiben.“
Little Joe nickte. „Das ist auch besser so. Mit den drei Kerlen

werdet ihr allein fertig. Ich sage jetzt Spillings Bescheid, und
ihr wartet, bis sie auf den Hof kommen.“

Henry Spillings saß im Wohnzimmer. Vor sich auf dem

Tisch hatte er ein Gewehr und zwei Colts liegen. Er erhob sich
sofort und kam auf Little Joe zu.

„Nun, haben Sie etwas in Erfahrung bringen können?“
„Leider nichts Erfreuliches“, erklärte Little Joe und

berichtete, was er in Carson City erlebt hatte. „Durch die
Einstellung der Bürger sind dem Sheriff die Hände gebunden.
Er hat den Bezirksmarshai aber bereits verständigt. Wir sind
jedenfalls auf uns allein angewiesen, und die Kerle werden in
einigen Minuten hier sein.“

„Jedenfalls danke ich Ihnen für Ihre Hilfe“, sagte der

Rancher. „Ich werde Ihnen das nie vergessen. Ihr Vater kann
stolz auf Sie sein.“

„Lassen wir das“, wehrte Little Joe ab. Er trat zum Fenster

und ließ die Jalousie herab. „Wenn ich nur wüßte, ob es sich
nur um die drei Kerle handelt, dann wäre alles sehr einfach.“

„Kommen Sie, trinken Sie etwas“, forderte Spillings. Er ging

zu einem Wandschrank und kam mit einer Flasche und zwei

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Gläsern zurück. Während er die Gläser füllte, wurde draußen
Hufschlag hörbar.

Sofort war Little Joe am Fenster und schob die Jalousie einen

Spaltbreit hoch. Er sah drei Reiter in den Hof traben und aus
dem Sattel steigen. Es waren die drei Kerle aus dem Saloon.

„Sie sind da!“
Spillings setzte die Flasche ab und griff nach dem Gewehr.
„Immer mit der Ruhe“, sagte Little Joe. „Die Kerle haben

keine Chance, denn in diesem Augenblick richten sich mehrere
Gewehrläufe auf sie. Sie brauchen nur ein Zündholz
anzustreichen…“ Er beobachtete weiter und sah, daß zwei der
Burschen zu dem Heuwagen gingen. Der dritte Mann kam auf
das Haus zu, und Sekunden darauf wurde die Tür aufgestoßen.

Mit einem Satz war Little Joe hinter der Tür, so daß ihn der

Mann nicht sehen konnte.

„Lassen Sie die Waffen liegen, Mr. Spillings“, sagte der

Mann in der Tür. „Was jetzt geschieht, haben Sie sich selbst
zuzuschreiben. Sie haben die Bedingungen des Schutz-Ringes
nicht erfüllt. Sehen Sie hinaus!“

Little Joe sah den Widerschein eines flackernden Feuers in

den Raum tanzen. Offenbar hatten die Kerle den Heuwagen in
Brand gesetzt. In diesem Augenblick fielen mehrere Schüsse.
Der Mann, der Little Joe den Rücken zugewandt hatte, fuhr
erschrocken herum, aber da hatte ihn Little Joe bereits im
Sprung zu Boden gerissen. Flink raffte sich der Kerl jedoch auf
und packte Little Joe an der Kehle. Little Joe wehrte sich mit
aller Kraft gegen den Würgegriff und preßte dem Kerl die
Rippen zusammen, daß er schmerzvoll aufstöhnte und seine
Hände abglitten. Mit einem Faustschlag warf er ihn zu Boden,
aber der Bursche war sofort wieder auf den Beinen.

Mit dem Colt in der Hand sah Spillings dem Kampf zu.
Er wagte nicht zu schießen aus Sorge, Little Joe treffen zu

können.

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Der Kerl landete eine Serie von Boxhieben gegen Little Joe,

der durch einen Fehltritt ausgeglitten war. Endlich hatte er sein
Gleichgewicht wiedergefunden. Ein kraftvoller Schwinger riß
dem Kerl die Beine unter dem Körper fort, aber schon war er
wieder hoch und wehrte sich verbissen gegen Little Joes
Angriffe. Dieser wuchs über sich selbst hinaus. Die Wut auf
die hinterhältigen Kerle verlieh ihm Riesenkräfte. Er deckte
den Kerl mit einer Schlagserie ein, daß ihm die Knöchel
schmerzten. Taumelnd, sich nur mühsam aufrecht haltend,
wurde die Abwehr des Gegners schwächer und schwächer, und
schließlich warf ihn ein gut gezielter Fausthieb zu Boden.

„Was ist denn hier los?“ In der Tür stand Hoss und richtete

seinen Gewehrlauf auf den am Boden Liegenden.

„Und was ist mit den anderen?“ fragte Little Joe.
Hoss hob die Schultern. „Die hat es erwischt. Als sie den

Heuwagen anzündeten, nahmen Spillings’ Leute sie unter
Feuer.“

„Dann werden wir diesen Burschen dem Sheriff übergeben. –

Ich glaube, wir haben diesmal Zeugen genug, daß sie die
Ranch in Brand stecken wollten. Vielleicht kann Blackburn
etwas aus ihm herausholen. Es ist der Kerl, der den Mann im
Saloon erschoß.“

Draußen bemühten sich die Männer, den Brand des

Heuwagens zu löschen. Sie hatten den Wagen in die Mitte des
Hofes geschoben. Das lodernde Feuer beleuchtete taghell die
Umgebung.

Auf der Treppe zum ersten Stock erschien Ben Hawkins. Er

hatte seinen Beobachtungsposten am Fenster verlassen und
meldete, daß sieben Reiter in den Zufahrtsweg zur Ranch
eingebogen waren.

„Sollten sie zu der Bande gehören?“ fragte Spillings nervös.
Auch Little Joe hatte diesen Gedanken. Er rief die Männer ins

Haus und postierte zwei von ihnen ans Fenster, während er mit

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Hoss und Ben Hawkins zum Stallgebäude lief. Dort rollten sie
mehrere Strohballen in das Tor und nahmen dahinter Deckung.
Dann warteten sie ab.

Bald darauf drang Hufgetrappel an ihr Ohr. In leichtem Trab

ritten sieben Reiter in den Hof. Als sie den brennenden
Heuwagen passierten, erkannte Little Joe Sheriff Blackburn.
Sofort verließ er seine Deckung und trat den Reitern entgegen.

„Nun, was gibt es, Cartwright?“ fragte Blackburn, während er

sich aus dem Sattel schwang.

„Dreimal dürfen Sie raten“, antwortete Little Joe und deutete

auf den lodernden Heuwagen. „Sie sind also doch gekommen.
Alle Achtung!“

Hinter dem Sheriff wurde ein schlanker, großer Mann in

einer hellen Lederweste sichtbar. Er trug einen grauen
Stetsonhut, und auf seiner Brust prangte der Sheriffstern.

„Das ist Marshal Kelling aus Chestertown“, stellte Blackburn

den Mann vor. „Und das sind die Brüder Cartwright, von
denen ich Ihnen erzählte.“

Hoss, der neben seinen Bruder getreten war, tippte grüßend

an den Hutrand.

„Der Marshal und seine Leute sind bereits seit zwei Tagen in

unserer Stadt“, erklärte Blackburn weiter. „Ich wußte nichts
davon, aber gleich nachdem Sie gegangen waren, kam der
Marshal in mein Büro und gab sich zu erkennen. Er war
übrigens im Saloon, als Sam Blaker niedergeschossen wurde.“

Marshal Kelling reichte den Brüdern die Hand.
„Dann können Sie den Mörder Blakers gleich mitnehmen“,

sagte Little Joe. „Die beiden anderen wurden erschossen, als
sie den Heuwagen in Brand setzten.“ Er wandte sich an
Blackburn. „Jetzt müssen Sie sich nur den Rest der Bande
vornehmen.“

„Es gibt keinen Rest der Bande“, lächelte Marshal Kelling.

„Nach meinen Ermittlungen operierten nur die drei Männer im

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Raum von Carson City. Von einer Bande kann also keine Rede
sein. Bevor ich das nicht genau wußte, wollte ich nicht in
Erscheinung treten.“

„Ich hoffe, Sie täuschen sich nicht“, erwiderte Little Joe. „Ich

kann mir nicht vorstellen, daß diese drei Burschen eine solche
Macht ausübten.“

„Nur durch ihre Brutalität. Sie schlugen sofort zu, wenn sich

ihnen jemand widersetzte, und das war ihre Stärke.

Auf diese Weise verbreiteten sie überall Angst und

Schrecken. Ein ganz einfaches Mittel.“

„Das mag möglich sein“, nickte Little Joe. „Ich traf Leute aus

Rebel Corners, die von einer ähnlichen Bande berichteten.
Dort sollen die Farmer und Geschäftsleute auch geschröpft
werden.“

„Ja, von diesen Burschen“, erwiderte Kelling. „Vielleicht

hatten sie dort die ersten Erfolge. Carson City war die zweite
Stadt, und ich möchte wetten, daß sie es auch auf Virginia City
abgesehen hatten.“

„Das kann ich Ihnen nur bestätigen“, sagte Hoss. „Wir trafen

die Kerle auf unseren Bergweiden, und sie klärten uns in
unmißverständlicher Weise über den sogenannten Schutz-Ring
auf.“

„Das ist jetzt alles vorbei“, entgegnete Kelling. „Kommen

Sie, gehen wir ins Haus. Ich möchte mir den Burschen mal
ansehen.“

Im Wohnraum war der Mann inzwischen von Kellings

Leuten festgenommen worden. Er trug eine Schließkette um
die Hände und starrte verbissen vor sich hin.

„Erkennen Sie in ihm den Mann, der im Saloon die tödlichen

Schüsse auf Sam Blaker abgab?“ fragte der Marshal.

Little Joe nickte. „Es ist der Mann.“
„Dann werden Sie vor Gericht gegen ihn aussagen“, fuhr der

Marshal fort. „Außerdem wird er der Bandenbildung und

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Brandstiftung angeklagt. Mr. Carvers wird ihn sicher kennen
und auch gegen ihn aussagen.“

Der Gefesselte grinste böse. „Dazu wird es gar nicht erst

kommen. Sie tun mir leid, Cartwright, Sie hätten sich da
raushalten sollen. Nun ist es zu spät.“

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Gäste für die Ponderosa



Am nächsten Morgen ritten Hoss, Little Joe und Ben Hawkins
nach Virginia City zurück. Sie hatten den Rest der Nacht auf
der Spillings-Ranch verbracht. Der Mordschütze war ins
Gefängnis von Carson City eingeliefert worden. In einigen
Tagen wollte ihm Marshal Kelling den Prozeß machen. Dazu
sollte Little Joe als Hauptzeuge erscheinen, denn er konnte
über den Mord an Sam Blaker und über den Überfall auf die
Spillings-Ranch aussagen.

Bevor sie sich auf den Weg nach Virginia City machten,

waren sie im Saloon Mr. Newtons eingekehrt. Da Hoss noch
keine Ahnung hatte, war die Überraschung groß. Paula fiel ihm
um den Hals, und der Dicke wußte gar nicht, was er dazu
sagen sollte. Genau wie Little Joe erkannte er seine ehemalige
Jugendfreundin nicht wieder, aber dann war die Freude
besonders groß. Hoss bekam sofort verliebte Nasenlöcher, wie
sein Bruder feststellte, und lud Paula zu einem Besuch auf der
Ponderosa ein.

So war Hoss’ Gesprächsthema auf dem Weg nach Hause nur

Paula. Immer wieder kam er auf das Mädchen zu sprechen und
gab seiner Verwunderung Ausdruck, wie schön sie geworden
sei.

Little Joe ging die Schwärmerei bald auf die Nerven, und

auch Ben Hawkins sah ihn mißbilligend von der Seite an.

„Ich glaube, es langt jetzt“, meinte Little Joe. „Paula hin,

Paula her! Wenn du willst, kannst du sie jeden Tag in Carson
City besuchen. Du kannst sie sogar heiraten. Meinen Segen
hast du schon jetzt, nur halte endlich den Mund. Schließlich
haben wir andere Sorgen.“

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„Wieso?“ entgegnete Hoss. „Der Schutz-Ring besteht nicht

mehr, und wir brauchen uns in Virginia City keine Sorgen zu
machen.“

„Ja, das sagst du“, erwiderte Little Joe. „Ich bin da nicht ganz

sicher. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Schutz-Ring nur
aus diesen drei Kerlen besteht. Der Bursche drohte mir ganz
eindeutig, und das muß einen Grund haben. Er sitzt im
Gefängnis und kann nichts mehr gegen uns ausrichten.“

„Ich habe mir die beiden Erschossenen angesehen“, sagte

Ben Hawkins. „Wenn mich nicht alles täuscht, waren sie auf
der Ponderosa und haben mit eurem Vater gesprochen. Nach
diesem Gespräch schickte er mich los, um euch zurückzuholen.
Das wollte ich euch schon gestern abend sagen.“

„Und du täuschst dich nicht?“ fragte Little Joe.
„Kaum! – Ich habe einen Blick für diese Gaunergesichter.“
„Dann bin ich gespannt, was uns Pa erzählen wird. Offenbar

sind sie nach dem Gespräch sofort zu den Bergweiden geritten,
um mit uns zusammenzutreffen.“

Gegen Mittag hatten die drei Reiter die Bergweiden erreicht.

Mr. Newton hatte sie mit Proviant versorgt, und so war Little
Joe dafür, in der Hütte einen guten Kaffee zu kochen und eine
Ruhepause einzulegen.

Während sie die Pferde unter dem Schutzdach der Hütte

anpflockten, sah Ben Hawkins über der nächstliegenden
Felsengruppe einen feinen Rauchstreifen in den Himmel
steigen. Er machte Hoss und Little Joe darauf aufmerksam.

„Das dürfte der Kerl sein, der sich mit den Dingen aus

unserer Hütte versorgte und das Kalb erschoß“, sagte Little
Joe. „Er hat offenbar nicht mit unserer Rückkehr gerechnet.“
Er informierte den Vormann über das, was sie am Tag zuvor
festgestellt hatten.

„Nun, dann wollen wir uns den Kerl mal vornehmen“, grinste

Ben Hawkins. „Ich muß sagen, er fühlt sich ziemlich sicher.“

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Von drei Seiten arbeiteten sie sich an die Stelle heran, von

der der Rauchstreifen in den Himmel stieg. In diesem
Felsengelände gab es viele Höhlen. In einer von ihnen mußte
sich der Kerl eingenistet haben.

Little Joe kletterte über ein leicht ansteigendes Gelände nach

oben. Eine Felsplattform tat sich vor ihm auf. Sie war etwa
fünf Meter breit, dann stieg das Gelände steiler an.

Hart brannte die Sonne auf die Felsen, zwischen denen

dünnes Buschwerk stand. Die Hitze flimmerte zwischen den
Bergwänden. Hand über Hand zog sich Little Joe die letzten
Meter an den Felsbrocken hoch. Da griff seine Hand plötzlich
in etwas Weiches, und dicht vor ihm bäumte sich der bunt
schillernde Körper einer Klapperschlange auf, die sich
zwischen den Steinen gesonnt hatte. Mit einem Schreckenslaut
fuhr er zurück und sah den wiegenden Kopf der Schlange dicht
vor seinem Gesicht tanzen. Er vernahm noch das rasselnde
Geräusch der Hornschalen ihres Schwanzes und hörte
gleichzeitig mehrere Schüsse. Den Boden peitschend und
zuckend, glitt der Schlangenkörper an ihm vorbei und stürzte
auf die Felsplattform.

Little Joe sah hoch und erblickte ein Paar Stiefel. Dann

streckte sich ihm eine schmale Hand entgegen. Er nahm sie
und wurde hochgezogen. Schweratmend lehnte er sich auf dem
Plateau gegen die Felsen. Schlangen waren ihm widerlich, und
er schüttelte sich, um seinen Ekel zu überwinden.

„Sind Sie gebissen worden?“ fragte eine helle Jungenstimme.
Der Junge, der vor ihm stand, mochte etwa sechzehn Jahre alt

sein. Er trug eine Manchesterhose, ein kariertes Hemd und
einen zerbeulten Strohhut. Seine halbhohen Stiefel waren ihm
um wenigstens drei Nummern zu groß.

„Ich glaube nicht“, antwortete Little Joe und betrachtete seine

Hand.

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„Sonst müssen wir nämlich einen Kreuzschnitt machen und

die Wunde ausbrennen“, fügte der Junge hinzu.
„Klapperschlangengift wirkt sehr schnell.“

Little Joe musterte den Jungen. „Hast du geschossen?“
Der Kleine schüttelte den Kopf. „Das war meine Schwester.

Sie sah Sie kommen. Bei ihr können Sie sich bedanken.“

„Halt den Mund, Bonnie!“
Little Joe hob den Blick und sah eine junge Frau zwischen

den Felsen stehen. Sie hielt ein Gewehr in der Hand. „Das muß
ich dann wohl. – Vielen Dank, Miß!“ sagte er und sah sie
erstaunt an.

Die junge Frau nickte nur. Sie hatte brandrotes Haar, das mit

einem grünen Stirnband gehalten wurde. Ungewöhnlich an ihr
war auch, daß sie Hosen trug. In Virginia City war das für eine
Frau unmöglich. Nur Cora Orton machte da eine Ausnahme
und trug beim Reiten einen weiten Hosenrock. Diese junge
Frau hatte aber richtige Männerhosen an, die in halbhohen
Stiefeln steckten.

Auch trug sie einen Revolvergürtel mit einem beachtlichen

Colt.

Little Joe trat auf sie zu und reichte ihr die Hand. „Mein

Name ist Cartwright, Joe Cartwright! – Sie haben mir
vielleicht das Leben gerettet.“

Sie sah ihn mit graugrünen Augen an, und um ihren schönen

Mund spielte ein Lächeln. „Reden Sie keinen Unsinn! Ich hatte
das Schlangennest schon gestern entdeckt, und da Sie genau
darauf zukrochen…“ Sie brach ab und fuhr vorwurfsvoll fort:
„Was kriechen Sie überhaupt hier in der Gegend herum?“

„Diese Frage könnte ich auch an Sie stellen“, antwortete

Little Joe belustigt. „Ich suche nämlich einen Dieb, der
verschiedene Sachen aus unserer Hütte verschwinden ließ. Sie
hatte ich hier oben keinesfalls erwartet.“

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„Wenn Sie die Decken, das Geschirr und den Kochtopf

meinen – die haben wir uns ausgeliehen, nicht wahr, Helen?
Wir wollten sie in die Hütte zurückbringen“, sagte der Junge.

In den Felsen über ihnen tauchten Hoss und Ben Hawkins

auf. Sie hielten ihre Gewehre schußbereit in den Händen.

„Hat man auf dich geschossen?“ fragte Hoss und kam über

die Felsen nach unten geklettert. Als er aber das Mädchen
erkannte, zog ein verlegenes Lächeln über sein Gesicht. „Das
war dann doch sicher nur ein Irrtum“, fügte er hinzu. „Sie
sehen gar nicht aus, als ob Sie auf einen Menschen schießen
könnten.“

„Das kann sie auch gar nicht“, wandte der Junge ein. „Sie hat

eine Klapperschlange erschossen, sonst wäre dieser Mann
gebissen worden.“

Hoss sah seinen Bruder an. „Stimmt das?“
„Ja, es hätte mich beinahe erwischt“, erklärte Little Joe.
„Ich hatte wirklich Glück, und schießen kann sie, das muß

ich sagen!“

„Alle Achtung, Miß!“ Hoss grinste über das ganze Gesicht.

Das Mädchen gefiel ihm, und er war dabei, sich schon zu einer
Kavaliersrolle aufzuschwingen. „Können wir Ihnen irgendwie
behilflich sein?“

„Ja, das kannst du“, sagte Little Joe. „Du kannst die Sachen,

die sie aus unserer Hütte holte, wieder zurückbringen.“

Hoss zwinkerte vor Überraschung mit den Augen. „Dann hat

sie…?“

„Und vermutlich auch deinen Pudding gegessen“, fügte Little

Joe hinzu. „Wir vermissen ihn nämlich.“

„Nein, das war ich“, fiel der Junge ein. „Helen weiß davon

nichts.“

Das Mädchen sah ihn strafend an. „Schämst du dich nicht?!“

Und mit einem verlegenen Lächeln wandte es sich wieder den

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Männern zu. „Ich bin Ihnen für das alles eine Erklärung
schuldig.“

„Wir hören“, sagte Little Joe und setzte ein betont ernstes

Gesicht auf. „Vielleicht können wir beim Sheriff ein gutes
Wort für Sie einlegen. Wir müssen das alles natürlich zur
Anzeige bringen.“

„Aber wir wollten alles zurückbringen, wirklich!“
„Das mag sein“, erwiderte Little Joe und hob bedauernd die

Schultern. „Aber…“

„Du hörst es doch, Joe“, wandte Hoss empört ein. „Sie

wollten alles zurückbringen. Das mit dem Sheriff kann doch
nur ein Witz sein. Sieht sie etwa wie eine Diebin aus?“

„Danach kann man nicht gehen. Tatsache ist, daß man

unrechtmäßig in unsere Hütte eingedrungen ist und Sachen
entwendete.“

„Vielleicht haben Sie eine Erklärung für den störrischen Esel,

daß es sich um einen Notstand handelte“, sagte Hoss empört zu
dem Mädchen.

Jetzt mußte Little Joe lachen. „Hast du Nilpferd wirklich

geglaubt, ich würde sie anzeigen?“ Er wandte sich dem
Mädchen zu. „Keine Sorge, Miß! – Ich wollte Ihnen einmal ein
empörtes Nilpferd vorführen, das immer auf meine Scherze
hereinfällt.“

Hoss sah ihn wütend an.
„So, und nun erzählen Sie mal“, forderte Little Joe.
Aus dem Bericht des Mädchens ging hervor, daß es und sein

Bruder vor einigen Tagen von Chestertown aufgebrochen
waren. Auf der Fahrt über die Paßstraße nach. Virginia City
habe ihr Einspänner einen Achsenbruch erlitten und ein Rad
verloren. So seien sie gezwungen gewesen, die Nacht über im
Gebirge zu verbringen. Das Rad, das in eine Schlucht gestürzt
sei, habe man aber am nächsten Morgen vergeblich gesucht.

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„Und warum haben Sie nicht sofort Hilfe aus Carson City

oder Virginia City geholt?“ fragte Little Joe.

„Das will ich Ihnen gerade erklären“, fuhr das Mädchen fort.

„Weil wir bei der Suche nach dem Rad von drei Reitern
beobachtet und verfolgt wurden. Ich hatte Angst, sie würden
uns etwas antun, und wir versteckten uns in einer Höhle. Die
Kerle haben lange nach uns gesucht und sich einen ganzen Tag
lang in diesem Gebiet aufgehalten. Nachdem sie ein Kalb
getötet und sich mit Fleisch versorgt hatten, ritten sie endlich
davon. Aus Furcht, sie könnten zurückkommen, wagten wir
nicht, in der Hütte zu übernachten. Wir haben uns nur mit dem
Nötigsten versorgt und sind in der Höhle geblieben.“

„Das können nur die Kerle vom Schutz-Ring gewesen sein“,

stellte Little Joe fest. „Und weiter?“

„Da ist nicht mehr viel zu erzählen. Am nächsten Tag kamen

Sie. Wir haben Sie bei dem Zeichnen der Rinder beobachtet,
und ich wollte Sie schon um Hilfe bitten, aber dann tauchten
plötzlich wieder diese drei Männer auf. Ich dachte, sie
gehörten zu Ihnen.“

„Als Sie bei der Hütte eintrafen, war ich in der Nähe“, fügte

der Junge hinzu. „Ich sagte Helen gleich, daß man Ihnen
vertrauen könne, aber sie glaubte mir nicht.“

„Ich war zu ängstlich“, gestand das Mädchen. „Aber jetzt bin

ich froh, daß Sie da sind.“

„Und wer sind Sie?“ fragte Little Joe.
„Ich bin Helen Wells, und wir beide, Bonnie und ich, sind auf

dem Weg nach Rebel Corners. Mein Onkel ist dort
Bürgermeister, und er hat mir eine Stelle als Lehrerin
angeboten.“

Little Joe sah sie erstaunt an. „Sie sind Lehrerin, Miß Wells?“
„Ja, das war ich auch in Chestertown“, nickte das Mädchen.

„Sie können aber ruhig Helen zu mir sagen.“

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„Gut, Helen“, lächelte Little Joe. „Für eine Lehrerin sehen

Sie sehr kriegerisch aus. Es steht Ihnen aber nicht schlecht.“

„Das meine ich auch“, grinste Hoss. Er reichte dem Mädchen

die Hand und stellte sich und Ben Hawkins vor. „Eine zweite
Lehrerin könnten wir in Virginia City bestimmt gebrauchen.
Warum müssen Sie unbedingt nach Rebel Corners?“

„Ja, bleiben Sie doch bei uns“, schlug Little Joe vor. „Das ist

eine gute Idee. Ein Wort von meinem Vater, und der
Bürgermeister wird Sie sofort einstellen.“

„Nein, das wird nicht gehen.“ Helen schüttelte den Kopf.

„Mein Onkel wartet auf uns, aber ich danke Ihnen jedenfalls
für das Angebot.“

„Sie dürfen nicht vergessen, daß ich hoch in Ihrer Schuld

stehe“, sagte Little Joe. „Sollten Sie einmal in Schwierigkeiten
kommen, bin ich immer für Sie da.“

„Ich werde es nicht vergessen, Joe.“
Sie fanden den Wagen in einem Gebüsch, das ihn vor einem

Absturz in die Schlucht bewahrt hatte. Er lag etwa fünfzig
Meter von der Straße entfernt und war von dort aus nicht zu
sehen. Das Unglück hatte sich bei schneller Fahrt und in einer
Kurve ereignet. Der leichte Wagen war umgekippt und über
den Rand der Paßstraße geschleudert worden; dabei hatte sich
die Vorderachse gelöst. Dem Pferd, das mit der Vorderachse
am Geschirr weiterstürmte, war nichts geschehen. Helen und
ihr Bruder hatten sich mit einem Sprung vom Wagen retten
können. Aus dem umgestürzten Wagen konnten sie nur das
Notwendigste bergen. Die Kiste mit ihren Habseligkeiten war
vermutlich in die Schlucht gestürzt.

Ben Hawkins meinte, er kenne einen Weg in die Schlucht

und wolle sich dort einmal umsehen.

„Eine Weiterreise mit dem Wagen ist unmöglich“, stellte

Hoss fest, nachdem er das Gefährt in Augenschein genommen
hatte. „Die Reparatur wird mehrere Tage in Anspruch nehmen.

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Wohl oder übel müssen Sie bei uns auf der Ponderosa bleiben,
bis alles wiederhergestellt ist.“

„Ja, und das würde mich sehr freuen“, fügte Little Joe hinzu.

„Wenn es recht ist, würde ich einige Rechenstunden bei Ihnen
nehmen, ich meine, ganz privat natürlich. Bei mir hapert es mit
der Zinsrechnung.“

„Und nicht nur damit“, grinste Hoss. „Er hat auch einen

kleinen Dachschaden. Pa und ich, wir haben schon unsere
Sorge mit ihm.“

Little Joe warf ihm einen wütenden Blick zu und

verschluckte eine Antwort.

Helen lachte. „Sie sind die komischsten Brüder, die ich je

gesehen habe.“

Bonnie war schon vorausgegangen und führte sie zu einer

kleinen windgeschützten Höhle. Vor ihr brannte ein Feuer,
über dem an einem Bratspieß ein Wildkaninchen brutzelte. In
der Höhle hatten sich Helen und ihr Bruder, so gut es ging,
eingerichtet. In einer Felsenkammer, gleich neben dem
Höhleneingang, war das Pferd angepflockt.

„Wir mußten uns mit den Sachen aus Ihrer Hütte versorgen,

weil unsere Kiste verlorenging“, erklärte das Mädchen. „Die
Nächte sind sehr kalt, und ohne Decken war es einfach nicht
möglich.“

„Das ist alles in Ordnung“, nickte Little Joe. Er deutete auf

den Braten. „Ist das Ihr Mittagessen?“

Helen bestätigte es und meinte, sie habe das Kaninchen mit

Bergkräutern gefüllt. So brauche man kein Salz. Das Fleisch
werde wunderbar weich und schmecke ganz köstlich.

„Mit Bergkräutern?“ Hoss fuhr sich mit der Zunge über die

Lippen. „Das müßte man Hop Sing sagen.“

„Bitte, probieren Sie!“ Helen zog ein Messer aus ihrem

Gürtel und schnitt eine Keule ab. Sie reichte sie Hoss, der sie
mit einem strahlenden Lächeln annahm.

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Während er hineinbiß, sah er seinen Bruder triumphierend an

und meinte kauend, das sei das beste Wildkaninchen, das er je
gegessen habe. Helen müsse das Rezept mit den Bergkräutern
unbedingt Hop Sing sagen. „Das ist nämlich unser chinesischer
Koch“, erklärte er dem Mädchen. „Ja, wirklich, das schmeckt
nach mehr.“

„Bitte, bedienen Sie sich nur!“ Helen wollte Hoss das Messer

reichen, aber Little Joe nahm ihr das Messer aus der Hand.

„Das müssen Sie nur machen, dann bleibt von Ihrem Braten

nicht mehr viel übrig. Hoss ist maßlos, das sehen Sie doch an
seinem dicken Bauch.“

„Glauben Sie ihm nicht“, erklärte Hoss erbost. „Das ist

Veranlagung. Bei mir setzt Wasser und Brot an, aber der
magere Windbeutel kann essen, was er will.“

Eine halbe Stunde später war die Höhle geräumt. Little Joe

hatte vorgeschlagen, in der Hütte zu essen und sich dann auf
den Weg nach Virginia City zu machen. Helen ließ es sich
nicht nehmen, den Tisch zu decken und den, Kaninchenbraten
aufzuteilen.

Inzwischen war auch Ben Hawkins zurückgekommen. Er

hatte die Kiste und das verlorengegangene Rad in der Schlucht
gefunden und mitgebracht. Das Rad war mit dem Lasso auf
den Sattel gebunden und diente als Untersatz für die Kiste.
Bonnie half ihm, die Kiste unter den Vorbau der Hütte zu
schaffen.

Nach dem Mittagessen und einem guten Kaffee machte sich

die kleine Gruppe auf den Weg nach Virginia City.


„Hallo, Mistel Caltwlight! – Dlaußen Mistel Olton kommen“,
meldete Hop Sing.

Ben Cartwright erhob sich hinter seinem Schreibtisch und

ging zur Tür. Er sah, wie Mr. Orton seinen Einspänner unter

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das Vordach der Scheune fuhr und abstieg. Orton suchte die
Ponderosa nur bei ganz besonderen Gelegenheiten auf. Neben
den Cartwrights war er einer der größten Rancher um Virginia
City.

„Ich muß mal mit dir sprechen, Ben“, sagte Orton, während

er sich mit einem Taschentuch den Schweiß aus dem Genick
wischte. „Aber möglichst unter vier Augen.“

„Dann kommst du gerade richtig, William“, erwiderte Ben

Cartwright und reichte dem Besucher die Hand. „Hoss und
Little Joe sind noch auf den Bergweiden. – Bitte, komm
herein!“

Hop Sing bekam den Auftrag, eine Flasche Wein aus dem

Keller zu holen. Nachdem er ihn serviert hatte, lehnte sich Ben
Cartwright in seinem Sessel zurück und sah seinen Besucher
nachdenklich an. „Worauf wollen wir trinken?“

„Das klingt wie ein Witz“, erwiderte Orton. „Ich komme in

einer Angelegenheit, die für uns alle von größter Wichtigkeit
ist. Darauf zu trinken, wäre ein wenig viel verlangt.“

„Dann will ich dir sagen, um was es sich handelt. Du bist

dem Schutz-Ring beigetreten, stimmt’s?“

William Orton sah erstaunt auf. „Du weißt…“
„Ich vermute es, weil die Kerle auch bei mir waren“, fuhr

Ben Cartwright fort. „Zu den größten Ranchern kommen sie
doch immer zuerst. Wenn die sich einfangen lassen, haben sie
mit den anderen Leuten keine großen Schwierigkeiten.“

„Aber ich habe mich nicht einfangen lassen“, erwiderte

Orton. „Und das ist es, was mich jetzt bedrückt. Ich habe den
Kerlen die Tür gewiesen.“

„Und?“ Ben Cartwright lächelte. „Glaubst du, ich hätte es

anders gemacht? Das sind doch Verbrecher, die ihr
ungesetzliches Tun hinter dem Deckmantel einer
Versicherungsgesellschaft tarnen. Lassen wir uns darauf ein,

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können wir gleich einpacken. Vermutlich hat man auch von dir
strengste Verschwiegenheit verlangt, oder?“

William Orton nickte.
„Das ist ihr Trick“, fuhr Ben Cartwright fort. „Dadurch

verhindern sie, daß sich die Leute besprechen und gemeinsam
gegen sie vorgehen.“

„Aber was machen wir? – In Carson City ist die Carvers-

Ranch abgebrannt, und die Postreiter berichteten, daß es kein
Blitzschlag war. In der Umgebung von Rebel Corners sind an
einem Tag drei Farmen niedergebrannt worden. Es heißt, die
Ursache sei nicht zu klären.“ Orton beugte sich vor. „Die
Kerle, die bei mir waren, deuteten aber unmißverständlich an,
alle diese Brände seien nur darauf zurückzuführen, daß die
Besitzer der Farmen sich nicht dem Schutz-Ring
angeschlossen hätten.“

„Also eine offene Drohung“, stellte Ben Cartwright fest.
„So kann man es nennen“, bestätigte Orton. „Und nun frage

ich dich: Was können wir dagegen unternehmen?“

„Seit gestern sind meine Männer mit Gewehren ausgerüstet

und haben einen Wachdienst aufgestellt. Wir sind auf alles
vorbereitet. Ich habe sogar den Sheriff informiert und wäre
auch noch zu dir gekommen, um dich zu warnen. Das ist aber
jetzt unnötig geworden.“ Ben Cartwright hob sein Glas.
„Trinken wir darauf, daß die Kerle hier in Virginia City auf
Granit beißen werden.“

„Dem schließe ich mich an“, nickte Orton und hob sein Glas.
Gegen Abend tauchte Sheriff Coffee auf. An seinem Gesicht

sah Ben Cartwright bereits, daß etwas Besonderes geschehen
war.

„Nun, was gibt es, Roy?“
„Ich komme, um dir und uns zu gratulieren, Ben“, lächelte

der Sheriff. „Die Postreiter berichten, die Ring-Bande sei in
Carson City gefaßt worden. Bei einem Überfall auf die

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Spillings-Ranch habe man zwei der Burschen erschossen. Der
dritte der Kerle säße im Gefängnis.“

„Und was habe ich damit zu tun?“
„Sie sind durch das Eingreifen deiner Jungs und Hawkins

gestellt worden, und Little Joe gab den Anstoß dazu. Er hatte
im Saloon bereits einen Zusammenstoß mit den Kerlen.“

Ben Cartwright sah ihn überrascht an.
„Ja, Ben, du kannst stolz auf deine Jungs sein“, nickte

Coffee. „Die ganze Stadt spricht von ihnen.“

„Dann bestand die Bande nur aus diesen drei Kerlen?“ fragte

Ben Cartwright. „Du, Roy, das kann ich nicht glauben.“

„Es ist aber so! Sheriff Blackburn und Marshal Kelling, der

seit gestern in Carson City ist, stellten das fest. Wir brauchen
uns also um unsere Stadt keine Sorgen mehr zu machen.“

„Das wäre schön!“
„Nachdem die Postreiter im Saloon davon erzählten, schickte

ich sofort Turner los, um genaue Angaben zu bekommen. Er
kam soeben zurück und berichtete mir. Die ganze Bande
bestand aus diesen drei Kerlen. Marshal Kelling will das mit
Sicherheit festgestellt haben.“

Ben Cartwright schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, Roy,

das will mir nicht in den Sinn.“

„Aber es muß stimmen, Ben. Ich kenne Blackburn. Er hätte

den Kerl niemals eingesperrt, wenn er die Rache der Bande
noch zu fürchten hätte.“

„Hoffentlich hast du recht. Es wäre mir lieber gewesen,

meine Jungs hätten sich aus der ganzen Sache herausgehalten.“

Der Sheriff runzelte die Stirn. „Das verstehe ich wirklich

nicht. Vermutlich wußte Spillings von dem bevorstehenden
Überfall auf seine Ranch, und er bat sie um Hilfe. Hättest du
ihm die Hilfe verweigert?“

„Nein, natürlich nicht!“

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„Und es ist doch alles gut ausgegangen. Was willst du

mehr?“

„Ich will meine Ruhe haben, Sheriff“, erwiderte Ben

Cartwright. „Gebe Gott, daß die Bande wirklich nur aus diesen
drei Männern bestand, sonst könnte etwas Furchtbares auf uns
zukommen. Du weißt, wie die Kerle arbeiten und mit welcher
Brutalität sie vorgehen. Little Joe dürfte seines Lebens nicht
mehr sicher sein.“

„Du machst dir jetzt unnötige Sorgen“, wehrte Coffee ab.
In diesem Augenblick wurde draußen im Hof Hufschlag laut,

und Hop Sing stand aufgeregt in der Tür.

„Mistel Caltwlight! – Mistel Caltwlight! – Little Joe und

Mistel Hoss kommen zulück.“

Ben Cartwright erhob sich, und auch Sheriff Coffee trat ans

Fenster.

„Na, da werden dir deine Söhne selbst erklären können, was

auf der Spillings-Ranch geschehen ist. Ich wäre stolz auf sie!“

„Nanu, eine junge Dame?“ Ben Cartwright beobachtete, wie

Little Joe Helen Wells, die vor ihm im Sattel gesessen hatte, zu
Boden half. „Da bin ich aber gespannt, was das zu bedeuten
hat.“

„Ich finde die junge Dame gar nicht so übel“, schmunzelte

Sheriff Coffee. „Wenn du erlaubst, würde ich mir gerne
anhören, was sie berichten.“

„Selbstverständlich! Bleibe nur, Roy!“
Bald darauf stand Little Joe strahlend im Türrahmen.

Gleichzeitig mit ihm war Helen Wells eingetreten.

„Das ist mein Vater, Helen“, sagte Little Joe. „Und das ist

Helen Wells mit ihrem Bruder Bonnie.“

Ben Cartwright reichte dem Mädchen die Hand. „Ich freue

mich, Miß Wells.“ Er begrüßte auch Bonnie und stellte danach
den Sheriff vor.

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„Miß Wells ist mit ihrem Bruder auf dem Weg nach Rebel

Corners“, erklärte Little Joe weiter und berichtete von dem
Unfall auf der Paßstraße. „Ich denke, Pa, du hast nichts
dagegen, wenn die beiden bis zur Reparatur ihres Wagens
unsere Gäste sind.“

„Das ist schon in Ordnung“, nickte Ben Cartwright. „Hop

Sing soll ihnen die Gästezimmer herrichten. – Seien Sie mir
herzlich willkommen!“

„Ich nehme Ihre Einladung natürlich gern an“, erwiderte

Helen. „Wenn der Wagen in Ordnung ist, reisen wir gleich
weiter.“

Inzwischen war auch Hoss eingetreten und begrüßte den

Vater und Sheriff Coffee. „Ja, Pa, wäre Miß Wells nicht
gewesen, hätte eine Klapperschlange Little Joe gebissen.“ Er
strahlte das Mädchen an. „Sie versteht mit einem Gewehr
umzugehen.“

„Ach, Unsinn“, wehrte die Rothaarige lächelnd ab. „Es war

wirklich keine Kunst, das Tier abzuschießen.“

„Das müssen Sie mir noch genau erzählen“, meinte Ben

Cartwright. „Aber vielleicht machen Sie sich jetzt erst einmal
etwas frisch, und dann erwarten wir Sie zum Abendessen.“ Er
winkte Hop Sing, der bereits wartete.

„Ja, ich alles gehölt“, erklärte der Chinese. „Ich sofolt

machen Zimmel fül schöne Miß und Jungen. Dann plima,
plima Essen. Vielleicht nehmen Gepäck sofolt nach oben?“

Bonnie half dem Chinesen, die zerborstene Kiste auf das

Zimmer zu schaffen.

„Ist es nicht ein wenig gefährlich für ein junges Mädchen, so

ganz allein durch die Gegend zu kutschieren?“ fragte Sheriff
Coffee. „Bis nach Rebel Corners sind es fast hundert Meilen.“

„Ich kenne keine Angst“, erklärte die Rothaarige. „Und wenn

es darauf ankommt, weiß ich mich zu wehren.“ Sie klopfte mit
der Hand auf den Revolverhalfter. „Zwar keine gute

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Visitenkarte für ein junges Mädchen. Die Schuld trägt mein
Vater. Er brachte mir das Schießen bei, und es gab bereits
Situationen, da war ich ihm dafür dankbar.“

„Ich finde das prima“, strahlte Hoss.
Little Joe lachte. „Und ich muß ihm auch dafür dankbar sein.

Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Schlange nicht getroffen,
Helen.“ Er warf seinem Vater einen Blick zu. „Dabei ist sie
Lehrerin. – Wie wäre es, Sheriff, wollen wir nicht Miß Wells
in Virginia City als Lehrerin einstellen?“

„Ja, das wäre eine Idee“, lächelte Ben Cartwright. „Dann

könnte sie gleichzeitig die Achtzehnjährigen im Schießen
unterrichten.“

„Nein, aber im Ernst, Miß Wells“, fügte Sheriff Coffee hinzu.

„Wir brauchen eine zweite Lehrerin. Der Bürgermeister würde
Sie sofort einstellen. Was zieht Sie nach Rebel Corners? Es
soll eine ziemlich wüste Stadt sein.“

„Mein Onkel“, antwortete die Rothaarige. „Wir haben nur

noch ihn. Er ist dort als Bürgermeister eingesetzt.“

„Dann müßte ich ihn kennen. Ist vielleicht Sam Stonwell Ihr

Onkel?“

„Ja, Sheriff! – Er ist ein Bruder meiner Mutter, die vor einem

halben Jahr starb.“

„Und ihr Vater?“ fragte Coffee.
Helen Wells hob die Schultern. „Er war ein Abenteurer. Wir

haben seit zehn Jahren nichts mehr von ihm gehört. Ab und zu
schickte er durch die Postreiter Geld, aber ohne eine Anschrift
zu hinterlassen.“

Am Fuße der Treppe erschien Hop Sing. Er erklärte, er werde

sofort heißes Wasser auf das Zimmer der schönen Miß
bringen.

„Danke, das ist sehr aufmerksam“, nickte Helen. „Und du

wirst dich auch waschen, Bonnie.“ Zu Ben Cartwright

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gewandt, meinte sie: „Ich bin Ihnen wirklich zu Dank
verpflichtet, daß Sie uns in Ihrem Hause aufnehmen.“

„Das ist doch selbstverständlich.“ Ben Cartwright sah ihr

nach, wie sie mit ihrem Bruder nach oben ging. „Ein hübsches
Mädchen“, sagte er zu Little Joe.

„Stimmt“, nickte Sheriff Coffee. „Leider hat ihr Onkel keine

ganz saubere Weste. Wenn er dieser Stonwell ist, den ich
kenne, so kann sie auf eine Verwandtschaft mit ihm nicht
besonders stolz sein. Er hat Rebel Corners in die Hände von
Banditen gegeben.“

Ben Cartwright und seine Söhne waren überrascht.
„Das mußt du uns aber näher erklären“, meinte Cartwright.
„Könnt ihr haben. Seit Sam Stonwell in Rebel Corners

Bürgermeister ist, hat ein gewisser Don Barry die ganze Stadt
in der Hand. Nicht Stonwell regiert in Rebel Corners, sondern
Barry. Wem seine Nase nicht paßt, verschwindet aus der Stadt.
Ihm gehören die beiden Saloons und der einzige Drugstore.
Demnach sind auch die Preise. Barry ist durch Stonwell
Vorsitzender des Bürgerrates geworden. Der Bezirksmarshal,
dem verschiedentlich Übergriffe gegen das Gesetz zu Ohren
gekommen waren, wollte gegen ihn vorgehen, aber es fanden
sich keine Zeugen.“

Little Joe, der stumm zugehört hatte, sah nachdenklich vor

sich hin. „Ich bin überzeugt, sie weiß von alledem nichts.“

„Das ist möglich“, erwiderte Coffee. „Aber sie wird dort in

eine Lage kommen, von der sie noch nichts ahnt. Ich weiß nur
nicht, warum Stonwell sie kommen läßt.“

„Und woher wissen Sie das alles?“ fragte Hoss.
„Allen Sheriffs der nahe gelegenen Städte, auch Blackburn in

Carson City, wurde vom Bezirksmarshai ein Schreiben
zugeschickt, in dem auf die Zustände in Rebel Corners
hingewiesen wird. Sie wurde zu einer Stadt ,ohne Recht’
erklärt.“

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„Und das bedeutet?“ fragte Ben Cartwright.
„Daß sie jederzeit von der Armee besetzt werden kann, wenn

es die Behörden für notwendig halten“, führte Coffee weiter
aus. „Dazu braucht der Bezirksmarshai aber Beweise, und die
sind nicht zu bekommen. Es findet sich niemand, der gegen die
verbrecherischen Machenschaften Don Barrys Einspruch und
Anklage erhebt. Würde er es dennoch tun, er fände keine
Zeugen.“

„Schöner Zustand“, nickte Little Joe. „Und was ist an den

Gerüchten, in den Black Rocks sei Gold gefunden worden?“

„Gar nichts! Die Leute, die von Barry für teures Geld eine

Schürferlaubnis erwarben, wurden alle enttäuscht.“

„Aber ich kaufe doch nur eine Schürferlaubnis, wenn ich

ganz sicher bin, auch Gold zu finden“, wandte Hoss ein.

Coffee hob die Schultern. „Ich kann mir nur denken, daß

Barry von seinen Leuten die Claims ,salzen’ läßt, das bedeutet,
er läßt Goldkörner an den Schürfstellen auslegen. Dadurch
ködert er die Leute. Sie glauben, eine ergiebige Schürfstelle
entdeckt zu haben, und lassen den Claim für sich eintragen.
Die Gebühr der Schürferlaubnis überragt bei weitem den Wert
der ausgelegten Nuggets. In der Freude und Hoffnung, endlich
am Ziel zu sein, kommt es den Leuten auf ein paar Dollar nicht
an.“

„Ein verdammt schmutziges Geschäft“, sagte Little Joe. „Und

es ist wirklich niemand da, der dem Kerl das Handwerk legt?“

„Doch, es gab solche Männer. Durch sie wurde auch der

Bezirksmarshai auf Barry aufmerksam, aber sie starben alle bei
Schießereien oder brachen sich in den Bergen das Genick, und
Tote können nichts bezeugen.“

„Sei ehrlich, Roy, glaubst du wirklich, daß der Schutz-Ring

nur aus diesen drei Burschen bestand? Du weißt, daß sich
gerade im Umkreis von Rebel Corners die Brandstiftungen
abspielten. Könnte nicht auch Barry bei diesem Schutz-Ring

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mitmachen und vielleicht sogar der Urheber sein?“ fragte Ben
Cartwright.

Sheriff Coffee sah eine Weile vor sich hin. „Ich habe auch

schon daran gedacht, aber wenn Marshal Kelling behauptet, es
wären nur diese drei Männer, so wird es schon stimmen.“

„Hoffentlich“, erwiderte Little Joe. „Ganz sicher bin ich

nicht, und ich werde mich darauf einrichten. Ich weiß, Pa,
vielleicht wäre es dir lieber gewesen, wir hätten uns nicht
eingemischt, aber es ging nicht anders.“ Er erklärte dem Vater
die Situation auf der Spillings-Ranch und schloß mit den
Worten: „Ich bin sicher, du hättest nicht anders gehandelt.“

„Schon gut, Junge!“
„Ich halte jedenfalls die Augen offen“, erklärte Sheriff

Coffee, und mit diesen Worten verabschiedete er sich.

Das Abendessen verlief in schönster Harmonie. Eine Frau am

Tisch zu haben, war für die Cartwrights etwas Besonderes.
Hoss grinste anhaltend, und Little Joe meinte leise zu ihm, er
solle nur noch den Nabel frei machen, dann sähe er aus wie
Buddha.

Helen Wells» erzählte aus ihrem Leben und von ihrer Arbeit

als Lehrerin in Chestertown. Das tat sie so charmant, daß Ben
Cartwright ganz begeistert von seinem weiblichen Gast war.

Little Joe hatte sich vorgenommen, Helen von ihrer Reise

nach Rebel Corners abzuraten. Das mußte natürlich ganz
vorsichtig geschehen. Keinesfalls durfte er auf die Rolle ihres
Onkels zu sprechen kommen, von der sie, wie er glaubte, keine
Ahnung hatte.

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Das Spiel beginnt



Seit zwei Tagen befanden sich Helen Wells und ihr Bruder auf
der Ponderosa. Ben Hawkins hatte mit einigen Cowboys den
Wagen aus dem Gebirge geholt und war jetzt dabei, das
Gefährt zu reparieren. Dabei half ihm Bonnie. Der Kleine hatte
in den beiden Tagen die Sympathien aller gewonnen. Er war
ein aufgeweckter Junge, der sich überall nützlich machte.
Sogar Hop Sing, der gegenüber Fremden stets mißtrauisch war,
mochte ihn. Nur Helen Wells beobachtete der Chinese weiter
mit Mißtrauen, besonders, weil sie sich in der Küche zu
schaffen machte. Gestern, als er zum Einkaufen mit dem
Wagen in der Stadt war, mußte er bei seiner Rückkehr
verwundert feststellen, daß das Mittagessen bereits gerichtet
war. Der Tisch war gedeckt, und in der Pfanne brutzelten
Steaks, die einen herrlichen Duft verbreiteten. Als Hop Sing
schnupperte, erklärte Helen, der Duft sei auf gewisse
Bergkräuter zurückzuführen, die sie bei ihrem Aufenthalt im
Gebirge gepflückt habe.

Bei Tisch wurden die Steaks von Ben Cartwright und seinen

Söhnen besonders gelobt, und Hop Sing schlich wie ein
geprügelter Hund in die Küche.

Heute morgen war Hop Sing schon früh auf den Beinen. Mit

besonderer Sorgfalt richtete er das Frühstück her und deckte
den Tisch. Er war gerade damit fertig, als Hoss eintrat.

„Nanu – Sie schon auf, Mistel Hoss?“ fragte Hop Sing

verwundert.

Hoss hielt einen Strauß Gebirgsblumen in der Hand. „Schnell

eine Vase, Hop Sing! Sie kommen auf den Frühstückstisch.“

„Vielleicht fül Miß Helen?“

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„Erraten“, lächelte Hoss.
Der Chinese zog ein Gesicht. „Auf Flühstückstisch kein

Platz“, antwortete er. „Sie sehen! Und wozu? Auf
Flühstückstisch gehölen Eiel mit Schinken. Wel will essen
diese Blumen?“

„Sie sollen ein Morgengruß für Miß Helen sein. Ich habe sie

aus den Bergen geholt.“

„Und walum Sie nicht bessel schlafen? Sie sonst immel

schlafen. Ich viele Male wecken und immel nicht aufstehen.
Jetzt schon leiten ganz flüh in Beige, nul fül Miß Helen. Sie
machen bessele Steaks als Hop Sing.“

Hoss sah ihn verwundert an. „He, fühlst du dich etwa

zurückgesetzt? Deine Steaks sind doch großartig, das weißt du
doch selbst. Mach dir also keine Sorgen.“

„Ich Solgen machen um Sie, Little Joe und Mistel Caltwlight.

Miß Helen kommen und alle vellückt. Ich holen, wie Sie sagen
zu Hawkins, el langsam lepalielen den Wagen, damit Miß
Helen noch lange bleiben auf del Pondelosa. Sie kaum weg,
kommt Little Joe. El auch zu Hawkins sagen, Wagen langsam
lepalielen, und dann noch kommen Mistel Caltwlight, und
auch el sagen, langsam lepalielen. Wozu Wagen dann
Übelhaupt lepalielen?“

„Ja, ich gebe zu, ich sagte Hawkins, er möge sich bei der

Reparatur des Wagens Zeit lassen“, grinste Hoss. „Aber daß Pa
und Little Joe ihm dasselbe auftrugen, das habe ich nicht
geahnt.“

„Abel Wagen gesteln abend spät feltig“, triumphierte Hop

Sing. „Miß Helen können sofolt fahlen nach Lebel Colnels.“

„Ist das wahr?“ Und ohne eine Antwort Hop Sings

abzuwarten, ging Hoss hinaus. Er traf Ben Hawkins an der
Pumpe.

„Ich hörte, der Wagen ist schon fertig“, sagte Hoss.

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„Ja, ich habe bis spät in die Nacht hinein daran gearbeitet“,

erklärte der Vormann. „Hop Sing brachte mir drei Päckchen
Tabak und erklärte, Mr. Cartwright wünsche, daß der Wagen
heute fertig sei.“

Hoss holte tief Luft.
„Ist etwas?“ fragte Hawkins.
„Ja, der Wagen ist noch nicht fertig, verstanden? Du hast ihn

noch nicht reparieren können.“ Damit ließ Hoss ihn stehen und
ging ins Haus.

Hawkins schüttelte verwundert den Kopf. „Da soll sich einer

auskennen.“

Als Hoss ins Zimmer trat, stand der Blumenstrauß auf dem

Tisch. Hop Sing hatte schnell geschaltet. Hoss’ Unterredung
mit Hawkins war von ihm durch das Fenster beobachtet
worden. Sein Schwindel war also herausgekommen. Als ihn
Hoss zur Rede stellte, redete sich Hop Sing wie immer mit der
Erklärung heraus, der Vormann müsse ihn falsch verstanden
haben. Den Tabak habe er ihm gegeben, damit er besonders
gut arbeiten solle. Zum Schluß legte er mit einem treuherzigen
Gesichtsausdruck seine Rechte auf das Herz und versicherte:
„El mich bestimmt falsch velstanden, Mistel Hoss. Hop Sing
nichts können dafül.“

„Dann merke dir. Der Wagen ist noch nicht fertig, klar?“
Achselzuckend verschwand der Chinese in der Tür zur

Küche.

Beim Frühstück fiel Little Joe gleich der Blumenstrauß auf,

und an dem breiten Grinsen seines Bruders erkannte er sofort,
daß Hoss für diesen Blumengruß verantwortlich war. Er mußte
gleich nach Sonnenaufgang losgeritten sein, um die Blumen zu
beschaffen. Sie wuchsen nur auf den Bergwiesen.

„Ich staune über unseren geschmückten Tisch“, sagte Ben

Cartwright schmunzelnd. „Es muß jemand sehr früh
aufgestanden sein, um Ihnen eine Freude zu machen, Helen.“

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„Sie sind für mich?“
„Ohne Zweifel“, nickte der Hausherr. „Na, wer von euch war

der Frühaufsteher?“

„Darf ich raten?“ Helen sah fröhlich in die Runde, und ihr

Blick blieb auf Little Joe haften. „Ich tippe auf Joe!“

Dieser bekam einen roten Kopf, während Hoss mit einem

verlegenen Lächeln erklärte, er habe sie eigenhändig gepflückt.

„Das finde ich aber lieb“, sagte Helen, wandte sich danach

aber sofort an Ben Cartwright. „Ich kann mich nicht genug für
Ihre liebe Gastfreundschaft bedanken. Die Tage auf der
Ponderosa werden wir so schnell nicht vergessen.“

„Bonnie würde gern als Cowboy bei uns arbeiten“, erklärte

Hoss. „Und Sie könnten auch bleiben. Sie wissen, die Stelle als
zweite Lehrerin ist immer noch frei.“

„Ja, ich würde mir das wirklich überlegen“, wandte nun auch

Little Joe ein.

„Leider ist das unmöglich“, sagte Helen und bekam einen

harten Zug um den Mund.

„Ich weiß nicht, was du willst, Helen“, erklärte plötzlich

Bonnie. „Ich würde gern für Mr. Cartwright arbeiten, denn hier
könnte ich etwas lernen. Laß uns doch in Virginia City bleiben.
Du kennst doch Onkel Sam überhaupt nicht. Vielleicht ist es
ihm gar nicht recht, wenn wir so plötzlich vor ihm stehen.“

Die Rothaarige sah etwas verwirrt auf. „Er weiß nichts von

dem Brief, den ich bekommen habe. Mein Onkel erwartet
uns.“

Bei diesem Gespräch tauchte in Little Joe zum ersten Male

der Verdacht auf, daß Helen nicht die Wahrheit sagte. Sie
brauchten also gar nicht nach Rebel Corners. Von einem Brief
des Onkels mußte auch Bonnie wissen. Nein, es mußten andere
Gründe sein, die sie zu einer Übersiedlung nach Rebel Corners
veranlaßten. Er nahm sich vor, Helen bei der nächsten

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Gelegenheit danach zu fragen und sie um eine ehrliche
Antwort zu bitten.

Mach dem Mittagessen war Helen plötzlich verschwunden.

Little Joe war mit Bonnie in Virginia City gewesen und hatte
dem Jungen ein Paar neue Stiefel gekauft. Bonnie wollte sie
natürlich seiner Schwester zeigen, und erst dadurch wurde ihr
Verschwinden bemerkt.

Hoss hatte das Mädchen auch nicht gesehen, aber Ben

Hawkins erklärte, Helen habe ihn gebeten, ihr ein Pferd zu
satteln, und sei dann in Richtung der Horse Rocks
davongeritten.

„Sicher macht sie einen kleinen Spazierritt“, meinte Hoss.

„Ich habe sie auch schon gesucht. Weißt du, ich will sie
nämlich heute abend zum Tanz einladen. Der
Wohltätigkeitsverein gibt ein Fest im Saloon-Hotel.“

„Und davon weiß ich nichts? Gut, daß du es mir sagst“,

erwiderte Little Joe erfreut. „Dann werde ich sie natürlich dazu
einladen.“ Und ohne auf das überraschte Gesicht seines
Bruders zu achten, schwang er sich in den Sattel.

„Kann ich nicht mitkommen, Onkel Joe?“ rief Bonnie.
„Nein, du bleibst schön hier. Sattle dein Pferd ab und

versorge es. Ich bin bald zurück.“ Damit preschte Little Joe auf
die Straße hinaus.

Bis zu den Horse Rocks waren es etwa drei Meilen. Was tat

Helen allein in den Bergen? Little Joe wußte selbst nicht,
warum er ihr folgte. Auf jeden Fall hatte sie heute morgen die
Unwahrheit gesagt. Sie hatte nie einen Brief ihres Onkels
bekommen. Irgend etwas stimmte hier nicht.

Warum wollte sie unbedingt nach Rebel Corners? Das mußte

er ergründen, und das war es auch wohl, was ihn unbewußt
veranlaßte, ihr jetzt nachzureiten. Aber wo sollte er sie suchen?
Die Horse Rocks waren ein langgestreckter Gebirgsausläufer,
der sich meilenweit dahinzog. Vermutlich würde sie aber den

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geraden Weg ins Gebirge genommen haben. Ihn schlug auch
Little Joe ein, und bald kamen ihm einige Reiter entgegen. Er
erkannte unter ihnen einige Cowboys der Orton-Ranch. Nein,
die Männer hatten keine Frau gesehen. Sie gaben aber an,
unweit der Serpentinenstraße, die zu den Eagle Rocks führte,
Schüsse gehört zu haben.

„Sie kamen aus der Silver-Schlucht“, erklärte einer der

Männer. „Als wir dann näher kamen, hörte das Schießen auf.
Entdecken konnten wir nichts.“

Little Joe bedankte sich und raste im Galopp davon. Dabei

blieb er nicht auf der Straße, sondern nahm den Weg durch das
Gelände. Obgleich er sich nicht denken konnte, daß diese
Schießerei etwas mit Helen zu tun hatte, trieb ihn eine innere
Unruhe vorwärts. Bald hatte er den Eingang der Schlucht
erreicht und hielt sein Pferd an. Deutlich hörte er Schüsse,
konnte aber im Augenblick nicht feststellen, woher sie kamen.
Die Bergwände warfen das Echo vielfach zurück.

An einer Felswand ließ Little Joe Taifun zurück und

erkletterte einen Felsvorsprung. Von hier aus hatte er einen
guten Blick über das Gelände. Jetzt peitschten neue Schüsse
durch die Stille der Bergwelt. Es handelte sich aber keinesfalls
um ein Feuergefecht. Die Schüsse wurden aus einer Waffe
abgegeben. Das beruhigte Little Joe. Auch konnte er jetzt die
Richtung, aus der die Schüsse kamen, genau ausmachen.

Er ließ Taifun zurück und kletterte über die Felsen nach

unten. Bald wurde das Schießen lauter, und dann sah Little Joe
Helen. Er wollte es zuerst gar nicht glauben, aber es war die
Rothaarige. Sie veranstaltete zweifellos ein Übungsschießen
auf Steinbrocken, die sie auf einen größeren Steinblock legte.
Nach jedem Schuß schob sie den Colt wieder ins Halfter
zurück, um ihn blitzschnell wieder zu ziehen und den nächsten
Schuß abzugeben. Bei fünf Schüssen verfehlte sie nur einen

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der faustgroßen Steinbrocken. Das war eine ausgezeichnete
Leistung, auf die mancher Revolverheld stolz gewesen wäre.

Little Joe setzte sich einige Meter hinter sie auf einen

Felsblock.

Helen war so eifrig bei der Sache, daß sie ihn nicht bemerkte.

Sie lud die Waffe neu und ergänzte die herabgeschossenen
Steine durch neue. Vier Schüsse waren hintereinander Treffer,
doch den fünften Steinbrocken verfehlte sie.

Schon hatte Little Joe seinen Colt in der Hand und schoß ihn

herab.

Blitzschnell wirbelte Helen herum, ging gleichzeitig in die

Knie und hatte ihren Colt im Anschlag.

„Alle Achtung!“ Little Joe ging lächelnd auf sie zu. „Ich muß

sagen, das hätte ich Ihnen nicht zugetraut.“

Helen erhob sich aus der Hockstellung und schob ihren Colt

ins Halfter.

„Warum dieses Übungsschießen?“ fragte Little Joe. „Eine

verdammt komische Tätigkeit für ein hübsches Mädchen.“

Helen fühlte sich irgendwie ertappt, aber sie hatte sich bald

wieder gefaßt. „Man muß doch in der Übung bleiben“, meinte
sie leichthin. „Um junge Männer vor Klapperschlangen zu
beschützen.“

Little Joe nahm sie bei den Händen und sah sie an.
„Wissen Sie, Helen, daß Sie die einzige Frau wären, die ich

heiraten würde? Glauben Sie mir, das habe ich noch keinem
Mädchen gesagt. Hoss wird Ihnen das bestätigen können.“

Sie sah ihn aus ihren grünen Augen überrascht an.

„Vergessen Sie sofort, was Sie jetzt gesagt haben. Würde ich
Sie beim Wort nehmen, täte es Ihnen bald leid.“

„Aber nein, Helen, ich meine es ganz ehrlich!“
Little Joe wollte sie umarmen, doch sie wehrte ihn sanft ab.

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„Bleiben wir gute Freunde, Little Joe“, sagte Helen nach

einer Weile leise. „Das ist alles, was ich Ihnen bieten kann:
eine ehrliche Freundschaft.“

„Na, schön!“ Little Joe betrachtete sie forschend. „Ich

möchte nur wissen, warum Sie meine Worte nicht ernst
nehmen.“

„Vielleicht werden Sie das später einmal begreifen“,

erwiderte Helen. „Warum sind Sie mir nachgeritten?“

„Das weiß ich selbst nicht. – Oder doch! – Ja, natürlich, um

Sie heute abend zum Fest des Wohltätigkeitsvereins
einzuladen, bevor es Hoss tut.“

Helen lachte. „Machen wir es doch so: Sie sind beide meine

Begleiter. Ich bin eine gute Tänzerin. Das werden Sie
feststellen.“

„Schauen Sie, Helen, selbst mein Vater hat Sie in den beiden

Tagen liebgewonnen. Warum wollen Sie nicht in Virginia City
bleiben? Ich weiß genau, daß Sie in Rebel Corners niemand
erwartet.“

Sie wollte etwas einwenden, doch Little Joe hob die Hand

und fuhr fort: „Sie können es mir gar nicht einreden. Ihr
Grund, nach Rebel Corners zu gehen, ist ein ganz anderer.
Geben Sie es doch zu!“

„Gut, ich gebe es zu“, bestätigte Helen. „Ich muß nach Rebel

Corners, um für meinen Vater eine Sache in Ordnung zu
bringen. – So, nun wissen Sie es.“

„Und danach?“
Die Rothaarige hob die Schultern. „Das gibt es nicht.

Begreifen Sie doch endlich, Joe: Ich will nicht. Sobald der
Wagen in Ordnung ist, werde ich Weiterreisen. Deshalb nehme
ich die Einladung gerne an.“

„Aber eines müssen Sie mir versprechen, Helen: Sollten Sie

in Rebel Corners irgendwelche Schwierigkeiten haben, so

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schicken Sie sofort Bonnie zurück. Ich werde mich dann um
Sie kümmern.“

„Ja, das verspreche ich Ihnen“, nickte Helen. „Warten Sie

aber nicht darauf.“ Sie ging zu ihrem Pferd und stieg in den
Sattel. „Kommen Sie, reiten wir zurück!“

Auf der Ponderosa wurden sie schon erwartet. Hoss stand an

der Straße, und man sah ihm an, er hatte sich bereits Sorgen
gemacht.

„Sie hat unsere Einladung zum Wohltätigkeitsfest

angenommen“, rief Little Joe, als sie in den Hof ritten. „Ich
habe sie gleich auch in deinem Namen eingeladen.“

Hoss fand sich damit ab, aber er zog seinen Bruder beiseite,

um ihm zu erklären, daß Cora Orton bestimmt auch auf dem
Fest sei. „Sie wird auch mit dir tanzen wollen. Und was machst
du dann, du Windbeutel?“

„Du wirst es nicht glauben“, erwiderte Little Joe. „Cora und

alle anderen Mädchen lassen mich völlig kalt, aber Helen
würde ich heiraten…“

„He, du mußt krank sein“, fiel ihm sein Bruder ins Wort.

„Davor hattest du doch immer die meiste Angst. Das kann
doch nicht dein Ernst sein.“

„Es wird auch nicht dazu kommen“, fuhr Little Joe fort. „Sie

will nicht und möchte vor allem so schnell wie möglich
Weiterreisen.“

„Schade!“ Hoss legte die Stirn in Falten. „Würde sie dich

nehmen, würde ich sofort Cora heiraten.“ Er schlug die Augen
gen Himmel. „Es wäre nicht auszudenken! Was meinst du
dazu?“

„Komm in die Wirklichkeit zurück, Brüderchen“, lachte

Little Joe. „Glaube mir, es wird nichts daraus. Helen heiratet
mich nie. Wenn du aber wirklich bei Cora Orton ankommen
willst, so verzichte morgens auf deinen Pudding und trinke

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statt dessen nur eine Tasse schwarzen Kaffee. Du mußt
wenigstens zwanzig Kilo abnehmen.“

„Sonst noch was?“
„Und mittags darfst du natürlich keine Steaks essen, sondern

mußt dir von Hop Sing eine Salatplatte machen lassen, dazu
einige Mohrrüben…“

„Ja, und wenn ich dann noch das Meckern übe, kannst du

mich gleich als Ziege auf die Weide führen.“

Little Joe grinste. „Eher als Ochse, denn für eine Ziege bist

du zu schwer.“

„Jetzt langt es mir aber“, schnaufte Hoss. „Noch ein Wort,

und ich klebe dir eine…“

„He, he, Jungs! Um was geht es denn?“ Ben Cartwright kam

aus dem Haus und trat zu seinen Söhnen. „Ihr solltet euch
lieber um euren Gast kümmern. Miß Wells sagte mir, sie wolle
so schnell wie möglich Weiterreisen. Ist etwas passiert?“

„Nein, nichts, Pa“, antwortete Little Joe. „Hoffentlich erfährt

sie nicht, daß der Wagen schon fertig ist.“

„Aber ich sagte Hawkins doch, er solle sich Zeit lassen.“
„Das sagten wir ihm auch“, wandte Hoss ein.
„Hop Sing hat ihn mit drei Päckchen Tabak bestochen“, fügte

sein Bruder hinzu. „Er möchte, daß Miß Wells schnellstens
verschwindet, denn er befürchtet, ihre Kochkunst würde
seinem Ruf schaden.“

Kopfschüttelnd ging Ben Cartwright ins Haus zurück.
Das Wohltätigkeitsfest in Virginia City war für die kleine

Stadt stets ein besonderes Ereignis. Es gab eine
Theateraufführung, eine Verlosung und anschließend einen
Ball. So war das Fest immer gut besucht. Auch die Rancher
aus der Umgebung ließen es sich nicht nehmen, mit ihren
Familien dort zu erscheinen.

Nach dem Abendessen machten die Cartwrights Toilette, und

als erster war Little Joe damit fertig. Er trug einen grauen

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Anzug mit langer Hose und ein weißes Hemd mit schwarzer
Hängeschleife.

Ben Cartwright erwartete ihn unten im Wohnraum, und Little

Joe wunderte sich, daß der Vater noch nicht umgezogen war.

„Du kommst nicht mit?“
„Darüber wollte ich gerade mit dir sprechen. Ich bleibe hier

und auch Hawkins. Ebenfalls drei von unseren Leuten. Sie
wissen schon Bescheid.“

„Und warum?“ fragte Little Joe erstaunt.
Ben Cartwright zog einen Zettel aus der Tasche. „Er war an

einem Indianerpfeil befestigt, der in das Scheunentor
geschossen wurde.“

Little Joe starrte auf den Zettel. Es handelte sich um eine

neue Aufforderung, sich dem Schutz-Ring anzuschließen.

„Das verstehe ich nicht, Pa. Marshal Kelling ist ganz sicher,

daß der Schutz-Ring nur aus diesen drei Gaunern besteht.“

Ben Cartwright nahm ihm den Zettel aus der Hand. „Das

dürfte aber doch das Gegenteil beweisen, oder leuchtet dir das
nicht ein?“ Er sah seinen Jüngsten nachdenklich an. „Und du
bist jetzt in größter Gefahr, mein Junge. Sie werden dir die
Sache auf der Spillings-Ranch ankreiden, außerdem bist du als
Hauptzeuge in der Verhandlung gegen den Gauner in Carson
City benannt. Ich halte es für richtig, wenn du für einige Zeit
verschwindest. Du kannst unmöglich gegen den Kerl
auftreten.“

„Pa, das kann doch nicht dein Ernst sein“, erwiderte Little

Joe aufgebracht. „Du willst vor diesen Gaunern die Waffen
strecken? Du willst, daß sie bald ganz Virginia City in der
Hand haben und euch wie Weihnachtsputer ausnehmen? Ohne
mich, Pa! Ich verspreche dir, daß ich vorsichtig sein werde,
aber ich gebe nicht auf.“

In diesem Augenblick erschien Hoss auf der Treppe.
Auch er wurde kurz über alles vom Vater informiert.

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„Ja, Pa, ich bin auch dafür, daß wir nicht aufgeben“, erklärte

Hoss. „Wenn niemand auf die Aufforderung reagiert, was
sollen sie machen?“

„Ich bleibe jedenfalls mit Hawkins und drei Leuten auf der

Ranch. Sollten sie zu Verhandlungen erscheinen, so gehe ich
zuerst einmal zum Schein darauf ein. Ich nehme an, sie werden
die Kuh, die sie melken wollen, nicht so schnell töten.“

„Du gibst auch sofort wieder die Gewehre an die Leute aus,

und ich werde morgen nach Carson City reiten, um mit dem
Marshal zu sprechen“, sagte Little Joe.


Ben Cartwright sah die ganze Angelegenheit weit ernster als
seine Söhne. Gleich nachdem der leichte Kutschwagen mit
Helen, Little Joe und Hoss abgefahren war, rief er Ben
Hawkins ins Haus. Er gab vier Gewehre heraus und zu jedem
fünfzig Schuß Munition.

„Es könnte sein, daß wir heute Besuch bekommen“, sagte er

zu dem Vormann. „Ihr verteilt euch im Gelände, so daß ihr das
Haupthaus im Auge behalten könnt. Ihr laßt sie ruhig ins Haus
gehen, und dann postiert euch vor die Tür. Wenn ich euch
brauchen sollte, rufe ich euch. Laßt euch aber nicht sehen.“

„Und was mache ich, Mr. Cartwright?“ fragte Bonnie, der

auch zu Hause geblieben war.

„Für dich habe ich eine ganz besondere Aufgabe“, lächelte

dieser. „Du gehst in den Stall und sattelst Taifun.“

„Und bekomme ich kein Gewehr?“
„Das Pferd zu satteln ist viel wichtiger. Du sollst damit

nämlich zur Sheriffstation nach Virginia City reiten, wenn hier
etwas passiert.“

„Prima“, nickte der Junge.
„Aber dich darf niemand sehen“, fuhr Ben Cartwright fort.

„Deshalb gehst du zu Hop Sing in die Küche. Hörst du

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Schüsse, reitest du sofort los, verstanden? Ich verlasse mich
auf dich.“

„Das können Sie auch, Mr. Cartwright“, strahlte Bonnie. „Sie

können sich ganz auf mich verlassen.“

So war für den Besuch der Gauner alles vorbereitet, und Ben

Cartwright hatte mit der Vermutung, sie würden heute abend
kommen, richtig getippt. Die Kerle glaubten, er sei allein im
Haus, denn die Cowboys der Ponderosa hatten sich dem
Kutschwagen angeschlossen. Doch bei den Horse Rocks waren
drei der Männer umgekehrt, wie es ausgemacht war.

Ben Cartwright, der an seinem Schreibtisch saß und tat, als

wäre er mit seinen Büchern beschäftigt, hörte sie in den Hof
reiten. Am Hufschlag der Pferde stellte er fest, daß es drei
Reiter waren.

Es dauerte auch nicht lange, da wurde die Tür aufgerissen,

und drei Kerle stiefelten in den Raum. Sie hielten es offenbar
nicht einmal für notwendig, draußen einen Aufpasser
zurückzulassen, so sicher fühlten sie sich.

Ein bulliger Kerl, der am Handgelenk in einer Schlinge eine

kurze Rinderpeitsche trug, trat sofort an den Schreibtisch
heran.

„Sicher haben Sie unsere Aufforderung erhalten, und wir

möchten jetzt gerne wissen, wie Sie dazu stehen“, sagte der
Kerl. „Schließen Sie sich unserem Schutz-Ring an, kann Ihnen
nichts mehr passieren.“

„Und meinem Sohn?“
Der Mann zog ein Gesicht. „Er machte uns mächtigen Ärger,

aber wir könnten ein Auge zudrücken, wenn er nicht mehr aus
der Reihe tanzt. Mit solchen Burschen machen wir sonst
kurzen Prozeß, und wir hatten auch schon vor, ihm eine
gehörige Lektion zu erteilen.“

„Was verlangen Sie?“ fragte Ben Cartwright.

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„Zweihundert Dollar die Woche“, grinste der Kerl. „Und

damit wir Ihr Söhnchen nicht streicheln – sagen wir, insgesamt
tausend Dollar. Ich nehme an, Sie sind damit einverstanden.“

Wortlos schloß Ben Cartwright seinen Schreibtisch auf und

nahm eine Geldkassette heraus. Er legte zehn
Hundertdollarscheine auf den Tisch. „Zufrieden?“

„Selbstverständlich“, grinste der Kerl. „Warum machen Sie

nur vorher solch ein Theater? Die zweihundert Dollar
kassieren wir an jedem Mittwoch. Richten Sie sich also darauf
ein.“ Er steckte das Geld in die Tasche. „Damit wäre also alles
klar. Die Ponderosa steht ab jetzt unter unserem Schutz.“

Als die Kerle gegangen waren, lehnte sich Ben Cartwright

aufseufzend in seinen Sessel zurück. Damit war er seine größte
Sorge los. Der Gedanke, sie könnten sich an Little Joe rächen,
hatte ihn fast verzweifeln lassen. Diese Gefahr war jetzt
gebannt.

In der Tür zum Flur erschienen Hop Sing und Bonnie. Der

Chinese hielt sein Schlachtmesser in der Hand.

„Sie foltleiten, Mistel Caltwlight“, meldete Hop Sing. „Jetzt

alles gut. Ich alles gehölt. Sie sehl klug gewesen. Little Joe
jetzt nichts mehl passielen.“

„Ich hoffe es“, seufzte der Rancher.
„Und ich brauche jetzt nicht mehr zur Sheriffstation zu

reiten?“ fragte Bonnie enttäuscht. „Ich hätte so gerne etwas für
Sie getan.“

Cartwright lächelte. „Sei froh, daß wir den Sheriff nicht nötig

haben…“ Er brach ab und sah auf.

In der Tür zum Hof stand Ben Hawkins. „Chef, die Kerle

sind in Richtung der Stadt geritten. Es waren vier Mann. Einen
ließen sie an der Straße zurück. Der Junge hätte die
Sheriffstation niemals erreicht.“

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„Dann handelte ich also richtig“, murmelte Cartwright leise

vor sich hin. „Wäre dem Jungen etwas geschehen, ich hätte mir
mein Lebtag Vorwürfe gemacht.“

„Und noch etwas, Chef: Norman an der Nordkoppel gab

einen Schuß ab. Wir wissen nicht, warum, aber Eddie ist sofort
losgeritten. Er muß jeden Augenblick zurückkommen.“

Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, da trat ein Cowboy

in die Tür.

„Nun, was ist, Eddie?“ fragte Cartwright gespannt.
„Paiutes“, erklärte der Mann. „Eine ganze Gruppe. Sie haben

sich auf der Nordkoppel niedergelassen.“

„Und was wollen Sie?“
„Mit Ihnen sprechen, Chef. Es muß etwas passiert sein.“
„Zündet ein Feuer an. Ich komme sofort.“
Die Paiute-Indianer, die in einem Reservat lebten, mieden die

Stadt. Sie hatten Ben Cartwright zu ihrem Vertrauten gemacht,
und wenn sie etwas vorzubringen hatten, kamen sie zur
Ponderosa. Ben Cartwright hatte es durchgesetzt, daß die
Indianer in ihrem Reservat Schußwaffen tragen durften. Die
Gewehre, die ihnen die Armee zur Bekämpfung eines
aufsässigen Zweigstammes zur Verfügung gestellt hatte, waren
nicht zurückverlangt worden. Dafür hatte sich Ben Cartwright
besonders eingesetzt. Damit hatte er illegalen Waffenhändlern
das Handwerk gelegt und sich gleichzeitig das Vertrauen der
Paiutes erworben. Trotzdem betraten die Indianer nie das
Haus. Sie ließen sich auf einer der Koppeln nieder und
warteten. So war es auch heute.

Als Ben Cartwright zur Nordkoppel kam, hatten seine Leute

bereits das Feuer angezündet. Ein mächtiger Holzstoß flammte
in den Nachthimmel. Um ihn hatten sich die Paiutes gruppiert.
Tenaque, der jüngste Sohn des Häuptlings Grauer Wolf, führte
die Abordnung an. Tenaque war durch Little Joe vor einem

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schlimmen Schicksal bewahrt worden. So war er den
Cartwrights besonders zugetan.

Tenaque hob beide Hände in Höhe des Kopfes, als Ben

Cartwright in den Feuerschein trat.

Cartwright grüßte auf gleiche Weise und ließ sich vor dem.

Häuptlingssohn nieder.

„Du hast eine Botschaft von deinem Vater, dem tapferen

Stammesführer der Paiutes?“ fragte Ben Cartwright.

„Er schickt dem großen Häuptling in Washington seine

Achtung und seine Grüße“, antwortete Tenaque. „Die Paiutes
richten sich nach den sprechenden Papieren und lassen die
weißen Siedler frei durch ihr Land ziehen, aber es gibt weiße
Männer, die in unserem Gebiet auf die Jagd gehen. Sie nehmen
den Paiutes Fleisch und Vorräte ab und stecken ihre Wigwams
in Brand.“

„Und wer sind diese Männer?“
„Sie kommen von jenseits des Flusses“, erklärte Tenaque.

„Sie kommen aus einer Stadt, die die Weißen Rebel Corners
nennen. Unsere Späher sind ihnen gefolgt.“

„Und warum wehrt ihr euch nicht?“ fragte Ben Cartwright.

„Diese Weißen sind auch unsere Feinde. Sie dürfen in eurem
Reservat nicht jagen und euch belästigen.“

„Das sagst du“, erwiderte Tenaque. „Wenn wir mit ihnen

kämpfen, kommen die Soldaten von Fort Greenwell. Wir sind
Indianer, und sie sind Weiße. Sie werden den Weißen glauben
und nicht uns.“

„Das ist ein Irrtum“, entgegnete Cartwright. „Der große

Häuptling in Washington hat auch den Sheriff für euch
eingesetzt. Ich werde eure Klagen an ihn weitergeben.“

„Deine Zunge spricht ehrlich mit den Kriegern der Paiutes,

und zu dir haben wir Vertrauen.“ Tenaque hob die Hand, und
aus dem Dunkel trottete ein struppiges Indianerpferd in den
Schein des Feuers. Es zog einen Indianerschlitten, zwei dünne

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Baumstämme, zwischen denen Lederhäute befestigt waren.
Auf ihm lag eine in Decken gehüllte Gestalt.

Cartwright zog die Decke beiseite und starrte in das bleiche

Gesicht eines Weißen. Er sah Tenaque fragend an. Was hatte
das zu bedeuten?

„Zwei weiße Männer erschossen ihn auf unserem Gebiet“,

erklärte der Häuptlingssohn. „Man wird sagen, die Paiutes
haben ihn getötet, und deshalb kommen wir zu dir.“

„Und wann habt ihr ihn gefunden?“
„Dreimal wechselte der Tag mit der Nacht.“ Tenaque hob

drei Finger seiner Rechten. „Drei meiner Krieger haben die
Weißen beobachtet. Sie sind mit vier anderen weißen Männern
nach Carson City geritten.“

„Bringt ihn in die Scheune“, wandte sich Ben Cartwright an

seine Leute. „Und dann werden wir den Sheriff verständigen.“

Nachdem die Indianer abgezogen waren, ging Cartwright in

die Scheune, um sich den Toten noch einmal anzusehen.

„Er hat zwei Schüsse im Rücken, Chef“, erklärte Ben

Hawkins, der den Toten inzwischen untersucht hatte. „Die
Kerle haben ihn von hinten abgeknallt. Es war also glatter
Mord.“

Ben Cartwright nickte gedankenvoll.
„Und noch etwas, Chef!“ Hawkins deutete auf die

Lederweste des Toten. „Sehen Sie hier die helle Stelle?“

Der helle Fleck auf der verblichenen Lederweste zeigte

deutlich die Form eines Sternes.

„Wenn mich nicht alles täuscht, hat der Mann hier einen

Sheriffstern getragen“, fuhr Hawkins fort. „Vermutlich stammt
er aus Carson City und ist von Blackburn als Hilfssheriff
eingestellt worden. Ich kenne ihn nicht.“

Bonnie, der mit Cartwright in die Scheune gekommen war,

trat an den Toten heran.

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Der Rancher zog den Jungen zurück. „Komm, geh ins Haus,

das ist nichts für dich.“

„Aber ich wollte Ihnen doch nur sagen, wer der Mann ist“,

erklärte Bonnie.

„Du kennst diesen Mann?“
Der Junge nickte eifrig. „Ja, Mr. Cartwright. Das ist Marshal

Kelling aus Chestertown.“

„Unsinn, Chef! – Wir haben den Marshal auf der Spillings-

Ranch kennengelernt und noch vor zwei Tagen mit ihm und
Sheriff Blackburn verhandelt. Die Indianer erklärten, die Sache
sei vor drei Tagen passiert. Der Junge muß sich täuschen.“

„Nein, Mr. Cartwright, ich täusche mich wirklich nicht“,

ereiferte sich Bonnie. „Es ist Marshal Kelling. Ich kenne ihn
ganz genau. Fragen Sie doch meine Schwester, sie wird Ihnen
das bestätigen können.“

Cartwright überlegte eine Weile, dann hatte er die

Zusammenhänge durchschaut. „Kommt, wir laden den Toten
auf den Wagen und bringen ihn zur Sheriffstation“, sagte er zu
seinen Männern.

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Der Ritt nach Chestertown



Im Saloon-Hotel erregten die Cartwright-Söhne mit ihrer
hübschen Begleiterin natürlich erhebliches Aufsehen.

Helen trug ein hellgrünes Kleid und hatte sich ihr rotes Haar

zu einem Mittelscheitel mit einem tiefen Nackenknoten frisiert.

Hoss und Little Joe mußten sie immer bewundernd ansehen.
„Was schaut ihr mich so an?“ fragte Helen. „Das ist mein

einziges gutes Kleid, und ich hoffe, es gefällt euch.“

Auch Cora Orton und ihr Vater waren zu dem Fest

erschienen. Cora sah zwar etwas verwundert drein, aber dann
lachte sie ihnen fröhlich zu.

Der Abend begann mit der Darbietung einer Theatergruppe,

die eigens aus San Franzisko nach Virginia City gekommen
war. Nach der Aufführung folgte der gemütliche Teil mit
humorvollen Vorträgen und Tanz.

Der Platz vor der langen Theke im Hauptraum wurde

geräumt, und hier stellten sich die Paare zu dem traditionellen
Rundtanz auf.

Cora hatte inzwischen die Bekanntschaft Helens gemacht,

und es schien, daß sich die beiden Mädchen sympathisch
waren. Bei dem ersten Rundtanz war Hoss natürlich Cora
Ortons Partner, und Little Joe sparte nicht mit spitzen
Bemerkungen über das verliebte Nilpferd. Er führte Helen auf
die Tanzfläche. Bald herrschte eine ausgelassene Stimmung.
Es wurde auch abgeklatscht, und so flog Helen von einem Arm
in den anderen. Schließlich landete sie aber wieder in den
Armen Little Joes. Helen amüsierte sich köstlich und ließ
keinen Tanz aus, und Little Joe war stolz darüber, daß man
seine Partnerin bewunderte.

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Und dann geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte.
Die Schwingtür des Saloons wurde plötzlich aufgestoßen,

und in der Tür erschienen drei Kerle, die nicht so recht in den
Rahmen des fröhlichen Festes passen wollten. Es waren die
gleichen Burschen, die vor einigen Stunden der Ponderosa
einen Besuch abgestattet hatten. Die Hände auf den Kolben
ihrer Revolver, ließen sie ihre Blicke umhergehen. Als sie
erkannten, daß alle Männer unbewaffnet waren, stiefelten sie
zur Theke und verlangten etwas zu trinken.

Little Joe, der Helen gerade wieder auf die Tanzfläche führte,

vermutete sofort: Das waren Banditen, die aus einem ganz
bestimmten Grund hier erschienen.

Einer von ihnen, ein großer Kerl, dessen Revolvergürtel mit

mexikanischen Silbermünzen verziert war, trug eine kurze
Rinderpeitsche am Handgelenk. Mit ihr schlug er auf die
Theke, um den Wirt zur schnelleren Bedienung anzuspornen.

Die beiden anderen Kerle beobachteten grinsend die

Tanzenden, von denen einige sofort die Tanzfläche verließen
und sich in den Hintergrund des Raumes zurückzogen.

Little Joe merkte, daß Helen unruhig wurde. Er versuchte, sie

zu beruhigen, indem er erklärte, die Kerle würden vermutlich
bald wieder abziehen. Außerdem könne man jederzeit den
Sheriff rufen.

„Was macht ihr, wenn sie euch jetzt ausplündern?“ fragte das

Mädchen. „Es war eine Dummheit, die Waffen abzugeben.“

Alle Männer hatten ihr Revolvergürtel zu Beginn des Festes

abgeben müssen. Um Schießereien zu vermeiden, hatte der
Sheriff diese Anordnung getroffen. Sie mochte ihre Vorteile
haben, aber dadurch war man diesen Kerlen jetzt wehrlos
ausgeliefert.

Die Männer an der Theke blieben aber ruhig.
So reihten sich Little Joe und Helen wieder unter die

Tanzenden ein. Doch da stand plötzlich der Kerl mit der

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Rinderpeitsche neben ihnen. Er starrte Helen mit großen
Augen an.

„He, sehe ich recht? – Die Red Lilly aus Silverstone! –

Kindchen, das Tänzchen gehört aber mir.“

Little Joe musterte ihn. „Sie müssen sich irren, Mister“, sagte

er und schob ihn beiseite.

„Ich mich irren“, lachte der Mann. „Das ist Lilly Baker. Wir

nannten sie in Carters Bier-Saloon die rote Lilly.“ Er drehte
sich zu seinen Kumpanen um. „He, Leute, kommt mal her! –
Wer ist die Dame?“

Einer von den Kerlen kam langsam näher. „Na, die rote

Lilly“, grinste er. „Willst du uns etwa nicht mehr kennen?“

„Ich kenne Sie wirklich nicht“, sagte Helen empört. „Lassen

Sie mich in Ruhe. Sie verwechseln mich.“

„Na, schön! Vornehm geworden, wie?“ Der Kerl ging wieder

an die Theke zurück.

Der Bursche mit der Rinderpeitsche wartete noch.
„Ich nehme an, Sie hörten, was die Dame sagte“, fuhr ihn

Little Joe an.

„Das hörte ich schon, aber es ist Blödsinn“, erwiderte der

Kerl und stemmte die Hände in die Seiten… „Und dir möchte
ich eines sagen, Joe Cartwright: Du stehst bei uns auf der
schwarzen Liste. Wir haben es nicht gern, wenn Leute ihre
Nasen in Sachen stecken, die sie nichts angehen. Wir meinen
damit die Spillings-Ranch.“

Jetzt wußte Little Joe, was er von diesen Kerlen zu halten

hatte. Der Vater hatte also recht. Der Schutz-Ring war noch
immer in Aktion.

Waren sie seinetwegen gekommen? Er war ihnen jetzt

ausgeliefert.

„Aber keine Sorge, mein Junge“, fuhr der Kerl fort. „Wir

halten, was wir versprechen. Hätte uns dein Alter nicht tausend
Dollar gezahlt, könnte er dir jetzt einen Sarg kaufen. Dadurch

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hast du Schonzeit, mein Kleiner!“ Er wandte sich an die Leute
im Gastraum. „Ja, Mr. Cartwright von der Ponderosa geht euch
mit gutem Beispiel voran. Er ist dem Schutz-Ring beigetreten.“

„Das stimmt nicht“, empörte sich Little Joe. „Mein Vater

würde den Kerlen niemals nachgeben. Er lügt.“

„Dann wärst du jetzt längst tot, Milchgesicht“, grinste der

Mann mit der Rinderpeitsche. „Du warst ihm achthundert
Dollar wert. Ein teures Söhnchen. Ihr braucht nämlich nur
zweihundert Dollar zu zahlen, wenn ihr dem Ring beitretet.“
Er warf einen Blick auf die Uhr über der Bartheke. „Sonst
passiert euch das, was wir euch jetzt vorführen wollen.“

Er rief die Namen von drei Ranchern auf, die sich im

Gastraum befanden.

„Kommt her, ihr braucht keine Angst zu haben“, lachte der

Kerl. „Wir wollen euch nur etwas zeigen.“

Zögernd traten die Männer näher und wurden von den Kerlen

zum Fenster geführt.

„Geradewegs vor uns, in dieser Richtung, liegen eure

Farmen. Stimmt das?“

Die Männer nickten.
„So, und seht jetzt auf die Uhr“, forderte der Kerl mit der

Peitsche.

Alle starrten zur Uhr, die in wenigen Sekunden eine volle

Stunde anzeigte. Der Zeiger rückte jetzt vor. Es war genau eine
Stunde vor Mitternacht.

„Nun schaut durch das Fenster!“
Weit hinten am Horizont flammte im nächsten Augenblick

heller Feuerschein auf.

Bald waren es drei Brände, die sich vor dem dunklen

Nachthimmel abhoben.

„Es sind nur die Scheunen, die brennen“, sagte der Mann mit

der Rinderpeitsche zu den Männern, die ihn angstvoll
anstarrten. „Beim nächsten Mal werden es die Hauptgebäude

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sein. Ich hoffe, ihr entschließt euch doch noch, dem Schutz-
Ring beizutreten.“

Im Gastraum nahm die Menge eine drohende Haltung an.
Die Kerle zogen ihre Revolver.
„Seid nicht dumm, Leute“, warnte der Mann mit der

Rinderpeitsche. „Wir wollten euch nur zeigen, was passiert,
wenn ihr nicht beitretet. So eine gefüllte Scheune ist doch
mehr als zweihundert Dollar wert – und erst die Haupthäuser!“

In Little Joe kam eine ohnmächtige Wut auf. Das alles war

organisiert, um den Leuten Furcht einzujagen, und die Kerle
hatten darin ihre Methode. Hinter sich hörte er die Stimme
seines Bruders.

„Bleib ruhig, Junge! – Wir können ohne Waffen nichts gegen

sie ausrichten.“

Die Kerle gingen rückwärts zur Tür, ihre Colts auf die Menge

gerichtet. Sie schoben mit dem Rücken die Schwingtür
beiseite, und dann sah Little Joe etwas, was er nicht für
möglich gehalten hatte.

Draußen, auf der Treppe zur Straße, standen Sheriff Coffee,

Ben Cartwright und Ben Hawkins mit den drei Cowboys der
Ponderosa. Sie hielten Gewehre in den Händen. Die Gauner
spürten plötzlich Gewehrläufe in ihrem Rücken und hörten die
kalte Stimme des Sheriffs, der sie zum Wegwerfen der Waffen
aufforderte.

Die Waffen polterten zu Boden, und die Kerle hoben die

Hände.

Sofort waren einige Männer heran. Mit dem Ruf „Hängt sie

auf!“ drängten sie auf die Banditen ein.

Sheriff Coffee und Ben Cartwright hatten alle Mühe, die

aufgebrachten Männer zurückzuhalten.

„Seid vernünftig, Leute!“ Sheriff Coffee trat der Menge mit

dem Gewehr in der Hand entgegen. „In Virginia City wird

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niemand ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren gehängt, und
das werden die Kerle bekommen.“

„Ja, wenn sie nicht vorher ausreißen oder befreit werden“,

tönte es aus der Menge. „Brandstifter hängt man sofort auf!“

„Beruhigt euch, Leute! Wir werden sie gleich morgen nach

Fort Greenwell bringen. Dort dürfte ihnen ein Ausbrechen
kaum möglich sein. Helft die Brände löschen. Das ist jetzt eure
Aufgabe. Versucht, die Kerle zu erwischen, die das Feuer
anlegten.“

Damit hatte der Sheriff ein Signal gegeben. Die

aufgebrachten Männer stürzten in das Lokal zurück, um sich
zu bewaffnen. Kurze Zeit später preschte eine Gruppe Reiter
aus der Stadt.

„Hawkins kann Miß Helen nach Hause bringen“, wandte sich

Ben Cartwright an seine Söhne. „Aber vorher bittet sie der
Sheriff, einen Mann zu identifizieren. Paiutes fanden ihn bei
den Dogg Rocks erschossen auf.“

„Das will ich gerne tun“, antwortete die Rothaarige und trat

an den Wagen heran.

Coffee zog die Decke zurück und hob eine Stallaterne.

„Kennen Sie diesen Mann, Miß Wells?“

Helen starrte mit großen Augen auf den Toten. „Ja, das ist

Marshal Kelling aus Chestertown“, antwortete sie leise.

„Unmöglich“, wandte Little Joe aufgebracht ein. „Wir haben

mit Kelling auf der Spillings-Ranch verhandelt.“

„Eben nicht“, erwiderte Ben Cartwright. „Der Mann, der sich

dort Kelling nannte, war der Mörder des Marshals und gehört
der Ring-Bande an.“

„Mein Gott, was mag dann inzwischen in Carson City

passiert sein?“ stieß Little Joe erregt hervor. „Sheriff
Blackburn hielt diesen Mann auch für Marshal Kelling.
Offenbar hat er Kelling vorher nie persönlich gesehen.“

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Ben Hawkins fuhr mit dem Einspänner heran, um Helen nach

Hause zu bringen. Little Joe und Hoss folgten dem Vater in die
Sheriffstation.

Dort saßen die drei Banditen bereits hinter den Gittern des

Haftraumes. Ben Turner, der Hilfssheriff, hatte ihnen die
Taschen geleert und hielt ein Bündel Geldscheine hoch.

„Das Geld gehört Ihnen, nicht wahr, Mr. Cartwright?“
„Pa, dann stimmte es also doch, was der Kerl behauptete“,

erregte sich Little Joe. „Du wolltest tatsächlich…“

„Ich wollte dich vor ihnen schützen, Junge, und das war im

Augenblick die einzige Möglichkeit.“

„Bist du wirklich so dumm, daß du das nicht kapierst?“ fuhr

Hoss seinen Bruder an. „Du wärst längst tot. Ich denke, das
wurde dir deutlich genug gesagt.“

Little Joe nickte. „Entschuldige, Pa! Hoss hat recht.“ Er

schlug sich mit der Hand vor die Stirn. „Wie konnte ich nur so
dumm sein.“

Noch in der gleichen Nacht wurde der Stadtrat von Virginia

City zusammengerufen. Es wurde die Bildung einer
Bürgerwehr beschlossen, die den Schutz der Ranches
übernehmen sollte. Man beschloß weiter, die Gefangenen nicht
nach Fort Greenwell zu überführen, sondern in das
Bezirksgefängnis von Chestertown einzuliefern. Coffee kam
zu dieser Änderung, weil er befürchtete, die Gefangenen
könnten auf dem Weg durch die Berge von der Bande befreit
werden. Auf jeden Fall sollte alles unternommen werden, daß
die Banditen in Virginia City keinen Fuß fassen konnten.
Sheriff Coffee bat die Cartwright-Söhne, ihm und Ben Turner
beim Transport der Gefangenen nach Chestertown behilflich
zu sein.

„Und das muß morgen in aller Frühe geschehen“, erklärte er.

„Noch weiß niemand von den Burschen, daß drei ihrer
Kumpane festgenommen sind. Wir müssen uns aber auf alles

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gefaßt machen. Erfahren sie es, werden sie unter allen
Umständen versuchen, ihre Leute zu befreien, um sie am
Aussagen zu hindern.“

Dieser Ansicht war Ben Cartwright auch. Er schlug deshalb

vor, die drei Burschen sofort ins Verhör zu nehmen.

Bei diesem Verhör kam jedoch nichts heraus. Die Kerle

schwiegen. Sie waren durch nichts zu bewegen, Angaben über
die Ring-Bande zu machen. An ihrem ganzen Auftreten merkte
man, daß sie fest damit rechneten, bald befreit zu werden.

Und da fiel Ben Cartwright plötzlich ein, daß Hawkins von

einem vierten Mann gesprochen hatte, den sie bei ihrem
Besuch auf der Ponderosa an der Straße zurückließen. Dieser
Mann, der vermutlich auch vor dem Saloon-Hotel als
Beobachter fungiert hatte, war ihnen entkommen. Man konnte
also damit rechnen, daß die Bande inzwischen über die
Vorgänge im Saloon-Hotel informiert war. Diese
Überlegungen teilte er Sheriff Coffee mit. Der Sheriff war
jedoch der Ansicht, die Bande würde einen Überfall auf
Virginia City kaum wagen.

Am nächsten Morgen gab es für die Cartwrights eine große

Überraschung. Helen Wells und ihr Bruder hatten die
Ponderosa verlassen. Hop Sing erklärte, Helen habe ihn schon
gestern abend gebeten, ihr bei der Abreise behilflich zu sein.

„Ich machen gutes Ploviant fül schönes Miß, und sie heute

molgen ganz flüh abgefahlen“, berichtete der Chinese. „Sie
sagen, ich Sie nicht wecken. Sie nichts wissen davon?“

„Kannst du das verstehen, Pa?“ fragte Little Joe.
Ben Cartwright hob die Schultern. „Natürlich nicht, aber

vermutlich wird sie ihre Gründe haben.“

„Und hiel ein Blief fül Mistel Joe.“ Hop Sing zog das

Schreiben aus der Tasche seiner schwarzen Seidenjacke.

„Sie noch gesteln abend schleiben, als alle noch walen in del

Stadt.“

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Little Joe riß den Umschlag auf. Der Briefbogen enthielt nur

wenige Zeilen. Helen teilte mit, sie habe sich kurz
entschlossen, abzureisen, und danke für die Gastfreundschaft.
Der Brief schloß mit den Worten: „Es bleibt aber bei unserer
Abmachung. Sollte ich Sie brauchen, schicke ich Bonnie
zurück.“


Chestertown lag hinter der nächsten Hügelkette, aber die war
noch fünfzig Meilen entfernt. Es dunkelte bereits, und den
Pferden mußte unbedingt eine Ruhepause gegönnt werden.
Links von ihnen lag Carson City.

Ben Turner, der vor der Postkutsche ritt, ließ den Wagen

anhalten. Sofort waren Little Joe, Hoss und Hawkins an seiner
Seite. Sie bildeten die Begleitmannschaft des
Gefangenentransportes.

„Bis Chestertown werden wir es nicht mehr schaffen“, meinte

Turner. „Ich denke, wir bleiben in Carson City und lassen die
Kerle über Nacht dort ins Gefängnis sperren.“

Seit dem frühen Morgen war Ben Turner mit dem

Gefangenentransport unterwegs. Um etwaige Beobachter
irrezuführen, war Sheriff Coffee auf die Idee gekommen, die
Gefangenen in einer Postkutsche zu überführen. Die State
Lines hatte ihm ein solches Gefährt zur Verfügung gestellt.
Noch vor Morgengrauen waren die Kerle gefesselt in die
Kutsche gesetzt worden, die dann einige Stunden später ganz
planmäßig und nur mit den beiden Kutschern besetzt vor dem
Gebäude der State Lines abfuhr. Jeder mußte glauben, es sei
die normale Linien-Post, deren Abfahrtzeit aber um eine
Stunde später verschoben worden war.

Erst außerhalb der Stadt stießen der Hilfssheriff und seine

Begleitmannschaft zu dem Wagen, um ihn nach Chestertown
zu bringen. Bisher hatte alles ausgezeichnet geklappt. Die List

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war offenbar gelungen. Sheriff Coffee kam es darauf an, daß
den Kerlen in Chestertown der Prozeß gemacht wurde, um ein
Exempel zu statuieren. Die Kerle sollten merken, daß es auch
Männer gab, die sich nicht fürchteten, ihnen entgegenzutreten.

Little Joe war nicht sehr begeistert, die Nacht in Carson City

zu verbringen, denn man wußte nicht, was dort inzwischen
geschehen war. Die Postreiter berichteten zwar, in der Stadt sei
alles ruhig, aber diese Ruhe konnte auch etwas anderes
bedeuten. Sie konnte bedeuten, daß sich die Bürger wieder
dem Terror der Banditen untergeordnet hatten. In Carson City
gab es wenig Helden.

„Drei Meilen sind es noch bis zu den Dogg Rocks“, überlegte

Little Joe. „Ich schlage vor, wir bleiben die Nacht über dort im
Freien und fahren morgen früh gleich weiter.“

„Der Ansicht bin ich auch“, nickte Hoss. „Es ist zu

gefährlich, die Kerle in die Stadt zu bringen.“ Er sah seinen
Bruder an. „Aber wir könnten uns dort einmal umsehen.“

Ben Turner war einverstanden.
Die Dogg Rocks, eine dem Gebirge vorgelagerte zerklüftete

Felsengruppe mit zahlreichen Schluchten, boten ein gutes
Versteck. Ein Beobachter konnte von dort aus das ganze
Gebiet und einen Teil der Straße nach Chestertown übersehen.
Vor Überraschungen war man also sicher.

Bald stand die Postkutsche, hinter Felswänden verborgen, in

einer Schlucht. Die Pferde wurden ausgespannt und versorgt.
Bald brannte ein kleines Feuer, auf dem Ben Hawkins einen
Topf Bohnen mit Speck heiß machte. Die Gefangenen durften
den Wagen verlassen und hockten mit mürrischem Gesicht am
Feuer. Zum Essen wurden ihnen die Handfesseln
abgenommen, aber Ben Hawkins belauerte mit dem Gewehr in
der Hand jede ihrer Bewegungen. Nach dem Essen bekam
jeder von ihnen einen gesonderten Ruheplatz zugewiesen,
damit sie nicht miteinander sprechen konnten. Einer der

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Kutscher übernahm es, die Gefangenen im Auge zu behalten,
während Hawkins oben in den Felsen die Wache übernahm.
Ben Turner und der andere Kutscher legten sich zur Ruhe. Sie
wollten später die Wachen ablösen. Hoss und Little Joe
machten sich aber auf den Weg nach Carson City, und es sollte
sich herausstellen, daß dieser Besuch nicht umsonst gewesen
war.

In der Stadt war alles ruhig. Hinter der Schwingtür des

Saloons ertönten das Hämmern eines Klaviers und das
Wimmern einer Geige. Sie banden ihr Pferd an den
Haltebalken vor dem Saloon und warfen einen Blick in den
Schankraum.

Little Joe fuhr aber sofort wieder zurück, denn an der Theke

stand der Mann, der sich als Marshal Kelling ausgegeben hatte.
Er unterhielt sich mit einem Kerl, in dem Little Joe ohne
Zweifel den Mann wiedererkannte, der hier im Saloon den
Rancher niedergeschossen hatte und der später auf der
Spillings-Ranch durch den falschen Kelling festgenommen
worden war.

Da in diesem Augenblick mehrere Reiter herantrabten,

verließen die Brüder eilig ihren Beobachtungsplatz. Sie fanden
das Tor der nebenan liegenden Poststation offen und standen
bald darauf in dem dunklen Hof. Nur ein Bretterzaun trennte
sie vom Hinterhof des Saloons. Sie schwangen sich hinüber
und öffneten vorsichtig die Hintertür.

Ein schmaler Flur, der in den Schankraum führte, lag vor

ihnen. Sie hörten Gelächter und rauhe Stimmen. Offenbar
hatten die Reiter den Schankraum betreten.

Hoss deutete auf eine Treppe, die in die oberen Räume

führte.

Little Joe nickte, und so stiegen sie vorsichtig die Treppe

hinauf. Oben auf dem Treppenpodest stießen sie auf Paula
Newton, die aus ihrem Zimmer kam. Das Mädchen legte

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erschrocken die Hände auf den Mund, aber dann hatte es sich
sofort gefaßt. Es öffnete die Tür seines Zimmers und ließ die
Männer eintreten.

„Um Gottes willen“, stieß Paula erregt hervor. „Ihr müßt

sofort die Stadt verlassen. Die Kerle haben hier ihr
Hauptquartier. Es dreht sich bei ihnen alles um eure
Gefangenen in Virginia City. Sie sollen befreit werden. Ich
hörte, wie sie darüber sprachen.“

„Und was?“ forschte Little Joe.
„Sie suchen seit heute mittag eine Postkutsche, mit der die

Gefangenen nach Chestertown gebracht werden sollen.“

Hoss sah seinen Bruder an. „Sie wissen es also bereits.“
„Sie haben es aus einem jungen Mann herausgeprügelt“,

berichtete Paula weiter. „Auf dem Weg nach Chestertown
sollen sie ihn erwischt haben.“

„Das kann nur Steve Collins sein“, stieß Little Joe erregt

hervor.

Steve Collins war aus Sicherheitsgründen von Sheriff Coffee

damit beauftragt worden, das Eintreffen der Gefangenen den
Behörden von Chestertown im voraus zu melden und ihnen
auch die Ermordung Marshal Kellings bekanntzugeben. Auch
sollte er dafür sorgen, daß dem Transport ein Kommando aus
Chestertown entgegenkam. Er hatte seinen Auftrag also nicht
ausführen können.

„Und wo ist dieser junge Mann jetzt?“ fragte Hoss.
„Unten in der Futterkammer. Sie haben ihn dort eingesperrt

und wollen ihn als Geisel festhalten, um ihn gegen ihre Leute
auszutauschen. Ich darf ihm nicht einmal Wasser bringen.“

„Zum Teufel, woher weißt du das alles?“ fragte Little Joe.

„Du bist ja nicht mit Gold aufzuwiegen. Dieser junge Mann ist
einer unserer besten Freunde. Wir müssen ihm helfen.“

„Ich hasse diese Kerle“, sagte Paula. „Die ganze Stadt kriecht

vor ihnen, und niemand kann sich aufraffen, ihnen

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entgegenzutreten. Sogar der Sheriff hält sich beide Augen zu,
obwohl er genau sieht, was hier gespielt wird.“ Sie ging zur
Tür. „Ich werde jetzt Vaters Pferd satteln. Hoffentlich ist der
junge Mann in der Lage, sich im Sattel zu halten.“

„Und wo ist die Futterkammer?“
„Gleich im Hof, links vor den Pferdeboxen.“ Paula ging zur

Tür. „In zehn Minuten. Du mußt aber die Tür aufbrechen. Sie
haben den Schlüssel.“ Damit verließ sie den Raum.

Hoss bekam den Auftrag, die Pferde zum hinteren Hoftor zu

bringen und dort zu warten. Wortlos ging er hinaus, aber sein
Gesicht zeigte Besorgnis.

Little Joe wartete noch die verabredete Zeit ab, dann ging er

nach unten. Schon auf der Treppe hörte er die Kerle im
Schankraum grölen. Sie fühlten sich völlig sicher. Leise
öffnete er die Tür zum Hof.

Im Pferdestall war niemand. Das Licht einer Stallaterne

erhellte den Raum. In den Boxen schnaubten die Pferde, und
Little Joe stellte fest, daß das Pferd in der ersten Box gesattelt
war. Vermutlich war Paula jetzt im Schankraum, um die
Männer unter Kontrolle zu haben.

Draußen rührte sich nichts. Von weit her hörte er das

Geräusch von Pferdehufen. Das konnte nur Hoss mit den
Pferden sein.

Little Joe trat an die Tür der Futterkammer heran und klopfte.

„He, Steve, ich bin es, Joe! – Gib Antwort!“

Hinter der Tür war ein schwaches Stöhnen zu hören.
„Hast du verstanden, Steve? – Hier ist Little Joe! Kannst du

dich im Sattel halten?“

Jetzt wurde ein Geräusch hörbar. Jemand trat an die Tür

heran, und dann sagte Steve: „Joe, ich kann es nicht glauben –
bist du es wirklich?“

„Ja, Steve!“

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„Dann hole mich hier heraus, sonst schlagen sie mich tot. Ich

kann nicht mehr.“

„Sofort!“ Little Joe sah sich nach einem Gegenstand um, mit

dem er die Tür aufbrechen konnte. Er fand ein Beil. Die leichte
Tür gab seinen Bemühungen nach. Doch da hörte er die
Haustür ins Schloß fallen. Schritte kamen über den Hof und
näherten sich.

Schnell verbarg er sich hinter einigen Strohballen und wartete

ab.

In der Tür zum Stall erschien einer der Galgenvögel, und im

gleichen Moment trat auch Steve Collins aus der
Futterkammer. Er hatte Little Joe erwartet und sah den Mann
erschrocken an.

Der Kerl, der Steve offenbar zu einem neuen Verhör holen

wollte, zog sofort seinen Colt. „Was sehe ich da – du hast dir
die Tür selbst geöffnet“, höhnte er. „Ja, komm nur,
Freundchen! Das sage ich dir aber gleich: Wenn du jetzt den
Mund nicht aufmachst, kannst du was erleben.“

Steve starrte ihn haßerfüllt an. Sein Gesicht war geschwollen.

Er hielt sich nur mühsam auf den Beinen.

Sein Anblick brachte Little Joe in Wut. Mit einem Sprung

war er hinter dem Kerl und schlug ihm den Revolverkolben auf
den Schädel. Der Mann sackte zusammen.

„Joe, du bist es doch?“ Steve Collins wollte es nicht glauben.
„Reiß dich zusammen!“ rief Little Joe dem Freund zu,

während er das Pferd aus der Box holte. „Wir müssen die
Dogg Rocks erreichen. – Los, steig auf!“ Er half Steve in den
Sattel und führte das Pferd zum Hoftor, das sich im gleichen
Moment bereits öffnete.

Hoss war auf dem Posten. „Gott sei Dank!“ empfing er die

beiden. „Jetzt aber fort!“

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Schon saß Little Joe im Sattel, aber da erschien einer der

Galgenvögel im Hof. Blitzartig erkannte er die Situation. Er
zog seinen Colt und begann sofort zu feuern.

Little Joe erwiderte das Feuer und rief Hoss zu: „Los, reitet

zu den Dogg Rocks! – Ich will versuchen, sie abzuschütteln.
Wir treffen uns dort.“ Damit gab er Taifun die Schenkel und
preschte auf die Straße hinaus.

Inzwischen waren die Banditen durch die Schüsse alarmiert

worden. Sie schwangen sich vor dem Saloon auf ihre Pferde
und folgten Little Joe, der sie vom Pferd aus unter Feuer nahm.
Auf diese Weise gelang es ihm, die Kerle von einer
Verfolgung der anderen abzuhalten. Alle hefteten sich auf
seine Spur, und er nahm den Weg zur Paßstraße in Richtung
Virginia City. Sie sollten glauben, er sei von dort gekommen.

Bei den Eagle Rocks gingen sie ihm in die Falle, und da in

diesem Augenblick der Mond hinter den Wolken verschwand,
war Little Joe sicher, daß sein Trick gelingen würde. Er kannte
sich in diesem Gelände aus. Die hundert Meter Vorsprung
genügten völlig. So brach er mit dem schweißbedeckten Taifun
seitlich aus und verschwand hinter einer Felswand, während
die Banditen ihre Jagd über die Paßstraße fortsetzten. Es würde
lange dauern, bis sie bemerkten, daß sie einer List aufgesessen
waren.

Kurz vor Morgengrauen erreichte Little Joe die Dogg Rocks.

Ohne von den Banditen behelligt zu werden, waren Hoss und
Steve Collins dort angekommen. Sie saßen bereits beim
Frühstück, denn Ben Turner wollte möglichst schnell weiter,
um die Gefangenen abzuliefern.

Dazu sollte es aber nicht kommen. Noch während sie die

Pferde vor den Wagen spannten, bekamen sie von Hawkins,
der oben in den Felsen als Beobachter saß, die Meldung, daß
sich aus Richtung der Stadt eine Reitergruppe näherte.

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Sofort kletterte Little Joe zu ihm in die Felsen. Es waren

genau fünfzehn Reiter, die sich auf der Straße nach
Chestertown bewegten. Einer von ihnen ritt voraus und hielt ab
und zu sein Pferd an.

„Das ist die ganze Bande“, sagte Hawkins. „Und wenn mich

nicht alles täuscht, haben sie als Fährtensucher einen Indianer
mitgenommen. Er wird die Spur des Wagens bis hierher mit
Leichtigkeit finden.“

Little Joe beobachtete die Reiter. Hawkins’ Meldung

stimmte. Es war ein Indianer, der die Kerle führte. Er trug
keine Kopfbedeckung.

Jetzt hatte die Reitergruppe die Stelle erreicht, an der die

Postkutsche von der Straße abgebogen war. Sekundenlang
zögerte der Indianer, aber dann gab er den Kerlen einen Wink.
Sie verließen die Straße und kamen geradewegs auf die
Felsengruppe zu.

„Und was machen wir jetzt?“ fragte Hawkins nervös. „In

spätestens zehn Minuten werden sie hier sein.“

Little Joe überlegte. Die Kerle würden die Postkutsche finden

und das Gelände absuchen. Es blieb ihnen nichts anderes
übrig, als sich oben in die Felsen zurückzuziehen. Nur so war
es möglich, sich gegen die Übermacht zu verteidigen und sich
zu halten, bis Hilfe eintraf.

„Ben, du bist jetzt unsere einzige Chance“, sagte Little Joe.

„Reite nach Virginia City und alarmiere die Bürgerwehr.
Wenn du durch den hinteren Teil der Schlucht reitest, werden
sie dich nicht bemerken.“

Der Vormann war einverstanden. „Hoffentlich könnt ihr euch

so lange halten. Ich tue, was ich kann.“

„Nimm Taifun und laß ihn laufen. In spätestens drei Stunden

müßt ihr hier sein.“

Das bezweifelte Hawkins zwar, aber er sagte nichts. Er

kletterte sofort in die Schlucht hinab, informierte Ben Turner

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über das, was sie gesehen hatten, und schwang sich auf Taifun.
In wildem Ritt verließ er die Schlucht.

Ben Turner war der gleichen Ansicht wie Little Joe. Sie

mußten sich weiter oben einen Platz suchen, von dem aus sie
die Kerle in Schach halten konnten.

Nachdem sie die Pferde hinter einer Felswand angepflockt

hatten, beluden sie die drei Galgenvögel mit den Satteltaschen
und trieben sie auf einem schmalen Pfad nach oben. Die Kerle
grinsten nur, denn sie ahnten, warum das alles geschah.

Hoss, der vorausging, entdeckte unterhalb des Berggipfels ein

Plateau, das sich ganz vorzüglich für ihren Zweck eignete. Nur
ein schmaler Pfad führte dorthin, und dieser Pfad konnte von
einem Mann, der genügend Munition besaß, gegen eine ganze
Kompanie Soldaten verteidigt werden. Es gab keine
Möglichkeit, auf andere Weise das Plateau zu erreichen.

Nach einem Marsch von einer Viertelstunde hatten sie die

Stelle erreicht und richteten sich hier auf die Verteidigung ein.
Ben Turner fesselte die Gauner mit Schließketten aneinander,
so daß sich die Kerle kaum bewegen konnten.

Inzwischen mußten die Banditen die Postkutsche entdeckt

haben.

Die beiden Kutscher, Hoss, Steve Collins und Little Joe lagen

wartend zwischen den Steinblöcken, die das Plateau
begrenzten. Sie hielten ihre Gewehre im Anschlag, um die
Kerle sofort unter Feuer zu nehmen. Eine ganze Stunde
verging, aber es rührte sich nichts.

Ben Turner, der die Aufgabe hatte, das Gelände jenseits der

Schlucht zu beobachten, entdeckte dort plötzlich eine
Bewegung. Auf dem gegenüberliegenden Felsenturm wurden
mehrere Gestalten sichtbar. Sie nahmen hinter den Felsen
Deckung. Sofort wurde Turner klar, was die Kerle vorhatten,
zumal jetzt auch direkt unter ihm einige der Burschen
zwischen den Felsen auftauchten. Von dem Felsenturm aus

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wollten sie ihren angreifenden Leuten Feuerschutz geben.
Damit hatte niemand gerechnet.

Es dauerte auch nicht lange, da begannen sie von drüben mit

Gewehren zu feuern, und die Kerle unter ihnen traten zum
Angriff an. Sie benutzten jeden Steinblock als Deckung, aber
es gelang keinem, sich bis zu dem Pfad, der zu dem Plateau
führte, heranzuarbeiten. Das kostete die Verteidiger eine
Menge Munition. Little Joe bemerkte es mit Unbehagen. Einer
der Kutscher war bereits verwundet worden.

Nach einer Stunde der Belagerung war die Gewehrmunition

bis auf einen kleinen Rest zusammengeschmolzen. Wenn nicht
bald Hilfe kam, mußten sie die Waffen strecken, denn die
Revolvermunition war ebenfalls fast aufgebraucht.

Hoss war plötzlich zwischen den Felsen verschwunden. Auf

der anderen Seite des Plateaus, wo ihn die Schüsse der
Angreifer nicht erreichen konnten, begann er das kärgliche
Moos und einige Grasbüschel auszureißen. Das Holz zweier
Krüppelkiefern schichtete er auf, suchte sämtliches Papier aus
den Satteltaschen zusammen, um damit ein Feuer zu
entzünden. Eine Decke hatte er schon bereitliegen. Sie wurde
mit dem Trinkwasser aus den Flaschen angefeuchtet. Dann
entzündete er das Feuer und rief Little Joe herbei.

„He, was soll das?“ fragte dieser überrascht.
„Wir können auf die Bürgerwehr nicht warten“, erwiderte

Hoss. „Außerdem haben wir doch eine Abmachung mit
Tenaque. Wir geben das Notsignal, und in spätestens einer
halben Stunde sind die Paiutes hier. Leider komme ich erst
jetzt auf diesen Gedanken.“

„Das ist die Lösung, Hoss!“ jubelte Little Joe. „Bis dahin

können wir uns noch halten.“

Das ausgemachte Notsignal bestand darin, daß in kurzen

Abständen Rauchballen in den Himmel stiegen. Da sich die
Indianer auf die gleiche Weise verständigten und stets nach

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diesen Zeichen Ausschau hielten, mußte das Signal bemerkt
werden.

Hoss legte in das hell flackernde Feuer das Moos und die

Grasbüschel, und sofort stieg dunkler Rauch auf. Gemeinsam
ergriffen die Brüder jetzt die Decke und hielten sie in einer
gewissen Höhe dicht über das Feuer, bis sich genügend Rauch
unter dem Tuch angesammelt hatte. Dann wurde die Decke
beiseite gezogen, und der Rauch stieg als dicker Ballen in den
Himmel. Das taten sie mehrere Male. Die indianischen
Beobachter auf den Bergen gaben die Zeichen sofort weiter.
Hinter den Dogg Rocks begann gleich das Reservat, und hier
an der Grenze waren immer Patrouillen unterwegs. Hoss und
Little Joe mußten mit ihren Bemühungen Erfolg haben.

Die Kerle auf dem Felsenturm waren plötzlich

verschwunden. Die Ursache waren aber kaum die
Rauchzeichen, die sie natürlich gesehen hatten. Ben Turner
teilte mit Hoss die Ansicht, dadurch, daß sie sparsamer mit den
Patronen umgingen, sei ihr Munitionsmangel vermutlich
bemerkt worden.

„Wir können uns jetzt auf einen direkten Angriff gefaßt

machen“, meinte Ben Turner. „Und bei diesem Gedanken wird
mir verdammt unbehaglich. Jeder von uns hat noch vier Schuß
Gewehrmunition.“

In der nächsten halben Stunde tat sich nichts, und Little Joe

vermutete schon, die Gegner seien abgezogen. Doch dann
waren sie plötzlich da. Sie hatten sich in drei Gruppen
aufgeteilt. Wenn die eine feuerte, schoben sich die beiden
anderen immer näher an den Pfad heran.

Doch dann drang ein wildes „Jiiiiii!“ an das Ohr der Männer,

und zwischen den Felsen wimmelte es plötzlich von Paiutes.
Sie hatten sich von allen Seiten lautlos genähert und stürzten
sich nun auf die völlig überraschten Banditen.

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Als sich Little Joe umwandte, stand er Tenaque gegenüber.

Der Häuptlingssohn hob grüßend beide Hände in Höhe des
Kopfes. „Tenaque folgte dem Ruf des schwarzen Rauches“,
sagte er lächelnd. „Und er wird ihm immer wieder folgen, um
seinen Freunden beizustehen.“

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In der Falle



Nach der Festnahme der Banditen war in Virginia City wieder
Ruhe eingekehrt. Eine Stunde nach dem Eingreifen der Paiutes
bei den Dogg Rocks traf auch Ben Hawkins mit zwanzig
Reitern der Bürgerwehr ein. Drei der Banditen waren im
Kampf von den Indianern getötet worden. Die anderen wurden
noch am gleichen Tag von den Reitern der Bürgerwehr nach
Chestertown überführt.

Inzwischen hatte sich auch in Carson City eine neue

Bürgerwehr gebildet. Sheriff Blackburn war vom Bürgerrat
abgesetzt worden. Man hatte ihm Feigheit vorgeworfen. Der
neue Mann in Carson City hieß Cliff Powers und stammte aus
San Franzisko. Henry Newton hatte ihn dort kennengelernt und
ihn dem Bürgerrat als neuen Sheriff empfohlen. Powers, ein
ehemaliger Postreiter, hatte sich schon in den ersten Tagen
seiner Amtszeit das Vertrauen der Bürger erworben. Von ihm
war für Fremde, die sich vorübergehend in der Stadt
aufhielten, die Meldepflicht eingeführt worden. So hatte er das
Gesindel unter Kontrolle, und jeder, der als Rowdy bekannt
war, mußte während seines Aufenthaltes in Carson City seinen
Revolvergürtel abgeben.

Auf der Ponderosa ging alles seinen alten Gang. Hop Sing

würzte jetzt alle Speisen mit Bergkräutern, und das rief in
Little Joe Erinnerungen wach. Von Helen Wells und ihrem
Bruder war bisher keine Nachricht eingetroffen. Little Joe
mußte sehr oft an sie denken. Dieses Mädchen war so ganz
anders als alle, die er bisher gekannt hatte. Sie hatte in Rebel
Corners eine Sache in Ordnung zu bringen, die ihren Vater
betraf. Das sagte sie ihm damals, und daran mußte Little Joe

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immer denken. Und noch etwas machte ihm Gedanken. Als er
damals äußerte, er würde sie heiraten, hatte sie ihm
geantwortet, daß ihm dieser Entschluß hinterher bestimmt leid
täte. Wer war dieses Mädchen wirklich? Auch mußte er immer
wieder an das Zusammentreffen mit den drei Gaunern im
Saloon-Hotel denken. Sie glaubten in ihr eine Lilly Baker zu
erkennen, die unter dem Namen Red Lilly in Silverstone
bekannt war. Helen hatte das zwar abgestritten, aber die
Gauner schienen ihrer Sache sehr sicher gewesen zu sein. Das
alles kam ihm jetzt in Erinnerung.

Eines Tages erschien Cliff Powers auf der Ponderosa. Die

Cartwrights kannten den neuen Sheriff von Carson City noch
nicht.

Powers, ein großer, breitschultriger Mann mit einem frischen

Gesicht, ritt an den Freikorral heran und tippte grüßend an
seinen Hut. „Ich soll Ihnen Grüße von Paula Newton
ausrichten“, sagte er und stieg aus dem Sattel.

„Dann sind Sie der neue Sheriff von Carson City“, erwiderte

Hoss und gab ihm die Hand. „Ich bin Hoss Cartwright, und das
ist mein Bruder Joe.“

„Little Joe“, lächelte Powers. „So sagte mir Paula.“ Er bot

Joe die Hand.

„Den Namen behalte ich, auch wenn ich längst einen Vollbart

trage“, sagte Little Joe lachend. „Was soll’s?“

„Ich wollte Sie nur mal kennenlernen“, fuhr Powers fort.

„Ehrliche und hilfsbereite Kerle muß man heute mit der Lupe
suchen.“ Er deutete mit einer Kopfbewegung rückwärts. „Und
dann bringe ich Ihnen einen neuen Cowboy. Seine Schwester,
die als Klavierspielerin in Rebel Corners in einem Saloon
arbeitet, vertraute ihn mir an. Ich nehme an, Sie wissen, wen
ich meine.“

„Moment mal – Sie sagten als Klavierspielerin?“ fragte Little

Joe.

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„Ja, sie nennen sie dort Red Lilly. Die Dame muß sehr

bekannt sein.“

„Und wo ist der Junge?“
„Er lief gleich ins Haus zu Ihrem Vater, den ich auch noch

begrüßen möchte.“

Ja, es war Bonnie, der im Wohnraum auf dem Sofa saß und

sich mit Ben Cartwright unterhielt. Freudig sprang er auf, um
die Brüder zu begrüßen. Er war völlig neu eingekleidet und
trug über seinen Hosen den ledernen Reitschutz der Cowboys.
„Helen ist damit einverstanden, daß ich Rancher werde“,
verkündete er glücklich. „Schaut, sie hat es in einem Brief an
Mr. Cartwright geschrieben.“

„Ja, das stimmt“, nickte Ben Cartwright, nachdem er Powers

begrüßt hatte. „Und Sie brachten ihn mit.“

Powers nickte und erklärte, nach der Verhandlung vor dem

Bezirksgericht in Chestertown, das sämtliche Angeklagten
zum Tode verurteilt habe, sei er nach Rebel Corners geritten,
um sich dort einmal umzusehen. Dabei habe er Helen Wells
kennengelernt, die ihn gebeten habe, Bonnie mitzunehmen.

„Und wie finden Sie die Stadt?“ fragte Ben Cartwright. „Der

Marshal hat sie doch zu einer Stadt ohne Recht erklärt.“

„Goldrummel in den Black Rocks“, lächelte Powers. „Die

Digger Corporation, die einem gewissen Don Barry gehört,
vergibt im Auftrage der Stadt Schürferlaubnis.“

„Der Kerl soll doch ein Gauner sein“, wandte Cartwright ein.
„Ja, aus diesem Grunde sah ich mich dort auch um“, nickte

Powers. „Ist er wirklich ein Gauner, so weiß er das auf jeden
Fall gut zu tarnen. Ich habe jedenfalls nichts Nachteiliges über
ihn hören können. Der dortige Sheriff lobte ihn und erklärte
mir, die Stadtkasse von Rebel Corners sei noch nie so reich
gewesen. Man hat den Eindruck einer sauberen Stadt, ich
möchte fast sagen, steril-sauber.“

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„Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Sheriff. Coffee und

Marshal Kelling waren da anderer Ansicht.“

„Ich sagte ,sie macht den Eindruck’, Mr. Cartwright“,

erklärte Powers. „Um diesem Kerl auf die Schliche zu
kommen, muß man aus einem Holz geschnitzt sein, das hier in
der Gegend nicht wächst. Ich ließ mir zum Beispiel auch die
Liste der Toten vorlegen, die durch Gewalt ums Leben kamen.
Jede Sheriffstation führt eine solche Liste. Die letzte
Eintragung war vor fünf Jahren vorgenommen worden.
Seitdem Don Barry in der Stadt ist, stirbt niemand mehr. Eine
Regierungskommission könnte also dem Bürgermeister, dem
Sheriff und Don Barry nur einen Orden verleihen. Was
Marshal Kelling feststellte und wofür er erschossen wurde,
dafür gibt es einfach keine Beweise. That so, Mr. Cartwright!“

Nachdem der Sheriff gegangen war, trat Hop Sing in Aktion.

Die kleine Kammer neben dem Zimmer Little Joes wurde für
Bonnie hergerichtet.

Warum schickte ihn Helen zurück? Diese Frage stellte sich

Little Joe immer wieder. Warum arbeitete Helen nicht als
Lehrerin in Rebel Corners? Hier stimmte etwas nicht. Sie war
also doch die Red Lilly, und die Gauner hatten sie damals
erkannt. Ihr Brief an den Vater bestand nur aus wenigen
Zeilen. Sie käme auf das damalige Angebot zurück und
schicke Bonnie, um ihn als Rancher ausbilden zu lassen. Mit
Grüßen an ihn und Hoss schloß der Brief. Das war alles. Wer
war Red Lilly?

Das sollte Little Joe noch am Abend erfahren.
Er lag schon im Bett, als sich die Tür öffnete und Bonnie

erschien. Er hielt einen Brief in der Hand. „Ich soll ihn dir nur
allein geben“, erklärte der Junge. „Und du sollst ihn auch nur
ganz allein lesen und dann sofort verbrennen, sagte mir
Helen.“ Damit verließ er das Zimmer.

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Im Nu war Little Joe aus dem Bett und zündete die Lampe

an. Seine Hände zitterten, als er den Brief öffnete. Er las:

Lieber Little Joe!
Vor fünf Jahren wurde auf dem Marktplatz in Bromers ein

Mann namens Henry Wells gehängt. Dieser Mann war mein
Vater. Er sollte einen Mann erschossen haben, aber nicht er
war der Mörder, sondern der Mann, der als Zeuge gegen ihn
aussagte. Um ihn zu finden und den damaligen Sachverhalt zu
klären, arbeitete ich unter dem Namen Lilly Baker in den
Saloons vieler Städte. Ich mußte Männer finden, die meinen
Vater gekannt hatten und die bereit waren, jetzt die Wahrheit
über diesen Fall zu sagen. Ich fand sie und kenne seit einem
Monat den Mann, der meinen Vater zu Unrecht beschuldigte.
Er nennt sich heute Don Barry und lebt in Rebel Corners. Er
ahnt nicht, daß ich Helen Wells bin. Ich sammele Beweise für
sein jetziges verbrecherisches Tun, um ihn vor Gericht stellen
zu können. Bonnie darf nie erfahren, daß sein Vater ein
Abenteurer war und wie er umkam. Für ihn liegen auf der State
Bank in Chestertown 3000 Golddollar, die ihm bei
Volljährigkeit ausgezahlt werden. Sollten Sie nichts mehr von
mir hören, so wissen Sie, daß mein Plan fehlschlug. Ich
vertraue Ihnen Bonnie an. Machen Sie aus ihm einen
aufrechten und furchtlosen Menschen.

Mit Dank für alles Ihre Helen Wells
Dieser Brief ließ Little Joe keinen Schlaf finden. Helen

befand sich in großer Gefahr. Wenn dieser Barry erfuhr, wer
sie war und warum sie in Rebel Corners weilte, so würde sie
auf die gleiche Weise verschwinden wie die vielen Digger, von
denen Sheriff Coffee gesprochen hatte. Hier mußte etwas
unternommen werden. Jetzt verstand er auch, warum sie sich
damals in den Bergen im Schießen übte. Sie wollte auf jede
Weise für ihre Aufgabe gewappnet sein. Sie hatte ihn vor dem
fast immer tödlichen Biß einer Klapperschlange bewahrt. Er

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hatte jetzt einfach die Pflicht, ihr beizustehen. Dieser Gedanke
nahm immer mehr Formen an, und als er gegen Morgen
schließlich in einen kurzen Schlaf fiel, stand sein Entschluß
fest. Er ging nach Rebel Corners, um Helen Wells beizustehen.
Natürlich durften der Vater und Hoss nichts davon erfahren.
Unicron lag einige Meilen westwärts von Rebel Corners. Dort
sollte Ben Hawkins morgen die drei Zuchtstuten abliefern.
Diesen Auftrag wollte er selbst übernehmen. Hoffentlich ließ
sich der Vater darauf ein. Gut war nur, daß weder der Vater
noch sonst jemand von der Aufgabe wußte, die sich Helen in
Rebel Corners gestellt hatte.

Beim Frühstück, an dem auch Bonnie teilnahm, kam man

natürlich auf Rebel Corners zu sprechen, und der Junge
berichtete, daß sein Onkel dort sehr lange schon Bürgermeister
sei. Sein Vater und er seien die ersten Männer gewesen, die in
den Black Rocks nach Gold gegraben hätten. Später sei dann
erst Mr. Barry gekommen, der seinen Onkel von früher
gekannt habe. Er kenne diesen Mr. Barry jedoch nicht, aber er
sei ein sehr mächtiger Mann dort. Bonnie berichtete aber nicht,
daß seine Schwester in Rebel Corners als Klavierspielerin tätig
war und sich dort Lilly Baker nannte. Helen hatte ihm das
offenbar untersagt. Da Bonnie unter allen Umständen wissen
wollte, womit jetzt seine Tätigkeit als zukünftiger Rancher
begänne, fand Little Joe sofort Gelegenheit, die Sprache auf
die Überführung der Zuchtstuten zu bringen.

„Ja, Pa, was hältst du davon, wenn wir beide, Bonnie und ich,

die Pferde nach Unicron bringen?“

„Ich wollte dich sowieso darum bitten“, sagte Ben

Cartwright. „Hawkins fühlt sich nicht recht wohl, und wenn
die Tiere bei einem Gewitter verrückt spielen… Nimm den
Jungen ruhig mit.“

So machten sich Little Joe und Bonnie am nächsten Morgen

auf den Ritt nach Unicron. Hoss hatte dem Jungen sein

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Gewehr geliehen, und Bonnie war sehr stolz darauf. Er führte
eines der Pferde am Halfter neben sich her, während Little Joe
die beiden anderen leitete.

Da Little Joe einen scharfen Trab geritten war, fehlten am

Abend nur noch dreißig Meilen bis zum Zielort. Weil Bonnie
vor Müdigkeit fast aus dem Sattel fiel, übernachteten sie in der
Nähe einer Quelle im Freien. Auch wollte Little Joe nicht in
der Nacht in Unicron ankommen.

Als sie am nächsten Morgen die Wegkreuzung nach Rebel

Corners erreichten, hielt Little Joe sein Pferd an. „Du könntest
eigentlich deine Schwester besuchen, während ich die Pferde
nach Unicron bringe. Ich hole dich auf dem Rückweg wieder
ab.“

Bonnie war einverstanden. „Ich kenne den Weg.“
„Und sag ihr, ich muß sie sprechen“, rief ihm Little Joe noch

nach. „Am besten, ihr kommt mir entgegen.“

Die Ablieferung der Pferde nahm keine halbe Stunde in

Anspruch. Der Rancher war mit den Tieren zufrieden, und
Little Joe bekam sein Geld. Erwartungsvoll machte er sich auf
den Rückweg. Er war gespannt, was ihm Helen sagen würde
und wie weit es ihr gelungen war, Beweismaterial gegen
diesen Barry zu beschaffen.

Kaum hatte Little Joe die Weggabelung nach Rebel Corners

erreicht, kam ihm Bonnie bereits entgegen. Der Junge war sehr
erregt und erklärte, er habe Helen überall gesucht, könne sie
aber nicht finden. Der Inhaber des Saloons, in dem sie arbeite,
habe ihm gesagt, sie sei schon gestern abend nicht im Saloon
erschienen. Im Hause seines Onkels sei nur die Haushälterin
anwesend, und sie habe auch keine Ahnung, wo sich Helen
aufhalte. Auch der Onkel sei verschwunden.

Little Joe überlegte. Konnte es nicht so sein, daß Helen ihren

Bruder nur aus dem Grunde fortgeschickt hatte, um ihn zu
schützen? Vielleicht ahnte sie, daß dieser Barry ihr bereits auf

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der Spur war und ihre Mission erkannt hatte. Ja, nur so konnte
es sein. Sie fühlte sich bereits bedroht, und das ging auch ganz
eindeutig aus ihrem Brief hervor.

„Und du kannst dir nicht denken, wo sie sein könnte?“ fragte

Little Joe. „Hatte sie keine Bekannte?“

Der Junge schüttelte den Kopf. „Nein! – Aber sie ritt viel in

die Berge, um sich mit den Goldgräbern zu unterhalten.“

„Dann werden wir uns dort einmal umsehen.“
Gegen Mittag hatten sie die Black Rocks erreicht. Vor Jahren

hatten hier bereits Digger geschürft, und wie es hieß, sollte
auch in der letzten Zeit wieder Gold gefunden worden sein.
Sheriff Coffee hatte darüber seine eigenen Ansichten. Er war
überzeugt, daß der Goldrummel durch Barry künstlich
angeheizt wurde, indem er die alten Claims „salzen“ ließ, um
von den Diggern die hohe Schürfgebühr zu kassieren. Ein ganz
übler Gaunertrick.

Sie ritten an zerfallenen Holzhütten entlang. Hier sah das

Gelände aus, als wären riesige Maulwürfe an der Arbeit
gewesen. Weiter oben sah Little Joe eine Hütte, die bewohnt
aussah. Er stieg ab und bat Bonnie, er möge hier auf ihn
warten. So ließ er Taifun bei dem Jungen zurück und ging den
schmalen Pfad zur Hütte hinauf. Kurz bevor er sie aber
erreichte, stolperte er über einen dünnen Draht, der handbreit
über den Boden gespannt war. Sofort erschien aber der
nächsten Bodenwelle ein bärtiges Gesicht, und ein Gewehrlauf
richtete sich auf ihn.

„Nimm schön die Hände hoch, Freundchen“, sagte eine

Stimme, und gleichzeitig spürte Little Joe, wie ihm ein
Gewehrlauf in den Rücken gedrückt wurde. Eine Stimme
hinter ihm forderte: „Vorwärts, Junge, wir werden dir das
Spionieren schon austreiben.“

In der Hütte stand ein riesiger, bärtiger Mann, der ihn

mißtrauisch musterte.

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„Hier haben wir einen von den Kerlen, Vater“, sagte einer der

bärtigen Männer. „So, und nun mach den Mund auf,
Freundchen!“

Aus dem Hintergrund der Hütte trat ein jüngerer Mann hinzu.

Er lächelte, als er Little Joe sah. „Legt die Gewehre weg,
Brüder. Er gehört nicht zu Barrys Leuten“, meinte er. „Wenn
ich mich nicht irre, sind Sie Joe Cartwright von der Ponderosa,
stimmt’s?“

„Und wie das stimmt“, nickte Little Joe etwas ärgerlich. „Ein

netter Empfang, das muß ich schon sagen. Und woher kennen
Sie mich?“

„Vom letzten Rodeo in Virginia City“, lächelte der junge

Mann. „Leider bekam ich keinen Preis.“

„Ich bin Moses Ohara“, sagte der bärtige Riese. „Das sind

meine Söhne.“ Er bot Little Joe die Hand. „Seien Sie mir
herzlich willkommen und entschuldigen Sie die unfreundliche
Begrüßung, aber wir müssen uns vorsehen. Sie werden es nicht
glauben, aber wir haben hier tatsächlich Gold gefunden und
eine Ader, die es in sich hat. Erfährt Barry davon, sind wir
unseres Lebens nicht mehr sicher. Er hat seine Spione überall.
Er salzt die Claims und läßt die Leute arbeiten. Findet aber
tatsächlich jemand etwas, so verschwindet der Betreffende,
und die Digger Corporation tritt sein Erbe an.“

Als Little Joe eine halbe Stunde später die Hütte verließ,

wußte er über diesen Barry und die Zustände in Rebel Corners
alles, was man erfahren konnte. Er wußte auch, daß sich die
Digger gegen Barry zusammengeschlossen hatten und nur auf
einen geeigneten Augenblick warteten, um gegen ihn
vorzugehen. Aber es fehlten ihnen jegliche Beweise, denn
niemand war bereit, öffentlich gegen ihn auszusagen. Das kam
einem Selbstmord gleich. Gingen sie gewaltsam gegen ihn vor,
so konnte ihnen das als Aufstand gegen die Behörden
ausgelegt werden. Rebel Corners war nach außen hin eine gut

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geführte Stadt; steril-sauber, wie Powers ironisch erklärt hatte.
Von Helen Wells und ihrem Onkel konnte Little Joe jedoch
nichts in Erfahrung bringen. Er mußte also weitere
Nachforschungen anstellen. Da ihm dabei Bonnie hinderlich
war und er den Jungen vor allem nicht in Gefahr bringen
wollte, bat er Ohara, den Jungen für kurze Zeit aufzunehmen.
Ohara erklärte sich dazu gerne bereit und versprach ihm auch,
Ben Cartwright zu verständigen, falls ihm etwas zustoßen
sollte.

So machte sich Little Joe auf den Weg in die Stadt. In den

Saloons, die er besuchte, stieß er auf eisiges Schweigen, wenn
er die Sprache auf Lilly Baker brachte. Offenbar waren die
Leute Fremden gegenüber nicht sehr gesprächig, oder es kam
daher, daß überall einige finstere Gestalten herumstanden, die
Ohara als Barrys Privatpolizei bezeichnet hatte. Nur ein älterer
Mann, der schon einige Whisky zuviel getrunken hatte,
flüsterte ihm zu, die rothaarige Hexe würde auch von Barrys
Leuten gesucht. So blieb Little Joe nichts anderes übrig, als
sich in die Höhle des Löwen zu wagen.


Als Little Joe erwachte, sah er gegen die Gitterstäbe einer
Haftzelle. Er hatte scheußliche Kopfschmerzen und erinnerte
sich nur schwach daran, was vorgefallen war. Barry hatte ihn
im Büro der Digger Corporation empfangen und ihm
freundlich mitgeteilt, er könne ihm über Lilly Baker keine
Auskunft geben. Er kenne die Dame kaum… Ja, und dann
hatte Barry ihm einen Whisky angeboten…

Mit einem Sprung war Little Joe auf den Beinen. Er trat an

die Gitterstäbe heran und sah durch eine offenstehende Tür in
den Wachraum der Sheriffstation.

„He, hallo!“

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Ein schlaksiger junger Mann in tadellos gebügelter Hose und

einem Khakihemd, das den Sheriffstern trug, trat in die Tür. Er
schob sich seinen weißen Stetson ins Genick.

„Darf ich wissen, warum ich hier in der Zelle bin?“ fragte

Little Joe aufgebracht.

„Du hattest einen über den Durst getrunken“, grinste der

junge Mann. „Und damit du keine weiteren Dummheiten
anstelltest, nahm dich der Alte in Gewahrsam. Ich bin nur der
Hilfssheriff.“

„Und wann lassen Sie mich heraus?“
„Deine Verhandlung ist auf morgen angesetzt, dann kommt

der Richter aus Chestertown. Sag, hast du keinen Hunger? Du
hast nämlich genau achtundvierzig Stunden geschlafen.“

Dann mußte etwas in dem Whisky gewesen sein, den ihm

Barry angeboten hatte, überlegte Little Joe. Und eine
Verhandlung war angesetzt? Wozu? Nur, weil er angeblich
einen über den Durst getrunken hatte, bemühte man den
Richter?

„Ich sehe schon, du kannst dich an nichts erinnern“, fuhr der

Hilfssheriff fort. „Du bist angeklagt, den Digger Louis Rosch
erschossen und beraubt zu haben. Im Saloon hast du dann
einen genommen, und so bist du hier gelandet.“

„He, sind Sie verrückt geworden?“ fuhr Little Joe auf. „Ich

soll einen Digger beraubt und erschossen haben? Das muß eine
Verwechslung sein.“

„Kaum!“ Der junge Mann schüttelte den Kopf. „Das

Säckchen mit Nuggets fanden wir in deiner Tasche, und dann
gibt es auch noch zwei Zeugen. Wenn sie die Finger heben,
bist du dran, klar?“

Mit einem verzweifelten Gefühl im Herzen ließ sich Little

Joe auf das Bett zurücksinken. Was war jetzt zu tun?
Hoffentlich hatte Ohara den Vater benachrichtigt. Bestand aber
überhaupt eine Möglichkeit, noch etwas für ihn zu tun? Der

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Richter mußte sich an die Tatsachen halten, und wenn es zwei
Zeugen gab, mußte er ihnen glauben, auch wenn sie bestochen
waren. Sicher war er jedoch, daß ihn der Vater nicht im Stich
lassen würde. Für ihn gab es immer einen Ausweg.

Eine Stunde später tauchte der Sheriff auf. Es war ein dicker,

behäbiger Mann mit unsteten Augen. Er gehörte zu Barrys
Leuten, das war Little Joe sofort klar.

„Sie bekommen ein sauberes Gerichtsverfahren“, verkündete

er. „Aber vorher möchte Mr. Barry noch einmal mit Ihnen
sprechen.“

So wurde Little Joe in einen Raum geführt, in dem Barry

schon anwesend war.

Barry, ein mittelgroßer Mann mit einem brutalen Kinn,

wartete, bis der Sheriff den Raum verlassen hatte. „Sie wissen,
wessen man Sie beschuldigt…“

„Und Sie wissen, daß diese Beschuldigung völlig aus der

Luft gegriffen ist“, fiel ihm Little Joe ins Wort.

„Sagen Sie mir, wo sich Helen Wells aufhält“, förderte Barry.

„Dann sind Sie sofort frei. Sie sind doch ihr Partner und halfen
ihr, belastendes Material gegen mich zusammenzutragen. Sie
fragten die Digger aus. Bei Ohara hat man Sie gesehen.“

Little Joe hob die Schultern. „Ich bin weder ihr Partner, noch

weiß ich, wo sie sich aufhält. Wäre ich sonst zu Ihnen
gekommen, um Sie zu fragen?“

„Na, schön!“ Barry musterte ihn eine Weile. „Sie sind mein

Lockvogel, Cartwright. Ganz Rebel Corners weiß, wessen man
Sie anklagt. Sie wird auch davon erfahren, und ich rechne
damit, daß sie zu der morgigen Verhandlung hier erscheinen
wird, um ihr Beweismaterial gegen mich vorzubringen und Sie
vor einer Verurteilung zu retten. Sie wird den Sitzungssaal
aber nicht erreichen, dafür sorgen meine Leute. Schade um Sie,
denn wenn der Richter erst einmal das Verfahren gegen Sie

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eröffnet hat, gibt es kein Zurück mehr. Ich muß die Anklage
aufrecht erhalten, um mein Gesicht zu wahren.“

Zehn Minuten später saß Little Joe wieder in seiner Zelle. Er

war verzweifelt. Es war ihm völlig klar, daß ihn der Richter
verurteilen würde, zumal es zwei Zeugen gab.

Gegen Abend brachte ihm der schlaksige Hilfssheriff das

Essen. „Ihr Vater und Ihr Bruder sind seit gestern in der Stadt“,
berichtete er. „Aber sie werden nichts ausrichten können.
Unsere Bürger ähneln Fischen. Sie sind stumm.“

Er deutete auf

das Tablett mit dem Essen. „Ich mag Sie, Cartwright. Sehen
Sie doch mal unter dem Teller nach. Ein kleiner Junge brachte
mir die Nachricht.“ Damit verließ er den Raum.

Unter dem Teller lag ein Stück Papier, das nur wenige Zeilen

enthielt. Helen teilte ihm mit, daß er sich keine Sorge machen
solle. Der morgige Tag würde für Barry der letzte in Freiheit
sein. Sie habe eine gleiche Mitteilung an Ben Cartwright
geschickt, der sich mit Hoss bei den Oharas aufhielte.

Obwohl sich Little Joe über die Mitteilung freute, blieb seine

Besorgnis. Demnach mußte Helen also im Gerichtssaal
erscheinen, und gerade damit rechnete Barry. Seine Leute
lagen auf der Lauer. Das hatte er ihm doch ganz klar zu
verstehen gegeben. Helen lief ihm also geradewegs in die
Falle, und das wollte Little Joe nun wiederum nicht glauben.
Vielleicht hatte Helen noch einen anderen Weg gefunden.

Am nächsten Morgen war der Rathaussaal, in dem die

Verhandlung gegen Little Joe stattfand, bis auf den letzten
Platz besetzt. Es waren hauptsächlich Digger, die in den
Bänken Platz genommen hatten. In der ersten Reihe sah Little
Joe seinen Vater und Hoss, die neben Moses Ohara und seinen
Söhnen saßen.

Der Sheriff und Barry hatten ihren Platz vor der

Geschworenenbank.

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Little Joe war ein Verteidiger gestellt worden, ein junger

Mann, der wie eine verängstigte Spitzmaus aussah.

Schon am Vorabend war der Richter mit der Postkutsche aus

Chestertown eingetroffen. Er eröffnete um neun Uhr die
Verhandlung mit dem Verlesen der Anklageschrift und der
Benennung der Zeugen. Little Joe antwortete auf die Frage des
Richters, ob er schuldig sei, mit – nicht schuldig. Damit hatte
der Sheriff das Wort, der die Anklage vertrat.

„Euer Ehren! Wir brauchen in diesem Falle gar keine

weiteren Beweise“, begann der Sheriff. „Die beiden Zeugen,
die ihre Aussage beeiden werden, sind Beweis genug. Sie
waren dabei…“

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Saales, und

auf der Schwelle erschien Cliff Powers, der neue Sheriff von
Carson City. In seiner Begleitung befand sich ein Leutnant der
Kavallerie-Brigade, und hinter ihnen drängten sich mehrere
Soldaten in den Raum. Auf Anweisung des Leutnants nahmen
sie neben Barry und dem Sheriff Aufstellung.

Powers ging auf den Richtertisch zu und legte einen großen

Briefumschlag auf den Tisch. „Euer Ehren! Dieser Brief
enthält Beweismaterial, daß Don Barry, der sich hier im Saal
befindet, der seit fünf Jahren durch Steckbrief gesuchte Mörder
und Bandenchef All Barring ist. Des weiteren beweisen die
Schriftstücke in diesem Brief seine verbrecherischen
Machenschaften in Rebel Corners. Die Zeugen, die diese
Papiere unterschrieben, sitzen hier im Saal. Joe Cartwright ist
fälschlich des Mordes angeklagt, und ich bitte, die Zeugen zu
fragen, ob sie jetzt noch bereit sind zu schwören…“

Little Joe sprang auf und eilte auf Powers zu. „Wo ist

Helen?“

„Im Hause ihres Onkels“, antwortete der Sheriff. „Das, was

hier jetzt geschah, hatten wir schon damals, als ich Bonnie zu
euch brachte, besprochen. Barry war mißtrauisch geworden,

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und so mußte sich Helen in Sicherheit bringen. Sie hielt sich
mit ihrem Onkel in einer Blockhütte in den Bergen versteckt.“

Little Joe spürte eine Hand auf seiner Schulter. Er wandte

sich um und sah den Vater.

„Komm, wir reiten, Junge“, sagte Ben Cartwright.
„Aber ich muß doch noch…“
Hoss grinste wie ein Vollmond. „Ja, Pa, was glaubst du, was

er muß?“

„Mit nach Hause kommen.“
„Richtig“, nickte Hoss. „Denn hier in Rebel Corners gibt es

noch immer eine Gefahr für dich, und die ist rothaarig.“ Er
klopfte seinem Bruder auf die Schulter. „Komm, Kleiner!“

„Nilpferd!“ Das war das einzige, was Little Joe als Antwort

bereit hatte.


Ende


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